15. Zeit der Entscheidungen
von Thorsten OberbosselAurora flog auf ihrem Nimbus 1500 über den Ländereien von Hogwarts dahin. Sie hatte endlich das richtige Gefühl für ihren neuen, ganz eigenen Besen bekommen, um im anstehenden Endspiel gegen Gryffindor ihr bestmögliches zu geben, um den Ravenclaws erneut zum Pokal zu verhelfen. Der Flugwind wirkte auf sie wie eine Sommerbrise. Das lag an der silbernen Brosche an Auroras Umhang. Wie hatte Tonya sie genannt? Warmhalter. Bernhard hatte ihr dieses Schmuckstück zum Valentinstag geschenkt, bevor er ihr offenbart hatte, nach diesem Jahr wegzuziehen. Gegen Bernhard Hawkins und seine Mannschaft würde sie bald ranmüssen.
Etwas großes Schwarzes, klapperdürres strich über dem Saum des verbotenen Waldes dahin. Lederartige Flügel schlugen auf und nieder, und die bleichen Augen des Wesens blickten zu Aurora hinüber wie zwei fahle Totenaugen. Das war eines der Thestrale, fiel es Aurora ein. Diese pferdeartigen Wesen wirkten gruselig und unheilbringend. Das lag wohl daran, daß nur die Leute sie zu sehen bekamen, die jemanden hatten sterben sehen müssen, wie Aurora und viele hier in Hogwarts, die liebe Verwandte oder Freunde an die finsteren Verbündeten des Unnennbaren verloren hatten. Da tauchte noch ein Thestral auf, der den anderen zu jagen schien. Sie trieben sich über dem dunkelgrünen Dach des Waldes hin und her. Dann sah Aurora den überlebensgroßen Wildhüter Hagrid, der geradeswegs auf den Wald zuging.
Aurora Dawn drehte bei und kehrte zum Schloß zurück, wo sie vom Besen stieg und in ihren Gemeinschaftsraum zurückkehrte. Hier waren im Moment nicht viele Leute. Die meisten waren über Ostern nach Hause gefahren. Lediglich einige aus der UTZ-Klasse waren hier, weil sie hier in der Bibliothek alles finden konnten, was sie für ihre Abschlußprüfungen brauchten. Dazu gehörten auch Tim Abrahams und Alessandro Boulder, die sich gerade über irgendwas heftig unterhielten. Tim wirkte dabei ziemlich verbittert, während Alessandro wohl versuchte, ihn wieder zum lachen zu bringen. Tim sollte wohl nach Hogwarts in diese Militärgruppe eintreten, wo sein Vater schon drin war. Er sah das wohl anders und wußte nicht, was er dagegen tun konnte, ohne die Zaubereigeheimhaltung zu umgehen. Alessandro blickte sich um und sah Aurora. Er winkte ihr zu. Sie dachte, es ginge ihm um Quidditch und ging hinüber.
“Hi, Aurora! Geht der Nimbus gut ab?” Fragte Alessandro.
“Allemal, Alessandro. Ich denke mal, daß wir den Gryffindors ziemlich gut einheizen können”, erwiderte Aurora sehr zuversichtlich und strahlte Alessandro und Tim an.
“Immerhin eine schöne Nachricht, Tim”, sagte Alessandro aufmunternd.
“Unwichtiger Krempel, Alessandro”, sagte Tim verbittert. Aurora glotzte ihn verstört an, als ob er nicht mehr ganz richtig sei oder total verdreht sei.
“Ist wieder was mit deinem Vater wegen dieser Marinesache?” Fragte Aurora. “Immerhin wolltest du ja nicht nach Hause.”
“Ich bin hier wegen der UTZs, Aurora”, sagte Tim. “Und mein Daddy ist im Moment gar nicht zu Hause. Der ist auf der “Invincible”, einem Flugzeugträger. Der hat im Moment ganz andere Sorgen, abgesehen davon, daß meine Mum einsieht, daß ich nicht zur Marine gehen soll, gerade deswegen was unsere eiserne Lady da jetzt mit so’nem argentinischen Militärdiktator abzieht.”
“Häh? Hallo, komm ich jetzt nicht ganz mit”, sagte Aurora. Alessandro bot ihr einen freien Stuhl an. Sie setzte sich und legte ihre Hände auf den Tisch.
“Da haben wir alle hier gedacht, nach dem Verschwinden dieses Voldemort-Verbrechers könnten wir endlich mal in Frieden leben. Aber offenbar drehen meine Leute jetzt voll durch”, sagte Tim. “Schon mal was von den Falklandinseln gehört, Aurora?”
“Nein, kenne ich nicht. Wo sind die?”
“Kannst du mal sehen, Alessandro, daß längst nicht jeder weiß, wie achso bedeutsam diese Felsinseln sind”, sagte Tim und grinste gehässig. Dann erzählte er Aurora, daß das eine Inselgruppe im Südatlantik war, in der Nähe von Südamerika, daß dort lange Leute unter englischer Staatsführung gelebt hatten und Argentinien, wo es wohl seit Jahren sehr grausam zuginge, diese Inseln jetzt selber haben wolle und deshalb seine Soldaten hingeschickt habe, um die Inseln zu besetzen und sich das die britische Premierministerin nicht bieten lasse.
“Du willst sagen, England hat mit diesem Land Argentinien einen Krieg wegen ein paar kalter Inseln angefangen?” Entrüstete sich Aurora Dawn.
“Nöh, andersrum. Die Truppen von Galtieri, so heißt dieser Militärdiktator, haben mit uns Krieg angefangen. Ich fürchte, das wird ziemlich heftig, weil dieser Galtieri seinen Leuten vormachen will, er sei ein toller Herrscher und unbesiegbar und so weiter und Maggy Thatcher den Ruf hat, sich nix gefallen zu lassen. Ich bekam erst gestern einen Brief, den Mum von Dad an mich weitergeleitet hat. Offenbar ist geplant, die Argentinier von den Inseln wieder runterzuwerfen, und er wird wohl mit dem Flugzeugträger losfahren, als Flugstaffelkommandant.”
“Hast du nicht behauptet, Soldaten seien für sowas da?” Fragte Alessandro Tim.
“Zur Landesverteidigung, Alessandro. Die sollen aufpassen, daß uns nichts passiert und nicht irgendwo am Arsch der Welt Schiffeversenken spielen. Er schreibt mir noch, daß er hofft, ich würde meine Prüfungen gut machen und ich sollte mir überlegen, ob ich der Marine beitreten wolle oder nicht. Offenbar ist der auch nicht mehr so sicher, ob der mich da haben will.”
“Ein Zauberer in der Marine wäre doch voll genial”, sagte Alessandro. “Der könnte dann Schockzauber auf andere Soldaten machen oder Schiffe oder Flugzeuge mit Flüchen belegen, daß die nicht mehr vor oder zurückkommen.”
“Sag mal”, schnaubte Aurora und Tim schnaubte seinerseits:
“Manchmal, Alessandro, quatschst du einen gequirlten Mist daher, daß ich mich echt frage, wie du bis hierher die Schule durchhalten konntest. Ich habe keine Lust, irgendwelche Leute abzumurksen, nur weil so’ne überautoritäre Kuh in London mir den Befehl dazu gibt. Nein, ich trete nicht in diesen Laden ein. Ich werde mich bei der Abteilung zur Führung und Aufsicht magischer Geschöpfe bewerben. Mum wird meinen entsprechenden Brief morgen kriegen. Euch ist wohl nicht klar, daß da demnächst Leute sterben werden, nicht nur Soldaten und Matrosen.”
“Mir ist das schon klar”, knurrte Aurora. “Ich habe es immer schon nicht leiden können, daß die Muggel sich gegenseitig mit immer grausameren Waffen umbringen und immer wieder behaupten, sie müßten das tun und hätten das Recht dazu und so weiter. Nachdem was du mir gerade erzählt hast, haben die wohl nix aus diesem großen Krieg vor vierzig Jahren gelernt. Das macht mich wütend und traurig zugleich.”
“Ach nein, aber was dieser Schweinehund Voldemort in der Zaubererwelt angestellt hat war schon vernünftiger?!” Schrie Tim, der die Welt seiner Eltern nicht als unbelehrbare Barbaren beschimpfen lassen wollte.
“Bist du denn noch zu retten, seinen Namen so laut hier durch den Saal zu brüllen?” Zischte Alessandro schreckensbleich. Alle hier im Gemeinschaftsraum waren zusammengefahren und starrten nun sehr erschrocken auf Tim.
“Wenn sie mir jetzt hier an die Birne knallt, daß die Welt meiner Eltern strohdoof sei und nix aus ihren Fehlern gelernt hätte?” Knurrte Tim.
“Du-weißt-schon-wer ist ja auch ein Sonderfall an Grausamkeit”, schnarrte Aurora Dawn und sah Tim mit sich verengenden Augenbrauen an. “Wage es nie wieder, seine Gemeinheiten mit der ganzen Zaubererwelt gleichzusetzen. Es sind zu viele Leute von ihm umgebracht worden.”
“Und du spiel dich nicht als Vertreterin eines weisen Volkes auf, daß über sowas wie Krieg und Zerstörung erhaben ist!” Fauchte Tim zurück. Aurora sah ihn an und meinte:
“Du hast doch eben gesagt, es sei widerwärtig, Leute umzubringen, weil so ein General Galtieri oder eine Maggy Thatcher sich nicht verstünden und meinten, andere Leute dafür sterben lassen zu müssen. Was hat denn das noch mit Vernunft zu tun?”
“Vergiss es, Aurora. Du hast ihn auf dem falschen Fuß erwischt. Der fühlt sich jetzt total geknickt, weil sein Vater bei diesem Wahnsinn mitmachen muß und er selbst immer wieder gelöchert wurde, selbst in die Truppe reinzugehen. Dann kommst du noch daher und sagst: Die Muggel spinnen doch alle.”
“Das habe ich so nicht gesagt”, fauchte Aurora und straffte sich bedrohlich. “Ich meinte nur, sie haben wohl nichts drauß gelernt. Außerdem hast du, Tim uns immer wieder erzählt, daß die Muggel sehr gefährliche Waffen hätten, um ganze Länder auszulöschen. Also haben wir uns schon dafür zu interessieren, wie deine Eltern und die anderen Muggel mit solchen Sachen umgehen. Das Problem ist nur, daß die Geheimhaltung uns dazu verdonnert, da nichts gegen zu machen. Mehr will ich dazu nicht sagen.”
“Dann verzieh dich, Mädel”, sagte Tim Abrahams verbittert. Aurora nickte und meinte:
“Das sind mal eben zehn Punkte Abzug von Ravenclaw wegen einer groben Respektlosigkeit gegenüber einer Vertrauensschülerin, Tim. Wenn ihr nix wichtigeres von mir wollt, unterhaltet euch weiter über diesen Krieg um diese Felseninseln!” Sie stand auf und ging, jeden Muskel angespannt, zu ihrem Tisch zurück, ohne sich noch einmal umzusehen. Warum hatte man sie mit diesem Unfug behelligt, gegen den sie eh nichts machen konnte? Sie dachte nur an Roy, der davon vielleicht auch was mitbekam oder auch nicht. Außerdem überlegte sie, ob sie eben nicht wirklich zu heftig reagiert hatte. Sicher hätte sie sich bei Tim entschuldigt, wenn der sie nicht so von oben herab behandelt hätte. Dann sollte er eben denken, sie würde alle Muggel für dumme, gefährliche Barbaren halten, die das, was sie nicht zaubern konnten, mit sehr heftigen Mordwaffen zerstören konnten.
Sie saß eine Weile am Tisch und fand nicht mehr in ihre Wiederholungsübungen zurück. So nahm sie ihre Unterlagen und ging in die Bibliothek, wo sie sich mit Eunice Armstrong traf, die gerade mit einem Stapel Büchern zur Geschichte derMuggelmaschinen an einem Tisch saß.
“Hi, Aurora”, flüsterte Eunice, Aurora zuwinkend. “Ich lese mich gerade schlau, wann und warum welche Maschinen in der Muggelwelt so wichtig wurden und was sie darin verändert haben.”
“Ich habe mich gerade mit Tim Abrahams verkracht, der mir was von einem Krieg zwischen England und Argentinien erzählt hat, den es wohl sehr bald gibt oder der schon angefangen hat. Vielleicht sollte ich mich mit diesen Maschinen auch so beschäftigen wie du.” Eunice bot ihr an, mit ihr zu lernen. So saßen die beiden Mädchen zusammen und sprachen über die Eisenbahn, das Telefon, Fernseher oder Autos, aber auch über Raketen und Feuerwaffen. Als es Abendessenszeit war, gingen sie gemeinsam zur großen Halle. Erst da verabschiedeten sie sich voneinander.
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Am Ostersonntag nutzte Aurora einen Moment, als im Gemeinschaftsraum niemand war und schickte ihren Kopf mit Flohpulver durch den Kamin zu ihren Eltern, wo sie etwa fünf Minuten mit ihnen und den Priestleys sprach. Dann ging sie in den Krankenflügel und ließ sich von Madame Pomfrey, die gerade nichts wichtiges zu tun hatte, einige einfache Heilzauber vorführen. Aurora hatte beschlossen, sich mit dieser Abteilung der Zauberei näher zu beschäftigen.
“Du weißt, daß du in schwierigen Situationen immer einen kühlen Kopf und Herzenswärme bewahren mußt, Aurora. Sicher, manchmal mußt du auch sehr streng sein, um die von dir richtig erkannten Maßnahmen durchzuführen. Nicht jeder, der einen Heiler benötigt, sieht das ein oder nimmt widerspruchslos alles hin, was der Heiler oder die Heilerin ihm aufträgt. Ich erlebe das jedesmal, wenn von euch welche hergebracht oder zu mir geschickt werden”, sagte Madame Pomfrey einmal, als Aurora einen Schienzauber zum fünften Mal fehlerfrei hingekriegt hatte.
“Ich habe das mitbekommen, wie diese Heilerin in Australien so’n Pärchen behandeln mußte, die so’n Schwebezeug eingeworfen haben”, sagte Aurora. “Die mußten in so Beruhigungsanzüge gesteckt werden.”
“Ich erinner mich. Ich habe einen Artikel im Heilerherold gelesen, in dem Madame Herbregis diesen Vorfall beschrieben und sich über dieses Rauschelixier sehr heftig entrüstet hat.”
“Man bräuche dafür das Gift eines Billywichs”, sagte Aurora.
“Eben, und den gibt’s halt nur im australischen Busch. Eine rote Abart davon noch auf Tasmanien. Deshalb ist der Kreiselflugtrank hierzulande nicht so verbreitet. Höchstens dekadente Zauberer, die zu viel Geld, Zeit und Spaß an der Gefährdung ihrer Gesundheit haben, leisten sich dieses Gebräu. Nicht selten landen solche Zeitgenossen dann in der geschlossenen Abteilung von St. Mungo. Also war das schon mehr als berechtigt, was meine australische Kollegin da geschrieben hat, daß es eben kein unschädliches Rauschmittel gibt, auch nicht in der Zauberei.”
“Also, wenn Sie mir raten wollten, ob ich mit dem Heilberuf was anfangen könnte, was außer dem, was Sie mir so schon erzählt haben, müßte ich noch wissen?” Wollte Aurora Dawn wissen.
“Wie gesagt ist der Hauptfaktor beim Heilberuf die Geduld und die Unvoreingenommenheit. Als ich gerade mit der Ausbildung fertig war und nicht genau wußte, ob ich mich niederlassen oder in eine Institution eintreten sollte, wurde ich mal zu einer Behandlung eines Muggels gerufen, der in einem alten Haus auf einen Schwarm Doxys gestoßen ist. Der war sehr aggressiv, als ich ihn mit Gegengiften und Beruhigungszaubern behandeln mußte. Die Bürokratie danach war jedoch schlimmer, weil ich haarklein jeden angewandten Zauber, jedes Gebräu und alles über diesen Muggel in mehrfacher Ausfertigung abzuliefern hatte. Vielleicht deshalb bin ich dann wieder nach Hogwarts gekommen, als hier die Stelle der Schulkrankenschwester neu besetzt wurde.”
“Ich las in der Geschichte von Hogwarts, daß es hier nur weibliche Heiler gegeben hat. Warum eignen sich Hexen für sowas besser?” Wollte Aurora Dawn wissen.
“Nun, das liegt nicht daran, daß Zauberer keine so guten Heiler wie Hexen werden können, sondern daran, daß Hexen ein besseres Einfühlungsvermögen gegenüber jüngeren Patienten entwickeln können. Da die erste Schulheilerin in Hogwarts Brigid Hufflepuff war, eine Tochter der Gründerin Helga Hufflepuff, ist es eine Tradition geworden, Hexen mit den Heilkundeaufgaben in Hogwarts zu betrauen. Falls deine ZAG-Vorbereitungen das zulassen könnten, nur dann, kannst du gerne von mir eine Liste der Schulkrankenschwestern von Hogwarts bekommen.”
“Im Moment wohl besser nicht, Madame Pomfrey. Manchmal brummt mir der Schädel schon von den Zahlen, mit denen uns Professor Binns eindeckt”, wies Aurora Dawn das Angebot zurück. Sie wurde das Gefühl nicht los, daß Madame Pomfrey schon nach einer vielversprechenden Nachfolgerin Ausschau hielt und wohl alle jungen Hexen für ihren Beruf zu begeistern versuchte, natürlich so vorsichtig es ging, um den Auftrag der Schule, möglichst unvorherbestimmend zu unterrichten, nicht zu gefährden. Obwohl: Eine Lehrerin war sie ja nicht, und dieser Auftrag galt ja wohl vornehmlich für die Lehrer hier in Hogwarts, dachte sich Aurora Dawn. Sicher, interessieren tat es sie schon, diese umfangreiche Kunst zu lernen, die einem Zauberer oder einer Hexe sehr viel abverlangte. Näheres wollte sie aber erst kurz vor den Prüfungen mit Professor Flitwick erörtern, wenn dieser die Berufsberatungsgespräche abhielt, von denen er zu Schuljahresbeginn erzählt hatte.
Als Aurora auf dem Weg zurück in den Gemeinschaftsraum war, kam ihr Eunice Armstrong mit zwei Drittklässlern aus ihrem Haus entgegen, die es irgendwie geschafft hatten, sich wie siamesische Zwillinge an Bauch bis Brustkorb zusammenwachsen zu lassen.
“Huch, wie habt ihr das denn hingekriegt?” Fragte Aurora die beiden Jungen aus der dritten Klasse.
“Wir haben den Murattractus-Fluch geprobt, beide gegeneinander. Dabei ist es wohl passiert”, sagte einer der Jungen mit keuchender Stimme. Der Andere, der wohl noch sehr benommen von dem Vorfall war, sagte, daß sie sich gegenseitig an die Wand klatschen wollten, weil sie sehen wollten, wie der Fluch sich selbst aufhebt.
“Tja, und dabei hat er nicht jeden an eine Wand, sondern euch beide zusammenwachsen lassen”, sagte Eunice. Aurora fragte, ob sie mitkommen und sich ansehen könnte, ob man das hier korrigieren konnte. Die beiden hatten nichts dagegen, solange sie sich nicht vor den beiden Mädchen ausziehen mußten.
Madame Pomfrey besah sich den Schlamassel, grinste verhalten und meinte dann:
“Ach neh, Simultanfluchopfer. Habt beide den Murattractus-Fluch aufeinander losgelassen, wie? Kriege ich schnell hin, dauert nur zehn Minuten. Ich muß nur sehen, ob ihr nur an der Haut oder auch mit den inneren Organen zusammengewachsen seid.”
Aurora und Eunice zogen sich aus dem Behandlungszimmer zurück und warteten, bis Madame Pomfrey sagte, sie könnten wieder reinkommen. Die beiden Jungen sahen etwas grün im Gesicht aus. Doch sie waren ordentlich voneinander getrennt.
“Dankt eurem Schöpfer, daß ihr die Sickel und Knuts in den Taschen hattet, sonst hätte der Fluch euch auch innerlich zusammenwachsen lassen. Dann hätte ich euch Irrwitzigen ins St.-Mungo-Krankenhaus überweisen müssen”, sagte die Schulkrankenschwester. Die beiden Jungen nickten ihr zu und bedankten sich noch einmal.
“Apropos Flüche, Eunice, du wolltest mir doch mal diesen Incapsovulus-Fluch zeigen”, sagte Aurora leise zu Eunice, als sie nun endgültig aus dem Krankenflügel raus waren.
“Der ist nicht so einfach. Normalerweise muß das Opfer eigene Zauberkraft haben und mindestens drei Sekunden lang an einem Ort bleiben, damit der Fluch sich voll entfalten kann. Ich habe ihn mit meiner Mutter trainiert. Aber glaube mir, den aufzuheben tut höllisch weh. Außerdem brauchst du dann ein Aufpäppelelixier”, sagte Eunice Armstrong. Doch Aurora sagte, daß sie das für die Vorbereitungen auf Verteidigung gegen die dunklen Künste sicher gut brauchen könnte. So trafen sich die beiden Mädchen in den nächsten vier Tagen zu Übungen ohne wirksamen Zauberstab und fanden heraus, daß sie auch magisches Kleingetier wie Niffler oder Jarveys damit belegen konnten, nur um zu üben, wie der Fluch wirkte.
Am Mittwoch fand Aurora in einer Ausgabe des von ihr abonierten grünen Magiers einen längeren Artikel über die Himmelstrinkerblumen, der von einer Kräuterhexe namens Camille Dusoleil verfaßt worden war. Aurora gefiel die lockere Art, einen tiefgründigen Bericht über diese Pflanzen wie für wissbegierige Kinder oder nicht mit dem Stoff verheiratete Erwachsene zu bringen. Die Übersetzerin des Artikels fühlte sich wohl auch verpflichtet zu schreiben:
“Ich habe diesen Artikel nach bestem Wissen und Gewissen so wortwörtlich und sinngemäß übersetzt wie es sich machen ließ. Stil und Herangehensweise der Autorin unterliegen nicht meiner Verantwortung.”
“Das schreiben die sonst nie in das Magazin”, grinste Aurora und las noch einmal den Abschnitt, wo die französische Kräuterhexe den “höllischstarken Durst” dieser Pflanzen beschrieb oder über die “lächzend aufgehenden” Blütenkelche berichtete, die anzeigten, wann woher wie viel Regen im Anmarsch war und diese Pflanzen “zu astreinen Wettervorhersagern” machten. Gemessen am übrigen Stil der Artikel, die alle ziemlich dröge über Beobachtungen oder Versuche mit Zauberpflanzen Auskunft gaben, nahm sich dieser Artikel richtig lustig aus, als würde die Schreiberin mit ihr persönlich sprechen. Sie überlegte schon, Madame Dusoleil einen Brief zu schreiben, um sich bei ihr für diesen abwechslungsreichen Artikel zu bedanken. Außerdem wollte sie noch etwas mehr über die Haltung dieser Pflanzen wissen. Dann fiel ihr ein, daß die Kräuterhexe in Frankreich wohl kein Englisch konnte und sie, Aurora, keinen Dunst von Französisch hatte. Sollte sie das dann vergessen, den Brief zu schreiben? An und für sich mußte jemand ihr schreiben, daß der Artikel schön und auch kurzweilig geschrieben war, bevor ihr altehrwürdige Kräuterkundler vorhielten, zu verspielt zu schreiben. Was konnte sie also tun? Sie ging zu Professor Sprout, die gerade mit Herman Archstone über den Zauberkunstclub sprach.
“Oh, ich wollte Sie nicht unnötig behelligen”, sagte Aurora Dawn zu Professor Sprout. Diese schüttelte den Kopf und meinte:
“Mr. Archstone und ich sind auch soweit durch. Es ging um einige Schüler meines Hauses, die im Zauberkunstclub wohl … aber lassen wir das!”
“Nun, dann sind wir uns ja einig”, sagte Herman und wartete, bis ihn die kugelrunde Kräuterkundelehrerin entließ.
Aurora war nicht so häufig im Büro von Professor Sprout gewesen. Doch die Bilder verschiedener Pflanzenwelten oder die Regenbogenblume und diverse andere Zimmerpflanzen gaben ihr immer wieder das Gefühl, in einem herrlichen Frühlingsgarten zu stehen. Jungen aus Ravenclaw hatten das mal als Hausmütterchenstube bezeichnet. Doch sie konnte über sowas nur müde lächeln. Bei Jungs durften es entweder nur Tiere sein, möglichst kompliziert oder auch etwas gefährlicher, oder es mußten surrende, qualmende, rasselnde und prasselnde Dinger sein, damit sie sich begeistern konnten. Das kannte sie von ihrem Vater, ihren Großvätern, Onkeln und Cousins.
“Was kann ich für Sie tun, Ms. Dawn?” Fragte Professor Sprout lächelnd. Sie freute sich, ihre Musterschülerin der ZAG-Klasse unterstützen zu können, ohne den Eindruck zu vermitteln, sie zu bevorzugen.
“Ich habe da so einen Artikel im grünen Magier gelesen, Professor. Vielleicht kennen sie den. “Blühende Regenanbeter” heißt der und ist von einer französischen Hexe namens …”
“Madame Camille Dusoleil”, vollendete Professor Sprout Auroras Satz. “Ich habe ihn auch gelesen, um nicht zu sagen, genossen. Offenbar gibt es unter den Fachkundigen doch noch Leute mit einer Seele und nicht nur mit viel Verstand. Was möchten Sie dazu wissen?”
“Hmm, ich wollte der Hexe, die den Artikel geschrieben hat einen Brief schicken und mich bedanken, weil das endlich mal was schönes war, nicht nur interessantes oder wichtiges, wenn diese Himmelstrinker auch wichtig sind. Das Problem ist, ich kann kein Französisch und weiß nicht, ob die Dame Englisch lesen und schreiben kann.”
“Das ist kein Problem. Soviel ich orientiert bin lebt und arbeitet Madame Dusoleil in Millemerveilles in Südfrankreich. Ich könnte Ihnen anbieten, den Brief für Sie zu übersetzen, falls es nicht stimmt, daß sie mit ihrem Mann und dessen Schwester im selben Haus wohnt. Von dieser Schwägerin weiß ich, daß sie sehr gut Englisch kann. Sie können also ruhig schreiben, was Ihnen zu dem Artikel wichtig ist oder die Fragen stellen, die sie noch haben”, sagte die Kräuterkundelehrerin und lächelte Aurora aufmunternd an.
“Ja, danke, Professor Sprout. Mehr möchte ich im Moment nicht von Ihnen wissen”, erwiderte Aurora Dawn.
So schrieb sie am Abend:
Sehr geehrte Madame Dusoleil,
mein Name ist Aurora Dawn und ich bin eine Schülerin in Hogwarts, wo ich gerade im ZAG-Jahr bin.
Ich möchte mich sehr für den Artikel in der neuen Ausgabe des grünen Magiers bedanken, dem mit den Himmelstrinkern. Ich weiß zwar nicht, ob Sie meine Sprache lesen können, hoffe aber mal darauf, daß Sie jemanden kennen, der meinen Brief für Sie übersetzt.
Ich interessiere mich sehr für magische Kräuter und Pilze und denke schon daran, nach der Schule damit weiterarbeiten zu können. Deshalb lese ich den grünen Magier, um mich gut auf dem laufenden zu halten. Allerdings schreiben die meisten Experten da so kalt und nur auf die Versuche oder Beobachtungen bezogen. Da hat mir Ihr Artikel schon richtig viel Spaß beim lesen gemacht und mir doch gezeigt, daß man nicht gleich zu einem gefühllosen Spezialisten wird, nur weil man sich sehr genau mit den Zauberpflanzen auskennen und möglichst gut anderen darüber was erzählen will. Das hilft mir gerade dann, weil ich hier in Hogwarts als Vertrauensschülerin ausgewählt wurde und so auch für die jüngeren Mitschüler irgendwie da sein muß, von denen viele mit den Zauberkräutern nicht viel anzufangen glauben, weil das so schwer ist, die wichtigen Sachen darüber zu lernen und dann nicht den Eindruck zu kriegen, das ganze sei zu trocken und unliebsam. Ich weiß ja nicht, wer bei Ihnen in der Schule Beauxbatons Kräuterkunde unterrichtet, möchte Ihnen aber schreiben, daß ich froh bin, daß unsere Lehrerin Professor Sprout uns allen die Zauberpflanzen als sehr lebendiges Thema vorstellt und damit vertraut macht, ohne gleich nur was auf die reine Methodik zu geben.
Ihr Artikel, Madame Dusoleil, hat mir gezeigt, daß es schön ist, sich mit den magischen Kräutern und Pilzen zu beschäftigen und nicht nur was für reine Denkmenschen ist.
Noch einmal vielen Dank für diesen netten, ja auch lustigen Artikel, wo ich echt den Eindruck hatte, ich hätte mit Ihnen zusammen die Himmelstrinker gegossen und umgesetzt.
Mit sehr herzlichen Grüßen
Aurora Dawn
Sie schickte den Brief mit Ducky zum Postamt von Hogsmeade. Dann vertiefte sie sich weiter in ihre Wiederholungseinheiten für die ZAG-Prüfungen.
Kurz vor dem Ende der Osterferien machte der Tagesprophet mit zwei Schlagzeilen aus fingerlangen Lettern auf.
SOHN VON ANGESEHENEM MINISTERIALBEAMTEN ALS HANDLANGER DES UNNENNBAREN VERHAFTET
BARTEMIUS CROUCH JUNIOR BETEILIGT AN GRAUSAMER FOLTERUNG AN BELIEBTEM MITGLIED DES AURORENKORPS
Aurora las den unter diesen seitenüberspannenden Schlagzeilen stehenden Artikel, wobei sie große Augen bekam.
“Vor zwei Tagen wurden vier offenkundige Helfer dessen, dessen Name nicht genannt werden darf, nach einer wilden Verfolgungsjagd und hartem Kampf festgenommen, die als diejenigen erkannt worden waren, das Ehepaar Frank und Alice Longbottom grausam gefoltert zu haben. Die vier Verbrecher sind das Ehepaar Bellatrix und Rodolphus Lestrange, sowie Rabastan Lestrange und der einzige Sohn des hochverehrten Mr. Bartemius Crouch, der denselben Vornamen trägt. Es war ein heftiger Schock für Mr. Crouch Senior, als er die Nachricht von der Verhaftung seines Sohnes erhielt. Allerdings, so teilte er Ministerin Bagnold und dem Tagespropheten mit, würde er absolut keine Gnade walten lassen. Sein Sohn sei für ihn gestorben, so seine voller inbrünstiger Verachtung getätigte Aussage.
Die Lestranges und Bartemius Crouch Junior wurden vor dem Zauberergericht angeklagt, die Folterung der Longbottoms mit dem unverzeihlichen Cruciatus-Fluch begangen zu haben. Die Longbottoms ertrugen die andauernde Pein nicht lange und verloren den Verstand. Zur Zeit befinden sie sich in der Obhut der Heiler im St.-Mungo-Krankenhaus. Ob sie überhaupt genesen können wolten oder konnten die zuständigen Heiler nicht bestätigen.
Die Lestranges wirkten bei der öffentlichen Verhandlung überlegen und von der Richtigkeit ihrer Tat überzeugt. Ihnen sei es wohl darum gegangen, den Aufenthalt dessen, dessen Name nicht genannt werden darf, aus den Longbottoms herauszufoltern, um dem Unnennbaren zu helfen, seine alte Macht zurückzuerlangen, die er bei dem Versuch, Harry Potter zu töten, nahezu vollständig verlor.
Bartemius Crouch Junior bestritt seine Beteiligung an der Tat und flehte seinen Vater an, ihm Gnade zu erweisen. Doch Mr. Crouch Senior machte seine Ankündigung wahr und ließ sich vom Flehen des jungen Zauberers nicht erweichen. Alle vier wurden gemäß den Gesetzen zum Gebrauch unverzeihlicher Flüche an Mitmenschen zu einer lebenslänglichen Haft in der Feste von Askaban verurteilt und den dort wachenden Dementoren übergeben.
Wir und alle unsere Leserinnen und Leser müssen uns die bange Frage stellen, wie lange die düstere Epoche dessen, dessen Name nicht genannt werden darf, unsere Welt noch in Angst und Schrecken halten wird. Zumindest aber werden jene, die gefaßt werden, mit der ihren Untaten angemessenen Strafen belegt.
Nach der Verhandlung zog sich Mr. Crouch einstweilen in sein Privathaus zurück und legte fest, daß niemand ihn wegen was auch immer zu behelligen habe. Seine Frau, die zur Zeit an einer schweren Krankheit leidet, wirkte nach der Verhandlung gänzlich am Boden zerstört. Wahrscheinlich wird Bartemius Crouch sich nun intensiver um sie kümmern.”
“Warum können es diese Leute nicht einfach einsehen, daß ihr dunkler Meister nicht mehr da ist und uns anständige Leute in Ruhe lassen?” Knurrte Aurora Dawn und faltete ihre Ausgabe des Tagespropheten zusammen. Sie dachte daran, daß dort draußen immer noch Helfer dieses unmenschlichen Hexenmeisters herumliefen, die immer noch meinten, in dessen Namen handeln zu müssen. Warum konnten die nicht einfach aufhören und friedlich weiterleben? Mußte man sie erst fangen oder töten, bis sie es einsahen? Aurora wußte es nicht.
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Tim Abrahams’ Laune wurde nicht besser, als die Ferien wieder zu Ende waren. Es stand nun fest, daß Großbritannien keine Scheu vor dem Krieg mit Argentinien hatte. Als Roy und die anderen Muggelstämmigen Mitschüler wieder zurückkehrten, war der Falklandkrieg, wie ihn die Muggelreporter in den Fernsehkästen und deren Radios und Zeitungen nannten, schon in vollem Gange. Roy fragte einmal:
“Haben die auf diesen Eisfelsen Öl gefunden oder Uran oder was?”
“Das ist wohl eine Sache des Prinzips, Roy”, knurrte Tim zurück, als sie alle in der großen Halle beim Abendessen saßen. Vivian Acer sagte noch:
“Man kann sich das gar nicht so recht vorstellen, daß die sich um so Inseln kloppen, die mehr als zehntausend Kilometer von hier weg sind. Da sterben Menschen für nix und wieder nix.”
“Kannst du so nicht sagen, Vivian. Immerhin zeigt England, daß es immer noch die Wogen beherrscht, wo den Amerikanern und Russen ja schon der Weltraum gehört”, feixte Roy.
“Schwachkopf!” Fauchte Tim. Daß sein eigener Vater gerade mittendrin in diesem an sich unverständlichen Geschehen war, machte ihm Angst, die ihn wiederum wütend machte.
“Roy, das war jetzt fies”, sagte Dina Murphy, die rechts von Roy saß, womöglich um allen zu zeigen, wie wichtig er für sie war. “Tims Vater wollte da bestimmt nicht hin und macht das nur, weil jemand es dem befohlen hat. Also rede nicht so daher!”
“Eh, daß ist doch die Meinung in England, sich von diesem Land noch auf der Nase herumtanzen zu lassen. Ist ja im Fußball schon schlimm genug.”
“Haha, Roy. Am besten wird dieser Krieg in einem Fußballturnier entschieden oder was?” Schnaubte Tim Abrahams.
“Das ist sowieso Unfug zu glauben, daß Britannien die Meere beherrscht. Noch idiotischer ist der Unfug, den Weltraum erobern zu wollen oder zu behaupten, das schon getan zu haben”, warf Geoffrey ein. Tim nickte widerwillig. Ihm schmeckte das Thema nicht und drohte darüber hinaus, ihm noch den Appetit zu verderben. Deshalb sah er Alessandro an und fragte ihn, wann er mit ihm für die UTZ-Stunden bei Flitwick üben konnte. Alessandro nutzte diese Frage, um die Quidditchmannschaft darauf hinzuweisen, daß sie am nächsten Samstag wieder trainieren würden.
“Ich hoffe sehr, daß mit deiner Besenerlaubnis macht uns nicht den Pokal streitig, Aurora”, grinste Alessandro.
“Was mich angeht bestimmt nicht, Alessandro”, grinste Aurora überlegen zurück.
“Denkt ihr, die Gryffindors ließen sich das entgehen, den Pokal zu holen, wenn sie auch auf besseren Besen fliegen können?” Fragte Miriam Swann.
“Die können alle die Nimbus-Besen haben oder noch ältere Krücken als wir bisher fliegen mußten, Miriam”, sagte Mortimer. “Ob die den Pokal kriegen hängt ganz an uns.”
In zwei Wochen wissen wir’s”, sagte Petula Woodlane entschlossen. “Aber wir werden dich nicht zerfluchen, Aurora, wenn ihr den Pokal nicht verteidigen könnt. Da hängt ja doch viel Glück an so einem Spiel dran.”
“Genau”, sagte Aurora Dawn. “Also sollten wir vorher noch etwas trainieren, damit wir zumindest so gut spielen können wie möglich.”
“Du läufst dich schon warm, Alessandros Nachfolgerin zu werden, was, Aurora?” Flachste Roy Fielding.
“Darüber reden wir erst im nächsten Jahr”, sagte Aurora und sah Bruster und Mortimer an.
Die nächste Woche war bereits ein Vorgeschmack auf die anstehenden Prüfungen. Professor Flitwick ließ sie im Unterricht komplizierte Illusionszauber und Klangkerker, Schallschlucker und Schweigezauber üben. Einmal schaffte es Aurora, statt eines ockergelben Klangkerkers einen purpurroten Schimmer auf Boden und Decke zu legen, der den Schall im Raum immer wieder verstärkte, sodaß alle Schüler sich die ohren zuhalten mußten, weil selbst ein Flüstern zu einem immer lauteren und dabei schrill klirrenden Geräuscheansturm wurde. Erst als Flitwick die Tür öffnete und mit lautem Knall die rote Lichtauskleidung verschwand, kehrte der normale, sich an die Gesetze der Physik haltende Raumklang wieder ein.
“Hui, den Effekt kannte ich noch nicht”, keuchte der kleine Zauberer mit dem weißen Haar. “Wie haben Sie den hinbekommen, Ms. Dawn?”
“Ich habe den Zauber gesprochen, wie Sie uns den beigebracht haben und versucht, an etwas völlig lautloses zu denken, bei mir war es der Vollmond. Aber irgendwie muß ich dabei auf Klatscher beim Quidditch gekommen sein. Hmm, weil ich wohl über das Nachtspiel der letzten Weltmeisterschaft nachgedacht habe. ‘tschuldigung, Professor Flitwick.”
“Interessant. Klatscher beim Quidditch fliegen immer hin und her, wenn sie nicht weggeschlagen oder gezielt auf jemanden umgelenkt werden”, sagte der Zauberkunstlehrer etwas ungehalten dreinschauend. Roy meinte, das habe sich angehört wie eine total übersteuerte Tonanlage, wo eine Rückkopplung auftritt, wenn man das was ein Mikrofon aufnimmt, aus in dessen Nähe stehenden Lautsprechern widergibt.
“Das wird es wohl gewesen sein, Mr. Fielding. Der Schall wurde nicht einfach nur zurückgeworfen, sondern dabei immer wieder vervielfacht. In dem engen Raum wirkte sich das sofort als gefährliche Überlastung für die Ohren aus”, stimmte Flitwick dem zu. “Ich mag mir nicht vorstellen, was geschehen wäre, wenn ich die Tür eine minute später geöffnet hätte. Entweder hätte es unsere Gehirne zerrissen und / oder den Klassenraum zertrümmert. Das beweist wieder, daß Disziplin beim Zaubern oberstes Gebot ist. Der Klangkerker muß von jedem, der ihn aufruft, in völliger äußerer und innerer Stille gewirkt werden. An den Mond oder den lautlosen Sternenhimmel zu denken ist an sich schon sehr sehr gut. Aber diese Gedanken müssen solange aufrechterhalten werden, bis der Klankerker etabliert ist. Leider gibt es auch unter den vollständig ausgebildeten Hexen und Zauberern immer noch welche, die dies nicht sonderlich beachten, daß um sie herum keine unregelmäßigen Geräusche sein dürfen und sie selbst an etwas völlig geräuschloses denken müssen. – Versuchen Sie es bitte noch einmal, Ms. Dawn!”
Aurora entspannte sich und dachte kurz nach, wie gut sie einen prallen, silberweißen Vollmond über sich stehen sehen konnte, bevor sie “Sonorincarcere” murmelte. Keiner sagte was oder machte irgendwelche anderen Geräusche. Ockergelbes Licht fiel aus Auroras Zauberstab und bestrich die Wände, den Boden und dann die Decke. Dann kleidete ein korrekter ockergelber Schimmer alles aus, was den Klassenraum nach außen begrenzte. Der Klangkerker stand nun sicher und würde keinen noch so kräftigen Laut nach außen dringen lassen, bis auf natürliche Weise eine Öfnnung des damit bezauberten Zimmers geschaffen wurde. Flitwick nickte, sagte einige Worte um zu beweisen, daß der übliche Hall im Raum nicht verändert worden war und machte wieder die Tür auf. Sofort erlosch die durchsichtige Lichtauskleidung. Der Klassenraum erschien nun so wie sonst.
“Ich denke nicht, daß man bei den ZAG-Prüfungen diesen Zauber von Ihnen verlangt, zumal ja in der großen Halle mehrere Prüflinge gleichzeitig zaubern und erläutern müssen”, sagte Professor Flitwick. “Aber zumindest sollten Sie alle damit vertraut sein, wie er aufzurufen ist und welche Schwierigkeiten es dabei geben kann.”
Am Ende der Stunde vergab er noch fünfzehn Punkte für Ravenclaw. Auroras Fehlschlag hatte fünf Punkte Abzug eingebrockt, weil Flitwick klarstellen wollte, daß in der Zauberei keine abschweifenden Gedanken aufkommen durften. Dina, die zwar auch den Klangkerker zu zaubern versucht hatte, mußte sich damit abfinden, daß sie wohl trotz gewisser Fortschritte mit der direkten Zauberei immer noch sehr große Probleme hatte.
Bei Professor McGonagall war es nicht viel leichter. Sie ließ größere Tiere verschwinden oder verlangte schnell aufeinander folgende Verwandlungen. Dina verpatzte dabei jede Übung, weil sie entweder den Zauberstab nicht richtig führte oder einen Spruch zu hastig aussprach. Ein Frosch, der zu einer Maus werden sollte, löste sich in eine grüne Nebelwolke auf, die sich innerhalb einer Sekunde zu zwanzig laut quakenden Fröschen verdichtete, die keine vier Sekunden später zerplatzten, wieder zu Nebelwölkchen wurden und dann als vierhundert Frösche auftauchten.
“Um himmels Willen, Ms. Murphy!” Schrillte Professor McGonagall. Dann schwang sie den Zauberstab: “Terminato Catenamutans!” Es blitzte grellblau auf, machte vielfältig plopp, und von der Decke viel ein einziger Laubfrosch herunter.
“Eh, Dina, du hast gerade eine Klonkette heraufbeschworen”, ächzte Roy kreidebleich wie die anderen.
“Mr. Fielding, noch spricht nur, wer von mir aufgefordert wird”, herrschte Professor McGonagall den Freund Dinas an. Dann sagte sie: “Ich weiß es bei Ihnen immer noch nicht, wie Sie es anstellen, aus einer an sich klar vorherberechenbaren Verwandlungsaktion ein heilloses Chaos heraufzubeschwören, Ms. Murphy. Eine ununterbrochene Vervielfältigung des Ausgangsobjektes habe ich bisher nur in Büchern über dunkle Experimente mit Lebewesen gekannt. Vielleicht können Sie mir helfen, zu verstehen, wie es zu diesem Vorfall kommen konnte.” Dabei sah sie Dina so unerbittlich an, als hinge von deren Antwort ihr Leben ab. Dina, eingeschüchtert bis zum äußersten, blickte auf ihren Tisch und wimmerte:
“Ich habe doch nur den Verwandlungszauber aussprechen wollen, wie Sie ihn uns hier beigebracht haben. Ich dachte an Mäuse, damit der Frosch sich in eine Maus verwandelte.”
“Wie viele Mäuse?” Fragte die Lehrerin harsch.
“Bei jedem Wort eine”, wimmerte Dina.
“Na wunderbar”, fauchte Professor McGonagall entrüstet. “Die Zauberformel besteht aus sieben Wörtern. Sie haben also sieben erwachsene Mäuse im Zusammenhang mit einer die Materie verändernden Zauberstabbewegung im Kopf gehabt. Offenbar haben Sie durch diese Aktion eine für Mäuse natürliche Vermehrungsrate aufgezwungen, sieben Generationen von Mäusen. Was sowas bewirkt haben wir sehen können. Der Frosch hat sich nicht verwandelt, sondern andauernd vermehrt, in seine Lebenseinheiten aufgelöst und wieder vermehrt. – Wie nannten Sie das, Fielding? Klonkette? Mir sind die Machenschaften der sogenannten Heilkundler und Erforscher der lebendigen Natur Ihrer früheren Lebenswelt bekannt, Mr. Fielding. Die nichtmagischen Wissenschaftler versuchen sich darin, künstlich Lebewesen zu verändern oder zu vervielfältigen. Ob das wirklich dem Guten dient bezweifel ich. Jedenfalls haben Sie damit recht, daß durch den aufgezwungenen Vervielfältigungsdrang völlig identische Mehrlinge dieses Frosches entstanden. Allerdings konnte ich durch die Unterbrechung der Verwandlungsabfolge alle magisch generierten Duplikate verschwinden lassen. Ich bin froh, daß dieser Zauber wirklich funktioniert hat. Ich fürchte, Ms. Murphy, ich muß Sie dafür nachsitzen lassen und Ravenclaw Ihretwegen zwanzig Punkte abziehen, damit Sie es endlich herausbekommen, Ihre magischen Energien und Gedanken zu kontrollieren, bevor Sie bei den Prüfungen ein ähnliches Unheil anrichten.”
“Klar, wo Gryfindor gerade noch dreißig Punkte hinter uns liegt”, grummelte Roy Fielding halblaut, aber nicht leise genug für die Lehrerin.
“Wie bitte?! Wiederholen Sie dies bitte für alle deutlich hörbar, Mr. Fielding!” Schnarrte Professor McGonagall unheilvoll.
“Das war nichts wichtiges”, sagte Roy mit rotem Gesicht.
“Finde ich schon. Aber da Sie es vorziehen, unwichtige Sachen im Unterricht zu murmeln muß ich es eben selbst widergeben, was Sie da gerade gegrummelt haben. Sie unterstellten mir, ich würde Ravenclaw Punkte aberkennen, um meinem Haus einen Vorteil im Wettbewerb zu verschaffen. Das habe ich doch richtig verstanden, oder?”
“Öhm, nicht so direkt”, stammelte Roy als ertappter Missetäter.
“Nun, dann erklären Sie uns bitte, wie Sie es wirklich gemeint haben, daß ich die notwendige Mindestpunktzahl für eine notwendige Strafarbeit abzog, weil Gryffindor gerade noch dreißig Punkte hinter Ravenclaw liegt.”
“Nicht nötig, ich nehme das zurück”, sagte Roy rasch. Doch damit konnte er Professor McGonagalls Mißfallen nicht beseitigen. Sie zog Ravenclaw noch einmal zwanzig Punkte wegen Respektlosigkeit und Ungehorsam ab und verdonnerte Roy dazu, einen Tag nach Dina bei ihr zum Nachsitzen anzutreten.
“Ihre Schwester war eine sehr gute Verwandlungsschülerin. Es wird Ihnen nicht schaden, wenn Sie vor den Prüfungen etwa ihr Niveau erlangen werden.”
Roy erbleichte. Offenbar ging ihm der Anschlag auf das Kreuzfahrtschiff durch den Kopf, wo seine Schwester ihn in ein Taschentuch verwandelt hatte und er trotzdem alles mitbekommen hatte, was um und mit ihn angestellt wurde. Er sagte jedoch keinen weiteren Ton mehr.
Snape, ohnehin schon sehr gemein zu den Schülern, ließ sie alle miteinander spüren, daß er bestimmt keinen in seinen UTZ-Kursen haben wollte, der nicht eine halbe Bibliothek Zaubertrankbücher verschlungen und sich wie er diesem Fach mit Leib und Seele verschrieben hatte. Selbst Dina und Aurora konnten es nur ihrer Beharrlichkeit verdanken, daß sie die einzigen in der Klasse aus Ravenclaws und Hufflepuffs waren, die zumindest noch ein A für akzeptabel bekamen, während die anderen mit M oder niedriger abschnitten.
“Ich helfe euch dabei, euch vor den Prüfungen darüber klar zu werden, ob die Zaubertrankbraukunst was für euch ist oder ihr besser die Finger davon lassen solltet. Bei allem schuldigen Respekt vor meiner Vorgängerin, sie hat euch alle nur dazu anhalten wollen, die Prüfungen zu schaffen. Ich dagegen will haben, daß ihr wißt, was Zaubertrankbraukunst verlangt, welche Probleme sie bereiten kann, wenn jemand nichts damit anzufangen weiß und daß es nicht darum geht, Prüfungen zu bestehen, sondern seine oder ihre Berufung zu erkennen. Also wagt ja nicht, euch zu muckieren, weil die Mehrheit von euch hier und heute erkennen muß, daß das Brauen von Zaubertränken nichts für ihn oder sie ist. Das erspart euch viel Ungemach in der Zukunft”, sagte Snape, wobei er sich in eine erhabene Pose warf und scheinheilig lächelte.
Nach der Stunde machten sich Roy und Mortimer Luft. Bruster, als Vertrauensschüler und haarscharf um einen Rauswurf herumgekommener Mitschüler zu mehr Selbstbeherrschung verdonnert, stapfte nur grimmig dreinschauend hinter seinen Klassenkameraden her.
“Dieser Schweinehund tut so, als sei er der einzige Lehrer, der uns was gutes will”, fauchte Roy. “Dabei will der uns alle mit Gewalt aus seinem Unterricht, am besten noch von Hogwarts runterekeln. Ich weiß doch schon jetzt, daß ich nach Hogwarts keine Zaubertränke mehr brauche. Schon gar nicht, wenn ich dann immer wieder diesen Hakennaserich auf irgendwelchen Zusammenkünften treffen müßte. Ich verzichte doch freiwillig auf seinen Unterricht, sobald die ZAGs durch sind. Die anderen denken bestimmt auch so.”
“Wenn der so weitermacht gibt der nur noch Zaubertränke in den Klassen eins bis fünf”, sagte Bruster. “Wenn es das ist, was der will, dann soll er das doch so machen, Roy. Ich habe mich eh schon orientiert, was ich nach Hogwarts brauche”, sagte Mortimer. “Mein Dad will mir einen Posten im Tierwesenbüro in der Abteilung zur Führung und Aufsicht magischer Geschöpfe freihalten, wenn die UTZs entsprechend sind. Da werde ich Snapes Gepansche nicht mehr brauchen. Überlasse ich das doch denen, die damit verheiratet sind wie Dina oder Aurora.”
“Ach ja, Mortimer? Du hast recht, das Fach an sich ist viel zu interessant, als das Leute wie Snape es mir madig machen können. Außerdem muß ich noch was überdenken, wo ich dieses Fach bestimmt brauchen werde. Aber dazu sage ich jetzt nicht mehr als nötig.”
“So, Aurora”, grinste Roy Fielding. “Dein Ding”, sagte er noch. Aurora Dawn nickte heftig und zog mit Petula, Miriam und Dina zur Mädchentoilette davon, dem einzigen Ort, wo sie vor wütenden Jungen geschützt über dieses oder jenes reden konnte, was ihre Zukunftspläne anging.
Das Training der Ravenclaw-Hausmannschaft verlief rasant und teilweise sehr halsbrecherisch, weil jeder, der einen neuen Besen flog, dessen Handhabung noch nicht richtig raushatte oder sich nicht an die eigenen Grenzen halten wollte. Mortimer wäre dabei fast gegen einen der Torringe geprallt, als er einem Quaffel nachgesetzt hatte, der von Aurora schier unhaltbar zum Torraum geschossen worden war.
“Mist, fast hätte es mich am Pfosten zerbröselt”, schimpfte er, als er schreckensbleich gelandet war und seinen Komet 2 / 40 begutachtete.
“Du hast dich zu schnell herumgeworfen, Junge. Der Besen spricht schneller auf Lageänderungen an”, sagte Alessandro Boulder. “Die alten Krücken waren sperriger. Bei dem Komet mußt du nicht mehr so heftig steuern, vom Nimbus ganz zu schweigen.”
“Ja, aber Aurora hatte die ganzen Ferien Zeit, den Besen hier zu testen. Meine Eltern wollten ja nicht, daß ich zu Hause richtig trainiere”, protestierte Mortimer.
“Keine Ausreden, Bursche! Du lebst noch, dein Besen auch, also mach dich richtig vertraut damit!” Versetzte Alessandro und zirkelte wie wild vor dem Torraum herum, weil immer noch die beiden Klatscher unterwegs waren.
“Ihr da oben, kuckt mal runter, ohne zu landen!” Rief Madame Hooch, als die Mannschaft wieder vollzählig flog. Sie sahen rasch hinunter, wo gerade vier klobige Kameras auf dreifüßigen Stativen nach oben wiesen und rote Qualmwolken ausspien.
“Eh, was wird denn das?” Fragte Alessandro, als er von den ihn und die anderen fotografierenden Zauberern irritiert fast in einen Klatscher hineingeflogen wäre.
“Wir machen Fotos der Mannschaften, die einmal in der Schulzeit mindestens eines Schülers einen Pokal gewonnen haben”, sagte Madame Hooch und winkte sie alle hinunter.
“Das ist bei mir so Tradition geworden, erfolgreiche Mannschaften als von Fotos abgemalte Portraits in meinem Büro aufzubewahren, wenn mindestens ein Mitglied im letzten Schuljahr ist und der Pokal einmal gewonnen wurde. Das ist sozusagen eine Bilderchronik der Quidditchmannschaften in Hogwarts”, sagte die Fluglehrerin.
“Achso. Aber wir alle hätten vorher gefragt werden sollen”, wandte Alessandro ein. “Gerade in der Zaubererwelt ist das Recht am eigenen Bild besonders wichtig, weil ja die Fotos nicht nur das momentane Bild, sondern auch die momentane Gefühlslage und Verhaltensweisen des Fotografierten festhalten.”
“Das Recht haben wir nur, solange wir nichts öffentliches machen, Alessandro. Wenn wir Quidditch spielen ist das was, das alle angeht oder interessiert. Die Schulordnung gestattet die Aufbewahrung erfolgreicher Schüler und Lehrer, die sich in irgendeiner Weise um Hogwarts verdient gemacht haben”, wußte Aurora Dawn. Bruster nickte. Das stand in der Schulordnung drin und war nicht abzustreiten.
“Ja, aber trotzdem hätten Sie uns vorher bitte fragen sollen, ob wir das gut finden”, beharrte Alessandro darauf, nicht ungefragt fotografiert zu werden. Karin Meridies lächelte nur und meinte:
“So schlecht siehst du nicht aus, Alessandro, daß du Angst vor Hohn und Spott haben müßtest.”
“Da geht es nicht drum, Karin”, knurrte Alessandro. “Das Bild eines Menschen ist wie sein Körper sein ganz persönliches Gut, über das er selbst entscheiden muß, was er damit anfängt. Aber ich sehe schon, wir sind berühmt, also müssen wir auch für die Nachwelt festgehalten werden”, resignierte er und sah dabei Madame Hooch an. Diese lächelte jedoch und meinte:
“Ihr könnt den Bildern von euch ja noch eure ganz eigene Lebendigkeit mitgeben, wenn die Umsetzung von Foto auf Ölbild geklappt hat. Das wird von jetzt an in zwei Monaten passiert sein.”
“Was, ölbilder, keine Papierbilder? Genial. Alessandro, wenn die das macht, haben wir ja gemalte Agenten in der Galerie von Hogwarts”, sagte Ken Dasher.
“Haha, Ken, lustig”, knurrte Alessandro nur. Doch dann gab er es endgültig auf, sich darüber zu beschweren. Er forderte seine Mannschaft auf, noch einmal die gängigen Spielzüge zu proben.
Eine Stunde später traten die Gryffindors zum Training an, dem letzten vor dem großen Finale. Eunice und andere ältere Schüler aus Gryffindor standen Wache, um Spionage und einen neuen Angriff auf die Mannschaft zu vereiteln.
Als Aurora umgezogen im Gemeinschaftsraum der Ravenclaws eintraf stürzte Lissy Wright mit wutrotem Gesicht auf sie zu. Aurora verzog das Gesicht. Welcher Klassenkamerad von der hatte sie wieder geärgert oder ihren Stolz angeknackst?
“Du warst das wohl, die mir diesen Mist eingebrockt hat”, schnaubte Lissy. Mit ihrem amerikanischen Akzent klang das eher lustig als bedrohlich, fand Aurora.
“Bitte was, Lissy?”
“Du hast meiner Gran geschrieben, daß ich mich hier nicht benehmen kann. Jetzt hat die mir geschrieben, daß sie sich persönlich drum kümmern wird und mit meinen Eltern quatscht, ob ich hier anständig lerne oder nicht. Unverschämtheit!”
“Unverschämtheit? Du hältst mich für unverschämt”, fauchte Aurora und deutete mit einer wilden Armbewegung auf einen freien Tisch. Lissy verstand, daß sie sich setzen sollte und warf sich zornig auf einen der freien Stühle. Aurora ließ sich ruhig, beinahe erhaben, auf einen Stuhl ihr gegenüber nieder und sah die zwei Jahre jüngere Mitschülerin sehr genau an.
“Ja, Unverschämtheit”, fauchte Lissy. “Meine Eltern denken jetzt, ich würde hier nix lernen und nur meine Klassenkameraden runtermachen. Wegen diesen Nixkönnern und deinem Mistbrief stehe ich jetzt wie die letzte Idiotin da.”
“Oh, Elizabeth, das denken deine Eltern bestimmt nicht. Ich glaube eher, die fragen sich, ob du weißt, wo dein Platz hier in Hogwarts ist”, sagte Aurora ganz ruhig. “Und was die Unverschämtheit angeht, die du mir vorwirfst, daß du dich ständig mit deinen Klassenkameradinnen streitest, weil sie deiner Meinung nach nicht so gut mitkommen wollen wie du, daß du sie wie die letzten Idiotinnen behandelst und dich ihnen immer als überlegen aufspielst, das ist eine Unverschämtheit.” Sie fixierte Elizabeth Wright so heftig, als wolle sie sie gleich angreifen. “Es wurde Zeit, daß ich das jemandem schrieb, vor dem du zumindest noch einen gewissen Respekt hast. Genau das habe ich getan.”
“Diese Bälger können eben nicht verstehen, wie wichtig es mir ist, möglichst viel zu lernen, und daß die Klasse drunter leidet, wenn sie nicht mitkommen, weil die Lehrer alle auf diese Durchhänger Rücksicht nehmen müssen und wir deshalb nicht weiterkommen …”
“Du willst es nicht lernen, Elizabeth Wright. Du meinst immer noch, daß du die einzige würdige Schülerin in deiner Klasse bist und spielst dich immer noch wie jemand auf, die eigentlich schon weiter sein müßte, wenn da nicht ganz normale Leute mit den üblichen Problemen im Unterricht wären. Wenn du schon hättest weiter sein wollen, hättest du die Prüfungen der dritten Klasse ja am Schuljahresanfang machen und eine Klasse aufsteigen können”, sagte Aurora sichtlich erbost, weil Lissy einfach nicht begreifen wollte, was Aurora ihr vermitteln wollte. “Da du das aber nicht gemacht hast, beschwere dich nicht, daß du immer noch in der dritten Klasse bist! Dann sieh es gefälligst ein, daß die anderen auch nur das lernen, was sie lernen können und nur das können, was sie gelernt haben!”
“Du hast keinen Dunst, welchen Stress ich zu Hause kriege, wenn meine Eltern denken, ich wäre hier nicht richtig untergebracht. Die wollen herkommen, haben sie mir geschrieben und mit Dumbledore, Flitwick und McGonagall reden”, knurrte Lissy.
“Und?” Fragte Aurora schnippisch.
“Wegen dir und den anderen Vertrauensschülern und diesen zurückgebliebenen Swift-Drillingen …”
“Eh, pass jetzt auf, was du sagst, Mädchen!” Fauchte Aurora sehr gefährlich und straffte sich wie eine gespannte Stahlfeder.
“Ist doch wahr”, schnaubte Lissy. Aurora Dawn sah sie an und sprach:
“Du willst es nicht anders. zwanzig Punkte Abzug für Ravenclaw, so fies das für uns alle ist und die Strafarbeit, hundertmal den Satz zu schreiben: “Ich bin nicht besser als die Anderen.” Ich habe gehofft, du seist klug genug, dich mit deinen Klassenkameraden zu arrangieren. Aber offenbar zieht nur eine Strafarbeit bei dir.”
“Eh das mit den Punkten mußt du deinen Leuten erklären. Aber die Strafarbeit nehme ich nicht an”, sagte Lissy. “Du bist nur Vertrauensschülerin.”
“Dann hättest du dich mal schlau machen sollen, was wir alles dürfen, Mädchen. Wir können sogar Putzdienste und Handreichungen für Lehrer verhängen, sofern wir das unserem Hauslehrer mitteilen, was ich gleich erledigen werde. Also freu dich, wenn du nur was hinschreiben darfst!”
“Ich gehe sofort zu Flitwick”, sagte Lissy und sprang auf. “Von dir muß ich mir nix gefallen lassen. Du bist auch nicht besser als die anderen”, spie sie Aurora noch hin. Diese stand ruhig auf, obwohl es in ihr brodelte, daß diese Göre ihre Zeit, die sie für die Wiederholungen für die ZAG-Prüfungen brauchte, derartig vertat. Sie folgte ihr aus dem Gemeinschaftsraum der Ravenclaws und begleitete sie zu Professor Flitwicks büro. Der Zauberkunstlehrer und Leiter des Hauses Ravenclaw empfing die beiden Mädchen und sah ihnen gleich an, daß sie ihn nicht aus Höflichkeit besuchten. Lissy wollte sofort lossprudeln, daß Aurora Dawn ihr eine Strafarbeit reingewürgt hatte. Doch Flitwick schüttelte den Kopf und sah Aurora an.
“Haben Sie eine disziplinarische Maßnahme gegen Ms. Wright aussprechen müssen, Ms. Dawn?” Fragte er ungewohnt streng klingend. Aurora nickte und setzte sich, als der kleine Lehrer ihr und Lissy freie Stühle anbot.
“Ms. Wright beschwerte sich bei mir, weil ich ihren Verwandten einen Brief geschickt habe, in den ich reinschrieb, daß sie sich überheblich und herablassend ihren Klassenkameraden gegenüber benimmt. Sie meinte, ich hätte das nicht tun sollen und daß sie noch Ärger zu Hause kriegen würde. Ich mußte Ravenclaw ihretwegen zwanzig Punkte abziehen und ihr eine Schreibübung als Strafe auferlegen, Professor Flitwick.”
“Ja, und genau das darf die nicht”, erzürnte sich Lissy. Professor Flitwick schien um einige Zentimeter zu wachsen und der Blick der kleinen Augen wurde eiskalt.
“Welche Schreibübung haben Sie ihr auferlegt, Ms. Dawn?” Fragte er mit einer raschen Deutung auf Lissy.
“Ich gab ihr auf, den Satz “Ich bin nicht besser als die anderen.” hundertmal aufzuschreiben. Mehr nicht.”
“Sie darf sowas nicht. Das dürfen nur Lehrer”, schnarrte Lissy händeringend.
“Ich fürchte, das darf sie doch, Ms. Wright. Das gehört zu den Obliegenheiten der Vertrauensschüler, nicht nur Punkte zu vergeben oder abzuerkennen, sondern auch erwiesene Missetäter zu kleineren Strafarbeiten anzuhalten, solange es keine gravierenden Strafen sind wie Nachsitzen oder Sonderprojekte für uns Lehrer. Das Aufschreiben von moralischen Parolen ist zulässig und in diesem Fall wohl auch längst überfällig.”
“Bitte was?” Stieß Lissy aus und funkelte Flitwick an.
“Sie haben mich richtig verstanden, Ms. Wright. Ms. Dawn ist wahrlich nicht die erste, die mir von einer von Ihnen an den Tag gelegten Überheblichkeit und Tyrannisierung ihren Mitschülern gegenüber berichtet hat. Ähnliches bekam ich von meinen Kollegen aus Hufflepuff, Gryffindor und Slytherin zu hören, wobei Professor Snape das irgendwie noch für Zitat “das kindische Gebaren einer von der eigenen Familie zu schnell hochgezogenen Göre” ansieht. Was meinen Sie, weshalb Ihre respektable Frau Großmutter sich in den Ferien mit mir darüber verständigt hat, daß Sie Ihre Eltern bei ihrem erbetenen Gespräch mit uns begleiten darf? Sie hat wahrlich genug eigene Aufgaben, die ihre Zeit beanspruchen. Also ist es ihr wohl sehr wichtig, die Sachlage zu klären.”
“Gran kommt auch?” Fragte Lissy und erbleichte. Aurora konnte nicht an sich halten und grinste schadenfroh. Flitwick funkelte sie zwar warnend an, beließ es aber jedoch dabei.
“Ihre Eltern und Professor Wright möchten uns am zweiten Samstag im Mai aufsuchen und mit uns sprechen. Professor Dumbledore hat dieser Bitte bereits entsprochen. Ich muß Ihnen sagen, Ms. Wright, daß meine Geduld mit Ihnen auch ihre Verträglichkeitsgrenzen überschritten hat. Allein schon wie sie Ms. Ramona Swift in meiner letzten Stunde geschulmeistert haben, unter meinen Augen, hat mir offenbart, daß Sie offenbar sehr große Probleme im sozialen Umgang haben. Das muß und wird geklärt werden, ob das prinzipiell nur an Ihnen liegt oder familiär begründet ist, weil Ihre Großmutter nun einmal eine hoch angesehene und international anerkannte Stellung innehat. Die von Ms. Dawn verhängte Strafarbeit”, er sah Aurora kurz an, “ist also gerechtfertigt und von meiner Seite aus nachdrücklich gebilligt. Wenn Sie nichts weiteres vorzubringen haben, Ms. Wright und Ms. Dawn, kehren Sie bitte in Ihren Gemeinschaftsraum zurück!” Mit einer unmißverständlich fortscheuchenden Geste wies Flitwick den beiden Mädchen die Tür. Aurora nickte und verließ als erste das Büro des Hauslehrers.Lissy Wright folgte ihr böse dreinschauend.
“Bis morgen abend hast du die Strafarbeit erledigt, Elizabeth Wright”, sagte Aurora mit von ihr nicht gewohnter Strenge in der Stimme. “Sonst fällt mir bestimmt noch was wirksameres ein.”
“Stecks dir, Dawn”, schnaubte Lissy.
“Das glaubst aber nur du, Mädchen”, dachte Aurora für sich.
In Ravenclaw erzählte Bruster seiner Klassenkameradin, daß er gerade an den Punktegläsern vorbeigegangen sei und da einen Einbruch von zwanzig Punkten mitbekommen habe. Aurora erzählte ihm, daß sie die Punkte abgezogen hatte und auch warum.
“Mist, jetzt liegt Gryffindor mit dreißig Punkten vor uns, und Slytherin könnte uns auch noch überholen. War das wirklich nötig?”
“Ich mußte ihr eine Strafarbeit aufhalsen, und das geht nur, wenn ein Punktabzug von zwanzig Punkten oder mehr ausgesprochen wird”, zischte Aurora. Bruster fragte nach der Strafarbeit und grinste. Dann sagte er:
“Das wird die nicht bessern. Aber daß ihre Oma herkommt scheint die ziemlich heftig zu erschrecken.”
“Davon kannst du ausgehen”, grinste Aurora. “Mit ihrer Oma steht und fällt ihre ganze überhebliche Art.”
“Trotzdem ist das blöd, daß wir jetzt schon wieder so weit hinter Gryffindor liegen”, sagte Bruster.
“Ja, doch anders ging’s nicht, Bruster”, entgegnete Aurora Dawn kalt. Er nickte nur.
Zwar bekam Aurora am Abend noch von einigen was zu hören, ob sie nicht an Ravenclaw denke, daß sie dem Haus zwanzig Punkte abgezogen hatte, doch Aurora lenkte den Unmut ihrer Mitschüler rasch auf Lissy Wright um, die zerknirscht in einer Ecke des Gemeinschaftsraumes hockte und die hundert Sätze hinschrieb, die Aurora von ihr haben wollte. Auf jeden Fall, so dachte sich Aurora, hatten die Drittklässler nun eine gute Handhabe, die überhebliche Mitschülerin zu trietzen, nicht durch Anpöbeln oder Handgreiflichkeiten, sondern indem sie sie erst gar nicht bemerkten.
Tim Abrahams hatte seine schlechte Stimmung überwunden, die er in den Ferien mit sich herumgeschleppt hatte. Entweder war der UTZ-Stress zu groß, um andauernd an seinen Vater im Falklandkrieg zu denken, oder die Muggelwelt war so weit von ihm weg wie die Erde von der Sonne. Irgendwie schien der Frühling auf ihn belebend einzuwirken. Er lächelte häufig, war zu allen freundlich und verbreitete nicht nur bei seinen Klassenkameraden gute Laune. Roy fragte ihn einmal, ob er sich verliebt habe, daß Tim so selig und unbeschwert war. Tim hatte darüber nur geheimnisvoll gegrinst und geantwortet, daß er seine Gründe habe, so gut gelaunt zu sein.
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Am Tag vor dem entscheidenden Quidditchfinale Gryffindor gegen Ravenclaw stieg die Anspannung. Slytherin, im Moment auf dem ersten Tabellenplatz, pöbelte gegen die beiden Häuser, und die beiden Mannschaften des Endspiels konnten sich ohne eine Wachabordnung nirgendwo mehr hintrauen. Aurora war immer in Begleitung von vier Mitschülern, Alessandro und Ken waren mit allen anderen Jungs der siebten Klasse zusammen unterwegs, und Bruster und Mortimer wurden ständig von drei älteren Jungen begleitet, die es zu gerne erleben wollten, daß Ravenclaw den Pokal verteidigte.
“Muffensausen, Dawn?” Quatschte Tonya Rattler Aurora auf dem Weg zum Unterricht an.
“Wegen euch bestimmt nicht”, antwortete Aurora. Sie sah Tonya an, die seit Sharkeys Rauswurf alleine herumlief, als suche sie jemanden, der mit ihr spielen wolle aber keinen fand.
“Dein neuer Besen ist bestimmt haltbarer als der alte, bestimmt haltbarer als du selbst, Dawn”, redete Tonya weiter.
“Nimm uns nicht übel, Tonya, aber dein Gequatsche langweilt”, sagte Miriam Swann. “Selbst nix auf die Reihe bringen aber andere anpöbeln, die’s tun. Da nützt dir auch kein Vertrauensschülerinnenbonus was.”
“Wo du’s erwähnst, Swann, fünf Punkte Abzug für Ravenclaw wegen Respektlosigkeit einer Vertrauensschülerin gegenüber”, sagte Tonya überlegen lächelnd. Erst da fiel Miriam auf wie plump sie der klobigen Slytherin in die Falle gegangen war. Aurora verzog das Gesicht, konnte aber nichts weiteres dazu sagen. Das Recht, wegen Respektlosigkeit Punkte abzuziehen stand den Vertrauensschülern nun einmal zu, und auch sie hatte davon ja schon gebrauch gemacht.
“Wie dem auch sei, Tonya, der Pokal kommt bestimmt nicht zu euch. Entweder geht der nach Gryffindor oder bleibt bei uns. Da könnt ihr reden und pöbeln wie ihr wollt.”
“Ach, nur wenn die Mannschaften auch alle fit sind und ..” sagte Tonya und machte eine Handbewegung zu ihrem Zauberstab. Aurora lächelte.
“Du weißt was Professor Dumbledore uns gesagt hat. Wenn hier noch einmal wer ein Mitglied einer Mannschaft mit Zauberflüchen belegt, fliegt der betreffende sofort von der Schule. Wenn ich dir das wert bin, Tonya, dann mal zu.”
“An dir brauche ich mir die Hände nicht dreckig zu machen, Dawn”, schnarrte Tonya und kehrte ihr den breiten Rücken zu. Mit erhobenem Kopf schritt sie davon, immer noch allein, wohl sehr geknickt darüber, daß sie nun keinen echten Freund mehr hatte.
“Das Mädel kann einem leidtun”, sagte Petula. “Allerdings gibt sie keinem einen echten Grund, sie zu bedauern.”
“Lass sie, Petula!” Sagte Aurora Dawn. “Die will doch nur Streit haben. Aber ich habe keine Lust drauf, mich mit ihr rumzuzanken. Dafür habe ich zu viel um die Ohren.”
“Die doch auch”, sagte Miriam. “Aber die meint ja, sich mit allen anlegen zu müssen.”
“Unsere Adler werden siegen, weil sie neue Besen fliegen!” Riefen die Ravenclaws oberhalb der dritten Klasse und trugen das blaue Banner mit dem bronzefarbenen Adler durch die Korridore. Das erregte natürlich den Unmut der Gryffindors, die ihr rotes Löwenbanner herbeischafften und Gegenparolen riefen.
“Heftig”, konnte Petula Woodlane dazu nur sagen. Aurora wußte nicht, was sie davon halten sollte. Peeves der Poltergeist krakehlte immer wieder dazwischen und bewarf die Bannerträger beider Häuser mit faulen Tomaten, daß es erst aussah, als würde die eine Seite die andere attackieren. Als dann beide Gruppen zu einem wütenden Gerangel ansetzten fegte Professor McGonagall wie eine Furie heran und trieb sie mit wilden Gesten und erbosten Worten auseinander. Als ihr dann eine Tomate aus unsichtbarer Hand den Hut vom Kopf schlug zückte sie ihren Zauberstab und wirbelte in die Richtung, wo das verdorbene Gemüsegeschoß hergekommen war.
“Peeves also!” Fauchte sie. “Werden Sie gefälligst sichtbar!” Doch ein höhnisches Kichern, das sich rasch entfernte, war die einzige Reaktion auf ihren Befehl.
“So, und Sie alle bringen jetzt die Fahnen und sonstiges Bekundungsmaterial umgehend in Ihre Häuser zurück!” Kommandierte sie die beiden rivalisierenden Gruppen. Sie blickte sich um und verdonnerte Aurora und Bruster dazu, ihre Hauskameraden zur Ordnung zu rufen und in die Häuser zurückzuführen. Leicht widerwillig befolgten die beiden Vertrauensschüler diesen Befehl und führten ihre Hauskameraden zurück in den Gemeinschaftsraum.
“Seid froh, daß McGonagall uns keine Punkte abgezogen hat”, knurrte Geoffrey Forester zornig. Aurora Dawn hielt es nicht für nötig, ihren Hauskameraden noch eine Standpauke zu halten und ging mit Petula und Miriam in die Bibliothek, um noch etwas zu lesen. Aurora hatte beschlossen, die praktischen Übungen für die ZAG-Prüfungen nach dem Quidditchfinale zu beginnen, und ihre Schulfreundinnen hatten sich dem ohne Zögern angeschlossen.
Aurora las gerade etwas über Tier-zu-Pflanze-Verwandlungen, als Bernhard Hawkins sich etwas verhalten näherte. Er fragte flüsternd, ob er mit Aurora kurz sprechen könne. Sie überlegte, was Bernhard nun noch von ihr wollen könne, nachdem sich ihre Beziehung derartig abgekühlt hatte, was nicht an ihr gehangen hatte. Sie legte das Buch auf den Lesetisch, nickte Bernhard zu und verließ mit ihm kurz die Bibliothek.
“Weißt du Aurora, es ist irgendwie doof, daß das mit uns nicht so weitergelaufen ist wie vorhin”, sagte Bernhard.
“Ja und?” Fragte Aurora kühl zurück. Was sollte das jetzt?
“Ich weiß, du bist immer noch sauer, weil ich dir das mit Amerika nicht schon früher erzählt habe. Aber an und für sich war es doch bis dahin schön oder nicht?” Fuhr Bernhard fort und sah Aurora dabei sehr warmherzig an, als sei ihm doch noch was an der gemeinsamen Beziehung gelegen.
“Das wäre allemal besser gewesen, wenn du mir das vorher erzählt hättest und nicht erst auf dem Hogsmeade-Ausflug. Irgendwie stand ich wirklich wie blöd da, zumal alle anderen das ja vorher wohl schon mitbekommen haben”, gab Aurora zähneknirschend zurück. Sie stand da, angespannt und auf irgendwas lauernd, was da noch über sie hereinbrechen konnte.
“Nun, ich kann doch nichts dafür, daß mein Dad mich von der Schule runternehmen will. Andererseits möchte ich natürlich ohne jeden Krach das Jahr zu Ende bringen. Ich möchte das hier so gut in Erinnerung behalten wie’s geht.”
“Sag mir bitte, was genau du willst, Bernhard! Irgendwie denke ich, du willst was von mir, worüber du nicht reden willst”, sagte Aurora halblaut. Ihr war das seltsam, daß Bernhard sie noch einmal sprechen wollte.
“Nun, ich möchte wie gesagt die besten Erinnerungen von Hogwarts mitnehmen. Weißt du was, daß mir dabei helfen könnte?”
“Ich habe dir schon mal gesagt, Bernhard, daß ich mich nicht auf irgendwelche körperlichen Sachen einlasse, wenn ich nicht weiß, ob es die Sache wert ist. Aber komm ja nicht auf sowas!”
“Öhm, nein das würde ich mir jetzt auch nicht rausnehmen wollen, Aurora”, entgegnete Bernhard leicht verlegen. “Ich meine, ich wollte wissen, ob dir noch was an mir liegt und ob du mir nicht irgendwie helfen könntest, hier sehr gut wegzukommen und nicht sang-und klanglos zu verschwinden.”
“Du meinst wegen der ZAGs?” Fragte Aurora Dawn. Doch innerlich läuteten mehrere Alarmglocken. Was sollte das jetzt?
“Ja, das wäre eine Möglichkeit, weil du über Kräuterkunde und Zaubertränke doch mehr weißt als Becky oder ich.”
“Eine Möglichkeit, Bernhard? Du möchtest also wissen, wie wichtig du mir noch bist, und irgendwie möchtest du, daß ich dir das zeige?”
“Öhm, genau”, bestätigte Bernhard immer noch verlegen dreinschauend. Dann sagte er halblaut: “Die in Thorntails sind ziemlich fanatisch, was den Schulsport angeht. Becky und ich wollen da nicht als hinterletzte Verlierer reingehen. Aber ich fürchte, so sieht es aus, weil wir ja letztes Jahr den Pokal nicht gewonnen haben. “
Aurora errötete. Weil sich ihre Augenbrauen jedoch bedrohlich zusammenzogen und ihre Stirnadern bläulich-rot hervortraten war klar, daß sie nicht aus Scham rot anlief. Das war es also.
“Ja, Moment, ich habe nicht behauptet, daß du oder deine Leute mir helfen sollen, morgen zu gewinnen, Aurora”, sagte Bernhard. Da knallte ihm Auroras linke Handfläche mit Wucht an die rechte Wange.
“Bernhard, schieb ab. Mach dich ganz schnell vom Acker, bevor ich noch den Zauberstab raushole und was ganz fieses mit dir anstelle!” Fauchte Aurora. “Behauptet hast du es nicht, aber erwartet hast du es schon, nicht wahr? Du wolltest gucken, ob du mich beschwatzen kannst, dir aus tiefer Verbundenheit den Pokal zu überlassen oder was? Vergiss es und lauf ganz schnell ganz weit weg!”
“Eh, du kannst mich doch nicht einfach schlagen”, schnaubte Bernhard mit kleinen Tränen in den Augen. Auf der geohrfeigten Wange zeichnete sich rötlich Auroras linker Handabdruck ab.
“Hast du mitgekriegt, daß ich das kann”, zischte Aurora. Bernhard sagte dazu nur:
“Gut, wie du meinst. Ich habe gedacht, du würdest das verstehen, welches Problem ich habe und mir helfen wollen. Aber dann sieh eben zu, wie ich von hier ohne was in der Hand runtergehe!”
“Sehr gerne”, schnaubte Aurora sehr entschlossen dreinschauend, kehrte Bernhard den Rücken zu und wollte in die Bibliothek zurückkehren. Bernhard zog sie am Umhang und hielt sie zurück.
“Eh, du hast mich nicht zu hauen, klar. Entschuldige dich gefälligst!”
Aurora wurde noch wütender. Sie wirbelte herum und fauchte Bernhard an:
“Sage Winchester und allen, die meinten, mich zu bequatschen würde euch den Pokal bringen, daß wir euch morgen fertigmachen werden. Dann hast du einen Grund, dich als Verlierer zu fühlen. Jetzt mach dich vom Acker!”
“Erst entschuldigst du dich für die Backpfeife, Mädchen! Oder ich gehe zu McGonagall und steck ihr, daß du mich angegriffen hast. Dann fliegst du jedenfalls morgen nicht gegen uns.”
“Ah, Plan B, wie Roy das mal genannt hat”, knurrte Aurora. “Wenn ich dich nicht aus Verliebtheit gewinnen lasse soll ich morgen gar nicht erst fliegen. Geh zu McGonagall und sage ihr, daß der Versuch, relativ einfach an den Pokal zu kommen gescheitert ist! Wenn die dann noch was von mir will, möchte sie mich bitte zu sich zitieren. Aber dann müßtest du ja zugeben, daß ein Mädchen dich so heftig gehauen hat, daß du weinen mußtest.”
Bernhard ließ sie los. Offenbar wirkte das auf ihn schmerzhafter als eine Ohrfeige. Er drehte sich um und ging ohne weiteres Wort davon. Aurora stampfte mit dem rechten Fuß auf und kehrte in die Bibliothek zurück, wo sie im Flüsterton mit Petula und Miriam über das so wichtige Gespräch redete.
“So’n Trottel”, flüsterte Miriam. “Das auf die Tour zu versuchen, wo der genau weiß, daß bei Quidditch jede Freundschaft zurücksteht. Hat der gedacht, ohne ihn würdest du hier verschmachten?”
“Ich weiß nicht einmal, ob er sich das gedacht hat oder Winchester und die anderen ihn angestachelt haben”, zischte Aurora immer noch sehr verärgert. “Ich will’s jetzt auch nicht mehr wissen. Wir machen morgen unser Spiel, und wenn wir den Pokal kriegen können, werden wir ihn uns sichern”, verkündete sie halblaut.
Eunice Armstrong kam fünf Minuten später in die Bibliothek. Aurora machte sich darauf gefaßt, von der gleich noch was zu hören zu kriegen. Doch Eunice sah nicht verärgert aus. Sie grinste von einem Ohr zum anderen.
“Wie bescheuert muß einer sein, daß er meint, einer Teenagerromanze wegen an den Pokal zu kommen?” Fragte sie leise, als sie in Flüsterreichweite war.
“Ach, steht das in Gryffindor am schwarzen Brett?” Schnaubte Aurora angriffslustig.
“Das ist nicht nötig. Ich habe mitgekriegt, wie Winchester deinen zukünftigen Ex bequatscht hat, dich rumzukriegen, ob du nicht doch für ihn weniger Tore schießt als im letzten Jahr. Der hat ihm was erzählt von wegen Thorntails und Quodpot, das die da spielen und er bestimmt besser da ankommt, wenn er einen Quidditchpokal gewonnen hat. Ich habe ihn mal gehen lassen und gewartet, ob du nicht doch auf sein Gesäusel eingehst. Offenbar hat er es vermasselt. Anfänger halt.”
“Habe ich mir gedacht, daß der sich hat bequatschen lassen”, zähneknirschte Aurora. “Wenn der sich das selbst überlegt hätte hätte der mich bestimmt nicht so blöd angequatscht.”
“Du hast ihm eine geballert, habe ich sehen können. Becky meinte schon, er solle zu Madame Pomfrey gehen. Aber er hat es sich wohl doch anders überlegt”, sagte Eunice. Petula fragte, ob er dafür zu McGonagall gegangen wäre.
“Also ich denke nicht, daß professor McGonagall sich groß dafür interessiert, was ein paar blöde Jungen sich da ausgemalt haben. Außerdem wissen wir alle, daß sie unfaires Spiel nicht leiden kann”, erwiderte Eunice.
“Vielleicht nicht, wenn Gryffindor dadurch den Pokal kriegen kann”, wandte Miriam ein und blickte sich um, ob das nicht wer gehört hatte, der das weitertratschen würde.
“Auch da nicht, Miriam. Der Pokal würde ja das ganze nächste Schuljahr in ihrem Büro stehen. Dann müßte sie ja immer dran denken, daß der ihr nur durch psychologische Tricks auf dem Schreibtisch gekommen ist. Ob das dann noch was mit Quidditch zu tun hat?”
“Bin ich mir nicht so sicher, wo die den drei Jahre hintereinander im Zimmer stehen hatte”, warf Miriam ein.
“Eben nur weil unsere Spieler fair gewonnen haben. Wie gesagt, Aurora, der Typ hat sich bequatschen lassen und sich die verdiente Abfuhr eingehandelt. Wie auch immer ihr morgen drauf seid, ich denke, wir kriegen den Pokal auch so. Ich werde zumindest besser schlafen, wenn ich weiß, daß wir den dann ohne irgendwelche Tricks vor dem Spiel gekriegt haben. Schönen Tag noch, Mädels!”
“Mach’s gut, Eunice!” Wünschte Aurora.
“Mädel dich selbst”, flüsterte Miriam, als Eunice bereits zehn Schritte von ihnen entfernt war.
“Wieso. Die hat’s doch voll genossen, daß ihre Hausmannschaft diesen Rückschlag abgekriegt hat”, feixte Petula im Flüsterton.
“Du kennst doch das, was der alte Hut singt. Gryffindors legen Wert auf Gerechtigkeit”, erwiderte Aurora. Dann fand sie, daß sie besser noch etwas lesen und besprechen sollten und beendete damit das Thema.
Wie sie es erwartet hatte kam wegen der Ohrfeige gegen Bernhard nichts nach. Keine Professor McGonagall oder ein Professor Flitwick bestellten Aurora ein, um sie zu rügen. Bernhard hatte also erkannt, daß er sich selbst am meisten blamieren würde, wenn das schulweit herumging, daß er versucht hatte, sich den Pokal zu erschwatzen. So konnte Aurora am Abend mit dem festen Vorsatz ins Bett gehen, am nächsten Tag so gut es ging zu spielen und nach Möglichkeit zu gewinnen.
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Die hohe Spannung, wer am Ende des Spiels den Quidditchpokal in Händen haben würde, empfing Aurora Dawn am nächsten Morgen in der großen Halle. Wieder hatten die drei Häuser, die sich noch Hoffnungen auf den Pokal machten, ihre Hauswappen als große Fahnen mit lebendig wirkenden Motiven auf den Tischen stehen. Aurora wirkte noch entschlossener als im letzten Jahr. Sie hatte Alessandro und den anderen Mannschaftsmitgliedern nichts erzählt, und dennoch wußten sie es. Hogwarts war eben doch nur ein Dorf!
“Der will einen gescheiten Abschied haben? Kann er haben!” Sagte Alessandro und deutete auf den Gryffindor-Tisch genau auf Bernhard Hawkins, der mit seiner Zwillingsschwester Rebecca und Samuel Winchester, dem Mannschaftskapitän, eine Reihe bildete.
“Für Winchester ist es auch das letzte Spiel, Alessandro”, sagte Ken und grinste feist. “Der hätte vor den UTZis auch noch mal gerne Hogwarts-Silber geküßt. Aber die Knutscherei gönnen wir uns, nicht wahr, Alessandro?”
“Aber hallo”, erwiderte der Ravenclaw-Kapitän. “Das Becherchen ist zu schön, um jetzt schon umzuziehen. Also frühstückt gut genug, um nicht zu hungern, ohne zu schwer zu werden, Jungs und Mädchens!”
“Aye aye, Sir!” Bestätigte Mortimer Swift im Stil eines Matrosen und griff sich zackig an den Hut. Tim Abrahams sah ihn zwar etwas merkwürdig an, mußte dann aber grinsen.
“Hoffentlich halten die Besen”, sagte Aurora Dawn. Alle lachten. Dieses Jahr würden die Besen halten, dank ihr.
“Holen Sie die Fahnen und Banner ein!” Befahl Professor McGonagall. Alle gehorchten widerspruchslos.
Die Hufflepuffs, für die es in diesem Jahr mal nicht um den Pokal ging, wußten offenbar nicht, ob sie nun den Ravenclaws oder den Gryffindors beistehen sollten. Jedenfalls wollten sie nicht, daß Slytherin den Pokal bekam.
Die einfliegenden Posteulen lenkten die Schüler von dem Spiel ab. Lissy Wright sah mit verbissener Miene einen Uhu an, der majestätisch über den Ravenclaw-Tisch herabschwebte und punktgenau neben ihrem Teller landete und ihr den rechten Fuß hinhielt. Roy wurde von einer Schneeeule angesteuert, die sich seine Schwester Erica zugelegt hatte. Tim sah verblüfft auf einen leicht zerzaust wirkenden Sperlingskauz, der einen Briefumschlag vor ihn hinlegte und sofort danach wieder davonflog. Da Tims Verwandte alle Muggel waren bekam er höchst selten Eulenpost. Meistens mußte er bis in die Ferien warten, um neues von zu Hause zu erfahren. Bruster hingegen sah dem Steinkauz seiner Mutter gelassen entgegen. Der Postvogel schleppte sich mit einem Päckchen ab, das wohl voller Schnagereien war. Seitdem Roy einmal die Bemerkung hatte fallen lassen, daß Brusters Mutter herrliche Plätzchen backen konnte, hatte die öfter welche nach Hogwarts geschickt. Aurora dachte schon, an diesem Tag keine Eule mehr zu kriegen, als drei Eulen auf sie zuflogen. Es war die Schleiereule ihrer Mutter, der Waldkauz ihrer Großmutter Regan und eine Sumpfohreule. Aurora nahm zunächst der Eule ihrer Mutter den Brief vom Bein und las, daß sie ihr viel Glück im Finale wünschte und sie nur aufpassen solle, nicht zu übertrieben zu fliegen. Ihre Großmutter Regan schrieb ihr, daß sie an dem Tag, wo das Spiel sei, im Zauberergamot sitzen müsse, um über das Schicksal eines Angeklagten zu befinden, der für die Todesser gearbeitet haben soll. Als Aurora den dritten Brief öffnete, sah sie eine ihr unbekannte Frauenhandschrift. Sie las:
Hallo, Aurora,
ich danke dir recht herzlich für deinen Brief, den du mir geschickt hast und möchte mich entschuldigen, daß ich nicht schneller habe antworten können. Aber weil ich leider nicht so gut englisch verstehe, um deinen Brief alleine lesen zu können mußte ich auf meine Schwägerin warten, daß sie mir beim Übersetzen hilft. Das ist ihre Handschrift, die du gerade liest. Aber weil ich weiß, wie wichtig ein Brief dadurch ist, weil er eine greifbare Verbindung zwischen dem, der ihn schreibt und dem, der ihn kriegt bildet, habe ich dir unten drunter noch einige Zeilen in meiner Muttersprache geschrieben, die meine geschätzte Fachkollegin Prof. Sprout sicherlich gerne übersetzen wird.
Ich freue mich, daß mein Artikel im grünen Magier nicht nur neue Freundinnen und Freunde des Himmelstrinkers gewinnen konnte, sondern auch junge Hexen wie dich dazu anregen konnte, sich über eine Zukunft im von mir sehr geliebten Fachgebiet magischer Herbologie zu engagieren. Sicher behaupten viele, Kräuterkunde sei ohnehin ein reines Frauenfach, aber zu lesen, daß jemand, die gerade vor den ZAG-Prüfungen steht sich durch meinen Artikel angeregt fühlt, vielleicht selbst die Wunder der magischen Pflanzen und Pilze zu erforschen und damit zu leben, nicht nur zu arbeiten, gibt mir mehr als ein Honorar von 1000 Galleonen. Falls du in den nächsten Sommerferien Zeit und Lust hast, mal die Atmosphäre eines Kongresses erwachsener Kräuterkundiger zu schnuppern, frage deine Eltern doch, ob sie Lust haben, mit dir vom 18. bis 24. Juli nach Millemerveilles zu kommen. Ich denke, da wirst du deine ZAG-Noten schon kennen und hoffentlich sehr beruhigt und stolz deine Ferien verbringen wollen. Mit der Sprache hättest du auch kein Problem, weil es da einen Zaubertrank gibt, der bewirkt, daß jemand eine ihm völlig fremde Sprache verstehen und dann auch sprechen kann.
Wie geschrieben kannst du dir das ruhig überlegen und mit deinen Eltern bereden. Fairerweise sollte ich dich nur vorwarnen, daß es da meistens ziemlich trocken zugeht, aber auch interessante Dinge besprochen werden.
Ich wünsche dir noch eine schöne Zeit bis zu den Prüfungen und für diese bonne chance!
Camille Dusoleil
Unter dem englischen Text standen noch vier Zeilen auf Französisch, was Aurora nicht verstand, zumal da einige merkwürdige Zeichen über den Vokalen standen. Doch die Handschrift glich der Unterschrift und stammte wohl von der Verfasserin des Artikels über die Himmelstrinkerblume.
“Soll ich mir das antun? Interessant wäre es ja mal”, dachte Aurora Dawn bei sich, bevor Petula fragte, wer ihr da geschrieben habe
“Das war Madame Dusoleil aus Frankreich, von der ich dir doch erzählt habe, Petula”, flüsterte Aurora stolz, eine persönliche Antwort bekommen zu haben.
“Ui, und was schreibt sie dir? Oder mußt du das erst übersetzen lassen?” Antwortete Petula begeistert.
“Nein, der wurde schon übersetzt. Sie schreibt mir, daß sie sich freut, daß jemand wie ich sich wegen ihrem Artikel für Zauberpflanzen begeistert und wenn ich wollte und meine Eltern könnten zu einem Kongress der Kräuterhexen und -zauberer in dieses Millemerveilles reisen könne. Ich weiß zwar nicht, ob ich da schon was mitkriegen kann, aber wäre mal ‘ne interessante Urlaubsreise. Daddy war da ja schon mal. Soll ziemlich weitläufig sein für’n Dorf und einen Zaubergarten und einen Park mit magischen Tierwesen haben. Am besten habe ich dann gute ZAG-Prüfungen geschafft, wenn ich Mum und Dad dazu kriegen will.”
“Aber die Sprache”, wandte Petula ein.
“Da soll’s einen Zaubertrank für geben, der einen die andre Sprache verstehen und sprechen läßt, schreibt Madame Dusoleil. Ich meine, davon schon was gelesen zu haben, Wechselzungentrank heißt der.”
“Stimmt, hat Dina was von gesagt, als ihr gegen die Hufflepuffs gespielt habt, weil sie mit ihren Eltern in den Weihnachtsferien nach Italien fahren wollte”, flüsterte Petula. Aurora nickte.
“Eh, Lissy, hat deine Omama dir Prügel angedroht?” Feixte Alessandro, weil Lissy ziemlich betreten dreinschaute. Diese funkelte ihn an und meinte, das gehe ihn einen feuchten Dreck an. Alessandro lachte fies. Offenbar hatte die wichtige Dame aus den Staaten sowas ähnliches angedroht wie Schläge. Zumindest hatte sie keinen Heuler geschickt, was die Ohren der Ravenclaws ihr gewiß aufrichtig dankten.
Wie es der Kapitän der Ravenclaws angeordnet hatte frühstückten die Spieler seiner Mannschaft gerade so reichlich, daß sie in den nächsten zwei drei Stunden keinen Hunger verspüren mochten, ohne zu schwer für ihre Besen zu werden. Als sie dann in den Umkleideräumen die blauen Spielerumhänge angezogen hatten sammelte Alessandro seine Mitspieler noch einmal um sich.
“Also, Leute, wir allein haben das jetzt in der Hand, ob der Pokal noch ein weiteres Jahr bei Flitwick im Büro besucht werden kann oder bei Professor McGonagall einzieht. Ihr habt ja wohl alle mitgekriegt, daß die sonst so auf Fairness pochenden Gryffindors versucht haben, unsere Jägerin Aurora Dawn zu beschwatzen, den Pokal an die gehen zu lassen, weil Winchester und einige andere das letzte Spiel hier in Hogwarts spielen. Aber ich bin heute auch das letzte Mal auf dem Platz, genau wie Ken. Also konnte dieser feige Versuch nichts werden. Wir gehen da raus, starten durch und spielen die in Grund und Boden! Ich freue mich, daß wir so eine tolle Mannschaft sind.”
Aurora sah etwas verlegen aus, weil Alessandro die Sache von gestern noch einmal aufgewärmt hatte. Aber dann ging sie genauso entschlossen wie die anderen aufs Feld.
Die um das ovale Feld gruppierten Sitze der Zuschauertribüne waren alle bis auf den letzten besetzt. Die goldenen Torstangen ragten zwanzig Meter in den Himmel und erstrahlten im Licht der Frühlingssonne, die es an diesem Tag gut meinte und von einem wolkenlosen Himmel strahlte.
“Und hier sind die Akteure des großen Finales!” Rief Jodocus Barkley mit magischem Megaphon. Er stellte alle Spieler vor und sagte über Alessandro und Ken, daß dies ihr letztes Spiel in Hogwarts sei. Ähnliches sagte er auch über Winchester, den Gryffindor-Kapitän. Dann sagte er noch: “Ja, und dann sind da noch die eingespielten Treiber-Zwillinge Rebecca und Bernhard Hawkins, die heute auch ihr letztes Spiel auf dem Feld von Hogwarts bestreiten und es noch mal wissen wollen, ob sie den Pokal gewinnen können oder nicht. Denn sie werden im nächsten Jahr wohl schon weit über dem großen Teich hinweg in der Thorntails-Akademie sein, wo sie britische Gründlichkeit und Tradition vertreten werden. In beiden Mannschaften sind also Leute, die heute die letzte Gelegenheit haben, einmal aus dem großen Silberbokal trinken zu dürfen. Madame Hooch hat die Spieler gerade Aufstellung nehmen lassen. Gleich geht’s los!”
Jubel brandete auf, als die beiden Kapitäne sich die Hand gaben. Alessandro grinste Sam Winchester höhnisch an, der wiederum mißmutig zurückstierte. Dann kam das Kommando, die Besen zu besteigen.
“Der Quaffel fliegt aus dem Abwurfkreis, und da sind auch schon alle Spieler in der Luft, zeigen gleich, was neue Besen hergeben. Oh, da hat sich Dawn schon mit Heatherbloom von den Gryffindors angelegt, kommt an den Quaffel und zieht los. Der Nimbus 1500 geht wunderbar ab, wertes Publikum. Dawn fast schon am Torraum, wurstelt sich noch an Winchester vorbeiiiii! – Ui, Doppelklatscher von den beiden Hawkins-Geschwistern! Hätte die agile Aurora fast voll erwischt. Dawn mußte zurückweichen, hat immer noch den Quaffel, wird aber von Winchester und Heatherbloom bedrängt! Dawn wirft ab auf Wiffle, hat das rote Rund genial bekommen und ist schon vor dem Tor. Toooor! Ravenclaw führt mit zehn zu null Punkten!”
Der Jubel der Ravenclaws war unüberhörbar. Gryffindors Anhänger pfiffen und riefen ihrer Mannschaft zu, jetzt bloß nicht nachzulassen.
“Klatscherattacke auf Wiffle, der den Abwurf vom Tor annehmen wollte. War wohl nichts. Der Quaffel landet bei Heatherbloom, der den Sauberwisch 5 zimlich gut antreibt. Ja, Neue Besen würzen das Spiel entscheidend! Heatherbloom vor dem Tor! – Gehalten! Swift hat eine Parade für die Galerie hingelegt, zögert den Abwurf hinaus, weil jetzt alle drei Jäger von Gryffindor vor dem Tor warten. Irgendwann wird er wohl abwerfen müssen. – Hei, beide Klatscher kunstvoll gespielt von den beiden Treibern Boulder und Dasher. Winchester mußte ausweichen. Der Quaffel fliegt weit zurück. Dawn nimmt ihn an! Flugbahn zum Tor komplett frei! Toor! Zwanzig zu null für Ravenclaw!”
Nach diesem zweiten Tor für die Ravenclaws schienen die Gryffindors zu vergessen, nach welchen Regeln sie spielen mußten. Denn als Aurora mit ihrer schulweit bekannten Doppelachsenflugweise einen Gegenspieler ins Leere stoßen ließ und wieder einen Torwurf ansetzte stürzte sich Bernhard Hawkins mit schwung auf die hervorragende Jägerin. Seine Schwester war alleine und schaffte es knapp, einen ihr geltenden Klatscher zu Boulder abzulenken, der dann Heatherbloom aufs Korn nahm.
“Denkst du, ich lasse dich noch mal so viele Tore schießen?!” Rief Bernhard und sauste knapp an Auroras Besenschweif vorbei, wodurch sie den Quaffel fallen ließ.
“Ich habe dir geraten, möglichst weit weg von mir zu bleiben!” Rief Aurora Dawn. Da kam ein Klatscher angezischt. Aurora duckte sich, und Bernhard schlug nach dem schwarzen Ball, in voller Absicht, Aurora doch noch zu erwischen. Doch diese rollte sich zur Seite und ließ den Ball an sich vorbei auf den Boden zurasen. Krachend schlug der Klatscher einen Krater ins Feld.
“Oh, der hätte Aurora Dawn mit Sicherheit voll in den Rücken getroffen”, kommentierte Barkley diesen wütenden Angriff. Der Klatscher ruckte und Zuckte auf dem Boden, bevor er im Hui wieder nach oben schoss. Doch Aurora Dawn war bereits hinter Winchester her, der den Quaffel erflogen hatte. Bruster warf sich ihm in den Weg. Becky Hawkins wollte zwar einen Klatscher auf ihn abschlagen, doch Alessandro hielt nur seinen Schläger hin und ließ den bösartigen Ball davon zurückprallen, genau zu Gideon Heatherbloom hin, der sich vor den Torringen Mortimers in Stellung gebracht hatte. Gideon zirkelte herum und stieß dann vor, um Mortimer aus dem Torraum zu drängen. Doch Madame Hooch pfiff sofort und verhängte einen Strafwurf, weil der Hüter ohne Quaffel im Torraum angegriffen worden war. Aurora flog an, täuschte kurz und brachte den roten Spielball mit Wucht durch den von ihr aus linken Ring zum Stand von dreißig Punkten.
Von da an foulten die Gryffindors immer dann, wenn sie meinten, Madame Hooch sähe es nicht. Doch weil die Ravenclaw-Anhänger das mitbekamen und Barkley nicht umhinkam, über einige grobe Fouls zu reden, setzte es noch drei weitere Strafwürfe gegen Gryffindor, die jedesmal von einem anderen Jäger verwandelt wurden. Bernahrd meinte wohl, sich für die Ohrfeige von gestern revanchieren zu müssen und rammte Aurora einmal den rechten Ellenbogen in die Seite, als er keinen Klatscher fand, den er auf sie schlagen konnte. Immerhin schafften die Gryffindors es einmal, Mortimer zu überwinden und zehn Punkte zu holen. Doch danach kamen noch vier weitere Tore für Ravenclaw zu Stande, nachdem Aurora sich Bernhard immer wieder frech als Ziel anbot und ihre beiden Kollegen dadurch freie Bahn bekamen. Einmal rief Winchester nach Auszeit und bekam sie.
“Der ist stinksauer auf dich, Aurora”, grinste Alessandro Boulder, als er seine Mannschaft vor der rechten Torstange seiner Seite versammelt hatte.
“Ich weiß. Ich merk’s noch”, knurrte Aurora. “Aber wenn der sich einbildet, was er durch dummes Gequatsche nicht gekriegt hat mit Gewalt zu erreichen täuscht er sich. Vielleicht übt er schon für Quodpot. Da sollen solche Rempler ja zum guten Ton gehören.”
“Die müssen den erst aufbauen, bevor der dieses Knallballspiel spielen darf”, sagte Ken Dasher. “Ich habe mir so’n Spiel mal angesehen und …”
“Später Ken. Erst mal unser Spiel gewinnen”, sagte Alessandro und plante die weitere Taktik, bis Madame Hooch die Auszeit für abgelaufen erklärte.
“Dawn hat schon wieder den Quaffel, wird bedrängt von Heatherbloom! Ist schon wieder vor dem Torraum von Gryffindor! Klatscher!”
Aurora hatte es sich gedacht, daß Bernhard sich diese Gelegenheit nicht nehmen ließ, sie anzugreifen. Deshalb war sie rasch abgetaucht, um ihn zu verwirren und von unten her den Quaffel zu spielen.Tatsächlich zischte der Klatscher einen Meter über sie weg und erwischte Gideons Besenspitze mit solcher Wucht, daß der Jäger von einer heftigen Drehbewegung vom Besen geschleudert wurde. Sein Komet 2 / 40 zersplitterte vorne und trudelte steuerlos nach unten. Gideon fiel und fiel dem Boden entgegen. Erst knapp vor dem Feld erwischte ihn der Fallbremsezauber Professor McGonagalls.
“Ui, da wurde Gideon Heatherbloom von einem freundlichen Klatscher vom Besen geholt”, sagte Barkley bestürzt. Madame Hooch pfiff eine Auszeit und ließ Gideon, der sich beim Absturz das linke Handgelenk gebrochen hatte, in den Krankenflügel bringen. Ohne den Jäger ging das Spiel weiter. Bernhard hielt sich auffallend zurück. Daß er seinen eigenen Mitspieler vom Besen geschossen hatte nagte an ihm.
Nach etwas mehr als zwanzig Minuten führte Ravenclaw mit sechzehn Toren zu sechs. und hatte damit den Abstand von Slytherin wettgemacht und überholt. Nur der Schnatzfang würde den Gryffindors noch den Pokal sichern. Das wußten die Ravenclaws und spielten nun eher darauf, den gegnerischen Sucher zu blocken, ohne dabei gegen die Regeln zu verstoßen. So Plätscherte das Spiel eine Weile hin, wobei Ravenclaw und Gryffindor noch je ein Tor erzielten. Dann stieß Gryffindors Sucher nach unten. Karin Meridies wurde gleich von zwei Klatschern angeflogen und von allen Jägern der Gryfindors am Vorankommen gehindert. Jetzt würde Gryffindor den Pokal sicher kriegen.
“Gleich ist der spannende Kampf um, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Der Schnatz kann unmöglich noch … Was war das?”
Aurora Dawn, die gerade mal wieder den Quaffel hatte, wollte wohl Bruster Wiffle anspielen. Doch der rote Ball kreuzte die Flugbahn des Schnatzes, wirbelte diesen davon, sodaß der Sucher der Gryffindors ins Leere griff. Auf der Tribüne lachte man.
Das Spiel ging weiter, wobei die Ravenclaws alles taten, um ihren Vorsprung so weit auszubauen, daß auch der Schnatzfang Gryffindor nicht zum Pokal führen konnte. Doch Gryffindor schaffte immer wieder ein Tor, um bei einem erfolgreichen Schnatzfang zehn Punkte Vorsprung zu bekommen. Als dann aber in der vierzigsten Spielminute bei einem Stand von 30 zu 16 Toren Karin Meridies an einem Klatscher von Rebecca Hawkins vorbei in die Tiefe stürzte, dauerte es keine zwei Sekunden, da hatte sie den so kleinen und doch so wichtigen Ball, den goldenen Schnatz, in der rechten Hand und reckte diese nach oben, während der Klatscher knapp vor ihrer Nase vorbeisauste.
“Vierhundertundfünfzig Punkte erringt Ravenclaw in diesem so entscheidenden Spiel! Der Pokal bleibt in Ravenclaw!” Rief Jodocus Barkley. Alle Ravenclaws jubelten unbändig. Auch die Hufflepuffs stimmten in den Jubel mit ein. Ja, sogar die Slytherins klatschten Beifall, wohl eher, weil sie es dann doch lieber den Ravenclaws gönnten als den Gryffindors.
“Danke, Danke, Danke!” Rief Alessandro Boulder, als er mit seiner Mannschaft zur Siegerehrung schritt. Er durfte in seinem letzten Jahr noch einmal den Quidditchpokal in Händen halten.
“Hier kommt die siegreiche Mannschaft. Sie hat Geschichte geschrieben. Denn dies ist erst die fünfte Titelverteidigung Ravenclaws in der Geschichte von Hogwarts!” Verkündete Barkley noch einmal.
“Ja, und wir sind froh, dabei gewesen zu sein”, sagte Ken Dasher schadenfroh.
“Herzlichen Glückwunsch!” Sagte Professor Dumbledore, als er Alessandro den Quidditchpokal überreichte. Dann lächelte er Aurora Dawn an und sagte: “Du hattest es aber heute besonders schwer, was?”
“Es war schon mal einfacher”, sagte Aurora Dawn. Professor McGonagall sagte dazu noch:
“Wir haben nachher eine Konferenz der Vertrauensschüler. Die Attacken von Mr. Hawkins waren unentschuldbar. Stimmt es, daß Sie sich gestern mit ihm wegen des Spiels gestritten haben?” Aurora nickte schüchtern. “Das ist kein Grund, Sie heute derartig zu bedrängen”, fauchte die Lehrerin für Verwandlung. Dann wünschte sie Aurora noch einen erholsamen Vormittag.
Singend und jubelnd begleiteten alle Ravenclaws ihre Helden zurück ins Schloß. Aurora suchte erst einmal den Krankenflügel auf, wo sie ihre geprällten Rippen behandeln ließ und sich erkundigte, wie es Gideon ginge. Dieser war fast wieder gesund. Lediglich eine leichte Gehirnerschütterung sollte er noch einen Tag auskurieren, hatte Madame Pomfrey verfügt.
“Ihr habt den Pokal gehalten?” Fragte Gideon, während Aurora den Zauber Madame Pomfreys über sich ergehen ließ.
“Ja, haben wir. Es war nur recht und billig, daß wir den auch dieses Jahr gewinnen. Siehst du wohl ein”, sagte Aurora Dawn.
“Ich habe das mit Bernhard heute morgen erst mitgekriegt. Hat der versucht, dich zu beschwatzen, ihm aus Liebe den Pokal zu schenken?”
“Stand das noch nicht in der Zeitung?” Gab Aurora verbiestert dreinschauend zurück. Dann riss sie sich zusammen und sagte ruhig: “Er hat sich bequatschen lassen, ob er mich nicht rumkriegt. Habe ich aber sofort durchschaut. Deshalb hat er mich besonders heftig beharkt. Immerhin geht er ja dieses Jahr von Hogwarts runter.”
“Nach Thorntails. Gute Reise wünsch ich”, stieß Gideon hervor. Offenbar ärgerte er sich darüber, daß Bernhard ihm den Klatscher an den Besen gehauen hatte.
“Ihr habt nach dem Essen eine Konferenz?” Fragte Madame Pomfrey. Aurora nickte. “Da wird sich Bernhard ja noch was anhören dürfen.”
Aurora überlegte, ob sie nicht bei der Gelegenheit selbst einiges würde anhören müssen, weil sie Bernhard geohrfeigt hatte. Doch sie sah dem gelassen entgegen.
Beim Mittagessen sprachen die Ravenclaws noch einmal über das Spiel vom Morgen und warum Bernhard Hawkins Aurora immer wieder angegriffen hatte. die Mädchen meinten, das sei enttäuschte Liebe. Die Jungs sagten nur, daß er einfach nicht verlieren könne und dann halt grob werde. Was genau stimmte konnte keiner sagen.
Nach dem Essen trafen sich alle Vertrauensschüler bei Dumbledore. Auch die Hauslehrer waren da, wie üblich. Dumbledore sagte:
“Nun, eigentlich wollte ich ja erst nächste Woche die übliche Konferenz abhalten, aber Professor McGonagall bat mich darum, heute schon zusammenzukommen. Nun, Minerva, bringen Sie Ihr Anliegen vor!” Er blickte seine Stellvertreterin durch die halbmondförmigen Brillengläser aufmunternd an.
“Machen wir es kurz”, begann die Leiterin von Gryffindor. “Ich weiß nicht, was Sie geritten hat, Mr. Hawkins”, wobei sie Bernhard Hawkins sehr streng anblickte, “heute andauernd gegen die Quidditchregeln zu verstoßen und insbesondere Ms. Dawn teilweise brutal zu attackieren.”
“Ich wolte für Gryffindor den Pokal gewinnen, Professor. Aurora ist zu gut geworden, um sie ständig frei herumfliegen zu lassen”, sagte Bernhard. Eunice grinste verhalten. Cynthia fragte, warum er dann gerade solche Fouls nötig gehabt hatte.
“Mir hat man gesagt, in Thorntails wären die Spielregeln sehr körperbetont”, sagte Bernhard.
“Ja, aber noch sind Sie nicht in Thorntails, und ob Sie da überhaupt angenommen werden, nachdem, wie Sie sich heute betragen haben, steht noch nicht ganz sicher fest”, fauchte Professor McGonagall. Bernahrd schrak zusammen. Dann platzte er heraus:
“Das werden Sie nicht bestimmen, Professor McGonagall. Bei allem Respekt vor Ihnen, der Umzug steht fest, und die von der Thorntails-Akademie haben mir bereits geschrieben, daß ich so gut wie sicher bei ihnen aufgenommen bin, insbesondere weil ich Vertrauensschüler geworden bin.”
“Was sicher nicht passiert wäre, wenn dein Vater das schon vor einem Jahr geschrieben hätte”, warf Snape gehässig ein. “Im Grunde haben deine Eltern und du das Konzept der Vertrauensschülerauswahl lächerlich gemacht.”
“Severus, ist schon gut”, griff Dumbledore ein. “Die Vertrauensschülerauswahl obliegt mir, und ich habe keine Probleme damit, im nächsten Jahr zwei neue Vertrauensschüler zu erwählen. Allerdings irrst du dich, Bernhard, daß wir hier nicht doch mitreden können, ob und wie du in Thorntails aufgenommen wirst. Immerhin möchte Professor Wright sicherstellen, daß die ihr anvertrauten Schüler, besonders sogenannte Quereinsteiger, sich und ihre Schule nicht in Verruf bringen. Wir müssen also daher ein Zeugnis ausstellen, in dem geschrieben steht, wie du dich hier betragen hast. Insofern hat Professor McGonagall schon recht, daß du noch nicht in Thorntails bist. Außerdem hast du noch einige Monate hier. Ich kenne Jungen, die mit der Haltung hier leben, wenn das Ende der Schulzeit anbricht können sie sich vieles herausnehmen. Du bist wahrlich nicht der erste, der so denkt und handelt. Du magst im Moment der jüngste sein, der derartig in Versuchung geführt wird. Aber gerade dann ist es mir sehr wichtig, dir zu zeigen, daß es verkehrt ist, sich gegen die Regeln zu vergehen, besonders dann, wenn er Vertrauensschüler ist. Deshalb muß ich Gryffindor leider fünfzig Punkte aberkennen. Hinzu kommt noch, daß Professor Wright am zweiten Maiwochenende zu einem kurzen Besuch hierher kommt. Der Grund dafür ist zwar ein anderer als sich über deine Schwester und dich zu erkundigen, aber die paar Minuten wird sie sich sicherlich nehmen können.”
Das schlug bei Bernhard ein wie ein Klatscher voll in die Magengrube. Daß Gryffindor seinetwegen fünfzig Punkte verlor und er obendrein schon vor den Prüfungen mit der als sehr unerbittlich bekannten Ernestine Wright zusammentreffen sollte war ein harter Schlag für ihn. Er sah Aurora Dawn an, als wäre sie Schuld an seinem Verhängnis. Als Eunice ihn aber verschmitzt anblickte, schlug er die Augen nieder und verhielt sich still.
Es wurde, weil die Konferenz nun einmal stattfand, auch über andere Schulsachen gesprochen. Als die Vertrauensschüler dann in ihre Häuser zurückkehrten meinte Bruster zu Aurora:
“Der verwünscht den Tag, als er sich mit dir eingelassen hat. Pass auf, daß er dich nicht doch noch wegen irgendwas reinreitet!”
“Neh, das tut der nicht. Hast du Eunices Blick nicht gesehen. Die weiß was los war. Wenn der mich noch vor dem Abschied irgendwo reinrasseln läßt hebelt die ihn aus.”
“Warum auch immer”, sagte Bruster. “Oder stimmt es doch, daß er sie mal angegraben und dann wie ‘ne heiße Kartoffel hat fallen lassen?”
“Dann müßte sie ja auf mich sauer sein”, wandte Aurora ein. “Ist sie aber nicht.”
“Weil er dich genauso verarscht hat wie sie. Weil er dir vorgebetet hat, daß er für dich da sein will, und jetzt geht er zu Mummy Wright nach Thorny.”
“Wenn die ihn nimmt”, sagte Aurora. Doch das ging sie nichts an. Er würde umziehen. Sie hatten sich deswegen zerstritten. Er hatte sie heute andauernd angegriffen und sie fast vom Besen geholt. Das Spiel war um. Jetzt konnte er ihr gestohlen bleiben.
Abends gab es noch eine Spontanfete im Gemeinschaftsraum der Ravenclaws, bei der mehrere Flaschen Butterbier und Naschwerk aus dem Honigtopf verbraucht wurden. Aurora mußte einmal dazwischengehen, weil ein Viertklässler Vivian Acer Meet unterjubeln wollte. Sie beließ es aber nur bei einer Verwarnung ohne Punktabzug. Denn im Moment führte Ravenclaw wieder vor Gryffindor. Lissy Wright hatte sich aber offenbar ziemlich heftig mit irgendwelchen Weinbrandpralinen einen wahren Vollrausch angefuttert und konnte schon gar nicht mehr senkrecht stehen. Aurora half den Swift-Drillingen dabei, die Klassenkameradin in den Schlafsaal zu bugsieren.
“o, alles dreht sich ja”, lallte Lissy verzückt, als Aurora ihr aus den Sachen half.
“Was hast du bloß gefuttert, Lissy?” Fragte Aurora.
“So Pralinen aus Amerika waren das. Vineyards lustige Leckereien”, sagte Ramona Swift.
“Sind da noch welche drin?” Fragte Aurora. Rita suchte die glitzernde goldene Schachtel und holte zwei harmlos aussehende Pralinen in Goldfolie heraus. Aurora las den Text auf der Schachtel. Dann sagte sie:
“Ich wußte nicht, daß sie dieses Zeug hat. Das ist nix für uns im Wachstum, Mädchen. Ich bringe die mal Madame Pomfrey.”
“Sind die so heftig?” Fragte Roxanne Swift.
“Eine gibt soviel Alkohol her wie sechs Flaschen Butterbier, wenn ich das richtig lese. Die haben da einen Zaubertrank eingemischt, der den Zucker in den Pralinen bei Kontakt mit der Magensäure schlagartig in Alkohol umwandelt. Ist als Party-Gag gedacht oder als Muntermacher für schüchterne Männer und Frauen.”
“Oh, die hat da sieben Stück von gefuttert.”
“Dann hole ich besser Madame Pomfrey her, damit die ihr ein Desalkoholikum gibt. Nachher kriegt die noch ‘ne tödliche Vergiftung.”
Aurora lief los und suchte noch um elf Uhr den Krankenflügel auf, wo Madame Pomfrey gerade Gideon Heatherbloom einen letzten Besuch abstattete, bevor dieser schlafen sollte. Im Flüsterton besprachen sie, was passiert war.
“Wo hat die das Zeug her?” Fragte die Schulkrankenschwester. Dann holte sie eine große Flasche mit einem wasserhahnartigen Aufsatz, füllte ein Glas mit Wasser und ließ mit kurzem Druck auf die Flasche einen rosaroten Tropfen vom Inhalt ins Glas fallen, schüttelte es vorsichtig und sagte:
“So, das müssen wir ihr jetzt verabreichen. Die Pralinen läßt du bitte bei mir. Ich werde die morgen mal untersuchen, um zu sehen, was für ein Teufelszeug da hineingepanscht wurde”, flüsterte sie und ging mit Aurora auf dem schnellsten Weg nach Ravenclaw. Dort angekommen wichen ihr alle in Feierlaune angesäuselten Schülerinnen und Schüler ohne zu fragen aus. Im Mädchentrakt führte Aurora sie zum Schlafsaal der Drittklässler, wo Lissy gerade herzhaft in einen ans Bett gestellten Eimer brach.
“Immerhin etwas von dem Höllengebräu ist raus”, bemerkte Madame Pomfrey, wischte Lissy den Mund ab und flößte ihr vorsichtig den Inhalt des Glases ein. Es dauerte keine Minute, da klärte sich Lissys Blick, und ihre Bewegungen wurden wieder fließend und kontrolliert.
“Ui, Madame Pomfrey”, sagte sie nun bei klarer Stimme und Verstand.
“Ja, Madame Pomfrey, du dummes Kind. Hast du dir die Beschriftung der Pralinenschachtel nicht angesehen? Da steht drauf, daß Kinder die gar nicht und Jugendliche nur zwei Stück davon essen dürfen. Du hast aber sieben davon gegessen. Wo hast du die her?” Herrschte die Schulkrankenschwester die Drittklässlerin an.
“Eh, hast du mir die weggenommen?” Fragte Lissy Aurora Dawn.
“Das ist mein Job, so’n Zeug einzuziehen, Elizabeth”, fauchte Aurora unerbittlich.
“Wo hast du diesen Unrat her, Elizabeth?” bohrte Madame Pomfrey nach.
“‘ne Tante von mir hat die mir zu Ostern geschenkt. Sie meinte, ich könne damit feiern, wenn es was zu feiern gebe”, sagte Lissy sichtlich eingeschüchtert. Madame Pomfrey schickte die drei Swift-Schwestern und Aurora Dawn vor die Tür. Offenbar wollte sie Lissy noch etwas genauer verhören.
“Die wollte sich umbringen”, vermutete Rita. “Mit sieben von den Dingern im Bauch hätte sie die Nacht nicht überlebt.”
“Wenn es nur sieben waren”, meinte Aurora. “außerdem denke ich nicht, daß sie sich absichtlich vergiften wollte. Die hat das einfach unterschätzt oder gedacht, das Zeug wirkt nicht so heftig wie es auf der Packung steht.”
“Neh, die wollte sich umbringen. Kuck mal hier!” Flüsterte Roxanne Swift und hielt Aurora einen Umschlag hin. Aurora nahm den Umschlag, stand eine Sekunde unschlüssig da und las dann, daß ihre Großmutter sich ernsthaft überlege, sie in einen Sack zu stopfen und mitzunehmen, wenn auch nur ein Viertel von dem stimmte, was sie über Lissy gehört hatte.
“Ach komm, deshalb bringt sich niemand gleich um”, flüsterte Aurora den Mädchen zu. “Das ist so wi eine angedrohte Prügelstrafe. Ich denke nicht, daß Mrs. Wright ihre Enkeltochter in einen Sack stopft und davonträgt. Das paßt eher zu Sabberhexen.”
“Vielleicht hat’s Lissy aber so geglaubt”, sagte Ramona Swift. Dann kam Madame Pomfrey aus dem Schlafsaal.
“Ihr drei könnt da jetzt wieder rein. Das Breitbandantidot hat den Alkohol restlos aus dem Körper vertrieben. Sie kann also jetzt ruhig schlafen. Alles andere kläre ich alleine mit eurem Hauslehrer. Am besten sammelst du deine anderen Mitschüler ein und veranlaßt, daß sie auch schlafen gehen!” Wandte sie sich an Aurora Dawn. Diese nickte gehorsam und kehrte in den Gemeinschaftsraum zurück. Dort besprach sie mit Bruster und den anderen Vertrauensschülern, daß sie die Party jetzt besser beenden sollten, bevor Flitwick wieder auftauchen würde. Sie sahen es ein und setzten den Siegesfeiern ein diszipliniertes Ende.
Im eigenen Schlafsaal wollte Dina von Aurora noch wissen, was genau mit Lissy passiert sei. Aurora sagte ihr:
“Die hat so Partyzeug für durchgedrehte Hexen und Zauberer gekriegt und sich bei der Menge vertan. Madame Pomfrey hat das geheilt. Ich denke, sie hat das Antidot 999 benutzt, ein sehr wirksames Breitbandgegengift. Das ist aber sehr teuer, weil dazu sehr tödliche Tier-und Pflanzengifte und diese ins Gegenteil umwandelnde Bestandteile von Zaubertieren benötigt werden. Ich glaube, ich werde mir mal die Liste der Zutaten zulegen.”
“Die rückt Madame Pomfrey nur raus, wenn du in den beiden UTZ-Klassen bist”, sagte Dina. “Ich wollte mir das Zeug auch schon zusammenbrauen, falls Snape uns doch einmal mit einem heimtückischen Gift drangsaliert. Aber Madame Pomfrey hat mir erzählt, daß die Rezeptur nur in einem Heilerlexikon drin ist, das nur an Leute aus den UTZ-Klassen ausgeliehen wird, die magische Heilkunst oder Arzneikunde erlernen wollen. Da ich das wohl nicht mache, wegen der ganzen Zauberkunst-und Verwandlungssachen, werde ich das wohl nicht nachlesen können.”
“Verstehe”, sagte Aurora Dawn. Dann spürte sie, wie müde sie nach diesem langen, aufregenden Tag war und wünschte ihren Klassenkameradinnen eine gute Nacht.
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Lissy Wright hatte wohl doch nicht vorgehabt, sich mit magischen Pralinen umzubringen. Denn am nächsten Morgen bedankte sie sich bei Aurora für die Hilfe und wirkte dabei nicht mehr so selbstsicher und überheblich wie sonst. Aurora erklärte ihr, was mit ihr passiert war und erfuhr, ohne daß sie es darauf angelegt hätte, daß Lissys Tante ihr diese Pralinen geschenkt habe, um sie bei Feiern wie eben dem Quidditchpokalgewinn, mit guten Freunden zu teilen. Da Lissy aber durch ihre Art, mit Schulkameraden umzuspringen, keinen einzigen Freund hatte, hatte sie aus Trotz sieben Pralinen gefuttert, ohne sich darüber klarzusein, welche heftige Wirkung die hatten.
“Madame Pomfrey hat die Pralinen einbehalten, Lissy. Professor Flitwick wird davon nichts erfahren, solange deine Klassenkameradinnen nicht meinen, ihm das stecken zu müssen. Du verstehst was gemeint ist?” Erwiderte Aurora Dawn sehr ernst dreinschauend.
“Diese Nixkönnerinnen können mich erpressen”, schnaufte Lissy sehr vergrätzt. Ja, in der Tat hatte sie sich den drei Swift-Schwestern ausgeliefert, die ihr alles, was sie über drei Jahre von ihr hatten einstecken mußten, mit einem Schlag zurückgeben könnten, wenn sie ihnen einen Anlass dazu gab. Als Aurora Lissy erzählte, daß sie den Brief gefunden hatte, mußte die sonst so großspurige Drittklässlerin lachen.
“Meine Großmutter drückt sich manchmal sehr brutal aus. Sicher, ich würde nichts machen, was sie wirklich ärgert. Aber in einen Sack stecken würde sie mich nicht. Außerdem wäre das kein Grund für mich, mich mit Rauschverstärkungspralinen um die Ecke zu bringen.”
“Konnte ich mir auch nicht denken”, erwiderte Aurora Dawn.
Nachdem Lissy sich verabschiedet hatte, hatte Aurora alle Hände voll zu tun, ihre Mitschüler von unsinnigen Sachen wie Gripsverstärkungselixieren und dergleichen abzubringen. Einige hatten nämlich die Idee gehabt, ihre ZAG-Mitschüler mit angeblich wirksamen Gedächtnis-und Auffassungsgabesteigerungstränken, -pastillen und -pülverchen zu beglücken.
“Jedes Jahr dieselbe Schose”, sagte Bruster, der gerade eine merkwürdige Flasche von Dennis McGregor beschlagnahmt hatte, die angeblich Sphinxenkrallenpulver mit Eulenblut und Kräutersaft vermischt enthielt und die eigene Auffassungsgabe um ein zehnfaches anheben sollte. Aurora dachte daran, daß es einen entsprechenden Trank geben solle, aber daß der noch wesentlich komplizierter war und auch nicht ohne Nebenwirkungen war, die nur ein zweiter Trank abfangen konnte.
“Also ich glaube, wir sollten den Leuten sagen, lieber fleißig zu lernen, bevor die meinen, mit einem Schluck aus einer merkwürdigen Phiole die Prüfungen sicher geschafft zu haben”, sagte Aurora.
Eunice Armstrong fragte sie einmal, ob es wirklich gute Gehirnaufputscher gäbe außer denen, die Bitterling ihnen mal gezeigt habe. Aurora erzählte ihr, was sie wußte und woran man echte von falschen Mittelchen unterscheiden konnte.
“Irgendwer bringt diese Nummer immer, jedes Jahr”, sagte Eunice. “Die meinen, die ZAG-Leute würden wirklich alles schlucken, nur um sicher durch die Prüfungen zu kommen.”
“Ja, und wir haben jetzt das Problem, diese Pfuscherei zu unterbinden”, knurrte Aurora.
Der Handel mit scheinbar brauchbarem Zeug zur Gripfsverstärkung und Gedächtniserweiterung hörte auf, als Aurora Dawn im Gemeinschaftsraum mal das Produkt eines Sechstklässlers mit ihrer Zaubertrankausrüstung analysierte und Jarveykot, pulverisierte Mäuseknochen und ausgetrocknete Käfer nachweisen konnte.
“Also, Leute: Streiche zu spielen ist mal was lustiges. Aber was hier läuft ist Betrug und sogar fahrlässige Körperverletzung. Wenn ich noch einmal solch eine zusammengepanschte Mixtur beschlagnahme, wird der oder die, von dem oder der ich das habe, das Zeug selbst zu schlucken kriegen. Abgesehen davon, daß ich dann Ravenclaw zwanzig Punkte pro Fall abziehen werde.” Einige murrten zwar, sie hätten mit derlei Quacksalberei nichts zu tun. Doch von Stund an ging von Ravenclaw aus kein wie auch immer angepriesenes Wundermittel aus. Fielding nannte es scherzhaft “die Dawn-Doktrin”, als er Aurora schadenfroh zuschanzte, daß er vier Siebtklässler belauscht habe, die fast mit einem Zaubertrank erwischt worden wären, den sie den Hufflepuffs anzudrehen versucht hätten. Da Auroras Androhung jedoch auch bei den anderen Vertrauensschülerinnen der fünften Klasse angekommen war, hatten die diesen Handel platzen lassen. Tonya Rattler hatte Cynthia mal vorgehalten, ihre Hausschüler wollten solchen Murksmix doch nur, weil sie sich ihrer geistigen Schwachheiten bewußt geworden seien. Cynthia hatte Tonya darauf geantwortet, daß sie besser sein wollten als gut und da manchem Rattenfänger hinterherliefen.
Der Unterricht wurde nicht leichter. In Muggelkunde sollten sie das Morsealphabet lernen, um die Anfänge der schnellen Nachrichtenverbreitung in der Muggelwelt verstehen zu können. Roy war da natürlich um Längen voraus, weil er als Sohn eines Seefahrers auch öfter in einer Funkbude gewesen und sich das Punt-Strich-Alphabet schon mit sechs Jahren angeeignet hatte.
“Nun, Ihre Schwester war in der Hinsicht genauso überragend vorgebildet”, sagte Professor Goldbridge, den sie in seiner Abwesenheit auch gerne Professor Janus nannten.
“Also die gemorste Gruppe SOS sollte wirklich jeder kennen”, sagte Roy sehr selbstsicher. “In der nichtmagischen Welt kennt jeder Fünfjährige die Zeichenfolge.”
“Wann wurde denn dieses Notsignal erstmalig als solches benutzt?” Wollte Professor Goldbridge wissen, um Roy von seinem hohen Sockel herunterzuholen. Doch Roy hatte keine Probleme mit der Antwort:
“Das war in der Nacht vom vierzehnten zum fünfzehnten April neunzehnhundertzwölf, als das Luxuspassagierschiff “Titanic” nach vorbeischrammen an einem Eisberg zu sinken begann. Hat den meisten Passagieren leider nichts geholfen, weil die Schiffe, die den Notruf hörten, mehrere Stunden brauchten um hinzukommen und das Schiff, das am nächsten dran war, zu dem Zeitpunkt die Funkanlage ausgeschaltet hatte. Das habe ich gelernt, weil mein Dad ja in der zivilen Seefahrt tätig war, bis ihn – bis ihn dieser Schweinehund Voldemort und seine Nachläufer einfach so umgebracht haben.” Die letzten Worte sprach Roy mit tiefer Verbitterung in Gesicht und Stimme. Die meisten Schüler im Klassenraum zuckten zusammen, weil er den Namen des bösen Hexenmeisters laut aussprach.
“Ja, aber den restlichen Morsekram brauchen wir in der Zaubererwelt doch gar nicht”, sagte Bruster. “Da können wir Eulen mit Briefen verschicken und Funken verschiedener Farbe losschicken oder Lichtstrahlen oder Töne.”
“Ja, und der Notrufzauber ist wohl ähnlich wie das SOS-Zeichen”, wußte Aurora noch. Da konnte Roy nichts gegen einwänden. Immerhin hatte seine Schwester Erica ihm ja auch schon erklärt, wie einfach aber wirkungsvoll der Notrufzauber war. Da konnte man innerhalb einer halben Minute Hilfe bekommen, wenn man wirklich in Not war.
“Weshalb Madame Pomfrey ja vor Jahren schon eine Eingabe an Professor Dumbledore und die Ausbildungsabteilung gemacht hat, er solle bereits in der ersten Klasse unterrichtet werden”, sagte Professor Goldbridge. “Aber darüber unterhalten Sie sich bitte mit Professor Flitwick.”
“Eben, diesen Morsekram braucht keiner aus der Zaubererwelt”, warf Loren Tormentus ein. “Aber interessant ist es schon, wie die Muggel sich auf so eine einfache Verschlüsselung verständigt haben.”
“Nun, Mr. Fielding, da ich feststellen muß, Ihnen in diesem Teil des Unterrichts wohl keine nennenswerte Neuigkeit bieten zu können, wären Sie dann so freundlich, ein für uns alle hier verständliches Referat über die Einsatzmöglichkeiten des Morse-Codes zu halten?” Fragte der Muggelkundelehrer. Roy nickte und versprach, in der nächsten Stunde eine auch für reinblütige Zauberer klar verständliche Zusammenfassung vorzutragen.
In Zauberkunst waren sie alle noch mit den Schall-und Lichtbeeinflussungszaubern zu Gange, wie den Raumerleuchtungszauber Amplumina, der Sonnenlichtkugel, die große Flächen unter einer körperlosen Lichtkugel erhellen ließ oder Zaubern wie Sonorus, der einem eine große Räume ausfüllende Stimmgewalt verlieh oder Vociferus-Zauber, der die eigenen Wörter über Kilometer weit in eine bestimmte Richtung tragen konnte, allerdings nur in einem Winkel von wenigen Grad, besser als jedes Megaphon.
“Wieso, Professor Flitwick, benutzen unsere Stadionsprecher dann nicht den Sonorus-Zauber?” Fragte Mortimer Swift einmal, als es ihm mehrmals gelungen war, den Staub im Raum durch magisch verstärkte Stimme von der Decke rieseln zu lassen.
“Nun, das stammt noch aus einer Zeit, wo der Sonorus-Zauber seine Tücken hatte und gerade ungeübte Zauberer Probleme mit ihm hatten. Außerdem ist ein Megaphon insofern praktischer, da man es absetzen kann, wenn man kurz mit jemandem neben sich sprechen möchte. Allerdings, so ist mir bekannt, wird Sonorus in Beauxbatons, Greifennest und Thorntails verwendet. Bei uns sind die Kommentare per Megaphon seit über zwei Jahrhunderten Tradition.”
“Verstehe”, sagte Mortimer.
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Der Mai begann mit Regen und Frühlingsstürmen. Die Schüler waren froh, wenn sie nicht im Freien herumlaufen mußten und daß die Quidditch-Saison nun vorbei war. Als das zweite Maiwochenende anrückte, bemerkte Aurora die innere Anspannung bei Lissy Wright. Sie wurde unausstehlich, wenn man ihr länger als fünf Sekunden zu nahe kam. Ihre drei Klassenkameradinnen hielten sich schön von ihr fern und beließen es dabei, hinter ihrem Rücken zu tuscheln. Sicher war es in der ganzen Schule herum, daß Lissys Eltern zusammen mit der achso berühmten Großmutter aus Amerika herkommen wollten, um zu schauen, was ihre achso überragende Tochter und Enkelin so anstellte.
Aurora kümmerte sich nicht sonderlich um Lissy, selbst wenn diese ihr zwischendurch immer einen verächtlichen Blick zuwarf. Sie hatte mit ihren Prüfungsvorbereitungen genug am Hut und gab im Moment nichts auf die Meinung jüngerer Schulmädchen. Sie ärgerte sich nur, weil Bernhard Hawkins nach dem Quidditchfinale vollkommen gegen sie eingenommen war. Wenn eine Vertrauensschülerkonferenz stattfand, sah er sie immer abfällig von der Seite an oder meinte, ihre Einwände oder Fragen lächerlich reden zu müssen. Einmal hatte Eunice ihn darauf hingewiesen, daß er noch zwei Monate hier war und sich gefälligst anständig benehmen sollte. Darauf hatte er nur gesagt:
“Ich geh doch eh nach Amerika.”
Als dann der zweite Samstag im Mai anbrach, diesmal mit klarem Himmel und der Aussicht auf einen schönen Tag, beschloss Aurora für sich, möglichst weit vom Schloß entfernt zu sein. So nahm sie nach dem Frühstück den Nimbus 1500 und flog über die Ländereien dahin, überquerte sogar den verbotenen Wald und zog einige Bahnen über dem großen See. So um zehn Uhr landete sie in einem der kleineren Parks, wo sie sich mit einem Buch über Zauberkunst die Zeit nutzvoll vertreiben wollte.
Sie saß, den guten Besen quer über die Bank auf der sie saß gelegt, im Schein der Morgensonne und genoss ihre wärmenden Strahlen, den Duft der blühenden Büsche und Bäume und das Zwitschern der Vögel und das Summen der Bienen, die um sie herum nach Nektar suchten. Sie war gerade bei dem Kapitel über den Gleichwärmezauber angelangt, als das Schwirren durch Reisigbündel strömenden Flugwindes über ihr erklang. Sie hob den Kopf und sah drei Besen anfliegen, zwei Wolkenreiter 2 und einen Besen, den sie nicht kannte dahinter. Auf einem der Wolkenreiter saß eine Hexe im meergrünen Umhang mit sonnengelbem Hut. Auf dem anderen ritt ein Zauberer in samtbraunem Umhang mit schwarzem Bowler. Der Aurora unbekannte Besen trug eine Hexe fortgeschrittenen Alters, die ziemlich untersetzt gebaut war und ein himmelblaues, wallendes Kleid trug. Auf dem Kopf mit dem weißblonden Schopf thronte ein schneeweißer kleiner Spitzhut. Aurora sah kurz die Brille der älteren Hexe im Sonnenlicht aufblitzen. Dann glitten die Besen bereits in der Nähe des Hauptportals zu Boden. Das waren also Lissys Besucher. Aurora nahm es zur Kenntnis und vertiefte sich wieder in die Beschreibung des Gleichwärmezaubers, mit dem Behälter ihren Inhalt auf gleicher Temperatur halten konnten.
Etwa um zwölf Uhr herum hatte sie alles gelesen, was den Zauber betraf und noch einiges mehr über flammenlose Erhitzungs-und Abkühlungszauber, die sie zwar schon in der zweiten Klasse gelernt hatte, die aber in der Wiederholung sicherlich drankommen würden. Sie klappte das Buch zu, flog auf ihrem Besen hinüber zum Schloß und brachte den Nimbus in ihren Schlafsaal. Dort erwartete sie Petula Woodlane.
“Hast du die Wrights gesehen, Aurora. Er sieht ja ziemlich klein mit Hut aus, wenn die gewichtige Dame hinter ihm herläuft”, grinste Auroras Schulfreundin.
“Mag sein. Ich habe mich draußen noch mal über die Wärmebeeinflussungszauber schlaugelesen. Mir ist es jetzt egal, was mit Lissy geklärt wird.”
“Dein Ex läuft ja ganz aufgeregt herum, weil er die Leiterin von Thorntails keine fünf Meter an sich vorbeigehen sah, hat mir Isis vor einer Stunde erzählt. Na ja, mit uns hat das ja dann nichts zu tun, denke ich mal. Oder glaubst du, die große Ernestine Wright will dich wegen Lissys blödem Verhalten noch einmal genauer befragen?”
“Ich hoffe es nicht. Nachdem ich die Sache angeleiert habe, ist es mir recht, wenn die mich da raushalten”, gestand Aurora ein. Dann ging sie mit Petula hinunter in die große Halle.
Lissy Wright machte einen ziemlich zerknirschten Eindruck, als sie sie am Ravenclaw-Tisch weit fort von den Swift-Drillingen sitzen sehen konnten. Als sie Aurora einmal ansah funkelte sie diese an, als habe die ihr eine saftige Strafe eingebrockt.
Nach dem Mittagessen wollten Aurora und Dina ihren Klassenkameraden noch bei der Wiederholung der Zaubertrankübungen helfen. Dazu setzten sie sich in ihren Außenumhängen in den westlichen Park und besprachen die Sachen, die in den letzten vier Jahren erwähnt und im Unterricht ausprobiert worden waren. Es war wohl so um drei Uhr, als ein merkwürdig geisterhaft aussehender Vogel, der aus silberweißem Licht zu bestehen schien, heranflog und sich vor Aurora Dawn auf den runden Tisch setzte.
“Heh, was ist denn das für ein Vogel?” Fragte Roy Fielding, der sich gerade von Dina die Zubereitung von Träumgut-Tee erklären ließ.
“Professor Dumbledore möchte dich in seinem Büro sehen, Aurora”, flötete der Vogel glockenhell. Aurora Dawn zuckte die Achseln und sah das Tierwesen aus reinem Licht kritisch an.
“Was möchte Professor Dumbledore von mir?” Fragte Aurora Dawn leicht mißmutig.
“Professor Dumbledore möchte dich in seinem Büro sehen, Aurora”, wiederholte der Lichtvogel unbeeindruckt von der Frage.
“Wahrscheinlich will Lissys Oma dich noch mal verhören, was dir denn einfiel, ihre Enkelin so dumm zu reden”, feixte Bruster Wiffle.
“Ach ja?” Stieß Aurora Dawn aus. Doch sie verstand, daß sie eh keine andere Wahl hatte. Wo immer dieser Vogel hergekommen sein mochte, er hatte ihr eine Botschaft von Dumbledore überbracht, und es wäre unklug, nicht darauf einzugehen. So verabschiedete sie sich von ihren Klassenkameraden und folgte dem Vogelwesen aus silbernem Licht, das sie erst zum Schloß führte, um dann im Hui einen Gang entlang zu fliegen und dabei wie Nebel zu zerfließen.
“Den Zauber lerne ich noch, um Dad zu beeindrucken”, dachte sich Aurora und suchte die Wasserspeier auf, die die Tür zu Dumbledores Turm bewachten.
“Kribbels Kekse”, sagte sie und wartete, bis der Wasserspeier in ihrer Nähe zur Seite sprang und den Weg zur Wendeltreppe freigab. Mit etwas mulmigem Gefühl in Magen stieg sie die gewundene Treppe hinauf bis vor die Tür zur runden Turmkammer, Dumbledores Sprechzimmer. Von weiter oben hörte sie bereits den Schulleiter, Lissy Wright und jene Hexe, die sie einmal in Flitwicks Kaminfeuer gesehen hatte. Als sie dann vor der Tür war, hörte sie von unten jemanden die Stufen hinaufhetzen.
“Sie ist da, Albus”, hörte Aurora die ältere Hexe halblaut sagen.
“A ja”, sagte Dumbledore. “Aurora, kommst du bitte herein?”
Aurora betrat das kreisrunde Zimmer mit seinen vielen glitzernden und schnarrenden Gerätschaften, den Portraits früherer Schulleiter an der umlaufenden Wand und den großen, die Maisonne einlassenden Fenstern. Der Schulleiter blickte an ihr vorbei und erkannte einen halbwüchsigen Jungen mit braunem Haar.
“Bernhard, du bist zu früh dran. Komm bitte in einer Viertelstunde noch einmal wieder!” Sagte Dumbledore, als der leicht gehetzt wirkende Junge die oberste Stufe der Treppe erreicht hatte.
“‘tschuldigung, Professor Dumbledore. Aber Professor McGonagall hat mir ausgerichtet, daß ich herkommen soll.”
“Nun, das war ein wenig verfrüht. Professor McGonagall ging davon aus, daß wir deine Angelegenheiten jetzt schon besprechen sollen. Aber Professor Wright hat mich gebeten, die eigentlichen Angelegenheiten ihres Hierseins noch genau abzuschließen, bevor sie sich mit dir unterhalten möchte.”
“Ist gut, Professor Dumbledore”, knurrte Bernhard und eilte die Wendeltreppe abwärts davon.
“Verzeihung, Ernestine. Offenbar wollte meine Kollegin Ihnen unnötige Wartereien ersparen”, sagte der Direktor von Hogwarts zu jener fülligen Dame im himmelblauen Kleid. Aurora stand ruhig im Zimmer, während sich die Tür wieder schloß. Lissy Wright hockte angespannt auf einem Stuhl und hatte ihre Hände am Tischrand fest verkrampft, als wolle sie verhindern, damit unbedachte Bewegungen oder Gesten zu machen.
“Setz dich bitte hier her, Aurora!” Forderte Professor Dumbledore die Vertrauensschülerin auf und wies ihr mit einer sachten Armbewegung einen Stuhl an. Sie nahm Platz und wartete, was passierte.
“Meine respektable Amtskollegin Professor Dr. Ernestine Wright haben Sie einmal flüchtig sehen können, hat sie mir mitgeteilt. Daher brauche ich Sie einander nicht weiter vorzustellen. Sie möchte von Ihnen noch einiges mehr wissen, was den außerschulischen Umgang ihrer Enkeltochter Elizabeth betrifft”, begann Dumbledore. Lissy sah Aurora mit einem drohenden Blick an der “Sag bloß nix falsches!” zu sagen schien. Doch Aurora lächelte die ehrwürdige Hexe aus Amerika an.
“Nun, Ms. Dawn, Sie waren nicht die Erste, die sich in einem Brief direkt an mich darüber beklagte, daß meine Enkeltochter sich ihren Mitschülern gegenüber sehr unkameradschaftlich aufführe”, sprach Professor Wright ruhig und keineswegs streng oder unerbittlich. “Was hat Sie nach Ihrer früheren Mitschülerin Amalia Hopfkirch veranlaßt, sich noch einmal an mich zu wenden, wo ich doch sehr weit fort bin und eine Vielzahl von Aufgaben zu bewältigen habe?”
“Nun, Professor Wright”, begann Aurora Dawn, die sich jetzt, wo es klar war, daß man ihre Meinung hören wollte, sehr gut zusammennahm und ihre innere Ruhe behielt, “Das geht ja leider nicht erst seit diesem Jahr so. Ja, Lissy, es ist leider so, daß ich es nicht erst als Vertrauensschülerin mitbekommen habe, daß du sehr überheblich und unkameradschaftlich bist, vor allem zu deinen Klassenkameradinnen aus Hufflepuff und eben den Swift-Geschwistern”, sagte sie dann mit kurzem Blick auf Lissy, bevor sie Professor Wright in die bebrillten Augen blickte und erzählte, was sie am Verhalten von Lissy so störte und weshalb sie ihr einmal sogar eine Strafarbeit aufhalsen mußte. Merkwürdigerweise hatte Aurora dabei das Gefühl, als sähe sie die Bilder und höre die Geräusche, die mit den von ihr geschilderten Sachen zusammenhingen. Dumbledore meinte einmal:
“Ernestine, ich glaube, derartig detailgenau müssen Sie es nicht ergründen, was Ms. Dawn Ihnen erzählt.”
“Oh, entschuldigung, Dumbledore. Macht des Mißtrauens”, sagte Professor Wright an den Ohren errötend. Dann bat sie Aurora, weiterzusprechen. Diese erzählte weiter, was Lissy alles getan hatte, was über eine normale Überlegenheit anderen Schülern gegenüber hinausging. Dann wollte Professor Wright wissen, ob ihre Enkeltochter ihre Klassenkameradinnen wirklich als Nichtskönner bezeichnet habe. Aurora hatte dies bisher mit keinem Wort erwähnt, auch nicht im Brief. Doch sie mußte nicken. Lissy spannte sich an, als wolle sie gleich auf die Vertrauensschülerin losgehen. Das war offenbar ein Wort zu viel.
“Aha, also doch. Du mußt wissen, Kind, daß mir das auch schon Professor McGonagall, Professor Sprout und dieser Snape so erzählt haben.”
“Bitte, Ernestine, Professor Snape”, korrigierte Dumbledore die Amtskollegin verhalten.
“Ich wollte das nur noch mal von einer Mitschülerin aus höheren Jahrgangsstufen hören, ob daran mehr ist als das was im Unterricht läuft. Bekanntlich bekommen ja die Lehrer von den zwischenkameradschaftlichen Verhältnissen nicht alles mit. Jetzt möchte ich von dir gerne wissen, was du meiner Enkelin empfehlen würdest, wenn du noch größere Kompetenzne erhieltest als sie dir ohnehin schon zugestanden wurden?”
“Das was ich ihr schon gesagt habe, Professor Wright”, sagte Aurora. “Sie käme ganz bestimmt gut mit allen aus, wenn sie die nicht als ihren eigenen Klotz am Bein ansehen und entsprechend grob abfertigen würde. Wir sind hier doch alle Schüler. Wir sind zum Lernen hier und damit alle irgendwie gleich, von den Altersunterschieden abgesehen. Ich kann also nicht mehr sagen als das, was ich ihr immer schon gesagt habe, Professor Wright.”
Die Angesprochene nickte bestätigend und wandte sich dann Lissy Wright zu.
“Ich habe es dir damals persönlich gesagt, als klar war, daß dein Vater dich lieber in Hogwarts haben will, damit deine Mom nicht ihren Freundes-und Bekanntenkreis aufgeben muß, daß ich keine Klagen von irgendwem hören möchte. Der Umstand, daß ich sehr viel wichtigere Dinge um die Ohren habe als mich mit deinen Prinzessinnenlaunen zu befassen, hat dich bis heute hier belassen. Aber ich werde das wohl noch einmal mit deinen Eltern bereden müssen, ob du hier wirklich gut untergebracht bist und andere sich mit dir irgendwie herumplagen müssen, mehr als mit jedem anderen Schüler.”
“Gran, es ist doch nicht so, wie die da es erzählt”, versetzte Lissy und zeigte mit dem Finger auf Aurora. Diese grinste. Das war jetzt nicht gerade intelligent von Lissy gewesen.
“Und ob das stimmt, was Ms. Dawn gerade erzählt hat, Mädchen. Du weißt genau, daß ich zwischen Lüge und Wahrheit unterscheiden kann und auch, daß sie nicht die einzige ist, die sich so über dich geäußert hat.” Aurora wollte gerade was einwerfen, daß ja niemand Lissy loswerden wolle. Doch Dumbledore schien das zu spüren und legte ihr sacht die Hand auf eine Schulter. Sie schluckte was sie sagen wollte.
“Die legen hier nicht eure Maßstäbe an, Gran”, fauchte Lissy. “Wenn du wüßtest, wie rückständig gerade die Drillinge sind und …”
“Ist gut Lissy. mehr mußt du mir nicht erzählen. Das klären wir alles später. Albus, ich bedanke mich, daß Sie das Mädchen hergebeten haben. Es war sehr erhellend”, sagte sie, Dumbledore anblickend und fügte Aurora zugewandt hinzu: “Ich danke dir, Aurora, daß du etwas von der wertvollen Freizeit geopfert hast, um mir das noch einmal genau zu erzählen. Wenn du möchtest kannst du nun gehen.”
Aurora verstand es so, daß sie hier nicht mehr erwünscht war und verabschiedete sich von Professor Dumbledore, Professor Wright und Lissy. Diese funkelte sie zwar noch einmal wütend an, verkniff sich aber jeden weiteren Kommentar.
Aurora verließ das Turmzimmer. Schnell stieg sie die Treppe hinunter und verließ das Reich des Schulleiters. vor der Tür warteten die Wrights neben Bernhard Hawkins. Dieser fragte Aurora, ob das Verhör jetzt vorbei sei, was sie nur mit einem Nicken beantwortete und wortlos weiterging, ohne die Eltern Lissys näher zu begrüßen. Sie kehrte zurück zu ihren Klassenkameraden, die wissen wollten, was Aurora erlebt hatte.
“Ach, und du hast der großen Dame aus Thorntails alles aufs Brot geschmiert, was ihre Enkelgöre hier anstellt?” Wollte Bruster wissen. Aurora sagte:
“Ich habe nur das gesagt, was ich für sachlich genug hielt, ohne jetzt zu persönlich werden zu wollen. Aber irgendwie hatte ich das Gefühl, was ich erzählte hat bei mir die Erinnerungen an die damit zusammenhängenden Sachen wachgekitzelt, als wenn es erst gestern passiert wäre.”
“Du hast der Frau dabei in die Augen gesehen?” Fragte Bruster merkwürdig angespannt.
“Ja, natürlich, damit die nicht dachte, ich würde ihr was vorschwindeln”, sagte Aurora.
“Den Eindruck hat sie dann wohl auch nicht von dir bekommen oder?” Fragte Bruster.
“Zumindest hat sie mich nicht dumm angemacht, was mir einfiele, Lissy so schlecht zu reden”, erwiderte Aurora. “Dumbledore hat ihr nur einmal gesagt, sie müsse ja nicht alles im Detail wissen, was Lissy angestellt hat.”
“Aja”, grummelte Bruster Wiffle. “Der hat es also gemerkt.”
“Was soll er gemerkt haben?” Wollte Petula wissen.
“Das die gute Ernestine Wright mehr drauf hat als nur das, was ihr den Job in den Staaten eingebracht hat”, sagte Bruster.
“Du meinst, sie wollte meine Gedanken lesen oder sowas?” Fragte Aurora und erschauerte. Genau den Eindruck hatte sie ja gehabt, als sie Professor Wrights Kopf in Flitwicks Kamin hocken gesehen hatte.
“Wäre das nicht böse Zauberei, wenn die sowas machen würde?” Fragte Roy.
“Wenn sie es wirklich kann dann sollte sie das besser wissen als ich”, geheimniskrämerte Bruster. Roy meinte dazu:
“Unheimlich wär’s schon, wenn die jemanden ankuckt und alles sieht, was jemand denkt oder fühlt. Soll dieser Bastard Voldemort nicht auch sowas gekonnt haben?”
“Nenn ihn doch nicht beim Namen!” fauchte Dina verärgert.
“Erstens, meine Eltern sind schon tot, weil er meinte, die einfach abmurksen zu müssen, Dina. Zweitens ist der selber Geschichte, weil er diesen Harry Potter nicht umbringen konnte. Da kann ich den Mistkerl bei jedem Namen nennen, den der sich mal zugelegt hat”, schnaubte Roy sehr zornig. Das Getue um die Unterdrückung des Namens, den der Mörder seiner Eltern besaß nervte ihn tierisch an.
“Leute, am besten machen wir mit dem Kram weiter, den wir noch nicht durchgekaut haben”, sagte Aurora, der das ganze zu lästig wurde. Sicher, wenn Professor Wright ihre Gedanken lesen konnte betraf sie das schon. Doch ändern konnte sie jetzt auch nichts mehr dran.
Bis zum Abendessen kamen sie zu den Zaubertränken, die sie im vierten Jahr hatten. Gemeinsam gingen sie in die große Halle.
Lissy Wright starrte verdrossen ihren Teller an. Sie mied die Blicke jeder Person hier in der Halle. Aurora vermeinte, einen brodelnden Zorn in der Drittklässlerin zu erkennen. Bruster flüsterte ihr mal zu:
“Am besten sicherst du deinen Besen und alles andere was dir wichtig ist.”
“Wenn die sich an Sachen von mir vergreift fliegt die von der Schule”, flüsterte Aurora.
Mortimers Schwestern machten sich einen Spaß daraus, Lissy mit Fragen zu löchern, ob sie von ihrer Großmutter eine Tracht Prügel bekommen oder sonst wie bestraft worden sei. Da Lissy beharrlich schwieg, tönten Ramona, Rita und Roxanne weiter, daß man sie bestimmt eine Klasse zurückstufen würde, weil sie sich unfair anderen gegenüber verhalten würde. Aurora knirschte mit den Zähnen. Sie wollte es nicht, aber sie mußte es tun. Sie wandte sich an die Drillinge und sagte laut:
“Ihr drei habt keinen Grund, Lissy jetzt noch dumm zu kommen. Was immer zwischen ihr und ihren Verwandten bequatscht wurde, geht nur sie was an. Wenn’s was für uns alle wichtiges gibt, krigen wir das früh genug mit. Also hört bitte auf, auf ihr rumzuhacken, nur weil ihr findet, daß sie lange genug auf euch rumgehackt hat! Ihr seid dadurch nicht besser als sie.”
“Das war jetzt absolut unnötig”, knurrte Lissy, während die Drillinge Aurora verdrossen ansahen.
“Fand ich nicht”, herrschte Aurora Lissy an. “Das war jetzt doch nötig”, bekräftigte sie noch. Dann wandte sie sich wieder ihrem Hühnercurry zu.
Obwohl sie nicht dachte, daß Lissy sich an ihr oder ihren Sachen vergreifen würde, wandte sie doch den Diebstahlschutzzauber auf ihren Koffer an, den ihr ihre Großmutter Regan gezeigt hatte. Lissy war ziemlich früh in ihren Schlafsaal gegangen, längst vor den Swifts. Diese meinten zu Aurora, sie solle aufpassen, daß sich Elizabeth nicht doch noch umbrächte.
“Wißt ihr, Mädels, jetzt geht ihr mir richtig auf den Geist”, fauchte Aurora. “Ich halt doch nicht Händchen mit dieser überdrehten Göre, nur damit die sich nicht selbst umbringt. Wenn ihr wollt, daß sie lebt, dann paßt gefälligst selbst auf sie auf!”
“Ja, aber du bist die Vertrauensschülerin”, feixte Roxanne. Aurora lief wutrot an und sagte:
“Eben, und deshalb ziehe ich Ravenclaw deinetwegen mal eben fünf Punkte ab, wegen Respektlosigkeit. Damit hat sich’s. Nacht!” Sie kehrte den Mädchen den Rücken zu und Marschierte weit ausschreitend zu einem Tisch, wo Petula und Miriam Zauberkunstübungen machten. Um sich von dieser Sache mit Lissy abzulenken spielte sie mit den beiden die einfacheren Zauberkunststücke durch, wie laufende Teetassen oder fliegende Untertassen. Miriam zauberte mehrmals jenen widerlichen grünen Schleim, der nicht so leicht abzuwischen war, um den Ratzeputz-Zauber zu proben.
Irgendwann um zwölf waren alle Ravenclaws in ihren Schlafsälen. Aurora dachte, daß sie bis zu den ZAGs bloß nicht mit weiteren Angelegenheiten irgendwelcher Schüler zu tun haben wollte.
__________
Eine Woche verstrich mit der üblichen harten Tretmühle. Dann, am Freitag Nachmittag, hingen im Ravenclaw-Gemeinschaftsraum mehrere Mitteilungen am schwarzen Brett aus. Es waren vordringlich Arbeitsangebote von Firmen der Zaubererwelt, Aufrufe für Stellen im Ministerium und Angaben über Grundvoraussetzungen für weitere Studien nach der Schule. Roy trat neben Aurora und sah die Aushänge an.
“Heiß, für die Arbeit im Büro für muggeltaugliche Entschuldigungen brauchen die Zauberkunst, Muggelkunde und Pflege magischer Geschöpfe, wahlweise noch Verteidigung gegen die dunklen Künste und Verwandlung. Könnte mir zusagen.”
“Dann könntest du in der Muggelwelt leben”, vermutete Aurora.
“Größten Teils wohl. Hui, Vampirjäger ist auch nicht schlecht, da wollen die Verteidigung gegen die dunklen Künste, Zauberkunst, Verwandlung und .. Mist! Zaubertränke! Ablage P.”
“Bitte was?” Lachte Aurora.
“Ablage P, Aurora. Den Spruch kennst du nicht? P wie Papierkorb.”
“Wegen Zaubertränke?” Fragte Aurora unschuldsvoll klingend.
“Wegen Snape”, zischte Roy. “Der sieht mich nach den ZAGs nicht noch zwei Jahre länger in seinem muffigen Kerker.
“Tja, aber die wollen bei vielen Sachen Zaubertränke”, sagte Aurora und deutete auf verschiedene Berufsangebote.
“Eh, hier der geht gut. Mitarbeiter bei den Kometwerken gesucht! Erwünschte Abschlüsse: Zauberkunst ohne Gleichen, Arithmantik und Pflege magischer Geschöpfe. Oh, dann wollen die noch haben, daß du mindestens eintausend Flugstunden auf einem guten Rennbesen nachweisen kannst. Gut, das ist ja bei Piloten von Flugzeugen auch wichtig, daß die gut ausgebildet sind.”
“Wie wollen die das haben, daß du die tausend Flugstunden nachweist?” Fragte Aurora Dawn.
“Moment, steht hier drunter”, sagte Roy und deutete auf einen kleingedruckten blauen Schriftzug. “Bitte stimmen Sie sich der Flugstunden wegen mit Ihrem Hauslehrer und dem Fachlehrer für Besenflug und Quidditch ab, ob die bisher ermittelbaren Besenflugzeiten auf das Stundenkonto angerechnet werden können und wie Sie die erforderliche Stundenzahl vervollständigen können!”
“Tja, Roy, da mußt du wohl im nächsten Jahr in die Mannschaft und nebenbei noch viel fliegen”, grinste Aurora. “Aber für die hundert Galleonen die Woche wäre es das wert.”
“Ich gehe sowieso bei meinem Dad in die Lehre”, sagte Mortimer. Roy erbleichte und hielt sich kurz die Hände vor die Augen. Mortimer hatte ihm wohl damit heftig wehgetan. “Hier, Aurora und Roy, Experten für den Umgang wildlebender Zaubertiere gesucht! Voraussetzungen Ohne Gleichen in den Fächern Pflege Magischer Geschöpfe, Zauberkunst und Verteidigung gegen die dunklen Künste. Zusätzlich sollten Sie über genügend Kenntnisse zur Erkennung und neutralisation tierischer Giftstoffe das Fach Zaubertränke belegen. Mist! Muß ich halt durch.”
“Du bist ja auch Reinblüter”, fauchte Roy. “Gegen sowas wie dich hat Hakennase Snape ja nix”, schnaubte Roy.
“Nur mit dem Unterschied, daß ich schon bei der Bitterling ziemlich heftig gestrampelt habe, um überhaupt eine mittelprächtige Note zu kriegen und Snape mir dieses Fach ziemlich vermiest hat. Okay, kläre ich mit Dad, wenn die ZAGs durch sind.”
“Was machst du denn nach Hogwarts, Aurora? Willst du dich weiter mit Kräuterkunde befassen oder echt in diese Heilerausbildung rein?” Fragte Roy nach kurzem Zögern und deutete auf ein Berufsangebot von ST. Mungo, das das Wappen eines über einem Knochen gekreuzten Zauberstabes trug.
“Sieht jedenfalls sehr interessant aus. Fast alles, was wir bisher schon hatten, außer die Fächer, die wir ab der dritten hatten, Astronomie und Zaubereigeschichte”, sagte Aurora und wies auf die Liste.
“Aber hallo, die wollen da Ohne Gleichen in Zaubertränken, Zauberkunst, Verteidigung gegen die dunklen Künste und ein Erwartungen übertroffen in Verwandlung und Kräuterkunde.”
“Tja, werde ich wohl mit arbeiten müssen”, sagte Aurora Dawn schwerfällig. “Aber ist schon klar, daß jemand, der heilen soll auch fähig dazu sein muß. Oder willst du dir von jemandem helfen lassen, der in den wichtigen Fächern ‘ne Niete ist?”
“Da steht auch noch was von “Apparieren Pflicht” und “Besenflug mit Sozius erwünscht””, ergänzte Roy.
“Den Soziusflug kann ich hier in Hogwarts lernen. Das habe ich von meiner Mum erfahren”, sagte Aurora.
“Heh, ich geh nach Gringotts, sagte Bruster. “Die wollen keine Zaubertränke, sondern nur Zauberkunst, Arithmantik, Verteidigung gegen die dunklen Künste und eine bestandene Apparierprüfung.”
“Du willst für diese öden Kobolde schaffen, Bruster?” Fragte Mortimer. “Würde ich mir aber noch genau überlegen, noch dazu als Fluchbrecher. Nachher schicken die dich nach Ägypten in die Pyramiden rein oder in die Verliese der Vampirfürsten in Transsylvanien.”
“Dann komme ich wenigstens in der Welt rum”, sagte Bruster unerschüttert. “Außerdem kann ich bei denen auch als Bodenschatzprüfer anfangen.”
“Das ist das was Plinius Porter angefangen hat”, erinnerte sich Aurora.
Miriam kam noch an und begutachtete die Aushänge. Dann meinte sie:
“Okay, wenn ihr wißt, was ihr machen wollt klotzt mal ran. Ich fang im Laden meines Daddys an. Der will nur Zauberkunst und Buchhaltung, hat er mir in den Osterferien verraten. Dann werde ich wohl noch Verwandlung behalten und Pflege magischer Geschöpfe und alte Runen. Sprout ist zwar manchmal interessant, aber irgendwie doch zu anstrengend, um da wichtige Zeit für zu verbraten. Und Snape sieht auch mich nicht mehr in seinen Stunden. Wenn er das wollte, dann hat er halt gewonnen.”
So sprachen die Fünftklässler über die Berufsangebote, bis die Siebtklässler zu ihnen kamen und noch einmal nachprüfen wollten, ob sie sich auch wirklich die richtigen Fächer für ihre Laufbahn ausgesucht hatten.
“Jetzt noch kalte Füße kriegen ist voll uncool”, spottete Roy, als Tim Abrahams die Aushänge etwas verkniffen ansah.
“Ich weiß schon, daß ich mir das richtige ausgesucht habe. Vielleicht kann ich dich ja beraten, bevor Flitwick das macht. Immerhin weiß ich besser als der, wie unsere frühere Welt aussieht.”
“Soso. Warum nicht?” Sagte Roy und zog sich mit Tim an einen freien Tisch zurück. Aurora unterdrückte die Neugier, hinzuschleichen und sich anzuhören, was die beiden Jungen so aushandelten. Da aber Dina, die unverhohlen zu Roy hinübergegangen war, nach einer Minute wieder zurückkam, bereute sie nicht, sich zurückgehalten zu haben.
“Die quatschen über die Unterschiede in der Lebensweise in der Muggelwelt und hier, über sport in der Muggelwelt und da vor allem über Fußball, und daß ja dieses Jahr in Spanien sogar eine Weltmeisterschaft darin ist, was bestimmt heftig wird, wenn England gegen Argentinien spielt, wegen dieses Falklandkrieges”, sagte Dina gelangweilt und ließ sich gerne mit Aurora über ein Gespräch über Sachen aus der Hexenwoche ein, ob sie mit ihren Zauberstabproblemen einen bei Hexen gut angesehenen Beruf finden konnte und fragte Aurora, ob sie wirklich zu dieser Kräuterkundezusammenkunft hinfahren würde.
“Meine Eltern haben geschrieben, daß sie kein Problem damit haben. Immerhin haben sie mir ja dieses Buch von Babel und Polyglosse geschickt, wohl zum Geburtstag. Haben sich wohl um ein paar Tage vertan, oder die Eule war zu schnell hier”, sagte Aurora.
“Wie, welches Buch?” Fragte Dina.
“Ein Buch zum Französischlernen, Dina. Es spricht mit dir und zeigt dir dabei, wie die Wörter richtig geschrieben werden. Mum schreibt dabei, daß es einen Gedächtnisverstärker eingebaut hat, besser als der Kram, den die uns hier in Flaschen andrehen wollten. Allerdings ist der nur auf die Sprachlernübungen ausgelegt, also nur dafür, die Sprache zu lernen.”
“Wie schnell kannst du damit die Sprache lernen?” Wollte Dina wissen.
“Im Buch steht was von zwei Jahren Grundstudium. Dann kann man noch ergänzende Bücher dazunehmen, um Fachbegriffe und besondere Umfeldwortschätze zu erlernen, also wenn ich wirklich in die Heilkunst einsteigen will ein Buch über magische Heilkunst. Dann meinen die noch, man müsse mindestens ein Jahr die Sprache auch mit Muttersprachlern gesprochen haben. Ich denke, ich kucke mir das an, wie die da sind und entscheide mich danach, ob ich die Sprache richtig lerne, also ohne Wechselzungentrank.”
Dina Nickte. Eine Sprache zu lernen, ohne selbst dabei zaubern zu müssen, das konnte sie sich auch gut vorstellen.
“Dione Craft hat doch auch Französisch gelernt, weiß ich”, sagte Dina einmal. Sie meinte, wenn sie weit herumkommen wolle bräuchte sie mindestens noch zwei weitere Sprachen.”
“Die heißt doch jetzt Dione Porter”, berichtigte Aurora Dina. “Na klar, im Kosmetikgeschäft ist Französisch auch wichtiger als Englisch.”
“Hast du dir mal die Zeilen von Madame Dusoleil übersetzen lassen, von denen du Petula und mir erzählt hast?”
“Bisher noch nicht. Ich kenne hier keinen, der das machen kann außer Professor Sprout. Und die will ich nicht damit behelligen”, sagte Aurora. “Ich warte, bis ich zu Hause bin und lasse Dad das machen. Ein bißchen Französisch kann der ja.”
“Und wenn es was nur für Mädchen oder Frauen ist?” Fragte Dina.
“Dann kann er ja wegsehen”, scherzte Aurora.
Dina wunderte sich, wielange Roy und Tim zusammen sprachen. Sie stand auf und wandte sich dem Tisch zu. Aurora folgte ihr jetzt doch. Als sie in die Nähe kamen hörte sie Tim noch sagen:
“… im Juni, nach den Prüfungen.”
“Was soll da sein?” Fragte Dina rasch.
“Da geht’s mit der Fußball-WM los, Dina”, sagte Roy schnell.
“Soll die doch Argentinien gewinnen”, schnaubte Dina. Tim und Roy grummelten. Dann meinte Tim:
“Klar, wo wir denen auf den Falklands gerade eins draufgeben. Spätestens im Juni sind die Galtieri-Gangster runter von den Inseln.”
“Eh, das ist nicht komisch”, meinte Roy. “Immerhin krepieren da Leute von denen und von uns wegen dieser angeblich so strategisch wichtigen Eisinseln.”
“Von denen wohl mehr, weil die meinten, sich mit unzureichenden Sachen gegen unsere Marine auflehnen zu können. Dieser französische Ramsch, den die verwenden bringt nur was bei Zufallstreffern.”
“Was ja fast passiert wäre, Tim. Wollen wir nicht vergessen”, sagte Roy rasch. Offenbar hielt er sich über die Ereignisse in der Muggelwelt noch gut auf dem laufenden. Dina setzte wieder ein gelangweiltes Gesicht auf und kehrte zu dem Tisch zurück, wo sie bis vorhin noch mit Aurora gesessen hatte. Aurora kehrte auch wieder zurück und überließ die Jungen diesem Muggelgeplenkel.
“Wann gehst du zu Flitwick?” Fragte Petula, die sich die Aushänge noch einmal angesehen hatte.
“Kriegen wir wohl schriftlich”, sagte Aurora.
Tatsächlich bekam Aurora einen Tag später die schriftliche Einladung, einen Tag nach ihrem Geburtstag zu Professor Flitwick zu gehen. Vorher beriet sie sich mit Madame Pomfrey, ob diese ihr zu einer Karriere in der Heilkunst raten würde. Die Schulkrankenschwester sagte dazu nur:
“Wenn du wirklich bereit bist, jedem, egal wem, in allen Situationen zu helfen und keine Angst vor Gefahrensituationen hast, dann steht dem nichts im Weg. Wenn ich das richtig eingeschätzt habe bringst du zumindest ein gewisses Durchalte-und durchsetzungsvermögen mit und hast es bisher gut geschafft, ohne groß auf Autorität zu machen deinen Vertrauensschülerinnenpflichten nachzukommen.”
“Von Lissy mal abgesehen”, grummelte Aurora.
“Das war nicht anders machbar. Das ist ja auch wichtig, dann streng durchzugreifen, wenn es mit Vernunft nicht geht. Das kannst du auch von mir lernen, falls du dich wirklich darauf einläßt.”
“Darf ich das als Angebot werten?” Fragte Aurora Dawn.
“Ja, darfst du. Im Moment wüßte ich ja sonst keinen Schüler oberhalb der vierten Klasse, der sich auf die magische Heilkunde einlassen möchte. St. Mungo hat da ja auch sehr hohe Maßstäbe angesetzt. Aber man soll ruhig wissen, wie hart die Ausbildung ist. Dann gibt es auch kein Gejammer über die schweren Zeiten.”
“Muß man denn unbedingt ins St.-Mungo-Krankenhaus?” Fragte Aurora Dawn.
“Zumindest in ein magisches Heilzentrum, um die verschiedenen magischen und nichtmagischen Erkrankungen und die magischen Heilmethoden, Heilpflanzen und -tränke zu erlernen”, sagte Madame Pomfrey dazu.
Als Aurora einen Tag nach ihrem Geburtstag, den sie wie üblich mit Petula, Miriam und einigen anderen Klassenkameraden gefeiert hatte, am Nachmittag zu Professor Flitwick ins Büro ging, wußte sie, daß sie hier und heute ihre Zukunft in der Hand hatte. Sicher, Flitwick würde ihr nur raten, für welchen Beruf sie welche Fächer weitermachen mußte, aber in dem Moment war ihr klar, daß sie sich damit schon festlegte. Sicher, wenn sie wirklich in die Heilkunst einsteigen wollte, dann konnte sie mit den Fächern, die sie in den UTZ-Jahren dafür belegen mußte, auch immer noch andere Berufe ergreifen.
“Sie sehen so aus, Ms. Dawn, als wären Sie sich sicher, was Sie nach Ihrer Schulzeit machen wollen”, begrüßte der kleine Zauberkunstlehrer seine Schülerin. Er holte ein Tablett mit einer Kanne Tee, zwei Tassen, einem Milchkännchen und einer Schale mit Zuckerwürfeln aus dem Nichts und wartete, bis Aurora saß.
“Nun, ich habe mir drei Berufe überlegt, die ich sehr interessant finde”, sagte Aurora. “Entweder reine Kräuterkunde im Hinblick auf die Erforschung wilder Zauberpflanzen, oder ich gehe in die Zauberwesenforschung, wozu ich durch die Wesen aus Hogsmeade oder Professor Glaucos gekommen bin oder werde Heilerin oder Apothekerin, weil mir zumindest im Prinzip die Zaubertränke sehr gut gefallen und auch bis heute noch gut liegen. Ich habe mich dann nach vielen Überlegungen eher für die Heilkunst entschieden, weil sie mir einerseits sehr wichtig erscheint, viel gutes bewirkt und obendrein eine Menge an interessanten Forschungsgebieten bereithält. Je nachdem wie ich mit den ZAGs klarkomme, könnte ich mir sogar noch ein Nebenfach dazu vorstellen wie Zaubertierforschung oder eben doch Kräuterkunde, vielleicht sogar Muggelstudien.”
“Soso, sie möchten also in die magische Heilkunde eintreten”, sagte Flitwick. “Dann haben sie womöglich den Aushang studiert, den uns das St.-Mungo-Krankenhaus für jedes Haus zugeschickt hat?”
“Ja, habe ich”, erwiderte Aurora Dawn mit leichtem Nicken.
“Moment, damit ich das auch überschauen kann”, sagte Flitwick und kramte auf seinem Schreibtisch nach Broschüren und Aktenmappen. Dann hatte er das, was er gesucht hatte und las die Pergamentseiten. Er sah Aurora ernst an.
“Nun, Sie benötigen UTZs in Zauberkunst, Verwandlung, Verteidigung gegen die dunklen Künste, Kräuterkunde und Zaubertränke. In Zauberkunst und Verteidigung, sowie Zaubertränken möchten die Heiler in St. Mungo ein Ohne Gleichen haben, in Verwandlung und Kräuterkunde mindestens Erwartungen übertroffen. Was Zauberkunst angeht, so stehen Sie bei mir gerade auf “Erwartungen übertroffen”, müßten sich in den UTZ-Klassen da noch etwas steigern. Verwandlung, so sagt mir Professor McGonagall, läge ihnen gewiß besser, wenn sie was mit dem Fach anzufangen wüßten. Im Moment kann sie Ihnen guten Gewissens ein “Erwartungen übertroffen” atestieren, womit Sie Professor McGonagalls Leistungsanforderung für die UTZ-Klassen erfüllen. Allerdings heißt das für Sie, dann auch die ZAG-Note zu erreichen. Das gilt natürlich auch für mein Fach. In Kräuterkunde waren und sind Sie immer die Jahrgangsbeste gewesen. Professor Sprout sieht da keine Hindernisse, selbst wenn Sie in der Prüfung einen schlechten Tag erwischen sollten, daß Sie in ihrem Unterricht weiterhin überragende Leistungen zeigen werden. Außerdem sprechen wir ja hier von den UTZs, die sie letzthin schaffen müssen. Verteidigung gegen die dunklen Künste lag und liegt Ihnen sehr gut, hat professor Bitterling uns vor ihrem Abschied hinterlassen. Professor Glaucos bestätigt das unabhängig davon. Hmm, offenkundig hat die Umstellung auf einen neuen Kollegen im Fach Zaubertränke auch bei Ihnen eine gewisse Leistungsirritation bewirkt. Immerhin konnte Professor Bitterling Sie in den vier Jahren, die sie Sie unterrichtet hat, immer die Höchstnote aussprechen und empfiehlt Ihnen sogar, einen auf Zaubertränke basierenden Lebensweg einzuschlagen, was ich als sehr hohes Lob empfinde, daß ich bei ihrer Jahrgangsstufe nur noch über einen ihrer Mitschüler habe lesen dürfen. Allerdings schreibt Professor Snape in einer Beurteilung, daß Sie offenbar zu selbstsicher seien und sich in unerwarteten Situationen schwerrtäten, die Lage zu meistern. Daher würde er sie bei einer ZAG-Benotung gerade auf “Erwartungen übertroffen” einstufen. Er räumt jedoch ein, daß jeder, der in den ZAG-Prüfungen ein Ohne Gleichen schafft, beweise, daß er oder sie zumindest die Chance bekommen sollte, in seinen UTZ-Klassen zu lernen. Nun, da Professor Snape noch sehr neu hier ist und auch sehr jung, bin ich geneigt, Professor Bitterlings Urteil höher zu gewichten, da sie nicht nur Länger mit Ihnen zu tun hatte, sondern auch die wesentlich höhere Erfahrung als Lehrkraft aufweist.” Aurora hörte es heraus, daß Professor Flitwick Snape an und für sich nicht für fähig hielt, anständig mit Schülern umzugehen. Doch nickte ihm nur wortlos zu.
“Nun, um jetzt noch bestehende Mängel im Unterricht auszugleichen ist es etwas zu spät. Das lag daran, daß dieses Jahr die allgemeinen Beratungstermine erst so spät vergeben werden konnten. Aber ich gehe davon aus, wenn Sie diesen Weg machen wollen, werden Sie auch die entsprechenden Leistungen bringen”, sagte Professor Flitwick aufmunternd. Aurora nickte abermals und verabschiedete sich von ihrem Hauslehrer.
Draußen auf dem Gang stand Roy Fielding.
“Oh, das ging aber schnell bei dir”, sagte er. “Du warst ja gerade erst aus der Klasse raus. Dann wollen wir mal”, sagte er mit einem Gesichtsausdruck, als wisse er überhaupt nicht, was er hier machen solle.
Aurora kehrte in den Gemeinschaftsraum zurück und sprach mit ihren Klassenkameradinnen, über das, was Flitwick mit ihr besprochen hatte. Dina grinste, als Aurora ihr das mit der Empfehlung von Bitterling erzählte.
“Interessant, dann meinte Flitwick uns beide. Weil mir hat er gesagt, daß Bitterling mich dringend darauf hinweist, eher was in Zaubertrankbraukunst zu tun als in einem Zweig, wo Verteidigung gegen die dunklen Künste wichtig sei und daß sie eine Empfehlung in Zaubertränken noch einem einzigen Mitschüler aus der Jahrgangsstufe ausgestellt habe. Na ja, daß Snape mich runtergezogen hat ist ihm auch irgendwie nicht so wichtig gewesen. Ich werde dann wohl bei Zaubertränken und Kräuterkunde mit dir in der Klasse sein. Dannn werde ich wohl noch Zauberkunst nehmen und Muggelkunde und alte Runen behalten. Vielleicht gehe ich dann ins Archiv für magische Erkenntnisse. Ist auch ein wichtiger Beruf.”
“Weißt du, was Roy genau machen will?” Fragte Petula Dina zugewandt.
“Jedenfalls was ohne Zaubertränke. Er sagte was, er könne sich für diese Abteilung für muggeltaugliche Entschuldigungen erwärmen. Da käme er wohl gut unter.”
“Tja, den Job im Ministerium bei der Abteilung zur Führung und Aufsicht magischer Geschöpfe krige ich nur, wenn meine UTZs in Zauberkunst, Pflege magischer Geschöpfe und Verwandlung ganz oben sind”, eröffnete Petula. “Dann werde ich mir noch Schlafgespenst Binns antun müssen, weil die in der Abteilung theoretische Kenntnisse über Entstehung und Erscheinen von Zauberwesen in der Vergangenheit erwarten.”
“Weißt du denn jetzt, ob du in die Tier-oder Zauberwesenabteilung reinwillst?” Fragte Aurora. Petula überlegte noch, ob sie mit magischen Tieren wie Einhörnern, Knieseln oder Harmonovons oder mit Zauberwesen wie Kobolden, Hauselfen, Sabberhexen oder Zwergen zu tun haben wollte.
“Ich denke, nach den Prüfungen wissen wir, welche Fächer wir getrost in den Müll werfen können”, meinte Miriam. Sie war sich ja sicher, bei Dervish & Banges reinzukommen. Kontakte waren eben alles.
__________
die Prüfer traten am Morgen des ersten Juni in die Große Halle ein. Aurora hatte es zwar mitbekommen, wie sie einen Tag zuvor angekommen waren, doch sie würde sie eh früh genug sehen, hatte sie sich gedacht und sich aus jeder Diskussion herausgehalten, die die sehr betagt aussehenden Hexen und Zauberer betraf.
Die erste Prüfung auf der Liste, die Flitwick ihr und den anderen Ravenclaw-Fünftklässlern gegeben hatte, war Verwandlung, wo sie bloß gut auszusehen hatte. Professor McGonagall führte die Aufsicht in der großen Halle, aus der die vier Haustische entfernt und dafür hunderte von Einzeltischen untergestellt worden waren. Jeder hatte Antischummelschreibzeug ausgehändigt bekommen und saß nun, ob Fünft-oder Siebtklässler, vor seinen oder ihren ersten Prüfungsaufgaben in diser so wichtigen Abfolge von Prüfungen
“Aufgabe a: Erläutern Sie den Zauber, mit dem ein Käfer in einen Mantelknopf verwandelt wird!” Das war also die erste Frage auf dem großen Pergamentbogen, dachte Aurora Dawn und fing an, ihre Lösung hinzuschreiben.
Stunden später, als Auroras Schädel von Verwandlungszaubersprüchen, Zauberstabgesten und sich dauernd verwandelnden Dingen oder Tiere überzuquellen drohte, verkündete Professor McGonagall, die Prüfung sei nun zu Ende.
Erleichtert, zumindest fertig geworden zu sein. Mit “Accio Pergamente” holte Professor McGonagall sämtliche beschriebenen Pergamente zu sich hin. Aurora war froh, daß die Seiten vornummeriert gewesen waren und sie nur ihren Namen oben drüber hatte setzen müssen, bevor sie auf jede Seite ihre Aufgabenlösungen geschrieben hatte.
“Also wenn es jetzt noch eines beweises bedurft hätte, daß ich eigentlich nix mit der Zaubererwelt zu schaffen habe, dann war’s diese Prüfung”, seufzte Roy, als sie kurz hinausgingen, damit die große Halle wieder zu einem gemeinsamen Essraum umgebaut werden konnte.
“Zumindest konnte ich alle Fragen beantworten”, sagte Dina. “Vielleicht krige ich ja dann doch noch ein Akzeptabel in Verwandlung hin.”
Die Nachmittagsprüfungen waren für Aurora dagegen leichter. Zusammen mit Bazil Calahan von den Slytherins, Dorian Dirkson aus Hufflepuff, Roy Fielding und Cynthia Flowers betrat sie nach Aufruf die große Halle, wo gerade Eunice Armstrong eine beeindruckende Serie von schnellen Verwandlungen hinlegte, wobei ihr eine kleine, sehr gebrechlich wirkende Hexe mit weißem Haar zusah, Professor Griselda Marchbanks. Doch gerade als Aurora in die Halle hineintrat, war die Prüfung offenbar beendet.
“Sie können zu Professor Marchbanks, Ms. Dawn”, teilte Professor McGonagall sie ein. Aurora nickte und ging auf die ihr zugewiesene Hexe zu. Eunice verabschiedete sich gerade lautstark und ging ihres Weges, wobei sie Aurora aufmunternd zunickte und mit ihren Lippen ein “Viel Glück” formte.
“Sie sind Aurora Dawn?” Fragte Professor Marchbanks mit gebrechlicher Stimme. Aurora nickte. Sie hatte schon gehört, daß Professor Marchbanks Probleme mit den Ohren hatte, die kein Heiler mehr beheben konnte. Das Alter war doch leider ausdauernder als alle Heilkunst.
“Welche Zauberstabführungstechniken benutzen Sie?” Fragte die Prüferin. Aurora verstand erst nicht, was gemeint war. Sie sah Professor Marchbanks irritiert an. Dann ging ihr ein Licht auf. Eunice zauberte mit Techniken einer Professor Unittamo herum. Sie, Aurora, hatte sich bisher doch an die Wendel-Techniken gehalten. So sagte sie laut:
“Wendel! Ich zaubere mit Wendels Techniken!” Zumindest verstand Professor Marchbanks sie so, daß sie nicht noch weitere Fragen stellte. Aurora begann also mit ihrer praktischen Prüfung.
Als sie es am Ende der ihr zustehenden Zeit geschafft hatte, unfallfreie Verwandlungen hinzubekommen, atmete sie auf, als die Prüfungsrunde vorbei war und sie für den Nächsten Platz machen konnte.
“Uff, dieser Glatzkopf hat mich gut gefordert”, sagte Roy außerhalb der großen Halle. “Beinahe wäre mir dieser Vogel-zu-Säugetier-Zauber nicht mehr eingefallen, den ich nie so recht hinbekommen habe. Immerhin ist aus dem Huhn was annähernd Meerschweinchenförmiges geworden.
Als alle Ravenclaw-Fünftklässler durch waren sagte Petula zu Bruster:
“Ich konnte einmal sehen, wie schnell du zaubern kannst. Im Unterricht warst du nie so flott drauf. Wie kommt’s?”
“Leistungsdruck. Es geht ja um was”, sagte Bruster ganz lässig.
“Ja, wenn’s auch immer richtig war, Brusi”, sagte Mortimer Swift.
“Zumindest habe ich kein rammdösiges Wildschwein in der Halle losgelassen, Herr Vetter”, versetzte Bruster mit gewisser Schadenfreude.
“Ja, war schon toll”, sagte Mortimer. “Da war ich wohl irgendwie einen Moment neben der Spur und habe anstatt des Meerschweinchens ein Wildschwein gezaubert. Hui, dieser Professor Pineapple ist ja doch noch gut zu Fuß für seine zweihundert Jahre oder wieviel der drauf hat”, ergänzte er noch, nun selbst lachend.
“Leute, wir haben noch ein paar Prüfungen vor uns”, sagte Dina. “Mir graut schon vor Zauberkunst.”
Doch zunächst waren die Zaubertränke dran, ein Heimspiel für Aurora und Dina, aber auch für Melinda Bunton aus Hufflepuff und Eunice Armstrong aus Gryffindor. In der praktischen Prüfung vertat sich Dorian Dirkson einmal und ließ seinen Kessel mit lautem Getöse in einer blauen Feuerwolke an die Decke fliegen. Professor Sprout, die heute Aufsicht hatte, schrak hinter dem langen Lehrertisch zurück.
“Eh, mach nicht so’n Krach!” Rief Alessandro Boulder, der gerade seinen UTZ-Prüfungstrank braute.
“Ruhe bitte!” Bellte die kugelrunde Kräuterkundelehrerin durch die Halle.
“Na, holla die Waldfee!” Rief Bruster nach bestandener Prüfung. “Von dem Trank hätte ich mehr als eine Flasche abfüllen sollen. Eine davon hätte ich dem Hakennaserich gerne untergejubelt, als Abschiedsgruß.”
“Auf derartigen Unrat zum Abschied kann ich sehr gut verzichten, Wiffle”, zischte Snapes gehässige Stimme von hinten. “zwanzig Punkte Abzug für Ravenclaw. Nach den Prüfungen werden Sie bei mir nachsitzen, vier stunden lang, Wiffle.”
“Steck es dir sonstwo hin”, grummelte Bruster, als Snape sich wieder entfernt hatte. “Mein Trank war top und nach dem Schuljahresende sieht mich der Knilch eh nicht mehr in seinem Kerker.
“Hast du dich mit Professor Snape angelegt?” Fragte Loren Tormentus überlegen grinsend. Bruster knurrte, daß das ihr doch egal sein durfte. Loren meinte: “Wohl ein wenig zu überschwenglich gewesen, wie?” Dann schob sie ab.
“Hoffentlich hat die ihren Trank verhunzt”, knurrte Roy Fielding. “Ob meiner was geworden ist ist mir doch schnurzpiepegal. Mich sieht dieser Fettfrisurspion auch nicht mehr in seinem Kerker, wenn die letzte Stunde bei ihm war.”
Zauberkunst lief für die meisten gut ab. Dina hatte zwar immer noch Probleme mit ihrem Zauberstab, obwohl der ja extra auf sie abgestimmt war. Doch da sie in der Theorie alle Fragen beantworten konnte, würde sie wohl auch hier auf “Akzeptabel” kommen.
Die Kräuterkundeprüfung war das Paradestück von Aurora Dawn. Sie konnte in der theoretischen Prüfung nicht nur zu jeder abgefragten Pflanze Verbreitungsgebiete, Haltungskriterien und Anwendung niederschreiben, sondern auch Nachzuchten, Unterarten und Unterschiede in der Wild-und der Kulturform klar herausstellen. Am Nachmittag topfte sie eine Alraune innerhalb einer Minute um, molk innerhalb von fünf zugestandenen Minuten zwei Bubotubler und konnte zwanzig Springbohnen ohne Unfall damit eingraben.
In Muggelkunde, die nur theoretisch geprüft wurde, mußte sie zwar manchmal überlegen, ob das von ihr für richtig gehaltene auch so im Unterricht erwähnt worden war und schrieb über alles, was gefragt wurde, wozu elektrischer Strom diente, wie vielseitig er war, über Radios, Funkgeräte, Fernseher und Flugzeuge, sowie Haushaltsgeräte wie Staubsauger, Föns und Waschmaschinen, wobei sie da auch immer entsprechende Vergleiche mit der Zaubererwelt ziehen konnte, insbesondere bei der Verwendung von Tiefkühltruhen im Vergleich zum Conservatempus-Zauber oder dem Amplumina-Zauber im Vergleich zum Flutlicht der Muggel. Immerhin war sie danach sicher, dieses Fach mindestens mit “akzeptabel” bestanden zu haben. Denn nur dann würde es sich auch lohnen, es in den nächsten zwei Jahren fortzuführen.
Pflege magischer Geschöpfe und alte Runen gingen ihr etwas schwerfälliger von der Hand, wenngleich sie im praktischen Teil von Pflege magischer Geschöpfe mit den Jarveys gut zurechtkam, auch wenn diese wieselartigen Tiere sie mit den derbsten Schimpfwörtern bombardierten, als sie sie in ein anderes kleines Haus umsetzen sollte.
In Geschichte der Zauberei hatte sie ihren ersten richtigen Aussetzer, weil sie nicht mehr zusammenbekam, wozu die Zaubererkonferenz im Jahre 1230 einberufen worden war, wie der letzte namentlich erwähnte Anführer des Koboldaufstandes von 1612 geheißen hatte und wie die einzelnen Sippen der sich bekriegenden Riesen geheißen hatten. Irgendwann war sie einfach nur froh, irgendwas hingeschrieben zu haben. Mit dem Fach hatte sie sowieso abgeschlossen, so oder so.
Bei der Astronomieprüfung stellte sie sich dagegen sehr gut an und konnte allen äußeren Planeten die richtigen Monde zuordnen, weil die Monde alle alphabetisch in einer Reihe untereinanderstanden und sie auf die äußeren Planeten verteilt werden sollten. Roy und Bruster hatten danach gegrinst und gemeint, daß die Voyager-Raumsonden bei Jupiter und Saturn doch ein paar Monde mehr festgestellt hatten als gefragt wurde.
“Noch mehr?” Fragte Petula. “Das kriegen die ZAG-Klässler dann nächstes Jahr, wenn die Gesellschaft magischer Sternkundler wieder beschließt, die Namen der von den Muggeln entdeckten Monde in den allgemeinen Astronomiekatalog der Zaubererwelt zu übernehmen. Man hätte euch Muggeln verbieten sollen, die Rakete zu erfinden.”
“Ja, stimt. Dann müßten wir uns auch nicht vor einem Atomkrieg fürchten”, sagte Roy Fielding belustigt.
Endlich waren die Prüfungen vorbei. Endlich konnten alle im fünften und siebten Jahr aufatmen. Selbst wenn einige Prüfungen danebengelaufen sein mochten, es war nun vorbei. Die ganze Tortur davor und dabei war nun überstanden, und Aurora hoffte, die nötigen ZAGs erreicht zu haben. Innerhalb der ersten Ferienwochen würde sie wie die anderen das Ergebnis kriegen. Sie ging nach der völlig verhunzten Geschichtsprüfung nicht mehr von zwölf ZAGs womöglich mit Zusatzpunkt aus, rechnete sich jedoch noch zehn ZAGs aus.
Nächste Woche Hogsmeade!” Trällerte Bruster. “Daa können wir uns noch einmal richtig austoben, bevor es in die Ferien geht. Roy, der sich noch ausrechnete, daß Snape ihn ausgerechnet an dem Tag zum Nachsitzen bestellen würde, war nicht so begeistert.
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Falls Snape es wirklich darauf angelegt hatte, Roy Fielding den Hogsmeade-Ausflug zu verderben, dann hatte man ihm wohl den falschen Zeitpunkt genannt. Stattdessen mußte Roy nach der Nachmittagsstunde bei dem schulweit unbeliebtesten Lehrer Schnecken einpökeln, Aalaugen zu Brei stampfen und in Essig auflösen und fünf tote Ziegen auf das Vorhandensein eines Bezoars, eines seltenen Steines im Magen dieser Tiere, untersuchen. Bruster meinte danach:
“Jetzt kann dich wohl nichts mehr anekeln, was?”
“Wenn Schniefelus das wollte, dann hat er es geschafft”, knurrte Roy.
“Eh, Roy, dieser Spitzname ist dem von Sirius Black verpaßt worden. Du weißt ja, was für einer dieser Black geworden ist”, wies Aurora Roy darauf hin, daß er bedenkenlos den Spitznamen gebrauchte, den ein möglicherweise am Mord an Roys Eltern beteiligter Zauberer benutzt hatte.
“Erstens glaube ich das nicht, daß Black wirklich so’n Schuft war, da er einerseits viel zu schlau war, sich erwischen zu lassen und andererseits bestimmt einen besseren Ort gefunden hätte, um Peter Pettigrew zu töten. Neh, ich denke, der sitzt unschuldig im Bunker, weil dieser Pettigrew bei einem Unfall gestorben ist”, sagte Roy.
“Na klar”, grummelte Bruster. Roy sah ihn an. Bruster trug immer noch den FC-Liverpool-Schal, wie sie es vor Weihnachten in einer Wette vereinbart hatten.
“Freu dich, Liverpool hat’s geschafft, Bruster. Jetzt können wir den Spanienausflug genießen, den unsere Nationalelf macht.”
“Ja, und dann gewinnt wieder Deutschland oder Argentinien oder irgendwer sonst”, knurrte Bruster. Petula meinte:
“In diesem Jahr gibt’s auch eine Quidditchweltmeisterschaft, wenn das hier wen interessiert. Eine Woche nach Ferienbeginn geht’s los.”
“Klar, Norwegen, wo auch im Sommer jeder hinwill”, sagte Mortimer. “Dann doch besser Spanien.”
“Eh, du wirst hier nicht anfangen, diesen Fußballunsinn gutzufinden”, sagte Petula sehr unheilvoll. Mortimer grinste.
“Neh, das habe ich nicht vor”, sagte er.
“Immerhin ist dieser Falklandunsinn vorbei”, sagte Dina. Roy nickte. Er hatte erst nach der Prüfung einen Brief Ericas bekommen, wo die neuesten Muggelnachrichten dringestanden hatten. Immerhin war Tims Vater nicht getötet worden, was diesen zu den UTZ-Prüfungen wohl noch glücklicher gemacht haben dürfte.
Als der Tag des Hogsmeade-Ausfluges kam, strahlte die Sonne vom Himmel, dessen Blau wie ein polierter Edelstein erstrahlte. Aurora zog zusammen mit Petula und Miriam los, obwohl Bernhard meinte, sie noch einmal ansprechen zu müssen. Sie hatte ihm aber die kalte Schulter gezeigt und war losgezogen.
“Das ist der erste Sommerausflug nach Hogsmeade”, sagte Aurora. “Miriam, habt ihr bei euch was besonderes im Sommer?”
“Hmm, Mum schrieb mir vor den Prüfungen, wir könnten uns Angelique Liberté ansehen, eine Besenkunstfliegerin, die auf fliegendem Besen abgedrehte Turnübungen machen und dabei noch verschiedene Figuren fliegen kann. Die ist gerade mit ein paar anderen Kunstfliegern hier. Außerdem findet da jeden Samstag der Markt für Zaubergegenstände und -utensilien aus aller Welt statt. Also langweilen können wir uns nicht”, erläuterte Miriam, deren Eltern in Hogsmeade wohnten.
Aurora folgte Miriam und Petula. Sie sah zwischendurch einmal zurück, ob ihnen nicht doch jemand folgte, wie Bernhard oder Tonya Rattler oder sonst wer, mit dem sie im Moment nichts zu schaffen haben wollte. Dabei sah sie aus dem linken Augenwinkel, wie Tim Abrahams und Roy Fielding zusammen einherschritten. Wo war Dina Murphy, die sonst mit Roy so gerne zusammen nach Hogsmeade ging? Doch mußte sie das jetzt wissen? Konnte sie ihre Neugier nicht auf was interessanteres lenken? Ja, natürlich konnte sie das.
Auf dem Marktplatz tummelte sich ein farbenfrohes Volk. zauberer aus aller Herren Länder hatten hier überdachte Stände aufgebaut und verkauften wichtige Dinge wie magische Türklingeln, Kristallkugeln, in denen ein flammenloses Feuer brannte oder eigenständige Werkzeuge. Daneben war aber auch Schnickschnack wie singende Teetassen, selbstklatschende Fliegenklatschen oder aus drei mal drei mal drei bunten Würfeln zusammengesteckte Würfel, die sich andauernd so gegeneinander verdrehten, das auf jeder Seite ein Farbendurcheinander zu sehen war und die man dann wieder so drehen mußte, daß jede Seite eine der sechs Farben zeigte. Das Problem war nur, wenn man den Würfel einmal gedreht hatte, verdrehte er sich wieder.
An einem bunten Stand standen mehrere hundert zusammengerollte Teppiche bereit. Ein dunkelbraun getönter, bärtiger Zauberer rief fortwährend:
“Bequemlichkeit der Pharaonen und Sultane. Kaufen Sie Bashirs fliegende Teppiche! Heben Sie ab und thronen Sie hoch am Himmel wie ein mächtiger Scheich!”
“Fliegende Teppiche? Reisen die Orientalen nicht auf sowas wie wir auf Besen?” Fragte Aurora. Miriam nickte.
“Die bilden sich was drauf ein, weil auf so’n Staubfänger mehr als fünf Leute draufsteigen können.”
“Läuft da nicht gerade sowas, die als unverhexbare Muggelartefakte zu bezeichnen?” Fragte Petula.
“Bagnold hat das Gesetz wohl im Februar schon auf dem Tisch gehabt. Ob Sie’s unterschrieben hat, weiß ich nicht.”
“Kaufen Sie Abdul Bashirs fliegende Teppiche! Wer will schon einen Besen reiten, kann er ganz gelassen durch die Lüfte gleiten?”
“Ob der hier auch handelt wie im Orient?” Fragte Aurora. Miriam wollte wissen, was sie damit meine. Aurora erklärte es ihr und Petula. Sie lachten. Doch als sie unterwegs zu dem Stand mit den Teppichen waren tauchten zehn Zauberer in grünen Umhängen auf. Aurora fürchtete zuerst, es wieder mit Todessern zu tun zu haben. Der Anführer der Truppe war ein großer Mann mit feuerrotem Haar und Brille, dessen Umhang leicht ramponiert wirkte.
“Abdul Bashir, wir haben es Ihnen vor einem Monat doch geschrieben, daß in England Teppiche Muggelartefakte sind, die nicht bezaubert werden dürfen”, grüßte der Rothaarige den Teppichverkäufer, der zusammen mit einem jungen Mann, der dem Aussehen nach sein Sohn war, auf Kundschaft wartete.
“Ah, Efendi Weasley. Sie wollen den Preis drücken, versteh. Zwei Teppiche für einen”, grinste Abdul Bashir.
“Dann würde ich mich strafbar machen”, sagte der Rothaarige gelassen. “Hier ist die unterzeichnete Bestätigung unserer Zaubereiministerin.” Er holte ein Pergamentstück hervor und reichte es Abdul. Dieser nahm es und las es von rechts nach links. Dann erkannte er wohl, daß er die englischen Wörter so nicht entziffern konnte und las. Er erbleichte erst und wurde dann wütend.
“Das ist Behinderung des freien Handels, Efendi. Wenn euer Quidditch mittlerweile auch in Ägypten und dem Sudan gespielt wird, warum dürfen wir da nicht unsere Qualitätsteppiche feilbieten? Gemeinheit! Unterdrückung! Ihr wollt den Handel ruinieren!”
“Abdul, sehen Sie es doch ein. Wenn ein Muggel aus Versehen einen Ihrer Teppiche unter die Füße bekommt, dann fliegt der vielleicht mit dem weg, weil die Flugmagie eines Teppichs nicht auf einen Zauberkundigen angewiesen ist wie die eines Besens. Machen Sie bitte Ihren Stand zu und bringen Sie Ihre Teppiche zurück in Ihre Heimat! Anderenfalls müßten wir die ganzen Teppiche beschlagnahmen.”
“Könnte euch Räuberpack so gefallen, meine Teppiche mitnehmen, ohne ein Goldstaubkorn dafür bezahlt zu haben!” Rief Abdul. Auf dem Marktplatz blickten alle den Teppichverkäufer an. Dieser nutzte die Aufmerksamkeit aus, um noch wütender zu protestieren, man wolle seinen Handel ruinieren und ihn obendrein noch bestehlen. Dann, als die aufmarschierten Zauberer Anstalten machten, die Teppiche einzusammeln, rief er seinem Sohn zu:
“Ali, komm, unsere Ware wird hier nicht länger verlangt!”
Der jüngere Orientale sagte was in einer Aurora unbekannten Sprache und begann, die aufgereihten Teppiche auf einen großen Karren zu verladen. Aus einem Zelt hinter dem Stand holte er einen silbergrauen Elefanten mit spiegelnden Stoßzähnen und breiten Flügeln heraus, den er vor den Karren anschirrte, während sein Vater mit schnellen Zauberstabbewegungen alle Teppiche auf den Karren springen ließ. Dann klappte der Verkaufsstand wie ein Kartenhaus zusammen, legte sich in den Karren und war abgebaut. Rasch sprang Abdul Bashir in den Karren und rief dem mächtigen Zugtier einen Befehl zu, worauf es laut trompetete und dann die breiten Schwingen auf-und niederschlug, bis es abhob und den Karren erst einige Meter am Boden entlang und dann nach oben hinaufzog.
“Er hat’s kapiert, Arthur”, sagte einer der Zauberer.
“Schön, daß er nicht so ein Theater gemacht hat. Ich fürchtete schon, der legt es auf einen Haftbefehl an”, sagte der rothaarige Zauberer. “Ich möchte wieder nach Hause. Molly ist alleine mit der ganzen Rasselbande, und jetzt, wo die Kleine anfängt zu laufen, kann sie nicht alle zusammenhalten, besonders nicht Fred und George, die beiden Banditen”, lachte er. Sie wollten gerade vom Marktplatz verschwinden, als dem Rothaarigen der Verkäufer der bunten Würfel auffiel. Doch dieser schien zu ahnen, welche Stunde ihm gerade geschlagen hatte und sammelte blitzschnell seine Waren ein. doch der rothaarige Zauberer war schon bei ihm und nahm einen der noch nicht eingesammelten Würfel.
“Daß Sie ein Witzbold sind, Chester, wußte ich schon immer. Aber was Sie da jetzt machen ist ein Verstoß gegen die Gesetze zur Bezauberung von Muggelartefakten.”
“Moment, Arthur, ich habe diese Würfel nicht an Muggel verkauft”, sagte der Verkäufer der bunten Würfel.
“ja, und damit das auch nicht passieren kann, müssen wir die jetzt alle beschlagnahmen”, sagte Arthur. Doch Chester grinste nur, winkte mit seinem Zauberstab, und mit lautem Knall verschwand sein ganzes Warenlager und danach auch er.
“Das ist nicht wahr”, fluchte Arthur. “Jetzt muß ich den Kerl noch suchen.”
“Was ist denn da so schlimm an diesen Würfeln, abgesehen davon, daß die sich ständig wieder verdrehen?” Wollte Miriam wissen und trat an den rothaarigen Zauberer heran. Aurora wollte das auch wissen.
“Entschuldigung, warum wollten Sie dem Verkäufer da die Würfel beschlagnahmen. Das sind doch keine Muggelsachen”, sagte Miriam forsch. Der Führer des kleinen Trupps wandte sich um und schmunzelte.
“Oh doch, das sind Muggelartefakte, junges Fräulein. Die Muggel haben vor einiger Zeit einen aus in sich verdrehbaren Würfeln zusammengesetzten Würfel dieser Art als Geduldsspiel auf ihren Markt gebracht. Bei einigen heißt er Zauberwürfel. Deshalb hat der freundliche Herr von eben seinen Jux damit getrieben und wohl einige dieser “Zauberwürfel” echt verhext. Wenn den Muggel in die Hände bekommen, dann werden die noch wahnsinnig, wenn sich der Würfel ständig selbst verdreht.”
“Och, Arthur, wegen dieses Dings sind die doch schon eh durch den Wind”, warf einer der grüngewandeten Zauberer ein.
“Das ist kein Grund, solchen Schabernack mit ihnen zu treiben”, sagte der rothaarige Zauberer. Dann lächelte er die drei Mädchen an.
“Seid ihr von Hogwarts runtergekommen?”
“Mmmhmm”, machten Petula und Aurora.
“Mein ältester kommt im nächsten Jahr auch dahin. Ich freue mich schon drauf. Achso, ich muß mich ja auch vorstellen: Weasley, Arthur Weasley vom Büro gegen den Mißbrauch von Muggelartefakten.”
“Angenehm, Miriam Swann”, stellte sich Miriam vor.
“Aurora Dawn”, sagte Aurora.
“Petula Woodlane”, schloß Petula die Vorstellungsrunde ab.
“Joh, Mädchen, dann mache ich mich mal auf die Suche nach diesem Scherzkeks, bevor der seine frisierten Zauberwürfel noch wem aus der Muggelwelt untermogeln kann.” Mit leisem Plopp disapparierte er.
“ja, du hattest recht, Miriam. Langweilen können wir uns hier nicht”, sagte Aurora Dawn.
Sie schlenderten vom Marktplatz herunter, auf dem sich nun noch die Verkäufer tummelten, die keine als Muggelgegenstände erkennbare Sachen verkauften. Sie bogen gerade um eine Ecke, als Auroras Frühwarner, ein silbernes Armband an ihrem linken Handgelenk, sachte vibrierte. Sie erschrak. Irgendwas böses war hier in der Gegend.
“Was ist, Aurora?” Fragte Miriam besorgt.
“Mein Frühwarner ist gerade losgegangen. Irgendwas dunkles treibt sich hier herum”, sagte sie.
“Die Leute von Du-weißt-schon-wem?” Fragte Petula bleich.
“Weiß ich nicht. Es zittert nicht so stark. Ich weiß nicht genau, wo es sich rumtreibt.”
“Sollen wir jemanden rufen, der nachsieht?” Fragte Miriam.
“Das hat solange keinen wert, solange keiner einen Frühwarner hat. Das kann auch eine Kreatur sein, in der dunkle Kräfte wirken wie Hinkepanks, Rotkappen – oder Sabberhexen. Eh, habt ihr mitbekommen, wohin Roy wollte?”
“Wieso kommst du jetzt auf Roy. Ich dachte, der würde sich immer Salz auftun, bevor er hier herkommt”, sagte Petula. Miriam nickte.
“Ja, aber Balder hat uns doch erzählt, diese eine Grünfratze habe ihn sich regelrecht ausgeguckt, nicht nur einfach so. Vielleicht streunt die irgendwo hier herum”, sagte Aurora voller Unbehagen.
“du hast mal gesagt, die wären harmlos, wenn man nicht in ihr Schema paßt”, sagte Miriam. Doch sie wußte es besser. Ihre Eltern hatten ihr früher, wo sie gerade über eine Tischkante kucken konnte, bei jedem Ausflug Steinsalz auf die Kleidung gestreut, um sie vor den Nachstellungen dieser Kinder fressenden, grüngesichtigen Waldkreaturen zu schützen. Aurora schritt wie an Fäden gezogen in die Richtung, in der das Zittern des Armbands stärker wurde. Dann konnte sie die knapp über dem Boden schwebende Kreatur sehen, die in einem langen, grünen Rock steckte und schwarzblaues Haar besaß. Als Aurora behutsam hinter ihr herschlich, stieg das Wesen, das so groß wie aurora selbst war und eine blattgrüne Hautfarbe besaß, einige Meter aufwärts, blieb dabei aber schön langsam. Aurora stellte sich vor, daß dieses Wesen da eine ganz harmlose Sache vorhatte, bis ihr Frühwarner etwas stärker zitterte. Dann hörte sie aus etwa hundert Metern Entfernung:
“Eh, Tim, was hast du mit diesen Grünfratzen zu schaffen?!” Das war Roy Fielding!
Aurora lief los, in die Richtung, aus der der Ruf gekommen war. Da schoss die Sabberhexe im grünen Rock steil in die Höhe und jagte mit wehendem Har und Rock durch die Luft davon.
“Nein, lass mich los, du Monster!” Rief Roy in Panikstimmung, wie Aurora hören konnte. Sie jagte auch los, immer schneller. Doch sie war immer noch viel zu langsam. Außerdem mußte sie feststellen, daß sie in ein verwinkeltes Viertel geraten war und Hundert Meter Luftlinie mehr als das dreifache an Laufstrecke sein mochten. Nirgendwo gab es eine Abkürzung durch eine Quergasse. Als sie ein schrilles Lachen hörte und einen angewiderten Schrei Roys, wußte sie, sie würde in jedem Fall zu spät kommen. Was sollte sie machen? Sollte sie den Notrufzauber wirken. Dann würde mindestens ein Heiler neben ihr auftauchen. Aber sie waren doch zu weit fort. Oder etwa nicht?
Sie bog um eine Ecke, um gerade noch zu sehen, wie Tim Abrahams mit sehr glückseligem Blick in den Armen einer grünen Kreatur mit walnusbraunem, nicht ganz so struweligem Haar lag, während Roy gerade in einer Umklammerung aus Armen und Beinen der schwarzblauhaarigen Sabberhexe hing, die ihn mit ihrer wurmartigen Zunge Mund und Nase abschleckte.
“Lass den Jungen los, du toldreistes Biest!” Rief Aurora Dawn und zog ihren Zauberstab hervor.
“Nein, nicht bevor ich endlich von ihm habe, was ich schon lange haben wollte!” Rief jene Sabberhexe, die Roy umklammert hielt und lachte. Aurora sah Roy, dessen Gesicht jeden Ausdruck der Angst verlor. Sie erkannte, daß er offenbar von dieser Kreatur überwältigt worden war, nicht nur körperlich, sondern vor allem willentlich. Sie warf Aurora noch ein überlegendes beigegraues Lächeln zu und schnellte dann mit der Wucht einer abgefeuerten Kanonenkugel in die Höhe. Tim Abrahams indes gab sich ganz den Streicheleinheiten hin, die die walnusbraunhaarige Kreatur ihm zukommen ließ. Aurora richtete den Zauberstab zwar noch auf die davonfliegende Sabberhexe, doch ihr Schocker kam zu spät und fauchte an die Dutzend Meter unter der Kreatur hindurch. Dann zielte sie auf das zweite Wesen. Dieses fühlte wohl den bevorstehenden Angriff und ließ von Tim ab. Sie warf sich herum und jagte auf Aurora zu, die in der Schrecksekunde vergaß, welchen Zauber sie eigentlich sprechen wollte. Da war die Kreatur auch schon heran und pflückte ihr wie beiläufig den Zauberstab aus der Hand.
“Mädchen, du wolltest Morpuora nicht wehtun, die dir gar nichts tun will”, lachte sie. Aurora stand starr da und wußte nicht, was sie tun sollte. Auf die Idee, um Hilfe zu rufen, kam sie nicht. Morpuora, wie sich die wohl etwas älter aussehende Sabberhexe nannte, strahlte die Vertrauensschülerin mit ihren nagelspitzen, gelbweißen Zähnen an. Ihre gelben Augen mit den weißen Pupillen sahen sie treuherzig wie Hundeaugen an, während ein freundliches Lächeln um die Mundwinkel der Kreatur spielte.
“Deinem Kameraden passiert nichts böses. Meine Tochter möchte nur endlich mit ihm zusammen sein, wo ihr uns in den letzten Jahren immer so böse zurückgetrieben habt. Sie mag ihn und freut sich, wenn sie von ihm was kleines in sich herantragen kann. Das ist ein schönes Gefühl, einen Knaben in seine Bestimmung als Mann hinüberzuhelfen, Mädchen. Nein nein, lass den kleinen Stab lieber noch etwas liegen. Sonst müßte ich dir doch was böses tun, und das will ich nicht.”
“Ihr habt ihn in eine Falle gelockt”, schluchzte Aurora, die nun kapierte, was hier eigentlich abgelaufen war. “Du hast Tim Abrahams mit deinem widerlichen Giftschleim vollgesabbert, um ihn dir hörig zu machen.”
“Er wollte das freiwillig. Ich mußte ihn nicht niederkämpfen. Ist mit meinen vielen Sommern auch etwas anstrengend, Knaben zu nehmen, selbst wenn meine Mutter mich Morpuora genannt hat, Des Knaben Tod”, schnatterte die grüngesichtige Kreatur. Aurora hörte nicht drauf, was sie sagte. Sie tauchte nach ihrem Zauberstab. Doch da krallten sich fünf spinnenbeinartige Finger um ihren Hals und rissen sie einfach wieder hoch.
“Ich sagte, ich will das nicht, daß du den Stab nimmst und …”
“Lass sie los, du Scheusal!” Brüllte Bruster Wiffle unvermittelt von hinten. Dann fegte der rote Schockzauber heran. Aurora sah noch, wie die Kreatur wutschnaubend zur Seite hechtete und dann mit einem Satz, der die Grenze zwischen Fligen und Springen verwischte zu Tim zurückkehrte, ihn mit allen vier Gliedmaßen umfing und im Tiefflug wie vom Katapult geschossen davonbrauste. Der Schocker krachte im selben Moment an eine Hauswand und schlug einen faustgroßen Krater.
“Mist, sind die Biester schnell!” Rief Bruster. Aurora wimmerte. Ihr Genick schmerzte vom stahlharten Griff der Sabberhexe, und das Gefühl, Roy nicht rechtzeitig gefunden zu haben, trien ihr Tränenfluten aus den Augen.
“Nimm deinen Zauberstab, Aurora! Der ist noch ganz”, sagte Bruster.
“Die haben Roy und Tim. Sie haben sie mit ihrem Speichel verhext”, wimmerte Aurora.
“Mist!” Fluchte Bruster. “Dann war Tim deshalb so lockerflockig drauf. Ich hätte darauf achten sollen. Gut, daß ich immer Steinsalz mithabe. Sonst hätte mich so’ne läufige Grünfratze auch schon kassiert.”
“Bruster, die sind weggeflogen!” Rief Aurora.
“Ja, aber wir kriegen die wieder ein. mach mal diesen SOS-Spruch!” Aurora bückte sich, nahm ihren Zauberstab und kämpfte um ihre Selbstbeherrschung. Dann ließ sie den Zauberstab über ihrem Kopf kreisen, links herum und rechts herum, wobei sie “Advoco Medicum!” Rief. Aus dem Zauberstab schoss eine goldene Lichtfontäne, die sich zehn Zauberstablängen über Aurora zu einer rasch nach außen wirbelnden Spirale auswuchs.
Es dauerte fünf Sekunden, da apparierte ein Zauberer im weißen Umhang, der eine Tasche mit einer roten Schlange um einen Stab über der Schulter trug. Dann tauchten noch zwei Zauberer in Grün auf, auf deren Brustteilen ein über einem Knochen gekreuzter Zauberstab prangte.
“Du hast uns gerufen, junge Dame! Was liegt denn an?” Fragte der in weißer Kleidung angekommene Zauberer.
“Schulkameraden von uns sind von zwei Sabberhexen entführt worden”, stieß Aurora hastig aus, damit sie nicht wieder ins Wimmern verfiel.
“Ui, das ist jetzt schon das fünfte Mal in zehn Jahren”, sagte einer der Heiler in Grün. “Wir haben es Dumbledore immer wieder gesagt, er soll den Jungen sagen, sich immer mit Steinsalz zu bewaffnen, weil die läufigen Sabberhexen sich gerne welche von denen herausfangen. Aber wir sind im Moment nicht zuständig. Da müßt ihr das Schädlingsbekämpfungsbüro alarmieren. Die können die besser aufspüren als wir. Die rufen uns dann wieder, wenn wir gebraucht werden”, sagte der Heiler in Weiß. “Aber der Notruf war insofern legitim, weil es ja keine schnellere Art gibt, in dem Fall Hilfe zu kriegen.” Seine Kollegen nickten. Dann disapparierten sie einfach.
“Das gibt’s nicht. Die sind einfach abgehauen”, sagte Aurora nun verbittert.
“Wo nix zum heilen ist sind Heiler nix wert”, sagte Bruster. Aurora sah ihn nun zornig an.
“Die müssen die beiden doch suchen”, sagte sie. Dann fiel ihr auf, daß ihr Frühwarner nicht mehr zitterte.
“Die werden sich einen abgelegenen Wald aussuchen, die beiden in die richtige Stimmung bringen und dann …”, malte Bruster aus.
“Hörst du wohl auf!” Schrie Aurora.
Unvermittelt apparierten vier Personen, eine Hexe und drei Zauberer. Die Hexe war leicht untersetzt und trug ein geblümtes Kleid und auf ihrem graublonden Haarschopf einen großen Strohhut.
“Was ist hier passiert?” Fragte einer der drei Zauberer, die die Umhänge des Aurorenkorps trugen.
“Mein Klassenkamerad und einer aus der siebten Klasse wurden von zwei Sabberhexen gefangen und verschleppt”, sagte Aurora Dawn nun sehr gefaßt.
“Morpuora und ihre liebestolle Tochter haben also doch einen Gehilfen gefunden”, schnaubte einer der Auroren, ein dunkelhäutiger Mann mit Glatze.
“Habt ihr dieses Problem hier öfter?” Fragte die Hexe mit unverkennbar amerikanischem Akzent.
“Eigentlich sehr selten, weil die sich jahrelang nicht blicken lassen. Aber wir haben rausgefunden, daß die nur deshalb so lange wegbleiben, weil sie sich von Männern, meistens muggelstämmigen Jugendlichen, neue Kinder haben machen lassen und ..”
Die Hexe schnalzte mißbilligend mit der Zunge und schüttelte den Kopf, wobei ihr Hut leicht nach links verrutschte.
“So sagt man das nicht, Kingsley”, maßregelte sie den dunkelhäutigen Zauberer. Dieser grummelte nur, widersprach jedoch nicht.
“Tja, wenn wir nicht noch rauskriegen, wo die mit den Jungen ihre Arterhaltung zelebrieren, werden wir die auch in den nächsten vier bis fünfzehn Jahren nicht mehr zu sehen kriegen”, feixte ein zweiter Auror, ein drahtiger Mann mit pechschwarzer Igelfrisur.
“Jungs, anstatt dumme Sprüche zum besten zu geben sagt uns, wo sich diese – wie nanntest du sie, Kingsley? – Morpuora vorzugsweise aufhält!” Forderte die Hexe im Blumenkleid und dem Strohhut.
“Ist nicht immer dieselbe Gegend. Morpuora und ihre Töchter hausen in Wäldern, rund hundert Meilen um Hogsmeade”, sagte der Schwarze, der Kingsley gerufen wurde.
“Da lang”, deuteten Aurora und Bruster in die Richtung, in der die ältere und die jüngere Sabberhexe verschwunden waren.
“Das ist der schnellste Weg aus Hogsmeade heraus. Aber wohin die genau sind, kriegen wir so nicht raus”, knurrte Kingsley. “Das gibt noch Ärger mit Dumbledore.”
“Selbst schuld, Kingsley. Wenn der weiß, daß die Morpuora mit ihrer Brut im Umkreis ist und er keine Maßnahmen dagegen beschließt”, stieß der drahtige Auror aus. Bruster meinte:
“Kommen die Jungen denn wieder zurück, oder werden die umgebracht?”
“Nein, umgebracht werden die nicht. Aber Morpuora hat sieben Töchter ausgebrütet, die Söhne, die nach der Stillzeit in sie zurückgewandert sind nicht mitgezählt”, gab der drahtige Zauberer eine sehr makabre Bemerkung zum besten und setzte noch einen drauf: “Wenn die so synchron sind wie alle Hündinnen im selben Wohnviertel können die die Jungs gleich einmal durchreichen.”
“Also jetzt reicht’s, Quintus!” Entrüstete sich die Hexe. “Du hast in den letzten Minuten nichts als derbe Phrasen gedroschen. Du machst den beiden hier nur Angst, und das ist nicht dein Ding, Jungchen!”
“Eh, Jane, willst du mir etwa Vorhaltungen machen?” Fragte der drahtige Zauberer.
“Da es sonst keiner macht, ja”, erwiderte die Hexe. Aurora sprang vor und rief:
“Anstatt hier rumzulabern sollten Sie die beiden endlich suchen, verdammt noch mal!”
“Machen wir sofort, Mädchen. Wie heißt du?”
“Dawn, Aurora Dawn, Madame …”
“Porter, Jane Porter”, stellte sich die Hexe vor. Aurora erstarrte in Verwunderung und Ehrfurcht. Das war also Plinius’ Mutter, die in Amerika in einem Institut zur Abwehr dunkler Kräfte arbeitete und ihnen damals den Seelenkessel geschickt hatte, um die gespenstische Braut des blutigen Barons darin einzufangen.
“Du kennst mich? Ah ja, mein Sohn war ja mit dir zusammen in Ravenclaw. Wo war dein Freund, Roy Fielding höchstwahrscheinlich?”
“Woher wissen Sie das denn jetzt?” Wunderte sich Aurora. Doch dann zeigte sie Jane die Stelle, wo Roy gestanden hatte. Die Hexe eilte dort hin und nahm ihren Zauberstab, damit ließ sie etwas Staub vom Boden aufsteigen und in eine kleine Schale fallen.
“Nein, Jane, jetzt nicht diese Voodoo-Show”, meinte Quintus. Doch Jane war bereits dabei, ein Bündel Kräuter in die Schale zu werfen und piekste sich dann mit einer silbernen Nadel in die Hand. Sie ließ Blut in die Schale tropfen, nicht viel, wohl drei Tropfen. Dann entzündete sie das merkwürdige Kräutergemisch in der Schale und inhalierte den Rauch. Dabei sang sie mit kehligen Lauten eine Litanei her, die aus dem tiefsten Dschungel zu stammen schien. Aurora stand mit weit aufgerissenen Augen da, beobachtete und lauschte, was Jane Porter machte. Es dauerte etwa zehn Minuten, dann versank Jane Porter in einer Trance, einem Zustand vollkommener Entspanntheit und Weltentrücktheit. Dieser Zustand hielt vor. Bruster meinte:
“Die ist echt gut drauf. Die hat irgendwas von Roy finden können. Haare oder abgestoßene Hautschuppen. Das hat sie in eine irgendeinem Voodoo-Gott geweihte Schale gegeben, etwas eigenes Blut dazu gegeben und dann mit einer Rauschpflanzenmischung angezündet. Jetzt hat sie seine und ihre Seele vereinigt, heftiger als der Exosenso-Spruch. Jetzt kriegt sie genau raus, wo er ist und was er gerade erlebt.”
“Woher kennst du dich da so aus?” Fragte Aurora.
“Das habe ich für die Prüfungen gelernt, um etwas mehr als den üblichen Krempel zu können, falls da wer noch mehr wissen wollte. Ah, sie ist fertig”, sagte Bruster und deutete auf Jane. Diese schien Probleme zu haben, zu sich selbst zurückzufinden. Aurora sah, wie sie irgendwie zwischen einer freudigen Erregung und Verbissenheit festhing. Sie schien sich einer großen Leidenschaft hinzugeben und gleichzeitig gegen irgendwen oder irgendwas zu kämpfen. Dann, als sie in der ständig steigenden Erregung immer schwerer atmete, durchlief sie ein Ruck, und sie war wieder sie selbst.
“Das dumme Geschwätz von dir, Quintus hat uns wertvolle Minuten gekostet. Der Junge ist bereits im Fortpflanzungsrausch mit einer dieser Kreaturen. Aber ich weiß wo er ist. Kingsley, komm du bitte alleine mit mir mit. Dein Kollege geht mir nicht mit dem gebotenen Ernst heran.”
“Eh, Madame Porter. Ich lasse mir von Ihnen keine Befehle erteilen und …”, entrüstete sich Quintus. Kingsley legte ihm die Hand auf den Mund und sagte:
“Quintus, sie hat recht. Halt’s Maul und bleib hier! Oscar, wir beide helfen Jane”, sagte er zu seinem zweiten Kollegen, einem sportlich gebauten Mann mit blondem Haar. Jetzt erst fiel es Aurora auf, wie attraktiv dieser Bursche auf sie wirkte. Doch er hatte was zu tun, und das war zu wichtig, um sich über sowas mädchenhaftes Gedanken zu machen. Jane, Kingsley und Oscar stellten sich zusammen, faßten sich bei den Händen und verschwanden.
“Wenn die wiederkommen rufst du besser noch einmal nach Heilern!” Schlug Bruster vor.
“Das mach ich”, knurrte Quintus, der was wichtiges tun wollte, wenn sie ihn schon nicht mithaben wollten.
Es dauerte jedoch ganze zehn Minuten, bis das Trio aus Jane Porter, Kingsley und Oscar wieder aparierte. Kingsley und Oscar rangelten dabei mit zwei Jungen, die Aurora kannte. Es waren Roy Fielding und Tim Abrahams.
“Advoco Medicum!” Riefen Aurora und Quintus gleichzeitig den Notrufzauber auf. Zwei Lichtspiralen wirbelten über ihnen nach außen. Keine zwei Sekunden später apparierten die zwei Heiler in grünen Umhängen, die eben schon einmal da gewesen waren.
“Ach, jetzt werden wir gebraucht. Ein Notruf hätte aber genügt”, sagte einer der beiden. “Gestatten, Heiler Esus Farmer, St.-Mungo-Krankenhaus für magische Krankheiten und Verletzungen.”
“Laßt uns los, ihr Bastarde!” Rief Roy in unbändigem Zorn und riss seinen Arm frei, um Kingsley, der ihn hielt, einen heftigen Schlag auf die Nase zu dreschen. Wie ein gefällter Baum kippte der dunkelhäutige Auror um. Roy versuchte, davonzulaufen. Da traf ihn ein Schocker von Jane Porter und verlangsamte seine Bewegungen.
“Der wird nicht lange vorhalten. Zwei Sabberhexen haben mit ihm und dem anderen hier die Waldhochzeit gefeiert.”
“Ou!” Konnte der zweite Heiler nur dazu sagen. Dann stellte er sich als Immortellus Redlief vor.
“Ach, der Cousin meines Schwiegersohnes”, lächelte Jane Porter. Er nickte. Offenbar hatte er Jane Porter erkannt und bestätigte das was sie sagte.
“Die Waldhochzeit? Dann Könnt Ihr Professor Dumbledore bestellen, daß die beiden vor Ferienbeginn nicht aus St. Mungo rauskönnen. Eine derartig forcierte Adiktion benötigt viel Zeit, Geduld und die richtigen Tränke und Befreiungszauber”, sagte Esus Farmer. Dann fragte er noch: “Wie weit ist die Handlung vollzogen worden?” Er prüfte selbst nach anstatt auf eine Antwort zu warten. Er murmelte etwas von “Coitus Successivus” bei Roy und dann auch noch bei Tim, der versuchte, Oscars Griff zu entwischen. “Lass mich zurück zu Morpuora. Ich will nicht bei euch bleichhäutigen bleiben. Sie gibt mir alles was ich brauche. Lasst mich gefälligst …!”
“Stupor!” Rief Jane Porter und schockte Tim damit auch, wenn auch nicht vollständig. Roy nämlich wurde langsam wieder wach. Die beiden Heiler fischten rasch in ihre Taschen und zogen zwei einteilige Anzüge heraus, die wie gepolsterte Strampelanzüge für Riesenbabies wirkten. Aurora kannte diese Art Gummianzug schon. Das waren die Beruhigungsanzüge, die jemanden körperlich unbeweglich hielten. Rasch zogen die Heiler mit schnellen Zaubern Roy und Tim die Kleidung aus. Aurora wandte sich ab. Ebenso tat es Bruster. Dieser meinte dann:
“Wir reden da nicht drüber. Wir sagen’s nur Dumbledore. Wir selbst sagen es keinem von unseren Leuten weiter. Das soll Dumbledore tun! Verstehst du das. Wir müssen in Hogwarts nicht noch da reingeraten.”
“Wie du möchtest, Bruster”, sagte Aurora. Bruster nickte ihr zu und trat einige Schritte bei Seite, während die beiden Heiler mit ihren Patienten zu tun hatten.
“Dann stimmt es doch, Kollege Redlief, daß der Sexus zwischen Sabberhexen und halbwüchsigen Zauberern keine vier Minuten dauert, aber zehnmal wiederholt werden kann.”
“Wohl wahr. Dr. Morningdew hat das also richtig herausgefunden”, erwiderte Heiler Redlief. Aurora wurde wütend. Wie konnten zwei Zauberer, die einen Eid geschworen hatten, anderen zu helfen, über eben solche Patienten in deren Anwesenheit darüber fachsimpeln, wie faszinierend deren Zustand war? Wenn sie wirklich Heilerin werden wollte, dann, so schwor sie sich, würde sie höllisch darauf aufpassen, nicht selbst zu einer solchen unmenschlichen Fachidiotin ohne Gefühl für den Patienten zu verderben. Sie hörte etwas gluckern hinter sich. Sie wandte sich um und sah Bruster, der erleichtert eine Feldflasche absetzte, zudrehte und unter dem Umhang verbarg.
“Diese Hitze macht tierischen Durst. Aber jetzt ist die Flasche alle”, sagte er, als er bemerkte, daß Aurora ihm zugesehen hatte.
“Ich gehe gleich ins Schloß zurück. Mir ist der Hogsmeade-Ausflug total verdorben worden”, sagte Aurora. Bruster nickte.
“Ich geh schon einmal vor. Kommst du nach?”
“Ich will noch mitbekommen, was mit den Jungs passiert. Dann komme ich nach”, sagte Aurora. Einerseits war sie schon neugierig, wie die beiden nun wieder bei klarem Bewußtsein, zumindest dem, was der heilkundlichen Erklärung dafür entsprach, herumzeternden Jungen abtransportiert wurden. Auch war sie Vertrauensschülerin, wie Bruster auch. Doch einer mußte ja schon einmal vorlaufen, um Dumbledore zu informieren. Aurora wartete also.
Als die beiden Jungen mit einem Apparitionsmanöver abtransportiert worden waren, kam Kingsley wieder zu sich. Er tastete nach seiner Nase.
“Oh Mann, den Treffer habe ich mir wohl verdient”, näselte er und zog ein Taschentuch aus seinem Umhang.
“Hat man die Jungen ordentlich abtransportiert?” Fragte er. Aurora und Jane Porter nickten. Dann sagte der dunkelhäutige Auror:
Mädchen, Aurora Dawn heißt du doch, ich geh mit euch zum alten Dumbledore und beichte ihm, daß wir die beiden Jungs nicht früh genug gefunden haben. Dieses verdammte Weib Morpuora. Die und ihre Brut haben es drauf, mit Wirbelwinden und Feuerstrahlen zu hexen. Dann hätte mich fast noch eine ordinere Konifere mit ihren Zweigen erdrosselt. Aber mehr sage ich besser nicht. Sonst träumst du noch schlecht.”
“Ich komme auch mit, um dem alten Tausendsasser zu erzählen, wie es passiert ist. Wahrscheinlich wird er dich auch noch einmal fragen, was du mitbekommen hast”, sagte Jane Porter. Dann gingen sie, Kingsley, der mit Nachnamen Shacklebolt hieß und Aurora Dawn zusammen über Schleichwege aus dem Dorf hinaus zum Schloß. Unterwegs hüteten sie sich davor, in Dorfbewohner oder andere Hogwarts-Schüler hineinzulaufen. Dann, in Dumbledores Turmkammer, berichteten die Hexe, der Auror und die Vertrauensschülerin, was sie jeweils erlebt hatten. Als es um die Details ging, wurde Aurora zurück in den Gemeinschaftsraum geschickt. Dumbledore sagte:
“Ich erzähle das heute abend in der großen Halle, damit es alle mitbekommen, sich besser zu wappnen. Ich fürchte nur, die grüne Dame und ihre Töchter haben bekommen, was sie haben wollten. Dann werden wir mindestens ein Jahr lang nichts von ihnen hören oder sehen.”
“Sie meinen, Roy und Tim haben die Sabberhexen – geschwängert?”
“Hallo, so sagt man das nicht”, maßregelte Jane Porter das Mädchen.
“Nun, salonfähig würde es heißen in andere Umstände versetzt”, grinste Dumbledore verschmitzt. “Aber da es sich ja wohl eher um eine Form rein animalischer Triebbefriedigung handelte, kann ich dir das durchgehen lassen, Aurora. Immerhin würde man bei Säugetieren ja nicht anders formulieren, Jane”, ergänzte er noch und zwinkerte seinem weiblichen Gast durch die Halbmondgläser zu.
“Was soll ich Dina Murphy erzählen?” Fragte Aurora.
“Wenn Sie darunter leidet, was ich euch erzähle, dann komm bitte mit ihr und Madame Pomfrey zu mir! Wir klären dann, was wir für sie tun können”, bot Dumbledore an. Aurora nickte ihm vertrauensselig zu und verließ die Turmkammer. Jetzt würden sie da drinnen auswalzen, was genau mit Roy und Tim passiert war. Für Aurora stand fest, daß Tim bereits vorher von einer dieser Kreaturen abhängig geworden war. Ja, da fiel ihr ein, daß er nach dem Valentinsausflug überglücklich ausgesehen hatte. Tim hatte nie eine Freundin in Hogwarts gehabt. Konnte es sein, daß diese Morpuora ihn ködern konnte, weil er die körperliche Nähe einer Frau gesucht hatte. Sie fragte sich auch, wie Erica Fielding reagieren würde, wenn sie erfuhr, was ihrem Bruder passiert war. Ja, würde Dumbledore zulassen, daß es draußen welche erfuhren? Wahrscheinlich wäre das das Ende seines Amtes in Hogwarts.”
Aurora traf Bruster im Gemeinschaftsraum wieder. Er wirkte geknickt, als habe er die Nachricht über Roy und Tim gerade erst erfahren. Doch er sagte sofort:
“Ich habe Dina getroffen, Aurora. Ich konnte es ihr nicht erzählen. Aber sie sieht so verängstigt aus. Sie erzählte, sie suche Roy und daß der mit Tim Abrahams in die Zwergenschmiede wollte und das sie ja zu Angelique Liberté gehen wollte, da die Zwerge keine frei herumlaufenden Frauen mochten.”
Aurora schüttelte den Kopf. Sie selbst war mit Petula und Miriam in Forins Schmiede gewesen, und kein Zwerg hatte sie dumm angemacht. Sicher, der Chef mußte das erlauben. Aber gegangen war’s.
Petula und Miriam tauchten etwa eine Stunde später auf. Obwohl Dumbledore angewiesen hatte, daß niemand was erfahren sollte, bevor er es erzählte, sagte Petula:
“Loren Tormentus hat uns da eine haarsträubende Geschichte erzählt, Roy und Tim Abrahams seien von diesen Sabberhexen verschleppt worden. Stimmt das, Aurora?”
“Warum fragst du mich das?” Fragte Aurora, die sich denken konnte, warum Petula das fragte. Immerhin war sie ja nach der Sache mit dem Armband nicht mehr zurückgekommen. Also nickte sie schwerfällig.
“Aber sagt das bitte noch keinem anderen, der oder die es nicht schon weiß! Professor Dumbledore wird uns das heute abend erzählen.<”
“Mädel, daß ist fast in der ganzen Schule rum. Die Rattler rümpft schon die Nase, daß diese Sabberhexen keinen Geschmack hätten, sich mit Schla…, Ähm, Muggelstämmigen zu paaren, Eunice hat’s wohl von Dorian Dirkson, der’s wiederum von Tara Branigan hat, die euch, also dich, Aurora, eine Hexe mit Strohhut und den ebenholzfarbigen Kingsley Shacklebold zum Schloß schleichen gesehen hat. Wenn es Tara weiß, dann weiß es mel Bunton auch, und dann ganz Hufflepuff. Also erzähl!”
“Wir haben mit Dumbledore ein Übereinkommen, Petula”, sagte Bruster.
“Das schon im Klo gelandet ist”, fauchte Miriam. “Also rückt schon raus, was ihr wißt! Für Dina wäre es besser, wenn sie nicht nur mit Dritthandgeschichten beballert wird.” Sie zog Aurora hinüber zu Dina, die gerade von Rita Swift darüber informiert wurde, daß man Roy in eine Falle gelockt habe und der vielleicht tot sei. Aurora schupste die Shwester von Mortimer zur Seite und stand vor Dina. Diese weinte. Dann sagte Aurora:
“Dina, was dir Rita da erzählt hat stimmt nur zu einem winzigen Teil. Ja, Roy wurde in eine Falle gelockt. Das waren diese Sabberhexen, die immer schon auf ihn scharf waren. Diesmal haben sie ihn erwischt und das mit ihm angestellt, was sie von ihm wollten. Ich sage dir das deshalb so brutal, weil es nicht harmloser wird, wenn ich dich nur mit abgedrehten Gerüchten allein lasse. Roy lebt und ist jetzt im St. Mungo, weil diese Grünfratzen ihn durch ihre widerlichen Körpergifte von sich berauscht gemacht haben. Aber sie kriegen ihn wieder hin. Das ist schon bekannt, wie sowas passiert und kann geheilt werden. Das waren nur Sabberhexen, keine Vampire oder Succubi. Roy lebt noch und ich hoffe, der kommt wieder ganz in Ordnung.”
“Diese grünen Monster haben’s mit ihm getrieben?!” Heulte Dina nun völlig aufgelöst. Aurora nickte. Ein Nein wäre genauso grausam wie das Ja gewesen. Sie verstand auch, was nun in dina vorging. Roy war von einer sie anekelnden Kreatur benutzt worden. Falls sie daran gedacht hatte, ihm auch körperlich nahe zu sein, dann würde diese Mannstolle Kreatur zwischen ihnen beiden stehen und Dina auslachen. In Auroras Phantasie klang die hämische Stimme dieser Sabberhexe mit schwarzblauem Haar: “Ich hatte ihn. Er gehörte mal mir. Du kannst ihm das nicht bieten, was ich ihm gegeben habe.”
Ja, Aurora mochte nachfühlen, was Dina nun durchmachte.
“Also ein wenig feinfühliger hättest du es ihr schon sagen können”, maulte Bruster. Aurora schüttelte den Kopf.
“Bruster, mal ist Feinfühligkeit Medizin, mal lähmendes Gift. Das schreibt Professor Dr. Herbregis, die Heilerin aus der Sana-Novodies-Klinik.”
“Ach, du liest dich schon durch scheinbar intelligente Sprüche von erwachsenen Heilern? Dann Prost Mahlzeit!” Sagte Bruster Wiffle und strich sich verlegen über den FC-Liverpool-Schal, den er immer noch trug. Das Schuljahr lief ja noch.
Am Abend tuschelten die Schüler an den Haustischen. Die Slytherins blickten mal hämisch grinsend, mal angewidert zum Ravenclaw-Tisch herüber. Das ging eine Viertelstunde lang so, bis Dumbledore aufstand und mit einer Handbewegung um Ruhe bat. Schlagartig fiel ein Mantel aus Stille über alle Tische. Dumbledore sprach:
“Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Schülerinnen und Schüler von Hogwarts, ja, es ist wahr, daß heute in Hogsmeade eine schlimme Tragödie passiert ist. Die beiden Schüler Tim Abrahams und Roy Fielding sind Opfer paarungssüchtiger Sabberhexen geworden. Offenkundig handelt es sich dabei um eine Sippe, die bereits vor etlichen Jahren die Hände nach minderjährigen oder ungebundenen Schülern ausgestreckt hat. Im Vertrauen darauf, daß Roy Fielding und Tim Abrahams sich gegen diese Kreaturen gewappnet hätten, übersah ich persönlich, daß die fraglichen Kreaturen es nicht nur auf eine intime Handlung mit den Jungen angelegt haben, sondern diese regelrecht für sich vereinnahmen wollten. Wäre mir dies vorher bewußt gewesen, hätte ich die beiden Jungen beschützt und vor diesen Nachstellungen bewahrt. Zum Glück konnten die Schüler Aurora Dawn und Bruster Wiffle rechtzeitig Alarm schlagen, um die beiden Jungen aus der Gewalt dieser Kreaturen zu befreien. Sie sind nun im St.-Mungo-Krankenhaus, um sich von den schweren Beeinträchtigungen ihrer Körper und Seelen zu erholen. Der behandelnde Heiler hat mir bereits mitgeteilt, daß sich ihr Zustand innerhalb der nächsten drei Wochen wieder berappeln wird.” Wieder setzte ein Tuscheln ein. Dann fuhr Dumbledore fort: “Ich persönlich ziehe aus diesem Vorfall drei Konsequenzen: Erstens verfüge ich, daß die sonst sehr kurzweiligen und inspirativen Ausflüge nach Hogsmeade weiterhin genehmigt werden, sofern vorher geklärt wird, welche böswilligen Kreaturen zu welchen Zeiten dort herumlaufen, um die Ausflüge auf Tage zu verlegen, an denen diese Kreaturen nicht dort sind.
Zum zweiten habe ich angeregt, ein Alarmsystem auf Basis des Frühwarnarmbandes in Hogsmeade einzurichten, das sofort Hilfe anfordert, wenn jemand von den Schülern von einer wie auch immer dort herumlaufenden Kreatur bedrängt wird.
Drittens werde ich mich morgen früh dem Ministerium und dem Schulrat für eine klärende Aussprache zur Verfügung stellen und auch mein Amt zur Verfügung stellen, sofern mein Rücktritt erwünscht wird. Soviel dazu. Wenn ihr könnt und wollt, esst. Viele von euch sind noch im Wachstum. Also nutzt es bitte aus, reichlich zu essen!”
Klar konnten viele vor lauter Schwatzen nicht richtig essen. Dina hockte total niedergeschlagen auf ihrem Platz. Manchmal blickte Tonya herüber. Doch Aurora funkelte sie warnend an.
__________
Zwei Tage vergingen, in denen die Schüler nur das erfuhren was in der Zeitung stand. Da hieß es einen Tag nach dem Zwischenfall:
“Schüler werden Opfer gefährlicher Monster in Frauengestalt! Dumbledore bekennt sich zu seiner persönlichen Verantwortung.”
Dann, am dritten Tag, wenige Tage vor dem Ferienbeginn, kam der Tagesprophet mit der Schlagzeile heraus:
“Dumbledore von Zauberergamot und Schulrat rehabilitiert. Kein Versäumnis nachzuweisen! Alter ist neuer Schulleiter von Hogwarts.”
Nicht wenige klatschten. Denn das Dumbledore seine eigene Anstellung hinter dem Wohl von Hogwarts und dessen Schüler zurückgestellt hatte imponierte allen, ja auch einigen Slytherins, die es nicht ungern gesehen hätten, wenn Dumbledore entlassen und noch dazu ins Gefängnis geworfen worden wäre. Als der von aller Schuld freigesprochene Schulleiter am Abend wieder in die große Halle kam, wurde ihm begeistert applaudiert. Er nahm den Applaus mit einer dankbaren Verbeugung hin und kehrte auf seinen Platz zurück.
“Der ist einfach nur genial”, sagte Mortimer. “Der hat allen den Wind aus den Segeln genommen, die ihn gerne wegen dieser Sache drangekriegt hätten. Dann hat er es so gedreht, daß die Schule und damit er nicht darauf gefaßt sein konnte, weil der Morpuora-Clan selten in der Nähe von Hogsmeade auftaucht. Dann hat er wohl Nachfolger vorgeschlagen, die keiner gewollt hat. Einfach genial.”
“Das hängt auch damit zusammen, daß Ministerin Bagnold, die ja für eine Entschärfung der Gesetze gegen böse Zauberwesen eintreten wollte, im September sowieso zurücktritt und ein neuer Minister gewählt wird. Man weiß nicht, wer es sein soll”, sagte Bruster.
“Crouch ist es nicht, nach der Kiste mit seinem Sohn”, sagte Mortimer. “Dann können es noch dieser Cornelius Fudge sein, Madame Bones oder eben Dumbledore. Aber der hat sich mit diesem Selbsthinhänger schön aus der Schlinge gezogen, Minister werden zu müssen. Wenn diese Sabberhexen nicht von sich aus hinter Jungen von uns her gewesen wären, hätte ich fast den Verdacht, Dumbledore hätte das eingefädelt, um sich aus dem Ministeramt herauszuhalten.”
Dina mußte zu Madame Pomfrey und bekam von dieser Seelenberuhigungstränke verschrieben. Aurora tröstete sie, daß Roy bestimmt nicht untreu geworden sei, weil dieses grüngesichtige Geschöpf ihn ja hatte benebeln müssen. dina wußte nicht, ob das mit Roy wieder so werden würde wie früher. Doch andererseits konnte sie ihm unmöglich vorwerfen, sich darauf einzulassen.
Dann war da noch der Besuch von Erica Fielding, die zusammen mit einem Ehepaar zu Dumbledore kam. Der Mann trug eine blaue Uniform und wirkte sehr erzürnt, während die Frau sichtlich verängstigt wirkte. Das waren Tims Eltern. Aurora wurde kurz zum Schulleiter gerufen, um Erica und den Abrahams’ zu berichten, was passiert war.
“Unverschämtheit. Ich habe für meinen Sohn und alle anderen Kinder den Kopf hingehalten, wäre fast von einer argentinischen Mirage vom Himmel geholt worden, um dann, kaum daß ich endlich wieder zu Hause war, zu hören, daß mein Sohn von solchen notsüchtigen Biestern abhängig gemacht wurde, wo Sie, Mr. Dumbledore, angeblich doch so ein mächtiger Zauberer sind, der ja auch diesen Lord Voldemort auf Abstand halten konnte”, tobte Mr. Abrahams.
“Commander Abrahams, ich verstehe Ihren Zorn und teile ihn sogar, was die Angelegenheit angeht. Aber ich bin nicht allgegenwärtig und halte meine Schüler auch nicht unter ständiger Überwachung”, erwiderte Dumbledore. Aurora fühlte beinahe körperlich, welche Wut diesen sonst so ruhigen Zauberer erfüllte.
“Wir ziehen unsere Erlaubnis für dieses Höllendorf Hogsmeade zurück”, sagte der Blauuniformierte. Seine Frau nickte. Aurora und Erica grinsten. Immerhin würde Tim ja bald in der weiten Welt herumlaufen und konnte auch anderswo auf Geschöpfe wie Morpuora treffen. Außerdem war er den Zauberergesetzen nach volljährig.
“Das steht Ihnen frei”, sagte Dumbledore nun lächelnd. Erica Fielding meinte dann noch:
“Wann können wir die Jungen besuchen?”
“Sie, Ms. Fielding, können jederzeit mit den Heilern sprechen. In deren Ermessen liegt es, ob sie Sie zu Ihrem Bruder vorlassen oder nicht. Was Sie angeht, Commander Abrahams, Mrs. Abrahams, so sind die Regeln für das St.-Mungo-Krankenhaus sehr strickt und umbeugsam, daß dort keine nichtmagischen Personen hineindürfen, sofern sie nicht als Opfer magischer Krankheiten oder Verletzungen zu Patienten geworden sind”, sagte Professor Dumbledore.
“Ihre Gesellschaft bangt um ihre Offenbarung, Professor Dumbledore”, schnaubte Tims Vater. “Wollen Sie haben, daß morgen das ganze britische Militär von der Existenz der Zaubererwelt erfährt?”
“Nein, das will ich nicht. Aber Sie können mich auch nicht erpressen, Commander”, erwiderte Dumbledore. “Erstens bin nicht ich für die Obliegenheiten im St.-Mungo-Krankenhaus zuständig. Zweitens sollten Sie, ein intelligenter Mann, der einen respektablen Rang in der Marine erreicht hat, davon ausgehen, daß sensible Institutionen Ihrer Welt von der Geheimhaltungsüberwachung unserer Welt sorgfältig kontrolliert werden. Riskieren Sie also bitte nicht, in eine Geschlossene Abteilung einer Ihrer Nervenheilanstalten eingewiesen zu werden, weil Sie behaupten, Ihr Sohn sei von grüngesichtigen Hexen, die ohne Besen fliegen, verwünscht und vergewaltigt worden.”
“Es stimmt, Sir, die haben Agenten in der nichtmagischen Welt”, sagte Erica bestätigend. Commander Abrahams knurrte zwar sehr verärgert, aber wohl eher aus Hilflosigkeit. Erica sagte dann noch: “Ich habe Telefon und kann auch zu Ihnen kommen, wenn ich bei Roy war und vielleicht auch was von Ihrem Sohn mitbekomme. Ich kann ihm auch gerne was von Ihnen geben oder ausrichten.”
“Dein Mitleid kannst du dir sparen, Mädchen”, schnaubte Tims Vater. Doch seine Frau nickte Erica heftig zu und sagte, daß sie dieses Angebot annehmen würden. Ihr Mann sah sie dann zwar merkwürdig an, doch Mrs. Abrahams blickte ihn sehr entschlossen an. Offenbar mußten der Marineoffizier und die einfache Hausfrau klären, wer in ihrer Familie das Kommando führte.
“Ich hoffe, Roy und Tim kommen rasch wieder zur Besinnung. Die Therapie ist langwierig, weil die betreffenden Wesen mit ihren Körperflüssigkeiten und Geistesunterdrückungszaubern sehr tief in den Verstand eingedrungen sind”, erläuterte Dumbledore, warum die Behandlung so lange und so von der Außenwelt abgeschirmt verlaufen mußte.
“Roy muß also deprogrammiert werden, wie jemand, der einer Sekte angehört hat und herausgeholt wurde?” Fragte Erica. Dumbledore nickte.
“Es ist schlimmer als der Imperius-Fluch, der ja doch irgendwann abklingen kann”, bekräftigte er seufzend. “In der nichtmagischen Welt Pflegt man in einem solchen Fall von Gehirnwäsche zu sprechen. Insofern wird es dauern, die verankerten Gelüste und Unterwürfigkeiten so zu entfernen, daß der frühere Geisteszustand wieder hergestellt werden kann.”
“Sie hören noch von mir!” Schnaubte der Marineoffizier und winkte seiner Frau, ihm zu folgen.
“Ich freue mich darauf”, sagte Dumbledore, nun wieder ganz ruhig.
“Danke, Aurora, daß du meinem Bruder Hilfe besorgt hast. Wenn das keiner mitbekommen hätte, wäre dieses grüne Scheusal wohl sein Leben lang seine Herrin geblieben”, sagte Erica.
“Ich konnte doch nicht so viel tun, Ms. Fielding”, sagte Aurora. Roys Schwester grinste und meinte:
“Als ich vor einem Jahr von hier abging hieß ich noch Erica. Ich habe kein Problem damit, wenn du mich auch weiterhin so nennst.”
“Gut”, konnte Aurora nur dazu sagen. Dann verabschiedete sich Erica von Dumbledore und folgte dem Ehepaar Abrahams, um mit diesem in einem Auto des Zaubereiministeriums zurück nach London zu fahren.
“Haben Sie keine Angst, daß Mr. Abrahams die Geheimhaltung gefährdet?” Fragte Aurora den Direktor. Dieser schüttelte den Kopf.
“Seit der Erfindung der Funkübermittlung wissen wir, daß wir noch schärfer aufpassen müssen, daß die Geheimhaltung der Zauberei nicht zunichte gemacht werden kann. Die Zaubereiministerien aller Länder haben ihre Aufpasser und “Feuerwehrleute” in den wichtigsten Einrichtungen wie den Nachrichtendiensten, den Militärs und Polizeibehörden und auch den Universitäten, wo die Frage nach übernatürlichen Ereignissen diskutiert und nach solchen Vorkommnissen geforscht wird. Ich kann dem also sehr sorglos entgegensehen.”
“Gut zu wissen, Professor Dumbledore. Brauchen Sie mich noch?”
“Nein, du darfst jetzt wieder gehen”, entließ Dumbledore Aurora sanftmütig lächelnd.
Am vorletzten Schultag bestellte Madame Hooch die Ravenclaw-Quidditchmannschaft von 1982 in ihr Büro ein. Dort lag ein großes Bild mit allen sieben Quidditchspielern der Erfolgsmannschaft von 1982. Aurora nickte. Jetzt wollten sie also diese Bilder mit ihrem Eigenleben aufwecken. Madame Hooch sagte vorher noch:
“Unabhängig, was in den letzten Tagen passiert ist werden alle bisherigen Eindrücke von euch auf die Bilder übertragen. Der Zauber ist einfach. Jeder und jede von euch legt nun die rechte Hand auf sein Bild. Ich werde dann den Zauber “Inflato Animam” sprechen, womit das Bild nicht nur gestalterisch, sondern auch charakterlich euer Ebenbild wird. Diese Ehre lasse ich nur denen zukommen, die meiner Meinung nach auch entsprechende Leistungen gebracht haben.”
Aurora machte den Anfang. Sie suchte ihr gemaltes Selbst, das noch ganz starr und unbeweglich auf seinem Besen über dem Quidditchfeld flog. Sie legte die rechte Hand auf das Bild. Dann fühlte sie, wie Madame Hooch ihren Zauberstab auf dem Bildrand aufsetzte und hörte sie murmeln: “Inflato Animam!”
Aurora meinte, etwas in ihrem Körper würde sich strecken, prickeln und dann, wie ein warmer Hauch zwischen ihrer auf dem Bild liegenden Hand und dem Gemälde selbst dahinströmen. Auroras gemaltes Wesen erzitterte. Dann streckte sich die gemalte Aurora Dawn von 1982, ihr derzeit gleichwertiges Ebenbild und begann unter der Hand des Originals davonzufliegen, langsam zwar noch aber zielstrebig.
Alessandro war der Nächste, der ein Fragment seines Selbst in die gemalte Ausgabe von sich überfließen ließ. Dann folgte Ken, dann Karin, den Bruster, Mortimer und zum Schluß Toby Wells, der dieses Jahr ein ausgezeichneter Jäger gewesen war. Als alle sieben Bilder ein Eigenleben besaßen, wurden sie so schnell und beweglich wie ihre Originale, spielten die mit auf dem Bild abgemalten Bälle und freuten sich sichtlich, daß sie lebten. Aurora fand es unheimlich wie ihre gemalte Ausgabe herumflog und die Doppelachsen-Manöver flog. Sie fühlte, daß es irgendwie unheimlich aber auch erhaben war, diese belebte Abbildung von sich in Hogwarts zu wissen.
“Ist dieses Bild für alle anderen Bilder offen?” Fragte Alessandro. Madame Hooch nickte. Somit konnten die Quidditchspieler früherer Mannschaften sich gegenseitig herausfordern, ja sie konnten auch in andere Bilder von Hogwarts hinüberfliegen.
Aurora Dawn dachte an Lady Medeas Bild. Ihr gemaltes Ich lebte nun in derselben Welt wie die Hexenlady. Sie hoffte, die beiden würden sich miteinander gut vertragen.
Nach dieser feierlichen Bildbelebung trafen sich die Quidditchspieler zu einem kleinen Umtrunk in einem stillen Winkel von Ravenclaw. Alessandro Boulder hob sein Glas Butterbier und brachte einen Trinkspruch aus:
“Auf die Mannschaft von 1982, die beste Quidditchmannschaft, die Ravenclaw in den letzten sechzig Jahren aufgeboten hat!” Alle tranken ihm zu. Da sah Aurora die winzigen Tränen in Alessandros Augen. Sie fragte ihn behutsam, was er habe.
“Mir ist jetzt erst klar geworden, daß ich übermorgen hier raus muß. Ich habe es sieben Jahre durchgehalten, sogar mit so Leuten wie Snape. Das geht jetzt alles zu Ende. Aber in Madame Hooches Büro hängt jetzt ein Bild, wo ein genaues Abbild von mir drauf ist. Wenn das gutes Öl war, dann kann das in sechshundert Jahren hier noch hängen, vorausgesetzt, die Lehrer nach Madame Hooch werfen keine Bilder weg. Das ist traurig, das sich irgendwann niemand groß an mich erinnern wird, wie ich ab übermorgen leben werde. Aber es ist schön, daß der beste Teil von mir jetzt in Hogwarts ist und da bleibt.”
Aurora verstand, was Alessandro umtrieb. Sie dachte zwar noch nicht so weit. Doch sie erkannte, daß sie mit dieser Bildbelebung etwas großes geschaffen hatte, das unwichtig wirkte und doch sehr bedeutsam werden konnte. Sie konnte sich auch irren, und niemand interessierte sich nach ihrem Abgang für das Mädchen, daß das Eigenbesenverbot auf den Abfallhaufen der Geschichte geworfen hatte. Sie dachte an Leute wie die Malfoys, an Draco, den sie als Baby gerettet hatte. in zehn Jahren würde er hier eingeschult werden. Würden seine Eltern ihm erzählen, daß sie ihn gerettet hatte? Wie würde er damit umgehen, falls ja? Sie wußte es nicht. Doch vielleicht sollte sie an Ravenclaws im allgemeinen denken, die sich bestimmt gerne erinnerten, daß sie zweimal in Folge den Quidditchpokal gewonnen hatten.
“Ich bedanke mich bei allen, die mit mir zusammen schon unter Kelvin Hightowers für Ravenclaw gespielt haben. Vielen Dank an euch alle!” Sagte Alessandro noch zum Abschluß. Dann kehrten sie in den Gemeinschaftsraum zurück.
Am Letzten Schultag verkündete Dumbledore, daß es Roy und Tim wesentlich besser ginge. Allerdings müßten sie noch zwei volle Wochen unter Beobachtung stehen. Dann hielt er die letzte Ansprache des Schuljahres.
“Wir haben wieder ein Jahr überstanden. Einige werden sagen, überlebt. Ja, das stimmt. Denn am Anfang des Jahres wußte niemand von uns, ob er oder sie auch nur einen Monat mehr überleben würde. Jeder hatte Angst um seine Angehörigen. Roy Fielding, der nun bedauerlicherweise Opfer einer triebhaften Kreatur geworden ist und daher nicht mitfeiern kann, überlebte knapp einen der letzten großen Anschläge des bösartigen Zauberers Lord Voldemort. Von euch haben einige Verwandte verloren, gute Bekannte, die einem das Leben lebenswert gestaltet haben. Dann, als wir alle dachten, die dunklen Tage würden nun nicht mehr enden, rettete uns alle ein Umstand, den niemand, auch ich nicht, voraussehen konnte. Lord Voldemort scheiterte bei einem tödlichen Angriff auf den Jungen Harry Potter und verlor seine Macht. Seitdem sind wir bestrebt, den großen Scherbenhaufen wieder aufzuräumen und uns eine neue, vielleicht friedlichere Welt, aufzubauen. Daß wir dabei auch vom Friedenswillen der Muggel abhängig sind hat die Zeit zwischen April und Juni gezeigt. Die reinblütigen Zauberer werden es nicht mitbekommen haben, aber unser Land lag mit einem anderen Land im Krieg und hätte viele tausend Männer verlieren können. Das es dort draußen, in der nichtmagischen Welt immer noch Kriege gibt und sehr bedrohliche Waffen, die unseren Planeten restlos entvölkern können, sollte auch uns Zauberern und Hexen immer klar vor Augen stehen. Es ist an uns, den Frieden in uns selbst zu bewahren, um den Frieden um uns herum nicht zu gefährden. Dabei spielt es keine Rolle, welche Abstammung jeder hier hat. Eine friedliche Welt, in der nicht Angst und Mord, sondern Hoffnung und Lebenserhaltung die Welt in Bewegung halten, ist ein Traum, der sich vielleicht niemals erfüllt. Doch je mehr ihn träumen, desto schwächer wird dieses Niemals werden.
Ich habe nun, nachdem wir alle dieses grausame, aber auch allen Glauben an die Macht der Hoffnung zurückbringende Jahr vollenden, die wunderbare, traditionelle Aufgabe, den Gewinner des diesjährigen Hauspokals zu verkünden.” Dumbledore gönnte sich eine kurze Pause. Dann sprach er weiter: “Für Hufflepuff sieht es dieses Jahr mit dreihundertfünfzig Punkten besser aus als oft zu vor. Ihr könnt es immer noch schaffen!
Das Haus Slytherin hat sich dieses Jahr durch einen sehr unrühmlichen Zwischenfall selbst die Schuld an der für seine Verhältnisse kleinen Punktzahl von dreihundertachtzig Punkten zuzuschreiben.” Alle jubelten. Denn nun würde es wie im Finale zwischen Ravenclaw und Gryffindor ausgehen.
“Zwischendurch war es ein regelrechtes Wetterhäuschenspiel. Mal führte Gryffindor, mal Ravenclaw. Doch heute ist es eindeutig. Gryffindor hat vierhundertzwanzig Punkte gewonnen.” Die Gryffindors klatschten Beifall, jubelten aber nur verhalten.
Das Haus Ravenclaw hat dieses Jahr durch überragende Quidditchleistungen, sowie die Hilfe einiger seiner Schüler bei der Entscheidung um die Eigenbesenzulassung, sowie überragende Leistungen in der Schule 590 Punkte gewonnen und ist damit Sieger des diesjährigen Hogwarts-Hauspokals!” Nun war es amtlich. Die Ravenclaws hielten nicht mehr an sich. Sie feierten ihre Heldinnen und Heldenund klatschten weiterhin beifall. Aurora sah auf die Wand über dem Lehrertisch, die von einm Banner überdeckt wurde, auf dem der bronzefarbene Ravenclaw-Adler prangte. Jetzt war es wieder soweit. Sie hatte hier entscheidende Dinge erlebt, shöne und schlimme. Doch jetzt war das Jahr um, und Aurora Dawn hatte ein zweites Mal den Quidditchpokal erringen können. Sie dachte kurz an Roy, der nun im St.-Mungo-Krankenhaus lag, weil sie nicht schnell genug hatte helfen können. Ja, sie wollte anderen Menschen helfen. Das erkannte sie jetzt als ihre eigentliche Bestimmung.
Tags drauf kehrten die Schüler zu ihren Eltern zurück. Am Morgen noch hatte Lissy Wright Aurora einen Brief mit einem fünfzackigen Drachen unter die Nase gehalten.
“Die hat’s tatsächlich getan. Die holen mich nach Thorntails”, hatte Lissy verächtlich gesagt. Aurora hatte nur gesagt, daß sie dort bestimmt besser lernen könne.
Sie verabschiedete sich von Alessandro und den anderen Quidditchkameraden, ließ es sich sogar nicht nehmen, den Hawkins-Zwillingen viel Glück, Erfolg und Spaß in der Neuen Heimat zu wünschen.
Als ihre Mutter sie am Bahnhof Kings Cross abholte, freute sich Aurora schon auf die Ferien. Sie würde sie zum Teil an einem Ort verbringen, von dem sie bis dahin nichts außer dem Namen gehört hatte, beziehungsweise, daß es dort vor etlichen Jahrhunderten etwas wie eine dunkle Lady, eine böse Matriarchin gegeben hatte. Was würde ihr die Kräuterkundekonferenz in Millemerveilles bringen? Würde es schön interessant sein oder schrecklich langweilig? Allein diese Frage weckte in Aurora eine herrliche Anspannung.
BARTEMIUS CROUCH JUNIOR BETEILIGT AN
GRAUSAMER FOLTERUNG AN BELIEBTEM MITGLIED DES AURORENKORPS
Aurora las den unter diesen seitenüberspannenden Schlagzeilen
stehenden Artikel, wobei sie große Augen bekam.
“Vor zwei Tagen wurden vier
offenkundige Helfer dessen, dessen Name nicht genannt werden darf,
nach einer wilden Verfolgungsjagd und hartem Kampf festgenommen, die
als diejenigen erkannt worden waren, das Ehepaar Frank und Alice
Longbottom grausam gefoltert zu haben. Die vier Verbrecher sind das
Ehepaar Bellatrix und Rodolphus Lestrange, sowie Rabastan Lestrange
und der einzige Sohn des hochverehrten Mr. Bartemius Crouch, der
denselben Vornamen trägt. Es war ein heftiger Schock für
Mr. Crouch Senior, als er die Nachricht von der Verhaftung seines
Sohnes erhielt. Allerdings, so teilte er Ministerin Bagnold und dem
Tagespropheten mit, würde er absolut keine Gnade walten lassen.
Sein Sohn sei für ihn gestorben, so seine voller inbrünstiger
Verachtung getätigte Aussage.
Die Lestranges und Bartemius Crouch
Junior wurden vor dem Zauberergericht angeklagt, die Folterung der
Longbottoms mit dem unverzeihlichen Cruciatus-Fluch begangen zu
haben. Die Longbottoms ertrugen die andauernde Pein nicht lange und
verloren den Verstand. Zur Zeit befinden sie sich in der Obhut der
Heiler im St.-Mungo-Krankenhaus. Ob sie überhaupt genesen können
wolten oder konnten die zuständigen Heiler nicht bestätigen.
Die Lestranges wirkten bei der
öffentlichen Verhandlung überlegen und von der Richtigkeit
ihrer Tat überzeugt. Ihnen sei es wohl darum gegangen, den
Aufenthalt dessen, dessen Name nicht genannt werden darf, aus den
Longbottoms herauszufoltern, um dem Unnennbaren zu helfen, seine alte
Macht zurückzuerlangen, die er bei dem Versuch, Harry Potter zu
töten, nahezu vollständig verlor.
Bartemius Crouch Junior bestritt seine
Beteiligung an der Tat und flehte seinen Vater an, ihm Gnade zu
erweisen. Doch Mr. Crouch Senior machte seine Ankündigung wahr
und ließ sich vom Flehen des jungen Zauberers nicht erweichen.
Alle vier wurden gemäß den Gesetzen zum Gebrauch
unverzeihlicher Flüche an Mitmenschen zu einer lebenslänglichen
Haft in der Feste von Askaban verurteilt und den dort wachenden
Dementoren übergeben.
Wir und alle unsere Leserinnen und
Leser müssen uns die bange Frage stellen, wie lange die düstere
Epoche dessen, dessen Name nicht genannt werden darf, unsere Welt
noch in Angst und Schrecken halten wird. Zumindest aber werden jene,
die gefaßt werden, mit der ihren Untaten angemessenen Strafen
belegt.
Nach der Verhandlung zog sich Mr.
Crouch einstweilen in sein Privathaus zurück und legte fest, daß
niemand ihn wegen was auch immer zu behelligen habe. Seine Frau, die
zur Zeit an einer schweren Krankheit leidet, wirkte nach der
Verhandlung gänzlich am Boden zerstört. Wahrscheinlich wird
Bartemius Crouch sich nun intensiver um sie kümmern.”
“Warum können es diese Leute nicht einfach einsehen, daß
ihr dunkler Meister nicht mehr da ist und uns anständige Leute
in Ruhe lassen?” Knurrte Aurora Dawn und faltete ihre Ausgabe
des Tagespropheten zusammen. Sie dachte daran, daß dort draußen
immer noch Helfer dieses unmenschlichen Hexenmeisters herumliefen,
die immer noch meinten, in dessen Namen handeln zu müssen. Warum
konnten die nicht einfach aufhören und friedlich weiterleben?
Mußte man sie erst fangen oder töten, bis sie es einsahen?
Aurora wußte es nicht.
__________
Tim Abrahams’ Laune wurde nicht besser, als die Ferien wieder zu
Ende waren. Es stand nun fest, daß Großbritannien keine
Scheu vor dem Krieg mit Argentinien hatte. Als Roy und die anderen
Muggelstämmigen Mitschüler wieder zurückkehrten, war
der Falklandkrieg, wie ihn die Muggelreporter in den Fernsehkästen
und deren Radios und Zeitungen nannten, schon in vollem Gange. Roy
fragte einmal:
“Haben die auf diesen Eisfelsen Öl gefunden oder Uran
oder was?”
“Das ist wohl eine Sache des Prinzips, Roy”, knurrte Tim
zurück, als sie alle in der großen Halle beim Abendessen
saßen. Vivian Acer sagte noch:
“Man kann sich das gar nicht so recht vorstellen, daß
die sich um so Inseln kloppen, die mehr als zehntausend Kilometer von
hier weg sind. Da sterben Menschen für nix und wieder nix.”
“Kannst du so nicht sagen, Vivian. Immerhin zeigt England,
daß es immer noch die Wogen beherrscht, wo den Amerikanern und
Russen ja schon der Weltraum gehört”, feixte Roy.
“Schwachkopf!” Fauchte Tim. Daß sein eigener Vater
gerade mittendrin in diesem an sich unverständlichen Geschehen
war, machte ihm Angst, die ihn wiederum wütend machte.
“Roy, das war jetzt fies”, sagte Dina Murphy, die rechts
von Roy saß, womöglich um allen zu zeigen, wie wichtig er
für sie war. “Tims Vater wollte da bestimmt nicht hin und
macht das nur, weil jemand es dem befohlen hat. Also rede nicht so
daher!”
“Eh, daß ist doch die Meinung in England, sich von
diesem Land noch auf der Nase herumtanzen zu lassen. Ist ja im
Fußball schon schlimm genug.”
“Haha, Roy. Am besten wird dieser Krieg in einem
Fußballturnier entschieden oder was?” Schnaubte Tim
Abrahams.
“Das ist sowieso Unfug zu glauben, daß Britannien die
Meere beherrscht. Noch idiotischer ist der Unfug, den Weltraum
erobern zu wollen oder zu behaupten, das schon getan zu haben”,
warf Geoffrey ein. Tim nickte widerwillig. Ihm schmeckte das Thema
nicht und drohte darüber hinaus, ihm noch den Appetit zu
verderben. Deshalb sah er Alessandro an und fragte ihn, wann er mit
ihm für die UTZ-Stunden bei Flitwick üben konnte.
Alessandro nutzte diese Frage, um die Quidditchmannschaft darauf
hinzuweisen, daß sie am nächsten Samstag wieder trainieren
würden.
“Ich hoffe sehr, daß mit deiner Besenerlaubnis macht
uns nicht den Pokal streitig, Aurora”, grinste Alessandro.
“Was mich angeht bestimmt nicht, Alessandro”, grinste
Aurora überlegen zurück.
“Denkt ihr, die Gryffindors ließen sich das entgehen,
den Pokal zu holen, wenn sie auch auf besseren Besen fliegen können?”
Fragte Miriam Swann.
“Die können alle die Nimbus-Besen haben oder noch ältere
Krücken als wir bisher fliegen mußten, Miriam”, sagte
Mortimer. “Ob die den Pokal kriegen hängt ganz an uns.”
In zwei Wochen wissen wir’s”, sagte Petula Woodlane
entschlossen. “Aber wir werden dich nicht zerfluchen, Aurora,
wenn ihr den Pokal nicht verteidigen könnt. Da hängt ja
doch viel Glück an so einem Spiel dran.”
“Genau”, sagte Aurora Dawn. “Also sollten wir
vorher noch etwas trainieren, damit wir zumindest so gut spielen
können wie möglich.”
“Du läufst dich schon warm, Alessandros Nachfolgerin zu
werden, was, Aurora?” Flachste Roy Fielding.
“Darüber reden wir erst im nächsten Jahr”,
sagte Aurora und sah Bruster und Mortimer an.
Die nächste Woche war bereits ein Vorgeschmack auf die
anstehenden Prüfungen. Professor Flitwick ließ sie im
Unterricht komplizierte Illusionszauber und Klangkerker,
Schallschlucker und Schweigezauber üben. Einmal schaffte es
Aurora, statt eines ockergelben Klangkerkers einen purpurroten
Schimmer auf Boden und Decke zu legen, der den Schall im Raum immer
wieder verstärkte, sodaß alle Schüler sich die ohren
zuhalten mußten, weil selbst ein Flüstern zu einem immer
lauteren und dabei schrill klirrenden Geräuscheansturm wurde.
Erst als Flitwick die Tür öffnete und mit lautem Knall die
rote Lichtauskleidung verschwand, kehrte der normale, sich an die
Gesetze der Physik haltende Raumklang wieder ein.
“Hui, den Effekt kannte ich noch nicht”, keuchte der
kleine Zauberer mit dem weißen Haar. “Wie haben Sie den
hinbekommen, Ms. Dawn?”
“Ich habe den Zauber gesprochen, wie Sie uns den beigebracht
haben und versucht, an etwas völlig lautloses zu denken, bei mir
war es der Vollmond. Aber irgendwie muß ich dabei auf Klatscher
beim Quidditch gekommen sein. Hmm, weil ich wohl über das
Nachtspiel der letzten Weltmeisterschaft nachgedacht habe.
‘tschuldigung, Professor Flitwick.”
“Interessant. Klatscher beim Quidditch fliegen immer hin und
her, wenn sie nicht weggeschlagen oder gezielt auf jemanden umgelenkt
werden”, sagte der Zauberkunstlehrer etwas ungehalten
dreinschauend. Roy meinte, das habe sich angehört wie eine total
übersteuerte Tonanlage, wo eine Rückkopplung auftritt, wenn
man das was ein Mikrofon aufnimmt, aus in dessen Nähe stehenden
Lautsprechern widergibt.
“Das wird es wohl gewesen sein, Mr. Fielding. Der Schall
wurde nicht einfach nur zurückgeworfen, sondern dabei immer
wieder vervielfacht. In dem engen Raum wirkte sich das sofort als
gefährliche Überlastung für die Ohren aus”,
stimmte Flitwick dem zu. “Ich mag mir nicht vorstellen, was
geschehen wäre, wenn ich die Tür eine minute später
geöffnet hätte. Entweder hätte es unsere Gehirne
zerrissen und / oder den Klassenraum zertrümmert. Das beweist
wieder, daß Disziplin beim Zaubern oberstes Gebot ist. Der
Klangkerker muß von jedem, der ihn aufruft, in völliger
äußerer und innerer Stille gewirkt werden. An den Mond
oder den lautlosen Sternenhimmel zu denken ist an sich schon sehr
sehr gut. Aber diese Gedanken müssen solange aufrechterhalten
werden, bis der Klankerker etabliert ist. Leider gibt es auch unter
den vollständig ausgebildeten Hexen und Zauberern immer noch
welche, die dies nicht sonderlich beachten, daß um sie herum
keine unregelmäßigen Geräusche sein dürfen und
sie selbst an etwas völlig geräuschloses denken müssen.
– Versuchen Sie es bitte noch einmal, Ms. Dawn!”
Aurora entspannte sich und dachte kurz nach, wie gut sie einen
prallen, silberweißen Vollmond über sich stehen sehen
konnte, bevor sie “Sonorincarcere” murmelte. Keiner sagte
was oder machte irgendwelche anderen Geräusche. Ockergelbes
Licht fiel aus Auroras Zauberstab und bestrich die Wände, den
Boden und dann die Decke. Dann kleidete ein korrekter ockergelber
Schimmer alles aus, was den Klassenraum nach außen begrenzte.
Der Klangkerker stand nun sicher und würde keinen noch so
kräftigen Laut nach außen dringen lassen, bis auf
natürliche Weise eine Öfnnung des damit bezauberten Zimmers
geschaffen wurde. Flitwick nickte, sagte einige Worte um zu beweisen,
daß der übliche Hall im Raum nicht verändert worden
war und machte wieder die Tür auf. Sofort erlosch die
durchsichtige Lichtauskleidung. Der Klassenraum erschien nun so wie
sonst.
“Ich denke nicht, daß man bei den ZAG-Prüfungen
diesen Zauber von Ihnen verlangt, zumal ja in der großen Halle
mehrere Prüflinge gleichzeitig zaubern und erläutern
müssen”, sagte Professor Flitwick. “Aber zumindest
sollten Sie alle damit vertraut sein, wie er aufzurufen ist und
welche Schwierigkeiten es dabei geben kann.”
Am Ende der Stunde vergab er noch fünfzehn Punkte für
Ravenclaw. Auroras Fehlschlag hatte fünf Punkte Abzug
eingebrockt, weil Flitwick klarstellen wollte, daß in der
Zauberei keine abschweifenden Gedanken aufkommen durften. Dina, die
zwar auch den Klangkerker zu zaubern versucht hatte, mußte sich
damit abfinden, daß sie wohl trotz gewisser Fortschritte mit
der direkten Zauberei immer noch sehr große Probleme hatte.
Bei Professor McGonagall war es nicht viel leichter. Sie ließ
größere Tiere verschwinden oder verlangte schnell
aufeinander folgende Verwandlungen. Dina verpatzte dabei jede Übung,
weil sie entweder den Zauberstab nicht richtig führte oder einen
Spruch zu hastig aussprach. Ein Frosch, der zu einer Maus werden
sollte, löste sich in eine grüne Nebelwolke auf, die sich
innerhalb einer Sekunde zu zwanzig laut quakenden Fröschen
verdichtete, die keine vier Sekunden später zerplatzten, wieder
zu Nebelwölkchen wurden und dann als vierhundert Frösche
auftauchten.
“Um himmels Willen, Ms. Murphy!” Schrillte Professor
McGonagall. Dann schwang sie den Zauberstab: “Terminato
Catenamutans!” Es blitzte grellblau auf, machte vielfältig
plopp, und von der Decke viel ein einziger Laubfrosch herunter.
“Eh, Dina, du hast gerade eine Klonkette heraufbeschworen”,
ächzte Roy kreidebleich wie die anderen.
“Mr. Fielding, noch spricht nur, wer von mir aufgefordert
wird”, herrschte Professor McGonagall den Freund Dinas an. Dann
sagte sie: “Ich weiß es bei Ihnen immer noch nicht, wie
Sie es anstellen, aus einer an sich klar vorherberechenbaren
Verwandlungsaktion ein heilloses Chaos heraufzubeschwören, Ms.
Murphy. Eine ununterbrochene Vervielfältigung des
Ausgangsobjektes habe ich bisher nur in Büchern über dunkle
Experimente mit Lebewesen gekannt. Vielleicht können Sie mir
helfen, zu verstehen, wie es zu diesem Vorfall kommen konnte.”
Dabei sah sie Dina so unerbittlich an, als hinge von deren Antwort
ihr Leben ab. Dina, eingeschüchtert bis zum äußersten,
blickte auf ihren Tisch und wimmerte:
“Ich habe doch nur den Verwandlungszauber aussprechen wollen,
wie Sie ihn uns hier beigebracht haben. Ich dachte an Mäuse,
damit der Frosch sich in eine Maus verwandelte.”
“Wie viele Mäuse?” Fragte die Lehrerin harsch.
“Bei jedem Wort eine”, wimmerte Dina.
“Na wunderbar”, fauchte Professor McGonagall entrüstet.
“Die Zauberformel besteht aus sieben Wörtern. Sie haben
also sieben erwachsene Mäuse im Zusammenhang mit einer die
Materie verändernden Zauberstabbewegung im Kopf gehabt. Offenbar
haben Sie durch diese Aktion eine für Mäuse natürliche
Vermehrungsrate aufgezwungen, sieben Generationen von Mäusen.
Was sowas bewirkt haben wir sehen können. Der Frosch hat sich
nicht verwandelt, sondern andauernd vermehrt, in seine
Lebenseinheiten aufgelöst und wieder vermehrt. – Wie nannten Sie
das, Fielding? Klonkette? Mir sind die Machenschaften der sogenannten
Heilkundler und Erforscher der lebendigen Natur Ihrer früheren
Lebenswelt bekannt, Mr. Fielding. Die nichtmagischen Wissenschaftler
versuchen sich darin, künstlich Lebewesen zu verändern oder
zu vervielfältigen. Ob das wirklich dem Guten dient bezweifel
ich. Jedenfalls haben Sie damit recht, daß durch den
aufgezwungenen Vervielfältigungsdrang völlig identische
Mehrlinge dieses Frosches entstanden. Allerdings konnte ich durch die
Unterbrechung der Verwandlungsabfolge alle magisch generierten
Duplikate verschwinden lassen. Ich bin froh, daß dieser Zauber
wirklich funktioniert hat. Ich fürchte, Ms. Murphy, ich muß
Sie dafür nachsitzen lassen und Ravenclaw Ihretwegen zwanzig
Punkte abziehen, damit Sie es endlich herausbekommen, Ihre magischen
Energien und Gedanken zu kontrollieren, bevor Sie bei den Prüfungen
ein ähnliches Unheil anrichten.”
“Klar, wo Gryfindor gerade noch dreißig Punkte hinter
uns liegt”, grummelte Roy Fielding halblaut, aber nicht leise
genug für die Lehrerin.
“Wie bitte?! Wiederholen Sie dies bitte für alle
deutlich hörbar, Mr. Fielding!” Schnarrte Professor
McGonagall unheilvoll.
“Das war nichts wichtiges”, sagte Roy mit rotem Gesicht.
“Finde ich schon. Aber da Sie es vorziehen, unwichtige Sachen
im Unterricht zu murmeln muß ich es eben selbst widergeben, was
Sie da gerade gegrummelt haben. Sie unterstellten mir, ich würde
Ravenclaw Punkte aberkennen, um meinem Haus einen Vorteil im
Wettbewerb zu verschaffen. Das habe ich doch richtig verstanden,
oder?”
“Öhm, nicht so direkt”, stammelte Roy als ertappter
Missetäter.
“Nun, dann erklären Sie uns bitte, wie Sie es wirklich
gemeint haben, daß ich die notwendige Mindestpunktzahl für
eine notwendige Strafarbeit abzog, weil Gryffindor gerade noch
dreißig Punkte hinter Ravenclaw liegt.”
“Nicht nötig, ich nehme das zurück”, sagte Roy
rasch. Doch damit konnte er Professor McGonagalls Mißfallen
nicht beseitigen. Sie zog Ravenclaw noch einmal zwanzig Punkte wegen
Respektlosigkeit und Ungehorsam ab und verdonnerte Roy dazu, einen
Tag nach Dina bei ihr zum Nachsitzen anzutreten.
“Ihre Schwester war eine sehr gute Verwandlungsschülerin.
Es wird Ihnen nicht schaden, wenn Sie vor den Prüfungen etwa ihr
Niveau erlangen werden.”
Roy erbleichte. Offenbar ging ihm der Anschlag auf das
Kreuzfahrtschiff durch den Kopf, wo seine Schwester ihn in ein
Taschentuch verwandelt hatte und er trotzdem alles mitbekommen hatte,
was um und mit ihn angestellt wurde. Er sagte jedoch keinen weiteren
Ton mehr.
Snape, ohnehin schon sehr gemein zu den Schülern, ließ
sie alle miteinander spüren, daß er bestimmt keinen in
seinen UTZ-Kursen haben wollte, der nicht eine halbe Bibliothek
Zaubertrankbücher verschlungen und sich wie er diesem Fach mit
Leib und Seele verschrieben hatte. Selbst Dina und Aurora konnten es
nur ihrer Beharrlichkeit verdanken, daß sie die einzigen in der
Klasse aus Ravenclaws und Hufflepuffs waren, die zumindest noch ein A
für akzeptabel bekamen, während die anderen mit M oder
niedriger abschnitten.
“Ich helfe euch dabei, euch vor den Prüfungen darüber
klar zu werden, ob die Zaubertrankbraukunst was für euch ist
oder ihr besser die Finger davon lassen solltet. Bei allem schuldigen
Respekt vor meiner Vorgängerin, sie hat euch alle nur dazu
anhalten wollen, die Prüfungen zu schaffen. Ich dagegen will
haben, daß ihr wißt, was Zaubertrankbraukunst verlangt,
welche Probleme sie bereiten kann, wenn jemand nichts damit
anzufangen weiß und daß es nicht darum geht, Prüfungen
zu bestehen, sondern seine oder ihre Berufung zu erkennen. Also wagt
ja nicht, euch zu muckieren, weil die Mehrheit von euch hier und
heute erkennen muß, daß das Brauen von Zaubertränken
nichts für ihn oder sie ist. Das erspart euch viel Ungemach in
der Zukunft”, sagte Snape, wobei er sich in eine erhabene Pose
warf und scheinheilig lächelte.
Nach der Stunde machten sich Roy und Mortimer Luft. Bruster, als
Vertrauensschüler und haarscharf um einen Rauswurf
herumgekommener Mitschüler zu mehr Selbstbeherrschung
verdonnert, stapfte nur grimmig dreinschauend hinter seinen
Klassenkameraden her.
“Dieser Schweinehund tut so, als sei er der einzige Lehrer,
der uns was gutes will”, fauchte Roy. “Dabei will der uns
alle mit Gewalt aus seinem Unterricht, am besten noch von Hogwarts
runterekeln. Ich weiß doch schon jetzt, daß ich nach
Hogwarts keine Zaubertränke mehr brauche. Schon gar nicht, wenn
ich dann immer wieder diesen Hakennaserich auf irgendwelchen
Zusammenkünften treffen müßte. Ich verzichte doch
freiwillig auf seinen Unterricht, sobald die ZAGs durch sind. Die
anderen denken bestimmt auch so.”
“Wenn der so weitermacht gibt der nur noch Zaubertränke
in den Klassen eins bis fünf”, sagte Bruster. “Wenn es
das ist, was der will, dann soll er das doch so machen, Roy. Ich habe
mich eh schon orientiert, was ich nach Hogwarts brauche”, sagte
Mortimer. “Mein Dad will mir einen Posten im Tierwesenbüro
in der Abteilung zur Führung und Aufsicht magischer Geschöpfe
freihalten, wenn die UTZs entsprechend sind. Da werde ich Snapes
Gepansche nicht mehr brauchen. Überlasse ich das doch denen, die
damit verheiratet sind wie Dina oder Aurora.”
“Ach ja, Mortimer? Du hast recht, das Fach an sich ist viel
zu interessant, als das Leute wie Snape es mir madig machen können.
Außerdem muß ich noch was überdenken, wo ich dieses
Fach bestimmt brauchen werde. Aber dazu sage ich jetzt nicht mehr als
nötig.”
“So, Aurora”, grinste Roy Fielding. “Dein Ding”,
sagte er noch. Aurora Dawn nickte heftig und zog mit Petula, Miriam
und Dina zur Mädchentoilette davon, dem einzigen Ort, wo sie vor
wütenden Jungen geschützt über dieses oder jenes reden
konnte, was ihre Zukunftspläne anging.
Das Training der Ravenclaw-Hausmannschaft verlief rasant und
teilweise sehr halsbrecherisch, weil jeder, der einen neuen Besen
flog, dessen Handhabung noch nicht richtig raushatte oder sich nicht
an die eigenen Grenzen halten wollte. Mortimer wäre dabei fast
gegen einen der Torringe geprallt, als er einem Quaffel nachgesetzt
hatte, der von Aurora schier unhaltbar zum Torraum geschossen worden
war.
“Mist, fast hätte es mich am Pfosten zerbröselt”,
schimpfte er, als er schreckensbleich gelandet war und seinen Komet 2
/ 40 begutachtete.
“Du hast dich zu schnell herumgeworfen, Junge. Der Besen
spricht schneller auf Lageänderungen an”, sagte Alessandro
Boulder. “Die alten Krücken waren sperriger. Bei dem Komet
mußt du nicht mehr so heftig steuern, vom Nimbus ganz zu
schweigen.”
“Ja, aber Aurora hatte die ganzen Ferien Zeit, den Besen hier
zu testen. Meine Eltern wollten ja nicht, daß ich zu Hause
richtig trainiere”, protestierte Mortimer.
“Keine Ausreden, Bursche! Du lebst noch, dein Besen auch,
also mach dich richtig vertraut damit!” Versetzte Alessandro und
zirkelte wie wild vor dem Torraum herum, weil immer noch die beiden
Klatscher unterwegs waren.
“Ihr da oben, kuckt mal runter, ohne zu landen!” Rief
Madame Hooch, als die Mannschaft wieder vollzählig flog. Sie
sahen rasch hinunter, wo gerade vier klobige Kameras auf dreifüßigen
Stativen nach oben wiesen und rote Qualmwolken ausspien.
“Eh, was wird denn das?” Fragte Alessandro, als er von
den ihn und die anderen fotografierenden Zauberern irritiert fast in
einen Klatscher hineingeflogen wäre.
“Wir machen Fotos der Mannschaften, die einmal in der
Schulzeit mindestens eines Schülers einen Pokal gewonnen haben”,
sagte Madame Hooch und winkte sie alle hinunter.
“Das ist bei mir so Tradition geworden, erfolgreiche
Mannschaften als von Fotos abgemalte Portraits in meinem Büro
aufzubewahren, wenn mindestens ein Mitglied im letzten Schuljahr ist
und der Pokal einmal gewonnen wurde. Das ist sozusagen eine
Bilderchronik der Quidditchmannschaften in Hogwarts”, sagte die
Fluglehrerin.
“Achso. Aber wir alle hätten vorher gefragt werden
sollen”, wandte Alessandro ein. “Gerade in der Zaubererwelt
ist das Recht am eigenen Bild besonders wichtig, weil ja die Fotos
nicht nur das momentane Bild, sondern auch die momentane Gefühlslage
und Verhaltensweisen des Fotografierten festhalten.”
“Das Recht haben wir nur, solange wir nichts öffentliches
machen, Alessandro. Wenn wir Quidditch spielen ist das was, das alle
angeht oder interessiert. Die Schulordnung gestattet die Aufbewahrung
erfolgreicher Schüler und Lehrer, die sich in irgendeiner Weise
um Hogwarts verdient gemacht haben”, wußte Aurora Dawn.
Bruster nickte. Das stand in der Schulordnung drin und war nicht
abzustreiten.
“Ja, aber trotzdem hätten Sie uns vorher bitte fragen
sollen, ob wir das gut finden”, beharrte Alessandro darauf,
nicht ungefragt fotografiert zu werden. Karin Meridies lächelte
nur und meinte:
“So schlecht siehst du nicht aus, Alessandro, daß du
Angst vor Hohn und Spott haben müßtest.”
“Da geht es nicht drum, Karin”, knurrte Alessandro. “Das
Bild eines Menschen ist wie sein Körper sein ganz persönliches
Gut, über das er selbst entscheiden muß, was er damit
anfängt. Aber ich sehe schon, wir sind berühmt, also müssen
wir auch für die Nachwelt festgehalten werden”, resignierte
er und sah dabei Madame Hooch an. Diese lächelte jedoch und
meinte:
“Ihr könnt den Bildern von euch ja noch eure ganz eigene
Lebendigkeit mitgeben, wenn die Umsetzung von Foto auf Ölbild
geklappt hat. Das wird von jetzt an in zwei Monaten passiert sein.”
“Was, ölbilder, keine Papierbilder? Genial. Alessandro,
wenn die das macht, haben wir ja gemalte Agenten in der Galerie von
Hogwarts”, sagte Ken Dasher.
“Haha, Ken, lustig”, knurrte Alessandro nur. Doch dann
gab er es endgültig auf, sich darüber zu beschweren. Er
forderte seine Mannschaft auf, noch einmal die gängigen
Spielzüge zu proben.
Eine Stunde später traten die Gryffindors zum Training an,
dem letzten vor dem großen Finale. Eunice und andere ältere
Schüler aus Gryffindor standen Wache, um Spionage und einen
neuen Angriff auf die Mannschaft zu vereiteln.
Als Aurora umgezogen im Gemeinschaftsraum der Ravenclaws eintraf
stürzte Lissy Wright mit wutrotem Gesicht auf sie zu. Aurora
verzog das Gesicht. Welcher Klassenkamerad von der hatte sie wieder
geärgert oder ihren Stolz angeknackst?
“Du warst das wohl, die mir diesen Mist eingebrockt hat”,
schnaubte Lissy. Mit ihrem amerikanischen Akzent klang das eher
lustig als bedrohlich, fand Aurora.
“Bitte was, Lissy?”
“Du hast meiner Gran geschrieben, daß ich mich hier
nicht benehmen kann. Jetzt hat die mir geschrieben, daß sie
sich persönlich drum kümmern wird und mit meinen Eltern
quatscht, ob ich hier anständig lerne oder nicht.
Unverschämtheit!”
“Unverschämtheit? Du hältst mich für
unverschämt”, fauchte Aurora und deutete mit einer wilden
Armbewegung auf einen freien Tisch. Lissy verstand, daß sie
sich setzen sollte und warf sich zornig auf einen der freien Stühle.
Aurora ließ sich ruhig, beinahe erhaben, auf einen Stuhl ihr
gegenüber nieder und sah die zwei Jahre jüngere
Mitschülerin sehr genau an.
“Ja, Unverschämtheit”, fauchte Lissy. “Meine
Eltern denken jetzt, ich würde hier nix lernen und nur meine
Klassenkameraden runtermachen. Wegen diesen Nixkönnern und
deinem Mistbrief stehe ich jetzt wie die letzte Idiotin da.”
“Oh, Elizabeth, das denken deine Eltern bestimmt nicht. Ich
glaube eher, die fragen sich, ob du weißt, wo dein Platz hier
in Hogwarts ist”, sagte Aurora ganz ruhig. “Und was die
Unverschämtheit angeht, die du mir vorwirfst, daß du dich
ständig mit deinen Klassenkameradinnen streitest, weil sie
deiner Meinung nach nicht so gut mitkommen wollen wie du, daß
du sie wie die letzten Idiotinnen behandelst und dich ihnen immer als
überlegen aufspielst, das ist eine Unverschämtheit.”
Sie fixierte Elizabeth Wright so heftig, als wolle sie sie gleich
angreifen. “Es wurde Zeit, daß ich das jemandem schrieb,
vor dem du zumindest noch einen gewissen Respekt hast. Genau das habe
ich getan.”
“Diese Bälger können eben nicht verstehen, wie
wichtig es mir ist, möglichst viel zu lernen, und daß die
Klasse drunter leidet, wenn sie nicht mitkommen, weil die Lehrer alle
auf diese Durchhänger Rücksicht nehmen müssen und wir
deshalb nicht weiterkommen …”
“Du willst es nicht lernen, Elizabeth Wright. Du meinst immer
noch, daß du die einzige würdige Schülerin in deiner
Klasse bist und spielst dich immer noch wie jemand auf, die
eigentlich schon weiter sein müßte, wenn da nicht ganz
normale Leute mit den üblichen Problemen im Unterricht wären.
Wenn du schon hättest weiter sein wollen, hättest du die
Prüfungen der dritten Klasse ja am Schuljahresanfang machen und
eine Klasse aufsteigen können”, sagte Aurora sichtlich
erbost, weil Lissy einfach nicht begreifen wollte, was Aurora ihr
vermitteln wollte. “Da du das aber nicht gemacht hast, beschwere
dich nicht, daß du immer noch in der dritten Klasse bist! Dann
sieh es gefälligst ein, daß die anderen auch nur das
lernen, was sie lernen können und nur das können, was sie
gelernt haben!”
“Du hast keinen Dunst, welchen Stress ich zu Hause kriege,
wenn meine Eltern denken, ich wäre hier nicht richtig
untergebracht. Die wollen herkommen, haben sie mir geschrieben und
mit Dumbledore, Flitwick und McGonagall reden”, knurrte Lissy.
“Und?” Fragte Aurora schnippisch.
“Wegen dir und den anderen Vertrauensschülern und diesen
zurückgebliebenen Swift-Drillingen …”
“Eh, pass jetzt auf, was du sagst, Mädchen!”
Fauchte Aurora sehr gefährlich und straffte sich wie eine
gespannte Stahlfeder.
“Ist doch wahr”, schnaubte Lissy. Aurora Dawn sah sie an
und sprach:
“Du willst es nicht anders. zwanzig Punkte Abzug für
Ravenclaw, so fies das für uns alle ist und die Strafarbeit,
hundertmal den Satz zu schreiben: “Ich bin nicht besser als die
Anderen.” Ich habe gehofft, du seist klug genug, dich mit deinen
Klassenkameraden zu arrangieren. Aber offenbar zieht nur eine
Strafarbeit bei dir.”
“Eh das mit den Punkten mußt du deinen Leuten erklären.
Aber die Strafarbeit nehme ich nicht an”, sagte Lissy. “Du
bist nur Vertrauensschülerin.”
“Dann hättest du dich mal schlau machen sollen, was wir
alles dürfen, Mädchen. Wir können sogar Putzdienste
und Handreichungen für Lehrer verhängen, sofern wir das
unserem Hauslehrer mitteilen, was ich gleich erledigen werde. Also
freu dich, wenn du nur was hinschreiben darfst!”
“Ich gehe sofort zu Flitwick”, sagte Lissy und sprang
auf. “Von dir muß ich mir nix gefallen lassen. Du bist
auch nicht besser als die anderen”, spie sie Aurora noch hin.
Diese stand ruhig auf, obwohl es in ihr brodelte, daß diese
Göre ihre Zeit, die sie für die Wiederholungen für die
ZAG-Prüfungen brauchte, derartig vertat. Sie folgte ihr aus dem
Gemeinschaftsraum der Ravenclaws und begleitete sie zu Professor
Flitwicks büro. Der Zauberkunstlehrer und Leiter des Hauses
Ravenclaw empfing die beiden Mädchen und sah ihnen gleich an,
daß sie ihn nicht aus Höflichkeit besuchten. Lissy wollte
sofort lossprudeln, daß Aurora Dawn ihr eine Strafarbeit
reingewürgt hatte. Doch Flitwick schüttelte den Kopf und
sah Aurora an.
“Haben Sie eine disziplinarische Maßnahme gegen Ms.
Wright aussprechen müssen, Ms. Dawn?” Fragte er ungewohnt
streng klingend. Aurora nickte und setzte sich, als der kleine Lehrer
ihr und Lissy freie Stühle anbot.
“Ms. Wright beschwerte sich bei mir, weil ich ihren
Verwandten einen Brief geschickt habe, in den ich reinschrieb, daß
sie sich überheblich und herablassend ihren Klassenkameraden
gegenüber benimmt. Sie meinte, ich hätte das nicht tun
sollen und daß sie noch Ärger zu Hause kriegen würde.
Ich mußte Ravenclaw ihretwegen zwanzig Punkte abziehen und ihr
eine Schreibübung als Strafe auferlegen, Professor Flitwick.”
“Ja, und genau das darf die nicht”, erzürnte sich
Lissy. Professor Flitwick schien um einige Zentimeter zu wachsen und
der Blick der kleinen Augen wurde eiskalt.
“Welche Schreibübung haben Sie ihr auferlegt, Ms. Dawn?”
Fragte er mit einer raschen Deutung auf Lissy.
“Ich gab ihr auf, den Satz “Ich bin nicht besser als die
anderen.” hundertmal aufzuschreiben. Mehr nicht.”
“Sie darf sowas nicht. Das dürfen nur Lehrer”,
schnarrte Lissy händeringend.
“Ich fürchte, das darf sie doch, Ms. Wright. Das gehört
zu den Obliegenheiten der Vertrauensschüler, nicht nur Punkte zu
vergeben oder abzuerkennen, sondern auch erwiesene Missetäter zu
kleineren Strafarbeiten anzuhalten, solange es keine gravierenden
Strafen sind wie Nachsitzen oder Sonderprojekte für uns Lehrer.
Das Aufschreiben von moralischen Parolen ist zulässig und in
diesem Fall wohl auch längst überfällig.”
“Bitte was?” Stieß Lissy aus und funkelte Flitwick
an.
“Sie haben mich richtig verstanden, Ms. Wright. Ms. Dawn ist
wahrlich nicht die erste, die mir von einer von Ihnen an den Tag
gelegten Überheblichkeit und Tyrannisierung ihren Mitschülern
gegenüber berichtet hat. Ähnliches bekam ich von meinen
Kollegen aus Hufflepuff, Gryffindor und Slytherin zu hören,
wobei Professor Snape das irgendwie noch für Zitat “das
kindische Gebaren einer von der eigenen Familie zu schnell
hochgezogenen Göre” ansieht. Was meinen Sie, weshalb Ihre
respektable Frau Großmutter sich in den Ferien mit mir darüber
verständigt hat, daß Sie Ihre Eltern bei ihrem erbetenen
Gespräch mit uns begleiten darf? Sie hat wahrlich genug eigene
Aufgaben, die ihre Zeit beanspruchen. Also ist es ihr wohl sehr
wichtig, die Sachlage zu klären.”
“Gran kommt auch?” Fragte Lissy und erbleichte. Aurora
konnte nicht an sich halten und grinste schadenfroh. Flitwick
funkelte sie zwar warnend an, beließ es aber jedoch dabei.
“Ihre Eltern und Professor Wright möchten uns am zweiten
Samstag im Mai aufsuchen und mit uns sprechen. Professor Dumbledore
hat dieser Bitte bereits entsprochen. Ich muß Ihnen sagen, Ms.
Wright, daß meine Geduld mit Ihnen auch ihre
Verträglichkeitsgrenzen überschritten hat. Allein schon wie
sie Ms. Ramona Swift in meiner letzten Stunde geschulmeistert haben,
unter meinen Augen, hat mir offenbart, daß Sie offenbar sehr
große Probleme im sozialen Umgang haben. Das muß und wird
geklärt werden, ob das prinzipiell nur an Ihnen liegt oder
familiär begründet ist, weil Ihre Großmutter nun
einmal eine hoch angesehene und international anerkannte Stellung
innehat. Die von Ms. Dawn verhängte Strafarbeit”, er sah
Aurora kurz an, “ist also gerechtfertigt und von meiner Seite
aus nachdrücklich gebilligt. Wenn Sie nichts weiteres
vorzubringen haben, Ms. Wright und Ms. Dawn, kehren Sie bitte in
Ihren Gemeinschaftsraum zurück!” Mit einer
unmißverständlich fortscheuchenden Geste wies Flitwick den
beiden Mädchen die Tür. Aurora nickte und verließ als
erste das Büro des Hauslehrers.Lissy Wright folgte ihr böse
dreinschauend.
“Bis morgen abend hast du die Strafarbeit erledigt, Elizabeth
Wright”, sagte Aurora mit von ihr nicht gewohnter Strenge in der
Stimme. “Sonst fällt mir bestimmt noch was wirksameres
ein.”
“Stecks dir, Dawn”, schnaubte Lissy.
“Das glaubst aber nur du, Mädchen”, dachte Aurora
für sich.
In Ravenclaw erzählte Bruster seiner Klassenkameradin, daß
er gerade an den Punktegläsern vorbeigegangen sei und da einen
Einbruch von zwanzig Punkten mitbekommen habe. Aurora erzählte
ihm, daß sie die Punkte abgezogen hatte und auch warum.
“Mist, jetzt liegt Gryffindor mit dreißig Punkten vor
uns, und Slytherin könnte uns auch noch überholen. War das
wirklich nötig?”
“Ich mußte ihr eine Strafarbeit aufhalsen, und das geht
nur, wenn ein Punktabzug von zwanzig Punkten oder mehr ausgesprochen
wird”, zischte Aurora. Bruster fragte nach der Strafarbeit und
grinste. Dann sagte er:
“Das wird die nicht bessern. Aber daß ihre Oma herkommt
scheint die ziemlich heftig zu erschrecken.”
“Davon kannst du ausgehen”, grinste Aurora. “Mit
ihrer Oma steht und fällt ihre ganze überhebliche Art.”
“Trotzdem ist das blöd, daß wir jetzt schon wieder
so weit hinter Gryffindor liegen”, sagte Bruster.
“Ja, doch anders ging’s nicht, Bruster”, entgegnete
Aurora Dawn kalt. Er nickte nur.
Zwar bekam Aurora am Abend noch von einigen was zu hören, ob
sie nicht an Ravenclaw denke, daß sie dem Haus zwanzig Punkte
abgezogen hatte, doch Aurora lenkte den Unmut ihrer Mitschüler
rasch auf Lissy Wright um, die zerknirscht in einer Ecke des
Gemeinschaftsraumes hockte und die hundert Sätze hinschrieb, die
Aurora von ihr haben wollte. Auf jeden Fall, so dachte sich Aurora,
hatten die Drittklässler nun eine gute Handhabe, die
überhebliche Mitschülerin zu trietzen, nicht durch Anpöbeln
oder Handgreiflichkeiten, sondern indem sie sie erst gar nicht
bemerkten.
Tim Abrahams hatte seine schlechte Stimmung überwunden, die
er in den Ferien mit sich herumgeschleppt hatte. Entweder war der
UTZ-Stress zu groß, um andauernd an seinen Vater im
Falklandkrieg zu denken, oder die Muggelwelt war so weit von ihm weg
wie die Erde von der Sonne. Irgendwie schien der Frühling auf
ihn belebend einzuwirken. Er lächelte häufig, war zu allen
freundlich und verbreitete nicht nur bei seinen Klassenkameraden gute
Laune. Roy fragte ihn einmal, ob er sich verliebt habe, daß Tim
so selig und unbeschwert war. Tim hatte darüber nur
geheimnisvoll gegrinst und geantwortet, daß er seine Gründe
habe, so gut gelaunt zu sein.
__________
Am Tag vor dem entscheidenden Quidditchfinale Gryffindor gegen
Ravenclaw stieg die Anspannung. Slytherin, im Moment auf dem ersten
Tabellenplatz, pöbelte gegen die beiden Häuser, und die
beiden Mannschaften des Endspiels konnten sich ohne eine
Wachabordnung nirgendwo mehr hintrauen. Aurora war immer in
Begleitung von vier Mitschülern, Alessandro und Ken waren mit
allen anderen Jungs der siebten Klasse zusammen unterwegs, und
Bruster und Mortimer wurden ständig von drei älteren Jungen
begleitet, die es zu gerne erleben wollten, daß Ravenclaw den
Pokal verteidigte.
“Muffensausen, Dawn?” Quatschte Tonya Rattler Aurora auf
dem Weg zum Unterricht an.
“Wegen euch bestimmt nicht”, antwortete Aurora. Sie sah
Tonya an, die seit Sharkeys Rauswurf alleine herumlief, als suche sie
jemanden, der mit ihr spielen wolle aber keinen fand.
“Dein neuer Besen ist bestimmt haltbarer als der alte,
bestimmt haltbarer als du selbst, Dawn”, redete Tonya weiter.
“Nimm uns nicht übel, Tonya, aber dein Gequatsche
langweilt”, sagte Miriam Swann. “Selbst nix auf die Reihe
bringen aber andere anpöbeln, die’s tun. Da nützt dir auch
kein Vertrauensschülerinnenbonus was.”
“Wo du’s erwähnst, Swann, fünf Punkte Abzug für
Ravenclaw wegen Respektlosigkeit einer Vertrauensschülerin
gegenüber”, sagte Tonya überlegen lächelnd. Erst
da fiel Miriam auf wie plump sie der klobigen Slytherin in die Falle
gegangen war. Aurora verzog das Gesicht, konnte aber nichts weiteres
dazu sagen. Das Recht, wegen Respektlosigkeit Punkte abzuziehen stand
den Vertrauensschülern nun einmal zu, und auch sie hatte davon
ja schon gebrauch gemacht.
“Wie dem auch sei, Tonya, der Pokal kommt bestimmt nicht zu
euch. Entweder geht der nach Gryffindor oder bleibt bei uns. Da könnt
ihr reden und pöbeln wie ihr wollt.”
“Ach, nur wenn die Mannschaften auch alle fit sind und ..”
sagte Tonya und machte eine Handbewegung zu ihrem Zauberstab. Aurora
lächelte.
“Du weißt was Professor Dumbledore uns gesagt hat. Wenn
hier noch einmal wer ein Mitglied einer Mannschaft mit Zauberflüchen
belegt, fliegt der betreffende sofort von der Schule. Wenn ich dir
das wert bin, Tonya, dann mal zu.”
“An dir brauche ich mir die Hände nicht dreckig zu
machen, Dawn”, schnarrte Tonya und kehrte ihr den breiten Rücken
zu. Mit erhobenem Kopf schritt sie davon, immer noch allein, wohl
sehr geknickt darüber, daß sie nun keinen echten Freund
mehr hatte.
“Das Mädel kann einem leidtun”, sagte Petula.
“Allerdings gibt sie keinem einen echten Grund, sie zu
bedauern.”
“Lass sie, Petula!” Sagte Aurora Dawn. “Die will
doch nur Streit haben. Aber ich habe keine Lust drauf, mich mit ihr
rumzuzanken. Dafür habe ich zu viel um die Ohren.”
“Die doch auch”, sagte Miriam. “Aber die meint ja,
sich mit allen anlegen zu müssen.”
“Unsere Adler werden siegen, weil sie neue Besen fliegen!”
Riefen die Ravenclaws oberhalb der dritten Klasse und trugen das
blaue Banner mit dem bronzefarbenen Adler durch die Korridore. Das
erregte natürlich den Unmut der Gryffindors, die ihr rotes
Löwenbanner herbeischafften und Gegenparolen riefen.
“Heftig”, konnte Petula Woodlane dazu nur sagen. Aurora
wußte nicht, was sie davon halten sollte. Peeves der
Poltergeist krakehlte immer wieder dazwischen und bewarf die
Bannerträger beider Häuser mit faulen Tomaten, daß es
erst aussah, als würde die eine Seite die andere attackieren.
Als dann beide Gruppen zu einem wütenden Gerangel ansetzten
fegte Professor McGonagall wie eine Furie heran und trieb sie mit
wilden Gesten und erbosten Worten auseinander. Als ihr dann eine
Tomate aus unsichtbarer Hand den Hut vom Kopf schlug zückte sie
ihren Zauberstab und wirbelte in die Richtung, wo das verdorbene
Gemüsegeschoß hergekommen war.
“Peeves also!” Fauchte sie. “Werden Sie gefälligst
sichtbar!” Doch ein höhnisches Kichern, das sich rasch
entfernte, war die einzige Reaktion auf ihren Befehl.
“So, und Sie alle bringen jetzt die Fahnen und sonstiges
Bekundungsmaterial umgehend in Ihre Häuser zurück!”
Kommandierte sie die beiden rivalisierenden Gruppen. Sie blickte sich
um und verdonnerte Aurora und Bruster dazu, ihre Hauskameraden zur
Ordnung zu rufen und in die Häuser zurückzuführen.
Leicht widerwillig befolgten die beiden Vertrauensschüler diesen
Befehl und führten ihre Hauskameraden zurück in den
Gemeinschaftsraum.
“Seid froh, daß McGonagall uns keine Punkte abgezogen
hat”, knurrte Geoffrey Forester zornig. Aurora Dawn hielt es
nicht für nötig, ihren Hauskameraden noch eine Standpauke
zu halten und ging mit Petula und Miriam in die Bibliothek, um noch
etwas zu lesen. Aurora hatte beschlossen, die praktischen Übungen
für die ZAG-Prüfungen nach dem Quidditchfinale zu beginnen,
und ihre Schulfreundinnen hatten sich dem ohne Zögern
angeschlossen.
Aurora las gerade etwas über Tier-zu-Pflanze-Verwandlungen,
als Bernhard Hawkins sich etwas verhalten näherte. Er fragte
flüsternd, ob er mit Aurora kurz sprechen könne. Sie
überlegte, was Bernhard nun noch von ihr wollen könne,
nachdem sich ihre Beziehung derartig abgekühlt hatte, was nicht
an ihr gehangen hatte. Sie legte das Buch auf den Lesetisch, nickte
Bernhard zu und verließ mit ihm kurz die Bibliothek.
“Weißt du Aurora, es ist irgendwie doof, daß das
mit uns nicht so weitergelaufen ist wie vorhin”, sagte Bernhard.
“Ja und?” Fragte Aurora kühl zurück. Was
sollte das jetzt?
“Ich weiß, du bist immer noch sauer, weil ich dir das
mit Amerika nicht schon früher erzählt habe. Aber an und
für sich war es doch bis dahin schön oder nicht?” Fuhr
Bernhard fort und sah Aurora dabei sehr warmherzig an, als sei ihm
doch noch was an der gemeinsamen Beziehung gelegen.
“Das wäre allemal besser gewesen, wenn du mir das vorher
erzählt hättest und nicht erst auf dem Hogsmeade-Ausflug.
Irgendwie stand ich wirklich wie blöd da, zumal alle anderen das
ja vorher wohl schon mitbekommen haben”, gab Aurora
zähneknirschend zurück. Sie stand da, angespannt und auf
irgendwas lauernd, was da noch über sie hereinbrechen konnte.
“Nun, ich kann doch nichts dafür, daß mein Dad
mich von der Schule runternehmen will. Andererseits möchte ich
natürlich ohne jeden Krach das Jahr zu Ende bringen. Ich möchte
das hier so gut in Erinnerung behalten wie’s geht.”
“Sag mir bitte, was genau du willst, Bernhard! Irgendwie
denke ich, du willst was von mir, worüber du nicht reden
willst”, sagte Aurora halblaut. Ihr war das seltsam, daß
Bernhard sie noch einmal sprechen wollte.
“Nun, ich möchte wie gesagt die besten Erinnerungen von
Hogwarts mitnehmen. Weißt du was, daß mir dabei helfen
könnte?”
“Ich habe dir schon mal gesagt, Bernhard, daß ich mich
nicht auf irgendwelche körperlichen Sachen einlasse, wenn ich
nicht weiß, ob es die Sache wert ist. Aber komm ja nicht auf
sowas!”
“Öhm, nein das würde ich mir jetzt auch nicht
rausnehmen wollen, Aurora”, entgegnete Bernhard leicht verlegen.
“Ich meine, ich wollte wissen, ob dir noch was an mir liegt und
ob du mir nicht irgendwie helfen könntest, hier sehr gut
wegzukommen und nicht sang-und klanglos zu verschwinden.”
“Du meinst wegen der ZAGs?” Fragte Aurora Dawn. Doch
innerlich läuteten mehrere Alarmglocken. Was sollte das jetzt?
“Ja, das wäre eine Möglichkeit, weil du über
Kräuterkunde und Zaubertränke doch mehr weißt als
Becky oder ich.”
“Eine Möglichkeit, Bernhard? Du möchtest also
wissen, wie wichtig du mir noch bist, und irgendwie möchtest du,
daß ich dir das zeige?”
“Öhm, genau”, bestätigte Bernhard immer noch
verlegen dreinschauend. Dann sagte er halblaut: “Die in
Thorntails sind ziemlich fanatisch, was den Schulsport angeht. Becky
und ich wollen da nicht als hinterletzte Verlierer reingehen. Aber
ich fürchte, so sieht es aus, weil wir ja letztes Jahr den Pokal
nicht gewonnen haben. “
Aurora errötete. Weil sich ihre Augenbrauen jedoch bedrohlich
zusammenzogen und ihre Stirnadern bläulich-rot hervortraten war
klar, daß sie nicht aus Scham rot anlief. Das war es also.
“Ja, Moment, ich habe nicht behauptet, daß du oder
deine Leute mir helfen sollen, morgen zu gewinnen, Aurora”,
sagte Bernhard. Da knallte ihm Auroras linke Handfläche mit
Wucht an die rechte Wange.
“Bernhard, schieb ab. Mach dich ganz schnell vom Acker, bevor
ich noch den Zauberstab raushole und was ganz fieses mit dir
anstelle!” Fauchte Aurora. “Behauptet hast du es nicht,
aber erwartet hast du es schon, nicht wahr? Du wolltest gucken, ob du
mich beschwatzen kannst, dir aus tiefer Verbundenheit den Pokal zu
überlassen oder was? Vergiss es und lauf ganz schnell ganz weit
weg!”
“Eh, du kannst mich doch nicht einfach schlagen”,
schnaubte Bernhard mit kleinen Tränen in den Augen. Auf der
geohrfeigten Wange zeichnete sich rötlich Auroras linker
Handabdruck ab.
“Hast du mitgekriegt, daß ich das kann”, zischte
Aurora. Bernhard sagte dazu nur:
“Gut, wie du meinst. Ich habe gedacht, du würdest das
verstehen, welches Problem ich habe und mir helfen wollen. Aber dann
sieh eben zu, wie ich von hier ohne was in der Hand runtergehe!”
“Sehr gerne”, schnaubte Aurora sehr entschlossen
dreinschauend, kehrte Bernhard den Rücken zu und wollte in die
Bibliothek zurückkehren. Bernhard zog sie am Umhang und hielt
sie zurück.
“Eh, du hast mich nicht zu hauen, klar. Entschuldige dich
gefälligst!”
Aurora wurde noch wütender. Sie wirbelte herum und fauchte
Bernhard an:
“Sage Winchester und allen, die meinten, mich zu bequatschen
würde euch den Pokal bringen, daß wir euch morgen
fertigmachen werden. Dann hast du einen Grund, dich als Verlierer zu
fühlen. Jetzt mach dich vom Acker!”
“Erst entschuldigst du dich für die Backpfeife, Mädchen!
Oder ich gehe zu McGonagall und steck ihr, daß du mich
angegriffen hast. Dann fliegst du jedenfalls morgen nicht gegen uns.”
“Ah, Plan B, wie Roy das mal genannt hat”, knurrte
Aurora. “Wenn ich dich nicht aus Verliebtheit gewinnen lasse
soll ich morgen gar nicht erst fliegen. Geh zu McGonagall und sage
ihr, daß der Versuch, relativ einfach an den Pokal zu kommen
gescheitert ist! Wenn die dann noch was von mir will, möchte sie
mich bitte zu sich zitieren. Aber dann müßtest du ja
zugeben, daß ein Mädchen dich so heftig gehauen hat, daß
du weinen mußtest.”
Bernhard ließ sie los. Offenbar wirkte das auf ihn
schmerzhafter als eine Ohrfeige. Er drehte sich um und ging ohne
weiteres Wort davon. Aurora stampfte mit dem rechten Fuß auf
und kehrte in die Bibliothek zurück, wo sie im Flüsterton
mit Petula und Miriam über das so wichtige Gespräch redete.
“So’n Trottel”, flüsterte Miriam. “Das auf die
Tour zu versuchen, wo der genau weiß, daß bei Quidditch
jede Freundschaft zurücksteht. Hat der gedacht, ohne ihn würdest
du hier verschmachten?”
“Ich weiß nicht einmal, ob er sich das gedacht hat oder
Winchester und die anderen ihn angestachelt haben”, zischte
Aurora immer noch sehr verärgert. “Ich will’s jetzt auch
nicht mehr wissen. Wir machen morgen unser Spiel, und wenn wir den
Pokal kriegen können, werden wir ihn uns sichern”,
verkündete sie halblaut.
Eunice Armstrong kam fünf Minuten später in die
Bibliothek. Aurora machte sich darauf gefaßt, von der gleich
noch was zu hören zu kriegen. Doch Eunice sah nicht verärgert
aus. Sie grinste von einem Ohr zum anderen.
“Wie bescheuert muß einer sein, daß er meint,
einer Teenagerromanze wegen an den Pokal zu kommen?” Fragte sie
leise, als sie in Flüsterreichweite war.
“Ach, steht das in Gryffindor am schwarzen Brett?”
Schnaubte Aurora angriffslustig.
“Das ist nicht nötig. Ich habe mitgekriegt, wie
Winchester deinen zukünftigen Ex bequatscht hat, dich
rumzukriegen, ob du nicht doch für ihn weniger Tore schießt
als im letzten Jahr. Der hat ihm was erzählt von wegen
Thorntails und Quodpot, das die da spielen und er bestimmt besser da
ankommt, wenn er einen Quidditchpokal gewonnen hat. Ich habe ihn mal
gehen lassen und gewartet, ob du nicht doch auf sein Gesäusel
eingehst. Offenbar hat er es vermasselt. Anfänger halt.”
“Habe ich mir gedacht, daß der sich hat bequatschen
lassen”, zähneknirschte Aurora. “Wenn der sich das
selbst überlegt hätte hätte der mich bestimmt nicht so
blöd angequatscht.”
“Du hast ihm eine geballert, habe ich sehen können.
Becky meinte schon, er solle zu Madame Pomfrey gehen. Aber er hat es
sich wohl doch anders überlegt”, sagte Eunice. Petula
fragte, ob er dafür zu McGonagall gegangen wäre.
“Also ich denke nicht, daß professor McGonagall
sich groß dafür interessiert, was ein paar blöde
Jungen sich da ausgemalt haben. Außerdem wissen wir alle, daß
sie unfaires Spiel nicht leiden kann”, erwiderte Eunice.
“Vielleicht nicht, wenn Gryffindor dadurch den Pokal kriegen
kann”, wandte Miriam ein und blickte sich um, ob das nicht wer
gehört hatte, der das weitertratschen würde.
“Auch da nicht, Miriam. Der Pokal würde ja das ganze
nächste Schuljahr in ihrem Büro stehen. Dann müßte
sie ja immer dran denken, daß der ihr nur durch psychologische
Tricks auf dem Schreibtisch gekommen ist. Ob das dann noch was mit
Quidditch zu tun hat?”
“Bin ich mir nicht so sicher, wo die den drei Jahre
hintereinander im Zimmer stehen hatte”, warf Miriam ein.
“Eben nur weil unsere Spieler fair gewonnen haben. Wie
gesagt, Aurora, der Typ hat sich bequatschen lassen und sich die
verdiente Abfuhr eingehandelt. Wie auch immer ihr morgen drauf seid,
ich denke, wir kriegen den Pokal auch so. Ich werde zumindest besser
schlafen, wenn ich weiß, daß wir den dann ohne
irgendwelche Tricks vor dem Spiel gekriegt haben. Schönen Tag
noch, Mädels!”
“Mach’s gut, Eunice!” Wünschte Aurora.
“Mädel dich selbst”, flüsterte Miriam, als
Eunice bereits zehn Schritte von ihnen entfernt war.
“Wieso. Die hat’s doch voll genossen, daß ihre
Hausmannschaft diesen Rückschlag abgekriegt hat”, feixte
Petula im Flüsterton.
“Du kennst doch das, was der alte Hut singt. Gryffindors
legen Wert auf Gerechtigkeit”, erwiderte Aurora. Dann fand sie,
daß sie besser noch etwas lesen und besprechen sollten und
beendete damit das Thema.
Wie sie es erwartet hatte kam wegen der Ohrfeige gegen Bernhard
nichts nach. Keine Professor McGonagall oder ein Professor Flitwick
bestellten Aurora ein, um sie zu rügen. Bernhard hatte also
erkannt, daß er sich selbst am meisten blamieren würde,
wenn das schulweit herumging, daß er versucht hatte, sich den
Pokal zu erschwatzen. So konnte Aurora am Abend mit dem festen
Vorsatz ins Bett gehen, am nächsten Tag so gut es ging zu
spielen und nach Möglichkeit zu gewinnen.
__________
Die hohe Spannung, wer am Ende des Spiels den Quidditchpokal in
Händen haben würde, empfing Aurora Dawn am nächsten
Morgen in der großen Halle. Wieder hatten die drei Häuser,
die sich noch Hoffnungen auf den Pokal machten, ihre Hauswappen als
große Fahnen mit lebendig wirkenden Motiven auf den Tischen
stehen. Aurora wirkte noch entschlossener als im letzten Jahr. Sie
hatte Alessandro und den anderen Mannschaftsmitgliedern nichts
erzählt, und dennoch wußten sie es. Hogwarts war eben doch
nur ein Dorf!
“Der will einen gescheiten Abschied haben? Kann er haben!”
Sagte Alessandro und deutete auf den Gryffindor-Tisch genau auf
Bernhard Hawkins, der mit seiner Zwillingsschwester Rebecca und
Samuel Winchester, dem Mannschaftskapitän, eine Reihe bildete.
“Für Winchester ist es auch das letzte Spiel,
Alessandro”, sagte Ken und grinste feist. “Der hätte
vor den UTZis auch noch mal gerne Hogwarts-Silber geküßt.
Aber die Knutscherei gönnen wir uns, nicht wahr, Alessandro?”
“Aber hallo”, erwiderte der Ravenclaw-Kapitän. “Das
Becherchen ist zu schön, um jetzt schon umzuziehen. Also
frühstückt gut genug, um nicht zu hungern, ohne zu schwer
zu werden, Jungs und Mädchens!”
“Aye aye, Sir!” Bestätigte Mortimer Swift im Stil
eines Matrosen und griff sich zackig an den Hut. Tim Abrahams sah ihn
zwar etwas merkwürdig an, mußte dann aber grinsen.
“Hoffentlich halten die Besen”, sagte Aurora Dawn. Alle
lachten. Dieses Jahr würden die Besen halten, dank ihr.
“Holen Sie die Fahnen und Banner ein!” Befahl Professor
McGonagall. Alle gehorchten widerspruchslos.
Die Hufflepuffs, für die es in diesem Jahr mal nicht um den
Pokal ging, wußten offenbar nicht, ob sie nun den Ravenclaws
oder den Gryffindors beistehen sollten. Jedenfalls wollten sie nicht,
daß Slytherin den Pokal bekam.
Die einfliegenden Posteulen lenkten die Schüler von dem Spiel
ab. Lissy Wright sah mit verbissener Miene einen Uhu an, der
majestätisch über den Ravenclaw-Tisch herabschwebte und
punktgenau neben ihrem Teller landete und ihr den rechten Fuß
hinhielt. Roy wurde von einer Schneeeule angesteuert, die sich seine
Schwester Erica zugelegt hatte. Tim sah verblüfft auf einen
leicht zerzaust wirkenden Sperlingskauz, der einen Briefumschlag vor
ihn hinlegte und sofort danach wieder davonflog. Da Tims Verwandte
alle Muggel waren bekam er höchst selten Eulenpost. Meistens
mußte er bis in die Ferien warten, um neues von zu Hause zu
erfahren. Bruster hingegen sah dem Steinkauz seiner Mutter gelassen
entgegen. Der Postvogel schleppte sich mit einem Päckchen ab,
das wohl voller Schnagereien war. Seitdem Roy einmal die Bemerkung
hatte fallen lassen, daß Brusters Mutter herrliche Plätzchen
backen konnte, hatte die öfter welche nach Hogwarts geschickt.
Aurora dachte schon, an diesem Tag keine Eule mehr zu kriegen, als
drei Eulen auf sie zuflogen. Es war die Schleiereule ihrer Mutter,
der Waldkauz ihrer Großmutter Regan und eine Sumpfohreule.
Aurora nahm zunächst der Eule ihrer Mutter den Brief vom Bein
und las, daß sie ihr viel Glück im Finale wünschte
und sie nur aufpassen solle, nicht zu übertrieben zu fliegen.
Ihre Großmutter Regan schrieb ihr, daß sie an dem Tag, wo
das Spiel sei, im Zauberergamot sitzen müsse, um über das
Schicksal eines Angeklagten zu befinden, der für die Todesser
gearbeitet haben soll. Als Aurora den dritten Brief öffnete, sah
sie eine ihr unbekannte Frauenhandschrift. Sie las:
Hallo, Aurora,
ich danke dir recht herzlich für deinen Brief, den
du mir geschickt hast und möchte mich entschuldigen, daß
ich nicht schneller habe antworten können. Aber weil ich leider
nicht so gut englisch verstehe, um deinen Brief alleine lesen zu
können mußte ich auf meine Schwägerin warten, daß
sie mir beim Übersetzen hilft. Das ist ihre Handschrift, die du
gerade liest. Aber weil ich weiß, wie wichtig ein Brief dadurch
ist, weil er eine greifbare Verbindung zwischen dem, der ihn schreibt
und dem, der ihn kriegt bildet, habe ich dir unten drunter noch
einige Zeilen in meiner Muttersprache geschrieben, die meine
geschätzte Fachkollegin Prof. Sprout sicherlich gerne übersetzen
wird.
Ich freue mich, daß mein Artikel im grünen
Magier nicht nur neue Freundinnen und Freunde des Himmelstrinkers
gewinnen konnte, sondern auch junge Hexen wie dich dazu anregen
konnte, sich über eine Zukunft im von mir sehr geliebten
Fachgebiet magischer Herbologie zu engagieren. Sicher behaupten
viele, Kräuterkunde sei ohnehin ein reines Frauenfach, aber zu
lesen, daß jemand, die gerade vor den ZAG-Prüfungen steht
sich durch meinen Artikel angeregt fühlt, vielleicht selbst die
Wunder der magischen Pflanzen und Pilze zu erforschen und damit zu
leben, nicht nur zu arbeiten, gibt mir mehr als ein Honorar von 1000
Galleonen. Falls du in den nächsten Sommerferien Zeit und Lust
hast, mal die Atmosphäre eines Kongresses erwachsener
Kräuterkundiger zu schnuppern, frage deine Eltern doch, ob sie
Lust haben, mit dir vom 18. bis 24. Juli nach Millemerveilles zu
kommen. Ich denke, da wirst du deine ZAG-Noten schon kennen und
hoffentlich sehr beruhigt und stolz deine Ferien verbringen wollen.
Mit der Sprache hättest du auch kein Problem, weil es da einen
Zaubertrank gibt, der bewirkt, daß jemand eine ihm völlig
fremde Sprache verstehen und dann auch sprechen kann.
Wie geschrieben kannst du dir das ruhig überlegen
und mit deinen Eltern bereden. Fairerweise sollte ich dich nur
vorwarnen, daß es da meistens ziemlich trocken zugeht, aber
auch interessante Dinge besprochen werden.
Ich wünsche dir noch eine schöne Zeit bis zu
den Prüfungen und für diese bonne chance!
Camille
Dusoleil
Unter dem englischen Text standen noch vier Zeilen auf
Französisch, was Aurora nicht verstand, zumal da einige
merkwürdige Zeichen über den Vokalen standen. Doch die
Handschrift glich der Unterschrift und stammte wohl von der
Verfasserin des Artikels über die Himmelstrinkerblume.
“Soll ich mir das antun? Interessant wäre es ja mal”,
dachte Aurora Dawn bei sich, bevor Petula fragte, wer ihr da
geschrieben habe
“Das war Madame Dusoleil aus Frankreich, von der ich dir doch
erzählt habe, Petula”, flüsterte Aurora stolz, eine
persönliche Antwort bekommen zu haben.
“Ui, und was schreibt sie dir? Oder mußt du das erst
übersetzen lassen?” Antwortete Petula begeistert.
“Nein, der wurde schon übersetzt. Sie schreibt mir, daß
sie sich freut, daß jemand wie ich sich wegen ihrem Artikel für
Zauberpflanzen begeistert und wenn ich wollte und meine Eltern
könnten zu einem Kongress der Kräuterhexen und -zauberer in
dieses Millemerveilles reisen könne. Ich weiß zwar nicht,
ob ich da schon was mitkriegen kann, aber wäre mal ‘ne
interessante Urlaubsreise. Daddy war da ja schon mal. Soll ziemlich
weitläufig sein für’n Dorf und einen Zaubergarten und einen
Park mit magischen Tierwesen haben. Am besten habe ich dann gute
ZAG-Prüfungen geschafft, wenn ich Mum und Dad dazu kriegen
will.”
“Aber die Sprache”, wandte Petula ein.
“Da soll’s einen Zaubertrank für geben, der einen die
andre Sprache verstehen und sprechen läßt, schreibt Madame
Dusoleil. Ich meine, davon schon was gelesen zu haben,
Wechselzungentrank heißt der.”
“Stimmt, hat Dina was von gesagt, als ihr gegen die
Hufflepuffs gespielt habt, weil sie mit ihren Eltern in den
Weihnachtsferien nach Italien fahren wollte”, flüsterte
Petula. Aurora nickte.
“Eh, Lissy, hat deine Omama dir Prügel angedroht?”
Feixte Alessandro, weil Lissy ziemlich betreten dreinschaute. Diese
funkelte ihn an und meinte, das gehe ihn einen feuchten Dreck an.
Alessandro lachte fies. Offenbar hatte die wichtige Dame aus den
Staaten sowas ähnliches angedroht wie Schläge. Zumindest
hatte sie keinen Heuler geschickt, was die Ohren der Ravenclaws ihr
gewiß aufrichtig dankten.
Wie es der Kapitän der Ravenclaws angeordnet hatte
frühstückten die Spieler seiner Mannschaft gerade so
reichlich, daß sie in den nächsten zwei drei Stunden
keinen Hunger verspüren mochten, ohne zu schwer für ihre
Besen zu werden. Als sie dann in den Umkleideräumen die blauen
Spielerumhänge angezogen hatten sammelte Alessandro seine
Mitspieler noch einmal um sich.
“Also, Leute, wir allein haben das jetzt in der Hand, ob der
Pokal noch ein weiteres Jahr bei Flitwick im Büro besucht werden
kann oder bei Professor McGonagall einzieht. Ihr habt ja wohl alle
mitgekriegt, daß die sonst so auf Fairness pochenden
Gryffindors versucht haben, unsere Jägerin Aurora Dawn zu
beschwatzen, den Pokal an die gehen zu lassen, weil Winchester und
einige andere das letzte Spiel hier in Hogwarts spielen. Aber ich bin
heute auch das letzte Mal auf dem Platz, genau wie Ken. Also konnte
dieser feige Versuch nichts werden. Wir gehen da raus, starten durch
und spielen die in Grund und Boden! Ich freue mich, daß wir so
eine tolle Mannschaft sind.”
Aurora sah etwas verlegen aus, weil Alessandro die Sache von
gestern noch einmal aufgewärmt hatte. Aber dann ging sie genauso
entschlossen wie die anderen aufs Feld.
Die um das ovale Feld gruppierten Sitze der Zuschauertribüne
waren alle bis auf den letzten besetzt. Die goldenen Torstangen
ragten zwanzig Meter in den Himmel und erstrahlten im Licht der
Frühlingssonne, die es an diesem Tag gut meinte und von einem
wolkenlosen Himmel strahlte.
“Und hier sind die Akteure des großen Finales!”
Rief Jodocus Barkley mit magischem Megaphon. Er stellte alle Spieler
vor und sagte über Alessandro und Ken, daß dies ihr
letztes Spiel in Hogwarts sei. Ähnliches sagte er auch über
Winchester, den Gryffindor-Kapitän. Dann sagte er noch: “Ja,
und dann sind da noch die eingespielten Treiber-Zwillinge Rebecca und
Bernhard Hawkins, die heute auch ihr letztes Spiel auf dem Feld von
Hogwarts bestreiten und es noch mal wissen wollen, ob sie den Pokal
gewinnen können oder nicht. Denn sie werden im nächsten
Jahr wohl schon weit über dem großen Teich hinweg in der
Thorntails-Akademie sein, wo sie britische Gründlichkeit und
Tradition vertreten werden. In beiden Mannschaften sind also Leute,
die heute die letzte Gelegenheit haben, einmal aus dem großen
Silberbokal trinken zu dürfen. Madame Hooch hat die Spieler
gerade Aufstellung nehmen lassen. Gleich geht’s los!”
Jubel brandete auf, als die beiden Kapitäne sich die Hand
gaben. Alessandro grinste Sam Winchester höhnisch an, der
wiederum mißmutig zurückstierte. Dann kam das Kommando,
die Besen zu besteigen.
“Der Quaffel fliegt aus dem Abwurfkreis, und da sind auch
schon alle Spieler in der Luft, zeigen gleich, was neue Besen
hergeben. Oh, da hat sich Dawn schon mit Heatherbloom von den
Gryffindors angelegt, kommt an den Quaffel und zieht los. Der Nimbus
1500 geht wunderbar ab, wertes Publikum. Dawn fast schon am Torraum,
wurstelt sich noch an Winchester vorbeiiiii! – Ui, Doppelklatscher
von den beiden Hawkins-Geschwistern! Hätte die agile Aurora fast
voll erwischt. Dawn mußte zurückweichen, hat immer noch
den Quaffel, wird aber von Winchester und Heatherbloom bedrängt!
Dawn wirft ab auf Wiffle, hat das rote Rund genial bekommen und ist
schon vor dem Tor. Toooor! Ravenclaw führt mit zehn zu null
Punkten!”
Der Jubel der Ravenclaws war unüberhörbar. Gryffindors
Anhänger pfiffen und riefen ihrer Mannschaft zu, jetzt bloß
nicht nachzulassen.
“Klatscherattacke auf Wiffle, der den Abwurf vom Tor annehmen
wollte. War wohl nichts. Der Quaffel landet bei Heatherbloom, der den
Sauberwisch 5 zimlich gut antreibt. Ja, Neue Besen würzen das
Spiel entscheidend! Heatherbloom vor dem Tor! – Gehalten! Swift hat
eine Parade für die Galerie hingelegt, zögert den Abwurf
hinaus, weil jetzt alle drei Jäger von Gryffindor vor dem Tor
warten. Irgendwann wird er wohl abwerfen müssen. – Hei, beide
Klatscher kunstvoll gespielt von den beiden Treibern Boulder und
Dasher. Winchester mußte ausweichen. Der Quaffel fliegt weit
zurück. Dawn nimmt ihn an! Flugbahn zum Tor komplett frei! Toor!
Zwanzig zu null für Ravenclaw!”
Nach diesem zweiten Tor für die Ravenclaws schienen die
Gryffindors zu vergessen, nach welchen Regeln sie spielen mußten.
Denn als Aurora mit ihrer schulweit bekannten Doppelachsenflugweise
einen Gegenspieler ins Leere stoßen ließ und wieder einen
Torwurf ansetzte stürzte sich Bernhard Hawkins mit schwung auf
die hervorragende Jägerin. Seine Schwester war alleine und
schaffte es knapp, einen ihr geltenden Klatscher zu Boulder
abzulenken, der dann Heatherbloom aufs Korn nahm.
“Denkst du, ich lasse dich noch mal so viele Tore schießen?!”
Rief Bernhard und sauste knapp an Auroras Besenschweif vorbei,
wodurch sie den Quaffel fallen ließ.
“Ich habe dir geraten, möglichst weit weg von mir zu
bleiben!” Rief Aurora Dawn. Da kam ein Klatscher angezischt.
Aurora duckte sich, und Bernhard schlug nach dem schwarzen Ball, in
voller Absicht, Aurora doch noch zu erwischen. Doch diese rollte sich
zur Seite und ließ den Ball an sich vorbei auf den Boden
zurasen. Krachend schlug der Klatscher einen Krater ins Feld.
“Oh, der hätte Aurora Dawn mit Sicherheit voll in den
Rücken getroffen”, kommentierte Barkley diesen wütenden
Angriff. Der Klatscher ruckte und Zuckte auf dem Boden, bevor er im
Hui wieder nach oben schoss. Doch Aurora Dawn war bereits hinter
Winchester her, der den Quaffel erflogen hatte. Bruster warf sich ihm
in den Weg. Becky Hawkins wollte zwar einen Klatscher auf ihn
abschlagen, doch Alessandro hielt nur seinen Schläger hin und
ließ den bösartigen Ball davon zurückprallen, genau
zu Gideon Heatherbloom hin, der sich vor den Torringen Mortimers in
Stellung gebracht hatte. Gideon zirkelte herum und stieß dann
vor, um Mortimer aus dem Torraum zu drängen. Doch Madame Hooch
pfiff sofort und verhängte einen Strafwurf, weil der Hüter
ohne Quaffel im Torraum angegriffen worden war. Aurora flog an,
täuschte kurz und brachte den roten Spielball mit Wucht durch
den von ihr aus linken Ring zum Stand von dreißig Punkten.
Von da an foulten die Gryffindors immer dann, wenn sie meinten,
Madame Hooch sähe es nicht. Doch weil die Ravenclaw-Anhänger
das mitbekamen und Barkley nicht umhinkam, über einige grobe
Fouls zu reden, setzte es noch drei weitere Strafwürfe gegen
Gryffindor, die jedesmal von einem anderen Jäger verwandelt
wurden. Bernahrd meinte wohl, sich für die Ohrfeige von gestern
revanchieren zu müssen und rammte Aurora einmal den rechten
Ellenbogen in die Seite, als er keinen Klatscher fand, den er auf sie
schlagen konnte. Immerhin schafften die Gryffindors es einmal,
Mortimer zu überwinden und zehn Punkte zu holen. Doch danach
kamen noch vier weitere Tore für Ravenclaw zu Stande, nachdem
Aurora sich Bernhard immer wieder frech als Ziel anbot und ihre
beiden Kollegen dadurch freie Bahn bekamen. Einmal rief Winchester
nach Auszeit und bekam sie.
“Der ist stinksauer auf dich, Aurora”, grinste
Alessandro Boulder, als er seine Mannschaft vor der rechten Torstange
seiner Seite versammelt hatte.
“Ich weiß. Ich merk’s noch”, knurrte Aurora. “Aber
wenn der sich einbildet, was er durch dummes Gequatsche nicht
gekriegt hat mit Gewalt zu erreichen täuscht er sich. Vielleicht
übt er schon für Quodpot. Da sollen solche Rempler ja zum
guten Ton gehören.”
“Die müssen den erst aufbauen, bevor der dieses
Knallballspiel spielen darf”, sagte Ken Dasher. “Ich habe
mir so’n Spiel mal angesehen und …”
“Später Ken. Erst mal unser Spiel gewinnen”, sagte
Alessandro und plante die weitere Taktik, bis Madame Hooch die
Auszeit für abgelaufen erklärte.
“Dawn hat schon wieder den Quaffel, wird bedrängt von
Heatherbloom! Ist schon wieder vor dem Torraum von Gryffindor!
Klatscher!”
Aurora hatte es sich gedacht, daß Bernhard sich diese
Gelegenheit nicht nehmen ließ, sie anzugreifen. Deshalb war sie
rasch abgetaucht, um ihn zu verwirren und von unten her den Quaffel
zu spielen.Tatsächlich zischte der Klatscher einen Meter über
sie weg und erwischte Gideons Besenspitze mit solcher Wucht, daß
der Jäger von einer heftigen Drehbewegung vom Besen geschleudert
wurde. Sein Komet 2 / 40 zersplitterte vorne und trudelte steuerlos
nach unten. Gideon fiel und fiel dem Boden entgegen. Erst knapp vor
dem Feld erwischte ihn der Fallbremsezauber Professor McGonagalls.
“Ui, da wurde Gideon Heatherbloom von einem freundlichen
Klatscher vom Besen geholt”, sagte Barkley bestürzt. Madame
Hooch pfiff eine Auszeit und ließ Gideon, der sich beim Absturz
das linke Handgelenk gebrochen hatte, in den Krankenflügel
bringen. Ohne den Jäger ging das Spiel weiter. Bernhard hielt
sich auffallend zurück. Daß er seinen eigenen Mitspieler
vom Besen geschossen hatte nagte an ihm.
Nach etwas mehr als zwanzig Minuten führte Ravenclaw mit
sechzehn Toren zu sechs. und hatte damit den Abstand von Slytherin
wettgemacht und überholt. Nur der Schnatzfang würde den
Gryffindors noch den Pokal sichern. Das wußten die Ravenclaws
und spielten nun eher darauf, den gegnerischen Sucher zu blocken,
ohne dabei gegen die Regeln zu verstoßen. So Plätscherte
das Spiel eine Weile hin, wobei Ravenclaw und Gryffindor noch je ein
Tor erzielten. Dann stieß Gryffindors Sucher nach unten. Karin
Meridies wurde gleich von zwei Klatschern angeflogen und von allen
Jägern der Gryfindors am Vorankommen gehindert. Jetzt würde
Gryffindor den Pokal sicher kriegen.
“Gleich ist der spannende Kampf um, liebe Zuschauerinnen und
Zuschauer! Der Schnatz kann unmöglich noch … Was war das?”
Aurora Dawn, die gerade mal wieder den Quaffel hatte, wollte wohl
Bruster Wiffle anspielen. Doch der rote Ball kreuzte die Flugbahn des
Schnatzes, wirbelte diesen davon, sodaß der Sucher der
Gryffindors ins Leere griff. Auf der Tribüne lachte man.
Das Spiel ging weiter, wobei die Ravenclaws alles taten, um ihren
Vorsprung so weit auszubauen, daß auch der Schnatzfang
Gryffindor nicht zum Pokal führen konnte. Doch Gryffindor
schaffte immer wieder ein Tor, um bei einem erfolgreichen Schnatzfang
zehn Punkte Vorsprung zu bekommen. Als dann aber in der vierzigsten
Spielminute bei einem Stand von 30 zu 16 Toren Karin Meridies an
einem Klatscher von Rebecca Hawkins vorbei in die Tiefe stürzte,
dauerte es keine zwei Sekunden, da hatte sie den so kleinen und doch
so wichtigen Ball, den goldenen Schnatz, in der rechten Hand und
reckte diese nach oben, während der Klatscher knapp vor ihrer
Nase vorbeisauste.
“Vierhundertundfünfzig Punkte erringt Ravenclaw in
diesem so entscheidenden Spiel! Der Pokal bleibt in Ravenclaw!”
Rief Jodocus Barkley. Alle Ravenclaws jubelten unbändig. Auch
die Hufflepuffs stimmten in den Jubel mit ein. Ja, sogar die
Slytherins klatschten Beifall, wohl eher, weil sie es dann doch
lieber den Ravenclaws gönnten als den Gryffindors.
“Danke, Danke, Danke!” Rief Alessandro Boulder, als er
mit seiner Mannschaft zur Siegerehrung schritt. Er durfte in seinem
letzten Jahr noch einmal den Quidditchpokal in Händen halten.
“Hier kommt die siegreiche Mannschaft. Sie hat Geschichte
geschrieben. Denn dies ist erst die fünfte Titelverteidigung
Ravenclaws in der Geschichte von Hogwarts!” Verkündete
Barkley noch einmal.
“Ja, und wir sind froh, dabei gewesen zu sein”, sagte
Ken Dasher schadenfroh.
“Herzlichen Glückwunsch!” Sagte Professor
Dumbledore, als er Alessandro den Quidditchpokal überreichte.
Dann lächelte er Aurora Dawn an und sagte: “Du hattest es
aber heute besonders schwer, was?”
“Es war schon mal einfacher”, sagte Aurora Dawn.
Professor McGonagall sagte dazu noch:
“Wir haben nachher eine Konferenz der Vertrauensschüler.
Die Attacken von Mr. Hawkins waren unentschuldbar. Stimmt es, daß
Sie sich gestern mit ihm wegen des Spiels gestritten haben?”
Aurora nickte schüchtern. “Das ist kein Grund, Sie heute
derartig zu bedrängen”, fauchte die Lehrerin für
Verwandlung. Dann wünschte sie Aurora noch einen erholsamen
Vormittag.
Singend und jubelnd begleiteten alle Ravenclaws ihre Helden zurück
ins Schloß. Aurora suchte erst einmal den Krankenflügel
auf, wo sie ihre geprällten Rippen behandeln ließ und sich
erkundigte, wie es Gideon ginge. Dieser war fast wieder gesund.
Lediglich eine leichte Gehirnerschütterung sollte er noch einen
Tag auskurieren, hatte Madame Pomfrey verfügt.
“Ihr habt den Pokal gehalten?” Fragte Gideon, während
Aurora den Zauber Madame Pomfreys über sich ergehen ließ.
“Ja, haben wir. Es war nur recht und billig, daß wir
den auch dieses Jahr gewinnen. Siehst du wohl ein”, sagte Aurora
Dawn.
“Ich habe das mit Bernhard heute morgen erst mitgekriegt. Hat
der versucht, dich zu beschwatzen, ihm aus Liebe den Pokal zu
schenken?”
“Stand das noch nicht in der Zeitung?” Gab Aurora
verbiestert dreinschauend zurück. Dann riss sie sich zusammen
und sagte ruhig: “Er hat sich bequatschen lassen, ob er mich
nicht rumkriegt. Habe ich aber sofort durchschaut. Deshalb hat er
mich besonders heftig beharkt. Immerhin geht er ja dieses Jahr von
Hogwarts runter.”
“Nach Thorntails. Gute Reise wünsch ich”, stieß
Gideon hervor. Offenbar ärgerte er sich darüber, daß
Bernhard ihm den Klatscher an den Besen gehauen hatte.
“Ihr habt nach dem Essen eine Konferenz?” Fragte Madame
Pomfrey. Aurora nickte. “Da wird sich Bernhard ja noch was
anhören dürfen.”
Aurora überlegte, ob sie nicht bei der Gelegenheit selbst
einiges würde anhören müssen, weil sie Bernhard
geohrfeigt hatte. Doch sie sah dem gelassen entgegen.
Beim Mittagessen sprachen die Ravenclaws noch einmal über das
Spiel vom Morgen und warum Bernhard Hawkins Aurora immer wieder
angegriffen hatte. die Mädchen meinten, das sei enttäuschte
Liebe. Die Jungs sagten nur, daß er einfach nicht verlieren
könne und dann halt grob werde. Was genau stimmte konnte keiner
sagen.
Nach dem Essen trafen sich alle Vertrauensschüler bei
Dumbledore. Auch die Hauslehrer waren da, wie üblich. Dumbledore
sagte:
“Nun, eigentlich wollte ich ja erst nächste Woche die
übliche Konferenz abhalten, aber Professor McGonagall bat mich
darum, heute schon zusammenzukommen. Nun, Minerva, bringen Sie Ihr
Anliegen vor!” Er blickte seine Stellvertreterin durch die
halbmondförmigen Brillengläser aufmunternd an.
“Machen wir es kurz”, begann die Leiterin von
Gryffindor. “Ich weiß nicht, was Sie geritten hat, Mr.
Hawkins”, wobei sie Bernhard Hawkins sehr streng anblickte,
“heute andauernd gegen die Quidditchregeln zu verstoßen
und insbesondere Ms. Dawn teilweise brutal zu attackieren.”
“Ich wolte für Gryffindor den Pokal gewinnen, Professor.
Aurora ist zu gut geworden, um sie ständig frei herumfliegen zu
lassen”, sagte Bernhard. Eunice grinste verhalten. Cynthia
fragte, warum er dann gerade solche Fouls nötig gehabt hatte.
“Mir hat man gesagt, in Thorntails wären die Spielregeln
sehr körperbetont”, sagte Bernhard.
“Ja, aber noch sind Sie nicht in Thorntails, und ob Sie da
überhaupt angenommen werden, nachdem, wie Sie sich heute
betragen haben, steht noch nicht ganz sicher fest”, fauchte
Professor McGonagall. Bernahrd schrak zusammen. Dann platzte er
heraus:
“Das werden Sie nicht bestimmen, Professor McGonagall. Bei
allem Respekt vor Ihnen, der Umzug steht fest, und die von der
Thorntails-Akademie haben mir bereits geschrieben, daß ich so
gut wie sicher bei ihnen aufgenommen bin, insbesondere weil ich
Vertrauensschüler geworden bin.”
“Was sicher nicht passiert wäre, wenn dein Vater das
schon vor einem Jahr geschrieben hätte”, warf Snape
gehässig ein. “Im Grunde haben deine Eltern und du das
Konzept der Vertrauensschülerauswahl lächerlich gemacht.”
“Severus, ist schon gut”, griff Dumbledore ein. “Die
Vertrauensschülerauswahl obliegt mir, und ich habe keine
Probleme damit, im nächsten Jahr zwei neue Vertrauensschüler
zu erwählen. Allerdings irrst du dich, Bernhard, daß wir
hier nicht doch mitreden können, ob und wie du in Thorntails
aufgenommen wirst. Immerhin möchte Professor Wright
sicherstellen, daß die ihr anvertrauten Schüler, besonders
sogenannte Quereinsteiger, sich und ihre Schule nicht in Verruf
bringen. Wir müssen also daher ein Zeugnis ausstellen, in dem
geschrieben steht, wie du dich hier betragen hast. Insofern hat
Professor McGonagall schon recht, daß du noch nicht in
Thorntails bist. Außerdem hast du noch einige Monate hier. Ich
kenne Jungen, die mit der Haltung hier leben, wenn das Ende der
Schulzeit anbricht können sie sich vieles herausnehmen. Du bist
wahrlich nicht der erste, der so denkt und handelt. Du magst im
Moment der jüngste sein, der derartig in Versuchung geführt
wird. Aber gerade dann ist es mir sehr wichtig, dir zu zeigen, daß
es verkehrt ist, sich gegen die Regeln zu vergehen, besonders dann,
wenn er Vertrauensschüler ist. Deshalb muß ich Gryffindor
leider fünfzig Punkte aberkennen. Hinzu kommt noch, daß
Professor Wright am zweiten Maiwochenende zu einem kurzen Besuch
hierher kommt. Der Grund dafür ist zwar ein anderer als sich
über deine Schwester und dich zu erkundigen, aber die paar
Minuten wird sie sich sicherlich nehmen können.”
Das schlug bei Bernhard ein wie ein Klatscher voll in die
Magengrube. Daß Gryffindor seinetwegen fünfzig Punkte
verlor und er obendrein schon vor den Prüfungen mit der als sehr
unerbittlich bekannten Ernestine Wright zusammentreffen sollte war
ein harter Schlag für ihn. Er sah Aurora Dawn an, als wäre
sie Schuld an seinem Verhängnis. Als Eunice ihn aber verschmitzt
anblickte, schlug er die Augen nieder und verhielt sich still.
Es wurde, weil die Konferenz nun einmal stattfand, auch über
andere Schulsachen gesprochen. Als die Vertrauensschüler dann in
ihre Häuser zurückkehrten meinte Bruster zu Aurora:
“Der verwünscht den Tag, als er sich mit dir eingelassen
hat. Pass auf, daß er dich nicht doch noch wegen irgendwas
reinreitet!”
“Neh, das tut der nicht. Hast du Eunices Blick nicht gesehen.
Die weiß was los war. Wenn der mich noch vor dem Abschied
irgendwo reinrasseln läßt hebelt die ihn aus.”
“Warum auch immer”, sagte Bruster. “Oder stimmt es
doch, daß er sie mal angegraben und dann wie ‘ne heiße
Kartoffel hat fallen lassen?”
“Dann müßte sie ja auf mich sauer sein”,
wandte Aurora ein. “Ist sie aber nicht.”
“Weil er dich genauso verarscht hat wie sie. Weil er dir
vorgebetet hat, daß er für dich da sein will, und jetzt
geht er zu Mummy Wright nach Thorny.”
“Wenn die ihn nimmt”, sagte Aurora. Doch das ging sie
nichts an. Er würde umziehen. Sie hatten sich deswegen
zerstritten. Er hatte sie heute andauernd angegriffen und sie fast
vom Besen geholt. Das Spiel war um. Jetzt konnte er ihr gestohlen
bleiben.
Abends gab es noch eine Spontanfete im Gemeinschaftsraum der
Ravenclaws, bei der mehrere Flaschen Butterbier und Naschwerk aus dem
Honigtopf verbraucht wurden. Aurora mußte einmal
dazwischengehen, weil ein Viertklässler Vivian Acer Meet
unterjubeln wollte. Sie beließ es aber nur bei einer Verwarnung
ohne Punktabzug. Denn im Moment führte Ravenclaw wieder vor
Gryffindor. Lissy Wright hatte sich aber offenbar ziemlich heftig mit
irgendwelchen Weinbrandpralinen einen wahren Vollrausch angefuttert
und konnte schon gar nicht mehr senkrecht stehen. Aurora half den
Swift-Drillingen dabei, die Klassenkameradin in den Schlafsaal zu
bugsieren.
“o, alles dreht sich ja”, lallte Lissy verzückt,
als Aurora ihr aus den Sachen half.
“Was hast du bloß gefuttert, Lissy?” Fragte
Aurora.
“So Pralinen aus Amerika waren das. Vineyards lustige
Leckereien”, sagte Ramona Swift.
“Sind da noch welche drin?” Fragte Aurora. Rita suchte
die glitzernde goldene Schachtel und holte zwei harmlos aussehende
Pralinen in Goldfolie heraus. Aurora las den Text auf der Schachtel.
Dann sagte sie:
“Ich wußte nicht, daß sie dieses Zeug hat. Das
ist nix für uns im Wachstum, Mädchen. Ich bringe die mal
Madame Pomfrey.”
“Sind die so heftig?” Fragte Roxanne Swift.
“Eine gibt soviel Alkohol her wie sechs Flaschen Butterbier,
wenn ich das richtig lese. Die haben da einen Zaubertrank
eingemischt, der den Zucker in den Pralinen bei Kontakt mit der
Magensäure schlagartig in Alkohol umwandelt. Ist als Party-Gag
gedacht oder als Muntermacher für schüchterne Männer
und Frauen.”
“Oh, die hat da sieben Stück von gefuttert.”
“Dann hole ich besser Madame Pomfrey her, damit die ihr ein
Desalkoholikum gibt. Nachher kriegt die noch ‘ne tödliche
Vergiftung.”
Aurora lief los und suchte noch um elf Uhr den Krankenflügel
auf, wo Madame Pomfrey gerade Gideon Heatherbloom einen letzten
Besuch abstattete, bevor dieser schlafen sollte. Im Flüsterton
besprachen sie, was passiert war.
“Wo hat die das Zeug her?” Fragte die
Schulkrankenschwester. Dann holte sie eine große Flasche mit
einem wasserhahnartigen Aufsatz, füllte ein Glas mit Wasser und
ließ mit kurzem Druck auf die Flasche einen rosaroten Tropfen
vom Inhalt ins Glas fallen, schüttelte es vorsichtig und sagte:
“So, das müssen wir ihr jetzt verabreichen. Die Pralinen
läßt du bitte bei mir. Ich werde die morgen mal
untersuchen, um zu sehen, was für ein Teufelszeug da
hineingepanscht wurde”, flüsterte sie und ging mit Aurora
auf dem schnellsten Weg nach Ravenclaw. Dort angekommen wichen ihr
alle in Feierlaune angesäuselten Schülerinnen und Schüler
ohne zu fragen aus. Im Mädchentrakt führte Aurora sie zum
Schlafsaal der Drittklässler, wo Lissy gerade herzhaft in einen
ans Bett gestellten Eimer brach.
“Immerhin etwas von dem Höllengebräu ist raus”,
bemerkte Madame Pomfrey, wischte Lissy den Mund ab und flößte
ihr vorsichtig den Inhalt des Glases ein. Es dauerte keine Minute, da
klärte sich Lissys Blick, und ihre Bewegungen wurden wieder
fließend und kontrolliert.
“Ui, Madame Pomfrey”, sagte sie nun bei klarer Stimme
und Verstand.
“Ja, Madame Pomfrey, du dummes Kind. Hast du dir die
Beschriftung der Pralinenschachtel nicht angesehen? Da steht drauf,
daß Kinder die gar nicht und Jugendliche nur zwei Stück
davon essen dürfen. Du hast aber sieben davon gegessen. Wo hast
du die her?” Herrschte die Schulkrankenschwester die
Drittklässlerin an.
“Eh, hast du mir die weggenommen?” Fragte Lissy Aurora
Dawn.
“Das ist mein Job, so’n Zeug einzuziehen, Elizabeth”,
fauchte Aurora unerbittlich.
“Wo hast du diesen Unrat her, Elizabeth?” bohrte Madame
Pomfrey nach.
“‘ne Tante von mir hat die mir zu Ostern geschenkt. Sie
meinte, ich könne damit feiern, wenn es was zu feiern gebe”,
sagte Lissy sichtlich eingeschüchtert. Madame Pomfrey schickte
die drei Swift-Schwestern und Aurora Dawn vor die Tür. Offenbar
wollte sie Lissy noch etwas genauer verhören.
“Die wollte sich umbringen”, vermutete Rita. “Mit
sieben von den Dingern im Bauch hätte sie die Nacht nicht
überlebt.”
“Wenn es nur sieben waren”, meinte Aurora. “außerdem
denke ich nicht, daß sie sich absichtlich vergiften wollte. Die
hat das einfach unterschätzt oder gedacht, das Zeug wirkt nicht
so heftig wie es auf der Packung steht.”
“Neh, die wollte sich umbringen. Kuck mal hier!”
Flüsterte Roxanne Swift und hielt Aurora einen Umschlag hin.
Aurora nahm den Umschlag, stand eine Sekunde unschlüssig da und
las dann, daß ihre Großmutter sich ernsthaft überlege,
sie in einen Sack zu stopfen und mitzunehmen, wenn auch nur ein
Viertel von dem stimmte, was sie über Lissy gehört hatte.
“Ach komm, deshalb bringt sich niemand gleich um”,
flüsterte Aurora den Mädchen zu. “Das ist so wi eine
angedrohte Prügelstrafe. Ich denke nicht, daß Mrs. Wright
ihre Enkeltochter in einen Sack stopft und davonträgt. Das paßt
eher zu Sabberhexen.”
“Vielleicht hat’s Lissy aber so geglaubt”, sagte Ramona
Swift. Dann kam Madame Pomfrey aus dem Schlafsaal.
“Ihr drei könnt da jetzt wieder rein. Das
Breitbandantidot hat den Alkohol restlos aus dem Körper
vertrieben. Sie kann also jetzt ruhig schlafen. Alles andere kläre
ich alleine mit eurem Hauslehrer. Am besten sammelst du deine anderen
Mitschüler ein und veranlaßt, daß sie auch schlafen
gehen!” Wandte sie sich an Aurora Dawn. Diese nickte gehorsam
und kehrte in den Gemeinschaftsraum zurück. Dort besprach sie
mit Bruster und den anderen Vertrauensschülern, daß sie
die Party jetzt besser beenden sollten, bevor Flitwick wieder
auftauchen würde. Sie sahen es ein und setzten den Siegesfeiern
ein diszipliniertes Ende.
Im eigenen Schlafsaal wollte Dina von Aurora noch wissen, was
genau mit Lissy passiert sei. Aurora sagte ihr:
“Die hat so Partyzeug für durchgedrehte Hexen und
Zauberer gekriegt und sich bei der Menge vertan. Madame Pomfrey hat
das geheilt. Ich denke, sie hat das Antidot 999 benutzt, ein sehr
wirksames Breitbandgegengift. Das ist aber sehr teuer, weil dazu sehr
tödliche Tier-und Pflanzengifte und diese ins Gegenteil
umwandelnde Bestandteile von Zaubertieren benötigt werden. Ich
glaube, ich werde mir mal die Liste der Zutaten zulegen.”
“Die rückt Madame Pomfrey nur raus, wenn du in den
beiden UTZ-Klassen bist”, sagte Dina. “Ich wollte mir das
Zeug auch schon zusammenbrauen, falls Snape uns doch einmal mit einem
heimtückischen Gift drangsaliert. Aber Madame Pomfrey hat mir
erzählt, daß die Rezeptur nur in einem Heilerlexikon drin
ist, das nur an Leute aus den UTZ-Klassen ausgeliehen wird, die
magische Heilkunst oder Arzneikunde erlernen wollen. Da ich das wohl
nicht mache, wegen der ganzen Zauberkunst-und Verwandlungssachen,
werde ich das wohl nicht nachlesen können.”
“Verstehe”, sagte Aurora Dawn. Dann spürte sie, wie
müde sie nach diesem langen, aufregenden Tag war und wünschte
ihren Klassenkameradinnen eine gute Nacht.
__________
Lissy Wright hatte wohl doch nicht vorgehabt, sich mit magischen
Pralinen umzubringen. Denn am nächsten Morgen bedankte sie sich
bei Aurora für die Hilfe und wirkte dabei nicht mehr so
selbstsicher und überheblich wie sonst. Aurora erklärte
ihr, was mit ihr passiert war und erfuhr, ohne daß sie es
darauf angelegt hätte, daß Lissys Tante ihr diese Pralinen
geschenkt habe, um sie bei Feiern wie eben dem Quidditchpokalgewinn,
mit guten Freunden zu teilen. Da Lissy aber durch ihre Art, mit
Schulkameraden umzuspringen, keinen einzigen Freund hatte, hatte sie
aus Trotz sieben Pralinen gefuttert, ohne sich darüber
klarzusein, welche heftige Wirkung die hatten.
“Madame Pomfrey hat die Pralinen einbehalten, Lissy.
Professor Flitwick wird davon nichts erfahren, solange deine
Klassenkameradinnen nicht meinen, ihm das stecken zu müssen. Du
verstehst was gemeint ist?” Erwiderte Aurora Dawn sehr ernst
dreinschauend.
“Diese Nixkönnerinnen können mich erpressen”,
schnaufte Lissy sehr vergrätzt. Ja, in der Tat hatte sie sich
den drei Swift-Schwestern ausgeliefert, die ihr alles, was sie über
drei Jahre von ihr hatten einstecken mußten, mit einem Schlag
zurückgeben könnten, wenn sie ihnen einen Anlass dazu gab.
Als Aurora Lissy erzählte, daß sie den Brief gefunden
hatte, mußte die sonst so großspurige Drittklässlerin
lachen.
“Meine Großmutter drückt sich manchmal sehr brutal
aus. Sicher, ich würde nichts machen, was sie wirklich ärgert.
Aber in einen Sack stecken würde sie mich nicht. Außerdem
wäre das kein Grund für mich, mich mit
Rauschverstärkungspralinen um die Ecke zu bringen.”
“Konnte ich mir auch nicht denken”, erwiderte Aurora
Dawn.
Nachdem Lissy sich verabschiedet hatte, hatte Aurora alle Hände
voll zu tun, ihre Mitschüler von unsinnigen Sachen wie
Gripsverstärkungselixieren und dergleichen abzubringen. Einige
hatten nämlich die Idee gehabt, ihre ZAG-Mitschüler mit
angeblich wirksamen Gedächtnis-und
Auffassungsgabesteigerungstränken, -pastillen und -pülverchen
zu beglücken.
“Jedes Jahr dieselbe Schose”, sagte Bruster, der gerade
eine merkwürdige Flasche von Dennis McGregor beschlagnahmt
hatte, die angeblich Sphinxenkrallenpulver mit Eulenblut und
Kräutersaft vermischt enthielt und die eigene Auffassungsgabe um
ein zehnfaches anheben sollte. Aurora dachte daran, daß es
einen entsprechenden Trank geben solle, aber daß der noch
wesentlich komplizierter war und auch nicht ohne Nebenwirkungen war,
die nur ein zweiter Trank abfangen konnte.
“Also ich glaube, wir sollten den Leuten sagen, lieber
fleißig zu lernen, bevor die meinen, mit einem Schluck aus
einer merkwürdigen Phiole die Prüfungen sicher geschafft zu
haben”, sagte Aurora.
Eunice Armstrong fragte sie einmal, ob es wirklich gute
Gehirnaufputscher gäbe außer denen, die Bitterling ihnen
mal gezeigt habe. Aurora erzählte ihr, was sie wußte und
woran man echte von falschen Mittelchen unterscheiden konnte.
“Irgendwer bringt diese Nummer immer, jedes Jahr”, sagte
Eunice. “Die meinen, die ZAG-Leute würden wirklich alles
schlucken, nur um sicher durch die Prüfungen zu kommen.”
“Ja, und wir haben jetzt das Problem, diese Pfuscherei zu
unterbinden”, knurrte Aurora.
Der Handel mit scheinbar brauchbarem Zeug zur Gripfsverstärkung
und Gedächtniserweiterung hörte auf, als Aurora Dawn im
Gemeinschaftsraum mal das Produkt eines Sechstklässlers mit
ihrer Zaubertrankausrüstung analysierte und Jarveykot,
pulverisierte Mäuseknochen und ausgetrocknete Käfer
nachweisen konnte.
“Also, Leute: Streiche zu spielen ist mal was lustiges. Aber
was hier läuft ist Betrug und sogar fahrlässige
Körperverletzung. Wenn ich noch einmal solch eine
zusammengepanschte Mixtur beschlagnahme, wird der oder die, von dem
oder der ich das habe, das Zeug selbst zu schlucken kriegen.
Abgesehen davon, daß ich dann Ravenclaw zwanzig Punkte pro Fall
abziehen werde.” Einige murrten zwar, sie hätten mit derlei
Quacksalberei nichts zu tun. Doch von Stund an ging von Ravenclaw aus
kein wie auch immer angepriesenes Wundermittel aus. Fielding nannte
es scherzhaft “die Dawn-Doktrin”, als er Aurora schadenfroh
zuschanzte, daß er vier Siebtklässler belauscht habe, die
fast mit einem Zaubertrank erwischt worden wären, den sie den
Hufflepuffs anzudrehen versucht hätten. Da Auroras Androhung
jedoch auch bei den anderen Vertrauensschülerinnen der fünften
Klasse angekommen war, hatten die diesen Handel platzen lassen. Tonya
Rattler hatte Cynthia mal vorgehalten, ihre Hausschüler wollten
solchen Murksmix doch nur, weil sie sich ihrer geistigen
Schwachheiten bewußt geworden seien. Cynthia hatte Tonya darauf
geantwortet, daß sie besser sein wollten als gut und da manchem
Rattenfänger hinterherliefen.
Der Unterricht wurde nicht leichter. In Muggelkunde sollten sie
das Morsealphabet lernen, um die Anfänge der schnellen
Nachrichtenverbreitung in der Muggelwelt verstehen zu können.
Roy war da natürlich um Längen voraus, weil er als Sohn
eines Seefahrers auch öfter in einer Funkbude gewesen und sich
das Punt-Strich-Alphabet schon mit sechs Jahren angeeignet hatte.
“Nun, Ihre Schwester war in der Hinsicht genauso überragend
vorgebildet”, sagte Professor Goldbridge, den sie in seiner
Abwesenheit auch gerne Professor Janus nannten.
“Also die gemorste Gruppe SOS sollte wirklich jeder kennen”,
sagte Roy sehr selbstsicher. “In der nichtmagischen Welt kennt
jeder Fünfjährige die Zeichenfolge.”
“Wann wurde denn dieses Notsignal erstmalig als solches
benutzt?” Wollte Professor Goldbridge wissen, um Roy von seinem
hohen Sockel herunterzuholen. Doch Roy hatte keine Probleme mit der
Antwort:
“Das war in der Nacht vom vierzehnten zum fünfzehnten
April neunzehnhundertzwölf, als das Luxuspassagierschiff
“Titanic” nach vorbeischrammen an einem Eisberg zu sinken
begann. Hat den meisten Passagieren leider nichts geholfen, weil die
Schiffe, die den Notruf hörten, mehrere Stunden brauchten um
hinzukommen und das Schiff, das am nächsten dran war, zu dem
Zeitpunkt die Funkanlage ausgeschaltet hatte. Das habe ich gelernt,
weil mein Dad ja in der zivilen Seefahrt tätig war, bis ihn –
bis ihn dieser Schweinehund Voldemort und seine Nachläufer
einfach so umgebracht haben.” Die letzten Worte sprach Roy mit
tiefer Verbitterung in Gesicht und Stimme. Die meisten Schüler
im Klassenraum zuckten zusammen, weil er den Namen des bösen
Hexenmeisters laut aussprach.
“Ja, aber den restlichen Morsekram brauchen wir in der
Zaubererwelt doch gar nicht”, sagte Bruster. “Da können
wir Eulen mit Briefen verschicken und Funken verschiedener Farbe
losschicken oder Lichtstrahlen oder Töne.”
“Ja, und der Notrufzauber ist wohl ähnlich wie das
SOS-Zeichen”, wußte Aurora noch. Da konnte Roy nichts
gegen einwänden. Immerhin hatte seine Schwester Erica ihm ja
auch schon erklärt, wie einfach aber wirkungsvoll der
Notrufzauber war. Da konnte man innerhalb einer halben Minute Hilfe
bekommen, wenn man wirklich in Not war.
“Weshalb Madame Pomfrey ja vor Jahren schon eine Eingabe an
Professor Dumbledore und die Ausbildungsabteilung gemacht hat, er
solle bereits in der ersten Klasse unterrichtet werden”, sagte
Professor Goldbridge. “Aber darüber unterhalten Sie sich
bitte mit Professor Flitwick.”
“Eben, diesen Morsekram braucht keiner aus der Zaubererwelt”,
warf Loren Tormentus ein. “Aber interessant ist es schon, wie
die Muggel sich auf so eine einfache Verschlüsselung verständigt
haben.”
“Nun, Mr. Fielding, da ich feststellen muß, Ihnen in
diesem Teil des Unterrichts wohl keine nennenswerte Neuigkeit bieten
zu können, wären Sie dann so freundlich, ein für uns
alle hier verständliches Referat über die
Einsatzmöglichkeiten des Morse-Codes zu halten?” Fragte der
Muggelkundelehrer. Roy nickte und versprach, in der nächsten
Stunde eine auch für reinblütige Zauberer klar
verständliche Zusammenfassung vorzutragen.
In Zauberkunst waren sie alle noch mit den Schall-und
Lichtbeeinflussungszaubern zu Gange, wie den Raumerleuchtungszauber
Amplumina, der Sonnenlichtkugel, die große Flächen unter
einer körperlosen Lichtkugel erhellen ließ oder Zaubern
wie Sonorus, der einem eine große Räume ausfüllende
Stimmgewalt verlieh oder Vociferus-Zauber, der die eigenen Wörter
über Kilometer weit in eine bestimmte Richtung tragen konnte,
allerdings nur in einem Winkel von wenigen Grad, besser als jedes
Megaphon.
“Wieso, Professor Flitwick, benutzen unsere Stadionsprecher
dann nicht den Sonorus-Zauber?” Fragte Mortimer Swift einmal,
als es ihm mehrmals gelungen war, den Staub im Raum durch magisch
verstärkte Stimme von der Decke rieseln zu lassen.
“Nun, das stammt noch aus einer Zeit, wo der Sonorus-Zauber
seine Tücken hatte und gerade ungeübte Zauberer Probleme
mit ihm hatten. Außerdem ist ein Megaphon insofern praktischer,
da man es absetzen kann, wenn man kurz mit jemandem neben sich
sprechen möchte. Allerdings, so ist mir bekannt, wird Sonorus in
Beauxbatons, Greifennest und Thorntails verwendet. Bei uns sind die
Kommentare per Megaphon seit über zwei Jahrhunderten Tradition.”
“Verstehe”, sagte Mortimer.
__________
Der Mai begann mit Regen und Frühlingsstürmen. Die
Schüler waren froh, wenn sie nicht im Freien herumlaufen mußten
und daß die Quidditch-Saison nun vorbei war. Als das zweite
Maiwochenende anrückte, bemerkte Aurora die innere Anspannung
bei Lissy Wright. Sie wurde unausstehlich, wenn man ihr länger
als fünf Sekunden zu nahe kam. Ihre drei Klassenkameradinnen
hielten sich schön von ihr fern und beließen es dabei,
hinter ihrem Rücken zu tuscheln. Sicher war es in der ganzen
Schule herum, daß Lissys Eltern zusammen mit der achso
berühmten Großmutter aus Amerika herkommen wollten, um zu
schauen, was ihre achso überragende Tochter und Enkelin so
anstellte.
Aurora kümmerte sich nicht sonderlich um Lissy, selbst wenn
diese ihr zwischendurch immer einen verächtlichen Blick zuwarf.
Sie hatte mit ihren Prüfungsvorbereitungen genug am Hut und gab
im Moment nichts auf die Meinung jüngerer Schulmädchen. Sie
ärgerte sich nur, weil Bernhard Hawkins nach dem Quidditchfinale
vollkommen gegen sie eingenommen war. Wenn eine
Vertrauensschülerkonferenz stattfand, sah er sie immer abfällig
von der Seite an oder meinte, ihre Einwände oder Fragen
lächerlich reden zu müssen. Einmal hatte Eunice ihn darauf
hingewiesen, daß er noch zwei Monate hier war und sich
gefälligst anständig benehmen sollte. Darauf hatte er nur
gesagt:
“Ich geh doch eh nach Amerika.”
Als dann der zweite Samstag im Mai anbrach, diesmal mit klarem
Himmel und der Aussicht auf einen schönen Tag, beschloss Aurora
für sich, möglichst weit vom Schloß entfernt zu sein.
So nahm sie nach dem Frühstück den Nimbus 1500 und flog
über die Ländereien dahin, überquerte sogar den
verbotenen Wald und zog einige Bahnen über dem großen See.
So um zehn Uhr landete sie in einem der kleineren Parks, wo sie sich
mit einem Buch über Zauberkunst die Zeit nutzvoll vertreiben
wollte.
Sie saß, den guten Besen quer über die Bank auf der sie
saß gelegt, im Schein der Morgensonne und genoss ihre wärmenden
Strahlen, den Duft der blühenden Büsche und Bäume und
das Zwitschern der Vögel und das Summen der Bienen, die um sie
herum nach Nektar suchten. Sie war gerade bei dem Kapitel über
den Gleichwärmezauber angelangt, als das Schwirren durch
Reisigbündel strömenden Flugwindes über ihr erklang.
Sie hob den Kopf und sah drei Besen anfliegen, zwei Wolkenreiter 2
und einen Besen, den sie nicht kannte dahinter. Auf einem der
Wolkenreiter saß eine Hexe im meergrünen Umhang mit
sonnengelbem Hut. Auf dem anderen ritt ein Zauberer in samtbraunem
Umhang mit schwarzem Bowler. Der Aurora unbekannte Besen trug eine
Hexe fortgeschrittenen Alters, die ziemlich untersetzt gebaut war und
ein himmelblaues, wallendes Kleid trug. Auf dem Kopf mit dem
weißblonden Schopf thronte ein schneeweißer kleiner
Spitzhut. Aurora sah kurz die Brille der älteren Hexe im
Sonnenlicht aufblitzen. Dann glitten die Besen bereits in der Nähe
des Hauptportals zu Boden. Das waren also Lissys Besucher. Aurora
nahm es zur Kenntnis und vertiefte sich wieder in die Beschreibung
des Gleichwärmezaubers, mit dem Behälter ihren Inhalt auf
gleicher Temperatur halten konnten.
Etwa um zwölf Uhr herum hatte sie alles gelesen, was den
Zauber betraf und noch einiges mehr über flammenlose Erhitzungs-und Abkühlungszauber, die sie zwar schon in der zweiten Klasse
gelernt hatte, die aber in der Wiederholung sicherlich drankommen
würden. Sie klappte das Buch zu, flog auf ihrem Besen hinüber
zum Schloß und brachte den Nimbus in ihren Schlafsaal. Dort
erwartete sie Petula Woodlane.
“Hast du die Wrights gesehen, Aurora. Er sieht ja ziemlich
klein mit Hut aus, wenn die gewichtige Dame hinter ihm herläuft”,
grinste Auroras Schulfreundin.
“Mag sein. Ich habe mich draußen noch mal über die
Wärmebeeinflussungszauber schlaugelesen. Mir ist es jetzt egal,
was mit Lissy geklärt wird.”
“Dein Ex läuft ja ganz aufgeregt herum, weil er die
Leiterin von Thorntails keine fünf Meter an sich vorbeigehen
sah, hat mir Isis vor einer Stunde erzählt. Na ja, mit uns hat
das ja dann nichts zu tun, denke ich mal. Oder glaubst du, die große
Ernestine Wright will dich wegen Lissys blödem Verhalten noch
einmal genauer befragen?”
“Ich hoffe es nicht. Nachdem ich die Sache angeleiert habe,
ist es mir recht, wenn die mich da raushalten”, gestand Aurora
ein. Dann ging sie mit Petula hinunter in die große Halle.
Lissy Wright machte einen ziemlich zerknirschten Eindruck, als sie
sie am Ravenclaw-Tisch weit fort von den Swift-Drillingen sitzen
sehen konnten. Als sie Aurora einmal ansah funkelte sie diese an, als
habe die ihr eine saftige Strafe eingebrockt.
Nach dem Mittagessen wollten Aurora und Dina ihren
Klassenkameraden noch bei der Wiederholung der Zaubertrankübungen
helfen. Dazu setzten sie sich in ihren Außenumhängen in
den westlichen Park und besprachen die Sachen, die in den letzten
vier Jahren erwähnt und im Unterricht ausprobiert worden waren.
Es war wohl so um drei Uhr, als ein merkwürdig geisterhaft
aussehender Vogel, der aus silberweißem Licht zu bestehen
schien, heranflog und sich vor Aurora Dawn auf den runden Tisch
setzte.
“Heh, was ist denn das für ein Vogel?” Fragte Roy
Fielding, der sich gerade von Dina die Zubereitung von Träumgut-Tee
erklären ließ.
“Professor Dumbledore möchte dich in seinem Büro
sehen, Aurora”, flötete der Vogel glockenhell. Aurora Dawn
zuckte die Achseln und sah das Tierwesen aus reinem Licht kritisch
an.
“Was möchte Professor Dumbledore von mir?” Fragte
Aurora Dawn leicht mißmutig.
“Professor Dumbledore möchte dich in seinem Büro
sehen, Aurora”, wiederholte der Lichtvogel unbeeindruckt von der
Frage.
“Wahrscheinlich will Lissys Oma dich noch mal verhören,
was dir denn einfiel, ihre Enkelin so dumm zu reden”, feixte
Bruster Wiffle.
“Ach ja?” Stieß Aurora Dawn aus. Doch sie
verstand, daß sie eh keine andere Wahl hatte. Wo immer dieser
Vogel hergekommen sein mochte, er hatte ihr eine Botschaft von
Dumbledore überbracht, und es wäre unklug, nicht darauf
einzugehen. So verabschiedete sie sich von ihren Klassenkameraden und
folgte dem Vogelwesen aus silbernem Licht, das sie erst zum Schloß
führte, um dann im Hui einen Gang entlang zu fliegen und dabei
wie Nebel zu zerfließen.
“Den Zauber lerne ich noch, um Dad zu beeindrucken”,
dachte sich Aurora und suchte die Wasserspeier auf, die die Tür
zu Dumbledores Turm bewachten.
“Kribbels Kekse”, sagte sie und wartete, bis der
Wasserspeier in ihrer Nähe zur Seite sprang und den Weg zur
Wendeltreppe freigab. Mit etwas mulmigem Gefühl in Magen stieg
sie die gewundene Treppe hinauf bis vor die Tür zur runden
Turmkammer, Dumbledores Sprechzimmer. Von weiter oben hörte sie
bereits den Schulleiter, Lissy Wright und jene Hexe, die sie einmal
in Flitwicks Kaminfeuer gesehen hatte. Als sie dann vor der Tür
war, hörte sie von unten jemanden die Stufen hinaufhetzen.
“Sie ist da, Albus”, hörte Aurora die ältere
Hexe halblaut sagen.
“A ja”, sagte Dumbledore. “Aurora, kommst du bitte
herein?”
Aurora betrat das kreisrunde Zimmer mit seinen vielen glitzernden
und schnarrenden Gerätschaften, den Portraits früherer
Schulleiter an der umlaufenden Wand und den großen, die
Maisonne einlassenden Fenstern. Der Schulleiter blickte an ihr vorbei
und erkannte einen halbwüchsigen Jungen mit braunem Haar.
“Bernhard, du bist zu früh dran. Komm bitte in einer
Viertelstunde noch einmal wieder!” Sagte Dumbledore, als der
leicht gehetzt wirkende Junge die oberste Stufe der Treppe erreicht
hatte.
“‘tschuldigung, Professor Dumbledore. Aber Professor
McGonagall hat mir ausgerichtet, daß ich herkommen soll.”
“Nun, das war ein wenig verfrüht. Professor McGonagall
ging davon aus, daß wir deine Angelegenheiten jetzt schon
besprechen sollen. Aber Professor Wright hat mich gebeten, die
eigentlichen Angelegenheiten ihres Hierseins noch genau
abzuschließen, bevor sie sich mit dir unterhalten möchte.”
“Ist gut, Professor Dumbledore”, knurrte Bernhard und
eilte die Wendeltreppe abwärts davon.
“Verzeihung, Ernestine. Offenbar wollte meine Kollegin Ihnen
unnötige Wartereien ersparen”, sagte der Direktor von
Hogwarts zu jener fülligen Dame im himmelblauen Kleid. Aurora
stand ruhig im Zimmer, während sich die Tür wieder schloß.
Lissy Wright hockte angespannt auf einem Stuhl und hatte ihre Hände
am Tischrand fest verkrampft, als wolle sie verhindern, damit
unbedachte Bewegungen oder Gesten zu machen.
“Setz dich bitte hier her, Aurora!” Forderte Professor
Dumbledore die Vertrauensschülerin auf und wies ihr mit einer
sachten Armbewegung einen Stuhl an. Sie nahm Platz und wartete, was
passierte.
“Meine respektable Amtskollegin Professor Dr. Ernestine
Wright haben Sie einmal flüchtig sehen können, hat sie mir
mitgeteilt. Daher brauche ich Sie einander nicht weiter vorzustellen.
Sie möchte von Ihnen noch einiges mehr wissen, was den
außerschulischen Umgang ihrer Enkeltochter Elizabeth betrifft”,
begann Dumbledore. Lissy sah Aurora mit einem drohenden Blick an der
“Sag bloß nix falsches!” zu sagen schien. Doch Aurora
lächelte die ehrwürdige Hexe aus Amerika an.
“Nun, Ms. Dawn, Sie waren nicht die Erste, die sich in einem
Brief direkt an mich darüber beklagte, daß meine
Enkeltochter sich ihren Mitschülern gegenüber sehr
unkameradschaftlich aufführe”, sprach Professor Wright
ruhig und keineswegs streng oder unerbittlich. “Was hat Sie nach
Ihrer früheren Mitschülerin Amalia Hopfkirch veranlaßt,
sich noch einmal an mich zu wenden, wo ich doch sehr weit fort bin
und eine Vielzahl von Aufgaben zu bewältigen habe?”
“Nun, Professor Wright”, begann Aurora Dawn, die sich
jetzt, wo es klar war, daß man ihre Meinung hören wollte,
sehr gut zusammennahm und ihre innere Ruhe behielt, “Das geht ja
leider nicht erst seit diesem Jahr so. Ja, Lissy, es ist leider so,
daß ich es nicht erst als Vertrauensschülerin mitbekommen
habe, daß du sehr überheblich und unkameradschaftlich
bist, vor allem zu deinen Klassenkameradinnen aus Hufflepuff und eben
den Swift-Geschwistern”, sagte sie dann mit kurzem Blick auf
Lissy, bevor sie Professor Wright in die bebrillten Augen blickte und
erzählte, was sie am Verhalten von Lissy so störte und
weshalb sie ihr einmal sogar eine Strafarbeit aufhalsen mußte.
Merkwürdigerweise hatte Aurora dabei das Gefühl, als sähe
sie die Bilder und höre die Geräusche, die mit den von ihr
geschilderten Sachen zusammenhingen. Dumbledore meinte einmal:
“Ernestine, ich glaube, derartig detailgenau müssen Sie
es nicht ergründen, was Ms. Dawn Ihnen erzählt.”
“Oh, entschuldigung, Dumbledore. Macht des Mißtrauens”,
sagte Professor Wright an den Ohren errötend. Dann bat sie
Aurora, weiterzusprechen. Diese erzählte weiter, was Lissy alles
getan hatte, was über eine normale Überlegenheit anderen
Schülern gegenüber hinausging. Dann wollte Professor Wright
wissen, ob ihre Enkeltochter ihre Klassenkameradinnen wirklich als
Nichtskönner bezeichnet habe. Aurora hatte dies bisher mit
keinem Wort erwähnt, auch nicht im Brief. Doch sie mußte
nicken. Lissy spannte sich an, als wolle sie gleich auf die
Vertrauensschülerin losgehen. Das war offenbar ein Wort zu viel.
“Aha, also doch. Du mußt wissen, Kind, daß mir
das auch schon Professor McGonagall, Professor Sprout und dieser
Snape so erzählt haben.”
“Bitte, Ernestine, Professor Snape”, korrigierte
Dumbledore die Amtskollegin verhalten.
“Ich wollte das nur noch mal von einer Mitschülerin aus
höheren Jahrgangsstufen hören, ob daran mehr ist als das
was im Unterricht läuft. Bekanntlich bekommen ja die Lehrer von
den zwischenkameradschaftlichen Verhältnissen nicht alles mit.
Jetzt möchte ich von dir gerne wissen, was du meiner Enkelin
empfehlen würdest, wenn du noch größere Kompetenzne
erhieltest als sie dir ohnehin schon zugestanden wurden?”
“Das was ich ihr schon gesagt habe, Professor Wright”,
sagte Aurora. “Sie käme ganz bestimmt gut mit allen aus,
wenn sie die nicht als ihren eigenen Klotz am Bein ansehen und
entsprechend grob abfertigen würde. Wir sind hier doch alle
Schüler. Wir sind zum Lernen hier und damit alle irgendwie
gleich, von den Altersunterschieden abgesehen. Ich kann also nicht
mehr sagen als das, was ich ihr immer schon gesagt habe, Professor
Wright.”
Die Angesprochene nickte bestätigend und wandte sich dann
Lissy Wright zu.
“Ich habe es dir damals persönlich gesagt, als klar war,
daß dein Vater dich lieber in Hogwarts haben will, damit deine
Mom nicht ihren Freundes-und Bekanntenkreis aufgeben muß, daß
ich keine Klagen von irgendwem hören möchte. Der Umstand,
daß ich sehr viel wichtigere Dinge um die Ohren habe als mich
mit deinen Prinzessinnenlaunen zu befassen, hat dich bis heute hier
belassen. Aber ich werde das wohl noch einmal mit deinen Eltern
bereden müssen, ob du hier wirklich gut untergebracht bist und
andere sich mit dir irgendwie herumplagen müssen, mehr als mit
jedem anderen Schüler.”
“Gran, es ist doch nicht so, wie die da es erzählt”,
versetzte Lissy und zeigte mit dem Finger auf Aurora. Diese grinste.
Das war jetzt nicht gerade intelligent von Lissy gewesen.
“Und ob das stimmt, was Ms. Dawn gerade erzählt hat,
Mädchen. Du weißt genau, daß ich zwischen Lüge
und Wahrheit unterscheiden kann und auch, daß sie nicht die
einzige ist, die sich so über dich geäußert hat.”
Aurora wollte gerade was einwerfen, daß ja niemand Lissy
loswerden wolle. Doch Dumbledore schien das zu spüren und legte
ihr sacht die Hand auf eine Schulter. Sie schluckte was sie sagen
wollte.
“Die legen hier nicht eure Maßstäbe an, Gran”,
fauchte Lissy. “Wenn du wüßtest, wie rückständig
gerade die Drillinge sind und …”
“Ist gut Lissy. mehr mußt du mir nicht erzählen.
Das klären wir alles später. Albus, ich bedanke mich, daß
Sie das Mädchen hergebeten haben. Es war sehr erhellend”,
sagte sie, Dumbledore anblickend und fügte Aurora zugewandt
hinzu: “Ich danke dir, Aurora, daß du etwas von der
wertvollen Freizeit geopfert hast, um mir das noch einmal genau zu
erzählen. Wenn du möchtest kannst du nun gehen.”
Aurora verstand es so, daß sie hier nicht mehr erwünscht
war und verabschiedete sich von Professor Dumbledore, Professor
Wright und Lissy. Diese funkelte sie zwar noch einmal wütend an,
verkniff sich aber jeden weiteren Kommentar.
Aurora verließ das Turmzimmer. Schnell stieg sie die Treppe
hinunter und verließ das Reich des Schulleiters. vor der Tür
warteten die Wrights neben Bernhard Hawkins. Dieser fragte Aurora, ob
das Verhör jetzt vorbei sei, was sie nur mit einem Nicken
beantwortete und wortlos weiterging, ohne die Eltern Lissys näher
zu begrüßen. Sie kehrte zurück zu ihren
Klassenkameraden, die wissen wollten, was Aurora erlebt hatte.
“Ach, und du hast der großen Dame aus Thorntails alles
aufs Brot geschmiert, was ihre Enkelgöre hier anstellt?”
Wollte Bruster wissen. Aurora sagte:
“Ich habe nur das gesagt, was ich für sachlich genug
hielt, ohne jetzt zu persönlich werden zu wollen. Aber irgendwie
hatte ich das Gefühl, was ich erzählte hat bei mir die
Erinnerungen an die damit zusammenhängenden Sachen
wachgekitzelt, als wenn es erst gestern passiert wäre.”
“Du hast der Frau dabei in die Augen gesehen?” Fragte
Bruster merkwürdig angespannt.
“Ja, natürlich, damit die nicht dachte, ich würde
ihr was vorschwindeln”, sagte Aurora.
“Den Eindruck hat sie dann wohl auch nicht von dir bekommen
oder?” Fragte Bruster.
“Zumindest hat sie mich nicht dumm angemacht, was mir
einfiele, Lissy so schlecht zu reden”, erwiderte Aurora.
“Dumbledore hat ihr nur einmal gesagt, sie müsse ja nicht
alles im Detail wissen, was Lissy angestellt hat.”
“Aja”, grummelte Bruster Wiffle. “Der hat es also
gemerkt.”
“Was soll er gemerkt haben?” Wollte Petula wissen.
“Das die gute Ernestine Wright mehr drauf hat als nur das,
was ihr den Job in den Staaten eingebracht hat”, sagte Bruster.
“Du meinst, sie wollte meine Gedanken lesen oder sowas?”
Fragte Aurora und erschauerte. Genau den Eindruck hatte sie ja
gehabt, als sie Professor Wrights Kopf in Flitwicks Kamin hocken
gesehen hatte.
“Wäre das nicht böse Zauberei, wenn die sowas
machen würde?” Fragte Roy.
“Wenn sie es wirklich kann dann sollte sie das besser wissen
als ich”, geheimniskrämerte Bruster. Roy meinte dazu:
“Unheimlich wär’s schon, wenn die jemanden ankuckt und
alles sieht, was jemand denkt oder fühlt. Soll dieser Bastard
Voldemort nicht auch sowas gekonnt haben?”
“Nenn ihn doch nicht beim Namen!” fauchte Dina
verärgert.
“Erstens, meine Eltern sind schon tot, weil er meinte, die
einfach abmurksen zu müssen, Dina. Zweitens ist der selber
Geschichte, weil er diesen Harry Potter nicht umbringen konnte. Da
kann ich den Mistkerl bei jedem Namen nennen, den der sich mal
zugelegt hat”, schnaubte Roy sehr zornig. Das Getue um die
Unterdrückung des Namens, den der Mörder seiner Eltern
besaß nervte ihn tierisch an.
“Leute, am besten machen wir mit dem Kram weiter, den wir
noch nicht durchgekaut haben”, sagte Aurora, der das ganze zu
lästig wurde. Sicher, wenn Professor Wright ihre Gedanken lesen
konnte betraf sie das schon. Doch ändern konnte sie jetzt auch
nichts mehr dran.
Bis zum Abendessen kamen sie zu den Zaubertränken, die sie im
vierten Jahr hatten. Gemeinsam gingen sie in die große Halle.
Lissy Wright starrte verdrossen ihren Teller an. Sie mied die
Blicke jeder Person hier in der Halle. Aurora vermeinte, einen
brodelnden Zorn in der Drittklässlerin zu erkennen. Bruster
flüsterte ihr mal zu:
“Am besten sicherst du deinen Besen und alles andere was dir
wichtig ist.”
“Wenn die sich an Sachen von mir vergreift fliegt die von der
Schule”, flüsterte Aurora.
Mortimers Schwestern machten sich einen Spaß daraus, Lissy
mit Fragen zu löchern, ob sie von ihrer Großmutter eine
Tracht Prügel bekommen oder sonst wie bestraft worden sei. Da
Lissy beharrlich schwieg, tönten Ramona, Rita und Roxanne
weiter, daß man sie bestimmt eine Klasse zurückstufen
würde, weil sie sich unfair anderen gegenüber verhalten
würde. Aurora knirschte mit den Zähnen. Sie wollte es
nicht, aber sie mußte es tun. Sie wandte sich an die Drillinge
und sagte laut:
“Ihr drei habt keinen Grund, Lissy jetzt noch dumm zu kommen.
Was immer zwischen ihr und ihren Verwandten bequatscht wurde, geht
nur sie was an. Wenn’s was für uns alle wichtiges gibt, krigen
wir das früh genug mit. Also hört bitte auf, auf ihr
rumzuhacken, nur weil ihr findet, daß sie lange genug auf euch
rumgehackt hat! Ihr seid dadurch nicht besser als sie.”
“Das war jetzt absolut unnötig”, knurrte Lissy,
während die Drillinge Aurora verdrossen ansahen.
“Fand ich nicht”, herrschte Aurora Lissy an. “Das
war jetzt doch nötig”, bekräftigte sie noch. Dann
wandte sie sich wieder ihrem Hühnercurry zu.
Obwohl sie nicht dachte, daß Lissy sich an ihr oder ihren
Sachen vergreifen würde, wandte sie doch den
Diebstahlschutzzauber auf ihren Koffer an, den ihr ihre Großmutter
Regan gezeigt hatte. Lissy war ziemlich früh in ihren Schlafsaal
gegangen, längst vor den Swifts. Diese meinten zu Aurora, sie
solle aufpassen, daß sich Elizabeth nicht doch noch umbrächte.
“Wißt ihr, Mädels, jetzt geht ihr mir richtig auf
den Geist”, fauchte Aurora. “Ich halt doch nicht Händchen
mit dieser überdrehten Göre, nur damit die sich nicht
selbst umbringt. Wenn ihr wollt, daß sie lebt, dann paßt
gefälligst selbst auf sie auf!”
“Ja, aber du bist die Vertrauensschülerin”, feixte
Roxanne. Aurora lief wutrot an und sagte:
“Eben, und deshalb ziehe ich Ravenclaw deinetwegen mal eben
fünf Punkte ab, wegen Respektlosigkeit. Damit hat sich’s.
Nacht!” Sie kehrte den Mädchen den Rücken zu und
Marschierte weit ausschreitend zu einem Tisch, wo Petula und Miriam
Zauberkunstübungen machten. Um sich von dieser Sache mit Lissy
abzulenken spielte sie mit den beiden die einfacheren
Zauberkunststücke durch, wie laufende Teetassen oder fliegende
Untertassen. Miriam zauberte mehrmals jenen widerlichen grünen
Schleim, der nicht so leicht abzuwischen war, um den Ratzeputz-Zauber
zu proben.
Irgendwann um zwölf waren alle Ravenclaws in ihren
Schlafsälen. Aurora dachte, daß sie bis zu den ZAGs bloß
nicht mit weiteren Angelegenheiten irgendwelcher Schüler zu tun
haben wollte.
__________
Eine Woche verstrich mit der üblichen harten Tretmühle.
Dann, am Freitag Nachmittag, hingen im Ravenclaw-Gemeinschaftsraum
mehrere Mitteilungen am schwarzen Brett aus. Es waren vordringlich
Arbeitsangebote von Firmen der Zaubererwelt, Aufrufe für Stellen
im Ministerium und Angaben über Grundvoraussetzungen für
weitere Studien nach der Schule. Roy trat neben Aurora und sah die
Aushänge an.
“Heiß, für die Arbeit im Büro für
muggeltaugliche Entschuldigungen brauchen die Zauberkunst,
Muggelkunde und Pflege magischer Geschöpfe, wahlweise noch
Verteidigung gegen die dunklen Künste und Verwandlung. Könnte
mir zusagen.”
“Dann könntest du in der Muggelwelt leben”,
vermutete Aurora.
“Größten Teils wohl. Hui, Vampirjäger ist
auch nicht schlecht, da wollen die Verteidigung gegen die dunklen
Künste, Zauberkunst, Verwandlung und .. Mist! Zaubertränke!
Ablage P.”
“Bitte was?” Lachte Aurora.
“Ablage P, Aurora. Den Spruch kennst du nicht? P wie
Papierkorb.”
“Wegen Zaubertränke?” Fragte Aurora unschuldsvoll
klingend.
“Wegen Snape”, zischte Roy. “Der sieht mich nach
den ZAGs nicht noch zwei Jahre länger in seinem muffigen Kerker.
“Tja, aber die wollen bei vielen Sachen Zaubertränke”,
sagte Aurora und deutete auf verschiedene Berufsangebote.
“Eh, hier der geht gut. Mitarbeiter bei den Kometwerken
gesucht! Erwünschte Abschlüsse: Zauberkunst ohne Gleichen,
Arithmantik und Pflege magischer Geschöpfe. Oh, dann wollen die
noch haben, daß du mindestens eintausend Flugstunden auf einem
guten Rennbesen nachweisen kannst. Gut, das ist ja bei Piloten von
Flugzeugen auch wichtig, daß die gut ausgebildet sind.”
“Wie wollen die das haben, daß du die tausend
Flugstunden nachweist?” Fragte Aurora Dawn.
“Moment, steht hier drunter”, sagte Roy und deutete auf
einen kleingedruckten blauen Schriftzug. “Bitte stimmen Sie sich
der Flugstunden wegen mit Ihrem Hauslehrer und dem Fachlehrer für
Besenflug und Quidditch ab, ob die bisher ermittelbaren
Besenflugzeiten auf das Stundenkonto angerechnet werden können
und wie Sie die erforderliche Stundenzahl vervollständigen
können!”
“Tja, Roy, da mußt du wohl im nächsten Jahr in die
Mannschaft und nebenbei noch viel fliegen”, grinste Aurora.
“Aber für die hundert Galleonen die Woche wäre es das
wert.”
“Ich gehe sowieso bei meinem Dad in die Lehre”, sagte
Mortimer. Roy erbleichte und hielt sich kurz die Hände vor die
Augen. Mortimer hatte ihm wohl damit heftig wehgetan. “Hier,
Aurora und Roy, Experten für den Umgang wildlebender Zaubertiere
gesucht! Voraussetzungen Ohne Gleichen in den Fächern Pflege
Magischer Geschöpfe, Zauberkunst und Verteidigung gegen die
dunklen Künste. Zusätzlich sollten Sie über genügend
Kenntnisse zur Erkennung und neutralisation tierischer Giftstoffe das
Fach Zaubertränke belegen. Mist! Muß ich halt durch.”
“Du bist ja auch Reinblüter”, fauchte Roy. “Gegen
sowas wie dich hat Hakennase Snape ja nix”, schnaubte Roy.
“Nur mit dem Unterschied, daß ich schon bei der
Bitterling ziemlich heftig gestrampelt habe, um überhaupt eine
mittelprächtige Note zu kriegen und Snape mir dieses Fach
ziemlich vermiest hat. Okay, kläre ich mit Dad, wenn die ZAGs
durch sind.”
“Was machst du denn nach Hogwarts, Aurora? Willst du dich
weiter mit Kräuterkunde befassen oder echt in diese
Heilerausbildung rein?” Fragte Roy nach kurzem Zögern und
deutete auf ein Berufsangebot von ST. Mungo, das das Wappen eines
über einem Knochen gekreuzten Zauberstabes trug.
“Sieht jedenfalls sehr interessant aus. Fast alles, was wir
bisher schon hatten, außer die Fächer, die wir ab der
dritten hatten, Astronomie und Zaubereigeschichte”, sagte Aurora
und wies auf die Liste.
“Aber hallo, die wollen da Ohne Gleichen in Zaubertränken,
Zauberkunst, Verteidigung gegen die dunklen Künste und ein
Erwartungen übertroffen in Verwandlung und Kräuterkunde.”
“Tja, werde ich wohl mit arbeiten müssen”, sagte
Aurora Dawn schwerfällig. “Aber ist schon klar, daß
jemand, der heilen soll auch fähig dazu sein muß. Oder
willst du dir von jemandem helfen lassen, der in den wichtigen
Fächern ‘ne Niete ist?”
“Da steht auch noch was von “Apparieren Pflicht”
und “Besenflug mit Sozius erwünscht””, ergänzte
Roy.
“Den Soziusflug kann ich hier in Hogwarts lernen. Das habe
ich von meiner Mum erfahren”, sagte Aurora.
“Heh, ich geh nach Gringotts, sagte Bruster. “Die wollen
keine Zaubertränke, sondern nur Zauberkunst, Arithmantik,
Verteidigung gegen die dunklen Künste und eine bestandene
Apparierprüfung.”
“Du willst für diese öden Kobolde schaffen,
Bruster?” Fragte Mortimer. “Würde ich mir aber noch
genau überlegen, noch dazu als Fluchbrecher. Nachher schicken
die dich nach Ägypten in die Pyramiden rein oder in die Verliese
der Vampirfürsten in Transsylvanien.”
“Dann komme ich wenigstens in der Welt rum”, sagte
Bruster unerschüttert. “Außerdem kann ich bei denen
auch als Bodenschatzprüfer anfangen.”
“Das ist das was Plinius Porter angefangen hat”,
erinnerte sich Aurora.
Miriam kam noch an und begutachtete die Aushänge. Dann meinte
sie:
“Okay, wenn ihr wißt, was ihr machen wollt klotzt mal
ran. Ich fang im Laden meines Daddys an. Der will nur Zauberkunst und
Buchhaltung, hat er mir in den Osterferien verraten. Dann werde ich
wohl noch Verwandlung behalten und Pflege magischer Geschöpfe
und alte Runen. Sprout ist zwar manchmal interessant, aber irgendwie
doch zu anstrengend, um da wichtige Zeit für zu verbraten. Und
Snape sieht auch mich nicht mehr in seinen Stunden. Wenn er das
wollte, dann hat er halt gewonnen.”
So sprachen die Fünftklässler über die
Berufsangebote, bis die Siebtklässler zu ihnen kamen und noch
einmal nachprüfen wollten, ob sie sich auch wirklich die
richtigen Fächer für ihre Laufbahn ausgesucht hatten.
“Jetzt noch kalte Füße kriegen ist voll uncool”,
spottete Roy, als Tim Abrahams die Aushänge etwas verkniffen
ansah.
“Ich weiß schon, daß ich mir das richtige
ausgesucht habe. Vielleicht kann ich dich ja beraten, bevor Flitwick
das macht. Immerhin weiß ich besser als der, wie unsere frühere
Welt aussieht.”
“Soso. Warum nicht?” Sagte Roy und zog sich mit Tim an
einen freien Tisch zurück. Aurora unterdrückte die Neugier,
hinzuschleichen und sich anzuhören, was die beiden Jungen so
aushandelten. Da aber Dina, die unverhohlen zu Roy hinübergegangen
war, nach einer Minute wieder zurückkam, bereute sie nicht, sich
zurückgehalten zu haben.
“Die quatschen über die Unterschiede in der Lebensweise
in der Muggelwelt und hier, über sport in der Muggelwelt und da
vor allem über Fußball, und daß ja dieses Jahr in
Spanien sogar eine Weltmeisterschaft darin ist, was bestimmt heftig
wird, wenn England gegen Argentinien spielt, wegen dieses
Falklandkrieges”, sagte Dina gelangweilt und ließ sich
gerne mit Aurora über ein Gespräch über Sachen aus der
Hexenwoche ein, ob sie mit ihren Zauberstabproblemen einen bei Hexen
gut angesehenen Beruf finden konnte und fragte Aurora, ob sie
wirklich zu dieser Kräuterkundezusammenkunft hinfahren würde.
“Meine Eltern haben geschrieben, daß sie kein Problem
damit haben. Immerhin haben sie mir ja dieses Buch von Babel und
Polyglosse geschickt, wohl zum Geburtstag. Haben sich wohl um ein
paar Tage vertan, oder die Eule war zu schnell hier”, sagte
Aurora.
“Wie, welches Buch?” Fragte Dina.
“Ein Buch zum Französischlernen, Dina. Es spricht mit
dir und zeigt dir dabei, wie die Wörter richtig geschrieben
werden. Mum schreibt dabei, daß es einen Gedächtnisverstärker
eingebaut hat, besser als der Kram, den die uns hier in Flaschen
andrehen wollten. Allerdings ist der nur auf die Sprachlernübungen
ausgelegt, also nur dafür, die Sprache zu lernen.”
“Wie schnell kannst du damit die Sprache lernen?” Wollte
Dina wissen.
“Im Buch steht was von zwei Jahren Grundstudium. Dann kann
man noch ergänzende Bücher dazunehmen, um Fachbegriffe und
besondere Umfeldwortschätze zu erlernen, also wenn ich wirklich
in die Heilkunst einsteigen will ein Buch über magische
Heilkunst. Dann meinen die noch, man müsse mindestens ein Jahr
die Sprache auch mit Muttersprachlern gesprochen haben. Ich denke,
ich kucke mir das an, wie die da sind und entscheide mich danach, ob
ich die Sprache richtig lerne, also ohne Wechselzungentrank.”
Dina Nickte. Eine Sprache zu lernen, ohne selbst dabei zaubern zu
müssen, das konnte sie sich auch gut vorstellen.
“Dione Craft hat doch auch Französisch gelernt, weiß
ich”, sagte Dina einmal. Sie meinte, wenn sie weit herumkommen
wolle bräuchte sie mindestens noch zwei weitere Sprachen.”
“Die heißt doch jetzt Dione Porter”, berichtigte
Aurora Dina. “Na klar, im Kosmetikgeschäft ist Französisch
auch wichtiger als Englisch.”
“Hast du dir mal die Zeilen von Madame Dusoleil übersetzen
lassen, von denen du Petula und mir erzählt hast?”
“Bisher noch nicht. Ich kenne hier keinen, der das machen
kann außer Professor Sprout. Und die will ich nicht damit
behelligen”, sagte Aurora. “Ich warte, bis ich zu Hause bin
und lasse Dad das machen. Ein bißchen Französisch kann der
ja.”
“Und wenn es was nur für Mädchen oder Frauen ist?”
Fragte Dina.
“Dann kann er ja wegsehen”, scherzte Aurora.
Dina wunderte sich, wielange Roy und Tim zusammen sprachen. Sie
stand auf und wandte sich dem Tisch zu. Aurora folgte ihr jetzt doch.
Als sie in die Nähe kamen hörte sie Tim noch sagen:
“… im Juni, nach den Prüfungen.”
“Was soll da sein?” Fragte Dina rasch.
“Da geht’s mit der Fußball-WM los, Dina”, sagte
Roy schnell.
“Soll die doch Argentinien gewinnen”, schnaubte Dina.
Tim und Roy grummelten. Dann meinte Tim:
“Klar, wo wir denen auf den Falklands gerade eins draufgeben.
Spätestens im Juni sind die Galtieri-Gangster runter von den
Inseln.”
“Eh, das ist nicht komisch”, meinte Roy. “Immerhin
krepieren da Leute von denen und von uns wegen dieser angeblich so
strategisch wichtigen Eisinseln.”
“Von denen wohl mehr, weil die meinten, sich mit
unzureichenden Sachen gegen unsere Marine auflehnen zu können.
Dieser französische Ramsch, den die verwenden bringt nur was bei
Zufallstreffern.”
“Was ja fast passiert wäre, Tim. Wollen wir nicht
vergessen”, sagte Roy rasch. Offenbar hielt er sich über
die Ereignisse in der Muggelwelt noch gut auf dem laufenden. Dina
setzte wieder ein gelangweiltes Gesicht auf und kehrte zu dem Tisch
zurück, wo sie bis vorhin noch mit Aurora gesessen hatte. Aurora
kehrte auch wieder zurück und überließ die Jungen
diesem Muggelgeplenkel.
“Wann gehst du zu Flitwick?” Fragte Petula, die sich die
Aushänge noch einmal angesehen hatte.
“Kriegen wir wohl schriftlich”, sagte Aurora.
Tatsächlich bekam Aurora einen Tag später die
schriftliche Einladung, einen Tag nach ihrem Geburtstag zu Professor
Flitwick zu gehen. Vorher beriet sie sich mit Madame Pomfrey, ob
diese ihr zu einer Karriere in der Heilkunst raten würde. Die
Schulkrankenschwester sagte dazu nur:
“Wenn du wirklich bereit bist, jedem, egal wem, in allen
Situationen zu helfen und keine Angst vor Gefahrensituationen hast,
dann steht dem nichts im Weg. Wenn ich das richtig eingeschätzt
habe bringst du zumindest ein gewisses Durchalte-und
durchsetzungsvermögen mit und hast es bisher gut geschafft, ohne
groß auf Autorität zu machen deinen
Vertrauensschülerinnenpflichten nachzukommen.”
“Von Lissy mal abgesehen”, grummelte Aurora.
“Das war nicht anders machbar. Das ist ja auch wichtig, dann
streng durchzugreifen, wenn es mit Vernunft nicht geht. Das kannst du
auch von mir lernen, falls du dich wirklich darauf einläßt.”
“Darf ich das als Angebot werten?” Fragte Aurora Dawn.
“Ja, darfst du. Im Moment wüßte ich ja sonst
keinen Schüler oberhalb der vierten Klasse, der sich auf die
magische Heilkunde einlassen möchte. St. Mungo hat da ja auch
sehr hohe Maßstäbe angesetzt. Aber man soll ruhig wissen,
wie hart die Ausbildung ist. Dann gibt es auch kein Gejammer über
die schweren Zeiten.”
“Muß man denn unbedingt ins St.-Mungo-Krankenhaus?”
Fragte Aurora Dawn.
“Zumindest in ein magisches Heilzentrum, um die verschiedenen
magischen und nichtmagischen Erkrankungen und die magischen
Heilmethoden, Heilpflanzen und -tränke zu erlernen”, sagte
Madame Pomfrey dazu.
Als Aurora einen Tag nach ihrem Geburtstag, den sie wie üblich
mit Petula, Miriam und einigen anderen Klassenkameraden gefeiert
hatte, am Nachmittag zu Professor Flitwick ins Büro ging, wußte
sie, daß sie hier und heute ihre Zukunft in der Hand hatte.
Sicher, Flitwick würde ihr nur raten, für welchen Beruf sie
welche Fächer weitermachen mußte, aber in dem Moment war
ihr klar, daß sie sich damit schon festlegte. Sicher, wenn sie
wirklich in die Heilkunst einsteigen wollte, dann konnte sie mit den
Fächern, die sie in den UTZ-Jahren dafür belegen mußte,
auch immer noch andere Berufe ergreifen.
“Sie sehen so aus, Ms. Dawn, als wären Sie sich sicher,
was Sie nach Ihrer Schulzeit machen wollen”, begrüßte
der kleine Zauberkunstlehrer seine Schülerin. Er holte ein
Tablett mit einer Kanne Tee, zwei Tassen, einem Milchkännchen
und einer Schale mit Zuckerwürfeln aus dem Nichts und wartete,
bis Aurora saß.
“Nun, ich habe mir drei Berufe überlegt, die ich sehr
interessant finde”, sagte Aurora. “Entweder reine
Kräuterkunde im Hinblick auf die Erforschung wilder
Zauberpflanzen, oder ich gehe in die Zauberwesenforschung, wozu ich
durch die Wesen aus Hogsmeade oder Professor Glaucos gekommen bin
oder werde Heilerin oder Apothekerin, weil mir zumindest im Prinzip
die Zaubertränke sehr gut gefallen und auch bis heute noch gut
liegen. Ich habe mich dann nach vielen Überlegungen eher für
die Heilkunst entschieden, weil sie mir einerseits sehr wichtig
erscheint, viel gutes bewirkt und obendrein eine Menge an
interessanten Forschungsgebieten bereithält. Je nachdem wie ich
mit den ZAGs klarkomme, könnte ich mir sogar noch ein Nebenfach
dazu vorstellen wie Zaubertierforschung oder eben doch Kräuterkunde,
vielleicht sogar Muggelstudien.”
“Soso, sie möchten also in die magische Heilkunde
eintreten”, sagte Flitwick. “Dann haben sie womöglich
den Aushang studiert, den uns das St.-Mungo-Krankenhaus für
jedes Haus zugeschickt hat?”
“Ja, habe ich”, erwiderte Aurora Dawn mit leichtem
Nicken.
“Moment, damit ich das auch überschauen kann”,
sagte Flitwick und kramte auf seinem Schreibtisch nach Broschüren
und Aktenmappen. Dann hatte er das, was er gesucht hatte und las die
Pergamentseiten. Er sah Aurora ernst an.
“Nun, Sie benötigen UTZs in Zauberkunst, Verwandlung,
Verteidigung gegen die dunklen Künste, Kräuterkunde und
Zaubertränke. In Zauberkunst und Verteidigung, sowie
Zaubertränken möchten die Heiler in St. Mungo ein Ohne
Gleichen haben, in Verwandlung und Kräuterkunde mindestens
Erwartungen übertroffen. Was Zauberkunst angeht, so stehen Sie
bei mir gerade auf “Erwartungen übertroffen”, müßten
sich in den UTZ-Klassen da noch etwas steigern. Verwandlung, so sagt
mir Professor McGonagall, läge ihnen gewiß besser, wenn
sie was mit dem Fach anzufangen wüßten. Im Moment kann sie
Ihnen guten Gewissens ein “Erwartungen übertroffen”
atestieren, womit Sie Professor McGonagalls Leistungsanforderung für
die UTZ-Klassen erfüllen. Allerdings heißt das für
Sie, dann auch die ZAG-Note zu erreichen. Das gilt natürlich
auch für mein Fach. In Kräuterkunde waren und sind Sie
immer die Jahrgangsbeste gewesen. Professor Sprout sieht da keine
Hindernisse, selbst wenn Sie in der Prüfung einen schlechten Tag
erwischen sollten, daß Sie in ihrem Unterricht weiterhin
überragende Leistungen zeigen werden. Außerdem sprechen
wir ja hier von den UTZs, die sie letzthin schaffen müssen.
Verteidigung gegen die dunklen Künste lag und liegt Ihnen sehr
gut, hat professor Bitterling uns vor ihrem Abschied hinterlassen.
Professor Glaucos bestätigt das unabhängig davon. Hmm,
offenkundig hat die Umstellung auf einen neuen Kollegen im Fach
Zaubertränke auch bei Ihnen eine gewisse Leistungsirritation
bewirkt. Immerhin konnte Professor Bitterling Sie in den vier Jahren,
die sie Sie unterrichtet hat, immer die Höchstnote aussprechen
und empfiehlt Ihnen sogar, einen auf Zaubertränke basierenden
Lebensweg einzuschlagen, was ich als sehr hohes Lob empfinde, daß
ich bei ihrer Jahrgangsstufe nur noch über einen ihrer
Mitschüler habe lesen dürfen. Allerdings schreibt Professor
Snape in einer Beurteilung, daß Sie offenbar zu selbstsicher
seien und sich in unerwarteten Situationen schwerrtäten, die
Lage zu meistern. Daher würde er sie bei einer ZAG-Benotung
gerade auf “Erwartungen übertroffen” einstufen. Er
räumt jedoch ein, daß jeder, der in den ZAG-Prüfungen
ein Ohne Gleichen schafft, beweise, daß er oder sie zumindest
die Chance bekommen sollte, in seinen UTZ-Klassen zu lernen. Nun, da
Professor Snape noch sehr neu hier ist und auch sehr jung, bin ich
geneigt, Professor Bitterlings Urteil höher zu gewichten, da sie
nicht nur Länger mit Ihnen zu tun hatte, sondern auch die
wesentlich höhere Erfahrung als Lehrkraft aufweist.” Aurora
hörte es heraus, daß Professor Flitwick Snape an und für
sich nicht für fähig hielt, anständig mit Schülern
umzugehen. Doch nickte ihm nur wortlos zu.
“Nun, um jetzt noch bestehende Mängel im Unterricht
auszugleichen ist es etwas zu spät. Das lag daran, daß
dieses Jahr die allgemeinen Beratungstermine erst so spät
vergeben werden konnten. Aber ich gehe davon aus, wenn Sie diesen Weg
machen wollen, werden Sie auch die entsprechenden Leistungen
bringen”, sagte Professor Flitwick aufmunternd. Aurora nickte
abermals und verabschiedete sich von ihrem Hauslehrer.
Draußen auf dem Gang stand Roy Fielding.
“Oh, das ging aber schnell bei dir”, sagte er. “Du
warst ja gerade erst aus der Klasse raus. Dann wollen wir mal”,
sagte er mit einem Gesichtsausdruck, als wisse er überhaupt
nicht, was er hier machen solle.
Aurora kehrte in den Gemeinschaftsraum zurück und sprach mit
ihren Klassenkameradinnen, über das, was Flitwick mit ihr
besprochen hatte. Dina grinste, als Aurora ihr das mit der Empfehlung
von Bitterling erzählte.
“Interessant, dann meinte Flitwick uns beide. Weil mir hat er
gesagt, daß Bitterling mich dringend darauf hinweist, eher was
in Zaubertrankbraukunst zu tun als in einem Zweig, wo Verteidigung
gegen die dunklen Künste wichtig sei und daß sie eine
Empfehlung in Zaubertränken noch einem einzigen Mitschüler
aus der Jahrgangsstufe ausgestellt habe. Na ja, daß Snape mich
runtergezogen hat ist ihm auch irgendwie nicht so wichtig gewesen.
Ich werde dann wohl bei Zaubertränken und Kräuterkunde mit
dir in der Klasse sein. Dannn werde ich wohl noch Zauberkunst nehmen
und Muggelkunde und alte Runen behalten. Vielleicht gehe ich dann ins
Archiv für magische Erkenntnisse. Ist auch ein wichtiger Beruf.”
“Weißt du, was Roy genau machen will?” Fragte
Petula Dina zugewandt.
“Jedenfalls was ohne Zaubertränke. Er sagte was, er
könne sich für diese Abteilung für muggeltaugliche
Entschuldigungen erwärmen. Da käme er wohl gut unter.”
“Tja, den Job im Ministerium bei der Abteilung zur Führung
und Aufsicht magischer Geschöpfe krige ich nur, wenn meine UTZs
in Zauberkunst, Pflege magischer Geschöpfe und Verwandlung ganz
oben sind”, eröffnete Petula. “Dann werde ich mir noch
Schlafgespenst Binns antun müssen, weil die in der Abteilung
theoretische Kenntnisse über Entstehung und Erscheinen von
Zauberwesen in der Vergangenheit erwarten.”
“Weißt du denn jetzt, ob du in die Tier-oder
Zauberwesenabteilung reinwillst?” Fragte Aurora. Petula
überlegte noch, ob sie mit magischen Tieren wie Einhörnern,
Knieseln oder Harmonovons oder mit Zauberwesen wie Kobolden,
Hauselfen, Sabberhexen oder Zwergen zu tun haben wollte.
“Ich denke, nach den Prüfungen wissen wir, welche Fächer
wir getrost in den Müll werfen können”, meinte Miriam.
Sie war sich ja sicher, bei Dervish & Banges reinzukommen.
Kontakte waren eben alles.
__________
die Prüfer traten am Morgen des ersten Juni in die Große
Halle ein. Aurora hatte es zwar mitbekommen, wie sie einen Tag zuvor
angekommen waren, doch sie würde sie eh früh genug sehen,
hatte sie sich gedacht und sich aus jeder Diskussion herausgehalten,
die die sehr betagt aussehenden Hexen und Zauberer betraf.
Die erste Prüfung auf der Liste, die Flitwick ihr und den
anderen Ravenclaw-Fünftklässlern gegeben hatte, war
Verwandlung, wo sie bloß gut auszusehen hatte. Professor
McGonagall führte die Aufsicht in der großen Halle, aus
der die vier Haustische entfernt und dafür hunderte von
Einzeltischen untergestellt worden waren. Jeder hatte
Antischummelschreibzeug ausgehändigt bekommen und saß nun,
ob Fünft-oder Siebtklässler, vor seinen oder ihren ersten
Prüfungsaufgaben in diser so wichtigen Abfolge von Prüfungen
“Aufgabe a: Erläutern Sie den Zauber, mit dem ein Käfer
in einen Mantelknopf verwandelt wird!” Das war also die erste
Frage auf dem großen Pergamentbogen, dachte Aurora Dawn und
fing an, ihre Lösung hinzuschreiben.
Stunden später, als Auroras Schädel von
Verwandlungszaubersprüchen, Zauberstabgesten und sich dauernd
verwandelnden Dingen oder Tiere überzuquellen drohte, verkündete
Professor McGonagall, die Prüfung sei nun zu Ende.
Erleichtert, zumindest fertig geworden zu sein. Mit “Accio
Pergamente” holte Professor McGonagall sämtliche
beschriebenen Pergamente zu sich hin. Aurora war froh, daß die
Seiten vornummeriert gewesen waren und sie nur ihren Namen oben
drüber hatte setzen müssen, bevor sie auf jede Seite ihre
Aufgabenlösungen geschrieben hatte.
“Also wenn es jetzt noch eines beweises bedurft hätte,
daß ich eigentlich nix mit der Zaubererwelt zu schaffen habe,
dann war’s diese Prüfung”, seufzte Roy, als sie kurz
hinausgingen, damit die große Halle wieder zu einem gemeinsamen
Essraum umgebaut werden konnte.
“Zumindest konnte ich alle Fragen beantworten”, sagte
Dina. “Vielleicht krige ich ja dann doch noch ein Akzeptabel in
Verwandlung hin.”
Die Nachmittagsprüfungen waren für Aurora dagegen
leichter. Zusammen mit Bazil Calahan von den Slytherins, Dorian
Dirkson aus Hufflepuff, Roy Fielding und Cynthia Flowers betrat sie
nach Aufruf die große Halle, wo gerade Eunice Armstrong eine
beeindruckende Serie von schnellen Verwandlungen hinlegte, wobei ihr
eine kleine, sehr gebrechlich wirkende Hexe mit weißem Haar
zusah, Professor Griselda Marchbanks. Doch gerade als Aurora in die
Halle hineintrat, war die Prüfung offenbar beendet.
“Sie können zu Professor Marchbanks, Ms. Dawn”,
teilte Professor McGonagall sie ein. Aurora nickte und ging auf die
ihr zugewiesene Hexe zu. Eunice verabschiedete sich gerade lautstark
und ging ihres Weges, wobei sie Aurora aufmunternd zunickte und mit
ihren Lippen ein “Viel Glück” formte.
“Sie sind Aurora Dawn?” Fragte Professor Marchbanks mit
gebrechlicher Stimme. Aurora nickte. Sie hatte schon gehört, daß
Professor Marchbanks Probleme mit den Ohren hatte, die kein Heiler
mehr beheben konnte. Das Alter war doch leider ausdauernder als alle
Heilkunst.
“Welche Zauberstabführungstechniken benutzen Sie?”
Fragte die Prüferin. Aurora verstand erst nicht, was gemeint
war. Sie sah Professor Marchbanks irritiert an. Dann ging ihr ein
Licht auf. Eunice zauberte mit Techniken einer Professor Unittamo
herum. Sie, Aurora, hatte sich bisher doch an die Wendel-Techniken
gehalten. So sagte sie laut:
“Wendel! Ich zaubere mit Wendels Techniken!” Zumindest
verstand Professor Marchbanks sie so, daß sie nicht noch
weitere Fragen stellte. Aurora begann also mit ihrer praktischen
Prüfung.
Als sie es am Ende der ihr zustehenden Zeit geschafft hatte,
unfallfreie Verwandlungen hinzubekommen, atmete sie auf, als die
Prüfungsrunde vorbei war und sie für den Nächsten
Platz machen konnte.
“Uff, dieser Glatzkopf hat mich gut gefordert”, sagte
Roy außerhalb der großen Halle. “Beinahe wäre
mir dieser Vogel-zu-Säugetier-Zauber nicht mehr eingefallen, den
ich nie so recht hinbekommen habe. Immerhin ist aus dem Huhn was
annähernd Meerschweinchenförmiges geworden.
Als alle Ravenclaw-Fünftklässler durch waren sagte
Petula zu Bruster:
“Ich konnte einmal sehen, wie schnell du zaubern kannst. Im
Unterricht warst du nie so flott drauf. Wie kommt’s?”
“Leistungsdruck. Es geht ja um was”, sagte Bruster ganz
lässig.
“Ja, wenn’s auch immer richtig war, Brusi”, sagte
Mortimer Swift.
“Zumindest habe ich kein rammdösiges Wildschwein in der
Halle losgelassen, Herr Vetter”, versetzte Bruster mit gewisser
Schadenfreude.
“Ja, war schon toll”, sagte Mortimer. “Da war ich
wohl irgendwie einen Moment neben der Spur und habe anstatt des
Meerschweinchens ein Wildschwein gezaubert. Hui, dieser Professor
Pineapple ist ja doch noch gut zu Fuß für seine
zweihundert Jahre oder wieviel der drauf hat”, ergänzte er
noch, nun selbst lachend.
“Leute, wir haben noch ein paar Prüfungen vor uns”,
sagte Dina. “Mir graut schon vor Zauberkunst.”
Doch zunächst waren die Zaubertränke dran, ein Heimspiel
für Aurora und Dina, aber auch für Melinda Bunton aus
Hufflepuff und Eunice Armstrong aus Gryffindor. In der praktischen
Prüfung vertat sich Dorian Dirkson einmal und ließ seinen
Kessel mit lautem Getöse in einer blauen Feuerwolke an die Decke
fliegen. Professor Sprout, die heute Aufsicht hatte, schrak hinter
dem langen Lehrertisch zurück.
“Eh, mach nicht so’n Krach!” Rief Alessandro Boulder,
der gerade seinen UTZ-Prüfungstrank braute.
“Ruhe bitte!” Bellte die kugelrunde Kräuterkundelehrerin
durch die Halle.
“Na, holla die Waldfee!” Rief Bruster nach bestandener
Prüfung. “Von dem Trank hätte ich mehr als eine
Flasche abfüllen sollen. Eine davon hätte ich dem
Hakennaserich gerne untergejubelt, als Abschiedsgruß.”
“Auf derartigen Unrat zum Abschied kann ich sehr gut
verzichten, Wiffle”, zischte Snapes gehässige Stimme von
hinten. “zwanzig Punkte Abzug für Ravenclaw. Nach den
Prüfungen werden Sie bei mir nachsitzen, vier stunden lang,
Wiffle.”
“Steck es dir sonstwo hin”, grummelte Bruster, als Snape
sich wieder entfernt hatte. “Mein Trank war top und nach dem
Schuljahresende sieht mich der Knilch eh nicht mehr in seinem Kerker.
“Hast du dich mit Professor Snape angelegt?” Fragte
Loren Tormentus überlegen grinsend. Bruster knurrte, daß
das ihr doch egal sein durfte. Loren meinte: “Wohl ein wenig zu
überschwenglich gewesen, wie?” Dann schob sie ab.
“Hoffentlich hat die ihren Trank verhunzt”, knurrte Roy
Fielding. “Ob meiner was geworden ist ist mir doch
schnurzpiepegal. Mich sieht dieser Fettfrisurspion auch nicht mehr in
seinem Kerker, wenn die letzte Stunde bei ihm war.”
Zauberkunst lief für die meisten gut ab. Dina hatte zwar
immer noch Probleme mit ihrem Zauberstab, obwohl der ja extra auf sie
abgestimmt war. Doch da sie in der Theorie alle Fragen beantworten
konnte, würde sie wohl auch hier auf “Akzeptabel”
kommen.
Die Kräuterkundeprüfung war das Paradestück von
Aurora Dawn. Sie konnte in der theoretischen Prüfung nicht nur
zu jeder abgefragten Pflanze Verbreitungsgebiete, Haltungskriterien
und Anwendung niederschreiben, sondern auch Nachzuchten, Unterarten
und Unterschiede in der Wild-und der Kulturform klar herausstellen.
Am Nachmittag topfte sie eine Alraune innerhalb einer Minute um, molk
innerhalb von fünf zugestandenen Minuten zwei Bubotubler und
konnte zwanzig Springbohnen ohne Unfall damit eingraben.
In Muggelkunde, die nur theoretisch geprüft wurde, mußte
sie zwar manchmal überlegen, ob das von ihr für richtig
gehaltene auch so im Unterricht erwähnt worden war und schrieb
über alles, was gefragt wurde, wozu elektrischer Strom diente,
wie vielseitig er war, über Radios, Funkgeräte, Fernseher
und Flugzeuge, sowie Haushaltsgeräte wie Staubsauger, Föns
und Waschmaschinen, wobei sie da auch immer entsprechende Vergleiche
mit der Zaubererwelt ziehen konnte, insbesondere bei der Verwendung
von Tiefkühltruhen im Vergleich zum Conservatempus-Zauber oder
dem Amplumina-Zauber im Vergleich zum Flutlicht der Muggel. Immerhin
war sie danach sicher, dieses Fach mindestens mit “akzeptabel”
bestanden zu haben. Denn nur dann würde es sich auch lohnen, es
in den nächsten zwei Jahren fortzuführen.
Pflege magischer Geschöpfe und alte Runen gingen ihr etwas
schwerfälliger von der Hand, wenngleich sie im praktischen Teil
von Pflege magischer Geschöpfe mit den Jarveys gut zurechtkam,
auch wenn diese wieselartigen Tiere sie mit den derbsten
Schimpfwörtern bombardierten, als sie sie in ein anderes kleines
Haus umsetzen sollte.
In Geschichte der Zauberei hatte sie ihren ersten richtigen
Aussetzer, weil sie nicht mehr zusammenbekam, wozu die
Zaubererkonferenz im Jahre 1230 einberufen worden war, wie der letzte
namentlich erwähnte Anführer des Koboldaufstandes von 1612
geheißen hatte und wie die einzelnen Sippen der sich
bekriegenden Riesen geheißen hatten. Irgendwann war sie einfach
nur froh, irgendwas hingeschrieben zu haben. Mit dem Fach hatte sie
sowieso abgeschlossen, so oder so.
Bei der Astronomieprüfung stellte sie sich dagegen sehr gut
an und konnte allen äußeren Planeten die richtigen Monde
zuordnen, weil die Monde alle alphabetisch in einer Reihe
untereinanderstanden und sie auf die äußeren Planeten
verteilt werden sollten. Roy und Bruster hatten danach gegrinst und
gemeint, daß die Voyager-Raumsonden bei Jupiter und Saturn doch
ein paar Monde mehr festgestellt hatten als gefragt wurde.
“Noch mehr?” Fragte Petula. “Das kriegen die
ZAG-Klässler dann nächstes Jahr, wenn die Gesellschaft
magischer Sternkundler wieder beschließt, die Namen der von den
Muggeln entdeckten Monde in den allgemeinen Astronomiekatalog der
Zaubererwelt zu übernehmen. Man hätte euch Muggeln
verbieten sollen, die Rakete zu erfinden.”
“Ja, stimt. Dann müßten wir uns auch nicht vor
einem Atomkrieg fürchten”, sagte Roy Fielding belustigt.
Endlich waren die Prüfungen vorbei. Endlich konnten alle im
fünften und siebten Jahr aufatmen. Selbst wenn einige Prüfungen
danebengelaufen sein mochten, es war nun vorbei. Die ganze Tortur
davor und dabei war nun überstanden, und Aurora hoffte, die
nötigen ZAGs erreicht zu haben. Innerhalb der ersten
Ferienwochen würde sie wie die anderen das Ergebnis kriegen. Sie
ging nach der völlig verhunzten Geschichtsprüfung nicht
mehr von zwölf ZAGs womöglich mit Zusatzpunkt aus, rechnete
sich jedoch noch zehn ZAGs aus.
Nächste Woche Hogsmeade!” Trällerte Bruster. “Daa
können wir uns noch einmal richtig austoben, bevor es in die
Ferien geht. Roy, der sich noch ausrechnete, daß Snape ihn
ausgerechnet an dem Tag zum Nachsitzen bestellen würde, war
nicht so begeistert.
__________
Falls Snape es wirklich darauf angelegt hatte, Roy Fielding den
Hogsmeade-Ausflug zu verderben, dann hatte man ihm wohl den falschen
Zeitpunkt genannt. Stattdessen mußte Roy nach der
Nachmittagsstunde bei dem schulweit unbeliebtesten Lehrer Schnecken
einpökeln, Aalaugen zu Brei stampfen und in Essig auflösen
und fünf tote Ziegen auf das Vorhandensein eines Bezoars, eines
seltenen Steines im Magen dieser Tiere, untersuchen. Bruster meinte
danach:
“Jetzt kann dich wohl nichts mehr anekeln, was?”
“Wenn Schniefelus das wollte, dann hat er es geschafft”,
knurrte Roy.
“Eh, Roy, dieser Spitzname ist dem von Sirius Black verpaßt
worden. Du weißt ja, was für einer dieser Black geworden
ist”, wies Aurora Roy darauf hin, daß er bedenkenlos den
Spitznamen gebrauchte, den ein möglicherweise am Mord an Roys
Eltern beteiligter Zauberer benutzt hatte.
“Erstens glaube ich das nicht, daß Black wirklich so’n
Schuft war, da er einerseits viel zu schlau war, sich erwischen zu
lassen und andererseits bestimmt einen besseren Ort gefunden hätte,
um Peter Pettigrew zu töten. Neh, ich denke, der sitzt
unschuldig im Bunker, weil dieser Pettigrew bei einem Unfall
gestorben ist”, sagte Roy.
“Na klar”, grummelte Bruster. Roy sah ihn an. Bruster
trug immer noch den FC-Liverpool-Schal, wie sie es vor Weihnachten in
einer Wette vereinbart hatten.
“Freu dich, Liverpool hat’s geschafft, Bruster. Jetzt können
wir den Spanienausflug genießen, den unsere Nationalelf macht.”
“Ja, und dann gewinnt wieder Deutschland oder Argentinien
oder irgendwer sonst”, knurrte Bruster. Petula meinte:
“In diesem Jahr gibt’s auch eine Quidditchweltmeisterschaft,
wenn das hier wen interessiert. Eine Woche nach Ferienbeginn geht’s
los.”
“Klar, Norwegen, wo auch im Sommer jeder hinwill”, sagte
Mortimer. “Dann doch besser Spanien.”
“Eh, du wirst hier nicht anfangen, diesen Fußballunsinn
gutzufinden”, sagte Petula sehr unheilvoll. Mortimer grinste.
“Neh, das habe ich nicht vor”, sagte er.
“Immerhin ist dieser Falklandunsinn vorbei”, sagte Dina.
Roy nickte. Er hatte erst nach der Prüfung einen Brief Ericas
bekommen, wo die neuesten Muggelnachrichten dringestanden hatten.
Immerhin war Tims Vater nicht getötet worden, was diesen zu den
UTZ-Prüfungen wohl noch glücklicher gemacht haben dürfte.
Als der Tag des Hogsmeade-Ausfluges kam, strahlte die Sonne vom
Himmel, dessen Blau wie ein polierter Edelstein erstrahlte. Aurora
zog zusammen mit Petula und Miriam los, obwohl Bernhard meinte, sie
noch einmal ansprechen zu müssen. Sie hatte ihm aber die kalte
Schulter gezeigt und war losgezogen.
“Das ist der erste Sommerausflug nach Hogsmeade”, sagte
Aurora. “Miriam, habt ihr bei euch was besonderes im Sommer?”
“Hmm, Mum schrieb mir vor den Prüfungen, wir könnten
uns Angelique Liberté ansehen, eine Besenkunstfliegerin, die
auf fliegendem Besen abgedrehte Turnübungen machen und dabei
noch verschiedene Figuren fliegen kann. Die ist gerade mit ein paar
anderen Kunstfliegern hier. Außerdem findet da jeden Samstag
der Markt für Zaubergegenstände und -utensilien aus aller
Welt statt. Also langweilen können wir uns nicht”,
erläuterte Miriam, deren Eltern in Hogsmeade wohnten.
Aurora folgte Miriam und Petula. Sie sah zwischendurch einmal
zurück, ob ihnen nicht doch jemand folgte, wie Bernhard oder
Tonya Rattler oder sonst wer, mit dem sie im Moment nichts zu
schaffen haben wollte. Dabei sah sie aus dem linken Augenwinkel, wie
Tim Abrahams und Roy Fielding zusammen einherschritten. Wo war Dina
Murphy, die sonst mit Roy so gerne zusammen nach Hogsmeade ging? Doch
mußte sie das jetzt wissen? Konnte sie ihre Neugier nicht auf
was interessanteres lenken? Ja, natürlich konnte sie das.
Auf dem Marktplatz tummelte sich ein farbenfrohes Volk. zauberer
aus aller Herren Länder hatten hier überdachte Stände
aufgebaut und verkauften wichtige Dinge wie magische Türklingeln,
Kristallkugeln, in denen ein flammenloses Feuer brannte oder
eigenständige Werkzeuge. Daneben war aber auch Schnickschnack
wie singende Teetassen, selbstklatschende Fliegenklatschen oder aus
drei mal drei mal drei bunten Würfeln zusammengesteckte Würfel,
die sich andauernd so gegeneinander verdrehten, das auf jeder Seite
ein Farbendurcheinander zu sehen war und die man dann wieder so
drehen mußte, daß jede Seite eine der sechs Farben
zeigte. Das Problem war nur, wenn man den Würfel einmal gedreht
hatte, verdrehte er sich wieder.
An einem bunten Stand standen mehrere hundert zusammengerollte
Teppiche bereit. Ein dunkelbraun getönter, bärtiger
Zauberer rief fortwährend:
“Bequemlichkeit der Pharaonen und Sultane. Kaufen Sie Bashirs
fliegende Teppiche! Heben Sie ab und thronen Sie hoch am Himmel wie
ein mächtiger Scheich!”
“Fliegende Teppiche? Reisen die Orientalen nicht auf sowas
wie wir auf Besen?” Fragte Aurora. Miriam nickte.
“Die bilden sich was drauf ein, weil auf so’n Staubfänger
mehr als fünf Leute draufsteigen können.”
“Läuft da nicht gerade sowas, die als unverhexbare
Muggelartefakte zu bezeichnen?” Fragte Petula.
“Bagnold hat das Gesetz wohl im Februar schon auf dem Tisch
gehabt. Ob Sie’s unterschrieben hat, weiß ich nicht.”
“Kaufen Sie Abdul Bashirs fliegende Teppiche! Wer will schon
einen Besen reiten, kann er ganz gelassen durch die Lüfte
gleiten?”
“Ob der hier auch handelt wie im Orient?” Fragte Aurora.
Miriam wollte wissen, was sie damit meine. Aurora erklärte es
ihr und Petula. Sie lachten. Doch als sie unterwegs zu dem Stand mit
den Teppichen waren tauchten zehn Zauberer in grünen Umhängen
auf. Aurora fürchtete zuerst, es wieder mit Todessern zu tun zu
haben. Der Anführer der Truppe war ein großer Mann mit
feuerrotem Haar und Brille, dessen Umhang leicht ramponiert wirkte.
“Abdul Bashir, wir haben es Ihnen vor einem Monat doch
geschrieben, daß in England Teppiche Muggelartefakte sind, die
nicht bezaubert werden dürfen”, grüßte der
Rothaarige den Teppichverkäufer, der zusammen mit einem jungen
Mann, der dem Aussehen nach sein Sohn war, auf Kundschaft wartete.
“Ah, Efendi Weasley. Sie wollen den Preis drücken,
versteh. Zwei Teppiche für einen”, grinste Abdul Bashir.
“Dann würde ich mich strafbar machen”, sagte der
Rothaarige gelassen. “Hier ist die unterzeichnete Bestätigung
unserer Zaubereiministerin.” Er holte ein Pergamentstück
hervor und reichte es Abdul. Dieser nahm es und las es von rechts
nach links. Dann erkannte er wohl, daß er die englischen Wörter
so nicht entziffern konnte und las. Er erbleichte erst und wurde dann
wütend.
“Das ist Behinderung des freien Handels, Efendi. Wenn euer
Quidditch mittlerweile auch in Ägypten und dem Sudan gespielt
wird, warum dürfen wir da nicht unsere Qualitätsteppiche
feilbieten? Gemeinheit! Unterdrückung! Ihr wollt den Handel
ruinieren!”
“Abdul, sehen Sie es doch ein. Wenn ein Muggel aus Versehen
einen Ihrer Teppiche unter die Füße bekommt, dann fliegt
der vielleicht mit dem weg, weil die Flugmagie eines Teppichs nicht
auf einen Zauberkundigen angewiesen ist wie die eines Besens. Machen
Sie bitte Ihren Stand zu und bringen Sie Ihre Teppiche zurück in
Ihre Heimat! Anderenfalls müßten wir die ganzen Teppiche
beschlagnahmen.”
“Könnte euch Räuberpack so gefallen, meine Teppiche
mitnehmen, ohne ein Goldstaubkorn dafür bezahlt zu haben!”
Rief Abdul. Auf dem Marktplatz blickten alle den Teppichverkäufer
an. Dieser nutzte die Aufmerksamkeit aus, um noch wütender zu
protestieren, man wolle seinen Handel ruinieren und ihn obendrein
noch bestehlen. Dann, als die aufmarschierten Zauberer Anstalten
machten, die Teppiche einzusammeln, rief er seinem Sohn zu:
“Ali, komm, unsere Ware wird hier nicht länger
verlangt!”
Der jüngere Orientale sagte was in einer Aurora unbekannten
Sprache und begann, die aufgereihten Teppiche auf einen großen
Karren zu verladen. Aus einem Zelt hinter dem Stand holte er einen
silbergrauen Elefanten mit spiegelnden Stoßzähnen und
breiten Flügeln heraus, den er vor den Karren anschirrte,
während sein Vater mit schnellen Zauberstabbewegungen alle
Teppiche auf den Karren springen ließ. Dann klappte der
Verkaufsstand wie ein Kartenhaus zusammen, legte sich in den Karren
und war abgebaut. Rasch sprang Abdul Bashir in den Karren und rief
dem mächtigen Zugtier einen Befehl zu, worauf es laut trompetete
und dann die breiten Schwingen auf-und niederschlug, bis es abhob
und den Karren erst einige Meter am Boden entlang und dann nach oben
hinaufzog.
“Er hat’s kapiert, Arthur”, sagte einer der Zauberer.
“Schön, daß er nicht so ein Theater gemacht hat.
Ich fürchtete schon, der legt es auf einen Haftbefehl an”,
sagte der rothaarige Zauberer. “Ich möchte wieder nach
Hause. Molly ist alleine mit der ganzen Rasselbande, und jetzt, wo
die Kleine anfängt zu laufen, kann sie nicht alle
zusammenhalten, besonders nicht Fred und George, die beiden
Banditen”, lachte er. Sie wollten gerade vom Marktplatz
verschwinden, als dem Rothaarigen der Verkäufer der bunten
Würfel auffiel. Doch dieser schien zu ahnen, welche Stunde ihm
gerade geschlagen hatte und sammelte blitzschnell seine Waren ein.
doch der rothaarige Zauberer war schon bei ihm und nahm einen der
noch nicht eingesammelten Würfel.
“Daß Sie ein Witzbold sind, Chester, wußte ich
schon immer. Aber was Sie da jetzt machen ist ein Verstoß gegen
die Gesetze zur Bezauberung von Muggelartefakten.”
“Moment, Arthur, ich habe diese Würfel nicht an Muggel
verkauft”, sagte der Verkäufer der bunten Würfel.
“ja, und damit das auch nicht passieren kann, müssen wir
die jetzt alle beschlagnahmen”, sagte Arthur. Doch Chester
grinste nur, winkte mit seinem Zauberstab, und mit lautem Knall
verschwand sein ganzes Warenlager und danach auch er.
“Das ist nicht wahr”, fluchte Arthur. “Jetzt muß
ich den Kerl noch suchen.”
“Was ist denn da so schlimm an diesen Würfeln, abgesehen
davon, daß die sich ständig wieder verdrehen?” Wollte
Miriam wissen und trat an den rothaarigen Zauberer heran. Aurora
wollte das auch wissen.
“Entschuldigung, warum wollten Sie dem Verkäufer da die
Würfel beschlagnahmen. Das sind doch keine Muggelsachen”,
sagte Miriam forsch. Der Führer des kleinen Trupps wandte sich
um und schmunzelte.
“Oh doch, das sind Muggelartefakte, junges Fräulein. Die
Muggel haben vor einiger Zeit einen aus in sich verdrehbaren Würfeln
zusammengesetzten Würfel dieser Art als Geduldsspiel auf ihren
Markt gebracht. Bei einigen heißt er Zauberwürfel. Deshalb
hat der freundliche Herr von eben seinen Jux damit getrieben und wohl
einige dieser “Zauberwürfel” echt verhext. Wenn den
Muggel in die Hände bekommen, dann werden die noch wahnsinnig,
wenn sich der Würfel ständig selbst verdreht.”
“Och, Arthur, wegen dieses Dings sind die doch schon eh durch
den Wind”, warf einer der grüngewandeten Zauberer ein.
“Das ist kein Grund, solchen Schabernack mit ihnen zu
treiben”, sagte der rothaarige Zauberer. Dann lächelte er
die drei Mädchen an.
“Seid ihr von Hogwarts runtergekommen?”
“Mmmhmm”, machten Petula und Aurora.
“Mein ältester kommt im nächsten Jahr auch dahin.
Ich freue mich schon drauf. Achso, ich muß mich ja auch
vorstellen: Weasley, Arthur Weasley vom Büro gegen den Mißbrauch
von Muggelartefakten.”
“Angenehm, Miriam Swann”, stellte sich Miriam vor.
“Aurora Dawn”, sagte Aurora.
“Petula Woodlane”, schloß Petula die
Vorstellungsrunde ab.
“Joh, Mädchen, dann mache ich mich mal auf die Suche
nach diesem Scherzkeks, bevor der seine frisierten Zauberwürfel
noch wem aus der Muggelwelt untermogeln kann.” Mit leisem Plopp
disapparierte er.
“ja, du hattest recht, Miriam. Langweilen können wir uns
hier nicht”, sagte Aurora Dawn.
Sie schlenderten vom Marktplatz herunter, auf dem sich nun noch
die Verkäufer tummelten, die keine als Muggelgegenstände
erkennbare Sachen verkauften. Sie bogen gerade um eine Ecke, als
Auroras Frühwarner, ein silbernes Armband an ihrem linken
Handgelenk, sachte vibrierte. Sie erschrak. Irgendwas böses war
hier in der Gegend.
“Was ist, Aurora?” Fragte Miriam besorgt.
“Mein Frühwarner ist gerade losgegangen. Irgendwas
dunkles treibt sich hier herum”, sagte sie.
“Die Leute von Du-weißt-schon-wem?” Fragte Petula
bleich.
“Weiß ich nicht. Es zittert nicht so stark. Ich weiß
nicht genau, wo es sich rumtreibt.”
“Sollen wir jemanden rufen, der nachsieht?” Fragte
Miriam.
“Das hat solange keinen wert, solange keiner einen Frühwarner
hat. Das kann auch eine Kreatur sein, in der dunkle Kräfte
wirken wie Hinkepanks, Rotkappen – oder Sabberhexen. Eh, habt ihr
mitbekommen, wohin Roy wollte?”
“Wieso kommst du jetzt auf Roy. Ich dachte, der würde
sich immer Salz auftun, bevor er hier herkommt”, sagte Petula.
Miriam nickte.
“Ja, aber Balder hat uns doch erzählt, diese eine
Grünfratze habe ihn sich regelrecht ausgeguckt, nicht nur
einfach so. Vielleicht streunt die irgendwo hier herum”, sagte
Aurora voller Unbehagen.
“du hast mal gesagt, die wären harmlos, wenn man nicht
in ihr Schema paßt”, sagte Miriam. Doch sie wußte es
besser. Ihre Eltern hatten ihr früher, wo sie gerade über
eine Tischkante kucken konnte, bei jedem Ausflug Steinsalz auf die
Kleidung gestreut, um sie vor den Nachstellungen dieser Kinder
fressenden, grüngesichtigen Waldkreaturen zu schützen.
Aurora schritt wie an Fäden gezogen in die Richtung, in der das
Zittern des Armbands stärker wurde. Dann konnte sie die knapp
über dem Boden schwebende Kreatur sehen, die in einem langen,
grünen Rock steckte und schwarzblaues Haar besaß. Als
Aurora behutsam hinter ihr herschlich, stieg das Wesen, das so groß
wie aurora selbst war und eine blattgrüne Hautfarbe besaß,
einige Meter aufwärts, blieb dabei aber schön langsam.
Aurora stellte sich vor, daß dieses Wesen da eine ganz harmlose
Sache vorhatte, bis ihr Frühwarner etwas stärker zitterte.
Dann hörte sie aus etwa hundert Metern Entfernung:
“Eh, Tim, was hast du mit diesen Grünfratzen zu
schaffen?!” Das war Roy Fielding!
Aurora lief los, in die Richtung, aus der der Ruf gekommen war. Da
schoss die Sabberhexe im grünen Rock steil in die Höhe und
jagte mit wehendem Har und Rock durch die Luft davon.
“Nein, lass mich los, du Monster!” Rief Roy in
Panikstimmung, wie Aurora hören konnte. Sie jagte auch los,
immer schneller. Doch sie war immer noch viel zu langsam. Außerdem
mußte sie feststellen, daß sie in ein verwinkeltes
Viertel geraten war und Hundert Meter Luftlinie mehr als das
dreifache an Laufstrecke sein mochten. Nirgendwo gab es eine
Abkürzung durch eine Quergasse. Als sie ein schrilles Lachen
hörte und einen angewiderten Schrei Roys, wußte sie, sie
würde in jedem Fall zu spät kommen. Was sollte sie machen?
Sollte sie den Notrufzauber wirken. Dann würde mindestens ein
Heiler neben ihr auftauchen. Aber sie waren doch zu weit fort. Oder
etwa nicht?
Sie bog um eine Ecke, um gerade noch zu sehen, wie Tim Abrahams
mit sehr glückseligem Blick in den Armen einer grünen
Kreatur mit walnusbraunem, nicht ganz so struweligem Haar lag,
während Roy gerade in einer Umklammerung aus Armen und Beinen
der schwarzblauhaarigen Sabberhexe hing, die ihn mit ihrer
wurmartigen Zunge Mund und Nase abschleckte.
“Lass den Jungen los, du toldreistes Biest!” Rief Aurora
Dawn und zog ihren Zauberstab hervor.
“Nein, nicht bevor ich endlich von ihm habe, was ich schon
lange haben wollte!” Rief jene Sabberhexe, die Roy umklammert
hielt und lachte. Aurora sah Roy, dessen Gesicht jeden Ausdruck der
Angst verlor. Sie erkannte, daß er offenbar von dieser Kreatur
überwältigt worden war, nicht nur körperlich, sondern
vor allem willentlich. Sie warf Aurora noch ein überlegendes
beigegraues Lächeln zu und schnellte dann mit der Wucht einer
abgefeuerten Kanonenkugel in die Höhe. Tim Abrahams indes gab
sich ganz den Streicheleinheiten hin, die die walnusbraunhaarige
Kreatur ihm zukommen ließ. Aurora richtete den Zauberstab zwar
noch auf die davonfliegende Sabberhexe, doch ihr Schocker kam zu spät
und fauchte an die Dutzend Meter unter der Kreatur hindurch. Dann
zielte sie auf das zweite Wesen. Dieses fühlte wohl den
bevorstehenden Angriff und ließ von Tim ab. Sie warf sich herum
und jagte auf Aurora zu, die in der Schrecksekunde vergaß,
welchen Zauber sie eigentlich sprechen wollte. Da war die Kreatur
auch schon heran und pflückte ihr wie beiläufig den
Zauberstab aus der Hand.
“Mädchen, du wolltest Morpuora nicht wehtun, die dir gar
nichts tun will”, lachte sie. Aurora stand starr da und wußte
nicht, was sie tun sollte. Auf die Idee, um Hilfe zu rufen, kam sie
nicht. Morpuora, wie sich die wohl etwas älter aussehende
Sabberhexe nannte, strahlte die Vertrauensschülerin mit ihren
nagelspitzen, gelbweißen Zähnen an. Ihre gelben Augen mit
den weißen Pupillen sahen sie treuherzig wie Hundeaugen an,
während ein freundliches Lächeln um die Mundwinkel der
Kreatur spielte.
“Deinem Kameraden passiert nichts böses. Meine Tochter
möchte nur endlich mit ihm zusammen sein, wo ihr uns in den
letzten Jahren immer so böse zurückgetrieben habt. Sie mag
ihn und freut sich, wenn sie von ihm was kleines in sich herantragen
kann. Das ist ein schönes Gefühl, einen Knaben in seine
Bestimmung als Mann hinüberzuhelfen, Mädchen. Nein nein,
lass den kleinen Stab lieber noch etwas liegen. Sonst müßte
ich dir doch was böses tun, und das will ich nicht.”
“Ihr habt ihn in eine Falle gelockt”, schluchzte Aurora,
die nun kapierte, was hier eigentlich abgelaufen war. “Du hast
Tim Abrahams mit deinem widerlichen Giftschleim vollgesabbert, um ihn
dir hörig zu machen.”
“Er wollte das freiwillig. Ich mußte ihn nicht
niederkämpfen. Ist mit meinen vielen Sommern auch etwas
anstrengend, Knaben zu nehmen, selbst wenn meine Mutter mich Morpuora
genannt hat, Des Knaben Tod”, schnatterte die grüngesichtige
Kreatur. Aurora hörte nicht drauf, was sie sagte. Sie tauchte
nach ihrem Zauberstab. Doch da krallten sich fünf
spinnenbeinartige Finger um ihren Hals und rissen sie einfach wieder
hoch.
“Ich sagte, ich will das nicht, daß du den Stab nimmst
und …”
“Lass sie los, du Scheusal!” Brüllte Bruster Wiffle
unvermittelt von hinten. Dann fegte der rote Schockzauber heran.
Aurora sah noch, wie die Kreatur wutschnaubend zur Seite hechtete und
dann mit einem Satz, der die Grenze zwischen Fligen und Springen
verwischte zu Tim zurückkehrte, ihn mit allen vier Gliedmaßen
umfing und im Tiefflug wie vom Katapult geschossen davonbrauste. Der
Schocker krachte im selben Moment an eine Hauswand und schlug einen
faustgroßen Krater.
“Mist, sind die Biester schnell!” Rief Bruster. Aurora
wimmerte. Ihr Genick schmerzte vom stahlharten Griff der Sabberhexe,
und das Gefühl, Roy nicht rechtzeitig gefunden zu haben, trien
ihr Tränenfluten aus den Augen.
“Nimm deinen Zauberstab, Aurora! Der ist noch ganz”,
sagte Bruster.
“Die haben Roy und Tim. Sie haben sie mit ihrem Speichel
verhext”, wimmerte Aurora.
“Mist!” Fluchte Bruster. “Dann war Tim deshalb so
lockerflockig drauf. Ich hätte darauf achten sollen. Gut, daß
ich immer Steinsalz mithabe. Sonst hätte mich so’ne läufige
Grünfratze auch schon kassiert.”
“Bruster, die sind weggeflogen!” Rief Aurora.
“Ja, aber wir kriegen die wieder ein. mach mal diesen
SOS-Spruch!” Aurora bückte sich, nahm ihren Zauberstab und
kämpfte um ihre Selbstbeherrschung. Dann ließ sie den
Zauberstab über ihrem Kopf kreisen, links herum und rechts
herum, wobei sie “Advoco Medicum!” Rief. Aus dem Zauberstab
schoss eine goldene Lichtfontäne, die sich zehn Zauberstablängen
über Aurora zu einer rasch nach außen wirbelnden Spirale
auswuchs.
Es dauerte fünf Sekunden, da apparierte ein Zauberer im
weißen Umhang, der eine Tasche mit einer roten Schlange um
einen Stab über der Schulter trug. Dann tauchten noch zwei
Zauberer in Grün auf, auf deren Brustteilen ein über einem
Knochen gekreuzter Zauberstab prangte.
“Du hast uns gerufen, junge Dame! Was liegt denn an?”
Fragte der in weißer Kleidung angekommene Zauberer.
“Schulkameraden von uns sind von zwei Sabberhexen entführt
worden”, stieß Aurora hastig aus, damit sie nicht wieder
ins Wimmern verfiel.
“Ui, das ist jetzt schon das fünfte Mal in zehn Jahren”,
sagte einer der Heiler in Grün. “Wir haben es Dumbledore
immer wieder gesagt, er soll den Jungen sagen, sich immer mit
Steinsalz zu bewaffnen, weil die läufigen Sabberhexen sich gerne
welche von denen herausfangen. Aber wir sind im Moment nicht
zuständig. Da müßt ihr das Schädlingsbekämpfungsbüro
alarmieren. Die können die besser aufspüren als wir. Die
rufen uns dann wieder, wenn wir gebraucht werden”, sagte der
Heiler in Weiß. “Aber der Notruf war insofern legitim,
weil es ja keine schnellere Art gibt, in dem Fall Hilfe zu kriegen.”
Seine Kollegen nickten. Dann disapparierten sie einfach.
“Das gibt’s nicht. Die sind einfach abgehauen”, sagte
Aurora nun verbittert.
“Wo nix zum heilen ist sind Heiler nix wert”, sagte
Bruster. Aurora sah ihn nun zornig an.
“Die müssen die beiden doch suchen”, sagte sie.
Dann fiel ihr auf, daß ihr Frühwarner nicht mehr zitterte.
“Die werden sich einen abgelegenen Wald aussuchen, die beiden
in die richtige Stimmung bringen und dann …”, malte Bruster
aus.
“Hörst du wohl auf!” Schrie Aurora.
Unvermittelt apparierten vier Personen, eine Hexe und drei
Zauberer. Die Hexe war leicht untersetzt und trug ein geblümtes
Kleid und auf ihrem graublonden Haarschopf einen großen
Strohhut.
“Was ist hier passiert?” Fragte einer der drei Zauberer,
die die Umhänge des Aurorenkorps trugen.
“Mein Klassenkamerad und einer aus der siebten Klasse wurden
von zwei Sabberhexen gefangen und verschleppt”, sagte Aurora
Dawn nun sehr gefaßt.
“Morpuora und ihre liebestolle Tochter haben also doch einen
Gehilfen gefunden”, schnaubte einer der Auroren, ein
dunkelhäutiger Mann mit Glatze.
“Habt ihr dieses Problem hier öfter?” Fragte die
Hexe mit unverkennbar amerikanischem Akzent.
“Eigentlich sehr selten, weil die sich jahrelang nicht
blicken lassen. Aber wir haben rausgefunden, daß die nur
deshalb so lange wegbleiben, weil sie sich von Männern, meistens
muggelstämmigen Jugendlichen, neue Kinder haben machen lassen
und ..”
Die Hexe schnalzte mißbilligend mit der Zunge und schüttelte
den Kopf, wobei ihr Hut leicht nach links verrutschte.
“So sagt man das nicht, Kingsley”, maßregelte sie
den dunkelhäutigen Zauberer. Dieser grummelte nur, widersprach
jedoch nicht.
“Tja, wenn wir nicht noch rauskriegen, wo die mit den Jungen
ihre Arterhaltung zelebrieren, werden wir die auch in den nächsten
vier bis fünfzehn Jahren nicht mehr zu sehen kriegen”,
feixte ein zweiter Auror, ein drahtiger Mann mit pechschwarzer
Igelfrisur.
“Jungs, anstatt dumme Sprüche zum besten zu geben sagt
uns, wo sich diese – wie nanntest du sie, Kingsley? – Morpuora
vorzugsweise aufhält!” Forderte die Hexe im Blumenkleid und
dem Strohhut.
“Ist nicht immer dieselbe Gegend. Morpuora und ihre Töchter
hausen in Wäldern, rund hundert Meilen um Hogsmeade”, sagte
der Schwarze, der Kingsley gerufen wurde.
“Da lang”, deuteten Aurora und Bruster in die Richtung,
in der die ältere und die jüngere Sabberhexe verschwunden
waren.
“Das ist der schnellste Weg aus Hogsmeade heraus. Aber wohin
die genau sind, kriegen wir so nicht raus”, knurrte Kingsley.
“Das gibt noch Ärger mit Dumbledore.”
“Selbst schuld, Kingsley. Wenn der weiß, daß die
Morpuora mit ihrer Brut im Umkreis ist und er keine Maßnahmen
dagegen beschließt”, stieß der drahtige Auror aus.
Bruster meinte:
“Kommen die Jungen denn wieder zurück, oder werden die
umgebracht?”
“Nein, umgebracht werden die nicht. Aber Morpuora hat sieben
Töchter ausgebrütet, die Söhne, die nach der Stillzeit
in sie zurückgewandert sind nicht mitgezählt”, gab der
drahtige Zauberer eine sehr makabre Bemerkung zum besten und setzte
noch einen drauf: “Wenn die so synchron sind wie alle Hündinnen
im selben Wohnviertel können die die Jungs gleich einmal
durchreichen.”
“Also jetzt reicht’s, Quintus!” Entrüstete sich die
Hexe. “Du hast in den letzten Minuten nichts als derbe Phrasen
gedroschen. Du machst den beiden hier nur Angst, und das ist nicht
dein Ding, Jungchen!”
“Eh, Jane, willst du mir etwa Vorhaltungen machen?”
Fragte der drahtige Zauberer.
“Da es sonst keiner macht, ja”, erwiderte die Hexe.
Aurora sprang vor und rief:
“Anstatt hier rumzulabern sollten Sie die beiden endlich
suchen, verdammt noch mal!”
“Machen wir sofort, Mädchen. Wie heißt du?”
“Dawn, Aurora Dawn, Madame …”
“Porter, Jane Porter”, stellte sich die Hexe vor. Aurora
erstarrte in Verwunderung und Ehrfurcht. Das war also Plinius’
Mutter, die in Amerika in einem Institut zur Abwehr dunkler Kräfte
arbeitete und ihnen damals den Seelenkessel geschickt hatte, um die
gespenstische Braut des blutigen Barons darin einzufangen.
“Du kennst mich? Ah ja, mein Sohn war ja mit dir zusammen in
Ravenclaw. Wo war dein Freund, Roy Fielding höchstwahrscheinlich?”
“Woher wissen Sie das denn jetzt?” Wunderte sich Aurora.
Doch dann zeigte sie Jane die Stelle, wo Roy gestanden hatte. Die
Hexe eilte dort hin und nahm ihren Zauberstab, damit ließ sie
etwas Staub vom Boden aufsteigen und in eine kleine Schale fallen.
“Nein, Jane, jetzt nicht diese Voodoo-Show”, meinte
Quintus. Doch Jane war bereits dabei, ein Bündel Kräuter in
die Schale zu werfen und piekste sich dann mit einer silbernen Nadel
in die Hand. Sie ließ Blut in die Schale tropfen, nicht viel,
wohl drei Tropfen. Dann entzündete sie das merkwürdige
Kräutergemisch in der Schale und inhalierte den Rauch. Dabei
sang sie mit kehligen Lauten eine Litanei her, die aus dem tiefsten
Dschungel zu stammen schien. Aurora stand mit weit aufgerissenen
Augen da, beobachtete und lauschte, was Jane Porter machte. Es
dauerte etwa zehn Minuten, dann versank Jane Porter in einer Trance,
einem Zustand vollkommener Entspanntheit und Weltentrücktheit.
Dieser Zustand hielt vor. Bruster meinte:
“Die ist echt gut drauf. Die hat irgendwas von Roy finden
können. Haare oder abgestoßene Hautschuppen. Das hat sie
in eine irgendeinem Voodoo-Gott geweihte Schale gegeben, etwas
eigenes Blut dazu gegeben und dann mit einer Rauschpflanzenmischung
angezündet. Jetzt hat sie seine und ihre Seele vereinigt,
heftiger als der Exosenso-Spruch. Jetzt kriegt sie genau raus, wo er
ist und was er gerade erlebt.”
“Woher kennst du dich da so aus?” Fragte Aurora.
“Das habe ich für die Prüfungen gelernt, um etwas
mehr als den üblichen Krempel zu können, falls da wer noch
mehr wissen wollte. Ah, sie ist fertig”, sagte Bruster und
deutete auf Jane. Diese schien Probleme zu haben, zu sich selbst
zurückzufinden. Aurora sah, wie sie irgendwie zwischen einer
freudigen Erregung und Verbissenheit festhing. Sie schien sich einer
großen Leidenschaft hinzugeben und gleichzeitig gegen irgendwen
oder irgendwas zu kämpfen. Dann, als sie in der ständig
steigenden Erregung immer schwerer atmete, durchlief sie ein Ruck,
und sie war wieder sie selbst.
“Das dumme Geschwätz von dir, Quintus hat uns wertvolle
Minuten gekostet. Der Junge ist bereits im Fortpflanzungsrausch mit
einer dieser Kreaturen. Aber ich weiß wo er ist. Kingsley, komm
du bitte alleine mit mir mit. Dein Kollege geht mir nicht mit dem
gebotenen Ernst heran.”
“Eh, Madame Porter. Ich lasse mir von Ihnen keine Befehle
erteilen und …”, entrüstete sich Quintus. Kingsley legte
ihm die Hand auf den Mund und sagte:
“Quintus, sie hat recht. Halt’s Maul und bleib hier! Oscar,
wir beide helfen Jane”, sagte er zu seinem zweiten Kollegen,
einem sportlich gebauten Mann mit blondem Haar. Jetzt erst fiel es
Aurora auf, wie attraktiv dieser Bursche auf sie wirkte. Doch er
hatte was zu tun, und das war zu wichtig, um sich über sowas
mädchenhaftes Gedanken zu machen. Jane, Kingsley und Oscar
stellten sich zusammen, faßten sich bei den Händen und
verschwanden.
“Wenn die wiederkommen rufst du besser noch einmal nach
Heilern!” Schlug Bruster vor.
“Das mach ich”, knurrte Quintus, der was wichtiges tun
wollte, wenn sie ihn schon nicht mithaben wollten.
Es dauerte jedoch ganze zehn Minuten, bis das Trio aus Jane
Porter, Kingsley und Oscar wieder aparierte. Kingsley und Oscar
rangelten dabei mit zwei Jungen, die Aurora kannte. Es waren Roy
Fielding und Tim Abrahams.
“Advoco Medicum!” Riefen Aurora und Quintus gleichzeitig
den Notrufzauber auf. Zwei Lichtspiralen wirbelten über ihnen
nach außen. Keine zwei Sekunden später apparierten die
zwei Heiler in grünen Umhängen, die eben schon einmal da
gewesen waren.
“Ach, jetzt werden wir gebraucht. Ein Notruf hätte aber
genügt”, sagte einer der beiden. “Gestatten, Heiler
Esus Farmer, St.-Mungo-Krankenhaus für magische Krankheiten und
Verletzungen.”
“Laßt uns los, ihr Bastarde!” Rief Roy in
unbändigem Zorn und riss seinen Arm frei, um Kingsley, der ihn
hielt, einen heftigen Schlag auf die Nase zu dreschen. Wie ein
gefällter Baum kippte der dunkelhäutige Auror um. Roy
versuchte, davonzulaufen. Da traf ihn ein Schocker von Jane Porter
und verlangsamte seine Bewegungen.
“Der wird nicht lange vorhalten. Zwei Sabberhexen haben mit
ihm und dem anderen hier die Waldhochzeit gefeiert.”
“Ou!” Konnte der zweite Heiler nur dazu sagen. Dann
stellte er sich als Immortellus Redlief vor.
“Ach, der Cousin meines Schwiegersohnes”, lächelte
Jane Porter. Er nickte. Offenbar hatte er Jane Porter erkannt und
bestätigte das was sie sagte.
“Die Waldhochzeit? Dann Könnt Ihr Professor Dumbledore
bestellen, daß die beiden vor Ferienbeginn nicht aus St. Mungo
rauskönnen. Eine derartig forcierte Adiktion benötigt viel
Zeit, Geduld und die richtigen Tränke und Befreiungszauber”,
sagte Esus Farmer. Dann fragte er noch: “Wie weit ist die
Handlung vollzogen worden?” Er prüfte selbst nach anstatt
auf eine Antwort zu warten. Er murmelte etwas von “Coitus
Successivus” bei Roy und dann auch noch bei Tim, der versuchte,
Oscars Griff zu entwischen. “Lass mich zurück zu Morpuora.
Ich will nicht bei euch bleichhäutigen bleiben. Sie gibt mir
alles was ich brauche. Lasst mich gefälligst …!”
“Stupor!” Rief Jane Porter und schockte Tim damit auch,
wenn auch nicht vollständig. Roy nämlich wurde langsam
wieder wach. Die beiden Heiler fischten rasch in ihre Taschen und
zogen zwei einteilige Anzüge heraus, die wie gepolsterte
Strampelanzüge für Riesenbabies wirkten. Aurora kannte
diese Art Gummianzug schon. Das waren die Beruhigungsanzüge, die
jemanden körperlich unbeweglich hielten. Rasch zogen die Heiler
mit schnellen Zaubern Roy und Tim die Kleidung aus. Aurora wandte
sich ab. Ebenso tat es Bruster. Dieser meinte dann:
“Wir reden da nicht drüber. Wir sagen’s nur Dumbledore.
Wir selbst sagen es keinem von unseren Leuten weiter. Das soll
Dumbledore tun! Verstehst du das. Wir müssen in Hogwarts nicht
noch da reingeraten.”
“Wie du möchtest, Bruster”, sagte Aurora. Bruster
nickte ihr zu und trat einige Schritte bei Seite, während die
beiden Heiler mit ihren Patienten zu tun hatten.
“Dann stimmt es doch, Kollege Redlief, daß der Sexus
zwischen Sabberhexen und halbwüchsigen Zauberern keine vier
Minuten dauert, aber zehnmal wiederholt werden kann.”
“Wohl wahr. Dr. Morningdew hat das also richtig
herausgefunden”, erwiderte Heiler Redlief. Aurora wurde wütend.
Wie konnten zwei Zauberer, die einen Eid geschworen hatten, anderen
zu helfen, über eben solche Patienten in deren Anwesenheit
darüber fachsimpeln, wie faszinierend deren Zustand war? Wenn
sie wirklich Heilerin werden wollte, dann, so schwor sie sich, würde
sie höllisch darauf aufpassen, nicht selbst zu einer solchen
unmenschlichen Fachidiotin ohne Gefühl für den Patienten zu
verderben. Sie hörte etwas gluckern hinter sich. Sie wandte sich
um und sah Bruster, der erleichtert eine Feldflasche absetzte,
zudrehte und unter dem Umhang verbarg.
“Diese Hitze macht tierischen Durst. Aber jetzt ist die
Flasche alle”, sagte er, als er bemerkte, daß Aurora ihm
zugesehen hatte.
“Ich gehe gleich ins Schloß zurück. Mir ist der
Hogsmeade-Ausflug total verdorben worden”, sagte Aurora. Bruster
nickte.
“Ich geh schon einmal vor. Kommst du nach?”
“Ich will noch mitbekommen, was mit den Jungs passiert. Dann
komme ich nach”, sagte Aurora. Einerseits war sie schon
neugierig, wie die beiden nun wieder bei klarem Bewußtsein,
zumindest dem, was der heilkundlichen Erklärung dafür
entsprach, herumzeternden Jungen abtransportiert wurden. Auch war sie
Vertrauensschülerin, wie Bruster auch. Doch einer mußte ja
schon einmal vorlaufen, um Dumbledore zu informieren. Aurora wartete
also.
Als die beiden Jungen mit einem Apparitionsmanöver
abtransportiert worden waren, kam Kingsley wieder zu sich. Er tastete
nach seiner Nase.
“Oh Mann, den Treffer habe ich mir wohl verdient”,
näselte er und zog ein Taschentuch aus seinem Umhang.
“Hat man die Jungen ordentlich abtransportiert?” Fragte
er. Aurora und Jane Porter nickten. Dann sagte der dunkelhäutige
Auror:
Mädchen, Aurora Dawn heißt du doch, ich geh mit euch
zum alten Dumbledore und beichte ihm, daß wir die beiden Jungs
nicht früh genug gefunden haben. Dieses verdammte Weib Morpuora.
Die und ihre Brut haben es drauf, mit Wirbelwinden und Feuerstrahlen
zu hexen. Dann hätte mich fast noch eine ordinere Konifere mit
ihren Zweigen erdrosselt. Aber mehr sage ich besser nicht. Sonst
träumst du noch schlecht.”
“Ich komme auch mit, um dem alten Tausendsasser zu erzählen,
wie es passiert ist. Wahrscheinlich wird er dich auch noch einmal
fragen, was du mitbekommen hast”, sagte Jane Porter. Dann gingen
sie, Kingsley, der mit Nachnamen Shacklebolt hieß und Aurora
Dawn zusammen über Schleichwege aus dem Dorf hinaus zum Schloß.
Unterwegs hüteten sie sich davor, in Dorfbewohner oder andere
Hogwarts-Schüler hineinzulaufen. Dann, in Dumbledores
Turmkammer, berichteten die Hexe, der Auror und die
Vertrauensschülerin, was sie jeweils erlebt hatten. Als es um
die Details ging, wurde Aurora zurück in den Gemeinschaftsraum
geschickt. Dumbledore sagte:
“Ich erzähle das heute abend in der großen Halle,
damit es alle mitbekommen, sich besser zu wappnen. Ich fürchte
nur, die grüne Dame und ihre Töchter haben bekommen, was
sie haben wollten. Dann werden wir mindestens ein Jahr lang nichts
von ihnen hören oder sehen.”
“Sie meinen, Roy und Tim haben die Sabberhexen –
geschwängert?”
“Hallo, so sagt man das nicht”, maßregelte Jane
Porter das Mädchen.
“Nun, salonfähig würde es heißen in andere
Umstände versetzt”, grinste Dumbledore verschmitzt. “Aber
da es sich ja wohl eher um eine Form rein animalischer
Triebbefriedigung handelte, kann ich dir das durchgehen lassen,
Aurora. Immerhin würde man bei Säugetieren ja nicht anders
formulieren, Jane”, ergänzte er noch und zwinkerte seinem
weiblichen Gast durch die Halbmondgläser zu.
“Was soll ich Dina Murphy erzählen?” Fragte Aurora.
“Wenn Sie darunter leidet, was ich euch erzähle, dann
komm bitte mit ihr und Madame Pomfrey zu mir! Wir klären dann,
was wir für sie tun können”, bot Dumbledore an. Aurora
nickte ihm vertrauensselig zu und verließ die Turmkammer. Jetzt
würden sie da drinnen auswalzen, was genau mit Roy und Tim
passiert war. Für Aurora stand fest, daß Tim bereits
vorher von einer dieser Kreaturen abhängig geworden war. Ja, da
fiel ihr ein, daß er nach dem Valentinsausflug überglücklich
ausgesehen hatte. Tim hatte nie eine Freundin in Hogwarts gehabt.
Konnte es sein, daß diese Morpuora ihn ködern konnte, weil
er die körperliche Nähe einer Frau gesucht hatte. Sie
fragte sich auch, wie Erica Fielding reagieren würde, wenn sie
erfuhr, was ihrem Bruder passiert war. Ja, würde Dumbledore
zulassen, daß es draußen welche erfuhren? Wahrscheinlich
wäre das das Ende seines Amtes in Hogwarts.”
Aurora traf Bruster im Gemeinschaftsraum wieder. Er wirkte
geknickt, als habe er die Nachricht über Roy und Tim gerade erst
erfahren. Doch er sagte sofort:
“Ich habe Dina getroffen, Aurora. Ich konnte es ihr nicht
erzählen. Aber sie sieht so verängstigt aus. Sie erzählte,
sie suche Roy und daß der mit Tim Abrahams in die
Zwergenschmiede wollte und das sie ja zu Angelique Liberté
gehen wollte, da die Zwerge keine frei herumlaufenden Frauen
mochten.”
Aurora schüttelte den Kopf. Sie selbst war mit Petula und
Miriam in Forins Schmiede gewesen, und kein Zwerg hatte sie dumm
angemacht. Sicher, der Chef mußte das erlauben. Aber gegangen
war’s.
Petula und Miriam tauchten etwa eine Stunde später auf.
Obwohl Dumbledore angewiesen hatte, daß niemand was erfahren
sollte, bevor er es erzählte, sagte Petula:
“Loren Tormentus hat uns da eine haarsträubende
Geschichte erzählt, Roy und Tim Abrahams seien von diesen
Sabberhexen verschleppt worden. Stimmt das, Aurora?”
“Warum fragst du mich das?” Fragte Aurora, die sich
denken konnte, warum Petula das fragte. Immerhin war sie ja nach der
Sache mit dem Armband nicht mehr zurückgekommen. Also nickte sie
schwerfällig.
“Aber sagt das bitte noch keinem anderen, der oder die es
nicht schon weiß! Professor Dumbledore wird uns das heute abend
erzählen.<”
“Mädel, daß ist fast in der ganzen Schule rum. Die
Rattler rümpft schon die Nase, daß diese Sabberhexen
keinen Geschmack hätten, sich mit Schla…, Ähm,
Muggelstämmigen zu paaren, Eunice hat’s wohl von Dorian Dirkson,
der’s wiederum von Tara Branigan hat, die euch, also dich, Aurora,
eine Hexe mit Strohhut und den ebenholzfarbigen Kingsley Shacklebold
zum Schloß schleichen gesehen hat. Wenn es Tara weiß,
dann weiß es mel Bunton auch, und dann ganz Hufflepuff. Also
erzähl!”
“Wir haben mit Dumbledore ein Übereinkommen, Petula”,
sagte Bruster.
“Das schon im Klo gelandet ist”, fauchte Miriam. “Also
rückt schon raus, was ihr wißt! Für Dina wäre es
besser, wenn sie nicht nur mit Dritthandgeschichten beballert wird.”
Sie zog Aurora hinüber zu Dina, die gerade von Rita Swift
darüber informiert wurde, daß man Roy in eine Falle
gelockt habe und der vielleicht tot sei. Aurora schupste die Shwester
von Mortimer zur Seite und stand vor Dina. Diese weinte. Dann sagte
Aurora:
“Dina, was dir Rita da erzählt hat stimmt nur zu einem
winzigen Teil. Ja, Roy wurde in eine Falle gelockt. Das waren diese
Sabberhexen, die immer schon auf ihn scharf waren. Diesmal haben sie
ihn erwischt und das mit ihm angestellt, was sie von ihm wollten. Ich
sage dir das deshalb so brutal, weil es nicht harmloser wird, wenn
ich dich nur mit abgedrehten Gerüchten allein lasse. Roy lebt
und ist jetzt im St. Mungo, weil diese Grünfratzen ihn durch
ihre widerlichen Körpergifte von sich berauscht gemacht haben.
Aber sie kriegen ihn wieder hin. Das ist schon bekannt, wie sowas
passiert und kann geheilt werden. Das waren nur Sabberhexen, keine
Vampire oder Succubi. Roy lebt noch und ich hoffe, der kommt wieder
ganz in Ordnung.”
“Diese grünen Monster haben’s mit ihm getrieben?!”
Heulte Dina nun völlig aufgelöst. Aurora nickte. Ein Nein
wäre genauso grausam wie das Ja gewesen. Sie verstand auch, was
nun in dina vorging. Roy war von einer sie anekelnden Kreatur benutzt
worden. Falls sie daran gedacht hatte, ihm auch körperlich nahe
zu sein, dann würde diese Mannstolle Kreatur zwischen ihnen
beiden stehen und Dina auslachen. In Auroras Phantasie klang die
hämische Stimme dieser Sabberhexe mit schwarzblauem Haar: “Ich
hatte ihn. Er gehörte mal mir. Du kannst ihm das nicht bieten,
was ich ihm gegeben habe.”
Ja, Aurora mochte nachfühlen, was Dina nun durchmachte.
“Also ein wenig feinfühliger hättest du es ihr
schon sagen können”, maulte Bruster. Aurora schüttelte
den Kopf.
“Bruster, mal ist Feinfühligkeit Medizin, mal lähmendes
Gift. Das schreibt Professor Dr. Herbregis, die Heilerin aus der
Sana-Novodies-Klinik.”
“Ach, du liest dich schon durch scheinbar intelligente
Sprüche von erwachsenen Heilern? Dann Prost Mahlzeit!”
Sagte Bruster Wiffle und strich sich verlegen über den
FC-Liverpool-Schal, den er immer noch trug. Das Schuljahr lief ja
noch.
Am Abend tuschelten die Schüler an den Haustischen. Die
Slytherins blickten mal hämisch grinsend, mal angewidert zum
Ravenclaw-Tisch herüber. Das ging eine Viertelstunde lang so,
bis Dumbledore aufstand und mit einer Handbewegung um Ruhe bat.
Schlagartig fiel ein Mantel aus Stille über alle Tische.
Dumbledore sprach:
“Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Schülerinnen und
Schüler von Hogwarts, ja, es ist wahr, daß heute in
Hogsmeade eine schlimme Tragödie passiert ist. Die beiden
Schüler Tim Abrahams und Roy Fielding sind Opfer
paarungssüchtiger Sabberhexen geworden. Offenkundig handelt es
sich dabei um eine Sippe, die bereits vor etlichen Jahren die Hände
nach minderjährigen oder ungebundenen Schülern ausgestreckt
hat. Im Vertrauen darauf, daß Roy Fielding und Tim Abrahams
sich gegen diese Kreaturen gewappnet hätten, übersah ich
persönlich, daß die fraglichen Kreaturen es nicht nur auf
eine intime Handlung mit den Jungen angelegt haben, sondern diese
regelrecht für sich vereinnahmen wollten. Wäre mir dies
vorher bewußt gewesen, hätte ich die beiden Jungen
beschützt und vor diesen Nachstellungen bewahrt. Zum Glück
konnten die Schüler Aurora Dawn und Bruster Wiffle rechtzeitig
Alarm schlagen, um die beiden Jungen aus der Gewalt dieser Kreaturen
zu befreien. Sie sind nun im St.-Mungo-Krankenhaus, um sich von den
schweren Beeinträchtigungen ihrer Körper und Seelen zu
erholen. Der behandelnde Heiler hat mir bereits mitgeteilt, daß
sich ihr Zustand innerhalb der nächsten drei Wochen wieder
berappeln wird.” Wieder setzte ein Tuscheln ein. Dann fuhr
Dumbledore fort: “Ich persönlich ziehe aus diesem Vorfall
drei Konsequenzen: Erstens verfüge ich, daß die sonst sehr
kurzweiligen und inspirativen Ausflüge nach Hogsmeade weiterhin
genehmigt werden, sofern vorher geklärt wird, welche böswilligen
Kreaturen zu welchen Zeiten dort herumlaufen, um die Ausflüge
auf Tage zu verlegen, an denen diese Kreaturen nicht dort sind.
Zum zweiten habe ich angeregt, ein Alarmsystem auf Basis des
Frühwarnarmbandes in Hogsmeade einzurichten, das sofort Hilfe
anfordert, wenn jemand von den Schülern von einer wie auch immer
dort herumlaufenden Kreatur bedrängt wird.
Drittens werde ich mich morgen früh dem Ministerium und dem
Schulrat für eine klärende Aussprache zur Verfügung
stellen und auch mein Amt zur Verfügung stellen, sofern mein
Rücktritt erwünscht wird. Soviel dazu. Wenn ihr könnt
und wollt, esst. Viele von euch sind noch im Wachstum. Also nutzt es
bitte aus, reichlich zu essen!”
Klar konnten viele vor lauter Schwatzen nicht richtig essen. Dina
hockte total niedergeschlagen auf ihrem Platz. Manchmal blickte Tonya
herüber. Doch Aurora funkelte sie warnend an.
__________
Zwei Tage vergingen, in denen die Schüler nur das erfuhren
was in der Zeitung stand. Da hieß es einen Tag nach dem
Zwischenfall:
“Schüler werden Opfer gefährlicher Monster in
Frauengestalt! Dumbledore bekennt sich zu seiner persönlichen
Verantwortung.”
Dann, am dritten Tag, wenige Tage vor dem Ferienbeginn, kam der
Tagesprophet mit der Schlagzeile heraus:
“Dumbledore von Zauberergamot und Schulrat rehabilitiert.
Kein Versäumnis nachzuweisen! Alter ist neuer Schulleiter von
Hogwarts.”
Nicht wenige klatschten. Denn das Dumbledore seine eigene
Anstellung hinter dem Wohl von Hogwarts und dessen Schüler
zurückgestellt hatte imponierte allen, ja auch einigen
Slytherins, die es nicht ungern gesehen hätten, wenn Dumbledore
entlassen und noch dazu ins Gefängnis geworfen worden wäre.
Als der von aller Schuld freigesprochene Schulleiter am Abend wieder
in die große Halle kam, wurde ihm begeistert applaudiert. Er
nahm den Applaus mit einer dankbaren Verbeugung hin und kehrte auf
seinen Platz zurück.
“Der ist einfach nur genial”, sagte Mortimer. “Der
hat allen den Wind aus den Segeln genommen, die ihn gerne wegen
dieser Sache drangekriegt hätten. Dann hat er es so gedreht, daß
die Schule und damit er nicht darauf gefaßt sein konnte, weil
der Morpuora-Clan selten in der Nähe von Hogsmeade auftaucht.
Dann hat er wohl Nachfolger vorgeschlagen, die keiner gewollt hat.
Einfach genial.”
“Das hängt auch damit zusammen, daß Ministerin
Bagnold, die ja für eine Entschärfung der Gesetze gegen
böse Zauberwesen eintreten wollte, im September sowieso
zurücktritt und ein neuer Minister gewählt wird. Man weiß
nicht, wer es sein soll”, sagte Bruster.
“Crouch ist es nicht, nach der Kiste mit seinem Sohn”,
sagte Mortimer. “Dann können es noch dieser Cornelius Fudge
sein, Madame Bones oder eben Dumbledore. Aber der hat sich mit diesem
Selbsthinhänger schön aus der Schlinge gezogen, Minister
werden zu müssen. Wenn diese Sabberhexen nicht von sich aus
hinter Jungen von uns her gewesen wären, hätte ich fast den
Verdacht, Dumbledore hätte das eingefädelt, um sich aus dem
Ministeramt herauszuhalten.”
Dina mußte zu Madame Pomfrey und bekam von dieser
Seelenberuhigungstränke verschrieben. Aurora tröstete sie,
daß Roy bestimmt nicht untreu geworden sei, weil dieses
grüngesichtige Geschöpf ihn ja hatte benebeln müssen.
dina wußte nicht, ob das mit Roy wieder so werden würde
wie früher. Doch andererseits konnte sie ihm unmöglich
vorwerfen, sich darauf einzulassen.
Dann war da noch der Besuch von Erica Fielding, die zusammen mit
einem Ehepaar zu Dumbledore kam. Der Mann trug eine blaue Uniform und
wirkte sehr erzürnt, während die Frau sichtlich verängstigt
wirkte. Das waren Tims Eltern. Aurora wurde kurz zum Schulleiter
gerufen, um Erica und den Abrahams’ zu berichten, was passiert war.
“Unverschämtheit. Ich habe für meinen Sohn und alle
anderen Kinder den Kopf hingehalten, wäre fast von einer
argentinischen Mirage vom Himmel geholt worden, um dann, kaum daß
ich endlich wieder zu Hause war, zu hören, daß mein Sohn
von solchen notsüchtigen Biestern abhängig gemacht wurde,
wo Sie, Mr. Dumbledore, angeblich doch so ein mächtiger Zauberer
sind, der ja auch diesen Lord Voldemort auf Abstand halten konnte”,
tobte Mr. Abrahams.
“Commander Abrahams, ich verstehe Ihren Zorn und teile ihn
sogar, was die Angelegenheit angeht. Aber ich bin nicht
allgegenwärtig und halte meine Schüler auch nicht unter
ständiger Überwachung”, erwiderte Dumbledore. Aurora
fühlte beinahe körperlich, welche Wut diesen sonst so
ruhigen Zauberer erfüllte.
“Wir ziehen unsere Erlaubnis für dieses Höllendorf
Hogsmeade zurück”, sagte der Blauuniformierte. Seine Frau
nickte. Aurora und Erica grinsten. Immerhin würde Tim ja bald in
der weiten Welt herumlaufen und konnte auch anderswo auf Geschöpfe
wie Morpuora treffen. Außerdem war er den Zauberergesetzen nach
volljährig.
“Das steht Ihnen frei”, sagte Dumbledore nun lächelnd.
Erica Fielding meinte dann noch:
“Wann können wir die Jungen besuchen?”
“Sie, Ms. Fielding, können jederzeit mit den Heilern
sprechen. In deren Ermessen liegt es, ob sie Sie zu Ihrem Bruder
vorlassen oder nicht. Was Sie angeht, Commander Abrahams, Mrs.
Abrahams, so sind die Regeln für das St.-Mungo-Krankenhaus sehr
strickt und umbeugsam, daß dort keine nichtmagischen Personen
hineindürfen, sofern sie nicht als Opfer magischer Krankheiten
oder Verletzungen zu Patienten geworden sind”, sagte Professor
Dumbledore.
“Ihre Gesellschaft bangt um ihre Offenbarung, Professor
Dumbledore”, schnaubte Tims Vater. “Wollen Sie haben, daß
morgen das ganze britische Militär von der Existenz der
Zaubererwelt erfährt?”
“Nein, das will ich nicht. Aber Sie können mich auch
nicht erpressen, Commander”, erwiderte Dumbledore. “Erstens
bin nicht ich für die Obliegenheiten im St.-Mungo-Krankenhaus
zuständig. Zweitens sollten Sie, ein intelligenter Mann, der
einen respektablen Rang in der Marine erreicht hat, davon ausgehen,
daß sensible Institutionen Ihrer Welt von der
Geheimhaltungsüberwachung unserer Welt sorgfältig
kontrolliert werden. Riskieren Sie also bitte nicht, in eine
Geschlossene Abteilung einer Ihrer Nervenheilanstalten eingewiesen zu
werden, weil Sie behaupten, Ihr Sohn sei von grüngesichtigen
Hexen, die ohne Besen fliegen, verwünscht und vergewaltigt
worden.”
“Es stimmt, Sir, die haben Agenten in der nichtmagischen
Welt”, sagte Erica bestätigend. Commander Abrahams knurrte
zwar sehr verärgert, aber wohl eher aus Hilflosigkeit. Erica
sagte dann noch: “Ich habe Telefon und kann auch zu Ihnen
kommen, wenn ich bei Roy war und vielleicht auch was von Ihrem Sohn
mitbekomme. Ich kann ihm auch gerne was von Ihnen geben oder
ausrichten.”
“Dein Mitleid kannst du dir sparen, Mädchen”,
schnaubte Tims Vater. Doch seine Frau nickte Erica heftig zu und
sagte, daß sie dieses Angebot annehmen würden. Ihr Mann
sah sie dann zwar merkwürdig an, doch Mrs. Abrahams blickte ihn
sehr entschlossen an. Offenbar mußten der Marineoffizier und
die einfache Hausfrau klären, wer in ihrer Familie das Kommando
führte.
“Ich hoffe, Roy und Tim kommen rasch wieder zur Besinnung.
Die Therapie ist langwierig, weil die betreffenden Wesen mit ihren
Körperflüssigkeiten und Geistesunterdrückungszaubern
sehr tief in den Verstand eingedrungen sind”, erläuterte
Dumbledore, warum die Behandlung so lange und so von der Außenwelt
abgeschirmt verlaufen mußte.
“Roy muß also deprogrammiert werden, wie jemand, der
einer Sekte angehört hat und herausgeholt wurde?” Fragte
Erica. Dumbledore nickte.
“Es ist schlimmer als der Imperius-Fluch, der ja doch
irgendwann abklingen kann”, bekräftigte er seufzend. “In
der nichtmagischen Welt Pflegt man in einem solchen Fall von
Gehirnwäsche zu sprechen. Insofern wird es dauern, die
verankerten Gelüste und Unterwürfigkeiten so zu entfernen,
daß der frühere Geisteszustand wieder hergestellt werden
kann.”
“Sie hören noch von mir!” Schnaubte der
Marineoffizier und winkte seiner Frau, ihm zu folgen.
“Ich freue mich darauf”, sagte Dumbledore, nun wieder
ganz ruhig.
“Danke, Aurora, daß du meinem Bruder Hilfe besorgt
hast. Wenn das keiner mitbekommen hätte, wäre dieses grüne
Scheusal wohl sein Leben lang seine Herrin geblieben”, sagte
Erica.
“Ich konnte doch nicht so viel tun, Ms. Fielding”, sagte
Aurora. Roys Schwester grinste und meinte:
“Als ich vor einem Jahr von hier abging hieß ich noch
Erica. Ich habe kein Problem damit, wenn du mich auch weiterhin so
nennst.”
“Gut”, konnte Aurora nur dazu sagen. Dann verabschiedete
sich Erica von Dumbledore und folgte dem Ehepaar Abrahams, um mit
diesem in einem Auto des Zaubereiministeriums zurück nach London
zu fahren.
“Haben Sie keine Angst, daß Mr. Abrahams die
Geheimhaltung gefährdet?” Fragte Aurora den Direktor.
Dieser schüttelte den Kopf.
“Seit der Erfindung der Funkübermittlung wissen wir, daß
wir noch schärfer aufpassen müssen, daß die
Geheimhaltung der Zauberei nicht zunichte gemacht werden kann. Die
Zaubereiministerien aller Länder haben ihre Aufpasser und
“Feuerwehrleute” in den wichtigsten Einrichtungen wie den
Nachrichtendiensten, den Militärs und Polizeibehörden und
auch den Universitäten, wo die Frage nach übernatürlichen
Ereignissen diskutiert und nach solchen Vorkommnissen geforscht wird.
Ich kann dem also sehr sorglos entgegensehen.”
“Gut zu wissen, Professor Dumbledore. Brauchen Sie mich
noch?”
“Nein, du darfst jetzt wieder gehen”, entließ
Dumbledore Aurora sanftmütig lächelnd.
Am vorletzten Schultag bestellte Madame Hooch die
Ravenclaw-Quidditchmannschaft von 1982 in ihr Büro ein. Dort lag
ein großes Bild mit allen sieben Quidditchspielern der
Erfolgsmannschaft von 1982. Aurora nickte. Jetzt wollten sie also
diese Bilder mit ihrem Eigenleben aufwecken. Madame Hooch sagte
vorher noch:
“Unabhängig, was in den letzten Tagen passiert ist
werden alle bisherigen Eindrücke von euch auf die Bilder
übertragen. Der Zauber ist einfach. Jeder und jede von euch legt
nun die rechte Hand auf sein Bild. Ich werde dann den Zauber “Inflato
Animam” sprechen, womit das Bild nicht nur gestalterisch,
sondern auch charakterlich euer Ebenbild wird. Diese Ehre lasse ich
nur denen zukommen, die meiner Meinung nach auch entsprechende
Leistungen gebracht haben.”
Aurora machte den Anfang. Sie suchte ihr gemaltes Selbst, das noch
ganz starr und unbeweglich auf seinem Besen über dem
Quidditchfeld flog. Sie legte die rechte Hand auf das Bild. Dann
fühlte sie, wie Madame Hooch ihren Zauberstab auf dem Bildrand
aufsetzte und hörte sie murmeln: “Inflato Animam!”
Aurora meinte, etwas in ihrem Körper würde sich
strecken, prickeln und dann, wie ein warmer Hauch zwischen ihrer auf
dem Bild liegenden Hand und dem Gemälde selbst dahinströmen.
Auroras gemaltes Wesen erzitterte. Dann streckte sich die gemalte
Aurora Dawn von 1982, ihr derzeit gleichwertiges Ebenbild und begann
unter der Hand des Originals davonzufliegen, langsam zwar noch aber
zielstrebig.
Alessandro war der Nächste, der ein Fragment seines Selbst in
die gemalte Ausgabe von sich überfließen ließ. Dann
folgte Ken, dann Karin, den Bruster, Mortimer und zum Schluß
Toby Wells, der dieses Jahr ein ausgezeichneter Jäger gewesen
war. Als alle sieben Bilder ein Eigenleben besaßen, wurden sie
so schnell und beweglich wie ihre Originale, spielten die mit auf dem
Bild abgemalten Bälle und freuten sich sichtlich, daß sie
lebten. Aurora fand es unheimlich wie ihre gemalte Ausgabe herumflog
und die Doppelachsen-Manöver flog. Sie fühlte, daß es
irgendwie unheimlich aber auch erhaben war, diese belebte Abbildung
von sich in Hogwarts zu wissen.
“Ist dieses Bild für alle anderen Bilder offen?”
Fragte Alessandro. Madame Hooch nickte. Somit konnten die
Quidditchspieler früherer Mannschaften sich gegenseitig
herausfordern, ja sie konnten auch in andere Bilder von Hogwarts
hinüberfliegen.
Aurora Dawn dachte an Lady Medeas Bild. Ihr gemaltes Ich lebte nun
in derselben Welt wie die Hexenlady. Sie hoffte, die beiden würden
sich miteinander gut vertragen.
Nach dieser feierlichen Bildbelebung trafen sich die
Quidditchspieler zu einem kleinen Umtrunk in einem stillen Winkel von
Ravenclaw. Alessandro Boulder hob sein Glas Butterbier und brachte
einen Trinkspruch aus:
“Auf die Mannschaft von 1982, die beste Quidditchmannschaft,
die Ravenclaw in den letzten sechzig Jahren aufgeboten hat!”
Alle tranken ihm zu. Da sah Aurora die winzigen Tränen in
Alessandros Augen. Sie fragte ihn behutsam, was er habe.
“Mir ist jetzt erst klar geworden, daß ich übermorgen
hier raus muß. Ich habe es sieben Jahre durchgehalten, sogar
mit so Leuten wie Snape. Das geht jetzt alles zu Ende. Aber in Madame
Hooches Büro hängt jetzt ein Bild, wo ein genaues Abbild
von mir drauf ist. Wenn das gutes Öl war, dann kann das in
sechshundert Jahren hier noch hängen, vorausgesetzt, die Lehrer
nach Madame Hooch werfen keine Bilder weg. Das ist traurig, das sich
irgendwann niemand groß an mich erinnern wird, wie ich ab
übermorgen leben werde. Aber es ist schön, daß der
beste Teil von mir jetzt in Hogwarts ist und da bleibt.”
Aurora verstand, was Alessandro umtrieb. Sie dachte zwar noch
nicht so weit. Doch sie erkannte, daß sie mit dieser
Bildbelebung etwas großes geschaffen hatte, das unwichtig
wirkte und doch sehr bedeutsam werden konnte. Sie konnte sich auch
irren, und niemand interessierte sich nach ihrem Abgang für das
Mädchen, daß das Eigenbesenverbot auf den Abfallhaufen der
Geschichte geworfen hatte. Sie dachte an Leute wie die Malfoys, an
Draco, den sie als Baby gerettet hatte. in zehn Jahren würde er
hier eingeschult werden. Würden seine Eltern ihm erzählen,
daß sie ihn gerettet hatte? Wie würde er damit umgehen,
falls ja? Sie wußte es nicht. Doch vielleicht sollte sie an
Ravenclaws im allgemeinen denken, die sich bestimmt gerne erinnerten,
daß sie zweimal in Folge den Quidditchpokal gewonnen hatten.
“Ich bedanke mich bei allen, die mit mir zusammen schon unter
Kelvin Hightowers für Ravenclaw gespielt haben. Vielen Dank an
euch alle!” Sagte Alessandro noch zum Abschluß. Dann
kehrten sie in den Gemeinschaftsraum zurück.
Am Letzten Schultag verkündete Dumbledore, daß es Roy
und Tim wesentlich besser ginge. Allerdings müßten sie
noch zwei volle Wochen unter Beobachtung stehen. Dann hielt er die
letzte Ansprache des Schuljahres.
“Wir haben wieder ein Jahr überstanden. Einige werden
sagen, überlebt. Ja, das stimmt. Denn am Anfang des Jahres wußte
niemand von uns, ob er oder sie auch nur einen Monat mehr überleben
würde. Jeder hatte Angst um seine Angehörigen. Roy
Fielding, der nun bedauerlicherweise Opfer einer triebhaften Kreatur
geworden ist und daher nicht mitfeiern kann, überlebte knapp
einen der letzten großen Anschläge des bösartigen
Zauberers Lord Voldemort. Von euch haben einige Verwandte verloren,
gute Bekannte, die einem das Leben lebenswert gestaltet haben. Dann,
als wir alle dachten, die dunklen Tage würden nun nicht mehr
enden, rettete uns alle ein Umstand, den niemand, auch ich nicht,
voraussehen konnte. Lord Voldemort scheiterte bei einem tödlichen
Angriff auf den Jungen Harry Potter und verlor seine Macht. Seitdem
sind wir bestrebt, den großen Scherbenhaufen wieder aufzuräumen
und uns eine neue, vielleicht friedlichere Welt, aufzubauen. Daß
wir dabei auch vom Friedenswillen der Muggel abhängig sind hat
die Zeit zwischen April und Juni gezeigt. Die reinblütigen
Zauberer werden es nicht mitbekommen haben, aber unser Land lag mit
einem anderen Land im Krieg und hätte viele tausend Männer
verlieren können. Das es dort draußen, in der
nichtmagischen Welt immer noch Kriege gibt und sehr bedrohliche
Waffen, die unseren Planeten restlos entvölkern können,
sollte auch uns Zauberern und Hexen immer klar vor Augen stehen. Es
ist an uns, den Frieden in uns selbst zu bewahren, um den Frieden um
uns herum nicht zu gefährden. Dabei spielt es keine Rolle,
welche Abstammung jeder hier hat. Eine friedliche Welt, in der nicht
Angst und Mord, sondern Hoffnung und Lebenserhaltung die Welt in
Bewegung halten, ist ein Traum, der sich vielleicht niemals erfüllt.
Doch je mehr ihn träumen, desto schwächer wird dieses
Niemals werden.
Ich habe nun, nachdem wir alle dieses grausame, aber auch allen
Glauben an die Macht der Hoffnung zurückbringende Jahr
vollenden, die wunderbare, traditionelle Aufgabe, den Gewinner des
diesjährigen Hauspokals zu verkünden.” Dumbledore
gönnte sich eine kurze Pause. Dann sprach er weiter: “Für
Hufflepuff sieht es dieses Jahr mit dreihundertfünfzig Punkten
besser aus als oft zu vor. Ihr könnt es immer noch schaffen!
Das Haus Slytherin hat sich dieses Jahr durch einen sehr
unrühmlichen Zwischenfall selbst die Schuld an der für
seine Verhältnisse kleinen Punktzahl von dreihundertachtzig
Punkten zuzuschreiben.” Alle jubelten. Denn nun würde es
wie im Finale zwischen Ravenclaw und Gryffindor ausgehen.
“Zwischendurch war es ein regelrechtes Wetterhäuschenspiel.
Mal führte Gryffindor, mal Ravenclaw. Doch heute ist es
eindeutig. Gryffindor hat vierhundertzwanzig Punkte gewonnen.”
Die Gryffindors klatschten Beifall, jubelten aber nur verhalten.
Das Haus Ravenclaw hat dieses Jahr durch überragende
Quidditchleistungen, sowie die Hilfe einiger seiner Schüler bei
der Entscheidung um die Eigenbesenzulassung, sowie überragende
Leistungen in der Schule 590 Punkte gewonnen und ist damit Sieger des
diesjährigen Hogwarts-Hauspokals!” Nun war es amtlich. Die
Ravenclaws hielten nicht mehr an sich. Sie feierten ihre Heldinnen
und Heldenund klatschten weiterhin beifall. Aurora sah auf die Wand
über dem Lehrertisch, die von einm Banner überdeckt wurde,
auf dem der bronzefarbene Ravenclaw-Adler prangte. Jetzt war es
wieder soweit. Sie hatte hier entscheidende Dinge erlebt, shöne
und schlimme. Doch jetzt war das Jahr um, und Aurora Dawn hatte ein
zweites Mal den Quidditchpokal erringen können. Sie dachte kurz
an Roy, der nun im St.-Mungo-Krankenhaus lag, weil sie nicht schnell
genug hatte helfen können. Ja, sie wollte anderen Menschen
helfen. Das erkannte sie jetzt als ihre eigentliche Bestimmung.
Tags drauf kehrten die Schüler zu ihren Eltern zurück.
Am Morgen noch hatte Lissy Wright Aurora einen Brief mit einem
fünfzackigen Drachen unter die Nase gehalten.
“Die hat’s tatsächlich getan. Die holen mich nach
Thorntails”, hatte Lissy verächtlich gesagt. Aurora hatte
nur gesagt, daß sie dort bestimmt besser lernen könne.
Sie verabschiedete sich von Alessandro und den anderen
Quidditchkameraden, ließ es sich sogar nicht nehmen, den
Hawkins-Zwillingen viel Glück, Erfolg und Spaß in der
Neuen Heimat zu wünschen.
Als ihre Mutter sie am Bahnhof Kings Cross abholte, freute sich
Aurora schon auf die Ferien. Sie würde sie zum Teil an einem Ort
verbringen, von dem sie bis dahin nichts außer dem Namen gehört
hatte, beziehungsweise, daß es dort vor etlichen Jahrhunderten
etwas wie eine dunkle Lady, eine böse Matriarchin gegeben hatte.
Was würde ihr die Kräuterkundekonferenz in Millemerveilles
bringen? Würde es schön interessant sein oder schrecklich
langweilig? Allein diese Frage weckte in Aurora eine herrliche
Anspannung.
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