Julius Andrews - Auf seinem Weg in die Zaubererwelt by Thorsten Oberbossel
Summary:

Stell dir vor, du wächst in einer Welt auf, in der Magie, Hexen und Zauberer, Drachen und Riesen nur in Märchenbüchern vorkommen! Du lernst von deinen Eltern und Lehrern, daß nichts wirklich ist, was nicht mit naturwissenschaftlichen Methoden gedeutet werden kann. Die Welt ist für dich soweit in Ordnung. Dann bekommst du von einer merkwürdigen Stelle her einen Brief, in dem Steht, daß du als Hexe beziehungsweise Zauberer erkannt wurdest und ab dem nächsten Jahr in eine Schule für Zauberei gehen sollst. Deine Welt gerät ins rutschen, gerade dann, wenn sich herausstellt, daß die Schreiber dieses Briefes tatsächlich recht haben.

So ergeht es dem Jungen Julius Andrews, als er den Plänen seiner naturwissenschaftlich geprägten Eltern nach in ein Eliteinternat wechseln soll. Was er jedoch dann erlebt, sprengt die Grenzen der bisher für einzig richtig gehaltenen Weltanschauung seiner Eltern und ihm selbst.

Die bisherigen Stories können nach meinem Dafürhalten von LeserInnen ab zehn Jahren gelesen werden, sind jedoch nicht nur für Kinder und Jugendliche gedacht. Auch erwachsene LeserInnen sind herzlich eingeladen, diese Geschichten zu lesen und sich daran zu erfreuen.


Categories: Harry Potter Characters: Eigener Charakter
Genre: Keine
Warnung: Keine
Challenges:
Series: Keine
Chapters: 144 Completed: Ja Word count: 5611429 Read: 782480 Published: 12 Jun 2014 Updated: 12 Jun 2014
Story Notes:

Die Geschichte ist nicht von mir !

Original Autor:
E-Mail: hpfan@thorsten-oberbossel.de 
http://www.thorsten-oberbossel.de

© 2000 - 2013 by Thorsten Oberbossel

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1. HOGWARTS IST HUMBUG by Thorsten Oberbossel

2. DIE EINSCHULUNG by Thorsten Oberbossel

3. DIE NÄCHSTEN WOCHEN by Thorsten Oberbossel

4. WEIHNACHTSFERIEN by Thorsten Oberbossel

5. JAHRESAUFTAKT by Thorsten Oberbossel

6. BESUCHER ZUR OSTERZEIT by Thorsten Oberbossel

7. FRÜHLING IM ZAUBERSCHLOß by Thorsten Oberbossel

8. JAHRESABSCHLUßPRÜFUNGEN by Thorsten Oberbossel

9. JAHRESABSCHLUß by Thorsten Oberbossel

10. DER LETZTE VERSUCH by Thorsten Oberbossel

11. DAS MAGIERDORF by Thorsten Oberbossel

12. DIE KRÄUTERHEXE UND IHRE TÖCHTER by Thorsten Oberbossel

13. SPORT UND SPIEL by Thorsten Oberbossel

14. WIEGENFESTE by Thorsten Oberbossel

15. GESELLSCHAFTLICHE PFLICHTEN by Thorsten Oberbossel

16. LUFT, SONNE UND WASSER by Thorsten Oberbossel

17. ABSCHIED VON MILLEMERVEILLES by Thorsten Oberbossel

18. FERIENENDE by Thorsten Oberbossel

19. ALTES UND NEUES by Thorsten Oberbossel

20. TURNIERBEGINN by Thorsten Oberbossel

21. WEIHNACHTEN IN HOGWARTS by Thorsten Oberbossel

22. VON RIESEN, ANSTANDSHEXEN UND MEERLEUTEN by Thorsten Oberbossel

23. NEUES HEIM, NEUES GLÜCK? by Thorsten Oberbossel

24. OSTERTAGE by Thorsten Oberbossel

25. KUNST UND KÖNNEN by Thorsten Oberbossel

26. LICHT UND SCHATTEN by Thorsten Oberbossel

27. BEAUXBATONS - MILLEMERVEILLES by Thorsten Oberbossel

28. DIE GASTFAMILIE by Thorsten Oberbossel

29. DIE KLEINE PANNE by Thorsten Oberbossel

30. VON JEDEM DAS SEINE by Thorsten Oberbossel

31. DOPPELSPIELE by Thorsten Oberbossel

32. DIE LETZTE WOCHE VOR DREIZEHN by Thorsten Oberbossel

33. NETTE GÄSTE ZUM FESTE by Thorsten Oberbossel

34. BILDER, HÜTE UND TÄNZE by Thorsten Oberbossel

35. DIE MEISTERIN DER METAMORPHOSE by Thorsten Oberbossel

36. VERRATEN, VERRUFEN, VERTRIEBEN by Thorsten Oberbossel

37. NEUE WEGE by Thorsten Oberbossel

38. SCHULJAHRESANFANG by Thorsten Oberbossel

39. ARBEITSZEIT UND FREIZEITARBEIT by Thorsten Oberbossel

40. DER NEUE BESEN by Thorsten Oberbossel

41. SUB ROSA by Thorsten Oberbossel

42. FAST SO WIE FRÜHER by Thorsten Oberbossel

43. FEUER UND WASSER by Thorsten Oberbossel

44. SCHWARZER SCHOPF UND GOLDENER SCHWEIF by Thorsten Oberbossel

45. ELTERNSPRECHTAG by Thorsten Oberbossel

46. DER OSTERKNIESEL by Thorsten Oberbossel

47. WALPURGISNACHT by Thorsten Oberbossel

48. SPIELE DES LEBENS by Thorsten Oberbossel

49. DAS INTRAKULUM by Thorsten Oberbossel

50. GALERIE DES GRAUENS by Thorsten Oberbossel

51. DIE GRÜNDUNGSMUTTER by Thorsten Oberbossel

52. HOHE ANFORDERUNGEN by Thorsten Oberbossel

53. ENDE UND ANFANG by Thorsten Oberbossel

54. EIN DRACHE IM STROHLAGER by Thorsten Oberbossel

55. BEGEGNUNGEN DER DRITTEN ART by Thorsten Oberbossel

56. TANZ AUF ZWEI HOCHZEITEN by Thorsten Oberbossel

57. AUDIENZ UM MITTERNACHT by Thorsten Oberbossel

58. SPURENSUCHE by Thorsten Oberbossel

59. WIEDERSEHEN by Thorsten Oberbossel

60. EIN HOHER PREIS by Thorsten Oberbossel

61. NACHSPIEL by Thorsten Oberbossel

62. TRAUER UND FREUDE by Thorsten Oberbossel

63. DAS SONNENBLUMENSCHLOß by Thorsten Oberbossel

64. DIE BINDUNG by Thorsten Oberbossel

65. GREGORIANS BILD by Thorsten Oberbossel

66. DAS SIEGEL DER HERRSCHERIN by Thorsten Oberbossel

67. AMMAYAMIRIA by Thorsten Oberbossel

68. MILLIES OMA UND ANDERE by Thorsten Oberbossel

69. DER CLUB DER GUTEN HOFFNUNG by Thorsten Oberbossel

70. GOLDSCHWEIFS KINDER by Thorsten Oberbossel

71. OPERATION REICHENBACH by Thorsten Oberbossel

72. JUBELFEST IN MILLEMERVEILLES by Thorsten Oberbossel

73. DER SEGEN DER HIMMELSSCHWESTER by Thorsten Oberbossel

74. GESELLSCHAFTLICHES NEULAND by Thorsten Oberbossel

75. DAS ZWEITE MAL by Thorsten Oberbossel

76. FERIENTAGE IN VIENTO DEL SOL by Thorsten Oberbossel

77. POKAL UND FEST by Thorsten Oberbossel

78. LETZTE EHRE by Thorsten Oberbossel

79. DER FALL RUMPELSTILZCHEN by Thorsten Oberbossel

80. DIE KUH UND DER KIRSCHBAUM by Thorsten Oberbossel

81. DER LOTSENSTEIN by Thorsten Oberbossel

82. DAS GLÄSERNE KONZIL by Thorsten Oberbossel

83. OMA UND ENKELIN by Thorsten Oberbossel

84. BRITTANYS PREMIERE by Thorsten Oberbossel

85. ZU BESUCH BEI DEN REDLIEFS by Thorsten Oberbossel

86. DIE ANTWORTEN AUF SIEBEN FRAGEN by Thorsten Oberbossel

87. DIE EISERNE JUNGFRAU by Thorsten Oberbossel

88. FOCUS AMORIS by Thorsten Oberbossel

89. DIE ALTEN STRAßEN by Thorsten Oberbossel

90. DIE RÜCKKEHR DER ROSE by Thorsten Oberbossel

91. INVASIONSVERSUCH by Thorsten Oberbossel

92. HERBSTSTÜRME by Thorsten Oberbossel

93. UMBRIDGES ULTIMATUM by Thorsten Oberbossel

94. DIE DIDIER-DOKTRIN by Thorsten Oberbossel

95. KRIEGSRECHT UND FRIEDENSLAGER by Thorsten Oberbossel

96. DIE SÄULEN DER GRÜNDER by Thorsten Oberbossel

97. DER GEGENMINISTER by Thorsten Oberbossel

98. FLUCHTHILFE by Thorsten Oberbossel

99. DIE HIMMELSBURG by Thorsten Oberbossel

100. DRACHE UND BASILISK by Thorsten Oberbossel

101. BLUTSGESCHWISTER by Thorsten Oberbossel

102. FRÜHLINGSBOTSCHAFTEN by Thorsten Oberbossel

103. DER GANZ NORMALE ZAG-STRESS by Thorsten Oberbossel

104. BERATUNGEN UND VORHABEN by Thorsten Oberbossel

105. ZEUGEN DER ANKLAGE by Thorsten Oberbossel

106. DIE MALFOYS UND DIE CARROWS by Thorsten Oberbossel

107. DER APFEL DES LEBENS by Thorsten Oberbossel

108. PARTNERGEMEINDEN by Thorsten Oberbossel

109. VOM FLIEGEN UND SPRINGEN by Thorsten Oberbossel

110. SCHÜLER UND LEHRER by Thorsten Oberbossel

111. SERENAS KUMMER by Thorsten Oberbossel

112. ZURÜCK AUF DEN BESEN by Thorsten Oberbossel

113. GRÜßE AUS ÜBERSEE by Thorsten Oberbossel

114. DIE DIENER DES SCHÖPFERS by Thorsten Oberbossel

115. FAMILIENZUWACHS by Thorsten Oberbossel

116. BRITTANYS BRAUTSTRAUß by Thorsten Oberbossel

117. HOSPITANTEN by Thorsten Oberbossel

118. DIE LETZTEN SPIELE by Thorsten Oberbossel

119. SCHLIMMER ALS ZEHN DRACHEN by Thorsten Oberbossel

120. FREUNDE UND VERWANDTE by Thorsten Oberbossel

121. ERÖFFNUNGSSPIELE by Thorsten Oberbossel

122. ABSEITS DER STADIEN by Thorsten Oberbossel

123. SCHAULAUF by Thorsten Oberbossel

124. DIE LETZTEN VIER by Thorsten Oberbossel

125. FINALE UND FINSTERNIS by Thorsten Oberbossel

126. EIN NEUER JAHRGANG by Thorsten Oberbossel

127. AUF INS LETZTE JAHR by Thorsten Oberbossel

128. DIE NEUAUFLAGE by Thorsten Oberbossel

129. DER WÜRFEL DER WIRRSAL by Thorsten Oberbossel

130. BALLNACHT IN BEAUXBATONS by Thorsten Oberbossel

131. BÖLLER, BÄUCHE, BESTIEN by Thorsten Oberbossel

132. STOLZE MÜTTER by Thorsten Oberbossel

133. VORLAUF by Thorsten Oberbossel

134. VITA NOVA by Thorsten Oberbossel

135. DIE WEGWEISENDEN PRÜFUNGEN by Thorsten Oberbossel

136. DIE TORE DES RUHMES by Thorsten Oberbossel

137. DURCH DIE TÜR ZUR WEITEN WELT by Thorsten Oberbossel

138. FEIERN UND FORSCHEN by Thorsten Oberbossel

139. DER STILLE DIENST by Thorsten Oberbossel

140. DIE SCHLAFENDE SCHLANGE by Thorsten Oberbossel

141. DER LETZTE DER GROßEN FÜNF by Thorsten Oberbossel

142. DIENSTREISEN by Thorsten Oberbossel

143. DAS KLEID UND DER TÄNZER by Thorsten Oberbossel

144. DAS VERMÄCHTNIS DER ZWEI SCHWESTERN by Thorsten Oberbossel

HOGWARTS IST HUMBUG by Thorsten Oberbossel

Das wütende Gebrumm war schon zu hören, bevor der kleine Junge die morsche Kellertreppe hinuntergestiegen war. Ihm klopfte das Herz bis zum Hals. Seine Freunde hatten ihn dazu überredet, in den verlassenen Keller der Sandersons einzusteigen, um nach alten Klamotten zu suchen, die dort vielleicht vergessen worden waren.

Der Junge erreichte das untere Ende der schaurig knarrenden Treppe. Das wütende Gebrumm wurde immer lauter. Der Junge war einen Moment lang entschlossen, wieder umzukehren, denn das fremde Geräusch machte ihm doch Angst. Doch dann trat er vorwärts, in den ersten Kellerraum hinein - und da kamen sie über ihn! Hunderte von Wespen surrten aus einem Spalt an der Decke heraus und griffen den Eindringling an, der es gewagt hatte, sich ihnen zu nähern. Der Junge schrie, als ihm der wütende Schwarm um Augen und Ohren wirbelte. Schmerzhafte Stiche trafen ihn im Gesicht und an Armen, Händen und den halbnackten Beinen. Der Junge floh in heller Panik aus dem Raum, stürzte auf die Treppe, robbte nach oben. Immer noch flogen die aufgescheuchten Insekten um ihn herum, stachen ihn. Fast ohnmächtig vor Angst und Schmerz schaffte es der Gepeinigte, das obere Ende der Treppe zu erreichen. Die Stiche an den Händen und Beinen jagten pochende Wellen aus Schmerz durch seinen kleinen Körper. Hinter sich hörte er immer noch das wilde Gebrumm der aufgeregten Wespen. Dann hörte er noch ein Geräusch, das ihm noch mehr Angst einjagte. Knirschend, knisternd und Krachend begann die Kellerdecke herabzubrechen. Steinchen und Staub regneten auf den gestochenen Jungen herab. Die erregten Wespen schwirrten noch wilder die Treppe hinauf. Sie wirbelten als summende und brummende Wolke aus kleinen schwarz-gelb geringelten Tierchen um den Jungen herum und über ihn hinweg ins Freie. Einige Wespen stachen noch einmal zu und trieben den Jungen, der nur einmal nachsehen wollte, was in dem alten Keller noch zu entdecken sei, ohne Sinn und Verstand hinaus in die helle Nachmittagssonne. Er sah durch die tränenden Augen seine beiden Freunde, Malcolm und Lester. Diese schrien in Panik und schlugen um sich, als der herausgejagte Wespenschwarm sie umsurrte. Dann griffen sie ihren Freund bei den Armen und zogen ihn mit sich. Dann brach der alte Keller zusammen und schleuderte eine riesige Wolke aus weißgrauem Steinstaub heraus. Das Haus erzitterte und drohte, ebenfalls zusammenzustürzen. Doch davon bekam der Junge nichts mehr mit, denn unvermittelt stürzte er in eine bodenlose Tiefe und wurde von Schwärze und Stille umfangen.

Schwer atmend, schweißgebadet, fand sich Julius Andrews in seinem Bett wieder. Er hatte nur geträumt. Zum x-ten Mal hatte er die schreckliche Sache von vor sieben Jahren geträumt, wie er mit seinen Freunden Malcolm und Lester in der alten Sanderson-Ruine nach Abenteuern gesucht und dabei mehrere Dutzend Wespenstiche abbekommen hatte, bevor der verrottete Keller über ihm zusammenzustürzen begann und er gerade noch ins Freie kam.

Seit diesem entsetzlichen Vorfall, der außer der schlimmen Erinnerung keine Spuren hinterlassen hatte, mußte Julius sich langsam daran gewöhnen, im Sommer Insekten zu hören oder zu sehen, egal ob es eine Stubenfliege oder eine Hornisse war. Mit den Jahren hatte er es geschafft, ruhig zu bleiben. Doch zwischendurch kam immer wieder dieser Alptraum.

 

__________

Julius Andrews war eigentlich ein völlig normaler Junge. Er spielte mit Gameboys, verehrte Action-Comics und schwärmte für amerikanische Rap-Musik. Er besaß kurzes blondes Haar und hellblaue Augen. Meistens lief er in ordentlichen Anzügen herum, die nicht nur er als spießig empfand. Seine Eltern wollten jedoch einen korrekten Jungen aufziehen. Das lag wohl nicht zuletzt daran, daß sein Vater Richard Forschungsdirektor einer Kunststofffabrik mit Verwaltungssitz in London war. Er besaß einen Doktortitel in Chemie und hatte ein hohes Einkommen, was sich auch an dem großen, jedes Jahr neu gestrichenen Haus in einem der Nobelvororte Londons und an einem großen grauen Bentley zeigte. Julius' Mutter Martha arbeitete als Programmiererin bei einer internationalen Handelsorganisation und beschäftigte sich hauptsächlich mit Schach, Problemen der Mathematik und liebte die Musik von Bach. Beide Eltern standen mit ihren Füßen fest auf dem Boden der wissenschaftlichen Exaktheit und Fakten. Wenn ein Freund von Julius mal zu Besuch kam und von seiner Vorliebe für Märchen und Fabeln berichtete, führte dies meistens dazu, daß Julius' Vater seinem Sohn den weiteren Umgang mit diesem "Phantasten" verbot.

"Ich habe dir schon mit zwei Jahren beigebracht, daß es weder Gespenster, noch Hexen, noch Drachen oder Zauberer gibt. Die einzigen sogenannten Zauberer sind Taschenspieler. Hexen nennt man böse Frauen wie Mrs. Crocker und Drachen sind nur Papierflieger. Jeder, der meint, was anderes behaupten zu müssen, sollte seinen Geisteszustand prüfen lassen oder geht davon aus, daß andere Idioten sind."

Julius mußte deswegen seine AD&D-Spielfiguren, die er im Austausch mit Hulk-Comics bekam, immer wieder verstecken. Er glaubte zwar auch nicht an Zauberei, die wirklich mit überirdischen Sachen zu tun hatte, aber sah es auch nicht ein, weshalb sein Vater ihm das träumen von Abenteuern verbieten sollte. Hinzu kam, daß er in der Schule nicht gerade Spitzennoten bekam und meistens mit Jungen herumzog, die ihm nachliefen, weil er ein Talent zu gut durchdachten Streichen besaß.

Als Julius am 12. Juli von einem Fußballspiel zurückkehrte, offenbarte ihm sein Vater:

"Auch wenn Professor Dampsey mich davon abzubringen versucht hat, haben Mutter und ich beschlossen, dich doch nach Eton zu schicken, damit du endlich von diesen Lausbubenflausen kuriert wirst und was lernst, was deine Zukunft stabilisiert. Um die Aufnahmeprüfungen zu schaffen, kommt demnächst ein Nachhilfelehrer vorbei, um dich auf den richtigen Wissensstand zu bringen."

"Warum ausgerechnet dahin, wo die königliche Familie ihre Kinder hinschickt? Da gibt's doch nur eingebildete Typen", erwiderte Julius. Doch sein Vater sah ihn streng an und meinte:

"Die haben wichtige Eltern. Du bist auch wichtig."

"Ja, aber du hast immer gesagt, nicht deine Herkunft zählt, sondern deine Arbeit", antwortete Julius genervvt. Seine Mutter sagte dazu:

"Das ist richtig. Aber in unserer Gesellschaft laufen genug Idioten herum, denen Äußerlichkeiten und Herkunft wichtiger sind. Das gilt auch für Firmenchefs."

"Ach ja, und der Sohn eines Direktors muß natürlich auf eine Superschule!" Maulte Julius, der sich ausmalte, wie seine nächsten sieben Jahre aussehen würden. Kein Herumziehen mit normalen Typen, keine Fußballspiele ohne Aufsicht oder Raufereien ohne Bestrafung.

Seine Eltern hatten sich nicht auf eine Diskussion eingelassen und ihn auf sein Zimmer geschickt.

Einige Tage später, der neue Nachhilfelehrer stellte fest, daß Julius Andrews ein hervorragendes Gedächtnis besaß und sich einmal richtig gelernte Sachen gut merken konnte, landeten zwei merkwürdige Briefe im etwas protzigen roten Briefkasten der Andrews'. Auf einem prangte ein merkwürdiges Wappen, ein H, das von einem Löwen, einem Dachs, einem Adler und einer Schlange umringt war. Darunter stand die Adresse:

 

Julius Andrews
das große Zimmer im ersten Stockwerk
Winston- Churchill-Straße 13
London

Sein Vater hatte einen ähnlichen Briefumschlag aus dem Postkasten gefischt. Die Umschläge sahen aus wie Pergament, wie es im Mittelalter verwendet wurde. Die Adressen waren mit smaragdgrüner Tinte geschrieben.

"Was soll denn das sein?" Grummelte Richard Andrews und öffnete den an ihn adressierten Umschlag. Julius ging mit seinem Umschlag in die Küche, wo im Moment niemand war. Als er von draußen einen Fluch hörte, zuckte er zusammen, wobei ihm zwei Pergamentseiten entfielen, die er gerade aus dem Umschlag gezogen hatte.

"Das ist doch wohl nicht wahr!" Bellte Richard Andrews. Julius hob eine Pergamentseite vom Boden auf und las:

"Sehr geehrter Mr. Andrews,

wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu dürfen, daß Sie bei Hogwarts, der Schule für Hexerei und Zauberei angenommen worden sind. Da wir davon ausgehen müssen, daß Sie bislang nie etwas von uns oder anderen Einrichtungen der Zaubererwelt gehört haben, folgt hier eine kurze Beschreibung unserer Lehranstalt und eine Begründung für Ihre Aufnahme. ..."

Julius konnte nur lesen, daß Hogwarts angeblich ein Internat für angehende Hexen und Zauberer sei und es entgegen allen Berichten nichtmagischer Menschen doch Zauberer und Hexen gebe und er, Julius Andrews, als einer von ihnen erkannt worden sei. Dann stürzte sein Vater in die Küche und entriß seinem Sohn die Pergamentseiten.

"Lies das nicht weiter. Das ist der hirnverbrannteste Unsinn, den uns jemals jemand aufgenötigt hat. Die schreiben dir so einen Brief und mir auch. Bei mir steht drin, daß ich Vorkehrungen treffen möge, dich einer Bande von sogenannten Zauberern zu übergeben, damit sie dir bei dem Erwerb deiner Schulsachen behilflich sein sollen. Diese Verrückten besitzen sogar die Frechheit, zu behaupten, daß unsere Wissenschaft unvollständiger Unsinn sei, der die wirkliche Welt aussperre. Das müssen Psychopathen sein, oder Sektenleute. Auf jeden Fall scheinen diese Leute gefährlich zu sein."

"Zauberer gibt's doch nur im Zirkus", wandte Julius ein und erntete ein erleichtertes Kopfnicken seines Vaters.

"Genau. Diese Zauberer sind eigentlich Trickbetrüger, Taschendiebe und Täuscher, die mit Ablenkungsmanövern und schnellen Manipulationen arbeiten. Ich gehe davon aus, daß sich da jemand einen Jux erlaubt hat, den ich nicht spaßig finden kann."

"Wieso, was schreiben die denn bei dir?" Wollte Julius wissen.

"Das hat dich nicht zu interessieren!" Knurrte Richard Andrews und sammelte die befremdlichen Pergamentseiten und den Umschlag für Julius ein. Dann verschwand er im Keller, wo er aus Zerstreuungsgründen ein kleines Labor unterhielt. Er warf die Pergamente in einen Brennofen und ließ sie darin zu Asche zerfallen.

Julius selbst legte sich am Abend mit einem merkwürdigen Bauchgrimmen zu Bett und konnte nicht einschlafen. Er hörte, wie sich seine Eltern im unter seinem Zimmer liegenden Wohnzimmer unterhielten. Martha Andrews sagte gerade laut:

"Weißt du, was ich denke, Richard. Da hat irgendein Scherzbold das Internet nach kuriosen Unfällen und sonstigen Ereignissen durchforstet und sich überlegt, denen, die häufiger als eine von ihm festgelegte Zahl in derartige Sachen verwickelt waren, diese Briefe zu schreiben. Der oder die haben die Datenbanken geknackt und nach Kindern gesucht, die vor dem Wechsel auf eine höhere Schule stehen."

"Das ist illegal, Martha", warf Julius' Vater ein und sprach weiter:

"Das sind Hacker. Aber ich sehe nicht ein, wieso ich jetzt die Polizei rufen sollte. Ich habe die Dinger verbrannt. Wahrscheinlich haben wir Ruhe."

"Das wollen wir mal hoffen. Meistens lassen diese Leute andere in Ruhe, wenn diese nicht auf sie reagieren. Wir hatten doch in der Firma auch soetwas. Da hat einer die Speisepläne der Kantine aus dem Verwaltungscomputer gezogen und daraus eine Internetseite gebastelt, mit kulinarischen Tips und Adressen. Solange die keine wirklich brisanten Daten finden können, sind die Leute harmlos."

"Ja, denke ich auch. Es sei denn, Martha, es ist eine Sekte, die nach der von dir beschriebenen Methode neue Jünger aussucht und ihnen einzureden versucht, daß sie Hexen und Zauberer sind. Manche Eltern fallen darauf herein, schicken ihre Kinder irgendwo hin und zahlen eine horrende Gebühr. Wenn sie Glück haben, kommen die Kinder zurück und sagen, daß man sich doch wohl geirrt hat. Es wäre aber schlimmer, wenn sie dort, wo immer sie hinkommen, durch Gehirnwäsche manipuliert werden. Wenn also noch so ein Pseudobrief hier eintrifft, hole ich die Polizei."

"Wo kamen denn die Briefe überhaupt her, Richard?" Hörte Julius seine Mutter eine sehr wichtige Frage stellen. Denn er hatte keinen Poststempel und keine einzige Briefmarke auf dem Umschlag finden können.

"Hmm, weiß ich nicht. Ich habe keine Briefmarke oder einen Poststempel gesehen", sprach es Richard Andrews aus.

"Dann ist es ein dummer Streich von Jungen, die sich für große Computerhelden halten. Die trieben irgendwo pergamentartiges Papier auf, beklecksten es mit einer tintenähnlichen Farbe und warfen die Dinger dann direkt ein", meinte Martha. "Vielleicht solltest du morgen fragen, ob jemandem wer aufgefallen ist."

"Gute Idee, Martha", erwiderte Julius' Vater beruhigt. Julius wußte, daß sein Vater immer froh war, eine so logisch denkende Frau zu haben.

Julius konnte nicht einschlafen. Er stand um Mitternacht auf. Seine Armbanduhr zeigte an, daß er vor genau einer Minute in seinen 11. Geburtstag hineingekommen war. Man schrieb den 20. Juli 1993. Er öffnete das große Fenster, um frische Luft zu schnappen. Dabei fiel ihm eine kleine Gestalt auf der ordentlich gemähten Vorgartenwiese auf. Er sah genauer hin und entdeckte eine Katze, die ein selbst bei Dunkelheit zu erkennendes Tigermuster besaß. Sie kauerte auf der Wiese und sah zunächst zum Wohnzimmer, dann zu Julius hinauf. Dann wandte sie sich um und huschte lautlos davon.

 

 

Julius verbrachte einen sehr durchschnittlichen Geburtstag. Außer Moira, seiner Grundschulfreundin, die ein As in Geschichte und Naturkunde war, durfte niemand zu ihm, weil sein Vater davon ausging, daß die Jungen der Bubble-Gum-Bande" nichts für einen hoffnungsvollen Eton-Schüler waren. Mit Moira probierte er seinen neuen Computer mit Internetanschluß aus. Irgendwann erzählte er Moira von dem merkwürdigen Brief und brachte sie zum lachen. Dann meinte sie:

"Vielleicht waren es Lester und Malcolm. Die wollten deinen Vater so richtig ärgern. Oder glaubst du, sonst könnte wer herauskriegen, wo dein Zimmer liegt?"

"Natürlich!" Grinste Julius. "Als Paps sie abgebürstet hat, weil wir meinen Chemiebaukasten zur Herstellung von Schwefelwasserstoff benutzt haben, haben sie doch den Schwur der baldigen Rache gesprochen und sich verzogen."

"Richtig. Und ihr Bubble-Gums seid eben ehrenwerte Lausbuben. Es geschehe, wie es gesagt wurde! Abracadabra!"

Beide lachten über diese alte Zauberformel, weil sie als Schlußpunkt gut geeignet war. Doch mehr war zu Julius' 11. Geburtstag nicht zu berichten.

Abends durfte Julius seine Schulfreundin mit dem Fahrrad nach Hause begleiten. Dabei stießen sie auf besagte Lester und Malcolm aus der Bubble-Gum-Bande. Lester war ein stämmiger Zwölfjähriger mit pechschwarzem Haar, einer Stubsnase und graublauen Augen. Malcolm war etwas schmächtiger, trug einen zerzausten braunen Haarschopf und hatte leicht abstehende Ohren. Seine himmelblauen Augen wirkten immer so, als lauerten sie auf eine Gelegenheit, einen Streich zu spielen.

Die beiden taten empört, daß sie nicht eingeladen worden waren, lachten dann aber und schenkten Julius einen Feuerwerkskörper, der beim Abbrennen bunte Ringe in die Luft sprühen würde.

"Den schmuggel ich Paps ins Labor. Wenn der ein Experiment macht und ihm das Ding um die Ohren saust, glaubt der noch an Zauberei", lachte Julius. Malcolm zog eine Zuckerstange aus seiner rechten Hosentasche und schwang sie wie einen Zauberstab. Dabei murmelte er unverständliches Zeug.

Julius nahm dieses Theater zum Anlaß, von diesen merkwürdigen Briefen zu erzählen. Dann nahm er die Zuckerstange und sagte:

"Hokuspokus Omnibus und Lokus." Alle lachten darüber.

Als Malcolm etwas um seine Beine streichen fühlte, zuckte er zusammen. Dann sah er eine getigerte Katze, die schnurstracks auf Julius zulief. Dieser sah, daß das Tier merkwürdige viereckige Zeichnungen um seine Augen besaß und irgendwie so wirkte, als sehe sie ihn streng an.

"Straßenviech! Hau ab!" Stieß Lester aus und holte mit dem rechten Fuß aus, um die Katze zu treten. Moira ging dazwischen und meinte:

"Gegen Streiche habe ich ja nichts. Aber du trittst hier kein wehrloses Tier."

"Ach du liebe Güte, die Tierfreundin spricht", flötete Malcolm gehässig. Lester ließ das Bein wieder sinken, während die Katze sich ohne Scheu auf Julius' linken Fuß legte.

"Woher kennst denn du das Vieh?" Wollte Malcolm wissen und trat näher an seinen Schulfreund heran.

"Frag die Katze! Ich kenne sie nicht."

"Flohsack! Mach, daß du Land gewinnst!" Gab Lester drohend von sich und holte eine Knallerbse aus seiner Hosentasche. Er warf sie der Katze vor die Nase und guckte dumm, als sie ohne zu explodieren auftippte und dann harmlos davonrollte."

"Mann, was war denn das für ein Blindgänger?" Knurrte Malcolm. Die Katze blieb ruhig liegen.

"Dein Vater hat diese Briefe verbrannt?" Fragte Lester. Julius antwortete mit einem kurzen Nicken. Er glaubte nicht, daß die Beiden soviel Aufwand trieben, ohne beobachten zu können, was bei einem Streich passierte.

"Was stand denn da noch so drin?"

"Weiß ich nicht, Lester. Paps hat mir die komischen Pergamentdinger weggenommen. Vielleicht stand da was drin, welchen Zauberspruch ich lernen muß, um dieses abgedrehte Hogwarts zu erreichen. Sowas wie ""Scotty, beam mich rauf!"" Wieder lachten alle. Dann merkte Julius, wie ihm die auf dem Fuß liegende Katze kurz mit einer Tatze ins Hosenbein hieb, bevor sie aufsprang und davonhuschte.

"Weg ist das Biest. Vielleicht war es ja ein Hexentier", grinste Lester und warf noch eine Knallerbse. Diese zersprang mit lautem Knall, mindestens 20 m weit entfernt.

Julius dachte zunächst, sein Vater würde sich nur darüber ärgern, daß er zehn Minuten nach der erwarteten Zeit nach Hause gekommen war. Doch als er ins Wohnzimmer trat, sah er, wie seine Mutter gerade einen Stapel Briefumschläge zusammenpackte und in einen großen Müllsacck stopfte.

"Ich habe die Polizei gerufen, als mir diese lächerlichen Schreiben hier vor die Tür geworfen wurden. Ich habe mich sogar mit dem Chef von Scotland Yard höchstpersönlich verbinden lassen. Der sagte mir doch glatt, daß diese Schreiben in den letzten Monaten häufiger an Kinder und Jugendliche geschickt wurden, die über Computer in irgendwelchen Interessenforen zu den Themen Fantasy-Spiel und Hexerei etwas geschrieben haben", schnaubte Richard Andrews.

"Soetwas habe ich aber nicht getan, Paps", beteuerte Julius, der darum kämpfte, ruhig zu bleiben.

"Wie dem auch sei, die Herren Beamten sehen es als unnötigen Zeitvertreib an, zu klären, woher diese Briefe kommen und von wem", sagte Julius' Vater in gereiztem Tonfall. "Und dafür zahlen wir auch noch Steuern", schimpfte er dann noch und nahm seiner Frau den Müllsack ab.

"Willst du den Krempel verbrennen?" Wollte Julius wissen.

"Sicher doch. Oder denkst du, ich ließe zu, daß irgendein Müllfahrer diese Unmenge findet und sich darüber amüsiert, mit welchem Schwachsinn unsereins heute bombardiert wird", Polterte Richard Andrews.

"Und du glaubst nicht mehr, daß es eine Sekte oder dergleichen ist, Paps?" Hakte Julius nach.

"Sicher glaube ich das noch. Allerdings sind das dann Leute, die völlig anders vorgehen, als bisher bekannte Gruppen, um ein neues Mitglied zu werben", erwiderte Richard Andrews.

"Aber irgendwem ist es nicht zu schade, Pergamentpapier zu verschwenden, nur um mich zu erreichen", stellte Julius fest, als er den prallen Müllbeutel ansah.

"Das wollen sie dir glauben machen", sagte Julius' Vater verärgert. Doch Martha Andrews nickte leicht, als würde sie genau dasselbe denken, wie ihr Sohn. Julius sagte dann noch:

"Dann wollen wir mal hoffen, daß die jetzt genug haben."

Julius ging in sein Zimmer hinauf und setzte sich an den Schreibtisch. Dann erst sah er die vier Pergamentumschläge, die unter dem Fenster auf dem Boden lagen. Das Fenster war nur einen schmalen Spalt hochgeschoben, um frische Luft einzulassen. Sofort tauchte der Junge nach den verstreuten Umschlägen und prüfte nach, ob sie alle die gleiche Anschrift und den gleichen Absender trugen. Alle Vier wiesen das fremdartige Siegel und die smaragdgrüne Tintenschrift auf.

"Damit haben sie nicht gerechnet", dachte Julius und schmunzelte. Denn seine Eltern, die wohl nur die Briefe aufgelesen hatten, die vor der Haustür verteilt lagen oder im Briefkasten gelandet sein mußten, hatten nicht daran gedacht, sein Zimmer zu durchsuchen. Aber wer hatte so unbemerkt vier Briefe durch sein Fenster einwerfen können? Derjenige mußte ja gut klettern können oder gar geflogen sein, dachte Julius. Hinzu kam, daß der merkwürdige Briefbote genau wußte, welches Zimmer er bewohnte. Nun aber, da er schon einmal vier Briefe bei sich hatte, überkam ihn die Neugier, endlich einen davon richtig zu Ende zu lesen. Er versteckte zwei der Umschläge in einer Schublade mit alten Schulheften, die er deshalb behalten wollte, weil dort alte Liedertexte drinstanden, die er im Musikunterricht aufgeschrieben hatte. Einen Umschlag legte er wieder unters Fenster, so als habe er ihn noch nicht gefunden. Einen Umschlag öffnete er und zog drei Pergamentseiten heraus. Auf der oberen stand geschrieben:

 

 

 

"Sehr geehrter Mr. Andrews,

wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu dürfen, daß Sie bei Hogwarts, der Schule für Hexerei und Zauberei angenommen worden sind. Da wir davon ausgehen müssen, daß Sie bislang nie etwas von uns oder anderen Einrichtungen der Zaubererwelt gehört haben, folgt hier eine kurze Beschreibung unserer Lehranstalt und eine Begründung für Ihre Aufnahme.

Entgegen der Ihnen durch Ihre Umgebung vermittelten Meinung und Weltanschauung existieren auf diesem Planeten sehr wohl Menschen mit magischen Talenten, die wie Mitglieder der Ihnen vertrauten technischen Zivilisation dazu ausgebildet werden, ihre Fähigkeiten zu erweitern und zu beherrschen. Nun kommt es normalerweise nicht vor, daß ein Mensch, der aus einer Familie von nichtmagisch begabten Menschen abstammt, derartige Fähigkeiten mitbringt. Jedoch gibt es wenige Ausnahmen, wo Kinder geboren werden, bei denen sich im Verlauf der ersten zehn Lebensjahre Ansätze zur Befähigung als Hexe oder Zauberer herausbilden, obwohl sie keinen direkten Verwandten mit magischen Fähigkeiten vorweisen können. Durch Ereignisse, die sich in Ihrer frühen Kindheit zutrugen, wurde unser Ministerium für Zauberei auf Sie aufmerksam und trat an uns heran, zu prüfen, ob Sie die Grundlagen für die Aufnahme in unsere Lehranstalt mitbringen. Wie oben erwähnt fiel das Ergebnis vollwertig positiv aus. Deshalb noch einige Anmerkungen zu unserer Lehranstalt:

Hogwarts wurde vor tausend Jahren begründet und hat sich der Ausbildung von Kindern verschrieben, die der Zauberei mächtig sind. In allen relevanten Bereichen der Magie, wie Zauberrtrankbrauerei, Verwandlung, Verteidigung gegen schwarzmagische Erscheinungsformen, Zauberpflanzen und -kräuter, sowie der Zauberkunst, welche im wesentlichen die Bezauberung von toter und lebender Materie beinhaltet, werden in Hogwarts unterrichtet. Die Ausbildung beginnt nach Vollendung des elften Lebensjahres oder wenn festgestellt wurde, daß die Grundschulausbildung abgeschlossen wurde und erstreckt sich über sieben Klassen. Wie im nichtmagischen Schulsystem beinhaltet die Ausbildung in Hogwarts zwei Hauptprüfungen, der ZAG (Zauberergrad) bei beendigung der fünften und dem UTZ (Unheimlich toller Zauberer) bei beendigung der siebten Klasse.

Die Unterbringung erfolgt in vier Häusern, die nach einem erst bei Ihrer Einschulung erläuterten Verfahren belegt werden. Neben der Bibliothek stehen den Schülerinnen und Schülern die allgemeinen Aufenthaltsräume, sowie Flugbesen für Trainingsflüge zur Verfügung. Weitere Materialien, wie die Schulausrüstung, müssen selbst bezahlt werden. Näheres hierzu auf der beigefügten Liste. Die grundfinanzierung jedes Schuljahres kann sofort oder jedes Jahr neu getätigt werden. Ihre Eltern erhalten Parallel zu dieser Mitteilung eine entsprechende Auflistung.

Das Schuljahr beginnt am 1. September. Sicherlich sind noch viele Fragen offen. Daher teilen wir Ihnen mit, daß Sie am 22. Juli Gelegenheit erhalten werden, mit der stellvertretenden Schulleiterin von Hogwarts zu sprechen, die Sie um fünf Uhr nachmittags besuchen möchte.

mit freundlichen Grüßen

Im Auftrag: Lorna Oaktree: Leiterin des Sekretäriats für die
Einschulung von Kindern aus nichtmagischen Familien.

Anlage: 1 Liste der benötigten Schulbücher und Ausrüstungsgegenstände
1 Liste von Vorkommnissen zur Klärung zauberischer Grundlagen
bei Julius Andrews

 

Julius stutzte. Sicher hatte er damit gerechnet, daß diese Leute ihm eine Geschichte erzählen würden, wieso man glaubte, daß er in eine merkwürdige Zaubererschule zu gehen hätte. Doch als er die Liste mit den Vorkommnissen las, die ihn als möglichen Zauberer ausweisen sollten, verschlug es ihm fast den Atem. Auf der Liste stand folgendes:

 

 

Liste von Begebenheiten potentieller Zauberei  

Ermittelte Person: Julius Andrews, geboren am 20. Juli 1982.

Ereignis 1: Reflexartige Abfederung eines Aufpralls nach unbeabsichtigtem Sturz aus einem Fenster des zweiten Stockwerks am 15. April 1986.

Ereignis 2: Beschleunigte Wundheilung ohne Vernarbung am 12. Juni 1986

Ereignis 3: Durch Panik ausgelöstes Einstürzen einer Kellerdecke am 13. August 1986. Dabei erlittene Insektenstiche klangen auf Grund von Selbstheilungszauber aus Angst und Erregung entstanden ohne Rückstand ab.

Ereignis 4: Durch Angst ausgelöste Löschung eines Zimmerbrandes am 25. Oktober 1987.

Ereignis 5: Selbstheilung einer Verbrennung zweiten Grades ohne Vernarbung am 11. August 1989.

Ereignis 6: Durch Körperkontakt und aus Angst erfolgte Öffnung eines Türschlosses wegen eines von böswilligen Mitschülern gelegten Schwehlbrandes am 19. Mai 1989.

Ereignis 7: Aus Wut gewirkter Spontanlähmungsfluch gegen den Mitschüler Buster Hamilton am 1. Februar 1990. (Die magische Lähmung wurde von Mitarbeitern der Abteilung zur Umkehrung verunglückter Zauberei behoben und das Gedächtnis der Zeugen korrigiert)

Ereignis 8: Fernlenkung eines Fußballs ohne Körperliche Berührung am 20. Juni 1992.

Diese acht Ereignisse genügen vollkommen, um Julius Andrews als potentiellen Zauberer zu klassifizieren. Eine fachgerechte Ausbildung der geäußerten Grundtalente nach Abschnitt 144 und Abschnitt 324 des Zaubereigesetzes wird dringend empfohlen.

Tiberius Eagleridge: Sachbearbeiter zur Früherkennung magisch begabter Kinder aus Muggelfamilien

 

Julius wußte, daß diese Ereignisse alle tatsächlich passiert waren. Wie Buster Hamilton versucht hatte, ihn zu treten und dann zwei Stunden lang nicht mehr laufen konnte, wie er aus Sandersons Keller flüchtete, als ihn ein Wespenschwarm angegriffen hatte und der Keller danach zusammengestürzt war, wie er sich am Lagerfeuer verbrannte und die höllisch schmerzenden Brandblasen innerhalb einer Stunde wieder verheilt waren und wie die Feuerzeugbande, die erklärten Feinde der Bubblegum-Bande, ihn in einer Klokabine eingesperrt und einen alten Pappkarton angesteckt hatten, um ihm Angst zu machen und er die verschlossene Tür nach kurzem Rütteln geöffnet hatte. Die Feuerzeugbande mußte danach Strafarbeiten ausführen, und der Direktor, Mr. Thorough, hatte laut über eine Wiedereinführung der Prügelstrafe nachgedacht. Und das alles waren keine Zufälle? Julius dachte daran, diese Liste seinen Eltern zu geben, damit sie sich darüber informierten, daß er tatsächlich zaubern konnte, wenn er auch nicht wußte, wie genau das gehen sollte. Außerdem interessierte er sich dafür, was diese Leute ihm noch zu sagen hatten. Doch er kannte seinen Vater. Dieser würde niemanden an sich heranlassen, der ihm etwas von Zauberei oder ähnlichem unwissenschaftlichem erzählen würde.

Zum Schluß las er noch die Liste mit den Ausrüstungsgegenständen und Schulbüchern. Besonders faszinierte ihn die Vorstellung, einen Zauberstab in der Hand zu halten, der nicht aus Zucker bestand. Hinzu kam die Vorstellung, vor einem Kessel mit brodelndem Gebräu zu sitzen. Auch wirkte das Wort "Zauberpflanzen" wie eine Verheißung hochinteressanter Gewächse. Er erinnerte sich an ein Begleitbuch für Spielleiter eines Fantasy-Rollenspielsystems, in dem es ausschließlich um solche magischen Pflanzen ging. Er öffnete seinen Bücherschrank und fand das kleine Buch mit den hundert bekanntesten Zauberpflanzen hinter einigen Büchern über Flugzeuge, Autos und Weltraumfahrzeuge. Dann ging er an seinen Computer und wählte sich ins Internet ein, um einige Forschungen zu betreiben. Er suchte nach Wörtern wie "Hogwarts", "Muggel" und "Ministerium für Zauberei". Doch jede Suche erwies sich als Fehlschlag. Dann rief er eine Datenbank für Namensursprünge und Verwandtschaftsgrade auf und gab den Familiennamen "Andrews" ein. Dann gab er den Namen seines Vaters ein und wartete einige Minuten, bis auf dem Bildschirm die Meldung auftauchte:

"Suche erfolgreich abgeschlossen. Stammbaum kann entweder direkt eingesehen werden oder per E-Mail geordert werden."

Julius ließ sich das Suchergebnis auf dem elektronischen Postweg zusenden und las nach der Internetsitzung die Liste durch, die das Suchprogramm erstellt hatte. Dabei kam er auf ein höchst interessantes Ergebnis. Er las:

"Im Jahre 1743 heiratete Louis Bakersfield Megan McGonagall, eine als Naturheilerin bekannte Dame aus dem schottischen Hochland und zog mit ihr nach Hainburg, wo sie zusammen vier Kinder bekamen, Louis, Siomas, Sandra und Rodney. Megan Bakersfield geb. McGonagall stand Zeit ihres Lebens im Ruf, Hexerei zu betreiben, zumal sie einen Großteil jedes Jahres an einem unbekannten Ort weilte, von dem niemand erfuhr und was sie dort tat."

"um die 250 Jahre ist das her", dachte Julius laut und ließ die zugestellte Liste mit den Angaben ausdrucken. Dann prüfte er nach, ob die anderen drei Briefe denselben Text besaßen und nahm den Brief, den er zuerst gelesen hatte und verließ damit das Zimmer, gerade, als er aus dem Schlafzimmer einen erschreckten Aufschrei seines Vaters hörte.

"Das gibt es doch nicht. Die machen mich noch wahnsinnig!" Rief Richard Andrews und stürmte mit einem Arm voller Briefumschläge aus dem Elternschlafzimmer der Andrews'.

"Hast du etwa die Fenster in den Schlafzimmern offen gelassen, Martha?!"

"Ja, nur einen Spalt, Richard. Wieso?"

"Diese Irren haben noch mal 50 Briefe in unser Schlafzimmer geworfen!" Rief Richard Andrews. Dann sah er seinen Sohn an und fragte:

"Du hast doch nicht etwa auch Briefe in deinem Zimmer gefunden?"

"Doch, habe ich. Da lagen zwei Umschläge unter dem Fenster. Offenbar ging denen das Material aus, daß ich nur zwei davon geschickt bekam. Die lagen beide unter dem Fenster, als hätte sie ein Kletterkünstler oder ein Vogel im Flug durchs Fenster geschoben."

"Die sind irre", lamentierte Julius' Vater und riß seinem Sohn den Briefumschlag aus der Hand. Dann fragte er:

"Du hast das doch nicht etwa gelesen?"

"Natürlich habe ich das gelesen, Paps. Denkst du, ich finde Briefumschläge in meinem Zimmer und werfe sie ungeöffnet in den Müll?"

"Ja, stimmt. So vernünftig mußt du ja auch noch nicht denken. Mann, diese Leute, wer immer die sind, wollen uns terrorisieren. Jetzt gehe ich persönlich zum Yard und lege denen diese Dinger auf den Tisch."

"Würde ich nicht machen, Paps. Denn wenn das wirklich Irre sind, die nur zuviel Papier haben, lohnt sich das nicht. Denn wie will die Polizei verhindern, daß wir weiter diese Dinger kriegen? Sie könnte nur herausfinden, wie sie geschrieben wurden und vielleicht, woher das Pergamentzeug stammt. Aber da ist weder eine Briefmarke, noch ein Poststempel drauf. Außerdem sind beide Briefe genau gleich, obwohl es keine Maschinenschrift ist. Irgendwer hat da eine gute Methode gefunden, Kopien anzufertigen, ohne daß sie wie Kopien aussehen. Aber du kannst ja damit zur Polizei gehen."

Martha Andrews kam die Treppe zu den Schlafzimmern hinaufgestiegen und sah ihren Mann und ihren Sohn mit den merkwürdigen Briefumschlägen dastehen. Sie hörte noch die letzten Worte der Unterhaltung zwischen Vater und Sohn und sagte nur:

"Wenn die Briefe wirklich kopiert wurden, aber nicht wie Kopien aussehen, dann haben die Möglichkeiten, Kopien zu verfertigen, die wir trotz sehr guter Maschinen nicht hinbekommen. Du kannst ja damit zur Polizei und die Dinger analysieren lassen. Das bringt aber die Gefahr mit sich, daß die Presse das mitkriegt. Ich habe erst vor kurzem gelesen, daß eine Suchanzeige aus prominenten Kreisen zu früh an die Presse gegangen ist. Stell dir mal vor, in der Zeitung kommt ein Artikel: "Forschungsleiter von Omniplast hat einen Zauberer zum Sohn!"

"Ich analysiere die Briefe selbst", entschied sich Richard Andrews. Schließllich besaß er ja ein eigenes Chemielabor im Keller, durch eine doppelte Feuer- und Gasschutztür vom Rest des Hauses abgeschirmt. Dort konnte er Analysen durchführen und experimentieren.

"Dann tu das. Wenn du rausfindest, ob ein Originalbrief dabei ist, kannst du den ja der Polizei geben", stimmte Martha Andrews zu. Richard Andrews nickte und ging mit den Briefen, auch den zweien, die Julius ihm überließ, in den Keller. Nach einer Stunde kehrte er mit verärgertem Gesicht zurück.

"Ich weiß nicht wie sie's angestellt haben, aber jeder dieser verfluchten Briefe und Briefumschläge ist mit echter Tinte geschrieben worden und auf echtem Pergament. Und es ist noch etwas passiert. Als ich den vierten Brief analysieren wollte, verschwand die Schrift von allen Seiten und Umschlägen und ließ sich nicht mehr zurückbringen, obwohl ich alle Techniken ausprobiert habe, um Geheimtinten sichtbar zu machen. Aber die kriegen uns nicht klein. Ich glaube nicht an Hexerei, auch wenn diese vermaledeiten Briefe mir vorzugaukeln versuchen, es ginge nicht mit rechten Dingen zu."

"Und hast du vielleicht gelesen, daß uns die stellvertretende Schulleiterin dieses Hogwarts besuchen will?" Fragte Julius keck.

"Heimsuchen wäre da wohl das richtige Wort", schnaubte Richard Andrews verächtlich. Doch in seinen Augen funkelte Angst, kurz nur, aber Julius konnte es genau sehen. Irgendwie mußte er sich vor weiteren Zeichen dieser Leute von Hogwarts fürchten, wo immer sie herkamen. Ob es wirklich Zauberer waren, konnte Julius nicht mit Sicherheit sagen. Deshalb war er auch eher gespannt, ob die Schreiber des Briefes jemanden schicken würden, vielleicht tatsächlich die stellvertretende Schulleiterin.

Julius las seinen Eltern noch die Liste vor, die er recherchiert hatte und betonte vor allem die Verbindung zwischen Megan McGonagall und Louis Bakersfield, einem Vorfahren seines Vaters.

"Dann haben die den Kehricht wohl auch aus dem Internet, daß du angeblich zaubern kannst."

"Aber die Liste mit den Vorfällen", wandte Julius ein.

"Zufälle. Spontane Heilung gibt es. Auch wenn die Medizin sie nicht erklären kann, und die anderen Sachen sind Phantastereien. Das mit der Klotür liegt daran, daß die Schultoiletten eben schon so alt sind, daß die Türen nicht mehr richtig schließen", widersprach Richard Andrews. Dann sagte er noch:

"Ich weiß zwar nicht, wer da auf die Idee gekommen ist, uns auszuspionieren, aber das ist an und für sich originell, eine derartige Story für einen Erpressungsversuch zu erfinden."

"Erpressungsversuch, Paps?" Wunderte sich Julius.

"Na klar! Sie wollen, daß du eine angebliche Zaubererschule besuchst, damit sie dich dort so formen können, daß du später von mir profitieren und sie davon profitieren können. Aber solange ich noch Mittel weiß, das zu verhindern, werde ich das tun", bekräftigte Richard Andrews.

"Du meinst, sie wollen Geld dafür haben, daß ich nicht mehr von ihnen angeschrieben werde?" Wollte Julius wissen.

"Sicher doch. Sie wollen sich an uns bereichern, und du bietest ihnen eine Plattform dafür, uns zu terrorisieren."

"Warum drohen die dann nicht mit Kidnapping oder sonst welchem Zeug?" Fragte Julius.

"Weil das eben nicht mehr zeitgemäß erscheint. Mit dieser Story kann natürlich keiner so einfach zur Polizei gehen. Deine Mutter hat da Recht. Die würden mich für irre halten oder darüber lachen", sagte Julius' Vater.

"Und was willst du dann unternehmen?" Fragte Martha Andrews.

"Ich werde eine Privatdetektei damit beauftragen, unser Haus zu observieren und jeden zu filmen, der sich nähert. Wenn wir die Leute bei ihren Taten erwischen können, können wir auch zur Polizei gehen", verkündete der Vater von Julius.

"Das wird aber teuer", bemerkte der Junge, der bald nach Eton gehen sollte.

"Das ist es mir wert, wenn ich weiß, daß ich dann wieder ruhig schlafen kann", antwortete Richard Andrews.

Der Nächste Tag bestand für Julius in weiteren Prüfungsvorbereitungen für Eton. Der Nachhilfelehrer, den sein Vater engagiert hatte testete, wie gut er Gedichte auswendig lernen konnte oder wie schnell er sich Listen und Tabellen einprägen konnte. Am Abend erhielten sie Besuch von einem Herren in grauem Geschäftsleuteanzug mit dunkelblauer Krawatte, der jedoch eher wie ein professioneller Leichtathlet aussah. Dunkles Haar umrahmte ein scharfgeschnittenes Gesicht, aus dem zwei wache graue Augen blickten.

"Nelson Blacksmith von der Perssec-Kompanie", stellte er sich vor, bevor Julius in sein Zimmer geschickt wurde. Julius fügte sich und dachte nur daran, daß sie hoffentlich keine Kameraüberwachung innerhalb des Hauses beschließen würden. So heftig konnte sein Vater sich nicht bedroht fühlen, daß er sich und seine Familie total überwachen lassen mußte.

Am Abend sprach Julius' Mutter noch mal zu ihrem Sohn:

"Wir haben ordentliche Personen- und Gebäudeschützer engagiert. Die werden das Haus von morgen früh an mit Videokameras überwachen, nur von außen und ohne Mikrofon. Schließlich wollen wir ja nicht "1984" wahrmachen, nur wegen so Leuten, die uns verkaufen wollen, daß es noch echte Zauberer und Hexen geben soll. Vielleicht kommt diese Professor McGonagall nicht alleine her."

"Werden Leute dieser Sicherheitsfirma im Haus sein?" Fragte Julius.

"Nein, nur außen. Gesetzt den Fall, die haben Interna über uns recherchiert, die selbst eine diskrete Schutzfirma nicht mitbekommen soll, ist es besser, keinen Fremden im Haus zu haben. Wir haben jedoch einen Funksender bekommen, den wir aktivieren können, falls wir in Gefahr geraten sollten. Außerdem hat dein Vater noch eine Rückversicherung."

"Du meinst doch nicht etwa die Knarre, die Paps sich vor vier Jahren besorgt hat?" Fragte Julius mit besorgter Stimme.

"Doch, das Ding, Julius. Ich bin zwar auch nie für solche Instrumente gewesen. Aber vielleicht ist es nicht unpraktisch, sowas im Haus zu haben", erwiderte Mrs. Andrews.

 

Am nächsten Tag lag eine bedrückende Spannung über dem Haus in der Winston-Churchill-Straße. Das lag nicht nur daran, daß der Nachhilfelehrer heute nochmals kommen sollte, den Julius' Vater engagiert hatte, sondern auch an dieser Ankündigung, die wie eine Drohung und eine interessante Neuigkeit über der Familie Andrews schwebte. Am Mittag sah Julius die getigerte Katze mit den viereckigen Markierungen um die Augen wieder. Sie stromerte durch die gepflegten Vorgärten der ordentlich aneinandergereihten Häuser, blickte Julius kurz an und lief dann unbekümmert zu einer niedrigen Mauer, auf die sie mit einem geschmeidigen Satz hinaufsprang. Dann blieb sie sitzen, die Ohren auf Horchstellung, als warte sie auf etwas oder jemanden. Julius glaubte, sie sei wohl auf der Suche nach einem Vogel oder einem Kater für gemütliche Stunden. Er ging in das Haus seiner Eltern zurück.

Der Nachhilfelehrer, Mr. Russell, erschien pünktlich um zwei Uhr nachmittags und ging mit Julius die letzten Prüfungen durch, die der Junge kurz vor der Einschulung zu absolvieren hatte. Dabei bemerkte der Lehrer, daß eine getigerte Katze auf dem Fenstersims platzgenommen hatte und bat Julius, das Fenster zu öffnen. Dann streckte Mr. Russell seine rechte Hand aus, um das Tier zu streicheln. Doch dieses fauchte warnend und hob die rechte Vordertatze mit ausgefahrenen Krallen.

"Das ist eine Straßenkatze. Ich weiß nicht, woher die kam und wieso die sich hier herumdrückt", erklärte Julius, als er das enttäuschte Gesicht des Nachhilfelehrers mit der dunkelblonden Halbglatze sah. Mr. Russell schloß das Fenster wieder und fuhr mit dem letzten Vorprüfungsunterricht fort.

Um vier Uhr verließ Mr. Russell das Haus der Andrews' wieder und versicherte dem nervös dreinschauenden Vater, daß Julius alle Hürden nehmen würde. Man habe ihm in der alten Schule zu wenig Möglichkeiten geboten, seine Lernbegabungen zu nutzen. Richard Andrews nickte und strich sich durch das schüttere graublonde Haar und sagte:

"Das ist immer dasselbe Spiel. Intelligente Kinder werden nicht richtig gefördert in diesen übergroßen Grundschulen. Manche behaupten sogar, die Kinder seien zurückgeblieben oder verrückt."

Als der Nachhilfelehrer fort war meinte Richard Andrews:

"Du hast gehört, was der Lehrer gesagt hat. Ich weiß jetzt, daß alles, was du bisher nach Hause gebracht hast, das Produkt deiner Nachlässigkeit war. Du kannst mehr, als du uns allen glauben machen wolltest. Aber das hört auf, wenn du erst einmal in Eton bist, kapiert?"

"Die haben da andere Maßstäbe. Wenn ich da eine Vier kriege, zählt das wie eine Zwei auf einer gewöhnlichen Oberschule."

"Du wirst mir keine Vieren nach Hause bringen, verstanden?"

"Wenn es sich einrichten läßt. Ich bin kein Computer, und hexen kann ich auch nicht", versetzte Julius frech. Sein Vater fuhr zusammen, als habe er einen Schlag in den Magen abbekommen. Dann sagte er:

"Das ist mir klar."

Kurz vor fünf Uhr erhielt Martha Andrews einen Anruf von der Sicherheitsfirma. Sie kam strahlend aus dem Wohnzimmer zurück und sagte:

"Die Videokameras sind aufgebaut. Keiner kann sehen, daß wir das Haus beobachten lassen. Außerdem haben sie Peilsender dabei, um das Auto des sogenannten Professors zu verwanzen. Hoffentlich ist es das Geld wert!"

"Hoffe lieber, daß dieser angedrohte Besuch überhaupt nicht kommt. Ich habe keine Lust darauf, mich mit kriminellen Leuten zu unterhalten", erwiderte Richard Andrews und tastete vorsichtig nach seinem Jacket, in dessen Seitentasche er den Revolver gestekct und mit großen Taschentüchern umkleidet hatte, damit die Waffe nicht zu erkennen war.

Um genau fünf Uhr klingelte es an der Ttür. Richard und Martha sahen sich an. Sie hatten geglaubt, daß ein Krimineller nicht offen an die Haustür kam.

"Frag erst, wer es ist!" Forderte Richard Andrews seine Frau auf, während er Julius in sein Zimmer schickte.

"Wer ist da bitte?" Hörte der Junge seine Mutter rufen. Eine gedämpfte Frauenstimme erwiderte:

"Mein Name ist Minerva McGonagall, Professor von Hogwarts. Ich habe mich vorgestern angekündigt."

"Laß sie rein, Martha! Ich will kein unnötiges Aufsehen", entschied Richard Andrews. Julius hörte, wie die Haustür geöffnet wurde und Schritte auf dem Boden erklangen. Dann hörte er die fremde Frauenstimme sagen:

"Bitte rufen Sie Ihren Sohn wieder herunter. Was ich zu erklären habe, ist besonders für ihn bestimmt."

"Woher wissen Sie, daß ich einen Sohn habe und wo dieser gerade sein muß?" Fragte Richard Andrews verärgert.

"Denken Sie, ich würde ein Muggelhaus aufsuchen, dessen Bewohner sich sehr abweisend und verängstigt verhalten, ohne es vorher eingehend zu beobachten. Vertrödeln Sie bitte nicht meine und Ihre wertvolle Zeit mit Versuchen, Ihre Intelligenz mit meiner zu messen. Ich weiß, daß Sie einen Sohn haben, der Julius heißt, daß er vor zwei Tagen seinen elften Geburtstag beging, zu dem er eine Vorrichtung bekam, die Computer heißt und soetwas wie eine Wissenserfassungsmaschine ist, daß er zwei Freunde hat, die keine Katzen mögen, eine gebildete Schulfreundin besitzt, die Katzen liebt und heute nachmittag von einem Mann auf einen Schulbesuch im Muggelinternat Eton vorbereitet wurde. Möchten Sie weitere Details erfahren? - Gut, dann holen Sie Ihren Sohn jetzt bitte zu uns herunter!"

Julius spürte beim Klang dieser Stimme, daß die Fremde sehr willensstark sein mußte. Sie hatte sich gegen seinen Vater durchgesetzt, wie dessen Schweigen verriet. Keine vier Sekunden später rief er nach Julius.

Das erste, was Julius auffiel, als er in das Wohnzimmer eintrat, war der lange smaragdgrüne Umhang, den die Fremde trug. Dann sah er die quadratischen Brillengläser der nicht ganz willkommenen Besucherin und dachte irgendwie an diese Tigerkatze, die er gerade am Nachmittag erst wiedergesehen hatte. Er sah das schwarze Haar, daß hinter dem Nacken zu einem Knoten gebunden war und spürte, wie die ältere Frau ihn musterte, als warte sie auf eine Reaktion von ihm.

"Guten Tag, Mr. Andrews Junior. Endlich kann ich mich Ihnen vorstellen. Ich bin Professor Minerva McGonagall, stellvertretende Schulleiterin von Hogwarts, der Schule für Hexerei und Zauberei."

"Humbug!" Knurrte Richard Andrews und schüttelte den Kopf, als Julius auf die Fremde zuging, die ihre rechte Hand ausgestreckt hatte.

"Ich habe kein Interesse, in einem Zirkus aufzutreten", meinte Julius, jede Höflichkeit mißachtend und setzte sich auf einen Stuhl.

"Daran ist uns auch überhaupt nicht gelegen. Im Gegenteil. Unser Anliegen ist es, zu verhindern, daß Sie irgendwann als Kuriosität in einer Schauveranstaltung oder einer dieser primitiven Talkshows herumgereicht werden", erwiderte Professor McGonagall. Dann wandte sie sich an Martha Andrews.

"Ich habe mitbekommen, wie Männer um Ihr Haus mehrere Gerätschaften mit gläsernen Linsen aufgebaut haben, die wohl dazu dienen sollen, dieses Haus zu überwachen oder Bildaufzeichnungen zu machen. Ich hoffe, das ist in Ihrem Sinne. Ich weiß, daß viele Muggel mit Ansehen und Vermögen ein größeres Schutzbedürfnis verspüren und Personen zur Überwachung ihrer Besitztümer einstellen. Aber das ist für mich völlig belanglos. Mir geht es darum, Sie alle darüber aufzuklären, weshalb wir uns an Sie wendeten."

"Moment! Ich will wissen, was dieses Wort bedeutet: "Muggel". Falls dies eine Abschätzigkeit oder gar Beleidigung ist, rufe ich sofort die Polizei", versuchte Julius' Vater, seinen Rang als Hausherr zu bestätigen.

"Achso, ich war natürlich nicht korrekt zu Ihnen. Muggel sind Menschen, die nicht über magische Fähigkeiten verfügen. Wir aus der Zaubererwelt bezeichnen Nichtzauberkundige als Muggel. Das ist natürlich für Sie eine Herabwürdigung, die ich zu entschuldigen bitte."

"Nur diesmal", erwiderte der Vater von Julius. Dann sagte er:

"Jetzt halten Sie Ihre Rede, dann dürfen Sie gehen. Aus Gastfreundlichkeit spendieren wir Ihnen eine Tasse Tee, falls Sie mögen."

"Sehr liebenswürdig", entgegnete die Besucherin. Dann holte sie ruhig und ohne Hast mehrere Pergamentrollen aus ihrem Umhang und legte sie auf dem Wohnzimmertisch aus.

"Wie wir Ihnen bereits mitteilten, ist es die Aufgabe von Hogwarts, mit Magie begabte Jungen und Mädchen zu vollwertigen Hexen und Zauberern auszubilden. Die Tatsache, daß die nichtmagische Zivilisation durch die Anwendung von Maschinen und Nutzung von natürlichen Kraftquellen der Überzeugung anhängt, daß es weder Magie noch Zauberkundige gibt, hat unsere Zivilisation dazu veranlaßt, eine berührungslose Koexistenz mit der Ihren zu schaffen. Sie bekommen von uns nichts zu sehen, was Ihre Werte in Frage stellt. Hingegen halten wir uns von den meisten Errungenschaften Ihrer Welt fern. Unser technologischer Stand dürfte jenem entsprechen, den Ihre Welt im 19. Jahrhundert besaß. Ansonsten bewahren und fördern wir das alte Wissen der Magie und ihrer Anwendungsmöglichkeiten. Und um gleich ein von Ihnen beharrlich aufrechterhaltenes Mißverständnis zu korrigieren, Doktor Andrews, wir betreiben keine Glaubensprägung zur Macht- oder Vermögenssteigerung, wie sie die Verkäufer irriger Heilslehren betreiben, die Sie Sekten nennen. Wir sind keine Glaubensgemeinschaft, die Jünger oder Prediger sucht, sondern eine unabhängige Zivilisation neben Ihrer technischen Welt. Wie gesagt, normalerweise bekommen Mugg..., ähm, Personen der nichtmagischen Welt nichts von unseren Aktivitäten mit, nicht zuletzt auf Grund von gesetzlichen Regeln, die Zauberei in der Welt der Nichtmagier untersagen. Nun kommt es jedoch vor, daß in Familien wie der Ihrigen Kinder geboren werden, die durch eine Erbveränderung oder auf Grund Jahrhunderte zurückreichender Ahnenreihen, in denen einmal einer von unserer Welt vorkam, talentiert sind, Magie zu nutzen und dies intuitiv tun, sobald das Talent sich weit genug entwickelt hat. Wir lassen diese Kinder zunächst die Grundschulen besuchen, um die Basisfähigkeiten lernen zu lassen. Doch ab dem zehnten Lebensjahr, wenn die magische Begabung sich immer stärker ausprägt, sind alle magischen Lehranstalten gehalten, diese Kinder aus der nichtmagischen Zivilisation anzusprechen und auf das Vorhandensein dieser Grundtalente hinzuweisen und eine umfassende Ausbildung in diese Richtung anzuraten."

"Unsinn! Es gab keine Hexen und Zauberer und gibt sie auch heute nicht. Mein Sohn hat niemals irgendwelche Absonderlichkeiten gezeigt, die auf etwas anderes deuten lassen als auf pure Zufälle, wie sie wissenschaftlich plausibel erklärt werden können. Insofern kaufe ich Ihren Vortrag nicht ab, Frau Professor. Falls Sie tatsächlich einen akademischen Rang besitzen, was ich anzweifle", unterbrach Julius' Vater die Erklärung von Minerva McGonagall. Diese sah ihn sehr streng an, wie einen ungezogenen Jungen, der trotz einer Ermahnung, leise zu sein, immer noch herumkrakehlte.

"Ich verstehe nicht, wie ich Ihnen etwas erläutern soll, wenn Sie mich in dieser derben Weise unterbrechen", presste die Unbekannte hervor, und Julius vermeinte das Fauchen einer gereizten Katze zu hören.

"Fragen wir doch nach dem Warum. Weshalb glauben Sie, daß unser Sohn ein Auserwählter ist, der in Ihre Zivilisation aufgenommen werden soll? Was bringt es ihm, diesen Schritt zu tun? Was bringt es Ihnen, diese sogenannte Aufklärungsarbeit zu betreiben?" Wandte sich Mrs. Andrews an die Besucherin und plazierte eine Teekanne, vier Tassen und einen Teller Gebäck auf dem Tisch.

"Um Ihre Fragen, die sehr vernünftig sind, zu beantworten, Mrs. Andrews", begann Minerva McGonagall, "Ihr Sohn fiel der Abteilung zur Überwachung der Zauberei in der nichtmagischen Welt vor sieben Jahren auf, als er einen Fenstersturz überlebte, den selbst ein gelenkiges Kind nicht überstehen kann. Er zog sich, wie Ihnen bekannt ist, keinen Knochenbruch zu. Dann ereignete sich vor drei Jahren etwas,daß ein Lausbubenstück war. Böswillige Schuljungen schlossen Ihren Sohn in einer Toilettenkabine ein und entfachten ein qualmendes Feuer, um ihn zu ängstigen. Er entkam seinem Gefängnis durch einen intuitiven Öffnungszauber ohne verbale Auslösung. Auch dies wurde registriert. Dann war da noch ein Unfall mit Feuer vor zwei Jahren, bei dem sich Julius Andrews Verbrennungen zweiten Grades zuzog, die innerhalb von wenigen Minuten wieder vollständig und restlos verheilten. Daraus ist zu folgern, daß Ihr Sohn eine starke magische Begabung besitzt. Diese Fakten und die genialogische Nachforschung erbrachten, daß Julius Andrews der Abkömmling einer Hexe ist, der als Erster nach 250 Jahren wieder die Zaubergaben entwickelt, die seine Urahnin, die auch meine Urahnin ist, besessen hat."

"Ach ja, da habe ich doch drauf gewartet", knurrte Julius' Vater. "Die Sache mit der angeblichen Hexe, Megan McGonagall. Haben Sie deshalb diesen Namen gewählt, um Ihre Geschichte besser zu verkaufen?"

"Wie bereits erwähnt, habe ich nicht vor, Ihnen irgendwas zu verkaufen. Ihr Geld wäre bei uns völlig wertlos, wenn es nicht im Bezug auf Referenzwerte wie Edelmetalle und -steine getauscht werden kann. Doch Ihre Frau stellte zwei weitere Fragen, die ich gerne beantworten möchte, falls Sie mich endlich einmal einen Punkt vollenden lassen.

Julius Andrews wird, wenn er unserem Ratschlag folgt und die für ihn arrangierte Aufnahme in Hogwarts annimmt, lernen, mit diesen Basistalenten umzugehen und weitere Fähigkeiten zu entwickeln, nicht nur rein intuitiv, sondern völlig beherrschbar und jederzeit reproduzierbar. Das ist es, was Ihren Sohn erwartet. Gleichermaßen ergibt sich daraus auch eine Möglichkeit für ihn, normal heranzuwachsen, ohne vor sich selbst Angst zu bekommen, falls ihm unversehens etwas widerfährt, was er unkontrolliert bewirkt hat. Ihre Welt lebt in der ständigen Angst vor dem Unbekannten. Wollen Sie einen Sohn haben, vor dem andere Angst haben, am Ende auch Sie selbst?"

"Ich glaube nicht an diese Mutantengeschichten, wie sie Julius häufig las. Die von Ihnen recherchierten Vorfälle sind reine Zufälle. Kein Arzt hat etwas von schweren Verbrennungen gesagt. Das ist eine Lüge, die ich Ihnen nicht abnehme", wandte Julius' Vater ein.

Professor McGonagall sah eine Sekunde lang so aus, als würde sie gleich wie eine Furie auf Julius' Vater losgehen. Doch sie atmete tief durch und setzte in beherrschtem Ton fort:

"Zum dritten Punkt, den Ihre Frau erwähnt hat. Für unsere Welt, die Welt der Hexen und Zauberer, bringt jedes neue Talent der Magie die Gewissheit, daß wir überleben können. Für den Fall, daß Sie an alte Märchen glauben, seien Sie versichert, daß wir nicht unsterblich sind. Daher ist es für unsere Welt immer von Wichtigkeit, jeden angehenden Zauberer, ob aus Ihrer oder unserer Welt, rechtzeitig auf den Umgang mit seinen Gaben vorzubereiten und ihm oder ihr genug Wissen mit auf den Weg zu geben, um sich in unserer Welt zurechtzufinden. Soviel zu den Grundlagen. Kommen wir zur praktischen Umsetzung."

"Nichts da! Ich glaube Ihnen kein Wort. Du etwa, Martha?"

"Zumindest hat sich jemand Mühe gegeben, diese Geschichte logisch durchzuplanen", erwiderte Martha Andrews. Julius meinte ungefragt:

"Sie bbehaupten also, eine Hexe zu sein, oder wie darf ich Sie anreden?"

"Ich bin eine aprobierte Hexe mit Lehrbefähigung in vier Fachrichtungen. Meine Hauptgebiete sind Verwandlung und Materialisation, also die Erzeugung von Gegenständen aus dem Nichts."

"Dann zaubern oder hexen Sie doch mal was! So mit Hokuspokus und Abracadabra und sowas!" Spornte Julius die Fremde an, die ihn mißbilligend ansah, als habe er sie beleidigt.

"Gut, ich muß anerkennen, daß Sie bislang nicht mit der Möglichkeit konfrontiert wurden, daß es neben der wissenschaftlichen, auf reine Logik und materielle Erschliessbarkeit ausgerichteten Denk- und Handlungsweise noch etwas anderes geben kann. Aber ich muß Ihren Wunsch zurückweisen, Mr. Andrews. Gemäß den von mir eingangs erwähnten Gesetzen dürfen wir in der nichtmagischen Welt nicht nach Belieben zaubern."

"Haha, Julius, das war gut. Denn etwas in dieser Richtung habe ich erwartet. Genau das dachte ich mir nämlich. Sie erzählen viel und lassen sich nicht darauf festnageln, daß Sie zaubern oder nicht zaubern können. Wenn jemand eine praktische Vorführung wünscht, um vielleicht berechtigte Zweifel zu verlieren, reden Sie sich einfach auf ein Verbot heraus, das Ihnen untersagt, Ihre Magie zu praktizieren. Wir sind ja auch nur armselige Muggel, die das ja nicht begreifen würden, wenn Sie auf einmal ein Kaninchen aus der hohlen Hand schleudern oder einen magischen Feuerblitz schleudern würden", gab Richard Andrews mit unverhohlenem Spott von sich. Seine Blicke hielten die Fremde fest, die langsam den Kampf um Ihre Selbstbeherrschung verlor.

"Mr. Andrews, Ihr Vater ignoriert Ihre Gaben. Tun Sie das auch?"

"Ich kann mich nicht daran erinnern, daß ich jemals etwas gezaubert habe. Ich denke auch, daß Sie uns hier was erzählen, womöglich weil Sie am Geld meines Vaters interessiert sind", bemerkte Julius Andrews. Doch dann stutzte er. Ihm war nämlich gerade etwas eingefallen. Woher wußte die Fremde, daß Lester und Malcolm eine Katze treten oder mit Knallerbsen erschrecken wollten? Und die Knallerbse war nicht explodiert, sondern wie ein winziger Gummiball aufgetippt und davongerollt. Er sprach weiter:

"Womöglich haben Sie und Ihre Mitarbeiter uns ausgekundschaftet. Heutzutage geht das ja ganz einfach."

"In diesem Punkt gebe ich Ihnen Recht. Außerdem habe ich bereits erwähnt, daß ich Ihr Elternhaus eingehend beobachtet habe, bevor ich bei Ihnen vorsprach. Sie weisen also die Möglichkeit, magische Grundbegabungen zu besitzen, als Lüge zurück?" Wandte sichProfessor McGonagall an den Jungen, der irgendwie den Eindruck bekam, als würde sie von seiner Antwort abhängig machen, ob sie ihm lobend auf die Schultern klopfen oder ihn aus Wut erwürgen würde.

"Ich halte Zauberei ohne technische Tricks und geschickte Ablenkungsmanöver für unmöglich", erwiderte Julius.

"Nun denn, dann setzen Sie sich der Gefahr aus, irgendwann in eine mit den Mitteln Ihrer Welt nicht zu behebende Zwangslage zu geraten."

"Unterlassen Sie diese Drohungen", stieß Richard Andrews aus und fuhr von seinem Stuhl hoch.

"Das ist keine Drohung, sondern ein Hinweis, was passieren kann, wenn Ihr Sohn seine Fähigkeiten unkontrolliert sprießen läßt. Was würden Sie glauben, wenn er eines Tages nach Hause zurückkehrt und einen Brief mitbringt, in dem berichtet wird, daß er seinen Klassenlehrer irgendwie in ein Tier oder totes Objekt verwandelt hat. Oder wenn irgendwas zum schweben gebracht wird und unbeabsichtigt auf jemanden herunterfällt? Das ist alles schon vorgekommen. Falls Sie dadurch überzeugt werden können, kann ich Ihnen die Adressen einiger nichtmagischer Eltern zauberkundig begabter Kinder geben, mit denen Sie darüber sprechen können."

"Die Tour verfängt bei mir nicht. Ich rede doch nicht mit von Ihnen eingeschüchterten Leuten, wenn ich mich nicht schon gleich lächerlich mache."

"Sie haben am Abend Ihres Geburtstages mit Ihren alten Schulfreunden geflachst und mit einer Zuckerstange als lächerliche Zauberstabatrappe gealbert und mich als Hexentier bezeichnet", wandte sich Minerva McGonagall an Julius und hielt ihn durch ihre quadratischen Brillengläser mit den Blicken fest.

"Was?" Entfuhr es Julius' Mutter. Julius selbst war urplötzlich kreidebleich geworden. Derartig detailiert hätte ein Spion seine Albernheit an seinem Geburtstag nicht widergeben können. Doch die Behauptung der Fremden, Lester, Malcolm und er hätten sie persönlich als Hexentier bezeichnet, traf ihn wie ein Keulenschlag. Richard Andrews sah seine Frau an und deutete zum Telefon. Sie nickte. Dann wandte er sich der Fremden zu und verstellte ihr den Weg, so daß sie Julius' Mutter nicht daran hindern konnte, die Polizei zu rufen.

"Die Katze war mit einer Wanze ausgestattet", fiel es Julius ein und ließ ihn erleichtert durchatmen. Sein Gesicht gewann wieder an Farbe.

"Das verbitte ich mir. Wenn ich in meiner Tiergestalt ausgehe, lege ich wert auf gute Körperpflege. Schließlich will ich kein Ungeziefer auflesen", erwiderte die Fremde, während Martha Andrews den Hörer in der Hand hielt und auf den Knopf mit der Nummer 9 drückte.

Die Unbekannte nahm plötzlich die volle Teekanne, holte aus und warf sie Julius entgegen. Der fuhr zusammen, die schwere Kanne mit dem brühendheißen Tee auf sich zukommen sehend. Sie flog direkt auf seine Nase zu ... und blieb plötzlich stehen, als sei sie in der Luft angehalten worden. Sich drehend taumelte die Kanne von Julius fort und landete neben dem Teller mit Gebäck, als habe sie jemand zielgerichtet dort abgesetzt. Martha, die über ihre Schultern zurückblickte, um auf einen hinterhältigen Angriff gefaßt zu sein, erstarrte und senkte den Telefonhörer, gerade noch bevor sich die Notrufzentrale meldete.

"Der telekinetische Reflex ist eines der deutlichsten Zeichen für magische Begabung", erklärte Professor McGonagall. "Solange die Magie nicht bewußt genutzt wird, tritt er immer auf, wenn etwas bedrohliches den Begabten anstürmt. Stellen Sie sich vor, jemand hätte im vollen Lauf versucht, Sie anzurennen und wäre auf die gleiche Weise davongetragen worden, wie die Teekanne. Wie würde das aussehen?" Fragte die Besucherin im smaragdgrünen Umhang.

"Das war manipuliert", wandte Julius' Vater wimmernd ein. "Die Kanne haben Sie während Ihrer törichten Ausführungen mit einem Magneten oder Seilzug versehen, um sie noch zurückziehen zu können", erläuterte der Chemiker, wie das, was er eben gesehen hatte, funktioniert haben mußte.

"Dann sehen Sie sich die Kanne an!" Bemerkte Professor McGonagall. Martha Andrews warf ihrem Mann einen verzweifelten Blick zu. Sie glaubte nicht, daß die Fremde die Kanne mit einem unsichtbaren Mechanismus zurückgezogen hatte. Außerdem hatte die Teekanne sich gedreht, von links nach rechts und umgekehrt. Bei einem Seiltrick hätte sie eine Drehrichtung einhalten müssen. Und ein Seil hätte sie nicht so langsam absetzen können.

"Ich schlage Ihnen etwas vor, Mrs. Wie-auch-immer! Sie raffen Ihre Utensilien wieder zusammen, verabschieden sich höflich und verlassen unser Haus durch die Vordertür. Wir werden von einer Anzeige absehen, wenn Sie und Ihre Spießgesellen uns von nun an nicht mehr behelligen", sprach Julius' Vater mit zur Vorsicht gemahnendem Unterton.

"Was erlauben Sie sich? Sicher, ich bin hier in Ihrem Haus und sollte Ihren Wunsch nach Hausfrieden akzeptieren. Doch ich habe nicht diese weite Reise unternommen und meine Vorbereitungen auf das nächste Schuljahr zurückgestellt, um mich von einem ignoranten Muggel verscheuchen zu lassen. Mein Vorgesetzter würde Ihren Versuch, Ihren Sohn von Hogwarts und der übrigen Zaubererwelt fernzuhalten, höchst amüsant finden. Aber ich bin nicht mit diesem Übermaß an Humor ausgestattet. Ich ging davon aus, es mit einem intelligenten Paar zu tun zu haben, welches offenkundiger Fakten zugänglich ist. Aber offenbar bin ich an eine Familie von Weltverneinern geraten. Daß mir noch mal sowas unterkommen muß, hätte ich nie geglaubt. Ich werde solange hierbleiben, bis Sie mit mir die mitgebrachten Unterlagen eingesehen haben. Dabei sind auch exakte Aufstellungen von registrierten Anwendungen intuitiver Magie Ihres Sohnes, die nicht nur die drei benannten Vorfälle betreffen. Falls Ihr Gedächtnis wirklich gut funktioniert, müssen Sie sich an Begebenheiten erinnern können, die im Zusammenhang mit den aufgeführten Vorkommnissen stehen."

"Martha, ruf die Leute herein!" Befahl Richard Andrews. Martha Andrewws griff schnell nach einem kleinen Gegenstand, der wie ein Feuerzeug aussah. Professor McGonagall lächelte kalt.

"Das Rufgerät für die Männer dort draußen wird nicht funktionieren. Sie schlafen hinter ihren Beobachtungsgerätschaften, weil ich das bewirkt habe."

"Sie haben was?" Wollte Julius' Mutter wissen.

"Ich verabscheue Störungen, wenn etwas wichtiges anliegt. Daher stellte ich sicher, daß die Schutzpersonen, welche Ihr Haus überwachen, nicht auf Grund einer Panikreaktion hereinstürmen", informierte Professor McGonagall die Andrews'.

"Ich dachte, Sie dürften nicht zaubern", warf Julius frech ein.

"Nicht nach belieben, sagte ich. Es gibt sehr wenige Ausnahmen", belehrte ihn die Professorin oder was sie immer sein mochte.

Die Fremde faßte erneut in ihren Umhang und förderte ein längliches Objekt zu Tage, langsam und sehr vorsichtig. Julius erkannte einen etwa 12 bis 15 Zoll langen Stab aus Holz, der irgendwie feingeschnitzt wirkte und vielleicht ausgehöhlt war.

"Ach, das soll ein Zauberstab sein, richtig?" Wandte sich Julius an die Fremde, die jetzt ein etwas freundlicheres Gesicht zeigte.

"Sehr richtig. Das ist mein Zauberstab. Ich wollte Ihnen diesen einmal in die Hand geben, damit Sie Ihre eigenen Energien erfühlen können."

"Faß das Ding nicht an, Julius. Nachehr ist es wohl vergiftet", stieß Julius' Vater aus. Doch Julius streckte die Hand aus und nahm den länglichen Gegenstand entgegen, bereit ihn loszulassen, wenn er irgendwas spürte, was wie ein Stromschlag oder Giftstachel war.

Julius hielt den Zauberstab in der rechten Hand und schwang ihn wie ein Märchenzauberer. Dabei fühlte er merkwürdige Vibrationen, die vom Stab ausgehend durch seine rechte Hand liefen, aber keine elektrische Spannung oder ähnliches waren. Dann stellte sich der Junge kerzengerade hin, hob den Stab an und rief:

"Knall-Bumm!"

Er hatte zwar mit nichts gerechnet, doch es passierte was. Ein grünlicher Funke knisterte aus der Spitze und zerstob in der Luft. Dann sprang ein roter Funke aus dem Stabende und zerstob. Schließlich knisterte noch ein blauer Funke heraus, hüpfte wie ein leuchtendes Staubkorn in der Luft und ging ebenfalls aus.

"Wau! Wie geht denn sowas?! Elektrostatische Entladungen, wie?"

"Ungerichtete Magie, die Sie mit dem Stab auf einen winzigen Punkt konzentriert haben. Das zeigt, daß Sie magisch begabt sind", erläuterte Professor McGonagall. Richard Andrews schnaubte

"Blödsinn! Gib das Ding her, Julius und sieh, daß ich diesen Hokuspokus auch kann."

Julius gab seinem Vater den Zauberstab in die Hand. Dieser schwang ihn wild, wie ein Dirigent, der eine dahinjagende Musik vorantreiben wollte. Dann rief auch er:

"Peng und Knall!"

Es geschah nichts.

"Muß wohl erst wieder aufgeladen werden", meinte der Chemiker. "Ich dachte an Piezoelektrische Kristalle und leicht entzündliche Brennstoffpartikel."

"Sie können damit nicht umgehen", meinte Professor McGonagall kalt und nahm dem Vater von Julius ihren Zauberstab wieder aus der Hand. Richard Andrews trat zwei Schritte zurück. Dann langte er plötzlich in seine rechte Jackenttasche, drehte die Hand ein wenig und zog seinen Revolver heraus, den er mit einem schnellen Zug des Mittelfingers entsicherte.

"Das ist mein Zauberstab, Mylady. Und wenn Sie jetzt nicht Ihren Firlefanz zusammenpacken und schleunigst mein Haus verlassen, knallt er und könnte Ihnen sehr wehtun!" Brüllte Julius' Vater. Martha Andrews war vor Schreck erstarrt und ließ den Hörer wieder fallen, obwohl sie an und für sich jetzt gerade die Polizei hätte rufen müssen.

"Ist das eine dieser lauten Schußwaffen?" Fragte Professor McGonagall. Julius nickte. Ihm schauderte davor, daß sein Vater gerade einen entsicherten Revolver in der Hand hielt und dreinblickte, wie ein sprungbereiter Löwe.

"Sie wollen mir Gewalt antun?" Fragte Professor McGonagall mit ruhiger Stimme. Ein enthusiastisches Kopfnicken war die Antwort auf diese Frage. Die Besucherin im grünen Umhang verzog das Gesicht, sah Richard Andrews an und hob blitzschnell ihren Zauberstab, den sie ja noch in der Hand hielt.

"Expelliarmus!" Rief sie wie einen Befehl hinein ins Wohnzimmer. Keinen Augenblick später schoß ein greller roter Blitz aus der Spitze des Stabes und fegte gegen den rechten Arm von Richard Andrews. Der Revolver flog in hohem Bogen davon, und Julius' Vater wurde von einem gewaltigen Schwung von den Beinen geholt und einen Meter durch den Raum geschleudert. Er fiel krachend auf den Rücken und blieb erst einmal liegen, nach Atem und Fassung ringend. Noch mal hob die Unbekannte den Stab, deutete auf den auf dem mit farbigen Mustern bedruckten Teppich liegenden Revolver, machte eine schnelle Handbewegung, so daß die Spitze des Stabes wie eine Peitsche zischend durch die Luft fuhr. Dann gab es ein merkwürdiges Plopp, und da, wo eben noch ein gefährlicher Revolver gelegen hatte, lag nun ein völlig harmloses, mit bunten Blumen bedrucktes Sofakissen auf dem Boden.

"Artikel 413 Unterabschnitt 2 erlaubt einem Zauberkundigen im Angesicht einer unmittelbaren Bedrohung jeden Zauber, der zur schnellsten und unschädlichsten Auslöschung der Bedrohung führt", deklamierteProfessor McGonagall ungefragt eine Passage aus einem ihr allein bekannten Gesetz. Dann steckte sie den Zauberstab wieder in ihren Umhang und nahm auf dem Stuhl Platz.

"Jetzt haben Sie keine Erklärung mehr übrig, um die Zauberei zu ignorieren", bemerkte die Besucherin kalt lächelnd. Julius' Vater rappelte sich auf und wankte zu seinem Stuhl zurück, immer wieder auf das Sofakissen starrend, das auf dem Boden lag.

"Wieso haben Sie den Revolver nicht in das Kissen umgehext, als mein Vater ihn noch in der Hand hatte?" Wollte Julius wissen, der zwischen Erstaunen, Neugier und Unbehagen schwankte.

"Weil tote Objekte nur dann ohne Schaden für lebende Wesen verwandelt werden können, wenn sie von keinem Lebewesen berührt werden. Aber das werden Sie noch lernen, und zwar bei mir", erläuterte die Besucherin, ganz wie eine Lehrerin sprechend, die eine längst bekannte Tatsache beschreibt.

"Also, Mum, ich denke, das war jetzt doch echt", meinte Julius, wobei er seine Mutter ansah, die die Besucherin mit angstgeweiteten Augen anstarrte. Ihre kühle Logik hatte ihr wohl begreiflich gemacht, daß sie es mit einer wirklichen Hexenmeisterin zu schaffen hatte und sich dann verabschiedet und einer ungewohnten Angst den Weg freigemacht. So las es Julius aus dem Gesicht seiner Mutter.

"Das läßt sich nicht erklären", meinte Martha Andrews und sah zum Telefon hinüber.

"Falls Sie immer noch den Wunsch hegen, Ihre Gesetzeshüter herbeizurufen, lasse ich Sie gewähren. Aber dann haben wir immer noch einige Minuten Zeit, bis die Ordnungshüter eintreffen. Die Zeit kann ich nutzen, um Sie und Ihren Sohn hoffentlich in aufnahmebereiterer Stimmung über uns, die Schule Hogwarts zu unterrichten. Die Zeit ist übrigens knapp bemessen. Denn am ersten September beginnt das neue Schuljahr, und Ihr Sohn sollte wissen, wie er sich in den Besitz seiner Schulsachen bringen muß."

Martha Andrews setzte sich hin und griff demonstrativ nach einem der Pergamente, die immer noch auf dem Tisch ausgebreitet waren. Sie las von einer Liste ab, die angab, welche Schuluniformen benötigt wurden, welche Bücher und Ausrüstungsgegenstände erforderlich waren, um die erste Klasse von Hogwarts zu absolvieren.

"Das ist doch Unfug", presste Julius' Vater hervor. "Kein vernünftiger Laden führt diesen Krempel. Ich weiß zwar nicht, wie sie das eben gemacht haben. Aber mein Sohn kann das nicht, und er wird das auch nicht lernen. Da, wo er arbeiten wird, braucht er das nicht, dessen bin ich mir sicher."

"Richard, sag nichts mehr, bitte!" Zischte Martha Andrews ihrem Mann zu und studierte die Liste weiter. Dann fragte sie:

"Wo soll unser Sohn seine Sachen kaufen? Ich kenne keinen Buchladen, der wirkliche Zauberbücher führt, geschweige denn Zauberstäbe. Und was soll das mit dem Besen, den er noch nicht haben darf?"

"Angehende Hexen und Zauberer lernen es, auf Besen zu fliegen, damit sie später ohne Muggeltransportmittel reisen und den Volkssport der Zaubererwelt betreiben können."

"Häh?!" Machten Julius und sein Vater gleichzeitig. Professor McGonagall erklärte, daß es einen beliebten Mannschaftssport namens Quidditch gebe, der bei den Zauberern so populär sei wie Fußball oder Hockey bei den Nichtmagiern. Die Mannschaften flögen auf Rennbesen.

Dann erläuterte sie noch, daß es in London ein Stadtviertel gebe, das nur von Zauberern betreten und bewohnt werden könnte, von Ausnahmen abgesehen, wenn die Muggel, die Nichtmagier also, ihren Kindern bei den Einkäufen halfen. Dann sagte sie noch:

"Ich gebe gleich bescheid, daß Ihr Sohn und Sie beide morgen von einem Mitarbeiter von Hogwarts abgeholt werden können, um die Einkäufe zu erledigen. Was die Umrechnung ihrer Währung angeht, so wenden Sie sich an Sherrok, dem Sachbearbeiter für Muggelgeld bei Gringotts. Das ist die Bank der Zaubererwelt."

"Womit wir doch zum Thema zurückkommen", wandte Richard Andrews ein. "Man will unser Geld haben. Wie steht denn der Zauberdollar zum britischen Pfund, häh?"

"Das ist mir nicht bekannt. Aber ich weiß, daß selbst Nichtmagier ohne großes Einkommen den Aufenthalt und die Lehrmittel bezahlen können. Also kann der Wert nicht allzu unterschiedlich sein. Ich werde mich jetzt verabschieden. Ihre Sturheit hat mich wertvolle Stunden gekostet. Ich denke, ich werde Ihr Haus durch Disapparition verlassen müssen. Dumbledore gibt mir dafür bestimmt die Genehmigung."

"Bitte, was wollen Sie machen?" Fragte Julius.

"Ich versetze mich jetzt nach Hogsmeade, dem Dorf, das bei Hogwarts liegt. Das ist zwar etwas riskant, aber dafür die schnellste Reisemöglichkeit. In der Welt Ihrer Technikphantasien heißt das wohl Teleportation."

Sie sah noch einmal alle an und verschwand unvermittelt mit einem scharfen Knall. Nur ein rotierender, sich verflüchtigender Luftwirbel, verriet, daß dort eben noch eine ältere Frau in smaragdgrünem Umhang gestanden hatte.

"Das darf keiner wissen, Martha und Julius. Du gehst nach Eton, egal was die Hexe eben alles erzählt hat. Ich habe nicht viel Geld in deine Aufnahme dort investiert, damit du lernst, alles wissenschaftliche auf den Kopf zu stellen. Wir fahren heute noch ab und suchen uns eine geeignete Zuflucht. Ich nehme mein Handy mit, damit ich die Firmenarbeit auch von anderswo leiten kann. Martha, räume bitte den Kram vom Tisch weg und wirf dieses vermaledeite Sofakissen sofort in den Müll. Das glaubt uns kein Mensch."

"Richard, nimm es als gegeben an, daß diese Frau hexen kann. Nimm es auch als logische Erklärung an, daß sie nicht diesen Weg gemacht und uns aufgesucht hätte, wenn Julius nicht tatsächlich ..."

"Und ich dachte immer, du wärest die letzte Frau auf Erden, die sich von jemandem einschüchtern ließe. Offenbar hat dich diese sogenannte Professor McGonagall auch noch beeindruckt", schnaubte Richard Andrews.

"Shakespeare schreibt, daß es mehr Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, als unsere Schulweisheit sich träumen läßt. Ich habe gesehen, ich habe gehört. Warum sollte ich meinen Augen und Ohren nicht mehr trauen. Wir sind auch nicht mit einer Bewußtseinsdroge behandelt worden, weil wir sonst alles unterschiedlicher erlebt hätten. Aber jeder von uns hat gesehen und gehört, was passiert ist. Und dich hat es sogar von den Beinen gehauen. Dieses Sofakissen da ist auch feste Materie", erwiderte Martha Andrews, griff das aus dem Revolver gewordene Sofakissen und warf es keck ihrem Mann an den Kopf.

Ein klopfendes Geräusch am Küchenfenster ließ alle zusammenfahren. Als Julius, ermutigt dadurch, daß er es in der Hand hatte, was mit ihm geschah, das Küchenfenster öffnete, flog ein Waldkauz herein, strich kurz über den Küchentisch hinweg und landete genau auf Julius' linker Schulter. Der Junge sah, daß am rechten Bein des Tieres ein zusammengerollter Zettel aus Pergament befestigt war. Er zögerte einen Moment, dann griff er vorsichtig nach dem Zettel und band ihn vom Bein des Waldkauzes los. Dieser stieß ein kurzes Heulen aus, spannte die Flügel aus und flog wieder fort, durch das offene Küchenfenster hinaus in die Sommersonne.

"Käuze sind doch Nachtvögel", bemerkte Richard Andrews. Dann starrte er auf den Zettel, den Julius entrollt hatte. Julius las laut:

"Sehr geehrter Mr. Andrews Junior,

wir beglückwünschen Sie zu Ihrem Entschluß, Hogwarts, die Schule für Hexerei und Zauberei zu besuchen und teilen Ihnen mit, daß Sie sich keine Sorgen um Ihre Einkäufe machen müssen. Morgen um 13.00 Uhr werden unsere Mitarbeiterinnen Cynthia Flowers und Lorna Oaktree bei Ihnen vorsprechen, um Sie und Ihre Eltern, falls diese es wünschen, zur Winkelgasse zu geleiten, wo Sie alles erwerben können, was Sie für das erste Schuljahr benötigen.

Sollten Sie aus einem Ihnen bislang noch unbekannten Grund gezwungen sein, eine Reise anzutreten, dürfen Sie sich beruhigt darauf verlassen, daß unsere Mitarbeiterinnen Sie zum angegebenen Zeitpunkt an jedem Ort auffinden können, auch wenn Ihnen Keine Möglichkeit zur Verfügung steht, uns über Ihren Standort zu informieren.

Wir verbleiben mit freundlichen Grüßen

Professor M. McGonagall, stellvertretende Schulleiterin."

"Das wollen wir doch mal sehen, ob die uns überall finden", entgegnete Julius' Vater kampfeslustig. Seine Frau schwieg nur. Julius lachte und sagte:

"Ich glaube, die würden uns auch auf dem Mond finden, wenn du eine Rakete bei der Hand hättest, um mit uns dahin zu fliegen."

 

 

Einige Minuten Später kam jemand von der Personenschutztruppe an die Tür und erklärte, daß nichts auffälliges gefilmt wurde. Richard Andrews wollte den Film von der Kamera vor der Haustür sehen und bekam seinen Wunsch erfüllt. Er konnte beim Betrachten der Videocasette jedoch keine Unregelmäßigkeit erkennen und bedankte sich mißmutig bei dem Personenschützer. Das Honorar würde er schnellstmöglich überweisen.

"Die hat die Videocasette manipuliert, daß sie genau die Haustür gefilmt hat. Doch die Zeitangabe ist ohne Unterbrechung mitgelaufen. Wie geht sowas?" Ärgerte sich Richard Andrews.

"Würdest du es glauben, wenn ich von Hexerei sprechen würde?" Fragte Julius vorsichtig.

"Und wenn es so ist. Du lernst diesen Blödsinn nicht! Was sollen denn die anderen davon halten, wenn ich einen echten Zauberer in der Familie habe. Das brächte nur unnötige Publizität und könnte mich meine Stellung und mein Ansehen kosten. Du gehst nach Eton. Wenn du jetzt wirklich glaubst, daß du zaubern kannst, dann solltest du dich dort sehr beherrschen, damit dir nichts unliebsames ausrutscht!"

"Kann man einem Vogel das Fliegen verbieten, wenn man nicht weiß, wie man ihm die Flügel stutzen kann?" Wollte Julius wissen.

"Ich will nicht, daß du dieses Mumpitzinternat besuchst. Nur über meine Leiche."

"Das könnten die bestimmt einrichten", warf Martha Andrews ein.

"Die Hexe hätte dich vielleicht mit deinem eigenen Revolver erschießen können, ohne ihn in die Hand zu nehmen. Ist dir das vielleicht mal durch den Kopf gegangen?" Brachte Martha Andrews einen Punkt zur Sprache, der ihr Angst gemacht hatte.

"Wieso nicht gleich tothexen? So mit Hokus Pokus Mortus?" Mischte sich Julius ein.

"Wäre wohl auch möglich gewesen. Das waren keine Tricks. Dieses Sofakissen haben wir hier nicht besessen, und der Revolver lag zu weit fort, um ihn durch eine Taschenspielerei verschwinden zu lassen, Richard", redete Martha Andrews auf ihren Mann ein.

"Und trotzdem wird Julius kein Zauberer. Dieses Hogwarts ist purer Unfug. Denkst du, ich will in sieben Jahren sagen müssen, mein Sohn wird Zauberer und heiratet womöglich noch eine Hexe."

"Wieso nicht. Dein Vorfahre hat das ja vor 250 Jahren auch gemacht", warf Julius frech ein.

"Mach weiter so und verdiene dir deine erste saftige Backpfeife!" Drohte Richard Andrews.

"Hast du nicht eben gesagt, daß ich mich davor hüten soll, meine Beherrschung zu verlieren, wenn ich nicht zaubern soll?" Versetzte Julius wiederum sehr aufsässig.

"Unverschämtheit. Ich sorge dafür, daß diese Weiber - wie hießen die noch mal? - dich nicht finden können, wenn sie morgen vor der Tür stehen", sprach Richard Andrews und griff zum Telefonhörer.

Am nächsten Tag fuhren die Andrews' mit einem Taxi zum Londoner Flughafen Heathrow. Richard Andrews hatte einen Flug für drei Personen nach Sydney gebucht. Sie flogen um 08.00 Uhr los. Die Ankunft sollte 24 Stunden später erfolgen.

"Solange wir fliegen, können die uns eh nicht finden", grinste Richard Andrews.

Die Maschine überflog um 20.00 Uhr Ortszeit die Stadt Singapur. Julius Vater sah auf seine Uhr und strahlte wie ein Ritter, der einen zehnköpfigen Drachen mit einem Streich erschlagen hatte.

"Den Trick will ich erleben, mit dem die uns hier und unauffällig heimsuchen können."

"Achtung! Mr. Julius Andrews, Gebucht nach Sydney, wird gebeten, sich zum Telefon in der vorderen Kabine der Flugbegleiter zu begeben!" Erklang die routiniert sprechende Stimme einer jungen Frau.

"Ob sie das sind? Aber das nützt ihnen auch nichts", Grinste Richard Andrews und klopfte seinem Sohn auf die Schultern. Julius nutzte die Gelegenheit, sich die steifen Beine zu vertreten. Dabei kam er an einer Sitzreihe vorbei, in der drei Frauen in den Zwanzigern saßen. Sie unterhielten sich. Eine sagte gerade leise, aber für Julius laut genug:

"Geht doch nichts über einen anständigen Besen, Grisella. Diese Muggelfluggeräte sind laut, unbequem, und sowas von unsicher."

"Ja, aber deine Nichte hat nur einmal den 10. Geburtstag, Melinda. Und ihre Muggelverwandtschaft wartet am Flughafen auf uns", antwortete ihre Sitznachbarin zur Linken. Julius stutzte und stand starr für einen Moment.

"Huch, habe ich dich erschreckt, oder warum stehst du wie eine Salzsäule da, Junge?" Fragte die Frau, die sich über die "Muggelfluggeräte" beklagt hatte.

"N-n-nein, Madam. Ich dachte nur, irgendwas merkwürdiges gehört zu haben. Klang so, als würden Sie mit anderen Geräten als mit Flugzeugen fliegen. Hörte sich so an, als wären sie Hexen."

"Soso", lachte die Dame, die ihre Nichte besuchen wollte. Ihre Sitznachbarin, die Grisella hieß und rotblondes Haar zu einem Zopf gebunden hatte, grinste gehässig. "Hast du Angst vor Hexen?"

"Wieso sollte ich?" Antwortete Julius und trieb sich an, weiterzugehen, bevor die Frauen ihn noch mehr fragen konnten. Er sah sie noch mal an und stellte fest, daß sie ganz normal gekleidet waren, wie junge Frauen der 90er Jahre eben herumliefen. Dann wollte er weitergehen, als eine andere junge Frau in Flugbegleiteruniform auf ihn zukam, fröhlich strahlend, als habe sie ihn überall gesucht. Eine der nach Muggelart gekleideten Hexen lächelte erkennend und winkte.

"Hi, Cyn! Wußte gar nicht, daß du dich als Muggelflugbegleiterin beworben hast. Ich dachte die Sekretärinnenstelle wäre ideal."

"Aber sicher doch, Mel. Ich habe hier zu tun, der große alte Herr wollte es so, weil ... Deswegen", beendete die Flugbegleiterin ihren unterbrochenen Satz und deutete schelmisch lächelnd auf Julius Andrews.

"Ich glaube, wir haben eine Verabredung, junger Mann! Oder bist du etwa nicht Julius Andrews? Ich bin Cynthia Flowers. - Ah ja, du bist der richtige. Professor McGonagall hat mir ein Bild von dir gegeben", sprach die Flugbegleiterin leise, so daß außer den zwei oder drei Hexen in der Reihe und Julius keiner verstehen konnte, was sie sagte. Dann nahm sie Julius bei der Hand und führte ihn durch die vorderen Reihen zur Flugbegleiterkabine. Dort trafen sie auf eine weitere Frau, etwas älter als Cynthia Flowers, dunkelhaarig, zivil gekleidet mit braunen Augen.

"Ach, du hast ihn gefunden. Ich dachte schon, sein Weltverneinender Vater hätte den Braten gerochen. Der hat schon gestrahlt wie die Sonne. - Entschuldigung, junger Herr. Ich bin Lorna Oaktree, sozusagen die Sekretärin für Neuzugänge aus der Muggelwelt. Meine Mitarbeiterin Cynthia Flowers haben Sie ja schon kennenlernen dürfen. Wir haben uns heute morgen extra diesen Flug gebucht, um zur vereinbarten Zeit mit Ihnen zusammentreffen zu können."

Julius schätzte kurz die beiden Frauen ab. Cynthia wirkte wie ein lebenslustiges Schulmädchen, daß gerade erst begriffen hatte, daß es mit der Schule fertig war. Lorna hingegen war wohl fünf oder zehn Jahre älter und gesetzter.

"Wie sind Sie denn an die Uniform gekommen?" Fragte Julius neugierig.

"Tja, das ist ein Betriebsgeheimnis der Schule. Aber du kannst versichert sein, daß das alles im Rahmen eurer und unserer Gesetze abgelaufen ist", antwortete Cynthia Flowers kurz und sachlich, genauso, als habe sie die Frage erwartet.

"Das wird wohl nichts mehr mit dem Einkaufen. Oder wollen Sie mit mir aus einer vollbesetzten 747 teleportieren?" Fragte Julius weiter.

"Hmm, wenn wir das dürften, würden wir das machen. Aber wir haben zum einen die strickte Anweisung, nicht mit Schulanfängern zu disapparieren und dann gibt's ja noch die Geheimhaltungsgesetze. Aber wir machen das anders. Wir steigen in Sydney aus, wie geplant, dann transferieren wir uns mit Flohpulver zurück nach London und kaufen deine Sachen ein. Eine von uns bringt sie in euer Haus und wartet dort, bis ihr wieder zurückkommt. Dein Vater wird in Sydney einen Anruf von seiner Firma bekommen, der ihn schnurstracks zurückzitiert. Diese Muggelfernsprecher sind manchmal gar nicht so dumm. Nur zum fliegen brauchen die diese stinkenden Krachmaschinen", bemerkte Cynthia Flowers.

"Irgendwie droht mein Arbeitsspeicher gleich überzulaufen, meine Damen. Ich habe bis gestern noch nie was von Muggeln, Hexen und Zauberern gehört und finde die ganze Kiste schon etwas verdreht, um es so zu sagen. Ich brauche auch kein Flohpulver. Ich dusche jeden Tag, und meine Eltern passen auf, daß ich mir nichts einfange."

Irgendwie mußte er den beiden offensichtlichen Hexen den Witz des Jahrhunderts erzählt haben. Denn sie lachten so laut und ungeniert, daß Julius Andrews schon befürchtete, man könne ihn als Urheber einer Störung verantwortlich machen. Dann meinte Lorna Oaktree:

"Also, du gehst jetzt wieder auf deinen Platz und sagst deinen Eltern, daß wir angerufen hätten. Wir würden dich in Sydney abholen. Cynthia, du gehst mit ihm zurück. Erzähl mir dann, wie die beiden geguckt haben, wenn unser hoffnungsvoller Neuzugang seinen Spruch aufgesagt hat."

Offenbar hatte sich Julius in Lorna Oaktree getäuscht. Sie war genauso ein Schelm wie ihre Mitarbeiterin.

Cynthia Flowers begleitete den Jungen wieder zu seinem Sitz, wobei sie den nach Muggelart reisenden Hexen einen kurzen Blick zuwarf, eine unausgesprochene Verabredung treffend.

"Und, wer war es?" Wollte Richard Andrews wissen. Julius setzte eine wichtige Miene auf und antwortete::

"Eine Lorna Oaktree war am Telefon. Sie sagt, sie und ihre Mitarbeiterin Cynthia Flowers hätten zur festgesetzten Zeit bei uns geklingelt und niemanden angetroffen."

Richard Andrews präsentierte sein breitestes Grinsen. Dann fuhr sein Sohn fort:

"Dann hätte ihnen eine Hexe gesagt, sie hätte mich in einer Kristallkugel gesehen, wie ich mit euch in Sydney landen würde, und nun wollten sie eben dort auf mich warten."

Den letzten Teil des Satzes hatte Julius nach einer strategischen Pause von zwei Sekunden ausgesprochen. Sein Vater fuhr zusammen, als habe man den Sitz unter ihm unter Strom gesetzt. Er wurde weißer als die Fassade seines Hauses und krümmte sich noch mehr zusammen. Cynthia Flowers, die als Flugbegleiterin getarnt einige Meter zurückgetreten war, als wolle sie noch eine Bestellung aufnehmen, bevor sie in ihre Kombüse zurück müßte, kam eilfertig herbeigelaufen und fragte, ob es dem Herren gut gehe. Mr. Andrews antwortete:

"Ein Unwohlsein. Bin diese langen Flüge nicht mehr gewohnt."

"Soll ich Ihnen einen Vitamincocktail bringen, Sir? Der wirkt bestimmt. Ist ein wahrer Zaubertrank."

Bei diesem Wort fuhr Richard Andrews noch einmal zusammen und stammelte:

"Nein, danke. Mir geht es soweit gut. Ich stehe auf und laufe ein bißchen im Gang herum, falls das geht. Dann geht es mir wieder besser."

"Wie Sie wünschen. Ich kann auch fragen, ob ein Arzt an Bord ist."

"Ich hoffe, den brauche ich nicht. Aber Sie können mir einen Gefallen tun. Bitte lassen Sie uns in Sydney einen Wagen bereitstellen!"

"Hmm, das wird sich machen lassen. Haben Sie schon ein Hotel gebucht. Sie sehen mir so aus, als hätten Sie eine dringende Verabredung einzuhalten und hätten keine Zeit gehabt, Ihren Aufenthalt zu planen."

"Stimmt. Wir haben noch nicht gebucht. Bitte lassen Sie auf den Namen Andrews für drei Personen Zimmer buchen, ein Doppelzimmer mit Bad und einer Schlafcouch. Wir konnten nicht genug Geld für einen Aufenthalt organisieren."

"Wie sie wünschen. Wie lautete der Name genau?"

"Familie Richard Andrews, zwei Erwachsene, ein Kind", gab Julius' Vater an.

Als die Flugbegleiterin sich zurückgezogen hatte, meinte Julius:

"Ich glaube, Mum, du solltest dir für die nächste Zeit keinen zauberhaften Abend wünschen."

"Hüte dich, da noch drüber zu lästern, mein Sohn. Mir gefällt das nicht. Mir gefällt das ganz und gar nicht. Ich komme mir vor wie eine Marionette an sehr langen Fäden. Oder wie bei dem Rennen zwischen Hasen und Igel im Märchen. Ich weigere mich, alles, woran zu glauben ich je gelernt habe, wofür ich mich in Schule, Universität und Beruf abgemüht habe, von jetzt auf nachher für ungültig zu erklären."

"Das mußt du doch nicht, Richard. Wir sollten lernen, die Sache mit Julius so nüchtern wie möglich zu sehen. Man organisiert alles, um ihm eine außergewöhnliche Ausbildung zu bieten, bislang ohne Gegenforderung. Wir haben mal eben 3000 Pfund für diesen Flug hingelegt. Das regt dich weniger auf als die Sache mit diesem Hogwarts."

"Sprich diesen Namen, solange ich dabei bin, nie wieder so laut aus. Wer weiß, ob nicht noch wer in dieser Maschine sitzt, der mit dieser, ähm, Unsinnsinstitution was zu schaffen hat. Das werde ich nicht hinnehmen. Aber ich bin noch nicht fertig mit meinen Tricks. Die mögen vielleicht Kristallkugeln haben und Plopplahopp in der Gegend herumspringen können, aber die Zukunft, so lehrt uns die Quantentheorie, birgt unendlich viele Möglichkeiten. Ich habe dieser Stewardess gesagt, sie soll uns ein Hotel buchen, damit diese Agenten von, Du-weißt-schon-wo glauben, daß wir genau da hinkommen. Tatsächlich buche ich jetzt für uns wo anders."

Richard Andrews holte sein Mobiltelefon hervor, stellte sicher, daß ihn niemand sah und telefonierte mit seinem Freund Bill Huxley in Sydney. Alles konnten die nun auch nicht vorhersehen.

"Und du läßt dich nicht von Aufrufen irritieren. Die warten am Flughafen auf uns, möglicherweise an der Information, damit es unauffälliger geht. Wir aber lassen uns von Bill schon an der Maschine abholen. Da kommen die nicht drauf. Vergiß nicht, die wissen nichtalles über unsere Welt. Ich komme mir schon vor wie einer dieser Aliens."

"Und du meinst, das stellen Sie dir nicht in Rechnung, daß sie nach Sydney mußten, um Julius abzuholen? Langsam glaube ich, die bringen alles fertig."

"Das fehlte noch, daß du noch den Verfolgungswahn kriegst, Mum. - Ah, kuck mal, da draußen fliegt 'ne Hexe auf einem Besen vorbei!" Julius genoß kurz das Gefühl, daß seine Eltern beide zusammenfuhren und aus dem Fenster glotzten. Dann traf ihn die wuchtige Bakcpfeife seines Vaters an der linken Wange. Julius konnte sich nicht mehr daran erinnern, wann er das letztemal eine Ohrfeige bekommen hatte, aber so weh wie diese jetzt, hatte die nicht getan. Hinter Richard Andrews erhob sich eine junge Frau mit braunen Haaren und rief vorwurfssvoll:

"Mann, wenn Ihr Sohn einen Jux macht, brauchen Sie ihn nicht gleich zu hauen. Sie haben wohl Flugangst?"

"Halten Sie sich da heraus", blaffte Richard die Fremde an. Dann sagte er:

"Wenn ich einen Herzinfarkt kriege, bevor wir unten sind, kriegen Sie deine Mum dran wegen Beihilfe zum Mord und du landest in einem Kinderheim. Mach dir das klar und halt den Mund!!" Schnaubte Richard Andrews seinen Sohn an.

Die blonde Flugbegleiterin alias Cynthia Flowers kam zurück und verkündete, daß man einen Mietwagen am Ankunfstsgebäude bereitgestellt hatte. Wenn sie in Sydney landeten, würden sie einen Plan zum Hotel Sonnenquell erhalten, wo bereits ein Zimmer mit zusätzlicher Schlafcouch gebucht worden sei.

Richard Andrews erhob sich und ging im Gang auf und ab. Dabei kam er auch an der Reihe mit den drei Hexen in gewöhnlicher Kleidung vorbei. Sie unterhielten sich über Melindas Nichte und was sie sich wünschte.

"Sie will als Sucherin bei den Canberra Kangaroos spielen. Sie hat mich gefragt, ob ich einen Nimbus 2000 für sie besorgen könnte und ... - Geht es Ihnen nicht gut. Sie sind das Fliegen nicht gewohnt. Ist ja auch kein Wunder bei diesen Ruckeldingern. Hier, ich schenke ihnen das. Ist nur ein einfaches Lutschbonbon. Danach geht es Ihnen wieder besser."

"Öhm. Naja. - Danke!" Meinte Richard Andrews und nahm das Bonbon. Dann ging er weiter auf und ab. Als er wieder zum Sitz zurückkam, las seine Frau in einer Computerzeitung, und Julius blätterte durch ein Naturwissenschaftsmagazin. Er wies auf eine Darstellung eines Eiweißmoleküls und fragte:

"Hast du das schon gelesen. Die wollen Kunststoff demnächst durch spezielle Enzyme entsorgen lassen, daß er zu Brennstoff ohne Chlorverbindungen wird. Das wäre doch was für euch, oder?"

"Ja, das wäre es", strahlte sein Vater, froh darüber, mal über reine und exakte Forschung sprechen zu können. Dann nahm er das Bonbon aus seiner bunten Verpackung und steckte es in den Mund. Julius sah, wie sich sein Gesicht entspannte, und die Farbe wieder zurückkehrte, wo vorher noch Schreckensblässe zu sehen war.

"Hui, das ist ja richtig gut. Hoffentlich sind da keine Drogen drin", meinte Mr. Andrews. Ihm war jetzt richtig wohl, obwohl er keine Bewußtseinsänderung oder ähnliche Begleiterscheinungen erfuhr. Julius nahm das Bonbonpapier und las die winzige Aufschrift "Melinda Buntons Befreiungsbonbon. Enthält nur natürliche Wirkstoffe one Auswirkungen auf die Wahrnehmung. Fördert Streßabbau, körperliche Erholung und angenehme Stimmung. Dann standen da noch die Zusätze wie Zitronensaft, Himbeersirup und Traubenzucker. Allerdings war da noch etwas aufgeführt, was Julius seinem Vater lieber nicht vorlas. Es hätte ihn auf befremdliche Gedanken bringen können. Julius warf das Papier in den Abfallbehälter und staunte nicht schlecht, als es sich in Staub verwandelte.

"Hat die Flugbegleiterin dir das Zitronenbonbon geschenkt, Paps?"

"Nein, eine junge blonde Passagierin einige Reihen weiter vorn. Sie will wohl ihre Nichte in Canberra besuchen und unterhielt sich über Sport. Irgendwas mit Suchern und Nimbus 2000. Muß wohl sowas wie Baseball sein."

"Da gibt's doch keine Sucher. Muß was typisch australisches sein", meinte Julius. Was er wirklich dachte, behielt er besser für sich.

 

 

In Sydney angekommen geleitete Cynthia Flowers die Andrews' zum Ausstieg. Richard half seiner Frau beim tragen der Reisetasche, in der sie für eine Woche Gepäck mitführten. Sie gingen zu einem Ford Transit und stiegen ein, als sei dieses Fahrzeug ein Zubringerbus für Passagiere. Beim wegfahren sah Julius noch mal das Gesicht von Cynthia Flowers. Ob die jetzt betrübt dreinschaute, konnte er nicht sehen, weil sie weiteren Passagieren beim Ausstieg half. Im Moment faszinierte ihn dieser Wettkampf zwischen seinem Vater und einer unbestimmten Zahl von Zauberern und Hexen. Bald würde er wissen, an wen die nächste Runde ging.

"Warum wolltest du eigentlich haben, daß ich dich direkt vom Flieger abhole, Richard? Ich meine, das mit der Einreise für Touristen ging schon klar. Ich muß nur gleich noch eure Pässe abstempeln lassen", tönte der Fahrer, ein braungebrannter Mann mit dunklem Haar und in einen grünen Overall gekleidet, der Julius irgendwie an den Umhang vonProfessor McGonagall erinnerte.

"Ich habe meine Gründe, Bill. Ich habe schon zu oft erlebt, daß, kaum daß ich aus einem Flieger heraus war, ich in den nächsten reinmußte, weil mein Chef mich mal eben umdisponiert hatte. Und jetzt, wo mein Sohn nach Eton geht und ich ihn bis zum nächsten Sommer nicht zu sehen kriege, wollte ich ihm noch eine besondere Geburtstagsüberraschung bieten und für eine Woche nach Sydney. Mein Chef hat Wind davon bekommen. Deshalb wollte ich nicht durch den Flughafen. Und sonst, alles bei dir im grünen Bereich?" Wollte Julius' Vater wissen.

"Yep!" Machte der Fahrer des Transits. "Ich habe dir noch nicht erzählt, daß ich eine Lady kennengelernt habe. Die ist vor kurzem in meine Gegend gezogen, und hui!"

"Erspare mir deine berühmten Romantikabenteuer, Bill. Wie heißt die Klassefrau denn?"

"Aurora Dawn. Echt komisch, eh?" "Morgenrot Morgenrot! Jawohl, das ist doch was."

"Ich habe sofort gesagt, die Frau muß 'ne Hexe sein oder 'ne Esoterikerin, wenn sie sich so einen Namen zulegt."

"Komm, du alter Ingenieur glaubst doch an nichts, was nicht vier Räder und 'nen Motor hat."

"Und du glaubst an nichts, was man nicht zerlegen und wieder zusammenbrauen kann. Was willst denn du eigentlich mal werden, Julius?"

"Weiß ich noch nicht. Mathe ist eigentlich nicht so mein Ding, also wird's mit der Physik nichts. In Bio bin ich gut. Vielleicht werde ich Botaniker oder was in dieser Richtung", gab Julius Auskunft. Tatsächlich ging er auch jetzt noch davon aus, daß er wohl in der Pflanzenkunde was anfangen würde.

"Dann kommst du mal wieder her, und wir und vielleicht Aurora Dawn besuchen mal das Outback", meinte Bill in seinem harten australischen Akzent.

"Aber erst, wenn ihr die Krokodile abgeschafft habt", flachste Julius und grinste seinen Vater an. Er freute sich, daß es diesem wieder gut genug ging, daß er über Bills Bemerkung zu Aurora Dawn lachen konnte, ohne wieder zusammenzufahren.

"Moment, mein Mobiltelefon", meinte Bill, als aus seiner rechten Jackentasche "Waltzing Matilda" dudelte. Er nahm das kleine Gerät und drückte die Hörertaste. Dann hielt er sich das Hörteil wie elektrisiert vom Kopf weg. Eine überlaute Stimme plärrte aus dem winzigen Lautsprecher:

"Hallo, Bill, Aurora hier. Du hast doch gesagt, daß du mich mal zum Kaffeetrinken besuchen wolltest. Hast du deine englischen Freunde aufgepickt?"

"Ja, habe ich. Ich weiß aber nicht, wann ich heute nachmittag vorbeikommen soll. Ich muß denen ja noch die Stadt zeigen."

"Dann komm doch gleich vorbei und stelle mir deinen alten Schulfreund vor. Was hast du gesagt ist er?"

"Bürositzer, kein Naturfreund. Wollte seinem Erstgeborenen unsere schöne Stadt zeigen, bevor der in die Schule für angehende Snobs geht."

"Der arme Junge", plärrte es aus dem Handy-Lautsprecher zurück. Dann meinte Bill Huxley:

"Wie ist das, Richard. Willst du meine neuerwerbung gleich kennenlernen?"

"Ich weiß nicht, Bill. An und für sich bin ich nicht der Typ, der einfach so bei ihm fremden Frauen zum Kaffee hereinschneit. - Aber du hast recht. Sag deiner Nachbarin, daß wir gerne mitkommen."

Julius hatte genau gesehen, wie es im Gesicht seines Vaters gearbeitet hatte. Erst dachte dieser daran, daß er nicht wußte, mit wem er es zu tun bekommen würde. Dann hatte er eine beruhigte Miene gezeigt, nach dem Motto: "Bill weiß schon, mit wem er sich einläßt. Dann ein Grinsen, wohl soviel bedeutend wie: "So heftig wie wir herumspringen, kommen die uns nicht hinterher."

"Okay, Aurora. Dann stell schonmal den Kaffee warm!" Verabschiedete sich Bill Huxley und schaltete die Verbindung aus. Er seufzte.

"Meine Güte. Ich habe es ihr schon mehrmals erklärt, daß ein Handy stark genug ist, um selbst Flüstern deutlich zu übertragen. Und die brüllt mir jedesmal voll ins Ohr. Jedesmal erwischt sie mich unaufmerksam."

"Aber sonst redet sie in angenehmer Lautstärke?" Fragte Julius' Mutter.

"Ja, sogar schön leise. Ich habe den Eindruck, sie will mir Sachen sagen, die sonst keiner mitkriegen soll. Dann ist sie so leise, daß ich ... Aber lassen wir das!"

"Kommt die vom Land, oder wieso kennt die kein Mobiltelefon?" Wollte Julius wissen.

"Scheint so. Manchmal ist sie wie ein Kind, das die Welt entdeckt. Dann wieder ist sie wie eine erfahrene Großmutter im Körper einer Dreißigjährigen, die viel von Kräutern und anderen Pflanzen weiß. Aber ihr werdet sie ja gleich kennenlernen", schloß Bill Huxley das Thema ab.

Den Rest der Fahrt verbrachten sie schweigend. Als sie in Bills Wohnsiedlung hineinfuhren, spürte Richard Andrews, daß er jetzt unbedingt eine Runde joggen mußte. Er räkelte sich und wartete darauf, daß der Transit anhielt. Bill hieb mit seiner behaarten Faust auf die Hupe und sah, wie sich ein Gartentörchen öffnete und eine schlank gewachsene Frau mit langen dunklen Haaren im langen roten Kleid herauskam und ihm zuwinkte.

"Die ist das?" Entfuhr es Julius ungeniert.

"Genau, Burschie", bestätigte Bill Huxley grinsend und hüpfte vom Fahrersitz herunter. Die Andrews' folgten ihm etwas gesitteter und trafen zehn Sekunden später bei Bill ein, der gerade in den Armen der Fremden lag.

"Hallo. Sie müssen Bills Musterknabe Richard sein", grüßte die Unbekannte ohne jede Zurückhaltung den Direktor der Forschungsabteilung einer berühmten Kunsstofffabrik. Dieser lief leicht rot an und nickte verlegen. Dann grüßte die Fremde die Frau des Freundes von Bill Huxley und kam schließlich zu Julius.

"Und du gehst demnächst nach Eton, hat Bill mir erzählt? Ich bin Aurora Dawn. Ja, ich wweiß, meine Eltern waren spaßige Zeitgenossen, die einzigen Chaoten von Ravenclaw."

"Von wo?" Fragte Julius Andrews belustigt.

"So hieß das Schulhaus, in dem meine Eltern sich kennenlernten. Die waren auch in einem Internat. Aber ich war die einzige aus unserer Familie, die Vertrauensschülerin geworden ist."

"Mein Vater will auch haben, daß ich Vertrauensschüler werde", maulte Julius, der jetzt schon wußte, daß das in harter Arbeit ausufern würde.

"Ach, daran kann man sich gewöhnen, wenn man die richtigen Freunde hat", erklärte Aurora Dawn etwas altklug. Dann winkte sie den Andrews', ihr ins Haus zu folgen, das einen gemütlichen Eindruck machte.

In einer geräumigen Wohnstube, deren Mitte freigehalten war, bat die Hausbewohnerin ihre spontanen Gäste zum Kaffee. Man unterhielt sich über den Flug und die Dinge, die man erledigen wollte, bis Julius sein neues Schulleben beginnen würde. Der Junge verspürte zwischendurch den Drang, sich zu erleichtern und fragte nach der Toilette. Aurora Dawn zeigte ihm den Weg und kehrte dann zu ihren Gästen zurück. Julius erledigte sein Bedürfnis und schlich dann leise durch das Haus, tendenziell in die Richtung auf das Wohnzimmer zu. Dabei kam er in die Küche, die irgendwie altmodisch wirkte. Es gab kein elektrisches Gerät, keinen Kühlschrank, keinen Herd. Julius sah noch nicht einmal Lampen mit Glühbirnen. Er wunderte sich. War diese Aurora Dawn eine Öko-Frau, die alle modernen Geräte ablehnte, weil sie durch ihren Stromverbrauch die Umwelt belasteten? Julius sah ein altes Wasserschiff, einen großen Behälter, in dem Abwaschwasser oder Badewasser erhitzt werden konnte. Er erkannte richtige Waschbretter, ein großes Spülbecken und eine Feuerstelle, in die man Roste zum Kochen oder Räuchern einhängen konnte. Alles in allem ein richtig antikes Umfeld, dachte der Sohn von Martha und Richard Andrews. Dann sah er sich noch die Regale an, in denen Gewürze, Küchengeräte und Geschirr aufbewahrt wurden. Einige Fächer waren verschlossen. Doch Julius sah weder Schlösser noch Riegel. Für einen kurzen Moment gab er seiner Neugier nach und trat an einen dieser Schränke heran. Er las die Aufschriften auf den verriegelten Türen und stutzte, als er von Alraunenpulver, Grünwurzextrakt und Bilsenkraut las. Irgendwie wunderte es ihn nicht, daß er hier auch Tollkirschen lesen konnte, obwohl er nicht sagen konnte, ob in den Schränken tatsächlich diese Giftkräuter enthalten waren. Er strekcte die Hand aus und zog an einer Tür. Sie widerstand ihm. Dann konzentrierte er sich und ließ einen explosionsartigen Gedanken in sein Gehirn schnellen:

"Geh auf!"

Es klickte nicht, es knirschte nicht und bot keinen Widerstand, als die Tür unter dem leichten Zug seiner Hand aufschwang. Zum erstenmal in seinem Leben, hatte Julius Andrews bewußt gezaubert. Und wie war ihm: Er fühlte sich zwischen grenzenloser Erleichterung und einer Beunruhigung. Er erinnerte sich, daß ihm sein Onkel Charlie mal erzählt hatte, so fühle sich's an, wenn man die erste Liebe erlebt habe. Das konnte Julius natürlich nicht nachvollziehen. Aber etwas ähnliches mußte es schon sein. Und noch etwas wußte er: Aurora Dawn war auch eine Hexe. Sie konnte genauso zaubern wie Professor McGonagall oder Cynthia Flowers. - Cynthia Flowers! Hatte sein Vater sie wirklich abgehängt. Oder war er ahnungslos direkt in eine Falle gelaufen, wie ein Wildtier bei der Treibjagd? Er wußte es nicht. Er wollte nur nicht erwischt werden, wie er in einer Hexenküche herumstöberte. Er drückte die Tür wieder zu und sandte einen ebenso explosionsartigen Gedanken aus, die Tür möge verschlossen bleiben.

Julius lauschte. Er hörte Aurora Dawn mit seinem Vater scherzen und hoffte, daß sie nicht bemerkt hatte, daß er ihr Reich durchforscht hatte. Langsam zog er sich zurück und suchte sich seinen Weg zum Wohnraum.

"Brauchtest du so lange?" Wollte sein Vater wissen.

"Kein Kommentar", gab Julius zurück. Er setzte sich hin und tat so, als habe er nichts angestellt. Aurora Dawn teilte Gebäck aus. Bill schwärmte von ihrem Kuchen. Der Kaffee ging zur Neige. Die Gastgeberin holte aus ihrer Küche neuen Kaffee. Julius fragte sich, wie sie den wohl machen würde, ohne Kaffeemaschine. War das überhaupt Kaffee, den seine Eltern tranken? Nein, er wollte nicht so sein, wie sein Vater. Er wollte sich keine Gedanken darum machen, was auf ihn lauern würde. So verging die Zeit und Julius Vater wurde immer ruhiger. Offenbar hatte er entschieden, daß die Hexen ihn aus den Augen verloren hatten. Er konnte sich ja nicht vorstellen, daß er gerade bei einer zu Gast war.

Nach dem Kaffee bot Aurora Dawn den Gästen an, ihnen ihren großen Garten zu zeigen. Julius stimmte sofort zu, um seine Geschichte vom angehenden Botaniker aufrechtzuhalten. Er folgte seinen Eltern und Bill Huxley in den Garten, der ordentlich bepflanzt war. Erstaunt war Julius, daß kein einziger Unkrauthalm aus einem Beet lugte. Dafür wuchs Löwenzahn und einiges andere europäische Wildgemüse in einzelnen Beeten. Richard Andrews interessierte sich besonders für ein Büschel orangeroter Blätter, das aus einem kleinen Topf ragte, der neben einem hohen Vogelbeerbaum stand. Als er näher herantrat, trat die Gastgeberin an seine Seite und warnte:

"Vorsicht, Sir. Die Pflanze ist tödlich. Sie produziert ein starkes Gift, das in der Kräuterheilkunde gebraucht wird."

"Ich bin ein Plastikmensch. Ich habe keine Ahnung von Heil- und Giftpflanzen. Aber dürfen Sie sowas hier halten?" Wollte Mr. Andrews wissen.

"Ich habe eine Sondergenehmigung für diese Pflanze, weil ich hier in der Gegend die einzige Heilkräuterexpertin bin, zu der auch Leute kommen, die mit der Schulmedizin nicht so befreundet sind", meinte Aurora Dawn zu Mr. Andrews. Julius hatte inzwischen auch die geheimnisvolle Pflanze erreicht und fragte, was das denn sei:

"Eine Drachenschlafblume", erwiderte die schwarzhaarige Kräuterhexe lächelnd. Julius guckte und dachte nach. Dann sagte er:

"Ich dachte immer, diese Pflanze gebe es nur im Mythos und der Alchemie."

"Auch da", entgegnete Aurora Dawn. Julius wurde das Gefühl nicht los, als ob sie ihn nun ebenso durchschaut hatte, wie er sie. Vielleicht war er wirklich genau da gelandet, wo ihn die beiden Hogwarts-Hexen haben wollten. Doch er fühlte keine Angst oder Enttäuschung, daß das Versteckspiel seines Vaters wohl nicht funktioniert hatte, sondern nur gespannte Erwartung, wann ihn jemand direkt ansprechen würde. Seinem Vater schien der kleine Exkurs in Zauberpflanzenkunde nicht aufgefallen zu sein. Er flachste mit Bill über die Parade an und für sich wildwuchernder Pflanzen, die hier offenbar zur Ordnung erzogen worden waren.

Julius versuchte, sich von Aurora Dawn fernzuhalten und stromerte durch den weitläufigen Garten, bis er an einem Schuppen vorbeikam. Die Tür war verschlossen. Wieder siegte die Neugier und die Gewissheit, etwas tun zu können, um die Tür zu öffnen. Julius berührte die Tür und dachte wieder konzentriert daran, daß sie sich öffnen sollte. Tatsächlich gab die Tür nach und offenbarte dem Jungen einen großen Kleiderschrank mit Umhängen, spitzen Hüten und großen Ballroben wie bei einem Fürstentanzabend. Julius sah an den Kleidern vorbei in einen Spiegel, der aber nicht sein Bild zeigte. Er stutzte. Er dachte an die Schauergeschichten von Vampiren, die kein Spiegelbild hatten und fragte sich, ob das wirklich ein Spiegel oder nur eine glänzende Scheibe mit einem Bild dahinter war. Er las auf dem Mahagoniholzrahmen:

"Spiegel Roiretsop". Julius drehte den Namen um und las "Posterior" daraus, was mehr oder weniger "nachher bedeutete. Ein Zauberspiegel also. Er drehte sich fort und dachte daran, ob sein Bild in den nächsten Sekunden oder erst stunden später zu sehen sein würde. Er entschied, daß es sowieso nichts bringen würde, jetzt davonzurennen. Wenn dieser Spiegel wirklich ein Spätabbilder war, würde Aurora Dawn, wenn sie im entsprechenden Zeitraum hereinkam feststellen, daß jemand dagewesen war. So konnte man Einbrecher auch stellen, überlegte sich Julius Andrews und bekam einen heißen Schauer von Schuldgefühlen. Denn jetzt erst war er sich darüber im klaren, was seine Zauberkraft für eine Versuchung bedeutete. Theoretisch könnte er in jede Wohnung und an jeden Geheimschrank dran, egal wie gut dieser gesichert war. Julius wollte gerade schnell aus dem Schuppen verschwinden, als er über etwas längliches stolperte, das leicht zurückrollte und dabei ein Geräusch machte, wie am Boden scharrendes Laub im Herbstwind. Er sah nach unten und entdeckte einen Besen. Naja, dachte er sich. Das hatte ja auch noch gefehlt. Alle Hexen hatten Besen. Dieser schien zwar in jahrelangem Gebrauch zu sein, hatte jedoch keine Lücken im Reisigwerk.

"Wenn ich tatsächlich mit sowas fliegen können sollte, muß ich doch einfach nur neben den Besen treten und sagen ..", Dachte Julius und sagte laut: "Besen hoch!"

Wie von einer Sprungfeder geschnellt richtete sich das Kehrgerät soweit auf, daß Julius mit einem Schwungdes Rechten Beins aufsitzen konnte. Doch hier verließ ihn der Mut. Das wollte er nicht ausprobieren. Er drückte den Besen wieder runter und sah zur Eingangstür. Und dort standen zwei Frauen, die er kannte: Aurora Dawn und Cynthia Flowers.

"Das ist ein Himmelsstürmer 8, ein Langstreckenbesen", kommentierte Aurora Dawn den sich gerade zur Seite rollenden Besen. Cynthia Flowers grinste und fragte:

"Willst du überhaupt noch nach Hogwarts, wenn du hier schon alles lernen willst?"

"Ich fürchte, mein Vater wird sich damit abfinden müssen, daß ich dorthin gehe. Denn ich habe rausgekriegt, daß es sehr toll ist, Schlösser zu öffnen ohne Schlüssel. Wenn ich nicht lerne, damit fertig zu werden, ende ich noch im Gefängnis. Ach neh, da käme ich ja auch raus. Aber weiß Bill Huxley, daß Sie, ähm, kein Muggel sind?" Wollte Julius wissen.

"Ahnen ist nicht wissen. Und er ist eher davon begeistert, daß ich Geheimnisse habe, die er noch klären kann", erwiderte Aurora Dawn. Aber du bist ja ein Naturtalent. Meine Küchenschränke gehen sonst nicht einmal beim Alohomora-Spruch auf, wenn ein fremder Zauberer dagegentippt. Ich hhabe eine Warnanlage, einen Meldezauber eingebaut, der mir verrät, wenn jemand meine geheimen Aufbewahrungsorte öffnet. Aber dein Vater ist ein echter Ablehnermuggel. Cynthia hat es mir erzählt, daß er fast in Ohnmacht gefallen sei, als du ihm aufgetischt hast, daß sie in eine Kristallkugel gesehen hätte."

"Spontaner Geistesblitz. Die Wahrheit hätte er noch weniger verdaut."

"Das wird wohl stimmen", schmunzelte die blonde Sekretärin von Hogwarts. Dann fragte Julius:

"Was ist mit meinen Eltern und Bill?"

"Im Kaffee war ein Schlafpulver, daß sie für acht Stunden ruhen läßt. Deine Eltern werden glauben, das der Zeitunterschied sie müde gemacht hat. Es ist also genug Zeit, die Einkäufe zu erledigen. Cynthia meinte, ich sollte mitkommen. Ich war seit meiner Schulzeit nicht mehr in der Winkelgasse."

"W-winkelgasse? Ist das eine dieser Straßen, die nur Zauberer finden können?"

"Und Hexen", fügte Cynthia Flowers hinzu.

"Wieso bin ich eigentlich nicht eingeschlafen? Weil ich einer von euch bin?"

"Nein, weil ich in deine Tasse das Gegenmittel in Form einer kleinen Portion Milch getropft habe. Was Muggel bezaubert, wirkt auch auf uns."

"Achso. Und wie kommen wir von ganz unten der Erde nach England. Bohren wir uns durch die Erde?"

"Nein, wir nehmen Flohpulver", erläuterte Cynthia Flowers.

Julius Andrews dachte daran, daß er in diesem Moment zwei völlig fremden Frauen mehr Vertrauen schenkte als seinen besten Schulfreunden. Er ging mit ihnen aus dem Schuppen. Aurora Dawn zog einen Zauberstab aus einer Innentasche ihres Kleides und winkte der Tür damit zu. Sie fiel lautlos ins Schloß und wurde wohl auch sofort verriegelt. Dann eilten sie hinüber zum Haus und gingen sofort in die Hexenküche. Aurora Dawn nahm ihren Zauberstab und beschwor ein Feuer in den Kamin hinein. Cynthia holte aus ihrer immer noch gut sitzenden Flugbegleiterinnenuniform eine Pergamentrolle, überflog sie kurz und sagte:

"Mhmm, das übliche Spiel. Umhänge, den Zauberstab und einen Kessel. Die Standardzauberbücher und die Zutaten für die Zaubertränke. Wirf das Pulver ins Feuer, Aurora!"

"Was ist eigentlich mit Ihrer Vorgesetzten, Mrs. Oaktree?" wollte Julius wissen.

"Die steht in Verbindung mit Hogwarts und teilt mit, wie sich die Dinge entwickeln. Unser Direktor ist sehr amüsiert, wie sich jemand gegen eine einfache Erkenntnis so heftig wehren und doch verheddern kann. Der Zaubereiminister hat bereits angeregt, eine Gedächtniskorrektur vorzunehmen, wenn du in Hogwarts angekommen bist. Aber das wäre dir abträglich, da du ja spätestens in den Sommerferien zurück nach Hause mußt."

"Nun, das würde ich auch nicht wollen. Mein Vater sieht die Naturwissenschaften als einzige Glaubensrichtung an und will keinen Zauberer in der Familie haben, der in echt zaubern kann und womöglich andere Zauberer und Hexen zum Geburtstag einläd."

"So, Leute! Noch mal für alle, die das noch nie oder schon lange nicht mehr gemacht haben. Wir müssen zunächst zur Grenzabfertigung, weil das Floh-Netz nur auf ein Land begrenzt ist. Jeder, der ins Feuer tritt, sagt "Zur Grenze!" Keine Sorge, Julius! Die Flammen fühlen sich ganz harmlos an. Allerdings solltest du die Augen schließen und die Arme fest anlegen, wenn du das Ziel ausgesprochen hast", erklärte Aurora Dawn, als nach einem schnellen Wurf mit einem Pulver die Flammen in der Feuerstelle smaragdgrün aufloderten und bis zur Decke schlugen. Julius wollte schon einwenden, daß man doch nicht in ein Feuer hineintreten konnte, als Aurora Dawn in die auflodernde Feuerwand hineinging, ohne sich etwas zu verbrennen. Sie rief:

"Zur Grenze!" Ein lautes Rauschen, wie eine schnell vorbeirasende Schnellzuglokomotive, und Aurora Dawn war verschwunden.

"Geh einfach in die Flammen hinein, rufe das, was Aurora Dawn gerufen hat und lass dich mitreißen. Keine Sorge! Tausende Zauberer und Hexen machen das täglich. Ankommen tust du immer", sprach Cynthia Flowers auf den Sohn von Richard Andrews ein. Julius hielt die Luft an. Als er in der grünen Feuerwand stand, glaubte er, in einer angenehmen warmen Brise zu stehen. Er rief schnell:

"Zur Grenze!"

Ein lautes Rauschen lärmte in seinen Ohren, und ein mächtiger Sog hob ihn an, wirbelte ihn herum. Julius wagte kurz, seine Augen zu öffnen und konnte nur vorbeifliegende Ausschnitte von Kaminen und dahinterliegenden Räumen erkennen. Dann kam ein Gefühl, wie ein freier Fall. Er spürte einen Aufprall und streckte reflexartig die Arme aus, um sich abzufangen. Zwei starke Arme packten ihn und halfen ihm, aus einem breiten Kamin zu klettern. War er am Ziel?

"Hui, für einen totalen Anfänger haben Sie sich aber gut gehalten", meinte ein Zauberer in den Vierzigern, der einen dunkelblonden Vollbart trug und mit stahlblauen Augen durch blitzende Brillengläser blickte. Er trug einen ziegelroten Umhang und wirkte sehr gut in Form.

"Woher wissen Sie, daß ich ein totaler Anfänger bin?" Wunderte sich Julius. Dann fauchte es in einem anderen Kamin, und unter smaragdgrünen Funken schälte sich Cynthia Flowers aus einem Luftwirbel heraus.

"Sie wurden angekündigt, Mr. Andrews", antwortete der Zauberer im ziegelroten Umhang auf die Frage des Jungen. Cynthia Flowers nickte bestätigend. Aurora Dawn, die ja als erste abgereist war, saß auf einem Wartestuhl und sah Julius wohlwollend an.

Jetzt erst nahm sich der Sohn eines Chemikers und einer Computerprogrammiererin die Zeit, sich seine Umgebung anzusehen. Er staunte über die gigantische Halle, die wie das Zwischending einer Kathedrale und eines Hauptbahnhofes war. Ab und an fauchte es aus einem der über hundert Feuerstellen, die wohl alle einen Kaminausgang nach oben besaßen. Julius sah Hexen und Zauberer in smaragdgrünen Feuerwänden verschwinden oder aus gerade nicht befeuerten Kaminen herauskommen. Zehn Hexen und Zauberer in ziegelroten Umhängen kontrollierten die An- und Abreise. Julius sah mehrere Schalter wie bei einem Postamt, über die glitzernde Münzen oder Pergamentstücke hinweggereicht wurden.

"Ich weiß, daß Sie nichts dabeihaben, was zu verzollen wäre. Dennoch muß ich Sie fragen, ob Sie australische Zaubergegenstände auszuführen wünschen", sagte der Dienstzauberer, der Julius aus dem Kamin geholfen hatte.

"die Antwort ist nein", erwiderte Julius. Dann fiel ihm auf, daß er keinen Paß bei sich hatte. Wenn das hier eine Grenzstation war, von der aus die Hexen und Zauberer in andere Länder reisen konnten, konnte er sich nicht ausweisen. Dies sagte er auch dem Zauberer. Dieser meinte nur:

"Diese Muggel. Immer meinen Sie, für alles Papier- oder Plastikstücke zu brauchen. Das ist hier nicht nötig. Sie legen Ihre Hand hier auf den Tresen, zahlen die Transfergebühr und reisen, wohin Sie müssen. Besuchen Sie die Winkelgasse?"

"So heißt das wohl, wo ich hin soll", erwiderte Julius schüchtern. Cynthia Flowers nahm ihm weitere Schwierigkeiten ab. Sie zahlte eine Gebühr für sie beide zusammen, für hin- und Rückreise. Der Grenzstationszauberer nickte und wies Cynthia Flowers und ihrem Schützling einen freien Kamin. Hier bekamen sie eine Prise Flohpulver. Doch Julius fiel auf, daß es etwas anders aussah.

"Das ist die Expressversion mit Drachenschuppen und Harpyienfedern. Damit reisen Sie in wenigen Sekunden nach England", erklärte der Zauberer, als er Julius fragenden Blick sah. Julius fragte Cynthia, wieviel die Passage hin und zurück kostete. Sie sagte:

"Hin und zurück zahlt jeder vier Galleonen. Wieviel das in Muggelwährung ist, weiß ich nicht."

Aurora Dawn, die ebenfalls eine Hin- und Rückreise bezahlt hatte, trat wieder zuerst an den Kamin, warf von dem Expresspulver etwas ins Feuer, wartete darauf, daß sich die Flammen smaragdgrün verfärbten und trat hinein.

"England!" Rief sie und verschwand mit einem Rauschen.

Julius folgte der schwarzhaarigen Kräuterhexe und spürte, daß der Sog diesmal heftiger war und das Rauschen ohrenbetäubend wie Donner wurde. Noch ehe das Lärmen und das Herumwirbeln unerträglich werden konnten, plumpste Julius schon aus einem anderen Kamin heraus. Aurora Dawn lachte erleichtert, als eine Diensthexe, die in Marineblau gekleidet war, Julius aus dem Kamin half.

"Sie wurden angekündigt, Mr. Andrews. Da fliegen Sie mit einer ruckeligen Muggelmaschine mehrere Stunden um die halbe Erde, um dann innerhalb von wenigen Sekunden zurückzukommen. Das hätten Sie wohl nicht geglaubt, wie?"

"Ich muß wohl denken, daß die Welt der Zauberer und Hexen über gute Informationskanäle verfügt", staunte Julius.

Als auch Cynthia Flowers angekommen war, ging es zu einem anderen Kamin. Wieder mußten Sie Flohpulver nehmen, in die Flammen treten und "Winkelgasse!" rufen. So landeten sie schließlich in einem heruntergekommen aussehenden Schankraum eines Pubs, der voller Leute in bunten Umhängen war.

"Komm, wir fallen hier auf, wie die bunten Hunde", meinte Cynthia Flowers und half ihrem Schützling aus dem Kamin. Aurora Dawn war auch schon hier und klopfte dem Jungen die Aschenreste von der Kleidung.

"Der alte Tom ist immer noch hier", meinte die Kräuterhexe mit den schwarzen Haaren. Dann sah sie einen großen Mann mit dunkelbraunen Haaren, der in einem rubinroten Umhang gehüllt war und einen orangen Spitzhut trug.

"Heh, Markus!"

Der angesprochene, offenbar ein Zauberer, drehte sich um und begrüßte Aurora Dawn.

"Ich dachte, du bist im australischen Busch verlorengegangen", meinte der Fremde. Die schwarzhaarige Kräuterhexe lachte nur und antwortete:

"Das hättest du wohl gerne, wie? Ich habe dort ein gutes Auskommen und biete Heiltränke für Muggel und Zauberer. Die Muggeltränke dürfen natürlich nur aus Heilpflanzen sein, die bei den Muggeln auch als Heilpflanzen bekannt sind."

"Soso, die Lieblingsschülerin von Professor Sprout hat sich auf die Heiltränke spezialisiert. Snape würde sich freuen."

"Das wäre allerdings ein Ereignis", grinste Aurora dawn. Dann verabschiedete sie sich von Markus und begleitete Cynthia Flowers und den baldigen Hogwartsschüler durch den Hinterausgang des Pubs. Im Innenhof suchte Cynthia einen bestimmten Stein in einer Mauer, tippte dreimal dagegen, so daß sich die Mauer auftat und sie auf eine belebte Straße ließ, auf der keine Autos fuhren, keine Fahrräder und keine Inlineskater.

"Das ist die Winkelgasse. Hier gibt es alles, was die Zaubererwelt braucht und vieles, was nur zum Spaß da ist", stellte Cynthia dem vor wenigen Tagen noch als völlig unmagisch geglaubten Julius Andrews die Winkelgasse vor.

"Eigentlich schade, daß seine Eltern so stur sind. Wenn sie hier wären, könnten sie sehen, daß wir ebenso unsere Probleme und Freuden haben, wie sie. Aber wer nicht will, der hat schon", meinte Aurora Dawn.

Cynthia Flowers führte Julius zunächst zu einem imposanten Marmorgebäude, über dessen eingangsPortal der name Gringotts in goldenen Lettern stand. Julius entsann sich, daß dies die Bank der Zaubererwelt war und erinnerte sich auch daran, daß er kein Geld besaß, um die Zaubersachen zu kaufen, weder normales, noch das für Zauberer.

"Ach, fällt dir aber früh ein, daß du kein Geld hast", grinste Cynthia als sie in Julius' Gesicht lesen konnte, was ihn gerade bedrückte. Dann sagte sie:

"Nach alldem, was in den letzten Tagen geschehen ist, mußten wir den Paragraphen 148 des Zauberergesetzes benutzen. Da steht drin, daß Muggelgeborene, also Leute, die ausNichtmagierfamilien kommen, einen Vorschuß aus dem Haushalt für Zaubereiförderung bekommen. Darin ist ein Schuljahr in Hogwarts und die Standardausrüstung enthalten. Und für nächstes Jahr kriegen wir das schon auf die Reihe. Professor McGonagall war äußerst aufgebracht. Eigentlich haut ein Entwaffnungszauber mit anschließender Objektverwandlung jeden Ungläubigen vom Thron seiner Sturheit."

"Kein Kommentar", warf Julius ein, dem es allmählich peinlich wurde, daß sein achso erfolgreicher Vater von anderen als Unfähiger angesehen wurde.

"Ich glaube, er wird sich damit irgendwie arrangieren. Mum ist da offenbar flexibler", gab er dann doch noch einen Kommentar ab.

In der großen Schalterhalle von Gringotts sah Julius zum erstenmal richtige Kobolde. Cynthia Flowers suchte mit ihrem Begleiter einen Schalter auf und trug ihr Anliegen vor. Aus dem Saum ihrer Flugbegleiteruniform förderte sie einen Brief mit dem Wappen, das Julius vor wenigen Tagen das erstemal gesehen hatte. Der Kobold hinter dem Schalter las den Brief, den Julius nicht lesen konnte, weil er offenbar mit einer unsichtbaren Tinte geschrieben worden war. Doch der Kobold nutzte ein Sichtglas, mit dem er wohl derartige Botschaften entziffern konnte. Dann nickte er und rief einen anderen Kobold herbei, den er beauftragte, die Kunden zum Verließ 214 zu bringen, wo sie soviel Geld aufnehmen sollten, wie benötigt wurde. Der Kobold nickte und lotste einen selbstfahrenden Wagen, eher eine Kohlenlohre, herbei. Die Bankkunden stiegen auf und fuhren damit in die tiefe.

"Wie tief geht das denn noch runter?" Fragte Julius Andrews.

"Einige hundert Meilen. Unsere Verliese sind gut untergebracht und gesichert", antwortete der Kobold grinsend.

Nach einer schier endlosen Fahrt durch kalten Fahrtwind gelangten sie zu einer Tür mit der Nummer 214. Der Kobold tippte dagegen, murmelte eine Art Passwort, und die Tür verschwand. Sie glitt nicht auf, sondern verschwand.

"Warten Sie hier!" Ordnete der Kobold an und ging in das Verlies. Nach wenigen Minuten kam er zurück, mit einem großen Beutel voller Gold-, Silber- und Bronzemünzen. Cynthia gab dem Kobold eine vorformulierte Quittung, die sie in Anwesenheit des Bankangestellten unterschrieb, mit einer altmodischen Feder.

Der Kobold fuhr sie dann mit der Kohlenlohre wieder nach oben, wo Cynthia Flowers ihrem Schutzbefohlenen erklärte, wieviel Münzen welchen Wert hatten.

"Und wo geht es jetzt zuerst hin?"

"Hmm, zuerst die Kleidung, dann die Bücher, dann der Kessel. Schließlich noch der Zauberstab", legte Cynthia Flowers die Marschroute fest. Aurora Dawn hielt bereits auf die Apotheke zu und lachte, als sie sah, wieviel frischgehackte Alraune kostete.

"Die sind doch verrückt hier, bei dem Preis ist das Risiko des Selbbstanbaus ja kleiner als der finanzielle Totalschaden. Ich guck mal, ob ich da drinnen einen Unkrautbremstrank kriegen kann", meinte sie und verschwand in der Apotheke.

Als Julius Andrews seinen Schulumhang besaß, fühlte er sich schon halb in der anderen Welt, in der Videoprogramme und Computerauswertungen nichts mehr zählten. Dann kamen die Zauberbücher.

Das erste, was Julius an dem Buchladen Flourish & Blotts auffiel, war der riesige Käfig im Schaufenster. Er trat näher heran und sah, wie hunderte von Büchern darin herumflogen, offenbar sehr aggressive Zauberbücher, die irgendwie lebten. Sie schnappten nacheinander und schlugen sich mit ihren Deckeln. Vereinzelte ausgerissene Seiten trudelten durch den Käfig. Auf dem Rücken eines Buches konnte Julius lesen "Das Monsterbuch der Monster".

"Die sind dieses Jahr neu erschienen. Aber du brauchst davon zum Glück keines", meinte Cynthia.

Im Laden selbst tummelten sich viele erwachsene Hexen und Zauberer mit halbwüchsigen in Julius' Alter und darüber. Der Verkäufer wirkte so, als müsse er gegen gefräßige Raubtiere kämpfen. Tatsächlich konnte der angehende Zauberlehrling beobachten, wie er mit dicken Handschuhen und einem Spazierstock an den Käfig mit den Monsterbüchern herantrat und sich abmühte, auch nur eines der aggressiven bücher zu erwischen, um es aus dem Käfig zu holen, ohne dabei von den anderen Büchern verletzt zu werden.

Als Julius das Verwandlungsbuch in den Händen hielt, erinnerte er sich an Professor McGonagalls Worte:

"... das werden Sie noch lernen, und zwar bei mir ..."

Danach kaufte er den Kessel, wie in der Ausrüstungsliste vorgesehen. Anschließend ging es noch mal zur Apotheke, um die Zaubertrankzutaten zu kaufen. Cynthia staunte, woran sich Julius alles erinnern konnte. Er schien die ganze Liste auswendig gelernt zu haben und fragte nach, wofür die Sachen alles zu gebrauchen waren. Cynthia mußte einräumen, daß sie eine bessere Verwandlungskünstlerin und Quidditchspielerin gewesen war.

"Du hast noch genug Zeit, dich durch deine Bücher zu lesen. In Hogwarts läuft zur Zeit eine Schülerin rum, die auch aus einer reinen Muggelfamilie stammt und alles auswendig gelernt hat, was es an erschwinglichen Büchern gab. Die ist jetzt mit der zweiten Klasse fertig."

"Scheint wohl eine Krankheit zu sein. Aber ich werde meine Zeit sinnvoller zubringen, als nur Bücher zu lesen", räumte Julius Andrews ein.

"Das will ich hoffen. Bücher sind was für Leute, die mit ihrer freien Zeit nichts anzufangen wissen", erwiderte Cynthia Flowers. Die Apothekentür schwang auf und eine kleine rundliche Hexe kam herein, die einen Flickenhut und einen erdverkrusteten Umhang trug.

"Ich brauche schnell etwas von der Phytosansalbe. Die Chrysanda erecta hat sich den Feuerstachelkäfer eingefangen. Ich muß ..., aber das ist doch Cynthia Flowers. Haben Sie einen Betreuungsauftrag übernommen?"

"So ist es, Professor Sprout. Der junge Herr hier muß seine Zaubersachen haben. Seine Eltern sind Muggelwissenschaftler. Die hatten nicht das bedürfnis, ihn auf seinem Weg zu helfen."

"Wissenschaftler. Was glauben Sie, was ich mache, oder Professor Snape oder Professor Flitwick? Unerhört! Ach, entschuldigung. Ich war zu aufgeregt. ich bin Professor Sprout, Lehrerin und Pflegerin für Zauberkräuter und -pilze."

"Habe schon flüchtig von Ihnen gehört. Mein Name ist Julius Andrews", stellte sichJulius etwas schüchtern vor.

"Die Phytosansalbe ist aus", kam eine genervte Frauenstimme aus einem der hinteren Lagerräume.

"Das ist doch wohl nicht wahr! Ich glaube nicht, daß Snape mir eine entsprechende Mixtur brauen kann. Bis dahin ist die Pflanze vertrocknet."

"Was ist denn dieser Feuerstachelkäfer?" Fragte Julius neugierig.

"Ein gemeiner Parasit, der Pflanzen mit magischen Kräften heimsucht und von innen her ausdörrt, um die Asche zu fressen, die dabei entsteht. Phytosan blockiert den Verbrennungsprozeß."

"Oha!" Machte Julius. Aurora Dawn kam noch einmal in die Apotheke und blieb verdutzt stehen. Dann lächelte sie erfreut und grüßteProfessor Sprout. Als sie erfuhr, was die Kräuterkundelehrerin suchte, meinte sie:

"Ich habe herausgefunden, daß der Feuerstachelkäferfraß durch ein Muggelmedikament namens Aspirin in Verbindung mit Fledermausblut genauso gestoppt werden kann. Das Gemisch aus einer Standardtablette und fünf Kubikzentimeter australischem Fledermausblut wird im Kessel fünf Minuten gekocht und in die Erde der Pflanze gegeben. Ich habe das bei einer Springwurzel erfolgreich geschafft. Allerdings habe ich mir einen wirksamen Feuerkäferschutz zugelegt."

"Aspirin, was soll denn das sein?"

"Das hilft bei uns gegen Kopfschmerzen und wird aus der Rinde der Weide gewonnen. Es senkt auch Fieber und fördert die Durchblutung. Wie es der Zufall will, habe ich gerade zwei Tabletten dabei, wenn mir übel werden sollte. Ich schenke sie Ihnen."

"Und das funktioniert wirklich mit Fledermausblut?" Wollte Professor Sprout wissen.

"Wie gesagt, es geht. Australisches Fledermausblut mit einer Tablette dieses Medikamentes reicht aus, um den Feuerstachelkäferfraß zu beenden. Sie verderben sich den Appetit. Das ist des Rätsels Lösung."

"Haben Sie australisches Fledermausblut da?" Wollte die Kräuterkundelehrerin wissen.

"Das haben wir vorrätig. Wird nicht so häufig gekauft", meinte die Apothekenhexe und winkte mit dem Zauberstab:

"Accio australisches Fledermausblut!"

Keine Sekunde später sauste eine Halbliterflasche mit einer dunkelbraunen Flüssigkeit herbei.

"Eine Sickel pro Kubikzentimeter", sagte die Apothekerin. Professor Sprout warf zehn Silbermünzen auf den Tresen und ließ sich zehn Kubikzentimeter in eine Glasphiole abfüllen.

Die Professorin verließ die Apotheke, Hoffnung und Unglauben im Gesicht.

"Es zahlt sich aus, wenn man beide Welten kennt", meinte Aurora Dawn zu Julius Andrews. Dieser nickte.

"Irgendwas hat das für sich."

"Die wird sich an dich erinnern", meinte Cynthia noch. Julius schüttelte den Kopf und meinte:

"Die wird sich nur an Auroras Rat erinnern. Ich glaube nicht, daß ich, ein Unkundiger, bei ihr so schnell einen Stein im Brett habe."

"Das wird sich zeigen."

Die letzte Etappe der magischen Einkaufstour führte zu Ollivanders Zauberstäbe. Mr. Ollivander trat hinter seinem großen Schreibtisch hervor und sah zuerst die blonde Hexe in der Flugbegleiteruniform.

"Hallo, Miss Flowers. Ich habe Sie lange nicht mehr gesehen. Sind Sie jetzt wieder bei den Lehrmitteln für Hogwarts zuständig?"

"So ist es, Mr. Ollivander. Dies hier ist Julius Andrews. Er stammt aus einer Muggelfamilie, in die vor 250 Jahren eine Hexe eingeheiratet hat. Das alte Erbe ist jetzt erst erwacht. Dumbledore und McGonagall haben mich beauftragt, für seine Einschulung den Kauf der Ausrüstung zu beaufsichtigen."

"Und nun brauchen Sie einen Zauberstab. Das ist richtig, daß Sie hierher gekommen sind, junger Mann. Wenn sie optimalen Erfolg haben möchten, vertrauen Sie sich den Zauberstäben aus meiner Fertigung an. Denn hier findet jeder Zauberstab den richtigen Besitzer."

"Öhm, oder umgekehrt?" Fragte Julius. Mr. Ollivander erschien ihm etwas weltentrückt, exzentrisch.

"Nein, so wie ich es sagte. Nicht Sie bestimmen den Zauberstab, der zu Ihnen past, sondern der richtige Zauberstab zeigt sich Ihnen selbst. Darf ich bitte Maß nehmen?"

"Wofür. Ich dachte, die Dinger wären alle gleich lang."

"Oha, ein Maschinenkind. Tut mir leid, das so gesagt zu haben. Aber die Welt aus der Sie stammen, paßt die Umgebung den Bedürfnissen an und nicht umgekehrt. Insofern können Sie natürlich nicht wissen, welche metaphysische Koexistenz zwischen einem Zauberer und seinem Zauberstab entsteht."

"Sprechen wir hier eigentlich von etwas lebendem?" Fragte Julius etwas ungläubig. Offenbar mißfiel das Mr. Ollivander. Denn er wirkte leicht verärgert als er sagte:

"Offenbar wurde bei Ihrer Benachrichtigung nicht allzu großer Wert auf exakte Erklärungen gelegt. Aber Sie werden sehen, wovon ich spreche. Bitte strecken Sie die Zauberstabhand aus!"

Mit einem sich selbst regulierenden Maßband wurden Armlänge, Fingerabstände, Nasenlochabstand und diverses mehr gemessen. Als Mr. Ollivander zurückkehrte, hielt er zwanzig längliche Päckchen in den Händen und legte sie auf den Tresen.

"Versuchen Sie diese! 11 Zoll, Eschenholz mit Einhornschweifkern."

Und so ging es los. Der erste Zauberstab knisterte beim Probewinken, als wolle er gleich explodieren. Der zweite Zauberstab pfiff wie ein Luftheuler beim Silvesterfeuerwerk. Mr. Ollivander meinte dazu:

"Ihre Grundkraft ist enorm. Eigentlich will sie sofort durch den Zauberstab ausbrechen. Es dürfte sehr interessant werden. Wissen Sie den Namen ihrer Urahnin?"

"Megan McGonagall, wie die Professorin von Hogwarts."

"Ich entsinne mich. Sie war eine großartige Heilerin. Sie übte 70 Jahre den Krankenschwesternberuf in Hogwarts aus und stand im Ruf, nur die Tode nicht verhindern zu können, die schneller als eine Sekunde eintreten. Offenbar hat sich Ihre Begabung über die Generationen aufgestaut. - Probieren Sie diesen Zauberstab. Eichenholz mit Phönixschwanzfeder, 13 Zoll lang."

Julius griff den wohl schon 15. Zauberstab und fühlte sofort eine enorme Energie, die vom Zauberstab in seine Hand, und wieder zurückfloß, wie durch einen Stromkreis. Er wagte gar nicht, den Stab zu heben. Als er es doch tat, flogen sieben bunte Ringe aus Funken heraus und zerstoben in der Luft.

"Phantastisch. Eine derartige Reaktion habe ich bislang nur bei zwei Stäben beobachtet. Offensichtlich harmonieren Ihre magischen Grundkräfte mit dem Holz und dem Kern."

"Jetzt verstehe ich auch, was Sie meinten und muß mich entschuldigen, Sir", gestand Julius ein und bewegte den Zauberstab erneut. Wieder flog ein bunter Ring heraus und zerfiel in der Luft.

Cynthia gab Mr. Ollivander die sieben Galleonen für den Zauberstab und führte Julius hinaus.

"Den darf ich ja nicht anfassen. Ich fürchte, wenn ich auf jemanden böse bin und nach dem Stab greife, zerstrahl ich den, auf den ich böse bin noch, ohne ein Wort gedacht zu haben."

"Deshalb lernt ihr hier in Hogwarts. Mit der Zeit regeln sich die ungerichteten Energien so ein, daß man nicht beim Ziehen des Zauberstabes schon etwas auslöst. Du steckst eben voller Kraft. Deshalb konntest du auch Auroras Küchenschränke öffnen."

"Unheimlich ist das schon", meinte Julius.

Mit dem Flohpulver ging es zunächst wieder zur Grenzstation in England. Von dort aus ging es mit der Expressversion zurück auf den australischen Kontinent, wo letztendlich Aurora Dawn ansagte, wo es hinging.

"Sage "Haus der Morgendämmerung", Julius!"

Julius folgte Aurora Dawn ohne Probleme. Sie fing ihn am Ziel auf, bevor er kopfüber aus dem Kamin purzeln konnte.

"In einer Minute von England nach Australien. Das ist für dich sicher beeindruckend, oder?"

"Ja, ist es", gab Julius zu, als Cynthia Flowers ebenfalls in Aurora Dawns Kamin auftauchte.

 

 

Als die drei Zaubereinkäufer wieder in Australien eingetroffen waren, bekamen sie durch das Feuer, das zuvor ihren Transport ermöglicht hatte, eine Nachricht von Lorna Oaktree. Sie berichtete, daß Julius' Ausrüstung wohlbehalten in der Winston-Churchill-Straße eingetroffen sei. Vorsichtshalber habe man das Haus gegen unbefugten Zutritt gesichert.

Als Richard und Martha Andrews erwachten, glaubten sie, wirklich der Zeitverschiebung zum Opfer gefallen zu sein. Cynthia Flowers war nach England zurückgekehrt. Jetzt, wo das Schuljahr so kurz bevorstand, gab es noch viel zu erledigen. Julius hatte sich bei ihr für den interessanten Ausflug bedankt.

"Diese Hexen haben es wohl endlich gemerkt, daß sie uns nicht überall hin verfolgen können", meinte Richard Andrews triumphierend. Seine Frau war da skeptischer. Sie dachte daran, daß man Julius wohl nicht in Ruhe lassen würde, bis er eindeutig bewiesen hatte, daß er kein Zauberer sei.

Julius ließ sich von Aurora die magischen Pflanzen beschreiben. Dabei zeigte es sich, daß er tatsächlich der geborene Botaniker war. Denn er vermochte erkrankte Pflanzen, die äußerlich wie frisch ergrünt wirkten, von gesunden Pflanzen zu unterscheiden.

"Ich glaube für Professor Sprout wärest du ein idealer Bewohner von Hufflepuff", lobte ihn die schwarzhaarige Kräuterhexe, als er ohne lange zu gucken, alle kleinen Pflanzen in einem Beet herunterbeten konnte. Sein Vater stand dahinter und hörte nur die wissenschaftlichen Namen. Er freute sich, daß jemand seinem Sohn die wahre Wissenschaft doch näher brachte, als die nebulöse Welt mythischer Mächte.

Als am 5. August beschlossen wurde, am nächsten Tag zurückzureisen, nahm Aurora den jungen Julius noch mal bei Seite.

"Dein Vater klärt gerade die Hotelbuchung, die er nicht benötigt hat. Er wird bbald feststellen, daß Cynthia kein Hotel für euch gebucht hatte. Vielleicht wird er dann mißtrauisch. Aber bis er wieder da ist, biete ich dir an, einige Testrunden auf meinem Himmelsstürmer 8 zu drehen. Die meisten Zaubererkinder lernen schon mit drei auf einem Besen zu fliegen. Und diese lärmenden Luftverschmutzer sind kein wirkliches Fliegen."

"Okay, Aurora! Wenn Sie mich fragen, sage ich nicht nein", meinte Julius. Er hatte schon längst mit seiner Existenz als Zauberer in der Ausbildung Frieden und Freundschaft geschlossen.

Martha Andrews war mit Bill huxley und ihrem Mann noch mal in die Stadt gefahren. Aurora Dawn hatte ihren kleineren Einkaufsbesen Wolkenreiter 3 aus dem Schuppen geholt und sich neben Julius hingestellt. Julius befahl dem Himmelsstürmer 8, in Aufsitzstellung zu gehen und schwang sich auf den langen Reisigbesen.

"Okay, Nicht zu ehrgeizig. Wir steigen erst ein paar Meter auf. Anfangs ist es immer etwas schwierig, Gleichgewicht und Flugrichtung zu behalten. Aber das ist wie mit dem, was ihr Fahrradfahren nennt. Wenn die innere Wahrnehmung sich eingestellt hat, geht es wunderbar einfach."

Die Kräuterhexe stieß sich vom Boden ab, sachte, daß sie nur einige Meter aufstieg. Julius stieß sich ebenfalls ab und gewann schnell an Höhe. Er drückte den Besen nach vorne, um nicht mehr weiter aufzusteigen. Dann übte er Richtungsänderungen, Flughöhenänderungen und Lageänderungen. Nach einer halben Stunde Technik ging es aufs offene Gelände hinaus. Hier gab es wenige Leute, die ihnen hätten zusehen können. So schafften sie es, eine Stunde lang über das Buschland zu fliegen. Julius bekam ein immer besseres Gefühl für seinen Flug und freute sich darauf, in Hogwarts die ersten offiziellen Flugstunden zu bekommen. Als er nach erfolgreichem Flug wieder landete, meinte Aurora Dawn:

"Ich sagte es ja. Du bist ein Naturtalent. Sowas darf niemand ungestraft ignorieren. Es ist aber nicht nur wichtig, was du bist und was du kannst, sondern was du daraus machst. Also, solltest du im Hause Ravenclaw landen, sowie meine Eltern und ich, mach das beste für dich und dein Haus daraus. Solltest du bei Gryffindor oder Hufflepuff einquartiert werden, so wirst du immer jemanden haben, der dir hilft, deinen Weg zu gehen. Und wenn du, was ich nicht glaube, bei den Slytherins landest, laß dich nicht von den achso reinblütigen Prinzen und Prinzessinnen ärgern und nicht zu bösem Denken verleiten. Ich wünsche dir eine erfolgreiche und auch angenehme Schulzeit in Hogwarts."

"Dort wird er nie hingehen!" Knurrte eine höchst verärgerte Stimme hinter Aurora Dawn.

"Ich hätte es mir denken sollen, daß Ihnen und Ihrer Bande von Scharlatanen kein Mittel schlecht genug erscheint, meinen Sohn zu verleiten, sein Leben einem irrsinnigen Ziel zu opfern."

"Wer die Sonne nicht scheinen sieht, der ist bereits blind", stieß Aurora Dawn aus, als sie die wütende Grimasse von Richard Andrews erkannte.

"Ich habe mein Leben dafür hergegeben, für meinen Sohn ein stabiles Fundament zu schaffen. Ich sehe nicht tatenlos zu, wie dieses Fundament durch Geisterbeschwörer und Hexen in den Staub getreten wird. Ich bin enttäuscht von Ihnen, Miss Dawn. Ich ging davon aus, daß Sie wissenschaftlich orientiert sind. Aber das war wohl auch nur ein Täuschungsmanöver."

"Nein, das war es nicht. Oder glauben Sie, die Kenntnis von tausenden von Pflanzen und Kräutern mit magischen Eigenschaften und ihre richtige Nutzung wäre ein Würfelspiel? Lernen heißt lernen. Und das, was Ihr sohn lernen kann, ist mehr, als Sie in ihrem bisherigen Leben zu träumen wagten. Oder hat man Ihnen das Träumen bereits aberzogen, bevor Sie in die Schule kamen?"

"Mein Traum war und ist es, am Ende meines Lebens sagen zu können: Dafür hat es sich gelohnt." Gab Richard Andrews barsch zur Antwort.

"Dann erhalten Sie sich diesen Traum und werfen Sie nicht alles weg, nur weil Sie eigentlich Angst davor haben, daß Julius nicht sein, sondern Ihr Leben verändert. Das ist es doch. Sie stehen morgens auf und loben sich ohne Worte dafür, was für ein sinnreiches und einträgliches Dasein Ihnen doch vergönnt ist. Da kommen ein paar Leute aus einer völlig fremden Kultur und fordern Sie dazu auf, einen anderen Weg zu nehmen, der aber am gleichen Ziel herauskommen wird. Julius ist ein magisches Naturtalent. Wenn Sie nicht wollen, daß er sich und alles um sich herum zerstört, weil er diese Kräfte nicht beherrschen kann, sollte er zu Leuten gehen, die ihm den richtigen Umgang zeigen. Ich wußte nicht, daß ich die Ehre haben würde, eine dieser Wegbereiterinnen zu sein. Denn vor einigen Tagen wußte ich noch nicht einmal, daß Ihr Sohn so stark ausgeprägt ist. Wären Sie in London geblieben, hätten Miss Flowers und Miss Oaktree Ihren Sohn und Sie in unsere Welt geführt. So blieb es mir vorbehalten, die grundlegenden Vorbereitungen zu treffen."

"Und was meinen Sie, wird bei meinem Sohn im Abschlußzeugnis stehen?"

"Womöglich Schulsprecher. Spezialgebiet Herbologie und Kryptobotanik. Wenn da nicht noch mehr entwickelt wird. Hinzu kommt noch, daß er bislang der einzige Junge einer Muggelfamilie ist, der es schafft auch ohne Zauberstab zu zaubern. Wollen Sie, daß er eines Tages die Beherrschung verliert und Sie oder sonst wen aus Versehen tötet? Nein, das wollen Sie nicht."

"Richard, sieh es ein. Ich habe Julius mit diesem Hexenbesen umgehen sehen, als sei er dafür bestimmt. Oder kannst du damit fliegen, Richard?" Fragte Martha Andrews.

"Sicher doch. Das ist doch wohl nichts magisches. Ich nehme den Stiel, schwinge mich über den Stiel, stoße mich ab, und - aurg!" Bei den letzten Worten war Richard Andrews der Länge nach hingefallen, weil der Besen unter ihm auf den Boden geschlagen war.

"Sehen Sie! Damit umgehen können nur echte Zauberer und Hexen. Julius, steig du noch mal auf!" Forderte Aurora Dawn. Julius sah seinem Vater zu, wie dieser sich aufrichtete. Dann sagte er:

"Besen hoch!" Der Himmelsstürmer stieg fast in die senkrechte. Julius schwang sich auf und stieß sich ab. Mühelos stieg er 25 m hoch, drehte einige Schleifen und landete wieder.

"Ich habe auch das gesehen und muß es als Faktum hinnehmen", kommentierte Martha Andrews. Um sicherzustellen, daß kein Trick dabei war, versuchte auch sie den Besen zu besteigen. Doch er blieb am Boden liegen und rührte sich nicht.

"Das ist kein erklärbarer Trick, Richard. Die Dame hat recht. Willst du, daß unser Julius eines Tages wie eine Atombombe ein ganzes Viertel in die Luft sprengt, nur weil er seine Energien nicht freisetzen kann? Miss Dawn hat auch recht, daß du mehr Angst um dein Leben hast, daß du einer einseitigen Forschung geopfert hast. Du willst nicht wahrhaben, daß dein Sohn nicht auch deinen Weg gehen muß, ja nicht einmal gehen darf. Das ärgert dich. Aber vielleicht wissen wir in einem Jahr mehr. Lasse Julius nach Hogwarts. Wenn er dort wirklich Zauberei lernt, kann er es eben auf diesem Gebiet weit bringen."

"Und wer bezahlt das?"

"Das erste Schuljahr ist im Rahmen des Gesetzes zur Förderung magiebegabter Kinder bereits vollständig finanziert, mit Lehrmaterial und Kleidung."

"Und wieviele Jahre werden das?"

"Sieben bis zum obersten Grad. Wenn Julius dann eine Stellung als Botaniker sucht, werden ihm sämtliche Türen offenstehen, in der Zaubererwelt und in Ihrer", erwiderte Aurora.

"Wie sieht die technische Ausstattung der Schule aus? Mein Sohn sollte schon Computerkenntnisse erwerben."

"Elektronik funktioniert nicht in Hogwarts. Die verschiedenen Magiefelder stören die normalphysikalischen Mikroprozesse."

"Dann wird er dort verdummen und vielleicht mit einem Zauberstab herumfuchteln. Und dann?"

"Dann wird er im besten Fall einer der größten Zauberer aus einer Muggelfamilie", wandte sich eine andere Frauenstimme an Richard Andrews. Er kannte sie zu gut. Es war Professor McGonagall. Er fuhr herum und sah die Hexe in ihrem smaragdgrünen Umhang.

"In Ordnung. Ich sehe ein, daß wenn ich nicht unter einem irreversiblen Verfolgungswahn leiden will, dieses Spiel mitspielen muß. Unter einer Bedingung!"

"Die da wäre?"

"Sie gewähren meinem Sohn Zugang zu allem wissenschaftlichen, ich meine mathematisch und sachlichen Wissenschaften, die es gibt. Sollte ich erkennen, daß er immer weiter hinter dem Stand der Zeit herhinkt, werde ich Sie doch noch anzeigen."

"Bei wem möchten Sie uns anzeigen?" Grinste Aurora Dawn.

"Sie haben recht, Richard. Du landest nachher noch in einer psychiatrischen Anstalt. Also laß sie tun, was für unseren Sohn das bessere ist, nicht, was wir für das bessere halten!" Meinte Martha Andrews. Nun konnte Richard Andrews nichts mehr entgegnen.

 

So kam es, daß am ersten September eine Abordnung von Muggeln vor dem Bahnhof Kings Cross einen Jungen verabschiedeten, der zumindest einige Eindrücke gewinnen konnte, was ihn erwartete.

"und Hogwarts ist doch Humbug", sagte Richard Andrews, als er sah, wie sein Sohn durch eine solide Absperrung ging, gefolgt von hunderten anderer Kinder und Jugendlicher.

DIE EINSCHULUNG by Thorsten Oberbossel

Julius Andrews sah hinter sich, als er die magische Sperre durchschritt, die die normalen Bahnsteige 9 und 10 des Bahnhofs Kings Cross zu trennen schien. Tatsächlich konnte der angehende Zauberschüler die Barriere mit seinem Gepäckwagen wie Nebel durchschreiten und landete auf einem Gleis, das als "Gleis 9 3/4" auf einem Schild angegeben wurde. Er sah einen Zug vor sich, der von einer richtigen, scharlachroten Dampflokomotive gezogen wurde. Mehrere Kinder und Jugendliche wurden von Eltern oder sonstigen Anverwandten in den Zug geleitet. Julius sah sich verloren um. Eine Frau in hellblauem Umhang, höchstwahrscheinlich eine Hexe, winkte aus einem der vorderen Fenster.

"Heh, Junge! Hier vorne sind noch Abteile frei. Bring deine Sachen hier herüber!"

Julius tat, wie es ihm geraten worden war und bugsierte den Gepäckwagen nach vorne, richtung Lok. Als er vor einer offenen Tür ankam, trat die Hexe im blauen Umhang heran, deutete hinter sich und rief damit einen stämmigen jungen Mann heran, der Julius half, seine Sachen hineinzuhieven. Julius bedankte sich und kletterte ebenfalls in den Zug, der als Hogwarts-Express bezeichnet wurde.

"Paralleldimensionen. Paps würde ausflippen, wenn ich ihm das erzähle. Na ja, er wird mich ja beim verschwinden gesehen haben", dachte Julius.

"Du bist Erstklässler, richtig?" Wollte die hilfsbereite Fremde wissen. Julius nickte bestätigend und meinte:

"Bis vor einigen Wochen wußte ich noch nicht einmal, daß es Hogwarts gibt."

"Deshalb guckst du so komisch", meinte der Zauberer, der Julius beim Gepäck geholfen hatte. "Daß das Ministerium nie daran denkt, Muggelgeborene ein halbes Jahr vorher informieren zu lassen. Das ist ein Skandal." Er sah Julius aus grünen Augen an und zupfte seinen strohblonden Zopf zurecht, der unter einem mitternachtsblauen Spitzhut herunterhing.

"Wir müssen gleich raus, Vick. Zeige dem jungen Herren noch, wo ein freies Abteil ist!" Bestimmte die Hexe im blauen Umhang und sah den Zauberer streng an.

"Joh, mach ich, Greta", sagte der Angewiesene und deutete nach hinten. Julius ging ihm nach, wobei er einen breitschultrigen Jungen seines Alters sah, der ihn merkwürdig herablassend ansah. Julius ignorierte den Blick des Jungen und folgte dem Zauberer zu einem Abteil, wo bereits vier Mädchen und ein Junge saßen.

"Gloria, habt ihr was dagegen, daß ich den jungen Herren hier bei euch Abliefere?" Fragte der blondgezopfte Zauberer. Ein hochgewachsenes Mädchen mit hellblonden Locken und graugrünen Augen drehte sich zu Julius um, sah ihn prüfend an und schüttelte den Kopf.

"Ich habe nichts dagegen, Onkel Vick. Ich denke auch, daß die anderen nichts dagegen haben."

Die vier anderen Kinder im Abteil machten bestätigende Gesten und winkten Julius.

"Dann ist gut, Gloria. Ich wünsche euch eine schöne Zeit in Hogwarts. Und laßt euch nicht ärgern!"

Der Zauberer mit dem mitternachtsblauen Hut zog die Abteiltür von außen zu und ging davon. Julius wuchtete seinen Koffer in das Gepäcknetz. Dann sah er sich seine Mitreisenden genauso prüfend an, wie diese ihn.

Neben der blondgelockten Schülerin, die wohl die Nichte des hilfsbereiten Zauberers war, fiel Julius das Paar braungezopfter Zwillingsschwestern mit den strahlendblauen Augen auf, das sich direkt gegenübersaß. Links neben einer der beiden Mädchen saß eine Schülerin mit einem langen strohblonden Zopf, die zwar auch blaue Augen besaß, Aber eher von der Farbe tiefen Wassers. Dann war da noch ein spindeldürrer Junge mit einer graubraunen Igelfrisur und walnusbraunen Augen. Julius stellte erleichtert fest, daß sie alle in Jeans und Pullovern herumliefen, wie er auch. Lediglich das blondgelockte Mädchen trug einen königsblauen Rock und eine blaßblaue Bluse. Sie sah Julius noch mal prüfend an, als wolle sie ihn durchleuchten. Julius fühlte, daß er leicht errötete. Dann sagte das Mädchen:

"Setz dich doch neben mich hin, Junge! Wie heißt du eigentlich?"

"Julius Andrews", stellte sich der Sohn eines Chemikers vor und ließ sich neben dem Mädchen niedersinken.

"Gloria Porter", stellte sich das blondgelockte Mädchen vor und lächelte.

"Ich bin Betty Hollingsworth, und die da mir gegenüber heißt Jenna Hollingsworth", stellte das Julius schräg gegenüber sitzende Mädchen sich und ihre Zwillingsschwester vor.

"Pina Watermelon", gab das Mädchen mit dem blonden Zopf ihren Namen preis. Der Junge links neben Julius Andrews sagte noch:

"Und ich bin Leon, Leon Turner."

"Wieso guckst du so drein, als wüßtest du nicht, was um dich herum passiert?" Fragte Pina Watermelon und sah Julius direkt in die Augen, daß er einen Moment lang nicht wußte, was er sagen sollte. Dann brachte er schüchtern heraus:

"Nun, bis vor knapp zwei Monaten hätte ich nie geglaubt, das es echte Zauberer und Hexen gibt und daß ich einer von ihnen sein soll. Deshalb kommt mir alles so vor, als sei ich mal eben in eine andere Welt transportiert worden."

"Achso! Du bist doch nicht der erste, der erst durch einen Brief von Hogwarts erfährt, daß er zu uns gehört", meinte Gloria und zeigte ein warmes Lächeln.

"Du kommst also aus einer Muggelfamilie?" Wollte Jenna wissen und prüfte mit ihren hellblauen Augen den Jungen von oben bis unten.

"Das nennt man so, denke ich. Weil eine Urahnin eine Hexe war, habe ich das Pech, daß man mir Zauberkräfte nachweisen konnte. Mein Vater steht kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Aber ihr seid aus einem echten Zaubererstall?"

"Ja, sind wir. Unser Vater ist Zauberschmied und unsere Mutter Schreibt für den Tagespropheten", antwortete Betty.

"Mein Vater dirigiert die Forschungen in einem Chemiewerk, und meine Mutter programmiert Informationssysteme für große Firmen", erwiderte Julius und wunderte sich nicht, daß sie alle verdutzt dreinschauten.

Der Zug fuhr pünktlich vom Bahnhof ab. Julius, der nicht wußte, ob und worüber er sich mit den anderen Kindern unterhalten sollte, holte aus seinem Koffer das Buch über Zaubertränke heraus und las darin.

"Willst du dich auf etwas besonderes vorbereiten, oder warum liest du jetzt schon ein Buch?" Fragte Gloria Porter, nachdem sie einige Minuten zugesehen hatte, wie Julius die Abbildungen verschiedener Zutaten und Rezepturen studierte.

"Weil mich Zaubertränke interessieren. Aber auch Zauberkräuter. Seitdem ich welche gesehen habe, möchte ich mehr darüber wissen, wann sie entdeckt wurden und wie sie wirken."

"Soso. Nun gut, daß müssen wir wohl verstehen", erwiderte Gloria etwas herablassend. Julius antwortete nicht.

Betty zog eine Zeitung hervor und las laut vor, daß ein Gefangener namens Sirius Black immer noch auf freiem Fuß war und von Wächtern aus Askaban gesucht wurde. Julius fragte, was Askaban sei, was der Typ verbrochen habe und welche Wächter das seien.

Die Mädchen erklärten es ihm und schlossen damit, daß der Mann mit einem einzigen Fluch eine ganze Straße in Schutt und Asche gelegt und dabei 13 Leute ermordet hatte. Julius war es ein wenig mulmig. Da kam er auf eine Zaubererschule, und die Probleme der Zaubererwelt waren ähnlich wie die in der Nichtzaubererwelt.

Das weitere Gespräch drehte sich bald um Schach, diverse Muggelsportarten und die Vermutungen, in welches Haus jeder kommen würde.

Während der Fahrt huschten einmal zwei große Gestalten am Abteil vorbei, die einen Abschätzigen Blick hineinwarfen. Ein Junge mit blassem Gesicht stolzierte zwischen ihnen entlang. Julius drängte sich der Verdacht auf, daß da ein Königssohn mit seiner Leibgarde auf einem Spaziergang war.

Als dann nach einigen Stunden Fahrt die Abteiltür aufgezogen wurde, dachte Julius erst, daß nun die Fahrkarten kontrolliert würden und machte eine hektische Handbewegung in Richtung seiner Jackentasche. Doch die kleine rundliche Frau, die nun in der offenen Abteiltüre stand, war wohl eher für das leibliche Wohl zuständig. Denn sie bugsierte einen Imbißwagen mit allerlei Süßkram und Getränken vor die Abteiltür.

"Wollt ihr was vom Wagen haben?" Fragte sie lächelnd. Gloria nickte und suchte sich Schokofrösche, Lakritzzauberstäbe und eine Tüte Berty Botts Bohnen in jeder Geschmacksrichtung aus. Julius sah betrübt drein, weil er außer ein paar goldenen Münzen, die Cynthia Flowers ihm gelassen hatte, kein Zauberergeld besaß. Er fragte, wieviel von dem Kesselkuchen, den die Hexe anbot, er für eine Münze kriegen konnte. Sie grinste und meinte:

"Ein Stück kostet acht Knuts, für eine Galleone kriegst du dann sechzig Stücke. Hast du soviel Hunger?"

Die Mädchen lachten, und Julius lachte mit. Er hatte überhaupt keine Vorstellung davon, was das Zauberergeld wert war. Dann meinte er noch grinsend:

"Ich nehme zwölf Stücke und von diesem Kaugummi noch was."

"In Ordnung", strahlte ihn die Hexe an und gab die gewünschten Sachen heraus und zählte ihm Wechselgeld in Silber- und Bronzemünzen hin. Dann verabschiedete sie sich und zog ihren Wagen weiter.

"Hat man dir nichts über unser Geld erzählt?" Wollte Gloria Porter wissen. Julius mußte zugeben, daß ihm darüber nichts genaues erzählt wurde, außer daß es drei Sorten Münzen gab. Gloria erklärte ihm das Verhältnis von Galleonen, Sickeln und Knuts zueinander. Julius versuchte sich vorzustellen, wieviele Galleonen auf ein englisches Pfund gehen mußten, hatte Aber außer dem Kaugummi und den zwölf Stücken Kuchen, die er zwischen sich und den Mitreisenden aufteilte, keinen Vergleichswert.

"Wie machen denn das die anderen Muggeleltern, wenn sie geld in Zauberergeld umtauschen wollen?"

"Das machen die Kobolde in Gringotts. Die haben da irgendeine Umrechnungsliste, wieviel Muggelgeld für einen Diamanten oder Rubin bezahlt werden muß, der ein bestimmtes Gewicht hat. Mein Vater arbeitet als Außendienstmitarbeiter für Gringotts und hilft den Kobolden bei der Umrechnung, indem er ihnen Berichte von Edelmetallen und Edelsteinen zuschickt, die gefördert werden. Er ist jetzt in Südafrika unterwegs", erklärte Gloria, warum sie sich mit den Währungsproblemen auskannte. Betty Hollingsworth meinte nur:

"Zahlt ihr überhaupt noch mit Geld? Ich habe mal was gelesen, daß die Muggel etwas erfunden haben, das Kreditkarte heißt und Geld ersetzen soll."

"Das ist richtig", erklärte Julius und beschrieb, was eine Kreditkarte war und wie man damit bezahlen konnte.

Zum Ende der Reise wurde es noch richtig unheimlich. Der Zug stoppte auf freier Strecke. Alle Lichter gingen aus. Regen und Sturmgeheul drangen durch die Scheiben zu den Insassen herein. Gloria verzog das Gesicht zu einer beklommenen Grimasse, als wisse sie, daß etwas schlimmes passieren würde. Julius fragte nicht, was sie so verängstigte. Das schien ihm im Moment nicht angebracht zu sein.

Die Abteiltür ging auf, und ein großes vermummtes Wesen trat in den Türrahmen. Augenblicklich hatte Julius das Gefühl, eisige Kälte würde ihn treffen und alle Freude des Lebens wäre verflogen. Julius fiel ein, was die Mädchen über die Wächter von Askaban erzählt hatten, daß sie Dementoren hießen und Leuten jeden Antrieb nehmen konnten, irgendwas zu unternehmen. Dann mußte das wohl einer sein, dachte Julius und versuchte, die in ihm aufsteigende Angst und Verzweiflung niederzuringen.

Als das unheimliche Wesen weiterging, verflog das Gefühl der Kälte und der Verzweiflung. Gloria richtete sich wieder auf und starrte in den Durchgang hinaus. In ihren Augen schimmerten Tränen. Auch Julius mußte wohl kurz vor einem Weinkrampf gestanden haben, denn gerade rollte eine Träne an seiner Nase hinunter und fiel ihm auf den grünen Pullover, den er trug. Betty und Jenna hockten total verschreckt auf ihren Sitzen. Auch sie hatten Tränen in den Augen.

Endlich fuhr der Zug wieder an und rumpelte durch die verwilderte Landschaft, die nicht das mindeste einer Zivilisation erkennen ließ. Julius fand als erster seine Sprache wieder und meinte vorsichtig:

"Ich hätte nie geglaubt, daß mich etwas so fertig machen kann."

"Deshalb galt Askaban auch als das sicherste Gefängnis der Zaubererwelt, bis Sirius Black entkommen konnte. Diese Wesen, die Dementoren, ziehen einem alle Lebensfreude ab, wenn sie nur in der Nähe sind", erläuterte Gloria, die wohl auch ihre Fassung wiedergefunden hatte und wischte sich die restlichen Tränen aus dem Gesicht.

"Ich frage mich, ob ich wirklich in so einer Welt leben will", grummelte Julius. Er hatte bis vor kurzem Horrorgeschichten von Dämonen und mörderischen Ungeheuern für blanken Unsinn gehalten. Und nun hatte er ein unheimliches Wesen hautnah erlebt.

"Das wirst du wohl müssen", erwiderte Gloria ungefragt. "Du bist als Zauberer erkannt worden und mußt deinen Weg gehen. Du kannst nicht mehr zurück."

"Haha", machte Julius trotzig.

Ein Fremder in zerschlissenem Umhang und mit braunem Haar, das bereits graue Stränen aufwies, öffnete die Abteiltür und sagte:

"Sie sind wieder ausgestiegen. Ich habe hier Schokolade für euch, um die Nachwirkungen der Dementoren zu beheben."

"Rauschgift?" Fragte Julius Andrews mit Mißtrauen in der Stimme.

"Nein, kein Rauschgift. Nur Körper und Seele belebende Zutaten", erklärte der Fremde. Gloria griff sofort nach der ihnen angebotenen Schokolade und brach sich ein Stück ab. Betty und Jenna taten es ihr gleich. Da gab auch Julius Andrews sein Zögern auf und brach sich ein Stück ab. Pina und Leon nahmen ebenfalls von der Schokolade. Dann bedankten sich die sechs Schulanfänger höflich. Der Fremde verabschiedete sich und verließ das Abteil wieder.

Der Genuß der Schokolade brachte in Julius ein Gefühl von Wärme und Behagen zurück, daß er vor dem Dementorenbesuch nicht gefühlt hatte. Er fragte:

"Wer war das denn?"

"Das muß der neue Professor für Verteidigung gegen die dunklen Künste gewesen sein. Onkel Vick hat mir erzählt, daß er in unserem Zug mitfährt", wußte Gloria zu berichten.

"Der neue? Wo ist denn der alte geblieben? Hat den ein Monster gefressen?" Spottete Julius, jetzt wieder völlig frei von Angst und Verzweiflung.

"Ich weiß es nicht genau", erwiderte Gloria Porter und strich sich durch ihre blonden Locken. "Es soll wohl Gilderoy Lockhart gewesen sein. Er hat angeblich beim Kampf gegen ein Ungeheuer sein Gedächtnis verloren und mußte den Schuldienst aufgeben."

"Achso. Ich wollte nicht respektlos erscheinen", sagte Julius und lief rosa an. Das war bestimmt nicht lustig, sein Gedächtnis zu verlieren. Eine Großtante von ihm hatte im Alter ihr Gedächtnis verloren und fragte jedesmal, wenn Julius und seine Eltern sie besuchten, wann Julius denn in die Schule komme.

Kurz vor dem Halt am Zielbahnhof zogen sich die sechs noch um. Sie packten ihre normale Straßenkleidung fort und hüllten sich in ihre Umhänge und setzten ihre Zaubererhüte auf.

Der Hogwarts-Express hielt im Bahnhof von Hogsmeade an, und sämtliche Insassen kletterten aus den Wagons. Als das Gepäck entladen war sah Julius, wie ein schwarzhaariger Junge von wohl dreizehn Jahren von einem Gleichaltrigenmit flammenroten Haaren und einem Mädchen mit braunen Haaren umsorgt begleitet wurde. Dann dröhnte eine gewaltige Stimme:

"Erstklässler hier entlang!" Julius fuhr zusammen und drehte sich in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Er sah einen waren Koloß von Mann, doppelt so groß wie ein normaler Mann und fünfmal so breit. Er besaß einen struppigen Haarschopf und ebensolchen Bart und war in einen Umhang aus Fell gehüllt.

Er ließ alle Erstklässler in einem großen Trupp zusammentreten und führte sie zu einem See, an dessen Ufer Boote festgemacht waren. Alle mußten sich in Vierergruppen auf die Boote verteilen.

Die Überfahrt war stürmisch. Julius, der mit den Hollingsworth-Schwestern und Gloria ein Boot besetzte, schöpfte immer wieder Wasser aus, um das Boot nicht zum Kentern zu bringen. Für das Schloß mit seinen Türmen und Erkern hatten sie nicht allzuvile Aufmerksamkeit. Sie bekamen nur mit, daß sie in einen schmalen Tunnel hineinfuhren, in dem sie nur mit eingezogenen Köpfen sitzen konnten. Dann kamen sie in einem unterirdischen Hafen an, wo der Riese im Fellumhang die prustenden und durchnäßten Erstklässler einsammelte. Einen steinigen Pfad hinauf zu einer Wiese im Schatten des großen Schlosses führte sie der übergroße Mann und klopfte dreimal an ein Eichentor.

Julius fuhr fast zusammen als er die Hexe im smaragdgrünen Umhang mit den viereckigen Brillengläsern wiedererkannte. Es war ja erst wenige wochen her, daß sie seinem Vater mit einem Entwaffnungszauber einen Revolver aus der Hand gehext und diesen dann in ein buntes Sofakissen verwandelt hatte.

Professor McGonagall führte die Erstklässler durch eine große Eingangshalle in eine Kammer, in der sie ihnen einen Vortrag darüber hielt, daß sie nun auf die vier Häuser Gryffindor, Hufflepuff, Ravenclaw und Slytherin verteilt würden, daß sie mit ihren Hauskameraden auch gemeinsam Unterricht hatten und für hervorragende Leistungen Punkte für ihr Haus und bei Regelverletzungen oder schlechter Arbeit Punktabzüge für das Haus hinnehmen müßten. Zudem konnte eine Regelverletzung mit Strafarbeit, schlimmstenfalls mit dem Verweis von der Schule geahndet werden. Dann gab sie den Erstklässlern einige Minuten Zeit, während der sie sich noch mal zurechtmachen konnten. Angesichts dessen, daß sie alle von der Überfahrt durchnäßt waren, erschien diese Anweisung undurchführbar. Doch einige hatten Möglichkeiten, sich zumindest die Haare zu richten. Gloria zum Beispiel nahm ihren Zauberstab und murmelte eine kurze Formel, nach der sich ihre Lockenpracht wie von selbst trocknete und ordnete. Sie wandte sich den Hollingsworth-Schwestern zu und fragte sie, ob sie ihnen auch die Haare richten könne. Sie nickten und erhielten in wenigen Sekunden trockenes und glattes Haar. Dann wandte sie sich an Julius und fragte:

"Soll ich dir auch die Haare machen, Julius?"

"Das ist doch ein Mädchenzauber", warf Julius frech ein. Sie grinste:

"Kann sein, Aber genau weiß ich das nicht. Vielleicht geht der auch bei Jungen."

Julius riskierte es, sich für dieses Experiment zur Verfügung zu stellen. Er hatte immer von seinem Vater gehört, daß Wissenschaftler nie einen Fehlschlag, sondern nur unerwartete Ergebnisse erzielten, wenn ein Versuch nicht so lief, wie geplant. Gloria winkte kurz mit dem Zauberstab über Julius' nasse Kurzhaarfrisur, murmelte ihre kurze Formel, und Julius fühlte ein sanftes Vibrieren in der Kopfhaut und ein Gefühl spontaner Erwärmung. Dann war der Zauber auch schon vorbei. Ein Junge hinter ihm meinte:

"Eh, das will ich auch haben!"

"Dann sag erstmal ein anderes Zauberwort", wandte sich Gloria Porter an den hageren Jungen mit der schulterlangen rotbraunen Mähne, die von der Bootsfahrt richtig zerwühlt und durchnäßt war.

"Bitte, ich möchte auch diesen Schnelltrockenzauber für meine Haare haben", sagte er etwas kleinlaut. Gloria vollzog schnell ihren praktischen Zauber, und die rotbraune Struwelmähne wurde zu einem korrekt sitzenden Schopf, ohne Anzeichen von Nässe.

"Ich fürchte, Miss Porter, Sie dürfen das bei allen machen", flachste Julius Andrews. Sie meinte darauf nur:

"Nicht nötig. Ich bin nicht die einzige hier, die das gelernt hat."

Tatsächlich halfen sich mehrere Mädchen gegenseitig bei der Haartrocknung und halfen auch den Jungen in der Nähe, ihre Frisuren wieder zu ordnen.

Dennoch waren nicht alle fertig, als sich die Tür wieder öffnete. Doch es war nicht mehr Professor McGonagall, sondern ein kleiner zerbrechlich wirkender Zauberer mit leicht weißem Haar. Mit einer piepsigen Stimme verkündete er:

"Professor McGonagall wurde leider aufgehalten. Ich darf Sie alle bitten, mir in den großen Saal des Schlosses zu folgen. Mein Name ist Professor Flitwick."

Flitwick, so klein wie er auch war, strahlte eine nicht zu übersehende Autorität aus, der sich die Erstklässler fügten. Auf seinen Befehl ordneten sich die Schüler in einer Reihe ein. Dann ging es im Gänsemarsch durch die Eingangshalle zurück in den großen Saal von Hogwarts.

Kerzenleuchter und Fackeln erhellten den großen Raum, dessen Decke wie der bewölkte Abendhimmel aussah. Julius vermutete eine Zauberei, die die Decke dazu brachte, den gerade sichtbaren Himmel darzustellen. Vier lange Tische standen in der Halle, an denen Jungen und Mädchen von 11 bis 17 Jahren saßen. Julius erkannte, daß an jedem Tisch mehrere freie Plätze vorhanden waren. Er verstand das System. Jedes Jahr gingen Leute von dieser Schule ab. Andere rückten nach. Einfach und genial.

Professor Flitwick brachte einen dreibeinigen Stuhl herein, auf dem ein alter zerschlissener Spitzhut lag. Er stellte den Stuhl vor die aufgereihte Kolonne der Erstklässler ab und trat Bei Seite. Dann fing der Hut an zu singen.

"Ich bin so alt wie dieses Haus
und sehe nicht mehr taufrisch aus,
jedoch bin ich viel heller als die Kerzen
und schaue tief in Köpfe und auch herzen.

Als man die Schule Hogwarts baute
und nach dem Wert der schüler schaute,
schuf man auch mich als einzigem dem jeder traute.

Die vier die mich gesegnet haben, mit allen ihren Kenntnisgaben
beschlossen daß in jeden Jahren, wenn neue Schüler hierher fahren,
ich forschen soll, für wen es lohnt,
daß er oder sie ein Haus bewohnt.

Übst du die Treu und Redlichkeit,
und bist zu viel Geduld bereit,
so wähle ich dir als dein Haus,
dann Hufflepuff zum leben aus.

Erquickt es dich, viel Mut zu wagen
lebst du nach Recht in allen Tagen,
sei's Gryffindor, dein neues Ziel,
denn solches Wesen gilt hier viel.

Ist dein Verstand schnell und nimmt viel,
auf deinem weiten Weg zum ziel,
erfaßt du jede Kleinigkeit,
halt dich für Ravenclaw bereit!

Steht dir nach Rang und Ruhm der Sinn,
gibst du dich deinen Wünschen hin
und bist dabei ganz Hemmungslos,
so fällt auf Slytherin dein Los.

So kommt und setzt mich auf geschwind,
damit das rechte Haus ich find,
in welchem ihr fortan sollt wohnen,
auf das die Zeit hier soll für euch sich lohnen."

Julius Andrews grinste, als der Hut mit seinem Lied fertig war. Er konnte sich nicht vorstellen, wie ein alter Hut entscheiden sollte, wer wirklich für jedes Haus geeignet war. Denn kam es nicht darauf an, wie sich jeder benahm, als darauf, wie jeder beschaffen war?

Als Professor Flitwick eine lange Liste auf Pergament entrollte und die Reihe der Erstklässler ansah, verflog das Grinsen des Sohnes eines Chemiedirektors schlagartig, sobald der erste Name fiel.

"Andrews, Julius!"

"Na toll. Der Erste Idiot in der Reihe", dachte Julius und trat aus der langen Schlange von Erstklässlern heraus. Er ging nach vorne, ganz gelassen wirkend, obwohl es in ihm regelrecht aufgewühlt zuging.Professor Flitwick hielt ihm den singenden Hut entgegen, und er nahm ihm die verzauberte Kopfbedeckung aus den Händen. Als er ihn sich aufgesetzt hatte, fiel der Hut sofort über seine Augen, so das er nur tiefe Schwärze sehen konnte. Er setzte sich auf den Stuhl und fragte sich, was dieses Ding nun machen würde.

"Hmm, ein interessanter Kopf, für wahr", flüsterte eine piepsige Stimme an Julius rechtem Ohr. "Da ist so vieles drin, da fällt mir die Wahl nicht leicht. Mutig ist er ja, Aber Gefahren würde er meiden, die er nicht eingehen muß, dafür ist er wieder zu schlau. Vom Arbeiten hält er zwar nur dann was, wenn es ihn interessiert und amüsiert, doch ist er gerne bereit, anderen zu helfen. Wissen ist ihm wichtig, und er ist sehr kreativ, gewitzt und auch mal zu einer Gemeinheit aufgelegt."

"Du altes Stoffding, kannst du etwa in meinem Hirn lesen, oder was?"

"Natürlich", piepste die Flüsterstimme als antwort auf Julius gedachte Frage. Dann dachte Julius:

"Mach schon! Ich will heute noch mal fertig werden!"

"Nur keine Eile. Kluge Dinge brauchen Weile", antwortete die Stimme und fuhr fort:

"Nun, da du dich so für Wissen und Kreativität geeignet zeigst, Aber auch Mut und Loyalität zeigst, ist es nicht einfach, dich genau zuzuordnen."

"Dachte ich's mir doch. Ihr könnt mit mir nichts anfangen. Dann sage doch, daß ich hier nicht hingehöre!" Dachte Julius zurück. Daraufhin kam ein unterdrücktes Kichern als Antwort.

"Wenn du schon soweit bist, auf diesem Stuhl zu sitzen, gehörst du auf jeden Fall hierher. Nun, einfach ist es nicht."

"Solange du mich nicht in dieses Haus Slytherin steckst, soll es mir gleich sein. Hauptsache, ich kann hier was lernen, womit ich was anfangen kann", dachte Julius leicht angespannt.

"Interessant, daß du an Slytherin denkst. Sicher, deine Findigkeit und deine Bereitschaft, deine eigenen Ziele zu verfolgen, sind gute Charakterzüge für Slytherin. Aber dir fehlen andere Attribute dafür. So was wie du, der wissbegierig, lernfähig und kreativ ist, gehört doch, so stelle ich wohl fest nach: Ravenclaw!" Beendete der sprechende Hut den Satz mit dem laut in den Saal hallenden Ausruf des Hauses, für das Julius dem Hut nach geeignet erschien. Julius nahm den Hut wieder vom Kopf und sah sich um. Am zweiten Tisch von Links klatschten die Jungen und Mädchen Beifall und winkten ihm zu. Julius hielt Professor Flitwick den Hut entgegen und wartete, bis er den nächsten Namen von der Liste aufgerufen hatte:

"Ashton, Melissa!"

Julius ging an den Tisch der Ravenclaws hinüber und nahm rechts neben einem hochgewachsenen Jungen mit strohblondem Scheitel Platz.

"Das war wohl nicht einfach für den alten Lumpen", bemerkte der Junge, der wohl 16 Jahre alt sein mußte.

Julius sah auf seine Uhr und stellte fest, daß er zwischen seinem Aufruf und dem Gang zum Tisch zwei Minuten gebraucht hatte.

"Ich muß mich da erst dran gewöhnen, daß hier so merkwürdige Sachen möglich sind", meinte Julius Andrews und stellte sich noch mal vor.

"McMillan, Dustin McMillan", erwiderte der Ravenclaw-Junge neben Julius.

Die Namen der Erstklässler wurden weiter in alphabetischer Reihenfolge aufgerufen.

Es folgten zwei Zuteilungen zum Haus Slytherin, eine nach Hufflepuff und drei nach Gryffindor. Dann rief Professor Flitwick "Hollingsworth, Betty" auf. Sie nahm den Hut, setzte ihn auf und nahm auf dem Stuhl Platz. Es vergingen zehn Sekunden, nach Julius Uhr zu schließen, bis der Hut "Hufflepuff!" ausrief. Julius dachte, daß als Bettys Zwillingsschwester Jenna dran war, der Hut keinen Augenblick brauchte, um sie auch nach Hufflepuff zu schicken. Doch hier ließ sich der Hut eine ganze Minute Zeit, bis er verkündete, daß auch Jenna ins Haus Hufflepuff einziehen solle.

"Versteht das wer, wie dieser Hut funktioniert?" Fragte Julius Dustin.

"Oha! Sag bloß nicht "funktionieren". Dieser Hut hat eine eigene Persönlichkeit und verfügt über eine sehr große Erfahrung. Angeblich ist er schon bei der Gründung von Hogwarts entstanden und von den Gründern mit deren Wissen und Entscheidungsfähigkeiten ausgestattet worden. So gesehen ist er ein eigenständiges denkendes Wesen."

"Das nehme ich mal als glaubwürdige Aussage hin", erwiderte Julius. Die nächsten drei kamen alle nach Slytherin, dann kam ein Junge nach Gryffindor, anschließend folgte ein Junge, der vom Hut nach Hufflepuff zugeteilt wurde. Als der Name "Porter, Gloria" aufgerufen wurde, sah Julius besonders aufmerksam hin. Wie lange würde der Hut bei ihr brauchen?

Gloria nahm gerade auf dem Stuhl platz, als der Hut "Ravenclaw" rief.

Wieder klatschten die Jungen und Mädchen am Ravenclaw-Tisch. Julius klatschte mit und sah, wie Gloria den Hut an "Purkes, Rachel" weiterrreichte. Dann sah er das blonde Mädchen an den Ravenclaw-Tisch kommen und lächelte ihr zu. Sie setzte sich ohne Zögern rechts neben ihm hin.

Gloria deutete auf den rotbraunhaarigen Jungen, dem sie nach Julius die Haare gerichtet hatte. "Redwood, Chuck" wartete eine viertelminute auf dem Stuhl, bis der Hut ihn mit dem Ausruf "Slytherin!" entließ.

"Huch! Das muß Aber ein ganz interessanter Typ sein", kommentierte Dustin die Entscheidung des Hutes. Julius, der sich die Slytherins genau angesehen hatte, wenn einer von den Neuen ihnen zugeteilt worden war, mußte seinem Sitznachbarn rechtgeben. Chuck Redwood paßte nicht in das Erscheinungsbild der Slytherins und bewegte sich auch nicht so stolz, mehr überheblich, wie die Schüler, die vor ihm dorthin geschickt wurden. Julius vermeinte auch einen kurzen enttäuschten Blick erkannt zu haben, als der Junge mit den rotbraunen Haaren aufgestanden war und den Hut weitergereicht hatte.

"Ich fürchte, der wird in dem Haus nicht viel zu lachen kriegen", meinte Gloria, die wohl ähnliche Gedanken wie Julius gehegt hatte. Sie begründete ihren Kommentar:

"Die Redwoods sind in der Abteilung für die Erforschung von Möglichkeiten zur Verständigung zwischen Muggeln und Zauberern tätig. Normalerweise mögen Abkömmlinge, die in Slytherin waren, und deren Kinder in vielen Fällen auch dort landen, solche Typen nicht, weil sie keine Muggel mögen."

"Das habe ich schon gemerkt", meinte Julius bestätigend und zeigte so unauffällig wie möglich auf die beiden übergroßen Jungen, die einen blonden Jungen mit blassem Gesicht flankierten, der irgendwie so wirkte, als sei er ihr Herr und Meister.

"Turner, Leon!" Rief Professor Flitwick einen der letzten Namen auf der Liste auf. Der spindeldürre Junge mit der Igelfrisur trat vor, nahm den Hut und setzte ihn sich auf den Kopf. Er nahm gerade auf dem Stuhl platz, als der Hut schon "Hufflepuff!" in den Saal rief. Leon nahm den Hut ab und sah äußerst zufrieden drein.

"Der wollte dahin", meinte Dustin ohne Zögern. "Seht ihn euch an. Der hat es darauf angelegt, ins Haus Hufflepuff zu kommen."

"Diesem Hut nach sollen dort doch alle viel arbeiten wollen", erinnerte sich Julius.

"Ja, Aber nur insofern, daß sie nicht dazu angehalten werden, Superintelligenzleistungen zu bringen", bemerkte Dustin McMillan. Julius überhörte das. Auch Gloria Porter schien nicht zu glauben, daß nur Idioten nach Hufflepuff kamen. Vielleicht, so dachte Julius, sagte der Hut auch nicht alles, was wen für welches Haus auszeichnete.

"Watermelon, Pina!" Erfolgte der letzte Aufruf von der Liste. Julius sah dem Mädchen, daß ebenfalls mit ihm im Zugabteil gesessen hatte, dabei zu, wie es den Hut aufsetzte und sich auf dem Stuhl niederließ. Es verging ungefähr eine Minute, bis der Hut "Ravenclaw!" rief. Wieder klatschten die Ravenclaws Beifall, als Pina herüberkam und sich zwei Stühle schräg rechts gegenüber von Julius niederließ.

Julius stellte fest, daß ein Stuhl am Ravenclaw-Tisch freigeblieben war. Er sah sich um, ob vielleicht noch wer hierher kommen würde. Doch die Reihe der Erstklässler war endgültig abgearbeitet. Der kleine Lehrer Flitwick schickte sich an, den Stuhl und den alten Hut fortzuschaffen.

Unvermittelt ploppte es, und eine Gespensterfrau in grauer Kleidung glitt aus dem Boden heraus und ließ sich auf dem freien Stuhl nieder. Julius konnte durch ihre Pperlweiße Gestalt die brennnenden Kerzen sehen. Die Geisterfrau sah ihn und die anderen neuen Ravenclaw-Bewohner prüfend an und nickte schweigsam.

"Das ist die graue Dame, unser Hausgeist", flüsterte Dustin McMillan. Julius traute seinen Augen nicht. Er sah schnell hinüber zu den anderen Tischen, wo ebenfalls echte Geister saßen. Besonders unheimlich kam ihm dabei der Geist der Slytherins vor, dessen ausgemergelte Gestalt mit silbrigen Blutflecken übersät war.

Als die Erstklässler alle saßen, kamen noch zwei Schüler in den Raum, von Professor McGonagall geführt. Sie versuchten, sich so unauffällig wie möglich zum Tisch der Gryffindors zu schleichen. Julius sah den schwarzhaarigen Jungen mit den hellgrünen Augen, der etwas betreten dreinschaute, offenbar, weil ihm seine Situation peinlich war und ein braunhaariges Mädchen, das darum bemüht war, Haltung zu bewahren. Alle, die am Tisch der Slytherins saßen, machten höhnische Gesichter und tuschelten unverholen. Offenbar amüsierte sie es, daß dieser Junge derartiges Aufsehen erregte.

Julius blickte zum hohen Tisch hinüber, an dem die Lehrer saßen. Er erkannte Professor McGonagall, sowie den kleinen Professor Flitwick. Der Junge links neben ihm mußte den Blick des Neuen bemerkt haben und erklärte:

"Der kleine Herr ist unser Hauslehrer, Professor Flitwick, Lehrer für Zauberkunst."

Außerdem erkannte Julius die untersetzte Hexe wieder, die er vor wenigen Wochen erst in der Apotheke in der Winkelgasse getroffen hatte.Professor Sprout, Lehrerin für Kräuterkunde, trug zum feierlichen Anlaß einen schicken Umhang aus lindgrünem Samt und einen tadellosen Zaubererhut gleicher Farbe.

Ein krasses Gegenstück zu Flitwick bot der Riese, der die Erstklässler über den See gefahren hatte. Er saß auf zwei Stühlen gleichzeitig und unterhielt sich mit den übrigen Lehrern.

Der neue Lehrer trug immer noch seinen zerschlissenen Umhang. Offenbar hatte er nur den einen, dachte Julius etwas mitleidsvoll. Unheimlich war ihm der Mann mit dem bleichen Gesicht und der Hakennase, der ebenfalls am Lehrertisch saß. Dustin stellte ihn als Professor Snape vor, den Lehrer für Zaubertränke und Hauslehrer der Slytherins. Und schließlich saß da noch ein älterer Herr mit langem Silberhaar und ebensolchem Bart, der durch halbmondförmige Brillengläser blickte und trotz seines Alters einen Eindruck der Stärke und Erhabenheit bot.

"Das ist Dumbledore", erklärte ein älteres Mädchen mit langen Locken, daß drei Stühle rechts Julius gegenüber saß und eine Medaille mit einem V-Symbol trug. Er kannte dieses Zeichen von einem Foto, daß ihm sein Vater von einer Eton-Jahrgangsfeier gezeigt hatte. Es stand für Vertrauensschüler oder -schülerin.

Dumbledore, der Schulleiter, bat um Aufmerksamkeit und erklärte, daß die Dementoren von Askaban die Ländereien von Hogwarts umstellt hätten, um nach dem flüchtigen Sirius Black zu fahnden. Dann stellte er zwei neue Lehrer vor. Lupin, der Mann im alten Umhang, sollte tatsächlich Verteidigung gegen die dunklen Künste unterrichten, während der Riese, Rubeus Hagrid, als neuer Lehrer für die Pflege magischer Geschöpfe beginnen sollte. Danach eröffnete Dumbledore das Festmahl, das anläßlich des Schuljahresbeginns gehalten wurde.

Wie im Märchen vom Tischlein Deck-Dich füllten sich die Schüsseln und Becher auf dem Tisch auf wundersame Weise mit den erlesensten Speisen und Getränken.

Penelope Clearwater, die Vertrauensschülerin mit den langen Locken, sagte bei der offiziellen Aufhebung der Tafel:

"Folgt mir einfach alle. Ich kenne das Passwort für unser Haus.

Der Ravenclaw-Tisch erhob sich, nachdem die Slytherins an ihnen vorbeistolziert waren. Julius behielt einen ruhigen Gesichtsausdruck, als er die beiden Dinosaurier Crabbe und Goyle an sich vorbeitrampeln sah. Er grinste nicht und sah auch nicht so aus, als würde er sie fürchten. Dann gingen auch sie aus dem großen Saal und folgten Penelope zu einem Gemälde, das eine Blumenwiese darstellte, auf der zur Zeit niemand zu sehen war. Penelope sah etwas verärgert drein, als habe sie gerade festgestellt, daß etwas nicht nach ihrem Wunsch funktionierte. Sie tippte das Gemälde an und sah, wie vom linken Bilderrahmen her ein ländlich gekleideter Mann ins Bild trat, der eine große braun-weiß gescheckte Kuh an einer langen Leine führte, die aufgeregt muhte.

"Entschuldigung, die Maggy ist mal wieder weggelaufen. Hast du das Passwort?"

"Mare Tranquillitatis!" Antwortete Penelope etwas genervt darüber, daß der offensichtliche Bewohner des Gemäldes nicht auf sie gewartet hatte. Der Mann im Gemälde nickte und schwang mit dem Gemälde zur Seite, worauf ein Durchgang freigegeben wurde. Die Ravenclaws stiegen hindurch und betraten einen großen gemütlichen Raum mit vielen Tischen und Sitzgruppen. In einem geräumigen Kamin prasselte ein helles Feuer, und auf einem der Tische stand eine Vase mit Blumen.

"Das ist der Gemeinschaftsraum. Wenn ihr Hausaufgaben machen wollt oder Spiele spielen, haltet ihr euch hier auf", erklärte Penelope. Dann wandte sie sich um und sah einen großen Jungen mit schwarzem Haarschopf, der ihr zunickte und vortrat.

"Ich bin Terrence Crossley, auch Vertrauensschüler von Ravenclaw. Ich zeige den Erstklässlern ihren Schlafsaal. Folgt mir, bitte."

Gloria folgte Penelope und den übrigen Erstklässlerinnen, während Julius mit vier anderen Jungen eine Treppe hinaufstieg und zu einer Tür ging, auf der "Erstklässler" zu lesen stand. Hier ließ sie Terrence Crossley allein.

Im Schlafsaal standen alle Gepäckstücke der fünf Jungen. Julius, der sich mit Kevin Malone, Fredo Gillers, Marvin Sallers und Eric Bosetzky den Erstklässlerschlafsaal teilte, sah sofort, daß die altmodisch wirkenden Himmelbetten mit entsprechenden Namensschildern versehen waren. Offenbar legte man es nicht darauf an, daß sich die Jungen um die Betten stritten. Über dem Bett, das für den rotblonden Kevin Malone reserviert war, hing zudem ein großer Käfig, in dem eine Waldohreule saß und aufgeregt flatterte, als Kevin sich ihr näherte. Julius hatte zwar mal gälisch gehört, doch erschien es ihm immer fremd. So verstand er nicht, was Kevin dem Tier sagte, als er es aus dem Käfig befreite. Er holte einen Zettel aus seiner linken oberen Umhangtasche und schrieb etwas mit einer Feder darauf. Dann band er den Zettel dem Tier um das linke Bein und öffnete eines der großen Fenster. Sogleich hob die Eule von Kevins Schulter ab und strich lautlos in die Nacht hinaus. Kevin sagte noch etwas, wo das Wort Boann drin vorkam, von dem Julius meinte, daß es der Name der Eule sei.

"An und für sich, hat Terrence mir beim Essen erzählt, dürfen Eulen nur Post Abliefern und dann nur in der Schuleulerei bleiben. Aber wir armen Erstklässler sollen schließlich sofort, wenn wir unseren Schlafsaal erreicht haben, nach Hause schreiben, daß wir gut angekommen sind", erklärte Fredo Gillers.

"e.T. nach Hause telefonieren", gab Julius ein Filmzitat zum besten und wunderte sich nicht, daß die anderen dumm dreinschauten.

"Was war denn das?" Fragte Marvin Sallers und kratzte sich am Kopf.

"Das war die Bitte eines Kobolds von den Sternen, daß er mit seinen Kameraden sprechen könnte. Das kommt in einem Film vor, das sind aufgezeichnete Bilder, die sich bewegen, so wie sich die Leute bewegen, die auf diese Weise aufgenommen wurden."

"Ja, ich habe davon gehört. Die Muggel haben es irgendwie auf die Reihe gekriegt, sich bewegende Bilder aufzuzeichnen. Allerdings können die sich nur so bewegen, wie die Leute sich bewegt haben, als sie aufgezeichnet wurden", sagte Kevin und sah ein kurzes Nasenzucken bei Julius, als er "die Muggel" gesagt hatte. Deshalb warf er schnell ein:

"Das zeigt nur, daß sie es prima verstehen, sich auch ohne Zauberei ein interessantes Leben zu schaffen."

"Ich habe mich langsam daran gewöhnt, meine Eltern als Muggel bezeichnen zu lassen. Die waren voll verwirrt, als ich den Brief aus Hogwarts bekam. Aber das interessiert euch warhscheinlich nicht", erzählte Julius. Wie zu erwarten war wollten die vier Jungen eben doch wissen, wie genau die Kontaktaufnahme zu den Muggeln abgelaufen war, und Julius erzählte, wie kurz vor der Einschulung im Eton-Internat eine Hexe von Hogwarts bei seinen Eltern vorbeigeschaut und ihnen begreiflich gemacht hatte, daß Julius ein Zauberer sei und hierher solle, um seine Kräfte richtig auszubilden. Er erzählte auch, daß sein Vater ihn und seine Mutter für viel Geld nach Australien mitgenommen hatten, um seine Verabredung mit Hogwarts-Mitarbeitern zu vereiteln und er ihnen voll in die Arme gelaufen sei. Wer die Hexe war, die seine Eltern aufgesucht hatte, verschwieg er. Er wollte nicht damit prahlen, daß erProfessor McGonagall bereits kennengelernt hatte. Und Professor Sprout erwähnte er genauso wenig, wie Aurora Dawn, die ihm die ersten Besenflugstunden gegeben hatte. Es reichte den vieren schon aus, daß sie es amüsierte, wie ignorant doch Muggeleltern sein konnten. Dann unterhielten sie sich noch über die Dementoren und tauschten ihre Erfahrungen im Zug aus. Dann meinte Kevin:

"Ich habe gehört, der Harry Potter ist glatt in Ohnmacht gefallen, als ein Dementor sein Abteil kontrolliert hat. Dabei habe ich von meiner Cousine Gwyneth gehört, daß der sehr mutig ist."

Da Julius davon ausging, daß er diesen Jungen wohl heute gesehen hatte fragte er:

"War das der schwarzhaarige Bursche, der so erschöpft aussah, als er aus dem Zug stieg?"

"Schwarze Haare? Das war er dann wohl. Hat mit Lupin in einem Abteil gesessen", wußte Eric Bosetzky zu ergänzen. Dann legten sich die fünf Jungen in die großen Himmelbetten und zogen die Vorhänge zu.

 

Am nächsten Morgen, als die Ravenclaws in die große Halle zum Frühstück kamen, lagen schon die neuen Stundenpläne bereit. Die Erstklässler hatten in der ersten Stunde Verwandlung bei Professor McGonagall, danach mit den Slytherins zusammen Kräuterkunde. Am Nachmittag würden sie bei ihrem Hauslehrer die ersten Zauberkunststunden haben. Julius war es ein wenig unwohl im Magen. Erst Professor McGonagall, die seinen Eltern den Aufklärungsbesuch abgestattet hatte. Mal abgesehen davon, daß sie behauptet hatte, sich in eine Katze verwandeln zu können und dabei mitbekommen hatte, wie Lester sie treten und dann mit einem Knaller verscheuchen wollte.

Dann kam Professor Sprout, der er zwei Aspirintabletten geschenkt hatte, damit sie einen Heiltrank für eine Pflanze brauen konnte, die von einem Feuerstachelkäfer befreit werden mußte.

Schließlich wartete der Hauslehrer der Ravenclaws. Julius erinnerte sich noch gut daran, daß sein Vater immer von der besonderen Strenge der Hauslehrer berichtet hatte, als er in Eton war. Hauslehrer wollten nichts auf ihre Schüler kommen lassen, Aber auch keine schlechten Zensuren sehen.

"Die Slytherins?" Fragte Julius, als er auf dem Stundenplan die Kräuterkundestunde angetippt hatte. "Die halten sich doch für was besonderes."

"So kann man das sagen", wandte Penelope Clearwater ein, die das Gespräch belauscht hatte. "Sie halten nichts von Muggelgeborenen und finden, daß ihre Familien die besseren Zauberer sind. Dabei ist es ein offenes Geheimnis, daß viele schwarze Magier in Slytherin ihre Schulausbildung abgeschlossen haben und einige davon heute noch herumlaufen und auf die Stunde warten, um wieder an die Macht zu kommen."

"Huaar, es gruselt mich", spottete Julius und spielte ein kurzes Espenlaubzittern vor, was die jüngeren Ravenclaws belustigte.

"Na klar, du kannst das ja nicht wissen", meinte Dustin McMillan, der links neben Julius saß. "es ist noch keine zwölf Jahre her, daß Du-weißt-schon-wer an der Macht war und alle Zauberer und Hexen, die sich nicht offen zu ihm bekannten, Angst vor seiner Bosheit haben mußten."

"Sowas ähnliches hatten wir in der Muggelwelt auch. Da hießen diese Bösen Diktatoren und haben ihre Völker mit Folter und Massenmord verängstigt. Erst vor kurzem ist in Deutschland eine dieser Diktaturen, die einen Teil des Landes betraf, abgeschafft worden, so daß das ganze Volk sich wiedervereinigen konnte, in Frieden und Freiheit", warf Julius ein. Gloria hörte aufmerksam zu. Dann meinte sie:

"Ich habe davon gelesen. In Deutschland gab es einmal ein Schreckensreich, wo eine Muggelbande regierte, die "die Nazis" hieß. Die haben Leute, die nicht in ihre Vorstellung von Reinrassigkeit passten millionenfach ermordet. Sie haben einen Weltkrieg angefangen und ihr Volk fast in den Untergang getrieben. Danach wurde das Land aufgeteilt, in einem Teil galt die freie Meinung und das Recht, sich alles zu erlauben, was keinem anderen schadete, während im anderen Teil Leute an der Macht waren, die eine Gleichmachung aller Menschen wollten, mit geheimer und offener Überwachung und schweren Strafen. Das ist ähnlich gewesen wie die Herrschaft von Lord .." Sie beugte sich zu Julius hinüber und flüsterte ihm den Namen Voldemort ins Ohr. Julius wußte nicht, warum sie flüsterte. Doch er dachte daran, daß seine Oma Gladys einmal ganz ängstlich geguckt hatte, als er "Zum Teufel noch mal" geflucht hatte. Ähnlich mußten die hier wohl auf den Namen Voldemort reagieren. Julius nickte verständnisvoll und setzte sein Frühstück fort.

Ein riesiger Schwarm von Eulen flog in den Saal hinein und verteilte sich über die vier Tische. Einzelne Eulen zogen Kreise, bis sie über Schülern herunterschwebten, zu denen sie gehörten oder für die sie etwas hatten. Julius erinnerte sich noch an den Waldkauz, der ihm und seinen Eltern die Verabredung mit Cynthia Flowers überbracht hatte. Tatsächlich kam derselbe Waldkauz über den Ravenclaw-Tisch geflogen und ließ sich mit einem kurzen Ruf auf Julius linker Schulter nieder. Julius sah sich um. Irgendwie war ihm das peinlich, daß ihn eine fremde Eule besuchte. Er sah, wie Kevins Waldohreule neben Kevins Teller landete und ungeniert ein Stück Toast stiebitzte.

"Du hast post bekommen, Julius. Einen Tag hier und schon einen Brief. Ich dachte, deine Eltern seien Muggel", meinte Dustin McMillan. Julius lief leicht rosa an und besah sich die Beine des Kauzes. Am Linken Fuß baumelte ein angebundener Umschlag aus blaugefärbtem Pergament. Julius löste den Umschlag vom Bein des Eulenvogels, der daraufhin sofort wieder losschwirrte, als habe er es höllisch eilig.

"Ach der Vogel war das", viel es Dustin plötzlich ein, wo er den Kauz schon einmal gesehen hatte. Julius hoffte, daß Dustin sich irrte und eine falsche Antwort aussprach.

"Das war Gulliver, der Bürowaldkauz von Cynthia Flowers, der Verantwortlichen für muggelgeborene Neuzugänge."

Boing! Genau das wollte Julius nicht öffentlich machen. Doch Gloria, die seine Verlegenheit sah, sagte nur:

"Wieso schämst du dich dafür, von der Abteilung für Neuzugänge Post zu kriegen? Ein Heuler ist es ja nicht."

"Ein was? - Jetzt nicht, später."

Julius öffnete den Umschlag und fand einen zusammengefalteten Pergamentbogen darin, den er aufklappte. Er enthielt ein Bild seiner Eltern, die ihm seltsamerweise verdutzt entgegenblickten und wirkten, als sei ihnen das ganze völlig verdächtig. Auf dem Pergamentbogen stand:

 

 

Sehr geehrter Mr. Andrews,

da wir erkannt haben, daß es für Sie und Ihre Eltern wichtig ist, in ständiger Verbindung zu stehen, jedoch nicht die Ihnen vertrauten Möglichkeiten anbieten können, haben wir für Sie photographische Abbildungen Ihrer Eltern erstellt, die Sie, zusammen mit einer Nachricht an Ihre Eltern, einer unserer allgemeinen Posteulen anvertrauen können. Sie zeigen der Eule die Abbildungen und geben zudem noch die Anschrift an. Unsere Eulen sind, wie in der Zaubererwelt üblich, für das Auffinden einer adressierten Person ausgebildet, egal an welchem Ort sie sich gerade aufhält. Wir hoffen, Sie werden sich schnell und gut bei uns einleben und verbleiben

mit freundlichen Grüßen

 

Lorna Oaktree und Cynthia Flowers, Abteilung für muggelgeborene Neuzugänge in Hogwarts

 

"Und, was welterschütterndes?" Fragte Dustin McMillan.

"Nur daß ich die Schuleulen benutzen darf, um meinen Eltern was zu schreiben. Was soll ich denen schreiben? "Bin gut angekommen. Ein zerlumpter Hut hat mich in ein Haus namens Ravenclaw eingeteilt. Wir haben an großen Tischen gesessen, die sich immer wieder neu gedeckt haben. Dabei leisteten uns mehrere echte Schloßgespenster Gesellschaft. Dann gingen wir in unser Haus, dessen Eingang von einem Bauern auf einem Ölgemälde bewacht wird, der nach dem richtigen Passwort den Durchgang freimacht. Wir schlafen alle in Himmelbetten, und Eulen stellen die Post zu."

Soll ich das wirklich so schreiben?"

"Das kannst du allein beurteilen", meinte Gloria. "Meine Eltern hat es ziemlich erregt, als ich mir von einem Muggel ein Mobiltelefon besorgt und damit gespielt habe."

"So ähnlich dürften meine Eltern reagieren. Da könnte ich ja gleich einen Feuer speienden Drachen schicken."

"Die werden das lernen, daß wir andere Postwege kennen. Und wo es Hexen gibt, da gibt's auch Gespenster", sprach Dustin McMillan so, als würde er lediglich eine Randnotiz aus einer Zeitung vorlesen.

"Am besten unterhältst du dich nachher mal mit Justin Finch-Fletchley oder Hermine Granger. Die haben auch beide Muggeleltern. Die sind schon zwei Jahre hier und sollten wissen, wie man mit der Familie Kontakt hält", riet Gloria etwas schulmeisterisch, Aber wohl in bester Absicht.

"Das fehlte mir noch, mich mit älteren Schülern zu unterhalten, die denken, ich wäre zu blöd, mit meiner Situation fertig zu werden", stöhnte Julius.

"Na, Aber irgendwas mußt du tun", warf Kevin Malone ein, der nur einen Sitz neben Dustin saß. "Sonst schicken die dir noch einen Heuler, wie meiner Cousine Gwyneth."

"Wo ist die eigentlich jetzt?" Wollte Fredo Gillers wissen, der Kevin gegenüber saß.

"Die hat letztes Jahr den Abschluß geschafft und tourt jetzt mit ihrem Verlobten durch die Welt. Die war übrigens in Hufflepuff", wußte Kevin zu erzählen.

"Was sind diese Heuler?" mußte sich Julius doch dazu aufraffen, eine muggeltypische Frage zu stellen.

"Das schrecklichste, was dir jemand per Post schicken kann. Wenn du jemanden siehst, der einen scharlachroten Umschlag kriegt, halte dir die Ohren zu, wenn der Bedauernswerte in deiner Nähe ist."

"Das war jetzt eindeutig", kicherte Gloria. Dann erklärte sie Julius, daß Heuler Schimpfbriefe seien, die Zauberer Absenden konnten. Der Absender tat seinen Unmut über das Verhalten des Empfängers kund, daß dann, wenn der Brief an den Empfänger gelangt war, hundertfach lauter als normal alles widergab, was der Absender an Tadeln und Drohungen eingeschrieben hatte."

"Gut, das können meine Eltern nicht. Die scheitern doch schon daran, daß Hogwarts keinen E-Mail-Anschluß hat", erwiderte Julius und freute sich, mal die anderen dumm gucken zu sehen. Penelope Meinte nur:

"Das hat doch was mit Ekelzitronik zu tun, oder wie das heißt."

"Ja, Elektronik", korrigierte Julius die Vertrauensschülerin und zwang sein Gesicht dazu, nicht zu einer hämisch grinsenden Maske zu werden. Während des Frühstücks wurden sie unfreiwillig Zeuge, wie ein Drittklässler von den Slytherins den schwarzhaarigen Jungen vom Zug gestern Abend verspottete.

"Potter, die Dementoren kommen!!" Tönte er. Dustin sah zum Tisch der Slytherins und nickte erkennend.

"Mr. Malfoy, Papas liebster Sohn. Er hat's mal wieder auf Harry Potter abgesehen. Die beiden konnten sich von Anfang an nicht leiden."

"Kannten die sich vorher schon?" Fragte Julius und tat damit wieder seine Unkenntnis kund.

"Potter kannte Malfoy nicht, Aber umgekehrt wissen wir Kinder aus Zaubererfamilien, daß Harry Potter zum Sturz von Du-weißt-schon-wem geführt hat, weil er den Todesfluch überlebt hat, mit dem Du-weißt-schon-wer ihn töten wollte. Der Fluch ist zurückgeprallt und hat dem dunklen Lord den Gar ausgemacht", erläuterte Dustin.

"Wahrscheinlich hat ihn jemand in einen Schutzschirm gehüllt, wenn der Todesfluch wie ein Energiestrahl auf ihn geschleudert wurde", vermutete Julius.

"Ja, genau. Irgendwie, so geht das Gerücht, soll seine Mutter ihn vor oder bei ihrem Tod durch die Hand von Du-weißt-schon-wem geschützt haben. Könnte man als Schutzschirm bezeichnen", gab Penelope Clearwater anerkennend zurück. Julius nahm diese Antwort wie ein Kompliment. Vielleicht hatte er jetzt was gescheites gesagt, ausnahmsweise.

Da sie während des Frühstücks viel geschwatzt hatten, war es nicht verwunderlich, daß sie die letzten Bissen in großer Hast hinunterwürgten und dann in den Unterricht gingen. Gloria ließ sich von Penelope sagen, wo der Verwandlungsraum war und führte Julius dort hin, der mehr aus Verlegenheit als aus zur Schau gestelltem Lerneifer das Buch über Verwandlungen in der Hand hielt und darin las.

Sie waren die ersten Ravenclaws, die den Klassenraum vonProfessor McGonagall betraten, weil die anderen noch vor der Tür schwatzten. Es waren noch zwei Minuten bis neun Uhr. Warum sollten sie sich jetzt schon setzen?

"Ich möchte möglichst hinten sitzen", wünschte Julius, als Gloria mit weit ausgreifenden Schritten nach vorne marschierte.

"Hast du Angst vor ihr. Sicher, sie ist Großmeisterin der Verwandlung und ein registrierter Animagus. Aber Verwandlungen von Schülern dürfen nicht vorgenommen werden, schreibt eine Schulregel vor."

"Angst ist es nicht gerade. Doch wenn ich mich hier so dumm anstelle, wie eben beim Früstück ..." Druckste Julius Andrews. Gloria nahm seine rechte Hand und zog ihn entschlossen nach vorne.

"Nichts für ungut, Aber McGonagall möchte die Muggelgeborenen besonders fördern, eben weil diese nicht an sich glauben. Das hat mir meine Mutter erzählt, die vor fünfzehn Jahren hier war. Da hat Professor McGonagall schon Verwandlungen unterrichtet. Und das waren damals harte Zeiten, wegen Voldemort."

"Gloria, bist du verrückt!" Kreischte Kevin Malone, der gerade mit Fredo Gillers und Gilda Fletcher, einer dunkelhaarigen Erstklässlerin, den Klassenraum betrat.

"Ihr Iren denkt immer, wenn man die Bösen beim Namen nennt, schießen sie in Schwefelwolken aus dem Boden", entgegnete Gloria lässig. Julius zeigte sein breites Grinsen, weil Gloria nur ausgesprochen hatte, was er selbst gedacht hatte.

"Ja, Aber seine Anhänger sind noch da und warten nur darauf, daß ..."

"Hoffentlich bleibt es nur beim warten", fuhr Gilda Fletcher dazwischen und bugsierte Kevin in eine Sitzreihe. Julius mußte sich zusammennehmen, nicht einen bedauernden Gesichtsausdruck zu präsentieren. Außerdem, so stellte er mit einem Anflug von Unbehagen fest, saß er in einem Glashaus, aus dem er besser keine Steine werfen sollte.

"Aber man hat doch immer mehr Angst vor dem Typen, wenn man ihn Du-weißt-schon-wer nennt", traute sich Julius, auf Grund seiner Muggelabstammung mit der Freiheit eines Hofnarren versehen zu sein, Kevin noch mal zu erschrecken. "Außerdem klingt Voldemort richtig erhaben, mit dem Lord vorne dran noch mehr."

"Spotten Sie bitte nicht über etwas, von dem Sie nichts wissen!" Kam eine sehr strenge Stimme durch die Tür. Und ein Schwung hastig eintretender Erstklässler ergoß sich in den Raum, getrieben vonProfessor McGonagall. Kevin war genauso zusammengefahren wie Julius, dem der Tadel gegolten hatte. Doch nun grinste der rotblonde Bettnachbar des Sohnes eines Forschungsdirektors überlegen, und das, so sah Julius ein, nicht unverdient.

Professor McGonagall schritt an Julius und Gloria vorbei, würdigte den jungen Andrews mit einem kurzen Blick und nahm hinter ihrem Pult Platz. Dann begann sie, von einer Pergamentrolle Namen Abzulesen, und Julius war wieder der erste, der aufgerufen wurde. Er meldete sich mit einem zaghaften "Jawohl!" Dann setzte er sich etwas zurück, weil er der Strenge dieser Hexe nicht allzu nahe sein wollte.

Eric Bosetzky war der zweite Name auf der Liste. Eric antwortete mit einem trockenen "Am Platz!" Es folgten weitere Namen von Erstklässlern, über Fletcher, Gillers und McLughlin. Dann kam Malone an die Reihe, und Kevin sagte auf Gälisch, daß er anwesend sei, wasProfessor McGonagall einen amüsierten, dann tadelnden Gesichtsausdruck annehmen ließ.

"Sie sprechen englisch, Mr. Malone?" Fragte sie. Kevin bejahte. Dann meinte Professor McGonagall:

"Das ist wichtig für unsere gemeinsame Verständigung. Aber ich registriere, daß Sie da sind."

Dann kam Gloria, die laut und deutlich "Jawohl, ich bin hier!" antwortete. Die restlichen Namen, zu denen auch Marvin Sallers gehörte, wurden wie von einer Garnspule abgewickelt. Dann erklärte die Lehrerin, daß Verwandlungen eine der schwersten Zaubereien darstellten und sehr gefährlich verlaufen könnten wenn man nicht richtig aufpasste. Sie schloß ihre kurze Einführungsrede mit der Warnung davor, daß jeder, der Unsinn machen würde, auf Nimmerwiedersehen die Klasse verlassen würde. Das machte Eindruck. Schlagartig war das unaufmerksame Getuschel verstummt und einer gespannten Stille gewichen.

Mit einer Bewegung ihres Zauberstabes verwandelte die Lehrerin ihr Pult in eine Standuhr, dann in ein Schaf, dann wieder zurück in ihr Pult. Jedesmal wurde sie mit Beifall und anerkennendem Raunen bedacht.

".. Aber das werden Sie noch lernen, und zwar bei mir." Hörte Julius die Stimme Professor McGonagalls in seinem Bewußtsein widerhallen, als sie seines Vaters Revolver in ein geblümtes Sofakissen verwandelt hatte. Er hatte sie gefragt, weshalb sie die Waffe erst aus der Hand seines Vaters zaubern mußte, worauf er eben jenen Satz zur Antwort bekommen hatte, der ihm seit diesem Tag immer durch den Kopf ging, wenn er an ihren Besuch dachte. Mit dem vom Revolver zum Sofakissen gewordenen Objekt hatte sich Julius' Weltbild total verschoben. Und jetzt saß er in einem Klassenraum und hörte der Frau zu, deren und seine Vorfahrin ihn hierher gebracht hatte.

Die Stunde war interessant, wenngleich auch anstrengend. Im wesentlichen ging es um Grundgesten der Verwandlungszauber und die Standardsprüche zur Einleitung einer Verwandlung toter Gegenstände. Zum Abschluß sollten alle ein Streichholz in eine Stecknadel verwandeln. Gloria führte die entsprechenden Gesten mit dem Zauberstab und murmelte die Zauberformel, mit der sie den Umwandlungszauber auslösen sollte. Tatsächlich wurde aus dem Streichholz ein länglicher, glänzender Gegenstand, allerdings eher ein Metallsplitter mit vier Kanten, als eine Stecknadel. Julius nahm den Zauberstab, vollführte exakt die gleichen Bewegungen und wollte gerade den Zauberspruch aussprechen, als es laut knackte und eine 6 cm lange Nadel über den Tisch rollte.

"Huch, ich habe den Zauberspruch doch noch gar nicht ..."

"Außerordentlich!" Bemerkte Professor McGonagall. Dann fragte sie:

"Ms. Porter, haben Sie von Mr. Andrews einen Zauberspruch gehört?"

"Nicht eine Silbe, bevor ..."

"Faszinierend!" Bemerkte Professor McGonagall und nahm die Nadel.

"Wofür halten Sie das, was Sie da gemacht haben, Mr. Andrews?" Wollte sie wissen. Julius vermeinte, einen drohenden Unterton zu hören, daß ihm eine heftige Strafe bevorstand, wenn er was falsches antwortete. Er sagte:

"Anfängerglück, Professor McGonagall." Insgeheim dachte er jedoch, daß die Hexe ihm vielleicht geholfen hatte. Daß sie ohne Zauberspruch etwas verwandeln konnte, hatte sie ja schon gezeigt. Aber er hatte ihren Zauberstab nicht auf das vor ihm liegende Streichholz gerichtet gefunden.

Die Hexe im smaragdgrünen Umhang ging durch die Klasse und sammelte die Produkte der ersten Versuche ein. Außer Gloria und Julius war es keinem gelungen, ein Streichholz komplett zu verwandeln. Bei einigen waren die Schwefelköpfe zu roten Spitzen geworden. Bei anderen waren die Kanten der Zündhölzer verschwunden. Als die Glocke das Ende der Stunde verkündete, sagte Professor McGonagall:

"Für die beste Erstlingsverwandlung bei einem Muggelgeborenen vergebe ich 20 Punkte an Ravenclaw. Ms. Porter erhält noch einmal 5 Punkte, weil die Materialumwandlung funktioniert hat. Lernen Sie bis zur nächsten Stunde die Sprüche für die Verwandlung von kleinen in große Objekte auswendig!"

Die Erstklässler verließen den Raum in geordneter Eile. Als Julius ebenfalls schnell zum Ausgang wollte, hielt ihn Professor McGonagall mit einem kurzen "Moment!" zurück. Gloria blieb an der Tür stehen, während Julius sich nocheinmal umdrehte.

"Was haben Sie heute Nachmittag, Mr. Andrews?"

"Zauberkunst bei Professor Flitwick", gab Julius verschüchtert Auskunft.

"Gut, dann erwarte ich Sie anschließend in meinem Büro."

"In Ordnung", gab Julius zurück und lief mit Gloria aus der Klasse.

"Oha! Das ist mir Aber jetzt peinlich", meinte der Sohn eines Chemikers in leitender Position. Gloria guckte ihn verdutzt an und fragte:

"Machst du Witze. Du hast gerade die ersten 20 Punkte für Ravenclaw geholt, zumindest, was die erste Klasse angeht. Wenn das peinlich ist, möchte ich nicht wissen, womit du zufrieden wärest."

"Das wollte ich nicht so haben. Ich wollte es so machen, wie du und die anderen. Und was passiert? Knack und pling, da lag das Ding. Ich hätte nie für möglich gehalten ..."

"Jetzt mach deinen Kopf besser frei für Kräuterkunde. Da brauchst du deinen Zauberstab nicht zu schwingen."

"Du hast recht", meinte Julius Andrews und rief sich die Namen aller Pflanzen ins Gedächtnis zurück, die Aurora Dawn ihm gezeigt hatte und verknüpfte sie mit den entsprechenden Bildern. Wie Zauberformeln sprach er die Namen der Pflanzen leise vor sich hin. Dann hatten sie die anderen eingeholt.

Kräuterkunde hatten sie zusammen mit den Slytherins. Julius hoffte, daß ihm hier nicht so ein Superding passierte, wie mit dem Streichholz. Er hoffte auch, daß man die Sache nicht allzu breittreten würde, sonst kamen wohl noch Reporter dieses Tagespropheten und wollten ihn interviewen. Auf dem Weg zu den Gewächshäusern sah er flüchtig Harry Potter, der mit seiner Klasse von einer Unterrichtsstunde kam und auf dem Weg zur Verwandlungsstunde war. Ihm fiel ein, daß der Junge, dessen Blitznarbe er nun deutlich erkennen konnte, in der Zaubererwelt eine Berühmtheit war, weil er den Todesfluch dieses Lord Voldemort überlebt hatte. Julius konnte sich vorstellen, daß der Junge damit eine schwere Last trug und hoffte, ihn darin nicht zu übertreffen.

Die erste Stunde Kräuterkunde begann ebenfalls mit der Verlesung einer Namensliste. Wieder war Julius der erste, der aufgerufen wurde. Julius meldete sich korrekt und war froh, daß Professor Sprout nur nickte und seine Anwesenheit registrierte. So verfuhr sie mit allen, bis alle Namen verlesen waren und ihre Besitzer sich gemeldet hatten.

Dann ging es im Eiltempo in das erste Gewächshaus, wo es galt die Früchte eines merkwürdigen Busches zu pflücken und zu notieren, welche Eigenschaften sie hatten. Julius erinnerte sich an die Passage aus dem Kräuterkundebuch, daß er kurz vor seiner Abfahrt noch gelesen hatte und war schon drauf und dran, die Eigenschaften der Pflanze exakt zu beschreiben, als Carol Ridges, ein skelettdürres Slytherin-Mädchen mit langen schwarzen Haren auf die Idee kam, dem Muggelgeborenen eine Frucht dieser Pflanze vor die Füße zu werfen. Julius hatte nichts gegen Scherze und lächelte die Slytherin an. Sie guckte verdutzt. Julius, der wußte, daß er nur noch eine Sekunde Zeit hatte, bevor die Frucht auf dem gedüngten Boden aufgehen und einen langen Sporn austreiben würde, konzentrierte sich, und im gleichen Moment, als der Trieb der Speerstecherbeere aufschoß, hechtete Julius geschmeidig zurück und landete leise zwei Meter von dem immer länger werdenden Sporn entfernt.

"Können Sie mir sagen, was Sie da gerade getan haben?" Wandte sich Professor Sprout an Julius und Carol. Julius antwortete nur:

"Ich bin dem Trieb der Speerstecherbeere ausgewichen, Professor. Mehr war nicht."

"Ich meinte auch nicht Sie, Mr. Andrews, sondern Miss Ridges. Ich habe Ihnen doch gerade erklärt, daß man die Früchte dieser Pflanze niemals auf Drachendung fallen lassen darf, weil sonst ein sofortiger Ausschlag des Speeres erfolgt. Oder haben Sie das etwa nicht gehört?"

"Ungefähr. Aber ich wußte nicht, daß hier Drachendung überall ausgelegt ist. Es stinkt zwar heftig, Aber das konnte ich ja nicht ahnen", gab die Slytherin zurück und lachte dabei, als sei ihr gerade ein guter Witz erzählt worden.

"Sie halten das wohl für einen Scherz. Nun gut, dann halten Sie wohl 5 Punkte Abzug für Slytherin auch für einen Scherz."

Offensichtlich tat Carol dies nicht. Denn sie hörte sofort zu lachen auf und sah Professor Sprout mit verachtendem Blick an. Julius kannte diesen Blick von einem Mädchen, dem er im Kindergarten ihre Lieblingspuppe weggenommen hatte. Vielleicht fühlte die spindeldürre Junghexe sich jetzt auch genau so.

"Sie meinen das wirklich nicht ernst", mischte sich Gerry Barkers ein.

"Oh doch, mein Herr. Die Pflege und Nutzung magischer Pflanzen ist eine höchst anspruchsvolle Wissenschaft, die auch große Gefahren in sich birgt. Von einem Speertrieb einer Speerstecherbeere aufgespießt zu werden, ist da noch das kleinere Übel, was Ihnen widerfahren kann. Fünf Punkte Abzug sind dafür nicht zu viel, wenn Sie das begreifen."

"Ihr ist die Frucht aus den Fingern geflutscht. Der Muggelbalg stand eben nur zu nah dabei", meinte noch ein Slytherin. Professor Sprout warf dem Jungen aus dem Slytherin-Haus einen sehr ernsten Blick zu und sagte:

"Wenn sich noch jemand beschweren möchte, obwohl dafür kein Grund vorhanden ist, ziehe ich noch mal zehn Punkte ab. Ihre Hausmitbewohner dürften das nicht zu schätzen wissen."

Murrend gingen die Slytherins wieder an ihre Arbeit, während Julius mit Gloria einen anderen Speerstecherbusch Abpflückte und die Früchte in einen großen Eimer fallen ließ.

"Woher wußtest du, wann du wegspringen mußtest? Das war ja prima abgestimmt."

"Ich habe das Buch vorher gelesen, flüchtig. Aber die Pflanze hat mich interessiert, weil ich sie noch nie gesehen habe, Gloria", antwortete Julius.

Professor Sprout sammelte die vollen Eimer ein und trug sie zu einem Karren, auf dem sie nachher Abtransportiert werden sollten. Julius dachte, daß sie im Krankenflügel verwendet wurden.

Am Ende der Stunde sah Julius, wie Chuck Redwood, der rotbraunhaarige Slytherin-Junge, eine ernsthafte Diskussion mit Carol Ridges führte. Offenbar tadelte er sie dafür, so kindisch fünf Punkte verschenkt zu haben.

Professor Sprout wartete, bis die Slytherins zu ihrer Zaubertrankstunde mit den Gryffindors aufgebrochen waren, dann trat sie neben Julius, der bereits rot anlief, ohne daß ihm irgendwas geschehen war, für das er sich hätte schämen müssen. Gloria war bereits mit Kevin Malone aus dem Gewächshaus verschwunden.

"Ich wollte nicht, daß Sie dem Mädchen Punkte wegnehmen. Ich hätte es dabei belassen, daß ich dem Sporn ..."

"Wem ich Punkte gebe, wegnehme oder verweigere liegt in meiner Verantwortung, Mr. Andrews. Ihnen wollte ich lediglich zu ihrer beachtlichen Kenntnis und schnellen Reaktion gratulieren und mich bei dieser Gelegenheit auch für Ihre Hilfe bedanken. Die Chrysanda erecta ist wieder völlig genesen, Dank Ihrer Tabletten."

"Das war ms. Dawns Rezept. Sie hätten die Tabletten gleich außerhalb des Tropfenden Kessels in einer Nichtzaubererapotheke kriegen können", meinte Julius, froh darüber, daß Professor Sprout ihn zumindest nicht vor der Klasse lobte.

"Aber dort hätte mir keiner die genaue Dosierung verraten können. Ms. Dawn hatte das Wissen, Sie die Mittel. Beides ist wichtig, wenn schnell gehandelt werden muß. Welchen Unterricht haben Sie jetzt?"

"Vor dem Essen ist noch Einführung in die Astronomie. Das kann ich einigermaßen. Ich bin Aber schon auf dem Weg", erwiderte Julius Andrews und rannte aus dem Gewächshaus.

Wie er Professor Sprout gesagt hatte, war die Einführung in die Techniken der Astronomie kein Problem für Julius. Hier kamen ihm seine naturwissenschaftlichen Grundkenntnisse zu gute. Er hätte Professor Sinistra auch etwas über Sternenentwicklungen und galaktische Eigenumdrehungen, die Hubble-Konstante zur Bestimmung der Abstände sich entfernender Galaxien und die Daten sämtlicher Planeten herunterbeten können, doch er beließ es dabei, 10 Punkte für Ravenclaw dafür einzufahren, daß er schnell und präzise beschrieb, wie man mit einem Teleskop und einem Stück weißen Stoffs die Sonnenflecken ohne Gefahr für die Augen sichtbar machen konnte.

"Ich glaube, das schreibe ich meinem Vater", meinte Julius, als er mit Gloria und Kevin zum großen Saal des Schlosses hinunterstieg.

"Was?" Wollte Gloria wissen.

"Hallo, Paps! Wir haben heute eine Stunde Botanik und Einführung in die Astronomie gehabt. In beiden Fächern habe ich zufriedenstellende Grundkenntnisse gezeigt und für das Haus, in dem ich wohne die ersten Pluspunkte gesammelt. Viele Grüße auch an Mum, euer euch immer noch schätzender und liebender Sohn Julius."

"Dein Vater nimmt wohl nichts ernst, was nicht mit einem Rechenschieber nachgeprüft oder mit einem Maßband ausgemessen werden kann, wie?" Wollte Kevin wissen.

"Was glaubst du denn? Er ist 'n Muggel."

Alle drei lachten darüber, daß sich Julius selbst auf den Arm nehmen konnte. Als dann noch Gilda Fletscher hinzukam, ging es zum Mittagessen.

"Was wollte die kleine Runde Sprout denn noch von dir?" Fragte Kevin, bevor er sich auf seinen Platz setzte, im flüsterton sprechend.

"Sie hat mich lediglich gefragt, ob ich das Kräuterkundebuch gefressen und verdaut hätte", erwiderte Julius und hatte damit nicht einmal so sehr gelogen.

Nach dem reichhaltigen Mittagessen ging es zur Zauberkunststunde. Davor hatte Julius am meisten Angst. Denn zum einen traf er hier zum erstenmal auf den Hauslehrer. Zum anderen wußte er nicht, ob ihm nicht wieder seine Magie ausrutschen würde. Und dann stand da noch die Unterredung mit Professor McGonagall ins Haus. Wahrscheinlich würde sie ihm zu verstehen geben, daß er unkontrollierbar sei und daher hier nichts zu suchen hätte. Doch der sprechende Hut hatte behauptet, daß jeder, der auf dem Auswahlstuhl platznahm, nach Hogwarts gehörte. Dennoch war er sich nicht sicher.

Gloria zog ihn wieder nach Vorne. Auch Kevin Malone mußte sich in die vorderen Reihen setzen. Gilda Fletcher wollte es so. Eric Bosetzky platzierte sich hinter Julius, ebenso tat es Marvin Sallers. Fredo Gillers hatte sich mit einem anderen Ravenclaw-Jungen zusammen in eine Reihe weiter hinten gesetzt. Offenbar lag ihm daran, nicht sofort zu sehen zu sein.

Professor Flitwick, der kleinste Lehrer der Schule begrüßte die neuen und praktizierte das heute bereits mehrfach durchgeführte Ritual mit der Namensliste. Da sie jetzt alle Routine darin hatten, sich zu melden, war Flitwick in weniger als einer Minute durch. Dann erklärte er, daß die Zauberkunst die variantenreichste Form der Magie sei und viel Feingefühl und Konzentration beanspruche. Objektbewegungen, Gemütsveränderungen und Verfluchungen von Gegenständen oder die Aufhebung eben solcher Flüche, gehörten ebenso zur Zauberkunst, wie die Beschwörung elementarer Kräfte wie Feuer, Wind oder Wasserstrahlen. Ebenso konnten die Zauberstäbe dazu gebracht werden, als Lichtquellen zu fungieren oder Objekte zu produzieren, wie fliegende Vögel oder Blumen. Zum Beweis ließProfessor Flitwick mit dem Zauber "avis!" einen Schwarm bunter Vögel aus dem Zauberstab herausflattern und ließ eine Zigarrenschachtel durch die Klasse fliegen.

"Ist merkwürdig, daß die alle sagen, daß ihre Magie zu den schwierigsten gehört", murmelte Kevin Malone.

"Machen doch alle Lehrer", erwiderte Marvin Sallers leise, als Flitwick, der auf einem Bücherstapel stand, um über sein Pult hinwegsehen zu können, etwas über die Grundkräfte der Magie erzählte.

Julius Andrews horchte auf, als von physikalischen Schlupflöchern die Rede war, durch die Energien der magischen Art Zugriff auf gebräuchliche Ereignisse fänden. So gesehen fehlte der Muggelphysik wohl der Zugang zu diesen Schlupflöchern, um die Magie als berechtigte Kraft im Sinne der modernen Wissenschaften zu akzeptieren. Er entschloß sich dazu, irgendwann ein Buch dazu zu lesen. Jetzt schrieb er erst einmal alles auf, was Flitwick erzählte. Dann wurde es wieder praktisch.

"Sagen Sie Lumos, wenn Sie im Dunkeln Ihren Zauberstab als Lichtquelle nutzen möchten. Dies ist der einfachste Zauber, den Sie anwenden können. Sagen Sie Nox, wenn Sie die Lichtquelle nicht mehr benötigen."

Er führte vor, wie einfach es war, die Spitze des Stabes zum leuchten zu bringen. Die übrige Klasse tat es ihm nach und schaffte es, alle Zauberstäbe zum leuchten zu bringen. Julius, dessen Zauberstab sofort aufflammte, als er die Letzte Silbe gerade sagte, dachte zunächst, der Stab würde verbrennen. Doch die Spitze glühte nur wie die Birne einer großen Taschenlampe. Flitwick bemerkte es und kam hinter dem Pult hervor.

"Nox!" Befahl Julius seinem Zauberstab. Sofort wurde er wieder normal. Flitwick stand neben ihm.

"Sie haben Ihren Stab bei Ollivander gekauft?" Wollte der kleine Zauberer wissen. Julius antwortete:

"Genau."

"Ja, manche haben eben eine besondere Kompatibilität mit ihren Trägern. Geben Sie ihn mir bitte noch mal!" Verlangte Flitwick höflich und ließ sich den Eichenholzzauberstab aushändigen.

"Lumos!" Befahl Flitwick dem Zauberstab. Er gehorchte und produzierte ein Licht an seiner Spitze, daß Aber nur so stark war, um einen schmalen Weg zu erleuchten.

"Wie gesagt", bemerkte Flitwick, nachdem er das Zauberstablicht wieder gelöscht hatte, "manche Zauberstäbe sind besonders kompatibel zu ihren Trägern. Es kann Aber auch das Grundpotential des Trägers sein, das durch den Zauberstab entsprechend stark ausgerichtet wird."

"Und falls dem so sein sollte, bleibt das so?"

"Nein, natürlich nicht. Denn je weiter Sie Ihre fähigkeiten entwickeln, desto stärker trainieren Sie das Grundpotential. Wir Professoren können schon Dinge durch Konzentration bewirken, ohne eine Formel zu sprechen. Das heißt Aber, daß wir die Zauber alle auswendig kennen und konzentriert an sie denken müssen. - Schreiben Sie sich das bitte auf! Sie brauchen es vielleicht heute noch nicht zu wissen, Aber schlecht ist es nicht, diese Grundlage zu kennen." Meinte Flitwick, an den Rest der Klasse gerichtet. Federn schabten über Pergament.

"Kann ich die Lichtstärke irgendwie beeinflussen, oder ist das nur ein Schalter?" Fragte Julius.

"Ein was? Achso ja. In der Muggelwelt wird Licht ja durch ein- und ausschaltbare Kräfte erzeugt. In diesem Fall wäre die Antwort: Ja, nicht ganz. Sie können die Lichtstärke beim Sprechen des Zauberwortes und dem Zusatz "Amplifico" oder "Fortissimo" um zwei Helligkeitsstufen anheben, wobei "Fortissimo" viermal so stark wie die reine Auslösung ist. Wie stark der Lichtstrom wird, den Ihr Zauberstab bei einfacher Anwendung erzeugt, hängt von der von mir beschriebenen Vereinbarkeit zwischen Zauberer und Zauberstab ab."

"Das gilt dann für alle Zaubersprüche?" Wollte Gloria Porter wissen, die Julius' besorgtes Gesicht gesehen hatte.

"Ich meine, das ist zwar Stoff der höheren Klassen. Aber warum sollte ich Ihnen das nicht heute zumindest einmal andeuten. Es hängt auch von emotionalen Zuständen ab, ob ein Zauber gelingt. Davon Abhängig wirken manche Zauber stärker oder schwächer. Aber die Grundverbindung und -energie ist dabei immer maßgeblich."

Die restliche Doppelstunde verlief damit, daß die Schüler und Schülerinnen Übungen mit kleinen Objekten anstellten, die auf dem Tisch herumgeschoben werden sollten, ohne sie zu berühren. Schwebezauber oder Fernlenkungszauber sollten erst viel später drankommen.

Offenbar hatten Flitwick und McGonagall sich abgesprochen. Denn kaum war die Glocke zum Ende der Stunde verklungen, stand Professor McGonagall auch schon vor der Klassenzimmertür.

"Auffälliger ging's wohl nicht", stöhnte Julius leise. Gloria zwickte ihm in den Arm und sagte:

"Was immer die jetzt von dir wollen, daß du hier bist, ist kein Fehler. Versuche es denen nicht einzureden, und vor allem versuche nicht, es dir einzureden!"

Dann verschwand sie und kehrte mit den übrigen Ravenclaws in ihren Gemeinschaftsraum zurück.

Flitwick begleitete Julius Andrews, der sich zwang, mit erhobenem Kopf seinen Weg zu gehen. Wahrscheinlich würden sie ihn zum unbezähmbaren Wilden erklären und, da man ihn ja nicht in die Muggelwelt zurücklassen konnte, irgendwo einsperren. Womöglich in das Gefängnis von Askaban.

"Setzen Sie sich!" Befahl Professor McGonagall dem Erstklässler. Dieser hatte beschlossen, nur etwas zu sagen, wenn er gefragt wurde.

Professor Flitwick nahm ebenfalls Platz. er mußte zwei zusätzliche Sitzkissen unterlegen, um hoch genug zu sitzen, um auf gleicher Augenhöhe mit Professor McGonagall und Julius Andrews sprechen zu können.

Als sich die Tür zum Büro von Professor McGonagall noch mal öffnete und Albus Dumbledore eintrat, dachte Julius:

"Das hohe Gericht ist vollzählig erschienen."

"Sie haben mich gebeten, einer, wie Sie sagten, hochinteressanten Unterredung beizuwohnen, Minerva?" Fragte der Schulleiter.

"So ist es, Herr Direktor", erwiderte die Verwandlungslehrerin. Dann gab sie kurz einen Bericht über das ab, was am Morgen in ihrer Verwandlungsstunde abgelaufen war. Sie holte die lange Nadel hervor, die Julius mehr oder weniger freiwillig aus dem Streichholz gezaubert hatte und zeigte sie dem Schulleiter. Dieser besah sich die Nadel, holte dann einen kleinen Magneten aus einer Tasche seines Umhangs und zog damit die Nadel an.

"Ohne Zweifel. Das Holz wurde korrekt umgewandelt, und die Form passt auch. Allerdings ist die Nadel ein wenig länger als üblich", sagte er. Dann fragte er Julius, ob er eine Stecknadel in ein Streichholz umwandeln könne. Julius zögerte, doch der zur Antwort gemahnende Blick von Professor McGonagall brachte ihn dazu, mit Ja zu antworten. Dumbledore ließ sich von Minerva McGonagall eine andere Stecknadel geben und legte sie vor Julius hin. Dieser zog seinen Zauberstab, bewegte ihn, wie gelernt und wollte gerade die Zauberformel sprechen, als es kurz knackte, und dort, wo eben noch die Nadel gelegen hatte, lag nun ein Streichholz, wie es anders nicht hätte aussehen können.

"Haben Sie ihn eine Formel sagen hören?" Fragte Professor McGonagall ihre Kollegen. Diese schüttelten die Köpfe und sahen Julius an.

"Wer im Ministerium kam auf die Idee, daß dieser Junge nur einen magischen Vorfahren hatte?" Wunderte sich Dumbledore.

"Es ist genialogisch nachgeprüft worden, und nur meine Urahnin war in seiner Ahnenreihe. Über die mütterliche Seite konnte nichts ermittelt werden, was älter als 280 Jahre ist."

"Manchmal ist es ein Skandal, daß Daten über Magier und ihre Familien nicht besser geordnet werden", warf Professor Flitwick ein. Dann meinte er noch:

"Der Umstand, daß Mr. Andrews durch reine Gedankenkraft den Zauberstab ausgelöst hat und eine vollständige Umwandlung bewirken konnte, deutet auf das Ruster-Simonowsky-Phänomen hin. Es ist Ihnen bekannt?"

"Die Potenzierung zweier über Jahre verschütteter Magiequellen, wenn sie sich treffen", erläuterte Professor McGonagall.

"Genau. Damit haben wir es zu tun. Nichts bedrohliches oder gar Abnormes, nur selten."

"Dann bleibt zu klären, von welchem Vorfahren er die zweite Hälfte seiner magischen Kraft erhalten hat", meinte Albus Dumbledore und sah Julius an. Dieser sagte nichts.

"Das ist auf jeden Fall hochinteressant", schloß Dumbledore. "Verfolgen Sie diese Angelegenheit weiter, Minerva. Ich muß mich um etwas anderes kümmern. Bei Hagrids erster Stunde gab es einen unangenehmen Zwischenfall mit einem Hippogreifen und Draco Malfoy."

"In Ordnung, Herr Direktor", willigte Professor McGonagall ein.

Dumbledore verließ das Büro und kehrte in seine eigenen Räumlichkeiten zurück.

"Und was passiert jetzt?" Fragte Julius, doch von seinem Prinzip der Schweigsamkeit Abweichend. Und gegen Glorias Rat fragte er:

"Werden Sie mich jetzt von der Schule weisen, oder gar irgendwo einsperren lassen, weil ich viel zu stark bin?"

"Wer hat Ihnen denn so einen Unsinn erzählt? Warum sollten wir Sie einsperren, nur weil Sie stärker sind als Erstklässler normalerweise sind?" Wollte Minerva McGonagall wissen. Julius erzählte dann, daß in seiner Welt Menschen, die als Gefahr für ihre Umwelt eingestuft wurden, in psychiatrische Anstalten gesperrt würden.

"Ich entsinne mich. Mancher Zauberer, der aus einer Muggelfamilie stammte, wurde noch vor dem zehnten Lebensjahr eingesperrt, weil er Dinge tun konnte, für die keine Erklärung gefunden werden konnte. - Aber das ist rückständiger, als ich fürchtete. Wir sperren nur ausgewiesene Kriminelle ein, egal wie stark sie zaubern können. Und Sie von dieser Schule zu verweisen, ohne daß Sie eine Regel empfindlich verletzt hätten, wäre das dümmste, was uns einfallen könnte. Wenn Sie wirklich so stark sind, daß Sie bei Kenntnis eines Zauberspruches nur an diesen zu denken brauchen, wären Sie anderswo als hier in größerer Gefahr, als Ihnen bislang bewußt war. Keiner würde Sie korrekt behandeln. Entweder hätten alle Angst vor Ihnen oder würden Sie als Kuriosität verstehen. Es gilt, und ich frage mich, wieso Sie das auch nicht begreifen wollen, was ich Ihrem Vater bereits sagte: Untrainierte Zauberkräfte wirken sich irgendwann gegen den Zauberkundigen aus, so oder so. Entweder zerstört er sich damit selbst oder die Welt um sich herum. Daß Ihr Vater dies nicht begreifen wollte, muß ich wohl auf den kulturellen Unterschied und die Abneigung gegen alle Mysterien zurückführen. Aber Sie haben heute morgen bewiesen, daß es Sie allein sind, der die Kräfte lenkt. Und Sie müssen lernen, Sie so zu lenken, daß sie ihnen nicht entgleiten. Das können Sie nur hier. Ich darf Ihnen ein Schreiben vom Ministerium für Zauberei vorlesen. Darin steht", sie holte einen Umschlag aus der linken Tasche ihres Umhangs, "daß wir im Kollegium von Hogwarts gehalten sind, jeden Muggelgeborenen, der starke Zauberkräfte zeigt, mit allen Mitteln zu fördern, ohne ihm eine Sonderbehandlung zukommen zu lassen."

"Und wieso haben Sie mir dann die 20 Punkte zuerkannt?" Fragte Julius.

"Weil Sie die Bestleistung in der ersten Stunde erbracht haben, die jemals jemand erbringen konnte. Betrachten Sie diese Punkte als Ansporn, sich auf alles zu konzentrieren, was sie lernen können, wenn es für Ihren Werdegang wichtig sein wird. Weitere Punkte, die Sie verdienen können, werden eher auf Wissensbasis und Reaktionsfähigkeit ausgerichtet sein, jetzt, wo wir Ihre Grundstärke kennen."

"Ich dachte schon, es sei ein Mißverständnis, daß ich hier bin."

"Der sprechende Hut hat mit Ihnen lange zu tun ggehabt. Hat er Ihnen gesagt, daß Sie nicht hierher gehören?" Fragte Professor Flitwick.

"Nein, hat er nicht. Er hat gesagt, daß jeder, der auf dem Stuhl platznehmen würde, auch nach Hogwarts gehöre."

"Und dann hat er Sie Ravenclaw zugeteilt, weil er festgestellt hat, daß Ravenclaw-Eigenschaften bei Ihnen überwiegen. Dieser Hut hat sich in all den Jahrhunderten nicht einmal getäuscht. Und mit jedem Jahr, das er existiert, steigt seine Erfahrung. Also nehmen Sie es endlich hin und werfen Sie das über Bord, was in Ihrer Welt eine schwere Neurose genannt wird. Befreien Sie sich von dem Zwang, Ihre Natur zu bekämpfen, je offenkundiger sie auftritt. Vielleicht pegeln sich die überhohen Zauberkräfte dann auch auf ein für Ihre Ansichten verträgliches Maß ein", sprach Professor McGonagall ein eindringliches Schlußwort.

"Sie meinen, ich hätte Angst vor mir selbst?" Wollte Julius wissen.

"Das ließe sich überprüfen", meinte Professor Flitwick und sahProfessor McGonagall an. Diese nickte, weil sie offenbar etwas verstanden hatte, was Julius nicht mitbekommen konnte.

"Folgen Sie uns!" Ordnete Professor McGonagall an und ging mitProfessor Flitwick voraus. Julius lief hinterher, immer noch nicht so recht wissend, was er zu erwarten hatte. Es ging durch mehrere Gänge, vorbei an alten Ritterrüstungen und Gemälden, in denen altertümliche Personen sich bewegten, als seien die Bilder Fenster und keine Malereien. Schließlich gelangten sie vor eine Tür, die offenbar in ein früheres Klassenzimmer führte. Professor McGonagall nahm ihren Zauberstab und tippte gegen das Türschloß. Es klickte, und die Tür schwang geräuschlos nach innen.

Im Raum hinter der Tür sah Julius mehrere verstaubte Schränke, Stühle und zwei übereinandergestapelte Tische. Julius Andrews wunderte sich, wie klein das Zimmer wirkte, und welchen Zweck es früher mal erfüllt hatte. Dann hörte er das leise Poltern aus einem kleinen Schrank.

"Gibt es hier Ratten?" Fragte er vorsichtig. Flitwick sah McGonagall an und grinste.

"Wo es Erdgnome, Gargoylen und andere Erdbewohner gibt, sind gewöhnliche Ratten seltener als in Muggelansiedlungen. Haben Sie Angst vor Ratten?"

"Nein, habe ich nicht. Ich habe sogar mal eine eingefangen und wollte sie als Haustier behalten", erwiderte Julius.

"Ja, dann können Sie ja gucken, was da solch einen Lärm macht."

Julius schluckte. Offenbar wollte man ihn einer Mutprobe unterziehen. Wenn er sich traute, den Schrank zu öffnen, aus dem das merkwürdige Poltern kam, hatte er wohl bestanden. Oder ging es darum, intelligenten Ungehorsam zu zeigen? Er hatte von seinem Vater etwas von Fragen und Anweisungen bei der Aufnahme von neuen Mitarbeitern gehört, wo getestet wurde, was man den Leuten alles Abverlangen konnte. Doch er dachte daran, daß die beiden Lehrer ihn nicht in eine Gefahr bringen würden, aus der sie ihm nicht heraushelfen konnten. Er ging also zu dem Schrank. Die Verwandlungslehrerin und Flitwick traten etwas zurück. Julius gab nichts darauf und zog die Schranktür mit einem Ruck auf, bereit, im nächsten Moment zurückzuspringen.

Das erste, was Julius sah, war ein Paar armlanger, haariger Insektenfühler, die aus dem Schrank herauslugten. Dann entstieg ein Ungetüm dem Schrank, mit großen Facettenaugen, einem langen Rüssel und mörderischen Beißzangen. Dann erschien der beinahe menschengroße Körper, eingehüllt in einen schwarz-gelb geringelten Panzer. Die mit klauen bewehrten ersten zwei Beinpaare trafen auf den Boden. Mit einem Getöse wie von anlaufenden Flugzeugpropellern zitterten zwei Flügelpaare auf dem Rücken des Monsters aus dem Schrank. Julius Andrews stand wie angewurzelt da, die Augen weit aufgerissen und starrte auf das Unwesen, das er da soeben aus dem Schrank gelassen hatte. Sein Mund öffnete sich zu einem Schrei, während das Monsterinsekt einen degengroßen Giftstachel aus seinem Hinterleib ausfuhr und Julius so nahe kam, daß seine beiden Fühler ihn fast berührten. Julius schrie und sprang zurück. Dabei riß er fast den kleinen Professor Flitwick zu Boden, der ebenfalls einen erschreckten Aufschrei tat.

Julius riß mehr aus Verzweiflung als aus Mut seinen Zauberstab heraus und hielt ihn dem Monster entgegen. Er dachte daran, daß es vom Kopf bis zum Giftstachel in eine Schnur gewickelt werden sollte. Tatsächlich schossen knisternde Funken aus rotem und goldenen Lichtblitzen aus seinem Zauberstab, die das Monster trafen und unvermittelt in eine rote Schnur einzuwickeln begannen. McGonagall trat neben Julius, den Zauberstab in der rechten Hand.

Als das Monsterinsekt die Verwandlungslehrerin sah, gab es einen lauten Knall, und an Stelle des Schreckenstieres stand ein hagerer Mann im schwarzen Umhang da. Sein Gesicht war schrecklicher, als Julius je eines gesehen hatte. Bleich, mit glutroten Augen und einer flachen Nase, wie die einer Schlange. Mit kalter hoher Stimme lachte der fremde Mann und griff in seinen Umhang.

"Riddiculus!" Schrie Professor McGonagall. Unvermittelt stand der Fremde nicht mehr im Umhang, sondern in einem Strampelanzug da, eine rote Pappnase im Gesicht und auf dem Kopf eine rote Zipfelmütze. Das kalte böse Lachen des Fremden erstarb zu einem schmerzgepeinigten Wimmern. Wie ein getretener Hund winselnd stahl sich der fremde Zauberer, oder was er war, in den Schrank zurück. Mit einem Wink des Zauberstabes ließProfessor McGonagall die Schranktür wieder zufallen.

Julius schnaufte, immer noch von der Angst erschüttert, die ihm die monsterhafte Riesenwespe aus dem Schrank eingejagt hatte. Doch dann kam er wieder zur Besinnung. Als Professor McGonagall sich vor ihm hingestellt hatte, hatte das Monster die Gestalt dieses bösartig aussehenden Zauberers angenommen. Also war es kein Monsterinsekt gewesen, sondern ein Wesen, daß Leuten ihre schlimmste Angst einjagen sollte, eine Art Dämon.

Von innen war wieder ein leises Poltern zu hören. Das Ding, was immer es gewesen war, saß nun wieder im Schrank, womöglich auf den nächsten lauernd, dem es Angst machen konnte.

"Ich konnte nicht zulassen, daß Sie eines unserer Versuchsobjekte für die Verteidigung gegen die dunklen Künste vernichten, Mr. Andrews. Aber Sie haben gesehen, wovor Sie angst haben. Vielleicht hilft Ihnen das jetzt weiter."

"Was war das für ein Vieh? War das ein Dämon, der weiß, was er machen muß, um Leute zu ängstigen?" Wollte Julius wissen.

"Dämon ist vielleicht übertrieben. Es war nur ein Irrwicht. Ein magisches Wesen, daß die größte Furcht eines Opfers erspüren und sich entsprechend verwandeln kann, um sie auszulösen", erklärteProfessor McGonagall. Dann sagte sie:

"Sie haben gerade wieder intuitiv gezaubert, Mr. Andrews. Wollten Sie das Abbild dieses Rieseninsektes fesseln oder lächerlich erscheinen lassen?"

"Wohl erstes", brachte Julius heraus.

"Auf jeden Fall sind Sie ein Mentalinitiator. So heißen die Zauberer, die bereits im Kindesalter nicht mit Sprüchen zaubern müssen und auch bei reiner Kenntnis dessen, was sie bewirken können, eine magische Reaktion auslösen. Weglaufen ist also der falsche Weg. Vor sich kann man nicht weglaufen. Aber das ist eine uralte Binsenweisheit."

"Das heißt, Sie werfen mich nicht raus?" Wollte Julius schon wieder wissen.

"Wie gesagt. Das wäre das dümmste, was wir im Moment mit Ihnen machen könnten. Allerdings sollten Sie um ihretwillen nicht darauf spekulieren, sich hier alles erlauben zu können. Die Regeln gelten für alle hier, auch für Sie. Sie werden nicht als Ausnahme behandelt und auch nicht benachteiligt, sofern es mit meinem und Professor Flitwicks Unterricht zu tun hat. Die anderen Lehrer werden ähnlich darüber denken. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie jemand nur auf Grund eines vorhandenen Grundtalentes benachteiligen wird. Allerdings sollten Sie mit dieser Gabe vorsichtig umgehen und immer die Kontrolle über sich behalten. Auch das ist ein Ziel, für das Sie und die anderen hier in Hogwarts sind. Unfälle in der Zauberei sind manchmal schwerwiegender, als Unfälle beim Sport oder auf Reisen. Ich habe Sie schon richtig eingeschätzt, als ich Sie das erstemal gesehen habe. Sie sind sich wohl nun im klaren darüber, was Sie sind?"

"Jawohl", erwiderte Julius Andrews. Dann entließen ihn die beiden Professoren wieder.

Als Julius Andrews durch das Schloß ging, um in das Ravenclaw-Haus zu kommen, schoß plötzlich ein kleiner Mann mit sich drehender Fliege aus einem Schrank und sauste laut heulend über ihn hinweg, wobei er eine Ladung Staub über ihm Abwarf.

"Wo haben sie dich denn rausgelassen! Wohl auf Streitsuche, was?" Brüllte Julius dem schwebenden Untäter nach. Dieser schlug einen Salto in der Luft und fuhr wieder auf ihn los, wie eine streitlustige Krähe.

"Ganz allein läuft er herum. Ist das nicht ein wenig dumm?"

"Ich habe heute schon genug Spukgestalten gesehen. Scher dich zum Abfall!" Meinte Julius leicht genervt. Dann hörte er eine unheimliche Stimme aus einem Korridor.

"Da ist er ja schon wieder. Mach, daß du wegkommst, Peeves!"

"Oha, der Hausmeister, der Schrecken aller Geister!" Spottete das Gespenst mit der Fliege und tanzte in der Luft eine Tarantella.

Eine Katze kam um die Ecke, sah nach oben und entdeckte die Spukgestalt. Julius schüttelte den Staub von seinen Haaren und lief schnell weiter. Er hatte von Dustin gehört, daß der Hausmeister Filch nicht besonders gut auf Schüler zu sprechen war. Er hatte eine dressierte Katze, Mrs. Norris, die herumlief und nach Untätern Ausschau hielt. Julius war nicht scharf darauf, sich von Filch beschimpfen zu lassen. Deshalb eilte er, das Spottgeheul von Peeves hinter sich lassend, bis vor das Gemälde mit der Blumenwiese. Maggy, die gemalte Kuh, graste. Der Hirte lag fast außerhalb des rechten Rahmens. Julius tippte mit dem Zeigefinger gegen das Bild und fühlte nur die Leinwand.

"Der adler ist gelandet!" Rief er einen der ersten Sätze nach der Mondlandung von Neil Armstrong.

"Mmmuuuuuh!" Machte Maggy und drehte sich mit gesenktem Kopf zu Julius um. Der Hirte fuhr zusammen und sprang auf.

"Was?!" Stieß er erschrocken aus.

"Mare Tranquillitatis", gab Julius das korrekte Passwort an.

"Achso", gähnte der aus dem Schlaf geweckte Hirte und schwang mit dem Bild zur Seite. Julius kletterte durch die Einstiegsöffnung und landete im Gemeinschaftsraum der Ravenclaws. Dort schien gerade eine wilde Jagd stattzufinden, wobei Julius nicht erkennen konnte, wer wen oder was jagte.

Er sah ein großes Buch mit goldenen Lettern auf dem Rücken, das herumflog und zwischendurch versuchte, den Schülerinnen und Schülern die Ohren, Nasen oder Hände zwischen seine Deckel zu klemmen und dabei laut knurrte.

"Ach du meine Güte!" Stieß Julius aus, als ihm das verhexte Buch entgegenflatterte. Was sollte das bedeuten? Er sprang mit einem Satz zur Seite, und das verfluchte Buch schnappte mit seinen Deckeln ins Leere, daß es nur so klatschte.

"Achtung, mein Monsterbuch ist los!" Rief ein Drittklässler aus der Menge heraus eine Warnung, die, wie Julius fand, reichlich spät kam.

"Na toll!" Rief Julius zurück, als ihn das offenbar tobsüchtige Buch ins Ohr zu kriegen versuchte. Mit einem Handkantenschlag gegen den linken Deckel trieb Julius das Buch aus seiner Nähe. Es jaulte wie ein getretener Hund und griff nun wütender an.

"Mach's nicht kaputt!" Rief der Drittklässler, der wohl mehr Angst um sein Buch als um Julius' Nase oder sonstige Körperteile hatte. Julius Andrews tauchte unter dem angreifenden Buch hindurch und sprang in die Menge der Schüler hinein, die durcheinanderliefen.

"Wau!" Rief eines der Mädchen aus der ersten Klasse. Dann kam Terrence Crossley durch den Einstieg in den Gemeinschaftsraum. Sofort ging das wilde Buch auf ihn los. Er zog seinen Zauberstab und stieß eine kurze Formel aus, die wie "Petrificus totalus" klang. Das Buch fiel kurz zu boden, schüttelte sich und stieß dann wieder nach oben vor, auf Terrence los.

"Verdammt noch mal!" Brüllte der Vertrauensschüler, jede Würde mißachtend.

"Welcher Idiot hat dieses Monsterbuch freigelassen?"

"Monster, wo?" Kam eine Frage von der Treppe zu den Jungenschlafsälen her. Kevin Malone strich sich noch das zerzauste Haar glatt. Er hatte wohl ein kurzes Mittagsschläfchen gehalten und den Lärm von unten gehört.

"Mein Monsterbuch hat sich aus dem Strick gewunden und rastet völlig aus", plärrte der Drittklässler.

"Ein Buch über Monster, oder ein Buch, das ein Monster ist?" Fragte Julius den betreten dreinblickenden Schüler.

"Beides", gab dieser peinlich berührt zur Antwort. Dann sahen sie, wie Kevin sich durch die Menge bahnte und gerade zurecht kam, als das wilde Buch Terrence in die linke Hand biß. "Autsch!" Schrie der Vertrauensschüler und sah seine Hand an, als das Buch sie wieder freigegeben hatte. Kevin griff blitzschnell nach dem Buchrücken und drückte mit der anderen Hand die Deckel zusammen. Er mühte sich ab, das Buch unter Kontrolle zu bringen und sprach dabei beruhigende Worte, als wolle er einen wütenden Hund beruhigen. Dann setzte er sich an einem Tisch nieder und legte das Buch ab, wobei er immer noch damit rang, es geschlossen zu halten. Schließlich tätschelte er den Buchrücken und streichelte ihn sanft. Und das merkwürdige Buch gab ruhe. Ja, es zitterte kurz, dann klappte es auf, wie ein ganz normales Buch und zeigte harmlose Text- und Bildseiten.

"Sag mal, wo hast du denn das gelernt?" Fragte der Junge, dem das Buch entkommen war und trat neben Kevin. Jetzt erst konnte Julius sehen, daß es sich um einen durchtrainierten Jungen mit schulterlangem braunem Haar handelte.

"Ich kann gut mit manchen Tieren. Ich dachte, dieses Buch ist so verzaubert, daß es wie ein wildes Tier ist, das immer frei sein will", sagte Kevin, der vorsichtig in dem nun völlig ruhigen Monsterbuch blätterte und über die Abbildungen von Drachen, Riesenspinnen, Gargoylen, Gorgonen und anderen Fabelwesen staunte. Julius trat näher heran. Das Monsterbuch schien ihn wohl zu wittern und zitterte erregt. Julius trat wieder zurück.

"Du hast es geschlagen. Vielleicht mag es dich deswegen nicht leiden", sagte der Besitzer des Buches und nahm es Kevin vorsichtig aus den Händen. Er klappte es zu und streichelte es sanft. Dann entschuldigte er sich bei den anderen, dasß das Buch sie so erschreckt hatte.

"Fünf Punkte Abzug für Ravenclaw, wegen unsachgemäßer Aufbewahrung eines magischen Objektes", wimmerte Terrence, dessen vom Buch gebissene Hand anschwoll.

"Heh, Terrence, das kannst du nicht bringen", protestierte der Junge, dem das Buch gehörte.

"Natürlich kann und muß ich das bringen, Gilbert. Oder denkst du, daß wäre richtig, wenn hier jeder mit seinen Zaubersachen fahrlässig herumhantieren würde?"

"Mann, das Biest ist mir aus den Haltestricken entwischt. Ich weiß nicht, was sich Hagrid dabei gedacht hat, uns dieses Monsterbuch aufzuschwatzen. Die Dinger sind doch lebensgefährlich."

"Eben!" Bestätigte Terrence. "Und wenn du noch weiter lamentierst, ziehe ich dir wegen Respektlosigkeit einem Vertrauensschüler gegenübernoch mal fünf Punkte ab."

"Dem eigenen Haus Punkte Abziehen. Der tickt doch wohl nicht richtig", zischte irgendwo eine Stimme, die Julius nicht zuordnen konnte. Auch Terrence konnte nicht hören, wer das gesagt hatte. Er sah drohend in die Runde der Anwesenden, dann fiel ihm ein, daß er seine Hand besser behandeln lassen sollte und kletterte durch das Einstiegsloch zurück auf den Flur. Maggy, die gemalte Kuh, muhte erregt, weil sie mit ihrem Hirten schon wieder herumgeschwenkt wurde.

"Wie hast du das eben mit dem Buch gemacht, Julius?" Wollte Pina Watermelon, eine Klassenkameradin von Julius, wissen. Der Junge, der vor einigen Wochen noch nicht wußte, daß er ein echter Zauberer war, sah sie an und sagte lächelnd:

"Ich habe zu Hause Karate trainiert. Das ist eine Muggelkampfart, bei der du ohne Waffen kämpfst. Ein Sport, wie Boxen, nur mit Händen und Füßen, und dabei noch so schnell, daß du mächtig aufpassen mußt, wenn du nicht getroffen werden willst."

"Hast du das aus Spaß gelernt, oder sind alle Muggel so kampflustig?" Wollte Pina wissen.

"Ich mache das als Sport, um meine Bewegungen zu verbessern. Aber einmal mußte ich doch gegen einen großen Jungen kämpfen, der eine Klassenkameradin von mir belästigt hat. Glaub mir, das macht keinen Spaß, wenn du dich tatsächlich mit jemanden prügeln mußt. Vielleicht habe ich das auch nur gelernt, um keine Angst zu haben, mich auch ohne Prügelei aus einer Situation herauszuziehen, weil ich weiß, daß ich das kann, wenn ich muß. Aber nur dann, wenn ich es machen muß kämpfe."

"Achso. Ich dachte schon, daß ihr alle so gemein seid."

"Bei uns gelten Hexen auch alle als böse und vor allem häßlich", grinste Julius und sah Pinas langen blonden Zopf und die wasserblauen Augen, die Stubsnase und die zierliche Gestalt. Pina verzog den Mund zu einem Schmollen und zog sich zurück.

"Achso, Julius! Gloria läßt dich grüßen und ausrichten, daß sie in der Bibliothek auf dich wartet", sagte Eric Bosetzky, der sich an die kleine Gruppe herangetraut hatte, als das beißende Buch aus dem Gemeinschaftsraum fortgebracht worden war.

"Da bin ich jetzt nicht für zu haben, zu lesen. Ich muß über einiges nachdenken", meinte Julius und zog sich in eine ruhige Ecke des Raumes zurück.

 

 

Es waren wohl zwanzig Minuten vergangen, als Terrence von seinem Ausflug in die Krankenabteilung zurückkehrte. Seine Hände waren beide wieder in Ordnung, und er grinste breit.

"Ich habe den arroganten Schnösel Malfoy da gesehen. Der wimmert sich was zurecht, weil ihn ein Hippogreif bald den Arm abgefressen hat. Selbst schuld, der Idiot. Was vergreift er sich auch an so sensiblen Tieren", sagte er. Hinter Terrence turnte Gloria Porter wie eine Ballettänzerin durch den Einstieg und sah sich um. Als sie fand, was sie suchte, ging sie mit schnellen Schritten auf Julius Andrews zu, der versuchte, sich so unauffällig wie möglich zu verhalten.

"Heh, du! Ich habe fast eine halbe Stunde auf dich gewartet. Ich wollte dich mit Hermine Granger bekannt machen, damit sie dir erzählt, wie sie zu ihren Eltern Kontakt hält."

"Die nimmt mich doch nicht ernst", erwiderte Julius muffelig.

"Wieso sollte sie nicht? Sie liest noch in der Bibliothek. Ich weiß nicht, wie die sich das alles merken kann. Faszinierend."

"Sprach Mr. Spock und zog die Augenbrauen hoch", kommentierte Julius den letzten Teil von Glorias Bemerkung.

"O.K., Mylady. Damit Sie ruhig schlafen können und ich meinen Frieden habe, sei es drum", sagte Julius, nachdem die blondgelockte Klassenkameradin ihn minutenlang angestarrt hatte. Julius wußte, daß er diese Runde im Ringkampf um den stärkeren Willen verloren hatte. Aber er sah auch nicht ein, weshalb er sich von nun an jeden Tag aufs neue anhören sollte, daß er viel zu stolz sei, mal jemanden um etwas zu bitten.

Zusammen mit Kevin Malone, der durch das Monsterbuch auf den Geschmack gekommen war, noch mehr über die Fabeltiere zu erfahren, verließen sie den Gemeinschaftsraum der Ravenclaws.

"Könnt ihr euch mal entscheiden, wo ihr hinwollt?!" Rief ihnen der Kuhhirte aus dem Gemälde hinterher. Sie beachteten ihn nicht. Julius überlegte nur, ob er nicht mit Chemikalien aus seinem Chemiebaukasten einige kreative Korrekturen an diesem Gemälde durchführen sollte. Aber das kam wohl einer Sabotage gleich. Und wegen eines merkwürdigen Bauern auf einem Bild wollte er nicht den Schulverweis riskieren.

 

In der Bibliothek schubste Gloria Julius voran zu einem riesigen Bücherstapel, hinter dem sich das braunhaarige Mädchen mit den vorstehenden Zähnen versteckte, daß Julius bei der Einschulung gesehen hatte. Er räusperte sich leise und sagte:

"Entschuldigung! Ich will dich nicht stören. Aber meine Klassenkameradin Gloria ist der Meinung, ich sollte dich fragen, wie du mit deinen Eltern Kontakt hältst, während du hier in Hogwarts bist."

"Du bist Julius Andrews. Ich habe von dir gehört. Um es kurz zu machen:

Als wir von Hogwarts Bescheid bekamen, informierten wir uns über alle Möglichkeiten, Kontakt zu halten. Ich habe es mir angewöhnt, jeden Monat eine Schuleule loszuschicken, um meine Eltern auf dem Laufenden zu halten."

"Joh, danke!" Antwortete Julius Andrews und verabschiedete sich höflich von Hermine Granger.

"Jetzt hast du sie nicht gefragt, wie sie das macht", zischte Gloria, als Julius sie wieder erreicht hatte.

"Die ist beschäftigt. Ich kenne das. Hast du gesehen, was für Bücher sie sich da zurechtgelegt hat? Das ist Lehrstoff für mindestens zehn Fächer."

"Interessant", bemerkte Gloria, die offenbar von Hermines Lerneifer begeistert war. Julius lag nichts an Strebern. Er zog es vor, nur das zu bringen, was von ihm verlangt wurde, nicht mehr. Ihm war es immer noch peinlich, daß er dieses Streichholz so perfekt verwandelt hatte.

Auf eigenen Wunsch gingen Gloria und er in die Eulerei, wo sie sich eine Waldohreule aussuchten, die so ähnlich aussah wie Boann, Kevins eigenes Tier. Julius schrieb einen kurzen Brief an seine Eltern, der lautete:

 

Hallo, Mum und Paps!

Ich bin gut in Hogwarts angekommen und habe meinen ersten Schultag erfolgreich bestanden. Ich lebe in einem Haus namens Ravenclaw und teile mir mit vier Klassenkameraden einen Schlafsaal. Wir aus unserem Haus haben auch zusammen Unterricht und können die Bibliothek besuchen, sowie die schuleigenen Posteulen benutzen, um Kontakt zu halten.

Also, wenn diese Eule bei euch eintrifft, schreibt ruhig eine Antwort auf die Rückseite des Briefes und schickt sie zu mir zurück!

Sowohl der Schulleiter als auch mein Hauslehrer sind vollkommen davon überzeugt, daß ich hier hingehöre. Ich fange auch schon an, mich hier wohlzufühlen. Ihr hört in zwei Wochen wieder von mir. Telefon und E-Mail gehen hier nicht. Aber wenn ihr diese Eule zurückschickt, wird sie mich finden.

Alles liebe

Euer Sohn Julius

 

Julius zeigte der Eule einige Sekunden lang die magischen Fotos seiner Eltern, die sich aufgeregt miteinander unterhielten. Dann band er dem Tier den Brief an das rechte Bein, sagte ihm zweimal die Adresse vor und entließ es durch eines der glaslosen Fenster.

"Mal sehen, ob da was zurückkommt", sagte Julius Abschließend.

"Was meinst du, wo Eulen überall die finden, für die sie was befördern. Die Zaubereulen sind darauf trainiert, Zauberer und Hexen in allen Winkeln der Welt zu finden."

"Ja, Aber ein Flug nach London dauert lange. Vor sechs Tagen kommt da sowieso keine Antwort", erwiderte Julius skeptisch.

"Du wirst sehen. So, und was machen wir mit dem restlichen Tag?" Wollte sie wissen.

"Gucken, was wir morgen haben und hoffen, daß der morgige Tag nicht so aufregend wird", sagte Julius auf diese Frage.

Den Rest des Abends verbrachte Julius mit Kevin zusammen im Gemeinschaftsraum der Ravenclaws und unterhielt sich über die ganzen Fabelwesen, die er in Gilberts Monsterbuch gesehen hatte. Kevin ließ sich von Julius noch mal die Eigenschaften der Speerstecherbeeren erklären und erklärte dem Muggelgeborenen die Spielregeln von Quidditch. Hier erfuhr Julius auch, worüber sich die drei Hexen im Flugzeug nach Sydney unterhalten hatten, was sein Vater aufgeschnappt hatte. Gut, daß der nicht wußte, worum es ging. Julius freute sich schon darauf, ein richtiges Spiel zu sehen.

 

Die nächsten Tage verliefen etwas ruhiger. Julius schaffte es, in den verschiedenen Fächern nicht allzu heftig aufzufallen und kassierte einmal 10 Punkte für die exakte Bestimmung der Bahn des Jupitermondes Ganymed. Gloria und Kevin erwiesen sich als wahre Bücherwürmer. Sie lasen sich fast jeden Nachmittag durch einen winzigen Teil der Bibliothek und brachten Abends etwas Lektüre mit in den Gemeinschaftsraum. Julius legte sich dagegen immer nur auf Zaubertränke, Kräuterkunde und Zauberkunst fest, wobei er sich zum Erstaunen der Bibliothekarin einen Wälzer mit dem Titel: "Interaktionen der magischen Energie" von Clyde Partridge auslieh. Gloria, die ihn fragte, was er mit Stoff aus der sechsten Klasse wollte, erfuhr, daß er über sein Grundpotential und dessen Beherrschbarkeit doch mehr erfahren wolle, bevor er die Praxis erlernte.

Die neue Woche begann mit der ersten Stunde Zaubertränke beiProfessor Snape. Zusammen mit den Hufflepuffs trafen sie in einem der unterirdischen Kerker ein und bekamen das übliche Ritual, erst die Namensliste, dann die Beschreibung des Faches. Als Snape sagte, daß es bei seinem Unterricht keine Zauberstabhantiererei gebe, atmete Julius auf. Beim zusammenbrauen von Tränken konte ihm das magische Grundpotential nicht überschießen. So brauten sie die ersten Probetränke, wobei Snape sich nicht gerade darum bemühte, aufmunternde Worte zu finden. Die Hufflepuffs bedachte er mit künstlichen Mitleidsbekundungen, während er bei Gloria meinte, sie bliebe hinter den Anforderungen für Ravenclaws zurück, obwohl sie vollkommen nach Vorgabe arbeitete. Julius, der schon gehört hatte, daß Snape keine Muggel mochte, rechnete sich aus, daß der Lehrer ihn wohl häufig erniedrigen würde, wenn er sich dies gefallen ließ. Als Snape vor seinem Kessel stand und den köchelnden Trank begutachtete, dachte Julius schon, daß er gleich etwas hören würde, wie idiotisch er sich doch anstellte. Snape schien nicht zu wissen, was er sagen sollte. Dann meinte er:

"Wieviele Bücher über Zaubertränke mußten Sie lesen, um diesen einfachen Trank hinbekommen zu können, Andrews?"

"Nur das, was von Ihnen empfohlen wurde, Professor Snape", entgegnete Julius ruhig auf diese herablassende Frage.

"Aber lesen ist nicht gleich können", versuchte Snape, ihn noch aus der Reserve zu locken.

"Da haben Sie recht, Professor Snape", erwiderte Julius wieder ganz ruhig. Offenbar reichte das Snape, um zu erkennen, daß er den Muggel so nicht aus der Fassung bringen konnte. Snape konnte nicht wissen, daß Julius in seiner Grundschulzeit von vielen Lehrern drangsaliert worden war, die ihn immer wieder damit aufzuziehen versucht hatten, daß er wohl kein Direktorensohn sein konnte, wenn er sich so idiotisch verhielt. Insofern war Julius gewappnet.

Am ende der Zaubertrankstunde kam es fast zu einer Katastrophe, als die beiden Hollingsworth-Schwestern, die einen Tisch vor Julius und Gloria saßen, einen Zusatz zu hoch dosierten. Das Gebräu fing an, grünen Dampf zu entwickeln und bedrohlich zu blubbern. Julius versicherte sich, daß seine Mischung optimal nach Vorgabe angerührt war und trat schnell an den Tisch der beiden Mädchen heran, wobei er darauf achtete, daß Snape ihn nicht sah. Er flüsterte den beiden zu, schnell einen kurzen Halm Petersilie einzufüllen, was die Dampfentwicklung sofort beendete und den Trank zum erwarteten Ergebnis brachte. Dann schlüpfte er schnell hinter seinen Kessel zurück und stellte fest, daß seine Mischung nun blau wurde, obwohl sie durchsichtig bleiben sollte. Er überlegte schnell, was das sollte, denn er hatte genau abgewogen und gemischt, was im Buch verlangt wurde.

"... Lesen ist nicht können. ..." Hörte Julius Snapes herablassende Bemerkung in seinem Bewußtsein. Er dachte kurz nach, dann nahm er einen abgeschnittenen Zitronenfalterflügel und zerbröselte ihn über dem Kessel, danach rührte er kurz um, und die Flüssigkeit verfärbte sich wieder durchsichtig.

"Snape hat als du weggegangen warst einen Klumpen von irgendwas in deinen Kessel geworfen", zischte Gloria, die ihre Mixtur genau überwachte.

"Kakerlakenkot", vermutete Julius flüsternd. Gloria guckte erstaunt.

"Wie glauben Sie, Andrews, soll dieses Gebräu schmecken, was Sie da angerührt haben?" Kam Snapes verächtlich klingende Stimme von einem Tisch hinter Julius.

"Es kommt nur auf die Wirkung an, Professor Snape", erwiderte Julius ganz beherrscht.

"Dann werden Sie diese nachher an sich selbst ausprobieren", gab Snape zur Antwort. Julius überlegte kurz, was er dazu sagen sollte und meinte dann:

"Wie Sie wünschen, Professor Snape." Wenn Snape dachte, ihm Angst einjagen zu können, war er auf dem Holzweg. Zwar hatte er nur gesagt, daß der Trank ein harmloser Entspannungszauber sei, doch Julius wußte, daß dieser Trank eher ein Aufputschmittel darstellte. Seinetwegen. Wenn er die nächste Stunde Geschichte der Zauberei hätte, konnte er nicht wach genug sein.

Als die Stunde vorbei war, kam es zu dem Selbstversuch. Gloria sah Julius ängstlich an, doch der nickte nur zustimmend, als Snape ihm einen kleinen Schöpflöffel seines Gebräus hinhielt. Sich die Nase zuhaltend, schluckte er den Inhalt des Löffels in einem Zug hinunter und unterdrückte den Drang zum aufstoßen. Alle sahen ihn an. Snape mit lauerndem Blick, die anderen mit Angst oder Neugier in den Augen. Als zehn Sekunden vergangen waren, fühlte Julius die erwartete Wirkung. Ihm wurde so, als würde sein ganzer Körper mit Energie geflutet. Seine Sinne wurden schärfer, und in seinem Gehirn machten sich Entspannung und Gelassenheit breit.

"Ist zwar nicht der beste Jahrgang, Aber durchaus bekömmlich", meinte Julius, nachdem er die volle Wirkung des Gebräus verspürte. Snape sah ihn an, als habe er gerade eine Wette verloren und müßte sich überlegen, wie er sich um die Einlösung der Schulden drücken konnte. Dann fand er ein neues Objekt seiner Hinterhältigkeit. Er begutachtete den Trank der Hollingsworth-Schwestern und meinte laut, so daß es alle hören konnten:

"10 Punkte Abzug für jeden von ihnen beiden für Hufflepuff. Weil sie es zuließen, daß ihr Trank verpanscht wurde. Petersilie gehört nicht in diesen Trank. Also haben Sie vorhin irgendwas vermurkst."

Dann wandte er sich an Julius und sagte:

"Ich ziehe Ihnen heute nur einen Punkt ab. Aber beim nächstenmal werden es gleich fünfzig, wenn Sie sich als Problemlöser aufzuspielen fortsetzen, Andrews."

"Hilfsbereitschaft ist eine Hufflepuff-Eigenschaft", meinte Gloria, als sie aus dem Kerker kamen. "Snape hätte es wohl lieber gesehen, wenn den beiden ihre Kessel um die Ohren geflogen wären."

"Der grüne Dunst war giftig, Gloria. Wenn wir den alle eingeatmet hätten, wären wir alle von innen her ausgedörrt worden. Wenn Snape ein Selbstmörder ist, soll mir das gleich sein. Aber ich sehe nicht zu, wie jemand mich und den Rest der Klasse umbringt. Ich mache meine chemischen Versuche auch lieber alleine, für den Fall, daß ich was verbockt habe und ich statt einer harmlosen Flüssigkeit eine ätzende Säure kriege."

"Snape lebt in einer anderen Welt. Slytherin kann alles. Und wer versucht, das nachzumachen, erntet nur Hohn, Spott und Störungen von Snape. Du hast ihn mit deiner Gehorsamstour ganz schön aus dem Konzept gebracht. Er hätte dich lieber vor der Klasse unterdrückt", sagte Betty Hollingsworth, die sich bei Julius für seine Hilfe bedankte. Julius verstand nicht, wie sich jemand bedanken konnte, daß er für einen PunkteAbzug gesorgt hatte.

"Ihr habt 20 Punkte verloren", meinte der Sohn eines Chemikers.

"Na und. Besser ein paar Punkte, als gleich das Leben", erwiderte Jenna Hollingsworth. "Ich hätte nämlich eher Baumwanzensaft nachgefüllt, um die Überdosis Schneckenschleim auszugleichen."

"Oha! Dann hätten die Muggel auf ihren Satellitenbildern sehen können, wo Hogwarts stand. Das hätte nämlich einen heftigen Sprengzauber bewirkt und einen rotglühenden Krater hinterlassen", warf Julius ein und ärgerte sich, daß er so direkt reagiert hatte. Die beiden Mädchen aus Hufflepuff sahen ihn an, als habe er sie gerade schlimmer gedemütigt als Snape. Doch er entschuldigte sich und sagte:

"Das hätte Snape wohl nicht zugelassen. Oder glaubt ihr, er hätte es gewollt, daß seine Slytherins seiner Unfairness wegen draufgehen?"

"Nein, das nicht", grinste Jenna. Auch Betty konnte danach wieder lachen.

"Was sind Sattelnietenbilder", fragte Kevin Malone, der hinter den vieren herging. Gloria und Julius sahen sich an und mußten sich schwer zusammennehmen, um nicht loszulachen.

"Fotos, die von Maschinen gemacht werden, die wir Muggel mit großen Raketen in eine Umlaufbahn um die Erde geschossen haben", erklärte Julius und erntete einen tadelnden Blick von Gloria, den er mit einem ebenso vorwurfsvollen Blick erwiderte.

"Du bist kein Muggel", zischte sie ihn an.

"Solange ich nicht das Abschlußzeugnis in der Hand habe, wo drinsteht, daß ich ein ordentlicher Zauberer bin, gilt für mich, daß das Wissen aus der Muggelwelt immer noch gültig ist und ich nichts wegwerfe, was ich dort gelernt habe und noch lernen werde."

"Stolz der Minderheiten", grinste Kevin. Julius hatte dafür nur ein "Genau!" übrig.

Die erste Flugstunde war der letzte interessante Einstieg für Julius in sein neues Leben. Zusammen mit den Hufflepuffs ging es hinaus auf ein freies Feld vor dem Schloß wo so viele Besen gestapelt lagen, wie Schüler in der Klasse waren. Julius sah, wie Betty Hollingsworth sich einen Besen holte, dann ihre Schwester. Er erkannte, daß es Besen der Marke Wolkenreiter 6 waren, also die dritte Verbesserung nach Aurora Dawn's Einkaufsbesen. Julius fischte sich ebenfalls einen Flugbesen heraus und stellte sich neben die Hollingsworth-Schwestern. Gloria und Kevin griffen sich je einen Besen und gesellten sich zu ihren Klassenkameraden. Als Pina Watermelon ihren Besen geholt hatte, schaffte sie es noch, sich hinter Julius aufzustellen. Julius kam sich irgendwie beobachtet vor. Er hatte noch keinem in seinem Haus erzählt, daß er schon geflogen war. Er meinte, daß diese Information nicht gerade angebracht war. Womöglich wurde Aurora Dawn dann noch die Hölle heißgemacht, weil sie einem Muggelgeborenen vor seiner Einschulung Flugunterricht erteilt hatte.

"Hallo, miteinander!" Begrüßte Madame Hooch, die Fluglehrerin, die Klasse.

"Erst einmal müssen wir, was ihr wohl schon kennt, die Anwesenheitsliste durchgehen. - Andrews, Julius?"

"Bin da", sagte Julius laut. Dann ging die Verlesung der Anwesenheitsliste weiter, bis alle Namen verlesen waren. Danach erklärte Madame Hooch, daß fliegen eine der anspruchsvollsten Fortbewegungsarten sei, die Zauberer und Hexen praktizieren könnten. Es sei gefährlich, wenn man nicht die völlige Beherrschung über das eigene Gleichgewicht, den Besen und die schnelle Koordination von Bewegungen erringe. Daher sollten die Schulanfänger zunächst nur die einfachen Flugtechniken erlernen, um das Gefühl für ihre Fluggeräte zu bekommen. Anspruchsvollere Manöver kämen erst in den nächsten Stunden dran. Dann erklärte sie den Schülern, daß sie sich neben die Besen stellen und "Hoch!" befehlen sollten, um sie in die Aufstiegsposition zu bringen. Julius ließ sich einige Sekunden Zeit, bis so viele ihre Besen aufgerichtet hatten, daß er nicht auffiel. Er sagte leise: "Besen hoch!" und hielt den Stiel so, daß er sich nur noch aufzuschwingen brauchte. Dabei hatte er die Hände erst einmal anders aufliegen, als Aurora es ihm gezeigt hatte. Deshalb korrigierte ihn Madame Hooch und wies ihn an, wie er seinen Besen am besten zu halten hatte. Als sie alle Schüler überprüft hatte, schwang sie sich auf ihren Besen. Das war das Zeichen für alle, sich ebenfalls aufzuschwingen. Julius saß mühelos auf, während die beiden Hollingsworth-Schwestern sich beim Aufsteigen verhedderten. Auf ein Signal von Madame Hooch hin stießen sie sich sanft ab und zogen ihre Besen in einen leichten Steigungswinkel.

Julius fühlte sich wieder erhaben. Fliegen war das gewesen, was ihn davon überzeugt hatte, zu den Zauberern zu gehören. Vor allem dann, wenn er sich vor Augen hielt, wie sein Vater versucht hatte, Auroras Himmelsstürmer 8 zu fliegen und dabei voll auf die Nase gefallen war.

Es ging einige Meter nach oben, bis zu den Baumwipfeln. Dann kommandierte Madame Hooch einfache Flugrichtungsänderungen, ließ sich selbst zurückfallen, um die Übungen zu beaufsichtigen. Sie gab Anweisungen, wie sie die Flughöhe und -geschwindigkeit ändern konnten und prüfte die Haltung der Flugschüler. Die Hollingsworth-Schwestern schienen sich schon häufiger auf Flugbesen ausgetobt zu haben, denn sie spielten miteinander Fangen, allerdings nicht zu auffällig. Irgendwie juckte es Julius in den Gliedern, seinen Besen mal so richtig auszutesten, ihn an die Grenzen zu führen, wo er ihn noch gerade soeben unter Kontrolle halten konnte. Doch er wollte nicht zu früh auffallen. So flog er erst einige ruhige Manöver, wie die anderen auch. Erst als Kevin Malone anfing, kuriose Bahnen zu fliegen und dabei immer wieder an ihm vorbeikam, fragte er sich, ob er wirklich nach Lehrplan weitermachen sollte. Als der rotblonde Junge wieder an ihm vorbeiflog, fragte er ihn:

"Ist dir langweilig, Kevin?"

"Ein bißchen. Mann, ich würde gerne mal so richtig ausgreifen."

"Dann mach doch", erwiderte Julius herausfordernd.

"Neh, nachher fällst du noch gedemütigt vom Besen, meinte Kevin. "Ich will dich ja nicht entmutigen."

"Großzügig", grinste Julius. Unvermittelt tauchten die beiden Hollingsworths neben Julius auf. Betty fragte:

"Zuviel Energie, was, Kevin?"

"Aber hallo!" Entgegnete Kevin und zog seinen Besen etwas höher.

"Lust auf ein Jagdspiel?" Wollte Jenna wissen. Kevin sagte zu und wartete, bis Madame Hooch den langsamer fliegenden Mitschülern entgegenflog. Gloria Porter hatte sich zurückfallen lassen, weil sie sehen wollte, wie Fredo Gillers versuchte, einen Slalom zwischen den Bäumen zu fliegen. Madame Hooch war davon wohl nicht so begeistert und pfiff immer wieder auf einer Trillerpfeife. Doch Gillers ließ sich nicht beirren. Offenbar hatte er sich oder andern etwas zu beweisen.

"O.K., wir spielen Hufflepuff gegen Ravenclaw", schlug Kevin vor. Betty wandte sich Julius zu:

"Ich glaube nicht, daß du da mitmachen kannst. Kevin hat in der Grundschulmannschaft als Sucher gespielt, und wir haben von unserer Mutter diverse Flugmanöver gelernt. Das könnte schwierig werden."

"Ich werde schon rechtzeitig aussteigen, wenn es zu gefährlich wird."

Jenna flog voran, Betty spielte Blocker. Kevin und Julius sahen sich kurz an, dann stürmte Kevin auf Betty los, um sie aus der Bahn zu werfen, während Julius seinen Besen senkrecht nach oben riß und sich mit hohem Tempo in die Luft schwang, über die Flughöhe der drei anderen hinweg, um dann mit voller wucht den Besen in die Waagerechte zu drücken, um ihn mit einer schnellen Bewegung der Arme und beine anzutreiben. Der Wolkenreiter 6 preschte voran und überflog Kevin, der gerade versuchte, sich um Betty herumzuschwingen, was diese damit beantwortete, daß sie sich querstellte. Julius zielte mit der Stielspitze auf Jenna, die schon mehrere Meter Vorsprung hatte. Doch Julius holte sie ein, bevor sie bemerkte, daß sie einen der beiden im Nacken hatte. Julius wollte gerade an sie heran und sie kurz mit der Hand berühren, um sie Abzuklatschen, als er ein Schwirren hinter sich hörte und gerade noch in eine steile aufwärtskurve ziehen konnte, bevor Betty ihn zu fassen kriegen konnte. Der Jäger war zum Gejagten geworden. Julius Andrews warf sich flach auf seinen Besen und trieb ihn noch schneller an. Er sah, wie Betty ihre linke Hand vom Stiel löste, um ihn zu berühren und wartete darauf, das sie die Hand auf ihn niedersinken lassen würde. Als sie sich zu ihm hinüberwarf, drückte er seinen Besen in einen sehr steilen Neigungswinkel und ging in den Sturzflug über. Doch er blieb nur zwei Sekunden so. Dann warf er sich um die Längsachse des Besens, so daß er mit dem Rücken zum Boden wies. Dann warf er sein Fluggerät mit einer heftigen Arm- und Beinbewegung wieder in die Waagerechte, dann in die Senkrechte. Sein Manöver gelang. Betty war nun vor ihm. Sie schien nicht so schnell reagieren zu können und schaffte es nicht mehr, sich aus dem Weg zu bringen. Als Jenna hinter Julius auftauchte, klatschte seine Hand bereits auf Bettys Schulter. Dann konnte er gerade noch eine Vierteldrehung machen, um Jennas Zugriff zu entkommen. Wieder ließ er den Besen wie eine Rakete nach oben schießen, indem er sich nach hinten fallen ließ. Der Wolkenreiter 6 reagierte fast ohne Verzögerung und stieg senkrecht nach oben, Jenna in einer wilden Spirale unter sich folgend. Als Julius sich umsah, schoß gerade Kevin von unten nach oben, passierte Jenna, wobei er sie mit einer Hand kurz berührte und schloß dann zu Julius auf.

"Sieg!" Rief er, als er Julius eingeholt hatte, der seinen Besen in die normale Fluglage zurückdrückte.

"Das ist ja der helle Wahnsinn, Julius. Ich dachte, deine Eltern sind Muggel."

"Jawohl. Ich weiß auch nicht, warum das so gut klappte."

Ein schriller Pfiff rief sie zurück. Madame Hooch hatte bemerkt das vier Schüler die Gruppe hinter sich gelassen hatten. Wie der geölte Blitz kam sie auf ihrem Besen herangeprescht wie eine Furie. Julius und die drei anderen drehten auf dem Punkt genau um und eilten ihr entgegen. Sie sah nicht so aus, als würde sie sie gleich anbrüllen wollen, Aber zufrieden sah sie auch nicht aus, fand Julius. Sie lotste die vier Ausreißer zum Sportfeld zurück, wo die anderen gerade gelandet waren. Dann dirigierte sie Betty, Jenna, Julius und Kevin zu einem Landeplatz und ließ sie von den Besen Absteigen.

"Julius Andrews, wie kommt es, daß du gelandet bist, ohne daß ich dir das erklärt hätte?" Wandte sie sich an den Sohn eines Forschungsdirektors.

"Weil mir die drei andren gezeigt haben, wie es geht, Madame", erwiderte Julius kühl.

"Das glaube ich nicht. Zu sehen, wie jemand landet ist was völlig anderes, als es gezeigt zu bekommen." Julius war ihr in die Falle gegangen. Sie wußte nun, daß er schon mal geflogen sein mußte und genug Zeit für die Landeübungen gehabt hatte. Außerdem mußte sie den Anderen ja die Landetechnik noch gezeigt haben, bevor sie ihm und den anderen dreien nachgejagt war, was bedeutete, daß sie gesehen hatte, daß er sich sicher auf dem Besen bewegen konnte.

"Ich fürchte, meine Unterlagen sind verbesserungsbedürftig", sagte Madame Hooch. "In deinen Unterlagen steht, daß deine Eltern Muggel sind und bis 250 Jahre zurück keine Hexe oder ein Zauberer in deiner Ahnenreihe auftauchte. Das heißt wiederum, daß du nie vorher auf einem Besen gesessen haben kannst. Ist das richtig?"

"Ja, diese Schlußfolgerung ist logisch", erwiderte Julius.

"Aha, ein Logiker. Dann erkläre mir bitte, wie es logisch sein kann, daß jemand, der noch nie auf einem Besen gesessen hat, derartig gewagte Manöver fliegt, ohne auch nur einen Fehler bei der Umsetzung zu begehen und dann noch eine sanfte Landung hinlegt, wie ein geübter Flieger!"

"Ich machte viel Sport für Schnelligkeit und Reaktion. Ich denke, daß ich eben schnell genug reagieren konnte", erwiderte Julius.

"In der Welt deiner Eltern gibt es Geräte, die viel Gleichgewichtssinn und Koordination verlangen. Ihr nennt sie Fahrräder, Schlittschuhe und Rollschuhe. Würde ich mich auf ein solches Gerät begeben, würde mir meine Flugbefähigung nur soweit helfen, daß ich nicht sofort umfiele. Das gleiche gilt für Besen. Der Rosselini-Raketen-Aufstieg, den du und Kevin gezeigt haben ist nicht nur gefährlich, sondern sehr schwierig umzusetzen. Die logische Erklärung, daß ein Muggelgeborener, der nie einen Besen hätte fliegen können, es dennoch tut und heil wieder landen kann, ohne dafür die nötigen Anweisungen bekommen zu haben lautet: Jemand aus der Zaubererwelt hat es dir gezeigt. Hat es dir jemand vor deiner Einschulung gezeigt?"

Julius zögerte. Dann hörte er Kevin sagen:

"Ich habe ihm die Grundregeln von Quidditch erklärt und .."

"Davon lernt man das nicht, Kevin", schnitt ihm Madame Hooch das Wort Ab und warf ihm einen warnenden Blick zu. Sie wandte sich noch mal an Julius und sagte:

"Ich werde dir keine Strafe erteilen, wenn du tatsächlich schon vorher geflogen bist, ohne es mir zu sagen. Aber für eine Lüge werde ich dir und deinem Haus 150 Punkte Abziehen."

"Sie haben recht, ich bin schon einmal für mehrere Stunden geflogen, bevor ich hierher kam", antwortete Julius ohne Zögern. Er fühlte sich immer noch Aurora Dawn verpflichtet. Sie hatte ihm zwar nicht gesagt, ihre Flugstunden in Hogwarts zu verschweigen, doch glaubte er, daß es nicht im Sinne der Zauberergesetze war, einem Muggelgeborenen vor seiner Einschulung in einer Zaubereischule Flugstunden zu erteilen. Aber die Anderen hatten es nicht verdient, daß er Ravenclaw einen derartig hohen Punktabzug einbrachte. Er war zwar kein Musterschüler, Aber Kameradschaft galt für ihn schon immer was. Das hatte ja auch dieser alte Hut erkannt.

"In Ordnung", sagte Madame Hooch nur. "Details klären wir unter vier Augen. Bleibt nur noch zu klären, wer von euch die Idee hatte, sich auf ein Jagdspiel einzulassen. Ich gehe davon aus, daß Julius Andrews nicht auf den Gedanken kam, die anderen zu überreden. Also, wer von euch beiden und dir, Kevin Malone, kam auf diesen Leichtsinn?"

"Wir verweigern die Antwort", sagten die Hollingsworth-Schwestern und Kevin fast gleichzeitig. Julius schwieg. Er war ja noch nicht gefragt worden.

"Hmm, Räuberehre. Keiner will den anderen ans Messer liefern. Oder möchtest du mir etwa sagen, wer auf die Idee kam, dich zum Jagdspiel zu überreden, Julius?"

"Nein, das möchte ich nicht, Madame Hooch", erwiderte Julius unverzüglich. Gloria sah ihn mit großen Augen an, offenbar erwartete sie, daß dafür ein Punktabzug fällig würde.

"Kameradschaft zwischen zwei Häusern? Selten Aber gerne gesehen. Also gut. Ich gebe jedem von euch 10 Punkte für das eigene Haus für hervorragende Flugleistungen, ziehe jedem von euch 5 Punkte ab, wegen unnötigen Leichtsinns und gebe jedem von euch noch mal 10 Punkte für erwiesene Kameradschaft. Und du, Julius Andrews, erhältst einen Punkt Abzug wegen Tiefstapelei und einen Punkt Zugewinn wegen Ehrlichkeit auf Anfrage. Fredo Gillers erhält 20 Punkte Abzug wegen übertriebener Flugmanöver. Damit bekommt Ravenclaw 10 und Hufflepuff 30 Punkte gutgeschrieben. Ich werde anregen, daß sie vier für den Nachwuchs im Quidditch ins Gespräch gebracht werden. Die derzeitigen Mannschaften sind zwar die besten, die jedes Haus aufbieten kann, Aber Nachwuchs ist immer willkommen. Und das war's dann für heute. Das nächstemal üben wir Figurenfliegen. Das wird die vier Abenteurer von heute nicht so langweilen und denen, die sich heute gut eingeflogen haben, die Möglichkeit geben, sich zu steigern."

Betty und Jenna, sowie Kevin hatten gestrahlt, als Madame Hooch erwähnt hatte, sie könnten demnächst am Nachwuchstraining der Hausmannschaften teilnehmen. Sicher, am richtigen Training würden sie noch nicht teilnehmen können, doch der Anfang war vielversprechend. Julius hatte nichts gesagt. Ihm gefiel es nicht, sofort so gewürdigt zu werden. Immerhin hing von den Quidditchmannschaften die Mögliche Hausmeisterschaft ab. Außerdem, wie sollte er seinem Vater erklären, daß er Mitglied einer Sportmannschaft werden konnte, deren Sport nach rein physikalischen Gesichtspunkten nicht existieren durfte?

Als die Klasse die Besen zurückgelegt hatte, zerstreute sich die Gruppe. Die Hufflepuffs kehrten in ihr Haus zurück, während die Ravenclaws sich noch einmal zerstreuten. Einige wollten in die Bibliothek, wie Gloria und Fredo, andere kehrten in ihr Haus zurück. Als Julius sah, wie alle fort waren, wartete er darauf, daß Madame Hooch ihn irgendwo hinführen wollte. Sie ging ins Schloß, Julius gehorsam hinter ihr her. In ihrem Büro, das mit lebenden Bildern von Hexen und Zauberern auf fliegenden Besen verziert wurde, ließ sie Julius auf einem Stuhl platznehmen und beschwor mit ihrem Zauberstab ein kleines Feuer in den Kamin hinein. Dann setzte sie sich und sah den Muggelgeborenen so an, als erwarte sie von ihm den ersten Zug. Er sagte jedoch nichts. Also fragte sie:

"Wann hast du deinen ersten Flugunterricht gehabt?"

"Am 25. Juli 1993", kam Julius' sachliche Antwort. Dann wartete er auf die nächste Frage, die wohl wer oder wo lauten würde.

"Wo war das?"

"In Australien. Meine Eltern hatten mich dorthin mitgenommen, um noch einen Kurzurlaub zu machen. Dort traf ich auf jemanden, der von meiner Zauberernatur erfahren hat und mir sozusagen Vorabflugstunden anbot", gab Julius zurück.

"Australien ist groß. Aber ich kann mir schon denken, wer es war. Diese Hexe war und ist immer schon enthusiastische Fliegerin gewesen, obwohl sie an und für sich ein Pflanzenkind ist. War es die da?" Wollte Madame Hooch wissen und deutete auf das Poster einer Quidditchmannschaft, wie es ihm Kevin gezeigt hatte. Darauf flogen vier Zauberer und drei Hexen in blauen Umhängen herum, von denen eine Hexe gerade einen großen roten Ball vor sich hertrieb. Julius erkannte sie sofort, und sie schien ihn zu erkennen. Denn sie winkte ihm zu und verlor dabei den Ball.

"Das ist die Ravenclaw-Hausmannschaft von 1982. Die Jägerin dort ist Aurora Dawn. Da ich alle Mannschaftsmitglieder seit Beginn meiner Lehrzeit registriert habe, kenne ich sie natürlich sehr ggut. Ihre Eltern haben ihr früh das fliegen beigebracht. Sie wurde im zweiten Jahr ihrer Zeit hier zur Jägerin in der Ravenclaw-Hausmannschaft und holte mit ihrem Team dreimal den Quidditch-Pokal. Eine bessere Lehrerin für den Einstieg hättest du in Australien nicht finden können. Hat außer dir und deinen unmittelbaren Verwandten jemand von deinem Flugunterricht etwas mitbekommen?"

"Nein, Madame. Sie hat sichergestellt, daß wir zunächst ungestört und unbeobachtet fliegen konnten. Ich durfte ihren Himmelsstürmer 8 benutzen. Das ist doch kein Rennbesen."

"In der Muggelwelt haben sie Fahrzeuge, die Autos heißen. Ich habe solch ein Ding schon einmal gesehen. Es kann langsam fahren oder sehr schnell. Sicher hängt es von der Auslegung ab, ob ein Besen ein Langstreckenbesen oder Rennbesen ist. Aber schnell fliegen kann man auch mit einem Himmelsstürmer 8. Aber es spricht für dich, daß sie dir einen ihrer Besen zur Verfügung gestellt hat. Wie kam sie darauf, dir Flugstunden zu geben?"

"Weil sie es interessant fand, zu sehen, ob ich auf einem Besen fliegen konnte", erwiderte Julius, wobei er verschwieg, daß er in Auroras Geräteschuppen eingebrochen war, nur um zu sehen, ob er es konnte.

"Und deine Eltern? Wie haben sie es aufgenommen, daß du doch zaubern kannst? Nichts für ungut. Aber im Kollegium war deine Einschulungsvorbereitung ein interessantes Gesprächsthema, da deine Eltern sich wohl nicht gerade kooperativ gezeigt haben sollen."

"Das lasse ich mal dahinstehen", erwiderte Julius. Er hatte keine Lust, sich für seine Eltern zu schämen oder sie zu rechtfertigen. Er sagte dann noch:

"Sie mußten einsehen, daß ich wohl besser hierher kommen sollte, als im Nobelinternat Eton vor den Prinzen der königlichen Familie unerwartete Dinge zu tun."

Madame Hooch lachte. Dann wollte sie noch etwas wissen.

"Die anderen drei eurer Abenteurerbande haben gestrahlt, als ich sie für den Nachwuchs ins Gespräch bringen wollte. Du scheinst nicht viel von Quidditch zu halten. Kennst du das Spiel überhaupt?"

"Es ist mir von Kevin Malone erklärt worden. Scheint Aber irgendwie langweilig zu sein, im Vergleich zu Fußball, Karate oder Eishockey."

Die fliegenden Hexen und Zauberer auf den verschiedenen Bildern verhielten bei ihrem ewigen Spiel und wandten sich Julius zu. Ein Zauberer, bullig und hochgewachsen, der einen grünen Umhang trug, sagte laut:

"So kann doch nur ein Schlammblut reden. Ignorant, Muggelbrut!"

"Ist ja lustig. Da spielen wir jedesmal um Kopf und Kragen, und der Junge sagt, das sei langweilig", tönte eine Hexe in einem roten Umhang von einem anderen Poster und zeigte einen kleinen goldenen Ball in ihrer rechten Hand.

"Was will der? Ich hör wohl nicht richtig!" Rief ein Zauberer in gelber Tracht, der gerade einen schwarzen Ball mit einem Schläger fortschlug, so daß der Ball aus dem Bild hinausflog, verschwand, und mit einem lauten Knall einen Spieler im Bild rechts daneben vom Besen haute.

"Ich glaube, du darfst hier nicht mehr hinein. Meine Stars werden sonst unaufmerksam und beleidigend. Das erste Spiel findet im November statt. Für alle potentiellen Nachwuchsspieler besteht Anwesenheitspflicht."

"Schlammblut", tönten alle in grün spielenden Quidditchspieler von allen Bildern gleichzeitig.

"Jetzt ist Ruhe hier!" Bellte Madame Hooch überlaut. Die in Grün spielenden stürzten fast mit ihren Besen ab und fielen halb aus dem Bild. Julius lachte.

"Ich muß mich für diese Unverschämtheit entschuldigen. Die Slytherin-Spieler fühlen sich gleich immer beleidigt, wenn ein Muggelgeborener ihre Spielbereitschaft anzweifelt. Aber ich wollte nur wissen, wo du das Fliegen gelernt hast. Jetzt weiß ich es."

Mit diesen Worten entließ Madame Hooch den Jungen aus ihrem Büro. Die Aurora Dawn auf dem Ravenclaw-Bild von 1982 winkte Julius noch einmal zu und flog aus dem Bild, hinüber in eines, wo eine Mannschaft in roten Umhängen gerade zwei schwarze Bälle aus ihrer Nähe vertreiben mußte.

Julius grinste über das erlebte. Das war besser als Fernsehen. Er hätte ja fast gerufen:

"Wer Streit sucht, kann ja gerne rauskommen." Doch er hatte es sich verkniffen, weil er nicht wußte, ob die Bildergestalten nicht doch ihre gemalte Welt verlassen konnten.

Auf dem Weg durch das Schloß begegnete er wieder Peeves, dem Unruhegeist. Julius zog seinen Zauberstab und dachte daran, Peeves in einen Hampelmann zu verwandeln. Doch der Poltergeist blieb nicht stehen, sondern wollte Julius den Stab wegnehmen. Der Junge schaffte es noch, einen Funkenregen über Peeves zu versprühen, so daß der Poltergeist jaulend davonstürmte. Vom Geheul aufmerksam gemacht öffnete jemand eine Tür. Julius erschrak und hätte fast den Zauberstab aus der hand fallen lassen. Er sah auf den Mann im zerschlissenen Umhang mit den braunen Haaren.

"Was war denn hier los?" Wollte der Lehrer wissen.

"Nichts, Professor Lupin. Der Poltergeist wollte mir nur meinen Zauberstab wegnehmen. Da habe ich ihm einen Regen aus grünen und roten Funken übergebraten. Hat funktioniert", antwortete Julius, bei den letzten Worten hämisch grinsend.

"Hmm, funktioniert tatsächlich. Allerdings solltest du dies nicht tun, wenn du in einem Raum mit brennbaren Wandbehängen oder Teppichen bist", antwortete Lupin.

"Wissen Sie ein besseres Mittel gegen Poltergeister?"

"Das kommt auf die Situation an. Normalerweise reicht es schon aus, sie auf ihre eigenen Streiche hereinfallen zu lassen. Ansonsten hilft nur ein großer Exorzismus. Und der geht in Hogwarts nicht, weil dann alle magischen Schutzmaßnahmen gegen Flüche von außen und Entdeckung durch Muggelaugen beschädigt werden könnten. Außerdem würde das sämtliche Geister mit vertreiben. Und diese haben schon stark genug unter Peeves zu leiden."

"Das sehe ich ein. Ich habe den dicken Mönch vor einem Tag gesehen. Er ist wohl sehr lustig. Das sagen auch die Hufflepuffs. Dort soll er ja spuken."

"Hmm, genau. Leider kann ich mich nicht länger mit dir unterhalten. Ich muß noch die nächsten Unterrichtsstunden vorbereiten."

"Alles klar", sagte Julius und verabschiedete sich von Lupin. Irgendwie fand Julius diesen Professor sehr cool. Er war nicht so übermäßig erhaben, wie die anderen Professoren.

Als Julius vor der gemalten Wiese stand, sah er, wie der Kuhhirte gerade dabei war, Maggy zu melken. Julius sagte nur:

"Mare Tranquillitatis"

"Moment, das geht jetzt nicht, Mann!" Antwortete der Landbursche.

"Mit welchem Öl bist du eigentlich gemalt worden. Soll ich mal prüfen, ob du brennst?"

"Keine Drohungen, bitte. Okay!" Gab der Bauernbursche genervt zurück, ließ von Maggy ab und schwang mit dem Bild zur Seite.

"Sag den Anderen, daß sie vor der nächsten Stunde nicht mehr rauskommen sollen, ja?"

"Du mich auch", dachte Julius. Wo kam er denn dahin. Er war doch kein Vertrauensschüler.

Im Gemeinschaftsraum wurde er schon mit Jubelgeschrei begrüßt. Die Erst- und Zweitklässler stürmten auf ihn los und begruben ihn fast unter sich. Die höheren Klassen klatschten Beifall.

"Ist was besonderes vorgefallen?" Fragte Julius. Marilyn Chambers, eine Drittklässlerin der Ravenclaws, bahnte sich ihren Weg durch die Jubelnden und drückte Julius einen bläulichen Umschlag in die Hand. Der Junge nahm ihn, öffnete ihn und förderte zwei Dinge daraus: Eine Pergamentrolle und ein kleines Portraitgemälde einer Hexe in blauer Festrobe, die einen würdevollen Eindruck machte.

"Du hast ja die Gründerin von Ravenclaw noch gar nicht gesehen. Sie hängt als großes Wandgemälde im Hauszimmer von Professor Flitwick.

"Rowena Ravenclaw", las Julius den Namen der Hexe unter dem kleinen Gemälde. Dann entrollte er die Pergamentrolle. Beinahe hätte er sie wieder fallen lassen, als eine kräftige Fanfare ertönte und die Buchstaben auf dem Pergament golden aufstrahlten:

 

 

Herzlichen Glückwunsch, Julius Andrews.

Nach eingehender Beratung aller Ravenclaws wurden Sie als der Erstklässler seit 5 Jahren identifiziert, der in der ersten Woche mit 54 die meisten Punkte für unser Haus erringen konnte. Wir wissen zwar alle um ihre Bescheidenheit und Schüchternheit, erkennen doch gerade wegen dieser Eigenschaften an, daß Sie es verdient haben, diese Ehrenurkunde zu erhalten, der ein Kleinportrait unserer Hausgründerin beigefügt ist. Ihnen steht es frei, diese Urkunde über Ihrem Bett anzubringen oder sonst wie zu ehren. Seien Sie sich unseres Glückwunsches immer bewußt und halten Sie unser Haus auch weiter in Ehren!

Penelope Clearwater, Vertrauensschülerin Terrence Crossley, Vertrauensschüler Unterschriften aller Ravenclaws

 

"Vielen Dank!" Sagte Julius. Es wirkte wie eine Zauberformel. Denn alle standen aufmerksam da und lauschten, inklusive der höheren Klassen.

"Wenn ich bedenke, daß ich vor zwei Monaten noch glaubte, ein ganz gewöhnlicher Nichtmagier in einer völlig durchdachten und berechenbaren welt zu sein, so weiß ich doch jetzt, wo ich hingehöre. Ich hoffe, euch alle nicht doch noch zu enttäuschen und bedanke mich noch mal für diese Anerkennung, wenngleich ich Angst habe, mit der schweren Last, die ihr mir auf die Schultern gelegt habt, irgendwann zusammenzubrechen. Aber bis das passiert, werde ich sie tragen, das sei euch allen versprochen."

Als ihn alle beglückwünscht hatten, wandte er sich an Terrence Crossley und Dustin McMillan, die zusammenstanden.

"Sagt mal, war das nicht ein wenig zuviel der Ehre? Ich bin doch wohl nicht der erste Ravenclaw, der in einer Woche 54 Punkte eingesackt hat, oder?"

"Doch. Seit fünf Jahren liegen die durchschnittlichen Punktegewinne pro Schüler bei 30 in der ersten Woche", wußte Terrence zu berichten. Mehr als 54 Punkte hat vor fünf Jahren nur einer kassiert, und das ist der Herr hier neben mir", offenbarte Terrence und deutete auf Dustin McMillan. Der große Ravenclaw-Schüler nickte bestätigend.

"Damals waren es 67 Punkte. Wenn ich bedenke, daß ich 70 Punkte gewonnen und 3 verloren habe, ist das heftig."

"Du hast die drei doch nicht etwa in Snapes Kerker gelassen?" Fragte Julius direkt heraus.

"Genau da. Der Meister der Zaubertränke sah meinen Einstiegstrank als farblich nicht ordentlich nach dem Buch angesetzt, obwohl er gewirkt hat. Es war ein Belustigungstrank. Ich mußte eine Viertelstunde lachen, ohne einen Grund. Snape gab mir dann erst das Gegenmittel und zog mir drei Punkte ab. Da verging mir das Lachen", grinste Dustin. Dann fiel ihm noch ein:

"Du hast bei Snape nur einen Punkt gelassen? Guter Junge."

"Er hat sich wohl doch gefreut, daß ich zwei Hufflepuffs noch rechtzeitig beim Korrigieren eines Zaubertranks geholfen habe. Aber lassen wir das!" Gab Julius zurück.

Gloria Porter, die in der ersten Schulwoche 32 Punkte für Ravenclaw errungen hatte, beglückwünschte Julius und nahm ihn kurz in die Arme. Dann sagte sie:

"Das hättest du in diesem Muggelinternat nicht gehabt, nicht wahr?"

"Das wahrscheinlich nicht", schmunzelte Julius.

DIE NÄCHSTEN WOCHEN by Thorsten Oberbossel

In der zweiten Woche in Hogwarts schaffte es Julius Andrews, seine überschüssigen Zauberkräfte zu bändigen und nur die Resultate zu erzielen, die verlangt wurden. Professor McGonagall gab ihm einmal 5 Punkte, weil er eine Frage zu Größenveränderungen aus dem Lehrbuch auswendig zitierte und auf Anfrage eine kurze Demonstration geben konnte. In Kräuterkunde heimste er 20 Punkte für Ravenclaw ein, wobei das Slytherin-Mädchen, welches ihm die Speerstecherbeere vor die Füße geworfen hatte, einmal protestierte, wofür es zwei Punkte abgezogen bekam. Gloria holte in diesem Fach 10 Punkte, weil sie die Jahreszeiten für die ertragreichsten Ernten von Nebelpilzen angeben konnte. In Astronomie genierte sich Julius nicht mehr, sein Wissen preiszugeben, solange es auf reine Teleskopbeobachtungen gestützt werden konnte. Für eine Aufzählung der größten Mondkrater erhielt er 10 Punkte, für die Berechnung der Sonnenaufgangszeiten anhand der nördlichen Sternenkarte gab es sogar 20. In Zaubertränke kam er ohne Punktgewinn oder -verlust hin. Auch die Hollingsworth-Schwestern bekamen diesmal keinen Ärger, was wohl daran lag, daß Julius und Gloria in der Bibliothek alte Prüfungsaufgaben einsehen konnten, in denen Snapes heftigste Erstklässlertränke erwähnt wurden. Ausgehend von der Hinterhältigkeit des Lehrers mit der Hakennase, nahmen Gloria und Julius an, daß einer der Tränke schon in den nächsten Stunden auf sie zukommen konnte. Damit lagen sie richtig. Der Flugunterricht war interessanter, weil Figuren in allen drei Dimensionen geflogen wurden. Verteidigung gegen die dunklen Künste war bei allen beliebt, da sie bei Professor Lupin interessante Geschichten über Zombies, Guhle und Wichtel hörten und sogar einen Irrwicht erleben durften, den sie mit einem Riddiculus-Zauber zwingen konnten, die lächerlichsten Verwandlungen zu vollziehen, nachdem sie erst versuchten, jeden, der es mit ihnen aufnahm zu ängstigen. Julius schaffte es, die Erscheinung einer monsterhaften Wespe im ersten Ansatz in ein Knäuel aus Klebeband einzuwickeln, was dem menschengroßen Ungeheuer eine höchst lächerliche Bewegungsweise aufzwang, bevor jemand anderer sich dem Irrwicht stellte. Lupin vergab dafür jedoch keine Punkte, da ihm bekannt gemacht worden war, daß er bereits eine Konfrontation mit einem solchen Wesen gemeistert hatte. In Geschichte der Zauberei kassierte er einen 5-Punkte-Abzug, weil er behauptet hatte, daß ein Koboldaufstand, der 400 Jahre her sei, wohl kaum für die heutige Zaubererwelt interessant sei, da sich keine Gesetzesänderungen oder sozialen Auswirkungen daraus ergeben hätten. Gloria hielt es für ihre Aufgabe, ihm nach der Stunde das Gegenteil zu verdeutlichen.

"Du kannst doch nicht behaupten, daß ein Koboldaufstand nicht wichtig genug für die heutige Zaubererwelt sei. Immerhin wurden die Geschäftsbedingungen für Gringotts und der Status der Kobolde in der Zaubererwelt auf Grund dieses Aufstandes mit einem größeren bürokratischen Sicherheitsaufwand bedacht."

"Gloria, es interessiert mich nicht, was vor hunderten von Jahren welche Fabelwesen angestellt haben. Damit kann ich in der Welt meiner Eltern bei Verwandtenbesuchen und Freizeitdiskussionen keinen Blumentopf gewinnen. Fehlt noch, daß Binns uns erzählt, daß die sogenannten Hexen, die im Mittelalter verbrannt wurden, von echten Zauberern verraten wurden", gab Julius empört zurück.

"Hast du soviele Verwandte, die sich für Mugggelpolitik interessieren?"

"Politik und Geschichte zählt bei uns, ähm, bei den Muggeln zur Allgemeinbildung, da wir durch Fernsehen und Zeitungen ständig neue Sachen erfahren."

"Höre ich da heraus, daß du dich hier hinterm Mond zu sein glaubst?" Forschte Gloria nach.

"Kuck mal, Gloria! Es könnte in der Zeit, die ich schon hier bin, ein ganz anderer Premierminister die Regierung übernommen haben. Was die aktuelle Raumfahrt angeht, sehe ich es kommen, daß ich mich vor meinen besten Freunden blamiere, wenn die mir was erzählen können, ohne daß ich erkenne, was wahr ist oder erfunden. Überhaupt werde ich technisch völlig hinterherhinken."

"Glaubst du, daß es in der Zaubererwelt Computer gibt oder die Notwendigkeit besteht, Raketen in den Weltraum zu schießen?"

"Nein, Gloria, du erkennst das irgendwie nicht. Es geht mir nicht darum, ob ich das Wissen brauche, weil ich damit arbeiten muß, sondern weil ich mitreden können muß. Das geht doch schon mit Fußball los. Ich habe überhaupt keine Ergebnisse der ersten Liga mitbekommen. Wenn ich in die Ferien fahre, stehe ich völlig belämmert da."

"Aha, du willst nicht auffallen. Das ist es wieder. Hier willst du nicht übertrieben gut aussehen, und für deine Muggelfreunde möchtest du nicht der letzte Idiot sein. Ist dir das mit diesem langweiligen Bodensport, wo nur ein Ball benutzt wird, so wichtig?"

"Wenn ich weiterhin mit meinen Freunden reden will, ohne etwas sagen zu können, schon", meinte Julius. "Wärest du ein Muggel, kämst du ziemlich in die Bredullie, wenn du eine Woche lang nicht mitkriegtest, welche Band gerade angesagt ist oder welcher Modetrend."

"Ich bin nicht in der Bredullie. Hecate Leviata hat in der letzten Woche den ersten Platz im allwöchentlichen Hexengesangswettbewerb gewonnen. Und als neuer Zauberschmuck sind Stimmungsringe mit Farbwechselwirkung gerade schwer angesagt. Guck mal, hier habe ich so einen", erwiderte Gloria und präsentierte einen schmalen Ring, der so aussah, als bestehe er aus einem durchsichtigen Kunststoff, in dem eine art Leuchtgas eingeschlossen war. Julius nahm den Ring kurz und steckte ihn sich auf den kleinen Finger. Sofort flimmerte der Ring dunkelviolett.

"Siehst du. Du bist gerade unausgeglichen und angespannt", erklärte Gloria, die die Veränderung des Ringes beobachtet hatte. Sie nahm ihn wieder an sich und steckte ihn an ihren Ringfinger. Er verfärbte sich orangerot.

"Du regst mich auf. Das zeigt der Ring. Verärgerung und Frustration."

"Du brauchst dich ja nicht mit mir anzulegen", erwiderte Julius frech.

Am Samstagmorgen kam die erste Eulenpost für Julius. Die schuleigene Waldohreule brachte einen Briefumschlag von Zuhause. Auf normalem Papier hatte sein Vater einen Computerausdruck angefertigt, der lautete:

 

Hallo, Julius!

Auch wenn ich nicht weiß, ob dieser Vogel tatsächlich zu dir zurückfliegt, schreibe ich dir, daß ich zumindest froh bin, deine Handschrift erkannt zu haben. Lasse dich nicht blenden! Sie zeigen dir bestimmt nur soviel Aufmerksamkeit und loben dich über den grünen Klee, weil sie dich manipulieren wollen.

Schicke uns deinen Stundenplan, damit wir überprüfen können, ob die angebotenen Unterrichtsthemen dir auf deinem Weg helfen. Schreibe uns auch, wie wir deinen Hauslehrer und den Schuldirektor erreichen können, wenn wir kein solches Hexenvieh zur Hand haben!

Halt dich wacker!

Dein Vater und deine Mutter

 

 

Crabbe vom Slytherin-Tisch sah das glatte weiße Papier in Julius' Hand und kam ungefragt herüber.

"Was is'n das?" Grummelte er und langte nach dem Blatt Papier. Julius zog es schnell weg, so daß Crabbe mit seiner übergroßen Pranke ins Leere griff.

"Nicht anfassen, Crabbe! Sonst fängst du dir noch eine typische Schlammblutkrankheit ein!" Stieß Julius aus und sah dem ungewöhnlich großen Drittklässler direkt in die Augen. Dieser schrak zurück, guckte verdutzt und verzog sich wieder an den Tisch der Slytherins.

Julius war etwas irritiert, als er die empörten Gesichter seiner Tisch- und Hausgenossen sah.

"Darf ich fragen, wer dich mit diesem Unwort bezeichnet hat?" Wollte Penelope Clearwater wissen und rümpfte die Nase.

"Keiner aus Fleisch und Blut", meinte Julius. "Grüngekleidete Spieler auf Mannschaftsbildern in Madame Hoochs Byro. Ich dachte mir schon, daß dieses Wort eine Beleidigung für Meinesgleichen ist, die keine Zauberereltern haben", erwiderte Julius und sah so aus, als habe er ein Versuchserggebnis erhalten, das er erwartet hatte.

"Wieso haben dich gemalte Quidditchspieler von alten Slytherin-Mannschaften so genannt?" Wollte Dustin wissen, der um seine Fassung rang.

"Weil ich gesagt habe, daß Quidditch doch an sich langweilig ist", erwiderte Julius.

"Mal abgesehen davon, daß das absoluter Blödsinn ist, hat keiner das Recht, dieses Unwort zu benutzen", warf Penelope ein und sah zu einem Mädchen hinüber, das wohl etwas befremdlich zu Julius herübergesehen hatte, als er seine Behauptung von vor einer Woche am Tisch äußerte.

"Cho, hat er recht, unser Neuzugang?"

"Nein, natürlich nicht, Penelope", erwiderte das Mädchen, daß wohl in der vierten Klasse oder höher sein mußte.

"Also, wenn du an diesem Tisch keinen Streit mit der Hausmannschaft kriegen willst, Julius, würde ich nie wieder behaupten, daß Quidditch langweilig sei", riet ihm Dustin und mußte sich ein amüsiertes Grinsen verkneifen.

"Es ist doch immer dasselbe. Wenn jemand in eine neue Umgebung kommt oder eine andere Sprache lernt, nimmt er als erstes die Schimpfwörter auf", wetterte Gloria. Dann meinte sie zu Julius im Flüsterton:

"Auf jeden Fall hast du den Kraftprotz heftig an die Wand gedrückt. Der wußte nicht, was er tun oder sagen sollte, weil du dich so ausgedrückt hast. Aber ich möchte dich doch bitten, dich selbst nicht mit den schlimmsten Beleidigungen zu bezeichnen, die die Zaubererwelt kennt. Nachher glauben alle, es sei in Ordnung, dich so anzureden."

"Was ist das eigentlich für eine Schrift, die da auf diesem glatten Zeug steht, Julius?" Fragte Dustin neugierig, weil er wohl noch keinen Computerausdruck gesehen hatte.

"Das ist ein Computerausdruck. Das wird von einer Maschine geschrieben, in die vorher eingespeichert wurde, was sie zu schreiben hat", klärte Julius den Sitznachbarn aus der sechsten Klasse auf.

"Eine Maschine? Hat keiner deiner Eltern es nötig, einen persönlichen Brief mit der eigenen Hand zu schreiben? Oder können die das nicht?"

"Doch, können sie schon. Aber vielleicht wollten meine Eltern sicherstellen, daß der Brief nicht verlorengeht. Wenn der nicht angekommen wäre, hätten sie mir noch mal denselben geschickt, weil die Zeilen ja in einem Speicher abgelegt sind und jederzeit gedruckt werden können", erwiderte Julius ruhig.

"Und was soll der Humbug, ob dir die angebotenen Stunden was bringen?" Fragte Dustin noch, der wohl mitgelesen hatte.

"Ganz einfach, Dustin. Mein Vater arbeitet für sein Geld. Solange ich nicht volljährig bin, muß er meine Ausbildung und meine Freizeitbeschäftigungen bezahlen. Deshalb will er wissen, wofür er das Geld ausgibt", erwiderte Julius ironisch klingend.

"Du hast ihm nicht erzählt, daß du der beste Neueinsteiger der ersten Woche in Ravenclaw bist?" Meinte Gloria, die ebenfalls überflogen hatte, was auf dem Computerausdruck stand.

"Du warst doch dabei, wie ich meinen ersten Brief abgeschickt habe, Gloria", entgegnete Julius etwas gereizt. "Das war nach dem ersten Schultag."

"Stimmt. OK, Julius. Vielleicht sollte man ihm einen Heuler zurückschicken, was ihm denn einfiele, die guten Leistungen von dir als Beeinflussungsversuch zu zerreden", gab Gloria gehässig klingend von sich. Julius dachte kurz nach und erwiderte:

"Ich fürchte, dann kriegten wir Ärger. Die Person, die meine Eltern und mich besucht hat, um uns von Hogwarts zu erzählen, sagte was von Geheimhaltung der Zauberei vor Muggeln. Nachdem, was Dustin und Kevin über Heuler erzählt haben, würde die ganze Nachbarschaft mitkriegen, daß irgendwas komisches passiert. Und wir haben echte Tratschtanten in unserer Nachbarschaft. Wenn ich's nicht mittlerweile besser wüßte, würde ich die als Hexen bezeichnen."

Ein Uhu schwebte über Gloria herunter und landete auf ihrer Stuhllehne. Der große Eulenvogel trug ein großes Paket in seinen Fängen. Gloria tätschelte kurz den weichgefiederten Rücken des großen Tieres und nahm das Paket vorsichtig an sich. Sie spähte kurz zu den anderen Tischen hinüber, ob dort jemand herübersah, dann nahm sie einen Umschlag, der an der rechten Seite des Paketes befestigt war. Sie zog daraus eine Pergamentseite heraus und schmunzelte. Dann gab sie dem Uhu ein Stück rohen Schinken mit etwas Toastbrot und sah zu, wie er davonflog.

Gloria verstaute das Paket unter ihrem Stuhl und aß ihr Frühstück auf. Dann sagte sie:

"Ich habe mein neues Schachspiel bekommen, daß meine Eltern besorgt haben. Hat jemand Lust, das mit mir auszuprobieren?"

"Au ja", erwiderte Kevin Malone. Julius dachte kurz nach und antwortete:

"Interesse habe ich schon. Ich wollte aber erst zu Professor Flitwick und ihn fragen, wie mein Vater ihn erreichen kann. Der wird nachher noch auf die Idee kommen, die Polizei zu rufen, weil ich ihm nicht geantwortet habe."

"Oh, das würde lustig werden", grinste Dustin. "Ich habe mal davon gehört, daß ein Muggel eine Nachbarin von uns, auch eine Hexe, wegen Umweltverschmutzung angezeigt hat, weil aus ihrem Kamin grüner Qualm gekommen war. Das Zaubereiministerium erfuhr irgendwie davon und schickte eine schnelle Eingreiftruppe zu dem Mann, die das Gedächtnis korrigierte, so daß der Mann nur gewöhnlichen Rauch gesehen hatte. Der Typ war völlig durcheinander, als ihm die Muggelordnungshüter auf die Bude rückten, und er nicht mehr wußte, was sie wollten. Die betroffene Hexe mußte 25 Galleonen Strafe wegen fahrlässiger Auffälligkeit hinlegen, aber sonst nichts."

"Und woher weißt du das?" Wollte Julius wissen, der dachte, der ältere Schüler mache sich einen Jux mit ihm.

"Mein Vater arbeitet im Zaubereiministerium, Abteilung für die Bewahrung der Geheimhaltung der Zauberei vor Muggeln", sagte Dustin ruhig.

"Soso, und dann plaudert der aus, was Leute so anstellen", stellte Julius fest.

"Nur die Kleinigkeiten. Die richtigen Hammerfälle kriegen wir nicht mit."

"Alles klar, Dustin", versetzte Julius gelangweilt.

Gloria und Kevin begaben sich in den RavenClaw-Gemeinschaftsraum, während Julius Professor Flitwick aufsuchte.

"Entschuldigen Sie die Störung, Professor! Es ist nur so, daß mein Vater wissen will, wie er mit Ihnen oder der Schulleitung Kontakt halten kann, um über meine Ausbildung auf dem laufenden zu bleiben. Was darf ich ihm schreiben?"

"Was möchte er. - Achso. Nun geben Sie mir bitte den Brief. - Hmm, das ist eine Maschinenschrift. Sind Sie sicher, daß die von Ihrem Vater stammt?"

"Hundertprozentig. Ich kenne den Drucker, von dem das hier ausgedruckt wurde", erwiderte Julius und sah den skeptischen Blick des Lehrers.

"Nun, ich möchte lediglich sicherstellen, daß ich nicht mit einem dieser seelenlosen Muggelapparate in Verbindung stehe. Wenn Ihr Vater darauf besteht, regelmäßig von uns zu hören, senden Sie ihm bitte eine Botschaft, daß wir gerne alle zwei Wochen einen kurzen Bericht über Ihre Fortschritte zusenden werden. Allerdings sollte er uns auf halbem Weg entgegenkommen und uns auf dem Rückweg mitteilen, wie er Ihre weitere Ausbildung finanzieren möchte. Ich habe erfahren, daß Ihre Eltern nicht bereit waren, Ihre Einschulung und Grundausstattung zu bezahlen."

"Wenn es nach ihm ginge, würde er darauf warten, daß Sie mich aus Hogwarts entlassen, weil niemand für mich bezahlt. Dann könnte er mich doch in ein normales Internat schicken." Als Julius den leicht verärgerten Gesichtsausdruck von Professor Flitwick bemerkte, fügte er noch hinzu: "Normal für Muggel, natürlich."

"Da ich davon ausgehe, daß dieser Brief nicht allzu privat ist, haben Sie wohl nichts dagegen, daß ich ihn behalte und persönlich beantworte?"

"Wenn dies eine offizielle Anweisung ist, befolge ich sie natürlich, Herr Professor", entgegnete Julius und legte den Computerausdruck hin.

"Der erste Satz dieses Schreibens ist etwas merkwürdig. Fühlen Sie sich von uns in irgendeiner Weise bevorzugt oder besonders gelobt?"

"Nicht, daß ich wüßte. Abgesehen von den ersten 20 Punkten, die Professor McGonagall mir und Ravenclaw in der ersten Verwandlungsstunde zugeteilt hat, habe ich eigentlich das Gefühl, mir jeden weiteren Punkt verdient zu haben. Vielleicht waren manche Punktzahlen höher, als üblich, aber wenn Ihre Kollegen denken, daß Ravenclaw diese Punkte verdient hat, warum nicht. Ich kriege die Punkte ja nicht persönlich."

"Eben, das verstehe ich an diesem Brief nicht. Aber lassen wir das. Ich werde womöglich Professor McGonagall hinzuziehen. Sie kennt Ihre Eltern und wird bestimmt eine im Rahmen sachlicher Argumente mögliche Antwort geben können."

"Ich wollte Ihre Zeit nicht damit vergeuden, sich besonders um mich zu kümmern, Professor Flitwick. Es ging nur darum, von Ihnen zu hören, was ich meinem Vater schreiben soll."

"Richtig, und darauf habe ich geantwortet. Überlassen Sie mir bitte den Brief und damit die Notwendigkeit, zu antworten. Ihr Vater erwartet eine regelmäßige Berichterstattung. Das ist sein gutes Recht. Jede Zaubererfamilie hat dieses Recht. Und nichtmagische Eltern zeigen immer eine gewisse Irritation, wenn ihre Kinder bei uns eingeschult werden. Ihre Eltern sind also keine Ausnahme. Also machen Sie sich keine Sorgen. Wir haben Sekretäre und Sekretärinnen für solche Angelegenheiten. Meine kostbare Zeit wird dadurch nicht beansprucht."

"In Ordnung, Professor Flitwick", erwiderte Julius kleinlaut und verabschiedete sich.

Auf dem Weg zum Eingang von Ravenclaw lief er Professor McGonagall über den Weg und schaffte es nicht mehr rechtzeitig, ihr auszuweichen.

"Guten Morgen, Mr. Andrews", grüßte sie ihn höflich, aber streng klingend.

"Guten Morgen, Professor McGonagall", erwiderte Julius höflich.

"Ich hoffe, Sie haben sich gut eingelebt und sehen Ihrer Ausbildung nun mit weniger Skepsis entgegen", sagte die Verwandlungslehrerin.

"Das ist richtig", erwiderte Julius kurz angebunden.

"Dann wünsche ich Ihnen ein schönes Wochenende."

Julius passierte ohne Probleme das Gemälde von Bruce, dem Hirten und seiner Kuh Maggy. Im Gemeinschaftsraum sah er, wie Gloria gerade ein ein mal ein Meter großes Schachbrett auf einem der Tische aufgebaut hatte. Aus einer Art Häuschen, das neben dem Spielbrett aufgestellt worden war, marschierten gerade die Schachfiguren auf. Julius glotzte total erstaunt.

"Komm her, Julius. Steh nicht dumm rum. Hast du noch nie ein Zauberschachspiel gesehen?"

"Du willst doch da keine Antwort drauf haben, Gloria", versetzte Julius etwas bedröppelt. Dann betrachtete er die Schachfiguren genauer.

Die Springer waren richtige Ritter auf Pferden, nur verkleinert und in der Farbe weiß oder schwarz. Die Läufer waren athletische Minimenschen, genauso wie die Bauern, die jedoch Sensen oder Schubkarren mitführten. Die Türme waren hohe und breite Minimenschen mit kuppelförmigen Helmen auf den Köpfen. Der König trug eine zwölfzackige Krone, einen wallenden Mantel und ein Zepter. Die Königinnen trugen ebenfalls je eine zwölfzackige Krone, dafür jedoch ein langes Kleid und eine Schleppe, die ihnen über die Schultern fiel.

Julius dachte über seine ersten Schachpartien nach, die er bereits mit vier Jahren gespielt hatte. Seine Mutter, eine leidenschaftliche Schachspielerin, hatte ihm frühzeitig das königliche Spiel beigebracht. Er vergaß nie die Partie, bei der er seinen Vater zum erstenmal geschlagen hatte. Er war da gerade acht Jahre alt gewesen. Seitdem konnte er gegen seinen Vater immer gewinnen, wenn er es für richtig hielt. Doch gegen seine Mutter konnte er bis heute nicht gewinnen. Sie spielte wie ein Schachcomputer, der 30 oder 40 Züge im Voraus durchrechnen konnte. Julius kam die Idee, in den Jungenschlafsaal hochzulaufen, um seinen eigenen Schachcomputer zu holen. Er sah kurz auf Kevin und Gloria, die anfingen, ihre Figuren zu lenken. Dann rannte er schnell nach oben und holte aus seinem großen Koffer den kleinen elektronischen Apparat. Er kehrte damit zurück in den Gemeinschaftsraum und schaltete ihn ein. Das Gerät besaß eine Sprachausgabe, die die Züge ansagen konnte. Doch statt der Klarmeldung des elektronischen Schachspiels kam eine Ansammmlung schriller Töne heraus, dann gab es keinen Laut mehr von sich.

"Häh, mach nicht so einen Krach!" Beschwerte sich Kevin, der gerade seinem weißen Bauern auf b2 befehlen wollte, zwei Felder vorzurücken.

"Was soll denn das sein?" Fragte Gloria, die Julius' enttäuschtes Gesicht sah.

"Ein wertloses Stück Schrott", schnaubte er. "An und für sich ist das ein hochmoderner, sprechender Schachcomputer, eine Maschine, die Schach spielen kann. Aber irgendwas ist wohl kaputt."

"Oha! Hast du es schon vergessen, daß hier keine Computerdinger oder Elektronikgeräte arbeiten können? Die Luft in Hogwarts ist so mit Magie angereichert, daß solche Geräte nicht mehr arbeiten können", belehrte ihn das blondgelockte Mädchen mit den grünen Augen.

"Hmm, kann man das nicht machen, daß das Gerät wieder richtig funktioniert, indem man es bezaubert?" Wollte Julius wissen.

"Das wäre gegen das Gesetz", warf Terrence Crossley ein, der gerade durch den Einstieg zum Gemeinschaftsraum geklettert war. "Muggelartefakte dürfen nicht verzaubert und dann in Umlauf gebracht werden. Dann bekämen wir Ärger mit Arthur Weasley."

"Weasley? Achso, der Vater von den vier rothaarigen Gryffindor-Schülern", erkannte Julius.

"Richtig. Außerdem würden die Lehrer das nicht dulden, wenn hier jemand mit ekeltonischen Sachen herumzaubert. Zauberschach ist wesentlich lebendiger und spannender als so ein seelenloses Gerät."

"Das wird wohl so sein", stellte Julius fest und verabschiedete sich kurz, um seinen wertlosen Schachcomputer wieder in den Koffer zu legen. Er hoffte nur, daß sein mitgebrachter Chemiebaukasten noch funktionierte.

Als Julius Andrews wieder im Gemeinschaftsraum ankam, tobte auf dem Schachbrett ein heftiger Zweikampf zwischen einem weißen Bauern und einem schwarzen Springer.

"Gebe er sich doch endlich geschlagen!" Schrie der auf dem schwarzen Pferd sitzende Ritter den mit einem Dreschflegel auf ihn einhauenden Bauern an. Alle Zuschauer lachten. Julius verstand, was Terrence meinte.

"Wer hat denn gezogen?" Fragte er in die Runde.

"Gloria hat den Springer von f5 nach e3 geschickt. Der weiße Bauer will nicht vom Feld gehen", grinste Terrence.

Als der schwarze Springer endlich die Oberhand gewonnen und den Bauern entwaffnet hatte, trollte sich dieser vom Feld und ging durch den weißen Eingang in das Figurenhäuschen.

"Meine Königin von h2 nach e5 und schach!" Sagte Kevin an. Die weiße Königin sah ihn hochnäsig an und fragte doch glatt:

"Ist er sicher, daß er uns mit diesem Zug nicht beleidigt. Unser Opponent vermag, sich im nächsten Zug aus seiner Zwangslage zu befreien. Überlege er doch noch einmal, ob er nicht jemanden anderen ziehen möchte!"

"Ich glaub's nicht", staunte Julius.

"Königin von h2 nach e5, verdammt noch mal!!" Stieß Kevin aus und führte eine drohende Handbewegung über der weißen Königin aus.

"Unterstehe er sich, in unserer Gegenwart zu fluchen. Aber sei es. Er möge den Sieg verschenken, wie ihm danach ist!" Tönte die weiße Königin und schritt stolz auf das ihr befohlene Schachfeld.

Irgendwann nach 15 oder 16 weiteren Zügen mußte sich der weiße König geschlagen geben. Er nahm seine Krone ab, legte sie mit dem Zepter zusammen auf den Boden und verbeugte sich vor den schwarzen Figuren, die ihn mattgesetzt hatten.

"So ein widerborstiges Schachspiel habe ich noch nie gesehen", lamentierte Kevin, als alle Figuren vom Brett marschiert waren.

"Jede Figur kann erkennen, ob ein Zug mit ihr höhere Erfolgsaussichten hat oder nicht. Dann hat jede noch einen eigenen Charakter", meinte Gloria lächelnd. Dann bot sie Kevin eine Revanche an. Doch dieser hatte schon genug und meinte:

"Julius wollte doch mal ein richtiges Zauberschachspiel in Aktion testen."

"Jawohl, genau", erwiderte Julius Andrews. Gloria nickte ihm zu. Kevin stand auf und zog sich in eine Ecke des Raumes zurück, von wo aus er das Spiel verfolgen konnte.

Julius übernahm die weißen Figuren, die nach den schwarzen auf das Feld marschiert waren. Die Königin sah kurz zu ihm auf und sprach:

"Wir hoffen, daß er ein besserer Spieler ist. Niederlagen sind entwürdigend."

Darauf erwiderte die schwarze Königin:

"Glaubt ihr ernsthaft, wir ließen uns jetzt von euch besiegen?"

"G1 nach F3!" Befahl Julius und eröffnete damit die Partie. Der weiße Springer rechts vom König gab seinem Pferd die Sporen und setzte über den Bauern hinweg, der sich duckte, um dem springenden Pferd nicht unter die Hufe zu kommen. Gloria erwiderte den Springerzug mit ihrem Bauern von d7 nach D5. So ging die Partie weiter, bis die Anordnungen der Figuren keine eindeutige Überlegenheit der einen oder anderen Seite zeigte. Die geschlagenen Bauern der beiden Seiten beschimpften sich gegenseitig, während ein schwarzer Turm Drohgebärden gegen den Läufer ausführte, der ihn einfach vom Feld getrieben hatte.

Eine Stunde lief die Partie bereits, und es waren nicht mehr viele Figuren auf dem Brett. Gloria sah sehr angespannt aus, während Julius immer entspannter dreinschaute. Dann führte er den entscheidenden Zug aus. Sein letzter Turm schlug einen Springer, indem er mit Urgewalt das Pferd umwarf und dessen Reiter am Kragen packte und vom Brett trug.

"Das ist unglaublich!" Tönte der schwarze König, als er erkannte, daß er nun völlig eingekesselt war und legte seine Reichsinsignien auf den Boden.

"Jääh!" Tönten die Ravenclaws, die der Partie beigewohnt hatten. Kevin klatschte richtig in die Hände. Gloria stand auf und ignorierte den Schwall von Beschimpfungen ihrer Figuren, die noch mal aus dem schwarzen Teil des Häuschens hervorgetreten waren und die Spottrufe der siegreichen weißen Figuren.

"Wunderbar. Endlich habe ich jemanden gefunden, der das Spiel beherrscht. Wir sollten Turniere abhalten."

"Da bin ich voll dabei", erwiderte Julius Andrews. Andere Ravenclaws stimmten ebenfalls zu. Damit war neben den Hausaufgaben eine weitere Möglichkeit entstanden, keine Langeweile aufkommen zu lassen. Hinzu kamen noch die Musiker des Hauses, zu denen sowohl Gloria Porter, als auch Kevin Malone zählten. Daneben betrieben alle Schüler irgendwelche Laufsportarten, einige spielten sogar Fußball, wobei sie einen großen blauen Ball benutzten. Julius fand durch Dean Tomas, einem Drittklässler der Gryffindors heraus, wie man sich Zugang zu den aktuellen Fußballergebnissen verschaffen konnte. Denn es war ein wöchentlicher Eulendienst eingerichtet worden, der Hogwarts mit London verband und jeden Samstag Abend eine Kopie der Spielergebnisse aller britischen Ligen einflog und über die Häuser verteilte. Julius abonierte den Muggelsportkurier ebenfalls, auch wenn er nicht wußte, wie er mit dem Rest des Geldes auskommen sollte, daß er noch besaß. Sicher, 10 Knuts die Wochenausgabe war nicht gerade zu teuer. Er hatte errechnet, daß er für ein Jahresabonement 13 Sickel und 23 Knuts ausgeben mußte. Da er noch sieben Galleonen besaß, war es ihm die Sache wert, wenn er damit bei Unterhaltungen mit Lester, Malcolm und den anderen Jungen aus der alten Bubblegum-Bande eine gute Figur machen konnte.

In der dritten Schulwoche kam wieder Eulenpost von seinen Eltern. Sein Vater schrieb, daß er von Professor Flitwick erfahren habe, daß Julius sich sehr gut in Hogwarts eingelebt und bereits große Fortschritte gemacht hatte. Allerdings wolle er nicht anerkennen, weshalb Geschichte der Zauberei und Besenflug für seine Ausbildung wichtig sei. Julius' Vater beschwerte sich darüber, daß sein Sohn keine Standardwissenschaften außer Astronomie unterrichtet bekam. Julius antwortete per Schuleule:

 

 

Hallo, Paps!

Die Lehrer sind hier der Ansicht, daß die Technikwissenschaften für meinen Werdegang unerheblich seien, da ich durch die Zauberei sowieso keine Maschinen mehr bräuchte.

Ich habe hier bereits gute Freunde gefunden, mit denen ich meine Freizeit verbringe und viel Spaß habe. Wir in unserem Haus haben sogar schon ein Schachturnier organisiert. Mum wird sich warm anziehen müssen, wenn ich über die Weihnachtsferien nach Hause komme.

In Liebe

Julius

 

 

Als er den Brief abgeschickt hatte, dachte der Sohn eines Chemikers und einer Computerprogrammiererin, daß er wohl noch manchen bösen Brief kriegen würde. Aber was sollte es? Er war hier, und seine Eltern konnten ihn nicht einfach zurückholen.

 

 

An einem Montag traf Eulenpost für Julius ein. Eine orangerot beringte Schleiereule brachte einen Brief von Aurora Dawn. Julius las ihn erst, als der Unterricht vorbei war. er Lautete:

 

Hallo, Julius!

Wie ich hören durfte, bist du tatsächlich in meinem alten Haus untergekommen und hast ihm schon viele Punkte eingebracht. Das ist sehr gut. Ich habe mich also nicht in dir getäuscht.

Ich habe von Professor Sprout und Madame Hooch Nachrichten bekommen, daß sie sich sehr erfreut zeigen, daß du bei mir deine ersten Gehversuche in den Fächern Zauberkräuter und Besenflug gemacht hast. Andererseits hatProfessor Sprout auch durchblicken lassen, daß du dich vor deiner eigenen Courage fürchtest und versuchst, möglichst wenig zu zaubern. Gut, das ist deine Sache. Aber ich wollte dir nur sagen, daß du vor dir selber keine Angst haben mußt. Wenn du gute Noten oder hohe Punktzahlen erreichen kannst, ist das kein Grund, dich zu schämen. Und wenn Madame Hooch meint, daß du ein brauchbarer Quidditchspieler sein kannst, mach das! Ich finde es nur sehr voreilig, Quidditch als langweiligen Sport zu bezeichnen, noch dazu im Vergleich mit Fußball. Sieh dir die ersten Spiele ruhig an und urteile dann richtig!

Grüße deine Freunde von mir, auch wenn ich sie nicht persönlich kenne. Vielleicht sehen wir uns ja in den Weihnachtsferien.

Hochachtungsvoll

Aurora Dawn

 

Julius erkundigte sich, woher der Brief gekommen war, weil er sich nicht vorstellen konnte, daß eine Eule von Australien die ganze Tour geflogen war. Er fand heraus, daß man Briefe, die über sehr große Strecken transportiert werden mußten, in Postämtern mit Floonetzanschluß aufgeben konnte. Postboten brachten sie dann mittels Floopulver an den nächsten größeren Verteiler auf dem Zielkontinent, von wo aus die Post per Eule weitergeleitet wurde. Das alles stand in einem Buch, das sich mit den Kommunikationsmitteln der Zaubererwelt befaßte.

Den Rat Auroras aufgreifend ging Julius Andrews mehr aus sich heraus. Wo er merkte, daß er niemanden unterdrückte, stellte er sein Wissen und Können unter Beweis. Dadurch holte er für Ravenclaw in einer Woche durchschnittlich 20 bis 30 Punkte. Snape zog ihm zwar hin und wieder den einen oder anderen Punkt ab, einmal sogar 10 auf einmal, weil Julius ihm anschaulich gemacht hatte, daß ein Kältewiderstandstrank auch mit weniger Aufwand gebraut werden konnte. Doch da Snape dafür berüchtigt war, allen Häusern außer Slytherin bei jeder Gelegenheit Punkte wegzunehmen, störte es ihn nicht. Die anderen sahen es ebenso. Gloria Porter tat sich besonders in Zauberkunst und Geschichte der Zauberei hervor und schaffte neben Julius, der es seiner Grundbegabung wegen immer schaffte, aufgetragene Verwandlungen durchzuführen, gute Ergebnisse zu erzielen. Professor McGonagall zeigte sich zufrieden mit der couragierten, aber maßvollen Arbeit des Jungzauberers aus der Muggelfamilie.

In der fünften Woche traf ein kurzer Brief von seinen Eltern ein, in dem stand, daß sein Vater ihm noch vor Halloween ein Paket mit Büchern zuschicken wolle, die er neben seinen Hogwartsverpflichtungen zu lesen habe, um auf dem gleichen Wissenstand zu bleiben, den Nichtzaubererjungen seines Alters erlernen konnten. Julius erfuhr danach, daß seine Eltern die weitere Finanzierung der Ausbildung davon abhängig gemacht hatten, daß Julius eben auch wissenschaftliche Bücher las. Professor Flitwick rief Julius daraufhin zu sich und eröffnete ihm, daß er zwar die Muggelwissenschaften nebenbei studieren, doch nicht auf eine Freistellung von den Schulaufgaben hoffen könne. Julius sah dies ein und sagte, daß er hoffte, nicht unter zuviel nichtmagischem Studium seine Ausbildung zu vernachlässigen. Gloria schrieb an ihren Vater, er möge Julius eine Tabelle der Wertumrechnung von Zauberergeld zu Muggelgeld schicken. Als dann in der sechsten Schulwoche, in der Mitte des Oktobers, die erbetene Umrechnungstabelle eintraf, staunte Julius nicht schlecht, welche Kaufkraft eine Sickel hatte. In der Nachricht von Glorias Vater stand auch drin, daß Nichtmagier ihr Geld besser in Wertgegenstände wie Edelsteine oder Gold umtauschen sollten, da die Kobolde in Gringotts zwar die Umrechnungstabellen da hätten, doch diese sich jeden Tag ändern würden. Bei Edelsteinen und -metallen wäre eine geringere Kursschwankung im Preis pro Karat gesetzlich vorgeschrieben und damit eine Wertschwankung zwischen -0,01 und +0,01 % von einem auf den anderen Tag garantiert. Julius schickte die Umrechnungstabelle und die Empfehlung von Mr. Porter mit einem begleitenden Kommentar nach Hause, in dem er erklärte, daß diese Daten von einem bei der Zaubererbank arbeitenden Vater einer guten Klassenkameradin stammen, dessen Angaben wohl auf fundierte Grundlagen gestützt waren. Darauf kam eine Antwort zurück, die lautete:

 

Hallo, Julius!

Wir haben diese Umrechnungstabellen erhalten und auch deinen Begleitbrief gelesen. Wie stellst du dir das denn vor, wie wir für dich die nächsten Schuljahre in Diamanten oder Rubinen bezahlen sollen? Wir haben nur ein kleines Bankschließfach und dazu keine Lust, dort Diamanten oder Goldbarren einzulagern. Wie soll das dann überhaupt gehen? Meiner Erfahrung mit diesen Leuten von Hogwarts nach ist es doch so, daß die Zauberei nicht normalen Leuten bekannt gemacht werden darf. Also liegt diese Zaubererbank irgendwo in der Wildnis. Ich bin doch nicht lebensmüde und reise mit mehreren tausend Pfund in Edelsteinen durch die Gegend. Das haben die sich fein ausgedacht.Mal abgesehen davon, daß diese Angaben hier bestimmt falsch sein können. Ich habe keinen Vergleichswert außer dieser Tabelle.

Sag diesem Flitwick, er könne sich die Finanzierung an den Hut stecken.!

Übrigens, morgen kommen deine Bücher an. Ich erwarte diese Cynthia Flowers, die feststellen soll, wieviele Eulen für den Transport benötigt werden.

 

"Und der sagt noch nicht einmal "Viele Grüße"?" Empörte sich Gloria, als Julius hämisch grinsend den Abschnitt vorgelesen hatte, in dem sein Vater Glorias Vater unrichtige Angaben unterstellte.

"Ich hoffe, du bist nicht der Meinung, daß mein Vater sich verrechnet hat", meinte seine Klassenkameradin mit einem drohenden Unterton. Julius schluckte eine Antwort wie "Verhext du mich sonst?" hinunter und sagte nur, daß er ja schon Erfahrungen mit dem Geld hatte, die sein Vater nicht machen konnte.

"Ich hätte für eine Galleone zehn Zugabteile mit je einem Stück Kesselkuchen versorgen können. Das ist schon heftig."

"Na also", sagte Gloria. Dann fragte sie:

"Und, gehst du zu Flitwick und sagst ihm, daß dein Vater nichts mehr bezahlen will?"

"Den Teufel werde ich tun. Ich gehe gleich zu Cynthia Flowers und frage sie, ob sie meinen Vater irgendwie beim Geldumtauschen helfen kann. Da sind doch bestimmt noch Verliese in Gringotts frei, wo entweder Geld oder Diamanten gelagert werden können."

"So wie ich das einschätze, möchten deine Eltern die Kontrolle über das Geld behalten. Muggel kommen nur dann in die Winkelgasse, wenn die Ferien zu ende gehen und neue Schulsachen gekauft werden müssen, sagt mein Vater."

"Na dann wird's in der Tat lustig", erwiderte Julius leicht frustriert. Dennoch ging er nach der Nachmittagsdoppelstunde Kräuterkunde, in der er die beinahe schon pflichtgemäßen 10 Punkte eingefahren hatte, zu Cynthia Flowers, die von Flitwick herbeigerufen worden war. Julius erklärte und zeigte ihr, was sein Vater geschrieben hatte. Sie meinte dazu nur:

"Das kennen wir doch. Dein Vater muß nicht immer in die Winkelgasse, um seinen Kontostand zu überprüfen. Wir machen das so, daß er halt ein Edelsteindepot dort einrichtet und dir jedesmal im Sommer eine Erlaubnis zum Abheben einer bestimmten Summe gibt. Das heißt, er legt für sieben Jahre etwas an oder für jedes Jahr neu. Dann mußt du nur in die Winkelgasse, dein Geld abheben, gegen die Quittung, daß du es bekommen hast. Dein Vater kriegt die Quittung per Eilpost nach Hause, was bei der kurzen Entfernung zu Gringotts keine halbe Stunde dauert und hat eine Kontrolle darüber, was du mit seinem Geld anstellst. Ich reise sowieso gleich zu deinen Eltern und berede das mit den Muggelwissenschaftsbüchern. Dabei werde ich ihn auch davon überzeugen können, daß er keine Sorgen um sein Geld haben muß. Ich prüfe mal nach, ob ich eine einmalige Sonderzutrittsgenehmigung für deine Eltern kriege, um sie in die Winkelgasse zu führen."

"Er fürchtet, beraubt zu werden, wenn er zuviel Geld abhebt und in irgendeiner Form herumträgt", wandte Julius ein und deutete auf den entsprechenden Abschnitt des Briefes.

"Klar, verstehe ich. Die Muggel haben ihr Zahlungssystem so umgestrickt, daß sie nur soviel Geld mit sich herumtragen, wie sie für einen Tag brauchen oder in einer Form, mit der Diebe nicht so leicht etwas anfangen können. Aber auch das ist Routine für uns. Mach dir darum keinen Kopf. Du bist nicht der erste Zauberer aus einer Muggelfamilie, dessen Verwandte Probleme machen, wenn sie um ihr Barvermögen fürchten. Ich arbeite schon lange genug hier, um das alles zu klären, ohne weitere Fragen übrig zu lassen."

Julius wollte noch wissen, wie Cynthia bei seinen Eltern vorfahren würde. Sie erzählte, daß sie zunächst nach Hogsmeade gehen, von dort aus per Floopulver nach London reisen und dann mit einem Muggeltaxi ganz muggelmäßig vorfahren würde. Dann schickte Cynthia Flowers den Jungen aus ihrem Büro.

Am nächsten Tag trugen vier große Schleiereulen ein würfelförmiges Paket zu Julius in den großen Saal von Hogwarts. Ein daran angeklebter Umschlag enthielt die Liste der Bücher und die Mitteilung, daß Julius in den Weihnachtsferien von seinen Eltern auf sein Wissen geprüft werden würde.

"Das heißt, ich darf neben den Schulaufgaben noch zwei Bücher über organische Chemie, eins über anorganische Chemie, ein Physikbuch und ein Buch über wissenschaftliche Computeranwendungen lesen. Damit ist meine Last an nutzloser Freizeit auf die Essens- und Schlafenszeit runtergeschraubt worden", stöhnte Julius, als er die Liste und den Paketumfang miteinander verglich.

Das Gespann Malfoy, Crabbe und Goyle kam an den Ravenclaw-Tisch, um sich anzugucken, was der Muggelgeborene da hatte. Terrence und Penelope winktem den Vertrauensschülern der Slytherins und unterhielten sich, während Julius sagte:

"Mein Vater will haben, daß ich eines Tages in allem besser bin als er, damit er mich nicht mehr zu füttern braucht, Draco. Deshalb hat er mir Lektüre geschickt, um in den Freistunden was tun zu können."

"Dein Vater hat wohl kein Geld, wie. Deshalb sollst du bloß schnell ans arbeiten kommen, damit du deine Familie miternähren kannst, wie?" Gab Malfoy hämisch zur Antwort.

"Logisches Denken hast du wohl noch nicht nötig, wie? Wenn ja, dann wüßtest du, daß diese Bücher hier nicht aus einem Gebrauchtwarenladen kommen und bestimmt nicht allzu billig waren. Ich bin genauso stolz auf meinen Vater, wie du auf deinen. Aber ich habe es nicht nötig, mit ihm anzugeben. Wer sowas macht macht sich selbst zum Schwächling und Idioten", reagierte Julius noch beherrscht und genoß es, wie sich das blasse Gesicht Dracos vor Wut verfärbte. Seine Begleittruppe schien nicht zu wissen, was sie tun sollte. Crabbe hatte beide Fäuste erhoben und wartete wohl darauf, dem Besserwisser eine reinhauen zu können, während Goyle mit den Füßen stampfte. Dann hörten sie die Stimme eines Slytherin-Vertrauensschülers:

"Draco, lass das! Der ist es erstens nicht wert, daß ihr euch um seine Angelegenheiten scheren müßt und zweitens hat er recht. Wer meint, nur einen tollen Vater haben zu müssen, kommt nicht weit, wenn der mal nicht mehr da ist."

"Was soll'n das, Hector? Dieses Schlammm... ich meine Muggelkind bildet sich ein, unsere Bibliothek sei nicht voll genug. Läßt sich extra noch Bücher schicken und .."

"Draco, zahlt das dein Vater? Nein? Dann lass seinen Muggelvater doch sein ganzes Geld für diesen Wissensschrott ausgeben. Wenn der dabei verhungert, ist das doch nicht dein Problem", erwiderte Hector, der Slytherin-Vertrauensschüler, ein Sechstklässler mit breiten Schultern und buschigen schwarzen Augenbrauen unter ebenso dichtem schwarzem Haar. Sein Gesicht wirkte angewidert, daß er sich in Muggelkinderangelegenheiten einmischen mußte, nur weil Malfoys Kronprinz sein Maul nicht halten konnte. Aber seine Willenskraft, die in den grauen Augen funkelte, brachte Draco Malfoy dazu, von Julius abzulassen. Hector hatte recht. Wieso sollte er sich mit diesem Muggel abgeben. War ja schon schlimm genug, daß in seiner Klasse mehrere Muggelgeborene waren, die ihn immer wieder ärgerten. Mit Erstklässlern mußte er sich nicht abgeben.

"Dann lies dich tot! Dann kannst du deinem Vater diese Dinger ja als Erbschaft hinterlassen", brachte Malfoy noch eine hämische Bemerkung an und verzog sich mit seinen Spießgesellen an den Slytherin-Tisch.

"Ich hätte diesem Idioten zehn und seinen Nachläufern je fünf Punkte abgezogen", schnaubte Terrence Crossley. Aber ich sah nicht ein, weshalb ich mich mit diesem Burschen anlegen sollte. Hector gilt doch noch ein bißchen mehr im Slytherin-Stall als Malfoy Junior.

"Danke, daß ihr das geregelt habt", sagte Julius erleichtert. Er wußte nicht, was er getan hätte, wenn dieser Angeber ihn noch weiter gereizt hätte.

"Das ist unser Job", erwiderte Penelope Clearwater kühl. "Wo kämen wir denn hin, wenn jeder von jedem Tisch zu anderen Schülern gehen und sie anpöbeln würde, weil sie irgendwelche Post bekommen hätten."

"Ich weiß, daß ich stolz auf meinen Vater sein kann. Aber ich habe auch gelernt, daß er mir nichts nützt, wenn ich weit von ihm weg bin. Warum sollte ich dann mit ihm angeben?"

"Das ist eine typische Ravenclaw-Logik. Aber das erzähl' mal einem Slytherin, dessen Vater sehr viel Macht in der Zaubererwelt hat", gab Dustin McMillan noch eine Bemerkung zum besten.

Julius brachte sein Paket noch schnell in den Erstklässlerschlafsaal der Ravenclaw-Jungen und rannte dann zur Zauberkunststunde. Er schaffte es noch, gerade hinter Professor Flitwick die Klasse zu betreten und sich ohne Aufsehen neben Gloria hinzusetzen. Julius war so aufgeregt, daß ihm ein Schwebezauber zu gut gelang. Das Objekt, eine Feder, schoß wie eine Gewehrkugel gegen die Decke und wurde dort breitgequetscht, bis sie zerfiel und wieder runterfiel.

"Huh, das war ein wenig zuviel des guten, Mr. Andrews", kommentierte Flitwick den Vorfall mit erschreckter Stimme. Dann gab er dem Jungen ein Bleigewicht, das er diesmal anstandslos aufsteigen und mit spielerischer Bewegung des Zauberstabes herumschweben und dann sanft auf den Tisch zurücksinken ließ. Die Klasse machte es nach, Gloria, Gilda und Kevin mit ähnlichem Erfolg.

"In Ordnung. Ich muß Ihnen leider fünf Punkte wegen unbeherrschten Zauberns abziehen, Mr. Andrews, gebe Ihnen jedoch dafür zehn Punkte für Ravenclaw wegen eindrucksvoller Beherrschung einer Fernlenkung. Miss Porter, Miss Fletcher und Mr. Malone erhalten ebenfalls zehn Punkte für die gleichwertige Demonstration von magischer Fernlenkung im ersten Unterrichtsjahr. Das war es dann auch."

"Mist, dieser Malfoy und sein Dinosaurierduo haben mich wohl mehr aus der Fassung gebracht, als ich erst gedacht habe", ärgerte sich Julius, als sie das Klassenzimmer verlassen hatten. Gilda, die das mitbekam sagte ungefragt:

"Malfoy ärgert uns alle irgendwie. Du hast nur heute das Pech gehabt, von ihm besonders dumm angemacht zu werden. Mein Großvater sagt, daß der große Lucius, Dracos alter Herr, mehr Angst um seine Existenz als Macht hat. Ich würde mal sagen, Draco leidet darunter, meint aber, weil sein Vater Kontakte ins Zaubereiministerium hat, den großen Prinzen spielen zu können."

"Ich habe selbst einen Vater in einflußreicher Position. Ich kann Draco eigentlich nur bedauern. Und ich denke auch, daß ihn meine Bemerkung wütend gemacht hat, daß ich ihn indirekt als Schwächling bezeichnet habe. Wenn er denken kann, wird er versuchen, sich aus meiner Nähe zu halten, damit er nicht auf die Idee gebracht wird, sich und anderen zu beweisen, daß ich recht habe."

"Häh?" Machte Kevin.

"Jungen, die sich sofort prügeln, wenn sie was hören, was ihnen nicht paßt, sind in der Regel ziemlich blöd. Dracos Vater wird ihm die Hölle heißmachen, wenn er sich mit einem Erstklässler herumzankt, ohne einen Grund dafür zu haben. Ich denke auch, daß Draco zu Hause immer untergebuttert wird. Ich kenne dieses Gefühl. Deshalb sollte ich versuchen, mich nicht mehr über ihn zu ärgern, sondern ihn zu bedauern", schloß Julius das Thema ab. Gloria fragte:

"Kann ich mir die Bücher angucken, die du schon ausgelesen hast, Julius. Ich interessiere mich dafür, was Muggel für wichtig halten, daß ein Vater seinen Sohn mit so dicken Wälzern zuwirft."

"Kein Problem. Aber ich fürchte, und das liegt nicht an deiner Intelligenz, daß du mit dem Computeranwendungskram nicht klarkommen wirst, Gloria. Dann müßtest du die technischen Grundlagen kennen."

"Das wollen wir doch mal sehen", erwiderte Gloria und sah trotzig auf Julius.

 

 

Die nächsten Wochen verliefen routiniert. Draco Malfoy hatte eher mit sich und seinem Intimfeind Harry Potter zu tun. Man diskutierte über Sirius Black, die Dementoren, die vor den Schloßtoren wachten, Halloween und das erste Quidditchmatch zwischen Hufflepuff und Gryffindor, das am Samstag nach Halloween ausgetragen werden sollte. Julius las neben den für die Hausaufgaben nötigen Zauberbüchern noch in den zugeschickten Büchern, wobei er den Schwebezauber an einem dicken Buch über Stoffwechselvorgänge ausprobierte. Gloria hatte Julius gefragt, ob sie sich seinen Schachcomputer einmal von innen ansehen könne, um die Grundlagen zu begreifen, wenn von Prozessoren, Adressbussen und Benutzeroberflächen gesprochen wurde. Julius, der den Schachcomputer in Hogwarts sowieso nicht benutzen konnte, erlaubte es. Und siehe da, Gloria Porter fand sich sehr schnell in die Bauteile ein und schaffte es, den kleinen Schachcomputer auch wieder ordentlich zusammenzusetzen und zu verschließen.

Als Kevins irischer Dudelsack loströtete, war Julius im ersten Moment danach, aufzuspringen und dem rotblonden Jungen an die Gurgel zu gehen. Doch dann meinte er:

"Hast recht, Kevin. Ich hhabe heute lange genug gelesen." Dann klappte er das Buch über einem kleinen Lesezeichen zu und verstaute es mit den anderen Büchern in seinem Koffer. Morgen war halloween. Er wollte sich nicht mit zusätzlichem Lernstoff vollstopfen, den er hier sowieso nicht anbringen konnte.

Flitwick kam noch mal in den Gemeinschaftsraum der Ravenclaws und verkündete, daß alle Schüler über der zweiten Klasse, die eine Besuchserlaubnis für Hogsmeade besaßen, morgen früh beim Hauptportal erscheinen sollten. Julius wollte wissen, was es in Hogsmeade so alles gab. Ein Schüler der vierten Klasse schwärmte nur so von den Läden und von "den drei Besen", einem Zauberer-Pub, in dem es das berühmte Butterbier gab.

Da die Erst- und Zweitklässler nicht nach Hogsmeade durften, vertrieben sie sich den nächsten Tag mit Schach, wobei Gloria, Julius und Kevin ein spontanes Turnier improvisierten, bei dem Gloria und Julius ins Finale kamen und mit einer Remis-Partie das Turnier beendeten, was den Schachfiguren nicht gefiel. Der weiße König, dessen Mannschaft Gloria geführt hatte, hielt ihr vor, nicht riskant genug gespielt zu haben, während die schwarze Königin, die von Julius geführt worden war, über eine derartige Kampfesunlust des Spielers klagte, daß sie ihn darum ersuchte, bei der nächsten Partie wieder die weißen Figuren zu spielen. Die geschlagenen Bauern, ein Läufer und ein Turm erhoben ebenfalls Protest gegen diese unvollkommene Spielweise.

"Wofür habe ich mir von diesem vermaledeiten Springer den Kopf beinahe abreißen lassen?" Plärrte ein weißer Bauer, der darum bemüht war, nicht noch mal umzufallen.

Als Gloria ihr Schachspiel wieder fortgepackt hatte - die kleinen Schachmenschen protestierten auch in ihrer Hauskiste -, ging es hinaus zu einer Runde Laufen. Julius mußte sich schwer ranhalten, um nicht von Fredo, Kevin und Gilda im Lauftraining geschlagen zu werden.

"An und für sich möchte ich schon gerne wissen, was da so alles im Wald haust", äußerte sich Kevin, dessen Vorliebe für Monster und andere Zaubergeschöpfe mittlerweile zu einer Leidenschaft geworden war. Julius erwiderte mit künstlicher Beklommenheit in der Stimme:

"Feuerdrachen, Monsterspinnen, Riesenameisen und fleischfressende Riesenraupen, die nie zu Schmetterlingen werden können."

"Jau! Echt?" Stieß Kevin mit vor Begeisterung glühenden Wangen aus und blickte sehnsüchtig zum dunklen Waldrand.

"Im Moment wohl nicht. Die Dementoren dürften alle anständigen Monster verjagt haben", gab Fredo kühl von sich. Kevin zuckte ein wenig zusammen. Daß die Dementoren von Askaban durch den verbotenen Wald streifen konnten, erschreckte ihn mehr, als das gefährlichste Untier, daß die Zaubererwelt vorweisen konnte.

Gloria hatte sich einen Schulbesen Marke Shooting Star ausgeliehen und zirkelte über ihnen durch die Luft, um ihre Manövrierfähigkeit zu üben. Sie schwebte herunter, wobei der Besen schlingerte und fast aus der Bahn geriet. Dann schaffte sie es, ihn punktgenau zwischen Fredo, Kevin und Julius zu landen.

"Bravo!" Rief Kevin und klatschte Beifall. "Und ich dachte schon, du wärst zu schwer für den alten Zahnstocher."

"Ich zu schwer? Manieren hast du für ein Knut", empörte sich Gloria Porter und schüttelte ihre rechte Faust. Sie grinste jedoch sofort danach und stieg von ihrem Besen.

"Lass' ihm doch den Spaß, Gloria. Er will doch nur sagen, daß es ihn freut, daß Besenfliegen bei ihm besser läuft als Schach", gab Fredo eine ungebetene Bemerkung zum besten. Julius lachte, während Kevin Fredo ansprang und einige Sekunden mit ihm rangelte, bevor sich die Jungen mit verdreckten Umhängen wieder voneinander lösten und laut lachten.

Julius sah zum großen See herüber.

"Schade, daß es schon zu kalt zum schwimmen ist."

"Da drin würde ich für zehn Galleonen nicht freiwillig schwimmen", tönte Fredo Gillers. "Da drin gibt's einen riesigen Tintenfisch. Außerdem soll da noch so einiges an Wasserungeheuern hausen, Grindelohs und sonst so'n Zeug."

"In der Geschichte von Hogwarts steht, daß im See eine Meerleute-Siedlung sein soll. Aber die findet man nicht rechtzeitig, bevor einem die Luft ausgeht", teilte Gloria ihren Begleitern mit.

"Super! 'ne echte Meerjungfrau! Habe ich noch nie gesehen", schwärmte Kevin. "Und der Riesentintenfisch ist tatsächlich da drin, Fredo?"

"Den habe ich auf jeden Fall schon gesehen, als ich mit Glenda Honeydrop da gepicknickt habe", sagte Fredo und lief leicht rosa an. Das veranlaßte die anderen zu einem fröhlichen "Ui, Fredo!"

"Ich will diesen Tintenfisch sehen. Kommt wer mit an den See?" Warf Kevin Malone ein. Gloria hatte keine Lust auf MonsterTintenfisch, Fredo hatte den schon gesehen und Julius wußte es nicht so genau. Doch dann meinte er:

"Hmm, hat einer von euch schon mal gesehen, wie Natrium im Wasser explodiert?"

"Natrium? Was ist denn das?" Wollte Fredo wissen, dem das wort "explodiert" einen spontanen Stimmungsumschwung von gelangweilter zu guter Stimmung bereitete.

"Ein chemisches Element, daß mit Wasser reagiert und dabei explosionsartig Wasserstoff freisetzt, der sofort entzündet wird, wenn er mit der Luft zusammenkommt, so heiß wird das Zeug bei der Explosion", gab Julius sein Muggelwissen weiter.

"Aber wenn du das in den See schmeißt wird der Riesentintenfisch vielleicht verscheucht und läßt sich nicht mehr blicken", warf Kevin ein, der Angst um sein Vergnügen hatte.

"Der kommt schon wieder, wenn jemand was essbares in den See wirft", meinte Fredo. Gloria wußte nicht, ob sie jetzt von dieser Sache abraten oder einfach gehen und die Entscheidung den Jungen überlassen sollte. Doch sie interessierte das Experiment, das Julius angeregt hatte. War vielleicht wertvoll für ihre Ausbildung mit Wirkstoffen.

Kevin und Julius kehrten ins Schloß zurück. Julius, um eine Natriumtablette aus seinem Chemiebaukasten zu holen, Kevin um seine Kamera zu holen, mit der er hoffte, interessante Aufnahmen magischer Kreaturen zu machen.

Als sie am Ufer des Sees ankamen, suchten sie erst einmal nach Möglichkeiten, um in Deckung zu gehen. Denn wenn die Natriumtablette im Wasser explodierte, konnte es passieren, daß jemand aufmerksam wurde.

Julius holte die in wasserdichtes Plastik eingewickelte Tablette heraus, die wie eine glänzende Brausetablette wirkte. Gloria wollte sie in die Hand nehmen, doch Julius wies darauf hin, daß Natrium schon bei der geringsten Feuchtigkeit zu reagieren anfangen würde. So nahm er die Natriumtablette mit den Fingerspitzen, holte weit aus und schleuderte sie weit in den See hinaus, wobei sie sich wie ein winziger glitzernder Diskus drehte. Dann traf sie auf die Wasseroberfläche und reagierte zunächst mit wildem Sprudeln, dann, begleitet von einem lauten scharfen Knall und davonspritzendem Wasser, schoß eine kurze Flamme auf, die sofort wieder verlosch. Kevin vermeinte noch einen riesigen Fangarm durch das Wasser peitschen zu sehen. Offenbar hatte der Riesentintenfisch gemeint, es käme was essbares zu ihm. Die Kinder nahmen schnell hinter einem hohen Busch Deckung, keine Sekunde zu früh.

Fünf grünhaarige Köpfe schossen aus dem Wasser und blickten sich um, mit wutverzerrten Gesichtern. Kevin mußte sich schwer beherrschen, nicht mit seiner Kamera auf die erschienenen Wesen zu zielen. Jedes leiseste Geräusch hätte sie verraten können. Einer der Köpfe, der Kopf einer älteren Frau, wandte sich dem Schloß zu und rief etwas in einer fremden Sprache. Kevin vermeinte das Wort "Dumbledore" darin zu erkennen, obgleich es wie ein sehr starker Dialekt klang.

Weitere Köpfe tauchten aus dem Wasser auf und sahen sich um. Die Meerjungfrau schien das Kommando zu haben. Sie dirigierte die anderen so, daß sie sich verteilten und zum Seeufer schwammen.

"Gut, daß wir nicht näher als 20 Meter an den See herangegangen sind", dachte Julius, der mit etwas Beklemmung sah, wie die Wesen das Ufer abschwammen und ihre langen Fischschwänze wütend durch die trüben Fluten peitschen ließen. Nach einer Weile kehrten sie wieder um und schwammen zu der Gestalt zurück, die sie ausgeschickt hatte. Schließlich tauchte ein Kopf nach dem anderen ab und verschwand. Kevin wagte es und schoß zwei fotos in Folge, als die ältere Meerfrau sich ebenfalls wieder unter die Oberfläche sinken ließ.

"Hu! Das war ja heftig", meinte Gloria leise. "Einmal die Explosion und dann die Meerleute."

"Jetzt hast du zumindest eine Meerjungfrau gesehen", sprach Fredo leise in Kevins Richtung. Julius sah immer noch auf den See. Dann sagte er:

"Was für ein Service. Ich bin hergekommen, um echte Zauberer, Geister und Hexenpflanzen zu sehen und dachte, hier auch die schönen Wesen der Sagen und Märchen der Muggel zu sehen. Und dann taucht an Stelle einer Meerjungfrau so'n altes Mütterchen mit Fischschwanz auf."

Die Kinder unterdrückten jedes laute Lachen. Dann warteten sie noch eine Minute, bevor sie sich vorsichtig zum Schloß zurückschlichen. Julius nahm die Plastikfolie, in die die Natriumtablette eingeschweißt war, warf sie in die Luft und wedelte mit dem Zauberstab. Er Konzentrierte sich und schaffte es, die leere Plastikfolie in ein weißes Papiertaschentuch umzuwandeln, wie er es in der letzten Verwandlungsstunde bereits gelernt hatte. Kevin, der nun einmal seine Kamera dabei hatte, peilte damit in Richtung Wald und hielt Ausschau, ob ihm nicht doch ein interessantes Wesen vor die Linse kam. Fredo fragte, ob er denn auf die Entfernung was aufnehmen könnte und erfuhr, daß die Kamera ein magisches Teleobjektiv besaß, mit dem alles, was am Horizont als kleiner Punkt erschien, so groß eingestellt werden konnte, daß es auf das gesamte Bild paßte.

Vor dem Schloß spielten die Hollingsworth-Schwestern das Pyropingpong. Julius hörte fauchende Geräusche und zwischendurch einen kurzen Knall, als würden Feuerwerkskracher explodieren. Julius sah, wie eines der Mädchen aus ihrem Zauberstab einen grünen Feuerball in der Größe eines Tischtennisballes schießen ließ, der sich drehend und taumelnd auf das andere Hollingsworth-Mädchen zufauchte. Dieses hielt den Zauberstab hoch und ließ den Feuerball davon abprallen und zu seiner Schwester zurückfliegen. Doch der Feuerball ging daneben und zerknallte in einem kurzen Funkenregen.

"Entschuldigung! Wie macht ihr das?" Wollte Julius wissen.

"Das ist Pyropingpong. Nicht ganz ungefährlich aber einfach, wenn du den Startzauber kennst", meinte Betty. Sie hob den Zauberstab und zielte auf die leere Fläche neben Julius. Dann murmelte sie etwas, und ein orangeroter Feuerball, so groß wie ein Tischtennisball, fauchte heraus und fiel neben Julius auf den Boden, wo er mit kurzem Knall zerstob.

"Ah, ich kapiere. Jede schießt einen Feuerballl los. Die andere muß ihn mit ihrem Zauberstab zurücklenken, bevor er auf dem Boden landet. Ein Feuerball bleibt solange ganz, solange er von einem Zauberstab zum nächsten fliegen kann", schlußfolgerte Julius.

"Genau!" Sprachen die Zwillinge im Chor.

"Das ist ein Spiel für Geschwister, Julius. Stell dir mal vor, der Feuerball flutscht an deinem Zauberstab vorbei und landet krachend auf deinem Umhang. Das möchte ich nicht erleben", warf Fredo ein. Kevin sagte nur:

"Ich dachte, ihr könnt Quidditch. Da ist doch so ein Feuerballzuwerfen doch voll langweilig."

"Nicht, wenn du auf ein und derselben Stelle stehenbleiben mußt und dich nur drehen oder den Zauberstab anders halten darfst. Ich habe Profi-Spieler gesehen, die schossen sich den Feuerball innerhalb von einer Sekunde fünfmal zu."

"Aus welcher Entfernung?" Fragte Julius.

"Die Regelentfernung von 10 Schritt", erklärte Betty.

Die Bibliothek war an diesem Tag nicht so besucht. Wer lesen wollte, hatte sich die interessanten Bücher schon am Vortag geholt und war in seinem oder ihrem Haus geblieben. An und für sich hatte Julius noch das Kapitel über Methanverbindungen zu lesen. Doch ihm war an diesem Tag nicht nach Büffeln. Die Bibliothek galt aber auch als Treffpunkt der Bewohner aller Häuser, wo sie sich an Tischen niederlassen konnten und, sofern sie leise sprachen, über ihre Erfahrungen und Interessen reden konnten. So konnten sich die beiden Hollingsworth-Schwestern mit den Ravenclaws über das Leben in ihren Häusern auslassen und noch ein paar nützliche Tips für die nächste Zaubertrankstunde austauschen.

Professor McGonagall betrat die Bibliothek und steuerte auf ein Bücherregal zu, wo sie sich ein Buch holte und an einen freien Tisch setzte, um zu lesen. Dann betrat Albus Dumbledore den Lesesaal und steuerte auf den Tisch zu, an dem die sechs Schüler saßen. Schlagartig verstummte die laufende Unterhaltung. Alle blickten den Schulleiter an.

"Hallo, kinder. Kann mir jemand erzählen, ob jemand was von einem Knall im See mitbekommen hat. Ich wurde vorhin darauf aufmerksam gemacht, daß dort etwas explodiert sei."

"Ein Knall im See?" Fragte Julius Andrews unschuldig schauend.

"Ja, etwas wie ein Feuerwerkskörper. Der große Krake war danach völlig verschreckt und konnte nur mit Mühe wieder beruhigt werden."

"Was, ein großer Krake lebt da im see. Kann ich den sehen?" Wollte Kevin wissen.

"In einigen Tagen vielleicht", meinte Dumbledore. "Erst einmal möchte ich wissen, was das gewesen ist. Hat vielleicht jemand einen Filibuster-Feuerwerkskörper in den See geworfen?"

"Nicht, daß ich wüßte", wandte Fredo ein. Julius machte ein fragendes Gesicht und sagte, daß er nicht wisse, was ein solcher Feuerwerkskörper sei.

"Dann hat vielleicht jemand gezaubert. Ihr müßt nämlich wissen daß in dem See jemand wohnt: Meerleute. Vielleicht habt ihr mitbekommen, ob jemand den See besucht hat. Aber wenn nicht, ist in Ordnung", meinte Dumbledore und grinste. Dann verließ er die Bibliothek wieder.

"Was sind denn Filibuster-Feuerwerkskörper?" Wandte sich Julius an Fredo.

"Geniale Dinger. Die zünden sogar im Wasser. Du brauchst die nur mit dem Zauberstab anzutippen. Sie explodieren entweder in bunten Feuerfiguren oder schwirren in bestimmten Figuren durch die Luft. Auf jeden Fall lustige Dinger."

Professor McGonagall legte langsam das umfangreiche Buch auf den Tisch und stand auf, wobei sie die Sechsergruppe genau ansah. Sie wirkte nicht gerade so, als sei sie hocherfreut. Sie kam gemessenen Schrittes an den Tisch, wo die Hollingsworths, Gloria Porter, Fredo Gillers, Kevin Malone und Julius Andrews saßen. Eisiges Schweigen breitete sich aus.

"Ich wurde eben Zeuge Ihrer kurzen Unterredung mit Professor Dumbledore. Als ich hereinkam wirkten Sie so, als wären sie gerade von einem langen Spaziergang wiedergekommen. Außerdem sind Ihre Umhangsäume leicht erdverkrustet, als hätten sie auf unbepflastertem Boden gehockt, Ms. Porter, Mr. Gillers, Mr. Malone und Mr. Andrews. Wie erklären Sie sich diese Unordentlichkeit?"

"Damit daß wir beide uns gerangelt haben", meinte Fredo schnell. Dabei sah er Kevin an. Gloria erzählte nichts. Julius schwieg ebenso.

"Das erklärt vielleicht Ihren Aufzug, Mr. Gillers. Aber von Ms. Porter und Mr. Andrews bin ich derartige Nachlässigkeiten und Ausfallserscheinungen nicht gewohnt. Also, haben Sie vier am See irgendwas mitbekommen? Und an Ihrer Stelle würde ich wahrheitsgemäß antworten."

"Wir waren am See, als es geknallt hat", preschte Julius vor. Gloria sah ihn kurz an, als hielte sie ihn für irrsinnig. Doch dann nickte sie. Fredo und Kevin hielten es nicht für nötig, zuzustimmen. Sie konnten ihre Rauferei als Grund für den Schmutz an ihren Umhängen angeben.

"Gut, und was haben Sie mitbekommen?" Wollte Professor McGonagall weiter wissen.

"Wir hörten einen Knall und sahen eine kurze Stichflamme aus dem Wasser des Sees schießen. Danach tauchten grünhaarige Köpfe auf. Wir hielten es für angebracht, uns zu verstecken, damit wir nicht in Verdacht kamen", erklärte Gloria, die sich per Blickkontakt zu Julius vergewissert hatte, daß sie sprechen sollte.

"Echt, ihr habt die Meerleute gesehen?" Stieß Kevin sehr enthusiastisch aus und fing sich von Professor McGonagall einen sehr tadelnden Blick ein.

"Und sie zogen es vor, solange in Deckung zu hocken, bis die Meerleute wieder untergetaucht waren, ohne sich zu zeigen?"

"Die Meerfrau, die wohl die Anführerin war, rief etwas lautes. Ich konnte sie nicht verstehen, weil ich nicht Meerleutesprache kann", sagte Gloria. Julius wandte ein:

"Was meinen Sie, was das ein Schock für mich war. Da gehen wir an einem See spazieren, und Meerleute tauchen auf. Ich habe doch immer geglaubt, die gibt es nicht wirklich. Da habe ich nur geguckt, wo ich mich verstecken konnte."

"Gut, Ihnen muß ich das zugestehen, daß Sie nicht wußten, daß der See bewohnt ist", erwiderte Professor McGonagall, und in ihrer Stimme lag etwas bedrohliches. Julius mußte sich anstrengen, das in ihm aufkommende Schuldgefühl nicht offen ausbrechen zu lassen.

Was für einen Zauber haben Sie verwendet?" Fragte McGonagall ohne weitere Vorwarnung. Gloria und Julius sagten:

"Wir haben nicht gezaubert."

"Geben Sie mir bitte Ihre Zauberstäbe!" Verlangte die stellvertretende Schulleiterin, und in ihren Worten lag mehr von einem strengen Befehl als von einer höflichen Bitte. Julius und Gloria zogen ihre Zauberstäbe hervor und händigten sie Professor McGonagall aus. Dann ging sie aus dem Lesesaal.

"Kriegen wir die heute noch mal wieder?" Fragte Julius.

"Bestimmt", meinte Gloria und warf den beiden hämisch grinsenden Hauskameraden einen sehr gefährlichen Blick zu, unter dem Fredo förmlich zusammenbrach.

"Sie wird prüfen, was wir als letztes damit angestellt haben."

"Huch, wie geht denn das?" Wollte Julius wissen.

"Es gibt einen Zauber, der heißt Prior Incantato. Er bringt den letzten mit dem Stab bewirkten Zauber noch mal hervor", wußte Gloria, die diverse Zauberkunstbücher gelesen hatte.

"Das heißt, daß das noch mal passiert, was wir beim letzten Mal gezaubert haben. Hoffentlich verwandelt sie nicht aus Versehen etwas wichtiges in ein Papiertaschentuch", grinste Julius, der sich an die letzte Verwandlungsstunde erinnerte, wo sie kleine Untersetzer in Papiertaschentücher umwandeln mußten. Seitdem war nichts mehr mit seinem Stab gezaubert worden.

Nach nur einer Minute kehrte die Verwandlungslehrerin zurück und gab die Zauberstäbe wieder an ihre Besitzer zurück.

"Es ist interessant, Mr. Andrews, daß selbst die Restkraft Ihres letzten Zaubers schon reichte, um eine Komode in ein Papiertischtuch zu verwandeln. Das war wohl der letzte Zauber, den sie bis heute bewirkt haben. Hmm, dann ist etwas nichtmagisches explodiert. Zeigen Sie mir bitte den Inhalt Ihrer Umhangtaschen!"

Julius zögerte etwas. Gloria fragte, was Professor McGonagall suche. Fredo sagte vorlaut:

"Was wohl. Filibusterkracher."

Julius förderte das Papiertaschentuch aus seinem Umhang, das vorhin noch eine Plastikfolie gewesen war. Professor McGonagall sah es an, konnte nichts daran feststellen und meinte:

"Ich habe Ihnen wohl unrecht getan. Ich weiß zwar nicht, wie es am See passiert ist, aber offenbar haben Sie nichts damit zu tun."

Als die Professorin die Bibliothek wieder verlassen hatte, grinsten die vier Ravenclaws. Julius flüsterte:

"Im Grunde darfst du alles machen. Du darfst dich nur nicht erwischen lassen." Gloria schmunzelte.

"Eigentlich war das ja sehr arrogant von dir, deine überragenden Verwandlungsfähigkeiten derartig zu nutzen, wo wir anderen doch noch Probleme damit haben."

"Du doch nicht, Gloria. Oder wer hat in der letzten Verwandlungsstunde die 15 Punkte für Ravenclaw eingefahren, weil das Endprodukt noch mit bunten Blümchen verziert war?" Wollte Kevin wissen. Gloria lief rosa an. Sie sagte nichts mehr dazu.

"Hoffentlich kommt keiner auf die Idee, meinen Chemiebaukasten zu beschlagnahmen", flüsterte Julius Gloria zu. In meiner Anweisung steht nämlich drin, daß ich experimentieren muß. Weiß ich, was mein alter Herr mit mir vorhat."

"War auf jeden Fall eine Interessante Vorführung", flüsterte Gloria zurück. Dann sagte sie laut:

"Wer glaubt ihr, gewinnt nächste Woche das Quidditchmatch?"

"Ist doch eine ausgemachte Sache. Gryffindor natürlich", tönte Kevin. Fredo pflichtete ihm bei.

"Wenn Potter gespielt hat, hat er immer den Schnatz gefangen. Oder glaubst du, Kevin, daß Cedric Diggory schneller ist?"

"Keine Chance", erwiderte Kevin.

"Cedric ist ein sehr guter Sucher und hat eine starke Mannschaft hinter sich. Selbstverständlich gewinnen wier das Spiel", sagte Betty leicht gereizt.

"Außerdem muß Harry Potter nicht immer sofort sehen, wo der Schnatz gerade herumfliegt", wandte Jenna Hollingsworth ein.

"Wollen wir drauf wetten?" Fragte Kevin.

"Auf so sichere Sachen? Nö!" Erwiderten Fredo, Betty und Jenna.

"Dann eben nicht", erwiderte Kevin. Dann fragte er Julius:

"Was hälst du davon? Schießen die Jäger mehr Tore, bevor der Sucher den Schnatz kriegt?"

"Wenn deine Erklärung stimmt, könnte eine Mannschaft in einem Spiel 20 Tore schießen, bevor die Gegenmannschaft den Schnatz fängt, ohne selbst ein Tor geschossen zu haben", meinte Julius. Dann sah er die Hollingsworth-Schwestern an und sagte:

"Ich glaube nicht, daß die Hufflepuffs so gute Jäger haben und einen so tollen Hüter im Torraum stehen haben. Wood von den Gryffindors ist supergut, habe ich mir sagen lassen. Deshalb ist Quidditch ja langweiliger als Fußball."

"Häh? Nicht schon wieder", sagte Kevin. "Das ist das beste Spiel, das es gibt. Langweilig? Du hast ja keine Ahnung! Aber das wird sich ja ändern."

Am Abend kehrten alle Schüler, die in den höheren Klassen waren aus Hogsmeade zurück. Joe Limestone, ein Ravenclaw-Fünftklässler, hatte für einige Leute aus der zweiten Klasse die berühmten Brausetabletten mitgebracht, die jemanden schweben lassen sollten. Julius und Gloria hatten ihre Umhänge gesäubert und sich mit den übrigen Ravenclaws auf den Weg zur großen Halle gemacht. Dies war das erste Halloween, daß Julius außerhalb von Zuhause erlebte. Er dachte daran, wie er sich im letzten Jahr als dunkler Sternenkrieger verkleidet und mit einem Strahlengewehr aus Plastik um Süßigkeiten gestritten hatte. Moira hatte sich als böse Hexe des Westens aus "der Zauberer von Oz" verkleidet. Lester und Malcolm, ebenfalls Mitglieder der berühmt-berüchtigten Bubblegum-Bande, waren als Werwolf und Dracula aufgetreten. Diesmal hatten sie sich nicht verkleidet. Doch das war in einem echten Spukschloß wohl auch nicht nötig.

"Ich habe einer Hexe im Honigtopf gesagt, ich wäre an und für sich ein Muggel, der zufällig in diese Halloween-Landschaft geraten sei", erzählte ein Ravenclaw-Drittklässler. "Ich habe gedacht, sie würde mir umsonst was geben. Doch sie hat nur gelacht und gesagt, daß echte Muggel nicht nach Hogsmeade kommen könnten."

"Wenn du auch "Muggel" sagst", wandte eine Ravenclaw-Fünftklässlerin grinsend ein.

"Natürlich habe ich nicht "Muggel" gesagt, Celine. Ich habe gesagt, ich käme aus London, suchte die Halloween-Party eines Mr. Cricket und hätte mich gewundert, daß soviele Leute sich hier als Zauberer verkleidet hätten."

Die Halloweendekoration war umwerfend. Lebende Fledermäuse flatterten im Saal herum, Kürbisse leuchteten an den Wänden, und die Geister von Hogwarts präsentierten sich in ihrer gruseligsten Kleidung. Das Essen war so üppig und vielfältig, wie am Tag ihrer Einschulung.

"Fehlt jetzt nur noch ein Muggel, der "Streich oder Süßes!" ruft", witzelte Dustin McMillan. Julius griff den Scherz auf und wollte gerade den klassischen Halloween-Ausruf bringen, als Gloria ihm schnell eine halbe Kartoffel in den Mund schob.

"Welchen Streich wolltest du denn spielen, Julius?" Fragte sie wie ein Kindermädchen, daß ihren Zögling gerade noch von einer Untat abgehalten hatte.

"Flitwicks Hut schweben lassen", erwiderte Julius mit vollem Mund.

"Da gibt es bestimmt interessantere Scherze", erwiderte Gloria. Dustin sagte:

"Genau. Wie wäre es, ein Kaninchen aus dem sprechenden Hut zu zaubern?"

"Jaja, Dusty. Deine Materialisationsversuche", ereiferte sich Leonard Pinetree, ein Klassenkamerad von Dustin. "Professor McGonagall war sehr begeistert, daß du statt eines Seiles einen Haufen Drachenmist beschworen hast. Kam voll gut."

"Ha-ha-ha!" Entgegnete Dustin leicht gereizt.

Das Fest verlief so, wie Julius sich ein Fest unter Zauberern und Geistern vorstellte. Zum schluß zeigte der Hausgeist der Gryffindors, wie man ihn vor 500 Jahren zu enthaupten versucht hatte, es nach vierzig Axthieben aufgegeben hatte. Er erntete damit großen Beifall und ehrliches Lachen von allen Schülern. Nach einer langen Rede von Dumbledore über den Zauber von Halloween, kehrten die Ravenclaws in ihr Haus zurück. Gloria und Julius wollten noch eine Partie Schach spielen, während die übrigen Jungen und Mädchen der ersten und zweiten Klasse zu den Schlafsälen hochstiegen.

Es war wohl nicht lange nach dem Fest, als prof. Flitwick in den Gemeinschaftsraum sprang und rief:

"Alle Mann wieder runter in den großen Saal! Sirius Black hat sich ins Schloß geschlichen!"

"Waaas?!" Riefen fast alle Anwesenden.

"Keine überflüssigen Fragen, bitte. Die Vertrauensschüler bitte nach oben und alle aus den Schlafsälen holen!" Befahl er und sah die Vertrauensschüler und -schülerinnen durchdringend an. Sie eilten sofort los. Gloria klappte ihr Schach wieder zusammen, was von den beiden Königspaaren mit großem Protest beantwortet wurde. Dann ging es im Geschwindschritt zurück in die große Halle. Peeves, der Poltergeist, verlegte ihnen einmal den Weg und rief:

"Hach, ich bin der Mörder!" Terrence fauchte ihn an und drohte mit dem blutigen Baron, dem Hausgeist der Slytherins, der als einziger Geist mit Peeves fertig werden konnte. Der Poltergeist streckte Terrence die Zunge armlang heraus und zischte dann wie eine Kanonenkugel davon.

Im Großen Saal trafen alle Bewohner der vier Häuser ein und warteten darauf, was geschehen sollte. Dumbledore ließ die vier großen Tische an die Wand fliegen und sich dort aufrichten. Dann beschwor er mit einer Zauberstabbewegung hunderte von purpurroten Schlafsäcken in den Saal und ordnete an, daß die Vertrauensschüler wachestehen sollten. Percy Weasley, der Schulsprecher, befahl allen, sich zur Ruhe zu legen. Bevor die Lichter gelöscht wurden, erfuhren die Bewohner der übrigen drei Häuser von den Gryffindors, daß ihr Wachposten, eine fette Dame, aus ihrem Gemälde geflüchtet war, als Sirius Black versucht hatte, sich gewaltsam Zutritt zum Gryffindor-Turm zu verschaffen. Danach diskutierten sie noch, wie es Black gelungen sein mochte, an den Dementoren vorbei ins Schloß zu kommen. Leonard Pinetree, der Klassenkamerad von Dustin, vermutete laut, daß Black wohl ins Schloß appariert sein konnte. Andere warfen ein, daß er auch hereingeflogen sein könnte. Hermine Granger von den Gryffindors empörte sich über soviel Unwissen und belehrte sie alle darüber, daß Hogwarts ja durch starke Zauberbanne gegen unbefugtes Betreten gesichert sei und die Dementoren wohl jeden hereinfliegen sehen würden. Als Percy mit befehlsgewohnter Stimme verkündete, daß nun die Lichter gelöscht würden, verstummten die Diskussionen. Julius, der zwischen Kevin, Dustin und Fredo lag, starrte an die verzauberte Decke und versuchte, die Leitsterne der sichtbaren Konstellationen auszumachen. Er erkannte die Wega in der Leier, Antares im Scorpion und die Sterne Beteigeuze und Rigel im Orion. Dann fiel ihm noch Sirius auf, der hellste Stern am nördlichen Nachthimmel und Leitstern des großen Hundes. Als Julius die astronomischen Daten zu diesem Stern in sein Bewußtsein rief, mußte er grinsen. Sirius war doch auch der Name des Massenmörders, dem er diesen ungewöhnlichen Schlafplatz zu verdanken hatte. Irgendwann fielen ihm die Augen zu und er schlief tief und fest.

 

 

Der Einbruch des gesuchten Massenmörders war ein Schock für die Schüler von Hogwarts. Nicht nur daß die Dementoren von Askaban das Schloß und seine Ländereien umstellt hatten, auch daß die starke Abwehrmagie der Schule es nicht vermocht hatte, den gefährlichen Flüchtling abzuhalten. Groß angelegte Suchen blieben erfolglos. Black schien auf dieselbe Weise das Schloß unbehelligt verlassen zu haben, wie er hereingekommen war. Julius erzählte Gloria und Kevin die Geschichte, wie sein Onkel Nicholas vor drei Jahren einen Einbrecher auf frischer Tat ertappt hatte. Seine Familie war danach wochenlang sehr tief erschüttert, zumal sie alle geglaubt hatten, daß die umfangreichen Alarmanlagen jeden Einbrecher hätten abwehren müssen. Dann, so Julius, hätte sich herausgestellt, daß der Einbrecher einen Tipp von Leuten aus der Firma bekommen hätte, die die Alarmsysteme eingebaut hatte.

"Es könnte also möglich sein", setzte Julius zum Schluß an, "daß auch Black jemanden hier im Schloß hatte, der ihm eine kleine Tür geöffnet hat. Aber ich würde keinen verdächtigen."

"Schwierig ist es schon, hier einzudringen", wandte Fredo Gillers ein. "Aber mich interessiert, was der hier eigentlich wollte. Warum ist der zum Gryffindor-Turm gegangen?"

"Betty meint, daß das was mit Harry Potter zu tun haben soll. Es gibt Gerüchte, die fliegen herum wie ein Schwarm Hornissen", gab Gloria zur Antwort.

"Durfte der deshalb nicht mit nach Hogsmeade?" Fragte Kevin, der von einem Gryffindor gehört hatte, daß Harry der einzige Junge der dritten Klasse war, der nicht in das Zaubererdorf gehen durfte.

"Nein, seine Verwandten haben ihm nicht die schriftliche Erlaubnis dazu gegeben", wußte Gloria es besser. "Betty hat das von einem Jungen aus der dritten Klasse, der das bei Kräuterkunde aufgeschnappt hat. Ich denke, das ist schrecklich, wenn man bei völlig ablehnenden Muggeln lebt, wenn die eigenen Eltern gestorben sind."

"Oha! Diese Erlaubnis werde ich dann auch haben müssen. Ich glaube, ich stell mich schon einmal darauf ein, mit meinen Eltern zu handeln, um sie zu kriegen."

"Ich würde denen sagen, daß sie entweder ja oder nein sagen sollen. Das bringt nichts, irgendwelche Verträge zu schließen. Du kannst deine Eltern ja nicht dafür drankriegen, wenn sie sich nicht daran halten", wandte Kevin ein.

"Das stimmt", pflichtete Fredo Gillers bei.

Gilda Fletcher kletterte durch das Portraitloch, sah sich im Gemeinschaftsraum um und wandte sich dann an Julius Andrews. Dieser stand von seinem Stuhl auf und sah sie fragend an.

"Eine Miss Flowers will mit dir reden, Julius. Sie wartet in Flitwicks Büro auf dich."

"Ach du meine Güte. Wenn die mich sehen will, hat mein alter Herr wieder was nicht machen wollen, was für meine Ausbildung hier wichtig ist. Aber gut, Gilda. Danke!"

Julius verließ das Haus Ravenclaw und eilte durch das Schloß zum Büro seines Hauslehrers. Dort saß der kleinwüchsige Professor Flitwick über einem Stapel Hausaufgaben, während die Außendienstmitarbeiterin Cynthia Flowers an einer Wand lehnte und lässig einen Schokofrosch aß.

"Entschuldigung, Miss Flowers", flüsterte Julius, der dachte,Professor Flitwick nicht bei der Durchsicht der Hausaufgaben stören zu dürfen. Cynthia nickte und verließ mit ihm das Büro des Zauberkunstlehrers. In einem leeren Klassenraum holte sie einen Umschlag aus der Tasche ihres Nichtmagierkostüms und legte ihn Julius hin.

"So, jetzt ist alles klar. Lies dir das hier durch und unterschreibe dann auf dem Vergleichsdokument!"

Julius nahm die Pergamentseiten und las, daß seine Eltern unter dem Vorbehalt, daß sein Jahresabschlußzeugnis mit einem Notendurchschnitt von mindestens 2,0 ausfallen sollte, die Finanzierung des nächsten Schuljahres per Goldkauf und -verkauf über Gringotts geregelt werden sollte. Außerdem erhalte er ein Taschengeld von 3 Galleonen in Monat, die er vor Schuljahresbeginn bei Gringotts abholen könne. Seine Eltern hätten bereits ein Verlies dort einrichten lassen, um für zwei Jahre Taschengeld zu deponieren. Bei der Abholung sollte er eine Quittung unterschreiben, die seinen Eltern zugeschickt würde. Daneben lag noch ein Computerausdruck, der von seinen Eltern unterschrieben war. Darauf las er, daß seine Eltern jede sportliche Betätigung guthießen, die von der Schule angeboten würde.

"Das war das härteste Stück Arbeit", meinte Cynthia, als sie sah, wie Julius das Schreiben studierte.

"Ich kann mir denken, wo der Haken war. Meine Eltern haben Angst, daß die gute Krankenversicherung nicht zahlen würde, wenn mir was passiert. Wer würde auch schon glauben, daß ich vielleicht von einem Besen gefallen sei."

"Ich konnte ihm verbindlich versichern, daß unsere Schulkrankenschwester im Preis enthalten sei und bisher noch jeden in kürzester Zeit wieder in ordnung gebracht hätte. Aber das dauerte. Ich mußte damit argumentieren, daß du durch ein Verbot in allen sozialen Belangen zurückgestellt würdest und dies schädlich für deine Ausbildung auch in den von deinen Eltern erbetenen Wissenschaften sei. Außerdem wurde es Nacht und ich konnte die Diskussion damit zu ende bringen, daß ich androhte, bei ihnen zu übernachten."

"Und das hat gezogen?" Wollte Julius wissen.

"Mmmhmm! Deine Eltern haben nicht gerne Hexenbesuch. Alles in allem kannst du nun mit voller Zustimmung deiner Eltern an allen Schul- und Freizeitaktivitäten teilnehmen, die in deiner Klasse angeboten und zugelassen sind. Madame Hooch war darüber sehr erfreut. Jetzt unterschreib noch das Vergleichsblatt für Gringotts, damit die Kobolde dir das Geld aushändigen können, daß du für die Schulsachen und dein Taschengeld benötigst!"

Julius fand das Formblatt und unterschrieb in der Spalte, die für den späteren Vergleich der Unterschriften vorgesehen war. Dann gab er Cynthia die Papiere und Pergamente zurück und bedankte sich für ihre Vermittlungsarbeit. Sie meinte dazu nur:

"Das ist mein Job. Dafür arbeite ich hier. Du bist dieses Jahr einer von vier Kindern aus Nichtzaubererfamilien. Doch ich muß es leider sagen, daß deine Eltern mit Abstand die schwierigsten waren, die mir unterkamen, seitdem ich hier arbeite."

Julius nahm diese Meinung zur Kenntnis und verließ das leere Klassenzimmer wieder.

Die Woche zwischen Halloween und dem ersten Quidditchmatch war an und für sich routine. Die einzige Ausnahme war, daß Snape den Unterricht in Verteidigung gegen die dunklen Künste für den Kranken Professor Lupin abhielt. Snape wirkte so, als müsse er nachholen, was sein Kollege Lupin versäumt hatte. Zielgenau suchte er sich Julius Andrews aus, wenn er Fragen stellte. Offenbar lag ihm etwas daran, zu beweisen, daß der Muggelgeborene nicht überall so gut wie in Snapes Zaubertrankstunden sein konnte. Doch Julius konnte die meisten Fragen beantworten. Als er gefragt wurde, was er über Werwölfe wisse, ratterte er herunter:

"Werwölfe oder Lykanthropen sind Menschen, die darunter leiden, daß sie in den Vollmondnächten vom Menschen zum Wolf werden, der dann eine Gefahr für alle Menschen seiner Umgebung ist. Die Krankheit überträgt sich durch den Biß eines Werwolfs in Wolfsgestalt und wirkt dann auf den Infizierten. Angeblich soll Silber das einzige Mittel sein, das Werwölfe töten kann."

"Dieses Wissen ist noch nicht ganz vollständig", erwiderte Snape, der nicht wußte, wie er Julius nun bloßstellen sollte, da das meiste, was er gesagt hatte, im Buch über die dunklen Künste drinstand. "Das mit dem Silber ist zwar das Mittel aber nicht einfach so. Die Muggel wissen das natürlich nicht, zumal sie selbst keine echten Werwölfe mehr zu sehen bekamen, seit wann?"

"Keine Ahnung", mußte Julius zugeben. Snape hatte ihn diesmal erwischt.

"Dann bessern Sie Ihr Wissen auf, Andrews. Es könnte sich für Sie und auch für alle anderen als lebensrettend erweisen, wenn Sie über Werwölfe so viel wie möglich wissen. Und um Ihnen dazu einen Anreiz zu geben, schreiben Sie mir bis zur nächsten Stunde einen Aufsatz über Werwölfe, woran man sie erkennen kann und wie sie zu töten sind. Und Andrews: Für diese Unverfrorenheit, mir Muggelwissen als verbindliches Wissen zu verkaufen ziehe ich Ravenclaw fünf Punkte ab."

"Den hat wohl selbst einmal ein Werwolf gebissen", zischte Kevin, nachdem sie aus dem Unterricht gekommen waren.

"Ich habe bis jetzt immer geglaubt, Werwölfe existierten nur im Horrorroman. Da können die mit Silbergeschossen getötet werden", meinte Julius, der sich von dem Punktabzug ablenken wollte.

"Ja, weil in der Astrologie Silber das Metall des Mondes ist und die Kraft des Vollmondes die Werwandlung bewirkt. Allerdings kommen da noch andere Sachen hinzu, um Werwölfe töten zu können. So muß Silber, daß so verwendet wird mit besonderen Mineralien wie Mondstein und Schattenquarz zusammen in einem Ofen geschmolzen werden, der nur mit Holz oder Holzkohle von Buchen beheizt werden darf. Die Muggel wußten das nicht alles. Das führte nicht nur zu Unfällen mit Werwölfen, sondern auch zu der immer größer werdenden Abneigung gegen magische Geschöpfe und eine immer heftigere Verbreitung von falschen Angaben zur Verwendung von Zaubern, die Muggel sowieso nicht hätten anwenden können. Echte Zauberer und Hexen haben damals versucht, diese Irrtümer zu korrigieren. Das Ergebnis war die große Hexenverfolgung im ausgehenden Mittelalter", erläuterte Gloria Porter.

"Achso. Steht das im Geschichtsbuch der Zauberei?" Wollte Julius wissen.

"Nicht im Schulbuch selbst. Es steht in einem dicken Wälzer, "Katastrophen und Mißverständnisse bei Zauberer-Muggel-Kontakten"" von Eleonore York. Kann ich nur empfehlen. Bestimmt kommst du dann auch endlich dahinter, daß unsere Geschichte auch für heutige Zeiten wichtig ist."

"Ich lese außer den Sachen, die ich unbedingt lesen muß nur Sachen, mit denen ich praktisch was machen kann, Gloria. Das solltest du mittlerweile wissen", Gab Julius genervt zur Antwort.

"Wieso hat er uns eigentlich über Werwölfe ausgefragt? Will Snape damit andeuten, daß er uns demnächst mit einem echten Werwolf konfrontieren will? Immerhin haben wir ja im Moment Vollmond", bemerkte Julius nach einer halben Minute des Schweigens.

"Vielleicht wollte Snape dir nur vorhalten, wie unvollkommen deine Wissensgrundlagen sind. Da er das bei den Zaubertränken nicht mehr so einfach schafft, war das natürlich die Gelegenheit", erkannte Gloria.

"Würde mich nicht wundern, wenn er allen, denen er diese Woche noch Verteidigung gegen die dunklen Künste gibt, mit Werwölfen kommt", meinte Kevin Malone, der noch darüber pickiert war, daß Snape Lupin vertreten hatte. Denn er hatte im Rahmen des Programms "Schildere die dunklen Wesen deiner Heimat" einen ausführlichen Artiekel über Todesfeen verfaßt, mit historischen Daten.

"Jetzt muß ich diesen verdammten Werwolfaufsatz schreiben. Hoffentlich ist Lupin nächste woche wieder gesund", fluchte Kevin noch.

 

 

In der Woche von Halloween bis zum ersten Quidditchmatch verschlechterte sich das Wetter zusehens. Es stürmte heftig und peitschte große Mengen Regen gegen die großen Fenster des Schlosses. Außer in den Kerkern, wo unter anderem Zaubertränke bei Snape stattfanden, war nirgendwo in Hogwarts Ruhe vor dem Sturm. Julius fragte sich, wie man bei diesem Wetter überhaupt ein Spiel austragen sollte. Er unterhielt sich mit Kevin Malone darüber.

"Ich habe in einem Buch über berühmte Spiele gelesen, daß ein Spiel 1823 bei einem Orkan stattgefunden hat. Die Belfast Bumblebees haben gegen die Dublin Daggers 530 zu 390 gewonnen. Das Spiel dauerte einen halben Tag. Die Spieler mußten danach alle von den Ärzten versorgt werden. Die sagen ein Quidditchspiel nicht ab, nur weil es stürmt."

"Oha! Fußball würde bei Sturm schon nicht mehr gespielt", stellte Julius fest. Kevin grinste darüber nur. Offenbar empfand er diese Antwort als Bestätigung dafür, daß Quidditch eben doch besser und härter war als der Muggelsport.

"Vielleicht kriegen wir bis zum Samstag ja noch besseres Wetter", hoffte der Sohn eines Forschungsdirektors.

"Im November ist das nie so sicher", warf Kevin ein.

 

 

Das Wetter änderte sich nicht. Bei schwerem Sturm und Regen fanden sich am Samstag nach Halloween die Schülerinnen und Schüler von Hogwarts auf den Tribünen des Quidditchfeldes ein. Sie hatten ihre Umhänge über die Köpfe gezogen, um so etwas weniger durchnäßt zu werden. Julius, der von Zuhause einen Regenschirm mitgenommen hatte, schaffte es, Gloria und Gilda darunter zu bringen, als sie sich in einer der mittleren Reihen niederließen. Sie sahen die Hufflepuff-fahnen mit dem Dachs auf kanariengelbem Hintergrund und die roten Fahnen mit dem Löwen, das Zeichen der Gryffindors.

"Prrr! Das ist doch kein Wetter!" Schimpfte ein Mädchen hinter Julius. Er drehte sich um und sah Betty Hollingsworth, die mit ihrer Schwester und vier anderen Hufflepuffs versuchte, unter einem großen Regenschirm mit zwei Griffen zu bleiben.

"Sei froh, daß du nicht fliegen mußt!" Trällerte Kevin Malone, der mit Fredo Gillers und Eric Bosetzky in der selben Reihe mit den Hollingsworth-Schwestern saß. Dann meinte er zu Julius:

"Heute erlebst du endlich anständigen Sport, Julius."

"Das werden wir sehen!" Rief Julius zurück.

Als Madame Hooch, die Schiedsrichterin, auf den Startplatz trat, riefen die Hufflepuffs laut "Diggory!" Die Gryffindors riefen "Wood!" Aus den Reihen, in denen hauptsächlich Slytherins saßen, kamen Buhrufe, als die Gryffindor-Mannschaft auftrat. Julius fielen vor allem die rothaarigen Weasley-Zwillinge und der schwarzhaarige Harry Potter auf, der bemüht war, durch seine Brille noch etwas zu erkennen, so stark regnete es.

Auf die Aufforderung Madame Hoochs hin schüttelten sich die beiden Mannschaftskapitäne die Hände. Dann bestiegen die Mannschaften die Besen. Ein Pfiff der Schiedsrichterin, und los ging's.

Julius mußte bereits in den ersten Minuten anerkennen, daß er sich gründlich geirrt hatte. Sicher, im Sturm konnten die Mannschaften nicht so gut manövrieren, um wahre Kunstflüge zu zeigen. Doch langweilig war das Spiel wirklich nicht. Er sah, wie die Weasleys mit ihren Schlägern die aggressiven schwarzen Bälle, die Klatscher, immer wieder von ihrer eigenen Mannschaft weghauen mußten, damit sie nicht die Jägerinnen der Gryffindors von den Besen hieben. Alicia Spinnet erzielte das erste Tor für Gryffindor. Der Stadionsprecher Lee Jordan jubelte, als der große rote Ball durch den mittleren Torring schwirrte. Julius sah nach oben und entdeckte die beiden Sucher, Harry Potter in seinem roten Umhang und den Sucher der Hufflepuffs, der bemüht war, sich auf dem Besen zu halten.

"Potter kann nichts sehen", stellte Gloria fest. "Die Brille von dem muß doch total beschlagen sein."

"Au, das hätte den Typen von den Hufflepuffs gerade fast vom Besen gehauen", bemerkte Julius, als einer der Klatscher mit mörderischer Geschwindigkeit auf einen der Jäger der Hufflepuffs zuschoß. Diesem blieb dabei nur die Möglichkeit, den Quaffel loszulassen und sich mit einer Seitwärtsrolle aus der Flugbahn des schwarzen Balls zu retten. So gelangte der rote Spielball wieder in Gryffindor-Besitz und landete keine Minute später im Tor von Hufflepuff.

Als die ersten Gewitterblitze zuckten, führte Gryffindor mit 50 Punkten Vorsprung vor Hufflepuff. Das Spiel war trotz des Sturmes und des aufgezogenen Gewitters nicht unterbrochen worden. Zwischendurch streiften Spieler der einen oder anderen Mannschaft den schlammigen Boden mit den Schweifen ihrer Rennbesen. Dann winkte Wood der Schiedsrichterin. Diese Pfiff laut. Alle Spieler landeten. Wood mußte nach oben, um Harry Potter herunterzuwinken.

"Wenn die den Schnatz nicht bald kriegen, fällt einer noch vom Besen, ohne bedrängt zu werden", meinte Gloria, als die Mannschaften vollzählig auf dem Boden waren.

"Ich stelle fest, daß wir mit unseren Fußball-Stars echte Weicheier gekauft haben", meinte Julius. Gilda fragte:

"Wieso, spielen die nur bei Sonnenschein?"

"Bei manchen habe ich den Eindruck, daß die das im Vertrag stehen haben", erwiderte Julius Andrews grinsend und sah, wie Hermine Granger, das braunhaarige Gryffindor-Mädchen, daß angeblich alle Bücher der Bibliothek auslesen wollte, mit ihrem Zauberstab an Harrys Brille tippte und sie ihm wieder zurückgab.

"Hups! Natürlich, der Abweisungszauber. Jetzt sollte Harry besser sehen können", bemerkte Gloria, die bereits einige Zaubersprüche kannte, die noch nicht im Zauberkunstunterricht drangekommen waren.

"Was? Achso, einen Wasserabweisungszauber", verstand Julius.

Als die Spieler wieder in der Luft waren, tobte der Sturm immer heftiger. Donnergrollen rollte nach jedem grellen Blitz über das Stadion hinweg. Julius wußte nicht, wie es die Mannschaften überhaupt schafften, sich so zu halten, geschweige denn überhaupt noch Punkte zu erzielen. Er sah abwechselnd zu den Jägern der beiden Mannschaften, die versuchten, sich den großen roten Quaffel abzujagen und zu den Suchern, die über dem Spielgeschehen kreisten und Ausschau nach einem kleinen goldenen Ball mit vier Flügeln hielten. In einem grellen Blitz sah Julius den gesuchten Schnatz aufblinken. Diggory, der Sucher von Hufflepuff, mußte ihn in diesem Moment auch erkannt haben, während Potter noch in einer Richtung weiterflog.

"Ja, Cedric!" Riefen die Hollingsworth-Schwestern über das Brausen des Sturmes hinweg. Sie klatschten bereits in die Hände, als Harry seinen Nimbus 2000 herumriß und in höllischem Tempo auf den Schnatz zuraste.

"Seltsam", hörte Julius Gloria sagen. "Mein Stimmungsfarbring verdunkelt sich."

Julius riskierte es, kurz auf den Zauberring zu sehen, den Gloria an ihrer linken Hand trug. Zu beginn des Spiels hatte er eine weißgoldene Färbung gezeigt, was für gespannte Erwartung sprach. Jetzt wurde er immer dunkler, von orangerot zu dunkelrot.

"Ich denke, der zeigt deine Stimmung an", meinte Julius.

"Ich fühle mich auch nicht so schlecht. Aber ..."

Unvermittelt hielten alle Stadionbesucher den Mund. Denn mit einem Mal wurde es kälter. Hunderte vermummter Gestalten traten auf das Quidditchfeld und sahen nach oben: Dementoren!

Keiner sagte etwas. Die Spieler reagierten nicht sofort auf die unheimlichen Wesen, sondern setzten ihre Partie fort. Harry Potter und Cedric Diggory rasten immer noch auf den Schnatz zu, als Harry immer unkontrollierter flog. Es schien, als sei er von einem Betäubungsgas eingenebelt worden, dachte Julius. Denn der Sucher der Gryffindors machte einen immer abwesenderen Eindruck, und dann verlor er die Kontrolle über sich und den Besen. Mit schreckgeweiteten augen sahen die Stadionbesucher, wie der schwarzhaarige Junge mit den hellgrünen Augen und der Blitznarbe auf der Stirn von seinem Nimbus herunterglitt und abstürzte. Julius sah Dumbledore, der mit wutgerötetem Gesicht von einem Logensitz aufsprang, seinen Zauberstab schwang und etwas in den Sturm hinausrief. Der Fall Harrys wurde zwar gebremst, doch zu spät, um ihn noch weich landen zu lassen. Mit dumpfen Schlag prallte sein Körper auf den schlammigen Boden und blieb reglos liegen. Dumbledore drehte sich den Dementoren entgegen und schrie eine für alle unhörbare Zauberformel hinaus. Silberne Lichtbündel schossen aus dem Zauberstab und rasten auf die Dementoren zu. Die Horrorgestalten aus Askaban verharrten in ihren Bewegungen und wichen zurück. Sie verließen merkwürdig gleitend das Stadion und zogen sich zurück. Die Kälte und Antriebslosigkeit wich von den Zuschauern. Dumbledore eilte auf das Spielfeld, beschwor eine Trage herauf, auf die Harrys bewußtloser Körper gehoben wurde. Dann eilte er, die Trage neben sich schwebend, zum Schloß hinauf.

Die Spieler, die noch in der Luft waren, hatten davon nicht viel mitbekommen. Denn gerade versuchte eine Jägerin der Gryffindors, sich den roten Quaffel zu ergattern, während Cedric, der immer noch dem Schnatz nachjagte, gerade um einen der Torringe herumzirkelte und dabei den kleinen goldenen Ball zu fassen bekam. Triumphierend hielt er ihn hoch. Ein langer Pfiff von Madame Hooch beendete das Match. Verhaltener Jubel bei den Hufflepuffs brach aus. Viele schwiegen, weil sie das Spiel nicht für fair hielten, wenn ein Spieler aus unerfindlichen Gründen abstürzte. Cedrics freudestrahlendes Gesicht wurde bleich, als ihm ein Zuschauer sagte, daß Potter abgestürzt war. Er flog mit dem Schnatz zu Madame Hooch, wild gestikulierend. Madame Hooch schüttelte den Kopf, nachdem sie die Professoren McGonagall und Sprout angesehen hatte.

"Cedric will den Sieg für ungültig erklären lassen", vermutete Julius, der sowas schon mal bei einem Schulfußballspiel gesehen hatte, bei dem ein Torhüter unglücklich von einem Ball getroffen worden war.

"Du siehst es doch. Die Leute da wollen das nicht. McGonagall sieht ein, daß Hufflepuff gewonnen hat. Aber wieso kamen diese Dementoren ausgerechnet jetzt ins Stadion?" Erwiderte Gloria.

"Auf jeden Fall haben sie Harry Potter zum Absturz gebracht. Der Junge scheint von ihnen heftiger betroffen zu sein, als wir", bemerkte Gilda Fletcher. Die Hollingsworth-Schwestern murmelten nur unverständliche Worte, die zwischen Begeisterung und Unbehagen lagen.

"Den Sturz kann der nicht überlebt haben", wandte Julius sehr betroffen klingend ein.

"Doch, Julius. Er hat sich noch kurz bewegt, als Dumbledore ihn auf die Trage gezaubert hat. Madame Pomfrey soll eine gute Krankenschwester sein. Die kann selbst schwere Knochenbrüche in Minuten heilen", wandte Gloria ein.

"Dann weiß ich nicht, wieso dieser Kronprinz Draco Malfoy sich so anstellt. Wohl zu faul zum arbeiten", gab Kevin trocken zurück.

"Das Spiel endete 160 zu 60 für Hufflepuff. Kapitän Diggory wollte zwar das Spielergebnis für ungültig erklären lassen, da der Sucher der Gryffindors abstürzte, doch das widerspricht den Regeln.Professor Dumbledore läßt Ihnen allen mitteilen, daß Madame Pomfrey Harry Potter bereits vor schlimmerem bewahrt hat und er innerhalb weniger Tage wieder am Unterricht teilnehmen wird. Was den Aufmarsch der Wachen von Askaban angeht, so muß noch geklärt werden, weshalb sie gegen Professor Dumbledores Anordnung das Schulgelände betreten haben. Bitte kehren Sie alle in Ihre Häuser zurück!" Verkündete Professor McGonagall, die sich von Lee Jordan das magische Megaphon genommen hatte.

"Kommt, leute! Die Schau ist vorbei", fügte Kevin Malone der Abschlußankündigung der Verwandlungslehrerin hinzu.

"Was macht ihr jetzt?" Fragte Julius Betty Hollingsworth.

"Wir freuen uns über den Sieg, aber feiern ihn nicht. So kann man doch nicht gewinnen", sagte sie.

Als die Zuschauer wieder in ihre Häuser zurückgekehrt waren, trat Cho, die Sucherin der Ravenclaws an Julius heran und lächelte.

"Na, findest du Quidditch immer noch langweilig?" Wollte sie wissen. Julius schüttelte entschieden den Kopf und sagte:

"Habe ich das behauptet? Hmm, muß wohl in einem anderen Leben gewesen sein."

"Das ist ja wunderbar. Übrigens in zwei Wochen spielen wir gegen die Hufflepuffs. Du wirst mich doch anfeuern, oder?"

"Wenn mir bis dahin nichts zustößt", erwiderte Julius frech und grinste gemein.

Am Abend schrieb Julius einen Brief an Aurora Dawn und berichtete vom Match.

 

Hallo, Ms. Dawn!

Heute habe ich das erste richtige Quidditchmatch sehen dürfen. Es hat gestürmt wie die Hölle, und ich dachte erst, daß das Spiel abgebrochen werden würde. Die Spielzüge waren toll. Immer wieder versuchten die Jäger der einen oder anderen Seite, den Quaffel durch das Tor der anderen zu schießen, ohne dabei von diesen schwarzen Klatschern vom Besen gehauen zu werden. Auf jeden Fall war es spannender als ein Fußballspiel.

Leider ist der Sucher der Gryffindors bei seinem Versuch, den Schnatz zu kriegen, abgestürzt. Warum das so ist, wissen wir nicht. Ihm geht's aber soweit gut, daß er bald wieder in die Schule kommen kann. Kurz nach dem Absturz hat der Sucher der Hufflepuffs den Schnatz gefangen. Hufflepuff gewann gegen Gryffindor mit 160 zu 60 Punkten.

Ich nehme das alles zurück, was ich über Quidditch gesagt habe. Das war ja doch nicht so ernst gemeint. In zwei Wochen spielen wir gegen Hufflepuff.

Ich hoffe Ihnen geht es gut.

viele Grüße

Julius Andrews

 

Julius hatte es nicht gewagt, von den Dementoren zu schreiben. Er wußte nicht, ob der Brief nicht von ihnen gelesen würde, bevor er Aurora Dawn erreichte. Er wollte bloß keinen Ärger mit diesen Wesen kriegen.

Am nächsten Tag lieh er sich einen Steinkauz der Schule aus, um den Brief zu befördern. Als er die Eulerei wieder verließ, traf er Hermine Granger, die ebenfalls einen Brief verschicken wollte.

"Hallo, Julius", begrüßte die Drittklässlerin mit dem ungewöhnlichen Lerneifer den neuen Schüler. Dieser erwiderte den Gruß und fragte:

"Wie geht's Harry, eurem Sucher?"

"Dem geht's soweit wieder gut, körperlich. Aber wir wissen nicht, was ihn hat abstürzen lassen. Diese verdammten Dementoren", erwiderte Hermine Granger und mußte sich sehr beherrschen, nicht zu weinen.

"Was sagt denn euere Hauslehrerin? Wweiß sie, wie das möglich ist, daß diese Monster ihn zum Absturz bringen konnten?"

"Also, ich will ihr nichts unterstellen. Aber ich denke, sie würde es uns nicht sagen, wenn sie es wüßte, damit wir nicht in Panik geraten. Ich selbst denke, daß sie irgendwie auf ihn besonders heftig wirken. Lupin hat sowas angedeutet, daß sie Glücksgefühle aussaugen."

"Das habe ich auch gehört. Ein paar Klassenkameraden von mir haben sich von ihren Verwandten von den Dementoren erzählen lassen. Ich habe auch schon in der Bibliothek gesucht, ob's was über sie gibt. Aber ich fand nichts."

"Ich habe auch schon gesucht. Als Harry im Zug hierher Probleme hatte, habe ich sofort alles über sie gesucht. Aber in der erlaubten Abteilung gibt es nichts", erwiderte Hermine Granger.

"Ja, und in die verbotene Abteilung lassen sie keinen rein. Kevin und ich haben das mal versucht. Die Tante von der Bibliothek hat uns sehr schnell erwischt und weggescheucht."

"Du brauchst eine Erlaubnis von einem Lehrer, aber nur dann, wenn du auch weißt, welches Buch du lesen willst."

"Diese Madame Pince hat mich doch schon komisch angeguckt, als ich mir das Buch "Interaktionen der magischen Energie" von Clyde Partridge ausgeliehen habe."

"Dieses Buch über Magie und Alttagsphysik? Warum liest du denn sowas schon?"

"Weil mich interessiert, warum ich Muggelkind mit Magie durch die Gegend schieße, als wenn meine Eltern die absoluten Megazauberer wären."

"Hast du das Buch schon wieder zurückgebracht?" Wollte Hermine wissen.

"Ich bin gestern erst damit durchgekommen. Wenn du es lesen willst, ich bring's morgen wieder zurück."

"Vielleicht lese ich den noch, wenn ich mit "Angewandte Arithmantik" von Caroline Sinus durchbin. Könnte eine interessante Ergänzungslektüre sein."

"Arithmantik? Ist das interessant?"

"Eines der logischsten Fächer, die ich habe. Professor Vector ist eine sehr gute Lehrerin. Anders als diese Nebelhexe Trelawney, die Wahrsagen gibt."

"Also, daß dieses Fach hier unterrichtet wird, muß ich ja hinnehmen. Aber trotz allem, was ich bis jetzt erlebt habe, ist das wirklich Humbug. Wenn ich heute weiß, daß ich morgen einen Unfall haben werde, gucke ich doch, daß ich ihn verhindern kann. Also tritt er nicht ein, und er kann nicht vorhergesagt werden. Oder was glaubst du?"

"Der Meinung bin ich mittlerweile auch. Ich muß sogar feststellen, daß diese Professor Trelawney soviel Hokuspokus veranstaltet, wie eine Muggelwahrsagerin auf einem Jahrmarkt. Hängt bestimmt auch viel Beobachtungsgabe dran."

"So wie bei Sherlock Holmes", wandte Julius ein. "Der konnte auch allen ansehen, was sie gerade gemacht haben. Paps sagt, daß die meisten Wahrsager so arbeiten. Andere machen Aussagen, die nicht eindeutig rüberkommen und so wahrscheinlich sind, wie das Wissen, daß jemand morgens aufsteht"

Julius lächelte, als Hermine darüber lachte. Er hatte geglaubt, sich mit der älteren Schülerin nicht so intelligent unterhalten zu können, wie sie es wohl gewohnt war. Dann sagte sie:

"Gut, ich muß jetzt meinen Brief losschicken. Schade, daß ich keine eigene Eule habe. Dafür habe ich jetzt einen großen Kater, Krummbein."

"Wenn ich mit irgendeinem Tier zu Hause ankäme, flippten meine Eltern vollkommen aus. Die können keine Vögel ab, keine Hunde und keine Katzen."

"Ja, aber Eulen sind doch praktisch!" Meinte Hermine überzeugt.

"Für uns. Aber mein Vater sah ziemlich bedröppelt aus, als die Bestätigung von Hogwarts per Waldkauz kam, daß ich mich mit jemandem treffen sollte, um meine Sachen zu kaufen. Vielleicht sieht man sich in der Bibliothek!"

"Kann sein", lächelte Hermine zurück und zeigte ohne Unbehagen ihre vorstehenden Zähne. Julius machte sich auf den Weg zurück nach Ravenclaw.

Als er das Gemälde mit Bruce und Maggy erreichte, sah er, wie sich der Kuhhirte mit drei Hexen aus anderen Bildern unterhielt. Er hörte, daß es um die Dementoren ging.

"Diese Ungeheuer bringen uns völlig durcheinander. Und dann noch dieser Black. Cadogan ist doch lebensmüde, wenn er Gryffindor bewacht", meinte eine schwarzhaarige Hexe, die von einem Gemälde gekommen war, auf dem ein Zaubererflohmarkt dargestellt war und das laut Betty auf dem Weg nach Hufflepuff hing.

"Mir sind die doch schnuppe", meinte Bruce und zog an seinem leicht verrutschten Hut. "Das dumme ist nur, daß meine Maggy ausreißt, wenn sie von einem Dementor auch nur schief angeguckt wird. Ich habe keine Lust, immer durch die ganze Galerie zu rennen. Mußte mich schon einmal beim Schulleiter von 1835 entschuldigen, weil sie ihn aus seinem Schaukelstuhl geschmissen hat, als ich dieses Gewitter hier hatte."

"Mare Tranquillitatis!" Gab Julius das Passwort durch. Maggy quittierte seine Einmischung mit einem verärgerten Muhen.

"Mann, siehst du nicht, daß ich mich hier gerade unterhalte. Habt ihr keinen Respekt vor unsereinem?" Blaffte Bruce den Jungen an. Und zu seinem Verdruß schoß auch noch eine junge Hexe in blauem Ravenclaw-Umhang von rechts oben her ins Bild und schwang sich über Maggy in eine andere Flugrichtung, wobei ihre langen schwarzen Haare im Fahrtwind wehten.

"Ich habe dich gesucht, Julius. Bei deiner kleinen Rowena-Kopie war ich schon. Sie war nicht besonders begeistert, weil ihr Bild zu klein für mich war. Ich habe gehört, daß du dir das erste Quidditchmatch angesehen hast. Findest du es immer noch langweilig?"

"Nur, wenn sich gemalte Spieler messen. In echt ist das spannender als alles andere, Aurora", meinte Julius. Maggy, die sich mit der über ihr herumschwirrenden Junghexe nicht abfinden konnte, brüllte laut, schwang herum und rannte aus dem Bild. Bruce stieß einen derben Fluch aus und hetzte ihr nach. Sein wütendes Geschrei war selbst noch zu hören, als er schon aus dem Bild gelaufen war.

"Finden Sie das etwa komisch?" Empörte sich eine nobelgekleidete Hexe, als Aurora Dawn auf dem Rennbesen und Julius vor dem Gemälde laut lachten.

"Eigentlich nicht. Ich muß rein. Meine Freunde warten auf mich", lachte Julius.

Als Bruce immer noch schimpfend mit Maggy zurückkehrte, sagte Aurora:

"Die anderen alten Mannschaften wollen, daß du dich bei ihnen entschuldigst. Versuch in den nächsten Tagen, bei Madame Hooch ins Büro zu kommen!"

"Sonst passiert was?" Wollte Julius wissen und grinste gemein.

"Sonst kommen wir jeden abend zu dir in den Schlafsaal und lassen dich nicht schlafen. Das hältst du keine Woche durch."

"Okay, Aurora. Aber nur, wenn die grünen Spieler das Schlammblut zurücknehmen", erklärte sich Julius einverstanden.

"Hooo! Das ist doch wohl nicht wahr", empörte sich die nobelgekleidete Hexe. "Ich verstehe diese Fluglehrerin nicht, daß sie diese Slytherin-Spieler überhaupt in ihrem Büro duldet."

"Willst du jetzt rein, du frecher Bursche?" Mischte sich Bruce mit genervt klingender Stimme ein. Julius nickte und sah, wie der Kuhhirte mit dem Gemälde zur Seite schwang, was die Aurora Dawn von 1982 aus dem Bild rutschen ließ.

"Hat dieser Cowboy dich schon wieder nicht reingelassen", begrüßten Julius Kevin und Fredo.

"Ach komm, hör auf! Wenn ich mich nicht innerhalb einer Woche bei den gemalten Quidditchmannschaften in Madame Hoochs Büro dafür entschuldige, ihr Spiel langweilig genannt zu haben, schlafen wir alle nicht mehr ruhig. Es sei denn, ich verbrenne dieses Miniportrait. Aber das dürfte eine Totsünde sein", erwiderte Julius.

Gloria kam mit Julius' Buch über die Grundlagen der anorganischen Chemie aus einer ruhigen Ecke des Gemeinschaftsraumes.

"Klingt alles sehr interessant und logisch. Aber irgendwie scheinen mir die Muggelwissenschaftler zu sehr auf reproduzierbare Ergebnisse wert zu legen. Sie experimentieren nicht gerne unter verschiedenen Bedingungen."

"So kannst du das nicht sagen, Gloria. Man versucht nur, immer nachzuprüfen, woran etwas liegt und schafft ständig die gleichen Bedingungen."

"Aber es war auf jeden Fall nett, daß du mir mal das Buch geliehen hast. Jetzt weiß ich zumindest, wie man Kochsalz macht. Könnte mal wichtig werden."

"Nur wenn du die beiden Bestandteile kriegst. Dazu mußt du viele Stoffe zerlegen, um dranzukommen."

"Salz kann man doch einfach mit dem Multiplicus-Zauber vermehren", meinte eine Schülerin der fünften Klasse, die als Hobbyköchin berühmt war.

"Wie geht der? Ich würde gerne meine Galleonen verzehnfachen", meinte Kevin aufgeregt. Jessica Harris, die Fünftklässlerin, lachte laut.

"Jaja, hättest du gerne. Aber ich muß dich enttäuschen. Der Zauber geht nur bei nichtmetallischen Objekten. Und, damit du nicht so gierig wirst, Julius Andrews, Muggelgeld zu vermehren ist fast genauso strafbar, wie die unverzeihlichen Flüche."

"Die was?" Fragten Gloria und Julius. Jessica räusperte sich und lief leicht rosa an, als habe sie gerade unfreiwillig ein Geheimnis ausgeplaudert.

"Das braucht ihr jetzt noch nicht zu wissen." Julius erinnerte diese Reaktion an seine Eltern, als er sie gefragt hatte, wie er entstanden war. Genauso hatten sie geguckt und geantwortet.

"Ach, das kann man nachlesen. In einem Buch stehen sie erwähnt, habe ich gesehen. Da steht auch drin, daß man dafür in Askaban eingesperrt wird, wenn man sie verwendet."

"Sag dem bloß nicht, in welchem Buch die stehen, Gloria. Der bringt das noch fertig und probiert die aus und schafft sie auch noch", warf Dustin McMillan ein, der gerade aus dem Jungenschlafsaal für Sechstklässler kam. "Ich habe von McGonagall gehört, daß der Teufelskerl hier fast ohne Worte zaubern kann."

"Gehört da dieser Todesfluch zu, mit dem Voldemort Harry Potter angegriffen hat?" Fragte Julius. Außer Gloria zuckten alle zusammen.

"Mann, langsam solltest du wissen, daß man seinen Namen nicht laut ausspricht", zeterte Kevin.

"Dann nenne ich ihn eben demnächst Atombombe. Das kommt für mich aufs gleiche raus, wie für euch der Name dieses Hexers."

"Häh?" Machte Dustin, der offenbar noch nichts von den schrecklichsten Waffen der Muggelwelt gehört hatte.

"Eine Supersprengwaffe der Muggel. Sie zerstört ganze Städte und hinterläßt eine tödliche Strahlung, wie einen Fluch", wußte Gloria, die durch Blickkontakt Julius angezeigt hatte, daß sie die Antwort geben wollte.

"Achso", antwortete Dustin gelangweilt, als habe er eben nur einen Modetrend erzählt bekommen.

In der nächsten Woche schaffte es Julius, sich bei den Bildern der alten Quidditchmannschaften in Madame Hoochs Büro zu entschuldigen und betonte, daß er sich geirrt habe. Allerdings verlangte er von den Slytherins, daß sie das Schlammblut zurücknahmen. Diese grinsten ihn nur abfällig an. Als Madame Hooch jedoch damit drohte, sie von den Wänden zu nehmen und ein Jahr lang in einer Kommode einzuschließen, mußten sie sich doch dazu herablassen, sich bei dem Muggel für die schlimmste aller Beleidigungen in der Zaubererwelt zu entschuldigen.

Die nächsten zwei Wochen vergingen fast wie im Flug. Der Alltag hatte die Ravenclaws wieder voll eingeholt. Meistens sah man sie mit Büchern in der Bibliothek oder in ihrem Gemeinschaftsraum sitzen. Gloria und Julius wollten zwar mal wieder Schach spielen, doch die kleinen Schachmenschen verübelten es Gloria immer noch, daß sie bei Blacks Einbruch einfach das Spiel zugeklappt hatte und ließen sich auch nicht von Hand auf die Felder setzen, ohne gleich wieder zurückzulaufen. Julius hatte dabei von einem Springer einen Lanzenstoß in den Zeigefinger versetzt bekommen und mußte sich bei Madame Pomfrey eine Sofortheilungstinktur auftragen lassen. Julius hatte gefragt, ob er eine Blutvergiftung kriegen konnte. Madame Pomfrey hatte nur den Kopf geschüttelt und gemeint:

"Immer das gleiche mit euch aus den Muggelfamilien. Ihr mißtraut allem, was schneller wirkt als an einem Tag."

Einen Tag vor dem Spiel Ravenclaw gegen Hufflepuff traf Julius Cho Chang mit ihren Teamkameraden im Gemeinschaftsraum. Sie fragte Julius:

"Na, werden wir gewinnen?"

"Ich habe mit Kevin eine Wette laufen, daß ihr Hufflepuff mit 300 zu 50 niedermacht. Die Hollingsworth-Schwestern aus Hufflepuff halten dagegen, daß ihr nach fünf Minuten mit 0 zu 150 Punkten verliert."

"Lächerlich. Cedric ist zwar gut, aber wir kriegen erst einmal viele Tore durchgebracht, und dann ist Cho die beste Sucherin, die Ravenclaw hatte seit 1986", tönte einer der Jäger aus dem Ravenclaw-Team. "300 Punkte? Das wäre doch was", fügte er nach einer kurzen Denkpause hinzu.

"Dann müßten wir auf jeden Fall 15 Tore schießen", wandte ein anderer Jäger ein.

"Fällst du auch vom Besen, wenn Dementoren kommen?" Fragte Julius unverschämt.

"Erst einmal ist das nicht gerade lustig, so eine Frage zu stellen, Bursche. Zweitens wissen wir nicht, ob es wirklich die Dementoren waren, die Harry Potter vom Besen haben fallen lassen. Malfoy behauptet das nur. Und der sollte sich schön geschlossen halten, weil er im Zug hierher selbst gebibbert und geschluchzt hat, als sie die Abteile durchsucht haben. Drittens dürfen die seit dem Zwischenfall vor zwei Wochen nicht noch mal aufs Spielfeld. Dumbledore hat gewisse Maßnahmen ergriffen, um sie nicht ohne Erlaubnis aufs Gelände kommen zu lassen. Viertens haben wir nicht so übermäßig trainiert, wie die Gryffindors. Wood ist ein Schleifer", belehrte Cho Julius.

"Der ist das letzte Jahr hier, Cho. Der will den Pokal haben, bevor er abgeht", wandte Dustin McMillan ein, der sich bis dahin ruhig an einem Schreibtisch mit seinem Kräuterbuch beschäftigt hatte.

"Na und, ich bin das vorletzte Jahr hier. Wenn Slytherin und Gryffindor das dieses Jahr wieder unter sich ausmachen, kriegen wir den auch nicht. Trotzdem würde ich nicht auf den Knochen meiner Mannschaft trainieren", widersprach Davis, der Kapitän der Ravenclaw-Hausmannschaft.

"Wer von euch beiden hat eigentlich auf 300 zu 50 gewettet?" Fragte Cho Chang. Julius sagte:

"Ich war das. Nachdem ich gesehen habe, wie leicht sich die Hufflepuff-Jäger austricksen lassen, konnte ich mir das erlauben. Kevin geht von 200 zu 160 Punkten für Ravenclaw aus. Er meint, daß der Sturm die Jäger von Hufflepuff zu sehr abgelenkt hätte. Aber das galt ja dann auch für die Gryffindors."

"Wir werden sehen", meinte Dustin.

"Um was habt ihr eigentlich gewettet?" Fragte Terrence Crossley, der offenbar meinte, sich einmischen zu müssen.

"Darum, wer in der Woche danach des anderen Bücher mit zum Unterricht schleppen muß. Nichts ernstes, Herr Vertrauensschüler", sagte Julius ruhig.

"Achso. Geldwetten sind nämlich nicht erlaubt, mußt du wissen. Dafür hätte ich euch Punkte abziehen müssen."

"Das kannst du ja sehr gut", grinste Dustin McMillan gehässig.

"Das kann ich dir gleich beweisen, wenn du nicht dieses gehässige Grinsen aus dem Gesicht nimmst", blaffte Terrence pickiert. Doch diese Drohung brachte nun alle zum grinsen, was, wie Terrence feststellen mußte, Ravenclaw bei einer Respektlosigkeitsstrafe von 5 Punkten pro Person 300 Punkte gekostet hätte. Auf diese Weise hätte er sich höchst unbeliebt gemacht.

 

 

Der Samstag des großen Spiels Ravenclaw gegen Hufflepuff war zwar nicht gerade das, was man einen Sonnentag nennen konnte, dennoch hielten sich die Regenwolken zurück, und der Wind war auf eine vertretbare Stärke abgeschwollen. Die Bäume im Umkreis besaßen keine Blätter mehr. Die Tribünen füllten sich. Julius trug mit Kevin eine große blaue Ravenclaw-Fahne. Kevin intonierte ein altes irisches Volkslied, während Julius mit den Füßen den Takt einer londoner Fußballhymne stampfte. Jetzt war er nicht nur Zuschauer, sondern auch Unterstützer einer Mannschaft. Er, Kevin, Gloria, Gilda, Fredo, Marvin und Eric saßen in einer Reihe. Rechts von Julius saßen die Geschwister Hollingsworth, ein gelbes Banner mit dem Hufflepuff-Dachs im Wind schwenkend.

"Dreihundert zu fünfzig", sang Julius laut, so daß die beiden Hufflepuffs, die sich zu dem Banner noch kanariengelbe Schals umgelegt hatten, ihn hören mußten.

"Niemals. Cedric holt den Schnatz in fünf Minuten", ging Betty auf diese Provokation ein. Kevin meinte nur:

"Fünf Minuten, nachdem Cho ihn wieder losgelassen hat höchstens."

"Wovon träumst du nachts, Kevin?" Kam es von Selda Plank, einer Hufflepuff-Viertklässlerin, die eine Reihe hinter den Hollingsworths saß. Kevin machte bereits den Mund auf, um noch was zu entgegnen, als das Kommando kam, die beiden Kapitäne mögen sich begrüßen. Dann erfolgte das Kommando, die Besen zu besteigen. Schließlich schrillte der Anpfiff des Spieles.

Sofort brachen Hufflepuffs und Ravenclaws in Anfeuerungsrufe aus, während der Stadionsprecher, Lee Jordan, kommentierte, die Slytherins in überheblichem Schweigen verharrten und die Gryffindors mit den Ravenclaws jubelten, weil sie sich bei einem Sieg Ravenclaws noch Chancen für den Pokal ausrechneten.

Zunächst war es, so sah es Julius, ein Abtasten, wie er es auch in mancher Fußballpartie gesehen hatte. Offenbar wollten sich die Jäger der beiden Mannschaften nicht sofort in den Kampf stürzen. Als ein Treiber Ravenclaws einen Klatscher auf den hinteren Jäger der Hufflepuffs ablenkte, kam erst Schwung in das Spiel. Zwei Ravenclaw-Jäger ließen sich zurückfallen und paßten sich den großen roten Quaffel gegenseitig zu, immer wieder die Flughöhe wechselnd. Dann schaffte es einer, aus dem Tiefflug heraus den vorderen Jäger anzuspielen, der schon fast vor dem Tor lauerte, und dieser vollendete, nachdem er zwei Hufflepuff-Jäger hatte aussteigen lassen.

"Tooooor! 10 zu 0 für Ravenclaw!" Rief Jordan durch sein Megaphon.Professor Flitwick, eigentlich würdevoll und beharrlich, sprang in die Luft und landete auf seinen Zehenspitzen. Dann setzte er sich wieder hin.

"Den hätten wir als Maskottchen anwerben sollen", flüsterte Julius Kevin zu. Dieser lachte und johlte, als nach einer pyramidenförmigen Dreierkombination der Ravenclaw-Jäger ein Tor von unten her erzielt wurde. Der Ball war per Kopfstoß nach oben und gerade so durch den linken Torring geflutscht, hinter dem Hüter weg.

"Trink Kaffee oder Snapes Hallo-Wach-Gebräu!" Spottete Kevin, als er das verdutzte Gesicht des Hüters sah, während Jordan das zweite Tor für Ravenclaw ausrief.

"Hach, das war doch ein phantastischer Korkenknaller!" Freute sich Kevin. Julius mußte zugeben, daß der Angriff von unten geschickt getarnt worden war. Es hatte so ausgesehen, als wäre dem links außen spielenden Jäger der Ball entfallen.

Hufflepuff packte, so dachte Julius bei sich, die berühmt-berüchtigte Brechstange aus. Der kompakteste Jäger brauste los, tauchte unter einem Klatscher durch und ließ sich den Ball zuspielen. Dabei sauste er fast selbst durch den Torring und wäre beinahe mit dem Hüter der Ravenclaws zusammengestoßen.

Die Taktik wurde zwar noch mal versucht, scheiterte aber daran, daß die Jäger und Treiber nun immer schnelle Quermanöver flogen, um ein Vorpreschen zu behindern. Ein Klatscher, von einem Treiber der Ravenclaws fortgeschlagen, schlug den Quaffel aus der sicher geglaubten Bahn zwischen einem Jäger der Hufflepuffs und seinem Teamkollegen.

Ein Gewaltschuß, fast mit dem Besenstiel geführt, brachte Hufflepuff zwar noch ein Tor ein, doch dafür kassierten die kanariengelben Spieler eine Serie von fünf Treffern in Folge. Das immer, weil sich die Hufflepuff-Jäger schnell aus ihrer Formation treiben ließen. Hinzu kam eine Taktik, daß ein Treiber Geleitschutz für einen schnellen Jäger flog, während sein Kollege darüber wachte, daß Sucher und Hüter nicht von Klatschern belästigt wurden. Einmal tauchte Cho mit ihrem Komet voll durch eine sich schließende Angriffsreihe von Hufflepuff-Jägern und zog ihren Gegner Cedric Diggory hinter sich her, weil der vermeinte, den Schnatz zu jagen. So brach ein erfolgversprechender Angriff Hufflepuffs zusammen und schuf Raum für einen schnellen 3-Stationen-Konter Ravenclaws, wobei die Jäger geschickt in allen drei Dimensionen manövrierten.

"Super, Cedric. Bald hättest du ihn gekriegt!" Kreischte Betty Hollingsworth. Julius schrak zusammen. Dann sagte er zu Kevin:

"Hast du was goldenes gesehen, Kevin? Ich wette, die Cho hat Cedric geschickt hinter sich hergelockt, um den Angriff der Hufflepuffs zu stören. Jäääh!"

Glorias Stimmungsring strahlte weißgolden auf. Sie mußte ihre Hand verbergen, um nicht in den verdacht zu kommen, die Sucher zu irritieren, obwohl der Ring selbst wesentlich kleiner als der Schnatz war.

Hufflepuff brachte es fertig, zwei Tore hintereinander zu schießen. Doch von da an landeten die Ravenclaws einen Treffer nach dem anderen. So stand es nach einer weiteren Viertelstunde bereits 120 zu 40 Punkten. Kevin sah schon etwas bedröppelt drein. Julius dachte, ob sein Wettpartner nicht darüber nachdachte, den Hufflepuffs den Sieg zu gönnen. Wieder flog der Quaffel durch den mittleren Torring, diesmal per schnellem Vorstoß ans Ziel gebracht. Der Hüter der Hufflepuffs mußte sich nun Schmährufe auch aus den Reihen der Hufflepuffs anhören. Doch das Spiel war noch nicht vorbei. Ungefähr eine Stunde war verstrichen, als Julius etwas goldenes durch das Feld flitzen sah. Keine Sekunde später stürzte sich Cedric auf das kleine Objekt, während Cho noch in 20 m Höhe kreiste.

"Gleich haben wir's!" Rief Jenna Hollingsworth. Doch Cedric stieß knapp vorbei, und der Schnatz wirbelte davon, bevor der Sucher der Hufflepuffs ihn wieder anpeilen konnte. So geschah es, daß Ravenclaw noch drei weitere Tore schoß, bevor Cho den Schnatz sichtete. Cedric versuchte zwar, ihr den Weg abzuschneiden, mußte dabei jedoch einem Klatscher ausweichen, der von einem Geleitschutztreiber der Ravenclaw-Jäger abgewehrt worden war. Cho verfolgte den Schnatz bis fast an den Boden und fing ihn mit einer schnellen Handbewegung ein. Madame Hoochs Pfiff kommentierte den erfolgreichen Fang und beendete das Spiel. Ravenclaw gewann mit 310 zu 50 Punkten das Match.

"Ui! Heftig war das", kommentierte Julius. Kevin hob seine Hände und meinte:

"Ich gebe es zu, die Jäger von Hufflepuff sind viel zu leicht einzuschüchtern. Aber das kann doch wohl nicht sein, daß mir jemand, der vor nicht einmal drei Wochen gesagt hat, daß Quidditch langweilig sei, so schnell blickt, wie die Sache läuft."

Hallo, Betty!" Rief Julius freudestrahlend. Doch die Hollingsworth-Schwestern waren mit ihren Hauskameraden schon zum Spielfeld gerannt. Offenbar hatten sie es als willkommene Gelegenheit gesehen, sich vor den Wettschulden zu drücken.

Professor Sprout gratulierte Professor Flitwick und nahm den kleinen Lehrer in ihre Arme. Julius stellte sich mit den anderen Ravenclaws an, um die Hausmannschaft zu beglückwünschen. Dabei sah er auch die Weasley-Zwillinge.

"Und ihr wollt gegen uns gewinnen?" Fragte er.

"Aber sicher doch", tönten Fred und George. "Wir haben den besseren Sucher."

"Hat der denn mittlerweile wieder einen Besen?" Fragte Kevin etwas gehässig.

"Noch nicht. Aber den kriegt er schon, bevor wir gegen euch spielen müssen", erwiderte George.

Als Julius dazu kam, dem Mannschaftskapitän seines Hauses auf die breiten Schultern zu klopfen, sah er kurz hinüber, wo die Slytherins saßen. Er erkannte Malfoy, der hämisch die Sucherin der Ravenclaws anglotzte. Doch da er den Jungen mit dem achso einflußreichen Vater nicht mehr für voll nahm, seitdem feststand, daß er seine Armverletzung wohl wesentlich früher hatte auskurieren können als angegeben, beachtete Julius ihn nur noch, wenn er ihm nicht über den Weg laufen wollte.

"Herzlichen Glückwunsch!" Rief Julius Cho zu und drückte sie flüchtig an sich. Dann sah er Professor Flitwick, der verzweifelt versuchte, sich ebenfalls einen Weg zur siegreichen Mannschaft zu bahnen. Er wich ihm aus und zog sich mit seinen Hausgenossen ins Schloß zurück.

Die Ravenclaws feierten den hohen Sieg im Gemeinschaftsraum, bis um 23.00 Uhr Professor Flitwick hereinkam und mit einem aus dem Zauberstab geschossenen Knallfrosch um Ruhe bat.

"Ich möchte Ihnen sagen, daß ich mich mit Ihnen sehr freue. Aber gemäß der Hausordnung dürfen Sie nicht mehr so laut herumschreien. Und Sie, Mr. Malone und Miss Porter dürfen auch keine Musik mehr machen. Um zwölf Uhr müssen Sie alle in die Betten. Die Vertrauensschüler möchten dafür Sorge tragen, daß nach Mitternacht kein Lärm oder sonstiges Geräusch mehr zu hören ist."

"Alles in Ordnung, Herr Professor", stimmten die Vertrauensschüler der Ravenclaws zu.

Um Mitternacht lagen die Jungen der ersten Klasse in ihren Betten und diskutierten flüsternd die Partie. Julius betrachtete das kleine Bildnis von Rowena Ravenclaw, das sich sehr vergnügt in Pose warf. Da schwirrte die Aurora Dawn aus der Ravenclaw-Mannschaft von 1982 ins kleine Bild. Die Hausgründerin sah sie verärgert an, als sie sich fast auf den Boden legen mußte, während Auroras Besen hinten und vorne aus dem Bild ragte.

"Na, war das heute was?"

"Allerdings. Aber ich weiß nicht, was besser ist. Sucher, Jäger oder Treiber."

"Jäger natürlich. Du kannst Leute austricksen und wunderbare Ballstaffetten machen. Ist fast wie im Muggelfußball."

"Würden Sie bitte die Freundlichkeit besitzen, aus meinem Bild zu verschwinden!" Kam Rowena Ravenclaws Stimme mit drohendem Unterton. "Sie haben doch schon einmal gesehen, daß Sie hier nicht hineinpassen."

"Sehe ich ein. Ich wollte lediglich wissen, woran unser junger Held ist."

"Und, das wissen Sie jetzt. Also husch zurück, wohin Sie gehören!" Befahl die Hausgründerin von Ravenclaw. Aurora Dawns früheres Ich riß den Besen herum, so daß die Spitze noch soeben durch das Bild wischte und verschwand durch den rechten Bildrand.

"Vielleicht sollte ich mit meinem größeren Ebenbild konferieren, daß die Quidditchspieler aus Madame Hoochs Büro ein Besuchsverbot anderer Bilder erhalten. Das hält doch keiner aus", empörte sich Rowena Ravenclaw. Dann sagte sie:

"Und Sie sollten jetzt schlafen. Es ist schon ziemlich spät."

"Aye aye, Mylady", versetzte Julius und erntete Gelächter aus den anderen Betten. Dann drehte er sich um und schlief ein.

WEIHNACHTSFERIEN by Thorsten Oberbossel

Der Dezember kündigte sich mit Schneefall an. Eines Morgens war das Gelände um das alte Schloß wie mit weißem Puderzucker bedeckt. Die ersten Schneeballschlachten tobten, bei denen Kevin und Julius gegen die Weasley-Zwillinge antraten und haushoch gewannen. Die Vertrauensschüler von Gryffindor und Ravenclaw versuchten zwar, die kindische Toberei zu unterbinden, fingen sich dabei aber immer Ladungen von Schnee ein. Percy, der Schulsprecher und ältere Bruder von Fred und George, drohte damit, ihrer gemeinsamen Mutter zu schreiben, wie sehr sie sich danebenbenahmen. Darüber konnten die zu Streichen aufgelegten Zwillinge nur lachen.

Zwei Wochen vor Weihnachten trafen sich Julius, Kevin, Fred und George in einem nicht sehr häufig benutzten Seitentrakt des zweiten Stockwerks. Fred hatte vor, eine Stinkbombe zu werfen. Julius bat darum, eine davon zur chemischen Analyse mitzunehmen. Vielleicht kam er darauf, wie man die Dinger noch heftiger machen konnte. Bei der Gelegenheit steckte er den beiden Spaßvögeln auch das Ding mit dem Natrium, daß er im See hatte explodieren lassen und wurde gefragt, ob er im Tausch für einige echte Filibuster-Kracher einige Natriumtabletten herausgeben wollte. Julius ließ sich auf den Handel ein.

Als dann eine Woche später in den Abflußrohren eines Toilettenraumes eine heftige Explosion einen Riesenschwall Wasser ausstieß, gingen Julius und Kevin vorsorglich in Deckung, obwohl sie sehr weit davon entfernt waren. Filch, der Hausmeister, krakehlte und schleuderte die wüstesten Drohungen um sich, als er den Schaden begutachtete.

"Das Zeug ist bombenstark", grinste Kevin, als er von der vergeblichen Suche nach den Schuldigen hörte. Sicher kamen die Weasley-Zwillinge in Verdacht. Julius hoffte nur, daß sie ihn nicht verraten würden. Doch auch darauf bereitete er sich vor, indem er sämtliche Vorräte explosionsgefährlicher Chemikalien in einem Geheimfach unterbrachte, daß er an seinem Koffer hatte, um die wertvollsten Besitztümer zu verbergen. Er mußte sich dabei vor der Miniaturabbildung von Rowena Ravenclaw vorsehen. Denn auch ein Bildnis galt in Hogwarts als Tatzeugin, wie der Vorfall mit der Eingangshüterin der Gryffindors bewiesen hatte.

Als Professor McGonagall unvermittelt in den Gemeinschaftsraum von Ravenclaw eintrat, wußte niemand, was dies zu bedeuten hatte. Sie verlangte nach Julius Andrews. Dieser kam mit einem Pokerface der reinen Unschuld aus dem Schlafsaal und stellte sich in Erwartungshaltung.

"Mr. Andrews, könnte es sein, daß Sie im Rahmen Ihrer privaten Studien der Muggelwissenschaften auch mit explodierenden Wirkstoffen zu tun haben?"

"Sicher. In meinen Büchern steht genug über die Gefährlichkeit verschiedener Gase und Pulver. Ich könnte Ihnen, rein theoretisch, aus Drachendung und einer großen Metallglocke ein Auffanggerät für brennbare Abgase bauen, mit denen die Schule beheizt werden kann."

"Ich frage Sie lediglich, weil es seltsam ist, daß zwei Explosionen innerhalb der letzten beiden Monate unmittelbar an oder im Wasser vorgefallen sind. Gibt es Wirkstoffe, die durch bloße Berührung mit Wasser zur Explosion gebracht werden können?" Wollte Professor McGonagall wissen.

"Ja, die Alkalimetalle, Lithium, Natrium, Kalium und Strontium. Sie reagieren mit Wasser zu Laugen und freiem Wasserstoff, der, weil die Reaktion sehr heftig ist, entflammt", dozierte Julius ganz sachlich.

"Dann werden Sie wohl auch meine nächste Frage beantworten können. Haben Sie derartige Stoffe in Ihrem Besitz"

"Nein, habe ich nicht. Das wäre auch zu gefährlich. Natrium und Kalium können Feuer auslösen, wenn Wasser auf sie tropft. Das Risiko wäre mir zu groß."

"Professor Snape und Professor Dumbledore, beide vertraut mit Wirkstoffen, haben eine Analyse des Wassers gemacht, daß bei der Explosion in der Toilette ausgespült wurde. Es wurde Natronlauge nachgewiesen. Das ist doch wohl ein Produkt aus der von Ihnen so vorbildlich zitierten Reaktion, oder?"

"zweifellos", erwiderte Julius Andrews. Der ganze Gemeinschaftsraum hörte gebannt zu. Gloria, Kevin und Fredo saßen in einer Ecke und hofften, sich nicht durch irgendwelche Gesichtszüge zu verraten.

"Wenn Sie also kein Natrium besitzen, muß jemand anderes mit dieser Substanz vertraut sein."

"Ich möchte ja nichts unterstellen, Professor McGonagall. Aber in der Bibliothek habe ich mehrere Bücher über nichtmagische Alchemie gefunden, die im wesentlichen Chemiebücher sind, wie ich sie auch besitze. Da kann sich also jeder die Kenntnisse zusammenlesen."

"Entbehrt es nicht einer gewissen Logik, daß Sie bei der ersten nichtmagischen Explosion Augenzeuge waren, die sich vor einiger Zeit am See ereignet hat?"

"Nein, tut es nicht", bestätigte Julius immer noch ruhig. Ihm gefiel das Ratespiel, daß die Verwandlungslehrerin mit ihm veranstaltete.

"Mir kam zu Ohren, und Professor Flitwick gestattete mir, mich selbst darum zu kümmern, daß Sie im Besitz einer kleinen Versuchseinrichtung sind, mit der Sie nichtmagische Wirkstoffe untersuchen oder zur Reaktion bringen können. Ich möchte mir dieses Ding gerne ansehen."

"Wenn Professor Flitwick Ihnen dazu die Erlaubnis gegeben hat", meinte Julius und wollte sich umdrehen, um seinen Chemiebaukasten zu holen. Doch die Hexe mit den viereckigen Brillengläsern hielt ihn mit einem Wort zurück. Dann zog sie ihren Zauberstab hervor und rief:

"Accio Chemiebaukasten!"

Keine Sekunde später sauste Julius' Chemiebaukasten herbei und landete leicht klirrend vor der Verwandlungslehrerin. Sie holte eine Pergamentrolle hervor und prüfte den Inhalt der kleinen Flaschen und Schachteln. Dann schickte sie den Chemiebaukasten mit einer anderen Beschwörungsformel wieder zurück an seinen Platz in Julius' Schlafsaal.

"Sie haben wieder Glück, Mr. Andrews. Es sind keine bedenklichen Substanzen enthalten. Lediglich die Säuren, die Sie in ihrem Baukasten haben, sollten Sie besser sichern. Ansonsten sind Sie von jedem Verdacht frei."

Als die Lehrerin für Verwandlung den Gemeinschaftsraum verlassen hatte, fragte Kevin:

"Kann mir mal wer sagen, warum sie das jetzt gemacht hat und nicht unser Hauslehrer?"

"Vielleicht dachte sie, Flitwick sei zu klein dafür", spottete ein Viertklässler und nahm sein Arithmantikbuch wieder auf, in dem er gerade gelesen hatte.

"Ich habe irgendwie das Gefühl, die hat dich auf dem Kieker, Julius. Die ist ja bald schlimmer als Snape", äußerte sich Fredo Gillers.

"Ich kann mir denken, daß sie besonders auf mich ausgeht, weil ich aus einer Muggelfamilie komme. Vielleicht fühlt sie sich berufen, mir zaubererweltlichen Anstand beibringen zu müssen", erwiderte Julius und grinste. Gloria sagte nur:

"Das glaubst du doch wohl selbst nicht, Julius. Da ist bestimmt noch was anderes im Spiel."

"Ich kann mir vorstellen, daß Snape dich jetzt besonders scharf beobachtet. Oder glaubst du, der ließe jemanden unbeobachtet herumlaufen, der sich mit nichtmagischer Alchemie so gut auskennt?" Warf Fredo Gillers ein.

"Ich werde damit leben lernen, daß er mir vielleicht schon deshalb Punkte klaut, weil er denkt, ich dürfe nicht so viel wissen. Aber er wird mir nicht überall hinterherlaufen können", stellte Julius fest.

"Vielleicht mobilisiert er die Slytherins, dich zu bespitzeln", meinte Dustin.

"Diese arroganten Schnösel. Die würden lediglich versuchen, mich bei einer sich bietenden Gelegenheit reinzureiten. Aber die würden nicht alle hinter mir herlaufen. Du hast doch Draco Malfoy gehört. Ich bin es nicht wert, von ihm beachtet zu werden."

"Das wollen wir mal hoffen", erwiderte Dustin McMillan.

 

 

Wie Julius angenommen hatte, verflog der Ärger rasch. Man behelligte ihn tatsächlich nicht mehr wegen der Explosion. Gloria fand jedoch heraus, daß Julius über eine lange Ahnenreihe hinweg mit Professor McGonagall verwandt war. Als die Listen herumgingen, in die sich eintragen konnte, wer über die Ferien in Hogwarts bleiben wollte, traf Gloria Julius in der Bibliothek und hielt ihm einen dicken Folianten unter die Nase, der "Genialogie berühmter Hexen und Zauberer" hieß.

"Kuck mal, was ich gefunden habe, Julius! In diesem Wälzer steht drin, daß eine Urahnin von Professor McGonagall, die mal hier als Krankenschwester gearbeitet hat, vor 250 Jahren einen Muggel geheiratet hat. Die Kinder dieser Familie konnten alle nicht zaubern, und so schien es, wäre das Erbe abhanden gekommen", erläuterte Gloria.

"Na und", erwiderte Julius.

"Betty und Jenna haben was erzählt, daß du eine Urahnin hast, die als einzige in einer langen Reihe zaubern konnte. Es ist ja dann nicht schwer, eins und eins zusammenzuzählen, nicht wahr?"

"Also was folgerst du, Gloria?" Fragte Julius.

"Das ihr beide, Professor McGonagall und du, eine gemeinsame Vorfahrin habt. Ich folgere weiter, daß McGonagall das genau weiß und sich besonders für dich engagiert. Ich kann es zwar nicht beweisen, aber bin mir sicher, daß sie es war, die euch zu Hause besucht hat, um sicherzustellen, daß ihr erster magiebegabter wenn auch sehr entfernter Verwandter ordentlich unterrichtet wird, womit sie durchaus recht hat."

"Okay, bevor du das hier als Mutmaßung herumerzählst und damit unliebsame Gerüchte ausstreust gebe ich es zu. McGonagall war bei uns, weil ich mit ihrer Vorfahrin Megan McGonagall verwandt bin. Sie hat einen Vorfahren meines Vaters geheiratet. Als Professor McGonagall bei uns auftauchte, glaubten wir alle, sie hätte ihren Namen extra so gewählt, um die Vermutung zu schüren, daß sie wirklich die entsprechende Nachfahrin sei. Mein Vater hat ihr kein Wort geglaubt", meinte Julius Andrews.

"Ich verstehe, daß du nicht willst, daß das jemand anderes weiß", erkannte Gloria und errötete leicht, weil sie sich in Julius' Privatangelegenheiten gemischt hatte. "Ich sage das keinem. Hoffe nur, daß außer mir keiner darauf kommt, dieses Buch zu lesen!"

"Das läßt sich einrichten", ertönte eine strenge Frauenstimme hinter den beiden Ravenclaw-Erstklässlern. Professor McGonagall, die leise an die beiden herangetreten war, nahm Gloria schweigend das Buch aus den Händen und sagte:

"Ich heiße es sehr gut, daß Mr. Andrews kein Aufsehen um benannte Vorfahrin macht und nicht mit meinem Besuch prahlt. Da Sie, Ms. Porter, wohl nicht die einzige sein dürften, die neugierig und logisch genug ist, um die Beziehung zwischen Julius Andrews und mir zu ermitteln, ziehe ich dieses Buch einstweilen ein. Im Moment wird es ja doch nicht benötigt."

"Ich versichere Ihnen, Professor McGonagall, daß ich nicht weitererzählen werde, was ich herausbekommen habe", versprach Gloria, ohne daß sie darum gebeten worden wäre.

"Damit täten Sie Ihrem Schul- und Hauskameraden einen großen Gefallen. Wie ich ihn einschätze, liegt ihm nichts an Prahlerei. Ist es nicht so, Andrews?"

"Was hätte ich davon? Sie dürften mir überhaupt keine Punkte mehr geben, weil jeder dächte, Sie würden mich bevorzugen. Die anderen Professoren würden nicht mehr neutral mit mir umgehen, und meine Kameraden und Hausgenossen würden entweder meinen, mich als Verbindungsmann zu Ihnen benutzen zu können oder mich anderweitig ausnutzen. Ich habe das mit meinem Vater erlebt. Es reicht mir, danke!"

"Komisch. Andere Schüler haben überhaupt kein Problem damit, Ihre Herkunft zu betonen", meinte die Verwandlungslehrerin. Julius vermeinte, den Anflug eines Lächelns auf ihrem strengen Gesicht zu erkennen.

"Wenn die es nötig haben, bitte schön. Ich brauche das nicht. Wenn wer mich irgendwie einschätzt, dann nach dem, was ich mache", entgegnete Julius Andrews.

"Es ist auf jeden Fall gut, daß Sie nicht in meinem Haus untergekommen sind. Dadurch wird jeder möglichen Spekulation auch noch der Boden entzogen. Und wie bereits erwähnt: Sie werden hier keine Sonderbehandlung erhalten. Wenn Sie sich an das halten, was Sie gerade gesagt haben, kommen Sie hier sehr gut zurecht."

Dann verschwand die Verwandlungslehrerin durch die Eingangstür zur Bibliothek.

"Gut, daß sonst keiner hier war", meinte Julius. Er mußte den Auftritt der stellvertretenden Schulleiterin erst einmal verdauen.

"Dann hätte sie nichts gesagt", vermutete Gloria.

 

 

Fast alle Schüler von Hogwarts wollten in den Ferien zu ihren Eltern und sonstigen Anverwandten.

Professor Flitwick gab am Vorabend der Heimfahrt die Abfahrtszeit des Hogwarts-Expresses bekannt und gab auch an, daß die Schüler am 3. Januar wieder zurückkehren sollten.

"Sie besteigen morgen früh unsere Wagen und werden nach Hogsmeade gefahren, wo Sie in den Zug einsteigen, der um 10.00 Uhr losfährt. Ich wünsche Ihnen allen eine schöne Weihnachtszeit, und kommen Sie erfrischt und zu neuem Lernen angeregt hierher zurück!"

Flitwick bestellte Julius Andrews noch mal in sein Büro.

"Ich hoffe, mit Ihren Eltern ist nun alles geklärt", begann er. Julius nickte, obwohl er selbst nicht so zuversichtlich war.

"Dann gehe ich davon aus, daß Sie nach den Ferien genauso enthusiastisch zurückkehren, wie bei Ihrer Einschulung."

"Ich werde mich bemühen", erwiderte Julius Andrews.

In der letzten Nacht vor der Heimfahrt dachte Julius über die ersten Monate seiner neuen Schulzeit, ja seines neuen Lebens nach. Er hatte neue Freunde gefunden, die alle einen völlig anderen Hintergrund hatten, als er bisher erlebt hatte. Er dachte an Gloria, die sich wohl ohne große Ankündigung als seine Wegführerin engagierte. Sie hatte ihm die Angst vor seinen Kräften genommen und ihn immer wieder darauf hingewiesen, einer von ihnen, ein Zauberer, zu sein, wenn er von seiner früheren Welt so sprach, als wäre er noch darin und würde es auch bleiben.

Er erinnerte sich an die vielen interessanten und lustigen Diskussionen mit seinen Bettnachbarn, die im Grunde genommen so waren, wie alle Elfjährigen. Aufgeweckt, unternehmungslustig und nicht so auf Regeln bedacht.

Er dachte an Professor McGonagall, die sich darum bemühte, ihn mit den Fertigkeiten eines Zauberers vertraut zu machen, ohne sich als Wegführerin aufzuspielen.

Er dachte an die Slytherins, die meinten, Schüler wie ihn mit einer derartig großen Überheblichkeit zu behandeln, als seien sie die Kinder der herrschenden Familien. Sicher, in Eton wären ihm derartige Leute auch über den Weg gelaufen. Man hätte ihn dort nach dem beurteilt, was er war und nicht nach dem, was er leisten konnte. Insofern war er hier besser untergebracht.

Julius überlegte auch, wie er seinen Eltern gegenübertreten wollte. Diese gingen offenbar davon aus, daß Hogwarts lediglich eine kurze und bald zu vernachlässigende Zwischenstufe sei. Er wußte nun, daß sich hier und jetzt sein weiteres Leben entschied und auch seine gesellschaftliche Stellung. Er dachte daran, sich mit den Freunden, die er hier gewonnen hatte, auch während der Ferien zu treffen und schmunzelte bei dem Gedanken, daß seine Eltern ihn lieber mit chaotischen Leuten seiner alten Schulbande herumlaufen lassen würden, als mit gesitteten aber ihnnen fremden Jungen und Mädchen.

Was die Häuser anging, so mußte sich Julius dabei ertappen, daß er selbst die Denkweise angenommen hatte, daß Slytherins gegen alle Tugenden ehrgeizig, die Gryffindors durch besondere Tatkraft hervortraten, die Hufflepuffs mehr durch Einsatzfreude und Kameradschaft als durch Leistung und Ergebnis hervortraten. Daß den Ravenclaws hingegen übermäßige Denkerei vorgehalten wurde, konnte er so nicht bestätigen. Sicher, hier galt der Wissenserwerb viel mehr als vielleicht in Gryffindor. Doch er hatte weder bei sich, noch bei anderen einen Hang zu übermäßiger Kopflastigkeit festgestellt. Sicher, Gloria, Gilda und er waren häufig in der Bibliothek anzutreffen, und Gloria interessierte sich neben den aufgegebenen Dingen für seine Studien. Doch sowohl sie, als auch die anderen Ravenclaws konnten sich auch der einfachen Freude hingeben, wie er es bei den Quidditchspielen miterlebt hatte.

Dann war da noch Aurora Dawn, seine Wegbereiterin von jetzt auf nachher. Sie war auch eine Ravenclaw-Schülerin. Er hätte sie nie für übertrieben kopflastig angesehen, obwohl sie wohl sehr lerneifrig gewesen war. Die Tatsache, daß sie mit ihm immer noch in Briefkontakt stand, führte Julius auf ihr Grundinteresse an seiner Entwicklung zurück. Er dachte daran, daß er sie nicht kennengelernt hätte, wenn sein Vater nicht versucht hätte, ihn von den Mitarbeitern von Hogwarts fernzuhalten. Hoffentlich durfte er sie wiedersehen, auch wenn er wußte, daß sie mehr eine wohlwollende Bekannte als eine gute Freundin für ihn sein konnte.

Dann waren da noch die Lehrer von Hogwarts. Dumbledore erschien ihm irgendwie kauzig, teilweise auf Scherze ausgehend, teilweise sehr erhaben auftretend. Er war sich über den Schulleiter nicht so ganz im klaren. Doch da war er ja nicht der einzige. Professor McGonagall, die er bereits als Wegführerin im Hintergrund angesehen hatte, bildete einen gewissen Gegensatz zu Dumbledore und ergänzte ihn wunderbar.Professor Sprout, die Kräuterkundelehrerin, erschien ihm mit ihrer Arbeit richtig verwoben zu sein. Er wußte jedoch nicht, ob er sich nun unfreiwillig anbiederte oder tatsächlich nur das leistete, was von ihm erwartet wurde, wenn er in ihren Stunden sein Wissen und Können zeigte.Professor Flitwick wirkte trotz oder gerade wegen seiner geringen Körpergröße stark, wenngleich nicht übermäßig autoritär. Er bezog seine Stärke wohl aus dem Respekt vor seinen Kenntnissen. Binns, der Geschichtslehrer, erschien ihm ebenso sonderbar, vielleicht weil er ein Geist war. Richtig mysteriös erschien ihm Professor Snape. Was trieb diesen Mann an, so ungerecht zu sein, ja geradezu bösartig? War es wirklich nur die Verbundenheit mit Slytherin, oder war da noch was anderes? Julius stellte sich vor, daß Snape auch zu denen gehört hatte, die diesem Lord Voldemort gefolgt waren. Dachte Snape daran, die Rückkehr seines alten Meisters vorzubereiten, oder eher daran, seine Rückkehr möglichst unmöglich zu machen? Am besten empfand er den Unterricht beiProfessor Lupin. Zum einen sprach er die Schüler mit Vornamen an und duzte sie auch. Zum anderen war sein Unterricht sehr kurzweilig und aufschlußreich, auch wenn er gefährliche Themen lehrte.

Julius dachte zum Schluß an den Irrwicht, der ihm vorgesetzt worden war, als er darauf bestanden hatte, zu erfahren, ob er nun von der Schule verwiesen würde. Eines war mit Sicherheit anders geworden. Julius hatte keine Angst mehr vor seiner Zukunft.

Nach den Weihnachtsferien würde er mit Kevin zusammen am Nachwuchstraining für die Ravenclaw-Hausmannschaft teilnehmen. Sicher, der erste Besenflugunterricht war für ihn toll verlaufen. Doch ob er sich wirklich zum Spieler der Hausmannschaft eignete, konnte er sich noch nicht vorstellen.

Als Julius schlief, träumte er von seiner Heimkehr. Sein Vater eröffnete ihm, daß er nun wieder zu Hause sei und nach den Ferien doch nach Eton fahren würde, da er es geregelt habe, daß sein Sohn noch anschließend eingeschult werden konnte. Julius hatte sich damit abgefunden, bis am Weihnachtstag zwei Dementoren die Haustür aufbrachen und hereinkamen. Der große Weihnachtsbaum war erloschen, genau wie alle Kerzen. Seine Eltern sahen die unheimlichen Wesen nicht. Sie fühlten sich nur elend. Einer der Dementoren fragte nach Sirius Black. Der Massenmörder sollte sich in diesem Haus versteckt halten. Julius trat den beiden entgegen und schaffte es, genau das Silberzeug zu verschießen, das Dumbledore gegen die Dementoren auf dem Quidditch-Feld verschossen hatte. Daraufhin waren sie wieder abgezogen. Sein Vater, der nun merkte, daß sein Sohn doch besser weiter zaubern lernen sollte, hatte die nachträgliche Umschulung noch rückgängig gemacht.

Als Julius wieder erwachte, war es genau sechs Uhr morgens. In vier Stunden sollte der Hogwarts-Express nach London abfahren. Julius stand auf. Er konnte nicht mehr schlafen. Leise packte er seine Sachen zusammen und verschloß den Koffer gründlich. Er schlich sich in den Gemeinschaftsraum, wo Cho Chang gerade einen Eulenbrief fertigschrieb. Sie zuckte zusammen, als Julius wie ein Indianer an sie heranschlich.

"Wußte nicht, daß ihr schon so früh aufseid", sagte sie leicht verstört. Julius entschuldigte sich für das Anschleichen und setzte sich an einen Tisch, wo er eine Ausgabe des grünen Magiers fand, eines Magazins der Zauberkräuter, daß ein Sechstklässler dort hatte liegen lassen. Er überflog die Artikel mit den gestochen scharfen Abbildungen und fand auch einen Bericht über die Verwendung des nordafrikanischen Sonnenkrautes Herba africana heliotropa, der von Aurora Dawn verfaßt worden war. Er las den Artikel gründlich und erfuhr, daß die in Australien lebende Hogwarts-Absolventin entdeckt hatte, daß das Wüstenkraut in Verbindung mit einigen australischen Pflanzen zu einer sofortwirkenden Sonnenbrandsalbe zusammengestellt werden konnte. Sie beschrieb die Fundorte der verwendeten Kräuter, wie man sie züchten konnte und wie die Heilsalbe hergestellt werden mußte. Anschließend las er noch von fleischfressenden Pflanzen, die im Kampf gegen den Feuerstachelkäfer eingesetzt werden konnten.

Als Julius die für ihn interessanten Artikel beendet hatte, legte er die Zeitschrift wieder auf den Tisch.

"Auch schon auf?" Fragte eine leicht verschlafen klingende Gloria Porter, die gerade in den Gemeinschaftsraum kam. Julius nickte.

"Ich habe so'm komisches Zeug geträumt. Als ich dann wach wurde, war es sechs Uhr. Jetzt will ich noch frühstücken, dann kann die Heimfahrt losgehen. Ich fürchte nur, daß meine werten Eltern meinen, mich in den nächsten Tagen diversen Prüfungen unterziehen zu müssen. Ich denke nicht, daß mein Vater wirklich einen Zauberer in der Familie haben will."

"Ach denkst du wieder daran? Stell dir mal vor, ich würde meinen Eltern einzureden versuchen, daß ich Muggel werden will. Sie würden lachen. Du kommst auf jeden Fall wieder hierher. Das ist sicher. Ich wollte dich sowieso fragen, ob wir uns in den Ferien mal treffen können, um eines dieser Laufbildtheater zu besuchen, die Kinos heißen. Meine Tante Greta schwärmt davon. Sie meint, auch wenn die Muggel keine richtig lebendigen Bilder machen könnten, wäre Kino doch was besonderes."

"Läßt sich einrichten. Wie gesagt, ich weiß nicht, ob meine Eltern nicht schon die Ferien total verplant haben."

"Das weiß ich bei meinen auch nicht. Daddy wollte mit uns über den Weihnachtstag zu unseren Verwandten in Wales. Aber ich denke, daß zwischen Weihnachten und Neujahr ein Tag drin ist. Wir werden sehen."

"Freuen würde es mich allemal. Sicher, ich würde auch gerne meine alten Schulfreunde wiedersehen, um zu sehen, wie die mit ihrer neuen Schule klarkommen. Doch wenn du wirklich mal ein Muggelkino besuchen willst, gehe ich mit."

Langsam trafen sich die übrigen Ravenclaws im Gemeinschaftsraum. Wie Gloria und Julius trafen noch weitere Schüler Verabredungen. Julius dachte, daß die meisten Leute wohl keine Probleme mit ihren Eltern kriegen würden, wenn sie sich treffen wollten.

Noch einmal in diesem Jahr trafen sich die Bewohner der vier Häuser zum Frühstück in der großen Halle. Über den Tischen schwebte eine gewisse Spannung. Wie würden sich die Dinge zu Hause entwickelt haben. Julius war froh, daß er nicht der einzige Junge war, der sich darüber Gedanken machte. Sicher, er hatte die Fußballergebnisse gelesen, kannte auch die übrigen Sportergebnisse und hatte sich durch vier große Bücher der Naturwissenschaften durchgelesen. Doch das alles war ja nichts im Vergleich zu den Dingen, die er nicht mitbekommen hatte.

Die Hauslehrer versammelten ihre Schüler vor dem Portal und verteilten sie auf mehrere hundert Kutschen, die von unsichtbaren Pferden gezogen wurden. Gleichzeitig gaben sie an alle Schüler Zettel aus, auf denen stand, daß sie während ihrer Ferien nicht zaubern durften, weil ein Gesetz zur Beschränkung der Zauberei bei Minderjährigen dies so verlange. Julius, Gloria, Kevin, Fredo, Marvin, Eric und Gilda teilten sich einen Wagen und fuhren damit zum Bahnhof von Hogsmeade. Dort bestiegen sie mit ihrem Gepäck den wartenden Hogwarts-Express, dessen scharlachrote Lock bereits unter Dampf stand. Schnee lag auf der Strecke, und kalt wehte der Wind.

Die Besatzung des Zauberfuhrwerks teilte sich auch ein Abteil des Expresses. Zwar waren sie mit sieben Mann mehr, als in ein Abteil hineinpaßten, doch irgendwie ging es schon, zumal Gilda und Fredo nicht gerade übermäßig ernährt wirkten.

"Ich freue mich schon darauf, meine Geschwister wiederzusehen", erzählte Gilda Fletcher. Gloria fragte, wieviele Geschwister sie denn habe und erfuhr, daß drei Brüder und eine Schwester zwischen vier und acht Jahren zu Hause auf den Weihnachtsmann warten würden. Kevin berichtete von seinen zwei Brüdern, die mit ihm und seinen Eltern über Weihnachten zu den Großeltern aufs Land fahren würden.

"Ich denke mal, meine Eltern werden wissen wollen, ob sie mit mir noch in ihrem Bekanntenkreis angeben können", warf Julius ein, und aus seiner Stimme klang eine leichte Frustration. "Mein alter Herr hat schon soetwas angedroht, daß ich irgendwie auf mein Muggelwissen geprüft werden soll."

"Was? Wir fahren doch nicht in die Ferien, damit jemand noch mehr Prüfungen aufkriegt. Nichts gegen Lernen. Aber wenn jemand, der kein Lehrer ist, in den Ferien anfängt, Noten oder sonstige Bewertungen zu vergeben, sollte man doch vielleicht in der Schule bleiben", empörte sich Fredo. "Stell dir mal vor, mein Vater käme auf die Idee, mich in Zauberkunst zu prüfen, nur weil der seinerzeit selbst ein großer Zauberkunstschüler war."

"Besser Zauberkunst, als Zaubertränke", warf Marvin ein, dem die letzte Zaubertrankstunde noch in den Knochen steckte. Snape hatte ihn von der Mixtur kosten lassen, die er angerührt hatte. Danach mußte er zwei Stunden in einer Tour herumrennen, weil der Trank ein Bewegungszwanggebräu war, obwohl sie ja eigentlich einen Stärkungstrank hatten brauen sollen. Aurelia Merryweather, seine Tischnachbarin von den Hufflepuffs, hatte sich köstlich amüsiert.

"Hmm, diese Zauberbeschränkung gilt die auch für Zaubertränke?" Wollte Julius wissen.

"Das Brauen wird wohl niemand nachkontrollieren können. Aber wenn du wem was verabreichst, und der Proband fällt irgendwie auf, könnte das Ärger geben", meinte Marvin. Sein Vater arbeitete in der Abteilung zur Überwachung der Zauberei. Er erklärte auch, daß das Ministerium geheime Methoden kenne, jeden Zauber zu entdecken, vor allem dann, wenn er in einem im weiten Umkreis von Muggeln bewohnten Gebiet gewirkt würde. Julius mutmaßte, daß es da wohl sowas wie ein Netzwerk gebe. Er hatte in einem Buch über Zauberkunst etwas von Magolithen, auf Zauber reagierende Mineralien gelesen. Womöglich wurde damit ein Zauber bestimmt und genau geortet.

"Das weiß ich nicht. Mein Vater läßt sich darüber nicht aus. Ist aber interessant. Vielleicht kann man diese Zaubersteine auch mal irgendwie anders verwenden", meinte Marvin.

"Das ist wohl ein Bereich der Alchemie. Es wird auf ein Buch verwiesen, von dem ich sicher bin, daß es in der verbotenen Abteilung steht", ergänzte Julius.

"Irgendwie können die Zauber erkennen und teilen das denen, die nicht zaubern dürfen, sofort mit. Meine Cousine ist mal ausgerastet und hat über ihren Freund einen Ganzkörperklammerfluch verhängt. Kaum war der Bursche magisch blockiert, kam eine Eule vom Ministerium und brachte eine schriftliche Verwarnung mit Datum, Uhrzeit und Art des registrierten Zaubers, inklusive dem Befehl, den Zauber sofort wieder rückgängig zu machen und fortan nicht mehr gegen die Beschränkung zu verstoßen."

"Wie ging dieser Fluch noch mal? Ach ja! Petrificus totalus", kommentierte Julius das, was Kevin gerade erzählt hatte.

Die Rückfahrt verlief im wesentlichen ruhig, weil die meisten Insassen des Abteils schliefen. Als die Hexe mit dem Verkaufswagen an ihrem Abteil vorbeikam, kauften alle eine Kanne Kürbistee und Schokofrösche. Dabei kam Julius zu einer Sammelkarte von Megan McGonagall, einer rundlichen Hexe mit schwarzem Lockenhaar und braunen Augen, die in einer weißen Schwesterntracht dargestellt wurde. Er las:

"Megan Bakersfield geb. McGonagall. Geboren 1717. Gestorben 1835. Spezialisierte sich bereits in jungen Jahren auf die magische Heilkunde und entwickelte wirksame Antigifte und Schnellheilzaubertränke, wie das Knochenwachstumsgebräu Skele-Wachs und das Schockheilmittel Recalmasin. Sie heiratete 1743 den Muggel Louis Bakersfield und zog mit ihm nach Hainburg. Allerdings behielt sie ihre Anstellung als Heilerin in Hogwarts, der Schule für Hexerei und Zauberei. Sie bekam vier Kinder, die alle keine Zauberkräfte entwickeln konnten. Ebenso zeigten deren Kinder keine Zauberkräfte. Jeder Versuch, das Ausbleiben der Zauberkräfte zu erklären, scheiterte."

"McGonagall? Die ist doch nicht etwa mit unserer Professor McGonagall verwandt?" Wunderte sich Kevin. Julius und Gloria sagten nichts dazu. Julius scherzte nur:

"Die muß ja von ihren Eltern dumm angemacht worden sein, weil sie keine Zauberer ausgebrütet hat. Muß wohl der hinterletzte Muggel gewesen sein."

Alle lachten über diese abfällige Bemerkung. Julius meinte:

"Ich behalte das Bild für meine Eltern, damit die beruhigt sind, daß nicht jeder, der zaubern kann, auch Zauberer als Nachfahren haben muß."

Als hätte die Miniaturdarstellung von Megan McGonagall ihn genau verstanden, schüttelte sie den Kopf und machte dabei ein Gesicht, wie Professor Minerva McGonagall, wenn sie jemanden maßregeln wollte. Julius steckte das Bild schnell in eine tiefe Tasche seines Umhangs.

Kurz vor der Ankunft in London Kings Cross zogen sich die Hogwarts-Schüler ihre Straßenkleidung wieder an. Gloria und Gilda blieben solange vor der Abteiltür stehen, bis die Jungen sich umgekleidet hatten. Dann warteten die Jungen vor dem Abteil, bis sich die Mädchen umgezogen hatten. Als sie schließlich auf Gleis 9 3/4 ankamen, war der verborgene Bahnsteig schon voller Erwachsener, die alle in normalen Straßenkleidern auf ihre Kinder, nichten oder Neffen warteten. Julius sah den Zauberer mit dem Goldzopf, der statt eines Umhangs einen blauen Wintermantel und eine Bärenfellmütze trug. Neben ihm stand ein ihm ähnelder Mann, der eine weißblonde Igelfrisur trug und in einem grauen Geschäftsleuteanzug steckte.

"Ach, mein Vater ist auch schon wieder in London", stellte Gloria fest. Dann sah Julius noch die Eltern von Fred und George Weasley und bemerkte, daß Mrs. Weasley in dieser Familie wohl die Hosen anhatte. Denn sie dirigierte ihre Kinder, kaum daß sie den Zug verlassen hatten und verschwand mit ihnen und ihrem Mann durch die magische Absperrung.

Julius bugsierte seinen wuchtigen Koffer aus dem Einstieg des Wagons, dann half er den Mädchen aus seinem Abteil, ihre Koffer aus dem Zug zu befördern. Als sie alle auf dem Bahnsteig standen, den kein Muggel kannte, begrüßte ihn der blondgezopfte Zauberer, der Julius zu Schuljahresbeginn mit seinen Sachen geholfen hatte.

"Hallo, die ersten Monate wohl verbracht?"

"Jawohl, habe ich", erwiderte Julius erfreut. Dann sah er, wie Gloria zunächst ihrem Vater, dann ihrem Onkel um den Hals fiel. Neben Glorias Vater tauchte eine ziemlich hochgewachsene Frau mit weißblonder Lockenfrisur auf, die Gloria Porters älteres Spiegelbild zu sein schien. Sie trug einen weißen Wintermantel, der aus Eisbärenfell zu bestehen schien. Julius starrte der Fremden in die graugrünen Augen, als wolle er sich vergewissern, keinen Geist vor sich zu sehen.

"Gefällt Ihnen meine Frau, junger Mann? Sie kommen nur fünfzehn Jahre zu spät" flötete der Mann im grauen Geschäftsleuteanzug belustigt. Julius errötete total. Gloria lachte.

"Er hat nur sichergestellt, daß er mich in zwanzig Jahren noch wiedererkennen kann", lachte Gloria Porter. Dann stellte sie Julius ihre Eltern vor und umgekehrt.

"Ja, sicher. Ich habe von dir gehört. Du wolltest wissen, wie wir Muggelgeld verrechnen. Und, hat's deinem Vater was genützt, oder wer in deiner Familie das Geld verwaltet?"

"Die Umrechnungstabellen waren sehr wertvoll", antwortete Julius immer noch verlegen. Gloria sagte:

"Du wirst Julius vielleicht noch häufiger am Bahnsteig sehen können, Daddy. Seine Eltern haben dank deiner Hinweise erkannt, wie sie ihm Hogwarts finanzieren sollen."

"Dann ist es ja gut. Es ist nämlich nicht besonders angenehm, in der Welt herumzureisen und zu wissen, daß es einige Zauberer gibt, die aus falsch verstandenem Spparwillen keine gescheite Ausbildung bekommen haben und von jetzt auf gleich irgendwas anstellen können. Grüße deine Eltern!"

"Mach ich", erwiderte Julius. Dann fragte Glorias Mutter:

"Wie gefällt dir Zauberschach? Ist doch besser als diese eklektonischen Automaten, oder?"

"Mir war es ja leider unmöglich, meinen Schachcomputer gegen das Schachspiel Ihrer Tochter antreten zu lassen", antwortete Julius Andrews.

"Das war bestimmt gut so", erwiderte Mrs. Porter und grinste. Julius verstand, wer in dieser Familie für das königliche Spiel zuständig war.

Die Porters begleiteten Julius mit seinem Gepäck bis zur magischen Absperrung und durchschritten sie mit ihm zusammen, als der Wächter an der Barriere sie durchwinkte. Auf der anderen Seite standen bereits Julius Eltern. Neben ihnen stand eine junge Frau mit rotblonden Haaren, die einen violetten Umhang trug. Auf ihrer linken Schulter hatte sich eine schwarzweiße Katze zusammengerollt.

"Komm, lass' uns machen, daß wir hier wegkommen", waren die ersten Worte, die Julius von seinem Vater hörte. Dione Porter hatte es wohl gehört und sah kurz aber sehr energisch herüber. Julius vermeinte, ein warnendes Funkeln in den grünen Augen zu erkennen.

Vor dem Bahnhof wuchteten Julius und sein Vater den schweren Koffer in den geräumigen Kofferraum des Bentleys, den Richard Andrews standesgemäß fuhr.

"Schön, daß du wieder da bist", sagte Julius' Mutter, als sie alle im Wagen saßen und vom Parkplatz wegfuhren.

"Ich hoffe, du hast die Bücher lesen dürfen, die ich dir geschickt habe", meinte Richard Andrews.

"Ich habe noch nicht gehört, daß du guten Tag zu mir gesagt hast, Paps", stellte Julius leicht verärgert fest. Richard Andrews fuhr zusammen, als habe sein Sohn ihm einen Schlag in den Nacken versetzt.

"Die wichtigsten Dinge immer zuerst", sagte er barsch.

"Zum einen, ja, ich habe die Bücher gelesen. Zum anderen, ich habe wahrlich genug Aufgaben aufgehabt, um mir meine Ferien verdient zu haben. Wenn du also danach trachtest, mir die Freizeit zu Hause zu verplanen, bleibe ich über Ostern in Hogwarts. Falls du also etwas von mir wissen möchtest, solltest du das an einem Tag abhandeln."

"Wie redest du mit mir?" Fragte Richard Andrews.

"So wie jemand, der erkannt hat, daß er nicht dein Leben leben kann", stellte Martha Andrews kühl fest. "Du hast doch selbst mit diesem Flitwick Briefkontakt gehabt."

"Ja, und dabei war keine Einladung zu einem Elternabend oder soetwas. Gibt es das da nicht?"

"Doch. Auf Anfrage. Da sind sieben Klassen untergebracht, aber nur fünfzehn Professoren. Wenn du einen Termin bei jemandem haben willst, mußt du bei Professor McGonagall um einen Termin bitten", erklärte Julius.

"Und wie komme ich dann nach Hogwarts? Angeblich soll ja kein Nichtmagier wissen, wo das ist."

"Das wird man dir dann wohl mitteilen. Zauberer wissen ja, wo Hogsmeade liegt."

"Was diese Prüfung angeht, so wird die sich in praktischen Übungen erschöpfen, Pufferlösungen ansetzen und dosierte Salzbildungen. Das sollte an einem Tag machbar sein. Aber unterlasse es, Zauberkräfte zu verwenden!"

"Denkst du, ich will mich um den Spaß bringen?" Grinste Julius. Er wollte noch nicht verraten, daß er zu Hause nicht zaubern durfte. Wenn seine Eltern das noch nicht wußten, sollten sie es erst erfahren, wenn es sein mußte.

Auf dem restlichen Weg nach Hause wurde über die Schulkameraden gesprochen. Julius erwähnte auch die Slytherins, die seiner Meinung nach eingebildete Wichtigtuer seien. Er erwähnte auch, daß man ihn für die Nachwuchsmannschaft im Quidditch-Team vorgeschlagen hätte.

"Nichts für ungut. Aber über Weihnachten kommen deine Tanten und Onkel. Die glauben, du seist zwar nicht in Eton, weil die Prüfungen nicht geschafft worden seien, aber wo genau du gelandet bist, wissen sie nicht. Und ich begrüße es, wenn dies so bleiben würde", meinte Julius' Vater. Julius fragte:

"Kommt Generaldirektor Goodwin auch zu Besuch?"

"Genau. Er und seine Frau haben sich für den Tag nach Weihnachten angekündigt. Am besten stimmen wir uns ab, was du erzählen solltest."

"Das ist auch im Sinne der Zaubererwelt, wenn ich nicht erzähle, daß ich für ein anderes Leben bestimmt bin, als für einen Posten, wie du, Mum oder Generaldirektor Goodwin ihn bekleiden. Es könnte zu Minderwertigkeitskomplexen führen."

"Woher hast du denn das Wort?" Wunderte sich Martha Andrews.

"Ich habe viel gelesen", versetzte Julius knapp.

Sie entschieden sich, Julius würde auf die Theodor C. Beaufort-Schule gehen, eine Einrichtung, die erst vor einem Jahr eröffnet und ausschließlich für Kinder aus Manager- oder Wissenschaftlerfamilien reservviert sei.

"So dumm wie seine beiden Söhne sind, wird Goodwin nie darauf kommen, sich nach den Ausbildungsmöglichkeiten zu erkundigen. Vor allem daß dort Jungen und Mädchen zusammen unterrichtet werden, dürfte ihm den Appetit darauf verderben, seine Söhne dort einzuschulen", bemerkte Martha Andrews mit leichtem Grinsen. Ihr Mann nickte. Das erschien ihm als glaubhafte Lösung. Julius erklärte sich einverstanden.

Am Abend - Julius mußte sich erst wieder daran gewöhnen, ein Zimmer für sich allein zu haben - klopfte etwas an seine Fensterscheibe. Er öffnete leise und ließ einen krähengroßen, weißbraunen Vogel ein. Julius erkannte sofort, daß dieser Vogel kein einheimisches Tier Großbritanniens war und überlegte, welche Aufgabe der Vogel erfüllen sollte. Das Tier gab einen merkwürdigen Ruf von sich, der so klang, als würde er lachen. Julius wollte schon sagen, daß seine Eltern nebenan schliefen, als das Telefon klingelte. Julius hoffte, daß sein Vater vielleicht wieder zu einer unmöglichen Sonderschicht gerufen wurde. Er streichelte den Vogel, damit er nicht noch mal sein Lachen ertönen ließ und stellte fest, daß er auf dem Rücken eine kleine Tragetasche beförderte, in der ein zusammengerolttes Pergament lag. Julius entfaltete das Pergament und las:

 

Hallo, Julius,

ich hoffe, du bist gut aus Hogwarts zurückgekommen und verbringst zwei erholsame Ferienwochen zu Hause. Ich würde mich sehr freuen, wenn ich dich am 29. Dezember zu einer Rundfahrt durch den botanischen Garten von Hiddden Groves einladen könnte. Ich habe auch gehört, daß du bereits gute Flugfortschritte gemacht hast. Das würde ich gerne sehen.

Ich denke, daß ich deine Eltern ohne Gewaltanwendung davon überzeugen kann, daß du nicht nur Muggel und Jungzauberer kennen solltest, sondern auch mit dem Leben erwachsener Zauberer und Hexen vertraut gemacht werden solltest. Denn wir sind uns ja wohl nun einig darüber, daß du deinen Platz eher in der Zaubererwelt finden wirst als in der Muggelwelt.

Wir sehen uns

Aurora Dawn.

 

Julius grinste. Was versprach sich die ehemalige Hogwarts-Schülerin und Jägerin im Ravenclaw-Team davon, ihn in die Welt der Zauberer einzuführen? Er würde in zwei Jahren womöglich Hogsmeade besuchen dürfen. Da würden ihm so viele Zauberer und Hexen über den Weg laufen. Doch dann dachte er daran, wie die Anderen aus seiner Schulklasse reagierten, wenn er von sich erzählte oder zeigte, wie wenig er wußte. Vor allem faszinierte es ihn immer wieder, wenn die Sprache auf Lord Voldemort gebracht wurde. Selten hatte er Leute so ängstlich reagieren sehen können. Vielleicht meinte Aurora Dawn, ihn nicht völlig unvorbereitet auf fremde Hexen und Zauberer treffen lassen zu dürfen. Gut, das sah er ein.

In der Tragetasche des Vogels lag noch ein kleiner Zettel auf dem stand:

"Gib Chackie bitte zwei zuckerfreie Getreideplätzchen. Sie fliegt immer so lange herum, daß sie fast im Flug verhungert.

Aurora!"

Julius suchte den Tisch nach bereitgestellten Keksen ab und fand tatsächlich zuckerfreie Kekse. Er gab dem Vogel einen und wartete, bis dieser ihn gegessen hatte. Dann gab er ihm noch einen. Er hörte, wie sein Vater im Wohnzimmer "Jawohl, Professor Donaldson" und "Ich bin gleich da, Sir" sagte.

"Also ich such mir was aus, wo ich bei Sonnenuntergang die Läden zumachen kann", entschloß sich Julius. Dann streichelte er den fremden Vogel und sagte:

"Ich schreibe deiner Freundin noch was, daß du bitte mitnehmen möchtest." Dann nahm er ein leeres Pergament und schrieb:

 

 

Hallo, Ms. Dawn!

Ich bin wieder gut nach Hause gekommen und würde mich freuen, Ihre Einladung anzunehmen. Allerdings weiß ich nicht, wie meine Eltern darauf reagieren werden. Außerdem wollte ich Ihnen noch schreiben, daß wegen eines Verbrechers aus Askaban Dementoren dieses Gefängnisses Hogwarts umstellt halten, weil der Flüchtige offenbar zu unserer Schule wollte. Mir machen diese Wesen etwas Angst und ich wußte nicht, wem außerhalb von Hogwarts ich darüber etwas schreiben konnte. Womöglich werden alle Eulen erst einmal abgefangen und die Briefe überprüft, daher schreibe ich jetzt erst über sie.

Einer der älteren Mitschüler scheint sowohl Ziel des Flüchtigen zu sein als auch besonders anfällig für die Kräfte der Dementoren. Im ersten Quidditchspiel ist er abgestürzt, als Dementoren ins Stadion kamen. Ich wollte nicht darüber spekulieren, als ich noch in der Schule war. Aber ich glaube, sie versuchen, den Jungen besonders heftig zu treffen. Dies nur, damit Sie wissen, was so in unserer Schule los ist.

Hochachtungsvoll

Julius Andrews

 

 

Julius steckte den Brief in die Tragetasche des exotischen Vogels und sagte:

"Flieg jetzt zu Aurora Dawn!"

Schnell verschwand das fremde Tier aus Julius Schlafzimmer und sauste wie ein heller Schatten zwischen den Bäumen dahin. Eine minute später verließ der Bentley seines Vaters die Garage und glitt in die Nacht Julius schloß das Fenster und legte sich zur Ruhe.

 

 

Am Morgen War Julius mit seiner Mutter allein. Sie erzählte ihm, daß sein Vater wohl länger im Büro zu tun hätte. Womöglich mußte er noch ins Labor, um ein laufendes Projekt zu kontrollieren. Zumindest hatte er seiner Familie eine kurze Nachricht hinterlassen.

Julius war froh, daß er am Morgen mit seiner Mutter alleine war. Denn sie nahm seine neue Situation gelassener und bedächtiger hin, als sein Vater es tat. So konnte Julius auch von den Verabredungen erzählen, die er getroffen hatte und zeigte ihr den Brief von Aurora Dawn.

"Hmm, wie kommt diese, ähm, Hexe darauf, daß wir dich mit ihr alleine irgendwo hinfliegen ließen?"

"Wahrscheinlich, weil sie weiß, wie sie euch das erklären kann. Ich kann im Moment nicht sagen, was Aurora Dawn genau beabsichtigt. Ich weiß nur, daß sie sich für meinen Werdegang interessiert. Womöglich laufe ich bei ihr unter der Rubrik Versuchskaninchen." Bei den letzten Worten grinste Julius spöttisch.

"Und das machst du mit?" Wollte seine Mutter wissen. In ihrer Stimme klang weder Besorgnis noch Verachtung mit.

"Hmm, sie hat auf mich einen ernstzunehmenden Eindruck gemacht, nicht chaotisch oder verdächtig. Bill hat sie ja auch sofort leiden können."

"Wenn der wüßte, wen er sich da angelacht hat", meinte Martha Andrews. Sie dachte daran, was Bill Huxley, der bodenständige Ingenieur sagen würde, wenn ihm jemand erzählte, daß er sich in eine richtige Hexe verguckt hatte.

"Gut, Bill hat zuviel erlebt, um sich noch was vormachen zu lassen. Doch steht in deinem Buch über Zaubertränke nicht auch was von Liebestränken?"

"In dem Buch nicht, Mum. Wahrscheinlich gehört das zu den Sachen, die nicht für kleine Jungen und Mädchen gedacht sind. Außerdem glaube ich nicht, daß Aurora Dawn sowas nötig hätte. Du hast sie doch erlebt, wie sie mit Paps umgehen konnte, ohne böse zu werden und ohne Hilfsmittel."

Ja, das habe ich gemerkt. Die Frau weiß, was sie will. Und gerade das macht sie mir unheimlich. Na gut. Ich rede mit deinem Vater darüber, bevor sie hier eintrudelt. Weglaufen hätte ja keinen Sinn. Dein Paps hat immer noch an der Reise nach Australien zu zahlen. Was meinst du, wie der sich zwischendurch aufregt, wenn irgendwo was fehlt. Er hat sogar schon daran gedacht, deine Schule zu verklagen."

"Wieso? Die haben doch nicht geschrieben, daß ich nach Australien müsse. Außerdem denke ich, daß kein Gericht in der Nichtzaubererwelt eine Klage annehmen würde, bei der der Beklagte nicht mit normalen Leuten vergleichbar ist. Hogwarts gibt's doch nicht in der Nichtzaubererwelt."

"Was meinst du, was deinen Vater immer und immer wieder so beschäftigt? Wenn wir nicht gesehen hätten, wie diese Hexe McGonagall den Revolver verhext hätte und dich durch die Luft fliegen sahen und schließlich dieses Verschwindekunststück mit der Absperrung. Dabei macht sich dein Vater mehr Gedanken darum, wie er deine Ausbildung anderen gegenüber erklären soll."

"Du doch auch", wandte Julius ein. Sie nickte und sagte:

"Ich sage dann immer, daß es ein Erziehungsziel sei, den Kontakt zwischen Schülern und Eltern so gering wie möglich zu halten, um die Selbständigwerdung zu beschleunigen. Das reicht den meisten aus meinem Bekanntenkreis."

"Na gut. Klingt auf jeden Fall besser als: "Mein Sohn ist in einem echten Spukschloß und rührt Zaubertränke an und läßt Sachen durch die Gegend fliegen und anstatt Fußball oder Rugby zu spielen, Fliegt er auf einem Besen durch die Gegend."

"Das war auch was, wo dein Vater und ich halbe Nächte diskutiert haben. Als wir diese Eulenpost von einer Madame Hooch und deinem Hauslehrer Flitwick bekamen, wo drin stand, daß sie dich zum Training für den Nachwuchs eurer Hausmannschaft vorschlagen, haben wir auch erst einmal gestutzt. Ich schrieb zurück, daß wir nicht wüßten, was das für ein Sport sei, Quidditch. Madame Hooch hat zurückgeschrieben, und dein Paps ist bleich geworden. Ich dachte erst, er denke an die Gefährlichkeit dieses Sports. Aber ihm fiel was anderes ein, was er gehört hatte, als wir im Flugzeug nach Sydney gesessen haben."

"Irgendwas mit Suchern und Nimbus 2000. Richtig?" Erinnerte sich Julius.

"Öh? Genau. du weißt auch noch, von wem er das gehört hat?"

"Kann sein", meinte Julius feist grinsend. Offenbar, so dachte er, mußte seinem Vater da klargeworden sein, wer ihm das Zitronenbonbon geschenkt hat. Und dieser Gedanke bereitete Julius Freude.

"Lassen wir das. Du hast was erzählt, daß eine Klassenkameradin dich in den Ferien treffen wollte?"

"Richtig. Du hast sie übrigens am Bahnhof gesehen. Es war die blondgelockte neben der Frau, die ihr total ähnlich sieht."

"Achso, das Mädchen mit den blonden Locken und ihre Eltern. Der Mann machte einen wichtigen Eindruck. Du weißt nicht, was der beruflich macht?"

"Das war Mr. Porter, Mum. Du weißt doch, der Mann, der mir die Umrechnungstabelle für Standardgeld zu Zauberergeld geschickt hat."

"der war das? Ich dachte, der arbeitet in Südafrika. Dann ist er nur wegen der Weihnachtsferien zurückgekommen?" Wollte Julius' Mutter wissen.

"Warum nicht?" Fragte Julius zurück. "Für unsereins sind Entfernungen nicht so groß. Das haben Paps und du doch schon mitgekriegt."

"Der kann ja nicht den ganzen Weg im zeitlosen Sprung zurückgelegt haben."

"Dann ist er wohl geflogen."

"Kann möglich sein. Zauberer und Hexen haben viele Möglichkeiten, große Strecken zurückzulegen", beendete Julius das Thema.

Julius mußte sich wieder an die Arbeit am Computer gewöhnen. Nach Monaten mit Federkiel und Tintenfaß war es für ihn nicht gerade einfach, die Tastatur zu bedienen. Doch als er wieder Routine besaß, ging ihm die Schreiberei am Rechner schnell von der Hand.

Als Julius' Vater nach Hause kam, war es schon Mittagszeit. Der junge Zauberer hörte, wie er sich lautstark über "Diese Idioten" aus seiner Firma beklagte. Als er dann noch hörte, daß sein Sohn Post von Aurora Dawn bekommen hatte, besserte das nicht gerade seine Stimmung. Er rief Julius herunter.

"Hat diese Hexe es nicht mehr nötig, uns um Erlaubnis zu fragen? Soviel ich weiß gilt ein Angehöriger der Magiewelt erst mit siebzehn Jahren als volljährig. Wenn sie das nächstemal schreibt, teile ihr mit, daß sie uns zu fragen hat, ja?"

"Kein Problem", meinte Julius. Er konnte zwar verstehen, daß sein Vater besorgt war, aber sah es irgendwie nicht ein, warum er sich nun von allem isolieren sollte, was mit der Welt der Zauberer zu tun hatte. Doch er wollte es ruhig angehen lassen. Seine Eltern hatten immer noch mit dieser Änderung zu kämpfen. In manchen Nächten in Hogwarts hatte er davon geträumt, daß sein Vater ihn bei diversen Firmen empfohlen hatte, doch als er in seinem Hogwarts-Umhang zum Vorstellungsgespräch kam, war er immer nach fünf Minuten wieder höflich aber unmißverständlich abgewiesen worden.

Am Abend ging Julius mit seinem Vater ins Labor im Keller und zeigte dem Chemiefirmendirektor, daß er seine Hausaufgaben gut gemacht hatte.

Als der Weihnachtstag kam, dachte Julius daran, daß er keine Geschenke für seine Eltern besorgt hatte. Das war ihm irgendwie peinlich. Doch daß er keine Geschenke für Gloria, Kevin und die Hollingsworths finden konnte, in der kurzen Zeit, bedauerte er mehr. Doch wie hätte er vor dem Feiertag in die Winkelgasse gelangen können. Sicher, Gloria hätte sich auch für einen Schachcomputer begeistern können. Doch er ärgerte sich darüber, daß er nicht in der Lage war, für seine neuen Freunde was zu finden. Als er in die große Wohnstube kam, sah Julius den großen Tannenbaum, der mit der Spitze fast die Decke berührte. Der goldene Stern auf der Spitze glänzte mit den faustgroßen Kugeln um die Wette. Die Kette elektrischer Kerzen strahlte ein warmes weißgelbes Licht aus, während das silberne Lametta sich durch die zurechtgestutzten Zweige schlängelte, wie kleine Flüsse durch eine grüne Waldlandschaft. Unter dem Baum stand ein niedriger Tisch, fast eine Fußbank, der mit einem weißen Leinentuch gedeckt war. Auf dem Tisch lagen die Geschenke der ganzen Familie aufgestapelt.

"Huch, wer hat denn das alles so schnell aufgebaut?" Wunderte sich Julius. Sein Vater, dessen blutunterlaufene Augen schlaftrunken dreinschauten, lächelte.

"Das habe ich gestern abend noch alles aufgebaut, als deine Mutter und du schon im Bett waren. Ich konnte einfach nicht schlafen, bis um eins. Da konnte ich auch den Baum hier aufbauen. In den letzten Tagen bin ich ja nicht dazu gekommen."

"Komisch, daß ich das nicht mitgekriegt habe. Ich muß wohl gut geschlafen haben", meinte Julius. Sein Vater grinste nur und sagte:

"Ja, da kannst du mal sehen, daß ich auch so meine Tricks beherrsche."

Nach dem Frühstück packten sie die Geschenke aus. Julius, der ja nichts hatte besorgen können, sah etwas unbehagt zu, wie seine Eltern sich gegenseitig beschenkten. Sein Vater bekam eine elektronische Navigationshilfe für das Auto von seiner Mutter. Sie erhielt eine neue Ballrobe und Eintrittskarten für ein Shakespeare-Stück, das im Januar in London aufgeführt werden sollte. Julius erhielt einen Bildband über Heil- und Giftpflanzen der gemäßigten Breiten, sowie ein verbessertes Teleskop, sowie eine Doppel-CD mit gesammelten Hits amerikanischer Rap-Musik. Dann lag da noch ein kleines Paket. Er wickelte es aus und fand in einer Schachtel ein kleines Funktelefon mit Bedienungshandbuch.

"Wir sehen nicht ein, weshalb du nicht direkt erreichbar sein solltest", kommentierte sein Vater das Geschenk. "Deshalb haben wir dir ein Mobiltelefon besorgt. Damit kannst du uns anrufen oder von uns erreicht werden. Es läßt sich abschalten, wenn du Unterricht hast. Dann werden alle Anrufe gespeichert und können später abgehört werden."

"Das wird wohl nicht gehen, Paps. Der Schachcomputer hat schon gesponnen, als ich ihn in unserem Wohnhaus ausprobiert habe. Es liegt angeblich daran, daß unsere Schule von so viel Magie durchdrungen ist, daß alle Elektronischen Geräte ausfallen. Ich fürchte, wir müssen auch weiter die Eulen fliegen lassen."

"Nimm das Ding mit und probiere es aus. Ich glaube nicht, daß ..."

"Du glaubst wohl nichts, was du nicht selbst getestet hast. Ich weiß es doch. Ich habe euch doch geschrieben, daß der Schachcomputer nicht geht", entgegnete Julius etwas verärgert. Sein Vater starrte ihn empört an. Er wollte gerade sagen, daß er sich das nicht bieten lasse, als das Telefon klingelte. Gut dressiert auf spontane Einbestellungen seiner Firma eilte Richard Andrews an den Apparat und hörte zunächst, wer ihn sprechen wolle. Dann sagte er:

"Martha, Mr. Goodwin und Professor Donaldson kommen schon eine Stunde früher als verabredet. Goodwin hat sich für heute abend noch einen anderen Termin freigehalten, der für ihn wichtig ist. Am besten rufe ich die Leute vom Partyservice gleich an, daß sie schon mal hier antanzen sollen", meinte Richard Andrews. Julius vermeinte ein leichtes Unbehagen im Gesicht seines Vaters zu erkennen. Seine Mutter hingegen sagte nur:

"Du mußt nicht immer gleich zwei Meter hoch springen, wenn dein Chef und dein Laborleiter husten, Richard. Donaldson mag keine Kriecher."

"Das hat nichts mit kriechen zu tun, Martha. Es ist nur so, daß sie früher ..." Wieder klingelte das Telefon.

In den nächsten Stunden sagten sich die erwarteten Verwandten an. Dann kam auch ein Anruf von Moira, der ehemaligen Schulkameradin von Julius. Sie fragte Julius in einer auf erwachsen getrimmten Sprechweise, ob er am 27. Dezember mit ihr und ihrem Vater an der Eröffnung einer Geschichtsausstellung teilnehmen wolle. Julius sagte:

"Moira, ich habe mit meinen Eltern die nächsten Tage voll verplant. Das Problem ist, daß ich im Moment nicht weiß, ob ich irgendwen außerhalb unseres Hauses treffen kann."

"Wieso besitzt du eigentlich keine E-Mail in deiner Schule? Ich meine, die haben doch wohl einen Internetanschluß."

"Nicht, daß ich wüßte, Moira."

"Und sowas soll ein Eliteinternat sein? Hmm, klingt irgendwie rückständig."

"Finde ich nicht. Wir haben gute Lehrer und eine umfangreiche Bibliothek", sagte Julius wahrheitsgemäß, ohne zu erwähnen, um was sich Unterricht und Buchangebot drehten. Dann fragte Moira, ob sie seine neue Mobiltelefonnummer haben könne. Julius stutzte und fragte zurück, wie sie darauf komme, daß er sowas hätte. Sie antwortete:

"Deine Eltern haben sowas gesagt, daß sie dir ein Handy schenken wollten. Haben sie es etwa nicht getan?" "Wollten sie. Aber ich habe ihnen geschrieben, daß Klassenkameraden von mir, deren Eltern ihnen sowas geschenkt haben, sich über ein Funkloch beschwert hätten, das unabhängig von den Betreiberfirmen besteht. Wir hängen voll zwischen Bergen und kriegen keine gescheite Verbindung hin. Deshalb haben wir darauf verzichtet, daß ich ein so teueres Dings kriege", log Julius. Moira meinte nur:

"Aber die Fernsehnachrichten kriegt ihr noch, oder?"

"Die aktuellen Nachrichten kriegen wir noch. Allerdings passen die Lehrer auf, daß wir nicht zuviel am Fernseher hängen. Wir lesen dafür viel Zeitung."

"Nun gut, Julius. Dann eben bis demnächst."

"Wieso hast du deine Schulfreundin so abgewürgt?" Wollte Julius' Vater wissen, kaum daß sein Sohn den Hörer aufgelegt hatte.

"Das kann ich dir genau sagen, Paps. Sie klang mir unverständlicherweise überdreht, als müsse sie sich mir oder anderen besonders toll vorstellen. Außerdem konnte ich ja wohl nicht sagen, daß in unserer Schule gar kein elektronisches Gerät benutzt wird."

"Ihr Vater hat mich vor einer Woche angerufen und darum gebeten, dich zu fragen, ob du mit seiner Tochter zu dieser Ausstellung gehst. Sie ist die einzige, die da hingeht, weil ihr Vater der Initiator dieser Veranstaltung ist. Glaubst du, die findet es gut, als einzige Elfjährige in einem Raum voller erwachsener Leute zu sein?"

"Wenn man da nicht Fußball spielen kann, ist es genauso blöd, wenn mehrere Kinder mit ihr da sind, Paps. Wie gesagt, irgendwie kommt die mir langsam seltsam verändert vor. Wo ist die jetzt eingeschult?"

"Warum hast du sie das nicht selbst gefragt? Aber gut, sie besucht die königliche Hochschule für höhere Töchter in Cambridge, die mit der dortigen Universität verbunden ist."

"A ja. Dann muß sie natürlich gegen die angehenden Ladies und Prinzessinnen anstinken. Das färbt ab", meinte Julius respektlos.

"Was glaubst du, wer du bist, Julius? Nur weil jemand meinte, daß du besondere Kräfte hättest mußt du dich nicht über andere lustig machen!" Wetterte Richard Andrews.

"Ich habe keine besonderen Kräfte. Da wo ich lerne, bin ich einer unter sehr vielen. Und mit dir kann man da sowieso nicht angeben, weil du kein Zauberer bist, Paps. Ich bin da also nichts besonderes, um das gleich zu klären."

Richard Andrews mußte sich sehr beherrschen, um nicht loszubrüllen. Offenbar hatte Julius ihn heftig beleidigt. Dann sagte er:

"Dann sieh zumindest zu, daß du auf dem Boden bleibst und nicht abhebst."

"Wie soll ich dann bitte Quidditch spielen, wenn ich nicht abheben darf?" Versetzte Julius ohne Vorwarnung.

"Lassen wir das, Richard. Julius hat recht. Moira läuft in Kleidung herum, die für ältere Frauen geeignet ist. Ich habe sie auf dem Foto gesehen, das Professor Stuard uns geschickt hat", wandte Martha Andrews ein.

"Na und, Martha. Dafür ist sie nun einmal die Tochter eines bedeutenden Geschichtsprofessors." Ich habe dieser McGonagall geschrieben, daß Julius gefälligst den Umgang mit standesgemäßer Kleidung lernt. Du weißt ja, was sie zurückgeschrieben hat."

"Das Anzüge mit Krawatten erst von älteren Schülern benötigt werden, die kurz vor dem Schulabschluß stehen. Sie würden schon darauf achten, was ihre Schüler tragen müßten", meinte Martha Andrews.

"Nun denn. Auf jeden Fall hast du ja jetzt einige Tage Zeit, dich wieder an unsere Welt zu gewöhnen", meinte Richard Andrews und sah seinen Sohn sehr ernst an.

 

 

Das Weihnachtsfest verlief fast wie in jedem Jahr. Erst kamen die Verwandten aus verschiedenen Regionen Englands, dann noch der Generaldirektor von Omniplast, der Firma von Richard Andrews undProfessor Donaldson, der Laborleiter in der Abteilung von Julius' Vater. Man unterhielt sich über die letzten großen Familienereignisse und die große Weltpolitik. Onkel Claude, ein begeisterter Fußballanhänger, fragte, ob jemand ihn im nächsten Sommer in die USa begleiten wolle, wenn dort die Fußballweltmeisterschaft stattfand. Julius, der früher sofort ja gebrüllt hätte, sagte, er müsse noch klären, wann das Schuljahr ende. Onkel Claude meinte, daß er das einsehe. Julius wußte zwar schon, daß er im Juni und Juli nicht aus Hogwarts wegkommen würde, doch er konnte ja nicht einfach sagen, daß er in einer fußballfreien Zone unterrichtet wurde. Das wäre dem begeisterten Fan von Chelsea verdächtig vorgekommen.

Um Mitternacht war die Pflichtveranstaltung vorbei und Julius konnte seinen guten Weihnachtsanzug für's erste über den Stuhl hängen und sich zum schlafen niederlegen. Auf der Kommode neben dem Bett lag das Handy. Er sah es kurz noch einmal an und grinste. Seine Eltern ließen wirklich nichts unversucht, sich ein bißchen Kontrolle zu bewahren. Er wollte gerade die Augen zumachen und schlafen, als etwas an sein Fenster klopfte. Da er im ersten Stockwerk schlief, konnte es nur etwas fliegendes sein: Eine Nachricht aus der Zaubererwelt.

Julius öffnete das Fenster und sah einen Uhu hereinschweben, der so groß war wie sein kopfkissen. Das Tier trug ein Paket in den Fängen und einen Umschlag im Schnabel.

"Ach du meine Güte. Dich haben sie aber beladen. Wo kommst du denn her?" Fragte Julius die große Eule leise. Er hob den Umschlag auf, den der Postuhu auf sein Bett hatte fallen lassen und nahm das schwere Paket. Dann schaltete er die Nachttischlampe ein und las den Brief, der in dem lindgrünen Umschlag gesteckt hatte.

 

Hallo, Julius!

Wir wünschen dir eine fröhliche Weihnachtszeit und haben uns gedacht, daß du dich sicher über ein paar nette Geschenke aus unserer Welt freust. Ich habe meine Eltern gefragt, ob ich dich in drei Tagen besuchen darf, um mit dir ein Muggelkino zu besuchen. Sie haben es mir erlaubt. Übrigens, die beiden Hollingsworths haben mir viele Grüße für dich mitgegeben. Ihre Eltern haben dir ein Weihnachtsgeschenk beigefügt. Hoffentlich ist unser guter Cook bei dir angekommen, ohne in Ohmacht zu fallen. Ich glaube, daß war das schwerste Weihnachtspaket, daß Daddy ihm angehängt hat.

Man sieht sich

Gloria

P.S. Meine Eltern lassen dich auch schön grüßen

 

 

Julius holte die ungezuckerten Plätzchen hervor und bot sie dem riesigen Eulenvogel an. Doch dieser schüttelte nur den Kopf. Offenbar nahm er nicht von jedem oder das Zeug war nicht sein Ding, fand Julius. Er holte ein Schälchen mit Wasser, wobei er sich anstrengte, leise zu bleiben. Wasser trank der Uhu. Dann öffnete Julius das Paket und fand neben einem weiteren Briefumschlag noch ein Buch über berühmte Quidditchspieler, ein Pack selbstmischender Spielkarten und einen Stimmungsfarbring, der dunkelblau leuchtete, bevor Julius ihn anprobierte. Sofort glühte er weißgelb. Außerdem fand er im Paket noch ein kleines Buch über magische Mineralien von Gemma Haret und eine Tüte Berty Botts Bohnen in jeder Geschmacksrichtung. Im Briefumschlag steckte eine Grußkarte mit einem Weihnachtsbaum, dessen Kerzen golden erstrahlten, als Julius die Karte aufklappte. Betty und Jenna hatten geschrieben:

 

Hallo, Julius!

Unsere Eltern haben sich sehr gefreut, daß du uns im Zaubertrank-Unterricht so gut geholfen hast. Sie haben dir deshalb das Buch von Gemma Haret besorgt. Es soll sehr interessant sein. Viel Spaß und fröhliche Weihnachten noch!

Betty und Jenna Hollingsworth

 

Als Julius die Weihnachtsgeschenke verstaut hatte, schrieb er schnell eine Antwort an Gloria.

 

 

Hallo, Gloria!

Ich bedanke mich recht herzlich für die vielen Weihnachtsgeschenke. Ich hoffe nur, daß du und deine Eltern sich nicht in Unkosten gestürzt haben, meinetwegen. Bestell den beiden Schwestern Hollingsworth bitte auch schöne Grüße von mir. Ich habe leider keine Eule, die ich abschicken könnte. Außerdem schäme ich mich dafür, keine Geschenke machen zu können.

Das mit dem Kinobesuch müßte ich durchkriegen können. Aber ruf am besten in einem Tag noch mal an, bitte. Du kannst doch mit einem Telefon umgehen, hast du gesagt. Meine Telefonnummer steht unter dieser Nachricht.

Man sieht sich!

Julius

 

 

Julius schrieb noch die Telefonnummer unter die Antwort und entließ den Uhu dann durch das geöffnete Fenster. Julius schloß das Fenster. Jetzt erst merkte er, daß es kalt im Zimmer geworden war. Er drehte sich in die Bettdecken ein und versuchte, zu schlafen. Der Stimmungsfarbring glühte blau im Zimmer. Julius konnte jedoch nicht einschlafen. Zuviel dachte er an Gloria und die Hollingsworth-Schwestern. Es mußte so um ein Uhr sein, als eine zweite Eule ans Fenster klopfte. Julius zog sich erst seinen Wintermantel an, bevor er das Fenster wieder öffnete und den Steinkauz hereinließ. Der Vogel trug ein kleines Päckchen an den Beinen, das er aufs Bett fallen ließ. Julius öffnete das Päckchen, während der Steinkauz wieder fortflog. Offenbar hatte er nicht den Auftrag, eine Antwort abzuwarten. Julius fand eine Tüte mit den magischen Zitronenbonbons und zwei Grußkarten. Eine zeigte eine Schneelandschaft, durch die der Weihnachtsmann mit seinem Rentierschlitten fuhr. Die Nase des Rentiers Rudolph glühte rot im Schneegestöber. Die zweite Karte zeigte einen Schlitten mit weißen Känguruhs bespannt, die mit großen Sätzen vorwärtssprangen, während der hier in leichter Sommerkleidung und rotem Strohhut gekleidete Weihnachtsmann fröhlich lächelte. Auf der winterlichen Karte stand:

 

Hallo, Julius Andrews.

Du wirst dich vielleicht noch an mich erinnern. Ich war die Dame, die im Flugzeug nach Sydney saß, als deine Eltern und du ihren Kurzurlaub machen wollten. Mein Name ist Melinda Bunton.

Ich habe von Cynthia Flowers erfahren, daß ihr im Moment Dementorenbesuch in Hogwarts habt und schenke dir deshalb diese Bonbons. Sie wirken ein wenig gegen ihren Einfluß und sind nicht vergiftet. Steck sie aber gut weg! Ich kann mir denken, daß deine Eltern mittlerweile wissen, daß sie aus Hexenzutaten bestehen.

Fröhliche Weihnachten und ein schönes neues Jahr

Melinda Bunton

 

Julius verbarg die Zauberbonbons sofort in seinem Schulkoffer und schloß das Fenster. Dann las er die Weihnachtskarte mit den weißen Känguruhs:

 

Hallo, Julius!

Ich freue mich schon darauf, dir Hidden Groves zu zeigen. Melinda Bunton, eine alte Kameradin von mir, hat mir erlaubt, ihre Eule zu benutzen, um dir diese Weihnachtskarte zu schicken. Das mit den Dementoren ist eine schlimme Sache. Ich hoffe, sie kriegen diesen Black sehr schnell, damit ihr in Ruhe lernen könnt.

Ich bin am 29. Dezember bei euch. Bill Huxley hat übrigens noch nicht herausbekommen, was mit mir los ist. Er denkt nur, daß ich auf einem Mittelalter-Trip bin, wie er sich ausdrückte, nachdem er meine Küche gesehen hatte. Meine Spezialgewürze hat er nicht zu sehen bekommen. Die sind für Muggelaugen nicht zu erkennen.

Wir sehen uns bald

 

Aurora Dawn

 

Julius versteckte die Winterweihnachtskarte in einem Comic und legte die Weihnachtskarte aus Australien auf die Kommode. Solten seine Eltern ruhig sehen, daß er Post aus der Zaubererwelt bekam.

Julius hängte seinen Mantel wieder in den Schrank und schlief dann endlich.

Am nächsten Tag kam der Rest der Verwandtschaft zu einer kurzen Weihnachtsfeier. Julius erzählte brav von seiner bisherigen Schulzeit im neuen Internat und vergaß auch nicht zu erwähnen, daß dort keine elektronische Post eingerichtet war. Sein Onkel Brandon wollte wissen, ob man diese Eliteschule nicht telefonisch erreichen konnte. Julius' Vater antwortete darauf, daß er in gutem Kontakt mit den Professoren stehen würde und bisher immer auf dem laufenden gehalten wurde. Allerdings wäre die Ausbildung sehr strickt und daher bliebe keine Zeit für viel Vergnügungen.

"Na hoffentlich lassen sie dich noch lange genug Kind sein, Junge. Manche dieser hochgezüchteten Schulen treiben einem jeden Spaß aus, bevor man richtig mit dem Leben anfängt", meinte Onkel Brandon. Julius grinste dazu nur.

"Wir treiben viel Sport und zwischendurch kloppen sich auch noch welche von den Jungen. Gerade bei Winterbeginn konnten wir eine herrliche Schneeballschlacht machen."

"Genau. Das ist die richtige Auffassung. Lernen und Arbeiten, aber auch alles rauslassen, was einen fertig macht", erwiderte Onkel Brandon. Julius' Vater guckte vorwurfsvoll. Dann lachte er. Offenbar lag ihm was daran, den Eindruck des normalen Schullebens so weit wie möglich auszubreiten.

Das Telefon klingelte. Richard Andrews ging an den Apparat und hörte eine Sekunde lang zu. Dann sah er etwas bedröppelt drein. Schließlich setzte er ein gewisses Grinsen auf und rief Julius an den Apparat.

"Hallo, Julius! Hier spricht Plinius Porter, Glorias Vater. Moment, ich geb sie dir mal eben", meldete sich eine freundliche Männerstimme am anderen Ende der Leitung. Julius hörte, wie der Hörer weitergereicht wurde und hielt sich vorsorglich den Hörer etwas vom Ohr weg. Doch Gloria sprach mit ganz gewöhnlicher Lautstärke:

"Hallo, Julius! Daddy hat eines dieser Handys gekauft. Er findet, daß die gar nicht so übel sind. Ich wollte dich fragen, ob es bei übermorgen bleibt. Daddy wollte einen Muggelwagen von Gringotts anfordern, um dich abzuholen. Wie geht's?"

"Mir geht es soweit sehr gut, Gloria. Meine Eltern werden wohl nichts dagegen haben, daß ich mit dir ins Kino gehe. Ich habe auch schon einen Film ausgesucht, einen Film über die Zeit von König Arthus."

"Wunderbar. Meine Mum will das mit deinem Vater noch kurz besprechen, damit wir wissen, wo wir hinfahren müssen. Bis bald."

Julius' Vater unterhielt sich kurz mit Mrs. Porter. Dann legte er den Hörer auf und sagte zu seinem Sohn:

"Immerhin können die ordentlich telefonieren. Ich wollte Bill schon sagen, was mit seiner Auserwählten los ist. Aber ich kam bislang nicht dazu. Die beiden machen den Eindruck, als wären sie wie wir. Sind beide ..."

"Genau", erwiderte Julius schnell und nickte dabei. Sein Vater sah verwundert auf die Uhr. Dann kehrten beide zurück zu der Feier.

Am nächsten Tag rief Moiras Vater noch mal an. Offenbar lag ihm etwas daran, Julius mit in diese Ausstellung zu nehmen. Julius hatte sich dazu entschlossen, doch mitzugehen.

Moira trug ein festliches graues Kleid und einen dunkelblauen Schal, als die beiden ehemaligen Schulkameraden sich vor dem Haus der Andrews' in der Winston-Churchill-Straße trafen. Moiras Vater hatte sie persönlich hierher gebracht, um Julius abzuholen. Im geräumigen blauen Austin ging es zum britischen Museum, wo Professor Stuard seine Ausstellung eröffnete. Wie Julius vermutet hatte, wurde es eine höchst langweilige Veranstaltung. Er konnte sich nur damit erheitern, daß er sich vorstellte, Professor Binns, der Lehrer für Zaubereigeschichte in Hogwarts, würde gleich durch eine Wand hereinschweben und "Das ist doch alles unsinn" rufen.

Die Ausstellung drehte sich um die keltische Hochkultur zur Zeit um 100 vor Christus. Dabei ging es auch um das Wirken der Druiden, Zauberpriestern, die über großes Ansehen verfügt haben sollten.Professor Stuard dozierte über die neuesten Ergebnisse der Frühgeschichtsforschung und erläuterte den Eröffnungsgästen, welche Ausstellungsstücke zusammengetragen worden seien. Die Ausstellung selbst sollte im neuen Jahr für das allgemeine Publikum freigegeben werden. Die Mehrzahl der vornehm gekleideten Besucher bestand aus Geschichtslehrern und -lehrerinnen. Julius bemerkte mit gewisser Schadenfreude, daß sie alle irgendwie einschläfernd wirkten. So konnte er sich rühmen, einen echten Schloßgeist als Lehrer zu haben, der vieles von dem, was er unterrichtete, selbst mitbekommen hatte. Er dachte auch daran, daß Gloria die einzige aus seiner Klasse war, die sich wirklich für Binns' Unterricht begeistern konnte.

"Was grinst der Knabe so frech?" Wollte eine ältere Frau in blauem Kleid wissen. Julius erschrak, dann sagte er spontan:

"Der Knabe denkt an Asterix und fragt sich, ob Miraculix nicht auch irgendwie in dieser Ausstellung seine Spuren hinterlassen hat." Ungläubiges Glotzen folgte diesem Einwand. Professor Stuard lachte, während seine Tochter Moira rot anlief.

"Das ist ein guter Überleitungspunkt, Julius. Ich wollte sowieso auf namhafte Druiden eingehen, von denen wir sicher wissen, wo sie gewirkt haben. aber dir sollte ja bekannt sein, daß Miraculix bestimmt nicht in England selbst gewirkt hat, da er ja, wie die Comics uns einzureden versuchen, ein gallischer Kelte, also in Frankreich ansessig war", schaffte es Professor Stuard, die allgemeine Entrüstung zu dämpfen und zum Ernst der Sache zurückzukommen.

Als die Ausstellungseröffnung beendet war, fuhr ihn Moira an, was ihm, Julius denn eingefallen sei. Julius meinte dazu nur:

"Moira, wenn ich eines schon gründlich gelernt habe, dann ist es das: Geschichte kann nur spannend oder lustig vermittelt werden, wenn die Leute was davon behalten und nicht vorher einschlafen sollen. Und dein Daddy weiß das auch."

"Mann, da waren zwei Professoren von meiner Schule dabei. Die denken doch jetzt, wir wären die hinterletzten Idioten", maulte Moira.

"Wieso? Asterix ist eine fundierte Allgemeinbildung, wie die wöchentlichen Fußballergebnisse."

"Ich muß mir das aber anhören, wenn mein Geschichtslehrer die Auffassung vertritt, ich umgebe mich nur mit Trivialliteraturinteressenten."

"Jetzt hör aber auf. Du hast doch in unserer früheren Schule diese Pferdegeschichten wie Pausenbrot gefressen, Mickey-Mouse-Comics gelesen noch und nöcher und dich für so einen Schrott wie Denver Clan begeistert, obwohl diese Serie wahrlich nichts für Kinder war. Erzähl mir also nichts von richtigem Interesse, Moira!"

"Da hat er recht, Kind. Tu nicht so, als würdest du diese Ausstellung verantworten! Ich habe mich selten so gefreut, vom üblichen Trott abrücken zu müssen, wie heute", sprach Professor Stuard, Moiras Vater sie von hinten an.

"Ich wollte Ihnen nicht die Tour vermasseln", meinte Julius.Professor Stuard winkte ab. Ihm war es völlig gleichgültig, was die anderen dachten. Womöglich bekam er durch Julius' Einwand sogar mehr öffentlichkeit.

Als Julius wieder zu Hause war, zeigte ihm sein Vater einen Brief von Aurora Dawn.

"Diese Aurora Dawn hat uns geschrieben. Sie will übermorgen hier antreten, um dich abzuholen. Ich hoffe, sie benutzt normale Verkehrsmittel."

"Wie ist denn der Brief angekommen, Paps?" Wollte Julius von seinem Vater wissen.

"Eine Schneeeule hat ihn hier abgeliefert. Sie landete auf dem Außensims des Küchenfensters und klopfte solange, bis deine Mutter sie reinließ. Dann ließ sie diesen Brief aus dem Schnabel fallen und machte sich wieder davon."

"Dann ist es offenbar schon etwas offizieller. Ms. Dawn hat einen anderen Postvogel, wie ich weiß", meinte Julius.

"Ich muß mich wohl damit abfinden, daß du andere Leute kennenlernst. Aber mit wem du wo hingehst, das entscheiden immer noch deine Mutter und ich. Wenn dir das klar ist, kriegen wir keinen Streit", meinte Julius' Vater.

"Sicher ist mir das klar. Und ich werde auch nichts tun, wodurch ich mit dir Krach kriegen würde. Lassen wir Ms. Dawn erst einmal hier eintrudeln."

"Die arbeitet doch in Australien. Wie will die das Geld aufbringen, um ..."

"Oha, Paps. Langsam solltest du wissen, daß Flugzeuge kein Transportmittel für Hexen und Zauberer sind. Als ich meine Schulsachen gekauft habe, bin ich mal eben für acht Stunden nach London gereist und wieder zurück. Ms. Flowers hat mir verraten, daß unser Transportmittel nur 10 Galleonen pro Kilogramm kostet und für einen 1-Personen-Transport nur 5 Gramm benötigt werden. Jetzt rechne mal aus, wieviel das in englischen Pfund ist."

"Komm, hör auf! Ich will das gar nicht wissen", wandte Richard Andrews ein. Dann ging er mit seinem Sohn in sein kleines Labor und testete, wie weit die Chemieausbildung von Julius gediehen war.

 

 

Am nächsten Tag ging Julius mit seiner Mutter in das nächste Einkaufszentrum. Er hatte sich daran erinnert, daß Gloria sich für Geographie interessierte. So besorgte er vom Geld, daß er von seinen Verwandten geschenkt bekommen hatte ein Buch über die polaren Regionen der Erde und über Astronavigation. Anschließend gönnte er sich mit seiner Mutter einen echten Hamburger mit Pommes Frites.

Am Nachmittag kurz vor zwei Uhr kehrten sie zur Winston-Churchill-Straße zurück. Julius zog seine normale Straßenkleidung an und wartete. Sein Vater war wieder ins Labor bestellt worden, da dort gerade eine neue Versuchsserie beendet werden sollte. Er hatte Julius eingeschärft, um 22.00 Uhr wieder zu Hause zu sein. Er bedauerte es, nicht persönlich noch ein paar Worte mit Mr. Porter wechseln zu können, einfach nur um zu sehen, daß auch magische Menschen normale Eltern sein konnten, mit ihren eigenen Problemen.

Um 14.30 Uhr fuhr ein seegrüner Mercedes bei der Hausnummer 13 in der Winston-Churchill-Straße vor. Die hinteren Türen gingen auf. Erst schwang sich Mr. Porter in einem gewöhnlichen Herrenanzug heraus, dann folgte seine Tochter Gloria, die eine ganz gewöhnliche Kombination aus grüner Winterjacke und Jeans trug. Julius trat mit seiner Mutter vor die Haustür. Der kalte Winterwind pfiff ihnen um die Ohren, und der frische Schnee knirschte unter ihren Stiefelsohlen.

"Hallo, Gloria", grüßte Julius seine Klassen- und Hauskameradin. Dann gab er auch Mr. Porter die Hand.

"Ich habe einen guten Wagen gefunden. Der Fahrer kennt die besten Abkürzungen durch London", meinte er.

Julius reichte Gloria das Paket mit den beiden Büchern. Plinius Porter grüßte Martha Andrews und wechselte ein paar ruhige Worte mit ihr.

"Sie können sich darauf verlassen, daß ich Ihren Sohn wieder heil nach Hause bringe. Ich kann verstehen, daß Sie besorgt sind, daß Julius nicht den Weg gehen konnte, den Sie für Ihn vorausgesehen haben. Aber glauben Sie mir, wir sind ganz normale Menschen, eben nur mit der Eigenschaft, Magie an Stelle von Technik zu beherrschen. Manche Dinge, die Sie in Ihrer Welt haben, sind für mich auch sehr faszinierend."

"Nun, was mich angeht, Mr. Porter, kann ich damit leben, daß mein Sohn einen seinen Talenten entsprechenden Werdegang vor sich hat. Mein Mann hätte ihn nur gerne in Oxford gesehen. Sie wissen ja, wie das mit Vätern und Söhnen ist."

"Das kann ich zwar nicht behaupten, da ich nur eine Tochter habe. Aber seien Sie versichert, daß jedes Kind irgendwann weiß, was es tun muß, um sein Leben richtig zu leben. Aber ich möchte Sie nicht mit alten Kenntnissen langweilen. Ich wollte Ihren Mann, Julius' Vater begrüßen. Ist er nicht hier?"

"Im Moment nicht", erwiderte Martha Andrews kurz angebunden. Mr. Porter akzeptierte diese Antwort und verabschiedete sich wieder, nachdem er gehört hatte, wann Julius spätestens zurück sein mußte.

Gloria, Julius und Mr. Porter schwangen sich auf den Rücksitz des Mercedes. Der Fahrer, ein stämmiger junger Mann in seegrüner Chauffeursuniform, startete den Motor und ließ den Wagen wenige Meter zurücksetzen, um dann freie Bahn zu haben. Keine zwei Sekunden später glitt der große Wagen bereits mit 30 Stundenkilometern über die Straßen Londons. Julius faszinierte es, daß er fast kein Motorengeräusch hörte.

"Wir fahren zum Metropol-Kino", sagte er ruhig. Der Fahrer nickte schweigend und lenkte den Wagen ohne spürbares Ruckeln zwischen den anderen Autos hindurch.

"Ich dachte, Sie hätten keine Autos und müßten sich bei den Muggeln welche ausleihen", meinte Julius. Mr. Porter sagte:

"Gringotts und das Zaubereiministerium haben einige Muggeltransportfahrzeuge. Es kann nämlich nötig sein, bei wichtigen Herrschaften der Muggelwelt vorzufahren, und da eignen sich Besen und Flugteppiche ebensowenig wie Apparitionen, zumal ich nicht soviel von zeitlosen Ortswechseln halte. Ich bevorzuge Portschlüssel, Flohpulver und Besen, wenn ich mal schnell zu einem anderen Ort muß."

"Aber Sie könnten teleportieren?" Wollte Julius wissen.

"Das war eine Einstellungsbedingung. Ich muß manchmal in Bergwerke gehen und dort Prüfungen der Erzlager vornehmen. Wenn dabei was passiert sollte ich schnell wegkommen können", erwiderte Mr. Porter. Julius nickte zustimmend. Gloria wickelte das Paket aus und fand die beiden Geographiebücher. Sie sah sich die Bilder auf den Buchdeckeln an und nickte.

"Wunderbar. Sowas habe ich noch nicht. Könnte mal nützlich sein, wenn ich irgendwo hinwill. Danke!"

"Eure Weihnachtsgeschenke habe ich auch schon ausprobiert. Das Buch über die Quidditchspieler ist ja heftig. Die berühmten Damen und Herren flogen mir immer aus den Bildern, so daß ich sie nicht lange sehen konnte. Aber das Mineralienbuch von Betty und Jenna ist wirklich sehr interessant. Das habe ich nicht gewußt, daß man bestimmte Edelsteine in entsprechenden Tränken zu Trägern von Zauberkräften machen kann."

"Hängt auch davon ab, für welche Magie sie gebraucht werden", meinte Mr. Porter.

Sie kamen kurz vor drei Uhr am Metropol-Lichtspielhaus an und stiegen aus. Mr. Porter verabschiedete sich von seiner Tochter und kündigte an, sie und Julius nach dem Film, so um Sechs Uhr herum, wieder abzuholen. Er wollte Julius noch seine Wohnung zeigen. Da Julius wußte, daß seine Eltern das mit Glorias Eltern abgeklärt hatten, nickte er und ging mit seiner Klassenkameradin in das Kinogebäude.

Der Film über Arthus' Tafelrunde war für sie beide eine erheiternde Sache. Gloria faszinierte die Filmtechnik und die Vorstellung, die die Muggel von Merlin, dem Hofzauberer und Berater des legendären Königs entwickelt hatten. Sie meinte leise zu Julius:

"Vieles, was Merlin konnte, ist den meisten überhaupt nicht bekannt. Ich habe da ein ganz interessantes Geschichtsbuch zu in meiner Bibliothek."

Nach dem Film kaufte Julius noch eine Tafel Schokolade, die sie vor dem Kino aufteilten. Als der grüne Mercedes wieder vorfuhr, hatten beide gerade den letzten Riegel verputzt. Gloria meinte:

"Schmeckt zwar nicht schlecht, aber die Zaubererschokolade wärmt besser durch. Hier ist zuviel künstlicher Zucker drin."

"Das ist wohl wahr", meinte Julius.

Mit dem Firmenwagen der Zaubererbank ging es zunächst aus der Stadt heraus. Julius fürchtete schon, eine längere Überlandpartie vor sich zu haben, als es einen lauten Knall gab und der Wagen unvermittelt ganz woanders entlang fuhr.

"Hups! Wie ging denn das jetzt?"

"Transitionsturbo", grummelte der Fahrer.

"Zaubererautos haben das, um dann, wenn sie nicht beobachtet werden können, mal eben mehrere hundert Kilometer zu überwinden, ohne das eine Sekunde vergeht. Wir fahren gleich in unsere Straße hinein. Sie ist wie die Winkelgasse gegen Muggeleindringlinge gesichert", erklärte Gloria.

"Wo ist das genau?" Wollte Julius wissen.

"In der Nähe von Birmingham", erläuterte Mr. Porter fröhlich.

Wie durch einen Nebelschleier sah Julius eine Häuserreihe. Dann, das Zaubererauto durchstieß den Nebel, lag die verzauberte Ansiedlung klar und deutlich vor ihnen. Julius besah sich die alten Gaslaternen und die Kopfsteinpflasterstraße.

"Die kann kein Muggel finden?" Wollte Julius wissen.

"Nein. Die ist genau wie Gleis 9 3/4 beschaffen. Du mußt an einem bestimmten Haus klopfen, um zu Fuß hineinzukommen", meinte Mr. Porter.

"Aber wo habt ihr telefoniert? Ich denke nicht, daß Funkwellen aus dieser Straße rauskönnen."

"Dazu haben wir nur den magischen Bereich verlassen müssen", grinste Gloria. "Elektronik geht in dieser Straße genauso wenig, wie in Hogwarts."

"Gut zu wissen. Ich wollte dir an und für sich einen Schachcomputer schenken. Aber mir fehlte das Geld dazu", meinte Julius.

"Das lass' bloß nicht meine Schachmenschen hören. Die haben sich sowieso schon wieder beschwert, ich würde nicht kreativ spielen", erzählte Gloria.

"Soso. Offenbar ist das Spiel für höhere Grade geschaffen worden", grinste Julius.

"Ach, die kriegen sich wieder ein. Wenn sie lange genug nicht aus ihrem Häuschen geholt werden, wollen die auch wieder spielen", meinte Gloria nur.

Das Haus der Porters, das eher ein kleiner Palast war, stand in einem herlichen Garten mit auch im Winter blühenden Blumen. Julius erkannte einige davon aus seinem Kräuterkundebuch.

"Unsere Gärtnerin ist stolz auf die Winterblüher", erklärte Mr. Porter, als er Julius' kundigen Blick bemerkte. "Sie kommt jeden Tag her und guckt nach, ob alles noch richtig in Blüte steht."

"Dürfen die in der Muggelwelt angepflanzt werden?" Wollte Julius wissen.

"Ich denke nicht", wandte Mr. Porter ein. Dann ging er an die Haustür und berührte sie kurz mit der linken Hand. Sofort schwang sie nach innen und ließ warme Luft ausströmen.

"Zieht eure schweren Stifel hier im Flur aus!" Sagte eine freundliche Frauenstimme, die aus einer Wand zu kommen schien. Julius dachte, einen Lautsprecher dort zu sehen, wenn er den Blick darauf warf. Doch es war nur das Gemälde einer untersetzten Hexe in einer bunten Flickenschürze.

"Was passiert dann mit den Stiefeln?" Wollte Julius wissen.

"Was wohl? Nifty wird sie putzen", gab die gemalte Hexe etwas verärgert zurück.

"Nifty?" Fragte Julius, nachdem er seine Stiefel neben Glorias und Mr. Porters Winterschuhe abgestellt hatte.

"Nifty ist ein Hauself. Ein nützlicher und sehr gründlicher Diener. Und die Dame, die uns gerade begrüßt hat, heißt Immaculata. Sie ist sozusagen die Ordnungswächterin unseres Hauses", erklärte Mr. Porter.

Im geräumigen Wohnraum warteten schon drei Personen, die Julius kannte. Da saßen Glorias Tante Greta, ihr Mann, der blondgezopfte Onkel Victor und Mrs. Dione Porter, Glorias Mutter. Sie schwatzten und tranken Tee, der aus einer Kristallkanne stammte, die auf einem orangerot leuchtenden Teewärmer stand.

"Aha, da seid ihr ja wieder. Und, war es interessant, Gloria?" Begrüßte Glorias Mutter Julius' Haus- und Klassenkameradin.

"Die Technik ist wirklich interessant. Ich glaube nur nicht, daß es sich lohnt, einen Film mehrmals zu sehen. Die Schauspieler machen ja immer das gleiche, sagt Julius. Ich hätte ja fast lachen müssen, als ich feststellte, wie wenig die Muggel von Merlin wissen und von Avalon und der ganzen Magie in der Arthus-Geschichte. Du hast auch gesagt, daß sie bei den Muggeln nicht als geschichtliche Tatsache anerkannt ist, richtig, Julius?"

"Ja, das habe ich. Aber das kennst du ja mittlerweile."

"Wann mußt du wieder nach Hause, Julius?" Wollte Dione Porter wissen. Julius antwortete wahrheitsgemäß: "Um zehn, Mrs. Porter." Dann schaute er auf seine Uhr und sah, daß er noch drei Stunden Zeit hatte.

"Wir kennen uns noch, junger Mann?" Fragte Onkel Victor.

"Aber sicher. Sie haben mir mit dem Koffer geholfen, Sir", sagte Julius lächelnd.

"Und, wie lebt es sich so, wenn man von diesem ganzen Etrelonik-Kram Abstand nehmen muß?"

"Wir haben zuviel zu tun, als daß es mich langweilen würde. Außerdem ist da noch Quidditch, die ganzen Hausgespenster und dieser Poltergeist, der einen auf Trab hält", erzählte Julius.

"Ach, haben Sie Peeves immer noch nicht rauswerfen können? Lustig. Der war schon in Hogwarts, als ich dort gelernt habe", meinte Glorias Onkel schelmisch grinsend. "Ich habe ihn immer gut ärgern können, wenn er mir über den Weg flog. Ich habe den Fontanus-Zauber auf ihn geworfen. Weißt du, wie der geht?"

"Das nicht, aber klingt nach einem Springbrunnen", meinte Julius. Onkel Victors Frau und Glorias Mutter sahen ihn sehr streng an.

"Bevor du ihm Unsinn beibringst, Vick, sag ihm auch, daß Filch dich dabei erwischt hat, wie du eines der Gemälde unter Wasser gesetzt hast. Du weißt ja auch noch, was du dafür aufgebrummt bekommen hast."

"Ja, Greta. Ich weiß das noch. Also, mein Junge. Wenn du den Fontanus-Zauber lernst, bring ihn nie in der Nähe eines größeren Wandbildes zum Einsatz!"

In einem Waldgemälde, in dem die Bäume ebenfalls mit schnee bedeckt waren, erschien die streng dreinschauende Immaculata und verkündete, daß das Abendessen fertig sei. Man begab sich in den runden Eßraum, wo im Kamin ein warmes Feuer prasselte und auf dem mit irischer Leinendecke gedeckten Tisch sechs Suppenteller, normale Teller, kleine Kristallschüsselchen und silberne Becher sowie silbernes Eßbesteck bereitstanden. Die fünf Porters und ihr Gast setzten sich hin. Kaum saßen alle, erschien mit einem kurzen Knall ein kleines Wesen in einem bunten Einteiler, der wie ein Kissenbezug aussah. Es besaß eine lange Nase, Fledermausohren und wasserblaue Augen, groß und rund wie Tennisbälle. Mit schriller Stimme sagte es:

"Nifty wünscht Ihnen allen einen guten Appetit, Ladies und Gentlemen." Dann erschienen große Terinen und abgedeckte Platten und Schüsseln auf dem Tisch. Mrs. Porter füllte Julius' Suppenteller als ersten mit der dampfenden Champignonsuppe und bediente dann ihre Schwester und ihren Schwager. Danach gab sie Gloria, dann ihrem Mann von der Suppe, bevor sie sich selbst bediente. Man wünschte sich noch mal gegenseitig einen guten Appetit und begann zu essen.

Nach der Suppe folgte Truthahn mit Gemüse und Röstkartoffeln, sowie einer Preiselbeersoße. Julius zögerte, sich ein zweites Mal vorlegen zu lassen. Doch als er sah, daß die Schüsseln und Platten sich wieder auffüllten, nahm er Mrs. Porters Angebot an und aß, bis er satt war. Dann kam ein Apfel-Vanille-Puddding mit Schokoladenstreuseln. Zum Essen gab es für die Kinder frischgepreßten Orangensaft und für die Erwachsenen richtigen Honigwein.

"Ich muß ja heute nicht mehr fahren", scherzte Plinius Porter, als er das dritte Glas geleert hatte. Seine Frau warf ihm einen vielsagenden Blick zu und klatschte laut in die Hände, nachdem jeder den letzten Bissen verzehrt und den letzten Schluck getrunken hatte. Sofort verschwand das Geschirr und die Behälter für die Speisen im Nichts. Offenbar hatte das fremdartige Wesen, der Hauself, alles in die Küche geholt.

"Verzeihen Sie mir diese Muggelfrage, Mrs. Porter: Aber wird der Hauself irgendwie bezahlt?"

"Oha! Wenn er das hört, ist er nachher noch beleidigt", warf Onkel Victor schmunzelnd ein. "Hauselfen arbeiten, weil sie wollen, daß wir es gut haben. Sie essen und trinken von den Speisen, die sie für uns zubereiten und haben einen Schlafplatz im Haus."

"Wir würden keinen Diener beschäftigen, der für umsonst arbeitet. Unsere Gesetze schreiben vor, daß Diener ein Gehalt und eine gewisse Zeit Urlaub im Jahr bekommen", erwiderte Julius. Er hütete sich davor, bei den Hauselfen von Sklaverei zu sprechen. Das wäre im Moment grob undankbar gegenüber den Porters. Andererseits konnte er sich vorstellen, daß die Hauselfen wirklich nichts lieber taten, als für Zauberer zu arbeiten. Gloria sagte, als sie Julius nachdenkliches Gesicht sah:

"Aber anders als in anderen Zaubererhaushalten wird Nifty für seine Arbeit respektiert, indem er seine Freizeit hat und seine Verwandten besuchen kann, wenn Familienfeiern anstehen. Dann müssen wir selbst den Haushalt führen. Und mit dieser gemalten Hausbetreuerin ist das alles andere als ein Vergnügen."

"Achso", erwiderte Julius.

Nach dem Essen gingen er und Gloria in ihr geräumiges Zimmer, wo sie für den Jungen aus der Muggelwelt noch eine Überraschung hatte. Sie zeigte ihm einen magischen Globus, der sich tatsächlich um sich drehte und so aussah, wie die Erde, aus dem Weltraum betrachtet. Der Körper mit einem Umfang von 80 cm schwebte über einem goldenen Sockel, auf dem in einem Halbkreis vier Symbole angeordnet waren: Eine Uhr, ein Haus, ein stilisierter Berg und eine Münze. Gloria führte vor, wie damit entweder die aktuellen Uhrzeiten auf der gesamten Welt, die Lage von Siedlungen und Verkehrswegen, Berge und Waldlandschaften oder Bodenschätze eingeblendet werden konnten. Julius fragte sie, wie der Globus das aktuelle Wetter ermitteln konnte, denn ihm fiel auf, daß die britischen Inseln unter einer leichten Bewölkung lagen, was eindeutig dem wirklichen Wetter entsprach.

"Das ist ein spezieller Zauber, von dem ich selbst nicht weiß, wie er funktioniert", antwortete Gloria. "Feststeht nur, daß der Globus die Erde darstellt, wie sie ein Beobachter aus dem Weltraum sehen würde. Wahrscheinlich ist es der gleiche Zauber, der die Decke in der großen Halle von Hogwarts dazu bringt, den Himmel über dem Schloß darzustellen, nur daß hier jemand die komplette Erde derartig abbilden läßt. Es soll sogar möglich sein, damit schnell an einen anderen Ort auf der Erde zu kommen. Wie genau das geht, weiß ich nicht. Meine Eltern haben mir nur den Diebstahlschutz beigebracht."

"Huch! Wie geht der?"

"Ich binde den Globus an meine Erscheinung und magische Ausstrahlung. Will jemand anderes ihn forttragen, macht er sich so schwer, daß ihn keiner, egal wie stark, wegtragen kann, erwiderte Gloria Porter.

"Moment, Gloria. Du könntest diesen Globus benutzen, um von einem Ort an einen anderen zu gelangen?"

"Ja, das wäre möglich.

"Aber das wäre doch genial. Du zeigst auf einen Punkt auf der Weltkugel und wendest den Zauber an. Dann macht es peng! Und man steht an exakt dem Ort auf der richtigen Erde worauf man gezeigt hat."

"Ja, und du kannst sogar wieder zurück, wenn du einen anderen Zauber anwendest. Meine Eltern haben den Globus von einem ehemaligen Händler gekauft, der auf der ganzen Welt herumgereist ist."

"Aja, und sie wollen dir nicht erklären, wie der Ortsversetzungszauber geht, damit du nicht irgendwo verlorengehst", erkannte Julius. Er stellte sich vor, wie solch ein Ding bei Vielfliegern einschlagen würde. Die könnten sich heftig hohe Kosten und vor allem viel Zeit sparen. Dann dachte er an Aurora Dawn, die er, könnte er diesen Versetzungszauber anwenden, ohne Flohpulver direkt besuchen konnte, wenn er den Zauberstab gleich neben Sydney auf dem Globus aufsetzen würde. Ein Gegenspruch, und schon würde er wieder zurückkehren.

"Ich hatte gefragt, ob ich ihn nach Hogwarts mitnehmen dürfte. Doch McGonagall hat zurückgeschrieben, daß so ein Ding die Leute nur neidisch machen würde. Außerdem könnte ich den sowieso nicht vollkommen anwenden, wenn ich in Hogwarts bin."

"In den Osterferien zeige ich dir meinen Computer, und was ich damit alles machen kann", lud Julius Gloria für die nächsten Ferien ein.

"Wunderbar.

Julius besah sich die umfangreiche Bibliothek von Gloria Porter. Hier gab es Romane für junge Mädchen und Bücher über fremde Länder. Ein richtig sprechendes Wörterbuch lud Julius ein, mit ihm Französisch zu üben. Doch Julius lehnte dankend ab. Dann fand er ein Buch über die alten Zauberer der vorchristlichen Zeit und erhielt die Erlaubnis, darin zu lesen. Er lernte, daß Merlin damals ausersehen war, die Verbindung zwischen Magiern und Nichtmagiern zu festigen, aber an Morgana, Arthus' Halbschwester scheiterte, die selbst eine Hexe war und darauf bestand, die Magier in Britannien von den Nichtmagiern fernzuhalten. Als es kurz nach nneun war, klopfte es an die Zimmertür. Gloria rief "Herein!"

Mrs. Porter trat kurz ins Zimmer und sagte:

"Julius, mach dich bitte fertig für die Heimfahrt! Der Wagen kommt gleich wieder."

"Okay, Mrs. Porter", meinte Julius und schlug das Buch zu. Ein empörtes "Heh, so doch nicht", drang zwischen den Deckeln hervor. Doch Julius beachtete es nicht und gab Gloria das Geschichtsbuch zurück.

"Wir sehen uns dann wieder im Zug?" Fragte er.

"Sicher. Wir treffen die Hollingsworths am Bahnsteig. Nett, daß du hier warst. Grüß' deine Eltern schön von mir!"

Der grüne Mercedes brachte Julius alleine in die Winston-Churchill-Straße zurück. Unterwegs sagte der Junge aus einer Muggelfamilie kein Wort. Der Fahrer wirkte so, als müsse er jeden Tag mehrere Stunden herumfahren und hätte keine Lust, sich zu unterhalten. Wieder knallte es, kaum, daß der große Wagen aus der kleinen Ortschaft heraus war, in der die Porters wohnten. Auf einer unbefahrenen Nebenstraße in einem Vorort Londons kamen sie heraus und brauchten nur eine Viertelstunde, um das große weiße Haus der Andrews' zu erreichen. Julius suchte in einer Hosentasche nach zwei Sickeln, die er mitgenommen hatte, für den Fall, daß er sie noch brauchen könnte. Der Fahrer schüttelte jedoch den Kopf und meinte:

"Lass' stecken, Junge. Ich kriege genug für die Fahrten. Nachher komme ich mir noch vor wie ein Muggel-Taxifahrer. Und das wäre eine Beleidigung für mich. Schöne Ferien noch!" Dann öffnete der sonst so wortkarge Chauffeur die Wagentür und half Julius aus dem Wagen. Dann fuhr er wieder los, bog um eine Straßenecke und war verschwunden. Julius' Mutter, die einen Beobachtungsposten am Küchenfenster eingenommen hatte, kam aus dem Haus, als er vor der großen Tür stand und gerade den Klingelknopf suchte.

"Hallo, da bist du ja wieder. Und, war es schön?"

"Jau! Gloria hat sich sehr über den Film amüsiert, weil sie meint, Merlin sei so schlecht rübergekommen, daß es schon lustig sei. Dann haben wir bei ihren Eltern zu Hause gegessen, Truthan mit Preiselbeersoße, und ich durfte in einigen interessanten Büchern schmökern. Ich habe Gloria eingeladen, in den Osterferien mal bei uns vorbeizukommen, falls ihr nichts dagegen habt", erzählte Julius, während er mit seiner Mutter ins Haus zurückkehrte.

"Dein Paps ist schon seit zwei Stunden wieder in der Firma. Ich weiß nicht, was da läuft. Normalerweise erzählt er es mir, wenn ein langwieriges Projekt durchgeführt wird."

"Hoffentlich kommt er noch vor Mitternacht nach Hause, sonst ist er morgen wieder völlig durch den Wind, wenn Ms. Dawn hier auftaucht."

"Das hoffe ich auch. Ich kenne diese Dame zwar nicht so gut, wie Bill sie zu kennen meint. Aber ich habe doch den Eindruck, daß sie es nur gut mit dir meint und dich nicht nur als interessantes Studienobjekt ansieht. Wie heißt das Haus, in dem sie damals war, als sie in Hogwarts zur Schule ging?"

"Ravenclaw. Das ist exakt das Haus, in dem Gloria und ich sind."

"Und du und Gloria seid gute Freunde?" Wollte Martha Andrews wissen.

"So gut, wie sich Jungen und Mädchen in unserem Alter freunde nennen können. Ich habe allerdings den Eindruck, sie möchte mich irgendwie führen, mir zeigen, wo's langgeht. Da muß ich noch aufpassen, daß ich nicht nachher von ihr herumkommandiert werde", meinte Julius grinsend.

"Fühlt sie sich dir überlegen, oder wieso kommst du darauf?"

"Nein, Mum. Sie will mir schlicht beweisen, daß ich einer von ihnen, ein Zaubererkind bin, das genauso gut oder schlecht ist, wie die anderen auch. Ich kann sie immer wunderbar ärgern, wenn ich von der Nichtmagierwelt als "meine Welt" spreche. Das macht sie richtig irre."

"Soso. Dann kann ich ja nur hoffen, daß sie ihre Muggelschwiegermutter in weit entfernter Wartestellung akzeptieren würde."

Julius schluckte. Er hatte es selten erlebt, daß seine Mutter derartig heftige Scherze mit ihm trieb. Und immer erwischte sie ihn dabei auf einem schwachen Fuß. Er konnte auch jetzt keine gescheite Antwort darauf geben. Er sagte nur:

"Kein Kommentar."

Julius überprüfte noch mal seine E-Mails und fand eine Nachricht von Professor Stuard, der sich für die medienwirksame Eröffnungsveranstaltung bedankte. Er hatte der Nachricht noch den betreffenden Zeitungsartikel beigefügt, in dem stand, daß die Ausstellung auf den Spuren des berühmten Druiden Miraculix wandle.

"Dann kommt auch das ganze junge Gemüse in die Ausstellung und nicht nur die Eierköpfe aus den historischen Instituten", bemerkte der Geschichtslehrer und Vater Moiras dazu noch.

Julius legte sich um elf Uhr ins Bett und schlief sofort ein, pappsatt und voller interessanter Erlebnisse.

In der Nacht träumte er von Glorias magischem Globus und sah sich mit dessen Hilfe an die interessantesten Orte der Erde reisen. Er landete einmal im südamerikanischen Regenwald, wo er fast von einer Riesenspinne erwischt worden wäre, die er nur mit seinem Zauberstab und einem Blitz aus grüner Energie zurückschlagen konnte. Dann landete er am Südpol, wo er schnell einen Zaubertrank gegen die Kälte trinken mußte, wobei er Snapes hönisches Lachen vernahm und ihn sagen hörte:

"Vielleicht ist der Trank so stark, daß Sie gleich in Flammen aufgehen, Andrews." Doch nichts geschah.

Dann stand Julius am Krater des Vesuvs und blickte hinunter in die glühende Lava, die wie ein gigantischer Brei aus rotglühendem Teer wirkte. Als er dann noch im australischen Busch ankam, hätte ihn fast ein Dingo zerfleischt, wenn Aurora Dawn nicht mit ihrem Wolkenreiter 3 aus der Luft herabgestoßen wäre und das Tier mit einem Panikfluch verscheucht hätte. Doch auch Julius war von Angst ergriffen worden, so stark, daß er um vier Uhr erwachte.

"Verdammte Alpträume. Das kommt davon, wenn man soviel Zeug erlebt", fluchte Julius innerlich. Dann sah er durch das Fenster hinaus in die winterliche Winston-Churchill-Straße. Er sah im Schein des abnehmenden Mondes auf den Zufahrtsweg und dachte darüber nach, ob sein Vater schon wieder zu Hause angekommen war, als das Telefon schrillte und ihn wie unter einem heftigen Stromschlag zusammenfahren ließ.

"Ja, Andrews!" Hörte er seine Mutter mit verschlafener Stimme sagen, als sie den Hörer abgenommen hatte. Dann hörte er, wie sie sprach:

"Und, wielange dauert das noch, Richard? Meinst du nicht, daß du die auch alleine arbeiten lassen kannst. Delegiere deine Aufgaben! - Wie, du mußt das jetzt zu Ende bringen? Ist Professor Donaldson nicht da? - Ach neh, Richard. Das kann doch nicht dein Ernst sein! - Ja, der ist um viertel vor zehn wiedergekommen. Kein Problem. - Gut, dann sieh zu, daß du dein Projekt zu Ende bringst. Aber der Junge darf dafür mit dieser Ms. Dawn ausgehen. - Doch, denke ich schon. - die haben aber mehr Verständnis für ihre Mitmenschen, Richard, will ich dir nur sagen. - Okay, bis morgen nachmittag."

Julius hörte, wie seine Mutter leise fluchend in das Schlafzimmer zurückging und sich wieder ins Bett legte. Dann legte sich auch Julius wieder hin und schlief noch einige Stunden unbeschwert. Als seine Mutter ihn weckte, sah sie besorgt und verärgert aus.

"Was ist denn los?" Fragte Julius.

"Dein Vater hat festgestellt, daß er im Moment in seiner Firma wichtigeres zu tun hat, als sich während der Feiertage um seine Familie zu kümmern. Er rief doch um vier Uhr nachts an und sagte mir, daß er wohl bis heute nachmittag beschäftigt sei und sich dann wohl hinlegen wolle."

"Was? Ein Direktor hat doch genug vertrauenswürdige Stellvertreter. Oder sind die alle im Urlaub?" Wollte Julius wissen.

"Offenbar. Oder dein Vater meint, er sei der einzige, der das Projekt am laufen halten kann. Wie auch immer, er hat dir erlaubt, mit dieser Kräuterhexe Aurora Dawn diesen Ausflug zu machen. Allerdings sollte diese Frau sagen, wo es hingeht und wielange sie mit dir wegbleiben will."

"So einfach. Dann muß das Ding, was Paps gerade am laufen hat aber wirklich wichtig sein", erwiderte Julius frech.

"ich fürchte, er sieht dieses Projekt als entscheidende Sache an und hält alles andere zunächst für unwichtig. Aber ich denke, er wird bei deiner Rückkehr einen ausführlichen Bericht von dir haben wollen."

"Meinetwegen", erwiderte Julius Andrews.

Eine Stunde nach dem Mittagessen, Martha Andrews hatte eine Tiefkühlpizza aufgetaut, von der beide satt wurden, hielt ein schwarzes Taxi vor der Hausnummer 13 in der Winston-Churchill-Straße. In einem schneeweißen Wintermantel und einer hellbeigen Skihose stieg Aurora Dawn aus dem hinteren Verschlag aus und marschierte mit schnellen Schritten auf die Haustür zu. Martha Andrews gebot Julius, zunächst zu warten. Dann öffnete sie die Tür und ließ Aurora Dawn ein.

"Schön kalt habt ihr es in England. Bei uns herrschen gerade 40 Grad Celsius", waren die ersten Worte der ehemaligen Hogwarts-Schülerin. Dann sah sie Julius, der im Eingang des Wohnzimmers stand, gekleidet in einer warmen Wintermontur.

"Hallo, Julius. Ich hoffe, ihr hattet hier ein schönes Weihnachtsfest", begrüßte Aurora Dawn den jungen Hogwarts-Schüler. Dieser meinte nur frech:

"Wieso haben Sie sich keinen Kältewiderstandstrank gemacht? Den haben wir vor kurzem im Zaubertrank-Unterricht zusammengebraut."

"Weil mir dafür das Eiswurzpulver gefehlt hat, Julius. Du willst mich doch nicht etwa ärgern?"

"Nöh!" Erwiderte Julius Andrews keck.

"Ich kann Ihnen einen starken Tee machen. Der wirkt auch gegen Kälte", schlug Martha Andrews vor. Aurora nickte zustimmend. Zehn Minuten später saßen die drei am Tisch in der Küche und tranken den starken Tee. Aurora Dawn berichtete von der Einladung, die sie erhalten hatte und von den Briefen, die sie von den Professoren Sprout und Flitwick bekommen hatte. Auch die Nachricht von Madame Hooch, daß Julius sich für die Nachwuchsmannschaft Ravenclaws eigne, erwähnte sie wohlwollend.

"Wir sind da immer noch nicht so begeistert von", wandte Julius' Mutter ein. "Nachdem, was Julius uns geschrieben und diese Cynthia Flowers uns erzählt hat, ist dieses Quidditch ein sehr gefährlicher Sport. Wir haben dem nur zugestimmt, weil wir die Garantie bekommen haben, daß unser Sohn nicht über Gebühr gefährdet wird."

"In der Zaubererwelt gibt es sehr gute Heiler. Die Unfallgefahr beim Quidditch wird durch schnelle Hilfe ausgeglichen. In Hogwarts arbeitet zur Zeit eine sehr tüchtige Krankenpflegerin, die jeden innerhalb weniger Minuten wieder auf die Beine bringt. Ich selbst bin einmal vom Besen gerutscht und konnte zwei Stunden später wieder springen und tanzen. Madame Pomfrey war zwar nicht der Meinung, daß ich sie so schnell wieder verlassen sollte, aber Dumbledore hat sie überredet. Schließlich galt es, den Abschlußball der premierten Siebtklässler zu bestreiten."

"Ja, gut. Im Fußball kann man sich auch alles mögliche zuziehen", wandte Julius' Mutter ein.

"Diese Madame Pomfrey ist sehr eigen, was ihre Kunst angeht", meinte Julius. "Sie hält nichts von ungläubigen Thomasen. Aber die hat schon was auf dem Kasten."

"Das will ich meinen. Dumbledore stellt keine Heiler ohne entsprechende Kenntnisse ein. Aber das wäre nichts für mich. Sicher, ich kann auch was in Heilkunst. Aber Schulkrankenschwester ist irgendwie langweilig, finde ich."

"So wie Quidditch?" Fragte Julius frech.

"Ich glaube es bald! Hat dir der Sieg von Ravenclaw nicht bewiesen, daß es alles andere als .. Frecher Bengel!" Wetterte Aurora Dawn und grinste dabei breit. Dann meinte sie:

"Ich meine, ich bin eine Forscherin. Wissen ist zwar schön. Aber neues Wissen zu erwerben, das nicht in Büchern steht, ist wesentlich spannender."

"Oh, erzählen Sie mir bitte sowas nicht. Ich bin dafür die falsche Ansprechpartnerin", wandte Martha Andrews ein. Dann fragte sie:

"Wo liegt eigentlich dieses Hidden Groves?"

"Das liegt in Neusüdwales, Australien. Wir kommen da locker hin, wenn wir von der Winkelgasse aus mit Flohpulver reisen. Am Silvestertag dürfte er wieder bei Ihnen sein."

"Das hieße, daß wir Ihnen gestatten müßten, unseren Sohn für drei Tage anzuvertrauen. Die logische Frage und der Mutterinstinkt drängen mich dazu, zu fragen, mit welcher Begründung ich das tun sollte?" "Sicher haben Sie recht. Sie kennen mich nicht gut genug, um mir Ihren Jungen anzuvertrauen. Außerdem bin ich eine Hexe. Diese Eigenschaft gilt in der Welt der Nichtmagier als nicht gerade vertrauenswürdig. Außerdem hätten Sie keine Möglichkeit mich zu belangen, wenn etwas passieren würde. Doch ich habe hier ein Schreiben von Professor Dumbledore undProfessor Flitwick. Ich gehe mal davon aus, daß Sie den beiden Lehrern vertrauen."

"Was steht in dem Schreiben?" Wollte Julius' Mutter wissen.

"Lesen Sie selbst!" Forderte Aurora Dawn Martha Andrews auf und übergab ihr eine Pergamentseite. Julius' Mutter nickte und las kurz. Dann meinte sie:

"Dieser Dumbledore lobt sie hier ziemlich heftig. Offenbar waren Sie eine zu gute Schülerin für seine Schule. Zumindest vertraut er Ihnen, wenn es um zukünftige Spezialisten geht. Flitwick meint sogar, daß sie fast alle Bücher der Bibliothek ausgelesen haben und als Vertrauensschülerin der Ravenclaws und Quidditchspielerin große Erfolge für ihr Haus verbucht hätten. Nun gut. Das ist Papier. Helfen kann uns das nicht sonderlich. Dazu müßte ich mit den entsprechenden Herren persönlich reden. Sie verstehen, daß wir nicht meinen, daß Sie nicht vertrauenswürdig sind. Aber halten Sie uns bitte auch nicht für zu vertrauensselig, daß wir unseren Jungen jemanden anvertrauen, der oder die meint, über uns hinweg planen zu können, was aus ihm wird. Stellen Sie sich einmal vor, jemand würde eine Person ausIhrem Freundeskreis ansprechen und sie auf eine Reise mitnehmen. Wie würden Sie da reagieren?"

"Mum, wenn ich einmal mit ihr mitgehe, kann sie oder mich nichts daran hindern, nach Hidden Groves zu gehen. Wenn du also jetzt sagst, daß dir das zu riskant ist, sag besser nein", mischte sich Julius ein.

"Was soll denn das jetzt, Julius? Du kannst mich doch hier nicht unter Druck setzen. Nachher schreiben mir diese Lehrer aus Hogwarts noch, daß wir dich dazu gezwungen hätten, auf wichtige Wissensgrundlagen zu verzichten. Und was glaubst du, woran ich gerade denke?" Empörte sich Martha Andrews.

"Du bist im Moment die Einzige, die entscheiden kann, was ich machen darf oder nicht. Paps ist im Moment auf seine Arbeit aboniert. Der würde sowieso nein sagen, wenn er hier wäre. Also hängt es an dir."

"Willst du denn zu diesem Hidden Groves?"

"Mum, kannst du mir bitte mein Campingzeug rausholen? Ich lasse mich auf das Spiel ein. Paps muß das einsehen, daß ich nicht einfach alles auslassen kann, nur weil ich nicht weiß, was ich zu erwarten habe."

"Kann man in diesem Hidden Groves mit Funktelefonen telefonieren?" Wollte Martha Andrews wissen, die wohl auf die Antwort ihres Sohnes vorbereitet war.

"Ja, da geht das. Hidden Groves liegt nicht in einer muggelsicheren Zone, sondern nur in einer unbewohnten Gegend, in die keiner kommt, wenn er oder sie nicht völlig aus der Zivilisation aussteigen will. Das Problem ist nur, daß ein Funktelefon, das auf erdgebundene Sendernetze angewiesen ist dort nicht mehr funktioniert. Aber ich habe ein Satellitentelefon angeschafft, weil ich auch häufig in der Weltgeschichte herumreise."

"Verständigen Sie sich nicht telepathisch?" Fragte Martha Andrews. Aurora Dawn lachte.

"Sie haben interessante Vorstellungen von uns. Sicher gibt es in der Zauberei Methoden, worthafte Gedanken an andere Personen zu übermitteln. Aber diese Form von Telepathie funktioniert nur zwischen zwei Personen, die sich aufeinander eingestimmt haben. Außerdem ist sie sehr stark von der Entfernung zwischen Sender und Empfänger abhängig. Als Massenkommunikationsmittel taugt sie nichts. Dafür haben wir die Eulenpost und das Flohnetz."

"Achso", erwiderte Julius' Mutter und lief rot an. Julius freute sich, weil sie auch eine typische Muggeldummheit begangen hatte.

"Ich lasse Ihnen meine Satellitentelefonnummer hier. Ich hoffe, das geht so in Ordnung?"

"Wir probieren das erst aus, forderte Martha Andrews. Aurora Dawn nickte zustimmend und holte aus der großen Tasche, die sie bei sich trug ein Satellitentelefon. Sie stellte es auf Empfang und gab Martha Andrews die Rufnummer. Diese holte das Funktelefon, das sie und ihr Mann Julius geschenkt hatten und wählte und brachte damit das Satellitentelefon zum klingeln. Aurora Dawn nahm den Hörer ab und meldete sich.

"Okay Wenn Julius alle vier Stunden erreichbar ist, kann er mit Ihnen gehen."

"Alle zehn Stunden", berichtigte Aurora Dawn. Martha guckte sie an, als habe die in Australien arbeitende Kräuterhexe gerade etwas unglaubliches von sich gegeben. Dann nickte sie.

"Okay, vier Stunden sind zu kurz. Zehn Stunden. Ich bewillige Ihnen den Ausflug. Aber passen Sie gut auf ihn auf!"

Julius holte mit seiner Mutter zusammen das Campingset, daß er vor einem Jahr geschenkt bekommen hatte. Martha Andrews sagte noch:

"Ist vielleicht besser, wenn du für einen Tag wegfährst. Dein Vater hätte nie im Leben zugesagt. Aber er hätte dich dann allein gelassen. Ich verstehe ihn nicht, daß er meint, dir soviel Kram aufbürden zu müssen, ohne sich irgendwie dafür erkenntlich zu zeigen. Mach's gut. Wie gesagt, versuche alle zehn Stunden erreichbar zu sein!"

"Okay"

"Wie ist das eigentlich mit giftigen Spinnen, Malariaüberträgern und dergleichen?" Wollte Julius noch wissen, als Aurora Dawn seine große Reisetasche in ihrer merkwürdigen Umhängetasche verschwinden ließ.

"Gegen Sumpffieber und die meisten Tiergifte habe ich uns schon gewisse Tränke gebraut. Kein Muggelarzt wäre im Stande, dir so schnell zu helfen, falls wirklich was passiert."

Martha Andrews verabschiedete die beiden in dem Moment, als das Telefon klingelte. Sie schloß die Tür und verschwand im Haus.

"Sollen wir noch mal warten, bevor wir in das Taxi steigen?" Fragte Aurora Dawn.

"Wenn Mum uns noch aufhalten soll, müßte sie sofort nach dem Abnehmen des Hörers wieder herauskommen", meinte Julius. Er lauschte kurz an der Tür und hörte, wie seine Mutter gerade sagte, daß er für einen Tagesausflug weggefahren sei.

Mit dem Taxi ging es zur U-Bahn, mit der U-Bahn zur Haltestelle Kings Cross. Von dort aus über eine kaputte Rolltreppe auf eine belebte Straße, und von dort aus in den "Tropfenden Kessel". Aurora Dawn holte aus einer kleinen Seitentasche ihrer verzauberten Reisetasche eine kleine Dose, in der das Flohpulver aufbewahrt wurde. Der alte Tom, der Wirt des Zauberer-Pubs, begrüßte die Kräuterhexe und fragte, ob er ihr einen Becher Glühwein anbieten könne. Sie lehnte dankend ab und deutete auf den Kamin. Sie flüsterte, daß Julius zunächst mit ihr in ihr Landhaus reisen sollte. Julius kannte das Spiel schon. Er nahm ein wenig von dem Flohpulver und trat nahe an das prasselnde Feuer heran. Er warf die Prise Pulver hinein und sah, wie die Flammen zu einer smaragdgrünen Feuerwand aufschossen. Er holte tief Luft, trat schnell in den Kamin und rief, ohne sich zu verschlucken:

"Zur Grenze!"

Von der englischen Grenzstation ging es per Express-Flohpulver zur australischen Grenzstation und von dort ins "Haus der Morgendämmerung".

Ein lautes Rauschen klang auf, und mit einem leisen Poltern landete Aurora Dawn in ihrem Kamin.

"Du machst das so, als hättest du seit deiner ersten Stunde diese Art zu reisen immer und immer wieder geprobt."

"Ich will nur nicht im falschen Kamin landen. Wer weiß, ob es in Australien nicht auch böse Hexen und Zauberer gibt, die das nicht spaßig finden, wenn ein Kind in ihrem Kamin landet."

"Das könnte dir nicht so einfach passieren. Kamine können gegen unbefugten Zutritt gesichert werden. Aber das ist komplizierter Zauber. Wer also nicht will, daß er andauernd Besuch kriegt, sichert seinen Kamin oder meldet ihn vorübergehend ab, wie einen Telefonanschluß, den er nicht benötigt. Ich habe meinen Kamin derartig gesichert, daß nur Leute hier landen, denen ich mein Flohpulver gebe. Die Aufbewahrungsdose prägt das darin befindliche Pulver, daß nur die Leute in meinem Haus landen, die davon genommen haben."

"Und wenn Ihnen jemand die Dose klaut und versucht, sie zu benutzen?" Fragte Julius.

"Ich habe sie mit einer Diebstahlsicherung versehen, die dafür sorgt, daß keiner sie mir wegnehmen kann. Sie macht sich einfach so schwer, daß niemand sie festhalten oder forttragen kann. Und sie hat einen Non-Accio-Runenzug, der sie gegen Bewegung durch Zauberkraft schützt. Schade, daß du nicht zaubern darfst, wenn du nicht in der Schule bist. Sonst hätte ich dich das mal ausprobieren lassen."

"Ich dachte schon, dieses Flohnetz sei für jeden beliebig nutzbar."

"Bloß nicht. Als dieser dunkle Lord, den man nicht beim Namen nennen darf, an der Macht war, wurden die besten Sicherungssysteme in der Zaubererwelt entwickelt, um ihn nicht ins eigene Haus zu lassen. Früher war das Flohnetz wirklich ein offenes System. Heute nicht mehr."

Julius starrte auf den Kamin, in dem im Moment kein Feuer brannte. Er sah auf seine Uhr. Es war jetzt 14.30 Uhr in England. In Australien mußte es wohl elf Stunden später sein, also 01.30 Uhr.

"Wir haben jetzt eine halbe Stunde nach ein Uhr hier, Julius. Wahrscheinlich bist du aufgedreht und könntest jetzt nicht richtig schlafen. Aber dennoch solltest du dich etwas hinlegen, damit wir früh morgens aufbrechen können. Am Besten trinkst du von dem Ortszeitanpassungstrank."

"Ortszeitanpassungstrank?" Fragte Julius sehr interessiert.

"Der macht, daß ein Reisender, der in ein fernes Land kommt sich dem dortigen Sonnenstand angleicht, also sich hungrig fühlt, wenn dort Mittag ist und nicht Mitternacht und müde wird, wenn es dort abends ist und nicht morgens", erwiderte Aurora und holte eine kleine Flasche mit einem Uhrensymbol aus ihrer Küche, schenkte sich und ihm ein kleines Glas einer goldenen Flüssigkeit daraus ein und trank zuerst. Dann trank Julius und fühlte sofort, wie er sehr müde wurde, als sei er schon seit mehreren Stunden wach.

"Das haben meine Eltern nicht bedacht, daß hier schon Nacht ist", dachte Julius. Er ließ sich ein Gästezimmer zeigen, in dem ein großes Sofa stand. Darauf legte er seinen Schlafsack und kroch in seiner Unterwäsche hinein. Er schlief tatsächlich sofort ein, bis er von Vogelgezwitscher, sowie fernem Lachen ähneldem Lärm und dem Rumoren einer weit entfernten Stadt geweckt wurde.

Julius erhob sich vom Sofa und suchte das Badezimmer auf. Dort duschte er sich kurz und zog seine Straßenkleidung an, wobei ihm zu warm wurde.

Als Julius Andrews in das Wohnzimmer zurückkehrte, lag auf dem Sofa ein blauer Umhang und ein Zettel. Julius las darauf, daß er diesen Umhang anziehen könne. Es sei Auroras erster Spielerumhang gewesen und dürfte ihm gut passen. Julius überleegte, ob er den Umhang wirklich nehmen sollte. Doch die immer stärker werdende Hitze überzeugte ihn, seine Wintersachen abzulegen und den Umhang anzuziehen. Tatsächlich paßte er ihm sehr gut.

"Ms. Dawn! Sind Sie in der Küche?"

"Ja!" Kam eine laute Antwort. Julius ging in die Küche und sah, daß auf dem kleinen Tisch bereits eine Kanne Tee und zwei verzierte Tonteller standen.

"Mr. Huxley hat eben angerufen und wollte wissen, ob ich ihn heute besuchen könne. Ich sagte ihm, daß ich heute anderweitig verplant bin. Wir reisen nachher mit Flohpulver nach Hidden Groves. Am besten nimmst du deinen Sonnenhut, den du in der Campingtasche hast. Wenn hier die Sonne richtig hoch am Himmel steht, verbrennst du dir schnell alles, was sie trifft."

"Das habe ich schon gehört. Die haben hier arge Probleme mit der hohen Sonnenstrahlung. Ich habe Sonnenschutzcreme dabei und könnte meinen Winterschal anziehen, um den Hals zu schützen."

"Wäre nicht unpraktisch. Allerdings dieses chemische Dreckzeug läßt du besser in der Tasche. Ich habe Sonnenkrauttinktur angerührt, um Sonnenbrände zu vermeiden oder zu behandeln. Das ist fast rein pflanzlich."

"Ach das. Ich habe davon gelesen", erinnerte sich Julius sofort.

"Huch, wo denn?"

"Da lag so eine Zeitung auf unserem Gemeinschaftsraumtisch herum, die mit Kräuterkunde zu tun hat. Der grüne Magier hieß die."

"Interessant. Das liest in Ravenclaw noch jemand? Ich kannte das eigentlich nur, daß es die Leute in Hufflepuff lasen, die meinten, sich mit ihrer Hauslehrerin gut zu stellen. War nur ihr Pech, daß die das mitbekam und den Betroffenen keine Zusatzpunkte mehr gab, nach dem Motto, ihr wißt das besser als ihr es sagt."

"Professor Sprout steht nicht auf Schleimer. Das habe ich auch schon gehört. Ich hatte erst angst, sie würde mich für einen halten."

"Wo Direktorensöhne sich doch immer für die besten halten, weil sie ja irgendwie das von ihrem Vater geerbt haben. Aber du kannst beruhigt sein. Professor Sprout wird dir auch weiterhin Punkte geben, wenn du die entsprechenden Leistungen bringst."

Julius wollte gerade sagen, daß Snape ihm wohl auch weiter Punkte abziehen würde, aber unterließ es.

"Glauben Sie wirklich, daß mein Vater um halb zwölf anruft, also um halb eins in London?" Fragte Julius.

"Du kennst ihn besser als ich. Denkst du das?"

"Wenn er wieder zu Hause ist, macht er das", antwortete Julius.

Sie frühstückten reichlich, wobei Julius sich durch diverse Spezialitäten der australischen Früstücksgerichte durchaß, bis er sagte, daß er satt sei.

Um 10.00 Uhr Ortszeit reisten die beiden, die Kräuterhexe und der Zauberschüler, mit Flohpulver an einen Ort, der Grove Range hieß. Dabei handelte es sich um eine größere Hütte, ähnlich einer Berghütte, mit Bänken, langen Tischen und einer Decke aus Holzbalken. An den Tischen saßen mehrere Hexen und Zauberer in unterschiedlichen Umhängen und verschiedener Altersgruppen. Julius sah Familien mit kleinen Kindern, junge und ältere Paare, Männergruppen, die wie Kegelvereinsmitglieder zusammenhockten und ältere Hexen, die ein Kartenspiel spielten. Alles wie in einem Landgasthaus der Muggel, dachte sich Julius. Er sah sofort, wie alle auf seine Baseballmütze starrten, die er auf dem Kopf trug, um vor der starken Sonnenstrahlung geschützt zu sein. Er nahm die Mütze ab und verbarg sie schnell in seinem Umhang.

"Willkommen in Hidden Groves", begrüßte ein untersetzter Zauberer in violetter Schürze die beiden Neuankömmlinge. Aurora Dawn holte zwei kleine Pergamentstücke aus einer Tasche ihres dunkelroten Umhangs und fragte:

"Wo ist Madame Helianthus?"

"Sie kommt gleich von der Morgenpatrouille zurück, Ms. Dawn. Sie sind ja schon angemeldet. Hallo, mein Junge. Ich bin Roster Plains, Wirt der Hidden Range-Hütte. Ms. Dawn hat uns bereits angekündigt, einen Neuzugang von Hogwarts unsere schönen Plantagen zu zeigen."

"Ja, ich freue mich schon", sagte Julius kurz.

Aurora Dawn sah eine Hexe, die ungefähr fünf Jahre älter war als sie, die mit einem jungen Zauberer an einem kleinen Tisch saß. Die brünette Hexe blickte zurück, als Aurora Dawn sie erkannte.

"Hallo, Heather!"

"Hallo, Aurora. Bist du heute als Kindermädchen unterwegs?" Wollte die brünette Hexe wissen und sah Julius mit ihren braunen Augen prüfend an.

"Nicht so ganz. Ich zeige dem jungen Herrn hier nur die Vielfalt magischer Pflanzen", erwiderte Aurora Dawn. Dann stellte sie Julius Andrews und Heather Springs einander vor. Heather erfuhr, daß Julius gerade das erste Dritteljahr in Hogwarts zuggebracht hatte. Heather erzählte, daß sie auf der Redrock-Akademie für australische Zauberer und Hexen gelernt hatte. Ihr Begleiter, ein Zauberer namens Justin Gildfort, erzählte, daß er ebenfalls in der Redrock-Akademie gelernt hatte. Beide waren vor einem Tag hier angekommen und würden heute wieder in ihre Heimatstadt zurückkehren.

Man unterhielt sich einige Minuten und trank heißen Tee. Dann kam eine hochgewachsene Hexe in einem kahkifarbenen Kapuzenumhang durch die Flügeltür. Sie trug einen schlanken Besen über ihre Schulter und eine Umhängetasche aus Känguruhfell über dem linken Arm. Als sie im großen Gastraum stand, schlug sie die Kapuze zurück und schüttelte ihr pechschwarzes Lockenhaar aus.

"Hallo, Madame Helianthus!" Grüßte Roster Plains, der Wirt der Hidden-Range-Hütte die wohl fünfzig Jahre alte Hexe.

"Hallo, Ross. Sind neue Gäste angekommen? - Aja, ich sehe schon. Hallo, Ms. Dawn. Hallo, Mr. Andrews. Ich hoffe, Sie hatten eine gute Anreise?"

"Danke der Nachfrage", erwiderte Aurora Dawn. Dann erhob sie sich und trat auf die sonnengebräunte Hexe mit den silbergrauen Augen zu, die offenbar sehr wichtig hier war. Julius zögerte einen Moment, dann stand auch er auf und trat auf die Hexe im Khakiumhang zu.

"Hallo, Madame Helianthus", sagte er und stand so da, als müsse er gleich fortlaufen.

"Sie kommen aus der alten Welt, Mr. Andrews? Ms. Dawn hat mir geschrieben, daß es nicht sicher sei, ob Sie hierher kommen könnten."

"Das ist richtig", erwiderte Julius Andrews.

"Seine Eltern sind Muggel. Es war daher schwieriger als bei anderen Eltern, sie zu überzeugen, daß ihr Sohn sich bilden soll", flüsterte Aurora Dawn, so daß nur Julius und Madame Helianthus es hören konnten.

"Ich verstehe. Ein Junge unter bösen Hexen, die auf Besen reiten. Nichts für ungut, junger Sir. Aber mir sind die alten Märchen der Muggelwelt durchaus bekannt. Und bereuen Sie es jetzt schon, hierher gekommen zu sein?"

"Nein", erwiderte Julius ruhig und ebenfalls so leise, daß es nur die beiden bei ihm stehenden Hexen hörten.

"Dann wollen wir mal. Sie haben die Eintrittskarten dabei, Ms. Dawn?"

"Aber sicher doch", erwiederte Aurora Dawn und gab Madame Helianthus die beiden Pergamentstücke. Die Hexe im Kapuzenumhang nickte und fragte Julius dann:

"Wie weit beherrschen Sie einen Flugbesen?"

"Hmm, kommt darauf an, was Sie von mir erwarten. Ich kann einfache Manöver ohne Probleme fliegen und gewisse Flugfiguren ausführen."

"Nun, manche Schüler von Hogwarts haben Probleme mit der Flugtechnik. Ich teile nämlich Flugbesen aus, um die großen Strecken bequem zurückzulegen und wollte nur wissen, ob ich für Sie und Ms. Dawn einen Familienbesen holen soll."

"Ich weiß nicht, ob das nicht besser wäre .."

"Unsinn!" Meinte Aurora Dawn. "Der junge Herr stapelt tief. Er wäre mir bei seinem letzten Besuch fast mit meinem alten Besen davongeflogen, ohne daß er unsicher wirkte. Selbstverständlich bekommt er seinen eigenen Besen. Familienbesen, Julius. Weißt du, was das für schwerfällige Dinger sind?"

"Nein", erwiderte Julius verschüchtert.

"Also gut, jedem sein eigener Besen", unterbrach Madame Helianthus die kurze Unterhaltung. Dann winkte sie ihren beiden Gästen, ihr zu folgen. Heather Springs rief ihnen noch ein Abschiedswort zu und sah, wie sich die Flügeltür hinter den beiden Besuchern schloß.

Draußen fragte Julius, wie man es denn anstellen sollte, wenn seine Eltern anriefen. Aurora Dawn sagte dazu:

"Wenn es bei mir klingelt, landen wir einfach. Ich habe Vertrauen zu deinen Flugkünsten. Ich habe dich selbst fliegen sehen, und Madame Hooch schlägt niemanden für die Nachwuchsmannschaft vor, dem sie nicht zutraut, sich bei hohem Tempo auf dem Besen zu halten. Ich zeige dir gleich so einen Familienbesen. Dann wirst du verstehen, wieso jeder seinen eigenen Flugbesen nehmen soll."

Julius mußte seiner Gastgeberin zustimmen, als er den 2,50 m langen Flugbesen mit den ausgefransten Reisigbündeln sah. Der Flugbesen lag mit dreißig anderen verschiedenen Fluggeräten in einer art Pferch. Madame Helianthus wandte sich an Julius und fragte ihn:

"Auf welchen Besen sind Sie bisher ausgebildet worden?"

"Himmelsstürmer 8, Wolkenreiter 6, Sauberwisch 5 und Shooting Star 7", listete Julius die Flugbesen auf. Die Hexe im Kapuzenumhang nickte und holte aus dem Stapel zwei Besen der Marke Wolkenreiter 6 heraus. Dann bat sie Julius, erst einige Runden mit ihr zu fliegen, um zu sehen, wie gut er damit klarkam. Als sie nach zwei Minuten wieder landeten, sagte sie:

"Für einen Muggelgeborenen haben Sie ein großes Talent. Haben Sie schon überlegt, Quidditch zu lernen?"

"Ich habe zwei Spiele gesehen. Womöglich lerne ich das auch", meinte Julius. Dann sah er, wie Aurora Dawn sich auf den Besen schwang und hörte sie rufen:

"Auf geht's!" Julius startete durch, wartete, bis Madame Helianthus ihn überholte und folgte mit Aurora Dawn zusammen der gemeinsamen Wegführerin.

Von der großen Hütte Hidden Range ging es zunächst fünf Minuten richtung Osten, bis sie eine hohe Mauer überflogen, die um ein großes Waldgrundstück aufgebaut worden war. Es ging über große Bäume hinweg, die im Moment in Blüte standen. Der warme australische Sommerwind strich um Julius' Gesicht. Er hatte seine Baseballkappe wieder aufgesetzt und sah zwischendurch zu Aurora Dawn hinüber, die ruhig den Besen auf dem eingeschlagenen Kurs hielt.

"Gleich kommen wir an die Wiese der tausend Kräuter. Da kannst du dir einen Überblick verschaffen, was so alles gezüchtet wird."

"Ich dachte eigentlich, die hätten schon jetzt viele Pflanzen hier", erwiderte Julius leicht enttäuscht. Aurora Dawn lachte.

Als sie an der Wiese ankamen, von der Ms. Dawn gesprochen hatte, klingelte das Satellitentelefon. Schnell landeten sie, so daß Julius sofort den Hörer nehmen konnte und sich meldete. Seine Mutter war am Apparat. Die Verbindung war optimal, wenn auch mit dem für Satellitenverbindungen typischen Echo versehen. Julius unterhielt sich kurz mit seiner Mutter, dann kam sein Vater an den Apparat. Julius hörte die innere Anspannung heraus, die in seiner Stimme mitklang.

"Ich habe zwar befürchtet, daß deine Mutter dich auf eine Auslandsreise läßt, aber finde es dennoch sehr verwunderlich, daß sie sich hat breitschlagen lassen, dich für eine Übernachtung in Australien aus dem Haus zu lassen. Ich hoffe, daß du bald wieder nach Hause kommst."

"Ja, ich seh zu, daß ich schnell fertig werde. Ich bin gut untergebracht, Paps. Ms. Dawn hat mir ein eigenes Zimmer zur Verfügung gestellt und gibt mir gut zu essen. Wir sind gerade in Hidden Groves. Es ist gerade schön Warm geworden hier."

"Du hast doch keine Sommersachen dabei. Das hältst du doch nicht aus!" Erwiderte Richard Andrews.

"Ich habe einen Sommerumhang mit hohem Sonnenschutzfaktor, Paps. Ich schwitz mich schon nicht tot."

"Aber die Sonne. Das Ozonloch, Julius."

"Ich habe Sonnenschutzcreme mit sehr starker Schutzwirkung aufgetragen. Mum hat mir ja welche mitgegeben."

"Na, ich hoffe, das reicht. Gib mir noch mal Ms. Dawn!"

Julius konnte zwar nicht verstehen, was Richard Andrews sagte, doch er hörte schon heraus, daß er verärgert klang. Aurora Dawn antwortete ruhig:

"Mr. Andrews. Ich lasse nicht zu, daß ihrem Sohn etwas zustößt. Ich bringe ihn genauso wohlbbehalten nach Hause zurück wie ich ihn abgeholt habe. Rechnen Sie bitte um neun Uhr morgens ihrer Zeit am 31. Dezember mit uns!"

Sie hörte noch kurz zu, dann verabschiedete sie sich und legte auf.

"Er will in zehn Stunden noch mal anrufen", sagte sie und verbarg das Satellitentelefon wieder in ihrer Reisetasche.

Die nächsten vier Stunden verliefen für Julius wie im Flug, und das nicht nur, weil er große Strecken auf dem Besen zurücklegte, sondern vor allem auch, weil er viel zu sehen bekam. Er erfuhr viel über die australischen Zauberkräuter und ihre Anwendungen in der magischen Heilkunst. Madame Helianthus erwies sich als große Expertin in der Zauberkräuterkunde und vermochte Julius auch über europäische Zauberpflanzen nützliche Tips zu geben.

Neben den Zauberpflanzen, die hier in allen erdenklichen Größen wuchsen, gab es auch magische Geschöpfe. So sah Julius einen echten Greif, der ihnen fast in die Quere gekommen wäre, sah einen Zwergdrachen, der versuchte, ein Einhorn zu fangen und sah eine Baumnymphe, die schnell im Blattwerk eines hohen Rotholzbaumes verschwand.

Nach sechs Stunden gesamter Rundreisezeit, landeten die zwei Ausflügler wieder in der Hütte Hidden Range, wo sie zu Mittag aßen. Sie unterhielten sich mit einigen Zauberern und Hexen über die wunderbare Landschaft von Hidden Groves und trafen sogar einige Hogwartsschüler der höheren Klassen, darunter Padma Patil, eine Ravenclaw-Drittklässlerin, die mit ihrer Zwillingsschwester und ihren Eltern einen Kurzurlaub verbrachte.

"Und deine Eltern haben dich laufenlassen?" Fragte Padma erstaunt.

"Gern taten sie es nicht. Aber ich denke, sie denken darüber nach, daß ich in der Zaubererwelt klarkommen soll", sagte Julius beschwingt. Die beiden Mädchen lachten darüber.

Am späten australischen Nachmittag kehrten Aurora Dawn und ihr Gast in das Landhaus in der Nähe von Sydney zurück. Julius durfte noch einige Stunden in der Bibliothek verbringen, wo diverse Bücher über Pflanzen und Zaubertränke standen. Er wunderte sich nicht schlecht, ein Buch von Professor Severus Snape über die tausend meisten Gegengifte zu finden. Doch er würde Snapes Kenntnisse schon früh genug zu spüren kriegen, dachte sich Julius Andrews.

Ein buntes Buch fesselte seinen Blick. Er hatte es auch schon in Glorias Zimmer gesehen. Sie hatte ihm nur gesagt, daß es nichts besonderes sei, nur ein altes Kinderbuch von ihr. Jetzt aber, wo er sich in einer großen Bibliothek befand, interessierte ihn das bunte Buch so sehr, daß er sich nicht zurückhalten konnte und ohne Bedenken an das Regal ging und danach griff. Er zog den schmalen Band in bunter Umhüllung heraus. Dabei fühlte er sowas wie sanftes Pulsieren, als würde er einen kleinen schlafenden Vogel in der Hand halten, dessen ruhigen Atem er deutlich unter den Fingern spürte. Julius trat ins Licht der großen Kerze, die die Bibliothek in warmes gelbes Licht tauchte. Er legte das Buch auf den Tisch und besah es sich.

Auf dem Einband tanzte ein kleines Mädchen in einem blaugrünen Umhang mit langen roten Zöpfen und smaragdgrünen Augen in einem rosigen Mondgesicht mit Stubsnase. Unter dem Bild standen die ständig ihre Farbe wechselnden Buchstaben:

WINNIES WILDE WELT

Unvermittelt klappte der Buchdeckel zur Seite, begleitet von einem Geräusch, das sich anhörte, als würde ein Kind laut gähnen. Dann spreizten sich die Seiten, die Deckel spannten sich aus wie Flügel, und schließlich ertönte eine piepsige Stimme, die den ganzen Raum ausfüllte.

"Na endlich kommt mal wieder einer. Ich habe lang genug geschlafen. Soll ich dir meine neuste Geschichte .. Heh, du bist ja ein Großer. Du bist ja kein Mädchen. Was soll denn das?!"

"Öh", machte Julius verdutzt und erschrocken zugleich. Er sah, wie das Buch sich aufstellte, als hätte es eine unsichtbare Hand in einen unsichtbaren Notenständer gestellt. Die bunten Seiten flatterten irritierend.

"Warum hast du mich wachgemacht? Ich will dir nichts erzählen", quiekte das Buch und begann, laut zu plärren.

"Ich habe dich nicht wachgemacht. Außerdem glaube ich nicht, daß du mir was erzählen könntest."

"Kann ich doch", protestierte das Buch laut und hob vom Tisch ab. Leicht schwankend schwebte es auf Julius zu und klappte eine Seite auf, auf der das Mädchen vom Einband auf einem kleinen Besen saß und ihm zuwinkte.

"Ich interessiere mich nicht für Kindergartengeschichten kleiner Hexen", erwiderte Julius energisch. Damit löste er wieder ein lautes Geplärre aus, und das Hexenkind auf der aufgeschlagenen Seite heulte große Tränen. Dann flog das Buch Julius fast ins Gesicht. Julius Andrews spürte, wie ein Sog ihn erfaßte und von den Beinen holte. Er ahnte, was geschah und rief:

"Nein, ich will das nicht. Hör auf!"

"Komm, spiel mit mir!" Kicherte das Hexenmädchen und winkte ihm zu, während Julius vorne überfiel und ..

"Winnie, laß das!!" Schrillte Aurora Dawns energische Stimme in den Raum. Doch nichts änderte sich. Julius' Kopf berührte fast die Buchseiten, als ihn ein schneller Griff Aurora Dawns zurückriß.

"Äh, du blöde Alte", krakehlte das Buch und flatterte zornig mit den Seiten.

"Winnie, ist gut jetzt!" Stieß Aurora Dawn aus und zog den Zauberstab aus ihrem Umhang.

"Geh wieder schlafen, Winnie, oder ich mach, daß du festhängst!" Drohte Aurora Dawn. Das Buch plärrte kurz, dann klappte es sich zu und wimmerte nur noch. Es dauerte keine Minute, bis es ganz still dalag. Aurora Dawn schwang den Zauberstab und ließ das Buch vorsichtig aufsteigen, zum Regal zurückfliegen und dort an seinen alten Platz zurückgleiten. Sie steckte ihren Zauberstab zurück in den Umhang und wandte sich Julius Andrews zu, der angsterfüllt in einer Ecke kauerte und sie aus weit aufgerissenen Augen anstarrte, als würde sie gleich explodieren.

"Wartest du jetzt darauf, daß ich dich zusammenstauche oder dir sonst was tu?" Fragte Aurora Dawn mit ruhiger Stimme. Dann lächelte sie Julius an.

"Das wollte ich nicht", gab ihr junger Gast verängstigt zurück.

"Die meisten Bücher die ich habe sind völlig harmlos. Aber dieses Biest von Buch ist nicht so harmlos, wenngleich es nicht wirklich gefährlich ist. Ich habe es seit meinem siebten Geburtstag. Meine Eltern wußten damals nicht, daß es die unangenehme Eigenschaft hat, jeden, der es anfaßt, solange zu nerven, bis er oder sie es zu lesen beginnt und so dem Buch die Möglichkeit gibt, den Leser in seine Welt zu ziehen, und das, wie du fast gemerkt hättest, wortwörtlich. Wer es liest, wird selbst zu einem Teil von Winnies Welt, ein Junge oder Mädchen der Handlung."

"auha! Wie alt ist diese Winnie?"

"Sie ist sechs Jahre alt und ein Kindergartenkind."

"Und wen sie, ich meine das Buch, in seine Welt zieht, der wird tatsächlich zu einer Figur der Handlung?" Wollte Julius wissen.

"Genau. Der oder die muß denken und handeln wie die entsprechende Figur, bis Winnie von selbst müde wird und einschläft. Dann erst fällt der Leser zurück in die eigene Welt."

"Dann hätte ich wie einer dieser Jungen in der Handlung herumlaufen müssen?" Wollte Julius noch wissen, und auf seinem bleichen Gesicht perlte der Angstschweiß.

"Genau. Du hättest dich sogar gefreut, eine Figur dieser Handlung zu sein, ob Winnies kleines Schwesterchen Sweety, ihr Kindergartenfreund Tiny oder ihre Nachbarin, das Hexenmädchen Linda."

"Das ist schwarze Magie, Ms. Dawn. Sowas darf doch nicht herumstehen", erwiderte Julius gequält.

"Ja, kann man so sagen. Und ich habe schon häufig die zaubereiministerin von Australien darum gebeten, dieses Teufelsbuch einzuziehen. Sie hat mir geschrieben, daß sie mit diesen Büchern viel zu tun hat. Ich wollte es einsperren. Doch was meinst du, was das für eine Schreierei gab, als ich es in einer Kiste drin hatte. Das hätte mich im Umkreis von Meilen verraten. Wenn ich Alraunen umtopfe, trage ich sie vorher in ein schalldichtes Gewächshaus, wie ihr es auch in Hogwarts habt. Du weißt, warum Alraunen nur mit Ohrenschützern und Handschuhen aus ihren Töpfen geholt werden dürfen?"

"Weil die menschenähnlichen Wurzeln wie besessen schreien, so sehr, daß Menschen davon sterben können. Sie machen eine menschenähnliche Entwicklung durch, vom Baby, über Teenager bis zum erwachsenen Exemplar, allerdings innerhalb weniger Monate. Die Alraune wird zur Rückverwandlung verzauberter Wesen benutzt", spulte Julius schnell ein Kapitel aus seinem Zauberkräuterbuch herunter.

"Und so ähnlich brüllte dieses Hexenkinderbuch herum. Ich mußte es wieder ins Regal stellen und dort schlafen lassen."

"Ich hätte besser fragen sollen", wandte Julius ein.

"Das wäre nicht unpraktisch gewesen. Aber es ist ja nichts passiert. Ich habe diese Plärrsuse ja noch rechtzeitig gehört."

"Verbrennen Sie es doch", schlug Julius vor.

"Habe ich schon versucht. Geht nicht. Es ist für Kinder geschrieben worden, die mit Wasser und Feuer hantieren und es beschädigen könnten. Es weißt Wasser ab und widersteht Feuer. Die Verfasser haben es mit einem Impervius- und einem Flammengefrierzauber ausgestattet."

"Schwefelsäure müßte es eigentlich vernichten können", kam Julius auf eine weitere Idee.

"Sie besteht auch aus Wasser und wird daher ohne Wirkung abgestoßen. Keine Flüssigkeit kann dem Buch was anhaben. Auch der Muggel elektrischer Strom wirkt nicht, weil das Buch nicht leitet."

"Dann bleibt dieses Buch jetzt hier stehen, bis wieder so ein Idiot wie ich darauf kommt, es zu öffnen?"

Sicher. Deshalb schließe ich meine Bibliothek immer ab, wenn ich Muggelbesuch habe. Die meisten Zauberergeborenen kennen das Buch zu gut, um es anzufassen."

"Ich glaube, ich habe für heute genug gelesen", vermutete Julius. Ihm ging immer noch im Kopf herum, daß er fast als Kleinkind in einem Buch herumgelaufen wäre, solange, wie diese Winnie nicht schlafen wollte.

Als das Sattelitentelefon klingelte, atmete Julius durch und nahm den Hörer ab.

Seine Eltern wollten nur noch einmal wissen, ob es bei 09.00 Uhr bleibe. Julius fragte sich in Gedanken, weshalb er nicht schon jetzt zurückkehren sollte. Doch dann sagte er:

"So wie es aussieht, bleibt es dabei. Das wird dann wohl acht Uhr abends hier sein."

Aurora Dawn beruhigte Julius' Eltern und erklärte, daß sie am nächsten Tag noch ein Quidditchmatch besuchen wollten, das zwischen den Sydney Sparks und den Canberra Kangaroos ausgetragen werden sollte.

"Wir bezahlen dafür nicht!" Hörte Julius seinen Vater aus dem Hörer rufen.

"Ist auch nicht nötig", erwiderte Aurora Dawn. "Jungzauberer unter 12 Jahren kommen umsonst ins Stadion, und für mich selbst zahle ich gerne, wenn ich das Spiel sehen kann."

Als das Telefon wieder zurückgestellt worden war, fragte Julius, ob sie sich da nicht verrechnen würde, weil Quidditchspiele manchmal mehrere Tage dauerten. Aurora Dawn sagte:

"Ja, normalerweise. Aber die beiden Mannschaften sind so gut ausgebildet, daß wer auch immer den Schnatz sieht, ihn auch sofort zu fassen kriegt."

 

 

Das Match erfüllte Julius' Erwartungen. Er war wohl der erste Muggelgeborene, der so früh ein Quidditchmatch professioneller Mannschaften zu sehen bekam. Die Sparks spielten in blaßblauen Umhängen, während die Kangaroos in rostroten Umhängen aufliefen. Die Schiedsrichterin, eine bullige Hexe in schwarzem Umhang, zog die übliche Begrüßungszeremonie der Kapitäne durch, wobei die Mannschaft von Canberra von einer dreißigjährigen Hexe geführt wurde, die Rhoda Redstone hieß. Dann ging das Spiel los, und Canberra holte sich schnell den Quaffel. Der direkte Vorstoß endete am gegnerischen Tor, wo ein Klatscher den Jäger, der zum Schuß ansetzte, beinahe den linken Arm zerschmetterte. Der Jäger mußte sich in einer halsbrecherischen Seitwärtsrolle aus der Bahn des schwarzen Balles werfen, wobei der große rote Spielball verlorenging und vom Hüter der Sparks in weitem Bogen ins Feld zurückgeschlagen wurde, wo ein blaßblau gekleideter Jäger ihn übernahm und den Konterangriff eröffnete. Doch die Jäger der Kangaroos vereitelten den Erfolg des Konters und paßten sich den Quaffel hin und her, von unten nach oben und umgekehrt. Zwischendurch schlug ein Treiber in Rostrot einen aufdringlichen Klatscher aus der Flugbahn eines Jägers, der darauf angespielt wurde und vollendete. Die Fankurve der Gäste johlte und schwenkte rostrote Fahnen mit dem orangen Känguruh.

Von diesem Tor angestachelt trafen die Kangaroos noch dreimal hintereinander. Es schien so, als würden die Spieler aus Sydney nicht mehr mitmachen. Doch dann schafften es die Sparks, mit einer schnellen Aktion, zwei Tore in Folge zu erzielen, bevor die Spieler aus Canberra wieder ein Tor erzielten.

"Fünfzig zu zwanzig steht es nun, und die Kangaroos sind wieder auf dem Sprung", tönte der Stadionsprecher, dessen Mitgerissenheit Julius an Lee Jordan erinnerte. "Vielleicht ist den Sparks der kleine Hoffnungsfunke wieder ausgegangen. - Aber moment, was geht da vor? Pamela Lighthouse, die Sucherin der Sparks stürzt auf die Mitte des Feldes los, wie ein blauer Blitz. Ist das etwa ...? - Nein, kein Schnatz, meine Damen und Herren. Ende der Aufregung. Es war wohl nur ein Ablenkungsmanöver, um den Jägern ihrer Mannschaft den Weg frei zu machen, denn gerade rast Wilma Wavecrest auf das Tor zu, den Quaffel schön kontrollierend, und sie vollendet! Toooor!!"

Die überwiegende Mehrheit der Zuschauer sprang auf und brüllte das Tor in das Stadion hinein, darunter auch Aurora Dawn und Julius Andrews. Die blauen Fahnen mit den weißen Funkenmustern wehten wie eine Welle über die Zuschauer hinweg.

"Oha, jetzt packen sie beide die Brechstangen aus", kommentierte Julius, als ein Treiber der Sparks einen Jäger der Kangaroos gezielt mit einem Klatscher beschoß, worauf ein Jäger der Sparks von einem Jäger der Kangaroos fast überfahren wurde. Kurz darauf fielen die Tore auf jeder Seite im offenen Schlagabtausch. Julius brüllte:

"Ist das hier Tennis oder was?!" Aurora Dawn krümmte sich vor lachen und meinte:

"Meine Güte, das habe ich lange nicht mehr ... Ui!" Ein Spieler der Kangaroos war gerade von einem Klatscher regelrecht vom Besen gepflückt worden und stürzte ab. Sofort stiegen zwei Zauberer in weißen Umhängen mit der roten Eskulapschlange am Revert von ihren Sitzen und schwangen synchron ihre Zauberstäbe. Der zu Fall gebrachte Spieler wurde kurz vor dem Boden abgebremst und landete mit einem leichten Knall auf seinen Armen und Beinen. Die beiden weißgekleideten Zauberer sprangen aufs Feld und holten den Abgestürzten herunter. Sie begutachteten ihn kurz, vollführten kurze Bewegungen mit ihren Zauberstäben und zeigten dann mit den Daumen nach oben. Die Schiedsrichterin, die beim Absturz sofort gepfiffen hatte, kam herunter, besah den Verunglückten und nickte. Dann winkte sie ihm, seinen Besen, den ein anderer Zauberer mit einem Beschwörungszauber zurückgeholt hatte, zu besteigen. Als der eben noch am Boden gelegene Spieler mit seinen Mannschaftskameraden wieder aufgestiegen war, pfiff die Hexe in der schwarzen Schiedsrichterrobe zur Fortsetzung der Begegnung.

"Der sah so aus, als hätte er sich sämtliche Knochen gebrochen", meinte Julius.

"Nicht ganz. Der wird sich einige Knochen verprällt haben. Aber unsere Heiler sind schnell und exzellent. Sieh doch, der Kerl versucht schon wieder, sich mit seinem Gegenspieler anzulegen."

"Wenn beim Fußball einer verunglückt, wird er vom Platz getragen und erst mal nicht mehr gesehen", sagte Julius Andrews.

"Was ist schon Fußball?" Wollte Aurora Dawn wissen, die bereits wieder voll auf das Spiel konzentriert war.

Nach einer Stunde heftiger Schlagabtausche erwischte Pamela Lighthouse den Schnatz. Doch die Kangaroos hatten schon zuviele Tore erzielt, so daß die Partie mit 300 zu 280 Punkten zu ende ging.

"Mann, hätte die nicht warten können, bis die Sparks noch vier Tore geschossen hätten?!" Rief Aurora Dawn wütend, während die Fans der Canberra Kangaroos den Sieg ihrer Mannschaft bejubelten. Julius fiel eine Frau auf, die ein Mädchen bei sich hatte, das wohl gerade so alt wie Julius selbst sein mochte. Das hellblonde Mädchen war in eine Flut von Freudentränen ausgebrochen und hüpfte wild auf und ab.

"Da ist ja Melinda Bunton. Ich dachte, die wäre in England geblieben", trällerte Aurora Dawn, als sie Julius' Blick verfolgt hatte.

"Die Frau kenne ich. Die habe ich im Flugzeug gesehen, als wir ..."

"Genau", sagte Aurora. "Vor einigen Monaten hatte sie keine andere Wahl, als mit einer dieser Muggelmordmaschinen zu reisen. Womöglich hat sie jetzt wieder Flohpulver."

"Flohpulver ist doch billiger, als Flugzeugfliegen. Wieso ..."

"Tut nichts zur Sache. Sie ist hier, ihre Nichte freut sich. Ich ärgere mich zwar über Pam, aber vorbei ist vorbei. Komm, wir beglückwünschen die beiden!" Munterte Ms. Dawn ihren Gast auf und nahm ihn bei der Hand.

Julius war ganz aufgeregt, die fremde Hexe wiederzusehen, die ihm die Aufmunterungsbonbons geschenkt hatte.

"Ach neh, wen haben wir denn da? Haben deine Muggeleltern dich mal bei vernünftigen Leuten gelassen?" Grüßte Melinda Bunton den Hogwarts-Schüler und schüttelte seine Hand.

"Diese Dame hat ihnen angedroht, sie in langweilige Fußabtreter zu verwandeln", erwiderte Julius und erntete dafür einen kurzen Klaps von Aurora Dawn.

"Wie auch immer. Hat deinem Vater das Bonbon geschmeckt?" Wollte die Hexenkonditorin wissen.

"Ja, aber nur, weil er nicht gelesen hat, was da drin ist. Als er noch gehört hat, von wem es war, hätte er es lieber nicht gegessen."

"Hoi! Du hast aber welche gekriegt, hoffe ich."

"Könnten vielleicht nützlich werden", meinte Julius und verzog das Gesicht, weil er an den Dementor dachte, der bei der Hinfahrt den Hogwarts-Express durchsucht hatte. Doch hier wollte er nichts davon sagen.

"Das ist Corinna, meine Nichte", stellte Melinda dem Hogwarts-Schüler das kleine Mädchen vor.

Melinda lud Aurora Dawn und Julius zu einem großen Früchteeis ein. Dabei erfuhr Julius, wie es für sie in Hogwarts war. Ihre Nichte erzählte dem Hogwarts-Erstklässler, daß sie im nächsten Jahr auf die Redrock-Akademie für australische Hexen und Zauberer gehen würde und bereits die ersten Bücher lese, die sie dazu brauchte. Julius erfuhr auch, daß die Redrock-Akademie acht Häuser besaß, in die die Schüler eingeteilt wurden. Wie genau das ging, konnte Corinna nicht erzählen.

"Erlauben deine Eltern, daß du Quidditch lernst, Julius?" Wollte Melinda Bunton wissen.

"Sie haben's auch erlaubt, daß ich Hogwarts besuche. Irgendwie haben die's dort angestellt, daß ich beim Nachwuchstraining mitmachen soll. Ob das was wird, weiß ich noch nicht."

"Für wen willst du spielen, wenn du mit der Schule fertig bist?" Wollte Corinna wissen.

"Ich weiß nicht, ob ich für jemanden spielen soll. Ich werde wohl eher Pflanzenkundler oder sowas, wenn man mich läßt."

"Das ist doch langweilig. Du umgibst dich nur mit Gemüse, Unkraut und irgendwelchem glibberigen Gesträuch. Du hast keinen Kontakt zu Leuten und kannst ihnen keine Freude machen. Wie gesagt, es ist stumpfsinnig und langweilig", erwiderte Melinda Bunton.

"Soso, stumpfsinnig. Wer bringt euch Zuckerbäckern bei, wo man die Wunderkräuter herkriegt, mit denen ihr eure Kuchen verzuckert?"

"Das steht doch schon seit Jahren in den Büchern", konterte Melinda Bunton.

Corinna wurde auf einmal vollkommen hibbelig. Sie deutete auf den Eingang des Stadion-Cafés, wo eine muskulöse Hexe in königsblauem Umhang hereintrat und dem Barkellner zuwinkte. Dieser sprang sofort auf und rannte in den angrenzenden Küchentrakt.

"R-Rhoda R-R-Redstone", stammelte Corinna völlig außer sich. Aurora Dawn sah die Hexe und nickte beiläufig. Julius sah genau hinüber und erkannte, daß es tatsächlich die Kapitänin der Kangaroos war, die nun in Zaubererzivil den Gastraum betreten hatte. Hinter ihr kam eine kleine Hexe mit pechschwarzen Locken herein.

"Ich glaub's nicht", meinte Melinda Bunton, als sie auch diese Hexe erkannte. Aurora Dawns Augen glänzten, als habe ihr jemand das schönste Weihnachtsgeschenk seit Jahren gemacht. Die kleine Hexe im kirschroten Umhang sah sich um, sah dann zu Aurora Dawn hinüber und winkte. Dann sprach sie mit der bulligen Hexe, Rhoda Redstone. Danach kamen beide an den Tisch, an dem Aurora Dawn, Melinda Bunton und ihre Nichte mit Julius zusammensaßen.

"Ist hier noch Platz für zwei Schwerstarbeiterinnen?" Fragte die kleingewachsene Hexe.

"Aber sicher doch, Pam", erwiderte Aurora Dawn und strahlte. Dann kam noch Rhoda Redstone und setzte sich neben Pamela Lighthouse, die Sucherin der Sparks.

"Wenn euch hier jemand zusammen sitzen sieht, steht morgen im Stern des Südens, daß du dich von den roten hast bezahlen lassen, damit sie mehr Punkte machen, bevor du den Schnatz kriegst, Pam", flachste Aurora Dawn. Pamela Lighthouse grinste zurück:

"Das weiß doch jeder, daß sich nach dem Spiel die Quidditchmannschaften hier treffen. Unsere Jungs und Mädels verteilen noch Autogramme", erwiderte Rhoda Redstone, die offenbar kein Problem damit hatte, sich zu Leuten zu setzen, die Pamela Lighthouse kannten.

"Huch, und Sie verteilen keine Autogramme? Die Kapitänin und Frontjägerin der Canberra Kangaroos und die Sucherin der Sydney Sparks müßten doch die begehrtesten Leute der beiden Mannschaften sein", meldete sich Julius vorwitzig zu Wort. Die beiden Spielerinnen der beiden Mannschaften lachten laut.

"Was meinst du, was wir machen, wenn wir nicht gerade trainieren, Junge?" Wollte Rhoda Redstone wissen.

"Stricken", warf Julius ein und erntete zunächst ein ungläubiges Glotzen, dann schallendes Gelächter von den beiden Spielerinnen. Corinna sah Rhoda Redstone mit einem Blick an, der verriet, daß sie nicht wußte, ob sie jetzt losplappern oder die Flucht ergreifen sollte. Rhoda sah das Mädchen an und lächelte. Dann holte sie aus ihrem Umhang eine Pergamentrolle, ein Fäßchen rostroter Tinte und einen Federkiel. Sie entrollte die schmale Pergamentseite und schrieb in geschwungenen Buchstaben ihren vollständigen Namen hin: Rhoda Regina Redstone. Dann fragte sie noch:

"Wie heißt du, junge Miss?"

"Corinna Bunton", flüsterte Melinda Buntons Nichte aufgeregt und lief rot an. Rhoda schrieb dann noch: "Für Corinna Bunton, eine große Bewunderin der großen Kangaroos." Dann malte sie noch ein springendes Känguruh darunter, wartete, bis die Tinte einigermaßen getrocknet war und rollte das Pergamentstück vorsichtig zusammen. Mit einer verspielten Handbewegung warf sie Corinna das Pergament zu und lächelte, wie eine Mutter, die ihrem Kind eine große Freude bereitet hatte.

"Danke", sagte Corinna und verschluckte sich fast vor Aufregung.

"Das sind die richtigen. Unsereiner darf suchen und suchen, aber keine Verehrer haben", sagte Pamela Lighthouse. Julius sah Aurora an, die merklich nickte. Dann sagte er:

"Kann ich ein Autogramm von Ihnen Haben Madame Lighthouse?"

"Madame? Ist ja schön. So heißen bei uns nur Schuldienerinnen und ältere Hexen. Du wolltest mich damit sicher ehren, nicht beleidigen, oder?"

"selbstverständlich wollte ich Sie nur ehren, Ms. Lighthouse."

"Mrs. Lighthouse", korrigierte Pamela Lighthouse den Jungen. "Du hast wohl den Stern des Südens nicht gelesen. - Ach nein, ich dummes Ding. Du kommst ja nicht von hier. Stammst du auch aus England, wie diese Kräutertante hier?" Fragte sie noch und deutete auf Aurora Dawn.

"Richtig", erwiderte Julius mit kräftiger Stimme.

"Ich bin schon seit zwei Jahren fest vergeben. Mein Schnatz sitzt zu Hause und wälzt langweiliges Zeug. Hatte keine Zeit, mich spielen zu sehen. - Aber dein Autogramm kriegst du auf jeden Fall, junger Freund. Wie heißt du?"

"Julius Andrews", sagte Julius und spürte, wie ihm die Schamröte ins Gesicht stieg.

"Komm, nicht so verlegen. Wir sind doch ganz normale Leute. Oder glaubst du das nicht?"

"Ich habe bisher noch kein Autogramm von irgendeinem Sportler gekriegt. Ein Onkel von mir wollte mir eins vom Chelsea-Mittelstürmer besorgen, aber .. Ist nicht so wichtig."

"Chelsea? Die Mannschaft ist mir unbekannt. Dabei kenne ich alle englischen Quidditchmannschaften von Commonwealth-Turnieren her."

"Er meint die Fußballmannschaft, Pam. Unser hoffnungsvoller Freund hat erst vvor vier Monaten erfahren, daß es neben der Muggelwelt seiner Eltern noch eine andere, interessantere Welt gibt."

"Achso. Aber das macht doch nichts", sagte Pamela Lighthouse. Rhoda Redstone hingegen sah Julius an und begutachtete ihn. Dann sagte sie:

"Und wielange hat es gedauert, sich weiterzuentwickeln?"

"Öhm. Ging eigentlich ziemlich schnell", erwiderte Julius, der im Moment vermeinte, eine erwachsene Slytherin zu hören. Doch Rhoda Redstone lachte und zeigte ein Gesicht, daß nicht für eine Slytherin typisch sein konnte. Denn sie sah ihn mit bewunderung an und sprach:

"Du bist der erste Muggelgeborene, der nicht ausrastet, wenn ihn jemand für minderwertig hält. Bleib auch so. Du bist nicht schlechter, nur weil deine Eltern und Vorfahren nicht zaubern können. Das ist Shadelake-Philosophie, daß Muggel keine Bereicherung, sondern Vergiftung der Zaubererwelt seien."

"Bei uns sind das die ... Aber das interessiert ja keinen."

"Slytherins!" Riefen Aurora Dawn und Melinda Bunton zusammen aus.

Julius Räusperte sich. An und für sich wollte er nichts sagen, was zeigte, daß er die Slytherins verachtete, so wie diese ihn verachteten. Doch Aurora Dawn und Melinda Bunton hatten wohl ebenfalls keine hohe Meinung von den Bewohnern und Absolventen aus diesem Haus von Hogwarts.

"Ich habe in den letzten Monaten soviel Verachtung zu hören gekriegt, daß ich dagegen immun geworden bin", sagte Julius noch. Dann sah er zu, wie Pamela Lighthouse mit blauer Glitzertinte ein Autogramm für Julius Schrieb.

"Wir sind im ersten Aufgebot für die Weltmeisterschaft", verriet Pamela Lighthouse und erntete ein zustimmendes Kopfnicken von Rhoda Redstone. "Ich darf suchen, Rhoda darf Tore schießen."

"Na wunderbar", erwiderte Aurora Dawn. "Dann haben die Kolumbianer nichts zu lachen."

Julius erfuhr noch, daß die Quidditch-Weltmeisterschaft zwischen Juli und August des neuen Jahres in England stattfinden würde. Aurora Dawn sagte sofort, noch ehe Julius etwas dazu bemerken konnte:

"Ich besorge uns Karten für alle Australienspiele und das Finale."

"Ich glaube nicht, daß meine Eltern sich das bieten lassen, Ms. Dawn. Ich habe einem Onkel von mir schon eine Absage erteilt, daß ich nicht mit ihm zur Fußball-Weltmeisterschaft nach Amerika fliege. Ich höre meinen Vater schon fluchen, daß ich keine anständigen Sportarten mehr verehren würde."

"Moment, du sprichst derartiges in Anwesenheit zweier Quidditch-Weltstars. Du verehrst doch anständigen Sport, oder bringt man euch in dieser Gespensterburg von Hogwarts kein Quidditch bei?" Wollte Rhoda Redstone wissen.

"Nein, nur Fußball und Rugby, wie in jeder englischen Schule", konterte Julius frech.

"Das ist doch wohl nicht wahr. Da habe ich ihn aus dieser langweiligen Muggelbehausung geholt und zeige ihm anständiges Leben, ja, ich stelle ihn noch echte Profis vor, und der verspottet uns. Frechdachs!" Wetterte Aurora Dawn mit gespielter Empörung. Dann sagte sie:

"Der wird bei seinem Abschluß ein Spitzenspieler der Hausmannschaft sein. Das ist so sicher, wie sich die Erde um die Sonne dreht."

Die übrigen Mannschaftsmitglieder kamen noch ins Café. Pamela und Rhoda setzten sich zu ihren Kameraden, nicht ohne zu bekunden, daß sie die beiden Kinder gerne bei ihrem Spiel bei der Weltmeisterschaft sehen würden.

Als eine Frau in gewöhnlichem grünen Umhang zu den vieren trat und sagte "Es wird glaube ich Zeit, Melinda. Wir kommen sonst zu spät zur großen Party."

"Ach ja! Die Zeit ist wieder so verflogen. Die Kangaroos hätten ruhig früher den Schnatz holen sollen, als diese Triene von den Sparks. OK, Bella. Ich komme schon. Macht's gut, ihr beiden! Komm gut nach Hause, Julius!"

"Ich glaub's bald. Dieses Weib versucht immer wieder, mich zu ärgern. Und ich wundere mich immer darüber, daß ich mich so gut beherrschen kann", meinte Aurora Dawn grinsend, als Melinda mit ihrer Schwester Bella und deren Tochter Corinna davongeeilt war. Sie spielte damit auf die Äußerung Melinda Buntons an, Kräuterkundler hätten einen stumpfsinnigen Beruf. Dann ging es auch für Julius zurück zum Haus von Aurora Dawn. Sie schenkte ihm zu all den Erlebnissen, die er bei ihr gehabt hatte, noch eine Flasche mit der Sonnenschutztinktur, die ihnen in den letzten Tagen so gut geholfen hatte. Denn Julius war zwar etwas brauner geworden, hatte aber keinen Sonnenbrand abbekommen.

Mit Flohpulver ging's zurück nach England, als es dort gerade hell geworden war. Aurora Dawn brachte Julius noch zu seinen Eltern zurück und verabschiedete sich von ihm.

"Wir bleiben selbstverständlich in Kontakt. Schreib mir, als was du in der Nachwuchsmannschaft spielen wirst!"

"Jetzt ist aber genug. Sie haben gegen meinen Willen meinen Sohn zwei Tage lang in Beschlag genommen, Ms. Dawn. Er sollte sich wieder auf sein Zuhause besinnen. Wir haben heute abend Besuch, um in das nächste Jahr hineinzufeiern. Auf Wiedersehen!" Beendete Julius' Vater den Abschied von Aurora Dawn. Diese nickte und stieg wieder in das Taxi ein, mit dem sie Julius nach Hause gebracht hatte.

Julius mußte seinen Eltern erzählen, was er erlebt hatte und verschwieg auch nicht, daß er Schulkameraden getroffen und die Hexe aus dem Flugzeug wiedergesehen hatte, die seinem Vater das Bonbon gegeben hatte. Damit erreichte er, daß Richard Andrews zusammenfuhr und sich schütteln mußte.

"Erinnere mich nicht an das Ding. Ich dachte, das sei harmlos."

"Du schluckst auch alles", ärgerte seine Frau ihn noch.

"Das verbitte ich mir, Martha!" Schimpfte Richard Andrews.

 

 

Julius nutzte den Silvestertag, um für den Jahreswechsel auf Vorrat zu schlafen. Durch die kurze Reise nach Australien war er ohnehin auf eine andere Zeit eingestimmt.

Die Gäste waren die üblichen. Freunde und Bekannte seiner Eltern. Er hatte es nicht geschafft, seine alten Schulkameraden Lester und Malcolm ins Haus zu schmuggeln, um mit ihnen einige gelungene Scherze zu veranstalten. Doch seine Eltern hatten das Telefon mit einem Code verschlossen, so daß nur sie es bedienen konnten. Julius überlegte, ob er den Code mit dem Alohomora-Zauber knacken könne. Doch da fiel ihm noch rechtzeitig ein, daß er ja nicht zaubern durfte. Von Hogwarts zu fliegen hatte er nicht vor. Er hörte immer noch Professor McGonagalls Stimme, daß es nur dort möglich war, ihn richtig auszubilden. Außerdem wollte er sich vor seinen neuen Schulkameraden Gloria und Kevin nicht blamieren, abgesehen von der Wut, die ihm von Professor McGonagall oder Aurora Dawn entgegenschlagen würde.

Die Feier verlief nach dem alten Prinzip, daß er schon seit seiner Kleinkindzeit kannte. Erst gab es Essen vom Party-Service mit Leihkellner und Leihkoch. Dann sahen sich alle im Fernsehen die Neujahrsansprache der englischen Königin und ein Konzert an, das bis kurz vor Mitternacht gegeben wurde. Schließlich gingen alle nach draußen, wo genau um Mitternacht Julius' Vater selbstgebasteltes Feuerwerk zündete, Raketen und Leuchtkugeln mit unterschiedlichen Farbeffekten. Der Stolz von Mr. Andrews war eine Ansammlung sirrender Feuerwerkskörper, die eine laute Melodie spielten, während sie wie Wunderkerzen zersprühten.

"Von einem Plastimann eine gute Vorführung", lobte Richard Andrews' Studienfreund Silas Brant, sichtlich beschwipst.

Julius ging um ein Uhr zu Bett, nachdem er es in der Runde immer angeheiterter werdender Männer und Frauen nicht mehr aushielt. Einer hielt ihm sogar vor, zu dumm für Eton zu sein, wenn er auf eine Sonderschule geschickt worden sei.

Die letzten beiden Tage der Ferien waren langweilig. Julius mußte weitere Prüfungen seiner Eltern über sich ergehen lassen. Nebenbei brach bei ihm eine Erkältung aus, die ein Bekannter seines Vaters auf der Silvesterparty gepflegt hatte.

So kam es, daß er mit Husten und Schnupfen in den Hogwarts-Express stieg. Er wollte ein Abteil für sich allein haben, doch Gloria, Fredo, Kevin, Die Hollingsworths und Glenda Honeydrop, eine Bekannte Fredos aus Gryffindor, überredeten ihn dazu, sich mit ihnen ein Abteil zu teilen.

"Erkältungen sind doch heute kein Problem mehr", meinte Betty Hollingsworth, die direkt neben Julius saß. Gloria, die mit Jenna gegenüber von ihm Platz genommen hatte, wollte wissen, was er so alles erlebt hatte. Mit heiserer Stimme, von Husten und Prusten unterbrochen, berichtete Julius vom Quidditchmatch und von dem Buch, das er gesehen hatte. Sämtliche Mädchen im Abteil zuckten zusammen.

"Das hat eine Hexe von Du-weißt-schon-wem geschrieben. Hat fünf Jahre gedauert, bis alle dahintergekommen waren", meinte Glenda Honeydrop.

"Hat es dich erwischt, das Buch?" Wollte Gloria wissen.

Als sich die Abteiltür öffnete und Draco Malfoy und seine bulligen Spießgesellen mit dümmlichem Grinsen hineinbeugten, entfuhr Julius ein derartig lauter Nieser, daß alle dachten, das Fenster würde zerspringen. Draco schrie erschrocken auf und hechtete aus der Tür, so schnell, daß Crabbe und Goyle erst nicht begriffen, daß ihr Wortführer verschwunden war. Crabbe fluchte noch: "Verdammte Muggelbazillen!" Und zog sich mit Goyle zurück.

"Die sind wir los", grinste Kevin Malone gehässig. Glenda verzog das Gesicht und meinte:

"Diese Dreierbande ist wie ein Haufen Schmeißfliegen. Immer meinen die, sich in den Mist anderer einmischen zu müssen. Dabei ist Lucius nur durch Du-weißt-schon-wen so stark geworden. Und wenn der mal wiederkommen sollte, was ich nicht hoffen möchte, wird der mächtige Mr. Malfoy wieder zur Marionette, wette ich."

"Denke ich auch. Wenn Voldemort es wirklich hinkriegt, wiederzukommen, sollten sich die Leute warm anziehen, die ihn einmal unterstützt haben", prustete Julius. Wieder genoß er es, wie alle bei der Nennung des Namens des dunklen Lords zusammenfuhren, als habe er ihnen Starkstrom durch den Körper gejagt. Nur Gloria blieb ruhig.

"Mann, wie oft muß man es dir erzählen, daß man den bösen Lord nicht mit Namen anredet?" Maulte Kevin.

"Wenn der jetzt hier auftauchen sollte, kann er meinen Schnupfen und Husten abhaben", spottete Julius und hustete, weil das Lachen ihm im Hals kratzte.

Es kam zwar nicht der dunkle Lord, vor dem alle Angst hatten, aber ein Dementor, der kontrollierte, ob Sirius Black sich möglicherweise im Zug versteckt hatte. Wieder überkam sie alle die Kälte und Verzweiflung, die in der Nähe eines Dementors immer aufkamen. Betty Hollingsworth klammerte sich an Julius fest, als könne er ihr die Geborgenheit geben, die sie brauchte. Als der Wächter von Askaban nach einer ewig erscheinenden Zeitspanne weiterzog, holte Julius die Bonbons hervor, die er geschenkt bekommen hatte und teilte jedem in seinem Abteil zwei aus. Nun hatte er noch 50 Stück in der Tüte.

Die Zitronenbonbons mit den Zauberzutaten taten ihre Wirkung. Die Kälte und Verzweiflung verflog augenblicklich. Als der Zug in Hogsmeade einfuhr, waren sie die einzigen Mitreisenden, die wieder vollkommen gelassen und fröhlich ausstiegen. Nun wurden sie auf Kutschen verteilt, die von unsichtbaren Pferden gezogen wurden und kehrten damit nach Hogwarts zurück, wo sie von den Hauslehrern begrüßt wurden. Julius mit seiner Schniefnase durfte jedoch noch nicht in den Ravenclaw-Gemeinschaftsraum.

"Gehen Sie zunächst zu Madame Pomfrey und lassen Sie Ihre Erkältung beheben, Mr. Andrews! Sonst haben Sie bald das ganze Haus angesteckt. Ihre Mitreisenden werden Ihnen folgen", wies Professor Flitwick den Muggelgeborenen an.

Julius ging in den Krankenflügel, wo Madame Pomfrey gerade einem Jungen aus Hufflepuff ein Heiltonikum gab, der sich zu Hause eine Schürfwunde zugezogen hatte. Dann kam sie zu Julius.

"Dich hat es aber voll erwischt, wie?"

"Kann man sagen. Professor Flitwick wollte mich nicht in den Gemeinschaftsraum lassen. Dabei weiß doch jeder, daß Erkältungen nicht geheilt werden können. Ohne Medizin dauern sie sieben Tage, mit Medizin eine Woche", prustete Julius mit verkaterter Stimme.

"Unfug! Gegen alles ist ein Kraut gewachsen. Hier, trink das, und zwar ganz leer!" Erwiderte Madame Pomfrey und hielt dem Jungen ein dampfendes Gefäß unter die Nase. Julius war froh, daß er nicht riechen und schwer schmecken konnte, was in dem Kelch war und setzte ihn an. Mit schnellen Schlucken stürzte er das Gebräu hinunter und meinte:

"Das Zeug behandelt wohl nur die Auswirkungen, aber ... Hups, was ist denn jetzt los?" Julius hatte seine Stimme wiedergefunden, und auch die Nase war wieder völlig frei und tat nicht mehr weh. Der Husten war verschwunden und das Kratzen im Hals auch. Dafür schoß dem Jungen Dampf aus beiden Ohren.

"Das geht schnell wieder weg, Junge. Glaubst du immer noch, Muggelärzte hätten immer recht?"

"Nein, Madame Pomfrey. Sie haben mich eben von diesem Irrtum geheilt. Wie heißt das Gebräu?"

"Allgemeiner Erkältungstrank. Das Rezept ist uralt. Das kannte schon Madame McGonagall, die hier vor 250 Jahren meine Arbeit gemacht hat", erwiderte die Schulkrankenschwester. Julius hätte fast einen Schrecken bekommen. Doch dann dachte er, daß die gesamte Lehrerschaft wußte, von wem er seine Zauberkraft hatte.

Einige Minuten nach der Einnahme des Heiltrankes kamen Gloria und die übrigen, die mit Julius im Abteil gesessen hatten und holten sich kleinere Mengen des Erkältungstranks ab. Julius' Ohren dampften nicht mehr, so daß er mit den anderen Hauskameraden und den Hollingsworths zurückgehen konnte. Die Zwillinge Betty und Jenna trennten sich von der Ravenclaw-Truppe, die ohne Probleme durch den Eingang kam. Das Passwort war immer noch gültig.

Julius unterhielt sich noch mit seinen Schlafsaalgenossen über das Funktelefon, das seine Eltern ihm geschenkt hatten. Seine Mutter hatte es ihm mitgegeben, weil sie nicht so recht glaubte, daß es nicht funktionierte. Tatsächlich versagte es, kaum daß Julius es ausgepackt hatte.

"Werde ich wohl doch wieder Eulen verschicken müssen", grinste er, darüber erfreut, wieder gesund und Munter zu sein und wieder in Hogwarts, der außergewöhnlichsten Schule, die ein Junge besuchen konnte.

JAHRESAUFTAKT by Thorsten Oberbossel

Als die Erstklässler der Ravenclaws zur ersten Stunde im neuen Jahr antraten, tuschelten sie noch über ihre Weihnachtserlebnisse. Kevin betete Julius förmlich an, weil dieser das Autogramm einer Nationalspielerin aus Australien ergattern konnte. Gloria hatte das Astronavigationsbuch gelesen, das Julius ihr geschenkt hatte, und Gilda hatte verkündet, daß sie mit ihren Eltern und ihrem Großvater die Quidditch-Weltmeisterschaft besuchen würde. Außerdem sollte eine Woche nach den Ferien das Spiel Ravenclaw gegen Slytherin stattfinden.

Professor McGonagall bahnte sich ihren Weg durch die Traube der Wartenden. Sie wirkte irgendwie angespannt, als habe sie gerade einen heftigen Streit hinter sich. Alle Gespräche endeten sofort.

Die Verwandlungsstunde war interessant, wenngleich sehr strickt und kühl abgehalten. Keiner der Ravenclaws kassierte einen Punkt, selbst als Julius es schaffte, eine Teetasse in einen Weinkelch zu verwandeln, und das im ersten Ansatz. Julius nahm es als gegeben hin, daß McGonagall seine Fähigkeit mittlerweile nicht mehr als Außergewöhnlichkeit ansah. Sie hätte ihm wohl Punkte abgezogen, wenn er nicht das erwünschte Ergebnis erzielt hätte.

Nach Verwandlung hatten sie Zauberkunst, wo sie lernten einfache Fernlenkungen zu machen. Auch Flitwick wirkte angespannt und hibbelig.

Am Nachmittag, die Ravenclaws hatten eine Doppelstunde Kräuterkunde, legte sich Kevin mit den Slytherin-Jungen an, indem er meinte, daß die Mannschaft der Ravenclaws die der Slytherins ohne Schwierigkeiten niedermachen würde. Julius, Gilda und Gloria, die gerade Professor Sprout zu einem Grünwurzgewächs gefolgt waren, hörten nur, wie die Slytherins Kevin anblafften, daß er dafür, daß er ein Ravenclaw-Eierkopf sei, ziemlich dumm daherreden würde. Fredo, der in der Nähe stand, ließ das nicht auf sich sitzen und lief zu Kevin, um ihm beizustehen. Carol Ridges, das hagere Slytherin-Mädchen, sah ihm verächtlich nach und tuschelte mit ihrer Hauskameradin Lea Drake, während Chuck Redwood wie eine Statue dastand und so tat, als würde er dem Vortrag der Lehrerin lauschen.

"... Die besonderen Eigenschaften der Grünwurz liegen darin, daß sie als Wirkungsverstärker vieler Heiltränke gegen Pflanzengifte und als wirkungsvolle Beimischung zu Heilsalben genutzt werden kann. Sie muß jedoch ständig in einem feuchten Nährboden gehalten werden und jeden zweiten Tag an den oberirdischen Trieben beschnitten werden, damit die für die Nutzung wichtigen Wirkstoffe im unterirdischen Wurzelwerk konzentriert bleiben. - Könnte man mir auch von dahinten zuhören?!" Brach Professor Sprout ihren Vortrag ab und sah sehr erzürnt zu Kevin, Fredo und Marvin hinüber, die sich gerade heftig mit vier bulligen Slytherin-Jungen zankten. Fast die Hälfte der Slytherin-Mädchen stand dabei und gaffte. Womöglich erwarteten sie eine Prügelei.

Die Streitenden reagierten nur auf die laute Anfrage, indem sie zusammenfuhren, sich kurz zu der Lehrerin umdrehten und dann wieder mit ihrer heißen Debatte fortfuhren. Julius kribbelte es in den Beinen, seinen Bettnachbarn beizuspringen. Doch er dachte daran, daß sie sich nur um die beiden Hausmannschaften stritten. Das war ihm die Sache nicht wert. Auch Chuck schien so zu denken. Er stand bei Gilda, Gloria und Julius und glotzte seine Kameraden an, die wild gestikulierten.

"Hören Sie sofort mit Ihrer Streiterei auf und konzentrieren Sie sich wieder auf den Unterricht!" Befahl die Kräuterkundelehrerin. Doch niemand hörte ihr zu. Denn jetzt hatte wohl ein Ravenclaw zuviel gesagt. Denn Brutus Pane, der stämmigste Slytherin-Erstklässler, ging wütend auf Kevin los, der ohne Federlesen die Herausforderung annahm und sich in eine wilde Balgerei einließ. Dies war das Signal, das alle Jungen von Ravenclaw in den Streit eingriffen, was zu einer offenen Auseinandersetzung zwischen den Slytherins und Ravenclaws führte. Nur Julius und Chuck standen unbeeindruckt abseits und sahen zu, wie die Jungen aufeinander eindroschen und traten.

"Aufhören!!" Kreischte Professor Sprout und zog ihren Zauberstab. Krachend entlud sich ein greller Blitz über die Köpfe der Rangelnden hinweg. Das wirkte. Die Streitenden gingen auseinander und stellten sich schön weit voneinander entfernt. Professor Sprout musterte sie alle, auch Julius, Chuck und Gloria. Diese zuckten zusammen, obwohl sie überhaupt nichts getan hatten.

"Wenn Sie Wert darauf legen, überschüssige Energien loszuwerden, dann haben Sie, die in diese unrühmliche Rauferei verstrickt waren, die Gelegenheit, diese Energie abzuarbeiten, indem Sie morgen nach dem Nachmittagsunterricht in mein Büro kommen und mir dabei helfen, längst anstehende Aufräumarbeiten zu erledigen. Betrachten Sie das als angemessene Strafarbeit. Hier sind zuviele sensible Pflanzen, die durch derartige Auseinandersetzungen im Wachstum gestört werden könnten. Außerdem verbitte ich mir jede weitere Zankerei während meines Unterrichts. Damit Sie sich das merken, werden Ravenclaw und Slytherin jeweils 40 Punkte abgezogen. So, und nun hören Sie meinen Ausführungen zu und arbeiten Sie nach meinen Anweisungen, damit Sie alle am Jahresende nicht durch die Prüfungen fallen."

Offenbar hatte sich die Kräuterkundelehrerin, der die meisten Erstklässler wohl nicht die Durchsetzungskraft zutrauten, wie sieProfessor McGonagall oder Snape besaßen, den Respekt verschafft, den sie erwartete. Denn ruhig und ohne weiteren Zwischenfall arbeiteten die Erstklässler weiter im Unterricht mit. Julius bildete mit Gloria, Lea Drake und Chuck Redwood eine Vierergruppe, die eine Grünwurzpflanze beschnitt. Dabei konnte Julius ohne zu sehr aufzutrumpfen den beiden Slytherins zeigen, woran die überzähligen Triebe zu erkennen waren, so daß die Gruppe als erste mit einer Pflanze durch war. Dann ging es an zwei weitere Sträucher, und es erwies sich, daß die vier sich gut aufeinander einspielten. Lea sah zwar etwas pickiert aus, wenn sie in die Nähe von Julius kam, doch der lächelte einmal warmherzig und flachste: "Ich habe nichts gegen reinblütige Hexen." Darüber mußte Lea lachen und vergaß die Abneigung, die jedem Slytherin-Schüler anzuhängen schien.

Als die Stunden vorbei waren, bekamen Julius und Gloria noch mal je fünf Punkte für Ravenclaw und Lea und Chuck ebensoviele für Slytherin wegen schneller und gründlicher Zusammenarbeit, wodurch der Punktabzug nur noch je 30 Punkte pro Haus betrug.

Lea flüsterte Julius zu:

"Woher willst du wissen, daß ich reinblütig bin?" Dann lachte sie laut und zog sich mit Chuck zu den anderen Slytherins zurück.

"Ich glaube, da hat jemand mein künstliches Weltbild von den Slytherins heftig erschüttert", meinte Julius zu Gloria, als er allein mit ihr im Gemeinschaftsraum der Ravenclaws saß.

"Lea? Die hat einen Muggelvater. Ich weiß das daher, weil sie in der Bibliothek mal mit Euryale Underhill aneinandergeraten ist und mit diesem Unwort bezeichnet wurde, mit dem dich die portraitierten Slytherins in Madame Hoochs Büro beleidigt haben."

"Hups! Ich dachte, die Slytherins wären alle reinblütige Zaubererkinder."

"Denken ist manchmal Glückssache. Ich kann mir vorstellen, daß sie nach Slytherin wollte, um ihrem Muggelvater eins auszuwischen", erzählte Gloria.

"Ich weiß nicht. In dieses Haus zu den Typen? Das wäre mir zu nervenaufreibend."

"Das ist auch gut so, daß du hier in Ravenclaw gelandet bist. Es hätte dich noch verdorben, wenn du da gelandet wärest. Deine Kräfte gehören in besonnene Hände, nicht in ehrgeizige und böswillige Hände. Lea wird, ob sie will oder nicht, Slytherin-Eigenschaften übernehmen, je länger sie dort ist. Dann bist du besser hier bei uns."

"Ich habe diesem alten Hut gesagt, daß ich nicht nach Slytherin will. Vielleicht hätte der mich dort abgeliefert", erzählte Julius noch.

"Der hätte dich dahingeschickt, wenn du dahin gehört hättest. Den sprechenden Hut kann man nicht darum bitten, ihm oder ihr ein bestimmtes Haus zuzuteilen. Meine Eltern haben mir in den Ferien erzählt, wie sie versucht haben, den sprechenden Hut zu ärgern, indem sie ihm Vorschläge zugedacht haben. Doch dann sind sie beide in Ravenclaw gelandet."

"Dieser Voldemort muß in Slytherin gewesen sein, habe ich gehört."

"Genau. Der dunkle Lord hat dort seine Schulausbildung erhalten. Doch keiner außer Dumbledore und einigen anderen Lehrern weiß heute, wie er damals hieß. Sicher ist nur, daß er sich den Namen Voldemort selbst zugelegt hat."

"War wohl auch ein Muggelgeborener", vermutete Julius.

"Auszuschließen ist das nicht. Vielleicht hatte der genauso Probleme mit seinen Eltern, wie du", ging Gloria Porter auf diesen Gedanken ein. Beide lachten.

Die Hausmannschaft betrat den Gemeinschaftsraum, Bitterkeit und Verzweiflung in den Gesichtern. Gloria und Julius fiel auf, daß Cho Chang fehlte.

"Was ist passiert?" Wollte Gloria wissen.

"Cho ist mit mir zusammengestoßen und aus zehn Metern Höhe vom Besen gefallen. Madame Pomfrey hat sie für eine Woche krankgeschrieben. Das Match können wir nur noch mit Alan Dayrose spielen", sagte der Mannschaftskapitän verknirscht und zog sich in den Schlafsaal zurück.

"Alan? Der saß doch beim letzten Mal auf der Reservebank", meinte Julius.

"Genau. Aber wen sonst sollen wir nehmen? Hoffentlich kommt er noch gut in Fahrt, bevor das Match losgeht", erwiderte Roger Davis.

Als sich herumgesprochen hatte, daß Ravenclaw ohne die starke Sucherin Cho Chang das Spiel gegen Slytherin bestreiten mußte, machte sich Unbehagen im Haus breit. Hinzu kam noch, daß Fredo, Kevin, Eric und Marvin diese Strafarbeit aufgebrummt bekommen hatten. Kevin blaffte Julius am Abend noch an:

"Wieso hast du dich nicht mit uns zusammen gegen die Slytherins gestellt. Du kannst doch angeblich kämpfen."

"Heh! Das erste, was ich bei dieser Art des Kampfsports gelernt habe war, daß ich nur kämpfen soll, wenn es eine echte Notlage gibt, aus der ich nur so herauskomme. Was hätte es uns gebracht, weiter mit den Slytherins zu raufen? Ich bin kein Feigling. Aber ich halte Streitlust nicht für Mut", entgegnete Julius verärgert.

"Aber du hast dich schön aus der Reichweite gehalten. Jetzt dürfen wir diese vermaledeiten Gewächshäuser aufräumen und uns mit den anderen Slytherins zusammen herumkommandieren lassen, wenn wir nicht von der Schule fliegen sollen", wandte Fredo ein.

"Komm, Fredo. Nur wegen einer Quidditchpartie den Rauswurf zu riskieren wäre ziemlich dumm, oder nicht?"

"Ja, und jetzt, wo es herum ist, daß Cho nicht spielen kann, dürfen wir uns von den überheblichen Kerlen aus Slytherin noch mehr Unverschämtheiten anhören", gab Marvin zu bedenken.

"Hunde die bellen beißen nicht", sagte Julius kühl. "Die wissen zwar, daß wir unsere Stammsucherin nicht aufstellen können, aber nicht, wie unser Ersatzsucher spielt. Vielleicht zieht er seine Eingebildetheit Malfoy richtig schön vom Besen und holt den Schnatz", sagte Julius noch.

"Worauf wettest du, Julius?"

"Sieg für Ravenclaw durch Schnatzfang", sagte Julius.

"OK. Dann wette ich auf Sieg für Ravenclaw durch Punkteüberschuß, egal wer den Schnatz kriegt", sagte Kevin.

Am nächsten Nachmittag trollten sich vier der Ravenclaw-Jungen aus dem Kerker, wo sie Zaubertränke hatten. Snape sah ihnen mit grimmigem Blick nach. Dann grinste er böswillig. Julius, der nicht in die Kolonne der Strafarbeiter eintrat, wurde noch mal zurückgerufen, als er mit den Mädchen seines Hauses und den Hufflepuffs zusammen den Kerker verlassen wollte.

"Mir ist zu Ohren gekommen, daß Sie versucht haben, den Erstklässlern meines Hauses Nachhilfeunterricht zu erteilen, als Sie Kräuterkunde hatten. Stimmt das?"

"Nicht direkt. Ich habe lediglich mit Mr. Redwood und Ms. Drake sehr gut zusammengearbeitet."

"Die Schüler meines Hauses brauchen keinen Nachhilfelehrer. Für diese Anmaßung ziehe ich Ravenclaw 10 Punkte ab. Und jetzt gehen Sie!"

Julius sagte nichts und zeigte auch im Gesicht keine Regung, die Snape hätte triumphieren lassen können. Er ging lächelnd aus dem Kerker und holte Gloria und die Hollingsworths ein, die gerade in das Erdgeschoß hinaufgestiegen waren.

"Gloria, der Kerl hat mir in Stellvertretung aller anderen Ravenclaws die zehn Punkte wieder abgezogen, die uns Professor Sprout gestern für die tolle Teamarbeit gegeben hat. Er meinte, ich solle seine Leute nicht unterrichten."

"Hätte mich auch gewundert, wenn Snape uns diese Punkte hätte einstreichen lassen, ohne seine Lieblinge zu bevorzugen", meinte Gloria ruhig.

"Der Typ muß total durch den Wind sein", wandte Leon Turner von den Hufflepuffs ein.

"Sag das lieber nicht zu laut. Nachehr kriegst du noch eine Strafe wegen Beleidigung eines Lehrers und 100 Punkte Abzug aufgebrummt", meinte Betty Hollingsworth.

"Toller Jahresauftakt. Kann nur noch besser werden", warf Julius ein. Dann lachte er.

"Du hast eine Ruhe weg. Wenn Mr. Snape mir Punkte für gute Arbeit wieder weggenommen hätte, hätte ich mich tierisch aufgeregt", warf Marco Taylor ein, ein stämmiger Hufflepuff-Junge mit maisblonder Igelfrisur.

"Und hättest ihm damit Genugtuung gegeben. Der Typ ist doch froh, wenn er Leute drangsalieren kann. Der ärgert sich jetzt mehr über mich, weil ich nicht wütend wurde und ihn auch noch angelächelt habe, als ich mich über ihn ärgern kann", sagte Julius ruhig. Gloria und Gilda Fletcher nickten zustimmend.

"Der wird dir eines Tages noch Strafarbeiten aufhalsen, nur um zu gucken, ob er dich nicht doch klein kriegt", unkte Pina Watermelon und verschwand. Gloria verzog sich mit Gilda in den Gemeinschaftsraum der Ravenclaws, währen die Hollingsworths und Julius noch in die Bibliothek wollten. Julius hatte sich ein Buch über Pflanzengifte mitgenommen, daß sein Vater ihm zu lesen angewiesen hatte. Er wolte es mit Nachschlagewerken der magischen Giftpflanzen vergleichen und so zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.

In der Bibliothek trafen sie Chuck Redwood, der sich gerade mit Madame Pince herumstritt, weil er ein Buch aus der verbotenen Abteilung haben wollte, das er angeblich für seine Zauberkunststudien brauchte.

"Dieses Buch über die Elementarkräfte der keltischen Druiden ist nicht für Schüler unter der sechsten Klasse zugelassen. Daher steht es auch im verbotenen Bereich", sagte Madame Pince gerade. Julius zog sich mit den beiden Hollingsworth-Schwestern an einen kleinen Tisch zurück. Er hatte sein Muggelgiftkundebuch aufgeschlagen und las gerade einen Abschnitt über Curare, das Pfeilgift südamerikanischer Ureinwohner, als Chuck meinte:

"Meine Eltern haben mir eine Liste mit unbedingt zu lesenden Büchern zugeschickt. Professor Flitwick hat zwar gesagt, daß ich das Buch jetzt noch nicht brauche, aber ..."

"Dann kriegst du's auch nicht. Nachher steckst du noch das Schloß in Brand oder läßt eine Windhose entstehen. Schluß! Ich habe noch anderes zu tun, als mich mit ehrgeizigen Jungen herumzuzanken."

Chuck fluchte und verließ knurrend die Bibliothek. Die hagere Bibliothekarin mit dem Kneifer und dem ständig einsatzbereiten Staubwedel räumte einige zurückgegebene Bücher an ihre Plätze zurück und sah dann zum Tisch hinüber, an dem Julius gerade den beiden Geschwistern aus dem Buch vorlas, leise zwar, aber gut zu verstehen. Madame Pince kam herüber und warf einen neugierigen Blick auf die aufgeschlagene Buchseite.

"Ich kann mich nicht daran erinnern, dieses Buch in dieser Bibliothek aufzubewahren. Ist es dein Buch, Junge?"

"Ja, ist es", erwiderte Julius ruhig und klappte das Buch zu, um der Bibliothekarin den Umschlag zu zeigen.

"Hmm, Muggelbücher liest du hier. Wenn du wirklich gute Giftpflanzenbücher lesen willst, solltest du dich an die Erweiterung des Standardbuches über tausend magische Pflanzen und Kräuter halten, das ihr sowieso lesen müßt. Es gibt da eine Sammlung von Veröffentlichungen, die von Professor Latrodectus Atropos herausgegeben wurde. Die ist für Erst- bis Drittklässler die Einstiegsliteratur. Allerdings solltest du dich mit den Professoren Sprout und Snape darüber abstimmen, was du genau brauchst, weil die Sammlung hundert Bände mit Artikeln umfaßt."

"Tut mir Leid, Madame Pince, aber mein Vater ist Chemiker, das ist sowas wie ein rein mathematisch vorgehender Alchemist. Er will haben, daß ich mich über die allgemein verfügbaren Giftpflanzen kundig halte."

"Hat er vor, dich mit diesem Zeug, Curare, zu vergiften?" Wollte die Hüterin der Schulbücherei wissen.

"Das zwar nicht. Aber in unserer Verwandtschaft existiert ein Pharmakologe, also ein Gelehrter zu Heil- und Giftpflanzen. Wenn ich dem mit magischen Heil- und Giftpflanzen komme, lacht der mich entweder aus oder hält mich für irrsinnig. Außerdem ist es sehr interessant, ein Muggelbbuch mit Zaubererliteratur zu vergleichen, um die unterschiedlichen Herangehensweisen zu lernen", sagte Julius.

"Soso. Ich wollte dir auch nicht einreden, was du lesen sollst. Es wundert mich nur, daß jemand derartig unvollkommene Literatur so ernstnimmt."

"Kein Kommentar", lachte Julius. Dann schlug er das Buch wieder auf und las weiter. Madame Pince sah ihm dabei zu, bis sie unvermittelt herumschwang und leise wie eine sich anschleichende Katze zur verbotenen Abteilung eilte, wo sie einen wohlbekannten Jungen mit rotbraunem Haar erwischte, der gerade zwischen den meterhohen Regalen verschwinden wollte.

"Moment! So nicht. Ich habe dir doch gesagt, daß du in dieser Abteilung nichts zu suchen hast, wenn deine Lehrer dir keinen schriftlichen Auftrag dazu gegeben haben. Hast du einen, ja oder nein?"

"Vergessen Sie's", schnaubte Chuck Redwood und eilte aus der Bibliothek.

"Soweit kommt es noch, daß hier jeder in die verbotene Abteilung geht, wenn ich gerade anderswo zu tun habe", zeterte Madame Pince leise und staubte Buchreihen ab, die an der Grenze zwischen frei zugänglicher und verbotener Abteilung standen.

"Wie hat die das jetzt gemerkt, wo der Typ war?" Wandte sich Betty flüsternd an Julius. Dieser zog die Stirn kraus und flüsterte zurück:

"Entweder hat die seinen Schatten gesehen, oder die hat eine Alarmanlage in der verbotenen Abteilung. Vielleicht steht zwischen der erlaubten und verbotenen Sektion eine magische Schranke, wo zwar jeder durchlaufen kann, die aber der Büchertante zeigt, daß da jemand an die verbotenen Bücher will. In der Muggelwelt gibt es sowas auch. Da geht ein Strahl aus Licht von einer Wand zu einem Lichtempfangsgerät auf der gegenüberliegenden Seite. Geht wer durch den Lichtstrahl, löst er damit was aus. Klospülungen, Warngeräte oder Sprengkörper."

"Geht das mit diesem Ekelstrom?" Wollte Jenna wissen.

"Elektrisch, ja. Ist sehr praktisch."

"Es gibt einen Zauber, der Magiefelder sichtbar machen soll", flüsterte Betty. "Flitwick hat es uns erzählt. Damit können verfluchte Räume erkannt werden oder auch verfluchte Gegenstände entdeckt werden."

"Und wie geht der?" Wollte Julius wissen.

"Hat Flitwick nicht verraten. Außerdem soll der nur von starken Zauberern und Hexen geschafft werden", flüsterte Jenna.

"Damit wir nicht sehen können, wo die Barrieren sind", vermutete Julius im Flüsterton.

Hermine Granger kam in die Bibliothek, mit einer langen Pergamentrolle und ihrer großen Umhängetasche am Arm.

"Ich brauche folgende Bücher, Madame Pince", begrüßte sie die Bibliothekarin und ratterte die Liste von ihrer Pergamentrolle herunter. Die Hüterin der Bücher in Hogwarts nickte bei jedem Buch und eilte in die Durchgänge zwischen den hohen Regalen, um die benötigten Werke zu suchen.

"Wau, die braucht ja schon eine eigene Bibliothek", staunte Betty Hollingsworth. Julius lachte fast zu laut, als er Titel wie "Einstieg in die Maschienen der Muggel" und "Zaubereiersatz Elektrizität" hörte.

"Die kommt doch selbst aus einer Muggelfamilie und muß sowas lesen? Wäre genauso, als wenn ein Englischlehrer ein Buch über die englische Sprache von einem Franzosen lesen würde."

"Was gibt's da zu lachen?" Empörte sich Hermine Granger. "Muggelkunde ist eine ernstzunehmende Wissenschaft der Zaubererwelt, um das Mißverhältnis zwischen Zauberern und Muggeln zu beseitigen. Es gäbe weniger Probleme mit Zauberern, die in der Muggelwelt leben, wenn die alle diese Bücher lesen würden."

"Achso. Aber die Geheimhaltungsgesetze verhindern doch, daß sich Zauberer und Muggel verstehen können."

"Das haben wir in den ersten zwei Stunden durchgenommen", meinte Hermine Granger genervt. "Die Notwendigkeit der Geheimhaltung der magischen Zivilisation gegenüber der Muggelwelt. Das würde ich gerade dir sehr dringend anempfehlen, bevor du dich noch mehr ereiferst."

"Ich werde mich hüten. Ich habe doch schon genug Probleme mit meiner buckligen Verwandtschaft, weil ich denen nicht beibringen darf, was mit mir los ist", wandte Julius ein. "Außerdem hat mir meine Klassenkameradin Gloria schon erzählt, daß es da irgendwann Ärger gegeben hat, weswegen Zauberer und Hexen mit Muggeln keinen direkten Kontakt halten dürfen, wenn sie nicht riskieren wollen, daß es zu größeren Schwierigkeiten kommt", erwiderte Julius und lachte wieder. Hermine meinte nur:

"Blödian! Ich dachte, Ravenclaws hätten da mehr Einfühlungsvermögen."

"Muß mir entgangen sein", grinste Julius. Betty und Jenna lachten auch. Dann kehrte Ruhe ein.

Julius lieh sich zum Vergleich mit seinem Giftpflanzenbuch noch ein Werk über tropische Zauberkräuter aus und studierte mit Betty und Jenna diverse Gewächse. Dann meinte er:

"Oha! Aus der südamerikanischen Schnappblütenblume kann man ein heftiges Kontaktgift machen. Wetten, daß Snape uns das mal austesten läßt?"

"Gibt es da kein Gegenmittel?" Wollte Betty wissen.

"Doch. Das Gift der Königskobra, angesetzt mit sieben Beinen einer Tarantel und dem Pulver eines Bernsteins, in einen Sud aus diversen Heilpflanzen, macht getrunken immun gegen das Gift oder kehrt die tödliche Wirkung um, wenn es innerhalb von einer Viertelstunde aus einem kleinen Becher getrunken wird."

"Will sagen, wenn das Opfer einer Vergiftung nicht in einer Viertelstunde den Gegentrank schluckt, stirbt es?" Wollte Betty wissen.

"Ja", gab Julius kühl zurück.

Als Julius in den Ravenclaw-Gemeinschaftsraum zurückkehrte, saßen die Mädchen der ersten Klasse gerade um einen Tisch herum und unterhielten sich angeregt über die Zaubertrankstunde bei Snape. Die Jungen der ersten Klasse waren noch nicht da.

"Hallo, Gloria. Sind die vier Jungs noch nicht da?" Wandte er sich an die blondgelockte Tochter eines Gringotts-Mitarbeiters.

"Nein, Julius. Die sind bis jetzt noch nicht wieder aufgetaucht. Ich fürchte, der Name wird demnächst als unerwünschtes Wort in deinem Schlafsaal behandelt. Wie war es mit den Hollingsworths?"

"Wie soll das schon gewesen sein? Wir haben mein Giftpflanzenbuch durchstöbert, dann kam Madame Pince und meinte, mir irgendwelche Artikel zu magischen Giftpflanzen anempfehlen zu müssen, und schließlich hätte ich mit Hermine Granger fast Krach gekriegt, weil ich es lustig fand, daß sie Bücher über Muggel liest, die so komische Titel haben."

"Na klar!" Meinte Gilda Fletcher. "Für dich ist das natürlich lustig. Aber denkst du nicht, daß andere meinen, daß es sehr ernst ist?"

"Wenn du oder Gloria das Zeug lesen, hätte ich auch nicht so gelacht. Aber daß die Hermine Granger sowas lernt, wo sie doch selbst eine Muggelgeborene ist, war richtig komisch, fand ich", antwortete Julius grinsend.

"Apropos Muggelbücher, Julius: Du wolltest mir das Buch über Computer geben, in dem ich etwas mehr über diese Rechenmaschinen erfahre", erinnerte Gloria ihren Klassenkameraden an ein Versprechen, das er ihr einmal gegeben hatte. Julius nickte, zog den Zauberstab und wedelte damit in Richtung Schlafsaal für Jungen. Er schloß die Augen, stellte sich das gesuchte Buch vor und rief:

 

"Accio Computerbuch von Clayton und Powell!"

Eine Sekunde später schwirrte das gewünschte Buch durch den Eingang zu den Jungenschlafsälen und sauste knapp an Penelope Clearwaters Lockenpracht vorbei zu Julius, auf dessen Schoß es mit lautem Klatschen landete.

"Wau!" staunte Gilda Fletcher. Die Vertrauensschülerin der Ravenclaws sah Julius etwas mißmutig an und fragte:

"Wer hat dir diesen Zauber beigebracht?"

"Professor McGonagall!" Erwiderte Julius ruhig. "Sie hat doch vor den Ferien meinen Chemiebaukasten hier hereingezaubert."

"Zehn Punkte Abzug für Ravenclaw wegen Fahrlässigkeit beim Zaubern, Julius. Du hättest mir das Ding fast an den Kopf knallen lassen", erwiderte Penelope Clearwater.

"Die Tür war frei. Daß du da hingetreten bist, konnte ich nicht vorhersehen", meinte Julius. Penelope Clearwater sah ihn nur betreten an und sagte:

"Immerhin hast du nicht die Bücher der Verfasser selbst hergeholt. Aber du siehst ein, daß ich mit Flitwick darüber reden muß, daß du den Zauber kannst." Dann ging sie durch das Portraitloch und verschwand.

"Den lernen wir erst in der vierten Klasse", meinte Evilyn Dewdrop, eine Drittklässlerin, die sich bis dahin hinter einem Kräuterkundebuch versteckt hatte.

Am Abend kehrten die Jungen von der Strafarbeit zurück, mit erdverkrusteten Umhängen und nach Drachendung stinkend. Julius war so klug, sich solange zurückzuziehen, bis die vier sich gereinigt hatten. Dann ging auch er in den Schlafsaal und legte sich ins Bett, wie die müden Bettnachbarn. Keiner verlor ein Wort über das, was sie hatten tun müssen.

 

 

Das Quidditchmatch zwischen Ravenclaw und Slytherin war spannend, wenngleich auch unfair. Die Slytherins spielten nach der Devise "Mit Kraft zum Sieg", während Ravenclaw durch Kombinationen und Flugtechnik glänzte. So gelang es den Ravenclaws in fünf Minuten 50 Punkte zu erzielen, während die Slytherins gerade ein Tor schossen. Dann jedoch wurde das Spiel immer gefährlicher.

Lee Jordan kommentierte, wie sich die Jäger der Slytherins mit Brachialgewalt den Jägern Ravenclaws in den Weg warfen und sie fast von den Besen stießen, während Draco Malfoy, der den Sucher bei Slytherin machte, Alan Dayrose immer und immer wieder um den Kopf herumschwirrte, um ihn am suchen zu hindern. Dafür bekam Ravenclaw einmal einen Strafwurf zugesprochen, den Roger Davis, der Kapitän, höchst selbst verwandelte. Dann ging es schlag auf Schlag. Die Ravenclaws landeten durch geschickte Manöver vier Treffer hintereinander, während die Slytherins wie Rammböcke ihre Wege zum Tor der Ravenclaws suchten und drei Tore erzielten.

Als die Ravenclaws 90 zu 60 führten, kam es zu einem Unfall. Alan Dayrose prallte mit einem Ravenclaw-Jäger zusammen, weil dieser sich vor einem gezielten Klatscherangriff in Sicherheit zu bringen versuchte. Dabei verlor Dayrose die Gewalt über den Besen und rutschte ab. Malfoy lachte laut, wenngleich das nicht auf den Zuschauerrängen zu hören war. Professor Flitwick war aufgesprungen und ließ Dayrose kurz vor dem Boden verzögern, so daß er noch weich landete. Doch der Besen war fortgeflogen und krachend gegen einen Torring geprallt und dabei zerbrochen.

"Ersatzbesen!" Rief Kevin Malone laut. Doch Madame Hooch ließ weiterspielen. Der Sucher war nun aus dem Rennen.

Ravenclaw schoß zwar schnell hintereinander zehn Tore, doch dann holte Draco Malfoy den Schnatz und freute sich wie ein kleines Kind, daß einen großen Wunsch erfüllt bekommen hatte. Slytherin gewann 230 zu 210 punkte.

In zwei Wochen geht's gegen die Hufflepuffs. Wenn die sich so einmachen lassen, wie von uns, kriegt Slytherin noch den Pokal", vermutete Fredo Gillers. Er dachte offenbar noch an die Strafarbeit bei Professor Sprout.

Snape war guter Dinge, nachdem Ravenclaw gegen Slytherin verloren hatte. Dies äußerte sich darin, daß er mal davon absah, irgendwem der Hufflepuffs oder Ravenclaws Punkte wegzunehmen. Er ließ sich lediglich gerne darüber aus, daß die Mannschaft von Ravenclaw keinen Kampfgeist besaß und meinte, immer mit Tricks und Täuscherei vorgehen zu müssen. Weil auf diese Provokation keiner einging, beließ er es dabei, hönisch zu grinsen, wenn er an den Kesseln der Ravenclaw-Erstklässler vorbeiging.

"Der hat das gerade nötig", schimpfte Kevin, als er mit Julius und den anderen Erstklässlern im Schlafsaal angekommen war, wo sie noch über die nächste Zauberkunststunde sprechen wollten.

"Wieso, Kevin? Hast du Snape schon einmal auf einem Besen gesehen?" Wollte Fredo wissen.

"Das nicht. Aber ich glaube nicht, daß der Typ sich bei einem echten Match auf einem Besen halten kann. Aber den kriegen wir nächstes Jahr. Dann wird Cho wieder spielen, und wir bauen eine bessere Truppe zusammen", tönte Kevin, als wäre er der Kapitän der Hausmannschaft.

"Hört hört!" Erwiderte Julius.

"Ihr glaubt doch nicht, daß die Hufflepuffs diesen Brechern gewachsen sind, selbst wenn Cedric den Schnatz kriegt."

"Wir werden sehen", erwiderte Julius Andrews.

Sie sahen es zwei Wochen später, als die Hufflepuffs von Slytherin derartig niedergemacht wurden, daß die meisten Spieler es als Wohltat empfanden, als Malfoy den Schnatz holte, wobei er Cedric Diggory fast aus der Bahn geschubst hätte. Slytherin führte mit 200 Punkten Vorsprung die Tabelle der Hausmannschaften an. Nun kam es auf Gryffindor an.

Als Julius mit Gloria einmal einen Auftrag der Vertrauensschüler von Ravenclaw ausführen und Professor Flitwick etwas ausrichten sollten, sahen sie in seinem Büro etwas höchst interessantes.

Auf einer großen weichen Unterlage lagen die einzelnen Bestandteile eines auf Hochglanz polierten Flugbesens, dessen Reisigbündel stromlinienförmig ausgerichtet waren. Flitwick saß davor und hantierte mit seinem Zauberstab und einem magischen Sichtglas. Er fuhr fast zusammen, als die beiden Schüler hinter ihm auftauchten.

"Entschuldigen Sie, Professor Flitwick, aber Mr. Crossley bittet uns im Namen der Vertrauensschüler, Ihnen zu bestellen, daß für die Siebtklässler die Endprüfungsvorbereitungen bekanntgegeben wurden. Sie möchten bitte nachher die Unterlagen abzeichnen, damit die Schüler wissen, welche Vorbereitungsmappen sie noch mal durchsehen sollen."

"Natürlich. Ich werde dies erledigen, wenn ich hier fertig bin. Ich habe noch zu tun, Kinder. Sagen Sie den Vertrauensschülern bitte, daß Sie ihr Anliegen überbracht haben!"

"Wau! Ist das ein Feuerblitz-Besen? Ich habe kurz vor Neujahr ein Quidditchspiel besucht, bei dem diese Besen eingesetzt wurden. Die Dinger gehen ab ..."

"Jaja, das ist ein Feuerblitz. Ich muß ihn untersuchen, ob versteckte Flüche vorhanden sind, bevor er zugelassen werden kann. Aber bitte behalten Sie diese Neuigkeit einstweilen für sich. Es betrifft niemanden außer denen, die mit dem Besen zu tun haben", mahnte Flitwick an.

"In Ordnung. Wir sagen nichts."

Gloria und Julius gingen wieder zurück zum Ravenclaw-Eingang. Gloria flüsterte:

"Also doch. Ich habe aus einem Gespräch von Padma aus der dritten Klasse und Amanda Hillcrest herausgehört, daß Harry Potter angeblich so einen Besen zu Weihnachten geschenkt bekommen haben soll. McGonagall hat ihn eingezogen, weil kein Hinweis auf den Absender dabei war. Sie haben Angst, Black könnte den Besen an Harry geschickt haben."

"Deshalb will Flitwick nicht, daß wir das herumerzählen. Und wenn es wirklich der Massenmörder war. Woher hat der soviel Geld? So ein Besen ist doch ein Formel-I-Rennwagen unter den Flugbesen."

"Ein was?"

"Ein sehr schnelles Auto, das wir Muggel für Wettrennen brauchen."

"Julius, willst du mich wieder ärgern?"

"Nöh", entgegnete Julius Andrews und lachte.

"Also so ein Besen wird heute nur bei internationalen Quidditch-Turnieren oder Spielen reicher Mannschaften eingesetzt. Wenn jemand Harry einen neuen Besen schenkt, der nicht sabotiert wurde, dann muß der Jemand sehr viel für Harry übrig haben", meinte Julius.

Wenige Tage später kam alles heraus. Der Feuerblitz war wirklich frei von Flüchen oder sonstigen Schäden und gehörte Harry Potter. Beim Frühstück, kurz vor dem Spiel Gryffindor gegen Ravenclaw, präsentierten die Gryffindors das Wunderding. Cho Chang, die wieder fit war, ging mit ihren Mannschaftskameraden hinüber zum Gryffindor-Tisch. Julius, Gloria und Kevin folgten ihnen in respektvollem Abstand. Auch Penelope Clearwater besah sich den Besen und wurde von Percy Weasley lachend dazu ermahnt, keine Sabotage zu begehen.

"Der hat ein Vermögen gekostet", staunte Kevin, der sich nicht traute, näher an den Tisch zu gehen, auf dem der Wunderbesen lag.

"Da verblassen alle bisherigen Besen. Ich fürchte, wir alle können uns warm anziehen."

"Junges Gemüse, weg da", knurrte Draco Malfoy und schubste die beiden zur Seite, um selbst den Feuerblitz zu betrachten.

"Komm, der Typ spielt sich gleich wieder auf, weil er meint, selbst gegen so einen Besen anstinken zu können", zischte Julius und zog Kevin und Gloria zurück.

".. Schade, daß er nicht gleich mit Fallschirm geliefert wird ..." hörten sie den überheblichen Slytherin-Jungen noch sagen, bevor sie zu weit vom Tisch entfernt waren, um noch mehr zu hören.

"Ach, der Kerl geht mir langsam derartig auf den Senkel mit seiner Überheblichkeit. Dabei hat der noch nicht bei einem Spiel gegen Dementoren ankämpfen müssen", meinte Gloria.

"Nimm ihn als das was er ist, Gloria: Er ist Papas Sohn. Mehr ist von dem im Moment nicht zu erwarten. Aber wenn der bei der nächsten Saison unseren Sucher derartig rüpelhaft auszupunkten versucht, wie bei den Hufflepuffs, hol ich den vom Besen, bevor der gelandet ist. Bis dahin kriege ich den Accio-Zauber noch besser hin und zieh ihm den Besen unterm Hintern weg", meinte Julius.

"Wenn Sie dich nicht als Sucher einstellen", sagte Gloria.

"Erinner mich nicht dran, daß wir nach dem Gryffindor-Spiel selbst trainieren sollen", meinte Julius. "Ich habe zwar Muggeleltern, aber dafür schon zuviele Bekannte in der Zaubererwelt, die alle Quidditch gespielt haben. Die wollen, daß ich auch dieses Spiel lerne."

"Und, als was willst du spielen?" Fragte Cho Chang, die den letzten Satz mitbekommen hatte, als sie von der Feuerblitz-Besichtigung zurückkam.

"Jäger ist eigentlich ein toller Posten. Man kann kombinieren und mit Einzelaktionen arbeiten. Die Treiber müssen den Klatschern nachjagen, und der Sucher hängt über allem und sieht zu, wo der Schnatz herumsaust. Das ist wohl der schwerste Job, den dieser Sport bietet."

"Das kann man wohl sagen. Aber was willst du spielen, Kevin. Ich hörte, ihr seid beide im Nachwuchsangebot." Wollte Cho noch wissen.

"Jäger natürlich. Mein Vater war auch einer und hat mindestens 500 Tore geschossen, im Alleingang."

"Da war er wohl auch ganz allein auf dem Feld, wie?" Kam es von Fredo Gillers.

"Höi! Keine Unverschämtheiten, wenn ich bitten darf", erwiderte Kevin gereizt.

Das Match zwischen den Gryffindors und Ravenclaws war äußerst Spannend, fand Julius. Cho Chang konnte zwar nicht so schnell fliegen, wie Harry Potter auf dem Feuerblitz, doch sie schaffte es einige Male, ihn vom Schnatz fernzuhalten. Lee Jordan erging sich in Lobliedern über den Feuerblitz, weswegen Professor McGonagall ihm fast das Megaphon weggenommen hätte. Dann geschah es.

Drei schwarze vermummte Gestalten traten auf das Spielfeld und sahen nach oben, gerade als Harry Potter einen kleinen glitzernden Punkt im Sturzflug ansteuerte.

"Dementoren, schon wieder!" Schimpfte Kevin. Gloria sah auf ihre rechte Hand, an der sie ihren Stimmungsfarbring trug. Dieser glühte noch weiß, was ihre volle gespannte Freude anzeigte. Julius sah es auch und zog die Stirn kraus.

"Die sind nicht echt!" Rief Gloria in dem Moment aus, als Harry Potter seinen Zauberstab unter dem scharlachroten Spielerumhang hervorzog und eine Zauberformel rief.

Erstaunen und Schrecken erfüllten alle Zuschauer, als aus dem Zauberstab ein mächtiges silbernes Ding heraus auf die drei auf dem Spielfeld stehenden Gestalten stürzte. Es sah ausähnlich sein wie das wie ein Hirsch, der aus silberweißem Licht bestand. Das magische Gebilde fiel über die drei vermummten Gestalten her, umkreiste sie mehrmals und erlosch dann. Die drei großen Gestalten purzelten zu Boden, wobei ihre Umhänge von ihnen abfielen und vier Hogwarts-Schüler freigab, die jedoch durch den Schreck und die verrutschten Umhänge so ineinander verknäuelt wurden, daß sie nicht sofort wieder aufstehen konnten. Kevin rief noch:

"Potter hat den Schnatzz!" Gryffindors johlten, sobald Madame Hoochs Pfeife ertönt war.

"Malfoy und Genossen!" Schimpfte Julius, als er die vier am Boden liegenden Figuren erkannte. "Buuuuuuh!"

"Woher wußtest du, daß das keine echten Dementoren sind, Gloria?" Fragte er, als Professor McGonagall mit wutentbranntem Blick auf die vier zusteuerte.

"Erinnerst du dich nicht mehr daran, wie der Ring beim Spiel Gryffindor gegen Hufflepuff die Farbe verändert hat, kurz bevor die Dementoren auf das Spielfeld kamen? Ich vermute, der Ring ist so empfindlich, daß er schon einen Stimmungsabfall zeigt, wenn du selbst noch glaubst, gut drauf zu sein. Deshalb war ich mir sicher, daß das keine echten Dementoren sein konnten", sagte Gloria Porter.

"Natürlich. Aber was war das, was Potter da aus seinem Zauberstab herausgeschossen hat. Das muß ähnlich sein, wie das, was Dumbledore beim Spiel Gryffindor gegen Hufflepuff gezaubert hat."

"Nicht ähnlich, sondern eindeutig das gleiche. Wahrscheinlich eine Art Dementorenabwehr. Hat wohl deshalb so heftig gewirkt, weil es keine richtigen Dementoren waren und Potter sich konzentrieren konnte, ohne beeinflußt zu sein."

"Das will ich wissen", verkündete Julius, sprang auf und rannte durch die Ränge zu den Spielern, die gerade von ihren Hauskameraden umjubelt wurden. Dabei traf er auf die Professoren Lupin und McGonagall. Letztere sah so aus, als würde sie bei der ersten dummen Frage explodieren, so wütend schaute sie drein.

"Entschuldigen Sie, Professor Lupin! Was ist das für ein Zauber, mit dem Potter die getürkten Dementoren umgeworfen hat?"

"Das hat Sie nicht zu interessieren, Andrews. Das geht nur Potter was an", schnauzte ihn Professor McGonagall an und fuchtelte mit ihren Händen vor seinem Gesicht herum, als wolle sie ihn wie ein lästiges Insekt verscheuchen.

"Den Zauber kannst du noch nicht lernen, Julius. Er ist sehr schwierig", sagte Professor Lupin. Dann wandte er sich den Gryffindor-Spielern zu, während die Lehrerin für Verwandlung Julius am Arm griff und fortzog.

"Ich weiß, was in Ihnen vorgeht. Sie meinen, diesen Abwehrzauber schon jetzt lernen und anwenden zu können. Aber verrennen Sie sich nicht in einer Illusion. Dementoren zum Rückzug zu zwingen kommt einer Kampfansage gleich und sollte nur im Notfall betrieben werden. Und jetzt kehren Sie umgehend zu Ihren Kameraden zurück, wenn Sie nicht auch den Gryffindors gratulieren wollen. Aber hüten Sie sich davor, Harry Potter zu fragen, was er getan hat. Das muß niemand wissen, wie er es getan hat."

"Das hat doch jeder gesehen. Er nahm den Zauberstab, sprach eine Formel und Wusch!" Erwiderte Julius. Die Verwandlungslehrerin sah ihn sehr streng an, als wolle sie ihn mit ihrem Blick zu Stein verwandeln. Daraufhin trollte sich der Sohn nichtmagischer Eltern und kehrte zu seinen Kameraden zurück.

"Padma meinte, daß Harry Potter in den letzten Wochen bei Lupin Einzelunterricht in Dementorenabwehr gekriegt hat", begrüßte ihn Gloria. Julius nickte.

"Die McGonagall hat mich weggescheucht. Ich fürchte, wie der Zauber geht steht nur in Büchern aus der verbotenen Sektion."

"Davon darfst du ausgehen. Aber wieso Harry Potter den Zauber lernen konnte, verstehe ich nicht", erwiderte Gloria.

"Ist doch logisch, Gloria. Harry muß irgendwie noch heftiger auf diese Monster reagieren als wir es schon tun. Deshalb hat Lupin ihm den Zauber beigebracht, damit er den Biestern einheizen kann, bevor es ihn wieder vom Besen haut. Hat ja auch voll gewirkt."

"Natürlich", sagte Gloria.

"Vielleicht ist das silberne Lichtwesen ein Antidementor, der mit echten so reagiert, daß sie sich gegenseitig zerstreuen", vermutete Julius, der an Zukunftsromane über Energiewesen und Antimaterie dachte.

"Eher etwas, was die Dementoren vertreibt oder auf Abstand hält. Wenn es ein Zauber ist, der Dementoren bei voller Wirkung auflöst, müßte irgendeine Form von Energie freiwerden", argumentierte Gloria. Julius nickte. Dann sah er sie verwundert an und fragte:

"Wie kommst du darauf, daß dabei Energie freigesetzt werden muß?"

"Ich habe auch Phantasien der Muggel gelesen und weiß, was Materie und Antimaterie sind, beziehungsweise, was passiert, wenn beides miteinander reagiert."

"Ja, genau", stimmte Julius zu.

Die Ravenclaws hatten zwar keinen Grund zu feiern, da sie nun keine Aussicht mehr hatten, den Pokal zu kriegen. Dennoch freuten sie sich über diese spannende Quidditchpartie. Julius unterhielt sich mit Cho Chang und den anderen Mitgliedern der Hausmannschaft, während Gloria in seinem Computerbuch über die Grundeigenschaften elektronischer Rechner las und ab und an ein erstauntes "Aja" von sich gab.

"Ich hätte fast den Halt verloren, als dieses große Lichtgebilde an mir vorbeistürzte", meinte Cho Chang. "Potter muß einen mächtigen Abwehrzauber gelernt haben."

"Ich habe einen Hirsch erkannt. Wieso ausgerechnet so ein Tier?" Wunderte sich Julius.

"Weiß ich nicht. Ich kenne den Zauber nicht. Vielleicht ist es so eine art Schutzgeist, der heraufbeschworen werden kann. Muggel sagen dafür wohl Schutzengel oder Schutzpatron."

"Totemtier nennen es die Indianer. Das muß es sein", sagte Julius.

"Aber wir brauchen diesen Zauber nicht zu können. Wir sind hier in Sicherheit vor den Dementoren. Von uns wollen sie nichts."

"Das wollen wir hoffen", erwiderte Julius.

"Ich hörte, ihr trainiert ab Montag kurz vor den Gryffindors Quidditch?" Fragte Cho Chang.

"Ja, dann muß ich Farbe bekennen", sagte Julius. "Ich habe mit Kevin schon überlegt, wie wir zusammenspielen können."

"Madame Hooch teilt keine Leute für das Nachwuchstraining ein, wenn sie nicht sicher ist, daß sie dafür geeignet sind. Wenn du überlegst, daß du aus hundert Leuten sieben Stammspieler und sieben Nachwuchsspieler aussuchen sollst, ist es nicht einfach. Die, die ausgesucht werden, müssen schon was gezeigt haben."

"Oder reiche Eltern haben, die seiner oder ihrer Mannschaft tolle Besen kaufen können", spielte Julius darauf an, daß die Slytherins alle mit hochwertigen Nimbus 2001 ausgestattet waren, während die übrigen Mannschaften mit Sauberwischs herumflogen und nur die Sucher eigene Besen flogen.

"Viel Geld bringt es nicht immer. Das hat sich doch schon gezeigt. Da du Draco Malfoy meinst, weißt du ja auch, daß er nur den Schnatz kriegte, weil Alan vom Besen fiel und Cedric von den Kraftprotzen der Slytherins geblockt wurde. Aber du kannst dir doch auch einen guten Besen aussuchen, wenn du ins zweite Jahr kommst. Wenn ich das richtig mitbekommen habe, arbeitet dein Vater in leitender Position in einer Muggelfabrik."

"Was man so leitende Position nennt. Er ist zwar Abteilungsleiter auf hoher Ebene, läßt sich aber immer noch von seinem obersten Chef anweisen und von seinen Mitarbeitern zu unmöglichen Zeiten anrufen. Aber woher weißt du das?"

"Wir sind eine Familie, Julius. Sicher ist es für die meisten Leute aus höheren Klassen nicht wichtig, was die jüngeren tun oder sind. Aber erstens hast du hier die erste Woche diese vielen Punkte geholt, und zweitens spricht sich vieles herum", sagte Cho Chang.

"Da will ich lieber nicht wissen, was so alles gesagt wird. Sonst darf ich hier nicht mehr herein, ohne nach Leuten Ausschau zu halten, die mich nach meinen Eltern fragen", sagte Julius etwas betreten.

"Kann nicht passieren, wenn du dich weiterhin so gut hältst."

"Haha, guter Witz. Seit jener ersten Woche sind genug Wochen vergangen, wo ich einer unter vielen war und froh darüber bin, daß man mich in Ruhe lernen läßt."

"Dann mach weiter so. Vielleicht sieht man sich ja auf dem Quidditchfeld", verabschiedete sich Cho Chang und ging zu ihren Klassenkameraden herüber, die auch mit ihr reden wollten.

"Und ich kriege doch noch raus, wie dieser Schutzpatron gezaubert werden muß", dachte Julius trotzig und ging ebenfalls zu seinen leuten hinüber. Kevin und Fredo spielten gerade mit Glorias Schachspiel. Fredo, der die weißen Figuren führte, ging gerade hoffnungslos unter. Die weiße Königin hockte geschlagen am Spielfeldrand und schmollte, während der letzte weiße Springer mit seinem schwarzen Gegenstück einen kurzen, aber heftigen Waffengang austrug. Dabei hob der schwarze Ritter seinen weißen Gegner aus dem Sattel und trieb ihn mit der Lanze vom Feld, das reiterlose Pferd hinterher scheuchend.

"Sag nichts, Julius! Sag bloß nichts!" Gab Fredo mit drohendem Unterton von sich, als Julius mit kurzem Blick die Situation seiner Figuren überflog. Doch Julius brauchte nichts zu sagen. Denn gerade schloß sich ein Ring um den Weißen König, und einer der schwarzen Türme johlte: "Schachmatt!"

"Dieses Spiel ist nichts für mich", stöhnte Fredo und stand von seinem Platz auf, während sich die Figuren alle in ihrem kleinen Häuschen sammelten.

"Wollen wir noch eine Partie spielen, julius?" Fragte Kevin, der wohl gerade in sehr guter Stimmung war.

"Ja, aber nur, wenn ich die Weißen nehmen kann. Sonst kann Gloria ihr Spiel wieder für Monate weglegen."

"Angeber!" Versetzte Kevin und öffnete das Türchen, aus dem die schwarzen Figuren kommen sollten. Julius klappte das Türchen der weißen Figuren auf. Die schwarzen Figuren eilten wie mit Flügeln auf das Feld. Als sie sahen, gegen wen sie geführt werden sollten, verzog der schwarze König kurz das Gesicht. Die Weißen traten wie begossene Pudel aus ihrem Verschlag und wankten auf das Feld. Als die weiße Königin erkannte, wer sie führen sollte, strahlte sie über das kleine Gesicht und dirigierte eilfertig die Figuren ihrer Farbe auf die entsprechenden Positionen.

Eine Stunde später hatte Julius einen überragenden Sieg über Kevin errungen und den weißen Figuren dadurch wieder etwas mehr Zuversicht vermittelt.

"Wie war das mit dem Hausturnier? Sollten wir nicht mal bei den Hauslehrern eine Anfrage einreichen, ob die nicht Leute aus ihren Häusern ansprechen können?" Fragte Gloria, die leise hinter Julius getreten war.

"Ja, sicher. Aber durch das Zeug mit den Dementoren und Sirius Black sind die alle so angespannt", sagte Julius. "Ich dachte eigentlich, daß die den bereits gekriegt hätten."

"Der ist zu gut. Der hat Askaban verlassen können, bestimmt nicht, um sich schnell wieder einfangen zu lassen", tönte Kevin Malone.

Als die Ravenclaws abends in die Schlafsäle gingen, hörte man noch das Johlen und den Jubel aus dem Gryffindor-Turm herüberschallen. Um elf Uhr herum wurde es ruhiger. Offenbar hatte die Hauslehrerin dem Treiben ein Ende bereitet. Julius dachte daran, daß er in zwei Tagen ein erstes Trainingsspiel spielen mußte. Er fühlte sich genauso angespannt wie bei seinem ersten Fußballspiel in der Grundschulmannschaft.

Mitten in der Nacht wachte Julius auf, weil er etwas ungewöhnliches gehört hatte. Er dachte zunächst an einen Traum, bis Kevin mit verschlafener Stimme fragte: "War das 'n Schrei?"

"Hast du den auch gehört?" Antwortete Julius ebenfalls schlaftrunken.

"Ja, hab ich. Wo war das. Hoffentlich hat nicht Black wieder ..."

"Hoffentlich nicht", unterbrach Julius seinen Bettnachbarn. Sie lauschten, doch es blieb ruhig.

Am nächsten Morgen sahen sie, wie die Gryffindors angsterfüllt in den großen Saal kamen. Und bald war es herum, daß Sirius Black in den Schlafsaal der Gryffindor-Drittklässler eingedrungen war und den Bettvorhang von Ron Weasley zerschnitten hatte. Dann kam es heraus, daß der Verbrecher deshalb in den Gryffindor-Turm hineingelangen konnte, weil er einen Zettel mit dem gültigen Passwort gefunden hatte. Sir Cadogan, der derzeitige Türwächter der Gryffindors, hatte Black anstandslos eingelassen.

"Welcher Idiot läßt ein wichtiges Passwort auf einem Zettel herumliegen?" Fragte Julius, der daran dachte, wie pingelig seine Eltern ihm beigebracht hatten, das Computerdaten geschützt werden mußten, um nicht in falsche Hände zu fallen.

"Das werden wir wohl bald wissen", sagte Dustin McMillan. "Wenn den Verwandten dieses Schülers bekannt wird, daß er oder sie derartig fahrlässig gehandelt hat, setzt es rote Briefumschläge."

Und genau das blühte dem Drittklässler Neville Longbottom einige Tage später. Eine Schleiereule ließ einen scharlachroten Umschlag vor ihn auf den Tisch fallen. Alles erstarte in Schweigen. Neville nahm den Umschlag und rannte damit aus dem Saal, verfolgt vom gehässigen Lachen der Slytherins.

"O o! Der arme Bursche", gab Kevin einen mitleidsvollen Kommentar von sich, als draußen im Schloß die wütende Stimme einer älteren Frau wüste Beschimpfungen ausstieß, mit einer selbst hier im großen Saal noch ohrenbetäubenden Lautstärke.

"Ja, das passiert, wenn man Mist macht", bemerkte Dustin nur.

"Bin ich froh, daß meine Eltern sowas nicht verschicken können", brachte Julius erleichtert heraus.

"Hau, dem müssen ja die Ohren abfallen. Wer ist denn die alte Hexe, die ihm den geschickt hat?" Wollte Fredo wissen.

"Neville lebt bei seiner Großmutter. Kann sein, daß die den Heuler gebraut hat", meinte Kevin.

"Ich frage mich immer noch, wie Black ins Schloß kommen und sich wieder verflüchtigen konnte. Hermine Granger hat doch damals behauptet, man könne hier nicht hineinteleportieren."

"Was meinst du?" Wollte Penelope wissen.

"Apparieren meint er. Muggel sagen Teleportieren dazu", wußte Gloria zu erklären.

"Ja, stimmt. Man kann hier nicht einfach hereinapparieren. Aber ich habe da was läuten hören, daß es noch versteckte Geheimgänge gibt, die aus dem Schloß herausführen."

"Das Gerücht ist doch alt. Filch kennt doch alle Geheimgänge und hat die bestimmt schon verbarrikadiert, Penelope. Das kannst du also vergessen", warf Dustin ein. Penelope Clearwater sah ihn tadelnd an und meinte:

"Was soll denn das jetzt, Dustin? Es kann immer noch Geheimgänge geben, die Filch nicht kennt."

"Wohin führen die Geheimgänge?" Wollte Julius wissen.

"Einige führen direkt nach Hogsmeade, heißt es. Aber da dürften einige Dementoren auf der Lauer liegen. Andere führen irgendwo anders hin. Filch hat die alle sichern lassen."

"Ich habe davon erfahren, daß Zauberer, die apparieren tatsächlich ins Nichts verschwinden. Sonst würde ich behaupten, da muß irgendwo eine geheime Transporterstation stehen", versuchte Julius, noch mal auf das für ihn faszinierende Thema zeitloser Ortswechsel einzugehen.

"Richtig. Um zu apparieren, beziehungsweise zu disapparieren muß man einen starken Willen und große Grundkräfte besitzen. Man muß Prüfungen ablegen, um sich auf diese Weise fortzubewegen", wußte Gloria.

"Stimmt, dein Vater hat mir sowas gesagt, Gloria", erinnerte sich Julius.

"Damit du nicht deine Beine irgendwo herumliegen läßt", spottete Dustin McMillan und erntete ein gehässiges Lachen bei Kevin und den anderen Ravenclaw-Jungen aus der ersten Klasse.

"Das ist nicht komisch", fauchte Terrence Crossley. "Es sind schon heftige Pannen bei Apparitionen passiert, von Aufspaltungen bis hin zu Körperveränderungen. Die unzähligen Fälle, wo jemand sich schlicht verschätzt hat und an einem falschen Ort herauskam nicht mitgerechnet."

"Aber wiederkommen tun die alle. Oder hat man schon Zauberer oder Hexen auf nimmerwiedersehen verschwinden sehen?" Wollte Julius wissen. Ihn reizte es, irgendwann selbst diese Kunst zu erlernen.

"Ankommen tun sie alle. Doch manche würden sich wünschen, nie angekommen zu sein, wenn sie sich eben total verkalkulieren. Wir lernen das in der siebten Klasse und müssen nach dem Abschluß die entscheidenden Prüfungen bestehen, wenn wir die Lizenz zum apparieren haben wollen", erklärte Terrence.

"Den Teleporterführerschein sozusagen", vermmutete Julius.

"Richtig", sagte Gloria und lachte.

Kaum war der Nachmittagsunterricht vorbei, hieß es für Julius und Kevin antreten zur ersten Quidditch-Trainingsstunde. Madame Hooch wartete bereits am Quidditchfeld, zusammen mit Flitwick und Cho Chang, sowie Kapitän Roger Davis. Zusätzlich zu den beiden Erstklässlern waren noch Prudence Whitesand aus der vierten und Wesley Smart aus der zweiten Klasse dabei. Alan Dayrose, der gegen die Slytherins den Sucher gespielt hatte, war auch wieder dabei. Er hatte sich einen neuen Besen geben lassen, einen Sauberwisch 7, wie die anderen ihn auch hatten.

"So, Leute. Ihr seid heute hier angetreten, um zu zeigen, ob ihr bald schon in die engere Mannschaftsaufstellung kommt. Alan, du hast ja schon richtig gespielt. Sage den anderen bitte, wie sich das anfühlt!" Begann Madame Hooch.

Alan berichtete etwas verschüchtert davon, wie er zuerst nur in der Ersatzmannschaft trainiert hatte, bis er vor einem Jahr zum erstenmal spielen durfte. Als Julius fragte, ob er sich in der Rolle des Ersatzspielers wohlfühle, antwortete Alan:

"Es geht mir ja nur darum, daß die Mannschaft und damit das Haus gut spielt. Cho ist unsere beste Sucherin. Wenn wir mit ihr den Pokal kriegen können, ist das für mich genauso gut, wie selbst am Spiel teilgenommen zu haben."

Julius dachte an Interviews mit Fußballspielern, die ähnliches sagten, wenn Reporter sie fragten, ob sie nicht mehr in der Mannschaft tun wollten, als nur auf der Ersatzbank zu hocken.

Dann ging es aber richtig los. Die jungen Hexen und Zauberer kleideten sich in blaue Umhänge und traten mit geschulterten Besen auf das Spielfeld. Julius sah auf den Boden und dachte an die Dementoren, die beim ersten Spiel das Feld gestürmt hatten. Hoffentlich erwischten sie Sirius Black bald.

"Besteigt die Besen!" Befahl Madame Hooch, die eine große Kiste öffnete. Dann kam der Befehl: "Los!"

Die Nachwuchskandidaten hoben ab. Julius ließ sich fast hinten überfallen und trieb den Besen fast senkrecht nach oben. Das Fluggerät vibrierte ein wenig, machte aber das Manöver ohne Schlingerbewegung mit. 25 Meter über dem Feld brachte sich Julius in die Waagerechte und versuchte, Tempo zu machen. Das gleiche tat Kevin. Prudence Whitesand hatte sich nicht so waghalsig in die Höhe schießen lassen und flog in einer Aufwärtsspirale nach oben.

"Achtung, ein Klatscher!" Rief Roger Davis von unten. Julius spürte ihn wohl instinktiv anfliegen. Er warf sich nach vorne und legte dabei eine leichte Linkskurve hin. Knisternd zitterte das Reisig des Besenschweifs. Schwirrend raste der schwarze Ball an Julius vorbei und nahm Prudence aufs Korn, die gerade versuchte, eine Wende hinzulegen.

"Prue, weg da!" Brüllte Cho Chang. Die junge Hexe mit den dunkelbraunen Zöpfen ließ sich seitlich überrollen, als der Klatscher auf sie zuschoß. Julius trieb seinen Besen an und jagte den Klatscher, auch wenn das nicht so einfach ging.

"Tauch nach unten, Prudence! Ich versuche, dem Biest eine andere Richtung zu geben!" Rief er und fegte über das ältere Mädchen hinweg, das ohne zögern den Ratschlag befolgte und sich im Sturzflug aus der direkten Reichweite des Klatschers rettete. Julius schwang herum, und der schwarze Ball kehrte um.

"Du Wahnsinniger!" Schimpfte Kevin, als er sah, wie Julius sich vom Klatscher jagen ließ. Der Ball war natürlich etwas schneller als der Besen aus den Schulbeständen. Julius hatte keine Chance, dem Aufprall zu entgehen, wenn er nicht schnell ein sehr riskantes Ausweichmanöver flog.

 

Unvermittelt warf er sich nach vorne, gerade als der Klatscher seinen Hinterkopf zu treffen drohte. Im senkrechten Sturzflug ging es fast bis auf den Boden, bevor Julius den Besen mit einer schnellen Bewegung wieder in die Waagerechte riß. Das Fluggerät zitterte bedenklich. Offenbar war es für solche mörderischen Manöver nicht mehr zu gebrauchen. Kevin, der nun zehn Meter über Julius flog, war vom Klatscher aufs Korn genommen worden. Der Bettnachbar des Muggelgeborenen ließ sich nicht auf eine Verfolgungsjagd ein und versuchte, dem Klatscher durch das Raketenaufstiegs-Manöver zu entgehen. Der Klatscher folgte jedoch in einer wilden Spirale, die immer enger wurde.

"Das gibt es doch nicht", dachte Julius, der knapp über dem Boden auf eine der Torstangen zuraste.

"Achtung, die Torstangen!" Warnte roger den talentierten Flieger. Julius hatte bereits reagiert und sich mit einer schnellen Wende in die entgegengesetzte Richtung gedreht. Es knackte bedenklich im Reisig.

"Mit dem Besen kann man bald nur noch Laub aufsammeln", meinte er, als er an Madame Hooch vorbei nach oben stieg, um Kevin zu suchen.

"Konnte ich wissen, daß du ihn derartig malträtierst. Fordere dir und deinem Besen nicht gleich die heftigsten Flugbewegungen ab!" Sagte Madame Hooch und folgte Julius ohne Probleme. Sie hielt einen der Schläger in der Hand, mit denen die Klatscher abgewehrt werden konnten. Damit hieb sie den schwarzen Ball fort, als sie beide auf Kevins Flughöhe angekommen waren. Der Ball flog wieder auf Prudence zu. Julius setzte schon an, wieder hinter dem Klatscher herzufliegen, doch Madame Hooch meinte:

"Du hast deinen Besen schon fast zerlegt. Ich mach das jetzt."

Wie eine Rakete schoß die Fluglehrerin auf Prudence zu und konnte den Klatscher noch abschlagen. Dann setzte sie dem Ball nach und trieb ihn zurück auf den Boden, wo sie ihn zu seinem Bruder in die Kiste zurückverfrachtete.

"Jetzt können wir mal ein bißchen formieren", meinte Kevin, dem der Schweiß noch auf der Stirn perlte.

"Okay, Kevin! Versuchen wir doch die Tricks, über die wir geredet haben!" Stimmte Julius zu und flog los. Kevin postierte sich mal hinter, mal vor, mal über und unter ihm. Julius flog mal quer zu Kevins Flugrichtung, mal ließ er sich von vorne oder hinten queren. Prudence, die sich wieder frei bewegen konnte, ließ sich ohne große Diskussion in die Formationsbildung einbinden. Julius testete aus, wie gut er mit der linken oder rechten Hand alleine steuern konnte oder freihändig flog.

"Wirf doch mal einer den Quaffel rüber!" Brüllte Kevin nach unten, wo Madame Hooch gerade an der Kiste hantierte.

"Wie heißt das Zauberwort?" Fragte sie nach oben. Julius rief:

"Accio Quaffel!" Alle lachten.

"Das war wohl das verkehrte", meinte die Fluglehrerin. Julius dachte, ihr das Gegenteil beweisen zu müssen und zog seinen Zauberstab unter dem Pulli hervor, den er unter dem Umhang trug. Wie Harry Potter hatte er den Stab nicht in der Umkleidekabine zurücklassen wollen.

"Accio Quaffel!" Sprach er, allerdings leise. Dabei stellte er sich den großen roten Ball vor. Doch statt daß der Ball auf ihn zuflog, zitterte der Zauberstab in seiner Hand und versetzte ihm einen elektrischen Schlag, beziehungsweise etwas, das sich so anfühlte. Julius verlor fast den Zauberstab und den Halt. Er konnte gerade noch eine schnelle Landeanflugshaltung einnehmen und den Zauberstab wieder im Ärmel verschwinden lassen, da kam der Boden schon auf ihn zu. Mit schnellen Bremsbewegungen schaffte es der Junge, den Besen so zu verzögern, daß er landete.

"Das war nichts, Junge. Ich habe nie gedacht, das mal einem Erstklässler erzählen zu müssen. Aber die Quidditchbälle sind gegen die meisten Fernlenkungszauber geschützt. Da muß schon jemand wirkliche Telekinese beherrschen, um sie zu steuern. Wer es versucht, einen Accio-Zauber oder sonst was entsprechendes zu machen, kriegt ärger mit seinem Zauberstab. Zeig mir mal deine Zauberhand!" Sprach Madame Hooch auf Julius ein, dem die Aufregung über das fast verpatzte Landemanöver noch im Gesicht stand.

Julius streckte die Hand aus und sah die leichten Verbrennungen, die exakt so verliefen, wie der Zauberstab in seiner Hand gelegen hatte.

"Du gehst gleich zu Madame Pomfrey und läßt dir das wieder wegmachen!" Bestimmte die Fluglehrerin. "Nicht jeder Zauber läßt sich überall anwenden. Daß du das jetzt schon lernst, ist interessant."

"Wäre ja auch langweilig, wenn Zauberer die Spielbälle beeinflussen könnten", meinte Julius, dem der Unsinn seiner Tat jetzt so recht klargeworden war.

"Richtig. Dann könnten wir ja gleich Fußball spielen", grinste Madame Hooch. Dann rief sie zu Kevin hoch:

"Kommt für fünf Minuten runter. Euer Kamerad muß sich erst einmal die Spuren einer Unbedachtheit wegmachen lassen!"

"Der hat doch nicht in echt ..." Meinte Kevin, ließ den Satz unbeendet, weil ihm wohl klar wurde, daß Julius tatsächlich gezaubert hatte.

"Kriege ich Punkte abgezogen, weil ich versucht habe, den Ball zu beeinflussen?" Fragte Julius etwas unvorsichtig.

"Das ist gefährlich, eine Lehrerin darauf zu bringen, Punkte abzuziehen. Aber wieso sollte ich dir Punkte dafür abziehen, daß du eine wichtige Lektion gelernt hast. Du hast keinem geschadet und nicht gezielt eine Regel gebrochen. Denn es ist nicht verboten, den Quaffel mit einem Beschwörungszauber zu beeinflussen, weil es eben nicht geht", erwiderte Madame Hooch und grinste gehässig. Julius lief schnell in den Krankenflügel. Madame Pomfrey sah ihn durch die offene Tür und fragte:

"Was hast du dir eingehandelt?"

"Nur eine Art Magierückstoß. Ich habe versucht, ... Lassen wir das", sagte Julius und zeigte die verwundete Hand.

"Ach, hat der junge Mann versucht, einen Quidditchball fernzulenken? Du bist nicht der erste, der sich dabei die Finger verbrannt hat. Aber du bist der erste, der in der ersten Klasse schon solchen Schabernack versucht. Komm rein und lass dir die Sofortheiltinktur auftragen. Danach kannst du aber nicht so schnell wieder Fliegen, weil der Arm etwas abgeschlafft wird. Aber das kennst du ja schon."

"Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Flaschenaufschrift oder mißtrauen Sie ihrem Hexendoktor oder ihrer Schulkrankenschwester!" Gab Julius gehässig einen Zusatztext zu Arzneiwerbespots zum besten.

"Frecher Bengel. Man könnte ja glauben, deine Muggeleltern wären Ärzte."

"Viel hat nicht gefehlt. Mein Vater kann nur kein Blut sehen. Deshalb wurde er Chemiker", sagte Julius abfällig. Madame Pomfrey rieb ihm die Sofortheiltinktur auf die verbrannten Stellen und sagte:

"Du hast sehr gutes Heilfleisch. Die anderen Schüler, die versucht haben, Quidditchbälle zu verzaubern, hatten richtige tiefe Wunden. So, und jetzt geh' zurück zu deinen Kameraden!"

Julius eilte zurück auf das Spielfeld und traf dort Madame Hooch und Professor Flitwick. Flitwick grinste breit, als er Julius sah.

"Ich frage mich, wann Sie meinen Unterricht übernehmen wollen, Mr. Andrews. Ms. Clearwater hat mir berichtet, daß Sie von meiner Kollegin den Accio-Zauber abgeschaut haben. Vielleicht hätten Sie vor der ersten Trainingsstunde die technischen Details der Spielgeräte studieren sollen."

"Was soll's, Professor Flitwick. Jetzt weiß ich es auch ohne lesen."

"Kannst du wieder, du Zirkusclown?" Fragte Kevin aus 5 Metern Höhe, wo er sich mit Prudence und Alan ein Jagdspiel lieferte.

"Pflaumenaugust! Wenn ich gleich wieder da oben bin, mach ich dich fix und alle."

"Cho hat einige Suchübungen mit Alan gemacht. Alan hat immer verloren", meinte Roger Davis.

"Na klar, mit einem Komet 2/60 gegen einen alten Sauberwisch ist das ja keine Kunst", erwiderte Kevin Malone und tauchte gerade unter Prudence und Alan durch, die ihn in die Zange nehmen wollten.

"Eh, mach die beiden nicht kaputt, du irischer Dudelsack!" Lamentierte Julius, als Alan und Prudence fast aufeinandergeprallt waren.

"Nicht mosern, mitspielen. Dafür wirst du schließlich bezahlt", versetzte Kevin.

Julius ließ sich das nicht zweimal sagen und bestieg wieder den Besen. Mit einem schnellen Aufstiegsmanöver durchbrach er die Formation aus Kevin, Prudence und Alan. Dann kam noch Wesley Smart dazu, der Mühe hatte, seinen alten Sauberwisch 5 zu bändigen.

"Mann, wann kaufen die für den Trainingsflug endlich funktionierende Besen ein?" Schimpfte er, als sein Besen plötzlich durchsackte und gerade soeben noch vor dem totalen Absturz bewahrt werden konnte.

"Du kannst ja nach Slytherin umsiedeln", ärgerte Kevin den älteren Schüler.

"Das nimmst du sofort zurück. Ich nach Slytherin. Dafür bist du schon zulange hier, um das ungestraft sagen zu dürfen", empörte sich Wesley und jagte Kevin. Julius grinste und hielt sich neben Prudence, die mit ihrem Sauberwisch 7 keine Schwierigkeiten hatte.

"Kleine Jungen spielen gern. Große noch viel lieber", strahlte sie Julius an, als die beiden anderen Jungen, die Nachwuchstraining machten, in einer wilden Verfolgungsjagd an ihnen vorbeirasten.

"Heh, ihr sollt richtig spielen und nicht dumme Scherze machen!" Tadelte Madame Hooch die beiden. Sie flog auf, wie eine wilde Hummel, wobei sie den roten Ball zu Prudence und Julius hinüberschleuderte. "Macht schon mal einige Übungen damit!" Kommandierte sie im Vorbeiflug und jagte den beiden sich im wilden Verfolgungsflug befindlichen Jungen nach, um sie zur Ordnung zu rufen.

Mühelos paßten sich Julius, Prudence und Alan den Quaffel zu, während Cho zwischen ihnen durchsauste und einem nur in ihrer Vorstellung existierenden Schnatz nachjagte.

"Wieso trainiert die eigentlich mit uns? Die hat doch die Stammauswahl", meinte Julius.

"Ganz einfach. Die Stammauswahl muß immer die Spielzüge durchprobieren, mit denen sie Tore schießen will. Für schnelle Flüge durch manövrierende Spieler haben die keine Zeit. Deshalb fliegt Cho mal bei uns mit. Außerdem ist die Saison für uns doch schon gelaufen. Die anderen trainieren nicht mehr so intensiv."

"Ich weiß, Prudence. Die Slytherins und Gryffindors haben das Feld für den Rest der Woche gebucht. Wir dürfen nur einen Nachmittag trainieren. Hepp!" Beim Letzten Satz hatte er den roten Ball bereitgelegt und dann mit hoher Geschwindigkeit zu Prudence hinübergepaßt. Dabei schoß er Cho Chang an, die gerade wieder zwischen ihnen durchtauchen wollte. Die Sucherin der Stammauswahl der Ravenclaws trudelte, dann fing sie sich wieder und kam zurück.

"Hast du was gegen mich, Mr. Julius Andrews? Erst fragst du, wieso ich bei euch mitspiele, dann versuchst du noch, mich vom Besen zu schießen."

"War zu schwer, mit dem großen Ball vorbeizuschießen", versetzte Julius frech. Dann sagte er noch:

"Ich habe nichts gegen dich. Ich fühl mich nur nicht so wohl, wenn ich von echten Stars beobachtet werde."

"Tiefstapler. Du fliegst mir fast davon. Wenn Harry Potter dir seinen Feuerblitz ausleihen würde, würdest du mich nicht einmal im Windschatten dulden."

"Nur weil ich vielleicht fliegen kann, kann ich noch lange keine so tollen Besen fliegen. Im Vergleich zu diesen Sonntagsausrittbesen hier ist der Feuerblitz ein hochgezüchtetes Rennpferd."

"Sollen wir mal kurz tauschen? Dein Bettnachbar scheint es gerade darauf anzulegen, sich mit Madame Hooch zu bekriegen."

"Ich glaube nicht, daß ich deinen Besen besser beherrsche", sagte Julius.

"Das will ich erleben. Geh runter!" Verlangte Cho und ließ sich absinken. Julius zögerte ein wenig. Prudence meinte:

"Mann, mach das. Vielleicht hast du heute die letzte Chance, mal auf einem besseren Besen zu fliegen, als auf diesen alten Gerippen hier."

Julius landete schnell. Cho übergab ihm ihren Besen und nahm den Sauberwisch von Julius. Der Sohn von Muggeleltern sagte noch:

"Der Sauberwisch ist schon störanfällig. Ich hhätte bei dem Raketenaufstieg eben fast den Schweif verloren."

"OK. Ich kenne die alten Besen. Ich habe mein erstes Spiel auf dieser Krücke bestritten. Versuch mal, wie gut du über das Feld kommst. Aber laß dich auf keinen Streit mit Kevin Malone ein. Der scheint sich was auf seine Flugkunst einzubilden."

"Okay!" Antwortete Julius. Dann stieß er sich ab und schnellte wie ein Pfeil nach oben. Der Komet war einem Feuerblitz oder einem Nimbus 2001 nicht gewachsen, aber eine wesentlich bessere Flugmaschine als der Sauberwisch 7. Julius hatte erst Angst, die leichteste Bewegung könnte ihn aus der Bahn werfen. Doch dann hatte er sich an den Besen gewöhnt und flog spielerisch über das Feld hinweg, Cho hinter sich lassend.

"Oha! Wie hast du denn den alten Feger aufgemotzt?" Fragte Kevin, als Julius mal soeben an ihm vorbeizischte, dabei ansatzlos einen Looping schlug und dann im Hui unter Wesley Smart durchraste.

"Wau!" Machte Wesley. Dann sagte er: "Hups! Das ist der Komet von Cho Chang. Die Sucherin hat dem Grünschnabel ihren Wunderfeger geliehen. Schiebung!"

Julius grinste, während er im Geschwindflug über das Feld zurückflog und auf der Höhe der Torringe den Raketenaufstieg versuchte. Dabei hätte es ihn fast hinten überfallen lassen, wenn seine Karate-Reflexe ihm nicht geholfen hätten, sich noch schnell in eine sichere Haltung zu retten. Julius stieg höher und höher, bis er die Ländereien von Hogwarts überblicken und eine Linie aus schwarzen Punkten um den Wald und den großen See erkennen konnte. Das waren die Dementoren, die darauf warteten, Sirius Black zu erwischen. Julius fröstelte es. Aber dieses Gefühl kam von ihm selbst. Er dachte daran, daß die unheimlichen Wesen jeden beobachteten, den sie sehen konnten. Er beschloß, wieder auf die übliche Spielhöhe zurückzusinken und drehte eine das Feld umspannende Abwärtsspirale, bis er auf der Höhe der seinem Aufstiegspunkt gegenüberliegenden Torringe in die Waagerechte ging.

"Ms. Chang freut sich, daß du ihren Besen noch in einem Stück zurückbringst, Julius Andrews. Deine Kameraden trainieren nicht mehr. Sie haben sich darin verstiegen, miteinander Fangen zu spielen. Lande und gib Cho den Besen zurück!" Sagte Madame Hooch etwas genervt, weil ihr Nachwuchstraining wohl nicht so abgelaufen war, wie sie es erwartet hatte.

Julius brachte den geliehenen Komet-Besen zu seiner Besitzerin zurück und bedankte sich dafür, mal so richtig fliegen zu dürfen.

"Für ein Muggelkind fliegst du durch die Gegend, als wärest du mit Flugbesen groß geworden", machte Cho noch ein Kompliment.

"Ich weiß nicht, wieso ich das kann. Ich weiß nur, daß mir das unheimlich Spaß macht."

"Jetzt ist es gut da oben! Wenn ihr euch nur ärgern wollt, dann landet. Das Feld wird für richtige Trainingsstunden gebraucht!" Rief Madame Hooch, die versuchte, Kevin und Wesley zur Vernunft zu bringen. Prudence landete mit Alan zusammen neben Julius und fragte:

"Und deine Eltern haben dir nie den Besenflug beigebracht?"

"Wie sollten sie? Sie sind Muggel. Mein Vater ist nicht davon begeistert, daß ich einen Hexenbesen fliegen lerne. Ich höre es schon, wie er sagt, daß ich gefälligst anständige Fahrzeuge und anständigen Sport lernen soll."

"Das heißt, du könntest in den Ferien noch nicht einmal üben?" Wollte Alan wissen.

"Wo und womit. Ich habe keinen eigenen Besen, und in unserer Wohnsiedlung wäre die Hölle los, wenn ich da mit einem solchen herumschwirren würde."

"Dann mußt du dir die Frage stellen, wie wichtig das für dich ist, Quidditch zu können. Dann kannst du dich entscheiden, ob du in den Osterferien hierbleiben sollst oder nach Hause fährst." Sagte Cho. "Das wäre ein Unding, wenn du deine Fähigkeiten nicht richtig ausbildest."

"Meine Eltern lamentieren, wenn ich nicht richtig mit einem Computer umgehen kann. Das ist eine Rechenmaschine der Muggel, mit der man auch Wissen speichern und bei Anfrage abrufen kann."

"Schon was von gehört", gab Prudence gelangweilt von sich. "Hugo Delphi, der Typ aus meiner Klasse, trauert der Zeit nach, in der er am Computer sitzen konnte."

"Ach, das ist der Junge, der immer in der Bibliothek sitzt und die Arithmantiksachen liest. Ich dachte, der wäre ein Zauberergeborener."

"Ja, fast. Seine Mutter ist eine Hexe, während sein Vater einer dieser Computerprogrammierer ist", sagte Prudence und zeigte ein gemeines Grinsen. "Er mag es nicht, daß sein Sohn nicht wie er ist, sondern nach der Pfeife seiner mütterlichen Verwandtschaft tanzt."

"Ich denke aber, daß es einfacher ist, sich mit der Zauberei abzufinden, wenn einer in der Familie schon Zauberer oder Hexe ist. In meiner Familie gibt's keinen lebenden Zauberer", seuftzte Julius.

"Das wissen wir schon. Diese weißen Maschinenbriefe, die du kriegst, sind ja hausweit bekannt. Aber langsam sollten sie es doch eingesehen haben, oder?"

"Von was träumst du nachts, Cho?" Fragte Julius etwas respektlos. Cho erwiderte nichts darauf.

"Seid ihr fertig, oder wollt ihr eure Besen noch richtig kaputtfliegen", tönten die rothaarigen Weasley-Zwillinge, die mit der restlichen Hausmannschaft der Gryffindors auf das Spielfeld kamen.

"Na sicher, das gehört sich doch so, wenn für eine Mannschaft die Saison schon vorbei ist", konterte Julius. "Morgen machen die Hufflepuffs ihre Besen kaputt."

"Wenn ihr nicht mehr trainiert, laßt uns jetzt aufs Feld. Wir müssen noch für's Finale arbeiten", meinte Oliver Wood, der Kapitän der Gryffindors.

"Ich habe den Pokal gestern im Pokalzimmer gesehen, Oliver. Der lohnt sich nicht", brachte Alan hervor. Er erzielte genau die Wirkung, die er beabsichtigt hatte. Denn Wood zeterte, was Alan denn einfallen könne, den wichtigsten Pokal, der neben dem Hauspokal vergeben würde, so abschätzig zu betrachten. Und Julius setzte noch einen drauf und meinte:

"Meine Hauskameraden trainieren nur noch Jagen spielen. Daran kann man doch sehen, wie unwichtig Quidditch ist."

"Das kann doch nicht wahr sein. Das kannst du nicht ernst meinen", tobte Oliver Wood. Cho zog Julius bei Seite und flüsterte:

"Mach ihn nicht krank. Für Wood ist Quidditch das Leben. Wenn du jetzt noch gesagt hättest, daß du Quidditch für einen langweiligen Sport hältst, wäre der Kerl glatt in Ohnmacht gefallen."

Kevin und Wesley landeten wieder und zogen sich vom Spielfeld zurück. In den Umkleidekabinen zogen sie sich wieder ihre normalen Umhänge an und trafen sich mit Madame Hooch zu einer Nachbesprechung. Dabei gingen Julius, Kevin und Wesley davon aus, daß nichts besonderes dabei herumkommen würde.

"So, an die Neueinsteiger! Wie habt ihr die allererste Quidditchstunde empfunden?" Wollte Madame Hooch wissen. Julius meldete sich und durfte sprechen. Er erzählte:

"Also, den meisten hier ist ja bekannt, daß ich vorher nie was von Quidditch gehört hatte und gedacht habe, daß es doch sehr eintönig sein würdde. Doch wenn man Spiele in Reinkultur zu sehen kriegt, ändert sich schon einiges, habe ich erkannt. Und heute habe ich echt gedacht, mit diesem Spiel was anfangen zu können, als Spieler."

"Also mich hätte es mehr interessiert, wenn wir wirklich eine vollständige Mannschaft gehabt hätten. Wir haben ja nur mit sechs Leuten spielen können, von denen zwei als Sucher trainiert haben", sagte Kevin.

"Ja, und dann habt ihr zwei euch eure eigene Schau zusammengestellt", tadelte Madame Hooch, wobei sie Wesley und Kevin ansah. Dann fragte sie Prudence, Alan und Wesley, wie sie die Trainingseinheit mit zwei neuen empfanden. Prudence räumte ein, daß Kevin ein guter Jäger sein würde, aber ein wenig disziplinlos spiele. Julius hingegen habe sich zumindest in das Team eingliedern wollen, auch wenn er auf Grund seiner Herkunft noch gewisse Scheuklappen tragen würde. Wesley sagte, daß er kein Problem damit hätte, mit Kevin und Julius in einer Mannschaft zu spielen, aber von Kevin immer noch keine Entschuldigung wegen dieser Vermessenheit, er solle nach Slytherin wechseln, zu hören bekommen hätte. Alan konnte sich nicht grundsätzlich äußern. Er fand es nur gut, mal auf einer anderen Position spielen zu dürfen, was ihm vielleicht später einen Stammplatz in der Hausmannschaft einbringen konnte, wenn einer der Jäger nach diesem Jahr die Schule verließ. Schließlich sprach noch Cho Chang, die Stammspielerin, die nur mittrainiert hatte, weil die anderen Stammspieler nach dem letzten Spiel zu geknickt waren, um noch für etwas zu trainieren, was erst in der nächsten Saison weitergehen würde. Sie sprach weiter:

"Ich fand es aber höchst interessant, wie sich zwei Erstklässler so schnell in ein Mannschaftsspiel einfügen konnten. Mir imponierte es, wie Julius mit dem Klatscher gespielt hatte. Das war zwar etwas leichtsinnig, aber durchaus ein guter Ansatz für eine Karriere als Jäger oder Treiber. Außerdem muß ich davon ausgehen, daß er durch ein großes Grundtalent im Fliegen Anspruch auf einen Stammplatz erheben könnte, wenn die bislang routinierten Spieler ausfallen sollten oder die Schule verlassen. Einige von euch haben ja mitbekommen, daß ich ihm mal zur Probe meinen Rennbesen ausgeborgt habe. Ich kann mich nicht daran erinnern, daß ich so schnell so gründlich mit ihm klargekommen bin, wie der Junge hier. Ich glaube auch nicht, daß der vor unserer Schule keinen Besen bestiegen hat. Irgendwer muß ihm zumindest das Gefühl vermittelt haben, wie es geht."

"Dieser Punkt wurde bereits geklärt, Cho. Er hat kurz vor der Einschulung bei einer Hexe, die früher selbst für Ravenclaw gespielt hat, Einführungsstunden gehabt, ganz aus Interesse. Allerdings muß da schon eine gewisse Grundbegabung gewesen sein. Da stimme ich dir zu, Cho", erläuterte Madame Hooch. Dann sagte sie noch:

"Wir treffen uns nächste woche wieder hier. Diesmal will ich aber eine ordentliche Mannschaftsübung sehen. Das gilt vor allem für die Herren Smart und Malone. Ich weiß nicht, ob Cho nächstesmal wieder dabei ist. Aber Alan wird wohl mittrainieren, oder?"

"Aber sicher", stimmte Alan Dayrose sofort zu.

Schließlich sagte Madame Hooch noch:

"Für die guten Einstiegsleistungen gebe ich Julius und Kevin 5 Punkte für Ravenclaw, muß jedoch sowohl Kevin als auch Wesley 10 Punkte wegen fortgesetzter Disziplinlosigkeit abziehen. Mehr ist nicht zu sagen." Mit diesen Worten waren die Nachwuchsspieler entlassen.

"Die spinnt doch, die Alte. Die kann uns doch nicht 20 Punkte abziehen, nur weil dieser irische Grünschnabel mich nach Slytherin schicken wollte", lamentierte Wesley.

Julius ging in die Eulerei, wo er sich einen Steinkauz ausborgte und ihm eine Nachricht für Aurora Dawn mitgab. Sie lautete:

 

Sehr geehrte Ms. Dawn,

ich habe heute meine erste Trainingsstunde im Quidditch erhalten und fühlte mich sehr gut dabei. Kevin, ein Klassenkamerad von mir und ich haben beschlossen, zumindest im Training als Zweierteam auf der Position der Jäger zu spielen. Eine Stammspielerin, die für Ravenclaw die Sucherin macht, lieh mir ihren Rennbesen, einen Komet 2/60. Ich dachte erst, mit einer derartigen Steigerung nicht klarzukommen. Aber irgendwie ging es schnell. Ich denke, daß ich versuchen werde, mich für die Stammauswahl zu empfehlen. Aber versprechen kann ich nichts, weil ich ja in den Ferien nicht trainieren kann.

Ich dachte, das interessiert Sie, Ms. Dawn.

mit freundlichen Grüßen

Julius Andrews

 

Dann schickte er noch eine Eule an seine Eltern, die einen kurzen Brief beförderte, in dem Julius schrieb, daß Madame Hooch ihn für einen möglichen Einsatz in der Stammauswahl des Hauses Ravenclaw vorsah.

Die beiden Briefe schickte er zeitgleich los, bevor er in den Gemeinschaftsraum der Ravenclaws zurückkehrte, wo ihn noch einiges an Arbeit erwartete. Es galt, Hausaufgaben für Snape und Flitwick zu schreiben und danach noch in einem Buch über chemische Analyseverfahren zu lesen. Gloria, die sich einen Stapel Bücher aus der Bibliothek geholt hatte, ließ sich neben ihm nieder und las, während Julius die Pergamentrollen vollschrieb.

So vergingen zwei Stunden. Es wurde dunkler. Zeit für das Dinner.

"Du hast ausgesehen, als hättest du mit was gekämpft, nicht auf dem Quidditchfeld, sondern in dir selbst", bemerkte Gloria Porter.

"Es ging nur darum, ob ich den Aufsatz über die Wirkungsänderungen durch längeres Sieden kürzer schreiben konnte, wenn ich beschrieb, daß es möglich ist, die genaue Wirkung durch eine Verfärbung des Dampfes zu erkennen. Doch dann habe ich genau nach Vorgabe geschrieben. Snape würde mir sowieso nie die volle Punktzahl geben. Dafür lohnt sich keine Schwerstarbeit."

"Das war es nicht alleine. Immerhin hattest du den Aufsatz über die Fernwirkung von mechanischen Zaubern ja auch noch zu schreiben, und da gibt es keine andere Auslegung. Aber wenn du mir nicht erzählen willst, was dich gerade umtreibt, entschuldige meine Neugier!"

"Ich habe ernsthaft mit dem Gedanken gespielt, über Ostern hierzubleiben. Für das Training wäre das besser. Aber ich habe mich doch dafür entschieden, nach Hause zu fahren. Da kann ich zwar nicht Quidditch trainieren, aber dafür die Sachen weitermachen, die ich vor Hogwarts gelernt habe."

"Sicher ist es über die Ferien langweilig hier. Und jetzt, wo sicher ist, daß dieser Black immer noch in der Gegend ist, sollten möglichst alle nach Hause fahren. Aber das mit dem Training solltest du überlegen. Es ist nicht einfach zwischen zwei Welten zu balancieren."

"Kann möglich sein. Aber solange ich nicht alles alleine entscheiden kann, muß ich eben aus beiden Welten das beste herausholen", erwiderte Julius. Dann fragte er: "Aber das heißt, daß du auch heimfährst?"

"Sicher. Wir kriegen über Ostern immer interessanten Besuch. Meine Verwandten aus Amerika kommen immer zu Ostern, weil Weihnachten für die zu stressig ist, um eine Reise nach Europa zu machen. Feiert ihr denn groß?"

"Nicht so groß wie Weihnachten. Seitdem ich nicht mehr an einen echten Osterhasen glaube, wird Ostern nur zu einem Tag, an dem wir irgendwohin zum essen fahren und Paps sein Mobiltelefon zu Hause läßt."

"Wir können uns ja eine Eule zuschicken, wenn wir Zeit haben, uns mal wieder zu treffen", schlug Gloria vor.

"Ja, können wir machen", stimmte Julius zu.

Die letzten Wochen vor den Osterferien waren sehr arbeitsintensiv. Erwähnenswert ist nur, daß Julius mit Kevin zusammen ein gutes Trainingsteam abgab und Madame Hooch die Vermutung geäußert hatte, die beiden sollten als Treiber spielen, da sie schwierige Manöver fliegen konnten. Doch Julius hatte sich von Aurora Dawn zu sehr auf Jäger einstimmen lassen, um daran zu denken, immer mit einem Schläger hinter den Klatschern herzujagen.

Aurora Dawn schrieb Julius einen Brief, in dem stand:

 

Hallo Julius!

Ich freue mich, daß du so gute Fortschritte in allem machst und würde es sehr nett finden, wenn du mir auch weiterhin von deinen Trainingsstunden schreibst.

Ich fürchte zwar, daß du im Sommer einrosten könntest, weil in eurer Gegend natürlich kein Flugtraining möglich ist, aber sehe da eine gewisse Chance, zumindest teilweise deine Fähigkeiten wach zu halten. Ich werde nachprüfen, ob meine Vermutung zutrifft und dir schreiben, ob ich recht oder unrecht hatte.

In den Osterferien hast du sicherlich schon alle termine verplant, wie ich dich kenne. Daher werden wir uns wohl erst in eurem Sommer wiedersehen können.

mit freundlichen Grüßen

Aurora Dawn

 

Von seinen Eltern kam zwei Tage später ein Brief an, in dem er erfuhr, daß sein Vater über Ostern zu einer Tagung nach Basel reisen mußte. Er würde sich jedoch nicht langweilen, da Mutters Studienfreund Joe Brickston mit seiner Familie zu Besuch kommen würde.

Julius stöhnte kurz. Er kannte Joe Brickston. Der Studienfreund von seiner Mutter war Computerspezialist und meinte, anderen sein Wissen und seine Begeisterung eintreiben zu müssen. Seine Frau, die er in einem Praktikumsjahr in Paris kennengelernt hatte, war nett und humorvoll. Am schlimmsten jedoch war die Tochter der Beiden, die immer herumkrakehlte und alles, was sie in die Finger bekam, mitnahm.

Am Ende der Woche vor den Ferien bekamen alle wieder die Zettel, daß niemand zu Hause zaubern durfte. Julius fragte sich, ob auch Besenfliegen darunter fiel. Doch laut wollte er diese Frage nicht stellen, als der Hauslehrer der Ravenclaws mitteilte, wann sie zum Bahnhof gebracht würden.

Julius setzte sich mit Gloria, den Hollingsworths und Gilda Fletcher in ein Abteil. Kevin und Fredo hatten sich mit den anderen Hufflepuff-Erstklässlern in ein Abteil verzogen. Offenbar wurden da eifrige Pläne geschmiedet, wie die Ferien zu gestalten waren.

Die Fahrt im Hogwarts-Express verlief normal. Keiner störte die Kinder bei ihrer Diskussion über die letzten Stunden . Gloria und Julius unterhielten sich zu dem noch über einen Artikel in der Hexenwoche, einer Illustrierten der Zaubererwelt. Julius war sehr interessiert daran, wie sich Hexen und Zauberer anzogen, wenn sie nicht gerade arbeiteten oder zur Schule gingen. Er lachte über einen Artikel über die Besenballerina Angelique Liberté.

"Was ist so lustig an einer überheblichen Idiotin, die sich was darauf einbildet, daß sie ihren Mirage-Besen wie ein freischwebendes Turngerät beherrscht?" Wollte Gilda wissen.

"Nur, daß die behauptet, schon frei neben ihrem Besen hergeflogen zu sein. Und guck mal, was für Sachen die trägt. Sieht aus, als hätte jemand versucht, Kasperl und seine Großmutter zu einer Figur zusammen zu bauen." Er spielte damit auf die pinkfarbene Ballrobe und die rubinrote Mütze mit der Silberschelle an, die die zierliche Hexe auf dem Photo trug. Über Julius' Spott schien sie nicht besonders erfreut zu sein. Denn sie schüttelte ganz energisch den Kopf und sah ihn ergrimmt in die Augen. Julius achtete nicht darauf. Er las noch den Rest des Artikels.

"Angelique Liberté war die jüngste Absolventin von Beauxbatons, der Akademie für Zauberei und Hexerei in Frankreich, die ein Kulturstipendium der Societé des arts Magiques erworben hat. Sie liebt neben ihrem alljährlichen Hexenball zur Walpurgisnacht noch klassische Gitarrenmusik, spielt Piano mit und ohne Zauberkraft und besitzt eine Segelyacht an der Küste von Monaco."

"Naja, muß es ja auch geben", bemerkte Julius dazu nur. Dann ließ er sich von Gloria zeigen, wo die neusten Trends junger Hexen und Zauberer aufgelistet waren.

Als der Hogwarts-Express im Bahnhof Kings Cross einlief, standen Glorias Eltern schon bereit, genauso wie ein älterer Herr, der gewisse Ähnlichkeiten mit Gilda besaß.

"Ah, Großpapa holt mich heute mal ab", freute sich Gilda und eilte vor den Andern aus dem Abteil.

Nachdem Julius die magische Barriere durchschritten hatte, konnte er seine Eltern sehen, die ihn abholten. Julius fing den Blick von Gloria und ihrer Mutter auf und nickte, als sie ihn fragend angesehen hatten.

"Sieh zu, daß du dein Wissen über Computer auf den neusten Stand bringst. Wenn Joe Brickston zu Besuch kommt, will er bestimmt wissen, wie weit du bist!" Sprach Richard Andrews.

Schweigend ging es im Bentley nach Hause, wo Julius die wenigen Tage wieder ein Muggel sein sollte, wenn nichts dazwischen kam, was ihm überdeutlich zeigte, daß er wirklich in eine andere Welt hineinwuchs.

BESUCHER ZUR OSTERZEIT by Thorsten Oberbossel

Das letzte, was Julius von seinem Vater hörte und sah, als er wieder in der Winston-Churchill-Straße eintraf, war ein großer gepackter Koffer, der in den Kofferraum eines Taxis gelegt wurde. Sein Vater sagte noch:

"Sieh zu, daß du dich in die Computersachen wieder reinarbeiten kannst! Du weißt doch noch, was Joe Brickston, dieser Computertyp beim letzten Besuch alles von dir wissen wollte. Ich komme leider nicht vor deinem Ferienende zurück. Viel Spaß und Erfolg!"

Julius winkte dem Taxi zum Abschied nach, bevor er zu seiner Mutter ins Haus zurückkehrte.

"Wann kommt denn Onkel Joe? Oder soll ich jetzt Mr. Brickston zu ihm sagen?"

"Am besten sagst du nur Joe zu ihm. Er würde es merkwürdig finden, von dir gesiezt zu werden, Julius. Es ist zwar schon vier Jahre her, daß er und Catherine bei uns waren, aber so fremd dürftest du nicht geworden sein."

"Kommt diese Babette auch mit, oder haben die mittlerweile einen Babysitter für die finden können?" Fragte Julius Andrews leicht frustriert. Er erinnerte sich noch gut daran, wie die damals zweijährige Tochter von Onkel Joe und Tante Catherine ihm den letzten Nerv geraubt hatte, weil sie das Talent einer lauten Alarmsirene mit der Fertigkeit einer Taschendiebin kombinieren konnte, die, wenn sie etwas hatte mitgehen lassen und erwischt wurde, laut krakehlte.

"Babette kommt mit. Aber sie wird bei ihren Eltern im Zimmer schlafen."

"Wie, Zimmer? Ich dachte, die ... Vergessen wir's!" Erwiderte Julius. Dann fragte er, ob er seine Schulfreundin Gloria hierher einladen konnte, um ihr seinen Computer zu zeigen. Martha Andrews nickte zustimmend, offenbar als Ausgleich für die zu erwartenden Strapazen.

Julius dachte kurz an die drei unterschiedlichen Typen, die in der Familie Brickston zusammenkamen. Onkel Joe, der Familienvater, hatte mit Martha Andrews zusammen studiert und war so wie ein Rechner, perfektion und Logik in einer Person. Dazu war er noch sehr gründlich, um nicht zu sagen, er haßte jede Form von Unkorrektheit.

Catherine Brickston, die Joe in Paris kennengelernt hatte, war eine sehr ruhige und gut aussehende Frau mit dunklen Haaren, die gerne bunte Kleider anzog und wunderbar singen konnte. Sie war der ruhige Pol der Familie.

Wie die beiden, der übergründliche Mann und die ruhige Frau zu einer solch wilden Tochter wie Babette kommen konnten, konnte Julius nicht begreifen. Onkel Joe, den er wohl nur noch Joe nennen sollte, hatte zwar einige Male Geschimpft, aber nicht so, wie Julius' Vater mit ihm schimpfte, wenn er etwas böses angestellt hatte. Julius konnte auch nicht ganz davon wegkommen, daß er dauernd dachte, daß Joe Angst vor seiner Tochter hatte. Oder hatte er Angst vor seiner Frau? Julius hatte mindestens einmal erlebt, daß sie ihn streng angesehen hatte, und schon war eine Streitigkeit beendet, ohne daß jemand gewonnen hatte.

"Sicher schlafen die drei hier im Gästezimmer, Julius. Oder denkst du, daß ich Joe zumuten will, die sündhaft teuren Hotelpreise zu zahlen, wenn er zwei Tage hier ist?"

"Zahlen könnte der schon. Nur wird er kein Hotel gefunden haben, weil die schon wissen, was für ein Früchtchen die kleine Babette ist."

"Das Mädchen ist nun sechs Jahre alt, Julius. Die wird wohl etwas kontrollierter sein."

"Nur, wenn sie noch an den Weihnachtsmann glaubt, der ihr Haue geben kann, wenn sie nicht artig ist", warf Julius gehässig ein.

"Wie dem auch sei, ich habe ja gesagt und dein Paps hat zugestimmt."

"Ja klar, weil er sich über die beiden Tage verdrücken kann", setzte Julius nach. Seine Mutter zuckte mit den Achseln und erwiderte:

"Tante Catherine ist doch sehr nett."

"Richtig das Hausmütterchen, nur in guter Aufmachung", gab der Sohn der Andrews' frech zur Antwort.

"Du wirst es überleben. Außerdem haben deine alten Spießgesellen sich gemeldet. Sie wollen sich einen Tag vor Ostern mit dir treffen. Ich denke, sie haben dir viel zu erzählen."

"Das denke ich auch, Mum. Weißt du, wo sie jetzt sind?"

"Peter Founder High School", erwiderte Mrs. Andrews. Julius hatte von dieser Oberschule gehört. Dort landeten Leute, deren Eltern entweder kein Geld für die Eliteschulen oder kein Interesse daran hatten, ihre Kinder auf eine akademische Superkarriere vorzubereiten. Das es hieß, die Schüler von dort wären eher zu Handwerkern geeignet, als zu Doktoren oder Ministern. Julius dachte daran, daß sie sowieso nichts von Büchern hielten, wenn man nicht alles nachahmen konnte, was darinstand.

In der Woche zum Ostersonntag hin klingelte das Telefon. Julius hörte, wie seine Mutter den Hörer abnahm und sagte:

"Hallo! - Ach, Mr. Porter. Schön, daß Sie anrufen. - Achso, ja. Julius hat es uns erzählt, daß Ihre Tochter den Computer ausprobieren will. - Ach, Sie und Ihre Frau wollen auch kommen? Hmm, ich erwarte übermorgen Besuch vom Kontinent. Aber wenn es morgen geht. - Geht? Gut! Wann genau? - In Ordnung, Mr. Porter. Wie kommen Sie hierher? - Geht in Ordnung, ich sage es meinem Sohn. - Ihnen auch einen schönen Abend."

"Wollen die Porters morgen herkommen?" Fragte Julius laut aus der Küche herüber. Martha Andrews bejahte und ging in die Küche zurück, wo Julius gerade eine Hausaufgabe für Professor McGonagall fertiggeschrieben hatte.

"Die Porters kennen sich offenbar gut aus mit der technischen Welt. Hat sich das mit Gloria in den letzten zwei Monaten so gehalten, wie vor Weihnachten?"

"Sie legt es immer noch darauf an, mich von allem elektronischen und technischen Kram wegzubringen. Zauberer und Hexen brauchen keine Technik."

"und was hast du ihr dazu gesagt?"

"Das ich das verstehen kann, aber nicht von jetzt auf nachher alles vergessen will, was ich gelernt habe", antwortete Julius.

"Wieso meint sie, dich von unserem Leben abbringen zu müssen, interessiert sich jedoch für Computer?"

"Vielleicht, um bessere Argumente zu finden. Studiere deinen Feind, um ihm gewachsen zu sein!" Gab Julius zurück. Martha Andrews zuckte die Achseln und sagte:

"Ich seh das ja mittlerweile ein, daß du diese Zaubererschule besuchst. Aber sage deinem Vater nichts davon, daß Schulkameraden dich davon abbringen wollen, dich in Techniksachen weiterzubilden."

"Solange es nur Schüler sind, Mum. Wenn aber Professor Flitwick oderProfessor McGonagall meinen, ich dürfe nicht mehr diese Muggelsachen lernen, müßte ich damit aufhören, die Zusatzsachen zu lesen."

"Dann könnte dein Paps auf den Gedanken kommen, alles wieder rückgängig zu machen, was diese Cynthia Flowers ihm abgetrotzt hat", erwiderte Mrs. Andrews.

"Da wird er Probleme kriegen. Immerhin haben die uns auch in Australien gefunden", sagte Julius.

"Das würde ihm in dem Moment nicht bewußt werden", erwiderte Martha Andrews.

"Wie wollten die Porters hier ankommen?" Wollte Julius noch wissen.

"Mr. Porter sprach von einem Wagen. Vielleicht kommen sie wieder mit dem Mercedes."

"Das war ein Leihwagen von Mr. Porters Firma. Ich weiß nicht, ob die den wieder kriegen", antwortete der junge Zauberschüler.

"Achso", erwiderte Mrs. Andrews.

 

 

Wie angekündigt kamen die Porters am nächsten Tag um drei Uhr Nachmittags. Martha Andrews hatte gerade das Besucherzimmer für ihre Freunde bereitggemacht. Julius testete seine Computerkenntnisse und las dabei eine Nachricht von Moira, die beschrieb, wie sie gerade an einem Referat zum Thema "Die Stände des Mittelalters: Ein Lebensbild durch zwei Jahrhunderte" arbeitete. Julius dachte dabei nur an die Hausaufgaben, die er für die Professoren Binns und Flitwick schreiben mußte. Binns wollte eine Beschreibung der Hexengilde von Little Spillington, einem Dorf von Zauberern, das im 15. Jahrhundert von einer schwarzen Magierin beherrscht worden war. Flitwick hatte ihm die Sonderaufgabe zugeschustert, sich mit den Auswirkungen von Zauberschutzvorkehrungen zu befassen. Zusätzlich verlangte er von jedem anderen Erstklässler eine detailierte Beschreibung der verschiedenen Schwebeformen.

"Julius, die Porters kommen gerade an!" Rief Martha Andrews von unten. Julius legte die Aufsätze Bei Seite und sicherte die eingegangenen Nachrichten in einer großen Datei. Dann rannte er die Treppe hinunter und sah durch die Haustür, die seine Mutter schon geöffnet hatte. Er konnte Gloria in einem normalen Straßenanzug erkennen, Mr. Porter in einem karierten Anzug und Mrs. Porter in einem blauen Kostüm, blau wie die Hausfarbe von Ravenclaw. Julius ging hinaus und begrüßte zunächst Gloria, dann Mrs. Porter, dann Mr. Porter.

"Es ist sehr freundlich von Ihnen, daß Sie uns empfangen", sagte Mrs. Porter.

"Ach, ich finde es gut, daß Julius sich so gut in der Schule eingelebt hat. Da wir ja bislang keinen Elternabend hatten, war ich neugierig, muß ich zugeben", erwiderte Mrs. Andrews. Mr. Porter nickte und grinste seine Frau an, die ebenfalls nickte.

"Ähnliches dachten wir auch", gestand Plinius Porter.

Im Haus angekommen sagte Martha Andrews noch:

"Sie wissen vielleicht, daß mein Mann selbst nicht viel von Ihrer Lebensweise hält. Daher ist es für mich wichtig, klarzustellen, daß wir unseren Sohn unterstützen, wie auch immer er sich entwickelt."

Zunächst gingen sie alle ins Wohnzimmer, wo sie eine Kleinigkeit tranken. Dann schlug Julius Vor, Gloria den Computer zu zeigen. So verschwanden die beiden nach oben, während sich Mrs. Andrews mit den Porters unterhielt.

Julius erzählte, während er ein einfaches Programm aufrief, daß seine Mutter und er bald Besuch von ihrem Bekannten und seiner Familie bekommen würden und erwähnte auch Babette, die bereits als Zweijährige kaum zu bändigen gewesen war. Gloria nickte und fügte an, daß ihre Cousine Dora ebenfalls ein schwieriges Kind sei, obwohl sie erst drei wäre.

Gloria zeigte sehr schnell, daß sie das Buch, welches sie sich von Julius ausgeliehen hatte, sehr gut gelesen hatte. Denn sie fand sich schnell in die Grundbefehle ein und schaffte es in einer halben Stunde, Texte zu verfassen und über den Drucker zu schicken, sowie das Datenbankprogramm zu bedienen, um Adressen einzuspeichern oder zu löschen. Julius zeigte ihr die Möglichkeiten, im Computernetz zu forschen und holte als Anschauungsmaterial eine Liste von Großrechnern, die Material über Zauberei und Hexerei für die Öffentlichkeit bereithielten. Gloria schmunzelte, als sie auf eine Abhandlung zum Thema "Hexerei als neuer Freizeitkult" stieß. Sie bat Julius darum, den Artikel auf seinen Computer zu laden und auszudrucken. Dann las er ihn mit Gloria zusammen und konnte nur noch laut lachen. Unten im Wohnzimmer, wo bis dahin das leise Murmeln einer Unterhaltung zwischen den Erwachsenen zu hören gewesen war, wurde es still. Dann klangen Schritte auf der Treppe, die von Mr. Porter stammen konnten, denn Julius konnte die schweren Tritte nicht mit seiner Mutter in Verbindung bringen. Tatsächlich klopfte Plinius Porter wenige Sekunden später an die Tür und fragte was los sei. Julius, der sich gerade wieder einzukriegen versuchte, antwortete:

"Wir haben hier nur einen sehr lustigen Artiekel über eine Hexengruppe namens "Schwestern der weißen Mondin". Gloria meint, daß die wohl aus lauter Muggeln bestehen müßte."

"Huch, interessant. Darf ich reinkommen?"

"Aber bitte doch, Mr. Porter", sagte Julius.

Plinius Porter betrachtete den Computer, den Drucker, den Monitor und dann den Stapel bedruckten Papiers.

"Ach du meine Güte! Ich habe davon gelesen, Gloria. Im Tagespropheten von vor drei Wochen stand ein längerer Artikel über den beklagenswerten Versuch einer Muggelfrau, eine Hexengruppe zu gründen. Ihr muß ein Zauberbuch über Magie zu bestimmten Jahreszeiten in die Hände gefallen sein. Weasleys Abteilung fahndete danach, konnte jedoch nichts bei ihr finden. Eine Gedächtniskorrektur erschien unsinnig, da die besagte Person keine magischen Artefakte in ihrem Besitz hatte."

"Das kann ja auch nicht hinkommen, Dad. Diese Lady Miranda betreibt wohl eher eine Schaubude. Wenn die richtig hexen könnte, würde die nicht so damit angeben."

"Solche Leute sorgen dafür, daß unsereins als verrückt abgestempelt wird", seufzte Plinius Porter. Dann ließ er sich noch den Computer vorführen.

Um fünf Uhr nachmittags war Teezeit, wie überall in England. Die Porters und die Andrews saßen im Wohnzimmer des großen Hauses und genossen den heißen Tee und das Gebäck, daß Mrs. Andrews besorgt hatte. Sie sprachen über den Computer und inwieweit er als Erfindung der nichtmagischen Menschen die Welt verändert hatte. Mrs. Porter wandte ein, daß Wissen zwar hilfreich sei, aber auch der Umgang damit gelernt werden müsse. Mr. Porter führte an, daß die Zaubererwelt sich schon seit Jahrhunderten ohne elektrischen Strom ein weltweites Informationsnetz erschlossen hatte, das jedoch nicht so uneingeschränkt für jedermann nutzbar war, wie das Internet. Julius, der nun etwas von beiden Welten kannte, fragte nach, ob die Zauberer und hexen darum fürchten mußten, doch irgendwann enttarnt zu werden.

"Die Ministerien der Zaubererwelt in allen Ländern haben bereits ein Kommitee zur Wahrung der bisherigen Koexistenz gebildet. Man könnte es eine Weltregierung der Zauberer nennen. Da sind auch Zauberer und Hexen drin, die in der Muggel-, ähm, der Welt der Nichtmagier Ämter in Politik und Wirtschaft bekleiden. Wer das ist, weiß ich zum Glück nicht."

"Julius hat erzählt, daß die Magierwelt sehr darum bemüht sei, ständig talentierte Nachwuchszauberer und Hexen zu finden. Wie soll das gehen, wenn die Geheimhaltung dadurch gefährdet wird?" Fragte Martha Andrews.

"Das ist uns nicht bekannt", wandte Mrs. Porter ein. "Wir kümmern uns nicht sonderlich um die Politik des Zaubereiministers."

"Genau wie er selbst", sagte Gloria vorlaut. Mrs. Porter sah ihre Tochter strafend an, während Mr. Porter sich beherrschen mußte, um nicht loszulachen.

"Das sagen wir über unsere Politiker auch", kommentierte Mrs. Andrews und mußte sich beherrschen, um nicht ebenfalls zu lachen.

Nach der Teestunde gingen Julius und Gloria noch einmal in das Zimmer hoch. Julius führte seiner Schulkameradin den CD-Spieler vor. Gloria meinte dazu nur, daß selbstgemachte Musik immer noch besser sei als konservierte. Sie fragte Julius, ob er schon einmal ein Konzert von Hexen und Zauberern gehört hatte. Er verneinte das.

Julius besprach noch die Hausaufgaben mit Gloria. Dabei stellte sich heraus, daß er bei der Arbeit für Binns noch ein interessantes Detail übersehen hatte und fügte es hinzu.

Um sieben Uhr verließen die Porters das Haus der Andrews wieder. Dione Porter sagte noch mal zu Martha Andrews:

"Machen Sie das ruhig, worüber wir gesprochen haben, Mrs. Andrews! Es wird keine Probleme geben."

"Danke Mrs. Porter", erwiderte Martha Andrews. Dann sahen sie und Julius, wie Gloria und ihre Eltern in einen grauen Ford einstiegen und davonfuhren. Julius konnte noch einen Mann in königsblauer Uniform am Steuer erkennen, bevor der Wagen in Fahrt kam und leise surrend davonbrauste.

"Und, was hältst du von Hexeneltern?"

"Ich dachte erst, ich hätte nichts mit ihnen zu bereden. Doch die sind ja gut informiert und haben mir auch wichtige Tips geben können, wie dein Paps und ich mit deinen Professoren Kontakt halten können. Sie meinten auch, daß wir einmal um ein direktes Gespräch bitten sollten, um deine Lehrer kennenzulernen und direkt von Ihnen zu erfahren, ob du wirklich dort hingehörst."

"Soso, Mum. Dann bist du ja beruhigt.

"Ich wußte gar nicht, daß es auch bei den Hexen Kosmetik und Schönheitsberatung gibt. Mrs. Porter arbeitet für eine internationale Organisation, die Hexen in Kosmetikfragen berät. Hat Gloria dir das mal erzählt?"

"Ja, hat sie. Mrs. Porter war im gleichen Haus untergebracht, in dem Gloria und ich jetzt wohnen."

"Aja. Mr. Porter konnte mir auch erklären, wie wir das mit der Schulfinanzierung auch abhandeln könnten, ohne andauernd in diese ominöse Winkelgasse zu gehen. Ich habe mir das aufgeschrieben. Hoffentlich macht dein Vater das mit."

"Wenn prof. McGonagall ihm noch mal etwas vorzaubert hat er da bestimmt kein Problem mit", ereiferte sich Julius.

Der nächste Tag begann mit zwei Anrufen. Der erste kam von Julius' Vater, der fragte, ob das Haus noch stehe. Julius nahm diese dumme Frage spaßig und antwortete:

"Wie man Atombombenexplosionen zaubert lernen wir in der sechsten Klasse, Paps."

Der zweite Anruf kam von Joe Brickston. Julius hörte, wie seine Mutter am Telefon erst fröhlich, dann leicht angespannt klang. Sie sagte:

"Hallo, Joe! - Wann kommst du? - Achso. Wie bitte?! - Und das ließ sich nicht anders einrichten? - Hmm, dann muß ich noch ein Zimmer freimachen. Das hättest du mir schon gestern sagen können, Joe. - Nun gut, ich sehe ein, daß du deine Gründe hast, Joe. - Jaja, das kannst du mir erzählen, wenn du da bist. - Bis nachher!"

"Das ist doch nicht wahr! Joe hat mir gerade jetzt erst erzählt, daß er schon seit zwei Tagen weiß, daß seine Schwiegermutter aus Marseille zu Besuch bei ihm ist und er sie nicht einfach nach Hause schicken kann, weil er angeblich bestimmte Gründe hat, sich nicht mit ihr zu verkrachen. Jetzt bringt er sie noch mit", sagte Martha Andrews genervt. Julius schluckte hörbar. Dann bekam er den Auftrag, seiner Mutter bei der Vorbereitung des zweiten Gästezimmers zu helfen. Sie fragte ihn sogar, ob er da was mit Magie machen könne. Er sagte:

"Für mich gilt das gleiche, wie für andere Magier auch. Ich darf nicht vor Nichtmagiern zaubern. Die kriegen das raus und kassieren mich ein."

"Achso. Jetzt verstehe ich auch, wieso die Porters mit einem normalen Auto vorgefahren sind. Na gut. Aber du kannst mir auch so helfen, denke ich."

"Kein Problem. Ich geh auch für dich einkaufen."

"Das brauchst du nicht. Ich taue einfach was auf, wenn ich Essen mache. Die Dame soll keine Extrawünsche haben."

"Wenn sie Französin ist zerstörst du zumindest nicht irgendwelche guten Vorurteile über das englische Essen, Mum", ärgerte Julius seine Mutter noch. Sie tadelte ihn kurz mit "Frechdachs!" und lachte dann.

"Wie kommen die eigentlich her, Mum. Haben die immer noch den alten Renauld, die Königin der Rostlauben?"

"Nicht so respektlos, Julius! Der Wagen ist immerhin schon seit zwanzig Jahren im Einsatz und fährt immer noch. Aber ich weiß nicht, ob die den noch haben."

"Wir werden sehen", sagte Julius etwas gelangweilt und ging mit seiner Mutter in den zweiten Stock, wo die Gästezimmer und das Gästebad untergebracht waren. Julius half beim Abstauben und Betten beziehen. Er erzählte seiner Mutter, um die Arbeit so richtig zu würzen, daß die Porters einen langnasigen Hauselfen hatten, der alle Arbeiten im Haus verrichtete.

"Wenn du dir einen halten darfst, sag mir bescheid", erwiderte Martha Andrews nur darauf und prüfte den Zustand der Lampen.

"So, die können kommen", meinte sie zum Schluß, als sie noch ein Bild mit einem Sonnenaufgang über einem Pier des londoner Hafens über dem zweiten Gästebett angebracht hatte, um dem Raum etwas mehr Atmosphäre zu geben.

"Bist du sicher, daß das ein Sonnenaufgangsbild sein soll, Mum? Nachher denkt die Schwiegermutter deines Freundes Joe, du wolltest ihr damit zu verstehen geben, daß sie wie eine untergehende Sonne für dich sei, oder gar die hereinbrechende Nacht."

"Jeder, der den londoner Hafen kennt, weiß, wo die Sonne beim Aufgang und wo beim Untergang stehen muß. Ich werde ihr das erklären, wenn sie es darauf anlegen sollte."

"Kannst du französisch? Oder spricht sie englisch?"

"Ich kann kein Französisch. Ich habe Latein und Spanisch gelernt. Und ob Joes Schwiegermutter englisch spricht, weiß ich nicht. Ich kenne die Dame nicht", antwortete Martha Andrews gereizt.

Am Nachmittag um zwei klingelte es an der Tür, während Julius' Mutter gerade noch etwas im Badezimmer erledigen mußte. Julius erhielt den Auftrag, nachzusehen, wer vor der Tür stand. Er sah durch das bruchsichere Türglas der Haustür und erkannte Joe Brickstons weizenblonde Haartolle und die goldgeränderte Brille, die einem Professor an der Universität gestanden hätte. Julius rief nur: "Sie sind's, Mum! Ich mach schon auf!"

Julius entriegelte die schwere Haustür und öffnete sie weit. Joe Brickston trat sich auf der breiten Fußmatte die Füße ab und kam herein, leicht außer Atem, mit zwei schweren Koffern an den Armen.

"Hi, Julius! Lange nicht mehr gesehen", keuchte der Studienfreund von Julius' Mutter zur Begrüßung. Dann quiekte jemand hinter dem stämmigen Mann mit der weizenblonden Haarpracht und schoß an ihm vorbei. Ein kleines dürres Mädchen mit pechschwarzen Zöpfen, die wie zwei Windvogelschwänze hinter ihr herflatterten.

"Heh, Babette! Du kannst doch nicht einfach so reinrennen!" Rief Joe Brickston gequält. Eine energische Frauenstimme schimpfte auf Französisch. Julius hörte nur den Namen der quirligen Sechsjährigen heraus. Wie ein Blitz schoß Babette wieder an Julius vorbei nach draußen, als habe sie jemand mit einem Accio-Zauber zu sich hinfliegen lassen.

"Meine Schwiegermutter, Julius. Sie ist eine der wenigen, die das Kind mit einem Wort zur Ruhe bringen können."

"Hallo, jeun Monsieur!" Grüßte eine hochgewachsene Frau mit dunklem Haar, die kaum älter als Julius Mutter sein mochte den Sohn der Andrews'. Julius sah in die saphirblauen Augen der Frau, die ein phantasievoll gemustertes Kleid trug. Es wirkte irgendwie außerweltlich, nicht dem Modediktat oder einer geschäftsmäßigen Kleiderordnung unterworfen.

"Bonjour, Madame Brickston", grüßte Julius, wobei er froh war, daß er diese spärlichen Französischkenntnisse fehlerfrei anbringen konnte. Er wünschte sich in diesem Moment, daß er doch in den Weihnachtsferien Glorias Buch, das ihm angeboten hatte, mit ihm zu lernen, nicht so schnöde in die Ecke zurückgestellt hätte. Dieser Wunsch verstärkte sich noch, als eine Frau, die ungefähr sechzig Jahre alt sein mochte, in einem langen, an einen Umhang erinnernden Kleid aus bonbonrosafarbener Seide, die schwarzes Haar zu einem Knoten trug, ähnlich wie Professor McGonagall, mit der kleinen Babette an der Hand näher an das Haus herantrat. Sie fragte irgendwas auf Französisch, was Joes Frau übersetzte:

"Dürfen wir hereinkommen?"

"Sicher doch. Meine Mutter wartet im Wohnzimmer. Bonjour Madame!" Grüßte er noch die zweite Frau, die in Gebahren und Haartracht Minerva McGonagall sehr stark ähnelte. Diese nickte und erwiderte den Gruß, wobei sie noch Worte anfügte, die Julius nicht verstand. Doch er dachte, daß sie ihn nicht gerade beleidigen wollte und lächelte nur. Dann führte er die vier zunächst zur geräumigen Garderobenwand, wo sie ihre Übermäntel aufhängen konnten.

"Übrigens, meine Mutter heißt Madame Faucon, für den Fall, daß du oder deine Mutter Sie direkt ansprechen möchten", sagte Catherine Brickston in einwandfreiem Englisch. Julius nickte und sah flüchtig zu Babettes Großmutter hinüber, die den kleinen Quälgeist, der sie wohl immer noch war, ständig in ihrer Nähe hatte. Julius wurde das Gefühl nicht los, daß er dieser Frau noch einmal dankbar sein würde. Sicher, er hatte nichts in Greifhöhe der kleinen Babette legen lassen, was wertvoll war. Er hatte seine Zauberutensilien ganz hoch und ganz weit in einem Schrank eingesperrt, den er noch verschlossen hatte. Der Schlüssel lag gut verstaut in Vaters Safe, zu dem nur seine Mutter die Kombination kannte. So würde die Kleine nichts in die Hand bekommen, was peinliche Fragen hätte nach sich ziehen können.

"Dann wollen wir mal", sagte Joe Brickston, der in einen Geschäftsleuteanzug mit Schlips gekleidet war, als ginge es hier nicht um einen Freundesbesuch, sondern um einen entscheidenden Vertragsabschluß. Er bugsierte die schweren Koffer unter die Mäntel und ging voran ins Wohnzimmer. Babette tapste neben ihrer Großmutter her, wobei sie diese immer wieder kurz anblickte. Julius fragte sich, womit die Fremde ihre Enkelin bedroht hatte, daß dieses quirlige Kind so kuschte, wie ein geschlagener Hund vor seinem Herren. Julius fragte sich auch, wieso Joe offenbar so auf Vorsicht seiner Schwiegermutter gegenüber bedacht zu sein schien. Doch es ging ihn nichts an. Sie war nun einmal hier, also mußte er auch damit klarkommen.

Im Wohnzimmer wartete Mrs. Andrews schon auf die Gäste. Sie begrüßte zunächst Joe, dann Babette, dann Joes Schwiegermutter, wobei sie es nur bei einer Grußgeste beließ, da sie überhaupt kein Französisch konnte. Schließlich grüßte sie noch Catherine Brickston und sagte, daß sie sich freuen würde, mal wieder mit jemanden außerhalb Englands plaudern zu können. Catherine Brickston erwiderte darauf:

"Ich freue mich, daß ich mal wieder meine Englischkenntnisse pflegen kann, ohne daß es gleich um was wichtiges geht."

Julius betrachtete die beiden Frauen, Catherine Brickston und ihre Mutter. Sie sahen so aus, als wenn jemand eine Person im Abstand von dreißig Jahren photographiert hätte. Dabei fiel Julius wieder auf, wie ruhig Catherine Brickston war, während ihre Mutter eine hohe Unruhe ausstrahlte, wie ein Vulkan, der drauf und dran war, auszubrechen. Aber der Hogwarts-Schüler aus einer Muggelfamilie empfand keine richtige Angst, sondern eher unvermittelten Respekt vor dieser Dame, vor der selbst ein solches Energiebündel wie Babette auf der Hut zu sein schien. Denn Babette sah nicht ihre Eltern an, wenn sie irgendwas tat, sondern ihre Großmutter, als müsse sie sich jedesmal erst eine stille Erlaubnis holen, um auch nur eine Armbewegung zu machen.

Mrs. Andrews bot den Gästen Kakao, Tee oder Kaffee an. Madame Faucon ließ von ihrer Tochter um Kaffee für sich bitten, während Joe inbrünstig eine Kanne Tee ansah, die Julius' Mutter auf einem verzierten Tablett hereingetragen hatte. Julius gönnte sich mal wieder richtigen Kakao, da in Hogwarts außer der Zauberschokolade nur Tee oder Fruchtsaft ausgegeben wurde. Man unterhielt sich, teilweise mit Übersetzung, über die letzten vier Jahre und was so alles passiert sei. Mrs. Andrews tischte den Gästen die Geschichte von der Eliteschule auf, auf die Julius ging, so daß niemand mitbekommen konnte, daß er in Wirklichkeit eine Schule für angehende Zauberer und Hexen besuchte. Er erfuhr, daß Joe mittlerweile in einem großen Rechenzentrum eines pariser Wettervorhersageinstitutes die Hard- und Software betreute und hörte mit Begeisterung, mit welchen Geschwindigkeiten und Speichergrößen die Großrechner arbeiteten. Dann wurde er gefragt, wie gut denn seine Computerkenntnisse gediehen seien. Julius überlegte nur kurz und sagte:

"Mit meinem Computer komme ich sehr gut klar, Joe. Ich habe auch die Anwendungen studiert, die zur Zeit auf den meisten PCs laufen."

"Vielleicht hast du interesse, mir das vorzuführen?" Fragte Joe Brickston. Julius verstand dies jedoch eher als Aufforderung als als Frage. Er überlegte kurz und antwortete, daß es ihm gar nichts ausmachen würde, seine Computerkenntnisse zu demonstrieren. Dann sprach man über Julius' bisherige Schulbildung. Gemäß der Legende, die die Andrews sich überlegt hatten, um anderen gegenüber zu verheimlichen, daß Julius in eine Zaubererschule ging, erzählten Mrs. Andrews und Julius von der Theodor-C.-Beaufort-Lehranstalt. Julius wandte ein, daß dort jedoch keine großen Computer stehen würden und Internet dort überhaupt nicht möglich sei. Darauf meinte Joe Brickston:

"Wie soll jemand in einer Schule auf das Leben vorbereitet werden, wenn er oder sie nicht einmal Internetkenntnisse erwerben kann?"

"Das ist ein Lehrkonzept der Schule, daß Computerarbeit nur im Einzelbereich gelernt werden darf, damit die Schüler nicht auf die Idee kommen, sich nur noch im Internet auszutoben", wandte Martha Andrews ein. Julius fügte dem noch wahrheitsgemäß hinzu:

"Wir haben dafür eine riesige Bibliothek für Nachforschungen und zur Unterstützung der Hausaufgaben. Man will uns beibringen, selbst zu suchen und nicht einfach alles per Knopfdruck aufgelistet zu bekommen."

"Soso", entgegnete Joe unbeeindruckt. Dann meinte er noch:

"Catherine hatte überhaupt keine Ahnung von Computern. Die hatten auch nur eine große Bibliothek dort, wo sie war."

"Eine Mädchenschule?" Fragte Julius.

"Nein, für Jungen und Mädchen", erwiderte Catherine Brickston sofort, als ihr Mann gerade noch etwas sagen wollte. Julius hatte den unbestimmten Eindruck, als wolle Catherine nicht über ihre Schulzeit reden und ließ es, weitere Fragen zu stellen. So konnte man ihm auch nicht zu viele unangenehme Fragen stellen. Julius' Mutter fragte die sechsjährige Babette:

"Und, wann kommst du in die Schule, Babette?"

"Nach dem Sommer", sagte Babette laut und vernehmlich, allerdings mit starkem französischen Akzent.

"Wir haben sie in einer Privatschule angemeldet, wo nicht so viele Kinder sind. Meine Frau und meine Schwiegermutter wollten das so haben", erklärte Joe leicht niedergeschlagen. Offenbar mußte es einen Streit um Babettes Schule gegeben haben. Catherine Brickston übersetzte beinahe zeitgleich ihrer Mutter, was gerade besprochen wurde. Dann sagte Madame Faucon irgendwas, was Julius' innere Alarmglocken zum klingen brachte, obwohl er es nicht wörtlich verstand. Aber der Tonfall war unmißverständlich streng, wie ein Tadel von Professor McGonagall oder eine Rüge seines eigenen Vaters.

"Maman meint, daß mein Mann versucht hat, Babette in einer billigen Volksschule mit über dreißig Kindern in der Klasse unterzubringen."

"Na und, da war ich doch auch", wandte Julius frech ein. "Und das hat mir nicht geschadet, sagt Paps."

Wieder mußte erst übersetzt werden, was Julius gesagt hatte, bevor die Mutter von Catherine Brickston lachte und eine Antwort gab, die belustigt klang.

"Welchen Schaden jemand nimmt, kommt häufig erst später heraus, sagt Maman."

"Auf jeden Fall ist Julius jetzt in einer Klasse wo nur zehn bis zwölf Leute drin sind. Jetzt muß er sich beweisen, weil er häufiger drankommt und die Lehrer intensiver unterrichten können."

"C'est ça", kommentierte Catherines Mutter, nachdem ihr übersetzt worden war, was Mrs. Andrews gesagt hatte.

Nach dem Tee gingen Julius und Joe Brickston in Julius' Zimmer hoch. Als Julius die Tür hinter sich zugemacht hatte, wandte sich Joe an ihn, während der Computer gestartet wurde:

"Du magst mich für einen Pantoffelhelden halten. Ich hab's dir angemerkt, Junge. Aber ich sage dir, mit meiner Frau Schwiegermutter sollte sich niemand anlegen. Sie ist die Königin der Familie, und ich werde froh sein, wenn sie wieder nach Marseille zurückfliegt, ohne daß ich mich mit ihr über irgendwas in die Haare gekriegt habe."

"Wieso, Onkel Joe? Hat sie euer Geld und teilt nur welches aus, wenn ihr brav seid?"

"Wäre glaubhaft, nicht wahr? Ist aber nicht so. Sie kontrolliert uns förmlich, wie eine Königin. Die Frau ist eine Hexe, Julius."

Julius schluckte kurz, dann lachte er laut und antwortete: "Da bist du nicht der einzige Mann, der das von seiner Schwiegermutter behauptet."

"Pssst! Nicht zu laut! Ich weiß nicht, ob die Alte wirklich kein Englisch versteht, Julius."

"Die hört doch nichts, wenn wir hier oben normal reden. Glaub mir, Joe, die reden da unten sowieso nun über uns."

"Aber gut. Du mußt mir ja nicht glauben. Ist auch besser so. Also zeig mal, was du kannst!"

Julius führte Joe Brickston vor, was er alles am Computer erledigen konnte und zeigte ihm auch, wie gut das neue Internetverwaltungsprogramm arbeitete. Er holte zwei neue E-Mails ab und speicherte sie ab, um sie später zu lesen. Joe zeigte ihm noch einige Kniffe, wie man die Datenbankverwaltung noch besser steuern konnte und wie der Arbeitsspeicher besser ausgenutzt werden konnte. Dann meinte er:

"Habt ihr wirklich Computerkurse? So wie du hier vorgehst, hätten die Lehrer total veraltete Methoden zum Unterricht."

"Haben sie auch. Aber in der dritten Klasse gibt es Sonderkurse für Leute, die intensiver lernen wollen. Wir haben zwar vier neue Computer, aber zehn veraltete Kisten, die am Ende der Achtziger rauskamen", behauptete Julius. Joe schüttelte den Kopf.

"Auf so eine Schule würde ich Babette nicht lassen. Aber ich fürchte, meine werte Frau und ihre noch mehr werte Mutter werden mich dazu nötigen, Babette auf die selbe Schule zu schicken, die Catherine besucht hat. Tradition ist alles."

"Wo ist denn die Schule? Hoffentlich nicht im Norden", Erkundigte sich Julius. Joe sagte:

"Ich weiß das nicht. Ich erfuhr ja auch erst im vierten Ehejahr, wo Kathy war. Sie hat mir zwar gesagt, wie die Anstalt hieß, aber ich habe es wieder vergessen. Soll auf jeden Fall unterentwickelt sein. Mathematik ist da eine absolute Nebensache. Kannst du dir das vorstellen?"

"Was, genial!" Ereiferte sich Julius, der sich sehr gut vorstellen konnte, was Joe meinte. Schließlich gab es in Hogwarts lediglich kleinere Kurse zur Berechnung von Rauminhalten, Dosen und Buchhaltung. Irgendwann sollte es noch Geometriekurse geben, die Julius wohl auch besuchen würde. Sie gehörten aber nicht zum benoteten Unterricht.

"Und was lernen die dann da, wenn sie keine Mathe und keine Computer haben? Fliegen?"

"Haha, wie witzig", antwortete Joe Brickston, der jedoch so aussah, als sei Julius' Bemerkung für ihn kein Witz gewesen. Dann sagte der Computerexperte noch:

"Mach dich bloß nicht lustig, wenn Kathy dabei ist. Sie kann das zwar ab, aber ich darf mir das später doppelt und dreifach anhören."

"Jaja, die böse Schwiegermutter", spottete der Sohn von Richard und Martha Andrews.

Um sieben Uhr abends klingelte jemand an der Haustür Sturm. Martha entschuldigte sich kurz und eilte zur Tür. Julius lauschte und hörte, kaum daß die Tür sich öffnete, den allseits gefürchteten Schlachtruf: "Bi-ba-Bubblegum!!" Dann Hörte er einen unterdrückten Empörungsruf seiner Mutter, während zwei paar Füße mit unüberhörbarem Getöse die Treppe heraufjagten und ein dreifacher Türklopfer die Zimmertür erzittern ließ.

"Wer ist denn das?" Wunderte sich Joe Brickston.

"Der Rest des chaotischen Trios!" Rief Julius und riß die Tür weit auf.

"Hallo, Jungs! Wie ich höre seid ihr mal wieder ungefragt an meiner Mutter vorbeigerannt."

"Heyyupp!!" Riefen Lester und Malcolm und hieben Julius auf die Schultern, daß es nur so klatschte.

"Hach, mal wieder aus diesem Schulmief raus", sprach Lester und trat ins Zimmer. Er sah den Mann mit der weizenblonden Haartolle und fragte: "Huch, hast du Besuch?"

"Das ist ein Schulfreund von Mum. Er hat mir nur gezeigt, wie ich mit meinem Zauberkasten besser herumspielen kann."

"Wie komisch", grunzte Joe Brickston entrüstet. "Wer sind die beiden, Julius?"

"Das ist lester und sein Kumpel Malcolm. Wir haben die Grundschule besucht und viel Kurzweile verbreitet."

"Vollkommen korrekt", pflichtete Malcolm bei. Dann meinte Julius:

"bevor Mum mich hier oben noch zur Schnecke macht frage ich lieber, was wir heute noch unternehmen. Ich denke mal, gleich gibt's was zu essen. Dann schmeißt Mum euch eh raus."

"Wir wollten noch auf den Bolzplatz. Es sei denn, du kannst kein Fußball mehr. Ich habe gehört, ihr lernt nur noch Golf und Tennis an eurer Schule für höhere Tiere. Aber zumindest kannst du noch richtig reden. Moira redet sowas von geschraubt daher, daß es schon krank ist", beklagte sich Lester über ihre frühere Schulkameradin Moira Stuard.

"Ich hab's mitggekriegt. Sie war nicht gerade begeistert, als ich eine Ausstellung ihres Vaters aufgeheitert habe, indem ich gemeint habe, daß wir da was über Miraculix und seine Kollegen erfahren würden, wo mehrere Geschichtsprofessoren dabeistanden."

"Ist ja heftig gut, Julius", erwiederte Malcolm total begeistert.

"So, Jungs! Ihr habt mich einmal überrumpelt, jetzt sagt, wann ihr euch drei zu einer zivilisierten Zeit treffen wollt und schiebt erstmal ab, ja!" Kam Mrs. Andrews' Stimme von hinten.

"Ich habe gehört, es gibt gleich was zu mampfen. Fällt da auch was für bettelarme Schulbuben ab?"

"Kartoffelschalen kann ich dem Herrn offerieren, Mr. Lester Piers. Ich habe Besuch, der zivilisierter ist, als ihr beiden. Das könnte ein Kulturschock für euch werden."

"Für uns? Was ist denn das eigentlich, ein Kulturschock? Ich kenne nur Kulturbeutel", tönte Malcolm frech. Mrs. Andrews lachte und sagte:

"Immerhin kennst du sowas. Aber jetzt macht euer Treffen klar und dann den Abflug."

"Scotty kann uns im Moment nicht hochbeamen. Aber wie Sie wünschen, Mrs. Andrews. Sie sind die Königin in dieser Burg. Also, Julius, wann geht das Match los?"

"Morgen vormittags. Am Ostersamstag ist nicht zuviel los. Die hängen dann alle im Stau oder bei ihren Verwandten rum", sagte Julius. Malcolm grinste gemein und sagte: "Außer unsereinem. Die Verwandten sind froh, wenn wir nicht um sie herumwuseln. Gut, alles klar! Komm, Lester. Wir zischen ab!"

Die beiden Jungen rasten genauso laut die Treppe wieder hinunter, wie sie sie heraufgekommen waren und huschten durch die große Haustür hinaus und davon.

"Mit denen hast du deine Freizeit verbracht?" Fragte Joe Brickston auf dem Weg ins Esszimmer.

"Nur, wenn Paps es nicht verhindern konnte. Wir haben gute Tricks ausgearbeitet, um uns häufig zu treffen", flüsterte Julius.

Madame Faucon sah Julius an, dann Joe. Dann setzte sie sich neben ihre Tochter, Babette saß gegenüber neben Julius.

Das Essen verlief schweigsam. Lediglich einmal fragte die Mutter von Mrs. Brickston etwas, was diese übersetzte:

"Meine Mutter will wissen, wer die beiden Rabauken waren, die vor einer halben Stunde hier hereingepoltert sind."

"Sag deiner Mutter, Tante Catherine, daß das meine besten Kumpels aus vergangenen Zeiten waren, mit denen ich mich morgen treffen werde. Mehr braucht sie nicht zu wissen."

Julius sah trotzig, daß Madame Faucon ihn vorwurfsvoll ansah, als ihre Tochter die Antwort ins Französische übersetzt hatte.

Nach dem Essen gingen Julius und Babette mit Joe Brickston noch mal in Julius' Zimmer und spielten dort am Computer. Babette schien richtig befreit zu sein, daß sie von ihrer Großmutter wegkam. Julius gewann im Autorennspiel und zeigte Joe, wie gut die Bilddarstellung bei einem schnellen Fußballspiel war. Babette trat gegen ihren Vater und Julius in einem Olympia-Computerspiel an und holte in sechs von 9 Disziplinen die Goldmedaille. Als Julius ihr den Joystick aus der Hand nehmen wollte, quängelte sie. Joe sagte zu ihr, daß es bald Zeit für sie sei, ins Bett zu gehen. Babette quängelte weiter. Dann sah sie auf den Computer, wo Julius gerade versuchte, seinen Olympiasportler mit schnellen Bewegungen des Joysticks über einen See rudern zu lassen. Unvermittelt knisterte der Bildschirm, wurde tiefschwarz, und der Computer fiel aus.

"Verdammt!!" Fluchte Julius und hieb auf den Schreibtisch, während Joe erschrocken dreinblickte. Er sah auf die Computerkonsole, den Monitor und den Drucker. Dann sagte er:

"Das ding ist wohl durch Überspannung ausgefallen."

"Unsinn! Da war kein Kurzschluß und nichts", lamentierte Julius und sah zu Babette, die ein gehässiges Grinsen zeigte.

"Was soll es denn sonst gewesen sein?" Fragte Joe Brickston. Julius glaubte, Angst in der Stimme mitschwingen zu hören.

"Keine Überspannung. Ich versuche den Kasten noch mal anzuwerfen."

Julius drückte den Einschalter auf "aus", dann überprüfte er die Steckverbindungen, schnupperte an den Luftschlitzen, ob nicht doch irgendwo etwas verschmort sein könnte, dann schaltete er den Computer wieder an. Das Kühlgebläse lief zwar, doch die Festplatte und der Monitor kamen nicht mehr auf Touren. Julius schaltete das Ding aus.

"Verflucht noch mal!"

"Könnte was dran sein", wandte Joe leise ein. Julius konnte darüber nicht lachen. Der Computer war zwar zu einer Nebensache geworden, doch zu einer, die ihn noch mit seinem Zuhause verband. Fiel er nun aus, hätte Julius nichts, worauf er sich noch freuen konnte, wenn nicht die Bolzspiele mit Lester und Malcolm wären.

"Hat keinen Zweck, Julius. Der muß zur Reparatur."

"Ich kann nicht mehr spielen, und ihr könnt auch nicht mehr spielen. So!" Sagte Babette mit bösem Unterton.

"Da ist was dran", sagte Julius, der gerade überlegte, ob er der Kleinen nicht einmal eine schallern sollte. Doch er verzichtete darauf. Nachehr galt er noch als Feigling, der kleine Mädchen haute. Diese Demütigung wollte er sich doch nicht antun.

"Dann wollen wir mal, Petite demoiselle!" Beschloß Joe und versuchte, seine Tochter am Arm zu fassen. Doch diese streckte ihm die Zunge raus und entwischte durch die Tür.

"Das ist dumm mit deinem Computer. Ich bezahl die Reparatur, Julius."

"Was nützt das, wenn die Festplatte durch diesen Blödsinn gelöscht wurde? Außerdem hast du den doch nicht kaputt gemacht, Joe."

"Aber wir haben ihn ziemlich gut strapaziert", meinte Mr. Brickston. Dann rannte er hinter seiner Tochter her.

"Wieso ist das Ding genau da ausgefallen, als Babette nicht mehr damit spielen durfte?" Fragte sich der Hogwarts-Schüler.

Julius stand auf und verließ sein Zimmer, um seiner Mutter zu erzählen, daß der Computer kaputt war. Er fand seine Mutter in der Küche, wo sie mit Händen und Füßen versuchte, Madame Faucon die verschiedenen Gewürze in ihrem Sortiment zu erklären.

"Entschuldige, Mum! Ich wollte nicht stören. Mir ist nur beim Spielen mit Joe und seiner Tochter der Computer in die Binsen gegangen. Es sieht nicht nach einem Kurzschluß aus. Das Kühlgebläse geht noch, alles andere ist zappenduster."

"Was? Hmm, nicht so gut! Dann lasse ich den abholen, wenn die Ostertage um sind, Julius. Ist zwar schade, aber kann passieren. Hoffen wir, daß die Festplatte nicht gelöscht wurde."

"Na gut, ich habe noch Backup-Disketten. Nur die neue E-Mail von heute dürfte dann weg sein, falls es die Platte leergeputzt hat. Dann höre ich eben noch ein bißchen Musik auf dem Walkman."

"OK. Babette muß ohnehin ins Bett. Ich wollte mir noch einen Krimi im Fernsehen angucken, bevor ich den heutigen Tag beende", erklärte Julius' Mutter. Dann erinnerte sie sich wieder an Madame Faucon und fuhr mit ihrer Beschreibung der Gewürze und Küchenkräuter fort.

Julius ärgerte sich zwar darüber, daß er nicht mehr die E-Mails lesen konnte, bei denen auch eine von Moira dabei war, doch sonst ging es ihm gut. Er hörte sich eine Casette mit längst aus den Verkaufslisten verschwundenen Liedern an und summte dazu. Um elf Uhr knipste er das Licht aus und legte sich hin. Er dachte an den Zufall, daß der Computer ausfiel, als Babette nicht mehr damit spielen durfte. War das wirklich ein Zufall? Er mußte es glauben, denn was anderes hätte Ärger bedeutet.

Es mußte so um ein Uhr Nachts gewesen sein, als Julius den leisen Ruf eines Käuzchens hörte. Der mit Eulenpost vertraute Zauberschüler war sogleich hellwach und lauschte in die Nacht hinaus. Doch der leise Ruf war nicht mehr zu hören. Er dachte an Gulliver, den Postkauz von Cynthia Flowers oder an Chackie, das weiße lachende Tölpelweibchen von Aurora Dawn. Er stand leise auf und ging ans Fenster. Dort war nichts zu erkennen. Er entriegelte es so leise wie möglich, zog es noch leiser auf und blickte hinaus. Kalte Frühlingsnachtluft wehte ihm um das Gesicht, und er konnte einige helle Sterne erkennen, die trotz der nahen Stadtbeleuchtung noch zu sehen waren. Dann schaute er zu einer Buche hinüber, die in der Nähe des Hauses gepflanzt war. Dort erkannte er fünf sich bewegende Schatten, die lautlos herumflogen, wie Flugzeuge in einer Warteschleife. Julius dachte darüber nach, was das ganze zu bedeuten hatte, als aus einem Fenster über seinem ein kleiner grauer Schatten heraushuschte, zu dem Baum hinüberstrich und dann mit hohem Tempo davonflog, während einer der um den Baum kreisenden Schatten auf das Haus Winston-Churchill-Straße 13 zugeflogen kam. Julius erkannte nun den Umriß einer Waldohreule und sah deren Augen funkeln, als sie durch das geöffnete Fenster im Zweiten Stock in das zweite Gästezimmer hineinglitt, wo Joe Brickstons Schwiegermutter schlief.

"Höchst interessant", dachte Julius und stand starr wie versteinert da und beobachtete, wie der Eulenvogel nach wenigen Minuten das Zimmer wieder verließ, ebenfalls um den Baum herumstrich und davonflog, in eine andere Richtung, als der Vogel vorhin. Wieder kam einer der nun noch vier Vögel aus der Wartestellung und flog in das Fenster des Gästezimmers ein. Alles ging außerordentlich leise zu. Kein Licht fiel aus dem Fenster auf die Straße. Julius vermutete, daß die Empfängerin der Eulenpost eine kleine Kerze benutzte, um gerade genug Licht für ihre Post zu haben.

"Da hat doch Joe Brickston tatsächlich recht gehabt. Und das mit dem Computer war also auch kein Zufall", dachte Julius und grinste triumphierend. Er beobachtete, wie ein Eulenvogel nach dem anderen ins Gästezimmer hinein und wieder herausflog, bis keine Eule mehr im Baum saß. Julius wartete noch einige Minuten, bevor er das Fenster übervorsichtig wieder schloß. Er war nun so wach, als habe er zwei Schöpfkellen von Snapes Aufputschtrank geschluckt. Er fragte sich, ob man im Zaubereiministerium wußte, daß Madame Faucon hier übernachtete und mit ihrer Tochter und Enkeltochter war. Falls ja, so war klar, warum Julius keinen Verwarnungsbrief bekommen hatte, als Babette ihre unentwickelte Zauberkraft an seinem Computer ausgelassen hatte. Er fragte sich, ob seine Mutter das wissen sollte, daß ihre Gäste aus einem Muggel und zwei ganzen und einer Viertelhexe bestanden. Seinem Vater hätte er damit bestimmt einen Herzinfarkt an den Hals jagen können. Doch wie würde die alte Hexe reagieren, wenn Julius durch irgendwas erkennen ließ, daß er ihre Eulenpost mitbekommen hatte. Dann fragte er sich, wieso die Eulen nicht einzeln erschienen waren, wie es sonst üblich war. Wieso hatten sich fünf Tiere im Baum aufgehalten, während eines Nachrichten zustellte und Antworten mitnahm? Ihm fiel nur eine Antwort ein: Die Dame war irgendein hohes Tier in der französischen Zaubererwelt, daß sie mehrere Eulen gleichzeitig unterhielt. Er schmunzelte bei dem Gedanken, daß das Zaubereiministerium von England vielleicht eine Eule geschickt hatte, die eine Nachricht gebracht hatte, daß jemand einen Computer-K.O.-Zauber angewendet hatte. Aber dann - Julius verging das Schmunzeln sofort wieder - könnte sie auch erfahren haben, daß dieses Haus deshalb unter Beobachtung des Ministeriums stand, weil hier ein Hogwarts-Schüler wohnte, der per Gesetz nicht zaubern durfte.

"Tun wir erst einmal so, als wüßte keiner von den achso dunklen Umtrieben des Anderen", beschloß Julius für sich. Er mußte nur aufpassen, daß er nicht mit der alten Hexe alleine war. Nachher kam die noch auf dumme Ideen, von wegen, ihre Eigenheit dürfte nicht bekannt werden. In diesem Moment wünschte sich Julius, selbst eine Posteule zu haben, um Gloria oder Kevin, vielleicht auch die Hollingsworths anzuschreiben, wie er sich am schlauesten verhalten sollte. Aurora Dawn wäre zwar die bessere Adresse, aber zu weit weg. Dann dachte er beruhigt, daß sich das in zwei Tagen erledigt hätte.

Nach einer kleinen Ewigkeit fand Julius zurück in den Schlaf. Er träumte von Professor McGonagall, wie sie seine Eltern besuchte und seines Vaters Revolver in ein harmloses Sofakissen umhexte. Gleich darauf trat Madame Faucon durch die Tür zur Küche ins Wohnzimmer und sah die Verwandlungslehrerin an. Dann sagte sie etwas auf Französisch oder einer anderen für Julius unverständlichen Sprache, worauf Professor McGonagall eine Antwort in jener Fremdsprache gab. Dann verschwanden beide wieder, und Joe Brickston kam hereingelaufen und rief:

"Meine Frau ist eine Hexe! Sie hat mich belogen!" Dann hörte Julius wieder den nächtlichen Schrei, der ihn nach dem Quidditchmatch Gryffindor gegen Ravenclaw geweckt hatte und sah Sirius Black mit seinen langen Haaren auf ihn zulaufen, mit einem langen Messer in der rechten und einem Zauberstab aus schwarzem Holz in der linken Hand.

"Weg da, Kerl!" Rief der Mörder aus der Zaubererwelt und schwang den Stab gegen Julius. Julius schrak zusammen und stürzte unvermittelt in ein schwarzes Loch, das in seinem Bett in der Winston-Churchill-Straße endete. Schweißgebadet streckte er sich und versuchte, den bösen Traum aus dem Kopf zu verscheuchen. Er sah auf seine Uhr und stellte erleichtert fest, daß in einer halben Stunde acht Uhr am Morgen des Ostersamstags war. Das war eine gute Zeit zum Aufstehen, fand Julius.

Er war nicht der Erste, der die Küche betrat, um zu sehen, ob er schon was erledigen konnte. Catherine Brickston stand bereits vor der Kaffeemaschine und hantierte mit einer Filtertüte, die bereits mit schwarzem Kaffeepulver gefüllt war. Julius sah ihr neugierig zu, wie sie die Filtertüte in den Plastikfilter einsetzte, den Filter in die dafür vorgesehene Halterung klemmte und die Glaskanne zum auffangen des Kaffees darunterstellte, bevor sie den Einschaltknopf drückte.

"Entschuldigung, Catherine! Du hast den Stecker noch nicht reingesteckt. Mum zieht ihn immer raus, wenn der Kaffee durchgelaufen ist, damit die Maschine nicht andauernd unter Strom steht."

"Olala! Danke, Julius!" Sagte Catherine Brickston in akzentfreiem Englisch und schloß die Kaffeemaschine an das Stromnetz an. Sofort leuchtete die rote Lampe über dem Schalter, und erste blubbernde und gurggelnde Geräusche waren zu hören.

"Ich mach das immer auf dem Herd und mit anderen Filtern. Richtig heißes Wasser gibt Kaffee einen besseren Geschmack", sagte die Frau von Joe Brickston. Julius ging derweil an die elektrische Brotmaschine und fragte:

"Was esst ihr so für Brot? Wir haben dunkles und weißes da. Und ich könnte sogar Toasts rausholen."

"Maman ißt nur richtiges Baguette. Sie ist sehr traditionsbewußt. Aber für Joe darfst du dunkles Brot abschneiden."

"Hmm, ob wir Baguette haben? Denke nicht, tut mir Leid."

"Meine Mutter hat immer zwei große Baguettes mit, wenn sie für mehrere Tage ins Ausland fährt. Sie wird wohl damit auskommen", beschwichtigte Catherine Brickston. Julius warf die elektrische Brotmaschine an und schnitt für sich und seine Mutter je drei Scheiben von dem weißen brot und für Joe ebenso viele von dem dunklen Brot ab. Er fragte:

"Wo ist Babette?"

"Sie und Joe schlafen noch. Ich bin eine, wie heißt das, frühe Aufsteherin", antwortete Catherine Brickston.

"Ich eigentlich auch. Aber wenn ich lange auf war, muß ich auch mal länger schlafen, vor allem nach einer harten Trainingsstunde Sport." Julius hatte es gerade noch verhindert, "Quidditchstunde" zu sagen.

"Und was macht ihr da so?"

"Ballsport, Laufen, Springen, Werfen und Turnen. Unsere Trainingsstunden sind immer überraschend", sagte Julius und schaffte es, sich hart an der Wahrheit entlangzuhangeln, ohne sie zu sagen. Er sah Catherine Brickston dabei zu, wie sie für Babette einen Topf mit Kakao auf den Herd setzte.

"Ich habe gehört, dein Computer ist gestern kaputtgegangen, Julius?"

"Ja, ist er. Joe wollte die Reparatur bezahlen, aber ich denke, daß es ein Fehler im Kraftwerk war, der das Ding außer Gefecht gesetzt hat. Das läuft dann über die Versicherung gegen Blitzschlag", antwortete Julius schnell, um nicht wieder daran denken zu müssen, daß er sich sicher war, daß Babette den Computer mit einer intuitiven Hexerei ausgeschaltet hatte, weil sie nicht mehr damit spielen durfte.

"Die sind auch viel zu kompliziert, diese elektronischen Geräte. Ich bevorzuge Bücher und Briefe. Hat auch irgendwas persönliches, wenn du einen Brief bekommst, den jemand mit der Hand geschrieben hat, oder?"

"Das ist wohl richtig. Meine Eltern schreiben meistens nur noch auf Computern und lassen das Zeug dann über einen Drucker laufen. Meine Freunde kriegen meistens handgeschriebene Briefe."

"Dann wirst du wahrscheinlich häufig bemitleidet, oder?"

"Sie nennen mich den Jungen mit den Maschinenbriefen", gab Julius zu, weil er dachte, daß diese Aussage nichts über seine Schule verraten konnte.

"Bonjour, ma Fille! Comment vas tu?" Meldete sich eine leicht verschlafen klingende Frauenstimme von der Küchentür her. Catherine grüßte zurück:

"Halló, Maman! Très bien!" Julius grüßte ebenfalls mit "Bonjour, Madame Faucon" und wandte sich dann dem Vorratsschrank zu, wo die Marmeladengläser verstaut waren. Da er davon ausging, daß Babette von der Schokocreme haben wollte, die seine Mutter eingekauft hatte, stellte er den bunten Becher heraus und holte für sich das Glas mit der Aprikosenmarmelade heraus.

Madame Faucon zeigte auf den Becher mit der Schokoladencreme und fragte was. Catherine antwortete und erhielt eine Gegenantwort.

"Meine Mutter will das Zeug probieren. Sie traut der englischen Nahrungsmittelchemie nicht."

"Wie sie will. Frage sie bitte, ob sie ein Stück Brot dazu haben möchte oder nur einen kleinen Löffel voll probieren will!"

Nach einem kurzen Frage- und Antwortspiel auf Französisch sagte Catherine, daß ihre Mutter einen Löffel voll probieren wolle. Julius holte einen Teelöffel aus der Schublade und schaufelte damit eine kleine Portion von der Schokocreme aus dem Becher. Dann reichte er der dunkelhaarigen Hexe aus Frankreich den Löffel. Sie leckte die Schokocreme ab, machte ein etwas betretenes Gesicht und gab den Löffel zurück. Julius warf ihn wie beiläufig in das Spülbecken.

"Sie traut dem ganzen nicht, Julius. Da ist zuviel künstliches Zeug drin, sagt sie", erläuterte Catherine, als ihre Mutter ihr etwas gesagt hatte.

"Kann ich nichts für", meinte Julius. "Wäre auch für Babette gewesen."

Catherine übersetzte, und Madame Faucon lamentierte: "Pas pour la petite! Je ne veux pas qu'elle mange cela!"

"Hat Sie verboten, daß die Kleine was davon haben darf?" Fragte Julius vorlaut.

"Ja, hat sie. Sie ist da sehr eigen."

"Aber du bist doch die Mutter. An und für sich verbieten Mütter ihren Kindern das, was sie dann von den Großmüttern kriegen. War zumindest bei mir so."

Catherine lachte und übersetzte schnell. Madame Faucon lachte auch und erwiderte etwas. Dann sagte Catherine: "Sie meint, ich wäre schon zu sehr mit einem Techniker verbunden, als daß ich noch echte Speisen zu schätzen wüßte. Daher wäre das bei uns genau umgekehrt. Die Marmelade, ist die echt?"

"Könnte Industriezucker drin sein", antwortete Julius gelangweilt, als würde ihn nicht interessieren, was er aß.

"Das sage meiner Mutter besser nicht", erwiderte Catherine Brickston.

"Anspruchsvoll, diese alte Hexe", dachte er bei sich und war so klug, nicht in die Richtung zu sehen, wo die ältere Dame stand. Dadurch entging ihm jedoch, wo die Besucherin, die in stockfinsterer Nacht einen regen Eulenpostverkehr betrieben hatte, die kleine Messingschale mit den frischen Aprikosen hergeholt hatte.

"Interessant. Wie ist sie denn daran gekommen?" fragte Julius ernsthaft neugierig und deutete auf die frischen gelben Früchte.

"Die hat sie mitgebracht", sagte Catherine, und ihr war anzuhören, daß es ihr peinlich war, darauf antworten zu müssen. Madame Faucon hielt Julius die Messingschale hin und machte mit der freien Hand eine einladende Handbewegung. Julius blickte fragend auf den Inhalt der Schale, erhielt ein Kopfnicken zur Antwort und fischte eine Aprikose heraus.

Sie schmeckte erfrischend, genau richtig abgestimmt süß und sauer. Julius machte Mmmm und nickte zustimmend, als müsse er gleich die Frage beantworten, wie gut ihm das schmeckte.

"Wo erntet ihr die Aprikosen?" Fragte Julius.

"In unserem Garten", erwiderte Catherine Brickston. "Da haben wir viele Obstsorten und Gemüsebeete, und Maman hat sogar noch einen größeren Garten bei sich zu Hause."

Julius beendete die Vorbereitungen des Frühstücks, indem er Butter und Milch aus dem Kühlschrank holte und auf dem Küchentisch bereitstellte. Als er gerade sehen wollte, ob er den Teekessel aufsetzen konnte, klingelte das Telefon.

Julius schlüpfte an der älteren Dame vorbei nach draußen und eilte fast geräuschlos zum Apparat und grabschte nach dem Hörer, bevor das Telefon eine Chance hatte, ein drittes Malzu klingeln.

"Andrews!" Meldete er sich.

"Hallo, Julius! So früh auf?" Klang Gloria Porters Stimme durch den Hörer, klar aber nicht zu laut.

"Huch, was treibt dich denn an den Apparat?"

"Ich lese gerade die neue Hexenwoche. Vielleicht interessiert es dich, daß im Moment eine hochrangige Vertreterin von Beauxbatons in England Urlaub macht. Du erinnerst dich noch an Beauxbatons?"

"Selbstverständlich, Gloria", erwiderte Julius und peilte durch den Flur in Richtung Küche, wo sich die beiden Gäste gerade in ihrer Muttersprache eine kleine Diskussion lieferten.

"Okay, ich lese dir das mal vor, da unsere Posteule gerade hinter meinem Dad nach Litauen hergeflogen ist.

"Wie uns gestern erst über verschlungene Pfade bekanntgemacht wurde, ist Professeur Blanche Faucon, Trägerin des Ordens "Reine des Sorcières" und des Ordens der Merlin erster Klasse, stellvertretende Schulleiterin der Akademie von Beauxbatons, Lehrerin für Verwandlung und Verteidigung gegen die dunklen Künste, für die Osterfeiertage mit ihrer Tochter und ihrem Muggelschwiegersohn, sowie ihrer sechs Jahre alten Enkeltochter Babette zu Besuch bei einer mit dem Muggel befreundeten Familie in London, um, wie wir aus gut unterrichteten Quellen erfuhren, das Alltagsleben englischer Muggel hautnah zu erleben. Sie sagte unserem Frankreichreporter Claude Renard wörtlich: "Ich muß doch endlich mal sehen, ob an den ganzen Vorurteilen was dran ist, daß die Muggel sich mit künstlicher Nahrung vergiften und nur mit Hilfe von Elektrizität ihr Leben bewältigen können. Auch wird es mal interessant sein, mit einem Muggelwagen zu fahren."" Soviel, Ladies und Gentlemen, die allgemeine Presseschau!" Beendete Gloria die Vorlesung.

"Na und?" Fragte Julius, der versuchte, Gloria von dem Gedankenpfad wieder abzulenken, auf dem sie bereits wandelte.

"Herzlichen Glückwunsch! Du darfst mit einer der renommiertesten Hexen Europas am Tisch sitzen und mit ihr zusammen speisen. Also benimm dich ja anständig!"

"Woher willst du wissen, daß wir damit gemeint sind?"

"Weil du Schlaumeier mir bei meinem Besuch erzählt hast, daß ihr Besuch von einem Studienfreund deiner Mutter kriegt, der eine Französin geheiratet hat und eine Tochter namens Babette hat. Und meinen Eltern hat deine Mutter auch erzählt, daß ihr Freund nicht sicher sei, wieso seine Frau so wenig Ahnung von Technik hätte, wo doch selbst sie, also meine Eltern, genug davon verstehen, um nicht aufzufallen", begründete Gloria ihren Gedanken und brachte Julius dazu, kurz zu seufzen.

"Gloria, du weißt, daß jemand im wilden Westen erschossen wird, der soviel denkt wie du?"

"Von dir? Nicht, daß ich wüßte. Ich frage mich nur, ob ich nicht Pina, Gilda und den Hollingsworths schreiben soll, daß du gerade hohen Besuch hast."

"Dann kriegtest du Ärger, denke ich. Nicht nur mit jener Person selbst, sondern auch mit einigen unserer hohen Herrschaften, vielleicht mit noch höheren Herrschaften und vor allem mit mir."

"Ich kriege ja Angst", spöttelte Gloria und lachte.

"Angenommen, du hast recht. Käme der Prominente alleine klar, oder bräuchte der Hilfe bei irgendwas?"

"Wie? Achso! Du meinst, ob sie Englisch kann oder einen Übersetzer braucht. Dann will ich dir mal eben die Liste vorlesen, die hinter dem Artikel angehängt ist:

"Professeur Blanche Faucon, Geburtsdatum geheim, unterrichtet an der Akademie Beauxbatons Verwandlung, Materialisation und Verteidigung gegen die dunklen Künste von der ersten bis zur Abschlußklasse. Gilt als sehr streng, aber nicht demütigend. Beherrscht außer ihren Lehrfächern noch Zaubertränke und Besenflug, ist ein eingetragener Animagus, wobei aus Gründen des Datenschutzes keine Details über die Tiergestalt bekannt sind. Sie ist seit vierzehn Jahren Witwe von Hugo Faucon, der durch einen Angriff von Getreuen von Du-weißt-schon-wem zu Tode kam. Aus der Ehe ging eine Tochter hervor, Catherine, die als Zaubergeschichtlerin tätig ist und im französischen Zaubereiministerium als Sachverständige für Artefakte der dunklen Kräfte arbeitet. Sie ist Mitglied in der Academie Française, der Vereinigung zur Pflege der französischen Sprache und Kultur, sowie Mitglied in der europäischen Vereinigung akademischer Zauberei und Ehrendoktorin der Universität Oxford, wo sie zwei Jahre lang die englische Sprache studiert hat. Neben ihrer Muttersprache Französisch und Englisch beherrscht die Professorin Deutsch, Spanisch, Italienisch, Portugiesisch, Arabisch, Gälisch, Ungarisch, Russisch, Koboldisch, Nichsisch und Griechisch. Hinzu kommt eine umfassende Kenntnis alter Runen, sowie ägyptischer Hieroglyphen, Astronomie und Zauberkunst. Ihre Hobbies sind Gartenbau, magisch und nichtmagisch, Schach, Kochen, Geige, Cello und französische Muggelliteratur, vor allem Philosophie."

Wie gesagt, ich kann dir nur meinen tiefsten Neid und meinen herzlichsten Glückwunsch bekunden."

"Ich habe mir schon sowas gedacht, Gloria. Mach dir keine Sorgen, ich langweile mich schon nicht."

"Okay, Julius! Grüße mir deine Mutter. Meine Mum war ja schwer begeistert von ihr."

"Andersrum war es genauso, Gloria. Grüß mir deine Eltern auch schön!"

Es klickte im Hörer. Julius wußte, daß Gloria aufgelegt hatte. Also legte auch er den Hörer wieder auf den Telefonapparat zurück, Gerade noch rechtzeitig, um mitzubekommen, wie Babette um die Ecke schoß und direkt auf ihn zurannte.

"Buuuuh!" Rief sie laut.

"Uuuuuaaaah!" Brüllte Julius wie ein gereizter Löwe und fing das kleine Bündel mit zwei Zöpfen ein.

"Loslassen!" Verlangte Babette.

"Wiesooo?" Fragte Julius mit stöhnender Stimme, die wie das Geheul eines Geistes auf Spuktour klang.

"Weil ich das will", erwiderte Babette und strampelte. Julius paßte auf, daß sie ihn nicht beißen konnte. Er drehte sie mit dem Rücken zu sich und hielt sie hoch und weit ausgestreckt. Und unvermittelt entglitt sie ihm, als wäre plötzlich alle Kraft aus seinen Armen verschwunden.

"Hups!" Rief Julius aus. Er hätte fast gerufen, daß sie nicht mit Zauberei kämpfen durfte. Doch er konnte sich noch beherrschen.

"Babette, viens hici!" Erscholl die gestrenge Stimme von Madame Faucon.

"Die Stimme deiner Herrin, kleines Biest", grummelte Julius, als das Mädchen mit fliegenden Zöpfen in die Küche rannte.

Mit verschlafener Miene trottete Joe Brickston die Treppe herunter und sah Julius.

"Wie geht's?" Fragte er und gähnte.

"Ich bin schon seit einer Stunde auf, du Langschläfer", erwiderte Julius frech.

"Na und. Ich habe mir das überlegt mit deinem Computer. Ich denke, die Festplatte ist nicht gelöscht. Ich bau sie dir aus und steck sie in einen schnelleren Rechner mit 4 Megabyte mehr Arbeitsspeicher. Dann haben wir das aus der Welt, oder?"

"Weiß ich nicht. Ich bin nach Ostern ja nicht da, um die Karre probezufahren", wandte Julius ein.

"Ja, aber ich gehe davon aus, daß es meine Schuld war, daß der Rechner ausgefallen ist, Julius. Deshalb ..."

"Venez vitement!" Rief Madame Faucon aus der Küche.

"Wo ist denn deine Mutter?"

"Weiß ich doch nicht. Ich hab' gerade noch mit einer Schulkameradin telefoniert. Mum müßte eigentlich schon fertig sein."

"Weil die alte Sorcière schon das Kommando übernommen hat."

"Ist wohl ihre Mentalität. Könnte 'ne Lehrerin von uns sein. Die kann das auch. Die kommt rein, kuckt, und alles ist ruhig."

"Aber die könnte nicht, ... aber lassen wir das", sagte Joe Brickston. Julius hätte doch zu gerne gehört, wass die angeblich so tolle Hexe von Beauxbatons mit Leuten anstellte, die nicht spurten. Aber vielleicht, so fiel ihm ein, wollte er das doch nicht wissen. Nachher bekam er auch noch Angst vor der Dame. Und das wollte er sich wirklich nicht antun.

Als Julius hinter dem eilfertig der Küche zueilenden Joe Brickston durch die Küche ins Esszimmer ging, wartete Martha Andrews schon. Sie hatte die Teller und Tassen auf den langen Tisch gestellt. Dort, wo bei Besuchen von Gästen Julius' Vater saß, am Kopf des Tisches, hatte sich die ältere Dame mit dem dunklen Haar hingesetzt. Julius mußte sich anstrengen, nicht einmal durch ein zuckendes Augenlid zu verraten, was in ihm vorging. Einerseits dachte er, daß seine Mutter aus Höflichkeit der ältesten am Tisch den Ehrenplatz zugestanden hatte. Andererseits konnte es auch sein, daß sie ihn sich ohne Einspruch von irgendeiner Seite angeeignet hatte. Julius setzte sich links neben Babette, die ihm schnell noch einen giftigen Blick zuwarf, um dann auf den Tisch zu starren, wo drei Marmeladengläser und eine Messingschale mit frischen Aprikosen standen. Julius sah zu seiner Mutter herüber, dann zu Madame Faucon, die nickte, um dann nach drei Aprikosen zu greifen, die er mit seinem Messer kunstgerecht zerteilte und sich auf ein Stück Brot ohne Butter legte.

"Sag deiner Mutter, daß ich nicht wußte, daß sie frisches Obst auf dem Tisch haben wollte, Catherine!" Bat Martha Andrews.

"Sie meinte, daß sie als Gast gewisse Aufmerksamkeiten beisteuern wollte", sagte Catherine Brickston.

"Das ist ihr gelungen", erwiderte Julius' Mutter und fügte ein ehrliches "Mercie, Madame" hinzu.

Martha Andrews fragte, ob sie das Radio einschalten dürfe und bekam von Joe und Catherine die Erlaubnis, bevor Catherine die Frage ihrer Mutter übersetzt hatte. In den Nachrichten ging es um diverse innenpolitische Ereignisse, um eine vorgeschlagene Konferenz zwischen dem deutschen Bundeskanzler und dem französischen Präsidenten und noch so einiges mehr, daß Julius langweilte. Dann kam noch eine Meldung:

"Der flüchtige Mörder Sirius Black konnte immer noch nicht wieder dingfest gemacht werden. Die Polizei bittet die Bevölkerung weiterhin um ihre Mithilfe, warnt jedoch nochmals davor, daß der entflohene Häftling sich eine Schußwaffe besorgt hat, von der er rücksichtslos Gebrauch machen wird."

"Haben sie den immer noch nicht?" Wunderte sich Martha Andrews. Julius hätte sich fast an einer Aprikose verschluckt.

"Was ist los, Julius? Dieser Kerl geistert doch schon seit September durch die Nachrichten", meinte Martha Andrews.

"Ich dachte nur, daß es irgendwie erschreckend ist, daß den keiner so richtig zu sehen gekriegt hat, um die Polizei zu informieren. Aber vielleicht leben die Zeugen auch nicht mehr", fügte er mit einem Hauch von Grusel in seiner Stimme hinzu. Babette zitterte.

"Was soll denn das. Du machst dem Kind Angst, Julius", sprang Joe Brickston seiner Tochter bei. Julius dachte nur daran, wie nahe ihm Sirius Black schon gewesen war. Zweimal war der Verbrecher in Hogwarts eingedrungen und unbehelligt wieder entkommen. Wer sollte da also mehr Angst haben?

"War nicht so gemeint. Der Typ ist einfach zu clever. Vielleicht kann er sich tarnen", beruhigte Julius das kleine Hexenmädchen.

"Dieser Black ist ein Massenmörder. Babette hat von einem älteren Jungen gehört, daß er viele Leute umgebracht hat."

"Naja, recht hat sie ja", wandte Julius ein, bevor noch irgendwer dumme Fragen stellen konnte, der gemäß einer ihm vor kurzem vorgelesenen Liste alles andere als dumm sein mußte. Julius hatte sich schon vor Glorias warnendem Glückwunsch darauf eingerichtet, daß die ältere Dame über ihn Bescheid wußte. Falls dem so war, herrschte jetzt ein Gleichgewicht des Wissens.

Nach dem Frühstück wollten Martha Andrews und Catherine in die Stadt fahren. Catherine wollte dringend noch einige Geschenke für ihre Freunde in Frankreich einkaufen. Madame Faucon wollte eine Stadtrundfahrt machen, während Babette und ihr Vater Lust auf eine Bootspartie hatten. Julius durfte sich entscheiden, ob er an der Stadtrundfahrt teilnehmen wollte, was er damit ablehnte, daß er mit Joes Schwiegermutter ja nicht sprechen könne, eine langweilige Shopping-Tour machen, die er auch nicht mitmachen wollte, da er ja nicht in die Versuchung geführt werden wollte, Catherine die Winkelgasse zu zeigen. Aber auf eine Bootspartie, noch dazu mit Babette, hatte er schon gar keine Lust. Er sagte, daß er sich mit Lester und Malcolm zum Fußballspielen treffen wollte. Martha überlegte kurz und rief dann bei Lesters Familie an. Dann sagte sie:

"Du kannst zu den beiden. Aber die kommen hier nicht rein, Julius. Nachher passiert noch was, während wir nicht hier sind."

"Okay, geht klar, Mum", versprach Julius und holte schnell seine Fußballspielklamotten, einen alten Jogginganzug und zwei wetterfeste Laufschuhe. Babette plärrte im Wohnzimmer, als Julius loszog, sich mit einem kurzen "au Revoir!" Verabschiedete und im Hinausgehen noch rief:

"Ich komme um eins wieder, Mum!"

Julius freute sich. Einerseits konnte er mal wieder bodenständigen Sport machen. Andererseits war ihm die Gelegenheit willkommen, von dieser Professeur Faucon wegzukommen. Er verstand zumindest, was Joe meinte. Diese Frau strahlte eine unheimliche Willensstärke und Macht aus, obwohl er von ihrer Hexenkunst gerademal ein halbes Dutzend Eulen und eine aus dem Nichts geholte Obstschale mitbekommen hatte. Er dachte, daß sie wohl ein Versteckspiel mit ihm spielte und wartete, bis er herauskam und sagte, daß er ein Zauberer sei und sie ihm ruhig gestehen könne, daß sie eine Hexe sei. Ein gewisses Grinsen überkam Julius, wenn er daran dachte, daß sein Vater den Brickstons sofort Hausverbot erteilt hätte, wenn er gewußt hätte, wie nahe die Zaubererwelt wieder an seine Familie gerückt war. Julius griff in seine linke Joggingjackentasche, wo er sechs von den Wunderbonbons von Melinda Bunton verstaut hatte, bevor er aus dem Zimmer gekommen war. Er dachte zwar, daß er sie nicht brauchte. Aber seit der zweiten Begegnung mit einem Dementor im Zug nach Hogwarts war er froh, immer welche dabei zu haben. Er dachte an Knoblauch und Silberkreuze, die nach dem Glauben der Muggel Vampire und andere Dämonen zurücktreiben konnten. In einigen Fällen sollte das auch klappen, hatte Lupin erzählt. So wie Knoblauch gegen Vampire waren für ihn die Bonbons gegen Dementoren, solange er diesen Schutzpatron nicht beschwören konnte, den Harry Potter von Lupin gelernt hatte.

Er legte einen strammen Lauf zu Lesters Haus hin, das an einer U-Bahn-Haltestelle lag. Lester wartete schon auf ihn. Auch Malcolm war bereits im Anmarsch.

"Bi-ba-Bubblegum!!" Schrien sich die drei an.

"Na endlich wieder was gemeinsames. Weihnachten war wieder ziemlich heftig mit buckliger Verwandtschaft überfrachtet", maulte Malcolm. Dann ging es zum nahegelegenen Sportplatz. Malcolm hatte seinen beliebten Lederfußball mitgebracht.

"Wie spielen wir? Einer im Tor und zwei davor?" Wollte Julius wissen.

"Geht wohl nicht anders."

"Okay, dann los!" Rief Lester.

Die nächste halbe Stunde wurde eifrig drauf los Fußball gespielt. Einer spielte Torhüter, der zweite Verteidiger und der Dritte Angriff. So wechselten sie sich ab. Malcolm, der als erster im Tor stand, kassierte von Julius zwei Treffer hintereinander. er konnte sich immer noch so schnell auf den Füßen bewegen, daß die beiden Freunde nicht rechtzeitig an den Ball kamen. Julius freute das. Er hatte schon befürchtet, ohne Besen keinen brauchbaren Sport mehr betreiben zu können. Als Julius Torhüter spielte, hätte er fast eine Dreierserie von Malcolm kassiert, der im Angriff spielte. Doch er konnte die auf seinen Kasten abgeschossenen Bälle immer wieder abfälschen oder richtig fangen. Zwei Tore mußte er jedoch hinnehmen, bevor Lester in das Tor ging. Julius spielte Verteidiger und schaffte es, Malcolm ohne Foul den Ball immer wieder kurz vor dem Schuß abzujagen.

"Sag mal, wer hat dich denn so eingeölt, Julius. Ich dachte, ihr Eierköpfe macht nur Denksport", beschwerte sich Malcolm darüber, daß er Julius haushoch unterlegen war.

"Denken ist Glückssache, und Glück hat nicht jeder", erwiderte Julius und ließ den Ball kurz auftitschen, um ihn dann per Kopfstoß fast über den halben Platz zu feuern.

"Wau! Der alte Zauberer von der Churchill-Straße hat wieder eine Probe seiner schwarzen Magie gegeben", sagte Malcolm. Diesen Ausspruch nutzte Julius, um etwas zu prüfen, was ihn schon lange beschäftigte. Er hatte damals Moira und den beiden erzählt, daß er Briefe von Hogwarts bekommen hatte. Doch die Schule wollte geheim bleiben. Professor McGonagall hatte sie dabei belauscht, wie sie sich über diese Zauberschule unterhalten hatten. Julius wollte prüfen, ob die beiden noch etwas wußten.

"Habe ich euch von dem Freund erzählt, dem irgendein Ulkmensch geschrieben hat und behauptet hat, er sei ein Zauberer und müsse das an einem bestimmten Ort lernen?"

"Höh?! Nöh!" Antworteten Malcolm und Lester. "Du hast uns nur erzählt, daß du wohl nicht nach Eton gehen kannst, was auch besser für dich ist, Freund. Von dem Typen, der angeblich zaubern können sollte, weiß ich nichts mehr, falls du uns das wirklich erzählt hast."

"Okay! War auch nur ein dummer Jux. Der Knabe ging zu einer Adresse, wo er als Einstand einen angeblichen Hexentanz aufführen sollte. Dabei wurde er gefilmt und abends in einer Show mit versteckter Kamera gezeigt. Also laßt euch nicht veralbern, wenn einer kommt und sagt, er habe einen echten Zauberer an der Hand."

"Ich steh sowieso mehr auf Hexen", meinte Lester. Und als hätte er dieses Stichwort gebraucht, um etwas anderes loszuwerden, sprudelte es sofort aus ihm heraus:

"Apropos Hexen. Seitdem Moira in dieser höheren Mädchenschule eingebunkert ist, zickt die nur noch rum und spielt sich auf, wie ein Professor von sechzig Jahren. Allein schon die Sprache von der solltet ihr euch mal reinziehen."

"Habt ihr eigentlich mal wieder eine Rollenspielsitzung gemacht?" Fragte Julius, der sich noch gerne daran erinnerte, das die drei vor einem Jahr noch mysteriöse Geschichten von Rittern und Zauberern nachgespielt hatten.

"Nein, eigentlich nicht. Wir haben uns mit unseren Mitschülern nicht sonderlich gut angefreundet. Einige von denen sind gut drauf, aber andere dafür völlig abgedreht", stellte Malcolm fest.

"Bei uns sind sie auch nicht daran interessiert", stellte Julius wahrheitsgemäß fest. Denn was sie betrieben, war durch kein Spiel zu überbieten.

"Wir haben dafür viele Bücher und Comics gelesen. Unsere Lehrer waren zwar immer hinter uns her, daß wir diesen unwirklichen Schund nicht konsumieren sollten, aber die Romane, die unsere Englischlehrerin empfohlen hat, waren eher zum einschlafen als spannender Lesestoff", sagte Lester und holte, wie auf ein Stichwort einen kleinen abgegriffenen Band aus seiner kleinen Tragetasche, in der noch Schreibzeug, Streichhölzer und eine Garnrolle steckten.

"Der Foltergarten des Imperators Cruelloch", prangte in blutroten Buchstaben auf dem Titelbild, daß einen Astronauten im Raumanzug und ein kleines Mädchen mit silbernen Haaren zeigte.

"Ist das neueren Datums?" Fragte Julius, der seinen Blick nicht von dem auf dem Hintergrund des Titelbildes dargestellten Raumschiff abwenden konnte, das einem langezogenen Düsenflugzeug ähnelte, ähnlich der Concorde.

"Der Kram ist vor einem halben Jahr aufgelegt worden. Der Typ im Raumanzug heißt Scorpio Taurus. Die Kleine da ist Selene Vesta, eine Sternenprinzessin mit parapsychischer Heilkraft, Telepathie und sehen von Unsichtbarem ausgestattet, während Scorpio ein Ultranthrop ist, der so stark ist wie Hercules. Die wollen den als neue Superheldenfigur nach Flash Gordon und Superman herausbringen. Sie haben es auf jeden Fall geschafft, ein Comic in ein Textbuch umzuschreiben. Lies dir das ruhig durch und schicke mir dann mal deine Eindrücke davon", bot Lester Julius das Buch an. Julius ließ es in seiner zweiten Jackentasche verschwinden und konnte noch den Reißverschluß schließen.

"Das darf ich Paps nicht zeigen, sonst beschlagnahmt der das noch. Und ich weiß auch nicht, wie unsere Lehrer drauf anspringen. Deshalb sollte ich es bis Dienstag durchgelesen haben", beschloß Julius.

Die drei Freunde spielten noch eine Weile fußball, allerdings nicht mehr so ausgiebig. Sie paßten sich den Ball zu, schossen Elfmeter ins leere Tor oder übten Kopfballspiel. Dann meinte der Hogwarts-Schüler zu seinen ehemaligen Klassenkameraden:

"Wenn ich noch duschen will, bevor Mum das Essen fertig hat, muß ich nach Hause, Jungs."

"Alles klar, Julius. War schön, wieder mal mit dir was unternommen zu haben", bekundete Malcolm seine Freude. Lester pflichtete ihm bei, daß er mal wieder mit einem guten Kumpel zusammen ohne großes Gelaber Fußball gespielt hatte.

Julius begleitete die zwei alten Freunde noch nach Hause, dann kehrte er zum Haus seiner Eltern zurück. Er sah beim Betreten des Hauses auf die Uhr im Flur und verglich sie mit seiner Armbanduhr. Beide zeigten eine halbe Stunde vor ein Uhr. Er meldete sich mit einem lauten "Ich bin wieder da!" zurück. Doch seine Mutter war noch nicht wieder vom Einkaufen heimgekehrt. So stieg er zu seinem Zimmer hinauf, zog sich die durchgeschwitzten Joggingsachen aus, holte die Befreiungsbonbons und das ausgeliehene Science-Fiction-Buch aus den Taschen und verstaute sie wieder sicher außerhalb der Sicht- und Griffhöhe von Babette. Dann nahm er eine kurze Dusche und zog seine Alltagskleidung wieder an. Gerade, als er damit fertig war, schaltete Julius den Computer ein, bevor ihm einfiel, daß der durch irgendwas kaputtgegangen war. Doch der Rechner startete ordnungsgemäß, testete die Laufwerke und lud das Betriebssystem. Julius wunderte sich nur einen kurzen Moment. Dann schwante es ihm, daß die Professorin aus Frankreich wohl ihre weit besser entwickelten Hexenkünste auf den Computer angewandt und diesen wieder repariert hatte. Julius prüfte, ob die Daten auf der Festplatte noch in Ordnung waren, war beruhigt, daß noch alles gespeichert war, was vor dem Ausfall auf der Festplatte war und las kurz die E-Mail von Moira, die er gestern nachmittag abgeholt und einstweilen abgelegt hatte. Moira schrieb:

 

Hallo, Julius!

Ich hoffe, du verlebst gute und erholsame Osterfeiertage bei deinen Eltern. Da ich, wie bereits beschrieben, an einem Referat über das Mittelalter arbeite, verfüge ich selbst nicht über genug Zeit der Muße und Erholung. Meine Mutter befindet sich gerade auf einer journalistischen Auslandsreise, während mein Vater einer Sache nachgeht, die eventuell, so ließ er durchblicken, das Weltbild der Geschichtsforschung um eine Tatsache erweitern wird, die bislang als pure Legende anerkannt wird. Näheres hierzu darf ich jedoch nicht preisgeben, da die Ermittlungsarbeit weder zufriedenstellend beendet, noch irgendetwas vorab veröffentlicht werden darf, bevor mein Vater sich nicht bereiterklärt, seinerseits die Medien in Kenntnis zu setzen.

Falls es meine Zeit wider erwarten doch noch zuläßt, möchte ich anfragen, ob ich Sonntag Nachmittag nicht bei euch zum Tee vorbeikommen kann, um mal wieder unter Leute zu kommen. Da eure Schule ja merkwürdigerweise nicht über modernste Kommunikationseinrichtungen verfügt, war es dir ja nicht möglich, mit mir in Kontakt zu bleiben. Daher verstehst du wohl meine Neugier, wie es dir bislang ergangen ist.

Ich werde anrufen, falls sich für mich die Zeit erübrigen läßt, eine Arbeitspause einzulegen.

mit freundlichen Grüßen

Moira Stuard

 

Julius mußte an Malcolm und Lester denken, die behauptet hatten, Moira würde sich zu geschraubt ausdrücken.

"Malcolm und Lester haben recht. Die Moira hebt ab und schwebt immer weiter von uns weg."

Es läutete an der Haustür. Julius fuhr den Computer wieder herunter, schaltete ihn aus und sprang die Treppen hinunter, um zu sehen, wer vor der Tür stand. Er glaubte, Joe und Babette wären schon zurück. Doch vor der Tür stand Madame Faucon, unter dem Arm eine Einkaufstüte aus Jutestoff, wie er sie auch in der Winkelgasse bei älteren Hexen und Zauberern häufig gesehen hatte. Er zögerte, ob er die Tür öffnen sollte, solange seine Mutter nicht daheim war. Doch war es auch unhöflich, einen Hausgast vor verschlossener Tür zu lassen. Er öffnete also.

"Bonjour Julius! Ta Mère et Catherine sont à la maison?"

"Wie bitte?! Catherine ist noch nicht da! Non! Catherine non est hici", quälte sich Julius eine hoffentlich verständliche Antwort ab. Dann ließ er die ältere Hexe herein.

Madame Faucon trug erst ihre Einkaufstüte nach oben zu ihrem Gästezimmer. Dann kam sie herunter, ging schweigend in die Küche und untersuchte ohne weiteres Wort den Inhalt der Küchenschränke. Julius sah ihr zu, wie sie den Kühlschrank öffnete, kurz hineinschaute, den Kopf schüttelte, um dann die Gewürze und Konservendosen zu begutachten. Julius hörte, wie sie bedauernd seufzte und den Schrank wieder schloß.

"Die fällt voll vom Glauben ab", dachte der elfjährige Hogwarts-Erstklässler in aller Stille. Er schaffte es nicht, sein Grinsen schnell wieder aus dem Gesicht zu bekommen, als die altehrwürdige Hexe aus der Küche kam und mit der Hand auf ihn deutete.

"Ou est ta mère, Julius?"

"Das soll wohl heißen, daß Sie wissen wollen, wo meine Mutter ist. Weiß ich nicht", erwiderte Julius langsam und deutlich sprechend. In dem Moment klingelte das Telefon. Julius ging schnell in den Flur und hob den Hörer von der Gabel.

"Andrews", meldete er sich.

"Hallo, Julius. Wir hängen in einem Stau auf der Oxfordstraße fest. Ich habe dein Mobiltelefon dabei gehabt. Gute Idee. Wir können im Moment nicht zurückkommen. Wenn Joe und Babette eintrudeln, kannst du dann eine Tüte Spaghetti aufmachen und kochen? Tomatensoße habe ich noch im Konservenschrank."

"Müßte ich hinkriegen. Haben wir noch italienische Gewürze im Schrank?"

"Ja, sowie geribenen Parmesankäse", antwortete Martha Andrews. Julius wollte gerade was entgegnen, als die ältere Hexe hinter ihm stand und in einem befehlsgewohnten Tonfall forderte: "Je veux parler avec Catherine!"

"Mum, kannst du Catherine kurz das Handy geben? Ihre Mutter möchte wohl was, habe ich ungefähr verstanden."

"Kein Problem."

Julius gab der Hexe aus Frankreich den Telefonhörer und trat mehrere Schritte zurück, bereit, sich die Ohren zuzuhalten, falls Professeur Faucon in den Hörer brüllen würde, wie Aurora Dawn es bei Bill Huxley getan hatte. Doch die ehrwürdige und respekterheischende Dame sprach ganz normal in den Telefonhörer, wenngleich sie etwas verärgert klang. Julius hörte, wie Madame Faucon wenige Sätze sprach und dann auflegte. Julius, der dachte, daß seine Mutter ihn noch mal hätte sprechen wollen, verzog kurz das Gesicht wegen dieser Eigenmächtigkeit der Besucherin. Doch als diese sich zu ihm umdrehte vergaß er diesen Gedanken schnell wieder. Die Zauberkünstlerin aus Frankreich sah ihn aus ihren saphirblauen Augen an, wie jemanden, den sie im nächsten Moment entweder hypnotisieren oder in einem Feuerball verglühen lassen wollte.

Julius erstarrte, als habe jemand den Ganzkörperklammerfluch auf ihn geschleudert. Er sah, wie die Hexe auf die Küchentür deutete und ihm winkte, ihr zu folgen. Da wich die Starre wieder von Julius' Körper. Er folgte wortlos, wie ein stummer Dienstbote seinem Herren. Dabei dachte er daran, daß diese Frau mühelos eine Klasse von hundert Schülern mit einem solchen Blick sofort zur Ruhe bringen konnte und dies wohl auch schon oft getan hatte.

In der Küche öffnete die Hexe den Vorratsschrank, fischte die Spaghetti heraus und holte aus dem Gewürzschrank Origano, Basilikum und Salz. Dann stellte sie die Gewürze wieder zurück und nahm eine Gewürzdose mit Kräutern der Provence heraus, schnupperte, nickte und stellte die Dose neben die rechte vordere Herdplatte.

Julius trat an den Konservenschrank, um Tomatensoße zu holen, wurde jedoch mit einem entschiedenen "Non!" zurückgerufen. Dann sah er, wie die Hexe ganz ungeniert einen Zauberstab aus ihrem Ausgehkleid holte, damit auf das freigeräumte Küchenbord zeigte und ihn kurz durch die Luft sausen ließ. Mit einem kurzen Plopp erschienen fünf große Tomaten, in herrlichem Rotton. Wieder vollführte die Hexe eine Bewegung mit dem Zauberstab und holte dadurch ein Bund anderer Küchenkräuter aus dem Nichts. Eine weitere Zauberei brachte vier Knoblauchzehen, diverse Paprikaschoten und einen kunstvoll gestalteten Pfefferstreuer her. Julius, der nicht zugeben wollte, daß Zauberei für ihn zu den alltäglichsten Dingen gehörte, stieß einen entgeisterten Schrei aus, rief: "Das gibt's doch nicht! Das kann doch nicht sein!" und sprang aus der Küche zurück, als müsse er vor etwas schrecklichem fliehen.

"Wirst du wohl zurückkommen!" Rief Madame Blanche Faucon energisch und in einem Englisch, das so akzentfrei klang, als habe sie die Sprache zehn Jahre lang studiert. "Du willst mir doch etwa nicht vorspielen, daß es dich erschreckt, einer Hexe beim hexen zuzusehen, Julius Andrews. Komm wieder rein, sofort!"

Julius wirbelte herum und stand keine Sekunde später wieder in der Küche.

"Catherine glaubt immer noch, du seist ein Muggel. Aber ich habe einen interessanten Brief erhalten, der das Gegenteil belegt. - Du wunderst dich, daß ich eure Sprache so gut beherrsche? Das liegt schlicht daran, daß sie so einfach konstruiert ist, daß sie jeder lernen kann, der aus einem höher entwickelten Sprachraum abstammt."

"Ich habe nichts von einem Postboten mitbekommen. Hat der Ihnen den Brief während ..."

"In Ordnung! Du möchtest bis zur letzten Sekunde spielen. Gut! Ich weiß, daß du seit einem halben Jahr in Hogwarts zur Schule gehst und das deshalb, weil eine Vorfahrin von dir eine Hexe war. Das Zaubereiministerium hat mich nämlich gefragt, wer gestern abend einen ziemlich tolpatschigen, aber doch wirksamen Mechanetus-Zauber in diesem Haus gewirkt hat. Da meine Familie und ich bei unserer Einreise nicht nur von den Grenzbeamten der Muggel, sondern auch von denen unserer Welt registriert wurden, weiß man im Zaubereiministerium, daß ich bei euch zu Gast bin. Es wäre also unnötig gewesen, mich zu fragen, wer den Zauber gewirkt hat, da ja der Logik nach nur drei Leute dafür in Frage gekommen wären, von denen zwei zu gut ausgebildet sind, um derartig unbeholfen zu zaubern. Doch die Antwort folgte im nächsten Absatz. Dort stand zu lesen, daß sich dort, wo ich glaubte, nur bei Muggeln untergekommen zu sein, ein elfjähriger Junge befinde, der seit einem halben Jahr in Hogwarts unterrichtet wird. Mir war natürlich auch ohne eine weitere Ausführung klar, wer es sein mußte. Ich sandte eine Antwort zurück, in der ich darüber informierte, daß ich nur in deiner Anwesenheit hexen würde, ohne deine Eltern darüber in Kenntnis zu setzen, daß ich und damit auch meine leiblichen Verwandten einer Welt ohne künstliche Gifte und Technik entstammen."

"Dann bleibt mir wohl nur übrig, Danke zu sagen, Madame Faucon. Danke dafür daß Sie meinen Computer repariert haben."

"Das hast du dir also schon gedacht, daß ich das war, du Lümmel. Nun, dann ist dir wohl auch bekannt, welchen Status ich in unserer Welt innehabe?"

"Woher? In unserem Haus ist die Times die Zeitung, aus der man was neues erfährt, nicht der Tagesprophet oder die Hexenwoche."

"So? Also hat dir heute morgen niemand vorgelesen, was in der aktuellen Hexenwoche veröffentlicht wurde?"

Die Professorin aus Beauxbatons sah Julius durchdringender an, als es jemand zuvor getan hatte. Sein Widerstand war sinnlos. Er sagte:

"Ich erhielt am Morgen des heutigen Tages einen Anruf von einer Person aus meiner Schulklasse, die darauf brannte, mir eine wichtige Mitteilung vorzulesen. Die Mitteilung entnahm sie der neuen Hexenwoche, worin geschrieben stand, daß sich eine Madame Professeur Blanche Faucon, Mutter einer verheirateten Tochter namens Catherine zusammen mit ihrer sechsjährigen Enkeltochter Babette in England aufhalte, um über die Osterfeiertage den Alltag von englischen Muggeln mitzuerleben. Mehr stand in dem Artikel nicht drin, außer eine Auflistung von Glanztaten und Orden, die besagte Professeur Faucon in ihrem erfolgreichen Leben bereits errungen habe. Mehr kam nicht rüber", beendete Julius den im Stile eines Beamten vorgetragenen Bericht von Glorias Anruf.

"Aber du wußtest natürlich schon, das ich hexen konnte. Heute morgen hast du nämlich nicht diesen bühnenreifen Entsetzensschrei gegeben, als ich die Obstschale herbeschworen habe. Wahrscheinlich war es dir schon klar, als Babette deinen Computer beschädigt hat. Du bist sehr schlau und sehr beherrscht. Aber ich habe hunderte von Jungen und Mädchen erfolgreich zu Hexen und Zauberern ausgebildet, die alle meinten, mich an der Nase herumführen zu können. Wer ist dein Hauslehrer in Hogwarts? Meine geschätzte Korrespondenzkollegin Professor McGonagall oder Professor Flitwick?"

"Würden Sie mir abnehmen, wenn ich Professor Snape als Hauslehrer hätte?" Fragte Julius frech. Ihm gefiel das Spiel immer noch, obwohl er es schon längst verloren hatte.

"Niemals! Dieser Zauberer ist nur Professor, weil er sich gut mit Professor Dumbledore steht. Der ist nicht dein Hauslehrer."

"Sie haben recht, es ist Professor Flitwick. Und wozu wollen Sie das wissen?" Stellte Julius Andrews eine weitere Frage.

"Ganz einfach. Ich wollte nur wissen, wo du untergebracht wurdest. Es deckt sich übrigens mit meiner Vermutung. Denn ein Hufflepuff-Schüler hätte seinen Eltern sofort mitgeteilt, daß er etwas bemerkt hat, was mit der Zauberei zu tun hat. Und ein Slytherin-Schüler hätte versucht, sich das Wissen um mich und meine Verwandtschaft nutzbar zu machen. Es konnten also nur noch Ravenclaw oder Gryffindor in Frage kommen. Von der Intelligenz und Auffassungsgabe her war Ravenclaw wahrscheinlicher als Gryffindor."

"Moment, die Gryffindors haben auch kluge Leute, falls Sie dieses Einteilungsschema des sprechenden Hutes als Maßstab benutzen."

"Das stimmt natürlich. Aber Leute die denken können und ihr Wissen solange wie möglich für sich behalten, besitzen mehr Weitsicht und wägen alle Konsequenzen gründlich ab. Das hast du getan. Deshalb wolltest du auch nicht mit mir in die Stadt, oder? Du hattest Bedenken, dich zu verraten oder zu offenbaren, daß du mehr von mir weißt, als ich preisgeben wollte. Auf den Punkt gebracht: Du wolltest dich mir nicht ausliefern."

"Ich mach immer einen Unterschied zwischen Angst und Respekt", brachte Julius heraus.

"Das ist auch richtig. Jedoch gibt es Leute, die brauchen Angst, um Respekt zu erlernen. Mein Muggelschwiegersohn zum Beispiel respektiert unsere Welt nur, weil ich ihm eingeschärft habe, daß jeder Versuch, sich gegen uns zu wenden, negative Folgen mit sich bringen wird."

"Sie haben ihm gedroht?"

"Wenn es dabei geblieben wäre, wäre er wohl heute noch aufsässig und demütigend zu seiner Frau."

"Entschuldigung! Aber bevor Sie mir Familiengeheimnisse ausplaudern: Ich will das gar nicht wissen!" Unterbrach Julius die Hexe. Diese lächelte und sagte:

"Ich wollte auch nur sagen, daß ich sehr gut mit Leuten klarkomme, die sich an gegebene Situationen anpassen können. Daher sollten wir beide, solange wir unter uns sind, dieses Versteckspiel beenden. Ich werde jedoch weiterhin nur französisch mit deiner Mutter sprechen, um Joe und sie im Glauben zu lassen, ich sei eine sprachlich unerreichbare, gestrenge Geheimnisvolle. Das vermeidet viele neugierige Fragen."

"Das ist auch in meinem Interesse. Sonst müßte ich ja zugeben, daß ich weiß, was Sie sind, weil ich selbst ein Zauberer bin. Ich will nicht, daß Joe oder Babette das mitbekommen. Es ist ja schon für meine Eltern schwierig genug, sich damit abzufinden."

"Wem sagst du das? Und jetzt hilf mir bei der Zubereitung meines Standardnotgerichtes: Nudeln in Tomatensoße de Beauxbatons!"

Julius ging der Hexe zur Hand, die nach dem Herholen von frischen Gemüse- und Gewürzpflanzen keine Zauberei mehr benutzte. Innerhalb einer halben Stunde hatten sie den großen Topf mit Spaghetti und einen kleineren Topf mit der Soße zum kochen gebracht. Als dann Joe, Babette und Julius Mutter mit Catherine zurückkehrten, war das Essen fertig und der Tisch gedeckt. Von nun an sprach die Mutter von Catherine nur noch Französisch.

Julius' Mutter war erstaunt, wie gut die Soße schmeckte und wieviele Zutaten noch hineingegeben worden waren. Sie sah Julius kurz an, der sofort eine vorgedachte Ausrede brachte:

"Madame Faucon hat mir mit Händen und Füßen erklärt, daß sie keine Konserven haben wollte. Dann hat sie mir die Gewürze unter die Nase gehalten, genickt und dann auf deinen Einkaufskorb gedeutet. Ich bin dann hier um die Ecke in den Laden und habe frisches Zeug geholt. Ging ganz schnell und war ein gutes Training für mich."

"Du bist dahin gelaufen?"

"Wie denn sonst, Mum. Geflogen kann ich ja wohl nicht sein. Und beamen lassen konnte ich mich auch nicht", versetzte Julius aufsessig.

"Ja, dumme Frage. Ich weiß", erwiderte Martha Andrews. Beinahe hätte sie verraten, daß sie ihrem Sohn auch etwas anderes unterstellt hatte, als zu Fuß einen Supermarkt zu besuchen.

Nach dem Essen bedankte sich Martha Andrews bei Madame Faucon.

Joe Brickston erlebte noch eine Überraschung. Er wollte an und für sich Julius' Computer untersuchen, um den Fehler zu finden. Julius führte ihm vor, daß sein Rechner wieder tadellos funktionierte. Darauf meinte der Computerexperte:

"Dann war das wohl eine Überspannung. Habe ich auch schon gehabt. Die Kiste stürzte ab, ließ sich nicht mehr hochfahren, bis zwei Minuten vergangen waren. Dann klappte alles wieder. Allerdings waren einige Dateien zerschossen, weil miten in einem Arbeitsvorgang der Absturz erfolgte."

"Dann hat sich das wieder eingeränkt", antwortete Julius. Joe nickte bestätigend und verließ das Zimmer.

Als Richard Andrews anrief, saßen die Andrews und Brickstons zusammen mit Madame Faucon beim Nachmittagstee. Zunächst ging Martha Andrews an den Apparat und erzählte, daß sie gut mit den Gästen klarkam, zumal sie mit Joe viele alte Geschichten aufwärmen konnte. Sie erwähnte auch, daß Joes Schwiegermutter mitgekommen sei, kurzfristig, und daß sie das zweite Gästezimmer bereithalten mußte. Sie sagte dann noch:

"Richard, was sollte ich machen? Ausladen konnte ich ihn ja nicht wieder. - Wie? Nein, die kann nur Französisch. - Achso! - Gut, dann probiere ich den aus. Wo liegt der? - OK, Richard. Ich gebe dir mal Julius."

Julius nahm diese Ankündigung als Aufruf, um hinauszugehen und den Telefonhörer entgegenzunehmen.

"Hallo, Julius", hörte der Hogwarts-Schüler seinen Vater sagen. Julius erwiderte die Begrüßung und hörte dann, wie sein Vater ihm kurz berichtete, was er so erlebt hatte. Dann fragte Mr. Andrews:

"Und, kommst du gut mit deinem Onkel Joe und Babette klar?"

"Besser, als ich erst gedacht habe", erwiderte Julius. Sein Vater erwiderte leicht verängstigt:

"Wieso, hast du die kleine ..."

"Nein, habe ich nicht. Die kleine hört gut auf ihre Großmama und stellt nichts an."

"Und ich hatte schon befürchtet ... Doch Mum sagte, die ältere Dame könne kein Englisch. Dann soll Mum den Sprachencomputer nehmen, den wir vor zwei Jahren benutzt haben, um uns durch Belgien zu fragen", sagte Richard Andrews. Julius nickte und erwiderte: "Hoffentlich reicht das aus. Das Ding ist doch für Touristen gemacht worden."

"Für Alltagssituationen reicht das."

"Gut. Ich habe von Moira eine E-Mail bekommen, worin sie etwas von ihrem Vater schreibt, daß der einen wichtigen Fund gemacht hat. Muß etwas mit alten Kelten zu tun haben. Moira schrieb sehr unbeeindruckt davon."

"Soso. Dann wird sich Professor Stuard ja bald wieder in den Fachzeitschriften wiederfinden."

"Mag sein", tat Julius diese Möglichkeit gelangweilt ab.

"Dann rufe ich morgen noch mal an. Ich hoffe, es passiert nicht noch was unvorhergesehenes", sagte Richard Andrews. Julius entgegnete:

"Noch haben sie die Wasserstoffbombe im Keller nicht scharf gemacht, Paps. Du wirst also noch ein bewohnbares Viertel finden, wenn du nach Hause kommst."

"Ha-ha-ha! Wieder mal zu einem dummen Scherz aufgelegt, wie? Du weißt genau, wie ich das gemeint habe."

"Jooh!" gab der Zauberschüler eine lässige Antwort.

"Dann bis morgen."

Das Experiment mit dem Übersetzungscomputer verlief außerordentlich lustig, fand Julius. Denn es zeigte sich nach wenigen Versuchen, daß die Maschine, die aus einer winzigen Schreibmaschinentastatur und einer vierzeiligen Flüssigkristallanzeige bestand, zwar kurze Standardsätze wie "wo geht es hier zum Bahnhof?" oder "Ich möchte bitte ins hotel X gefahren werden!" anstandslos übersetzen konnte. Doch bei außertouristischen Sätzen spielte der Übersetzungscomputer nicht so recht mit und übersetzte entweder in völlig andersdeutige Begriffe oder verweigerte schlicht weg einen Versuch, etwas zu übersetzen.

"Ich habe meinem Mann zwar gesagt, daß damit keine intelligenten Gespräche übersetzt werden können, aber er meinte, wir sollten es mal ausprobieren", sagte Mrs. Andrews abschließend.

"Wieso sollte das Ding da nicht Alltagswörter übersetzen? Die Einrichtungsgegenstände und Speisen, so wie Besteckteile dürfte der Apparat doch in seinem Speicher haben", wandte Joe Brickston ein. Er versuchte es und schaffte es, kurze Sätze brauchbar übersetzen zu lassen, wenngleich die Grammatik nicht immer der Vorgabe entsprach.

Zum Abend hin bereiteten Martha Andrews und Catherine Brickston das Essen vor, das aus einem 3-Gänge-Menü bestehen sollte. Zunächst gab es eine Lauchcremesuppe mit Schinkenröllchen. Zum Hauptgang trug Martha Andrews Geschnetzeltes mit Reis auf. Zum Nachtisch gab es Früchteeis.

Abends sahen sie sich noch einen Lustfilm im Fernsehen an. Es handelte sich um eine Verwechslungskomödie.

Um neun uhr ging Babette schlafen. Um zehn verabschiedete sich Julius. Seine Mutter wunderte sich darüber, daß er schon so früh zu Bett gehen wollte. Julius gab vor, noch einige E-Mails bearbeiten zu müssen und verabschiedete sich von den beiden französischen Hexen. Professeur Faucon wünschte ihm "bonnenuit", und Julius erwiderte den Gruß.

Julius verschwand in seinem Zimmer, zog sich seinen Schlafanzug an und warf sich ins Bett, um noch etwas in Lesters Buch zu lesen.

Die Story war zwar nicht besonders neu, doch mal wieder eine willkommene Abwechslung. Scorpio Taurus, der Mann mit der zehnfachen Körperkraft und Schnelligkeit eines Normalerdenbürgers, mußte mit seinem Sternenkreuzer "Sternentänzer" in ein Sonnensystem fliegen, wo der grausame Herrscher Cruelloch eine Waffe zur Eroberung des Universums gebaut hatte. Scorpio kämpfte sich an mehreren Ungeheuern und versklavten Kriegern vorbei in die Hauptstadt, wo er die ihrer Eltern beraubten Sternenprinzessin Selene Vesta traf und ihr aus einer Notlage helfen konnte. Dennoch gelang es dem Imperator des Schreckens, der Julius witzigerweise an Voldemort erinnerte, den Superhelden und seine Freunde gefangenzunehmen. Julius wollte das Buch schon bei Seite legen, als er las, daß alle Gefangenen in ein Labyrinth geschickt wurden, in dem baumhohe Farne einen grünlichblauen Nebel absonderten, der die Gefangenen ihrer Selbstbeherrschung beraubte und sie unvermittelt in Tränen und Verzweiflung ausbrechen ließen. Julius kam das irgendwie bekannt vor. Er las weiter. Der Foltergarten war deshalb so schlimm, so stand dort, weil jeder, der ihn betrat, all seine Untaten ins Gedächtnis zurückgerufen bekam und in starken Ängsten und Schuldgefühlen ertrank, bis er oder sie wahnsinnig wurde. So konnte sich der Imperator Cruelloch neue Kampfsklaven schaffen, in deeren verwirrten Geist er fernhypnotische Impulse strahlen lassen konnte. Doch die Sternenprinzessin Selene schaffte es, den Garten der Folter zu durchschreiten und eine Flammenbombe zu zünden, so daß die Dunstschwaden der Farne vernichtet wurden. Die Freunde der kleinen Sternenprinzessin kamen langsam wieder zu Verstand und konnten gegen Cruelloch kämpfen, der mit blauen Todesstrahlen um sich schoß. Dabei wurde Scorpio Taurus getroffen und drohte zu sterben. Doch Selene Vesta heilte ihn mit ihren Mutantengaben und konnte mit ihm zusammen aus der Hauptstadt entkommen, nachdem Cruelloch besiegt war.

Ein Weltraumpsychologe fand heraus, daß Selene noch nie in ihrem Leben Angst vor etwas haben mußte, da sie noch nie etwas verbotenes getan hatte. Den Tod ihrer Eltern hatte sie nicht miterlebt und somit auch keine Erinnerung daran, die ihr im Foltergarten hätte schaden können. Sie war in jeder Hinsicht ein Unschuldsengel.

Julius hatte das Buch komplett durchgelesen. Wo er am Anfang noch gedacht hatte, es schnell weglegen und schlafen zu können, war die restliche Handlung für ihn zu interessant gewesen, um die Lektüre zur Seite zu legen. Doch nun spürte er die Müdigkeit. Er knipste die Taschenlampe aus und schloß die vor Überanstrengung brennenden Augen.

 

 

Im Traum erschienen ihm die Figuren aus dem Buch und fochten ihre Schlachten aus. Dann sah er die Sternenprinzessin Selene Vesta im Foltergarten. Er vermeinte, zwischen den dunstigen Farnen Dementoren zu sehen, die die Hände ausstreckten, um sie dann wieder zurückzuziehen, als würden sie gegen Glaswände stoßen. Dann verschwand die Sternenprinzessin in einer Nebelwolke. Heraus kam die abgemärgelte Gestalt von Sirius Black mit langen zerzausten Haaren. Der Askaban-Flüchtling trat auf eine große Röhre zu, von der Julius wußte, daß es die Flammenbombe war, mit der die Sternenprinzessin den Foltergarten vom Nebel der Farne befreit hatte. Ein Dementor rief mit einer unheimlich widerhallenden Stimme:

"Sirius Black! Es wird Zeit für dich, zu uns zurückzukehren!"

"Ihr habt keine Macht über mich", johlte Sirius Black wie ein kleines Kind, dem man etwas unheimlich tolles geschenkt hatte.

"Ich bin euch entkommen. Ich bin immun gegen euch. Ihr könnt mich nicht halten!" Rief Black und löste die Bombe aus. Ihr blauer Feuerball löschte das Bild aus und ließ Julius in sein Bett zurückstürzen, wo er schweißüberströmt und mit in den Ohren hämmerndem Herzschlag zu sich fand.

"Hui! Ich sollte doch keine Bücher über irgendwelche Grausamkeiten lesen, bevor ich schlafe", dachte Julius. Er lauschte. Über sich hörte er leise Schritte. Die altehrwürdige Hexe aus Frankreich war aufgestanden und ging zum Fenster. Womöglich erledigte sie jetzt ihre Eulenpost. Julius drehte sich wieder um und schlief ein.

Er träumte von seinen Schultagen in Hogwarts und von dem legendären Quidditchmatch, das er mit Aurora Dawn besucht hatte.

Als er wieder erwachte, war es bereits sechs in der Früh. Der Hogwarts-Schüler warf sich noch eine halbe Stunde im Bett herum, bis er lustiges Quieken und Lachen aus der Etage über ihm hörte. Babette war schon auf und würde wohl schon darauf brennen , nach versteckten Ostereiern und Schokoladenhasen zu suchen. Er war sich sicher, daß seine Mutter und Catherine die kleinen Ostergeschenke für das Hexenmädchen mit den schwarzen Zöpfen bei dunkler Nacht versteckt hatten. Vielleicht waren es auch Madame Faucon und ihre Tochter alleine gewesen, die dem Kind eine Freude machen wollten.

Julius stemmte sich aus dem Bett und lief in das Badezimmer, wo er sich duschte und sich anzog.

"Julius, kannst du schon Tee und Kaffee aufsetzen, wenn du schon wach bist?" Hörte er die verschlafene Stimme seiner Mutter. Julius antwortete darauf mit einem Ja und ging hinunter ins Erdgeschoß, wo Küche, Wohn- und Essraum lagen. In der Küche traf er Catherine Brickston, die bereits den Teekessel aufgesetzt und die Kaffeemaschine eingeschaltet hatte.

"Huch! Geht meine Uhr nach oder sind alle so früh aufgestanden?"

"Erstmal guten Morgen, Julius. Nein, deine Uhr geht nicht nach. Maman und ich sind schon seit fünf Uhr auf, um Babette einige Osterüberraschungen zu bereiten."

"Soso. Und wo ist deine Mutter gerade?" Wollte Julius wissen. Catherine sagte:

"Sie liest gerade Zeitung im Wohnzimmer."

Der Hogwarts-Erstklässler wunderte sich, daß die alte Hexe mitten in der Nacht Eulenpost bearbeiten und dann noch so früh morgens aus den Federn kommen konnte. Doch das sagte er lieber nicht laut. Julius schnitt Brot ab und stellte wieder Marmeladengläser heraus, um sie im Esszimmer auf den Tisch zu stellen.

"Deine Mutter schläft noch?" Fragte Catherine Brickston.

"Ja, sie hat mir gesagt, daß ich hier alles vorbereiten soll. Aber sie wußte wohl nicht, daß ihr alle schon auf seid", antwortete der Sohn von Martha und Richard Andrews.

"Joe liegt auch noch im Bett. Der Mann hat einen gesunden Schlaf. Der hat noch nicht einmal mitbekommen, daß Babette ihm die Decke weggezogen hat", lachte Catherine Brickston.

Babette rannte lachend in die Küche und deutete auf Julius:

"Heh du, ich war schon draußen und habe geguckt, was der Osterhase versteckt hat!"

"Ach, und ich dachte den Osterhasen hätten sie entlassen, weil er dem Weihnachtsmann die Schau gestohlen hat", entgegnete Julius gemein.

"Ich such gleich weiter. Der Garten von euch ist so schön groß. Da liegt bestimmt noch mehr. Suchst du nicht auch?"

"Bei mir kommt der Osterhase immer erst, wenn alle Kinder ihre Ostereier gefunden haben. Weißt du, der will nämlich sehen, wie sie danach suchen, damit er sie beim nächstenmal noch besser verstecken kann."

"Achso", gab sich Babette mit dieser Antwort zufrieden und lief wieder aus der Küche. Dabei hätte sie fast ihre Großmutter umgerannt, die nicht besonders begeistert davon war. Sie tadelte ihre Enkeltochter kurz, dann kam sie in die Küche.

Madame Faucon sprach auf Französisch mit ihrer Tochter. Julius hörte dabei seinen Namen heraus.

"Maman wundert sich, daß du auch schon so früh auf bist", übersetzte Catherine. Julius erklärte, daß er früh aufgewacht sei und dann Babettes Lachen gehört hatte.

Wieder sprach Madame Faucon mit ihrer Tochter. Diese übersetzte:

"Maman möchte wissen, ob du nach den frischen Aprikosen von gestern noch frische Erdbeermarmelade probieren möchtest."

"Lust habe ich schon. Aber Sie möchte sich nicht zuviel Mühe machen", antwortete der Hogwarts-Schüler. Die Verwandlungslehrerin von Beauxbatons schüttelte den Kopf, kramte ihren Zauberstab hervor und vollführte damit eine schnelle Bewegung, worauf ein Messingkrug auf dem Küchenbord auftauchte.

"Ist das schon so gewesen oder hat sie das aus dem Nichts erschaffen?" Flüsterte Julius Catherine zu. Diese sah ihre Mutter an und übersetzte schnell die Frage, ebenfalls in Flüsterlautstärke. Madame Faucon sah Julius respekterheischend an und sagte gerade so laut, daß nur er und ihre Tochter sie verstehen konnten:

"Erste Lektion der Materialisationslehre: Es ist am einfachsten, Dinge an einem Ort auftauchen zu lassen, die bereits in der Endform existieren, als sie aus dem Nichts zu erschaffen." Dann lächelte sie. Julius dachte daran, daß ihre Schüler sich dieses Lächeln wohl hart erarbeiten mußten. Offenbar gefiel es Professeur Blanche Faucon, Julius nicht nur neues Wissen, sondern auch Produkte aus ihrem Garten bieten zu können.

"Wie erklären wir es meiner Mum, daß Sie Erdbeermarmelade dabei haben?" Fragte Julius im Flüsterton.

"Ich habe immer einige Leckereien aus dem Garten dabei, wenn ich verreise. Das ist eine Marotte von mir", flüsterte die Professorin.

"Babette, wieviel hast du schon gefunden?!" Rief Joe von der Treppe her und rannte ungeniert durch das Wohnzimmer aus der geöffneten Balkontür hinaus in den Garten.

"Ostereier zu finden ist doch kinderleicht. Man sagt "Accio" und schon kommen sie einem zugeflogen", flüsterte Julius. Madame Faucon sah ihn grimmig an und verließ die Küche, um ihrer Enkelin zuzusehen.

"Das hat Babette letztes Jahr auf ähnliche Weise bei ihren Muggelgroßeltern gemacht und so die Ostergeschenke zu sich geholt. Ich mußte die Vergissmichs bemühen, um den Vorfall vergessen machen zu lassen."

"Vergissmichs? Was soll denn das sein?"

"Mitarbeiter des Ministeriums. Die wichtigsten Leute überhaupt, wenn es um das Verbergen der Zauberei vor Muggeln geht. Sie korrigieren das Gedächtnis, so daß Muggel die Zaubereivorfälle vergessen."

"Diese Typen haben dann wohl letztes Jahr meine Freunde heimgesucht", dachte Julius. Denn daß Malcolm und Lester sich nicht mehr an den Brief erinnern konnten, den er von Hogwarts bekommen hatte, konnte ja nur so hingebogen worden sein.

"Wenn ich mal fragen darf: Wieso seid ihr dieses Jahr nicht bei Babettes englischer Oma?" Wollte Julius wissen.

"Die hat sich geschickt ins Ausland verdrückt. Offenbar war ihr Babettes letzter Streich einer zuviel gewesen. Der hatte zwar nichts magisches an sich, war aber dafür ziemlich gemein. Babette hat mit einem Eimer roter Farbe aus dem Keller von Joes Vater die Hausfassade neu bepinselt. Joe hat den Schaden zwar bezahlt, aber ich denke, daß er sich für's erste nicht mehr mit seiner Tochter dort sehen lassen darf."

"Gut, daß Babette nicht in unseren Keller kann. Paps hat vier große Schlösser an der Stahltür."

"Das wäre kein Hindernis", grinste Catherine gehässig. Julius mußte ihr zustimmen.

"Ich bin froh, daß mein Paps nicht hier ist. Der hätte sich schon längst aufgeregt, über Babette, über deine Mutter und über Joe."

"Wieso über meine Mutter?"

"Weil sie ihm im Punkte Autorität ebenbürtig ist, wenn nicht sogar überlegen. Wenn er dann noch etwas wüßte, was ihm schon bei mir Sorgen macht, wüßte ich nicht, wie er das wegsteckt", erklärte Julius.

"Du bist echt drollig, Julius", lachte Catherine Brickston. Dann gingen sie mit den Frühstückssachen hinüber ins Esszimmer.

Babette strahlte vor Glück. Sie hatte zwei große Schokoladenosterhasen, zwanzig bunte Ostereier und einen bunten Zauberwürfel im Garten gefunden. Julius beobachtete, wie sie immer wieder auf das Muggelspielzeug starrrte, das ihn vor fünf Jahren schon fasziniert hatte.

"Ich hatte auch mal so einen Zauberwürfel", verriet Julius Babette. Sie strahlte ihn an und fragte:

"Wielang hast du gebraucht, um den richtig hinzukriegen?"

"Mehrere Wochen. Wenn meine Eltern mir nicht gesagt hätten, daß ich was essen, trinken und im Haus machen sollte, hätte ich jeden Tag komplett damit zugebracht", erinnerte sich Julius mit grinsendem Gesicht.

"Du hast es gehört, ma chere! Essen und trinken, schlafen und lernen und mit anderen Kindern spielen, solltest du auf jeden Fall noch", sprach Babettes Mutter.

Nach dem Frühstück ging es noch mal in den Garten hinaus. Julius wollte sich ansehen, wo die Ostergeschenke versteckt gewesen waren. Babette zeigte ihm, daß sie den Zauberwürfel unter einem Rhododendronstrauch gefunden hatte. Julius Andrews bewunderte die Kleine. Er freute sich mit ihr über die vielen kleinen Geschenke.

Als das Telefon klingelte, dachte sich der junge Hogwarts-Schüler, daß sein Vater ihn anrufen würde. Er lief ins Haus zurück und sah seine Mutter, die den Telefonhörer bereits in der Hand hielt und hörte sie sagen:

"Ja, Richard. Die Kleine hat sich sehr gefreut über den Zauberwürfel. Julius ist gerade reingekommen. Willst du ihn haben?"

Julius nahm seiner Mutter den Hörer aus der Hand und meldete sich. Dann hörte er seinen Vater sagen:

"Hallo, Julius! Wie seid ihr in den Ostersonntag gekommen?"

Soweit alles im grünen Bereich", antwortete Richard Andrews' Sohn.

"Was macht der Übersetzungscomputer?"

"Catherine wird weiter für uns übersetzen, Paps. Es wäre fast zu einem Mißverständnis gekommen, weil der Übersetzer was falsch übermittelt hat. Hinzu kommt, daß der jedes Gespräch eher bremst als fördert."

"War ja auch nur ein Versuch. Wie ist denn die Frau sonst so, die Joe mit Catherine geheiratet hat?" Julius war erstaunt über soviel Anflug von Humor seines Vaters.

"Was soll ich sagen? Sie kann gut kochen, interessiert sich für Kultur und hat eine sehr starke Ausstrahlung, wie eine Königin."

"Ach neh. Aber sie hat noch nicht das Kommando im Haus übernommen?"

"Nur über Babette", grinste Julius.

"Das wäre ja was ganz neues. Okay, mein Sohn! Dann wünsche ich dir noch schöne Feiertage und eine sichere Rückkehr zur Schule."

"Alles klar, Paps", stimmte Julius zu und beendete das Gespräch. Er reichte seiner hinter ihm wartenden Mutter den Hörer und zog sich in das Wohnzimmer zurück, wo Joe gerade versuchte, den Zauberwürfel zu ordnen.

"Das ist ja wieder typisch! Was für die Kinder ist, wird von den Vätern in Beschlag genommen", ärgerte Julius den Computerexperten.

"Ein Kollege von mir, dessen Bruder ist Architekt. Selbst der mit seiner dreidimensionalen Vorstellungsgabe konnte dieses Hundsding nicht so schnell hinkriegen."

"Deshalb heißt das Ding ja auch Zauberwürfel", tönte Julius. "Vielleicht können den nur richtige Zauberer so schnell hindrehen."

"Wie überaus witzig. Dann sollte ich ihn vielleicht mal meiner ehrwürdigen Schwiegermutter in die Hand geben, wie?" schnaubte Joe Brickston. Zu seinem Verdruß kam Madame Faucon wie auf ein Stichwort herein und betrachtete den bunten Würfel, dessen sechs verschiedene Farben chaotisch über alle Seiten verteilt gedreht worden waren.

Julius stand auf und suchte den Übersetzungscomputer. Als er ihn fand, tippte er ein: "Das ist ein Zauberwürfel."

Die Übersetzung konnte Julius nicht überprüfen, doch Madame Faucon lächelte.

"Die hat davon sowieso keine Ahnung", raunzte Joe. Doch seine Schwiegermutter, von der Julius wußte, daß sie ihn wohl verstanden hatte, sah ruhig hin, wie Joe an dem Würfel drehte, ohne das Farbendurcheinander zu entwirren.

"Komm, gib mal her. Ich glaube, daß ich das hinkriege, obwohl du es geschafft hast, das Ding total zu verdrehen", sagte Julius und streckte die Hand aus. Doch Madame Faucon nahm ihm den Würfel ohne Worte aus den Händen und hantierte damit.

"Die nimmt den dir einfach weg. Hat man sowas schon gesehen?" Beschwerte sich Joe, wobei er aufpaßte, daß seine Schwiegermutter ihn nicht genau ins Gesicht sah. Julius lächelte nur.

"Warum nicht. Wenn es ihr Spaß macht."

Joe stand auf und verließ das Wohnzimmer, um zu Martha zu gehen, die bereits wieder in der Küche stand und sich mit Catherine unterhielt.

Julius sah zu, wie die Hexe aus Frankreich den Zauberwürfel leicht und spielerisch verdrehte und dabei immer mehr gleichfarbige Außenflächen nebeneinander erschienen. Dann drehte sie noch viermal in verschiedene Richtungen und holte so sechs gleichfarbige Flächen auf den Würfel. Julius wollte etwas sagen, doch die Hexe zischte ihm ein in allen Sprachen verständliches "schschsch" zu und legte das Spielzeug auf den Wohnzimmertisch.

Das Telefon läutete wieder. Julius, der auf dem Sprung in sein Zimmer war, ging schnell an den Apparat. Er meldete sich.

"Andrews!"

"Heh, Julius! Hier ist Bill. Ich wolte euch schöne Ostern wünschen. Ist dein Paps da?"

"Nein, der ist unterwegs und macht Mäuse für seine Firma", beantwortete Julius die Frage von Bill Huxley mit beschwingtem Tonfall.

"Der ist Direktor und reist durch die Gegend? Saftladen! Aber deine Mum ist da, oder?"

"Die steht in der Küche. Wir haben ein volles Haus, Bill. Aber ich hol sie dir mal an den Hörer", verkündete Julius und rief: "Mum, Bill Huxley ist dran!"

"Ich komme schon!" Kam die Antwort seiner Mutter.

Julius übergab den Hörer an Martha Andrews und lief in sein Zimmer hoch.

Als er die Tür hinter sich geschlossen hatte, tauchte eine lange Nase unter seinem Bett auf. Der Kopf, an dem diese Nase saß, wies noch zwei große Fledermausohren und zwei tennisballgroße Augen von wasserblauer Farbe auf. Der Rest des kleinen Wesens schob sich behände unter dem Bett heraus, klopfte sich mit einer schnellen Handbewegung den Staub vom bunten Einteiler und grüßte mit schriller Stimme:

"Nifty wünscht Julius Andrews im Namen seiner Meisterinnen fröhliche Ostern!"

"Nicht so laut, bitte! Wir haben Besucher", zischte Julius dem Hauselfen der Porters zu. Dann fragte er im Flüsterton:

"Wielange haben Sie denn schon da unten gehockt?"

"Nifty hat eine Viertelstunde unter Julius' Andrews' Bett ausgeharrt, weil er den Auftrag hat, Julius Andrews ein Geschenk von Meisterin Dione Porter zu übergeben."

"Und dafür schicken Sie Sie durch die Weltgeschichte? Das ist doch völlig unnötig", wandte Julius ein. Der Hauself schüttelte den Kopf.

"Oh, das ist nicht richtig, Julius Andrews, Sir. Mrs. Dione Porter hat gesagt, daß Nifty selbst das Geschenk übergeben soll, weil Cook nicht zu Hause ist, um das Geschenk zu überbringen."

"Es ist doch nur Ostern", maulte Julius, dem es peinlich war, daß die Porters ihm ihren Dienstelfen schickten, nur um ihm ein Geschenk zu machen. Hoffentlich hatten sie nicht beschlossen, ihm den Hauselfen selbst zu schenken.

"Da ich das ja nicht zurückweisen kann, möchte ich es haben, Nifty."

"Sehr wohl, Sir!" bekundete der Hauself seine Dienstbereitschaft und händigte Julius ein Paket aus, das mit einer blauen Schleife verschnürt war. Das Pergament war mit bunten Osterhasen bedruckt, die mit den Ohren Wackelten, als Julius es auszuwickeln begann. Er behielt dabei den Hauselfen im Auge, weil er ihm noch eine Antwort mitgeben wollte.

Zwei dinge fielen aus dem Paket. ein Briefumschlag aus rosafarbenem Pergament mit einem Siegel, das zwei ineinandergefügte Ps darstellte. Dann fiel noch ein Buch in blau-weißroten Deckeln herunter aufs Bett. Julius erkannte es.

"Diese Hexe hat mir dieses Sprachlernbuch zugeschustert", seufzte er, als sich das Buch aufklappte und mit einer sanften geschlechtslosen Stimme sagte:

"Bonjour, Monsieur! Je suis le livre universal d'aprendre La Langue Française."

"Klapp dich zu und schweig!" Befahl Julius gereizt. Die magische Stimme des Buches räusperte sich und murmelte eine Mißfallensäußerung, bevor es sich zuklappte.

"Haben Sie den Auftrag, der jungen Miss Porter eine Antwort von mir zu überbringen?" Fragte Julius. Nifty nickte, wobei seine lange Nase den buntgemusterten Einteiler anstubste, den er trug.

Julius öffnete den Briefumschlag und zog eine Pergamentseite heraus. Dabei schielte er schnell zur Tür, ob vielleicht jemand auf die Idee kam, heraufzukommen. Dann las er den Brief, den Gloria in ihrer sanft geschwungenen Handschrift verfaßt hatte:

 

Hallo, Julius!

Meine Mutter und ich waren gestern noch in der Winkelgasse, weil mein Daddy ihr und mir mehrere Galleonen Gegeben hat, wohl weil er ein schlechtes Gewissen hat, daß er am Ostersonntag nicht bei uns sein kann. Snatchup, ein Gringottstyp, hat ihn nach Brasilien geschickt. Ich sah nicht ein, daß ich mein ganzes Geld für irgendwelchen kurzlebigen Kram ausgeben sollte. Da habe ich mir überlegt, dir bei Flourish & Blotts das Sprachlernbuch von Janine Polyglosse und Clarissa Babel zu besorgen, das ich dir ja Weihnachten gezeigt habe. Außerdem habe ich mir eine Eule besorgt, ein Steinkauzweibchen. Allerdings wollte ich der armen Trixie nicht gleich so ein schweres Paket anhängen und habe unseren Hauselfen zu dir geschickt.

Fröhliche Ostern! Man sieht sich am Dienstag im Zug!

Gloria

 

"Julius, Bill will noch mal mit dir reden!" rief Martha Andrews von unten herauf.

"Ein Ferngespräch aus Australien, Nifty. Ich muß eben runter. Warten Sie hier?"

"Wie Sie wünschen, Mr. Andrews, Sir!" willigte der Hauself ein und schlüpfte wieselflink unter das Bett von Julius. Der Junge verbarg die Geschenke unter der Bettdecke und hechtete durch die Tür hinaus, die Treppe hinunter und schnappte sich im Vorbeigehen den Telefonhörer.

"Hallo, Julius! Ich bin's noch mal. Aurora wollte unbedingt noch was mit dir bequatschen. Bitte!"

Julius drehte die Hörmuschel des Telefonhörers von seinem rechten Ohr weg. Doch Aurora hatte gelernt, ein Telefon normal zu benutzen. Mit ruhiger Stimme sagte sie:

"Julius? Ich kann zwei Karten für das Weltmeisterschaftsmatch Australien gegen Kolumbien kriegen. Pam Lighthouse gegen Paco Rayo."

"Oh, ich weiß nur nicht, ob meine Eltern mir erlauben, da hinzugehen, Ms. Dawn. Ich habe von Kevin, einem Klassenkameraden, gehört, daß man da mehrere Tage wohnen muß. Das hat er von seinem Vater."

"Das ist richtig. Aber ich denke nicht, daß mir deine Eltern das verbieten, dich zu einer Sportveranstaltung mitzunehmen."

"Ihr Optimismus ist heller als die Sonne, Ms. Dawn", bemerkte Julius nur.

"Ich wollte dir das nur sagen und dir fröhliche Ostern wünschen. Bill hat gesagt, ihr hättet Besuch?"

"Ja, ein Schulfreund von Mum und dessen Familie."

"Dann viel Spaß noch."

"Julius, Grandmère fragt, ob du mit Maman und mir zum Zoo fährst!" Quiekte Babette und schmiss sich von hinten Julius um die Beine.

"Ich telefoniere gerade, Babette. Lust hätte ich schon."

Babette rannte mit trampelnden Schritten davon.

"Grandmère? Ihr habt Besuch aus Frankreich?" Fragte Aurora Dawn neugierig.

"Hat Mum Bill das nicht erzählt. Ihr freund ist mit seiner Schwiegermutter, seiner Frau und seiner kleinen Tochter gekommen, wie Sie gehört haben."

"Und die Kleine heißt Babette?" Fragte aurora Dawn. Bei Julius läuteten die inneren Alarmglocken. Er ahnte schon die nächste Frage. Deshalb sagte er:

"Bill kriegt nachher Ärger wegen einer überhöhten Telefonrechnung. Deshalb mache ich lieber Schluß",

"Ja, mach das, Julius. Fühl dich geehrt!"

"Bei Bedarf, Ms. Dawn. Tschüs!"

Julius legte schnell den Hörer auf und zog sich zurück. Dann rannte er wieder zu seinem Zimmer hoch, wobei er fast mit Madame Faucon zusammenprallte. Er hauchte eine Entschuldigung hin und schloß schnell seine Tür hinter sich. Nifty tauchte sofort wieder unter dem Bett auf und fragte leise, was er nun seiner Meisterin übermitteln sollte.

"Ich schreibe ihr das auf die Rückseite des Briefes", sagte Julius und fischte nach einem Kugelschreiber. Ohne Probleme schrieb er auf die Rückseite des Briefes:

 

 

Hallo, Gloria!

Das war nicht nötig, mir euren Hauselfen zu schicken. Da ich deine Mutter und dich nicht davon abhalten kann, mir Wissen zu schenken, bleibt mir nur, mich bei ihr und dir zu bedanken. Ich denke zwar, daß ich innerhalb von 24 Stunden nicht genug lernen kann, um mich in französischer Sprache auszudrücken. Aber zum verabschieden wird's wohl reichen.

Bis Dienstag!

Julius

 

 

Der Hogwarts-Schüler gab Nifty den Brief und bedankte sich bei dem Hauselfen. Dieser lief rot an und verschwand mit einem kurzen Knall. Kaum war der Hauself fort, klopfte es an die Tür. Julius vergrub das verzauberte Sprachlernbuch noch tiefer unter der Bettdecke und rief: "Herein!"

"Du hast der Kleinen erzählt, daß du mitfahren wolltest", sagte Joe Brickston, als er im Türrahmen auftauchte. Julius nickte bestätigend.

"Dann bleibe ich hier. Catherine wird für dich übersetzen. Ihr fahrt mit dem Wagen. Ihre Majestät mißtraut den U-Bahnen."

"Wen wundert es. Sie will ja nicht neonbeleuchtete Tunnel sehen, sondern unsere Hauptstadt. Weiß Catherine, wo sie langfahren muß?"

"Ungefähr."

"Alles klar, Joe. Aber stellt keinen Unsinn an, während wir unterwegs sind!"

"Ich glaube es bald. Du gibst mir Anweisungen?"

"Na klar! Paps ist nicht da. Einer muß ja das Haus zusammenhalten."

"Frechdachs. Viel Spaß mit dieser alten Hexe."

"Quesque tu as dit, Joe?" Kam Madame Faucons Stimme von hinten. Joe schrak zusammen. Er sagte irgendwas auf Französisch. Madame Faucon sah ihn mißtrauisch an. Joe trollte sich, wie ein Hund, der weiß, daß er etwas verbotenes angestellt hat und sich vor seinem Herren hütet.

"Allez, Monsieur!" Trieb die Beauxbatons-Professorin den Hogwarts-Erstklässler an. Dieser zog sich an, rief noch seiner Mutter zu, daß er nun losführe und schloß die Tür hinter sich. Er fühlte in seiner Jackentasche die drei Befreiungsbonbons von Melinda Bunton, die er als stille Reserve für jeden Ort dabeihatte.

Julius hatte bei seinem Ausflug mit Lester und Malcolm nicht sehen können, welchen Wagen Joe nun fuhr. Mum hatte ihm den Platz in der Garage freigemacht und den Ford, den sie als Stadtauto nutzte, neben der Garage geparkt. Julius staunte nicht schlecht, als Catherine Brickston mit einem geräumigen Rover-Kombi aus der Garage heraussetzte. Julius wollte hinten einsteigen, damit Madame Faucon vorne platznehmen konnte. Doch sie schüttelte den Kopf und schlüpfte durch die rechte Hintertür neben Babette, die wohl gehofft hatte, Julius würde hintten einsteigen.

"Maman möchte, daß du uns sagst, wo wir hinfahren müssen, wenn wir erst zum Zoo und dann zum botanischen Garten wollen. Also nehmen Sie neben mir Platz, Monsieur!"

Julius hüpfte neben der jüngeren Hexe auf den Beifahrersitz und schloß die Tür. Catherine setzte aus dem Zufahrtsweg heraus, vorsichtig, im Rückspiegel nach quer zu ihr passierenden Fußgängern und Autos Ausschau haltend. Julius mußte sich beherrschen, nicht zu fragen, ob ihr das Besenfliegen nicht besser lag. Er wunderte sich nur, daß jemand, der der Zaubererwelt abstammte, nicht nur die Maschine, sondern auch die Verkehrsregeln beherrschte. Denn ohne große Mühe schlüpfte der silberblaue Rover aus der Einfahrt Winston-Churchill-Straße 13, fädelte sich in den spärlichen Autoverkehr ein und glitt mit regelmäßig brummendem Motor in Richtung Innenstadt. Julius erklärte kurz, wo Catherine abbiegen mußte, um den berühmten Zoo ohne Umwege zu erreichen. Als die Mutter von Babette den Weg eingeschlagen hatte, fragte Julius doch noch:

"Wo hast du so gut fahren gelernt, Catherine? Meine Mutter kann zwar auch Auto fahren, aber nicht, wenn mein Paps auf dem Beifahrersitz hockt."

"Das ist bei mir genauso. Der Unterschied ist nur, daß wir in Frankreich auf der richtigen Straßenseite fahren. Aber ich habe keine Probleme damit. Ich habe den Führerschein seit dem Babette vier Jahre alt ist", informierte Catherine den jungen Beifahrer. Madame Faucon unterhielt sich inzwischen mit Babette über irgendwas, von dem Julius nichts mitbekam. Auf jeden Fall schien sich das sechsjährige Mädchen nicht sonderlich darüber zu freuen, daß seine Großmutter neben ihm saß. Julius dachte wieder daran, daß er der älteren Dame unbewußt dankbar sein würde. Dieser Eindruck hatte sich bestätigt, auch und vor allem, weil er nun wußte, daß Catherine und ihre leibliche Verwandtschaft der Zaubererwelt entstammten. Ein quirliges Kind wie Babette, ausgestattet mit starken Zauberkräften, wäre für Nichtmagier überhaupt nicht zu bändigen. Das brachte ihn dazu, darüber zu grinsen, daß seine Eltern noch mal Glück gehabt hatten, daß er nicht früher entdeckt hatte, daß er etwas durch übernatürliche Kraft bewirken konnte.

Die Fahrt verlief ruhig. Irgendwann sangen Babette und ihre Großmutter fröhliche Kinderlieder, während Catherine sich vergewisserte, daß sie auf dem richtigen Weg war. Dann erreichten sie den Parkplatz des londoner Zoos.

Julius ging zusammen mit Madame Faucon durch die Kassenschranke. Babette hatte die Schranke kaum durchschritten, als sie schon losrannte, um sich die ersten Tiere anzusehen. Ihre Mutter joggte hinter ihr her, wobei sie gerade so noch einem Kinderwagen ausweichen konnte, der von einem Mann Anfang zwanzig geschoben wurde. Dann sah Julius noch die ältlichen Kindermädchen mit ihnen anvertrauten Zöglingen, deren Eltern wohl besseres zu tun hatten als den Ostersonntag mit ihren Kindern zu verbringen. Er lief neben Madame Faucon her und dachte daran, daß die Hexe in ihrem mintfarbenen Kleid und dem schwarzen, im Nacken geknoteten Haar ebenfalls als sein Kindermädchen angesehen werden mochte. Dabei stellte er fest, daß diese Vorstellung irgendwas faszinierendes an sich hatte, selbst wenn er nicht viel von Gouvernanten hielt.

Babette war schon dreißig Meter von Julius und Professeur Faucon entfernt.

"Wieso haben Sie sie nicht zurückgerufen?" Fragte Julius. Die Lehrerin von Beauxbatons schüttelte den Kopf und erwiederte auf Englisch: "Babette kennt ihre Grenzen. Außerdem wollte ich ihr einen gewissen Freiraum lassen. Es ist etwas anderes, ob ich in einem Haus darauf achten muß, daß ein Kind nichts beschädigt oder zulasse, daß es herumrennt. Catherine freut sich auch darüber, daß sie mit ihrer Tochter herumlaufen kann."

Julius hielt sich neben der älteren Hexe. Er hätte auch hinter Babette herrennen können, aber irgendwie war ihm nicht danach. Ihn interessierten die fremden Tiere, die in großen oder kleinen Gehegen und Käfigen ausgestellt waren. Madame Faucon schien ebenfalls den ruhigen Spaziergang durch einen großen Tierpark zu genießen. Denn hier und da lächelte sie, wenn sie sah, wie in einer Greifvogelvoliere ein Adler seine Flügel ausspannte und quer durch den großen Käfig flog.

"Immerhin halten sie diese stolzen Vögel in Flugkäfigen, daß sie ihre Schwingen auch mal ausnutzen können. Wenn ich auch eher bevorzuge, solche Vögel in der freien Natur zu sehen", erklärte die Hexe von Beauxbatons.

"Ich denke das auch. Das sieht irgendwie erhaben aus, wenn so große Vögel richtig hoch am Himmel fliegen können", stimmte Julius zu und beobachtete, wie ein kleinerer Greifvogel, ein Habicht, mit schnellem Flügelschlag eine Runde durch die Fluganlage drehte. Dann gingen sie weiter.

Bei einem Eisverkaufsstand holten sie Catherine Brickston und Babette wieder ein. Die Kleine hatte sich ihr erstes Eis im Jahr erquängelt. Madame Faucon sprach auf Französisch mit ihrer Tochter, während Julius Andrews sich umsah. Die Frühlingssonne schickte ihre warmen Strahlen über den Himmel, während Eltern und Großeltern mit Kindern vom Baby bis zum Zehnjährigen herumgingen und sich über die vielen Tiere unterhielten. Julius fragte sich, warum Joe nicht mit seiner Familie diesen schönen Tag genießen wollte. Er wußte zwar, daß die Beauxbatons-Lehrerin sehr willensstark war, aber da mußte noch was anderes vorgefallen sein. Er dachte an die Kameraden in Hogwarts, die nicht in die Ferien gefahren waren. Würden sie auch diesen herrlichen Ostersonntag genießen?

Richtig spannend fand Julius den Besuch des Reptilienhauses. Als kleiner Junge hatten ihn schon Vogelspinnen, Schlangen und Krokodile fasziniert. Er sah aufgeregt zu, wie Babette sich vor das Panzerglas stellte, hinter dem ein nordamerikanischer Aligator seine platte kurze Schnauze aufriß und seine spitzen Zähne zeigte. Babette schien vor dem gepanzerten Tier keine Angst zu haben.

"In Florida kann man Babys von diesen Tieren kaufen", meinte Julius. Babette sah ihn mit großen Augen an. Catherine Brickston sah den Sohn der Andrews' tadelnd an.

"Seit dem die drei ist, will sie ein Haustier haben. Die kriegt erst eins, wenn sie sich alleine darum kümmern kann", stellte Babettes Mutter klar.

"Meine Eltern wollten mir auch kein Tier zulegen", sagte Julius kleinlaut. Dabei dachte er daran, wie gerne er eine eigene Eule hätte. Er überlegte sich auch schon, sich eine zum Geburtstag zu wünschen.

"Aligatoren werden auch nicht lange gehalten. Manche werfen sie in den Abfluß, bevor sie größer werden. Irgendwo in Miami und New York soll es Aligatoren in den Abwasserkanälen geben", servierte Julius Babette eine Geschichte, von der er selbst nicht wußte, ob sie wahr oder eine Zeitungsübertreibung war.

"Ich will einen Drachen haben", sagte Babette und fing sich von ihrer Mutter und ihrer Großmutter einen sehr bösen Blick ein.

Julius sah zu dem Komodowaran hinüber, der ebenfalls hinter einer dicken Panzerglasscheibe lag. Fast hätte er "Nimm doch den da drüben" gesagt. Doch er beherrschte sich gerade noch. Das wäre nicht so klug, einer kleinen Hexe sowas einzureden. Nachher bekam sie noch die Scheibe auf und ließ den großen Waran heraus. Das wäre nicht nur gefährlich, sondern auch sehr auffällig. Und Julius wollte keinen Ärger mit den Brickstons oder mit Madame Faucon haben, geschweige mit dem Zaubereiministerium. Nachher kamen sie ihm noch mit "Anstiftung zur gefährlichen Zauberei" oder etwas in der Richtung.

Babette sah den Komodowaran eine Minute später, als sie sich von der Riesenpython abgewandt hatte. Sie zeigte mit ihrem rechten Zeigefinger darauf und ließ ein langezogenes Ooooo hören. Madame Faucon und ihre Tochter sahen Babette warnend an, so das die Kleine zusammenfuhr und irritiert auf ihre Mutter und ihre Großmutter starrte. Julius vermutete, daß die beiden erwachsenen Hexen das Kind daran gehindert hatten, irgendwas mit dem Zootier hinter der Sicherheitsscheibe anzustellen. Auf jeden Fall war sie danach nicht mehr an dem Reptil interessiert und wollte nur noch aus dem Terrarienhaus heraus.

Der restliche Zoobesuch verlief ohne Ereignisse. Madame Faucon, die Brickstons und Julius wirkten wie jede andere Familiengruppe, die den großen Tierpark besuchte.

Nach dem Zoo besuchten die Hexen aus Frankreich und Julius Andrews noch den botanischen Garten. Hier ließ sich Professeur Faucon von Julius demonstrieren, wie weit sein Wissen über nichtmagische Pflanzen gediehen war. In einem Bereich, in dem heimische Gartenpflanzen ihren Familien nach zugeordnet waren, erklärte die Verwandlungslehrerin von Beauxbatons dem Hogwarts-Schüler, wie sie in ihrem eigenen Garten Gemüse nebeneinander anbaute, um es ohne Magie zu hohem Ertrag zu bringen. Babette interessierte sich eher für die Dschungelpflanzen, die in zwei beheizten Gewächshäusern wuchsen. Julius konnte ihr nachempfinden, wie toll es sein mußte, an einem tropischen Baum hinaufzuklettern. Als dann auch noch die Mittagssonne durch das hohe Glasdach hereinschien und sich ihren Weg durch die breiten dunkelgrünen Blätter suchte, verlor er sich in einer Phantasie, in einem echten Dschungel zu wandern.

Es war so um ein Uhr, als die Ausflügler in die Winston-Churchill-Straße 13 zurückkehrten. Schon von weitem konnten sie den Festtagsbraten riechen, den Martha Andrews zubereitet hatte. Babette stürmte ins Haus, kaum das Julius die Tür aufgeschlossen hatte.

Während die Andrews' und ihre Gäste aßen, erzählten Babette und Julius von ihrem Ausflug in den großen Zoo und den botanischen Garten. Joe hatte den Vormittag genutzt, um diverse unerledigte Arbeiten zu bewältigen. Er erzählte von Programmierungen, die er auf Martha Andrews' Computer testen und verbessern konnte, wenngleich sich außer Martha und Julius niemand dafür interessierte.

Der restliche Tag klang damit aus, daß Madame Faucon und Catherine Brickston ihren Dank abstatteten, indem sie ein original französisches 5-Gänge-Diner zubereiteten. Man ließ sich zeit, um bei Kerzenschein die überlegene französische Küche zu genießen. Joe rümpfte die Nase, weil er sich überlegte, wie seine Schwiegermutter an die Gewürze und Sonderzutaten gelangt war. Martha freute sich, daß man aus wenig Zutaten so vielfältige Speisen zubereiten konnte.

Nach dem Abendessen vertrieben sich Madame Faucon, die Brickstons und die Andrews' die Zeit mit Hausmusik. Julius holte seine Mundharmonika, die er seit drei Jahren nicht mehr gespielt hatte und begleitete Catherine Brickstons Gitarrenmusik. Danach spielte Madame Faucon leise Violinenstücke. Um neun Uhr brachte Catherine Babette in das Gästezimmer, damit sie schlafen konnte, während Joe leicht verärgert seine Schwiegermutter ansah.

"Was hast du für ein Problem, Joe?" Wollte Martha Andrews wissen.

"Dazu sage ich nichts", erwiderte Joe und fragte Julius, ob er ihm nicht noch ein paar neue Tricks für die Arbeit mit dem Computernetz zeigen konnte. Julius, der spürte, daß Joe nicht mit Madame Faucon alleine sein wollte, willigte ein und verließ ebenfalls das Wohnzimmer.

"Ich weiß gar nicht, was du heute für ein Problem hast, Joe. Deine Schwiegermutter ist zwar irgendwie streng und bestimmend, aber doch ganz umgänglich", meinte Julius leise.

"Würdest du mir glauben, daß deine Mutter vieles, was da im Essen war, nicht in London gekauft haben kann, weil es hier nicht verkauft wird?" Fragte Joe.

"Du meinst den französischen Käse und die Spezialgewürze. Die hat deine Schwiegermutter doch in einer Kühlbox mitgebracht. Das sagt zumindest Catherine."

"Was soll sie dir auch sonst erzählen", seufzte Joe und arbeitete noch ein wenig mit Julius.

"Wann fahrt ihr morgen?" Stellte Julius die Frage, die er an und für sich nicht hatte stellen wollen.

"Gleich morgen nach dem Frühstück. Ich will deiner Mutter nicht zu lange auf den Keks gehen", erklärte Joe.

"Wieso. Mum hat sich doch gefreut, daß du da warst."

"Ja, aber jedesmal, wenn ich mit der ganzen Familie wohin komme, habe ich das ungute Gefühl, daß irgendwas merkwürdiges passiert."

"Wieso merkwürdig?" Fragte Julius.

"Ich sage dazu nichts mehr", entgegnete Joe Brickston.

"Also mir ist nichts ungewöhnliches an deiner Schwiegermutter aufgefallen", sagte Julius und lächelte, weil er die Wahrheit gesagt hatte. Denn für ihn war Zauberei zur alltäglichsten Sache der Welt geworden, so war Madame Faucon völlig normal für ihn, abgesehen von ihrem bestimmenden Wesen.

Julius verabschiedete sich um zehn Uhr von Joe, der dann in das Gästezimmer hinaufstieg, wo seine Frau schon wartete. Julius selbst ging noch mal in die Küche hinunter, um seiner Mutter bei angefallenen Hausarbeiten zu helfen. Martha Andrews unterhielt sich mit Madame Faucon, wenn man Unterhaltung als Austausch von Gesten und Mienenspiel bezeichnen wollte.

"Kommst du noch mal, um sicherzustellen, daß es für dich nichts mehr zu tun gibt, Julius?" Fragte seine Mutter.

"Ich dachte, ich helfe dir noch beim wegräumen des Geschirrs, das nicht in der Spülmaschine gespült werden kann.

"Das haben Madame Faucon und ich schon erledigt. Ist joe schon im Bett?" Wollte Mrs. Andrews wissen.

"Er ist schon in sein Zimmer gegangen. Er hat mir erzählt, daß er morgen schon nach dem Frühstück losfahren will", erzählte Julius.

"Ja, das hat Catherine mir auch erzählt", bestätigte Martha Andrews.

Um kurz vor halb elf verließen die Andrews' und Madame Faucon das Wohnzimmer, um schlafen zu gehen. Dabei fiel Martha auf, daß eine Blumenvase fehlte, die im Flur stand.

"Huch, wo ist denn die Kopie dieser Ming-Vase?"

"kaputt kann sie nicht gegangen sein. Das hätten wir gehört", vermutete Julius. Dann sagte er:

"Womöglich hat die kleine sie versteckt, als sie nach oben ging."

"Du unterstellst Babette aber auch jeden Schabernack, wie?" Fragte Martha Andrews.

"Wenn sie es war, können wir sie ja morgen fragen", meinte Julius.

Martha zuckte die Achseln und ging nach oben. Julius wolte eigentlich auch in seinem Zimmer verschwinden, doch die französische Hexenlehrerin hielt ihn mit einer Geste zurück. Sie bedeutete Julius, ihr noch mal ins Wohnzimmer zu folgen. Dort fragte sie leise:

"Glaubst du wirklich, daß meine Enkelin die Vase hat verschwinden lassen?"

"Die Vase ist einen Meter groß. Die kann nicht so einfach irgendwo hingestellt werden, ohne daß das jemand sah. Ich denke, sie hat einen Schrumpfzauber oder dergleichen angestellt", flüsterte Julius.

"Du kennst diese Vase besser als ich. Hier, hol sie her!" bestimmte die Verwandlungslehrerin von Beauxbatons und gab Julius ohne zu zögern ihren Zauberstab. Julius sah sie entgeistert an.

"Ich darf nicht zaubern", flüsterte Julius eindringlich. Doch Madame Faucon schüttelte den Kopf und erwiederte sehr bestimmt:

"Ich möchte morgen abreisen, ohne daß etwas nicht so ist, wie wir es vorfanden, als wir hier eintrafen. Du holst diese Vase jetzt her, sofort!"

Die Letzten Worte zischte die Professorin und sah Julius dabei so durchdringend an, daß dieser glaubte, sie wolle ihn mit ihrem Blick durchbohren. Julius nickte und entspannte sich. Dann schloß er die Augen und stellte sich die verzierte Vase vor, die eine kunstvolle Kopie einer Vase aus dem 14. Jahrhundert war, die Julius' Vater einmal von einer Dienstreise mitgebracht hatte. Als er das Bild klar vor seinem geistigen Auge sah, murmelte er ein kräftiges "Accio Kopie der Ming-Vase aus dem Flur!"

Ein leises Schwirren kam aus dem Flur und etwas kleines, weißes schoß Julius fast an den Kopf. Reflexartig fischte er das winzige Ding und hätte es fast in der freien Hand zerdrückt, so zerbrechlich wirkte es.

"Das kann doch nicht sein", entfuhr es dem Jungen, und Professeur Faucon machte "schschscht!"

"Das hat sie schon mit vier Jahren einmal gemacht", sagte die ältere Hexe mit wohlwollendem Lächeln.

Julius besah sich das herbeigezauberte Ding noch mal. Es bestand keinn Zweifel. Das winzige Objekt, das locker in seiner Handfläche lag, war eine nur vier Zentimeter große Version der gesuchten Vase. Er drehte das zerbrechliche Stück Porzellan vorsichtig und konnte keinen Unterschied zu dem großen Gefäß erkennen, welches verschwunden war.

"Das ist ja unheimlich", gestand Julius, daß ihm unwohl bei der Sache war. Babette mußte die Vase aus einem Anfall von Wut oder Spieltrieb heraus eingeschrumpft haben. Womöglich war sie dann hinter dem Papierstapel im Flur verschwunden.

"Du hast die Größenveränderungen schon gelernt?" Fragte Madame Faucon.

"Ja, habe ich. Aber meine Versuche konnten nie auf eine bestimmte Größenveränderung abgestimmt werden. Machen Sie das wieder rückgängig, bitte!"

"Aber sicher doch. Stell die Vase bitte auf den Tisch ab!"

Julius befolgte die Anweisung. Dann gab er der Hexe von Beauxbatons den Zauberstab zurück und sah ihr zu, wie sie über der geschrumpften Vase eine Dreivierteldrehung im und gegen den Uhrzeigersinn vollführte. Dann sagte sie leise aber bestimmt:

"Remagno!"

Die verkleinerte Vase zitterte kurz, dann wuchs sie lautlos an, wie ein sich aufblähender Luftballon, bis sie einen Meter groß war.

"Der Engorgius-Zauber, den ihr vielleicht gelernt habt, vergrößert unbestimmt, abhängig von der eingebrachten Magie. Der Remagnus-Zauber stellt bei einem schon eingeschrumpften Gegenstand die Ursprungsgröße wieder her, auf den Millimeter genau", erläuterte die Professorin für Verwandlung ganz im Stil einer Lehrerin, die eine ihr längst bekannte Tatsache weitergibt.

"Achso", meinte Julius gelangweilt klingend. Dafür fing er einen etwas tadelnden Blick der Hexe auf und erstarrte vor Schreck.

"Mach mich nicht wütend, junger Herr. Ich verabscheue Ignoranten."

"Entschuldigung, Madame", erwiderte Julius reuevoll. Dann nahm er die rückvergrößerte Vase und trug sie wortlos an ihren Stammplatz zurück. Dann gingen sie leise nach oben. Julius trat mit gewöhnlich lautem Schritt an die Schlafzimmertür seiner Eltern und klopfte.

"Julius, was ist denn?" Fragte seine Mutter, die bereits im Bett lag.

"Wir haben die Vase gefunden. Sie lag hinter einem Regal im Flur. die Kleine muß sie heimlich dorthingelegt haben, um uns zu ärgern. Ihre Mutter hat das nicht mitkriegen können, weil sie nicht immer um ihren Wirbelwind herumlaufen kann."

"Dann ist ja gut. Das Ding ist zwar nur ein Tausendstel soviel wert wie es aussieht. Aber dein Paps hätte schon komisch geguckt, wenn sie nicht mehr da wäre", erwiderte Martha Andrews. Julius wünschte ihr noch eine gute Nacht und kehrte in sein Zimmer zurück.

 

 

Am nächsten Morgen wurde noch ruhig gefrühstückt. Babette sah kleinlaut zu ihrer Großmutter hinüber. Offenbar hatte sich das kleine Mädchen noch am Morgen eine Strafpredigt anhören müssen. Vielleicht hatte die alte Hexe auch mit einer heftigen Strafe gedroht. Madame Faucon hatte für die Andrews' noch einmal frische Aprikosen herbeigeholt, angeblich aus ihrer Kühlbox. Nach dem Frühstück verabschiedeten sich die Andrews' von Joe Brickston und seiner Familie. Julius sah vor allem die ältere Hexe aus Beauxbatons an und sagte nur "Au revoir, Madame Faucon!"

"Au revoir, Garçon!"

Dann fuhren die vier Besucher in ihrem Rover Kombi davon.

"Hast du auch den Eindruck, daß Joe mit seiner Schwiegermutter Probleme hat, die über das Normalmaß hinausgehen?" Wollte Martha Andrews von ihrem Sohn wissen. Dieser guckte sie irritiert an und fragte zurück:

"Wieso fragst du mich das, Mum?" Dann meinte er noch:

"Auf mich wirkte sie ähnlich streng wie Professor McGonagall. Die war vielleicht auch Lehrerin oder ist es immer noch."

"Den Eindruck habe ich auch gewonnen, Julius. Sie hatte Babette gut im Griff und konnte sich fast ohne Worte durchsetzen. Aber ich hatte nicht den Eindruck, daß sie ihre Rolle durch Gewalt erstritten hat. Aber Joe hat immer so gesprochen, als habe sie ihm gedroht oder ihm etwas getan."

"Er nannte sie eine alte Hexe", lachte Julius. Martha Andrews zuckte zwar kurz zusammen, als sie das hörte. Doch dann lachte sie auch.

Dann können wir ja zur Tagesordnung übergehen, Julius. Hilfst du mir, die Zimmer aufzuräumen?"

"Kein Problem", erwiderte Julius Andrews.

Julius verbrachte den Nachmittag zusammen mit Malcolm und Lester auf dem Fußballplatz. Er gab ihnen das geliehene Buch von Scorpio Taurus zurück und unterhielt sich mit ihnen über die Umsetzung in eine Fantasy-Geschichte, wo an Stelle der Raumschiffe Pferde und an Stelle der Strahlenwaffen Schwerter und Bögen verwendet werden sollten, aber sonst alles beim alten blieb.

Am Abend trafen drei Eulen ein. Ein Steinkauzweibchen von Gloria Porter, das einen Brief beförderte, eine Schleiereule vom Ministerium für Zauberei und ein Waldkauz von Hogwarts.

Julius las zunächst den Brief von Gloria:

 

Hallo, Julius!

Ich hoffe, du hast dich mit Professeur Faucon gut verstanden. Meine Tante Geraldine, die gestern bei uns zu Besuch war, hat Stories über ihre Zeit als Austauschschülerin in Beauxbatons erzählt. Sie muß sichs ja da mal gründlich mit Professeur Blanche Faucon verscherzt haben, weil sie bei einem Streich ein Objekt in eine Teekanne verwandelt hat. Die Verwandlungslehrerin hat das irgendwie gerochen und mit einem Reverso-Mutatus-Zauber das verdächtige Objekt wider hergestellt. Ich habe dabei an unser Experiment am See denken müssen. Am besten solltest du sowas nicht mehr ausprobieren, damit McGonagall nicht doch noch auf merkwürdige Ideen kommt!

Treffen wir uns morgen auf Gleis 9 3/4?

Viele Grüße an deine Mutter!

Gloria

P.s. Das Französischsprachbuch ist nicht dazu da, zu Hause herumzuligen. Bring's also bitte mit nach Hogwarts!

 

Danach las Julius den Brief des Zaubereiministeriums. Er lautete:

 

Sehr geehrter Mr. Andrews,

wir zeigen uns sehr erfreut, daß Sie sich trotz des in Ihrem Zuhause stattgefundenen Besuches aus der Zaubererwelt an das Ihnen auferlegte Beschränkungsgebot gehalten haben. Wir erhielten von Professeur Faucon stets eine genaue Auflistung aller von ihr oder ihren direkten Familienangehörigen gewirkten Zauber. Sie deckte sich immer mit den von uns registrierten Zaubereien.

Wir möchten Sie daher nur der Form halber daran erinnern, daß jede weitere Zauberei an Ihrem Wohnsitz nun auf Sie zurückzuführen ist und gemäß den Ihnen bekannten Beschränkungen der Zauberei für Minderjährige abgemahnt oder bestraft wird.

Wir wünschen Ihnen eine erfolgreiche Fortsetzung Ihrer schulischen Ausbildung und verbleiben

 

mit freundlichen Grüßen

Mafalda Hopfkirch, Abteilung zur vernunftgemäßen Beschränkung der Zauberei bei Minderjährigen

 

Schließlich las Julius noch den Brief von Hogwarts.

 

Sehr geehrter Mr. Andrews,

wie wir erfuhren, bot Ihnen die Osterzeit die Gelegenheit, eine renommierte Kollegin aus Beauxbatons kennenzulernen. Professeur Blanche Faucon zeigte sich sehr beeindruckt von Ihrer Zurückhaltung und Ihrer Auffassungsgabe und teilte uns mit, daß sie unsere Überzeugung teilt, daß Sie bei uns richtig untergebracht sind. Wir sehen uns also morgen hoffentlich erholt wider.

mit freundlichen Grüßen

Professor Flitwick Professor M. McGonagall, stellvertretende Schulleiterin

 

So endeten die ersten Osterferien für Julius Andrews, dem jungen Zauberer, der bis vor einem dreivierteljahr nicht wußte, daß es Zauberei überhaupt gab.

FRÜHLING IM ZAUBERSCHLOß by Thorsten Oberbossel

Da nicht alle aus Hogwarts in die Ferien gefahren waren, fanden sich am Gleis 9 3/4 nur ein Viertel soviele Schüler ein, wie bei Schuljahresbeginn. Julius Andrews, der sich von seiner Mutter zum Bahnhof hatte bringen lassen, fand Gloria Porter sehr schnell. Sie stand noch bei ihren Eltern und einer untersetzten Frau mit graublonden Haaren, die ein buntes Blumenkleid und einen kleinen runden Strohhut trug.

"Huhu, Julius!" Rief Gloria ungeniert über das Gleis. Julius lief leicht rot an und beeilte sich, seinen Schulkoffer zu Gloria hinüberzuschaffen.

"Hallo, Gloria. Mußte das denn sein, daß du mich auf dem ganzen Bahnhof ausrufst?" Begrüßte Julius die Schulkameradin.

"Wieso, das hört doch keiner außerhalb der Barriere", erwiderte Mrs. Porter lächelnd. "Sonst müßten sie ja auch die Lokomotive hören können, wenn sie anzieht."

"Mag sein, Mrs. Porter. Ich wollte auch nicht böse sein, sondern nur fragen, warum sie nicht warten konnte."

"Warum nicht?" Fragte Gloria. Dann deutete sie auf die Dame im bunten Kleid.

"Das ist meine Großmutter väterlicherseits, die aus New Orleans stammt, wo sie im Laveau-Institut zur Abwehr von Flüchen arbeitet. Darf ich vorstellen, Mrs. Jane Porter, Julius Andrews, ein Klassen- und Hauskamerad von mir."

"Angenehm", bekundete Julius höflich. Die Untersetzte Hexe erwiderte den Gruß.

"Es freut mich, daß Gloria so schnell gute Freunde in Hogwarts gefunden hat", fühgte Jane Porter mit starkem amerikanischen Akzent hinzu. Julius mußte sich beherrschen nicht zu erwidern, daß die Dame nicht glauben sollte, er hätte was mit Gloria. Dafür hielt er sich noch für zu jung.

"Mein Mann, mein Bruder, seine Frau und ich kamen mit dem fliegenden Holländer hierher."

"Häh, dem Geisterseefahrer auf ewiger Fahrt? Ich dachte, der fährt immer um irgendein sturmumtobtes Kap herum", wunderte sich Julius.

"Nicht doch, Honey. So heißt nur der Schnellsegler für interkontinentalreisende Zauberer und Hexen, die viel Gepäck mitnehmen müssen und daher nicht mit Flohpulver oder Langstreckenbesen reisen können", lachte Mrs. Porter, die Oma von Gloria.

"Entschuldigung, Madam. Ich kenne mich nicht aus mit den Fernverkehrsmitteln der Zaubererwelt."

"Seine Eltern halten nichts von Besen, Flohpulver und magischen Fahrzeugen", erklärte Gloria ihrer Großmutter.

"Wie denn das. Apparieren die nur?"

Jetzt mußten sie alle lachen, Gloria, ihre Eltern und Julius Andrews. Julius meinte nur:

"Neh, können die gar nicht. Sie sind keine Zauberer."

"Himmel, das wußte ich nicht, Mein Junge. Dann hast du es bestimmt nicht einfach mit Hogwarts."

"Wenn dem so wäre, würde ich jetzt nicht dahinfahren", warf Julius frech ein, lächelte dabei jedoch wie ein Kind, daß will, daß ihm keiner böse ist.

"Genau, Granny, und deshalb steigen wir jetzt in den Zug ein", beendete Gloria die kurze Debatte. Julius nickte und sagte nur "Yepp!"

Als Gloria und Julius in den zweiten Wagon hinter der Lok stiegen, trafen sie Pina, Gilda und Kevin. Pina sagte zu Julius:

"Betty und Jenna sitzen zwei abteile hinter der zweiten Zusteigetür. Sie haben schon nach euch beiden gefragt, Gloria und Julius."

"Alles klar, Pina, danke", erwiderte Gloria und zog Julius wie beiläufig hinter sich her.

"Hey, Julius! Wetten wir auf das Finale?"

"Ich wette nicht gegen jemanden, der hofft, daß die Slytherins den Pokal holen", meinte Julius. Kevin grummelte und sagte dann:

"Idiot! Diese Unverschämtheit würde ich mir nie leisten. Ich wollte nur wetten, wie groß der Punktevorsprung für Gryffindor sein wird."

"Zweihundertzehn", sagte Julius trocken.

"Gut, die zweihundert muß ich wohl akzeptieren, weil die Gryffindors den Pokal sonst nicht kriegen. Dann sage ich zweihundertzwanzig", äußerte Kevin Malone.

"Um was wetten wir?" Wollte der wettlustige Junge mit der rotblonden Haartracht wissen.

"Muß ich mir noch überlegen", sagte Julius, der nicht wollte, daß der halbe Zug es mitbekam.

Pina, Gloria, die Hollingsworth-Zwillinge, Gilda und Julius besetzten wieder ein Abteil, während Kevin und Fredo sich mit den Hufflepuff-Jungen aus der ersten Klasse zusammensetzten.

"Schon wieder bin ich der Hahn im Korb", dachte Julius, als er die fünf Mädchen ansah. Er half ihnen, ihre Koffer in die Gepäcknetze zu wuchten und staunte über Glorias Eulenkäfig.

"Wo ist denn deine Eule jetzt, Gloria?" Wollte Julius wissen.

"Trixie hat einen Auftrag zu erledigen. Sie kommt nach Hogwarts. Alle Posteulen wissen, wo das ist. Warum schenken dir deine Eltern keine Posteule? Der könnten sie auch diese elektronischen Briefe mitgeben, die du kriegst."

"Meine Eltern wollen mir keine Eule schenken. Und ich will nicht, daß sie meine elektronische Post lesen, wenn sie sie ausdrucken lassen", antwortete Julius.

"Hast du überhaupt was bekommen?" Fragte Gilda ungeniert. Julius meinte nur:

"Zu Ostern kriege ich nur Süßkram. Schokolade und so'n Zeug. Wir hatten Besuch von einer Familie mit einer kleinen Tochter. Die hat einen Zauberwürfel bekommen."

"Huch! Einen Zauberwürfel?" Wunderte sich Pina.

"Das ist ein Spielzeug, ohne Magie. Ein Würfel, der aus vielen kleinen Würfeln zusammengebaut ist, die sechs unterschiedliche Farben haben. Sie sind Verdrehbarangebracht und müssen so hin und hergedreht werden, daß der gesamte Würfel auf jeder Seite eine dieser sechs Farben zeigt", erklärte Julius.

"Und warum heißt das Ding dann Zauberwürfel?" Fragte Gilda Fletcher.

"Weil viele glauben, daß man ihn nur durch Hexerei so hinbekommen kann", erwiderte Julius.

Ruckelnd fuhr der Hogwarts-Express an. Gloria verabschiedete sich noch durchs geöffnete Fenster von ihren Verwandten. Dann winkten Gilda, Pina und die Hollingsworths noch nach draußen. Julius schluckte. Seine Mutter stand hinter der magischen Barriere und sah ihn nicht. Für sie war der Bahnsteig nicht zu betreten.

"Heh, was guckst du so trübsinnig in die Landschaft, Julius?" Fragte Pina.

"Nichts. Ich habe nur daran gedacht, daß meine Eltern mich nicht direkt an den Zug bringen können. So kriegt meine Mutter ja nicht mit, wenn ich losfahre. Wahrscheinlich hat sie sich schon auf den Heimweg gemacht, als ich durch die Sperre ging."

"Achso. Verstehe ich", sprach Pina. Aus einem der Nachbarabteile hörten sie Fredo, Kevin und die Jungen aus der ersten Klasse von Hufflepuff laut lachen und mit den Füßen stampfen.

"Die haben sich wohl den Witz der Woche erzählt", grinste Julius und ließ sich auf einen Sitz rechts von Gloria nieder. Die Hollingsworths saßen ihm gegenüber.

"Wie war denn diese Familie sonst so?" Flüsterte Gloria Julius ins Ohr.

"Meine Mutter hat nichts außergewöhnliches bemerkt."

"Aha", sagte Gloria laut.

"Habt ihr was geheimes ausgetüftelt. Dann halten wir uns die Ohren zu", meinte Betty Hollingsworth.

"Neh, nichts von Belang. Gloria wollte nur wissen, ob ich das Buch dabei habe", erwiderte Julius spontan.

"Was denn für ein Buch?" Fragte Jenna.

"Ein Sprachlernbuch für Französisch", ging Gloria auf Julius Ausrede ein.

"Wozu brauchst du denn sowas?" Wollte Betty wissen.

"Man kann nie wissen", meinte Gloria vieldeutig.

"Apropos. Habt ihr das auch gelesen, was in der Osterausgabe der Hexenwoche stand?" Fragte Pina Watermelon. Julius wandte sich ihr zu und schüttelte den Kopf.

"Ich lese keine Hexenwoche. Stand da was interessantes drin?"

"Aber gewiß doch. Eine Lehrerin der französischen Akademie Beauxbatons hat die Ferien genutzt, um das Leben englischer Muggel kennenzulernen. Sie ist mit ihrer Tochter und deren Familie herübergekommen und wollte einige Tage testen, ob die Muggel wirklich künstlich verunreinigte Sachen essen", gab Pina kurz wieder, was Gloria Julius schon längst vorgelesen hatte.

"Und, ist sie vergiftet worden?" fragte Julius mit gelangweilt klingender Stimme.

"Stand noch nicht drin", erwiderte Gloria.

"Sie wird sich wahrscheinlich nicht gerade wohlwollend auslassen, wenn sie das nächste Interview gibt", bemerkte Gilda Fletcher. "Muggel verpanschen ihre Nahrung derartig mit künstlichen Farben und Geschmacksstoffen, daß sie bestimmt den Untergang der Muggelwelt vorhersagen wird."

"Na hör mal! Ich bin mehr als zehn Jahre lang mit Muggelnahrung gefüttert worden und lebe immer noch", fühlte sich Julius verpflichtet, dem zu widersprechen, daß die Nahrung seiner Eltern sie eines Tages umbringen würde.

"Sei froh, daß du bei uns anständiges Essen kriegst. Dann bleibt dir der Sondermüllplatz erspart", wandte Gloria ein und grinste gehässig.

"Haha!" Machte Julius und schwieg erst einmal.

Betty brach das Schweigen nach fünf Minuten, in denen nichts als das Rattern der Räder auf den Schienen und das kraftvolle Schnaufen der Lok, sowie lautes Gelächter aus dem Abteil von Fredo und Kevin zu hören war, indem sie fragte:

"Glaubt ihr, daß Gryffindor den Pokal noch bekommt?"

"Nur wenn sie den Punkteabstand immer auf fünfzig halten und Harry Potter den Schnatz fängt", antwortete Gilda. Gloria sagte:

"Der Junge kann einem leid tun. Im Grunde muß er Draco Malfoy vom Schnatz fernhalten und diesen dann noch selbst fangen, wenn seine Mannschaft fünfzig Punkte Vorsprung herausgespielt hat. Nachdem, was Cho und Padma gesagt haben, ist Wood ein fanatischer Quidditchspieler. Außerdem ist da noch diese bekannte Feindschaft zwischen Potter und Malfoy."

"Nur, daß die Slytherins drei Viertel aller Zuschauer gegen sich haben werden, weil niemand aus den anderen Häusern ihnen den Pokal gönnt", bemerkte Julius und fügte hinzu, daß viele Fußballpartien dadurch entschieden wurden, daß ein überwiegender Teil der Zuschauer einer Mannschaft durch Rufe und Gesänge zum Sieg verholfen hatte.

"Das ist den Slytherins doch vollkommen egal, Julius. Die leben doch sowieso nach der Formel: "Wir gegen den Rest der Welt"", wandte Gilda ein.

"Und irgendwann heißt es nur noch "erst ich und dann lange kein anderer"", warf Pina noch ein.

"Genau so ist es, Pina", stimmte Julius zu. "ich denke aber, daß es doch einige wenige Ausnahmen gibt."

"Du meinst Lea Drake, Julius?" Fragte Gloria herausfordernd.

"Die und Chuck Redwood, die scheinen mir bis jetzt nicht in dieses Haus zu passen. Aber vielleicht denken das ja andere von mir genauso", antwortete der Sohn von Martha und Richard Andrews.

"Wieso, Julius? Glaubst du, die Slytherins würden dich eher für einen von ihnen halten?" Wollte Gloria wissen.

"oder für einen Hufflepuff oder Gryffindor", entgegnete Julius Andrews.

"Unsinn. Die lassen dich nur in Ruhe, weil sie dich nicht für einen Gryffindor halten. Der Hut hat eine eindeutige Wahl getroffen, und deshalb wohnst du bei uns", stellte Pina unmißverständlich fest.

"Immerhin hat die alte Tüte zwei Minuten gebraucht, um sich zu entscheiden. Ich dachte schon, der Hut würde mich wieder umschicken."

"Hast du uns schon einmal erzählt, Julius", erwiderte Betty gelangweilt. "Justin aus der dritten Klasse hat mal erzählt, daß einige noch länger auf dem Stuhl sitzen mußten, als er eingeschult wurde. Hast du etwa schon Heimweh?" Wandte sich Jenna Hollingsworth an Julius.

"Sagen wir so: Heimweh habe ich keins. Im Gegenteil. Ich habe nirgends soviel interressante Leute und Sachen kennengelernt wie in Hogwarts und fühle mich auch sehr wohl da, wo ich untergebracht bin. Allerdings würde ich mein Taschengeld für das nächste Jahr dafür hergeben, wenn wir nicht wieder an diesen blöden Dementoren vorbeifahren müßten."

"Solange die Black nicht gekriegt haben geht das wohl nicht anders. Und die haben den noch nicht. Sonst hätte mein Vater mir das schon verkündet", sagte Gilda Fletcher.

"Gut, okay. Muß ich noch mal welche von den Befreiungsbonbons rausholen", seufzte Julius.

"Buntons Bonbons?" Fragte Pina aufgeregt. "Die sind teuer. Zwölf Knuts das Stück."

"Ui!" Staunte Julius. "Das hat mir keiner erzählt. Ich habe die Dinger zu Weihnachten gekriegt."

"Dann hat jemand, der dich kennt, gedacht, daß du gegen die Dementoren gewappnet sein solltest", sagte Gilda leise. Dann meinte sie noch:

"Laß dich bloß nicht von den Dementoren erwischen mit diesen Dingern. Sie mögen es nicht, wenn man ihre Auswirkungen so gut abschütteln kann. Außerdem würden sie dich dazu zwingen, alle Bonbons zu schlucken, die du bei dir hast, nur um dich in so heftige Glücksstimmung zu versetzen, daß sie sich an dir sattfressen können", wandte Gilda Fletcher ein.

"Das ist mir bekannt, Gilda. Deshalb hole ich die erst raus, wenn die Dementoren wieder weg sind. Oder ich lerne diesen Zauber, den Harry Potter beim Spiel gegen uns gebracht hat."

"Wie, du hast Harry nicht gefragt, was er gemacht hat?" Wollte Betty wissen.

"Ich kam nicht dazu. McGonagall hat mich sehr unmißverständlich davon abgehalten. Sie sagte was von einer Kampfansage an diese Monster, wenn man diesen Zauber gegen sie anwendet", erzählte Julius.

"Womit sie recht hat, Julius", erwiderte Gilda. "Mein Großvater kann diesen Zauber. Aber er hat ihn mir auch nicht verraten."

"Vielleicht gibt er auch nur an", flachste Pina. Julius hörte einen gehässigen Unterton heraus. Er stellte sich vor, daß die beiden Mädchen in ihrem Schlafsaal häufig über Gildas Großvater sprachen.

"Tut er nicht", versetzte Gilda trotzig. Dann hörten sie wieder das Lachen aus dem Abteil, wo Kevin und Fredo saßen.

"Soll ich mal kucken, was da los ist?" Fragte Julius.

"Ach, laß die doch. Nachher ziehen sie noch über dich her, weil du nicht gleich zu ihnen ins Abteil gestiegen bist", meinte Pina Watermelon und hielt Julius' Blick mit ihren wasserblauen Augen fest.

"Ich muß mir doch noch was überlegen, was ich Kevin als Wetteinsatz abverlangen kann", erinnerte sich der Sohn eines Chemikers.

"Ach neh! Ihr wollt doch nicht wirklich darauf wetten, wer den Pokal kriegt", maulte Betty Hollingsworth.

"Zumindest sind wir beide der Meinung, daß Gryffindor den Pokal gewinnt. Nur ich glaube an einen hauchdünnen Punktevorsprung in der Gesamtwertung, während Kevin mehr Punkte für Gryffindor erwartet. Eigentlich harmlos."

"Soso. Du denkst also, das Spiel wird Harmlos?" Erkundigte sich Gloria Porter.

"Das Spiel nicht, aber das Ergebnis", entgegnete Julius.

Man vertrieb sich die Zeit mit Berichten über die Ferientage, wobei Julius aufpaßte, daß er nichts von Professeur Faucon und ihrer Familie erzählte, was darauf schließen ließ, daß diese hohe Dame ihn besucht hatte. Als die Hexe mit dem Imbißwagen an ihrem Abteil vorbeikam, kaufte Julius eine Schachtel Schokofrösche und sechs Stücke Kesselkuchen. Pina kaufte eine Kanne Kürbistee und eine Tüte Berty Botts Bohnen in jeder Geschmacksrichtung. Sie teilten die Süßigkeiten ordentlich unter sich auf und Julius erwischte zur allgemeinen Belustigung der Mädchen im Abteil eine Bohne mit der Wirkung einer italienischen Pepperoni, was ihm einen Hustenanfall bescherte und Tränen in die Augen trieb.

"Jau! Das ist heftig", bemerkte er prustend, als ihm Pina einen Becher mit heißem Kürbistee reichte. Julius trank den Tee in einem Zug.

"Da ist noch was Tee in der Kanne", sagte Pina und grinste amüsiert.

"Im Moment brauche ich keinen Tee, Pina. Danke für den Tee."

Kurz vor dem Haltebahnhof kamen wieder einmal die Dementoren in den Zug. Wieder wurde es dunkel und kalt. Wieder erfaßte sie alle das Gefühl von Angst und Verzweiflung. Julius hing genauso in einer Ecke des Abteils wie die mit ihm mitreisenden Junghexen. Dabei hing ihm Betty Hollingsworth mit einem Arm um den Leib, während er mit einem Arm Glorias Körper umfaßt hielt, die wie er zitterte, als der unheimliche Wächter schweigend das Abteil durchforschte. Rasselnd ging sein Atem, und seine Gestalt verströmte eisige Kälte. So verharrte der gruselige Fremde eine ganze Minute, bis er sich wieder zurückzog, gleitend, wie auf Rollschuhen.

Julius, der nicht wußte, ob es nur seine Tränen oder auch die von Betty, Gloria und Jenna waren, die seine Muggelkleidung durchnäßt hatten, löste sich aus der Angstumklammerung seiner Mitreisenden und sah sich um. Es war immer noch dunkel. Er zog seinen Zauberstab, den er vorsorglich in seiner Jacke untergebracht hatte und machte damit Licht. Dann sah er, wie Pina und Gilda unter den Sitzen kauerten und immer noch zitterten.

"Er ist wieder weg. Ihr könnt wieder hochkommen", sagte er mit schwacher Stimme. Gilda und Pina krochen unter den Sitzen heraus und setzten sich wieder.

"Du hast da noch was an der Wange hängen", meinte Pina schüchtern zu Julius und zog ein weißes Tüchlein aus ihrer Hosentasche. Behutsam strich sie Julius die Tränen von den Wangen, ohne daß das Tuch dadurch benetzt wurde. Dann trocknete sie sich selbst die Tränen und reichte das Tuch herum, während Julius in seinen Koffer langte und genau zwölf Befreiungsbonbons herausfischte. Er verteilte sie an seine Mitreisenden und sich. Dann sagte er, um seine eigene Fassung wiederzugewinnen:

"Ein Onkel von mir hat mal gesagt, daß kein Mann sich schämen soll, wenn er weinen muß, solange er einen richtigen Grund dafür hat."

"Hoffentlich haben sie diesen Black bald. Ich wünsche, ich habe diese Ungeheuer heute das letzte Mal treffen müssen", warf Jenna Hollingsworth ein.

"Ich geh mal nachgucken, was mit den anderen Jungen ist", sagte Julius und verließ das Abteil.

Im Abteil, wo Fredo und Kevin mit Leon Turner und den anderen Hufflepuff-Erstklässlern saßen, war die Stimmung nicht besser. Fredo hing in einer Ecke und heulte immer noch.

"Bist du gekommen, um einen Jungen heulen zu sehen?" Fragte Kevin gehässig.

"Neh, bin ich nicht. Ich wollte euch lediglich was gegen die trübe Stimmung geben", antwortete Julius und zog die sechs Bonbons aus der Hosentasche, die er vor der Fahrt schon eingesteckt hatte. Kevin konnte sofort wieder grinsen, als er die Befreiungsbonbons an seine Abteilmitreisenden aufteilte.

"Wie hat dieser Black das ausgehalten? In Askaban hängen die zu hunderten rum, immer um einen herum", staunte Kevin.

"Hmm, ich habe da vor kurzem was gelesen, das könnte erklären, weshalb Black das überstanden hat. Aber dazu lasse ich mich noch nicht aus", sagte Julius, der an den Weltraumroman über Cruellochs Foltergarten dachte.

"Echt? Wie kamst du an ein Buch über Dementoren? Madam Pince kennt zwar eins, aber das ist in der verbotenen Abteilung. Außerdem hat Dumbledore es eingezogen, um keinem die Möglichkeit zu geben, mit ihnen Streit zu suchen", bemerkte Fredo, der sich wieder gefangen hatte.

"Neh, kein Buch über Dementoren. Das war was anderes. Ich erzähl euch das später mal", vertröstete Julius den Klassenkameraden und Bettnachbarn.

Gloria Porter öffnete die Abteiltür, sah kurz auf die Jungen und meinte zu Julius:

"Zeit zum umziehen, Julius! Wir sind bald da."

"Dann hol deine Klamotten besser hier herein, damit uns keiner wegen unzüchtigen Betreibens drankriegt, wenn du dich in einem Mädchenabteil umziehst", flachste Kevin.

"Du irische Witzfigur hast das gerade nötig, von Züchtigkeit zu reden. Pina hat mir gerade eine interessante Story erzählt. Ich denke nicht, daß jeder die wissen möchte?"

"Da denkst du richtig", warf Kevin schnell ein und wurde rot. Julius grinste schadenfroh und verließ das Abteil. Vor dem, wo er mit Gloria und den anderen Mädchen zusammengesessen hatte, standen die Hollingsworths, Pina und Gilda, die wie Gloria bereits ihre Schuluniformen trugen. Julius schlüpfte an ihnen vorbei und zog den Türvorhang zu. Dann kleidete er sich schnell um, knüllte seine Nichtmagierkleidung zusammen und warf sie in den Koffer. Dann zog er den Vorhang wieder auf und öffnete die Abteiltür.

"Ihr dürft wieder reinkommen", sagte er lässig.

"Wir kommen gerade an. Hilfst du uns bei den Koffern, Julius?" Wandte sich Pina an Julius. Er nickte und wuchtete die großen Koffer herunter.

"Die brauchen wir doch nicht allein zu schleppen. Die werden doch abgeholt", sagte Gloria.

"Ist zwar richtig. Aber vielleicht will jemand noch was herausholen oder reintun", entgegnete Julius.

Die Ankunft in Hogwarts verlief ohne Probleme. In Hogwarts jedoch erwartete sie eine äußerst explosive Anspannung. Das Endspiel um den Quidditchpokal stand unmittelbar bevor, und die ohnehin bestehende Feindseligkeit zwischen Gryffindor und Slytherin erfüllte das altehrwürdige Schloß.

Wie heftig sich die Gryffindors und Slytherins in der Woche vor dem entscheidenden Spiel anfeindeten, bekam Julius im Kräuterkundeunterricht zu sehen, als er Chuck Redwood und Lea Drake, die mit Gloria und ihm ein Team bei der Beschneidung einer Rotsaftblattstaude bildeten, genauer ansah. Ihre Umhänge waren eingerissen, und Lea fehlten einige ihrer kastanienbraunen Haare, die sie zu kleinen Zöpfen geflochten zu tragen pflegte. Chuck Redwood sah so aus, als sei er gerade aus einer Schlacht gekommen. Überall hatte er blaue Flecken und Beulen, soweit Julius es sehen konnte.

"Ihr geht doch eh baden", tönte Kevin Malone gegenüber Brutus Pane, einem der größten Slytherins der ersten Klasse. Dieser sah Kevin abschätzig an.

"Unsere Mannschaft macht das, du roter Wischmop. An deiner Stelle wäre ich vorsichtig. Ich habe heute schon einen Glibbergryffindor die Nase plattgehauen, der mir so dumm kam, wie du gerade", polterte Pane zurück.

 

"Oh- oh, das gibt wieder Ärger", seufzte Gloria.

"Ich dachte, ihr hättet mit diesem Streit nichts zu tun", wandte Chuck Redwood ein und suchte Blickkontakt mit seinen Hauskameraden, die ihm wohl signalisierten, daß es diesmal keine Massenrauferei geben würde.

"Ich denke auch nur, daß Kevin deinen Kollegen auf hundertachzig bringen will", sprach Julius ruhig. "Unser irischer Quidditch-Experte liebt es, andere mit seinem Wissen zu ärgern."

Wenn er das noch einmal macht, übernachtet er heute im Krankenflügel", schnaubte Chuck.

"Ist jetzt bald Ruhe hier?!" Ging Professor Sprout dazwischen. Julius flüsterte nur: "Drachendung" und grinste.

"Dieser Auswurf einer Todesfee hat uns als Schwächlinge bezeichnet", erwiderte Brutus Pane.

"Sag das noch mal, Drachenfurz!" Ereiferte sich Kevin.

"Ich glaube das nicht", empörte sich die Kräuterkundelehrerin. Sie wandte sich der Gruppe von Gloria und Julius zu und sprach:

"Arbeiten Sie bitte weiter! Sie vier scheinen doch noch mehr Selbstbeherrschung zu besitzen als Ihre jeweiligen Hauskameraden."

Die Ravenclaw-Jungen beachteten Kevin nicht. Diesmal wollten sie sich keine Strafarbeit einhandeln. Auch den Slytherins war nicht danach, sich auch noch mit den Ravenclaws zu zanken, wo es mit den Gryffindors schon so gut ging.

"Das sind mal eben zwanzig Punkte Abzug für Ravenclaw wegen ungebührlicher Streiterei für Mr. Malone und 10 Punkte Abzug für Slytherin wegen unbeherrschtheit und derber Rede gegenüber einem Mitschüler. Hinzu kommt eine noch zu bestimmende Strafarbeit für Mr. Malone und Mr. Pane. Und wenn Sie jetzt keinen Frieden halten, ziehe ich Ihren Häusern je 50 Punkte ab", sagte Professor Sprout. Das wirkte. Der Rest der Stunde verlief normal. Julius glich den Punkteabzug dahingehend aus, daß er selbst fünf Punkte bekam, weil er nicht nur das wußte, was das Schulbuch zur Verwendung des Rotsaftblattes schrieb, sondern auch noch Zusatzanwendungen in Verbindung mit Kaulquappen von Laubfröschen und ausgedrückten roten Waldameisen erwähnen konnte.

"Wetten, daß Snape dir die fünf Punkte wieder wegnimmt?" Wandte sich Gloria nach der Stunde an Julius.

"Auf so sichere Sachen wette ich nicht, Gloria. Aber ich versteh nicht, was in Kevin gefahren ist, sich wieder auf eine Streiterei einzulassen."

"Das frag ihn besser selbst", gab Gloria zur Antwort.

Auf dem Weg zum großen Saal sah er Chuck noch mal. Er fragte ihn, ob er nicht seine Beulen behandeln lassen wolle. Darauf kam die Antwort:

"Die trage ich in Ehren. Sonst bilden sich meine Kollegen noch ein, ich sei ein Weichei."

"Mann, Kevin, du Großschnauze. Wieso hast du dich mit diesem Kraftprotz Pane eingelassen? Gryffindor holt den Pokal doch sowieso", tadelte Fredo den Bettnachbarn.

"Dieser Trampel hat behauptet, daß alle Mannschaften von Hogwarts doch die hinterletzten Luschen sind. Und mir zieht die alte Kräutertante dafür Punkte ab", lamentierte Kevin.

"Wir sind doch nicht mehr im Geschäft, zumindest nicht mehr in diesem Jahr", wandte Julius ein. "Sollen sich doch die Slytherins mit den Gryffindors zanken, wie sie lustig sind."

"Dieser Quadratkopf hat unsere Mannschaft beleidigt, Julius."

"Na und?"

"Eh, sag mal, macht dir das überhaupt nichts?" Wunderte sich Kevin über Julius' Unbeeindrucktheit.

"Da kannst du mal sehen, daß du vom Fußball nichts weißt, Kevin. Da schlagen sich jedes Jahr hunderte von Dummköpfen die Birne ein, weil sie denken, daß ihre Mannschaft die beste ist und jedem sofort eine reinhauen, der anders denkt. Ich hab das nie abkönnen, und hier ist es noch bescheuerter, wenn sich Leute drum kloppen, wer die bessere Quidditchmannschaft hat", sagte Julius.

"Mann, das macht doch erst den Sport so spannend, wenn man richtig mit dem Herzen dabei ist", warf Kevin ein.

"Julius hat recht. Es lohnt sich nicht, sich auch noch da reinzuhängen, wenn sich die Gryffindors und Slytherins zanken", beendete Terrence Crossley die unsinnige Debatte.

In der Zauberkunststunde am Nachmittag lernten sie noch, wie man offene Feuer entzündete und wieder löschte, oder bereits brennende Feuer löschen konnte. Hierbei bewies Julius wieder sein hohes Grundpotential magischer Kräfte. Professor Flitwick wollte ihn richtig fordern und holte zunächst einen riesenstapel Holz aus dem Nichts herbei und steckte diesen dann in Brand. Julius sah die Flammen, die fast die Decke berührten und hob den Zauberstab. Er erinnerte sich eindringlich an ein Experiment seines Vaters mit flüssigem Stickstoff, weil er an etwas kaltes zu denken hatte, machte die vorgegebene Bewegung gegen das Feuer und rief:

"Extingio!"

Schlagartig fielen die Flammen in sich zusammen, als ein eisblauer Lichtkegel aus dem Zauberstab von Julius herausbrach, die brennenden Holzscheite umfaßte und für eine Sekunde so blieb. Als das Zauberlicht wieder erlosch, glimmten die Holzscheite noch nicht einmal. Dafür bedeckte sie eine hauchdünne Eisschicht.

"Ui, Mr. Andrews! Das kann doch nicht nur an Ihrer bemerkenswert hohen Grundbefähigung liegen. Welche mentale Komponente haben Sie in den Zauber einfließen lassen? Ich meine, woran dachten Sie?"

"An flüssigen Stickstoff, Professor Flitwick", informierte Julius den kleinen Lehrer.

"Bitte was?" Fragte Professor Flitwick.

"Ja, an flüssigen Stickstoff. Muggel können Gase mit Maschinen so stark abkühlen, daß sie flüssig werden, wie Wasserdampf eben beim abkühlen wieder zu Wasser wird. Mein Vater zeigte mir mal, was mit Sachen passiert, die in so verflüssigten Stickstoff getaucht und dann wieder herausgezogen werden. Alles gefriert so stark, daß es wie Porzellan wird und auch so zersplittert, wenn man es auf den Boden wirft oder mit einem Hammer zerschlägt."

"Interessant", bemerkte Professor Flitwick dazu. Dann sagte er noch, um die Vorführung zu beenden:

"Nun, den Muggeln würde ein derartig gründlicher Feuerwehrmann gut gefallen, denke ich. Ich denke, zehn Punkte für Ravenclaw wegen einer so beeindruckenden Vorführung sind durchaus angebracht, Mr. Andrews. Auf jeden Fall ist dieser Zauber sehr nützlich, wenn Sie bei Zaubertrankbrauereien oder beim Kochen aus Versehen ein Feuer auslösen. Daher sollten Sie alle diesen Zauber so gut beherrschen, daß sie ihn quasi im Schlaf anwenden können."

"Kann man damit auch gegen Drachen kämpfen?" Fragte Kevin.

"Nur, wenn der Drache Sie nicht beißt, oder Sie mit seinen Pranken oder seinem Schwanz schlägt, Mr. Malone", antwortete Professor Flitwick grinsend. Alle in der Klasse lachten.

Flitwick gab jedem die Hausaufgabe zur nächsten Stunde, einen Aufsatz über die Arten magischer und nichtmagischer Feuerbeschwörung zu schreiben. Julius hielt er nach der Stunde noch kurz zurück.

"Sie schreiben mir bitte noch zu Ihrem Aufsatz eine allgemeinverständliche Schilderung der Eigenschaften von flüssigem Stickstoff, beginnend, wie man ihn in der Muggelwelt gewinnt. Ich denke, unser Muggelkundelehrer ist diesbezüglich nicht ganz auf der Höhe des Wissens."

"Wie Sie wünschen, Professor Flitwick", antwortete Julius gehorsam.

"Warum hat Flitwick dich noch zurückgehalten?" Wollte Gloria wissen, die vor dem Klassenraum gewartet hatte.

"Das kommt davon, wenn man einem Lehrer den kleinen Finger reicht, Gloria. Er möchte von mir noch einen Zusatz im Aufsatz über flüssigen Stickstoff", gab Julius leicht genervt zurück.

"Wieso denn das?"

"Weil ich seine Frage beantwortet habe, woran ich bei meinem Löschzauber gedacht habe. Er meint, daß der Lehrer für Muggelkunde davon noch nichts wissen würde und hat mich daher gebeten, in allgemein verständlicher Sprache zu beschreiben, was das ist, flüssiger Stickstoff."

"Ist doch gut. Das kriegst du doch in einer halben Stunde hingeschrieben", erwiderte Gloria begeistert, während sie und Julius auf die Bibliothek zusteuerten.

"Ich frage mich nur, ob ich das wirklich machen soll. Ich meine, das gehört doch nicht zum Unterricht. Und ich wüßte auch nicht, weshalb ich eine Strafarbeit schreiben soll."

"Meine Mutter hat mir mal erzählt, daß sie für McGonagall einen Extraaufsatz über selbstreinigende Fasern schreiben sollte, weil sie einer Klassenkameradin vorgeschwärmt hatte, daß ihre Mutter, also meine Oma mütterlicherseits, ein unbeschmutzbares Tischtuch besäße."

"Hat sie das während der Stunde getan?"

"Nein, vor der Klassenzimmertür. Unsere werte Verwandlungslehrerin kam nur gerade an, als Mummy sich darüber ausließ.

"Spart auf jeden Fall die Wäsche", meinte Julius.

"Außerdem wäre das mit diesem Flüssigstickstoff doch genau etwas, was du einbringen kannst, ohne dich dafür schämen zu müssen, daß du darin so gut bist", bemerkte Gloria noch gehässig.

"Wie du meinst. Nur hoffe ich, daß hier keiner eine Direktvorführung haben will, wie das geht", meinte Julius Andrews noch. Gloria machte ein nachdenkliches Gesicht.

"Wieso nicht? Aber vielleicht warten wir erst, was Flitwick sagt", sagte Gloria nachdenklich. Julius ahnte nichts gutes.

In der Bibliothek wurden sie Zeuge, wie sich Lennie Hencock, ein Gryffindor-Erstklässler, mit Brutus Pane, dem Slytherin-Erstklässler zankte und dabei lauter sprach als es für die Bibliothek erlaubt war.

".. und euer durch die Verschwendungssucht seines Vaters ins Team eingekaufter Sucher kann gegen Potter nicht anstinken, zumindest nicht, wenn er fähig ist, fair zu spielen", tönte Hencock gerade.

"Du hast doch absolut keine Ahnung, was unser Sucher draufhat, du Würstchen. Malfoy pflückt euren armen Harry, der sich ja schon beim kleinsten Anscheinen eines Dementors in die Hose macht, locker vom Besen, egal, ob nun ein Feuerblitz oder nicht. Überhaupt, wo hat dieser elternlose Knilch den Besen überhaupt her?"

"Leute, hier wird nicht gestritten!" Fuhr Madam Pince dazwischen. "Los, macht das ihr beide rauskommt!"

"Gute Idee, dann kann ich diesen Waschlappen zum Bodenschrubben nehmen", blaffte Brutus Pane.

"Du lernst heute noch ohne Besen zu fliegen, du Muskelprotz mit Fliegenhirn", tönte Lennie Hencock unbeeindruckt zurück und rannte aus der Bibliothek, Brutus Pane hinter ihm her und laut brüllend:

Madam Pince schnaubte verächtlich und ging zu einem Schreibpult. Dort zog sie ein Pergamentblatt aus einer Schublade, schrieb schnell was drauf und winkte Julius.

"Du, Junge. Bring das bitte zu Professor McGonagall oder Professor Snape! Und wehe, du verlierst das unterwegs."

"Haben Sie keine Hauspost?" begehrte Julius auf.

"Hier darf ich kein Feuer machen. Also spute dich."

"Zu Befehl, Madam", versetzte Julius etwas respektlos und verließ die Bibliothek. Er rannte los in Richtung des Büros von Professor McGonagall. Wenn er nicht zu Snape mußte, wollte er auch nicht dahin. Obwohl es ihn schon reizte, Snapes Sammlung von eingelegten Tieren und Zaubertrankzutaten mal zu begucken, hielt er nichts davon, freiwillig diesen Lehrer aufzusuchen. Auf einem Treppenabsatz traute er sich kurz, die Pergamentseite auszurollen und las nur:

"Slytherin minus 10, Gryffindor minus 10. Begründung: Verstoß gegen die Lautstärkebeschränkung innerhalb der Bibliothek.

Madam Pince"

Schnell rollte er das Pergament wieder zusammen, während er bereits weiterhastete und beinahe durch eine scheinbar völlig normale Treppenstufe getreten hätte. Kurz vor dem Büro von Professor McGonagall fauchte Peeves, der Poltergeist aus einer alten Ritterrüstung heraus und verlegte Julius den Weg.

"Huhu, vor wem rennst denn du weg, häh?"

"Geht dich nichts an, du Fliegenfänger", schnaubte Julius. Dann spürte er, wie ihm das Pergament aus der Hand glitt und zu Peeves hinübersegelte.

"Ui, was haben wir denn hier, einen Liebesbrief?"

"Letzte Warnung, Peeves. Gib das wieder her, oder du kriegst Ärger!" Raunzte Julius den Poltergeist an, mit der rechten Hand schon am Zauberstab.

"Du kannst mir doch nichts. Dafür bin ich viel zu flink und zu gescheit", flötete Peeves.

"Das will ich sehen. - Expelliarmus!"

Julius hatte den Zauberstab gezogen und das erste wirklich funktionierende Zauberwort gerufen, daß er in seinem Leben gehört hatte. Kaum war die letzte Silbe ausgesprochen, knallte ein roter Blitz aus dem Zauberstab gegen den in der Luft tanzenden Peeves und wirbelte ihm das Pergamentstück aus der Hand. Doch Julius beließ es nicht dabei, Peeves zu entwaffnen. Er dachte konzentriert an den vereisten Behälter, in den Sein Vater gerade eine Rosenblüte steckte. Wie es im Behälter brodelte und sein Vater eine total erstarrte und mit Eiskristallen übersäte Blüte aus dem Behälter fischte, mit einer Spezialzange. Dabei zeigte Julius mit dem Zauberstab auf Peeves und rief:

"Extingio!"

Ein kalter blauer Lichtkegel brach aus dem Zauberstab heraus und hüllte Peeves vollkommen ein. Sofort schien um Peeves herum ein kleiner Schneesturm zu toben, und der Poltergeist erstarrte kurz. Dann, keine halbe Sekunde nach Ausruf des Zauberwortes, erlosch das blaue Licht wieder, und Peeves torkelte in der Luft davon, am ganzen Leibe starr wie tiefgefroren.

"Was ist denn hier los?" Kam Professor McGonagalls verärgerte Stimme aus dem Gang, der direkt zu ihrem Büro führte. Julius antwortete nicht sofort, sondern zeigte auf das Pergamentstück, daß zehn Meter entfernt lag und murmelte das Zauberwort für den Herbeiholzauber, den er schon einmal erfolgreich und einmal ganz und gar erfolglos ausprobiert hatte. Das Pergament schwirrte ihm gerade in Griffweite vor die Hand, so das er es nur noch schnappen mußte. Dann sagte er zu Professor McGonagall:

"Dies hier trug mir Madam Pince aus der Bibliothek auf, Ihnen oderProfessor Snape zu geben. Da ich Ihr Büro kenne, bin ich hierher gekommen, Professor. Doch dieser Poltergeist wollte es mir wegnehmen. Er hat seine Fernlenkkraft angewendet. Da habe ich den Entwaffnungszauber gewirkt, den Sie mir schon beigebracht haben."

"Ich war das? - Ach ja, ich erinnere mich an diese bedauerliche Situation. Kommen Sie bitte in mein Büro, Andrews!"

Julius folgte der Verwandlungslehrerin in ihren Arbeitsraum, wo gerade eine Kanne Tee über einem Feuer hing.

"Sie haben mir also etwas zu überbringen. Ich fürchte, es ist wieder eine Punktereduktion für die beiden Häuser", kam sie schnell zur Sache und nahm das Pergament. Sie las es kurz, nickte und meinte nur:

"Das vierte Mal heute, daß Gryffindor und Slytherin gleichzeitig Punkte abgezogen wurden. Und einmal mußte auch Ihr Haus daran glauben, wie ich erfuhr."

"Fragen Sie mich bitte nicht, weshalb. Es ist zu blöd, daß wir uns wegen des Endspiels auch noch in diesen Streit mit hineinziehen lassen sollen", wandte Julius schnell ein.

"Immerhin geht es in diesem Spiel um den Hauspokal und den Quidditchpokal. Ich hoffe, Sie verstehen das, Mr. Andrews."

"Achso, der Hauspokal. Wer den Quidditchpokal kriegt, hat den Hauspokal sicher", erkannte Julius.

"Genau. Aber jetzt möchte ich noch von Ihnen wissen, ob ich eben richtig gehört habe. Sie haben doch den Feuerlöschzauber angewendet. Wo hat es gebrannt?"

"Nirgendwo. Mir fiel nur ein, daß Peeves eventuell mal eine kalte Dusche vertragen könnte, und da habe ich ihm mit dem Extingio-Zauber eins übergezogen", meinte Julius vorsichtig.

"Wie bitte?"

"Ich wollte nichts anzünden oder unter Wasser setzen. Deshalb habe ich ..."

"Der Zauber wirkt auf Peeves? Haben Sie den heute gelernt?"

"Ja, genau. Heute. Bei Professor Flitwick. Er sagte, wir solten dabei an etwas denken, was richtig kalt ist. Und das habe ich gemacht. Das ging beim Unterricht. - Und bei Peeves ging's auch", stammelte Julius, der nicht wußte, ob er nicht einen heftigen Fehler gemacht hatte.

"Den Feuerlöschzauber! Da ist bislang keiner drauf gekommen. Peeves ist ja richtig erstarrt. Das muß ja wirklich was sehr kaltes gewesen sein, woran Sie gedacht haben."

"Ja, ist es. Aber ich habe es schon Professor Flitwick gesagt und soll das aufschreiben, wie man bei den Muggeln da dran kommt."

"Soso, Sie haben also an flüssige Luft gedacht. - Was sehen Sie mich so verwundert an?" Fragte die Verwandlungslehrerin, als Julius sie anglotzte, wie ein Junge, der gerade erfährt, daß er eine Vier in der Arbeit erwartet hat und eine Zwei kriegt.

"Meine hochgeschätzte Kollegin Professeur Blanche Faucon schrieb mir vor einem Jahr von einer sogenannten Zaubervorstellung der Muggel, die sie mit ihrer Tochter und ihrer Enkeltochter besucht hatte. Der sogenannte Magier führte einen Trick vor, bei dem er ein Stück Papier in ein Gefäß mit brodelnder Flüssigkeit tunkte, es wieder herauszog und dann mit einem Hammer zerschlug, als habe es sich in Glas verwandelt. Dann hob er mit einer behandschuhten Hand den Behälter, rief ins Publikum, wer das Gebräu haben wolle und schleuderte die Flüssigkeit in Richtung Publikum. Die Muggel schrien vor Angst, aber bei ihnen kam nichts von der angeblich so erschreckenden Ladung an. Professeur Faucon prüfte nach, wie dieser Trick praktiziert wurde und erfuhr dabei, daß Muggel Maschinen zur Verflüssigung von Luft besäßen, weil Luft nur dann flüssig wird, wenn sie auf weit tiefere Temperaturen abgekühlt wird als der Gefrierpunkt von Wasser oder Quecksilber, wird alles, was in diese Flüssigkeit getaucht wird, komplett tiefgefroren. Nach dieser Erkenntnis konnte meine werte Korrespondenzpartnerin nur noch lachen. Babette hat es sehr gut gefallen, wie sie mir berichtet hat."

"Vielleicht wollte Babettes Vater ihr nur zeigen, daß es keine echte Zauberei gibt und alles nur Tricks sind", vermutete Julius.

"Das ist ihm nicht gelungen. Wollen Sie eine Tasse Tee haben, Mr. Andrews?"

"Ich fürchte, Madam Pince erwartet eine Vollzugsmeldung. Deshalb sollte ich lieber schnell wieder los. Aber danke für das Angebot."

"Moment, Mr. Andrews. Wegen unerlaubten Zauberns muß ich Ravenclaw ihretwegen zehn Punkte abziehen. Aber Nehmen Sie noch fünfzehn Punkte für Ravenclaw mit, für eine materialunschädliche und wirksame Methode, unseren allgemein ungeschätzten Poltergeist in seine Schranken zu verweisen", verabschiedete Professor McGonagall den Muggelgeborenen. Julius strahlte über sein ganzes Gesicht. Zwar waren zehn Punkte wegen unerlaubter Zauberei heftig, aber mit den fünfzehn Punkten plus hatte er fünf Punkte Gewinn herausgeholt, ohne wirklich darauf ausgegangen zu sein.

"Hat Snape dir Punkte weggenommen, weil du ihm eine Schreckensmeldung zugestellt hast?" Erkundigte sich Gloria, die sich hinter ein Buch über Rotsaftblattgebräue geklemmt hatte.

"Neh, Gloria. Ich geh' doch nicht zu Snape, wenn ich ebensogut zu Professor McGonagall laufen kann", antwortete Julius fast flüsternd. "Dabei kam mir Peeves aufdringlich und wollte mir das Pergament wegnehmen. Doch meine Rache war eiskalt. Ich hoffe mal, daß er mich jetzt erst einmal in Ruhe läßt. Bei der Gelegenheit habe ich noch fünf Punkte für uns abgeräumt. "

"Die schenkt dir doch keine Punkte fürs Briefebringen. Mal abgesehen davon, daß da bestimmt ein Punkteabzug drinstand", erwiderte Gloria.

"Neh, wegen Peeves. Aber das habe ich nicht gedacht, daß ich dafür Punkte draufgelegt kriege. Ich dachte, die zieht mir nur welche ab, wie deinem Onkel Victor damals."

"Hast du etwa den Fontanus-Zauber gelernt?"

"Ich weiß nur, daß es ihn geben soll. - Ich habe Peeves ..."

"... Ach, die Herren Weasley beehren mich mal wieder. Habt ihr endlich Zeit gefunden, die entliehenen Bücher zurückzugeben, nach so kurzer Zeit? Zwei Jahre sind ja auch zu kurz zum lesen", begrüßte Madam Pince die beiden rothaarigen Jungen, die gerade in die Bibliothek hineinkamen.

"Das Spektrum der Fliegenpilztränke haben wir Ihnen doch schon vor einem Monat wiedergebracht, Madam Pince", sagten beide gleichzeitig.

"In einem sehr guten Zustand. Aber eure Eltern haben's ja. Und was liefert ihr jetzt ab?"

"Den restlichen Krempel, den wir damals gelesen haben", sagte einer der beiden, Julius wußte nicht, ob es Fred oder George war.

"Dafür brauchen wir "Die Trommeln der Totenpriester" von Morticia Mystere und "Dunkle Imperien der vorchristlichen Zeit" von Professor Acidus Styx", sprach der andere der beiden Weasleys und reichte Madam Pince ein Pergamentstück. Die Bibliothekarin las es gründlich, überprüfte die Unterschrift genau und nickte dann schwerfällig. Dann schritt sie in die verbotene Abteilung hinüber und verschwand zwischen den hohen Regalen.

"Ich dachte ihr trainiert", wandte sich Julius an die Zwillinge, wobei er darauf achtete, nicht zu laut zu sprechen. George und Fred grinsten und kamen kurz herüber.

"Wir müssen ggleich raus. Im Moment sind die Slytherins noch auf dem Feld. Aber wir müssen noch Bücher für die Stunden bei Lupin holen. Wir sollen einen Aufsatz über Magie als Machtmittel zur Errichtung von Königreichen schreiben."

"Habe ich mir schon gedacht", meinte Julius ganz unbeeindruckt.

"Die Trommeln der Totenpriester sind aber sehr heftig. Meine Oma, die in New Orleans arbeitet, hat die Verfasserin selbst gekannt. Die war eine echte Voodoo-Hexe, die Zombies machen und aus der Ferne Menschen verfluchen oder heilen konnte. Weil sie ihr Wissen weitergegeben hat, ist sie getötet worden. Deshalb gibt es von ihrem Buch nur zehn Exemplare. Also macht das bloß nicht kaputt", forderte Gloria wie eine Lehrerin klingend.

"Wir doch nicht", antworteten Fred und George und grinsten. Dann meinte einer der beiden:

"Wißt ihr eigentlich, was mit Peeves los ist. Der hing bei uns im Gemeinschaftsraum über dem Kaminfeuer und zitterte sich was zurecht, als wäre er in einen Eimer mit Eiswasser getaucht worden."

"Neh, flüssigen Stickstoff", plapperte Julius unbedacht. Fred und George sahen ihn an und fixierten ihn mit ihren Blicken.

"Du hast doch nicht etwa den Brandlöschzauber gegen Peeves angewendet?" Fragte Gloria, die sich nicht so recht zu entscheiden schien, ob sie jetzt lachen oder nur staunen sollte.

"Bitte was?" Fragte einer der Zwillinge.

"Wir haben heute diesen Zauber gelernt, mit dem man große nichtmagische Feuer löscht. Flitwick hat uns gesagt, wir sollten an das kälteste denken, was wir kennen. - Ja, und da habe ich mir eben flüssigen Stickstoff vorgestellt, der ja -196 Grad Celsius kalt ist. Weil mir Peeves eben über den Weg flog und mich drangsaliert hat, habe ich den Zauber eben noch mal an ihm ausprobiert."

"Ist flüssiger Stickstoff kälter als ein Schneesturm?" Fragten die Zwillinge.

"Wesentlich", erwiderte Julius. "Aber wahrscheinlich muß man gesehen haben, wie das Zeug wirkt, um es sich richtig vorstellen zu können."

"Das ist ja heftig. Das hat uns keiner erzählt, daß der Spruch auch ohne Feuer geht."

"Wieso, dieser Zauber von Harry ging doch auch ohne Dementoren", wandte Julius ein.

"Dieser Patronus-Zauber? War auf jeden Fall genial. Harry will uns nur nicht erzählen, wie der geht. McGonagall hat ihm wohl eingeschärft, keinem was zu sagen, wenn es nicht unbedingt sein muß."

"Damit hat sie auch vollkommen recht. Denn ihr Burschen könntet auf die Idee kommen, die Dementoren damit zu ärgern. Dann könnten sie auf die Idee kommen, euch zu sich einzuladen und bis zum Rest eures Lebens bei sich wohnen zu lassen", mischte sich Madam Pince ein, die mit zwei dicken Wälzern aus der verbotenen Abteilung zurückgekehrt war.

"Hier sind die Bücher, die Lupin euch aufgeschrieben hat. Wiedersehen macht Freude", sagte sie dann noch und legte die beiden Bücher auf den Tisch, an dem Gloria hinter ihrem Buch saß. Auf dem Umschlag des einen Buches schritten gerade zwei Zombies marionettengleich um einen Mann in exotischen Gewändern herum. Auf dem anderen Umschlag wand sich eine schwarze Schlange um eine aufgemalte Landkarte. Die Zwillinge nahmen die Bücher und verabschiedeten sich. Julius erlaubte sich noch die Frechheit, zu sagen:

"Lest nicht zuviel! Sonst fallt ihr am Samstag noch vom Besen."

"Eierkopf!" Kam es von den Beiden zurück. Dann lachten sie laut und zogen sich schnell zurück, bevor Madam Pince noch etwas dazu bemerken konnte.

"Du gibst wohl nie auf, Julius. Denkst du, die hätten dir erzählt, wie Harry das mit den falschen Dementoren gemacht hat?" Wandte sich Gloria an Julius.

"Ich weiß nicht, Gloria. Aber ich werde das Gefühl nicht los, daß da jemand eine Herde Böcke zu Gärtnern gemacht hat. Ich habe nie an Dämonen geglaubt. Selbst als ich mir klar war, daß es Zauberer und Hexen gibt und ich wohl einer davon bin, habe ich gedacht, daß es sonst alles stimmt, wass ich gehört habe, vonwegen keine Gespenster und Monster, bis uns dieser Dementor im Zug auf die Pelle gerückt ist. Sicher ist es für den Gefährlich, der einem Ungeheuer mit wirksamen Waffen entgegentritt, weil dessen Artgenossen ihn oder sie zum Feind erklären. Aber ich möchte schon sicher sein, daß ich mich gegen sie wehren kann, wenn sie mal außer Kontrolle geraten."

"Das überlasse besser den mächtigeren Zauberern. Die werden dafür auch bezahlt", wandte sich Madam Pince an den Muggelgeborenen.

"Es gibt aber kein erlaubtes Buch hier, wo drinsteht, wo die Dementoren herkommen und wie sie sich vermehren, ob sie gar unsterblich sind."

"Anweisung von Professor Dumbledore. Alle Werke, die das Wesen und Wirken der Dementoren behandeln, wurden aus der Bibliothek entfernt, um Leuten wie dir oder den Weasleys jede Versuchung zu ersparen, sich mit ihnen anzulegen."

"Aber Harry Potter durfte den Abwehrzauber lernen", protestierte Julius, und Gloria nickte zustimmend.

"Weil er ein Sonderfall ist. Bei ihm haben sie einen stärkeren Einfluß ausgeübt als bei den übrigen Leuten. Deshalb durfte er den Zauber lernen. So, und ich muß jetzt noch einige Bücher neu ordnen", sagte die Bibliothekarin und verzog sich.

"Dafür daß du vor einem Jahr noch überhaupt nichts von unserer Welt wußtest, hast du ein erstaunlich gutes Empfinden für Probleme, Julius. Meine Großeltern erzählten nämlich, daß die Dementoren vor dem Sturz von Du-weißt-schon-wem in der ganzen Welt herumliefen und nach eigenen Interessen handelten, manchmal auch mit dem dunklen Lord zusammen. Deshalb denke ich, daß du recht hast, daß da jemand hungrige Wölfe angestellt hat, den Fleischtopf zu bewachen", flüsterte Gloria.

"Ich habe Muggelgeschichten über Dämonenjäger gelesen. Kaum hatten die ihren ersten Dämon vernichtet, hatten sie eine ganze Horde am Hals. Deshalb verstehe ich ja Dumbledore und Professor McGonagall. Aber mir macht das keinen Spaß, bei jeder Zugfahrt hierher in dieses Angstloch zu fallen, solange die diesen Black nicht ... Gloria, ich habe da so einen dummen Gedanken. Aber ich wage es nicht, ihn laut auszusprechen."

"Gedanken selbst sind niemals dumm, sondern nur die Handlungen, die ihnen folgen", flüsterte Gloria und schob Julius ein Pergamentstück herüber. Julius sah sie betreten an.

"Möchtest du mir mitteilen, welchen dummen Gedanken du angeblich hast? Falls nicht, behalte ihn für dich!" Flüsterte Gloria fast unhörbar. Julius überlegte. Dann entschied er sich dafür, Gloria zu schreiben, was er dachte. Er nahm seine Schreibfeder und sein Tintenfaß und warf schnell was auf das Pergament. Dann schrieb er noch darunter:

"Nach dem lesen sofort vernichten!"

Gloria nahm das Pergament, las es und stutzte. Dann schien sie über etwas nachzudenken und nickte. Schließlich zerriß sie das Pergament in kleinstmögliche Schnibsel und sah sich um. Madame Pince arbeitete irgendwo im Irrgarten der Bibliothek. Gloria flüsterte:

"Ich stimme dir in allem zu. Es mag ein dummer Gedanke sein, aber glaubhaft begründet und daher möglich."

Als Julius seine Hausaufgaben für Snape beendet hatte, verließ er mit Gloria die Bibliothek. Sie gingen zur Eulerei, wo Julius einen Brief an Glorias Onkel Victor schrieb, in dem er mitteilte, daß er einen besseren Weg gefunden hatte, Peeves zu kontern.

 

 

Die Woche verstrich mit immer wilderen Rangeleien zwischen den Gryffindors und Slytherins. Lea Drake hatte Julius in einer Kräuterkundestunde zugeflüstert, daß zwei Hausgenossen aus den höheren Klassen sich mit den Gryffindors ein Verfluchungsduell geliefert hatten und danach im Krankenflügel gelandet waren. Dabei grinste sie gehässig, als gefiele ihr das auch noch.

Kevin und Brutus hatten von Professor Sprout aufgehalst bekommen, mit Hausmeister Filch zusammen die Gänge im Schloß zu putzen, was durch Peeves, der sich von Julius' Zauberangriff erholt hatte, eifrig in die Länge gezogen wurde. Julius hatte seine Chemie- und Physikbücher zu Rate gezogen, um sich eine kurze, einfache, aber erschöpfende Abhandlung zum Thema "Flüssiger Stickstoff" zu erarbeiten. Im wesentlichen ging er davon aus, das Tehma so zu beschreiben, wie es sein Vater getan hatte, als er gerade sieben Jahre alt gewesen war und von Chemie und Physik noch nicht viel Ahnung hatte. Als Testperson für die Verständlichkeit seines Aufsatzes wählte er Pina Watermelon, die mit Muggelsachen nichts zu tun hatte. Sie las den Aufsatz und sagte:

"Das kannst du so lassen. Du hast alle möglichen Fragen gut und nicht zu platt beantwortet. Ich habe das auf jeden Fall verstanden."

"Danke, Pina", sagte Julius und bekam ein wohlwollendes Lächeln von der zierlichen Junghexe mit dem hellblonden Zopf zur Antwort.

Mit Gloria, Fredo und Kevin zusammen hatte Julius es geschafft, auf der Grundlage des Hibernevus-Zaubers, einem Vereisungszauber, der Wasser in einem Glas gefrieren oder Lebensmittel tiefkühlen konnte, ein Experiment durchzuführen. Von ihnen vieren gleichzeitig gewirkt konnte ein mit Fensterkit verschlossenes Metallgefäß derartig stark abgekühlt werden, daß die darin befindliche Luft flüssig wurde. Drei Zauberer mußten den Gefrierzauber ständig wiederholen, während der vierte, Julius mit einer geliehenen Zuckerzange, den Versuch am offenen Behälter durchführte, in dem die verflüssigte Luft brodelte. Er nahm Pergamentstücke, Stoffreste und Grashalme. Jedesmal konnte er die in die kalte brodelnde Flüssigkeit eingetunkten Objekte danach wie Glas auf den Boden werfen oder mit einem Hammer zerschlagen. Dann ließen die vier Teamzauberer die verflüssigte Luft mit dem Schwebespruch "Wingardium leviosa" in ihrem Behälter aufsteigen. Den Behälter hielten sie einige Sekunden oben und ließen ihn dann herunterfallen. Flitwick wollte schon sagen, daß dies doch leichtsinnig war, doch außer einem eiskalten Hauch kam aus dem Behälter nichts mehr, was gefährlich hätte sein können. In der Klasse wurde es zwar sehr kalt, doch damit war nur bewiesen, daß tatsächlich mit einer kalten Flüssigkeit gearbeitet worden war. Alle klatschten Beifall, auch Professor Flitwick. Von der Tür her sah Professor McGonagall herein.

"Ich hörte davon, daß selbsternannte Zauberkünstler in der Muggelwelt diese Darbietung zeigen, um ihr Publikum zu beeindrucken. Es beeindruckt mich, daß es mit echter Zauberei geht", sagte die Verwandlungslehrerin und lächelte.

"Für diese eindrucksvolle Vorführung erhalten Ms. Porter, Mr. Gillers, Mr. Malone und Mr. Andrews je zehn Punkte für Ravenclaw, wegen guter Teamarbeit und innovativer Zauberei. Vielen Dank für diese eindrucksvolle Demonstration."

Am Morgen des Endspiels verschlief Julius, weil er am Abend zuvor mit Kevin und Fredo fünf Schachpartien hintereinander gespielt hatte. Die beiden Bettnachbarn waren wohl aufgeregter gewesen als Julius. Sicher interessierte es ihn, wer den Pokal bekam. Immerhin lief die Wette zwischen ihm und Kevin. Julius würde, falls die Gryffindors mit mehr als 210 Punkten Vorsprung gewannen, Kevin beim Schreiben der Kräuterkundeaufsätze helfen, während Julius Kevin das Fußballspielen beibringen wollte, wenn Kevin verlor.

Julius hörte das Raunen der Zuschauer auf dem Quidditchfeld. Er fuhr aus dem Bett auf, sah auf seine Uhr und fluchte. Dann warf er sich seine Sachen über, unterzog sein Gesicht und seine Hände einer schnellen Wäsche mit kaltem Wasser und rannte los, durch die Flure und Gänge. Dabei sah er einen weißgrauen Nebelschleier vor sich auftauchen und konnte nicht mehr rechtzeitig abbremsen. Wie ein Schwall eisigen Wassers umfing es ihn, als er kopfüber durch einen der Schloßgeister hindurchstürzte.

"Brrrrr! Jetzt bin ich wohl richtig wach", entfuhr es Julius, als er seinen Lauf hatte stoppen können.

"Finden Sie es etwa in Ordnung, durch unsereinen hindurchzulaufen, als wären wir nicht da?" Fragte ihn eine Frauenstimme hinter ihm. Er drehte sich um und sah die graue Dame, den Hausgeist von Ravenclaw.

"Sie waren das. Ich entschuldige mich vielmals. Ich hatte nicht die Absicht, durch Sie hindurchzurennen. Aber ich komme sonst zu spät zum Spiel. Noch mal, Entschuldigung, Mylady."

"Sie sollten abends zeitig zu Bett gehen, wenn Sie morgens nicht wie ein gehetzter Hase durch das Schloß rennen möchten, junger Sir. Sie können von Glück sprechen, daß Sie nicht seine Überheblichkeit, den blutigen Baron auf diese unverfrorene Weise behelligt haben", bemerkte die graue Dame noch und zog einen Schmollmund.

"Danke, es hat mich schon gegruselt", versetzte Julius frech und rannte weiter, ohne einen Schloßgeist zu durchqueren. Zu seiner Erleichterung war Peeves auch nicht darauf aus, ihn zu ärgern. So kam Julius gerade in dem Moment auf das Feld, als Madam Hooch das Match anpfiff.

Pina winkte Julius zu, sich neben sie zu setzen. Kevin und Fredo hingen mit den Gryffindors zusammen. Sie hatten sich so gesetzt, wo die Ravenclaw-Seite mit dem Block der Gryffindors zusammenfiel.

Julius verfolgte, wie Gryffindor zunächst zehn Punkte in Führung ging und dann noch zwanzig. Dann begann das unfairste Spiel, daß Julius jemals in einer Sportart gesehen hatte. Auf beiden Seiten kam es zu Fouls und direkten Attacken. Madame Hooch sprach beiden Mannschaften Strafwürfe zu, von denen Wood von Gryffindor zwei parieren konnte. Einmal schlug ein Slytherin-Treiber einer Gryffindor-Jägerin den Schläger über den Kopf, dann bekam der Hüter und Kapitän der Gryffindors beide Klatscher in den Magen. Potter hätte fast den Schnatz geholt, wenn Malfoy ihn nicht am Besen ffestgehalten hätte.

"Das ist doch wohl nicht wahr! Rote Karte! Diese Drecksau gehört vom Platz!" Fluchte Julius über diese Unverschämtheit und fand sich mit Lee Jordan, dem Stadionsprecher in bester Gesellschaft. Dann endlich, beim Stand von 70 zu 20 durchbrach Harry Potter die Linie aller Slytherins, die eine Jägerin der Gryffindors daran hindern wolten, ein Tor zu machen. Dabei übersah er fast, daß Draco Malfoy den Schnatz gesichtet hatte.

"Harry paß auf! Dieser Drecksack ist hinter dem Schnatz her!" Rief Julius im Sturm der Erregung. Harry Potter schien ihn gehört zu haben. Denn mit einem todesmutigen Sturzflug holte er Malfoy ein, drückte dessen zum Zugreifen ausgestreckten Arm zur Seite und fing den Schnatz.

Julius hatte schon in so manchem Fußballstadion gesessen oder gestanden und mitbekommen, wie laut eine jubelnde Masse Fans brüllen konnte. Doch hier und heute erlebten seine Ohren einen Härtetest. Julius glaubte, das Stadion würde explodieren, so laut brüllten die Anhänger der Gryffindors und aller, die es ihnen allein gegönnt hatten, den Pokal zu gewinnen. Das Buh aus den Reihen der Slytherins ging in diesem Freudengeschrei unter. Julius fand sich unvermittelt in einer festen Umarmung von Pina und stellte fest, daß er sie ebenfalls umklammert hielt. Dabei jubelte er und wunderte sich nicht, daß er seine eigene Stimme nicht mehr hörte.

"Wir haben den Pokal! Wir haben den Pokal!" Riefen die Gryffindors im Takt. Alle anderen klatschten mit. Noch mal toste der Jubel durch das Stadion, als Wood den großen Quidditchpokal von Dumbledore überreicht bekam und an seine Mannschaftsmitglieder weiterreichte. Vor allem Harry Potter wurde in einer Flut von Leuten begraben, die ihm gratulierten.

"Nächstes Jahr hältst du den in der Hand", meinte Pina Watermelon. Julius dachte, daß sie ihm ins Ohr brüllte. Aber für ihn kam ihre Stimme wie ein heiseres Flüstern herüber.

"Woher willst du das wissen, Pina?" Fragte Julius.

"Ich habe dich fliegen sehen, vor den Ferien. Und Cho soll dir ihren Besen geliehen haben. Sowas macht keiner, der jemanden für unfähig hält, damit zu fliegen."

"Glaubst du, wir müssen eine Nummer ziehen, um den Gryffindors zu gratulieren?" Wandte sich Julius an Pina Watermelon.

"Wenn du sie heute nicht triffst, gratulierst du ihnen eben morgen oder später. Die Gryffindors haben jetzt erst einmal Vorrang."

"Und dieser Hagrid", brüllte Julius und deutete auf den Riesenkerl, der Harry gerade tränenreich beglückwünschte.

"Der arme Mensch hat ja auch sonst nichts, worüber er sich freuen kann", schrillte Pinas Stimme in Julius' linkes Ohr. Dann sah sie Gloria, Gilda, Marvin und Eric, die gerade aufstanden und mit den anderen Ravenclaws das Feld stürmten.

"Und hinterher!" Rief Julius und setzte schon über die ersten Stufen hinab, Pina hinter ihm herspringend. Auf dem Weg nach unten traf Julius Kevin.

"Ich erkläre dir morgen erst einmal die Abseitsregel und die Größe des Spielfeldes", flötete Julius und hechtete an Kevin vorbei in die Masse der Gratulanten.

Seiner Wendigkeit und Reaktionsschnelligkeit verdankte es Julius, daß er zusammen mit Penelope Clearwater und Dustin McMillan die Mannschaft der Gryffindors erreichte.

"Na, ihr Rabauken! Ihr habt ja gespielt wie die Holzhacker", begrüßte Julius die Weasley-Zwillinge, die gerade wieder Harry hochleben ließen.

"Die haben angefangen", tönten die beiden rothaarigen Jungen aus der fünften Klasse zurück.

"Auf jeden Fall habt ihr den Pokal verdient, um das mal klarzustellen. Herzlichen Glückwunsch!" Rief Julius noch, dann trieb ihn der Strom der nachrückenden Gratulanten davon.

Vor dem Schloß stand Julius erst einmal alleine. Er sah zu, wie alle außer den Slytherins den Gryffindors ihre Hochachtung aussprachen. Dann hörte er Schritte hinter sich und fuhr herum.

Lea Drake stand im Portal und sah auf das Quidditchfeld.

"Meine Güte, kannst du dich schnell durch eine Menge Leute winden. Wo hast du denn sowas gelernt?"

"Wieso bist du nicht bei deinen Hauskameraden?" Fragte Julius zurück.

"Als das Spiel vorbei war, habe ich den schnellen Rückzug angetreten. Ich werde das in den nächsten Tagen noch häufig genug zu hören kriegen, daß die Gryffindors die Lieblinge Dumbledores sind und Potter sowieso. Seine Erhabenheit, Draco Malfoy übt wahrscheinlich schon lamentieren, wie ungerecht doch die Welt sei und daß er und vor allem sein Vater dafür sorgen würden, daß im nächsten Jahr alles besser wird. Sein Vater, der diesem Emporkömmling Voldemort nachgelaufen ist und es wohl wieder tut, wenn der tatsächlich zurückkehrt. Du weißt, wer Voldemort ist, Muggelkind?"

"Ich weiß nur, daß man den außerhalb von Slytherin wohl nicht beim Namen nennt und daß er sich ein Eigentor geschossen hat, als er Harry Potter mit einem Todesfluch belegen wollte."

"Was aber nur wenige wissen ist, daß der einen echten Muggel zum Vater hatte, genau wie du oder ich. Ich sehe, du wunderst dich nicht?"

"Wieso sollte ich mich wundern? In der Zaubererwelt geht doch alles", erwiderte Julius trotzig. Er wußte nicht, was für ein Spiel die Slytherin da mit ihm abzog.

"Deshalb haßt er die Muggel und vor allem die, die Muggeleltern haben oder mindestens einen Elternteil. Lern also fleißig, damit du dich wehren kannst."

"Noch ist er nicht da, und bis dahin kann die Welt im Atomkrieg untergehen", erwiderte Julius.

"Weißt du, daß du mir imponierst, Julius Andrews? Du glaubst jetzt natürlich, ich mache hier irgendwas, um dich zu verunsichern oder zu bequatschen. Aber im Moment kann ich dir noch ehrlich sagen, was ich denke, bevor die Anderen von deinem und meinem Haus zurückkommen. Ich fand das gut, daß du Draco Malfoy vorgehalten hast, er sei dann ein Schwächling, wenn er sich nur auf seinen Vater beruft. Ich kann da aus eigener Erfahrung sprechen. Mein Vater ist ein hohes Tier bei den Muggeln, meine Mutter ein hohes Tier in der Zaubererwelt. Trotzdem brachte es mir nichts, mich auf den einen oder die andere berufen zu können. Ich erwarte nicht von dir, daß du mir glaubst. Aber ich finde es schön, daß du es warst, der zuerst von dem Quidditchfeld zurückgekommen ist, so daß ich dir das alles sagen konnte. Laß dich nicht einstampfen. Weder von uns aus dem Slytherin-Haus, noch von den Lehrern hier, allen voran Professor Snape und auch nicht von deinen Muggelverwandten, die dir einzureden versuchen könnten, daß du kein Zauberer bist. Mein Vater hat das zehn Jahre lang probiert und ist doch gescheitert. - Ah, da kommen deine Hausfreundinnen und diese Kratzbürste Glenda Honeydrop", sagte Lea noch und verschwand im Portal, als hätte sie sich in Luft aufgelöst.

Julius stand erst einmal bedröppelt da. War das jetzt nur eine Show gewesen, um ihn aus dem seelischen Gleichgewicht zu bringen? Oder hatte die Slytherin es ernstgemeint, als sie ihm riet, sich nicht unterkriegen zu lassen? Vielleicht waren ihre Worte auch nur eine heimliche Danksagung für die Punkte, die sie mit Julius und Gloria zusammen bei Kräuterkunde einstreichen konnte. Dann fiel ihm wieder ein, was Gloria gesagt hatte:

"Das ist auch gut so, daß du hier in Ravenclaw gelandet bist. Es hätte dich noch verdorben, wenn du da gelandet wärest. Deine Kräfte gehören in besonnene Hände, nicht in ehrgeizige und böswillige Hände. Lea wird, ob sie will oder nicht, Slytherin-Eigenschaften übernehmen, je länger sie dort ist. Dann bist du besser hier bei uns."

"Hallo, Julius! Du hast dich aber schnell durch die Zuschauermenge gemogelt", grüßte Gloria den Hauskameraden und drängte ihn dazu, mit ihr und den anderen Erstklässlern ins Schloß zu gehen.

"Die älteren hängen immer noch da unten auf dem Spielfeld und kommen aus dem Jubeln nicht mehr heraus", meinte Pina. Dann sagte sie noch:

"Außerdem habe ich uns und damit dir einen Punktabzug wegen Ausbleibens eines Nachwuchskandidaten bei einem wichtigen Spiel erspart, Julius. Madame Hooch hatte dich nämlich nicht bei uns gesehen, als sie die Zuschauer abgezählt hat. Dafür wollte sie dir zwanzig Punkte abziehen. Zumal du nicht mehr auf dem Feld warst, als sie endlich Zeit hatte, sich von den Mannschaften zu lösen. Die war vielleicht geladen, wie eine Armbrust. Das alles nur wegen der Slytherins. Aber ich habe ihr gesagt, daß du seit dem Anfang des Spiels dabei warst, und Kevin hat das Bestätigt. Aber was genau hat dich jetzt aufgehalten?"

"Ich selbst. Ich muß meinen Tagesrhythmus besser einteilen, wenn so wichtige Spiele laufen", sagte Julius. Dann sah er Glorias musternden Blick, und wie ihre Hand zum Zauberstab glitt.

"Gloria, habe ich was an mir?"

"Aber sicher doch. Zerzaustes Haar, nicht ganz weggewaschene Reste sogenannten Schlafsandes zwischen den Augen und einen komplett verbeulten Umhang. Letzteres lasse ich dir durchgehen. Aber Deine Körperpflege solltest du schon genauer nehmen, wenn du mit der Tochter einer Hexenkosmetikerin zu tun hast. Bleib ruhig stehen!"

"Heute nicht, Gloria. Ich regel das auf Muggelart. Außerdem bin ich heute schon durch unsere graue Dame gerannt und wach genug, um alles allein ..."

Julius fühlte, wie sein Haar unter einer warmen Welle irgendeiner Kraft bewegt wurde. Dann traf ihn ein lauwarmer Hauch mitten ins Gesicht, der wie ein nasser Leinenlappen seine Augen, Nase und Wangen umstrich.

"Na bitte, geht doch", sagte Gloria.

"Huch, jetzt hast du auch einen schönen langen Zopf, wie ich!" Trällerte Pina. Julius faßte sich erschrocken an den Kopf, fand dort jedoch nur seine ordentlich gekämmten Haare, wie sie sein mußten. Er sah Pina an, die ein schadenfrohes Grinsen auf dem Gesicht trug. Dann lachte er über diesen gelungenen Streich.

"Platz da, junges Gemüse", polterte Crabbe, der die Vorhut für Draco Malfoy machte. Julius schenkte dem übergroßen Slytherin ein Lächeln. Dann sah er Draco Malfoy. Der sonst so eingebildet auftretende Junge schien es darauf anzulegen, schnell und ohne was sagen zu müssen ins Schloß zu kommen. Julius nahm ihn nicht weiter zur Kenntnis.

"Durch diese Slytherins haben die Gryffindors wegen der Strafwürfe die nötigen 10 Punkte Vorsprung mit den nötigen 200 gekriegt, so daß Kevin morgen nicht nur Kräuterkunde alleine weiterbüffeln darf, sondern mit mir, Dean und den anderen Fußballbegeisterten trainieren darf", freute sich Julius. Die Mädchen lachten darüber.

Im ganzen Schloß, ausgenommen Slytherin, wurde dieser Pokalgewinn für Gryffindor heftig gefeiert. Die Ravenclaws begingen den Tag mit einem ausgedehnten Musikprogramm. Alle, die Musikinstrumente mitgebracht hatten, spielten einzeln oder mit anderen zusammen. Julius, der seine alte Mundharmonika mitgebracht hatte, schaffte es zusammen mit Kevin, ein altes irisches Volkslied zu spielen. Pina gab ein Harfenkonzert und spielte anschließend mit Gloria und Kevin schottische und irische Volksweisen. Dustin McMillan präsentierte sein Stimmlagenverstellsaxophon, das durch magische Größenveränderung zwischen Picolo- und Baßsaxophon umgewandelt werden konnte. Julius brachte ihm einige Blues-Läufe bei und legte mit ihm einen Slytherin-Trübsal-Blues hin.

"Vor den Ferien hattest du aber noch kein Musikinstrument dabei", erkannte Gloria, als Julius seine Mundharmonika wieder fortsteckte.

"Musik verbindet. Ich konnte mal super Sopran singen. Aber damit ist es bald eh vorbei. Diese alten klassischen Dinger wie Geige und Cello liegen mir nicht. Klavier ist was für höhere Töchter, sagte meine Mutter, die es haßte, Klavier zu lernen. Mein Vater steht auf Jazz und Blues. Ich glaube, daß er mir davon was mitgegeben hat. Jetzt bin ich ja lange genug hier, um zu kapieren, daß ich keine Radiomusik oder meine CDs hören kann. Also konnte ich meine alte Mundorgel einpacken."

"Im Sommer nehmen wir dich mal mit zu einem Hecate-Leviata-Konzert. Meine Mutter steht zwar eher auf Celestina Warbeck, aber Hecates Musik bringt ihr die Jahre der Jugend wieder zurück", sagte Gloria.

"Warbeck? Du meinst Würg-Brech, Gloria", mischte sich Kevin ein. "Diese Schlagertante gilt bei uns als singende Daumenschraube."

"Dann kennst du Lady Evangeline Sunbeam noch nicht, Kevin. Die kann auch ich mir nicht anhören. Daddy übrigens auch nicht. Also halte dir den Sommer schön frei!" Sagte Gloria zu Julius.

"Da läuft die Quidditch-Weltmeisterschaft. Irland ist topfavorit", warf Kevin ein. Julius erinnerte das an den Telefonanruf aus Australien. Aurora Dawn hatte angekündigt, mit ihm die australischen Spiele der Weltmeisterschaft besuchen zu gehen.

"Genau, da spielt Pamela Lighthouse mit Rhoda Redstone im australischen Team. Ich fürchte nur, daß meine Eltern weder meinem Besuch bei der Weltmeisterschaft noch einem Konzert von Hexen und Zauberern zustimmen werden. Ich habe da ein bedrückendes Gefühl, daß mein alter Herr sich noch nicht damit abgefunden hat, daß ich hier sieben Jahre lerne und dann womöglich eine Hexe heirate, zumindest einen Beruf in der Zaubererwelt ausübe", seufzte Julius.

"Du hast mir schon einmal von diesem Traum erzählt, daß dein Vater dich woanders einquartieren könnte. Es gibt mehrere Zaubererschulen in England. Aber für Muggelgeborene kommt nur Hogwarts in Frage, weil hier die Eingliederung in die Zaubererwelt so gut funktioniert", sagte Kevin. "Stell dir einfach mal die Frage, und vielleicht auch deinen Eltern, was bei den Muggeln passiert, wenn Eltern ein Kind nicht mehr zur Schule gehen lassen wollen?"

"In der Nichtzaubererrwelt gibt es die Schulpflicht. Jedes Kind muß eine Bestimmte Zeit zur Schule. Private Ausbildung wird nur in Notfällen gestattet."

"Und sowas ähnliches gibt es auch bei uns, Julius. Was haben sie dir denn geschrieben, als sie dir von Hogwarts erzählt haben?" Fragte Gilda, die dem Gespräch still gefolgt war.

"Hmm, daß das Ministerium mich gemäß zweier Gesetze, die ich jetzt nicht mehr weiß, zur Ausbildung hier in Hogwarts empfiehlt. Ich glaube, ich habe den Brief noch irgendwo in den tiefen Abgründen meines Koffers. Ich habe jetzt nur keine Lust, ihn auszubuddeln."

"War da vielleicht ein Gesetz 324 dabei, Julius?" Fragte Gilda.

"Stimmt. Wo du es sagst, Gilda, da war so eine Erwähnung "... gemäß Gesetz 324 ...". Ist denn das ein so wichtiges Gesetz."

"Aber hallo. Das ist das Offenbarungs und Durchführungsgesetz zur Ausbildung muggelgeborener Hexen und Zauberer. Es besagt, daß die sonst so wichtige Geheimhaltung der Zauberei vor Muggeln aufgehoben ist, solange es gilt, ein muggelgeborenes Kind auf seinen Werdegang in der Zaubererwelt vorzubereiten. Außerdem wird in diesem Gesetz festgeschrieben, daß die angesprochenen Muggel kein Recht haben, die Ausbildung willkürlich zu beenden, wenn sie zum Beispiel meinen, ihr Kind soll kein Zauberer werden. Ich weiß das, weil meine Mutter Richterin ist und zwei Fälle hatte, wo Muggelverwandte versucht haben, ihr Kind oder Mündel von einer Zaubererschule fernzuhalten oder nach einem Jahr herunterzunehmen. Das ging mit der Finanzierung los und endete bei der strickten Ablehnung der Zauberei in der eigenen Familie. Ich denke, es gibt in der Bibliothek allgemein verständliche Texte zu den wichtigsten Gesetzen", beendete Gilda ihre kurze Ausführung. Julius strahlte mit der Sonne um die Wette. Gloria ließ sich davon anstecken. Auch Pinas Gesicht hellte sich noch mehr auf.

"Die könnten also meinen Vater zwingen, mich wieder hierherzuschicken?"

"Ich weiß zwar nicht wie, aber es gibt hunderte von Wegen, um deine Zeit hier nicht nach einem Jahr zu beenden", antwortete Gilda Fletcher.

"Wenn es meine Aufgaben zulassen, gehe ich in die Bibliothek und suche nach Beispielfällen, wo darüber geurteilt wurde. Ich glaube, das gibt noch einen Heidenspaß, falls mein Vater meine Mutter breitschlägt, mich doch von Hogwarts zu nehmen. Die Briefeflut war schon lustig. Dann der Besucher, der meinem Vater Zauberei vorgeführt hat, dann meine ersten Besenflugstunden und das Verschwindekunststück mit der Bahnsteigabsperrung", grinste Julius.

"Hinzu kommen die ganzen Eulen, die bereits hin und herflogen", wußte Gloria zu ergänzen. Dann fragte sie Julius:

"Wann fangen wir eigentlich richtig an, uns mit den Mysterien der französischen Sprache auseinanderzusetzen?"

"So früh wie möglich, Gloria. Ich hatte vor, dieses Schuljahr noch etwas zu lernen. Aber Fußball wird auch gespielt", sagte Julius, der ein erleichtertes Aufblitzen in Kevins Gesicht sah. "Wettschulden sind Ehrenschulden."

"Ja, und Quidditch wird auch trainiert. Nächstes Jahr will ich diesen Pokal in der Hand halten. Und wenn Madame Hooch uns beide empfiehlt, spielst du nächstes Schuljahr auch mit."

"Kein Problem. Kann man eigentlich als Mannschaftsspieler, der nicht als Sucher spielt, einen eigenen Besen anschaffen?" Wollte Julius wissen.

"Natürlich! Du kannst deinen Vater fragen, ob er nicht die ganze Mannschaft ausrüstet", wandte Kevin ein.

"Soweit kommt's noch. Wenn ich mitspiele, dann weil ich mir das verdient habe. Außerdem würde mein Vater keine Besen kaufen, selbst wenn es diese alten Klapperstecken wären, die die Schule ausgibt", erwiderte Julius.

"So gehört sich das, du irischer Himmelsstürmer. Wir spielen ja auch nicht Fußball, wo ein reicher Geldgeber bestimmt, wer und womit in der Mannschaft spielt", sprach Gilda.

"Das sag' den Slytherins."

"Wer nicht hören will muß fühlen. Der heutige Tag hat es bewiesen, daß der Einkauf von Draco Malfoy im Entscheidungsspiel nichts gebracht hat", freute sich Kevin Malone.

Am Nächsten Morgen vertrieben sich die meisten Ravenclaws die Zeit mit Bodensport und Spaziergängen. Julius Andrews hatte am Morgen eine Eulenpost von seinen Eltern erhalten, in der es hieß, daß er demnächst noch ein Buch über Physik bekommen würde, das er neben den beiden Chemiebüchern zu lesen hätte. Dementsprechend schlecht gelaunt ging er mit Kevin auf den großen Platz neben dem Quidditchfeld, wo sich einige Gryffindors und Hufflepuffs aus den höheren Klassen austobten. Er sah Glenda Honeydrop, die Fredo auf einem Schulbesen nachjagte. Offenbar wollten die beiden sich gegenseitig ihre Flugkünste zeigen. Gloria flachste mit den Ravenclaw-Erstklässlerinnen und den Gryffindor-Mädchen der ersten Klasse am Rande des großen Sees, während viele andere Schüler und Schülerinnen aufgeschobene Hausaufgaben machten, um am Montag nicht komplett dumm dazustehen.

Kevin erwies sich als guter Wettverlierer und lernte an diesem Tag die Grundregeln des Fußballs. Am Nachmittag schon kam es zu einem Testspiel zwischen ihm, Julius und zwei Gryffindors, zu denen auch Dean Thomas aus der dritten Klasse gehörte. Die vier spielten zwei Stunden lang, bis Gloria Porter in Begleitung von Gilda Fletcher und Jenna Hollingsworth herüberkam und zusah, wie die Jungen spielten. Dann fragte sie Julius:

"Wie ist es. Wollen wir uns die Bücher angucken?"

"Kein Problem. Kevin ist sowieso fertig", erwiderte Julius gehässig. Kevin nickte, anstatt zu protestieren und trollte sich mit den anderen Jungen.

Die Zeit zwischen dem Fußballspiel und dem Abendessen verbrachten Julius und Gloria in einer ruhigen Ecke des Ravenclaw-Gemeinschaftsraums, wo zehn Jungen aus der dritten und vierten Klasse über die Bekämpfung von Minotauren diskutierten. Offenbar hatte Professor Lupin den Viertklässlern eine entsprechende Aufgabe gestellt.

Die Französischbücher waren außerordentlich praktische Nachschlagewerke, die den Einstieg in die Fremdsprache sehr vereinfachten. So kam es, daß Julius und Gloria sich nach einer halben Stunde bereits fünf Frage- und Antwortsätze, sowie die üblichen Begrüßungsfloskeln zusprechen konnten. Die sprechenden Bücher kommentierten die Bemühungen und zeigten auf den gerade aufgeschlagenen Seiten durch Aufleuchten die korrekten Schreibweisen.

"Ich fürchte, diese Sprache ist nur zum sprechen gut, Gloria. Wenn ich das was ich sage schreiben will, lerne ich überhaupt nichts gescheites", lamentierte Julius.

"Das denke ich auch, Julius. Ich spreche auch lieber als etwas zu schreiben. Aber diese Bücher sind auch so ausgelegt, daß man mit ihnen zwei Jahre arbeiten kann, bis sie einem nichts mehr vermitteln können. Bis dahin haben wir die Sprache drin."

Flitwick kam kurz in den Gemeinschaftsraum und begutachtete die Hausbewohner. Er sah Gloria und Julius bei der Arbeit und nickte wohlwollend.

"Manche verzauberten Bücher sind doch produktiv", sagte er.

"Anders als Bücher für kleine Mädchen", bemerkte Julius.

"Haben Sie ein derartiges Buch schon einmal gesehen, Mr. Andrews?"

"Ja, bei mir", antwortete Gloria schnell und zeigte ein beunruhigtes Gesicht.

"Ja, das Ministerium will sie nicht beseitigen, obwohl sie eindeutig schwarzer Magie entstammen. Man beruft sich auf die Beseitigung wichtigerer und gefährlicherer Dinge. Die Abteilung Weasley und die Abteilung Perkins haben genug mit gefährlicheren Hinterlassenschaften des dunklen Lords und seiner Anhänger zu schaffen, zumal immer mal wieder Muggelartefakte bezaubert und in der Muggelwelt unter die Leute gebracht werden."

"Ich lasse Winnie schlafen, bis jemand das Mittel findet, sie endgültig fortzuschaffen", bemerkte Gloria. Professor Flitwick nickte und ging wieder aus dem Gemeinschaftsraum.

Gloria und Julius unterhielten sich noch eine Weile über verzauberte Muggelartefakte, die in den letzten Jahren irgendwo aufgetaucht waren. Dann war es Zeit, sich hinzulegen. Gloria verschwand mit Pina, Gilda und den anderen Erstklässlerinnen im Mädchentrakt von Ravenclaw, während Julius sich mit Fredo, Kevin, Eric und Marvin in den Jungenschlafsaal der Erstklässler begab.

 

 

Die nächsten Wochen waren bestimmt durch viel Arbeit für die Schule. Hinzu kam das zusätzliche Buch, das Julius lesen sollte. Draco Malfoy hatte zwar kurz herübergeglotzt, als drei Steinkäuze das Paket von Julius Eltern mit der allgemeinen Morgenpost hereintrugen, doch er unterließ es diesmal, sich direkt damit zu beschäftigen. Sollte der Muggelbalg doch dadurch von allen richtigen Aufgaben abgehalten werden, so daß sie ihn rauswarfen.

In der Zauberkunststunde lernten die Erstklässler Verbesserungen des Schwebezaubers. So erfuhren sie, daß man Dinge auch so verzaubern konnte, daß sie immer federleicht waren und so die schwersten Koffer oder Kisten bewegt werden konnten, ohne immer mit dem Zauberstab darauf zu deuten. Danach lernten sie bei Professor McGonagall, wie sie Farbveränderungen gezielt herbeiführen konnten.

"Sie müssen sich ein Objekt vorstellen, das bereits die gewünschte Farbe hat. Dabei gilt, daß Sie darauf achten müssen, das zu verfärbende Objekt nicht komplett umzuwandeln, sondern nur die Färbung zu verändern. Ich führe Ihnen das mal vor."

Sie nahm den Zauberstab, zeigte damit auf ein auf ihrem Pult liegendes Pergament und führte eine Bewegung aus, die sie zu Beginn der Stunde als Grundvoraussetzung beschrieben hatte. Das Pergamentstück verfärbte sich sofort und nahm die leuchtenden Farbmuster eines Regenbogens an. Dann ließ sie das Pergament wieder in seiner Ursprungsfarbe erscheinen.

"Anders als bei richtigen Umwandlungen ist es hier wichtig, sich genau auszubalancieren. Zu wenig Konzentration führt zu keiner Veränderung, zu viel Konzentration könnte in einer totalen Umwandlung enden. Wir beginnen heute nur mit einfarbigen Abänderungen."

Gloria Porter schaffte es, eine ihr vorgelegte Pergamentseite leicht grün einzufärben. Kevin Malone erzielte eine tiefrote Umfärbung seiner Pergamentseite, während Pinas Pergamentstück sich leise knisternd auflöste.

"Das war wohl zu viel", seufzte Pina. Professor McGonagall fragte sie, was sie sich denn vorgestellt habe. Sie sagte, daß sie den weißgelben Farbton der Sonne herbeiführen wollte.

"Dann wird das Pergament wohl verbrannt sein, ohne Feuer zu fangen. Das passiert gerade bei dieser Farbvorstellung häufig. Versuchen Sie es mit einer anderen Vorstellung!"

Pina schaffte es nicht, das Pergament zu verfärben, welches sie nun benutzen sollte. Julius nahm Pinas Anregung auf und stellte sich einen klaren Himmel ohne Sonne vor. Er führte die Bewegung zur Einleitung des Zaubers durch, murmelte leise die wichtigen Worte für die Umwandlung, wobei er sich vorstellte, in den Himmel hinaufzusehen. Das Pergament wurde hellblau, dann löste es sich zischend auf. Ein kalter Hauch umwehte Julius.

"Mist!" Fluchte er.

"Fluchen Sie nicht, sondern überlegen Sie, was passiert ist, Mr. Andrews!" Tadelte ihn die Verwandlungslehrerin.

"Hat sich in Luft verwandelt, obwohl ich Himmelblau haben wollte", vermutete Julius.

"Soetwas geschieht dann, wenn man sich zu stark auf das Vergleichsobjekt konzentriert. Versuchen Sie es noch mal!" Verlangte Professor McGonagall.

Julius probierte es bei einem zweiten Pergament aus und ließ auch dieses verschwinden. Das dritte verfärbte sich nicht. Er stellte sich nun das Smaragdgrün von Professor McGonagalls Umhang vor und erzielte eine farbgleiche Änderung des Pergaments.

"Niemand kann das sofort. Jetzt überlegen Sie sich mal, wie schwer es Zauberdekorateuren fällt, reine in der Vorstellungskraft bestehende Muster als Ausgangspunkt zu nehmen, um Objekte oder Flächen zu verfärben. Dennoch können es alle Zauberkundigen lernen, jedes Objekt in jeder beliebigen Farbe erscheinen zu lassen, von einer violetten Hauswand bis zu Möbelstücken", erklärte Professor McGonagall.

"Sofakissen zum Beispiel?" Fragte Julius hinterhältig grinsend.

"Dies auch, natürlich. Und Sie werden feststellen, daß eine Verfärbung häufig schwerer fällt als eine komplette Umwandlung eines Objektes in das von Ihnen gewünschte Objekt mit der gewünschten Farbgebung. Das ist eben die Frage der Konzentrationsballance. Richtig interessant ist es bei lebenden Farben, will sagen, wenn Sie Objekte derartig bezaubern wollen, das sie die Farben wechseln, wenn bestimmte Situationen eintreten. Dies gehört jedoch in den Bereich der Zauberkunst und somit in den Zuständigkeitsbereich von Professor Flitwick. Doch das können Sie nur dann anwenden, wenn Sie diese Lektion richtig begriffen haben, die Sie hier gerade lernen", sprach die Verwandlungslehrerin.

Nach der Stunde verteilte sie Punkte. Julius bekam ebenso fünf Punkte für eine gelungene Umfärbung wie Kevin und Marvin, der sein Probepergament pechschwarz hatte einfärben können. Gloria erhielt zehn Punkte, weil ihr die Umfärbung beim ersten Ansatz gelungen war und beliebig wiederholt werden konnte. Dann entließ Professor McGonagall die Klasse.

"Das war jetzt endlich mal eine Stunde, in der ich genauso dumm dreingeschaut habe wie ihr anderen", meinte Julius zu Pina, die mit ihm die Klasse verließ, während Gloria sich mit Gilda unterhielt.

"Du meinst, weil du hier lernen mußt, deine Kraft zu steuern und nicht einfach draufloszaubern kannst wie deine Kraft es zuläßt?"

"Genau. Im Nachhinein ärgert es mich nicht mehr, daß das erste Pergament verschwunden ist."

"Am Jahresende hast du das sogut drauf wie Gloria. Dann kannst du sogar diese schönen Fahnen machen, die die älteren Schüler beim Finalspiel hergestellt haben."

"Das wollen wir doch mal hoffen", sagte Julius.

Gloria drehte sich um, sah Julius an und fragte:

"Wie kamst du eigentlich auf Sofakissen?"

"Nur so, Gloria. Du kennst doch die verschiedenen Sofakissentypen."

"Wir lassen unsere Sofakissen manchmal neufärben. Aber ich kann mir schon denken, wieso du darauf gekommen bist", antwortete Gloria vieldeutig. Julius nickte, weil er dies absolut glaubte. Immerhin hatte er Gloria ja schon erzählt, daß jemand von Hogwarts bei seinen Eltern gezaubert und aus einem Revolver ein Sofakissen gemacht hatte. Und Gloria wußte ja auch schon, daß Professor McGonagall es war, die Julius' Familie besucht hatte.

Am Nachmittag trainierte Julius mit Kevin Besenflug über dem Quidditchfeld. Prudence Whitesand kam noch dazu und lächelte sie an.

"Madame Hooch ist der Meinung, daß wir mit Roger Davis bald darüber sprechen sollten, ob wir ein geschlossenes Team bilden können, eine B-Auswahl sozusagen."

"Nach den Abschlußprüfungen, Prue. Ich bin froh, wenn ich zumindest ein wenig herumfliegen kann", stöhnte Kevin.

"Wie heiß ich, Mr. Malone?" Fragte die Viertklässlerin mit den dunkelbraunen Haaren mit drohendem Unterton.

"Prue. So hat Cho dich doch gerufen", erwiderte Kevin grinsend.

"Nur weil ich ihr einmal erzählt habe, daß mein Vater mich so nennt, weil er amerikanische Eltern hat. Ich hasse derartige Namensverunstaltungen", erwiderte Prudence mit Abscheu in der Stimme.

"Kevin legt sich gerne mit Leuten an, Prudence. Er testet damit seine Beliebtheit", versetzte Julius ungefragt.

"Ich vermöbel dich noch mal, du Muggelbalg", entrüstete sich Kevin und sah Julius an.

"wann du willst", entgegnete Julius lachend und raste unvermittelt mit seinem geliehenen Besen los, daß der Reisigschweif flatterte wie ein Hemd im Windhauch.

"Wenn du das immer machst, bricht dir dieser Feger noch im Flug auseinander!" Rief Kevin. Julius kämpfte darum, die Schlingerbewegungen des alten Sauberwischs in eine gerade Flugbahn zu ändern und landete eine Minute später auf dem Feld.

"Also die Krücke sollte nur noch zum Rundflug über Hogwarts verwendet werden", schimpfte er auf den klapprigen Besen. "Die Dinger sind ja lebensgefährlich."

"Liegt nur am Flieger", versetzte Kevin und schwirrte über Julius hinweg und warf sich in eine Linkskurve, wobei sein Besen unvermittelt nach hinten durchsacckte und Schweif voran aufs Feld krachte. Kevin schaffte es noch, sich abzurollen, wobei er Dreck über seinen Umhang und seinen Kopf verteilte. Prustend stand der rotblonde Hauskamerad von Julius auf und suchte schnell das Weite, um nicht noch eine schadenfrohe Bemerkung von Julius oder Prudence hören zu müssen.

"Kleine Sünden straft der liebe Gott sofort!" Flötete Julius, als Kevin mit schnellen Schritten auf das Schloßportal zueilte und dabei fast einen stämmigen Jungen ummähte, der gerade mit einem weißblonden Mädchen Hand in Hand das Schloß verließ.

"Eh! Paß doch auf!" Schimpfte das Mädchen mit schriller Stimme, während der Junge ihre Hand losließ und Kevin hinterherjagte.

"O o! Rico wird sich das nicht bieten lassen", bemerkte Prudence Whitesand und sah mitleidsvoll dorthin, wo Kevin verschwunden war.

"Rico, laß den Jungen doch!" Rief das Mädchen hinter ihrem Begleiter her und drehte sich um, um ihm nachzulaufen.

"Der Typ sah aus, als würde er Kevin zu Hackfleisch verarbeiten", meinte Julius. Prudence zog eine Schnute. Dann sagte sie:

"Rico ist sehr leicht aufbrausend. Seitdem er mit Stella Highcloud zusammen ist .. Aber das hat dich nicht zu interessieren."

"Wo wohnt der denn, in Slytherin?" Wollte Julius wissen.

"Sie ist eine Hufflepuff-Fünftklässlerin und er ein Gryffindor-Sechstklässler."

"Oh, dann wird Kevin von einem Gryffindor vermöbelt, weil er ihn beim Händchenhalten gestört hat", flötete Julius. Prudence sah ihn vorwurfsvoll an.

"Benimm dich nicht wie ein Kleinkind!" Schnaubte sie. Doch dann mußte sie unversehens lachen.

"Du bist ein Banause", sagte sie zwischen zwei Lachanfällen. Julius grinste und meinte.

"Ich bin eben ein Eierkopf aus Ravenclaw."

"Komm, du Komiker. Wenn Kevin nicht mehr fliegen will, gehen wir besser rein. Ich wollte noch etwas Kräuterkunde lernen. Professor Sprout will alles über Eistaugras wissen."

"Es wächst im unzugänglichen Gebiet in der Nähe des Südpols, kommt nur alle zwei Jahre aus der Eisdecke und streut nach vier Tagen seine Samen in den Wind", zitierte Julius ungefragt einen Ausschnitt aus einem Buch, daß er aus der Bibliothek entliehen hatte und "Magische Pflanzen in extremen Gebieten" hieß.

"Huch? - Achso. Du bist ja der Erstklässler, der die Kräuterkundebücher auswendig lernt, die in der erlaubten Abteilung zu haben sind. Und wozu ist das Eistaugras gut?" Fragte sie dann.

"Es dient neben Eiswurz und Schneekraut zur Behandlung von Erfrierungen oder kann mit Feuerklee und Steinbrech zusammen zu einem hochgradigen Widerstandstrank gegen Hitze und Kälte gebraut werden, wenn noch Windgras und Quellwasser dabei sind. Ansonsten birgt es die Kraft, Lawinen aufzuhalten, wenn es gelingt, es in entsprechenden Gebieten zu kultivieren", meinte Julius.

"Willst du nicht meinen Aufsatz schreiben?" Fragte Prudence mit einer Mischung aus Staunen und Belustigung.

"Nein, geht nicht. Professor Sprout kennt meine Handschrift", sagte Julius.

"Aber Danke für den Hinweis auf das natürliche Verbreitungsgebiet. Ich hätte jetzt an Grönland gedacht, weil Odin Erikson vor zehn Jahren darüber geschrieben hat", sagte Prudence.

"Ich habe das aus "Magische Pflanzen in Extremgebieten" von Florian Radix. Da steht auch alles über die Drachenrose von Hawai und das australische Sandfraßmoos drin."

"Damit haben wir letzte Woche herumgearbeitet. Das Zeug ist höllisch gefährlich, wenn du keine Handschuhe trägst. Es sondert eine Säure ab, die Steine zu Sand zersetzt und diesen dann durch die Saugöffnungen in den Blättern ins Innere der Pflanze befördert. Soll aber gut für feste Fingernägel und elastisches Haar sein", meinte Prudence noch.

"Dann ist es was für Gloria", erwiderte Julius. Wie auf ein Stichwort erschien Gloria Porter vor dem Portal, zusammen mit Glenda Honeydrop von den Gryffindors.

"Filch hat Fredo, Kevin und einen stämmigen Gryffindor erwischt, wie sie sich prügelten", begrüßte Gloria Julius.

"Ach du liebe Zeit", stöhnte Julius. Glenda sagte entrüstet:

"Dafür, daß ihr Ravenclaws seid, prügeln sich Fredo und dieser irische Wirbelwind immer wieder."

"Worum ging es denn nun? Die Quidditchsaison ist doch vorbei?" Fragte Gloria.

"Worum prügeln sich Jungs, wenn es nicht um Sport oder um Autos geht?" Fragte Julius frustriert.

"Ach nein!" Wandte Glenda ein. "Kevin ist doch nicht hinter Stella her?"

"Nöh! Er hat Rico nur fast umgeschmissen", kicherte Julius.

"Stella sieht aber auch toll aus. Meine Mutter würde bei der keinen Schnitt machen", bemerkte Gloria mit einer Mischung aus Neid und Anerkennung in der Stimme.

"Jetzt nicht, aber in zwei Jahren, wenn sie ausgewachsen ist und aufpassen muß, nicht aus dem Leim zu gehen", gab Julius gehässig zurück. "In unserer Welt leiden alle schönen Mädchen unter der Angst, zu schnell zuzunehmen und hungern sich krank oder schlucken Appetitzüglerpillen."

"In unserer Welt, Julius?" Fragte Gloria mit einem drohenden Unterton. Prudence sah Julius Andrews vorwurfsvoll an.

"Ja, in der Welt der Schönheitschirurgen, Modetrends im Fernsehen und der wunderbaren Welt der kosmetischen Chemie", trällerte der Sohn eines Forschungsdirektors. Dafür bekam er einen Tritt auf den Fuß von Prudence und einen Kniff in die Nase von Gloria.

"Ich habe schon davon gehört, daß Muggel, besonders Kinder, von Reklame eingenebelt werden, damit sie allen Schwachsinn kaufen, den irgendwer auf den Markt wirft. Aber derartige Quacksalberei als "wunderbare Welt" zu bezeichnen ist nicht komisch, junger Herr. Meine Mutter könnte das als Geisteskrankheit auslegen, wenn jemand sagt, daß er das Giftzeug der Muggel und deren Knochen- und Fettschnibsler anständigen Salben und Zaubertränken vorziehen würde", zischte Gloria.

"Tröste dich, Gloria! Ich unterstelle diesen Männern und Frauen auch einen Sprung in der Schüssel, die ihren Körper kaputtgestalten lassen, obwohl das nicht nötig ist", meinte Julius kleinlaut.

"Ihr seid herrlich, ihr zwei", meinte Prudence lächelnd. "Als wäret ihr verheiratet."

"Sag sowas nicht, Prudence! Dann kriege ich noch Alpträume", versetzte Julius mit künstlichem Entsetzen in der Stimme.

"Angeber!" Tadelte Glenda den Jungen aus einer Muggelfamilie. Dann sagte sie noch:

"Jetzt bist du schon bald ein Jahr hier und hängst immer noch diesem Muggelkram nach. Wenn dich die Slytherins hören."

"... würden sie sich bestätigt fühlen, daß ein Schlamm..., öhm, Muggelbalg eben keine anständigen Zauberermanieren hat", konterte Julius und lachte.

"Hattest du noch was besonderes vor, Julius?" Fragte Gloria.

"Ich wollte noch das Kapitel über Newtons Physik in der modernen Technologie lesen. Du erinnerst dich, daß mein alter Herr mir den Brief geschrieben hat, daß er eine schriftliche Zusammenfassung der wichtigsten Aussagen dazu haben will."

"Das hat Zeit. Ich wollte dich noch wegen einer Geburtstagsüberraschung fragen, die wir Pina bereiten wollen. Du weißt, daß sie am nächsten Montag Geburtstag hat?"

"Joh, natürlich. Ich habe doch die Einladungskarte heute morgen bekommen. Ist echt lustig, wie die Buchstaben auf der Karte herumtanzen, wie Ballerinen. Wo kriegt man sowas her?" Wollte Julius wissen.

"Bei Salvetissimo, der Agentur für Grußkarten für alle Gelegenheiten. Liegt in der Winkelgasse gleich neben dem Prazap-Laden für praktische Zaubergegenstände und Tinkturen", meinte Glenda beiläufig. Dann gingen Gloria, Glenda und Julius in einen der Parks um das Schloß und beratschlagten, was sie ihrer Klassenkameradin Pina schenken wollten. Julius wandte ein, daß ein Buch oder sonst irgendein Aufmerksamkeit forderndes Ding, was an Schule erinnerte, nicht seiner Vorstellung von Geburtstagsgeschenken entsprach. Gloria Porter schlug vor, etwas kunstvolles zusammenzubasteln. Julius wußte, daß Pina gerne Harfe spielte, wie Gloria und er leidenschaftlich gerne Schach spielte und tanzte. Er überlegte, während Gloria mit einem Pergament und ihrem Zauberstab experimentierte, um schillernde Verfärbungen zu üben. Das Pergamentstück wurde abwechselnd neongrün,, stahlblau, blütenweiß, sonnengelb und bordeauxrot.

"Das ist doch was", meinte Julius, als das Pergamentstück in einem glitzernden Goldton erschien. "Du hast da echt talent für."

"Wofür, Julius?" Wollte Gloria wissen.

"Sachen einfärben. Ich denke, wir schenken ihr ein Bild oder eine Statuette, irgendwas schönes, aber nichts unterrichtsmäßiges."

"Woraus willst du ein Bildnis machen, Julius?"

"Aus Tonerde, Gloria. Die gibt es hier am Rande der Küchenbeete, habe ich gesehen. Ich leih mir eine Gartenschaufel von Professor Sprout aus und hol eine Handvoll davon. Vielleicht baue ich das Bild einer Ballerina oder eines Musikers ... Genial! Ich baue ihr die Begegnung zwischen Orpheus und dem dreiköpfigen Höllenhund Kerberos, die ich in einem Buch über alte Sagen gelesen habe, das mir meine Großmutter vor zwei Jahren geschenkt hat."

"Dreiköpfiger Höllenhund? Angeblich soll es einen hier in Hogwarts geben. Hagrid soll so ein Biest mal gekauft und als Wachhund für was mysteriöses an Dumbledore verliehen haben", bemerkte Glenda. Dann fragte sie:

"Was war das für eine Geschichte mit diesem Orpheus?"

Julius erzählte die alte Sage von dem Musiker, der seine Frau verloren hatte und durch seine Musik die Mächte der Unterwelt betören konnte, sie ihm wieder zurückzugeben, sie aber wieder verloren habe, weil er sich zu früh nach ihr umgedreht hatte.

"Musik besänftigt alle Monster. Eine schöne aber auch traurige Geschichte", erkannte Gloria Porter und lächelte. Dann meinte Glenda:

"Und du kannst mit Tonerde arbeiten, Julius?"

"Das ist zwar drei Jahre her, daß Mrs. Clayborne uns damit werkeln gelassen hat, aber das kriege ich wieder hin. Schwierig ist es nur, den Ton zu brennen. Ich denke nicht, daß wir das Kunstwerk, wenn wir es einmal fertig haben, in einen Ofen stellen können."

"Wozu können wir zaubern, Julius? Es gibt doch den Beschwörungszauber für Hitze, den Heliothermus-Zauber, der dem Hibernevus-Zauber entgegengestellt ist. Das einzige, was wir dazu brauchen, ist ein Metallkessel, zwei Sonnenblumenkerne und ein Stück Glas, um die Wärme der Sonne zu beschwören", erklärte Gloria, die offenbar mit Julius' Idee zufrieden war.

Wenige Stunden später bastelte Julius mit der Tonerde, die er sich holen durfte, die Statuetten des Sängers Orpheus mit der Harfe und das Abbild eines struppigen Hundes mit drei Köpfen und aufgerissenen Mäulern. Gloria bewunderte es, wie geschickt und detailgenau Julius sogar die Krallen und Zähne des Untieres ausformte. Dann wandten sie den Erhitzungszauber an, und hielten das Tonkunstwerk mehrere Minuten auf hohen Temperaturen. Dann vollzog Gloria an Orpheus eine Goldfärbung, während Julius den Höllenhund pechschwarz einfärbte. Die beiden Zauber berührten sich nicht, der Sockel der Abbildung verfärbte sich nicht. Glenda verpaßte ihm nach der vollendeten Umfärbung einen blutroten Farbton.

"Der Ton ist richtig ausgehärtet, Leute", staunte Julius, als er das gemeinsame Kunstwerk betastete. Gloria nickte.

"Meine Großmutter Jane hat mir das verraten, daß Hexen und Zauberer derartige Sachen ohne Ofen machen können. Oma Jane hat mir sogar schon einmal eine kleine Blumenvase getöpfert, die sie mit blauen Blumenmustern bezaubert hatte."

"Dann verstecken wir es gut. Minifico!"

Bei den letzten Worten hatte Julius seinen Zauberstab hervorgeholt und eine schnelle Bewegung in Richtung des Kunstwerks vollführt. Beim entscheidenden Zauberwort schrumpfte die Tonabbildung von ursprünglich 25 Zentimetern Größe auf nur zwei Zentimeter zusammen. Gloria verbarg das so bezauberte Objekt in einer kleinen Schachtel, in der sie ihren Stimmungsfarbring aufbewahrte, wenn sie ihn nicht tragen wollte.

"Ich hoffe, du kannst die Umkehrung des Einschrumpfungszaubers?" Fragte Gloria und lächelte Julius an. Dieser sagte nur:

"Reducio. Das ist doch die Umkehrung, oder?"

"Dumme Fragen führen zu dummen Antworten", erwiderte Gloria. "Seitdem du von Professor McGonagall angestachelt wurdest, die Verwandlungstheorie zu lernen, hast du nicht einmal die falsche Antwort gegeben. Insofern kaufe ich dir diese Antwort nicht als ernstgemeint ab."

"Wieso, Gloria? Reducio ist doch die Umkehrung bei Größenveränderungen", warf Glenda ein.

"Oh, das laß aber nicht eure Hauslehrerin hören. Die würde dich fragen, ob du in ihrem Unterricht besser schlafen kannst als in deinem Bett", gab Gloria gehässig zurück. Julius grinste gemein. Dann sagte er:

"Reducio ist der Rückschrumpfspruch nach einer Vergrößerung. Wenn du aber etwas entschrumpfen willst, brauchst du den Remagnus-Zauber, oder werkelst dich mit dem Engorgius-Zauber solange durch, bis das, was du vergrößern wolltest, deine Vorstellungen von richtiger Größe erfüllt."

"Oha! Wann sind die Prüfungen?" Wollte Glenda wissen und lief rot an.

"Ab erstem Juni", gab Gloria nüchtern zurück.

"Dann kann ich das noch mal durchackern", seufzte das Gryffindor-Mädchen.

Beim Dinner erfuhren die Ravenclaws, daß wegen der Prügelei zwischen Kevin, Fredo und Rico ein 40-Punkte-Abzug verhängt worden war. Außerdem waren Kevin und Fredo im Krankenflügel gelandet, weil Rico ihnen ein paar Rippen gebrochen und ihnen zum Überfluß noch einen Krauthaarfluch angehext hatte, bei dem büscheliges Unkraut an Stelle der Haupthaare spross. Julius sah, wie Rico am Gryffindor-Tisch einen heftigen Wortwechsel mit Percy Weasley und Hermine Granger führte. Offenbar hatte es auch für die Gryffindors einen Punkteabzug gegeben, was Julius schmunzeln ließ.

Pina freute sich an ihrem Geburtstag nicht nur über das Ständchen, daß Gloria, Kevin und Julius ihr brachten, sondern auch über das Kunstwerk. Sie erkannte sofort die Darstellung und freute sich.

"Meine Mutter hat mir schon die Geschichte erzählt, wie ein Musiker ein Monster besänftigt hat. Danke, Leute."

Julius saß am Tisch der Ravenclaws, als Post für ihn eintraf. Auf dem Umschlag stand mit Handschrift in veilchenblauer Tinte:

"Bitte erst öffnen, wenn Sie allein sind!"

Julius ließ den Brief schnell in seinem Umhang verschwinden. Als der Unterricht dann vorbei war, zog er sich in den äußersten Winkel des Jungenschlafsaals zurück und las den Brief.

 

Sehr geehrter Mr. Andrews,

hiermit überreichen wir Ihnen den Schlüssel zu ihrem Bankverlies bei Gringotts. Das Verlies trägt die Nummer 119 und wurde gestern mit einem Guthaben von einer Sickel eröffnet. Bitte unterrichten Sie Ihre Eltern davon, daß nun die für Ihre Unterbringung in Hogwarts notwendigen Geldmitttel dort eingezahlt werden mögen, damit Sie weiterhin in den Genuß einer äußerst erfolgreichen Ausbildung kommen können.

viele Grüße

Lorna Oaktree, Chefsekretärin in der Abteilung für Neuzugänge Cynthia Flowers, Sekretärin für Neuzugänge aus nichtmagischen Familien in Hogwarts

 

p.s. eine Kopie dieser Mitteilung wird zeitgleich an Ihre Eltern geschickt.

 

 

Julius nickte zustimmend und besah sich den Schlüssel. Er trug die winzige vergoldete Nummer 119 in verschnörkelter Linienführung. Daneben standen noch alte Runen, die Julius nicht entziffern konnte. Er sah, daß der Schlüssel eine Öse besaß, durch die eine Kette gezogen werden konnte, um ihn um den Hals zu tragen oder ihn an einer Schlüsselkette festzumachen. Julius sperrte den Schlüssel zunächst in dem Geheimfach seines Koffers ein. Später wollte er ihn an einer kleinen Kette festmachen.

 

 

Professor Flitwick teilte in der nächsten Zauberkunststunde mit, daß bald die ersten Prüfungen anstünden und die Schüler sich gut vorbereiten sollten, da die Prüfungsergebnisse darüber Auskunft geben sollten, ob die jungen Hexen und Zauberer in Hogwarts bleiben konnten oder schon vorzeitig die Ausbildung abbrechen mußten. Nach dem Unterricht hielt der Professor für Zauberkunst Kevin, Fredo und Julius zurück.

"Zu Ihnen, Meine Herren! Mr. Malone und Mr. Gillers, Sie beide werden heute nachmittag zusammen mit unserem Wildhüter Hagrid die Bäume im südlichen Schloßpark beschneiden, ohne Zauberei. Ich muß Ihnen langsam eingestehen, daß ich nicht besonders erfreut bin, daß gerade Sie beide leichtfertig in körperliche Auseinandersetzungen hineindrängen. An und für sich hätte ich von Ihnen mehr Disziplin erwartet. Bitte versuchen Sie bei nächster Gelegenheit, Prügeleien zu vermeiden!"

Fredo und Kevin trollten sich. Julius, der weder betrübt noch schadenfroh aussah, blickte ihnen nach, wie sie wie getretene Hunde davontrotteten. Dann sprach Professor Flitwick zu ihm:

"Mr. Andrews. Ich habe heute morgen einen Brief von Ihren Eltern erhalten. Sie schrieben mir, daß sie darum ersuchten, mit uns Lehrern direkt zu sprechen und baten um einen Erscheinungstermin hier in Hogwarts. Grundsätzlich stimme ich dem Ansinnen Ihrer Eltern zu und wäre sehr gerne bereit, mit diesen in einem direkten Gespräch Ihre Leistungen zu würdigen. Doch Sie wissen ja, was im Moment los ist. Solange die Dementoren Hogwarts umstellt haben, wäre es sehr fatal, Muggel zu uns zu holen, da sie den Eindruck gewinnen könnten, wir hielten Sie und die übrigen Schüler durch eine Mauer aus Verzweiflung und Angst gefangen. Allerdings kann ich das Ansinnen Ihrer Eltern nicht ablehnen, ohne ihr ohnehin bestehendes Mißtrauen zu erhärten. Wie schätzen Sie die Lage ein?"

"Darf ich ehrlich antworten, Professor Flitwick?" Fragte Julius.

"Ja, Sie dürfen", erlaubte der Zauberkunstlehrer. Julius holte tief Luft und antwortete:

"Wenn Sie meinen Eltern schreiben, daß sie nicht herkommen können, werden die mich nach den Ferien nicht mehr hierher zurückkehren lassen, weil sie sich jeder Kontrolle enthoben fühlen, vorausgesetzt, ich bestehe die Prüfungen. Können Sie nicht nach London reisen, und mit meinen Eltern sprechen?"

"Erst nach den Prüfungen", wandte Professor Flitwick ein. Falls Black bis dahin immer noch in der Nähe des Schlosses herumläuft, muß ich diese Möglichkeit in Betracht ziehen. Ihr Vater bittet vor allem um einen Termin bei Professor Sprout, Professor Snape, Direktor Dumbledore und mir persönlich. Offenbar hat er seine Einstellung zu Ihrer Ausbildung bei uns nicht geändert."

"Das hat er bestimmt nicht", erwiderte Julius Andrews frustriert. "Ich behaupte sogar, daß er keinen Zauberer in der Familie haben will, so oder so nicht."

"Tja, das kann man sich nicht aussuchen", sagte Professor Flitwick grinsend. "Die meisten nichtmagischen Eltern haben anfangs ihre Probleme gehabt, die Situation zu akzeptieren, eine Hexe oder einen Zauberer in der Familie heranwachsen zu sehen. Ich hörte sogar schon Beleidigungen wie "Mißgeburt", "Monstrum" oder "Abnorme Erbanlagen". Doch in den meisten Fällen gab sich das nach dem ersten Jahr. Was die Einsicht in unsere Arbeit hier angeht, so räume ich Ihren Eltern gerne ein gewisses Mißtrauen ein, da außer Ihren und unseren Briefen keine Rückmeldung kommt, wie Sie hier leben, wie Ihr Umfeld beschaffen ist und mit wem Sie einen wie gearteten Umgang pflegen. Kein Elternpaar nimmt es fraglos hin, ein Kind in die Obhut von Fremden zu geben, die mit ihm Dinge anstellen, die sie nicht fassen können. Dennoch muß ich neuerlich meine Verwunderung bekunden, daß Wissenschaftler wie Ihre Eltern sich nicht mit den tatsächlichen Gegebenheiten abzufinden vermögen."

"Eben weil sie wissenschaftlich geprägt sind, ist ihnen alles verdächtig, was mit Zauberei zu tun hat", wagte Julius einen vorsichtigen Widerspruch. "Hinzu kommt die ganze Sache mit den zusätzlichen Aufgaben, die ich hier zu erledigen habe. Ich muß mich nun auf die Prüfungen vorbereiten. Dann läuft das Nachwuchstraining im Quidditch, das Hausturnier im Schach findet nach den Prüfungen statt. Also was ist das richtige? Wenn ich meine Eltern jetzt anschreibe und ihnen sage, daß sie nicht herkommen dürfen, ohne zu erwähnen, woran das liegt, dauert es nicht mehr lange, und Sie bekommen Post von einem Anwalt, der fordert, mich nach Hause zu schicken, auf das ich eine andere Schule besuchen kann, wo keine Dementoren herumlaufen und es gewohnte Dinge wie Telefone und Faxgeräte gibt."

"In der augenblicklichen Lage werden Sie die Prüfungen für die erste Klasse bestehen. Es sei denn, Sie verweigern sich. Das würde Ihren Eltern zwar gefallen, da Sie entweder das Jahr wiederholen müßten oder von der Schule verwiesen werden müßten, aber würde nicht bedeuten, daß Sie, will sagen Ihre Eltern, dann vor unserer Welt Ruhe hätten. Ihnen ist doch bekannt, daß es Gesetze gibt, denen zu Folge alle Lehrer der Zaubererwelt gehalten sind, Muggelgeborene in Zaubereifeldern zu unterrichten. Ihre Eltern könnten Sie nicht willkürlich in eine andere Lehranstalt schicken, wo keine Magie unterrichtet wird. Bedenken Sie dies und teilen Sie es Ihren Eltern gegebenenfalls mit, falls sie Sie dazu drängen sollten, einen Verweis von Hogwarts zu provozieren!" bemerkte der kleine Lehrer mit dem weißen Haar. Julius hörte einen unmißverständlichen drohenden Unterton aus der hohen Stimme des Hauslehrers von Ravenclaw heraus und nickte.

"Ich wollte nach den Prüfungen was über die Gesetze lesen, die sagen, wie Zauberer und Muggel miteinander umgehen können oder müssen. Gilda Fletcher und Gloria Porter haben mir erzählt, daß es in der Bibliothek Bücher gäbe, die leicht zu verstehen seien."

"Sehr guter Vorschlag. Ich empfehle Ihnen die Bücher "Alles was Recht ist - Zauberergesetze für Jedermann" von Justicia Mallot und "Muggel und Magier - Regeln für den Umgang zweier Welten" von Paris Rhadamantys. Die hat im letzten Jahr auch Ms. Granger gelesen, falls Sie sie kennen."

"Sicher. Wer kennt Hermine Granger nicht?" Antwortete Julius. Dann verabschiedete sich Professor Flitwick von ihm. Julius eilte aus dem Schloß, hinein in die sonnendurchfluteten Parkanlagen von Hogwarts, wo er die Hollingsworth-Schwestern antraf, die gerade ein Duell mit Kissen machten, die sie sich per Zauberkraft zuwarfen.

"Was wird das denn?" Wollte Julius wissen. Dann klatschte ihm ein Kissen voll ins Gesicht.

"Hups! Das kommt davon, wenn man mich aus dem Rhythmus bringt", grinste Jenna Hollingsworth. Julius grinste zurück. Holte seinen Zauberstab hervor und ließ das Kissen in die Luft steigen.

"Echt tolles Wetter heute", sagte er, als das Kissen wieder nach unten sank.

"Ja, das kann so bleiben", sagte Betty Hollingsworth.

In den nächsten Tagen waren die Ravenclaws vom Erstklässler bis zum Abschlußklässler damit beschäftigt, für die Prüfungen zu lernen. Julius half Pina bei der Kräuterkunde und gab ihr Tips für diverse Zaubertränke, während Gloria Julius davon zu überzeugen versuchte, wie wichtig Geschichte der Zauberei sei. Nebenbei lernte Julius noch diverse Flüche und Gegenflüche, da Lupin ihnen angedeutet hatte, sie hauptsächlich praktisch zu prüfen. An herumkrabbelnden Spinnen probte Julius die Klammerflüche, ihre Aufhebung und den Erstarrungszauber. Dabei sagte er zu Gloria, die gerade Objektverfärbung an herumliegenden Pergamentresten und Streichhölzern ausprobierte:

"An und für sich müßte uns Lupin noch den Patronus-Zauber beibringen, bevor wir die Jahresendprüfung machen."

"Fängst du schon wieder damit an? Dabei ist der beste Schutz vor Dementoren, sich möglichst von ihnen fernzuhalten", raunzte die blondgelockte Hauskameradin Julius an.

"Ich halte mich ja daran, aber die Dementoren vielleicht nicht", erwiderte der Muggelgeborene frech.

"Lies lieber noch mal das Protokoll der Druidenkonvention von 150 vor Christi!" Empfahl Gloria Porter, und Julius konnte ihr anhören, daß sie sich schwer beherrschen mußte, um nicht verärgert zu klingen. Julius zielte mit dem Zauberstab auf eine Spinne, die sich gerade an ihrem Faden von einer Wand herunterließ und rief:

"Engorgio!"

Wie ein sich füllender Luftballon schwoll die winzige Spinne an und wuchs zur Größe eines Suppentellers an. Der Faden riß, und die vergrößerte Spinne klatschte auf den Boden und lief fort. Doch Julius zielte noch mal mit dem Zauberstab und rief:

"Reducio!"

Schlagartig schrumpfte die Spinne wieder auf ihre Normalgröße zurück.

"Gut, daß Penelope das nicht mitgekriegt hat", meinte Fredo, der staunend zugesehen hatte.

"Na und, ich muß den doch können, auch die umgekehrte Anwendung", meinte Julius und richtete den Zauberstab auf einen freien Sessel.

"Minifico!"

Der Sessel schrumpfte so schnell zusammen, als würde er von einer unsichtbaren Faust zusammengepreßt, bis er nur noch einen Zentimeter groß war. Julius mußte extra hingehen, um ihn mit dem Zauberstab genau anzuvisieren. Er führte eine Dreivierteldrehung im und gegen den Uhrzeiger aus, wofür er nur eine Viertelsekunde brauchte und sprach dann:

"Remagno!"

Der Sessel zitterte kurz, dann wuchs er wieder auf seine eigentliche Größe an.

"Also wenn du nur praktisch geprüft wirst, schaffst du die Verwandlungsprüfung im Spaziergang", meinte Prudence Whitesand, die gerade durch das Einstiegsloch geklettert war und den Schrumpf- und Rückvergrößerungsvorgang beobachtet hatte.

"Sag das bloß nicht zu Professor McGonagall, sonst vertauscht die noch meine Prüfungsaufgaben mit denen von Penelope Clearwater", warf der Sohn von Martha und Richard Andrews ein.

Nach den Experimenten im Gemeinschaftsraum vertrieben sich Julius und die anderen Erstklässler die Zeit mit Laufsport in den Parks um das Schloß und kletterten auf Bäume.

Am Ende des Monats Mai erkrankte Professor Lupin schon wieder. So kamen die Erstklässler noch mal in den zweifelhaften Genuß, eine Stunde bei Professor Snape zu haben. Diesmal drangsalierte der hakennasige Lehrer die Schüler mit durch Gifte oder Bisse übertragbaren Flüchen.

"Wenn Sie von einem Werwolf gebissen werden, wielange glauben Sie, daß es dauert, bis Sie selbst einer werden, Andrews?" Fragte Snape den Muggelgeborenen.

"Gemäß Lehrbuch der ersten Klasse, sowie "Dunkle Kreaturen" von Professor Erebus Noctumbra dauert es 26 Stunden durch die Anzahl der erlittenen Bisse, bis die erste Werwandlung einsetzt. Ein schwarzer Magier namens Seth Fenris hat 1654 ein Pfeilgift aus dem Speichel von Werwölfen gemacht, das die Werwandlung schon nach einer Minute bewirkte."

"Sehe ich aus wie Professor Binns? Ich wollte keine Vorlesung über alte Hexenmeister hören, Andrews. Wegen Abschweifung vom Thema wird Ravenclaw ein Punkt abgezogen", zischte Snape und lächelte kalt. Julius hielt diesem Lächeln Stand. Gloria, die neben ihm saß, lief leicht rot an vor Zorn.

"Habe ich etwa nicht recht, Porter?" Wollte Snape wissen, und in seinem Blick lag etwas lauerndes.

"Sie haben recht, daß Sie nicht Professor Binns sind, Professor Snape", erwiderte Gloria kalt.

"Das möchte ich mir auch ausgebeten haben, junge Dame", entgegnete Snape. Julius wußte nicht, ob er sich das einbildete oder ob Snape tatsächlich für einen Moment enttäuscht dreinschaute, weil Gloria ihm nicht den Grund geliefert hatte, ihr auch noch Punkte abzuziehen. Gilda sollte dann noch erwähnen, wie oft ein Mensch von einem Vampir gebissen werden konnte, bevor ein solches Opfer selbst zum Vampir wurde und wie man dies verhindern konnte. Danach bekamen sie die Aufgabe, in ihren Schulbüchern nach Möglichkeiten zu suchen, Untote zu vertreiben. Nach der Stunde machte sich Kevin Luft, als er sich sicher sein konnte, daß Snape ihn nicht mehr hörte.

"Dieser Dreckskerl! Der zieht dir einen Punkt ab, nur weil du seine Frage korrekt beantwortet hast."

"Er ist kein Ravenclaw. Der will nur das hören, was genau gefragt wurde", erwiderte Gloria wütend.

"Selbst ein Slytherin sollte sich dafür interessieren, wer mit Werwolfspeichel herumexperimentiert hat", meinte Julius. Dann sah er so aus, als sei ihm gerade etwas siedendheiß eingefallen.

"Heh, was ist mit dir los, Julius?"

"Warum fragt uns Snape über Werwolfbisse ab? Wieso sollten wir damals, wo er schon einmal Lupin vertreten hat alles über Werwölfe schreiben, was wir lesen konnten? Die Antworten auf diese Fragen im Zusammenhang mit anderen Tatsachen bringen mich auf einen dummen Gedanken."

"Die einzigen dummen Gedanken, die du bisher hattest, drehten sich darum, daß du kein Zauberer werden wolltest", wandte Gloria ein. Dann sah sie Kevin an, der ebenfalls dreinschaute, als sei ihm ein hundertarmiger Kronleuchter aufgegangen.

"Kannst du mir noch mal das Rechenmodell zur Vorhersage von Planeten- und Mondstellungen verraten, Julius?"

"Sicher kann ich das, Kevin", grinste Julius. Gloria zuckte kurz mit den Achseln, dann nahm sie Julius bei Seite.

"Du hast denselben Gedanken wie ich, Julius. Aber sag das keinem. Ich bin mir sicher, daß Dumbledore sich was dabei gedacht hat, ihn einzustellen", flüsterte sie dem Jungen ins Ohr. Julius nickte, wenngleich er so aussah, als habe er dabei kein gutes Gefühl.

"Hast du ihm einen Heiratsantrag gemacht, Gloria?" Fragte Kevin frech. Julius sah den irischen Hauskameraden an und meinte:

"Natürlich. Aber wenn ich nein sage, will sie dich haben." Dafür kassierte er von Gloria einen Tritt vor das rechte Schienbein.

"Ihr seid beide unglaublich ungehörig. Außerdem würde ich Gilda niemals was wegnehmen", sagte die blondgelockte Ravenclaw-Erstklässlerin mit den grünen Augen.

"Öh, Moment, Gloria. Was hat Gilda gesagt?"

"Nichts. Aber gerade das ist schon genug, um sich das richtige dabei zu denken", entgegnete Gloria und genoß es, Kevin rot anlaufen zu sehen. Dann trollte sich der rotblonde Bettnachbar von Julius und zog sich wortlos zurück.

"Wie gesagt, Julius. Dumbledore hat sich bestimmt was dabei gedacht. Egal, was Snape davon hält", erinnerte Gloria ihren Klassenkameraden noch mal an das, was sie ihm zugeflüstert hatte.

"Ich gehe auch davon aus, daß das alles gut abgesichert wurde. Außerdem ist Lupin der beste Lehrer an dieser Schule", meinte Julius.

"Da bist du nicht alleine, der das denkt."

Am folgenden Tag kam Post von Julius' Vater und ein Brief von Aurora Dawn. Julius Vater schrieb seinem Sohn, daß er ihn in den Ferien schriftlich auf seine naturwissenschaftlichen Kenntnisse prüfen wolle. Aurora Dawn teilte Julius mit, daß sie ihn am 21. Juli abholen wolle, um mit ihm das erste australische Spiel bei der Quidditch-WM zu besuchen. Julius seufzte, weil ihm klarwar, daß seine Eltern ihm das nicht erlauben würden.

JAHRESABSCHLUßPRÜFUNGEN by Thorsten Oberbossel

An den letzten Tagen im Mai war es im Haus Ravenclaw besonders ruhig. Alle, vom Erst- bis zum Abschlußklässler lasen in ihren Büchern oder Aufzeichnungen, worauf sie bei den bald stattfindenden Jahresabschlußprüfungen zu achten hatten. Julius saß mit Gloria Porter und Kevin Malone in einer Ecke des Gemeinschaftsraumes und diskutierte flüsternd Einzelheiten aus der Geschichte der Zauberei. Er gab Kevin noch einige Tips für den Umgang mit Grünwurzeln und zählte noch mal alle Zutaten für den Entspannungstrank auf, den sie vor vier Monaten gebraut hatten. Gloria fragte Julius alle Sprüche ab, die Flitwick ihnen beigebracht hatte und lächelte, weil alle Antworten stimmten. Julius konnte sogar sagen, wie der Zauberstab zu den entsprechenden Zaubern bewegt werden mußte. Jedoch verzichteten sie darauf, die Zauber auszuprobieren, nachdem sie mitbekommen hatten, wie Dustin McMillan seinem Klassenkameraden einen Elefantenrüssel angehext hatte, nur weil er die Verwandlung nicht korrekt durchgezogen hatte.

Fredo und Pina lernten bei Julius noch mal die Ausrichtung eines Teleskops und den einfachsten Weg, die Bahn von Planeten vorherzuberechnen, damit sie in der Astronomieprüfung besser wegkamen.

Am Vorabend der Prüfungen kam Professor Flitwick noch mal in den Gemeinschaftsraum der Ravenclaws und hielt eine kurze Ansprache für die Erstklässler. Er sagte:

"Sehr geehrte Damen und Herren!

Ab morgen finden Ihre Jahresabschlußprüfungen statt. Ich bin mir sicher, daß Sie alle eine gewisse Beklemmung vor diesen Prüfungen empfinden, insbesondere jene, die sich bislang für unzulänglich gehalten haben. Doch dem ist nicht so. Sie werden die Prüfungen sehr gut bewältigen können, da ich weiß, daß Sie sich dafür gut vorbereitet haben. Sie werden die besten Noten in den einzelnen Fächern dann erreichen, wenn Sie sich entspannen und das Ihnen vermittelte Wissen ruhig in Ihr Bewußtsein einströmen lassen. Und sollten Sie nicht auf einen hohen Notenwert gelangen, so ist dies nicht als Beweis für Ihre Unfähigkeit zu verstehen, sondern als Ansporn, sich weiterzuentwickeln.

Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei den ersten Jahresabschlußprüfungen in Hogwarts."

Danach hielt er noch eine Rede für die Abschlußklässler, in der er darauf hinwies, daß sie durch ihre Zugehörigkeit zum Haus Ravenclaw die beste Voraussetzung für hochqualifizierte Arbeiten in der Zaubererwelt mitbrachten und daher bestimmt zu Ansehen in der forschenden Zaubererschaft gelangen würden. Doch dafür sei es nötig, sich durch die Abschlußprüfungen bestmöglich zu empfehlen. Auch ihnen wünschte er viel Erfolg für die Abschlußprüfungen, bevor er sich mit den Worten verabschiedete:

"Wir sehen uns dann alle in den Prüfungsstunden wieder."

"Hast du gesehen, wie er dich angeguckt hat, Julius?" Flüsterte Pina, die links neben Julius gesessen hatte, als Flitwick die Ansprache gehalten hatte. Julius nickte und erwiderte:

"Ich weiß nicht, aber ich denke, Flitwick hat Angst, daß ich mich absichtlich hängen lassen könnte. Aber da täuscht er sich. Gerade um meinen Eltern zu zeigen, daß ich hierhergehöre, werde ich rausholen, was rauszuholen ist."

"Das wollen wir dir auch geraten haben", zischte Gloria und schwang einen nur in der Vorstellung bestehenden Zauberstab.

Abends im Schlafsaal murmel