Julius Andrews - Auf seinem Weg in die Zaubererwelt by Thorsten Oberbossel
Summary:

Stell dir vor, du wächst in einer Welt auf, in der Magie, Hexen und Zauberer, Drachen und Riesen nur in Märchenbüchern vorkommen! Du lernst von deinen Eltern und Lehrern, daß nichts wirklich ist, was nicht mit naturwissenschaftlichen Methoden gedeutet werden kann. Die Welt ist für dich soweit in Ordnung. Dann bekommst du von einer merkwürdigen Stelle her einen Brief, in dem Steht, daß du als Hexe beziehungsweise Zauberer erkannt wurdest und ab dem nächsten Jahr in eine Schule für Zauberei gehen sollst. Deine Welt gerät ins rutschen, gerade dann, wenn sich herausstellt, daß die Schreiber dieses Briefes tatsächlich recht haben.

So ergeht es dem Jungen Julius Andrews, als er den Plänen seiner naturwissenschaftlich geprägten Eltern nach in ein Eliteinternat wechseln soll. Was er jedoch dann erlebt, sprengt die Grenzen der bisher für einzig richtig gehaltenen Weltanschauung seiner Eltern und ihm selbst.

Die bisherigen Stories können nach meinem Dafürhalten von LeserInnen ab zehn Jahren gelesen werden, sind jedoch nicht nur für Kinder und Jugendliche gedacht. Auch erwachsene LeserInnen sind herzlich eingeladen, diese Geschichten zu lesen und sich daran zu erfreuen.


Categories: Harry Potter Characters: Eigener Charakter
Genre: Keine
Warnung: Keine
Challenges:
Series: Keine
Chapters: 144 Completed: Ja Word count: 5611429 Read: 731078 Published: 12 Jun 2014 Updated: 12 Jun 2014
TRAUER UND FREUDE by Thorsten Oberbossel

Es war ein merkwürdiger Himmel, unter dem Julius Andrews gerade dahinschlenderte. Er war von jenem dunkelblauen Leuchten, das eine Abenddämmerung bei schönem Wetter hervorbrachte. Doch dieses Blau leuchtete gleichmäßig von Horizont zu Horizont. Keine Wolke war zu sehen, und obwohl der Himmel noch so Hell leuchtete, konnte Julius nicht einen Strahl der Sonne erkennen, Wie der Himmel so waren ihm auch die Gebäude und die Straßen sehr fremdartig. Statt Häusern waren in dieser merkwürdigen Statt, die er gerade durchstreifte, Gebilde wie Termitenbauten aus schneeweißem, blitzblank und glatt poliertem Material, das nichts mit gemauertem Stein oder Beton gemein hatte. Es wirkte auf Julius wie in diese Formen gegossener und dann kristallisierter und glasierter weißer Zucker. Neben diesen teils dutzende Meter hohen Gebilden waren da noch mit einem golden glänzenden Stoff verkleidete Türme zu sehen, die sich wie zusammengerollte und aufeinander gestapelte Schlangen ohne Hals und Kopf in diesen fast abendlichen Himmel ohne Sonne hinaufreckten und rosiggoldene Helme wie schmale Glocken mit rundem Scheitel trugen. Zwischen diesen Türmen spannten sich breite Brücken, die aus silbrig glitzerndem, durchsichtigen Kristall zu bestehen schinen. Es gab sie in verschiedenen Höhen, und sie besaßen weder Feiler noch Halteseile. Die Wege in dieser fremdartigen Statt, die auf Julius einen unheimlich erhabenen und prachtvollen Eindruck machte, wirkten wie mit einer leicht angerauhten Goldfolie überzogen. Doch das aller merkwürdigste an dieser Stadt war, daß hier niemand zu sehen oder zu hören war. Die goldenen Straßen, die weißen Zuckergußbauten und die geringelt wirkenden Türme mit den rosiggoldenen Glockenhelmen lagen verlassen vor Julius. Kein Geräusch, nicht einmal Wind ließ sich vernehmen. Julius Schritte klangen leise wie auf dickem Teppichboden zu ihm, hallten fast unhörbar von dem am nächsten Stehenden Gebäude wider.

Der Junge fragte sich, wie er hierher gekommen war und wo er nun eigentlich war. Diese Einsamen Straßen und die völlig ruhenden Gebäude berührten ihn merkwürdig. Es war nicht das Gefühl, in eine von ihren Bewohnern gänzlich verlassene Stadt gekommen zu sein, sondern viel mehr etwas, daß ihm wie eine Abwartehaltung vorkam. Diese Prachtstadt unter diesem wolken- und gestirnlosen Himmel schien geduldig auf jemanden oder etwas zu warten, sich bereitzuhalten. Es wirkte auf den Jungen so, als sei diese Stadt nicht zum Bewohnen gebaut worden, sondern als Ort für besondere Anlässe, an den man nur kurz kam, ihn bestaunte und nach dem der besondere Anlaß vorbei war wieder fortging. Es war jener Eindruck, den Julius von manchen Schlössern und Kirchen bekommen hatte, die auch nur für bestimmte Anlässe gebaut worden waren.

"Hallo, ist hier noch jemand?!" Rief Julius. Seine Stimme, seine nun mittelhohe, eindeutig erwachsen klingende Stimme hallte von den Gebäuden und Türmen wider. Doch ansonsten blieb es still. "Hallo, ist hier noch jemand außer mir?!" Rief er erneut. Doch das Echo seiner Stimme war die einzige Antwort auf seine Frage. Er näherte sich dem nächsten weißen Gebäude und blickte daran hinauf. Da erst sah er die völlig durchsichtigen Balkone, die wie völlig durchsichtiges Glas, noch durchsichtigger als Fensterglas, das Gebäude umliefen. Er trat an die völlig fugenlose Wand heran und streckte seine rechte Hand aus. Da fiel ihm erst auf, daß er nichts anhatte. Ja er hatte überhaupt nichts am Leib oder dabei. Er zuckte zusammen bei dieser Erkenntnis. Dann berührte er die Wand. Sie fühlte sich warm an wie eine auf kleine Stärke eingestellte Heizung und war völlig glatt. Als er die Wand berührte, hörte er das erste Geräusch, seitdem er in dieser schweigenden Prunkstadt herumlief. Es war ein erfreutes Lachen, das von weit her klang. Julius fuhr herum und suchte mit seinen Augen nach dem Ursprung des in diese vollkommene Stille eingebrochenen Lautes. Da sah er eine hochgewachsene Gestalt in sonnengelben, fließenden Gewändern, die an einer Straßenkreuzung stand und ihn wohl beobachtete. Doch genau in dem Moment, wo Julius das Gesicht der fremden Gestalt betrachten wollte, drehte sich diese auf der Stelle und lief davon. Getrieben von der Neugier und dem Verlangen, mehr über diese Stadt zu erfahren, preschte er los und folgte der vor ihm davonlaufenden Gestalt. Zunächst holte er gut auf. Als er dann gerade noch fünf Schritte von ihr fort war, schaffte er es nicht, sie ganz einzuholen. Der Abstand blieb nun der gleiche, wie auch immer er seine Beine antrieb. Merkwürdigerweise fühlte er überhaupt keine Anstrengung. Es war ihm, als liefe er ganz gemütlich hinter diesem fremden Wesen her. Er verfolgte es bis an den Fuß eines mächtigen Turmes, der gut und gerne mehrere Fußballstadien in sich einschließen konnte. Hier hielt die Gestalt in Sonnengelb übergangslos an, als sei sie von einem Moment zum anderen mit den Füßen am Boden festgewachsen. Julius konnte sie nun ganz einholen.

Das einzige Lebewesen außer Julius drehte sich nun um. Er erkannte nun, daß es eine Frau war, eine Frau mit einer goldbraunen Hautfarbe. Ihr hochwangiges Gesicht mit einer schlanken Nase und großen, mondlichtfarbenen Augen wirkte erfreut und erleichtert, so als habe seine Trägerin nicht mehr damit gerechnet, diesen Moment zu erleben. Julius betrachtete sie nun noch eingehender. Das Haar der Fremden war kunstvoll in einem Geflecht aus sonnengelben Bändern verwoben und war silbrigblond. Ihre Körperformen wurden von dem fließenden Stoff des sonnengelben Gewandes gut verhüllt, das fast bis zu den Knöcheln hinabreichte. Die Füße steckten in etwas, daß wie Handschuhe für die Füße aussah, wo jede Zehe eine Ausstülpung für sich besaß. Diese Füßlinge glänzten wie pures Gold. Doch der Stoff, aus dem sie gemacht waren wirkte wie dünnes, geschmeidiges Leder.

Die Fremde streckte die Linke Hand vor und vollführte damit eine langsame, senkrechte Kreisbewegung im Uhrzeigersinn. Julius hielt dies für eine Begrüßung und ahmte die Geste nach. Die Fremde lächelte und entblößte dabei strahlend weiße Zähne. Dann sprach sie mit einem erfreuten Tonfall mit einer Stimme, welche dem Läuten einer kleinen Glocke ähnelte:

"Iagginahillash gahanihaolah ivannadarxam Khalakatanom."

"Entschuldigung, aber ich kann Ihre Sprache nicht verstehen", sagte Julius. Die Fremde sah ihn aufmunternd an, als habe er nur gerade einen Gruß erwidert. Dann wiederholte sie, was sie eben gesagt hatte. Doch Julius schüttelte nur den Kopf und sagte wiederum, daß er die Sprache leider nicht verstehen könne. Da machte die Fremde eine Bewegung mit dem rechten Arm zum Fuß des mächtigen Turms hin. Julius starrte das Gebäude an, dessen ringförmige Bauabschnitte so mächtig wie vierstöckige Häuser sein mochten und welcher sich schier mehrere Kilometer in den abendblauen Himmel erhob, höher als jeder Wolkenkratzer, den Julius bisher direkt oder auf Bildern hatte sehen können. Dagegen wirkte der pariser Eiffelturm wie eine Stecknadel neben sich selbst. Doch als Julius seinen erstaunten Blick wieder senkte, erkannte er, daß die Fremde verschwunden war. Sie war in dem Moment entwischt, wo er versucht hatte, die Spitze des gigantischen Ringelturmes zu sehen. Er rief nach ihr. Doch statt einer Antwort von ihr passierte etwas anderes. Sein eigenes Echo wurde lauter statt leiser, und die ganze merkwürdige Stadt zersprang unter den Schallwellen zu einer Wolke aus farbigen Lichtpünktchen, in die er hineinfiel, darin trieb und dann aus ihr heraus in einem Bett landete. Um ihn lag die schweigende Dunkelheit der Nacht. Er hatte nur geträumt.

Julius hatte nach seinem Erlebnis mit Hallitti und seinem Vater damit gerechnet, einen Alptraum zu haben oder in einer Woge die Lust anregender Traumbilder zu treiben. Doch das was er gerade im Traum erlebt hatte war weder noch. Sicher, er war splitternackt durch eine leere Stadt geirrt und hatte eine Frau, die er altersmäßig nicht hatte einschätzen können verfolgt, die ihn in einer merkwürdigen Sprache angeredet hatte. Doch dieser Traum hatte ihm keine Angst gemacht, sondern irgendwie in einem Gefühl der Sicherheit gewiegt. Doch was für eine merkwürdige Sprache war das gewesen, in der die Fremde ihn gegrüßt hatte? Manche Träume, so wußte Julius, waren aus Erlebnissen, Gedanken und Geschichten zusammengebastelte Sachen gewesen, wie die immer mal wieder über ihn hereinbrechende Erinnerung an das Sanderson-Haus und den darin lauernden Wespenschwarm, der ihm eine Heidenangst für's ganze Leben eingejagt hatte. Ebenso war es mit dem Alptraum gewesen, wo er von einem Atomangriff auf Millemerveilles geträumt hatte und sich danach als der gerade erst zur Welt kommende Sohn der Quidditchspielerin Pamela Lighthouse wiedergefunden hatte. Ebenso war jener Traum in den letzten Osterferien aus verschiedenen Sachen zusammengesetzt, wo er gemeint hatte, die Hexenkönigin Sardonia habe eine unterirdische Stadt gebaut, in der sie alle Männer wie Sklaven hielt. Doch er hatte auch schon andere Träume gehabt, die nicht schrecklich, aber sehr gefühlsstark und wirklichkeitsnah waren, fiel ihm ein, und allein der Gedanke daran bereitete ihm einen wohligen Schauer, der sich über seinen Rücken in seinen Unterleib fortpflanzte und dort ein sachtes Zucken auslöste. Doch was diese menschenleere Stadt unter einem mittelblauen Himmel ohne Sonne und Wolken bedeutete, fiel ihm nicht ein. Vielleicht war es eben nur ein völlig unlogischer, irgendwie aus dem Unterbewußten zusammengebrauter Ausflug in eine mit wachen Sinnen nicht zu fassende Welt gewesen, wie ein Traum vom Fliegen ohne Flügel oder von sprechenden Tieren oder Pflanzen.

Julius dachte wieder daran, daß er nun in Millemerveilles war, im Haus von Madame Faucon, daß er körperlich zwei Jahre älter geworden war, weil er sich und seinen Vater mit einem mächtigen Zeitzauber aus der Höhle der Abgrundstochter Hallitti befreit hatte und daß sein Vater ganz und gar von neuem anfangen mußte, weil zuerst der Infanticorpore-Fluch und dann die Vernichtung von Hallittis Lebenskraftkrug alles bisherige aus seinem Gedächtnis gelöscht hatte. Er dachte an seine Mutter, die er in diesem Krankenhaus besucht hatte. Warum konnte man sie nicht einfach herausholen und durch Magie heilen? Eine Woche, hieß es, würde sie sich von diesem gemeinen Eingriff erholen müssen. Diese Gedanken machten ihn hellwach und vertrieben den Traum von der Stadt und der Frau vor dem kilometerhohen Turm. Er fragte sich immer wieder, ob man das alles nicht hätte verhindern können. Einmal dachte er sogar daran, wer denn Schuld an dem ganzen sei. War er es, weil er gegen den Willen seines Vaters Zauberei lernte? War seine Mutter schuld, weil sie ihn nicht zurückhalten konnte und er so aus dem Schutzbereich seines Hauses hinausging? Julius fühlte eine innere Wut aufsteigen, weil er diese Fragen nicht beantworten konnte oder nicht hinnehmen wollte, daß seine Mutter oder er seinen Vater in die Arme dieser Bestie getrieben hatten. Außerdem war es doch völlig widersinnig, jemandem dafür die Schuld zu geben. Er war nicht dagewesen, als sein Vater dieses fiese Spiel mit seiner Mutter getrieben hatte. Seine Mutter hatte auch nicht darum gebeten, daß Rodney Underhill ihr mit diesem Schallgerät den Verstand zu rauben versuchte und sie fast im Irrenhaus gelandet wäre. Hätte Julius damals gewußt, was mit seinem Vater danach passieren würde, hätte der ihm das geglaubt, wenn er es ihm erzählt hätte? Wohl nicht. Er hielt ja selbst nicht viel von Zukunftsvorhersagen. Doch dieser Unglaube war bereits angekratzt worden. Was ihm Marie Laveaus Geist in einer magischen Vision gezeigt hatte, war bereits zu einem kleinen Teil eingetreten. Er hatte seinen Vater als alten Mann wiedergesehen, der dann in ein Baby verwandelt wurde. Konnte es also sein, daß es doch möglich war, eine bestimmte Zukunft vorherzusehen? Die Frage, wer nun Schuld hatte, konnte er sich doch noch beantworten. Nicht seine Natur als Zauberer war Schuld, sondern Hallittis Gier nach Lebenskraft. Daß sein Vater, der wohl schlummernde, unaufweckbare Zauberkräfte in sich getragen hatte, ihr über den Weg gelaufen war, war eine böse Laune des Schicksals gewesen, vielleicht um etwas anderes anzukurbeln, was sonst nicht geschehen würde.

Julius kletterte aus dem Himmelbett und öffnete das Fenster der Dachkammer, in der er gerade untergebracht war. Kühl umfing ihn die laue Sommermorgenluft, und im Osten glomm bereits die Morgenröte. Morgenröte. Die alten Römer hatten sie als Göttin Aurora verehrt, die Schwester von Sonnengott Sol und Mondgöttin Luna. Das brachte ihn auf einen anderen Gedanken. Er wollte, wenn er wieder in Paris war, Aurora Dawn in Australien eine Nachricht zukommen lassen und wußte auch schon wie. Er würde das von den Eauvives überbrachte Bild Vivianes aufhängen und sie bitten, dem Bild-Ich Aurora Dawns in Beauxbatons die Nachricht weiterzugeben, was mit ihm passiert war. Dieser Entschluß vertrieb die trüben Gedanken, die ihn nach dem Traum von der verlassenen Stadt wachgehalten hatten.

Er genoss Sommermorgenluft und immer heller werdendes Morgenrot, zu dem verschiedene Vögel eine unbekümmerte Musik machten. Um Sechs Uhr überlegte er, ob er seine Sportsachen anziehen und einige Runden um den Dorfteich laufen sollte. Doch das könnte jemand mitkriegen und sich dann fragen, was passiert war, bevor er sich überlegt hatte, was er genau über seine Erlebnisse in Amerika erzählen wollte. Er würde wohl erst wieder in Beauxbatons Frühsport machen, wenn er seinen Mitschülern klargemacht hatte, daß er trotz des etwas größeren Körpers und des nun einsetzenden Bartwuchses immer noch derselbe war, als der er in die Ferien gefahren war. Ein wenig ärgerte er sich über Catherine, die ihn unbedingt jetzt schon wieder in Paris haben wollte. Erstens wollte er Mrs. Porter zeigen, daß er ihr weiterhin vertraute, und zweitens wollte er in der Nähe seiner Mutter sein, wenn sie hoffentlich bald wieder zu sich kommen würde. Ja, und dann fiel ihm noch ein dritter Grund ein. Was würde der neuernannte Zaubereiminister Barney Davenport nun anleiern, um den Tod von Richard Andrews für die Muggelwelt über die Bühne zu bringen? Womöglich war es sogar schon passiert, und Julius' Verwandtschaft fragte sich, wo Ehefrau und Sohn gerade steckten. Komische Gedanken konnte man schon haben, wenn einem sowas wie das vor zwei Tagen passierte, erkannte Julius.

um noch die Stunde bis sieben Uhr herumzukriegen las er sich noch etwas durch "Eine Geschichte von Hogwarts". Dann klopfte Madame Faucon an die Tür.

 

"Bin schon auf, Madame", erwiderte Julius munter, als die Hausherrin ihm von Flur her einen guten Morgen wünschte.

Als er dann in ihm nun viel zu engen Sachen mit ihr in der behaglichen Wohnküche saß fragte sie ihn leicht besorgt anblickend:

"Und, haben dich schlechte Träume heimgesucht?"

"Nein, ich habe nichts böses geträumt", erwiderte Julius ruhig. "Ich bin aber wohl von der Morgenröte wachgemacht worden. Dann habe ich immer an das alles denken müssen, was da passiert ist. Warum hatten Sie es so eilig, mich zurückzubringen, wenn ich fragen darf?"

"Du meinst, warum Catherine darauf gedrängt hat, dich schnell wieder aus diesem Land der unbegrenzten Unmöglichkeiten herauszubringen? - Zum einen wollte sie wohl nicht haben, daß du jetzt, wo Mr. Marchand wie deine Mutter im Krankenhaus liegt, bei Mrs. Porter wohnen würdest. Madame Unittamo hat zwar angeboten, dich solange bei sich zu beherbergen, aber ich fürchte, daß Catherine diese Alternative nicht annehmen wollte. Zum zweiten sind da diese Hexen, die dich nolens volens aus den Händen Hallittis befreit haben. Catherine und ich sind uns sehr sicher, daß sie zu den amerikanischen Mitgliedern einer gewissen Gruppe einer bestimmten Schwesternschaft gehören, die vielleicht nach der Euphorie des Sieges darauf verfallen würden, dich als Zeugen ihrer Aktivitäten in die Hände zu bekommen oder gleich zu beseitigen, wenngleich sie dazu genug gelegenheit hatten, als sie die Vernichtung dieser Abgrundstochter vollendeten. Aber manche Fehler werden einem erst später bewußt. Zum dritten könntest du dort nicht in der Muggelwelt herumlaufen, solange es Verbrecher gibt, die durch die unfreiwilligen Untaten deines Vaters verärgert sind und meinen, dich angreifen zu müssen. Deine Mutter wird gut bewacht. Aber das hätten wir mit dir dann auch machen müssen. Hier in Frankreich stellt dir keiner nach." Über den letzten Satz mußte Julius grinsen. Als Madame Faucon ihn tadelnd ansah und mit entrüsteter Stimme fragte, was es da zu grinsen gebe antwortete er:

"Was diese Gangster angeht, die nach Mum und mir gesucht haben, so hatte ein gewisser Big H aus Philly einen Kumpel beauftragt, Mum und mich aus der Rue de Liberation zu holen. Das hat nur deshalb nicht geklappt, weil Mum und ich da schon in den Staaten waren. Könnten also noch ein paar Gangster hier rumschleichen, die mich kassieren wollen. Auch das mit diesen Hexen, die vielleicht der Nachtfraktion der schweigsamen Schwestern angehören muß nicht nur für Amerika gelten. Die haben bestimmt auch Freundinnen in anderen Ländern."

"Genau deshalb wollte Catherine dich wieder in unserer Nähe haben", erwiderte Madame Faucon sehr ernst. "Deshalb habe ich dich mitgenommen, und weil Catherine trotz meiner familiären und öffentlichen Vorrangstellung deine Fürsorgerin ist, die beschließen kann, wo in der Zaubererwelt du gerade unterwegs bist."

"Ja, und Mum liegt in diesem Krankenhaus rum. die ganzen Leute, die Sie erwähnt haben, könnten auch hinter ihr hersein. Das ist total unfair", begehrte Julius auf. Madame Faucon sah ihn zwar für einen Moment sehr ungehalten an, nickte dann aber.

"Du meinst, weil ja durch die Truppen des Ministeriums ein weltweiter Atomkrieg verhindert wurde wäre es ein Klacks, deine Mutter aus dem Krankenhaus zu holen, sie durch magische Heilkunst gesunden zu lassen und sie wie dich gut zu verstecken und die Muggel, die in ihren Fall einbezogen wurden durch Gedächtniszauber zu manipulieren? Ja, wenn es eben durch einen magischen Vorfall zu dieser Beeinträchtigung gekommen wäre, beispielsweise durch einen verfluchten Gegenstand oder eine direkte Konfrontation mit einem dunklen Magier oder böswilligen Zauberwesen. Deinen Vater zum Beispiel hätten sie in einem magischen Heilinstitut untergebracht, wenn sie ihn zu fassen bekommen hätten. Wahrscheinlich wollte Mrs. Porter genau das, als sie mit dir den Sanguivocatus-Zauber aufgerufen hat. Aber deine Mutter ist von Verbrechern der nichtmagischen Welt in diese schlimme Lage versetzt worden, und Muggelangelegenheiten dürfen nicht durch Zauberei korrigiert werden, so lautet eines der wichtigsten Gesetze der gesamten Zaubererwelt."

"die Hauptdirektive, wie?" Erwiderte Julius. "Mischt euch bloß nicht in die Sachen von fremden Rassen ein, weil das die völlig durcheinanderbringt und obendrein nicht klar ist, was dabei herauskommt."

"Ja, so ist es. Denn frage dich doch mal selbst, was passieren würde, wenn Hexen oder Zauberer, die Freunde oder Verwandte in der Muggelwelt haben deren Probleme durch Zauberei lösen oder ihnen Vorteile vor allen anderen Muggeln verschaffen! Was meinst du, wie oft ich das mit Catherine durchdiskutiert habe, wenn sie sich über ihren Mann gesorgt hat. Für sie ist dieses Gesetz noch wichtiger als für die, die nur Zaubererweltverwandtschaft haben. Leute wie dieser Voldemort könnten wie der Teufel aus der Sagenwelt arglose Menschen verführen, für Macht, Reichtum oder gar Unsterblichkeit Verbrechen zu verüben und ihre Mitmenschen zu tyrannisieren. Schlimm genug, daß dies durch Imperius schon möglich ist. Verführung ist da immer noch die größere Bedrohung für unsere nichtmagischen Mitmenschen. Du weißt es doch selbst, wie leicht sich Leute, die zu kurz gekommen zu sein meinen von der Aussicht, viel Geld zu verdienen, zu verbrecherischen Taten treiben lassen, ja buchstäblich ihre Seelen verkaufen. Was meinst du, wenn jemand unbekümmert die schlimmsten Dinge tun kann, wenn er oder sie einen magisch begabten Spießgesellen oder Anstifter hat?"

"Meine Mutter ist aber gemäß Familienstandsgesetz berechtigt, von unserer Welt als gleichberechtigt behandelt zu werden. Was wäre denn passiert, wenn es statt sie mich in diese abgedrehte Komamaschine oder was immer das war gebracht hätte?"

"Das was mit Mr. Marchand gerade passiert. Da er von kriminellen Muggeln in diese Lage gebracht wurde, muß er solange in diesem Krankenhaus verbleiben, bis er wieder bei bewußtsein ist. Seine Muggelweltkollegen müßten sonst alle gedächtnismodifiziert werden, daß er nicht so heftig betroffen war."

"Ich ziehe meine Frage zurück", knurrte Julius verbittert. Sicher würde es kein Problem sein, seine Mutter und den FBI-Agenten aus dem St.-Michel-Krankenhaus zu holen und durch Zauberkraft gesund zu machen. Doch dann würden andere Zauberer und Hexen fragen, wieso die beiden so wichtig waren, wo sie doch von Muggeln ins Koma versetzt worden waren und nicht von Hexen und Zauberern. Er dachte an Aurora Dawn, die ihm erzählt hatte, daß sie zwar auch Muggel behandelte, aber dabei keine Magie anwenden durfte, da sie ja für die eher eine Naturheilpraktikerin war und keine von den Muggeln anerkannte Ärztin, auch wenn sie denen haushoch überlegen war. Wahrscheinlich hätte diese ihm auch diese Erklärung geliefert wie Madame Faucon.

"Ich weiß, du bist jetzt wütend auf all das, was deiner Mutter und dir passiert ist. Aber, und das sage ich nicht nur als Lehrerin, sondern auch als lebenserfahrene Hexe: Es bringt nichts ein, aus Wut oder Verzweiflung gegen alle Vernunft zu handeln, selbst wenn es sogar eine anscheinend logische Rechtfertigung für eine Sache gibt, die im späteren als unrichtig erkannt wird. Und bevor du jetzt wagst, zu behaupten, daß man so jede Untätigkeit rechtfertigen könnte, möchte ich dir noch mit auf den Weg geben, daß gute Absichten nicht immer in guten Taten oder guten Ergebnissen enden." Sie sah Julius erst unerbittlich an. Dann fügte sie noch hinzu: "Catherine und ich hätten deine Mutter auch sehr gerne aus dem Krankenhaus geholt und von Madame Matine oder Direktrice Eauvive persönlich behandeln lassen. Was meinst du, warum ich darauf bestanden habe, daß du mir deinen Zauberstab aushändigst. Es hat Fälle gegeben, wo Freunde aus der Zaubererwelt einem Muggel in bester Absicht helfen wollten und dabei fast einen kriegsartigen Streit unter den Muggeln ausgelöst haben. Dies führte nicht zu letzt zur Ächtung der Magie in der katholischen Muggelwelt, nicht nur weil manche Würdenträger Angst davor hatten, nicht genug Macht über ihre Untertanen zu besitzen, wenn diese anderen Mächten mehr Vertrauen und Respekt zollten als ihnen. Es gibt so vieles, was wir alle in der Muggelwelt korrigieren müßten. Aber dies wäre fatal für beide Welten, wenn dadurch Neid und Angst geschürt würden." Bei diesen Worten sah sie Julius nicht mehr ungehalten sondern um Verständnis bittend an. Julius knurrte zwar erst, mußte dann aber einsehen, daß die von ihm erwähnte Hauptdirektive aus der Welt der Star-Trek-Serien und die Gesetze der Zaubererwelt ihren Sinn hatten, nicht den, Leute zu bevormunden, sondern den Frieden zu bewahren, den skrupellose Zauberer wie Lord Voldemort und seine Anhänger gefährden wollten, um wirklich Angst und Schrecken zu verbreiten, damit die Muggel und die Zauberer vor ihnen kuschten und sich alles gefallen ließen. Er durfte sich nicht von seinen Gefühlen alleine beherrschen lassen. Seine Eltern, ja auch und gerade sein Vater, hatten ihm beigebracht, daß bestimmte Regeln eingehalten werden mußten, wenn man mit allen anderen klarkommen wollte. Ja, und seine Mutter, die nun an allen möglichen Apparaten hing und von diesen am Leben gehalten und überwacht wurde, hätte es auch nicht haben wollen, wenn ihretwegen gegen bestehende Gesetze verstoßen würde. Doch diesen Laroche, der ihr das angetan hatte, hätte er zugerne verflucht. Wo war dieser Kerl gerade? Hoffentlich würde die Polizei den bald kriegen und für alle Zeit wegsperren oder wie auch immer ... Nein, jemanden den Tod zu wünschen machte die Sache nicht besser. Rache brachte nichts ein, wenn man noch Spaß am Leben haben wollte. Diese Weißheit hatte ihm sein Großvater väterlicherseits beigebracht, als Julius ihn mal gefragt hatte, wie man erst einen heftigen Krieg führen konnte und jetzt als Freunde zusammenleben konnte. Ja, und in den Nachrichten kam es ja auch immer wieder, daß Palästinenser und Israelis sich gegenseitig die Hölle auf Erden bereiteten, weil auf jeden Anschlag ein Vergeltungsschlag und eine darauf folgende Racheaktion erfolgte. Sollten die diesen Laroche verurteilen, weil er sich gegen die Gesetze vergangen hatte und ihn für den Rest seines Lebens einbuchten!

"Woran denkst du gerade?" Fragte Madame Faucon.

"Was ich jetzt mit der ganzen Kiste machen soll, Madame. Meinen Vater gibt es nicht mehr, und meine Mutter liegt wegen eines gemeingefährlichen Gangsters im Koma oder was ähnlichem. Irgendwann in den nächsten Wochen könnte der neue Minister in Amerika was durchziehen, daß mein Vater gestorben ist. Dann kommen alle Verwandten zusammen und fragen sich und uns, wie es weitergehen soll. Verstehen Sie, irgendwie habe ich immer gedacht, das mit meinen Eltern kommt wieder in Ordnung, wenn Paps lange genug nachgedacht hat. Ich wollte auch gerne zu ihm in die Ferien, wenn er sich einigermaßen beruhigt hat und einsieht, daß ich nicht von Hogwarts oder Beauxbatons runtergehen kann, nur weil Zauberei für ihn abartig ist. Jetzt geht das alles nicht mehr."

"Das ist leider wahr", pflichtete Madame Faucon ihrem Gast bei. "Erst wenn man etwas wichtiges verloren hat, fällt einem ein, wie wichtig es wirklich war. Aber ich möchte deine Gefühle nicht durch irgendwelche Weißheiten lächerlich reden, Julius. Du wurdest in diese Lage gezwungen und sollst nun damit zurechtkommen. Das ist nicht einfach. Aber du hast genug Leute um dich herum, die dir helfen werden, weiterzuleben. Mach dir bitte klar, daß alles, was dein Vater dir mitgegeben hat, nur dann erhalten bleibt, weil du weiterlebst und das tust, was du als richtig und wichtig erkennst."

"Wie er?" Fragte Julius herausfordernd. Madame Faucon rümpfte die Nase. Dann sah sie Julius geradeweg in die Augen und antwortete:

"So gemein dies für dich klingen mag, Julius, aber durch diese Sache, die er im letzten Sommer begonnen hat und die in der Mojave-Wüste ihren tragischen Endpunkt erreichte hat er dir ohne es zu wollen eine wichtige Lektion mit auf den Weg gegeben, genauer sogar zwei Lektionen. Die erste lautet: Es bringt nichts ein, bestehende Tatsachen zu leugnen oder sie zu verdrängen. Die zweite lautet: Sich nicht aus einer inneren Mißstimmung heraus unverantwortlich oder gar böswillig zu verhalten. Sicher war er nicht darauf gefaßt, einer gemeingefährlichen Zauberkreatur über den Weg zu laufen. Doch das, was du durch seine Handlungsweise lernen kannst und mußt, wäre auch ohne Hallitti offenbart worden, auch wenn es vielleicht Jahrzehnte gedauert hätte, bis es dir bewußt würde. Ich hoffe, seine Seele wird nun in Frieden bestehen und seine Ehre wird wieder hergestellt. Denn so oder so war er genauso ein Opfer wie die Menschen, die er für Hallitti getötet hat. Richter Ironside hat seinen Namen bewußt ans Ende der Liste aller Opfer gesetzt, weil ihm dies so bewußt war wie mir. Deine Mutter wird in einigen Tagen wiederkommen. Sie wird wie du mit der neuen Situation leben lernen müssen. Daß sie älter als du ist macht es ihr nicht leichter. Deshalb ist es wichtig, daß ihr und dein Leben in geordneten Bahnen weiterverläuft." Julius wolte schon was sagen, doch Madame Faucon fuhr fort und erzählte ihm, daß sie nach dem Mord an ihrem Mann einige Tage gebraucht habe, sich wieder zu fangen und dann weiterunterrichtet habe. Sie gestand ihm, daß sie zuerst daran gedacht habe, die Todesser zu jagen und zu töten. Doch dann habe sie an Catherine denken müssen, die keine Mörderin zur Mutter haben durfte und daß Rache ihren Mann Hugo nicht mehr zurückholen würde. Das sah Julius ein, deckte es sich doch mit seinen eigenen Erkenntnissen. "Was Catherine damals für mich war, ist deine Mutter heute für dich, Julius. Wahrscheinlich bist du für sie ebenfalls ein wichtiger fester Punkt, an dem sie sich wieder fangen und ihr Leben fortsetzen kann."

Julius nickte. Er hoffte, daß das wirklich stimmte und nicht nur gesagt wurde, um ihn zu trösten. Zumindest erkannte er jetzt doch, warum Madame Faucon Catherines Willen befolgte, ihn sofort zu ihr zurückzubringen, wenn sie mit Joe wieder in Paris ankommen würde. Als habe die Beauxbatons-Lehrerin seine Gedanken aufgeschnappt sagte sie noch: "Deshalb respektiere ich Catherines Wunsch, dich wieder bei sich zu haben. Ich denke, Eleonore ist bereits auf den Beinen. Möchtest du Babette mit mir zusammen abholen fliegen oder versuchen, der Familie Dusoleil zu erklären, was mit dir passiert ist?"

"Hmm", machte Julius und verfiel in eine nachdenkliche Haltung. "Steht von dem aus Amerika was in der Zeitung?"

"Stimmt, die Frage sollte vorher geklärt werden", erkannte Madame Faucon und holte die neueste Ausgabe des Miroir Magique herein, die von der Zustelleule vor der Haustür abgelegt worden war. Sie hielt ihrem Gast die Zeitung hin, daß er die Schlagzeilen lesen konnte.

 

MASSENMÖRDERISCHER MUGGEL MAGISCH MANIPULIERTE MARIONETTE

 

US-ZAUBEREIMINISTER POLE WEGEN UNVERANTWORTLICHER UNTÄTIGKEIT SEINES AMTES ENTHOBEN BEAUXBATONs-SCHÜLER MIT KNAPPER NOT GEFÄHRLICHER KREATUR ENTTKOMMEN

 

"Habe ich befürchtet, daß es auch hier schon in der Zeitung erscheinen wird", knurrte Madame Faucon, bevor sie den Aufmacher vorlas, der mit Schwarz-Weiß-Fotos des abgesetzten Zaubereiministers Pole, seines richterlich bestimmten Nachfolgers und auch ihm zusammen mit Brittany Forester und Mrs. Porters Enkeltöchtern und Madame Faucon ausgeschmückt war. Julius verzog das Gesicht, als er daran dachte, daß ihn so ein Sensationsfotograf aus sicherer Entfernung heimlich abgeschossen hatte. Also gab es auch unter den Zauberern dieses Paparazzi-Pack, das hinter Supersensationsbildern herjacherte. Madame Faucon, die bereits mit den ersten Zeilen des Artikels begonnen hatte, räusperte sich laut und bat energisch um seine Aufmerksamkeit. Dann begann sie noch einmal von vorne.

"Wie uns und der restlichen sowohl erstaunten wie zu tiefst entsetzten Zaubererwelt erst gestern bekannt wurde hat sich seit dem Oktober vergangenen Jahres eine höchstgefährliche Zauberkreatur auf dem Boden der USA herumgetrieben, die bislang als nur in Sagen und Schauermärchen zu existieren schien, eine sogenannte Tochter des Abgrundes. Diesem Wesen, von denen es nach weitergehender Recherche noch acht Stück auf der ganzen Welt verteilt geben soll, ernährt sich von der körperlich-seelischen Lebensenergie menschlicher Wesen, magisch wie unmagisch. Wie wir gestern von einer freundlichen Kollegin von der Stimme des Westwindes erfuhren, hat besagte Zauberkreatur mit der ihr innewohnenden Magie einen arglosen Muggel in ihren Bann gezogen und diesen zu einem skrupellosen Sklaven gemacht, der für sie die Leben junger Frauen erbeutete und dabei nicht einmal von mit starken Feuerwaffen ausgerüsteten Ordnungshütern der nichtmagischen Welt aufgehalten werden konnte. Die unfreiwillig begangenen Gewaltverbrechen dieses Mannes fanden im Zeitraum zwischen März und August diesen Jahres in verschiedenen Städten der USA statt und erreichten mit den Morden an zwei unschuldigen Familien den schockierenden Schlußpunkt. Der amerikanische Zaubereiminister Jasper Lincoln Laurentius Pole empfand es offenbar als seine persönliche Pflicht, die Zaubererwelt in völliger Unkenntnis dieser Ereignisse zu belassen, ja nicht einmal die Liga gegen die dunklen Künste darüber zu unterrichten. Bei dem Muggel handelte es sich um einen britischen Forscher unmagischer Vorgänge in der Natur, der wohl unweckbare Zauberkräfte in sich trug, den Vater des bereits in dieser Zeitung oft erwähnten Jungzauberers Julius Andrews, welcher zur Zeit die Beauxbatons-Akademie für französischsprachige Hexen und Zauberer besucht. Einer Initiative dieses Jungen und einer kompetenten Mitarbeiterin des amerikanischen Laveau-Institutes zur Erforschung und Abwehr dunkler Künste ist es zu verdanken, daß den Umtrieben der Abgrundstochter und ihres total unterworfenen Gehilfen Einhalt geboten wurde und die Zaubererwelt über die von ihr ausgehende Gefahr Kenntnis erhielt. Unter Einsatz des eigenen Lebens mußte Julius Andrews gegen die mörderische Kreatur antreten und wurde von ihr wohl verflucht, sodaß er körperlich um zwei Jahre alterte. Unsere amerikanische Kollegin vermutet, daß eine ungewöhnlich heftige Entladung elementarer Zauberkräfte in Südkalifornien auf die Vernichtung dieser Kreatur zurückzuführen ist, die sich dort eingenistet hatte. US-Zaubereiminister Pole versuchte sogar noch nach der Enthüllung dieser Vorkommnisse, die Tatsachen zu leugnen, veranstaltete gar eine groß angelegte Treibjagd auf Julius Andrews und die Mitarbeiterin des Laveau-Institutes. Zwar gelang es ihm und seinem Leiter für magische Strafverfolgung, die Expertin für die Abwehr dunkler Künste festnehmen zu lassen, doch Julius Andrews konnte sich wohl gut verbergen, bis er selbst von der gefährlichen Zauberkreatur gefangen wurde und wohl an die Stelle seines Vaters treten und ihr als höriger Helfer dienen sollte. Wie genau Julius diese Lage überstehen und zum Guten wenden konnte, wollte niemand, der davon erfuhr genau ausführen. Feststeht lediglich, daß der Junge ungemeines Glück gehabt haben muß. Er wurde nach den tragischen Ereignissen in der südkalifornischen Wüste aufgefunden. Er und alle Beteiligten wollten nicht näher dazu Stellung nehmen, was genau geschehen war. Auch befand es die hoch angesehene Professeur Blanche Faucon für dringlich, dem Jungen beizustehen und sich mit ihm zu verstecken. Jedenfalls wurde Zaubereiminister Pole bei zweifelsfreier Enthüllung der Tatsachen vom Zwölferrat der höchsten Richter der nordamerikanischen Zaubererwelt seines Amtes enthoben und sein bisheriger Seniorassistent Barney Davenport zum geschäftsführenden Zaubereiminister berufen, bis über eine vorgezogene Neuwahl des Ministers befunden wird. Feststeht auch, daß Julius' Vater bei der Bekämpfung der Abgrundstochter getötet wurde. Wie genau, dies konnten wir bisher nicht ergründen. Somit stellen sich jetzt zwei Fragen: Mußte Julius Andrews seinen Vater in Notwehr töten, um zu entkommen? Welche Bedrohung stellen die noch verbliebenen Töchter des Abgrundes für ihn und den Rest der Zauberer- und Muggelwelt dar? 
                              Ossa Chermot"

"Na toll! Super! Wunderbar!" Entrüstete sich Julius. "Jetzt wissen es alle, daß ich angeblich meinen Vater umgebracht habe." Er fühlte sich zu tiefst verletzt, weil diese Geschichte nun in aller Öffentlichkeit breitgetreten wurde und er verdächtigt wurde, seinen Vater getötet zu haben, ob in Notwehr oder gezielt war dabei doch völlig egal. Außerdem hatten die nichts über die fremden Hexen geschrieben, die ihn aus Hallittis Höhle gerettet hatten. Denn das hätte ihn besser rüberkommen lassen.

"Dieses Weib hat nichts besseres zu tun gehabt, als diese völlig lückenhafte Geschichte weiterzuposaunen", knurrte Madame Faucon wie eine gereizte Katze. "Es ist unverschämt und unverantwortlich, die Sachlage derartig darzustellen, daß du deinen eigenen Vater getötet haben sollst. Das Problem ist nur, was darf die Öffentlichkeit wissen und was muß sie unbedingt erfahren?"

"Soll das etwa so stehen bleiben?" Schnarrte Julius zornig.

"Keinesfalls", versetzte Madame Faucon sehr laut und unerbittlich. "Wir geben Mademoiselle Chermot heute noch ein Interview, in dem du folgende Dinge darlegst: Erstens, du hast diese Kreatur nicht alleine bekämpft sondern wurdest von einer Gruppe dir unbekannter Leute auf Besen gerettet, die dann ihrerseits die Abgrundstochter bekämpft haben. Zweitens, das was dich zwei Jahre älter gemacht hat ist ein Fluch, mit dem Hallitti dich angriff, um dich zu unterwerfen, eine art magischer Zwang, der bei versuchtem Widerstand altern läßt. Ich sage dazu dann noch, daß mir diese Art von Zauber bei dieser Art von Kreatur bislang unbekannt war, aber es eben über diese Wesen ja nur wenig belegbare Erkenntnisse gibt, die bereits vor Jahrhunderten gewonnen wurden und längst nicht umfassend sind. Du hast deinen Vater nicht getötet. Das muß und wird bekanntgemacht werden. Abgesehen davon hätte man dich ja strafrechtlicherweise nicht frei herumlaufen lassen dürfen, solange du einer Tötung verdächtig wärest. Ich habe gehofft, die Sache inoffiziell und kontrolliert bekannt werden zu lassen." Sie schlug eine weitere Seite auf und las eine Stellungnahme von Minister Grandchapeau, der sich vorsichtig aber unverkennbar über die unverantwortliche Handlungsweise seines früheren Kollegen Pole äußerte und bekräftigte, daß er selbst nicht davon ausgehe, daß Julius Andrews sich etwas zu Schulden kommen lassen hatte. Es stand sogar ein kurzes Interview mit Professeur Tourrecandide in der Zeitung, die kurz erläuterte, was die Töchter des Abgrundes seien, daß sie nicht mit den Veelas verwandt seien, daß von den einst neun Exemplaren sieben im andauernden Tiefschlaf zubrächten und die Schlafplätze den zuständigen Behörden und Gruppen der Zaubererwelt bekannt seien und daß es schon ein höchst unglücklicher Zufall sein müsse, wenn ein Muggel mit unweckbaren Zauberkräften über einen solchen Schlafplatz gestolpert sei. Dann brachte der Miroir noch eine Stellungnahme von Phoebus Delamontagne, der dazu befragt wurde, ob und wie man einen Succubus bekämpfen und töten konnte und ob die geschilderten Effekte dem entsprächen. Julius staunte, als er der Zeitung entnahm, daß Phoebus Delamontagne ein hoch angesehenes Mitglied der französischen Sektion der Liga gegen die dunklen Künste war und sich besonders mit altorientalischen Zauberwesen auskennen sollte.

"Das ist genau der Herr, der mir und den anderen Jungs bei Virginies ZAG-Party gesagt hat, daß jemand, der im Bann eines Succubus steht tot ist, bevor er stirbt", raunte Julius betreten.

"Ja, er ist Virginies Großvater väterlicherseits und gehört zur Führungsriege der Liga, zusammen mit meiner Kollegin Tourrecandide und Bruno Chevalliers Großvater väterlicherseits, Monsieur Armatus Chevallier", erklärte Madame Faucon.

"Wer immer denen die Sache erzählt hat muß das schon gestern abend gemacht haben", erkannte Julius.

"Weil die Interviews bereits in dieser Ausgabe stehen?" Fragte Madame Faucon und nickte, weil das ihr einleuchtete. "Ich vermute, die amerikanische Sektion der Liga hat dortigen Reportern den Stand der Dinge verraten, um jede weitere Geheimhaltung unmöglich zu machen. Da hast du ein sehr gutes Beispiel dafür, daß gut gemeintes nicht unmittelbar in guten Dingen endet. Aber jetzt liegt es an uns, die Flut lückenhafter Informationen in kontrollierbare Bahnen zu lenken. Dann wird Babette sich wohl noch etwas gedulden müssen. Ich kontaktfeuere mit der Redaktion und lade die mitteilsame Dame zum Frühstück ein. Wie gesagt: Du hast diese Hallitti nicht bekämpft sondern jemand, den du nicht kennst und deine Alterung ist auf einen Fluch von ihr zurückzuführen, mit dem sie dich unterwerfen wollte", legte die Beauxbatons-Lehrerin die Marschroute für das anstehende Interview fest. Julius nickte. Madame Faucon stand auf und ging zum Kamin, in dem im Moment kein Feuer brannte. Sie holte aus einem kleinen Geheimfach unter dem Sims eine große Silberbüchse hervor, in der das für magische Feuerreisen und Fernsprechfeuer nötige Flohpulver steckte. Sie wollte gerade eine Prise in den Kamin schütten, als es an der Haustür läutete. Julius schrak zusammen. Wer wußte, daß Madame Faucon wieder hier war?

"Olala, könnte jemand mitbekommen haben, daß ich wieder zu Hause bin?" Fragte Madame Faucon ungerichtet in den Raum hinein und verschloss die Flohpulver-Büchse wieder. Sie verließ die Wohnküche und ging an die Tür, die leise rasselnd entriegelt wurde und dann aufschwang.

"Guten Morgen Blanche, schön daß du wieder da bist", hörte Julius die Stimme von Madame Dusoleil. Sie klang erleichtert, wenn auch etwas ernster als er es sonst von ihr gewohnt war.

"Kommt rein, alle zusammen!" Zischte Madame Faucon nach draußen gewandt. Julius hörte die Schritte mehrerer leute, davon wohl zwei Erwachsene und zwei, die wohl noch wachsen würden. Er hatte das Gefühl, unvermittelt auf einem mehrere tausend Meter hohen Berg zu sein, weil ihm für einen Moment der Atem wegblieb. Dann traten sie ein, Camille Dusoleil, ihr Mann Florymont, Laurentine Hellersdorf und Claire. Als seine Freundin ihn sah, schlüpfte sie an ihrer Mutter vorbei und warf sich Julius an den Hals. Ehe der es sich versah, preßte sie ihre Lippen auf seine und hielt ihn in einer sehr innigen Umarmung.

"Claire, ist gut jetzt!" Zischte ihre Mutter und legte ihr fest die rechte Hand auf die Schulter. Sie löste ihre Umarmung und wich wie von einer Sprungfeder geschnellt von Julius zurück. Er sah sie an, wie sie in ihrem feuerroten Sommerkleid vor ihm stand, während ihre Mutter in einem smaragdgrünen Kleid hinter ihr stand und ihn erst sehr ernst und dann sehr freundlich anblickte.

"Du hast ihn gleich mitgebracht, Blanche. Das ist gut so", sagte Madame Dusoleil, als die Hausherrin in die Wohnküche zurückkehrte.

"Catherine wollte es so, daß ich ihn zurückbringe, bevor er wieder zu ihr kommt."

"Hallo, Julius", begrüßte Laurentine Hellersdorf den Mitschüler, den sie sehr befremdet anblickte, bevor sie ein leichtes Lächeln hervorbrachte. Julius lächelte zurück. Seine Lippen waren noch erhitzt von Claires Begrüßungskuß.

"Wir haben es heute morgen in der Zeitung gelesen, Julius", sagte Madame Dusoleil dem Jungen zugewandt. "Hat Madame Porter dich deshalb zu sich holen wollen, um dieses Ungeheuer zu finden?"

"Eigentlich nicht", sagte Julius. "Eigentlich durfte sie mir das nicht erzählen, was mit meinem Vater los war", fügte er hinzu und merkte jetzt erst, wie ihm vor Rührung und Erinnerung an die Schrecken der letzten Tage die Tränen in die Augen traten. Er wandte sich kurz ab und wischte sich mit den Ärmeln über die Augen. Dann sagte er noch: "'tschuldigung, Madame. Aber die Kiste war schon ziemlich heftig."

"Setzt euch bitte alle!" Bat Madame Faucon. Claire sah die Lehrerin fragend an und deutete auf einen Stuhl neben Julius. Madame Faucon nickte ihr zu, und sie ließ sich neben ihrem Freund nieder. Daß dieser jetzt zwei Jahre älter aussah als er eigentlich war schien sie nun gut genug verdaut zu haben. Ja, sie machte auf Julius den Eindruck, als fände sie es sogar sehr schön, wie er jetzt aussah.

"Woher wußtet ihr, daß ich wieder zurück bin?" Fragte Madame Faucon, als sie sich neben Julius hingesetzt hatte.

"Monsieur Castello hat euch beide heute morgen gehört, Blanche", sagte Madame Dusoleil. Ihr Mann grinste verschmitzt und fügte dem hinzu:

"Ich habe ihm doch die Wolfsohren gebaut, damit er die Grillen und Vögel wieder singen hören kann. Damit kann er ja jetzt eben auch so gut hören wie ein Wolf."

"Gut zu wissen", entgegnete Madame Faucon. "Sollte mir also zukünftig genau überlegen, was ich in meinen Vier Wänden ohne Klangkerker von mir gebe."

"Ich denke nicht, Blanche, daß er dich belauschen will. Ich hatte ihn nur gebeten, uns zu sagen, wenn du wiederkommst", sagte Madame Dusoleil.

"Weshalb, Camille?" Fragte Madame Faucon etwas ungehalten.

"Weil ich demnächst deine Zauberpflanzen im Gewächshaus bearbeiten möchte und weil Claire, Denise und sie eine Einladung von den Zwillingen Calypso und Penthisilea Latierre bekommen haben, sie zu ihrem zwölften Geburtstag im Château Tournesol zu besuchen. Sie schrieben, daß alle Brautjungfern von Jeanne eingeladen würden."

"Oh, daß klärst du bitte mit Catherine ab. Der werde ich ihre Tochter und den jungen Herrn hier heute abend zurückerstatten."

"Was ist mit Martha?" Sprach Madame Dusoleil die Frage aus, die Julius schon längst erwartet hatte. Madame Faucon räusperte sich und sagte dann halblaut:

"Wenn ihr die Zeitung gelesen habt wißt ihr ja, daß Julius' Vater unfreiwillig mehrere Menschen zu Tode gebracht hat. Die meisten davon waren Damen des horizontalen Gewerbes. Da die Prostitution in den nordamerikanischen Staaten gegen bestehende Strafgesetze verstößt, dient sie dort überwiegend der Gewinnsucht von Verbrechern. Diese haben Martha Andrews gefangengenommen und in eine art Tiefschlafkerker gesperrt, dessen Auswirkungen von den Muggelärzten nicht so rasch kuriert werden können. Zurzeit befindet sie sich in einem Krankenhaus der Muggel in New Orleans, zusammen mit einem Monsieur Marchand, der sie und Julius beherbergt hat. Wir sind aber guter Hoffnung, daß sie in wenigen Tagen wieder völlig genesen wird und dann zu uns zurückkommen kann." Julius nickte und kämpfte gegen eine weitere Tränenattacke an. Er wollte nicht losheulen, nicht wo Claire dabeisaß. Diese merkte wohl, daß ihr Freund ziemlich erschüttert sein mußte. Sie legte ihm tröstend den Arm um die Schulter. Madame Faucon ließ ihr das durchgehen. Alle sahen ihn betroffen an. Laurentine wußte nicht, ob sie etwas dazu sagen sollte oder nicht. Monsieur Dusoleil sah mit betretenem Gesicht den Jungen an, während seine Frau nicht wußte, ob sie ihn nun bedauern oder aufmuntern sollte. Claire fragte:

"Warum habt ihr sie nicht in die Delourdes-Klinik mitnehmen können? Was diese gemeinen Leute gemacht haben kann doch nicht so heftig sein, daß man das mit Heilzaubern und -tränken nicht sofort wegkriegt."

"In den Fingern gejuckt hat's mir schon, Claire", wisperte Julius. Dann sagte er laut: "Madame Faucon hat mir gesagt, wir dürften sie nicht rausholen, solange sie als Muggelfrau durch Muggelsachen in ein Muggelkrankenhaus reingekommen ist. Ist schon ziemlich fies, dieses Gesetz."

"Oh", machte Claire, während ihre Eltern schwerfällig nickten und Laurentine ihr Gesicht verzog. Julius wollte gerade noch was sagen, als es wieder an der Tür läutete.

"Wem hat Antoine noch erzählt, daß ich wieder da bin?" Erkundigte sich Madame Faucon bei den Eheleuten Dusoleil.

"Wissen wir nicht. Könnte sein, daß er Eleonore was kontaktgefeuert hat", sagte Madame Dusoleil. Madame Faucon nickte und ging wieder zur Haustür.

"Woher weiß man, daß dein Körper nicht um drei oder vier Jahre älter geworden ist?" Fragte Claire. Offenbar beeindruckte es sie heftiger, daß Julius älter geworden war als der Umstand, daß er vielleicht seinen eigenen Vater umgebracht hatte.

"Hallo, Blanche. Entschuldigung, daß ich euch heute morgen beim Kaffeetrinken zugehört habe", hörte er die freundliche Stimme des älteren Zauberers Antoine Castello an der Tür. "Ich habe auch nur mitgekriegt, daß ihr es von diesem Zeitungsartikel hattet. Deshalb habe ich die beiden hier noch angerufen."

"Guten Morgen, Blanche", hörten sie eine Frauenstimme, die Julius nun sehr gut kannte. Es war Professeur Austère Tourrecandide, Blanche Faucons ehemalige Lehrerin für Verteidigung gegen die dunklen Künste. Dann grüßte noch ein Mann, dessen Stimme Julius in den letzten Tagen immer wieder aus seinen Erinnerungen heraus gehört hatte. Es war Virginies Großvater, Monsieur Delamontagne.

Alle standen höflich auf, als die neuen Besucher eintraten. Julius fiel an Monsieur Castello, der einen violetten Samtumhang trug nicht nur der lange, unter dem Kinn zum Zopf geflochtene Bart auf, sondern vor allem die merkwürdige Vorrichtung, die wie ein Satz kabelloser Kopfhörer aus silbernem Metall mit leicht zugespitzten, mit dunklem Fell umrahmten Ohraufsätzen, die fast wie die Ohren eines großen Wolfes aussahen und an einem gebogenen Gestell am Kopf des älteren Zauberers anlagen. Monsieur Castello nahm diese Vorrichtung ab, bevor er alle Anwesenden grüßte. Dann trat Professeur Tourrecandide ein. Sie sah genauso aus wie am Tag, als sie zusammen mit den anderen Prüfern in den Speisesaal von Beauxbatons eingetreten war. Ihre über die Schultern reichenden Locken waren weißblond, und das dotterblumengelbe Rüschenkleid, welches ihr einen würdigen Eindruck verschaffte paßte sehr gut zu diesem Haarton. Sie strahlte eine Entschlossenheit und Erhabenheit aus, daß Julius meinte, diese Aura wie eine laue Brise in die Nase einsaugen zu können. ihr folgte Monsieur Delamontagne, Virginies Großvater, gekleidet in einen weiten, königsblauen Umhang, auf dem Kopf einen ebenfalls königsblauen Zaubererhut mit einem silbernen Stern an der Spitze.

"Guten Morgen zusammen", grüßte Professeur Tourrecandide ganz wie eine Lehrerin. Alle antworteten fast im Chor:

"Guten Morgen, Professeur Tourrecandide!"

"Ich bestelle Mademoiselle Chermot ein, falls Sie nichts dagegenhaben, Austère und Phoebus", sprach Madame Faucon. Die beiden neuen Besucher nickten ihr zustimmend zu. Monsieur Castello verabschiedete sich wieder und versprach, die Nachbarin nicht mehr zu belauschen. Diese meinte nur, daß es in diesem ihrem Haus nichts gäbe, was sich zu erlauschen lohne und geleitete ihn zur Tür. Dann ging sie an den Kamin und entfachte ein smaragdgrünes Feuer, in das sie ihren Kopf hineinsteckte und rief:

"Chefredaktion!" Dann verschwand ihr Kopf in einem kurzen Wirbel. Es vergingen wenige Sekunden, bis sie alle wie aus weiter Ferne die Stimme der Hausherrin hörten:

"Hallo, Monsieur Flaubert. Ist Ihre sehr eifrige Mitarbeiterin bei Ihnen zu erreichen? Ich habe da nämlich ein Angebot für sie."

"Ah, Professeur Faucon", klang wie aus einem tiefen Brunnenschacht eine Männerstimme. Julius fragte sich, ob das vielleicht Deborah Flauberts Vater war oder zumindest ein Verwandter seiner Pflegehelferkameradin. "Ossa ist gerade beim Minister und befragt ihn zu Maßnahmen, um Übergriffe jener Abgrundstöchter zu verhindern. Immerhin hat sie aufgetan, daß die dunkle Matriarchin schon mit diesen Kreaturen ..."

"Gut, bei Minister Grandchapeau also", schnarrte Madame Faucon. "Wenn sie wiederkommt bestellen Sie ihr einen schönen Gruß, der junge Monsieur Andrews habe seinen Vater nicht getötet und wäre unter einer Bedingung bereit, mit ihr zu sprechen: Nämlich das genau das in die nächste Ausgabe ihrer Zeitung kommt, daß er kein Vatermörder oder dergleichen ist und daß von ihm nur ein einziges Foto gemacht wird."

"Beraten Sie ihn in dieser Angelegenheit?" Hörten sie Monsieur Flaubert fragen.

"Ich unterstütze ihn lediglich dabei, die ihm widerfahrenen Dinge korrekt darzulegen und die bereits aufgekommenen Spekulationen zu beenden, die seinen Ruf gefährden könnten. Oder liegt Ihnen wirklich etwas daran, daß seine Mitschüler und deren Verwandte ihn für einen Vatermörder halten, auch die Tochter ihres Cousins, mit der er in der Pflegehelfertruppe zusammenarbeitet?"

"Wir haben nicht geschrieben, daß er seinen Vater ermordet hat, Professeur Faucon", entgegnete Monsieur Flaubert schnell und etwas erschüttert. "Wir schlossen nur nicht aus, daß er ihn in Notwehr ..."

"Was für ihn persönlich und eventuell für seine Mitschüler auf dasselbe hinausläuft, Monsieur Flaubert. Also bestellen Sie das Mademoiselle Chermot, falls sie um der Seriosität Ihrer Zeitung Willen auf das Angebot des jungen Monsieur Andrews eingehen möchte!" Erwiderte Madame Faucon sehr entschlossen.

"Sie wird sich eine derartige Gelegenheit nicht entgehen lassen, Professeur", beteuerte Monsieur Flaubert. "Also, je ein Foto von jedem Profil?"

"Sehe ich aus wie eine Pferdehändlerin, Monsieur? Ein Foto von vorne, mehr nicht, und damit rüttele ich schon arg an seinem Recht am eigenen Bild."

"In Ordnung, ein Foto", bestätigte Monsieur Flaubert eingeschüchtert. Julius mochte sich gut vorstellen, daß Madame Faucon ihn mit ihrem weithin gefürchteten strengen Blick festgenagelt hatte. Zwar schmeckte ihm das nicht sonderlich, sich noch einmal von der Presse ablichten zu lassen, sah es jedoch ein, daß ein Interview einem Reporter nichts brachte, wenn er nicht belegen konnte, den Interviewten wirklich getroffen zu haben, was eben durch ein Foto am besten ging. Madame Faucon sagte noch, daß Mademoiselle Chermot ja wisse, daß man nicht nach Millemerveilles hereinapparieren könne und sie bitte von außen an ihr Haus herantreten möge, der Höflichkeit wegen. Monsieur Flaubert versprach es, und die Beauxbatons-Lehrerin verabschiedete sich. Dann wirbelte es wieder im Kamin, und ihr Kopf erschien dort, wo er hingehörte, auf ihrem Hals und richtig herum sitzend. Die grüne Feuerwand im Kamin fiel in sich zusammen und erlosch.

"Gut, Wahrscheinlich wird es noch eine Weile dauern, bis sie eintrifft. Mag sein, daß sie den Minister selbst gleich mitbringt", sagte die Hausherrin. "Gehen wir alle solange in das Esszimmer und unterhalten uns dort weiter. Für den jungen Monsieur Andrews mag dies die Gelegenheit sein, sich auf das Gespräch mit Mademoiselle Chermot vorzubereiten." Julius nickte.

Als die weiteren Gäste und die, die schon da waren ins geräumigere Esszimmer umgezogen waren berichtete Julius, was ihm passiert war, wobei er sich an die Vorgaben Madame Faucons hielt, daß er seine unnatürliche Alterung einem Fluch zu verdanken habe. die altehrwürdigen Ligamitglieder Tourrecandide und Delamontagne fragten ihn zum Aussehen und den sonstigen Zauberkräften der Kreatur aus. Auch wollten sie genau wissen, wie der Lebenskrug der Abgrundstochter aussah. Claire sah ihn einmal merkwürdig an, als er mit belegter Stimme erzählte, wie er fast mit Hallitti zusammengekommen war, weil sie ihn zuerst in ihren Bann hatte schlagen können, bevor er sich gegen sie zu wehren geschafft hatte. Er errötete leicht, weil er sich vorstellte, daß Claire nun von ihm denken mochte, er ließe sich einfach so auf irgendwas ein. Dann dachte er, sie könnte nun Angst haben, er könne den Spaß an ihr oder anderen Mädchen verloren haben. Doch sie hörte mit unbewegter Miene zu. Erst als er damit geendet hatte, daß er in der Wüste ausgesetzt worden war und über den Notrufzauber Heilerin Merryweather von Thorntails gerufen hatte, sah sie ihn sehr ernst an und fragte:

"Und weil du es nicht mit dieser Hallitti oder Loretta getan hast hat sie dich älter werden lassen? Hat dich das jetzt irgendwie heftig getroffen?""

"Irgendwie schon, Claire", sagte Julius leicht betrübt. "Aber eher, daß mich dieses Biest fast gehabt hätte. Dagegen war das Ding, was mir vor zwei Jahren mit Fleur Delacour passiert ist noch harmlos."

"Weil Mademoiselle Delacour auch anständig genug ist, ihre besondere Ausstrahlung nicht zu solchen Sachen zu mißbrauchen", knurrte Madame Faucon.

Es läutete an der Tür. Madame Faucon machte auf und begrüßte Mademoiselle Chermot und ihren Bilderknecht. Dann trat sie ein, die rasende Reporterhexe vom Miroir. Sie begrüßte die Anwesenden und nickte ihrem Fotografen zu, die versammelte Gruppe aufzunehmen. Doch Madame Faucon schüttelte den Kopf und blickte den Bilderzauberer warnend an.

"Nur von Monsieur Andrews, nur ein Foto. Die übrigen sind meine Gäste und für das Gespräch wohl nicht wichtig, zumal Sie in ihrem Arbeitseifer meine Kollegen Tourrecandide und Delamontagne bereits befragt haben."

"Nun, es würde die Atmosphäre deutlich abrunden, wenn unsere Leser erkennen, daß Ihr Schützling nicht allein mit seiner Lage ist. Aber ich werde mir die gute Gelegenheit nicht durch Meinungsverschiedenheiten mit Ihnen verderben", sagte die Reporterin. Julius stand auf und stellte sich in Positur, und zwar so, daß die übrigen Gäste nicht ins Bild gerieten, selbst wenn der Foto-Zauberer mit einem Weitwinkelobjektiv hantieren würde. Er ließ in aufrechter Haltung und mit einem gewissen Lächeln den Blitz und die rote Rauchwolke aus der Kamera über sich ergehen. Madame Faucon bat den Fotografen, sein Handwerkszeug zu verstauen und sich zu den Anderen zu gesellen, während Julius sich mit Mademoiselle Chermot an einen kleineren Tisch setzte, wo die Reporterin ihre Flotte-schreibe-Feder einsatzbereit machte und eine kurze Einleitung diktierte:

"Mir gegenüber sitzt Julius Andrews, der gerade im Juli sein vierzehntes natürliches Lebensjahr vollendet hat. Er hat sich bereitgefunden, sich zu dem von mir heute Morgen erschienenen Artikel über die Vorfälle um und mit ihm zu äußern, um eine umfassendere Sicht der Ereignisse zu ermöglichen. Monsieur Andrews, oder darf ich noch Julius sagen?"

"Sie dürfen mich beim Vornamen nennen, Mademoiselle", gestattete Julius der Reporterhexe, die ihm merkwürdig ruhig und keineswegs sensationsgierig vorkam, als habe sie erkannt, wie ernst die Lage war.

"Zunächst die Frage, die wohl die meisten meiner Leser beantwortet haben möchten: Ist dein Vater gestorben und falls ja, wie?"

"Ich habe nur mitgekriegt, daß er wohl getötet wurde. Wie, konnte ich nicht sehen, weil ich da schon aus der Gewalt der Kreatur befreit war. Aber bitte lassen Sie mich die Sache von Anfang an erzählen", erwiderte Julius und sprach ruhig zu Mademoiselle Chermot. Zwar mußte er arg um seine Selbstbeherrschung ringen, nicht doch in Wut oder Tränen auszubrechen. Doch er wußte, das hier war zu wichtig, um durch irgendwelche Gefühle aus der Spur zu geraten. Zwar wirkte die Reporterin leicht enttäuscht, weil Julius wohl sehr geübt berichtete und nicht von irgendwelchen Gefühlen übermannt zu werden schien. Doch sie hörte sich erst an, was er von sich aus erzählte. Erst als er davon sprach, daß Madame Faucon ihn nach einem kurzen Abschied von seinen amerikanischen Bekannten nach Frankreich zurückgebracht hatte, begann das Kreuzverhör. Sie wollte wissen, seit wann er wußte, was mit seinem Vater wirklich los war, wie er das erfahren hatte, fragte ihn zu den Internetcafés aus, ob er zuerst gedacht habe, Mrs. Porter hätte ihn vielleicht in eine Falle gelockt oder ihn für dumm verkauft, wie sein Vater ausgesehen hatte, als er diesem wieder begegnet sei, ob es wahr sei, daß die Abgrundstochter attraktiver aussehe als gewöhnliche Frauen und ob er nicht doch mit dem Gedanken gespielt habe, sich ihr hinzugeben. Julius antwortete auf diese Frage mit der Bemerkung:

"Sie hat es geschafft mich mit einem Bann zu belegen. Da war ich nicht mehr Herr meiner Sinne. Wenn diese Leute auf den Besen nicht gekommen wären, hätte mich diese Höllenbraut bestimmt ganz an sich rangezogen, wortwörtlich. Das dürfen Sie so schreiben."

"Und dein Vater, wollte der das auch, daß du mit dieser Kreatur zusammenkommst?"

Julius dachte, was für eine saublöde Frage das doch war. Dann erkannte er die Falle, in die ihn die Reporterin locken wollte. Sie wollte von ihm hören, daß er ohne seinen Vater anzusehen mit der Zauberkreatur Sex haben wollte, ohne Rücksicht auf Verluste. Er sagte schnell aber entschlossen:

"Mein Vater war doch schon längst nicht mehr er selbst. Früher hat er jeden Gesetzesverstoß verabscheut, vom Ladendiebstahl angefangen. Der hätte niemals andere Leute umgebracht, wenn er sich das hätte aussuchen können. Also konnte er auch nicht eifersüchtig sein. Er hat mich ja für dieses Monster eingefangen, damit die mich vern..." Professeur Faucon räusperte sich tadelnd. Julius berichtigte: "Damit sie mich auf ihre Art vereinahmen konnte wollte ich natürlich sagen. Bei diesen Wesen ist der direkte Geschlechtsverkehr wie der Imperius-Fluch, nur heftiger denke ich."

"Woher weißt du, wie sich der Imperius-Fluch auswirkt?" Fragte Ossa Chermot.

"Das habe ich ihm und seinen Mitschülern vorgeführt", sprang Madame Faucon in die Bresche. "Das sollten sie doch wissen, daß die Vorführung der drei unverzeihlichen Flüche zum Abschluß der dritten Schulklasse in Beauxbatons gehört."

"Natürlich", sagte Mademoiselle Chermot. Doch so richtig gefiel es ihr wohl nicht, daß die Lehrerin dem Jungen die Antwort auf die Frage abgenommen hatte. Dann fragte sie etwas, daß Julius' gut ausbalancierte Seele heftig ins Wackeln brachte:

"Dann hättest du deinen Vater also getötet, wenn sie dich endgültig unter ihre Kontrolle bekommen hätte?" Julius schluckte und mußte eine Sekunde nachdenken. Doch dann sagte er:

"Wie gesagt, Mademoiselle, mein Vater war deshalb kein echter Mörder, weil er keinen eigenen Willen hatte. Hätte dieses Monster mich auch so verhext wie ihn, hätte ich wohl jeden umgebracht, auf den sie gezeigt hätte. Das ist ja auch der Grund, warum ich mich gegen ihren Bannfluch gewehrt habe und fast verloren habe. Daß mich dieser Zauber gleich zwei Jahre älter macht, weil ich dagegen gekämpft habe, bekam ich erst mit, als die Sache vorbei war."

"Also hast du deinen Vater nicht getötet, weil sie dich nicht kontrollieren konnte?" Bohrte die Reporterin nach. Julius sagte, er habe seinen Vater ganz bestimmt nicht getötet. Er streute ein, daß das wohl von denen besorgt worden sei, die ihn aus der Höhle geholt hatten. Er erwähnte, daß wohl einige Hexen dabei gewesen seien, aber durch Kapuzenumhänge gut vermummt gewesen waren.

"Wo ist denn dann die Leiche deines Vaters abgeblieben, als sie dich in der Wüste ausgesetzt haben?"

"Ich habe sie nicht gesehen", knurrte Julius, jetzt doch etwas wütend.

"Dann kann es also auch sein, daß dein Vater erst bei der Vernichtung dieser Kreatur gestorben ist oder diese Leute ihn verschleppt haben, um Hallitti zu zerstören."

"Darüber weiß ich nichts", sagte Julius schroff. "Stellen Sie mir bitte Fragen, die ich selbst beantworten kann!"

"Das kann ich nicht vorher wissen, welche das sind", erwiderte die Reporterin schmunzelnd. Julius dachte bei sich, daß er schon aufpaßte, daß sie ihn nicht zu genau anblickte, falls sie die Legilimentie oder auch Legilimentik beherrschte. Aber wahrscheinlich saß Madame Faucon deshalb in der Nähe, um das zu unterbinden.

"Wie gesagt, was nach dem Versuch, mich zu bezirzen passiert ist, habe ich nicht mehr so richtig mitbekommen", log Julius bewußt. "Mein Vater lebte auf jeden Fall noch, als diese mannstolle Bestie ihren Zauber auf mich losgelassen hat und ich fast von ihr einverleibt worden wäre. Mehr kann ich nicht dazu sagen, zumal einiges wohl noch untersucht werden muß, beispielsweise, wie diese Leute mich gefunden haben, ob sie darauf gewartet haben, daß ich in Hallittis Falle gehe. Jedenfalls weiß ich mit Sicherheit, daß Mrs. Porter mich einen Tag nachdem ich mit ihr zusammen den Suchzauber für meinen Vater gemacht habe, zu Madame Faucon zurückgebracht hätte. Nur damit Sie oder andere Presseleute nicht behaupten, Mrs. Porter hätte mich dieser Höllenbraut zum Fraß vorwerfen wollen oder sowas abgedrehtes."

"Wie geht es eigentlich deiner Mutter?" Fragte Mademoiselle Chermot. Julius Magen verkrampfte sich. Er hätte mit einer solchen Frage rechnen müssen. Doch als sie kam traf sie ihn wie ein Keulenschlag in den Leib. Dann fiel ihm ein, was er sagen konnte:

"Meine Mutter hat mir nicht erzählt, was in der Muggelwelt passiert ist. Außerdem hat der Ex-Zaubereiminister Pole hingebogen, daß es einen Doppelgänger meines Vaters gäbe, um seinen guten Namen sauberzuhalten und um die Muggel davon abzubringen, sich vorzustellen, daß da magische Kräfte im Spiel sein könnten. Aber nett, daß Sie fragen. Meine Mutter ist nämlich von Muggel-Gangstern gefangen worden, als Mrs. Porter und ich uns bereits vor dieser Kreatur und Poles hochgescheuchten Strafverfolgungsleuten verstecken mußten. Diese Verbrecher, das habe ich erst gestern mitgekriegt, haben meine Mutter unter Drogen gesetzt, weil sie sie als Tauschobjekt für den angeblich echten Richard Andrews, meinen Vater, benutzen wollten. Im Moment erholt sie sich noch in den Staaten. Mehr sage ich dazu nicht, da es mit der Zaubererwelt nichts zu tun hat und rein Privat ist."

"Was wirst du ihr erzählen, wenn sie sich wieder erholt hat?" Fragte Mademoiselle Chermot. Julius erkannte, daß er sich diese Frage auch schon gestellt hatte. Als er mit Mrs. Porter auf der Flucht vor Swifts Leuten gewesen war, wollte er ihr am Telefon erzählen, was mit seinem Vater passiert war. Doch im Moment wußte er nicht, ob das nicht verkehrt wäre. Andererseits wollte er nicht dasselbe mit ihr machen wie sie mit ihm, als sie ihm schlichtweg gar nichts erzählt hatte.

"Auch das ist eine Privatangelegenheit", warf er Mademoiselle Chermot eine harsche Antwort hin. "Mein Familienleben und was darin so passiert betrifft nur diejenigen, die mit uns gut auskommen. Da ich nicht weiß, wer von Ihren Lesern dazugehört, möchte ich dies nicht in die Zeitung bringen, was meine Mutter und ich uns zu sagen haben."

Mademoiselle Chermot drehte sich wohl aus einem Geistesblitz heraus in Richtung Claire um und setzte an, sie etwas zu fragen. Doch sowohl Claires Eltern als auch Madame Faucon und Professeur Tourrecandide blickten ihr sehr drohend entgegen. Monsieur Dusoleil zog sogar seinen Zauberstab hervor.

"Mademoiselle Chermot. Ich befinde, daß Sie nun alles haben, was für eine klarere Darstellung der Ereignisse von vor zwei Tagen nötig ist. In Ihrem Interesse und zum Wohl Ihres Arbeitgebers bitte ich mir strickt aus, daß Sie nur Zitieren, was der junge Mann Ihnen in der Einsicht, die erschütternden Ereignisse der Öffentlichkeit bekannt zu machen wortwörtlich erzählt hat", sagte Madame Faucon, während Monsieur Dusoleil seinen Zauberstab wieder fortpackte. "Ich bedanke mich bei Ihnen für Ihre Mithilfe, daß dem Jungen hier weiteres Ungemach erspart bleibt, wenn er zu Beginn des neuen Schuljahres nach Beauxbatons zurückkehrt. Stellen Sie also bitte klar und richtig, daß er seinen Vater nicht getötet hat. Das er umkam, was wohl durch die Vernichtung der dunklen Kreatur bewirkt wurde, ist schon schrecklich genug für den Jungen. Respektieren Sie das bitte!"

"Ich habe verstanden, Professeur Faucon", entgegnete Mademoiselle Chermot. Da legte die Beauxbatons-Lehrerin noch nach:

"Natürlich steht es Ihnen frei, sich bei Ihrer Kollegin Linda Knowles zu revanchieren, indem sie die Befragung mit dem jungen Monsieur Andrews exklusiv veröffentlichen oder ihr Einblick darin geben. Aber für sie gilt dann dasselbe wie für Sie, Mademoiselle. Nur das, was der junge Monsieur wirklich gesagt hat verwenden, auch in der Übersetzung!"

"Ich habe es verstanden", fauchte die Reporterin und stand auf. Dann sagte sie mit einem wohlgeübten Lächeln: "Julius, danke für das Gespräch. Ich wünsche dir und deiner Mutter alles Glück, daß ihr braucht." Sie winkte ihrem Fotografen, der seine Ausrüstung aufhob und ihr folgte. Da schnellte Madame Faucon von ihrem Stuhl hoch und riss ihren Zauberstab aus dem bonbonrosa Umhang: "Arresto inoptatum!" Von draußen ertönte ein erschreckter Aufschrei, nicht von Mademoiselle Chermot oder ihrem Fotografen.

"Habe ich es mir doch gedacht", schnaubte Madame Faucon und eilte den beiden Presseleuten nach bis nach draußen. Julius sprang ebenfalls vom Stuhl auf und lief hinaus. Da sah er einen kleinwüchsigen Kerl mit einem vergoldeten Rohr, das am ihm zugewandten Ende eine gläserne Linse wie ein Auge besaß und bei dem Kerlchen, wohl einem echten Zwerg, dem struppigen Haar und Bart nach zu schließen, in einer scharlachroten Trommel endete. Der Fremde war von einem kaum sichtbaren Gebilde umschlossen, daß ihn wie in Glas einschloss. Mit einer merkwürdig verzerrten Stimme rief er immer wieder um Hilfe.

"Haben Sie diesen Herren dazu angestiftet, von außen unerwünschte Bildaufnahmen zu machen, Mademoiselle?" Fragte Madame Faucon. Der Zwerg rief:

"Eh, Freilassen! Das haben Sie mir nicht gesagt, daß ich hier eingesperrt werden kann."

"Ich habe ihn nicht angestiftet, Professeur. Ich würde es nie wagen, von Ihnen gestellte Bedingungen zu mißachten", beteuerte Mademoiselle Chermot.

"Wie dem auch sei, Sie nehmen mit, was Monsieur Andrews und ich Ihnen gewährt haben und verwenden es auch so, wie ich es Ihnen auftrug!" Herrschte Madame Faucon die Reporterin an. Diese sah den Zwerg an, der leise klingend gegen die ihn eng einschließenden Wände des ihm angepaßten Einsperrzaubers stieß.

"Ich werde dem Chef sagen, daß du mir hinterhergelaufen bist, Parvo", sagte sie, und Julius konnte nicht erkennen, ob sie ihn nun anherrschte oder aufmunterte. Jedenfalls schwang sie sich rasch auf einen Besen, einen Cyrano Express, wie Julius sofort erkannte und flog ihrem Fotografen hinterher, der auf dem längst überholten Ganymed 4 ritt.

"Ey, rauslassen hier!" Quäkte der Zwerg. Ob seine Stimme so klang oder ob sein magisches Gefängnis das so verzerrte wußte Julius nicht. Madame Faucon stellte sich vor ihn hin und sah ihm tief in die Augen. Dann schüttelte sie mißbilligend den Kopf und sagte:

"Sie brauchen nur ihre Fernbildkamera abzulegen. Dann können Sie unbehelligt verschwinden. So einfach ist das."

"Das geht nicht. Die muß ich doch mit zurück bringen. Meine Kollegen reißen mir den Bart aus, wenn ich die nicht mitnehme", zeterte der Zwerg.

"Ich kann Ihren Kollegen das gerne abnehmen", drohte Professeur Faucon und griff durch die für sie wohl nicht vorhandene Einhüllung des Zwerges und packte ihn ansatzlos beim Ende seines Bartes. "Ich kann Ihnen den Bart abreißen oder mit einem Fluch ausfallen lassen, daß Ihnen kein neuer mehr wächst. Dann werden Sie in Ihrer Heimatsiedlung als Unsprießbarer nur noch niedere Arbeiten tun und selbst von Ihren Frauen herumgeschupst werden. Also, die Kamera ablegen!" Der Zwerrg stieß einen Seufzer aus, der für Julius wie ein rauh angeblasenes Picolosaxophon klang. Dann ließ er die rote Trommel mit dem langen Rohr daran sinken. Kaum lag sie auf dem Boden, verschwand die gläserne Umhüllung um den Zwerg. Madame Faucon ließ ihn los. Mit von seinen kurzen Beinchen kaum zu erwartender Schnelligkeit wetzte er wieselflink davon, tauchte unter einen der Büsche und kam mit etwas wieder zum Vorschein, das wie ein Sessel mit Flügeln aussah. In dieses Etwas ließ sich der Zwerg hineinplumpsen. Die himmelblau lackierten Flügel bewegten sich und wurden zu zwei wild vibrierenden Schemen, als der Sessel abhob und laut sirrend wie tausend Mücken auf einmal davonbrauste.

"So geht's auch", meinte Julius und deutete auf den fliegenden Sessel.

"Dafür, daß Zwerge nicht so gerne fliegen sind sie gute Zaubermechaniker. Aber zumindest hat er die unerlaubten Bilder hiergelassen. Ich entsorge sie gleich, bevor ich Monsieur Flaubert einen entsprechenden Brief und dieses hinterhältige Gerät zurückschicke. Er hat Mademoiselle Chermot diesen Kerl nachgeschickt, damit er von draußen Bilder machen konnte. Womöglich ist sogar ein Klangspeicher darin, womit dieses Gerät ähnlich wie eine Videokamera der Muggelwelt zu handhaben ist." Sie untersuchte den Mechanismus und öffnete mit einigen energischen Zauberstabstubsern die Trommel, der sie mehrere Dutzend Bildplättchen entnahm, die sie mit kurzen Feuerstößen aus dem Zauberstab verglühen ließ. Dann war da noch eine Art Trichter, den sie vorsichtig entfernte, daran drehte und damit um ein vielfaches beschleunigte Stimmen und Geräusche erklingen ließ. Mit einem weiteren Stubser des Zauberstabs ertönte ein kurzes Fauchen und dann nichts mehr. Offenbar hatte Professeur Faucon die Tonaufnahme unwiederbringlich gelöscht oder wie das auch immer hieß.

"Das war es", sagte Madame Faucon sicher und baute den magischen Apparat wieder zusammen. Julius interessierte sich dafür, wie das Ding funktionierte. Doch Madame Faucon befand, daß Monsieur Dusoleil es ihm kurz erklären könne. Sie trug das Gerät ins Haus und erzählte, daß Monsieur Flaubert sie hintergehen wollte. Einer ihrer Spürzauber habe eine Person auf dem Grundstück geortet, die eindeutig heimlich arbeitete und sie belauerte. Deshalb habe sie den Zauber zum Zurückhalten unerwünschter Dinge aufgerufen und das dabei gefunden. Dann fragte sie, ob jetzt alles soweit geklärt sei, was alle bejahten. Madame Dusoleil sagte noch:

"Ich verstehe zumindest, warum Catherine den Jungen wieder zu sich holen möchte. Allerdings kann man Mrs. Porter ja keine Schuld an der mißlichen Lage geben. Als sie gemerkt hat, daß ihr Suchzauber gegen den Jungen gedreht werden kann, wollte sie ihn doch sofort zu uns zurückbringen. Sie konnte es ja nur nicht, weil die Strafverfolgungszauberer des Ministeriums sie festgenommen haben."

"Das weiß ich natürlich, Camille", entgegnete Madame Faucon etwas verstimmt. "Andererseits hätte sie mir ruhig erzählen können, daß sie den Jungen zu einer Audienz mit dem Geist Marie Laveaus bitten sollte. Das war ihr nämlich nicht verboten. Außerdem hätte sie sich der Nebenwirkungen des Sanguivocatus-Zaubers bewußt sein müssen, daß zaubermächtige Kreaturen ihn zu einer Verbindung in beide Richtungen ausnutzen können, wenn sie sich schon darüber im Klaren war, daß Monsieur Andrews unrettbar von Hallitti unterworfen worden war. Aber ich möchte Catherines Wunsch nicht kommentieren oder gar abwerten, Camille. Ich bringe ihn und Babette heute abend zu ihr zurück, wenn sie aus Atlanta zurückkehrt. Ich habe sie ja nicht umsonst als magische Fürsorgerin vorgeschlagen.""

"Blanche, ich meinte es auch so, daß ihr den Jungen mal eben von seiner Mutter weggeholt habt. wie werdet ihr darüber informiert, wenn es ihr wieder gut geht?"

"Das klärt Catherine, wenn Julius wieder in Paris ist", stellte Madame Faucon klar. Dann wandte sie sich an Julius.

"Wir fliegen gleich los und holen Babette ab. Vielleicht möchtest du Madame Delamontagne auch noch erzählen, was du erlebt hast, bevor es in der nächsten Ausgabe des Miroir steht."

"Wäre vielleicht besser, wenn ich die Leute aus meiner Klasse treffe, die hier wohnen", sagte Julius.

"Meinetwegen. Claire, sagst du Sandrine und den anderen bitte Bescheid!"

"Ihr könnt zu uns zum Mittag kommen", sagte Madame Dusoleil. Ihr Mann nickte zustimmend. Claire freute sich. Offenbar hatte sie durch das Interview erkannt, daß Julius zwar heftig erschüttert aber doch noch derselbe Junge war, den sie sehr gern hatte. Die Dusoleils und Laurentine flogen los, Laurentine auf Claires altem Superbo 5.

"Ui, offenbar hat die temporäre Umquartierung etwas gutes bewirkt", stellte Madame Faucon zufrieden lächelnd fest. "Bei Eleonore wollte sie nicht auf einem Besen fliegen und jetzt ..."

"Claire wird ihr wohl gesagt haben, daß sie nur echten Spaß bei Walpurgis haben kann, wenn sie selbst fliegt", sagte Julius.

"Das wäre merkwürdig, wo das Mädchen bereits drei Jahre bei uns ist", erwiderte Professeur Faucon, bevor sie und Julius sich von Professeur Tourrecandide und Monsieur Delamontagne verabschiedeten.

"Ich sehe Sie dann nächstes Jahr wieder in der Jahresendprüfung, Monsieur Andrews", sagte Madame Faucons Lehrerin sehr entschieden. Julius nickte nur. "Lassen Sie sich ja nicht dazu verleiten, wegen Ihrer neuen Lage im Unterricht nachzulassen!"

"Ja, Julius, hätte ich das vorher gewußt, daß du selbst mit diesen Kreaturen zusammenrasseln wirst", sagte Monsieur Delamontagne.

"Sie haben mich doch letztes Jahr schon gewarnt", sagte Julius.

"Es ist bedauerlich, daß nur der endgültige Tod deinen Vater gerettet hat, auch wenn es keine übliche Leiche zum beerdigen gegeben hat", sagte Virginies Großvater. Dann meinte er noch: "Wir arbeiten daran, eine wirksame Abwehr gegen die Zauberkräfte dieser Ungeheuer zu entwickeln. So gemein das jetzt für dich klingen mag, Julius, aber deine Erlebnisse bringen uns in dieser Richtung gut voran. Danke für deine Bereitschaft, uns deine Erlebnisse zu erzählen." Er schüttelte Julius die Hand und stieg auf einen Besen auf, der wohl eher für langsame Flüge gemacht war als zum schnellen Flug. Vielleicht, vermutete Julius, würde er auch nur bis zur Abgrenzung Millemerveilles fliegen und dann disapparieren, wohl wie es Mademoiselle Chermot getan hatte, um ihre Beute schnell in Sicherheit zu bringen.

"Fliege du schon einmal zu den Delamontagnes und sage bitte Bescheid, ich käme gleich nach, wenn ich die Post für Monsieur Flaubert aufgegeben habe!" Bat Madame Faucon den Gast. Dieser holte seinen Ganymed 10 und startete erst manierlich vom Landerasen vor dem Faucon-Haus. Doch als er etwa zweihundert Meter zurückgelegt hatte, löste er die Katapultbeschleunigung aus und trieb seinen Superbesen zu unerhörter Geschwindigkeit an, daß alle Häuser unter ihm zu einem flimmernden Teppich undeutlicher Farbtupfer wurden. So jagte er einmal, zweimal über das Zentrum des Dorfes hinweg, bis er befand, daß er trotz etwas verlängertem Körpers den Besen noch gut beherrschte und brauste zum Haus der Delamontagnes. Hier bremste er fast auf dem Punkt voll ab und landete wie ein Hubschrauber ohne Vorwärtsbewegung senkrecht herabsteigend. Im Schachgarten sah er nur die bereitstehenden Figuren, die halb so groß wie erwachsene Menschen waren. Von drinnen hörte er belustigtes Kichern und einmal Babettes Stimme:

"Heh, Gabi, mit dem Zopf siehst du jetzt aus wie meine Barbiepuppe." Ein anderes Mädchen, das nicht wesentlich älter als Babette sein konnte lachte darüber und fragte, ob sie so eine Puppe mal haben dürfte.

Julius trat an die Tür und zog am Glockenzug. Die Tür ging auf, und in ihrer üppigen Leibesfülle stand Madame Delamontagne im Türrahmen. Sie trug eine rotkarierte Küchenschürze und verströmte den Duft von frisch gebackenen Croissants. Ihr strohblondes Haar war wie meistens zu einem langen Zopf geflochten.

"Das war mir klar, daß Blanche dich persönlich zurückbringt, Julius. Komm ruhig rein!" Sprach Madame Delamontagne leise auf Julius ein und zog ihn sacht am Arm ins Haus. "Babette, Gabrielle, es geht auch etwas leiser!" Rief sie ins Haus hinein. Wie abgeschaltet verstummte der fröhliche Lärm der beiden Mädchen. Julius zuckte zusammen. Hatte sie wirklich gerade "Gabrielle" gerufen? Babette hatte mit einer Gabi gescherzt. Paßte wohl zusammen.

"Sage erst nichts. Babette kennt den Zeitungsartikel noch nicht. Ich möchte erst wissen, wie Blanche und du ihr das beibringen könnt, ohne daß sie Angst bekommt", flüsterte Madame Delamontagne. Da ritt Julius der Teufel, sein neues Wissen auszuprobieren. Er konzentrierte sich auf etwas wortloses, Meeresrauschen. Dann rief er sich einen blauen Himmel mit Mittagssonne ins Bewußtsein. Dann fühlte er die Behaglichkeit unter diesem Himmel, dachte das Wort Himmel und dann, als würde Madame Delamontagne sprechen:

"Sie kommt gleich auch noch, Madame." Als er es das zweitemal dachte, vermeinte er, es erklänge in einer großen Bahnhofshalle, fast schon einer Kirche. Da wußte er, daß er auch Madame Delamontagne mit Mentiloquismus erreichen konnte.

"So, hat dir die gutgenährte Dame mit dem Strohhut diese Kunst beigebracht, um mit dir unhörbar zu kommunizieren", kam eine ebenfalls lautlose Botschaft bei Julius an. "An für sich lernt man sowas erst in der zweiten UTZ-Klasse, besser danach, außerhalb von Beauxbatons. Komm bitte mit in mein Arbeitszimmer. Ich habe im Moment noch Besuch, wie du gehört haben dürftest."

Julius folgte der Hausherrin in ihr Arbeitszimmer, von wo er im letzten Sommer kurz vor seinem Geburtstag losgefloh-pulvert war, um Minister Grandchapeau über die Atombomben der Muggel zu berichten, und daß Millemerveilles davor geschützt werden sollte. Sie schloß die Tür und sagte nun mit körperlicher Stimme:

"Blanche hat mir von der Nachricht berichtet, die sie von deiner früheren Schulkameradin Gloria bekommen hat. Deshalb ist ja Babette bei mir. Wie geht es dir, Julius?""

"Körperlich super", sagte Julius. "Ich habe nur Angst, ich könnte durch irgendwas zu Weinen anfangen oder einfach nur rumtoben. Wie geht es Ihnen."

"Danke der Nachfrage. Unser zweites Kind bereitet mir bisher außer morgentlicher Übelkeit keinen Verdruß. Ich bin nur immer sehr hungrig und könnte ganze Festtafeln lerrspeisen", sagte die Dorfrätin für gesellschaftliche Angelegenheiten. Sie wies Julius einen Stuhl ihr gegenüber zu und plauderte zunächst mit ihm über das, was vor der Begegnung mit Hallitti so geschehen war. Dann sagte sie:

"Warst du schon bei den Dusoleils? Madame Dusoleil hat mich ja schon zu verhören versucht, ob ich wüßte, was Madame Faucon aus Millemerveilles getrieben hat. Es ist ein wenig peinlich, daß Laurentine bei denen nun auf den Geschmack gekommen ist, Besenfliegen zu trainieren und ich sie nur mit heftigen Drohungen dazu anhalten konnte. Aber kommen wir noch einmal auf den Zeitungsartikel von heute Morgen. Ich finde es respektlos, ohne alles zu recherchieren eine solche Meldung zu verbreiten. Ich war gerade dabei, eine entsprechende Beschwerde an die Redaktion zu schicken, als mein Schwiegervater hier auftauchte und sagte, er würde dich gleich persönlich befragen können. Wer hat ihn informiert? Madame Faucon?""

"Nein, Monsieur Castello", sagte Julius. Dann, nachdem er der Dorfrätin erzählt hatte, was er erlebt hatte und dabei fast wieder geweint hätte, nahm sie ihn in den Arm und sagte ruhig:

"Du konntest es nicht verhindern, daß dein Vater in die Gewalt dieser Bestie geriet. Und was deine Mutter angeht, so frage ich mich auch, wozu ein Familienstandsgesetz existiert, indem Eltern von Zauberern in die Belange der Zaubererwelt eingeweiht werden dürfen, wenn dies jedoch die magische Heilung kategorisch ausschließt."

"Madame Faucon hat mir erzählt, das wäre, um keinen Neid aufkommen zu lassen."

"Tja, diese Begründung reicht leider aus, um diesen Unterabschnitt aufrechtzuhalten. Aber wie sieht es mit dir aus. Hat die Schulheilerin von Thorntails etwas gesagt, ob du gegen die seelischen Folgen deines Erlebnisses behandelt werden sollst oder nicht?"

"Nein, davon hat sie nicht gesprochen", sagte Julius. "Ich versuche, mit der Kiste zu leben. Die Dusoleils wissen es ja schon, was passiert ist, und heute Mittag kommen wohl noch Sandrine, Béatrice und ein paar andere aus meiner Klasse zu den Dusoleils hin", sagte Julius.

"Ich fürchte", setzte Madame Delamontagne an, "daß dies nicht so einfach sein wird. Andererseits kann man das geschehene nicht rückgängig machen."

Julius dachte bei sich, daß ein Zeitumkehrer das vielleicht doch konnte. Doch dann würde es ja zwei Versionen seiner Zukunft geben, und daß sowas nicht einfach so ging hatte ihm der abgesetzte Minister Pole ja unfreiwillig bewiesen. Außerdem würde dort, wo was korrigiert würde, sofort was anderes auftauchen, das vielleicht noch schlimmer war.

"Ich kann doch nicht zu irgendeinem Psychologen hin und dem erzählen, ich hätte gegen eine Dämonenfrau gekämpft, die meinen Vater zu einer Art Zombie gemacht hat. Der würde mich doch sofort ins Irrenhaus stecken lassen", sagte er zu der Dorfrätin.

"Natürlich sollst du nicht zu einem der Muggel hin, die meinen, die Seele gut genug studiert zu haben, daß sie durch reine Ratschläge und unzureichende Anleitungen oder gar Giftstoffe den erlittenen Schaden reparieren zu können meinen. Aber ich denke, bevor das neue Schuljahr losgeht, wäre es günstig für dich, zumindest mit einem berufsmäßigen Heiler über deine Erlebnisse zu sprechen. Den ersten Schritt in die richtige Richtung hast du ja schon getan, indem du dich nicht in dich zurückziehst, sondern zumindest versuchst, mit anderen, denen du vertraust, darüber zu sprechen. Daß Mademoiselle Chermot dich befragt hat kommt mir persönlich zwar ein wenig zu schnell. Allerdings verstehe ich Blanche, daß sie sofort dagegenhalten mußte, weil der Artikel dich zum einen unfair darstellt und zum zweiten die Erwähnung der Ereignisse mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet hat. Es ist doch häufig unverantwortlich, wie rasch Zeitungsleute etwas unters Volk werfen, ohne es gründlich genug auf Echtheit und Folgen abgeklopft zu haben. Zumindest ist Mademoiselle Chermot weitestgehend wahrheitstreu, wie ich aus meinen bisherigen Erfahrungen mit ihr weiß. Andernfalls wäre sie wohl kaum im letzten Jahr von mir eingeladen worden, das Schachturnier zu beobachten."

"Na ja, was sie vor einem Jahr nach Ostern über mich geschrieben hat war ja auch nicht gerade Rücksichtsvoll", entgegnete Julius.

"Ich denke, Blanche wird sehr genau darüber wachen, was von dem, was du der Dame vom Miroir erzählt hast, in welcher Weise verwertet wird. Aber zurück zu meinem Einwand, daß du vielleicht mit einem unserer Heiler über das sprichst, was du erlebt hast. von einem Moment zum anderen um mehrere Jahre älter zu werden ist nicht so leicht wie es zunächst aussieht. Du hast deinen Vater verloren, über dessen Schicksal dir vorher niemand etwas sagen wollte, was ich persönlich auch für sehr respektlos gegenüber dir halte. Wahrscheinlich wird deine Mutter sich darauf berufen, sie habe dich vor schlimmen Neuigkeiten schützen müssen, da du im fraglichen Zeitraum gerade in Beauxbatons hineinfinden mußtest, und Catherine wird womöglich darauf pochen, daß sie die Wünsche deiner Mutter respektieren mußte, weil sie zunächst ja davon ausging, es sei ein reines Muggelproblem und daher die Angelegenheit deiner Mutter. Außerdem hast du Dinge erlebt, die dich sehr stark aufgewühlt haben, von der Enthüllung des Schicksals deines Vaters, über die Konfrontation mit jener Kreatur, diesen Hexen und Zauberern, bis hin zu der Sitzung im Zaubereiministerium. Dann kommt noch das Verbrechen an deiner Mutter hinzu, dessen Auswirkungen noch nicht gänzlich abzusehen sind. All das ist für dich alleine sehr schwer zu tragen. Am besten arrangierst du es mit Catherine, daß sie mit dir die Delourdes-Klinik besucht, um das zu erörtern, ob und wie man dir dabei helfen kann, damit weiterzuleben."

"Och, das wäre doch einfach. Die entsprechenden Erinnerungen werden gelöscht oder memorextrahiert", erwiderte Julius bissig.

"Ich denke, dir wäre damit nicht geholfen, wenn dir wichtige Erlebnisse aus dem Gedächtnis entnommen werden. Auch wenn es das bislang schlimmste Erlebnis deines Lebens ist, ist es für deine Entwicklung wichtig, es nicht einfach zu vergessen, sondern zu lernen, damit zurechtzukommen."

Julius grübelte. Das klang jetzt zunächst gemein. Doch als er genauer darüber nachdachte fiel ihm auf, daß er das irgendwo schon einmal vorgeführt bekommen hatte, daß es einem Menschen nichts brachte, wenn er von seinen schlimmsten Erlebnissen erlöst wurde. Er raunte:

"Star Trek fünf, am Rande des Universums."

"Wie bitte?" Erwiderte Madame Delamontagne. Julius erzählte ihr darauf, daß in diesem Film ein Mann vom Planeten Vulkan Menschen durch Geistesmanipulation von ihren schlimmsten Erinnerungen erlöste und sie damit zu glückseligen Anhängern von sich machte. Nur Kirk habe ihm diese Prozedur verweigert, weil er sich sicher war, daß große Schmerzen zum Leben eines Menschen dazugehörten, ein Teil von ihm selbst waren, ohne den er nicht mehr derselbe war. Madame Delamontagne nickte. Dann sagte sie:

"Zum gewissen Teil ist die Erinnerungsentnahme schon sehr hilfreich, um den Kopf von schweren Gedanken freizumachen, die dann aber sorgsam aufbewahrt und für den, der sie gedacht hat immer wieder betrachtbar sein sollten. Wahrscheinlich hat Madame Faucon dir und den Siebtklässlern ein Denkarium vorgeführt. Aber soetwas ist nicht einfach herzustellen und wird auch längst nicht jedem zugestanden, auch wenn er oder sie gerne soetwas hätte. Ich selbst habe einmal angefragt, ob ich ein derartiges Gefäß bekommen könne und wurde mit der Begründung abgewiesen, es sei für eine Dorfrätin nicht so dringend nötig, da ja in Millemerveilles nichts passiert, was eine Auslagerung schwerer Erinnerungen oder Gedanken zur späteren, geordneten Betrachtung erfordere. Aber diese Geistesverschmelzungstechnik, von der du mir gerade erzählt hast, könnte ein Weg sein, besser zurecht zu kommen, wenngleich, daß zeigt diese Muggelfiktion ja anständigerweise auch, die Versuchung zu groß wäre, damit Unfug zu treiben. Wie gesagt, Julius, kläre es mit Catherine ab, ob und wie du die Hilfe eines Heilzauberkundigen in Anspruch nehmen solltest. Antoinette Eauvive hat kompetente Mitarbeiter, die gerade im Bereich seelischer Verletzungen großartiges leisten können. Wäre es an mir, würde ich Hera Bitten ..."

Es läutete an der Tür.

"Erwarten Sie noch Besuch oder könnte es Madame Faucon sein?" Fragte Julius.

"Ich sehe nach. Bleib du erst einmal hier!" Sagte Madame Delamontagne und erhob sich. Julius blieb auf seinem Stuhl sitzen, die unerschöpflich gezauberte Wasserkaraffe auf dem Schreibtisch war bereits wieder randvoll, und die Wanduhr mit goldgerahmtem Ziffernblatt aus Ebenholz und den goldenen Zeigern tickte beharrlich eine Sekunde nach der anderen des Tages fort.

"Lupus in Fabula", Flüsterte Madame Delamontagnes Stimme in seinem Kopf. Dann hörte er die Dorfrätin, wie sie zu ihm zurückkam. Sie war nicht alleine.

"Hallo, Madame Matine", grüßte Julius leise. Dann sah er noch Heilerin Rossignol, die leise hinter seiner Erste-Hilfe-Lehrerin hereinkam und die Tür schloß.

"Hallo, Julius", grüßte die Beauxbatons-Schulheilerin. Er hätte es sich denken können, daß sie es sofort mitbekam, wenn er wieder in Frankreich war.

"Hallo, Madame Rossignol", grüßte Julius. Dann sah er Madame Matine an. "Sind Sie meinetwegen hier oder wegen Madame Delamontagne?"

"Madame Delamontagne habe ich gestern erst besucht, Julius. Meine Kollegin berichtete mir gestern Abend, du seist in etwas sehr übles hineingeraten. Sie sieht es als ihre Pflicht, dich nicht ohne professionelle Unterstützung zu lassen und hat mich beauftragt, eine Anamnese zu erstellen und zu prüfen, ob und wie jemand aus unserer Zunft dir helfen kann, ohne dich aus deinem Lebensablauf herauszulösen", sagte Madame Matine. Schwester Florence nickte bestätigend.

"Darüber sprachen wir just gerade", berichtete Madame Delamontagne. Julius verzog zwar das Gesicht und starrte Madame Rossignol verstimmt an. Doch sie sah ihn mit einem zur Vorsicht gemahnenden Blick an und lächelte dann wie eine herzensgute Großmutter.

"Ihr habt gerade Besuch?" Fragte Madame Matine.

"Madame Delacour ist mit ihrer jüngeren Tochter hier. Gabrielle spielt mit Babette und Madame Delacour unterhält sich mit Virginie über die Abteilung für Zauberwesen, wo sie nach Beauxbatons arbeiten möchte. Für mich ist das eine gute Entlastung. Babette ist ein sehr energievolles Mädchen und Gabrielle hätte sich wohl gelangweilt", erklärte Madame Delamontagne.

"Hmm, Babette hat den Jungen noch nicht gesehen?" Fragte die Heilerin und erfahrenste Hebamme von Millemerveilles. Die Dorfrätin schüttelte den Kopf und sagte nein.

"Wo kann ich mich in Ruhe mit ihm befassen?" Fragte Hera Matine. Da juchzte und polterte es draußen vor der Tür. Offenbar spielten die Mädchen gerade Fangen.

"Am Besten bleibt ihr hier in diesem Raum. Ich verkleinere den Schreibtisch und ziehe einen Sichtschutz auf", sagte Madame Delamontagne und ließ den Schreibtisch mit dem Decinimus-Zauber auf genau ein Zehntel seiner Größe zusammenschrumpfen und mit einem wortlosen Bewegungszauber auf den Kaminsims fliegen. Dann hielt sie den Zauberstab auf der Höhe ihrer Augen so, daß er waagerecht zum Boden ausgerichtet war und drehte ihn aus dem Handgelenk von rechts nach links. Dabei murmelte sie: "Creato Paraventum!" Da, wo der Zauberstab entlanggependelt war, stieg eine silberne Nebelwand vom Boden auf, die sich innerhalb eines Lidschlages zu einer bunten Trennwand aus Seidenpapier mit glitzernden Scharnieren verdichtete, hinter der die Dorfrätin nun völlig unsichtbar wurde. Im gleichen Moment, wo Madame Delamontagne einen Wandschirm heraufbeschwor, ließ Madame Matine ein Bett mit weißen Laken und flauschigen Kissen im Raum erscheinen. Julius sah sie an. Sie sagte:

"Dann leg bitte alles ab, was du ablegen kannst, damit ich deinen körperlichen Zustand prüfen kann!" Julius befolgte die Anweisung. Als die Heilerin ihn wortwörtlich von Kopf bis Fuß untersucht hatte und er seine Sachen wieder anziehen durfte, sagte sie zu ihm: "Körperlich ist mit dir alles in Ordnung, wenn ich auch empfehlen möchte, daß du Antiaknelösungen beschaffst und regelmäßige Mahlzeiten einhältst, wobei du beim Frühstück ruhig etwas mehr als üblich zu dir nehmen darfst. Das Wachstum deines Körpers verläuft jetzt zumindest normal, nach der Balance zwischen aufbauenden und abbauenden Vorgängen in deinem Körper. Du kannst den Wandschirm wieder entfernen, Eleonore!"

"Renihilis!" Hörte Julius Madame Delamontagnes Stimme. Mit einem lauten Knall löste sich die bunte Trennwand in Luft auf, und die Dorfrätin kam wieder zum Vorschein.

Julius setzte gerade an, seine Geschichte zu erzählen, als es wieder an der Tür läutete. Madame Delamontagne entschuldigte sich und ließ die zwei Heilhexen mit ihrem Patienten im Arbeitszimmer zurück.

"Das ist Madame Faucon", sagte Julius.

"Es würde zu sehr auffallen, wenn zu viele Leute im Arbeitszimmer Ihrer Nachbarin zusammensitzen, Hera. Ich werde mich wieder empfehlen", verkündete Madame Rossignol und verabschiedete sich von Julius. Da trat Madame Delamontagne ein.

"Blanche ist bei den Mädchen. Sie kennt ja die Schilderungen des Jungen", sagte sie.

Nachdem Julius nun zum fünften Mal erzählt hatte, was er erlebt hatte, sagte Madame Matine:

"Sehr schwerwiegend. Deine Mutter ist also in den Händen dieser Muggel-Knochenflicker? Tja, die Heilervorschriften sind da leider unumstößlich. Ich hoffe, die eingeschränkte Heilkunst der Ärzte reicht vollkommen aus, sie wiederherzustellen. Was dich angeht, so denke ich, ist es wohl sehr wichtig, daß du möglichst rasch in einen geregelten Alltag zurückfindest und vor allem immer von Leuten umgeben bist, mit denen du im Bedarfsfall alles besprechen kannst. Ich denke, eine weiterführende Therapierung ist nur dann nötig, wenn du unter direkten Spätfolgen zu leiden beginnen solltest, wiederkehrende Alpträume, unbeherrschbare Gefühlsschwankungen, Aggression auf Grund von Auslösern, die deine Erlebnisse im Unterbewußtsein verankert haben. Ich denke nicht, daß ein längeres Herumdiskutieren über deine Kindheit, was du bisher erlebt hast und was du dabei alles gefühlt und gedacht hast dir wirklich etwas einbringt, sofern es keine konkreten Auffälligkeiten gibt. Du hast etwas traumatisches erlebt, daß vielleicht deine weitere Lebensführung beeinflussen kann. Aber zum jetzigen Zeitpunkt sehe ich keinen Bedarf für heilkundliches Handeln. Dennoch möchte ich deiner Fürsorgerin gerne einige Empfehlungen mitgeben und ihr und dir Kollegen in der Delourdes-Klinik benennen, die im konkreten Fall helfen können."

"Mehr ist jetzt nicht?" Fragte Julius, der dachte, daß Muggel-Psychologen oder Psychiater ihn sofort in ein Sanatorium geschickt oder mindestens teure Sitzungen jede Woche verschrieben hätten.

"Wie gesagt, ich werde mir genau überlegen, was du machen kannst, damit du dein bisheriges Leben uneingeschränkt fortsetzen kannst. Ich könnte auch hingehen und die Bilder und Eindrücke, die du in jener Nacht aufgenommen hast memorextrahieren, um mir ein genaueres Bild zu machen. Aber ich finde, du solltest bestimmen, wieviel du von deinen Erlebnissen preisgibst oder nicht. Auf jeden Fall ist es gut, daß du diese Selbstbeherrschungsformel kennst, mit der du dich von deinen Ängsten freimachen kannst, bevor sie dich zu unkontrollierbaren Handlungen treiben. Ich schreibe dir und Madame Brickston was auf, das du wohl problemlos umsetzen kannst, um dich selbst zu therapieren, ehe etwas wirklich akutes eintreten mag."

"Sind da auch Zaubertränke bei?" Fragte Julius.

"Nein, im Moment auf jeden Fall nicht. Diese Maßnahmen ergreife ich nur, wenn jemand schweren Schaden erlitten hat. Du bist zwar sehr nah an einem solchen Schaden entlanggeschrammt, kamst aber noch glimpflich davon. Verlustschmerzen müssen wir alle im Leben einmal hinnehmen. Die sind an sich kein Grund für heilkundliche Maßnahmen. Sicher sind Mord und versuchte unterwerfung sehr ungewöhnliche Urheber für solche Schmerzen, können aber mit einer gewissen Behutsamkeit ausgeglichen werden."

"Gib Blanche deine Empfehlungen mit, Hera!" Sagte Madame Delamontagne. "Aber was sagst du, wie Julius sich Babette zeigen soll?"

"An für sich so schnell wie möglich", erwiderte Madame Matine. "Immerhin lebt er ja in unmittelbarer Nähe und sieht sie wohl jeden Tag." Dann verfiel die Heilerin ins Grübeln. Als sie damit fertig war sagte sie: "An und für sich wäre es nicht schlecht, wenn du nicht nur in Paris bleibst, Julius. Sicher, nur Spaß alleine würde dir nicht unbedingt darüber hinweghelfen, zumal ja deine Mutter noch nicht gesund geworden ist. Aber ich fürchte, in Paris selbst hast du weniger Möglichkeiten, mit anderen Jugendlichen oder mit erwachsenen Hexen und Zauberern in dein gewohntes Leben zurückzufinden. Dieser Zeitungsartikel ist nun in der Welt. Die Leser des Miroir werden wissen, daß dir etwas sehr einschneidendes widerfahren ist. Einige werden meinen, es sei Mitleid angebracht, andere werden dich für aus der Bahn geworfen halten, wieder andere werden dich um deinen neuen Körper bestaunen oder beneiden. Hmm, könnte dir passieren, daß junge Mädchen dir nun avancen machen, die dich vorher nicht zur Kenntnis genommen haben. Du solltest auf jeden Fall nicht darauf verfallen, sexuelle Bedürfnisse oder Handlungen seien grundweg böse, nur weil diese Kreatur deinen Vater damit unterworfen hat und dich beinahe auch unterjocht hätte. Die Empfehlung gebe ich dir besser sofort mit, damit andere nicht meinen, dich damit aufziehen zu müssen, daß du ja einen dauerhaften Schaden von dieser Kreatur davongetragen hast."

"Im Moment habe ich doch eine feste Freundin", wandte Julius ein. "Die kennt meine Geschichte auch schon."

"Das ist nicht verkehrt. Falls etwas passiert, das eure Beziehung stören könnte, habt ihr dann zumindest eine Möglichkeit, euch zu unterhalten", sagte Madame Matine. Madame Rossignol fügte dem noch hinzu:

"Das Problem wird wohl auch eher außerhalb von Beauxbatons relevant, Hera. Für die anderen Sachen, die auf Grund dieser Ereignisse auftreten könnten biete ich mich schon einmal als Ansprechpartnerin an, beziehungsweise, ich weise dich hiermit an, sofort zu mir zu kommen, wenn irgendwas mit dir los ist, das nicht mit dem üblichen Schulbetrieb erklärt werden kann."

"Wir haben Ferien", versetzte Julius. Die Schulheilerin sah ihn tadelnd an und mußte dann überlegen lächeln.

"Du wärest bestimmt nicht hier, wenn du nicht auch in den Ferien den Pflegehelferschlüssel am Körper trügest, junger Mann. Seine Magie und die von ihm an mich übermittelten Aktivitäten haben dir aus der Patsche geholfen. Vergiss das bloß nicht. Ich will zwar nicht sagen, daß du mir gehörst, solange du das Armband trägst. Aber ich bin und bleibe solange du es trägst für dich verantwortlich und dir gegenüber weisungsberechtigt, auch in den Ferien. Deshalb habe ich ja auch ohne Absprache mit Madame Brickston Madame Matine zu dir gebracht, damit sie als Fachkollegin deine Lage kennenlernt und außerhalb der Schule tätig wird, wenn etwas anliegen sollte. Aber ich denke, ich werde nun nicht mehr benötigt. Danke, Julius, daß du mir auch deine Geschichte erzählt hast. Wir sehen uns dann in Beauxbatons wieder." Dann mentiloquierte sie noch: "Am besten übst du diese Kunst im Rahmen der dafür gültigen Regeln mit deiner magischen Fürsorgerin."

Sie verließ den Raum und das Haus. Julius wurde nun aufgefordert, zu Babette hinzugehen, die wohl gerade mit Fleurs kleiner Schwester im Garten spielte, zwischendurch von Madame Faucon zur Ordnung gerufen. Als Julius gerade zur Gartentür hinauswollte, trat eine überirdisch schöne Frau in einem wasserblauen Sommerkleid aus dem Zimmer, in dem Virginie Delamontagne wohnte. Ihr langes, silbrigblondes Haar umspielte ihren Rücken so zart wie Luft, und ihre strahlendblauen Augen blickten warm und freundlich auf Julius herunter. Mit einem Lächeln, das jedes Zahncremewerbemodell vor Neid erblassen machen konnte, begrüßte sie Julius. Sie schien nicht sonderlich erschüttert von seinem jetzigen Aussehen, eher beeindruckt, ja angetan. Erkannte sie ihn vielleicht nicht mehr?

"Guten Tag, Monsieur Andrews", Sprach sie mit einer sehr warmen, weichen Stimme. Julius fühlte unmittelbar, wie eine starke, ihn durchdringende Ausstrahlung von Anmut und Begehren durchdrang und fast in jene wohlige Trance versetzte ...

"Hallo, Madame Delacour", stieß er schnell hervor, als er die Wirkung der Veela-Aura abschüttelte und die Besucherin nicht mehr so direkt ansah. Dabei dachte er: "Was mich stört verschwindet." Dann fiel ihm ein, daß es wohl unangebracht war, diese Hexe als Störung zu sehen, die eine Veela, eine überirdisch schöne Zauberkreatur in der Verwandtschaft hatte.

"Oh, entschuldigung, Julius. Ich war mir nicht bewußt, daß dich meine Nähe so heftig erschüttern muß, nach dem, was dir widerfahren ist", sagte Madame Delacour. "Ich bin die, die sich beherrschen muß, nicht du. Sieh mich ruhig an! Ich bin keines dieser abartigen Geschöpfe." Das Ende des letzten Satzes sprach sie mit unüberhörbarer Verachtung aus. Julius wußte, es war unhöflich, mit jemandem zu sprechen, ohne ihm dabei das Gesicht zuzuwenden. So sah er die Mutter Fleurs wieder genau an. Zwar war sie immer noch schön wie eine Prinzessin aus dem Märchenbuch - oder eher eine Feenkönigin -, aber der Zauber den sie sonst verströmte wirkte nicht mehr auf ihn ein. Natürlich wußte er, daß die Veelas oder von ihnen abstammende Hexen diese Wirkung kontrollieren konnten. Fleur hatte ihm das auf der Reise von Hogwarts nach Beauxbatons und im letzten Jahr beim Sommerball bewiesen. Immerhin hatte er einmal mit ihr getanzt, etwas was Ron Weasley sich nur hatte erträumen dürfen.

"Bestellen Sie bitte Ihrer älteren Tochter, daß sie absolut recht hatte, Mr. Hardbrick ein paar runterzuhauen", war das einzige, das Julius gerade einfiel. Madame Delacour sah ihn etwas verstimmt an, mußte dann aber lachen, glockenhell wie eine Opernsängerin.

"Fleur ist ja jetzt häufiger in England, bei der Familie ihres Verlobten. Ich weiß zwar nicht, was sie an diesem Burschen findet, kann und werde ihr da aber auch nicht dreinreden. Aber du hattest wohl eine harte Woche, wie?"

"Vor einer Woche wußte ich nicht einmal, was mein Vater in den letzten drei Monaten gemacht hat, und jetzt ist er nicht mehr da", sagte Julius. Virginie tauchte hinter Madame Delacour auf, die schlank, biegsam und hochgewachsen, mit ausgeprägten Rundungen und geschwungenem Becken dastand. Sie versuchte, an der Besucherin vorbeizuschlüpfen, die aber wie aus einer geschmeidigen Tanzbewegung heraus ihren Körper nach hinten schob und Madame Delamontagnes Tochter zurückdrängte.

"Na, Mademoiselle Virginie. Das gehört sich nicht für eine erwachsene Dame, eine andere Dame bei einer Unterhaltung mit einem jungen Herren derartig anzurämpeln", sprach sie mit einer Mischung aus Tadel und Erheiterung. Dann sagte sie noch: "Ich hoffe, das was in der Zeitung steht stimmt nicht ganz. Oder mußtest du deinen eigenen Vater töten?"

"Nein, habe ich nicht. Jemand, den ich nicht kenne und der sich schnell wieder abgesetzt hat hat mich da rausgeholt. Dabei ist mein Vater wohl gestorben, weil das Monster vernichtet wurde. Ich habe ihn nicht getötet, weder aus Absicht noch aus Notwehr", antwortete Julius etwas verärgert. Madame Delacour sah ihn abbittend an, sodaß er fast meinte, ihre Veela-Aura würde ihn wieder erfassen. Dann sagte sie:

"Das habe ich gehofft. Diese Schreiber haben das nur behauptet, weil sie mit dem wenigen an Nachrichten nichts wesentliches anfangen konnten. Ich entschuldige mich für diese Frage."

"Angenommen", erwiderte Julius nur und sah dann Virginie an. Diese lächelte ihn an. Sie trug ihr strohblondes Haar nicht als Zopf, sondern ließ es beinahe offen herabhängen. Nur im Nacken wurde es von einer sonnengelben Seidenschleife zusammengehalten.

"Hallo, Julius. Als das heute in der Zeitung kam haben Maman und ich schon gefürchtet, dieser Fluch, mit dem die dich getroffen hat würde dich jetzt schnell uralt werden lassen. Aber offenbar haben die anderen Mädchen, die um dich rumstanden keine Probleme mit dir. Ich denke, Claire wird wissen wollen, was du genau erlebt hast und wer die anderen Mädels waren, außer Gloria, die ja schon viele hier gesehen haben."

"Claire war heute morgen schon bei Madame Faucon und mir, zusammen mit ihren Eltern. Die kennt die Geschichte schon. Aber bitte verlange nicht von mir, dir die jetzt noch mal zu erzählen. Es sei denn, es stimmt, daß ständiges Wiederholen irgendwann abstumpft. Aber ich denke, die schnelle Chermot wird das heute noch in ihr Blatt reindrücken, was ich erlebt habe. Die hat schon ein Exklusiv-Interview von mir bekommen."

"Oh, dann kriegen wir wohl heute eine dickere Extraausgabe. Bleibt ihr zum Mittag hier oder wollt ihr Babette endlich mitnehmen?"

"Endlich? Ist sie dir auf den Keks gegangen?" Fragte Julius amüsiert. Virginie nickte verhalten und meinte:

"Wenn ich mir vorstelle, daß Maman im nächsten Frühling selbst sowas ins Haus bringt war's vielleicht 'ne gute Übung für später. Aber ansonsten ist die schon etwas schwierig. Die wuselt rum und will andauernd was anstellen. Papa hat sich beeumelt, Maman kam mit den Anweisungen nicht nach und Gigie mußte andauernd hinter ihr aufräumen. Die ist ja auch nicht mehr die jüngste. Tja, und Madame Delacour hat dann heute morgen Gabrielle mitgebracht. Da wurde es dann noch lauter und quirliger."

"Meine Tochter liebt es, mit anderen Kindern zu rangeln und den Ton anzugeben", sagte Madame Delacour belustigt grinsend.

"Julius, komm bitte zu uns heraus!" Klang Madame Faucons Stimme durch die Tür zum Garten. Er entschuldigte sich bei den beiden Hexen und durchschritt die gläserne Tür und betrat den weitläufigen Blumen- und Obstgarten. Ein bunter Schmetterling schwebte gerade über einer Rosenblüte und sog wohl mit seinem ausrollbaren Rüssel den Nektar daraus. Vogelgezwitscher und das Zirpen von Grillen war die Musik dieses Ortes. Madame Delacour und Virginie folgten Julius. Fleurs und Gabrielles Mutter holte ihn ein und schritt an seiner rechten Seite einher, bis sie kurz vor dem großen Schachbrett aus Marmor auf Madame Faucon, Madame Delamontagne, Babette und Gabrielle trafen. Gabrielle trug ein rosafarbenes Kleidchen und rote Schuhe, die Julius an die Geschichte mit dem Zauberer von Oz denken ließen. "Es gibt keinen Ort wie zu Haus." Ihr Haar war zu einem langen Zopf geflochten. Babette hingegen hatte ihr schwarzes Haar losgebunden und ließ es wild um ihre Schulter wehen. Als sie Julius ansah, verdrehte sie die Augen, als wolle sie erst nicht glauben, daß sie das sah. Dann erkannte sie ihn wohl und sah ihn beklommen an.

"Babette, keine Sorge, das ist nicht ansteckend", sagte Julius, der sich überlegt hatte, was er Babette zuerst sagen würde, wenn sie ihn sah. Dabei lächelte er sie an. Sie lächelte zurück und kam auf ihn zu.

"Eh, wie hast du das denn gemacht. Altmachertrank oder war's ein Fluch oder was?" Wollte sie wissen.

"Ja, ein böser Zauber von einer ganz bösen Frau, die wollte, daß ich mit ihr Sachen anstelle, die ich nicht wollte", sagte Julius. Komisch, für Babette fand er einfachere Worte als für das Interview. Vielleicht wollte er auch nur nicht diesem Mädchen erklären müssen, was genau ihm alles passiert war. Doch als sie fragte, wo seine Mutter denn geblieben sei, mußte er schlucken. Wie erzählte man einer Neunjährigen, daß der Vater tot und die Mutter von Gangstern ins künstliche Koma versetzt worden war, ohne ihr echte Angst zu machen? Madame Faucon sprang ihm bei:

"Babette, wenn er dir das alles erzählt, was ihm passiert ist, bekommt er Ärger mit deiner Maman, weil er dir unnötige Angst macht. Also lass ihn bitte in Ruhe. Er ist halt etwas größer geworden, weil ihn eine wirklich böse Zauberfrau, keine Hexe, zu verwünschen versucht hat. Julius Maman ist krank geworden und muß erst richtig gesund werden, bevor deine Maman sie nach Hause holen kann."

"Ui", sagte Babette, als Julius nickte. "Konntest du da nichts machen?"

"Die war mir zu stark", sagte Julius, der nun fühlte, wie ihn diese Erkenntnis wieder an den Rand von Wut oder Traurigkeit drängte. Um sich wieder zu fangen sagte er nur: "Ich fliege heute Abend mit dir nach Paris zu deiner Maman und deinem Papa. Die habe ich drüben getroffen. Ich soll dich schön grüßen."

"Wollt ihr jetzt zu den Dusoleils oder wollt ihr bei uns zu Mittag essen?" Fragte Madame Delamontagne.

"Wir gehen zu Camille und Florymont", legte Madame Faucon fest und winkte Babette zu sich heran. "Willst du deine Haare so wild lassen, meine Kleine?"

"So hat Gabi die doch auch gehabt, als sie mit ihrer Maman herkam", gab Babette trotzig zurück.

"Ja, aber du bist nicht Gabrielle, und sie hat auch ordentliche Haare", stellte Madame Faucon Klar, griff Babette und hantierte mit ihrem Zauberstab hinter ihrem Kopf. Wie von flinken Geisterhänden wurde die wilde Mähne erst durchgekämmt und dann zu zwei strammen Zöpfen geflochten. Babette verzog einmal ihr Gesicht, weil es wohl ein paarmal ziepte. Dann sagte ihre Großmutter: "So, meine Kleine, so kann ich dich deiner Maman wiedergeben, sonst denkt sie nachher noch, ich würde dich zu einem unordentlichen Balg machen. Julius, nimm deinen Besen und fliege hinter uns her! Noch mal schönen Dank, Eleonore, daß du das kleine Bündel Leben behütet hast. Auf Wiedersehen, Virginie! Madame Delacour, bitte grüßen Sie den Rest Ihrer Familie!"

"Auf Wiedersehen die Damen!" Wünschte Julius in die Runde und bestellte Madame Delacour dasselbe wie Madame Faucon. Dann holte er seinen Ganymed 10, saß auf und wartete, bis Madame Faucon und Babette auf einen Besen gestiegen waren und starteten. Er stieß sich ab und hätte die Großmutter und ihre Enkelin schon in der ersten Sekunde überholt, wenn diese nicht sofort gerufen hätte:

"Hinter mir her heißt nicht vor mir davon, Julius. Du hattes heute Morgen deinen Spaß mit dem Besen. Wir fliegen gesittet zu den Dusoleils."

"Woher will die wissen, was ich mit dem Besen angestellt habe?" Dachte Julius verstimmt. Doch er blieb schön hinter der Lehrerin und ihrer Enkeltochter, bis sie im Garten der Dusoleils ankamen. Dort warteten nicht nur die Hausbewohner zusammen mit Laurentine, sondern auch Sandrine Dumas mit ihrem Freund Gérard, Céline Dornier mit ihrem Freund und Klassenkameraden Robert Deloire, sowie Béatrice aus dem Gelben Saal, Hercules Moulin, auch ein Klassenkamerad von Julius, sowie die Lagranges, die hier wohnenden und ihre Verwandten aus Callais.

Alle sahen Julius an, dem dabei zunächst nicht ganz wohl war. Doch als sie beim Mittagessen saßen, und Julius zunächst die weniger grauenhaften Dinge aus Amerika berichtete, verging das wieder. Nach dem reichhaltigen Essen fragte Monsieur Dusoleil, wer Interesse an magischen Spielzeugen wie kleinen Messingdrachen, die statt Feuer Wasser spuckten, aufs Wort hörende Minibesen, die herumfliegen konnten oder singende Blumen hatte. Babette, die wohl ahnte, daß Julius gleich seine Geschichte mit der ganz bösen Zauberfrau erzählen würde, wollte zunächst wohl nicht so recht. Als Denise aber sagte, daß da auch andere Kinder hinkamen, wie Gabrielle Delacour oder die Enkel von Madame Pierre, ging sie darauf ein. Wenn sie wieder zu Hause war würde sie öfter im Haus rumhängen oder in einer total verstänkerten Stadt rumlaufen, wo sie nicht auf einem Besen fliegen durfte. So folgten die jüngsten Mädchen dem Zauberkunsthandwerker, der den Familienbesen bühnenreif herbeirief und flogen mit ihm davon zu seinem Lager, wo er die verkaufsfertigen Sachen aufbewahrte. Als sie fort waren erzählte Julius den nicht so ganz kindgerechten Teil seiner Amerika-Abenteuer. Die Jungen aus seiner Klasse schluckten einmal, als er seinen Vater beschrieb, wie er zu einem uralten Mann geworden war. Die Mädchen sahen sich immer wieder an, als er erzählte, daß Hallitti ihn fast rumgekriegt hätte. Alle wirkten betroffen, als Julius erzählte, daß seine Mutter gerade im Krankenhaus der Muggel lag und sein Vater wohl bei dem Kampf zwischen der Abgrundstochter und diesen merkwürdigen Rettern getötet worden war. Alles in allem war es wohl richtig gewesen, ihnen das jetzt zu erzählen, wo noch Ferien waren und viele von ihnen die Zeitung gelesen hatten. Sandrine fragte einmal:

"Heißt das jetzt, du magst es nicht mehr, von einem Mädchen in die Arme genommen zu werden, weil dieses gemeine Biest so ihre dunklen Kräfte gewirkt hat?"

"Ich habe mal gelernt, daß wenn zwei das gleiche machen das nicht dasselbe ist, Sandrine. Nein, sie hat mir das wohl nicht kaputtgemacht. So'ne Sabberhexe, die wohl von einem kanadischen Zauberer gute Manieren gelernt hat, hat mich das auch schon gefragt." Sandrine rümpfte die Nase. Julius erkannte da erst, daß er sie und auch Claire gerade mit einer Sabberhexe gleichgesetzt hatte. "Aber die hatte das natürlich gerade nötig, mich sowas zu fragen, weil sie, wie sie mir erzählt hat, in zwei Monaten wieder rollig oder läufig wird. Ich versteh das schon so, daß du dir Sorgen gemacht hast, ich wäre jetzt total verdorben und kein normaler Junge mehr."

"Du kannst ja eine Gelbe auch nicht mit einer Grünen gleichsetzen", feixte Hercules, der offenbar schnell weggesteckt hatte, daß Julius etwas ziemlich heftiges hinter sich hatte und bestimmt nicht so einfach darüber wegkommen würde.

"Eh, hercules, pass ja auf was du sagst!" Fauchte Céline und drohte mit ihren langen Fingernägeln. Claire, die neben Julius am Tisch saß, meinte:

"Es ist ja auch ein Unterschied, ob man mit jemandem essen oder ihn auffressen will."

"Mademoiselle Dusoleil, beherrschen Sie sich!" Zischte Madame Faucon leicht errötend. Doch Madame Dusoleil sagte:

"Blanche, sie hat recht. Ich denke, Julius ist klug und stark genug, zu lernen, daß eine Hexe keine Abbgrundstochter ist und er keine Angst vor ihrer Liebe haben muß. Oder möchtest du ernsthaft, daß er ein Opfer von Zwängen und Ängsten wird und absolut kein schönes Leben mehr haben kann? Ganz bestimmt nicht."

"Camille, ich kritisiere nicht die Absicht, sondern nur die Ausdrucksweise, die deine Tochter geäußert hat", rechtfertigte Madame Faucon ihren Tadel. Belisama, die rechts von Claire und Laurentine saß, sagte:

"Auf jeden Fall gehst du jetzt auch für sechzehn durch. Kann auch mal lustig sein."

Julius wußte, worauf das Mädchen mit dem honigfarbenen Haar anspielte. Er selbst hatte ja vor einem Jahr beim Sommerball geglaubt, Belisama sei bereits sechzehn Jahre alt und würde sich wohl eher langweilen, mit ihm zu tanzen, wo es genug ältere Jungs gab, die liebendgerne mit ihr auf's Parkett gehen wollten.

"Ja, aber im Moment fühle ich mich in der Klasse in der ich bin noch besser aufgehoben", sagte Julius rasch, weil Madame Faucon Belisama merkwürdig ansah.

"Schon heftig genug, daß sie dich nächstes Jahr schon auf ZAG-Stärke ackern lassen wollen", wisperte Robert Julius zu, der links von ihm saß, flankiert von seiner Freundin Céline.

"Werden Sie ja nicht impertinent, Monsieur Deloire!" Warnte ihn Madame Faucon. "Ich werde es sehr begrüßen, wenn Julius sich im nächsten Jahr auf dem hohen Niveau hält, das er dieses Jahr schon erreicht hat."

"Ich habe doch nur gesagt, daß er das machen muß, nicht daß er das lassen soll", wehrte sich Robert.

"Das bitte ich mir auch aus", entgegnete Madame Faucon. Madame Dusoleil warf ein:

"Blanche, die Kinder haben Ferien. In zwei Wochen und ein paar Tagen kannst du ihnen in unserem Namen wieder alles beibringen, was sich gehört."

"Ferien vom Anstand gibt es nicht, Camille. Auch wenn du das vielleicht findest."

"Zumindest habe ich mal das Laveau-Institut besucht, bin mit einem blauen Überlandbus gefahren, war kurz mal in Thorntails und habe Quodpot ausprobiert und mir ein echt langes, starkes Spiel angesehen. Das war die Reise schon wert. Ja, und daß ich jetzt weiß, was mit meinem Vater los war, war auch nötig. In Paris wollte mir das ja keiner erzählen, und Madame Faucon hat es wohl auch nicht gewußt", sagte Julius

"Sonst hätte ich dich auch nicht gehen lassen oder wäre gleich mitgekommen", bekräftigte Madame Faucon.

"Schon heftig, wenn einem die Leute um die Ohren knallen, der eigene Vater soll'n Mörder sein", bemerkte Hercules. "Kann mir vorstellen, daß meine Ma mir sowas nie erzählen würde, wenn es passieren sollte. Wundere mich nur, daß Muller und die anderen Muggelstämmigen das nicht vorher mitgekriegt haben."

"Damit meinst du wohl mich, Hercules", reagierte Laurentine. "In den Weihnachtsferien war ich nicht zu Hause, und danach haben die mir auch nichts erzählt. Wahrscheinlich wollten sie nicht, daß ich gegenüber Julius oder den Lehrern was falsches rauslasse. Bei Muller wird's wohl ähnlich gelaufen sein. Denn sonst hätte der es echt brühwarm rumgereicht."

"Ja, und ich hätte ihm wohl eine geballert", kommentierte Julius diese Vermutung. "Sein Glück, daß er das nicht rausgekriegt hat. Wäre vielleicht auch bei mir besser gewesen, wenn ich das nicht hätte wissen wollen."

"Das ist doch Unsinn, Juju", flüsterte Claire. "Das war dein Vater. Natürlich wolltest du es wissen, und das war auch richtig, daß du es rausgekriegt hast."

"Claire, nicht flüstern, das ist nicht fein!" War nun Madame Dusoleil mit Maßregeln dran. Claire sah ihre Mutter an und sagte:

"Ich wollte ihm nur was sagen, daß er es auch als für ihn gemeint mitkriegt und nicht so, daß wir hier alle mal mit ihm und dann über ihn reden. Das ist doch doof, Maman."

"Da hast du recht, Cherie", pflichtete Madame Dusoleil ihrer Tochter bei.

"Dann bist du nur in New Orleans und diesem Viento del Sol gewesen, von Thorntails mal abgesehen?" Fragte Laurentine.

"Ich war auch in Houston. Aber das war nur ein kurzes Gastspiel."

"Schade, gerade da wäre es doch richtig interessant gewesen, weil da das Raumfahrtzentrum ist", sagte Laurentine.

"Da hätten die mich eh nicht reingelassen. Richtig interessant ist es ja nur in Cape Canaveral, wo die Raketenbasis ist. Da dürfen ja auch Touristen rein. Aber vielleicht fliege ich mit meiner Mum ... wenn sie wiederkommt ... noch mal dahin, ohne Zauberei und böse Monster", erwiderte Julius. Dann fielen ihm siedendheiß zwei Sachen ein, die im Eifer des Nachspiels um seinen Vater und den Zaubereiminister und die überschnelle Rückkehr nach Frankreich hinten runtergefallen waren. Sein Reisepass lag noch in Mr. Marchands Haus. Außerdem zeigte der ein etwas anderes Bild als sein Besitzer nun bot. Damit konnte er unmöglich auf Muggelart nach Amerika zurück, falls seine Mutter nicht einfach einen neuen Pass beantragte.

"Was willst du denn bei so lauten Raketen, wo es in der Zaubererwelt doch interessanter ist?" Fragte Robert. Laurentine knurrte leicht verärgert.

"Im Zweifelsfall mitreden, Robert", antwortete Julius. "Ich habe ja immer noch Verwandte in der Muggelwelt. Die rücken uns garantiert auf die Bude, wenn die raushaben, was passiert ist."

So drehte sich die Unterhaltung um die Verwandten, die Julius noch hatte. So verging der Nachmittag, bis Madame Faucon in die Hände klatschte und zum Aufbruch rief.

"So, Messieurs et Mesdemoiselles, euer Klassenkamerad wird nun mit mir und Babette nach Paris zurückreisen. Wenn ihr noch was von ihm wissen wollt, eure Eulen wissen ja, wo sie hinfliegen müssen", sagte sie und winkte Julius, der sich laut und fröhlich verabschiedete. Trotz der Unterhaltung über das, was er in Amerika durchgemacht hatte, fühlte er sich nun erleichtert. Ja, es stimmte, darüber zu reden und das alles mit anderen Leuten, vor allem guten Kameraden durchzusprechen brachte schon was. Die Mädchen winkten Julius nach. Die Jungen riefen ihm nach, das man sich wohl noch einmal schreiben würde. Julius bestieg wieder seinen Besen und flog hinter Madame Faucon her, die zunächst zum Lagerhaus flog, wo sie ihre Enkeltochter einsammelte, die sehr schwer von einer Flugschau einen halben Meter großer Messingdrachen wegzukriegen war. Dann ging es zunächst zum Haus der Beauxbatons-Lehrerin, wo sie ihr Gepäck zusammensuchten. Julius, der seine Tasche schon fix und fertig hatte, wartete, bis Madame Faucon Babette und ihr Gepäck ordentlich auf ihrem Besen untergebracht hatte und folgte ihr zum Ausgangskreis, wo Madame Faucon ihrer Enkelin das Verbindungsarmband abnahm. Sie wollten gerade in den Kreis hineintreten, als Madame Matine apparierte.

"Gut, daß ich euch noch erwische. Dann brauche ich keine Eule loszuschicken. Hier, Blanche, das gibst du bitte deiner Tochter!" Sagte sie und drückte Madame Faucon einen Umschlag in die Hand. Dann wandte sie sich an Julius.

"Ich habe eine Kopie davon gemacht. Lies die bitte erst, wenn du wieder in Catherines Haus bist, damit Catherine und du euch abstimmen könnt, wie ihr meine Vorschläge umsetzen könnt! Ich wünsche dir noch erholsame und vor allem erfreuliche Ferien, Julius." Sie umarmte ihn und küßte ihm auf die linke und die rechte Wange. Dann sah sie zu, wie die drei in den Kreis eintraten, wie Madame Faucon den Zauberstab hob und daraus die sonnenuntergangsrote Reisesphäre erblühen ließ, in der sie für Madame Matine von einer Sekunde zur anderen mit lautem Knall verschwanden.

Wieder zurück in Paris verharrte die Lehrerin außerhalb des Kreises. Julius hielt Babette an der Hand. Offenbar telefonierte, beziehungsweise telepathierte Madame Faucon mit Catherine. Nach fünf Sekunden entspannte sie sich wieder und sagte:

"Babette, deine Maman möchte, daß wir durch den Kamin gehen. Ich nehme dich mit. Julius kann alleine reisen."

"Flohpulver, genial!" Freute sich Babette.

"Na, dann warte mal, bis du wieder aus der Schleuder rauskommst", feixte Julius. Madame Faucon räusperte sich und sagte zu Babette:

"Das ist nicht so angenehm wie Besenfliegen oder die Fährensphäre, Kind. Aber ich mache das schon so lange, daß du keine angst haben mußt. Du mußt dich nur sehr gut an mir festklammern."

"Warum apparieren wir nicht? Oder warum kommt Catherine nicht mit dem Wagen?" Wollte Julius wissen.

"Ich nehme grundsätzlich nie mehr als eine Person zum Apparieren mit. Außerdem ist gerade Berufsverkehr, und Catherine will nicht, daß wir eine Stunde länger hier herumstehen. Zumindest hat sie es mir so mitgeteilt. Also kommt!"

Sie betraten das Museum für Zaubereigeschichte, das mehrere Kamine für magische Reisen besaß und auch einen Ausgang in die Muggelstadt hatte. Julius dachte an seine erste Ankunft in der Rue de Camouflage. Damals, vor zwei Jahren, war er Madame Dusoleil und ihren Töchtern regelrecht vor die Füße gefallen. War das Schicksal gewesen? Doch jetzt konnte er sich nicht in alten Zeiten verlieren. Er kletterte in einen Kamin, in den er gerade eine für wenige Knuts gekaufte Prise Flohpulver geworfen und damit die smaragdgrüne Feuerwand heraufbeschworen hatte. Er holte hinter vorgehaltener Hand genug Luft um "Rue de Liberation!" rufen zu können. Als der magische Wirbel ihn ergriff, dachte er daran, daß seine Urlaubsreisen wohl nun zu Ende waren. Catherine wollte ihn wiederhaben und würde ihn jetzt nicht mehr fortlassen, bevor die Ferien zu Ende waren. Tolle Aussichten!

Wusch! In einem Aschenwirbel landete er im Kamin im Party-Raum der Brickstons. Catherine stand bereit und half ihm vom Rost herunter. Er trat einige Schritte vom Kamin weg und legte seine Tasche und den Besen im Futteral hin.

"Hallo, Julius! Schön, daß du wieder da bist", begrüßte ihn seine magische Fürsorgerin.

"Ich hätte besser in Mums Nähe bleiben sollen, Catherine. Wie kriege ich denn hier mit, was mit ihr ist, wenn die meine Telefonnummer nicht haben?"

"Keine Sorge, darum habe ich mich gestern noch gekümmert, als die Schlußfeier vorbei war."

Wusch! Leicht wimmernd hing Babette mit Armen und Beinen an ihrer Großmutter festgeklammert, die mit einem leicht unbeholfenen Satz aus dem Kamin hüpfte, bevor sie Babette zuflüsterte, daß sie angekommen seien.

"Ist die Kleine da, Catherine?!" Rief Joe aus dem Wohnzimmer herüber.

"Du brauchst nicht zu rufen. Komm einfach rüber, Joe!" Trällerte Catherine heiter.

Joe kam herüber und sah erst seine Schwiegermutter, die ihn freundlich anlächelte. Dann sah er seine Tochter, die ihn anstrahlte und schließlich Julius, der in einer erwartungsvollen Haltung dastand. Joe betrachtete ihn erst perplex, dann sorgenvoll. Dann begrüßte er seine Tochter mit überschwenglicher Umarmung. Als er mit ihr losgehen wollte, sagte Madame Faucon:

"Möchtest du mich nicht auch begrüßen, Joe?"

"Hallo, Blanche. Danke, daß du Babette und - öhm, Julius gut betreut hast. Seine Mutter hast du ja wohl nicht so gut betreuen können."

"Werd bloß nicht frech, kaum daß ich vor dir stehe!" Schnaubte Madame Faucon. Dann gab sie Catherine den Umschlag Madame Matines und sagte:

"Hera hat den Jungen untersucht und einige Vorschläge aufgeschrieben, keine Heileranweisung. Es ist wohl eher eine Liste von Möglichkeiten, keinen Heiler nötig zu haben. Dann werde ich mich jetzt wieder in mein eigenes Haus zurückbegeben. Am besten nehme ich gleich die direkte Verbindung." Sie umarmte Babette, die hoffte, es schnell hinter sich zu haben, wenn sie stillhielt, wollte Joe umarmen, der jedoch gekonnt zurücksprang, was sie leicht verärgert schnauben machte und umarmte dann Catherine, bevor sie Julius in eine innige Umarmung nahm. Er erwiderte diese und ließ sich ruhig die Abschiedsküsse auf jede Wange geben.

"Erhol dich gut, mein Junge. Trotz allem, was dir passiert ist, es war schön, daß du mich mal wieder besucht hast. Und deine Mutter kommt schnell wieder", hauchte sie ihm zu, bevor sie ihn losließ und sich dem Kamin zuwandte, neues Flohpulver hineinstreute und dann in der grünen Feuerwand verschwand.

"Du schläfst oben in deinem Zimmer, Julius. Aber es ist besser, wenn du die übrige Zeit bei uns unten bist. Ich habe mir bis zum Ferienende freigenommen", sagte Catherine. Joe sah Julius wieder an und schien nicht genau zu wissen, was er ihm sagen wollte.

"Hallo, Joe", grüßte Julius und stemmte seine Hände in die Hüften. Joe sah ihn anund grummelte:

"Wußte immer schon, daß diese Zauberei gefährlich ist. Sie hat dich verändert und deine Mutter fast umgebracht.""

"Du solltest keinen Obstladen aufmachen, wenn du Birnen für Äpfel hältst", konterte Julius. "Was mit Mum passiert ist hat nichts mit Zauberei zu tun. Das hat nur meinen Vater und mich erwischt."

"Wie, deinen Vater? Der ist doch im Gewahrsam vom FBI."

"Er weiß es nicht", mentiloquierte Catherine. Julius sezte schon an zu nicken. Doch Catherine hielt ihm sacht die Hand ans Kinn. "Ich habe dir gesagt, daß du keine körperlichen Reaktionen darauf zeigen darfst, wenn dich jemand so erreicht", kam eine weitere Botschaft bei Julius an. Dann sagte sie mit körperlicher Stimme: "Wir klären das alles in Ruhe. Wir haben genug Zeit. Geh erst einmal nach oben und such dir von den Sachen, die deine Mutter und ich gekauft haben was raus, was dir paßt und komm dann herunter!"

Julius holte den Wohnungsschlüssel aus seiner Reisetasche und stieg die Treppe hinauf. Oben schloß er die Tür mit dem Clavunicus-Schloß auf und betrat die völlig einsame Wohnung, die nun seit achtzehn Tagen nicht betreten worden war. Die Stille und die Unberührtheit dieser Wohnung ließen den Damm aus Zuversicht, Lebenswillen und Mut, weiterzumachen brechen, und eine Flut von Tränen in seine Augen und aus diesen wie salzige Wasserfälle die Wangen hinunterschießen. Jetzt brach alles über ihm zusammen, was er in den letzten Tagen allein und mit der Hilfe anderer auf Abstand gehalten hatte. Sein Vater war tot, weil er sich nicht damit abfinden wollte, daß Julius auf eine Zauberschule ging. Seine Mutter lag im Krankenhaus und würde vielleicht nicht mehr aufwachen, weil brutale Banditen sie in eine Art Tiefschlaf gezwungen hatten und die Zaubererwelt sich weigerte, sie da rauszuholen. Man wollte sie und ihn haben, um seinen Vater zu kriegen, der diesen Gangstern in die Suppe gespuckt hatte. Zwar war sein Vater nicht körperlich gestorben, aber er war nicht mehr da. Ein Baby, das einmal wie er aussehen würde, sollte nun irgendwo aufwachsen. Er hatte gesagt, er wolle nicht wissen, bei wem. Für ihn war sein Vater tatsächlich tot. Als stünde ein Dementor gleich neben ihm, so schlugen Wellen aus Verzweiflung und Hilflosigkeit über ihm zusammen, ließen ihn direkt hinter der Wohnungstür auf die Knie fallen und den Teppich mit einem Regen aus Tränen tränken. Er hatte etwas wichtiges im Leben verloren, jemanden, der ihm gezeigt hatte, wie wunderbar die Welt der Wissenschaften war, jemand, der ihm alles freigehalten hätte, wenn er nicht diese verfluchte Begabung gehabt hätte. Wegen ihm hatten seine Eltern sich getrennt. Wegen ihm war sein Vater dieser Kreatur in die Arme gerannt. Es mochte eine Ewigkeit her sein, daß er seinen Vater im Keller davon abbringen wollte, seine Zaubersachen zu verbrennen. Das war, wo Mrs. Priestley ihn auf Weisung der Ausbildungsabteilung von seinen Eltern weggeholt hatte. Ja, das war das letzte Mal, daß er ihn, seinen Vater, Dr. Richard Andrews, als freien, unbehexten Menschen hatte sehen können. Denn der Greis, der mit übermenschlicher Kraft über ihn hergefallen war und ihn verschleppt hatte, war nur noch in Umrissen sein Vater gewesen. Er war zu einem mordenden Zombie geworden, einem Inferius, wie Gloria solche lebenden Leichen in der europäischen Zaubererwelt bezeichnet hatte. Ja, und seine Mutter lag an seelenlose Maschinen angeschlossen da und wollte nicht wach werden. Dabei gab es doch genug Möglichkeiten, sie wieder aufzuwecken. Aber die Heilzauberer durften sie ja nicht behandeln, weil sie ja eine Muggelfrau war, die von Muggeln auf Muggelweise so zugerichtet worden war.

Ein merkwürdiges Geräusch klang zu ihm. Es war ein fieses, hohes Trällern, das weder von einer Stimme noch von einem Musikinstrument herkam. Es schlug erbarmungslos aus der nur von Julius' Schluchzen unterbrochenen Geräuschlosigkeit ein wie eine Bombe in eine friedliche Ortschaft. doch kaum war es über Julius in seine Tränenflut hereingebrochen, hörte es auch wieder auf. Stille trat wieder ein. Julius lauschte. Diese Konzentration spülte ihn an die Oberfläche seiner Selbstzweifel. Da kam es wieder, laut und nervig, jenes unnatürliche Geträller. Da erkannte er, daß es das Telefon war, ein Gruß aus der Informationsgesellschaft, ein Ruf aus der technischen, zaubereifreien Welt. Julius fragte sich, wer ihn und seine Mutter anrufen wollte. Sollte er drangehen? Er wartete, bis mit leisem Knacklaut der Anrufbeantworter ansprang und die aufgenommene Stimme seiner Mutter sagte, daß sie im Moment nicht zu erreichen seien. Dann kam der lange Piepton, und danach eine Männerstimme, die Julius seit Ostern vor einem Jahr nicht mehr gehört hatte:

"Julius, ich weiß nicht, wo du gerade bist. Ich hoffe, du kannst ein Telefon erreichen und diese Nachricht abhören. Ich habe das mit deiner Mutter gehört und fürchte, die suchen dich auch, falls sie dich nicht schon kassiert haben. Mann, habe ich einen Bammel. Claudia und ich sind zu Hause. Wenn du uns erreichen kannst, rufe mich auf meinem Handy an", sagte Mr. Sterlings Stimme. Er gab die Handy-Nummer zweimal durch. Dann legte er auf. Julius hatte die Angst trotz der leicht blechern verzerrenden Lautsprecherwidergabe heraushören können. Offenbar hatte Mr. Sterling mitbekommen, daß Julius' Mutter im Krankenhaus lag und Julius verschwunden war. Er ging jetzt davon aus, daß dem Jungen auch was passiert war. Sollte er ihn anrufen, um ihn zu beruhigen? Interessante und witzige Frage. Er sollte jemanden, einen erwachsenen Mann, anrufen, um diesen zu beruhigen, wo er gerade selbst voll in eine Depressionswelle reingestolpert war, die ihn unter sich begraben hatte. Sollte er überhaupt jemanden anrufen, um ihm oder ihr zu sagen, wo er gerade war? Am besten klärte er das mit Catherine ab. Ja, die Heulerei brachte doch nichts. Was passiert war war passiert.

"ich habe schon befürchtet, daß es dich genau hier doch noch heimsuchen wird", sagte Catherine leise, als sie durch die immer noch offene Wohnungstür hereintrat. "Ich wollte dich nur nicht erschrecken."

"Hast du die ganze Zeit hinter mir gestanden?" Schniefte Julius, jetzt mit einer Spur Verärgerung in der Stimme.

"Nein, erst seit das Telefon das erste Mal geklingelt hat und ich es bis unten hören konnte. Ich wollte dir schon nachrufen, erst einmal nicht ranzugehen, falls deine Verwandten anrufen und deine Stimme vielleicht für die eines Fremden halten. Weißt du, wer das gerade war?"

"Das war ein Berufskollege meines Vaters", sagte Julius nun wieder etwas beherrschter. "Mr. Ryan Sterling. Der hat wohl Wind davon bekommen, daß Mum im Krankenhaus liegt, weil Verbrecher sie dahingebracht haben und wollte, daß ich ihn sofort anrufe, wenn ich den AB abfrage. Dabei weiß ich nicht mal die Geheimzahl, um den von auswärts abzuhören." Er mußte grinsen. Seine Mutter hatte ihm nicht erzählt, wie er von außerhalb den Anrufbeantworter abhören konnte, weil der und das daranhängende Telefon ja keine üblichen Verständigungsmittel mehr für ihn waren. Wer Eulen oder gemalte Leute losschicken oder seinen Kopf durch ein Feuer anderswo hinschießen konnte brauchte kein Telefon und keinen Anrufbeantworter.

"Am besten warten wir ab, bis deine Mutter sich wieder erholt", sagte Catherine und schloß die Wohnungstür von innen. Dann bugsierte sie Julius in Richtung seines Zimmers. Dort warf er die Reisetasche neben sein Bett, bevor er sich Catherine zuwandte und fragte:

"Hättest du mich nicht bei Mrs. Porter oder Mrs. Unittamo lassen können? Dann hätte ich sofort bei Mum sein können, wenn was ist."

"Julius, ich weiß, ich mag dir wie eine böse Hexe vorkommen, die es nicht leiden kann, wenn ein Junge mit seiner Mutter zusammen ist. Aber zum einen hatte Mrs. Unittamo einen ganzen Stall voller Enkelkinder im Haus und keinen Platz mehr, dich noch angemessen unterzubringen, und was Mrs. Porter angeht, so möchte ich erst einmal in Ruhe mit ihr darüber sprechen, was sie getan oder nicht getan hat. Ich weiß, es klingt gemein ..." Julius hob seine rechte Hand, so als wolle er Catherine eine runterhauen. "Na, schlägst du neuerdings Frauen?" Sprach sie ungerührt. Julius ließ die Hand wieder sinken und lief rot an. Natürlich schlug er keine Frauen. Auch Hallitti, die er zu schlagen versucht hatte, hatte ihm das nicht allgemein austreiben können. "Was deine Mutter angeht: Ich habe noch vor der Abschlußfeier bei der Polizei vorgesprochen, mich als eure Nachbarin ausweisen können und darum gebeten, darüber informiert zu werden, wenn sie wieder gesund ist. Sie fragten mich zwar, ob ich wüßte, wo du seist, worauf ich so tat, als sei ich höchst betrübt, weil nur von deiner Mutter die Rede war. Dank Apparieren konnte ich noch zehn Minuten vor Beginn das Stadion erreichen. Fast wäre ich da von den Sicherheitsleuten zurückgehalten worden. Aber meine Prominentenkarte, die Joe uns besorgt hat, gab mir doch den Weg frei."

"Die haben gesagt, die rufen dich an, wenn sie wieder wach wird?" Fragte Julius ungläubig.

"Ich mußte jemanden zwischenschalten, der denen bereits bekannt ist. Ein muggelstämmiger Thorntails-Absolvent, der in einer Polizeibehörde arbeitet, die wohl Kriminalfälle innerhalb des Militärs bearbeitet. Der kannte mich und kannte die richtige Adresse, wo ich ohne Magie anzuwenden klarstellen konnte, wie wichtig das ist, daß ich weiß, wann deine Mutter wieder entlassen werden kann."

"Falls sie entlassen wird", unkte Julius. "Noch ist sie nicht draußen. Was dann, dann hat sie auch einen Knacks für's Leben, vielleicht sogar einen Hirnschaden."

"Das darfst du nicht einmal denken, Julius", herrschte Catherine ihn an. "Da wo sie ist ist sie nun am Besten aufgehoben, Julius. Sie wird wiederkommen."

"Wehe wenn nicht", drohte Julius. "Wenn sie auch noch dran glauben muß sieht mich deine Mutter nie wieder in Beauxbatons. Dann komme ich denen da rüber und mach die so fertig, daß die ..."

"Julius, sie kommt wieder", beharrte Catherine auf ihrem Standpunkt. "Sie kommt wieder." Sie sah Julius so durchdringend an, daß er meinte, sie wolle ihn röntgen oder würde gleich tödliche Strahlen aus den Augen schleudern. Julius wagte nicht, unter dem Eindruck dieser saphirblauen Entschlossenheit was anderes zu behaupten.

"Wie eben gesagt, Julius, hol dir Sachen, die dir noch passen mögen und komm dann bitte runter. Joe und ich haben Mittagshunger, und die zwei Stunden, die wir schon wieder zu Hause sind habe ich in der Küche gearbeitet. Wäre doch schade, wenn dir das entgeht, nur weil du dich von einer schlechten Stimmung fertigmachen läßt."

"Hast du 'ne Ahnung", knurrte Julius. Da erst fiel ihm auf, daß diese Frau, diese Hexe, sehr wohl Ahnung hatte und sagte: "'tschuldigung, wollte ich nicht so sagen. Natürlich hast du Ahnung davon, wie sich das anfühlt. Soviel älter als ich warst du damals ja auch nicht, als der Irre, der jetzt wieder in England rumläuft deinen Vater umgebracht hat."

"Ich träume heute noch davon, Julius. Das ist ja, was Joe eben zu dieser gehässigen Bemerkung getrieben hat, daß Zauberei schlicht gefährlich sei. Andererseits weiß er, daß Babette das auch lernen muß, damit sie ihm nicht noch aus Versehen das ganze Haus um die Ohren fliegen läßt." Sie lächelte. Julius konnte sich diesem Lächeln nicht entziehen. Es steckte ihn an, sodaß er auch lächeln mußte. Catherine nickte ihm zu und trat aus dem Zimmer. Sie wartete, bis er im Schrank eine Jeans gefunden hatte, die weit genug war und ein T-Shirt, das ihm noch ohne zu spannen am Leib sitzen konnte.

"Viel geht ja nicht mehr. Ich fürchte sogar, ich kriege den Festumhang nicht mal mehr an", scherzte Julius auf dem Weg zurück zur Wohnungstür. Catherine lachte.

"Dagegen werden wir morgen was tun: Einkaufen gehen. Babette braucht auch ein paar neue Sachen, wenn sie in diesem letzten Schuljahr vor der Einschulung in die Zauberkindereingangsklasse noch muggelmäßig rumlaufen soll. Danach gibt's weiß für die Mädchen und grün für die Jungen."

Das Essen war ein Fünf-Gänge-Menü. Joe hatte auf Catherines leisen Tadel hin den Fernseher ausgestellt, während sie im Esszimmer zusammensaßen und die glückliche Rückkehr nach Paris feierten. Julius tauschte mit Joe immer wieder Blicke aus. Doch sie wagten nicht, sich gegenseitig auf das anzusprechen, was Julius passiert war, solange Babette dabeisaß. Die Tochter der Brickstons erzählte sehr freudig, was sie vor der Hochzeit von Jeanne und Bruno erlebt hatte, angefangen bei Julius' Geburtstagsfeier mit anschließendem Feuerwerk, über die mal eben aufgestellten Häuser, Claires Verwandte auf einem echten Flugteppich und den Latierres auf ihrem Reittier. Joe sah sie einmal merkwürdig an, als sie die geflügelte Riesenkuh der Latierres und die gleich zwei Babys erwartende Matriarchin Ursuline Latierre erwähnte. Einmal meinte Joe:

"Wie alt soll die sein, wenn die sich noch zwei Kinder hat andrehen lassen?"

"Joe, ich bitte dich", zischte Catherine, während Julius antwortete:

"Die Dame wird wohl so alt sein wie Madame Faucon, schätze ich. Angeblich nimmt sie einen Trank ein, der ihr hilft, die Schwangerschaft gut durchzustehen."

"Unverantwortlich sowas, in dem Alter noch 'nen Braten in der Röhre ... Ist gut, Catherine", grummelte Joe, als Babette ihn mit großen Augen ansah und Catherine ihn sehr ungehalten anblickte.

"Jedenfalls war es ganz toll, wie Claire mit uns die Tänze und das Lied gelernt hat", fuhr Babette leicht verhalten fort. "Oma meinte, das hätte sie nicht von mir gedacht, daß ich sowas so gut lernen würde."

"Ach, hat die gedacht, du wärest als Muggelhalbing zu blöd dazu?" Fragte Joe gehässig.

"Ich denke eher, Joe, sie bezog sich auf die Disziplin, die für sowas nötig ist", bemerkte Catherine. "Ich bin sicher, daß Maman Babette für alles andere als dumm hält."

"Soso", grummelte Joe. Julius ging dieses mißmutige und gehässige Getue Joes langsam auf die Nerven. Konnte der nicht einmal lächeln oder sagen, wie stolz er auf Babette war? So fragte er ihn:

"Hattest du keinen guten Urlaub, weil du hier rumnölst und grummelst wie der Zwerg Brummbär aus dem Schneewittchen-Film?"

"Es hätte ein toller Urlaub sein können, wenn Catherines Mum wegen dir nicht unsere ganze Planung versaut hätte", stieß Joe verbittert aus. "Kannst du dir vorstellen, wie bescheuert das ist, einen vollen Tag zu verpennen, nur weil die große Dame meint, ihre Tochter wegen dir von mir wegbeordern zu müssen?"

"Eh, kuck mich an, Joe! Ich bin mal eben um zwei Jahre älter geworden als in meinem Pass drinsteht und habe meinen Vater gesehen, wie der von so'ner rothaarigen Monsterfrau ferngesteuert wurde. Ein Tag im Zauberschlaf ist dagegen die reine Erholung, denke ich."

"Julius, nicht jetzt", dröhnte Catherines Gedankenstimme in seinem Kopf. Doch er wollte sich von Joe nicht so einfach als Grund für dessen schlechte Laune vorführen und wie Babette mit gehässigen Sprüchen volltexten lassen. So straffte er sich und setzte noch einen drauf: "Sie hätten dich ja auch so klein mit Hut zaubern können", wobei er seine rechte Hand auf halber Höhe seines Stuhlbeins hielt. Joe erblaßte und schien sichtlich mit Worten zu ringen, während Julius ihn überlegen angrinste. Catherine sagte:

"Maman wollte sicherstellen, daß du dich nicht langweilst. Und was dem Jungen passiert ist ist schlimm genug, daß er auch ohne deine Miesepetrigkeit arg genug dran ist. Also mach dem Jungen keinen Vorwurf, daß Maman mich mal für zwei Tage von dir fortholen mußte. Sie hat mich selbst ja sehr arg runtergeputzt, weil sie fand, ich hätte ihr was wichtiges früh genug sagen müssen. Also sei friedlich, ja!"

"Ach, das mit Richard?" Fragte Joe und fing sich von Catherine und Julius gleichermaßen einen sehr zornigen Blick ein. Julius atmete tief durch und sagte:

"Das war das doch, weshalb du mich hinter dem Saturnmond Titan vermutet hast, weil ich angeblich nichts wichtiges mitgekriegt habe, nicht wahr? Danke, daß du mich lieber gehässig angemacht hast als mir den entscheidenden Tipp zu geben, was ich vielleicht hätte wissen sollen!"

"Julius, ist gut jetzt!" Mentiloquierte ihm Catherine mit solcher Unerbittlichkeit, daß er jede weitere Bemerkung hinunterschluckte. Joe sah seine Frau an und fragte:

"Meint der Junge jetzt, ich hätte mich gegen Marthas und deinen Willen durchsetzen sollen, Catherine?"

"Wenn du ihm so eine Angriffsfläche bietest", erwiderte Catherine mißbilligend. "Aber das besprechen wir mal in aller Ruhe, wenn du dich wieder an Zuhause gewöhnt hast, Joe."

"Keiner sagt mir was von dieser Monsterfrau", quängelte Babette. "Alle halten mich dafür für zu klein, um mir das zu sagen. Irgendwann erzählt ihr mir das doch. Also warum nicht gleich?"

"Weil du sonst nicht mehr schlafen kannst", stieß Julius aus. "Es gibt Sachen, die will man nicht wissen, wenn man sie erzählt bekommen hat."

"Ganz genau", sagte Catherine ihrer Tochter zugewandt. "Keiner hält dich für klein, Liebes. Andererseits gibt es Sachen, die dir und anderen zu viel Angst machen. Das will ich nicht, daß du nur noch Angst hast. Schon schlimm genug, daß wir uns über ihn, der von vielen Zauberern nicht beim Namen genannt wird unterhalten mußten."

"Ach, hat diese achso böse Monsterfrau für den gearbeitet?" Fragte Joe immer noch gehässig. Julius war schon drauf und dran, aufzuspringen und Catherines Mann eine reinzuhauen. Doch im allerletzten Moment besann er sich. Catherine würde ihm das nicht durchgehen lassen, und Joes Biestigkeit konnte er damit nicht abstellen. Doch er wußte, daß er sich nicht mehr länger so beherrschen würde. Er sagte nur:

"Sei froh, daß ich mittlerweile meine Zauberkräfte gut kontrollieren kann, Joe! Sonst wäre dir bestimmt was um die Ohren geflogen, ohne daß ich das gewollt hätte."

"Mann, redet doch nicht so um die Kiste rum!" Grummelte Babette. Dann sagte Catherine:

"Ich möchte haben, daß wir uns hier nicht angiften. Wir dürfen alle froh sein, daß wir zusammen sind. Babette, erzähl deinem Vater, was nach Barbaras Hochzeit passiert ist!"

Babette wurde bleich. Julius wußte, was Catherine meinte. Babette sah ihren Vater verängstigt an und erzählte von den unheimlichen großen Leuten, bei denen es ganz dunkel und eiskalt gewesen war und die ihr böse Träume gemacht hatten. Joe erbleichte ebenfalls. Dann sah er Julius an und fragte ihn, ob er das auch mitbekommen hatte:

"Ja, habe ich", erwiderte er. "Ich mußte sogar einen Zauber benutzen, um die Monster wieder loszuwerden. Die sind von diesem Lord Voldemort geschickt worden, sagt man, weil die als einzige ..."

"Ich dachte in dieses Zauberkaff könnten keine Monster und Schwarzmagier rein", stieß Joe aus. "Dann geht Babette da nicht mehr hin."

"Siehst du, warum mir das mißfällt, wie unwirsch du mit Julius und ihr umgehst", sagte Catherine. "Außerdem konnte man sie schnell retten, weil Maman sofort kam, als diese Geschöpfe sie angegriffen haben."

"Verstehe, Catherine. Andererseits habe ich alles Recht, dem Jungen zu sagen, wie mich das ankotzt, daß seinetwegen unser Urlaub verhunzt wurde."

"Du meinst, daß du nicht erfreut warst, daß ich für einen Tag mit ihr unterwegs war, um ihn wiederzufinden", berichtigte Catherine ihren Mann. Dann holte sie den Nachtisch und verfügte, daß sie sich nun über die angenehmen Ereignisse ihrer Reisen unterhalten sollten.

Nach dem Essen durfte Babette noch eine Stunde aufbleiben, um das Essen zu verdauen. Sie baute mit Julius eine Ritterburg aus Legosteinen, wobei Julius ihr zeigte, wie man die Steine so zusammensteckte, das die Mauern und Türme bombenfest blieben. Babette holte dann noch einen Gummidrachen, den sie in die Mitte zwischen Wohngebäude und dem quadratisch gebauten Brunnen hinsetzte.

"Soso, die Ritter sollen also in einer Höhle wohnen, weil der Drache in der Burg wohnt", lachte Julius. Dann meinte er. "Dann muß der Drache aber auch einen Schatz haben, auf dem er liegt, wie sich das gehört." Er holte ein par Silberlöffel aus der Küche, während Babette ein paar Haarspangen so hinlegte, das der grüne Gummidrache darauf liegen konnte.

"Ich dachte, die echten Drachen liegen nicht auf Goldschätzen und sowas", meinte Joe und legte fünf Franc-Münzen dazu, um als Vater nicht ganz außen vor zu bleiben.

"So genau weiß man das nicht, Joe. Bei einigen Drachen hat man schon größere Erzlager gefunden, was die Experten davon überzeugt hat, daß sie ein Gespür für Metallvorkommen hätten. Besonders Weibchen seien wild auf Kupfer-, Silber- oder Goldlagerstätten. Keiner weiß bis heute genau, warum sie das können. Aber der Purpurpanzer wurde schon dabei gesichtet, wie er Kirchenglocken geraubt hat, indem er die Türme kleiner Dorfkirchen in Brand setzte und die Glocken einfach herausgepickt hat. Teras Rex vermutet, die brauchen Edelmetall für Knochenbau und Blutbildung, wie wir Eisen brauchen. Immerhin hat man schon heraus, daß Kupfer im Drachenblut enthalten ist, wie im Blut von Mr. Spock."

"Ach dann ist das auch grün?" Fragte Babette.

"Hängt von der Art ab, Babette", sagte Julius, froh mit der Neunjährigen über was reden zu können, für das sie beide sich interessierten. Daß Babette gerne einen echten Drachen haben wollte wußte der Schützling Catherines ja schon längst. "Beim Purpurpanzer ist das Blut wirklich grünlich-braun. Der Schuldirektor von Hogwarts hat mal was über Drachenblut und wozu man es verwenden kann geschrieben. Ich habe das Buch aber nicht hier."

"Muß sie wohl auch nicht gleich heute wissen", sagte Joe. "Aber hastt du denn schon mal einen echten Drachen gesehen, Julius?"

"Ja, gleich vier stück", sagte Julius. Babette sah ihn sehr wißbegierig an, während Joe wohl meinte, der Junge wolle ihn veralbern. Julius erzählte den beiden die Sache mit dem trimagischen Turnier, während dem ja vier unterschiedliche Drachen vorgekommen waren. Er spielte die Szene sogar nach, weil Babette von jeder Farbe einen Spielzeugdrachen da hatte, sodaß er einen blauen für den schwedischen Kurzschnäuzler, den grünen für den walisischen Grünling, den roten für den chinesischen Feuerball und einen rabenschwarzen Drachen mit spitzer Schnauze als ungarischen Hornschwanz benutzen konnte. Dann kam Catherine herein und sagte:

"Babette, es ist Zeit für's Bett." Ihre Tochter sah sie unwillig an und setzte schon an, um mehr Zeit zu bitten. Doch der gnadenlose Blick ihrer Mutter trieb ihr das aus. Leicht grummelnd umarmte sie ihren Vater zum Gutenachtgruß und winkte Julius. Er versprach ihr, ihr morgen was aus seinem Drachenbuch vorzulesen, das er von Kevin bekommen hatte. Babette strahlte ihn erfreut an und ging auf ihr Zimmer. Joe schaltete den Fernseher ein und suchte einen englischsprachigen Sender, um einen Spielfilm zu sehen. Catherine sah ihn zwar etwas pickiert an, weil er kein französisches Programm haben wollte, sagte aber nichts dagegen. Julius hätte gerne die Nachrichten gesehen, um zu erfahren, was gerade in der Muggelwelt passierte. Doch er hatte sich mit Joe schon heftig genug gehabt und beschloß, in der Wohnung oben noch etwas fernzusehen. Catherine hielt ihn jedoch zurück, als er schon auf dem Weg zur Wohnungstür war und zog ihn wortlos in ihr Arbeitszimmer, das zu einem dauerhaften Klangkerker gemacht worden war. Sie schloß die Tür und hielt damit jede Lautäußerung innerhalb des Raumes zurück.

"Ich habe es dir angesehen, daß du Joe am liebsten eine runtergehauen hättest, Julius. Er weiß nur das, was ich ihm erzählen konnte, während wir vor Lauschern sicher sein konnten, was nur in unserem Zimmer der Fall war. Joe wollte ja kein Französisch mit mir reden, solange wir in den Staaten waren. Also, was er weiß ist, daß wir, Maman und ich, dich vor einer Zauberkreatur in menschlicher Gestalt retten mußten, die anderen Menschen die Lebenskraft aussaugen kann und daß du dabei wohl um zwei Jahre älter geworden bist. Was diese Kreatur mit deinem Vater getan hat und was sie mit dir tun wollte weiß er noch nicht. Ich wäre auch nicht abgeneigt, wenn wir ihm das nicht so auf die Nase binden. Nicht weil ich ihm keine Angst machen möchte, sondern weil er nicht daran denkt, Babette doch noch von Beauxbatons abhalten zu wollen oder daß er meint, wir wollten ihm eine Moralpredigt halten, was deinem Vater passiert ist, weil er deine Natur nicht hingenommen hat. Für ihn würde es wie eine erfundene Geschichte rüberkommen, die wir ihm auftischen, damit er in der Spur bleibt. Das würde seine Beziehung zu deiner Mutter und dir belasten."

"Ja, aber dann werde ich mir dauernd anhören müssen, was ich doch für ein Idiot war, das nicht mitgekriegt zu haben, was mit meinem Vater los war."

"Ja, aber stelle dir vor, du erzählst ihm, dein Vater hätte unter Hallittis Einfluß mehrere Menschen brutal ermordet. Das würde er dir nicht abnehmen, weil es zu schrecklich ist. Deshalb will ich ja auch nicht, daß Babette das mitbekommt. Die Dementoren waren schon schlimm genug für sie."

"Ja, aber garantieren kann ich das nicht, wenn er mich weiterhin so anglotzt, als würde ich ihm jeden Spaß vermiesen oder wäre für ihn ein Haufen Hundesch...", Catherine sah ihn warnend an. "... eben wie ein Hundehaufen unter der Schuhsohle, klebrig und stinkend. Das mit Babette kapiere ich. Andererseits weißt du ja nicht, was ihr die anderen erzählen, mit denen sie in der Schule zusammen ist. Vielleicht haben da welche Video und ziehen sich jedes Wochenende Zombiefilme rein oder Massakerfilme mit zerstückelten Menschen."

"Das sind alles Zaubererfamilien, deren Kinder mit Babette in die Schule gehen", lachte Catherine, nachdem sie für einen Moment sehr verdrossen geguckt hatte. "Die reinen Muggelstämmigen kommen ja erst in Beauxbatons dazu. Das Babette einen nichtmagischen Vater hat macht sie da ja zu einer Berühmtheit."

"Okay, falsches Beispiel. Dann sage ich, weißt du, ob die anderen ihren Eltern nicht beim Liebesspiel zugesehen und es Babette erzählt haben?"

"Dann würden sie ihr bedauerlicherweise nichts erzählen, was sie durch das Fernsehen nicht schon mitbekommen hätte", knurrte Catherine jetzt wieder verdrossen dreinschauend. Dann sah sie Julius so an, als verlange sie seine ganze Aufmerksamkeit. "Ich habe dir erzählt, daß ich mit dir da weitermachen möchte, wo Glorias Oma mit dir aufgehört hat. Etwas zu können heißt immer, es auch verantwortungsvoll und anständig zu benutzen. Außerdem will ich dich nicht nach Beauxbatons zurücklassen, ohne dir den Rest von dem beizubringen, was du über den Mentiloquismus wissen mußt. Zudem konnte ich meine Mutter davon überzeugen, daß jemand dir auch die Occlumentie beibringen sollte. Da ich sie von meiner Mutter gelernt habe, werde ich sie dir auch beibringen, falls du nicht der Meinung bist, das nicht nötig zu haben."

"Natürlich möchte ich das lernen, Catherine", sagte Julius. "Diese Hexe in Rosa hat mich ja fast komplett durchleuchtet, und Professor Wright ..."

"Mußte dich legilimentieren, um deine Geschichte auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen oder ob du unter dem Einfluß eines Gedächtnis- oder Sinnestäuschungszaubers gestanden hast. Also, Maman sieht ein, daß du mit dem Wissen, daß du in den letzten Tagen erworben hast nicht für jeden halbwegs ausgebildeten Legilimentoren so lesbar herumlaufen darfst wie ein Werbeplakat. Deshalb werden wir ab Morgen jeden Nachmittag Occlumentie üben, und zwischendurch mehrere Gedankendialoge führen. Ich darf dich zwar nicht benoten oder dich zu einer Endprüfung schicken, aber Maman erwartet von dir, daß du bei Schuljahresbeginn umfassend und in Kenntnis des möglichen und erlaubten zu ihr zurückkehrst. Eine Bedingung stelle ich aber an dich und hoffe, ich muß sie nicht durch einen Zauber untermauern." Julius sah sie verdutzt an, weil sie plötzlich so ernst war. Er fragte vorsichtig, was er tun oder lassen sollte, kam aber selber darauf und sagte:

"Du möchtest, daß ich das keinem erzähle, daß ich das gelernt habe oder noch lerne, damit die in Beauxbatons nicht anfangen, das auch lernen zu müssen?"

"Ich bin sehr froh, daß du das erkannt hast", sagte Catherine immer noch sehr ernst dreinschauend. "Ja, Maman besteht darauf, daß du es keinem deiner Mitschüler oder ihrer Verwandten erzählst, was ich dir beibringe oder bei dir vervollständige, auch nicht den Dusoleils. Sieh es so wie mit deinem Besen!"

"Ist angekommen", bestätigte Julius nickend. Dann sagte er: "Ja, aber jetzt darf ich ja einen Ganni 10 haben."

"Ach ja, Joe und Babette dürfen nur wissen, daß ich mit dir Abwehrzauberübungen mache, weil ich will, daß du das, was du gelernt hast, nicht einrosten lassen darfst", fügte Catherine noch eine Bedingung für den Unterricht hinzu. Julius nickte. Vielleicht konnte er Catherine mal dazu kriegen, wirklich mit ihm zu üben. Er würde ihr gerne einige fortgeschrittene Flüche und Gegenflüche zeigen. Doch Catherine war keine Lehrerin, die ihm das Zaubern befehlen und erlauben durfte. Da fiel ihm was ein:

"Moment, wenn wir üben, zaubere ich doch. Darfst du mir das denn abverlangen?"

"Dann dürftest du auch keine Eulen verschicken oder kontaktfeuern. Verständigung ist von der Zaubereibeschränkung ausgeschlossen, wenngleich man minderjährigen Zauberern und Hexen noch nicht zutraut, daß sie mentiloquieren könnten. Insofern hast du Glück", bekräftigte Catherine. Dann holte sie aus einem verschließbaren Bücherschrank ein dünnes Buch im weißem Umschlag heraus und gab es Julius. Er blickte auf die blütenweiße Klappe, auf der zwei Zauberer in weißem Umhang dargestellt waren, zwischen deren von silbrigem Schein umgebenen Köpfen ein silberner Strich gespannt war, der zu den abgerundeten Buchstaben DIE MANIEREN DES MENTILOQUISMUSES gewunden war. Darunter stand in einem silbernen Rahmen in violetter Schrift: "Der Leitfaden zum Erwerb und verantwortungsvollen Gebrauch der rein gedanklichen Fernverständigung in der Zaubererwelt, Auflage VIII, 1989"

"Ach, steht da drin, daß man dabei kein anderes Gesicht machen oder irgendwelche Gesten machen darf?" Fragte Julius.

"Unter anderem", sagte Catherine. "Jedes Verständigungsmittel verpflichtet zu einem anständigen Umgang damit. Nimm zum Beispiel ein Telefon. Du darfst die Notrufnummer nur wählen, wenn du einen echten Notfall zu melden hast oder niemanden, schon gar keinen wildfremden, mitten in der Nacht anrufen oder beleidigen oder belästigen. Beim Sprechen selbst gelten ja auch Anstandsregeln, wie jemanden nicht andauernd zu unterbrechen oder nicht mit rüden Wörtern um sich zu werfen oder keinen zu beleidigen. Genauso ist es mit dem Mentiloquismus auch. Beispielsweise sind Muggel tabu, was diese Kunst angeht, dürfen also auf keinen Fall auf diese Weise kontaktiert werden. Das merkst du dir am besten jetzt schon mal, bevor dir einfallen könnte, Joe oder deiner Mutter zu mentiloquieren, auch wenn sie dem Familienstandsgesetz nach in unsere Belange eingeweiht sein dürfen. Ihr Briten kennt ja noch die Majestätsbeleidigung im Gesetz. Genauso schwerwiegend wirkt sich das gedankliche Ansprechen von nichtmagischen Personen aus, zumal Muggel von sich aus sehr schwierig zu erreichen sind."

"Hmm, das ist aber jetzt merkwürdig. Wenn sie nicht angemelot werden dürfen, woher weiß man das dann, ob sie gute oder schlechte Empfänger sind?" Wunderte sich Julius.

"Mathematiker nennen das wohl Induktion, wenn es darum geht, einen allgemein gültigen Sachverhalt durch die Prüfung von Einzelfällen zu ermitteln. So ähnlich ging das auch. Gute Zauberer und Hexen sind die besten Empfänger, die erreicht ein bereits die Grundlagen beherrschender Mentiloquist im zweiten oder dritten Ansatz und ein guter über weite Strecken. Es gibt da Berechnungen, wie sich das mit dem Grad der ausgeprägten oder geübten Zauberkräfte verhält, je schlechter, desto schwieriger. Bei Squibs, also Zauberergeborenen mit so gut wie keinen nutzbaren Zauberkräften ist der Mentiloquismus vergleichbar mit einem sehr weit entfernten Radiosender, dessen Musik oder Wortbeiträge man vor lauter Rauschen nicht mehr auseinanderhalten kann. Das Beispiel kann ich bei dir ja erwähnen, wohin Lehrer wie Maman wohl eher von einem Flüstern vor einem tosenden Wasserfall sprechen würden. Jedenfalls gehen die Mentiloquismusexperten davon aus, daß vollwertige Muggel nur mit größter Mühe und nur bei Blickkontakt erreicht werden können, wobei die Kraft des Senders auch hineinspielt. Abgesehen davon hat es schon Fälle gegeben, wo Zauberer und Hexen Muggel mentiloquistisch tyrannisiert haben, ihnen aus sicherer Entfernung Gedankenbefehle erteilt haben oder sie in den Wahnsinn trieben, weil die Betroffenen sich und andren die Stimme in ihrem Kopf nicht erklären konnten. Seitdem die Wissenschaftler der nichtmagischen Welt sich darum streiten, ob es außersinnliche Wahrnehmungen oder Verständigungsmöglichkeiten gibt und einige danach forschen, wurde das Verbot, Muggel anzumentiloquieren zum Straftatbestand erhoben. Lass dir also ja nicht einfallen, Leute aus der Muggelwelt zu mentiloquieren, nur weil du meinst, nicht erwischt werden zu können! Du weißt ja, daß die körperliche Stimme des Senders in den Botschaften nachempfunden werden kann. Sollte jemand meinen, sich auf Grund einer fremden Stimme im Kopf untersuchen zu lassen und dabei die Strafverfolgungsbehörde auf die Idee kommen, einen möglichen Tabubrecher zu suchen, ist es völlig egal, wann sie dich erwischen. Welche Vorkommnisse es gab und welche Strafe auf den Tabubruch steht steht in diesem Buch drin. Das kannst du ja als Bettlektüre mitnehmen und mir am Ferienende wiedergeben. Viele Seiten sind es ja nicht."

"Was schreibt eigentlich Madame Matine?" Fragte Julius und zog den ihm gegebenen Umschlag hervor, während Catherine den Umschlag öffnete, den sie bekommen hatte.

"Vorschlagsliste für eine möglichst eigenständige Bewältigung der seelischen Folgen der bestandenen Krise von Julius Andrews", las er. Dann mußte er grinsen, als er las: "Ich empfehle möglichst viel Kontakt zu guten Bekannten, Klassenkameraden und Freunden aus der Zaubererwelt, mit denen er gemeinschaftliche Freizeitaktivitäten oder Schularbeiten ausführen kann. Insbesondere rege ich an, daß er in den verbleibenden Wochen Quidditch und / oder Schach spielen und falls es sich anbietet, mit anderen gemeinsam Musik machen möge, sofern die Schularbeiten dadurch nicht beeinträchtigt werden, sofern sie noch nicht abgeschlossen sind. Des weiteren schlage ich das Studium einer oder mehrerer spezieller magischer Gegebenheiten vor, die nicht im üblichen Lehrplan der Schule gefordert wurden, sofern dadurch keine schädlichen Auswirkungen zu erwarten sint. Hier wäre beispielsweise das Einstudieren von Zaubern oder Zauberkenntnissen der höheren Klassen zu erwähnen, Haushalts- oder Handwerkszauber oder Besuche magohistorischer Schauplätze oder Parks mit magischen Tieren und / oder Pflanzen. Falls es sich ohne übermäßige Belastung einrichten läßt, wäre die Übertragung von Verantwortung für bestimmte Arbeiten oder die Betreuung von Tieren oder Pflanzen nicht schlecht, was jedoch nur dann erwogen werden darf, wenn die Verfassung des Jungen dies gestattet. Wie diese Vorschläge umgesetzt werden können überlasse ich Ihnen, Madame Brickston. Sollten sich unvorhergesehene Komplikationen einstellen empfehle ich Ihnen und Julius, sich bei meiner Kollegin Antoinette Eauvive zu melden und sie um Beistand zu bitten. Ansonsten wünsche ich noch erholsame Ferientage."

"Wie sich das liest könntest du mich gleich wieder nach Millemerveilles zurückschicken, weil da alles ist, was hier drinsteht", grinste Julius.

"Natürlich hat Madame Matine diese Liste in Hinsicht auf das verfaßt, daß in Millemerveilles alle Gegebenheiten vorhanden sind", erwiderte Catherine. "Aber ich sehe diese Liste auch als Anreiz, dich mit Dingen und Orten außerhalb von Millemerveilles vertraut zu machen. Was Quidditch angeht, so ist es kein Problem, wenn dich jemand nach Millemerveilles einläd, dich mal eben hinüberzuschicken. Mit Flohpulver ist Millemerveilles ja nur einen Schritt und einen Ruf entfernt. Ausgerechnet mich dazu zu animieren, dir geschichtsträchtige Schauplätze unserer Welt zu zeigen, ist schon sehr eindeutig. Was die Verantwortung für ein lebendes Wesen angeht, so kann ich dir schlecht deinen Kniesel herholen lassen oder ein anderes Tierwesen für dich einkaufen. Deine Mutter hat oben einige Blumen. Wenn du die gießt und nicht vertrocknen läßt ist das für's erste genug."

Julius verstand und bedankte sich. Catherine wünschte ihm noch eine gute Nacht. Er steckte das buch unter sein T-Shirt, damit er Joe nicht zeigen mußte, was er da zu lesen hatte. Er konnte zwar sehen, daß er ein Heft oder Buch versteckte, aber nicht, welches. Er wünschte ihm noch eine gute Nacht und ging nach oben. Er verhielt kurz vor der Wohnungstür. Ein wenig Angst überkam ihn, ob es ihn hinter dieser Tür wieder niederreißen und wimmernd am Boden hocken machen würde. Doch dann gab er sich einen Ruck. Er hatte die Wespen im Sanderson-Haus überstanden, Slytherins Galerie des Grauens und jetzt noch die Begegnung mit seinem blitzartig vergreisten Vater und seiner dämonischen Meisterin. Er schloß die Tür auf und trat ein. Um einen möglichen Depressionsanfall im Keim abzuwehren konzentrierte er sich auf Catherines Gesicht und schickte ihr ein "Gute Nacht, Catherine" zu. Es hallte leicht wieder wie in einem Kellerraum.

"Gute Nacht, Julius! Schlaf gut!" Kam die prompte Antwort. Er mentiloquierte "Du auch" zurück und schloß die Wohnungstür von innen.

Er schaltete den Großbildfernseher im Wohnzimmer ein und stellte ihn gerade so laut, daß er gerade so noch verstehen konnte was gesagt wurde. Er suchte sich einen Nachrichtenkanal aus dem reichhaltigen Satellitenprogramm aus und lauschte. Über seinen Vater kam nichts in den Nachrichten. Wozu auch? Er bekam mit, daß die Fußballsaison nach der Europameisterschaft bald wieder losgehen würde. Er dachte an Laurentine, die jetzt wohl wieder bei den Delamontagnes einquartiert worden war und diese Nachrichten nicht sehen konnte. Dann fiel ihm ein, daß er Gloria noch einmal mit dem Spiegel anrufen könne. Er holte den mit ihrem Zweiwegspiegel verbundenen Spiegel aus seinem Brustbeutel und sprach leise hinein: "Gloria Porter!"

"Ich habe mir gedacht, daß du mich noch mal anrufen willst", meldete sich Gloria keine halbe Minute später, als ihr Gesicht im silbernen Rahmen des Zweiwegspiegels auftauchte. "Bist du gut angekommen?"

"Ich sitze jetzt im Wohnzimmer der Wohnung, die Mum und ich hier haben und habe mir gerade die Muggelnachrichten angekuckt. Nichts für uns wichtiges", sagte Julius.

"Der neue Minister ist heute in der Zeitung gewesen. Er hat sich entschuldigt, was sein Vorgänger gemacht hat, weil die Knowles einen superharten Artikel über das, was deinem Vater passiert ist im Westwind gebracht hat. Opa Livius hat sogar ein Interview gegeben, daß wir hier unter diesem Arrestzauber festgehangen haben. Oma Jane meinte, es wäre schade, daß Catherine dich so überstürzt zurückhaben wollte. Sie wolle aber in den nächsten Tagen noch einmal mit ihr sprechen. Könnte sein, daß du sie dann noch mal zu sehen kriegst, falls sie mich nicht auch mitnimmt. Wie hat Claire das hingenommen, wie du jetzt aussiehst?"

"Erst verdutzt und dann zufrieden", sagte Julius. "Die Geschichte hat ihr mehr zugesetzt als mein Aussehen. Ich habe aber schon mit Klassenkameraden von mir gesprochen, und morgen kommt hier noch ein Interview von mir in die Zeitung, weil eure Linda Knowles unserer Ossa Chermot gesteckt hat, was drüben bei euch abgegangen ist und die meinte, ich könnte meinen Vater umgebracht haben. Das wollten Madame Faucon und ich nicht so stehenlassen."

"Ist ja auch ein starkes Stück, sowas zu behaupten. Aber glaubt die dir das denn? Wäre ja eine tolle Nachricht, wenn ein Jungzauberer seinen eigenen Vater umbringt, um nicht selbst umgebracht zu werden", sagte Gloria bissig. Julius nickte. Dann erzählte er noch von Joe, daß er ihn wohl schräg angesehen habe, weil er glaubte, wegen Julius keinen guten Urlaub gehabt zu haben. Nach etwa zehn Minuten beendeten die beiden ehemaligen Schulkameraden das Gespräch. Julius fiel ein, daß er noch den Anrufbeantworter abhören wollte und ging in das Arbeitszimmer seiner Mutter, wo der Apparat stand. Es waren vier neue Nachrichten eingegangen. Eine war von den Hellersdorfs, die sich bei seiner Mutter bedankten, daß sie mit Bébé hatten sprechen dürfen. Die zweite war von seinem Onkel Claude.

"Hallo, Martha und Julius. Ich weiß nicht, wo ihr gerade steckt. Die haben in den Nachrichten gebracht, daß dieser vermaledeite Doppelgänger jetzt zwei Familien ermordet hat. Ich werde am siebten August geschäftlich in Paris sein. Eure Adresse habe ich. Ich komme vorbei und berede mit euch, was wir weiter tun werden. Sieh zu, daß du mit dem Jungen zu Hause bist!"

"Man könnte meinen, du wärest so'n Holzkopf vom Militär", grummelte Julius. Die nächste Nachricht stammte von einem merkwürdigen Typen, der fragte, ob die Andrews Interesse an einer billigeren Hausratsversicherung hätten. Die Nachricht stammte vom Morgen des einunddreißigsten Juli. Julius hörte Straßenlärm und französische Gesprächsfetzen im Hintergrund. Da fiel ihm wieder ein, daß ein geheimnisvoller Big H nach ihm und seiner Mutter suchen ließ und erschrak, weil ihm klar wurde, daß er immer noch auf einer Abschußliste stand. Doch in dieses Haus kam ja keiner hinein. Aber er würde Catherine wohl bitten müssen, ihm einen Tarnumhang zu leihen, falls sie wollte, daß er draußen herumlief. Die vierte Nachricht war die, die er kurz nach seiner Ankunft hier mitgehört hatte. Er überlegte sich, ob er Dr. Sterling anrufen sollte und was er ihm erzählen sollte. Dann verließ er das Arbeitszimmer und suchte sein Zimmer auf. Seine Reisetasche stand noch da. Da fiel ihm wie aus heiterem Himmel ein, daß er ja noch Viviane Eauvives Bild darin hatte, das er in dieser Wohnung anbringen sollte. Er holte die Rolle heraus und entnahm ihr die aufgerollte Leinwand. Am Fuß der Rolle lag noch ein Lederbeutelchen mit vier dicken Nägeln. Die Eauvives hatten an alles gedacht. Nur ein Bilderrahmen wie bei dem Vollportrait von Aurora Dawn war nicht mitgeliefert worden. Sollte er das Bild jetzt aufhängen? Er ließ die Leinwand noch zusammengerollt und betrachtete fragend das Beutelchen. Darauf stand:

"Drück' die Nägel an die Wand, und sie graben sich hinein ganz ohne Hand!"

Er suchte ein Wandstück, das groß genug war, um das Stück Leinwand aufzunehmen. Eigentlich wollte er das Bild im Wohnzimmer hinhängen. Doch seine Mutter und er würden da häufig sein und könnten sich beobachtet fühlen. In seinem Zimmer wollte er das Bild auch nicht hängen haben, damit er seine Privatsphäre hatte. War schon schlimm genug, daß die gemalte Ausgabe der Gründungsmutter seines Wohnsaales und auch seiner Blutlinie in Beauxbatons immer wieder zu ihm kam und bewachte, ob er wirklich schlief. Also blieb nur der Flur. So suchte er sich die Wand aus, die zwischen Wohnungstür und Badezimmer lag, die nachträglich eingezogene Wand. Hier konnte er sich auch sicher sein, nicht aus Versehen eine Stromleitung anzupieksen, wenn er Nägel in die Wand trieb. Er hoffte nur, daß es mit dieser Mauer klappte. Er machte das Flurlicht an und maß mit Augen und Armen die Abstände quer und senkrecht aus. Dann drückte er den ersten Nagel an die Wand. Er vibrierte. Dann knirschte es kaum hörbar, und der Nagel hatte sich zu zwei Dritteln ins Mauerwerk gebohrt. Julius faszinierte dieser Zaubertrick. Es ging also auch ohne Klopfen, ob mit einem Hammer oder mit einem Einschlagezauber, wie seine Schlafsaalmitbewohner und er ihn bei Auroras Bild benutzt hatten. Als er das Bild tatsächlich ohne Falte und Schräglage angebracht hatte, schlug Viviane Eauvive, die auf diesem Bild ihr wasserblaues Kostüm mit dem gelben runden Hut trug die Augen auf und sah ihn an.

"Huch, was ist denn mit dir passiert? Wie spät ist es eigentlich?"

"Jetzt gleich zehn Uhr, Madame Eauvive. Ich habe Probleme in Amerika gehabt. Am besten fragen Sie Ihr Ich in Beauxbatons danach. Es stand in der Zeitung. Bitte teilen Sie bei der Gelegenheit Aurora Dawn mit, ich sei jetzt wieder in Paris. Meine Mutter liegt in Amerika in einem Krankenhaus, aber mir ginge es gut. Ich bin halt körperlich nur zwei Jahre älter geworden."

"Ich werde es ausrichten", sagte Viviane etwas verunsichert. Dann trat ihr gemaltes Selbst nach links aus der Leinwand und verschwand einfach. Julius wußte, daß sie keine vier Sekunden bis nach Beauxbatons brauchte und dort ihr anderes gemaltes Ich traf. Dieses würde sofort wissen, was los war, ohne das die beiden gemalten Versionen es sich sagen mußten. Dann würde auch Aurora Dawn informiert. Er ging in sein Zimmer zurück und zog sich bettfertig um, damit er vor dem Schlafen noch etwas in Catherines Buch über die Manieren beim Mentiloquieren lesen konnte. Er hatte gerade mit Mühe und Not den kurzen Schlafanzug angezogen, als Viviane Eauvives Stimme aus dem Flur erklang.

"Julius, wo bist du?" Er lief hinaus in den Flur und sah Viviane wieder auf der Leinwand.

"Also, ich weiß jetzt, was dir passiert ist und habe Aurora deine Nachricht weitergegeben. Sie wird sie wohl ihrem natürlichen Ich weitergeben. Ich werde gleich noch einmal mit Antoinette von der Delourdes-Klinik sprechen, ob sie dich nicht noch einmal untersuchen möchte. Keine Widerrede! Die Alterung an sich ist schon gravierend genug. Dein Erlebnis an sich könnte noch größere Probleme bereitet haben. Wer einer der Abgrundstöchter begegnet und das überlebt trägt oft großen seelischen Ballast durchs Leben."

"Madame Matine in Millemerveilles hat mich schon untersucht", sagte Julius. "Sie kennt meine Geschichte und meint, ich käme damit klar, wenn ich mich nicht in mich selbst zurückziehe und Sachen mache, die mich fordern, mir Verantwortung und interessantes zu tun geben und immer in der Nähe von guten Freunden oder Bekannten bleibe."

"Wie gesagt, keine Widerworte!" Bestand Madame Eauvive auf dem, was sie ihm befohlen hatte. Dann sagte sie noch: "Außerdem hast du mich jetzt mit Viviane anzureden. Am besten legst du dich jetzt hin und schläfst. Falls du schlecht träumst bin ich ja jetzt da."

"Wie Sie meinen, Viviane", sagte Julius und zog sich in sein Zimmer zurück, wo er sich hinlegte und die ersten Absätze aus dem Leitfaden für den Mentiloquismus las. Irgendwann flimmerten die Buchstaben vor seinen Augen, und er mußte das dünne Buch zuklappen und weglegen, bevor er in einen tiefen Schlaf sank.

 

__________

 

Am nächsten Morgen wachte er um sieben Uhr auf und stand auf. Er hörte unten bereits Babettes Trällern, die wohl ihren Lieblingsohrwurm aus der Zeit vor der Reise nach Millemerveilles durch das Haus klingen ließ und dazu mitsang.

"Da stinke ich mal gegen an", dachte Julius und legte in seinem Zimmer eine CD mit Krachmeister B ein. Er drehte die Anlage auf mittlere Lautstärke, was die Wände erzittern ließ. Er hörte Vivianes Proteste nur schwach, während die wummernden Bässe und der Sprechgesang des Neew Yorker Rappers in Julius Ohren nachhallte.

"Wir haben es gehört, daß du wach bist, Julius. Drehe die Anlage ruhig wieder leiser!" setzte Catherines Gedankenstimme in seinem Kopf sich gegen den Lärm durch. Er drehte die Anlage wieder herunter und schaltete von CD auf Radio um. Zu flotten Rhythmen machte er sich tagesfertig. Dann schaltete er die Anlage ganz aus und wollte zum Frühstück hinuntergehen.

"Wenn du demnächst solche Musik hörst, Julius, erwähle dir bitte anständigen Gesang und nicht diese primitive Darbietung", sagte Viviane ziemlich ungehalten. Julius verzichtete darauf, etwas zu sagen und verließ die Wohnung.

Catherine empfing ihn mit der tagesfrischen Ausgabe des Miroir Magique und gab sie ihm zu lesen. Er fand das Interview, das er Mademoiselle Chermot gegeben hatte und nickte. Sie hatte korrekt das wiedergegeben, was er gesagt hatte. Zum Schluß wurde die Frage aufgeworfen, ob jene Hexen vielleicht den so ominösen schweigsamen Schwestern angehörten.

"Falls ja, dann wolten sie, daß du von ihnen berichtest", sagte Catherine leicht verbittert. "Ihnen liegt offenbar daran, daß jemand weiß, wer die Arbeit des Ministeriums gemacht hat. Unabhängig davon, ob man diese Hexen kennt oder nicht haben sie bewiesen, daß sie besser mit dieser Art von Bedrohung fertigwerden können. Das wird ein gewisses Erdbeben in den Ministerien geben. Außerdem mußt du darauf gefaßt sein, das andere Schwestern dieses Ordens versuchen, mehr aus dir herauszuholen. Aber im Moment bist du von der Seite her wohl nicht in unmittelbarer Gefahr.""

"Wirklich?" Forschte Julius nach. "Nicht das mir jetzt an jeder Ecke eine auflauert."

"Das würde ja auffallen. Durch das Interview bist du im Moment zu sehr im Licht der Öffentlichkeit. Falls einige Hexen oder auch die Todesser meinen, mehr von dir wissen zu wollen, müssen sie abwarten, bis keiner mehr danach fragt, was aus dir geworden ist. Aber um dich besser abzusichern machen wir nachher unsere Übungen." Julius nickte.

Nach dem Frühstück blieb er bei den Brickstons. Joe war bereits wieder zur Arbeit gefahren, und Babette wollte wie versprochen mehr über die verschiedenen Drachen hören, was Julius in sich hineinschmunzelnd als eine Möglichkeit sah, Verantwortung für ein Lebewesen zu übernehmen. Catherine nickte ihm zu und sagte ihm, daß sie ihn um zehn Uhr in ihrem Arbeitszimmer sehen wolle. So unterhielt er sich mit ihrer Tochter über die Drachen und andere Zaubertiere. Dabei erfuhr er auch, daß die Latierre-Kinder ihre Eltern fragen wollten, ob Babette nicht einmal auf einer der fliegenden Kühe mitfliegen könne. Aber das hatte sie ihrer Großmutter noch nicht sagen wollen und ihrer Mutter auch nicht.

"Stelle ich mir etwas ruckelig vor", meinte Julius. "So'ne Latierre-Kuh ist ja nicht innerttralisiert. Außerdem hast du dann einen Geruch von zehn Kuhställen in der Wäsche hängen."

"Nöh, stimmt doch nicht. Callies und Pennies Maman hat mich sogar schon mit dem Zeug abgesprüht, daß Demies Geruch wegzaubert", sagte Babette.

"Die Latierres sind eine Truppe für sich", konnte Julius dazu nur bemerken. Das stimmte ja auch.

Um zehn Uhr trat er zum Privatunterricht bei Catherine an. Er stellte bald fest, daß zwischen wollen und können eines Zaubers doch ein großer Unterschied lag, als Catherine ihn immer wieder die Schrecken des Sanderson-Hauses und sogar die Galerie des Grauens durchleben ließ. Bei letzterer sagte sie:

"Das Maman mir das nicht sagen wollte ist mal wieder typisch von ihr. Aber wenn Grandchapeau das zur Geheimsache erklärt hat. Aber du merkst, wie wichtig Occlumentie-Übungen sind. Sicher kannst du das nicht in einer Stunde lernen. Viele schaffen es erst nach Wochen der Übung. Aber ich merke schon, daß du bestimmte Dinge zurückhalten willst. Du mußt deinen Geist ganz leer machen, ähnlich wie beim Mentiloquismus. Ich darf nichts zu fassen kriegen, woran ich andere Erinnerungen hervorziehen kann. Das ist die eigentliche Arbeit dabei. Also los! Legilimens!"

Julius hatte seinen Zauberstab gar nicht erst in die Hand genommen. Er wußte ja, daß diese Kunst rein geistig ausgeübt werden mußte. Als er dann unvermittelt in den Traum mit Martine Latierre hineinrutschte, der immer intensiver wurde, versuchte er es mit seiner Selbstbeherrschungsformel, die immer anregenderen Bilder zurückzudrängen. Als Martine dann noch zu Hallitti wurde, kämpfte er immer mehr gegen diese aufwallende Leidenschaft an. Catherine blieb jedoch hartnäckig gerade an den lustvollen Eindrücken in seinem Gedächtnis hängen. Er keuchte, weil er einerseits immer stärker erregt wurde, daß sich seine Jeans schmerzhaft spannte und er die Bilderflut zurückzudrängen versuchte. Dann war es vorbei. Die hervorgezerrten Erinnerungen fielen in sein Unterbewußtsein zurück, und er wurde seiner Umgebung gewahr.

"Die Augen zu schließen oder den Blickkontakt zu vermeiden ist nicht schlecht, Julius. Offenbar hast du durch die Erfahrungen mit Zugriffsversuchen auf deinen Geist bereits eine gewisse Empfindung entwickelt. Wie Ängste werden auch heimliche Begierden gerne als Waffe gegen jemanden benutzt, ihn oder sie zu kontrollieren. Aber du wehrst dich schon. Du wolltest mir Martine Latierres Namen nicht verraten, obwohl ich sie sofort erkannt habe. Deshalb habe ich diese Erinnerung stärker hervorgeholt."

"Ja, und mir damit fast 'ne nasse Hose gemacht", grummelte Julius.

"Das habe ich gemerkt und deshalb die Runde abgebrochen, damit du dich wieder abregen kannst", sagte Catherine und deutete auf Julius vorne stark ausgebeulte Hose.

"Komisch, ich hätte jetzt gedacht, das Ding mit Hallitti hätte mich sofort auf Abwehr gehen lassen müssen, mir Angst einjagen sollen", sagte Julius.

"Deine Selbstbeherrschungsformel hat das blockiert. Aber wie gesagt ist die nicht ausreichend, dich vor mir oder skrupelloseren Legilementen zu verschließen. Die Kunst ist, das kann ich nicht oft genug sagen, bereits alles aus dem eigenen Geist zu verbannen, bevor jemand etwas davon ergreifen und damit verbundene Dinge hervorziehen kann. Du hast als Gast der siebten Klasse von Maman zu hören und sehen bekommen, daß der Geist eines intelligenten Wesens in unzählige Schichten unterteilt werden kann, wie ein unendlich weiter und tiefer See, wo jeder Wassertropfen mit jedem anderen Wassertropfen verbunden und vermischt sein kann. Das hat sie damals auch schon so erklärt, als ich ihre UTZ-Schülerin sein durfte", erwiderte Catherine. Dann meinte sie noch: "Auch wenn es mich nicht betrifft, weiß Martine, daß du sie als erste Lustvision hattest?"

"Öhm, ja, mußte ich ihr sagen, weil Madame Rossignol merkte, daß ich mit der jungen Dame nicht so einfach weiterarbeiten konnte, weil das genau einen Tag nach diesem Traum war", sagte Julius errötend.

"Claire ist aber immer noch deine Freundin, wie ich weiß. Dann wirst du bestimmt auch einmal von ihr so leidenschaftlich träumen."

"Hattest du im Traum auch einen älteren Liebhaber? Oder sollte ich das besser nicht fragen?" Preschte Julius vor, der meinte, nicht nur über sich reden zu wollen.

"Tatsächlich hatte ich einen, als ich den ersten erotischen Traum hatte. Ist also nichts so abwegiges. Aber mehr mußt du nicht wissen. Ich lasse dich jetzt auch mit solchen Bildern in Ruhe. Aber weitermachen müssen wir wohl, zumindest noch eine Runde. Ich will wissen, ob du nicht doch schon mehr kannst als du dir bisher zugetraut hast."

Die Türglocke läutete. Julius grinste.

"Rettung durch den Pausengong in der vierten Runde", sagte er.

"Mal sehen wer da ist", sagte Catherine und öffnete die Tür. Babette kam schon um die Ecke.

"Ich habe es gehört, meine Tochter", sagte Catherine und blickte durch das von außen undurchsichtige Glas der Haustür. Draußen stand eine etwas älter wirkende Frau in einem himmelblauen Kleid und braunem Haarschopf. Julius erkannte sie. Es war Madame Antoinette Eauvive. Catherine öffnete die Tür und ließ sie herein.

Julius mußte nun, während Catherine sich mit Babette beschäftigte, noch einmal seine Geschichte erzählen. Hierzu durfte Madame Eauvive mit ihm in die Wohnung der Andrews hinauf, wo er sich auf die breite Wohnzimmercouch hinstreckte, fast wie bei einem Muggel-Seelendoktor, wie er fand. Dabei legte sie ihm eine Art Vergrößerungsglas auf die Stirn, das warm und sacht pulsierend liegenblieb.

"Erzähle ruhig weiter! Das Artefakt hilft mir nur, einen objektiven Eindruck von dem zu bekommen, was in dir vorgeht", sprach die Chefin der Delourdes-Klinik. Julius dachte zunächst, es wäre eine Art Lügendetektor und versuchte mit einer Schwindelei eine Reaktion auszulösen. Doch das Ding auf seiner Stirn pulsierte sacht weiter. Dennoch erkannte die Heilerin wohl, daß er etwas falsches sagte, als er davon sprach, er habe bereits mit Leuten von der Quodpotliga gesprochen. Sie bat ihn darum, wahrheitsgetreu weiterzuerzählen, und zwar alles, nicht nur das, was die Öffentlichkeit und gute Bekannte von ihm hören durften. So blieb ihm nichts übrig, als auch davon zu berichten, was ihn älter gemacht hatte und wie genau sein Vater "gestorben" war. Als er dann unter Aufbietung seiner ganzen Selbstbeherrschung alle niederdrückenden Gefühle zurückdrängte und seine Geschichte ordentlich beendete, strich ihm seine weit entfernte Verwandte sacht über die rechte Wange, worauf das Ding auf der Stirn kurz erzitterte. Dann sagte sie ruhig:

"Und du weißt nicht wer dir diesen tückischen Zauber beigebracht hat? - Lag demjenigen wohl viel daran, es geheim zu halten. Aber ich habe da so einen Verdacht. Doch den muß ich erst prüfen und befinden, inwieweit eine Aufdeckung der Quelle sinnvoll oder schädlich ist. Natürlich muß das niemand wissen, daß diese Hexen deinen Vater durch den Infanticorpore-Fluch behext haben und durch die Vernichtung dieser Kreatur dessen Erinnerungen erloschen, sodaß seine Seele dem Körperzustand angeglichen wurde. Bestimmt hat meine Kollegin in Thorntails ein ähnliches Artefakt benutzt wie ich jetzt, um die psychomorphologische Unversehrtheit seiner Seele zu prüfen."

"Sie wissen, wer mir diesen Zauber ins Hirn gelegt hat?" Fragte Julius aufgeregt. Madame Eauvive nickte, sagte aber sofort, daß sie weder ihm noch sonstwem zu diesem Zeitpunkt etwas erzählen würde. Dann fragte sie:

"Wessen Idee war es, dir Occlumentie beizubringen?"

"Öhm, wie kommen Sie darauf?" Fragte Julius.

"Jungchen, als ich das Seelenauge auf deine Stirn legte sackte sein Lotungszauber bis zum tiefsten Grund deines Unterbewußtseins durch. Das passiert, wenn das Bewußtsein durch hohe Geistesanstrengung und äußere Einwirkungen so stark geschwächt ist, daß es keinen Widerstand gegen den Lotungszauber aufbietet. Zumindest kann ich dies so beschreiben, da es natürlich keine räumliche Abmessung eines Geistes gibt. Also, war es Professeur Faucon oder Madame Brickston? Daß sie dich unterweisen will habe ich sofort gemerkt. Aber wer hatte die Idee?"

"Öhm, beide", antwortete Julius verlegen. Was konnte dieses Ding, dieses Seelenauge alles machen?

"Ich erkenne, daß es Gründe gibt, dir diese Kunst jetzt schon beizubringen. Nur solltest du es nie länger als zwei Stunden am Tage üben, damit du genug Zeit zur geistig-seelischen Erholung findest. Nun, du wirst einige Zeit brauchen, um wieder in deine gewohnte Balance zu kommen. Dabei würde ich dir dringend empfehlen, nicht immer mit Gewalt deine Gefühle zu unterdrücken. Sie werden dich sonst zu einer unpassenden Gelegenheit überwältigen, genauso als würdest du eine schwere Eisenkugel an einem Pendel immer wieder zurückstoßen und irgendwann nicht mehr die Kraft haben, den Rückschlag abzufangen und davon zu Boden gestreckt werden. Aha, das ist dir schon passiert, wie ich hier sehen kann", sagte Madame Eauvive. Julius wollte nicken, doch das Seelenauge lag so schwer auf seiner Stirn, daß er den Kopf nicht bewegen konnte. Irgendwie beunruhigend, fand er. Denn so lag es federleicht auf und drückte nicht wie eine Bleikugel auf seinen Kopf. Dann erzählte er von der Sitzung des Zwölferrates, wo er vor Wut den nun abgesetzten Zaubereiminister Pole beleidigt hatte und von der übermächtigen Welle aus Verzweiflung, die ihn gestern abend hier in der Wohnung überschwemmt hatte. Sie nickte und sagte:

"Das kommt daher, daß bestimmte Orte bestimmte Gefühle auslösen, die wiederum andere Gefühle hervorbringen. Wenn du aber nicht in dich selbst flüchtest und dich quasi in deinen Ängsten einkerkerst, kommst du gut darüber hinweg. Deshalb würde ich dir auch empfehlen, möglichst wenig alleine zu bleiben, es sei denn, du hast etwas, das dich so intensiv in Anspruch nimmt, daß du alle unerwünschten Gedanken und Stimmungen durch diese Tätigkeit zurückdrängst. Wenn du jedoch diese Tätigkeit beendet hast, solltest du ruhig in der Nähe von dir vertrauten Leuten sein, mit denen du zusammenwirken kannst, sodaß du deine Gefühle in überschaubarer Weise ausleben kannst, egal welche. Ich weiß nicht, ob diese Wohnung der richtige Ort dafür ist, dich derartig zu regenerieren. Aber ich sehe im Moment auch keine Veranlassung, dich in die Seelenerholungsabteilung meiner Klinik einzuweisen. Denke bitte daran, du bist ein Mitglied der Eauvive-Familie! Es gibt genug Leute, denen du dich anvertrauen kannst und die ein Recht darauf haben, dir vertrauen zu können. Aber das werde ich dir zu einem späteren Anlaß noch einmal genau erläutern. Was hat Madame Matine denn gemeint, was du tun möchtest?" Julius erzählte es ihr, und sie nickte. Sie schmunzelte, als sie sagte, das seiner Ersthelferlehrerin natürlich eingefallen sei, ihn sich möglichst in Millemerveilles erholen zu lassen.

"Quidditch kannst du aber auch bei uns im Park des Château Florissant spielen. Es kommen immer mal wieder welche aus unserer näheren und ferneren Verwandschaft, daß da seit einem Jahrhundert ein Quidditchfeld mit den Torringen angelegt ist. Und was die verantwortungsvolle Tätigkeit angeht, so hast du in Beauxbatons ja jemanden, um den du dich kümmern kannst, wenn du wieder zurückkehrst."

"Goldschweif", vermutete Julius. Madame Eauvive nickte. Dann fügte sie hinzu, daß er ja auch weiterhin gute zwischenmenschliche Beziehungen pflegen möge. Danach winkte sie ihm, mit ihm wieder nach unten zu gehen, wo sie Catherine kurz in ihrem Arbeitszimmer berichtete, was sie herausgefunden hatte und daß sie zu diesem Zeitpunkt keinen Anlaß für eine heilkundliche Behandlung sehe. Dann verabschiedete sie sich auch von Catherine und verließ das Haus durch die Haustür.

"Es bringt wohl nichts, dich jetzt noch einmal zu einer Übung anzuhalten", mentiloquierte Catherine. Julius blieb dabei äußerlich ruhig. Er konzentrierte sich nur und schaffte es, Catherine auf unhörbarem Weg zu antworten, daß er wohl erst einmal genau nachdenken wolle, wie er seinen Geist freimachen konnte.

Nach dem Mittagessen half Julius Babette bei den Schulaufgaben, insbesondere den bei allen Grundschülern gefürchteten Textaufgaben aus dem Rechenbuch. Er selbst hatte noch eine Zaubertrankhausarbeit für Professeur Fixus abzuliefern, für die er sich in sein Zimmer in der erdrückend leeren Wohnung zurückzog. Gegen vier Uhr nachmittags rief ihn Catherine in Gedanken herunter, sie wolle mit Babette und ihm einkaufen. Hierzu benutzten sie den Weg durch den stillgelegten Metrotunnel bis zu der Eisentür, die Catherine nur durch einen Stubser des Zauberstabes an der richtigen Stelle öffnen konnte. In der Rue de Camouflage suchten sie zunächst das Gringotts-Gebäude auf, wo sie im Schalterraum die Moulins trafen. Hercules fragte ihn:

"Heh, Julius, bist du als Tütenträger angestellt worden?"

"Neh, Hercules", erwiderte Julius und deutete auf seine Hochwasserhosenbeine. "Ich bin zu schnell aus den Klamotten rausgewachsen. Da müssen neue her."

"Hoffentlich mußt du das jetzt nicht jedes Jahr machen", feixte sein Schlafsaalmitbewohner. Jetzt erst fiel den übrigen Besuchern der Bank auf, daß Julius Andrews hier war, der Junge, der von einer dämonischen Kreatur angegriffen und durch ihren Fluch um zwei Jahre älter geworden war. Sie starrten ihn an. Doch als Catherine und er zurückstarrten, drehten sie schnell ihre Köpfe weg.

"Die haben doch die Zeitung gelesen", grummelte Julius, als Catherine, Babette und er in einem der selbstfahrenden Schienenwagen saßen, die im Höllentempo nach unten sausten.

"Das wird erst keinen mehr kümmern, wenn du in Beauxbatons bist und denen zeigst, daß ansonsten noch alles in Ordnung mit dir ist", beruhigte ihn Catherine.

Bei Madame Esmeralda kaufte er sieben Gebrauchsumhänge, drei neue Beauxbatons-Umhänge und zwei neue Festumhänge ein, einen weinroten, wie den letzten und einen himmelblauen mit weißem Stehkragen, den er für Sachen wie Hochzeiten oder Taufen benutzen konnte. Die Besitzerin des Bekleidungsladens ließ ihm sogar ein Drittel der gesamten Kaufsumme nach, weil er ihre Wahre ja wieder so gut präsentiert hatte.

"Ich glaube, wir hätten meine Reisetasche mitnehmen sollen", sagte Julius, als er mit einem großen, rauminhaltsbezauberten Tragekarton unter einem Arm herauskam. Doch es galt noch, ein paar neue Tanzschuhe und zwei Paar Laufschuhe für Quidditch und Bodensport zu besorgen. Als er seine Sachen hatte, mußte er noch auf Catherine und Babette warten, weil diese sich mehrere Paar Schuhe aussuchten. Dann ging es noch zur Buchhandlung und zur Apotheke, wo Julius seine Zaubertrankzutaten vervollständigte. Als es dann mit Sack und Pack zurück in die Rue de Liberation Nummer dreizehn ging sagte Julius, daß er das nicht jedes Jahr wiederholen wollte.

"Könnte sein, daß du auch jetzt Ruhe bei den Umhängen hast. Der rote Festumhang wird wohl das bißchen Wachstum, das du noch vor dir hast aushalten. Den anderen hast du ja auch zwei Jahre getragen, und in denen bist du ja gut gewachsen."

Als sie die Einkäufe nach Hause gebracht hatten sortierten Catherine und Julius die nicht mehr passenden Sachen aus. Muggelkleidung wollte Catherine alleine kaufen, damit niemand den Jungen sehen konnte, der offiziell noch in Amerika war. Ihm fiel ein, daß sein Onkel am nächsten Tag vorbeikommen wollte. Catherine rief vom Telefon in Martha Andrews' Schlaf- und Arbeitszimmer aus bei Claude Andrews an. Der Mithörlautsprecher war eingeschaltet. Julius verfolgte, wie Catherine in einer filmreifen Darstellung die besorgte Nachbarin gab, die schon mehr als einen Tag auf die Rückkehr der Andrews' wartete. Claude Andrews seufzte und sagte:

"Ich fürchte, Madame, die werden auch nicht mehr wiederkommen. Martha wurde entführt und unter Drogen gehalten, bis sie von FBI-Truppen befreit werden konnte. Sie liegt in einem Krankenhaus in New Orleans. Julius ist bis zur Stunde noch nicht gefunden worden. Ich bekam heute Morgen einen Anruf, daß Richard, der wegen eines Psychopathen, der seine Identität benutzt hat, um mehrere Leute umzubringen, vom FBI versteckt gehalten wurde, aus diesem Versteck entführt und zehn Kilometer davon entfernt wohl getötet worden ist. Ich bereite mich gerade vor, rüberzufliegen und ihn zu identifizieren. Ich fürchte, Julius wurde ebenfalls getötet und im Sumpf bei New Orleans versenkt."

"Ist von denen, die ihn bewacht haben jemand getötet worden?" Fragte Catherine mit nicht nur gespielter Erschütterung.

"Offenbar hat da jemand die Wasserzufuhr angezapft und ein starkes Betäubungsgift in das Trinkwasser gemischt, das alle außer Gefecht gesetzt hat. Als die Beamten wieder erwachten war Richard verschwunden, bis man seine Leiche fand", erwiderte Claude Andrews sichtlich betroffen.

"Sie glauben doch nicht, daß der Junge tot ist", sprach Catherine.

"Ich weiß es nicht. Die vom FBI suchen ihn ja noch. Aber wenn sie Martha derartig drangsaliert haben, könnte der Junge ..."

"Er ist bestimmt weggelaufen", sagte Catherine nun in einem Tonfall, als wolle sie nicht hinnehmen, was sie gehört hatte. "Dann wäre er ja in Marthas Nähe gewesen."

"Hören Sie, Madame, ich will ja selbst nicht wahrhaben, was passiert ist. Aber wenn der Junge fortgelaufen wäre, wo hat er sich dann verstecken können? Ich werde das morgen klären, wenn ich bei denen drüben bin und meinen toten Bruder identifiziere. Ich werde eine Detektivagentur ansetzen, den Jungen zu suchen. Falls sie ihn finden, hole ich ihn nach London, bis Martha wieder gesund genug ist, um seinen weiteren Verbleib auszudiskutieren. Ich werde Sie anrufen, wenn ich näheres weiß."

"Sie haben meine Telefonnummer?" Fragte Catherine.

"Sie sind doch die Frau, die mit Joseph Brickston verheiratet ist, der mit meiner Schwägerin zusammen studiert hat. Sie wohnen im selben Haus?"

"Ja, Rue de Liberation 13", erwiderte Catherine.

"In Ordnung", sagte Claude Andrews nur und verabschiedete sich.

"Du hast es mitbekommen. Sie suchen dich noch immer. Dieser Davenport hat wohl sehr schnell reagiert", sagte Catherine immer noch ergriffen von der Wendung der Ereignisse.

"Dann haben die wohl die Nummer mit dem Wasser durchgezogen, diesem Typen, der sich für meinen Vater ausgegeben hat rausgeholt und irgendeine Leiche hingelegt. Aber wenn die untersucht wird kommt raus, daß das nicht mein Vater sein kann", sagte Julius.

"Durch Verwandlungszauber kann man selbst einen toten Menschen so hinbekommen, daß er einem bestimmten Menschen ähnelt, in allen Einzelheiten", sagte Catherine.

"Ja, aber die können nicht alle Narben und Muttermale kennen, die Paps gehabt hat, vom Erbgut ganz zu schweigen. Onkel Claude wird ..."

"Sehen, was man ihm zu sehen vorgibt", sagte Catherine. "Die brauchen nur einen Illusionszauber auf den Körper zu legen, damit er sieht, was er meint, an Richard, deinem Vater, sehen zu müssen. Das ist nicht das erste Mal, daß die Einsatztruppen eines Zaubereiministeriums den Tod eines in der Muggelwelt bekannten Menschen vortäuschen müssen. Gerade wenn ein Zauberer in Gefahr gerät, für die Muggel zu interessant zu werden, kam es schon zu solchen Täuschungsmanövern."

"Unheimlich, daß das gehen soll und man nicht weiß, wer jetzt wirklich tot ist oder nicht", raunte Julius. Im Moment empfand er nichts. Denn der da verschwunden war war nur dieser Verwandlungskünstler, der den Unfug von Minister Pole mitgemacht hatte. Andererseits hatte der dafür gesorgt, daß sein Vater nun als unbescholtener Mann begraben werden konnte, nicht als Massenmörder. Das mußte er sich klarmachen. Dieser Ministeriumszauberer hatte den Ruf seines Vaters gerettet.

"Dir ist wohl klar, daß ich dich für's erste nicht in die Muggelwelt lassen kann, vor allem nicht so, wie du jetzt aussiehst", sagte Catherine sehr ernst.

"Vor allem darf Joe das noch nicht wissen, was da in Amerika gelaufen ist, wenn das nicht im Fernsehen herumposaunt wird. Wäre aber 'ne schlechte Werbung für das FBI-Zeugenschutzprogramm", sagte Julius.

"Gut, ich merke, du hast dich damit arrangiert, zumindest nur in der Zaubererwelt herumzulaufen, bis deine Mutter wiederkommt."

"Die fällt gleich wieder in Ohnmacht, wenn die mich sieht", sagte Julius unbedacht. Dann erschrak er. Ja, das war auch noch ein Akt für sich.

In der Nacht träumte Julius, er stehe im Krankenzimmer seiner Mutter, höre dieses kalte Piepen und Zischen der Lebenserhaltungsmaschinen und riefe sie immer wieder, sie solle doch wach werden. Darüber wachte er selbst auf und fand sich schwer atmend in seinem Bett liegen. Er dachte daran, daß er nun jede Nacht davon träumen würde, immer und immer wieder. Tränen traten ihm in die Augen. Er brauchte eine volle Minute, sich von diesem Traum zu erholen. Er stand auf, um sich einen Schluck Wasser aus dem Badezimmer zu holen. Im Dunkeln schlich er durch den Flur. Da wisperte es von Vivianes Bild her. Er erschrak heftig und blieb für einen Moment wie angewurzelt stehen. Da sprach die Stimme Aurora Dawns zu ihm:

"Julius, hast du schwer geträumt?"

"Ja, kann man so sagen. Ich habe mich in einem Krankenhauszimmer bei meiner ohnmächtigen Mutter stehen gesehen und mich immer rufen hören, sie soll aufwachen. Sie wurde aber nicht wach", sagte Julius halblaut. Dann fragte er: "Wie bist du denn in dieses Bild gekommen?"

"Viviane hat mich mal eben herübergebracht, um zu testen, ob es geht. Frage nicht wie! Du kannst es dir vielleicht denken."

"Verwandlung in was kleineres, wie Lady Medea es mit dir gemacht hat", vermutete Julius.

"Mmmhmm", erwiderte Aurora. Dann sprach Viviane:

"Wie gesagt, Julius, ich bin da, wenn dich deine Träume nicht schlafen lassen. Aber versuche dennoch, weiterzuschlafen. Träumen ist genauso wichtig für die Seele wie Essen und Trinken für den Körper. Leg dich also ruhig wieder hin und schlafe weiter! Aurora bleibt noch die restliche Nacht, bevor ich sie wieder zu uns nach Beauxbatons bringe."

"Ich will nicht haben, daß dieser Traum wiederkommt", raunte Julius.

"Das wird er auch nicht, wenn du anderen Träumen die Möglichkeit gibst, zu dir zu kommen. Bald wird deine Mutter wieder zu dir zurückkommen."

"Ich weiß nicht, wann", erwiderte Julius verängstigt. Viviane sagte darauf beruhigend:

"Es wird nicht mehr lange dauern, Julius. Denke daran, daß sie wieder zu dir zurückkommen wird, und du wirst dir die schweren Träume vom Leib halten können!"

Julius nickte schwerfällig. Was konnte die gemalte Viviane, deren Original ja schon seit mehr als 1000 Jahren tot war auch anderes machen als ihm beruhigende Wörter zuflüstern? Er ging ins Badezimmer, trank etwas Wasser und legte sich dann hin. Zwar dauerte es mehr als eine halbe Stunde, doch dann schlief er ohne weiteren Traum, an den er sich erinnern konnte.

 

__________

 

Die folgenden Tage dachte Julius zwischen den Occlumentie und Mentiloquismus-Übungen immer wieder daran, was nun angestellt wurde, um die angebliche Leiche seines Vaters zu beerdigen. Zwischendurch sprach er mit Babette über ein Buch, daß sie von einer Tante aus England bekommen hatte, in der eine schwimmende Lokomotive, ein andauernd wiederkommendes Echo, ein Scheinriese und halbe und echte Drachen vorkamen. Julius grinste, als Babette, die von ihrer Mutter zu Lautleseübungen angehalten worden war, das Kapitel mit dem nicht mehr Feuer speienden Vulkan vorlas.

"Na klar, mit Kohle und einem großen Ofen werden die Dinger betrieben. Neh, is' klar, Babette", lachte Julius. Diese sah ihn leicht geknickt an und fragte:

"Wie gehen die Dinger denn sonst, eh?"

"Eh, die kriegen aus der Tiefe der Erde, da wo es ganz heiß ist, flüssiges Gestein und Gas hochgedrückt. Irgendwann staut sich das so heftig, das es Bumm macht und das ganze glühende Zeug, die Lava, zusammen mit brennenden Gasen und Asche, die in Wirklichkeit Steinpulver ist, in den Himmel fliegt. Am besten kann man das mit einer Sprudelflasche beschreiben. Wenn sie zu ist, ist immer ein gewisser Druck von der Kohlensäure da. Wenn du die dann schüttelst, löst sich immer mehr Kohlensäure aus dem Wasser oder der Limo, und wenn du Pech hast, explodiert die Flasche dann. Wenn du sie aber sofort nach dem Schütteln aufdrehst spritzt alles was da drin ist durch die Gegend. Ich kann dir das mal vorführen."

"Wag dich, Julius!" Entgegnete Catherine drohend. Doch Babette wollte das jetzt wissen, ob ein Vulkan wirklich so gehen konnte. So holte ihre Mutter eine kleine Sprudelflasche und forderte Julius und Babette auf, ihr ins Badezimmer zu folgen. Dort gab sie Julius die Flasche und sagte: "Dann mach mal!"

Nach dreimaligem Schütteln richtete Julius die Flasche auf die Badewanne aus und drehte den Schraubverschluß. Wie vorhergesagt gab es ein lautes Zischen und Brodeln, und über die Hälfte des Mineralwassers spritzte in hohem Bogen wie eine Fontäne heraus.

"Siehst du, Babette. Das Zeug, was uns rülpsen läßt, ist auch tief unten in der Erde und drückt geschmolzenen Stein hoch. Wenn dann oben oder an der Seite die Wand nichts mehr aushält, kracht es und läßt das Höllenzeug raus, mal in hohem Bogen, mal als breiten Fluß, in dem aber keiner baden kann."

"Ja, aber warum steht denn das dann in dem Buch so drin?" Fragte Babette.

"Weil es eine Geschichte für Kinder ist, die sich nicht mit so komplizierten Sachen rumschlagen wollen und einfach nur Spaß haben wollen", sagte Catherine lächelnd. "Aber schon ein interessanter Versuch, zumal das meiste Mineralwasser aus einer Gegend kommt, wo mal Vulkane gewesen sind oder noch schlafen."

"Wie, schlafen?" Wollte Babette wissen.

"Das sagen die Leute, die sowas erforschen, wenn Vulkane lange nicht mehr Feuer spucken. Vielleicht schläft ja so'n Drache da drin und kriegt nicht mit, wenn der Ofen ausgeht", erwiderte Julius gehässig.

"Julius, wenn du meiner Tochter schon höhere Wissenschaft beibringen möchtest, dann nimm bitte auch ihre Fragen ernst, ja!" Mahnte ihn Catherine.

"Aber so ist die Geschichte doch spannend", sagte Babette und blätterte einige Seiten zurück und las ihm vor, wie die Helden mit ihrer Lokomotive durch eine absolut schwarze und eisigkalte felsenlandschaft fuhren und nur durch den zu Schnee gefrierenden Dampf ihren Weg finden konnten. Dann blätterte Babette mehrere Seiten weiter und erzählte, das die böse Drachenfrau gefangen und mit den Kindern, die sie von Piraten hatte zusammenklauen lassen nach China gebracht worden sei. Sie las eine Stelle vor, wo dieser Drache sich zu verwandeln begann und wie er sagte:

"Niemand der böse ist ist dabei besonders glücklich. Und wir drachen sind eigentlich nur böse, damit jemand kommt und uns besiegt. Leider werden wir dabei meistens umgebracht."

Julius schluckte. Catherine sah ihre Tochter an und las diese Sätze leise nach. Dann sagte Julius ergriffen:

"Den Spruch sollten die aus Gold in weißen Marmor einmeißeln. Das heißt doch, wer böses tut, macht das, weil ihm oder ihr etwas sehr weh tut oder sie oder er keinen hat, mit dem man friedlich reden kann."

"Das mag sein, Julius. Sicher kommt vieles, was wir böse nennen durch Angst oder Wut auf etwas, daß einem das Leben erschwert. Aber es gibt auch Leute, die halten sich für sehr stark und allen überlegen, weil sie anderen Angst machen, ihnen wehtun oder etwas kaputtmachen. Ob die unglücklich oder eher gewaltsüchtig sind ist für die, die von denen angegriffen, gequält oder umgebracht werden erst einmal unwichtig. Das ist eine der schwierigen Faktoren bei der Abwehr der dunklen Künste, die durch Angst oder Erfolglosigkeit zu bösen Taten getriebenen von denen zu unterscheiden, die aus purer Zerstörungssucht und Herrschsucht böses tun. Aber für Leute, die nach schweren Rückschlägen oder unter Angst versucht sind, mit derselben Grausamkeit zurückzuschlagen, ist dieser Spruch sicher eine gute Hilfe, sich eines besseren zu besinnen. Aber wenn ich das richtig verstehe, dann wollen die Drachen in deiner Geschichte zu goldenen Drachen werden, können das aber nicht, weil sie zu stark und wild sind. Deshalb muß erst jemand kommen, sie im Kampf besiegen und einsperren, das sie nicht mehr toben können. Dann finden sie die Ruhe, in die Verwandlung einzutreten und vom bösen Zerstörer zum guten Berater zu werden."

"Huch, das habe ich aber nicht vorgelesen, Maman. Woher weißt du denn das?" Wunderte sich Babette. Julius mentiloquierte:

"Legilimentie?"

"Werd nicht frech!" Dröhnte Catherines Gedankenstimme in seinem Kopf. Laut sagte sie: "Ich habe dieses Buch von Jim Knopf und seinem Freund Lukas in Beauxbatons gelesen, weil eine muggelstämmige Klassenkameradin es von ihren Eltern geschenkt bekommen hatte, um im Unterricht für Magizoologie zu referieren, was Muggel sich über Drachen erzählen. Als reines Vorlesebuch ist das wunderschön, zumal man da ja eben Sachen wie Toleranz gegenüber andersartigen Mitgeschöpfen lernen kann. Natürlich gehen einige Sachen da nicht so einfach, weil außer der Drachenverwandlung und den im zweiten Buch vorkommenden Meermenschen keine Magie vorkommt."

"Hmm, wenn die Drachenverwandlung als solche bezeichnet werden kann, Catherine. Könnte ja auch eine bis dahin unbekannte Form einer natürlichen Gestaltwandlung sein, wie eine Raupe, die zum Schmetterling wird oder eine Kaulquappe, die ein Frosch wird. Das läuft ja auch ohne Magie ab", wandte Julius ein. Catherine nickte. Julius nahm kurz das Buch, um sich die Bilder darin anzusehen und las den Namen des Autors:

"Ups, Michael Ende? Das ist doch der, der die unendliche Geschichte geschrieben hat. Okay, dann will ich nichts gesagt haben. Der Typ ist genial."

"Unendliche Geschichte. Hört die nie auf?" Fragte Babette.

"Hmm, wenn ich dir die Handlung erzähle ist es nicht mehr so spannend", sagte Julius.

Das Telefon klingelte. Catherine trieb das Hexenmädchen und den Zaubererjüngling aus ihrem Badezimmer, machte so im vorbeigehen eine Zauberstabbewegung, mit der die Mineralwasserpfütze verschwand und eilte an den Apparat.

"Ja, er ist hier unten. Julius, Mrs. Jane Porter für dich", sagte Catherine und reichte Julius den Hörer.

"Hallo", meldete er sich.

"Honey, ich habe eine sehr schöne Nachricht für dich. Deine Mutter kommt morgen aus dieser Muggelklinik raus. Zach Marchand ist heute schon raus, weil seine Leute gedreht haben, daß er sobald er wach wird entlassen wird. Der liegt jetzt bei sich zu Hause und kuriert noch die letzten Nachfolgen dieses Dings, in das er und deine Mutter gesteckt wurden. Ich habe ihm bereits erzählt, was dir passiert ist. Das Problem ist nur, daß ein Claude Andrews, wohl dein Onkel väterlicherseits, darauf besteht, deine Mutter sofort mitzunehmen und mehrere Privatdetektive losgeschickt hat, dich zu suchen, weil er denkt, du seist entweder umgebracht worden oder in der Wildnis untergetaucht. Deshalb wollte ich heute abend bei euch vorbeikommen, um zu beraten, was wir da machen können."

"Haben Sie das von dem gehört, der meinen Vater gespielt hat?" Wollte Julius wissen.

"Ja, habe ich. Davidson hat mit ihm gesprochen, als Patch, unser Fachmann für die Arbeit mit ramponierten Leichnamen und Erforschung von Todesarten alle Details deines Vaters auf den zum Studium der Anatomie gespendeten Leichnam übertragen hat. Wenn das nicht so makaber wäre müßte Patch einen Kunstpreis bekommen, was der so alles hinbekommt. Aber ich schweife ab. Monkhouse, von dir als Pausenclown bezeichnet, wird in einem Prozess gegen Ex-Minister Pole aussagen, der am achtzehnten August stattfinden wird. Richter Ironside wollte dich zwar zuerst auch laden, hat aber genug Belastungsmaterial und Zeugen gefunden, die zu dem Sachverhalt aussagen. Ich muß da auch hin, genauso wie Zachary Marchand. Aber zurück zum Thema, Honey. Ich möchte gerne mit euch klären, was wir nun machen, um deine Mutter ohne großen Aufwand zu dir zurückzubringen. Ist Bläänchs Tochter mir immer noch böse?"

"Öhm, würde ich so nicht sagen. Aber ich gebe sie Ihnen noch mal", sagte Julius in einem aufkommenden Freudentaumel und reichte Catherine den Hörer. Catherine meldete sich und wartete einige Sekunden. Dann sagte sie:

"Ich habe mir schon gedacht, daß sowas ansteht. Ich bin Ihnen nicht böse. Ich war nur etwas verstimmt, weil sie meiner Mutter keinen reinen Wein einschenken wollten und Julius nicht gleich nach diesem fast zur Katastrophe umgeschlagenen Sanguivocatus zu ihr zurückgebracht haben. Wann können sie im Austrittskreis sein? ... Nein, Sie brauchen nicht durch unseren Kamin zu kommen. Mein Mann wird gleich nach Hause kommen, und der schätzt es nicht sonderlich, wenn andauernd fremde Hexen und Zauberer ... Jahaha, wie letztes Weihnachten. ... Ja, abgesehen davon, daß wir ein Pfund in Gold für neue Kleidung ausgeben mußten und er jeden Morgen mit seinem magischen Rasiergerät hantieren muß geht es ihm prächtig. ... Ja, das mußte ich machen, weil Sie ihm nicht alles beibringen wollten oder konnten. ... Gut, um halb sieben unserer Ortszeit. Bei Ihnen ist das halb eins Nachmittags. Hmm, falls sie möchte. Aber bitte nur sie. ... Habe ich mir gedacht, daß die anderen Mädchen auch gerne wieder herkommen würden. Wollten sie dann über Nacht bleiben oder am Abend wieder zurück?" Sie nickte und lauschte auf das leise Gequäke aus dem Hörer. "... Für die eine Nacht geht's. Das Wohnzimmer ist groß genug, weil ich ja nicht über Marthas Bett verfügen kann wie ich will. ... Wenn Sie aufpassen, das keine nächtlichen Besuche ... Ja, das mußte ich jetzt sagen, weil das zu meiner Aufgabe gehört. ... Dann bis nachher, Mrs. Porter."

Als Catherine den Hörer wieder aufgelegt hatte, wandte sie sich Julius zu. Dieser fragte, ob Mrs. Porter mit Gloria herüberkommen würde. Sie nickte und antwortete ihm:

"Die beiden werden oben im Wohnzimmer schlafen. Sie bringen Feldbetten und Reinigungsmittel mit, damit sie das Badezimmer wieder ordentlich machen können, wenn sie morgen mit uns beiden abreisen."

"Dann holen wir Mum morgen aus dem Krankenhaus?" Fragte Julius.

"Das klären wir heute abend ab. Ich bin aber schon darauf vorbereitet."

"Was ist mit Onkel Claude?"

"Wir drehen das so, daß du zusammen mit Jane Porter eine Reise durch die Wildnis gemacht hast und nicht mitbekommen hast, daß deine Mutter entführt wurde, weil ihr kein Radio mithattet. Denke daran, wenn wir morgen früh unserer Zeit aufbrechen, ist es in New Orleans ja noch tiefe Nacht."

"Da ist nur ein Problem. Mein Aussehen paßt nicht mehr mit der Suchbeschreibung zusammen", sagte Julius. Doch Catherine sah ihn aufmunternd an und sagte:

"Bei der Einreise in die Staaten hat dich außer den Zauberern niemand gesehen, der oder die deinen Namen mitbekommen haben?"

"Ich habe mich keinem Muggel vorgestellt", sagte Julius.

"Gut, dann ist das ganz einfach, daß du, wenn ich das richtig verstanden habe, deinen Onkel und die anderen Muggelverwandten ja über anderthalb Jahre lang nicht mehr gesehen hast. In der Zeit machen manche Jungen und Mädchen einen heftigen Entwicklungssprung. Belisama Lagrange sieht ja auch schon fast erwachsen aus. Wir müssen nur selbstsicher genug auftreten. Dann geht es."

"Eh, darf ich dann mit, Maman?" Wollte Babette wissen.

"Hmm, dein Vater wäre wohl sehr traurig, wenn er hier alleine sein müßte. Das ich wegen Julius mal weg muß kennt er ja. - Aber er ist morgen wieder bei der Arbeit. Offenbar haben sie ihm die heftigsten Sachen übriggelassen, diese Banditen. Also gut, wenn Mrs. Porter sagt, daß du mit darfst darfst du mit. Nur dann, und vor allem benimmst du dich ordentlich!"

"Öh, da kann ich ja gleich hierbleiben, wenn du so drauf bist", nölte Babette. Ihre Mutter funkelte sie saphirblau an und trieb sie damit einige Meter zurück. Dann fragte sie:

"Oder möchtest du lieber wieder zu Oma Blanche?"

"Neh, die schickt mich dann ja eh wieder zu Madame Demontage." Julius lachte.

"Cherie, die Dame heißt Madame Delamontagne."

"Hmm, Catherine", mentiloquierte Julius, damit Babette es nicht mitbekam. Übermorgen ist der vierzehnte August. da ist doch Quodpot in Viento del Sol."

"Ach, da möchtest du dann hin?" Kam Catherines Frage direkt in seinem Kopf an. Er ruckte mit dem Nacken, bevor ihm wieder einfiel, daß man dabei nicht nicken oder sonstwas mit dem Kopf oder Körper machen durfte.

"Nur wenn's irgendwie geht", schickte er zurück.

"Mal sehen", kam Catherines Antwort. Dann sagte sie mit üblicher Stimme: "Wir werden das heute bereden, ob wir dich mitnehmen können. Es wird aber nicht gerade lustig. Wir möchten Julius' Maman abholen, vielleicht noch was wegen seines Onkels bereden, der sich um seinen Papa kümmern möchte und vielleicht noch andere langweilige Sachen, wo nichts mit Zauberei vorkommt. Willst du wirklich mit?"

"Mayette hat mal beim Brautjungferntreffen gesagt, ich könnte ja mal zu ihr rüber. Die wohnen in einem echten Schloß."

"Mayettes Maman kriegt doch bald ein Baby", wandte Catherine ein. "Möchtest du ihr ... Hmm, Tante Madeleine ist gerade in Afrika unterwegs, die kann ich nicht erreichen. Tja, und wenn du nicht zu Oma Blanche möchtest und dich auch nicht mit uns langweilen möchtest ..."

"Kommt ihr denn sofort nach Hause, wenn ihr Julius' Maman geholt habt?" Fragte Babette.

"Wie gesagt, wissen wir noch nicht, Kleines", gestand Catherine ein.

"Hmm, dann gehe ich halt zu Oma Blanche. Vielleicht kann Papa ja mitkommen."

"Ja, das wird den bestimmt freuen, wenn er sie besucht", feixte Julius.

"Papa muß arbeiten, Babette. Der kann nicht mitkommen."

"Hmm, oder kann Madame Faucon solange hier wohnen?" Fragte Julius laut.

"Ich würde die ja auch mal alleine lassen", mentiloquierte Catherine, "Aber die könnte was anstellen, was sie alleine nicht beheben kann. Da möchte ich lieber jemanden aus unserer Welt in der Nähe haben." Laut sagte sie: "Ich rufe deine Oma, ob sie morgen vorbeikommt. Du mußt ja nicht bei ihr bleiben, wo du zwei Wochen bei ihr warst. Einverstanden?"

"Mach das so, Maman!" Grummelte Babette.

Madame Faucon erklärte sich sofort bereit, als Aufpasserin einzuspringen.

Als Joe um sechs Uhr geschafft von der Arbeit nach Hause kam und erst einmal ins Badezimmer wollte, teilte Catherine ihm mit, daß Mrs. Porter mit ihrer Enkelin Gloria über Nacht bleiben würde. Er meinte nur:

"Ist es wegen Martha oder wegen Richard?"

"Wegen Martha, Joe. Sie kommt morgen aus dem Krankenhaus."

"Schön, dann hört dieser ganze Stress endlich auf", brummelte Joe und schloß die Badezimmertür.

Durch den alten Metroschacht ging es wieder zur magischen Meile von Paris, wo Catherine, Babette und Julius vor der Mauer stehenblieben, hinter der der Ausgangskreis für die Reisesphäre lag. Pünktlich um halb sieben gab es einen dumpfen Knall, und aus einer im Boden versackenden Kuppel aus rotem Licht traten Mrs. Porter in Blumenkleid und Strohhut und ihre Enkelin Gloria in einem grünen Sommerkleid, das zu ihren graugrünen Augen paßte. Ihre blonden Locken hatte sie mit Glitzerlösung behandelt.

"Immer wieder faszinierend, wie schnell das von drüben nach hier geht", sagte Gloria. Mrs. Porter grüßte höflich Catherine, umarmte Babette und dann Julius.

"Das mit deiner Mutter kriegen wir morgen hin", sagte sie zuversichtlich. Dann kehrten sie in das Haus der Brickstons zurück, wo sie zu Abend aßen und danach in Catherines Arbeitszimmer besprachen, daß sie morgen ganz früh, genau um sieben Uhr nach New Orleans zurückkehren wollten. Dort würde Mr. Marchand sie erwarten und das mit dem Reisepass klären, indem sie zu einem Fotoautomaten fuhren, der mal eben und ganz fraglos vier neue Passbilder von Julius machen konnte. Dann würden sie das alte mit dem neuen Bild austauschen und damit den Pass auf den neusten Stand bringen. Am Morgen Ortszeit New Orleans würden sie dann im Krankenhaus vorsprechen und sich zu Martha Andrews führen lassen. Catherine wollte zunächst alleine mit ihr sprechen. Dann sollte Julius hinzukommen. Hoffentlich würde seine Mutter keinen neuen Schock bekommen. Das war etwas, vor dem er jetzt doch etwas Angst hatte.

Kurz vor elf Uhr führte Julius die Porters nach oben. Während Mrs. Porter die mitgebrachten Feldbetten aus einem Practicus-Koffer hervorzauberte stellte Julius Gloria und Viviane Eauvive einander vor. Viviane musterte Gloria und meinte:

"Schon zu meiner Zeit wurden Jungen von heranwachsenden Jungfrauen wachgehalten. Zumindest erkenne ich an, daß Julius keiner Vogelscheuche seinen wohlverdienten Schlaf geopfert hat."

"Öhm, danke", konnte Gloria dazu nur sagen. Dann mußte sie ihre Hände vor's Gesicht legen, weil ein heftiger Lachanfall sie überkam. Julius zeigte ihr noch das Badezimmer. Sie sah sich im Spiegel an, dann ihn und fragte ihn, ob er mit diesem magischen Rasierer von den Dusoleils gut klarkam. Er nickte und führte den kleinen silbernen Wunderstab mit den schnell schwingenden Klingen vor.

"Das hätte Monsieur Dusoleil wohl nicht gedacht, daß du den jetzt schon so nötig haben könntest. Und sonst? Pickel oder sowas?"

"Zwischendurch. Aber da habe ich noch was von Aurora Dawn, das dagegen hilft. Darfst deiner Mum aber gerne sagen, ich hätte gerne was vorrätig."

"Hat sie sofort geschrieben, als wir ihr von dir erzählt haben. Im Tagespropheten war nur ein kurzer Artikel über Poles Entlassung drin, weil er eine dunkle Kreatur hat gewähren lassen. Was genau passiert ist wollten die in unserer alten Heimat nicht schreiben. Kann sein, daß sie wegen ihm nicht schreiben wollen, was dir passiert ist. Außerdem ist Scrimgeour mit Dutzenden von Schnellverordnungen gestartet, die immer wieder im Tagespropheten durchgekaut werden, und der Herr der Todesser hat angefangen, bestimmte Hexen zu jagen. Allerdings wehren die sich. Zwei drittklassige Todesser sind verschwunden, und einen haben sie in seine Einzelteile zerlegt gefunden. Gruselig ist dabei, daß die Körperteile alle noch lebten, als wären sie mit dem Körper verbunden. Oma sagt, daß hätten sie auch schon in den Staaten gehabt, und jetzt wäre klar, daß wohl wer anderes diesen Krieg der dunklen Bruderschaften angefacht hat, der im November die heftigsten Schwarzmagier ausgelöscht hat."

"Hups, da kriege ich ja Alpträume, wenn ich mir vorstelle, das eine abgehauene Hand in irgendeinem Gebüsch herumkriecht", raunte Julius. Dann trat Mrs. Porter ins Badezimmer:

"Ich habe deiner Fürsorgerin versprochen, euch beide nicht in Versuchung zu führen, wenngleich ihr beide doch sehr vernünftig seid, Honey. Aber wenn ich bitten darf, Monsieur, Glo möchte sich wohl schon umziehen."

"Ach, Oma, ich könnte eigentlich noch mit Julius den Computer ausprobieren oder fernsehen", begehrte Gloria auf.

"Gut, wie ihr meint. Dann kucken wir noch ein wenig diesen Flimmerkasten an", sagte Jane Porter.

So dauerte es bis zwölf uhr, bis Julius sichtlich müde gähnte und den beiden Damen aus zwei Generationen eine gute Nacht wünschte.

 

__________

 

Am nächsten Morgen ging alles ganz leise und schnell ab. Die Porters jagten mit Zauberstab und Mrs. Scours magischem Allzweckreiniger durch das Bad, saugten mit dem Staubsammelzauber die Teppiche und ließen die beiden Feldbetten wieder im Koffer verschwinden. Julius packte die größten Hosen und T-Shirts ein, die er noch finden konnte und legte noch einen grasgrünen Umhang dazu. Den Besen ließ er jedoch zu Hause. Er ging davon aus, daß er eh nicht fliegen würde.

Unten erwartete Catherine sie mit gepackter Reisetasche und wisperte, daß Joe und Babette noch schliefen und sie einen Zettel hinterlegt habe. Dann ging es durch den Kamin im Party-Raum ins Zaubereigeschichtsmuseum und von da aus zum Ausgangskreis.

"Haben wir denn überhaupt eine Einreisegenehmigung?" Fragte Julius.

"Nett, das du die Frage jetzt schon stellst", lachte Mrs. Porter. "Ich habe für Madame Brickston und dich eine Einreiseerlaubnis und für deine Mutter und euch beide eine Rückreiseerlaubnis für morgen oder Übermorgen, ganz wie es sich findet." Dann rief sie die Reisesphäre auf und brachte sich und die drei anderen nach New Orleans.

Im Weißrosenweg war es stockdunkel. Keine Laterne erleuchtete den gepflasterten Weg. Mrs. Porter flüsterte: "Lumos!" Ihre Zauberstabspitze leuchtete hell auf und warf einen schmalen Lichtstrahl auf den Weg vor ihr. Auch Catherine machte mit ihrem Zauberstab Licht. So leise es ging gingen die vier gerade angereisten die schlafende Straße entlang. Die Häuser rechts und links ragten dunkel und unbeweglich empor, als bewachten sie die verlassene Straße. Einmal meinte Julius, in der Ferne das Wimmern einer Polizeisirene wie den Ruf eines ängstlichen Geistes zu hören. Kein Windhauch regte sich. Grillen zirpten in den Gärten der Zaubererhäuser. Einmal flog eine Eule wie ein dunkler Schatten aus einer Dachluke heraus und strich unhörbar in die Nacht hinaus. Julius blickte zum Himmel. Die hellsten Sterne waren deutlich zu sehen. Doch die schwächer leuchtenden verschwammen in einem leichten Dunst, der wie ein Schleier über ihnen hing. Das Kunstlicht aus der Muggelwelt wurde in der feuchten, mit Autoabgasen und Fabrikrauch durchsetzten Luft gestreut, sodaß der Himmel nicht so sternenklar war wie in Millemerveilles.

An der Mauer, die zwischen Weißrosenweg und dem New Orleans der Muggel stand, wartete bereits Zachary Marchand und winkte ihnen zu. Sie begrüßten sich. Julius wußte, seine neue Erscheinung war für den Zauberer, der beim FBI arbeitete erst einmal gewöhnungsbedürftig. Doch dann sagte dieser:

"Man hat mir erzählt, was dir passiert ist. Es tut mir Leid, daß es so gekommen ist. Wenn ich nicht diesen vermaledeiten Eid hätte schwören müssen ..."

"Das ist gelaufen, Mr. Marchand. Das Monster ist vernichtet und mein Vater hat jetzt seinen Frieden. Ich kann wohl mit diesem Körper leben, auch wenn ich den zwei Jahre früher als gewöhnlich bekommen habe. Ihnen ist ja wohl heftiger mitgespielt worden, wie?"

"Heftiger? Man hat mich ausgetrickst, verdammt noch mal. Das ist ja schon peinlich, mich von Muggeln derartig außer Gefecht setzen zu lassen", knurrte Marchand. "Dabei ist mir auch noch der Zauberstab weggekommen. Ich habe später gehört, die hätten mich in eine Art Langzeitschlaftank gesteckt, den meine Kollegen erst runterfahren mußten, um mich rauszuholen. Schweinerei sowas!"

"Waren sie bei einem magischen Heiler, als sie aus dem Krankenhaus rauskamen?" Wollte Julius wissen.

"Aber sicher, Junge. Dann bin ich gestern abend noch zu den Dexters und habe mir einen neuen Zauberstab gekauft. Zum Glück hatten die einen mit meinen gewohnten Maßen und Bestandteilen da. Aber wir haben wichtigeres zu tun als uns über meine Dösigkeit zu unterhalten. Erstmal müssen wir klären, wie wir dein unverhofftes Auftauchen erklären, Julius. Dann können wir deine Mutter rausholen."

"Zuerst muß der Pass des Jungen geändert werden", sagte Mrs. Porter. Marchand nickte.

Catherine begleitete Marchand und Julius zu einem Fotoautomaten am Busbahnhof. Sie paßte auf, daß niemand sie länger als nötig beobachtete. Nach einer kurzen Sitzung in der kleinen Metallkabine und dem minutenlangen Rumoren des Entwicklungsvorgangs hielt Julius vier neue Passbilder in der Hand. Danach ging es zunächst zu Marchands Haus. Hier wollte Jane Porter das alte gegen das neue Bild austauschen, ohne daß die Muggel Verdacht schöpften.

"Haben Sie eigentlich einen gültigen Ausweis, Mrs. Porter?" Fragte Julius, als sie wieder im Weißrosenweg waren. Jane Porter lächelte und holte aus einer Kommode im Wohnzimmer eine Mappe heraus, der sie ihre Persönlichen Dokumente entnahm.

"Fast jeder öffentlich arbeitende Zauberer braucht Muggelausweise", sagte sie und hielt Julius ihren Personalausweis unter die Nase. Dann nahm sie von Mr. Marchand den Pass des Jungen und hantierte mit ihrem Zauberstab so, daß das Alte Bild herausgelöst wurde und eines der neuen Bilder an dieselbe Stelle eingefügt wurde. Nun hatte Julius einen Pass mit seinem neuen Gesicht.

"Wir erzählen, deine Mutter habe mir erlaubt, die die Natur im Mississippi-Delta zu zeigen, da du ja für exotische Tiere und Pflanzen schwärmst", gab Mrs. Porter eine Vorlage, wie sie ihre Geschichte von der überraschten Rückkehr anbringen sollten. Sie stimmten sich ab, was jeder von ihnen sagen würde. Am Morgen wollte Jane Porter von einem Haus, daß das Institut als Basis in der Muggelwelt benutzte, mit der Polizei telefonieren und die Geschichte erzählen.

So geschah es dann, daß Jane Porter am frühen Morgen mit Julius aus dem Haus Nummer 49 im Weißrosenweg mit Flohpulver in ein unscheinbares Haus in der Innenstadt von New Orleans reiste. Von wo sie die örtliche Polizei anrief.

"Porter hier. Ich bin gestern mit einem Schulkameraden meiner Enkeltochter von einem Ausflug in die Sümpfe zurückgekehrt und habe mich heftig erschreckt, daß nach ihm gesucht würde und seine Mutter... Wie? Natürlich, Julius Andrews heißt der junge Mann. Mein Name ist Jane Porter. ... Natürlich hat der Junge seinen Pass mit. Hätte ja sein können, daß wir angehalten würden und ... Selbstverständlich kommen wir sofort vorbei. ... Sie wollen uns abholen? Ist mir auch recht. ... FBI? ... Verstehe, wegen der Sache mit seiner Mutter. Wie geht es ihr denn? ... Ja, da bin ich aber erleichtert. Habe schon befürchtet, sie wäre ernsthaft verletzt. ... Wie, seit einer Woche? ... Oha, kann man mal sehen, was alles passiert, wenn man einmal kein Radio oder diese Mobiltelefone mitnimmt. ... Dann erwarten wir die beiden Agenten hier." Sie gab die Adresse durch und beendete das Telefongespräch.

eine halbe Stunde später hielt ein dunkelblauer Dodge vor dem Haus an. Zwei Männer in mittelhellen Anzügen stiegen aus und klingelten an der Tür. Mrs. Porter öffnete und bat die Herren herein. Julius tauchte aus dem Wohnzimmer auf, dessen beherrschende Einrichtung der breite Marmorkamin war, aus dem sie herausgekommen waren.

"Nobel haben Sie's hier, Ma'am", bedachte einer der Beamten, ein Sonderagent Summer die Einrichtung. Mrs. Porter bedankte sich und bot den beiden FBI-Männern freie Plätze an. Summer verlangte nach dem Pass des Jungen und dem Ausweis Mrs. Porters. Als er per Funk die Daten geprüft hatte und alles in Ordnung war befahl er, daß sie getrennt verhört werden sollten, wo sie genau waren und wielange sie unterwegs gewesen seien.

Summer sprach mit Mrs. Porter, während sein Kollege, Sonderagent Talbot, Julius vernahm.

Es dauerte etwa eine halbe Stunde, bis der Agent den Jungen soweit befragt hatte, daß er sich zufrieden gab und ihm sagte, er möge im Schlafzimmer warten.

"Was ist mit Ihrem Kollegen Marchand? Meine Mutter war doch bei ihm, oder?"

"Hmm, der ist gestern schon entlassen worden. Ich will prüfen, ob er zu Hause ist", sagte Talbot und zückte sein Mobiltelefon. Er ließ sich über seine Zentrale mit Marchands Wohnung verbinden. Dann sprach er zwei Minuten mit ihm, beglückwünschte ihn zu seiner Genesung und fragte ihn, ob er herüberkommen könne. Zwanzig Minuten später traf Zachary Marchand ein, alleine. Natürlich wäre es verdächtig gewesen, wenn er Catherine Brickston mitgebracht hätte. Die war vielleicht schon bei Julius' Mutter. Er mentiloquierte ihr die Frage, bekam aber erst nach dem sechsten Versuch dieses Gefühl eines Nachhalls in seinem Kopf. Dafür kam die Antwort prompt zurück:

"Ich habe mir von Peter Bruckner, diesem freundlichen Einreisezauberer, meinen Pass abstempeln lassen, daß ich gestern am Flughafen angekommen bin. Bin schon auf dem Weg zu deiner Mutter."

Julius atmete auf. Als dann Zachary Marchand verkündete, daß der wie sechzehn wirkende Junge der vierzehnjährige Julius Andrews sei, war wohl alles geklärt. Julius war nicht entführt worden, eben nur von der Außenwelt abgeschnitten gewesen.

"Ich möchte zu meiner Mum", bat Julius die FBI-Leute. Summer nickte und fragte bei seiner Zentrale an, ob man Julius und seine großmütterliche Naturführerin zum St.-Michel-Krankenhaus bringen solle.

"Alles klar", waren die einzigen Worte, die Summer dann noch in sein Handy sprach und dann auflegte. Diese Worte "Alles klar" klangen für Julius wie eine befreiende Zauberformel, die alle Ängste und Sorgen der letzten Tage mit einem Wisch hinwegfegte. Er strahlte hocherfreut, als der FBI-Sonderagent ihm zuwinkte und sagte:

"Dann wollen wir mal. Zach, du kennst ja das Krankenhaus. Möchtest du uns begleiten?"

"Ich komme mit", sagte Mr. Marchand. Er wirkte zwar etwas betrübt, schien aber keine Probleme damit zu haben, das Krankenhaus wieder zu betreten, aus dem er gerade einen Tag lang heraus war.

Durch den Berufsverkehr ging es ins Stadtviertel, in dem das St.-Michel-Krankenhaus stand. Julius wurde es etwas mulmig. Hier war er vor nun neun Tagen mit Madame Faucon gewesen. Keiner hatte ihn zur Kenntnis genommen, weil er einen Strang geflochtenes Sabberhexenhaar um den Hals getragen hatte, in dem ein natürlicher Nimm-mich-nicht-wahr-Zauber wirkte, der nichtmagische Wesen vorgaukelte, der davon durchdrungene Junge sei nicht vorhanden, fast wie unsichtbar.

"Ah, ich hörte es schon, daß Sie den Jungen gefunden haben", sagte Dr. Navaro, ein Arzt, der die kleine Gruppe empfing. "Du bist also Julius Andrews? Merkwürdig. Ich hörte, du seist erst vierzehn Jahre alt."

"Ich bin schon mal in einem Film ab sechzehn reingelassen worden, ohne daß mir da wer dummkam", erwiderte Julius und fragte, wo seine Mutter sei.

"Sie wurde vor zwei Tagen von der Intensivstation auf die Innere verlegt. Sie hatte eine schwere, künstlich herbeigeführte Hypothermie und durch ein Gemisch von Medikamenten einen verlangsamten Stoffwechsel. Wir hätten sie fast nicht retten können. Aber jetzt ist sie wieder über dem Berg", sagte der Arzt. Julius fragte, was eine Hypothermie sei, obwohl er diesen Fachbegriff für eine Unterkühlung natürlich kannte.

Der Arzt erläuterte ihm, wie man seine Mutter gefunden und befreit habe. Julius fragte mit nicht nur gespieltem Entsetzen, ob das wirklich stimme.

"Ich habe auch erst geglaubt, daß mir da wer ein Märchen erzählt hat. Aber ich habe die Videos gesehen, die meine Kollegen von der Apparatur gemacht haben. Das muß ein Arzt gewesen sein, der sich der dunklen Seite zugewandt hat. Denn die Menschen, die in dieser Vorrichtung gefangen waren, nicht nur Sonderagent Marchand, hätten Monate oder Jahre in diesem Zustand zubringen können, ohne sich bewegen zu können. Es sah echt so aus, als habe jemand eine art biomechanischer Gebärmutter für bereits geborene Menschen konstruiert."

"Ach du meine Güte, sind wir schon soweit?" Stöhnte Julius. Marchand grummelte nur, daß er diesem Laroche das heimzahlen würde.

"Laroche?" Fragte Julius. "Sie wissen, wie der Typ heißt, der das gemacht hat?"

"Ja, wissen wir", knurrte Marchand und bekam ein beipflichtendes Nicken von seinen beiden Kollegen zur Antwort. "Hoffentlich haben sie ihn bald. Verstecken kann der sich nicht mehr. Der wird mit internationalem Haftbefehl gesucht."

"Nun, es geht ja wohl auch eher um diesen Quacksalber, der diese Höllenmaschine gebaut hat", meinte Summer. Der Arzt nickte.

"Weiß meine Mutter, was mit ihr passiert ist?" Fragte Julius besorgt.

"Hmm, unsere Psychologin, Dr. Esther Rosenberg, hat sie bereits vorsichtig befragt. Sie konnte die Vorrichtung und den teilchirurgischen Eingriff, der sie darauf vorbereitet hat detailiert beschreiben. Meine Kollegin meint, deine Mutter gebe sich sehr beherrscht und kühl. Aber es wäre vielleicht angezeigt, sie für eine längere Psychotherapie zu begeistern."

"Die sie nicht unbedingt hier machen muß", sagte Julius kategorisch. Dann fragte er, ob man Verwandte von ihm angerufen habe. Natürlich war die Antwort darauf ein Ja. Außerdem sei bereits eine Madame Brickston bei ihr, die gestern abend aus Paris eingetroffen sei.

"Ach, Catherine ist hier?" Tat Julius verwundert. "Dann wird wohl jemand sie angerufen haben, weil wir ihr nicht gesagt haben, daß wir von Marseille aus nach New Orleans fliegen. Ihre Mutter wird ihr wohl gesagt haben, wo wir sind."

"Ja, das hat sie so erzählt", bestätigte der Arzt. Julius nickte. Genau das hatten sie auch so abgesprochen.

"Ich möchte nun zu meiner Mutter. Ist Catherine, ähm, Madame Brickston noch bei ihr?"

"Ja, ist sie", bestätigte Dr. Navaro.

in einem langsamen, großen Aufzug ging es zwei Etagen nach oben und dann durch breite, nach Desinfektionsmitteln riechenden, von Neonröhren flackernd ausgeleuchteten Korridoren zu einer Tür, vor der zwei Cops auf schmalen Stahlrohrstühlen mit Kunststoffpolsterung saßen. Summer und Talbot zeigten ihre Dienstausweise, Jane Porter und Julius ihre Ausweispapiere vor und wurden eingelassen.

 

Der Raum unterschied sich in vier Punkten von dem Zimmer, wo Julius seine bewußtlose Mutter besucht hatte. Zum einen hing hier an jeder Wand ein Bild, das Ansichten aus New Orleans zeigte, die bunten Häuser des französischen Viertels, einen Schaufelraddampfer, das kuppelförmige Stadion und einen roten Straßenbahnwagen. Dann gab es hier einen großen Kleiderschrank, einen Tisch und zwei bequeme Stühle. Zum dritten stand in dem Zimmer nur ein Bett. Zum vierten und wichtigsten gab es hier keine medizinischen Geräte, die piepten, summten und zischten, um einen bewußtlosen Menschen am Leben zu halten. Seine Mutter saß in einem weißen Krankenhausnachthemd, das wie das Gewand eines Geistes oder Engels wirkte, auf dem Bett und unterhielt sich mit Catherine. Als sie Julius sah, wirkte sie zunächst etwas irritiert. Doch dann strahlte sie ihn an und stand auf, um ihn zu begrüßen.

"Hallo, Julius, schön, daß sie dich gefunden haben. Wo warst du denn?"

"Hallo, Mum. Ich bin gestern erst mit Mrs. Porter von unserem Ausflug zurückgekommen. Was haben die mit dir angestellt?"

"Julius, es gibt zu viele böse Menschen auf dieser Welt", seufzte Martha Andrews. Doch die überschwengliche Freude, die Julius ausstrahlte, steckte sie an und zauberte ein erfreutes Lächeln auf ihr Gesicht. Sie erzählte leise und beklommen, wie sie zusammen mit Zachary Marchand in eine Falle gelockt worden war und irgendwo, sie wußte nicht wo, von einem Transvestiten und seinem schwarzhaarigen Patron dazu benutzt werden sollte, Julius' Vater aus dem Versteck des FBI herauszulocken. Als sie zu dem Punkt kam, wie sie bewußtlos gemacht wurde, merkte Julius, daß seine Mutter mit einer sehr schlimmen Erinnerung ringen mußte. Catherine blickte Martha Andrews besorgt an, als diese erzählte, wie sie in eine der Kugelkammern eines sogenannten BUS gelegt werden sollte. Sie habe noch mitbekommen, wie ihr dieser Transvestit, der sich selbst Salu genannt hatte, eine mit freiem Sauerstoff angereicherte Flüssigkeit in die Lungen gepumpt hatte, ohne daß sie daran ertrank. Julius schluckte. Er hatte aus der Zaubererwelt schon einige Grausamkeiten mitbekommen, die bisher stärkste erst vor etwas mehr als einer Woche. Doch was sich dieser Salu da ausgedacht hatte war sehr hinterhältig, wenngleich eine solche Apparatur tatsächlich auch zum guten benutzt werden konnte, um schwerkranke Menschen die Zeit bis zu einer erfolgreichen Heilbehandlung aushalten zu lassen oder Astronauten für Reisen zu weiten Himmelskörpern am Leben zu halten. Doch wie eben alles in der Welt konnte diese Erfindung auch zum bösen mißbraucht werden, wie im Fall seiner Mutter und des FBI-Mannes Marchand.

"Da habe ich immer gedacht, sowas gäbe es erst in hundert Jahren", seufzte Julius.

"In der Zeit wird es den Muggeln einfallen, lebendige Wesen tiefzukühlen und bei Bedarf wieder aufzutauen", warf Catherine ein, während Jane Porter ruhig aber voller Anteilnahme Marthas Bericht angehört hatte.

"Wem von unserer Verwandtschaft haben sie schon Bescheid gesagt, daß du wieder wach bist, Mum?" Fragte Julius dreißig Sekunden nachdem seine Mutter ihren erschütternden Bericht beendet hatte. Sie runzelte die Stirn und sagte:

"Eine Psychologin, Dr. Rosenberg, hat mir erzählt, daß dein Onkel Claude wohl schon angefragt hat, wann ich wieder ansprechbar sei. Auch andere aus unserer Familie haben sich schon erkundigt."

"Hat Onkel Claude dich schon besucht?" Wollte Julius wissen.

"Bisher nicht, und ich lege es auch nicht darauf an, daß ich mich mit ihm auseinandersetzen muß", sagte Martha Andrews. Wie auf's Stichwort öffnete sich die Tür und ein Mann im dunklen Anzug mit einer schwarzen Seidenkrawatte trat ein. Er ähnelte Julius Vater aus den Tagen vor Hallittis bösem Zauber bis auf den Umstand, daß sein Haar noch dicht war und er einen etwas runderen Bauch zur Schau trug. Es war Julius' Onkel Claude, Richard Andrews Bruder.

"Hallo, Martha", grüßte er scheinheilig und sah dann die beiden Hexen an und dann Julius. Diesen beäugte er erst verwundert, dann mißtrauisch, dann entschlossen. Dann sagte er sehr bestimmend: "Mein Name ist Claude Andrews. Ich bin der Schwager von Martha Andrews und - der Onkel ihres Sohnes Julius. Die Damen, wer immer sie sind, gehen Sie bitte für zehn Minuten vor die Tür. Ich möchte mit meiner Schwägerin wichtige Familienangelegenheiten besprechen." Dann sah er Mrs. Porters Kleid und den auf ihrem Schoß liegenden Strohhut an und wußte offenbar nicht, was er davon halten sollte. Catherine Brickston und Mrs. Porter erhoben sich ohne ein Wort und verließen das Zimmer. Julius blickte auf seine Weltzeituhr und merkte sich die sekundengenaue Uhrzeit. In zehn Minuten wollte Onkel Claude alles geklärt haben?

"Ist schon merkwürdig, wie man sich vertan hat, wie. Ich habe es selbst nicht recht geglaubt, als mir erzählt wurde, mein Neffe Julius sei wieder aufgetaucht. Hast du einen Ausweis dabei, Junge?"

"Du kannst auch eine DNA-Probe von mir kriegen, Onkel Claude", erwiderte Julius. Er holte seinen Pass mit dem niegelnagelneuen Foto heraus und zeigte ihn vor. Onkel Claude las und reichte den Pass wieder zurück.

"Der Pass ist schon ein halbes Jahr alt. Wollt ihr mir weißmachen, du hättest dich so rasant entwickelt?" Fauchte er. Julius sah ihn entschlossen an.

"Eh, ich kann für meine Hormone nix, Onkel Claude. Das ging ziemlich gut los, als ich gerade dreizehn war. Deshalb brauchte ich ja einen neuen Pass. Aber ich bin Julius Andrews."

"So, wann haben wir uns dann bitte das letzte Mal gesehen, du, Tante Abigail und ich?"

"Du meinst Tante Alison, Onkel Claude. Spiel jetzt bitte nicht einen Spionageabwehrspezialisten, indem du mir bewußt verkehrte Sachen vorwirfst, damit ich die als echt schlucke! Wir haben uns das letzte Mal Weihnachten 1993 gesehen. Du hattest einen dunkelgrünen Anzug und schwarze Lackschuhe an, die angeblich aus Italien stammten. Tante Alison lief in einem blitzeblauen Rüschenkleid herum und hatte eine Kunstperlenkette aus weißen, roten und schwarzen Perlen um den Hals. Du hast gefragt, ob jemand von uns mit dir zur WM nach Amerika fährt. Ich habe dir erzählt, daß ich klären müßte, wann das Schuljahr aufhört. Noch irgendwelche Fragen zu meiner Person?"

"Ich muß es wohl hinnehmen, daß du dich strammer entwickelt hast als dein Paps und ich in deinem Alter", erwiderte Onkel Claude verhalten. Julius fühlte jedoch, daß sein Onkel jetzt gleich alle Freundlichkeit und Zurückhaltung aufgeben würde. Tatsächlich kam schon im nächsten Satz der seelische Kinnhaken. "Julius, da deiner Mutter und wohl auch dir offenbar völlig egal war, was dein Vater gemacht hat und wie er seine leider allzu frühen letzten Lebensmonate verbracht hat habe ich in Übereinkunft mit unseren anderen Verwandten die Angelegenheiten geregelt, deinen toten Vater anständig beisetzen zu lassen."

"Moment, Paps ist tot?" Tat Julius sehr erschüttert. Onkel Claude räusperte sich verlegen und meinte dann:

"Ach, hat man es dir nicht erzählt, als man befunden hat, dich wieder unter's Volk zu lassen, nachdem deine Mutter eine volle Woche im Koma gelegen hat? Ja, dein Vater, der es immer gut mit dir gemeint hat, ist von Gangstern ermordet worden, die seinen guten Namen und sein Aussehen kopiert und mißbraucht haben, um niedere Frauenzimmer und anständige Polizisten zu ermorden. Dein Vater ist tot, Julius. Da ihr beide euch in den Monaten nach dieser schmutzigen Trennung nicht einmal bei ihm gemeldet habt, wie er mir erzählt hat, bevor er verschwand, mußte ich davon ausgehen, daß es euch auch nichts angeht, wie er beerdigt wird." Er sah Martha Andrews an und fuhr völlig unbeeindruckt von ihrer betrübten Miene fort: "Deshalb habe ich ihn vorgestern, nachdem er freigegeben wurde, erster Klasse nach London überführen und in unserer alten Familiengruft beisetzen lassen. Du warst ja entschuldigt, Martha, und dein so rasch heranwachsender Sohn war unauffindbar. Ich habe Detektive engagiert, ihn zu finden, bevor ich die endgültige Zustimmung zur Beerdigung erteilt habe. Gestern fand sie statt, im engsten Freundes- und Familienkreise."

"Eh, du kannst doch nicht einfach meinen Vater beerdigen lassen, ohne zu klären, was mit uns los ist", protestierte Julius. "Du hättest zumindest warten können, bis Mum wieder an Deck ist."

"Julius, dir mag es wehtun, daß dein Vater nicht mehr für dich sorgen kann. Aber deine Mutter wollte nur sein Geld haben. Auch die Nummer mit diesem Anwalt, den sie angeheuert hat zeigte mir das. Du warst weg und unerreichbar. Meine Ermittler haben gute Beziehungen ausgereizt, um zu klären, daß du in der Gegend von New Orleans warst. Da du zeitgleich mit deiner Mutter eingereist bist ging ich davon aus, du wärest in ihrer Nähe geblieben. Als sie dann verschwand und von FBI-Leuten aus einem Frankenstein-Labor eines Kriminellen befreit wurde, und du warst nicht dabei, mußte ich davon ausgehen, du seist gesondert verschleppt und eventuell getötet worden, nachdem sie von dir eine DNA-Probe entnommen haben, um zu prüfen, ob sie deinen Vater oder einen Doppelgänger jagten. Da Martha nur auf Richards Geld ausgegangen ist, sah ich es wie erwähnt nicht ein ..."

"Du denkst echt nur, daß Mum Paps die Moneten aus dem Hemd ziehen wollte, wie? Da hast du ihn mal eben schnell in das Andrews-Mausoleum bringen lassen, nach der Methode Gorbatschov: "Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben."

"Hallo, ich bin nicht hergekommen, um meine Handlungsweise vor einem halb ausgegohrenen Burschen zu rechtfertigen, von dem ich bis vor einer Stunde nicht wußte, daß er wieder da ist", schnaubte Onkel Claude. "Außerdem wollte ich Martha heute mit einer gecharterten Lear nach London mitnehmen und ihr die Gelegenheit geben, ohne Publikum von Richard Abschied zu nehmen. Das Angebot gilt natürlich auch für dich, sofern wir uns vorher auf bestimmte Punkte verständigen, die deine Zukunft betreffen, Julius."

"Vergiss es, Onkel Claude. Ich bin kein Pingpongball, der hin- und hergeschlagen wird", sagte Julius. Seine Mutter, die wohl auch verstanden hatte, sagte mit einer für eine gerade erst zwei Tage aus einer tiefen Langzeitohnmacht erwachten unerwarteten Kraft:

"Claude, an meiner Entscheidung hat sich nichts geändert. Auch und gerade wie du mit meiner und Julius' Gemütslage umgesprungen bist, zertifiziert dich nicht als einen guten Vormund. Ich habe das Sorgerecht, ich wohne jetzt in Paris. Julius hat sich mühevoll in die neue Schule einleben müssen und gerade gute Kontakte geknüpft. Das werde ich auch und vor allem im Angedenk seines Vaters nicht wieder umstoßen."

"Was fällt euch ein?" Erboste sich Onkel Claude. Sein Gesicht lief wutrot an. Ebenso fühlte Julius sein Gesicht wie auf einer heißen Herdplatte liegend und starrte ihn mit verengten Augenbrauen an.

"Das war es doch, was du uns unbedingt unterbreiten wolltest, Claude", erwiderte Martha Andrews. "Der Junge kann froh sein, daß in seiner neuen Schule keiner mitbekommen hat, daß Richard einer Mordserie beschuldigt wurde. Er wird dort weiterlernen, wo er jetzt ist."

"Martha, ich habe über das ganze Jahr hinweg versucht, ihn dort zu erreichen, wo er zur Schule gehen soll. Man hat mich nicht durchgestellt. Angeblich haben die da auch kein Telefon. Was lernt der Junge da eigentlich? Soll er zu einem Bettelmönch mit Ablehnung der technischen Errungenschaften programmiert werden? - Ja, das erschreckt dich, Martha. Aber ich habe es nicht vergessen, was dein Mann mir erzählt hat, als wir uns darüber unterhielten, daß du ihn zurückgewiesen hast."

"Oooohhhhmmmmmmm", machte Julius übertrieben leierig. Er fühlte etwas in sich hochsteigen, das allzugerne aus ihm ausbrechen wollte. Er mußte sich beherrschen, bevor noch irgendwas ungewolltes losging.

"Haha, Julius. Immerhin konnte ich ermitteln lassen, daß diese Schule, in die du gehst, ein renommiertes Internat ist, in dem auch die Kinder von Politikern und Unternehmern lernen, und daß sie nichts mit irgendwelchen Sekten zu schaffen hat. Da ich das Gegenteil leider nicht beweisen konnte, gilt die Unschuldsvermutung. Aber warum habt ihr da kein Telefon?"

"Wir haben da eins. Wann wolltest du denn mit mir reden?" Fragte Julius.

"Immer zwischen sieben und zehn Uhr abends, damit niemand meint, ich störe beim Unterricht", zähneknirschte Onkel Claude. Julius grinste.

"Tja, da hättest du mal fragen sollen, was ich gerade um diese Zeit mache: Wir haben nämlich ein sogenanntes Freizeitangebot, was im Klartext heißt, jeder hat seine Freizeit gefälligst im Rahmen von der schule organisierter und angebotener Aktivitäten zu verbringen, sofern die unterrichtsfreie Zeit nicht zur Erledigung von Hausaufgaben benötigt wird, was wiederum durch die Hausaufsicht überwacht wird. Wer in eine Elitepenne geht, wird heftig rangenommen, damit er oder sie später nicht behauptet, da nix gelernt zu haben. Ich bin da in einer Schachgruppe, Ballsport, Chemie-AG, Botanik, Musik und Tanzen, sowie Technik. Nebenbei muß ich meine Französischkenntnisse noch weiter ausbauen, weil ich deswegen fast nicht reingekommen wäre. Ab zehn Uhr ist dann allgemeine Ruhezeit."

"Musik? Doch nicht etwa diesen Rap-Krach", stieß Onkel Claude irritiert aus.

"Nein, sogenannte klassische Musik, Mozart, Bach und den Kram. Habe mich echt dran gewöhnt, sowas nachzuspielen", sagte Julius ruhig. Immerhin hatte er sich mit seiner Mutter ja schon lange auf derartige Ausreden festgelegt, falls ihn mal jemand fragte, was er so machte, wenn er nicht gerade Schule hatte. Allerdings konnte er sich vorstellen, daß Professeur Fixus beleidigt reagieren mochte, wenn er ihren Freizeitkurs als Chemie-AG bezeichnete. Onkel Claude schien nicht mehr zu wissen, was er dazu noch sagen konnte. So übernahm Martha Andrews es, noch etwas zu bemerken:

"Wenn dein großzügiges Angebot, mich und Julius zum Grab von Richard zu bringen nur in Verbindung mit der Abtretung des Sorgerechts und der damit verbundenen Umschulung nach Eton oder einem anderen Internat in England gilt, dann verzichte ich. Ich weiß schließlich auch, wo die Familiengruft deiner Eltern ist, Claude. Ich kann mit Julius alleine dorthinreisen und in Ruhe, ohne abschätzig dreinschauendes Publikum, Abschied von Richard nehmen. Es lag schließlich nicht an mir alleine, daß Richard und ich getrennte Wege gehen mußten. Aber als sein Bruder kannst und willst du das natürlich nicht einmal andenken."

"Da stimme ich dir zu, Martha, und sehe auch keinen Grund, warum ich es andenken sollte. Du legst es also darauf an, daß der Junge keine Gelegenheit haben soll, sich von seinem Vater zu verabschieden?"

Julius sah seine Mutter an und sagte seinem Onkel gerade heraus ins Gesicht:

"Paps wußte wohl immer, daß ich ihn verehrt habe. Aber ich werde mich gerade aus Respekt vor dem, was er mir beigebracht hat, nicht verschachern und rumschupsen lassen. Nimm deinen kleinen, schnuckeligen Learjet und amüsier dich zu Hause, wenn die Verwandtschaft dich wieder läßt!"

"Frechheit!!" Explodierte es aus Onkel Claudes Mund, und seine Stirnader pulsierte wild und zum platzen angeschwollen. "Martha, ruf den Bengel zur Ordnung!"

"Den Teufel werde ich tun, Claude. Ich bin froh, daß ich ihn habe und das er trotz der gerade von ihm erwähnten Strenge in seiner Schule gelernt hat, seine eigene Meinung zu äußern und sich klar und deutlich zu entscheiden. Wie gesagt, wir wissen, wo die Gruft der Andrews' liegt. Wenn wir die richtige Stimmung finden, ohne als Heuchler und Betrüger angesehen zu werden dorthinzufahren, werden wir das Grab besuchen. Aber rechne nicht damit, daß wir uns bei dir oder sonstwem anmelden!"

"Wenn das dein letztes Wort ist, Martha, dann lebe wohl!" Sagte Onkel Claude und schnellte kerzengerade vom Stuhl hoch, um dann mit drei langen und energisch aufgesetzten Schritten zur Tür zu marschieren. Er öffnete sie und schritt unaufhaltsam aus dem Zimmer hinaus, an den beiden Polizisten vorbei und davon. Die Tür ging wieder zu. Julius wartete zehn Sekunden, in denen seine Mutter jede Gelassenheit und Entschlossenheit verlor und hemmungslos losweinte. Auch ihm traten Tränen in die Augen. Doch dann dachte er, daß Onkel Claude eine Fälschung für teures Geld nach London hatte schaffen und in die Familiengruft legen lassen. Das fand er so lustig, daß er laut loslachen mußte. Seine Mutter meinte erst, er sei vielleicht irrsinnig geworden und starrte ihn befremdet an. Doch dann schluckte sie den Rest von Bestürztheit hinunter und fragte sehr entschlossen:

"Was gibt es denn da zu lachen, Julius?" Dieser hörte sofort damit auf und erkannte, daß er seiner Mutter jetzt sehr weh tun mußte, wenn er sie nicht den ganzen Rest ihres und seines Lebens lang belügen wollte. Er atmete einmal und zweimal durch. Dann mentiloquierte er Catherine, er wolle seiner Mutter zumindest sagen, was mit seinem Vater passiert sei. Sie mentiloquierte zurück, daß sie sofort kommen würde und er noch nicht die volle Geschichte erzählen dürfe, bis sie bei ihm sei. So wartete er, während er seiner Mutter nur erzählte, daß er sich über Onkel Claudes "bescheuerten Auftritt" amüsieren mußte, weil der seinem Bruder, also Julius Vater, damit doch noch weniger Respekt gezeigt habe. Dann kam Catherine herein. Mrs. Porter war offenbar gebeten worden, zu warten. Doch Catherine sagte nur:

"Mrs. Porter hat sich mit einem der Polizisten getroffen, die dich seit deiner Einlieferung hier bewacht haben, Martha. Sie spricht mit ihm über das, was sie auch den FBI-Leuten erzählt hat." Dann zog sie ihren Zauberstab hervor, verschloss die Tür auf magische Weise und schuf einen Klangkerker, dessen ockergelber Schimmer alle Wände, den Boden und die Decke überzog. Martha blickte den magischen Schimmer an, dann nickte sie. Offenbar fiel ihr etwas ein, was diesen Verstoß gegen die Geheimhaltung rechtfertigte.

"Julius, erzähle deiner Mutter, was du erlebt hast!"

Julius atmete tief durch. Seine Mutter sah ihn besorgt an. Er schluckte einmal, zweimal. Dann begann er:

"Mum, das haben wir den Nichtzauberern erzählen müssen, daß ich mit Mrs. Porter in den Sümpfen unterwegs war. Eben wegen Paps wollen wir nicht, daß auch die Muggelwelt erfährt, was mit Paps wirklich passiert ist. Ich habe dir doch am Telefon erzählt, daß ich rausgekriegt habe, daß Paps heftige Probleme bekommen hat." Sie nickte ihm zu, wenngleich sie ihn sehr beklommen ansah, als erwarte sie, in jedem Augenblick von ihm angefallen zu werden. Das was Julius dann erzählte, kam dem bestimmt nahe, wenn auch nicht ihr Körper, sondern ihre Seele angegriffen wurde. Catherine saß aufmerksam lauschend dabei und verfolgte mit, was Julius seiner Mutter erzählte, wie er herausbekommen hatte, daß sein Vater doch die ganzen Morde begangen hatte, aber kein Mörder war, weil er unter einem bösen Zauber gestanden hatte, wie er ihn durch einen Fernortungszauber gefunden und sich damit der Kreatur ausgeliefert hatte, die ihn in diesem Bann gehalten hatte, wie er Hallitti, der Tochter des dunklen Feuers, leibhaftig begegnet war und wie er nur knapp entkommen war. Er endete damit, daß die vom amerikanischen Zaubereiministerium das alles den anderen Zauberern nicht erzählen wollten und deshalb jemanden engagiert hatten, der wie Richard Andrews aussah. Er erzählte seiner Mutter auch, wieso er nun zwei Jahre älter aussah, weil Catherine ihm zumentiloquierte, seiner Mutter die volle Wahrheit zu erzählen. Zwischendurch kämpften Mutter und Sohn um genug Fassung, damit der eine seinen Bericht fortsetzen und die andere ihn ohne Zusammenbruch ertragen konnte. Als er zum Ende kam, daß die Zauberer wohl eine anonyme Leiche so bezaubert hatten, daß sie wie Richard Andrews aussah, konnte Martha nicht mehr an sich halten und weinte los. Julius, bei dem ebenfalls alle Dämme brachen, schniefte Catherine an, ob er nicht doch was verkehrt gemacht hatte. Catherine nahm ihn bei der Hand, führte ihn zu seiner Mutter und legte seine Hand in ihre. Dann sagte sie:

"Die volle Wahrheit tut weh. Aber eine Lüge, und sei sie auch noch so gut gemeint, bewirkt größeres Leid, wenn sie aufrechtgehalten wird oder aufgedeckt wird. Ich hoffe, Martha, du hältst deinen Sohn nicht für einen Lügner, weil er dir diese Geschichte erzählt hat. Ich hoffe auch, daß ihr beide euch nicht schuldig fühlt, daß es so gekommen ist."

"Dein Vater war ... Richard war ...", wimmerte Martha Andrews. Julius schwieg. Er stand selbst da, während salzige, körperwarme Wasserfälle über seine Wangen hinabstürzten und auf seinem T-Shirt landeten, wo sie immer deutlichere Spuren hinterließen. So blieben sie eine volle Minute, bis Julius' Augen von der Überanstrengung schmerzten und seine Mutter auch wieder zu sich fand. Sie wischte sich mit der freien Hand das Gesicht trocken, bevor sie leicht quängelnd sagte:

"Es stimmt, daß es zu viel böses in dieser Welt gibt, Julius. Ich mache dir keinen Vorwurf, daß dein Vater an diese Kreatur geraten ist. Aber du weißt nicht, wer diese fremden Hexen waren?"

"Nein, Mum. Zumindest konnte ich nur ein Gesicht sehen, das ich aber nicht erkannt habe. Wir, also Catherine, Madame Faucon, Mrs. Porter und ich vermuten, es waren diese schweigsamen Schwestern, diese Nachtfraktion, die es offiziell nicht gibt." Catherine nickte.

"Sie haben den Jungen wohl schon länger beobachtet. Ich vermute, es werden einige Animaga dabei gewesen sein, die ihm in Tiergestalt gefolgt sind. Auch vermute ich, daß sie ihm per Exosenso-Zauber auf der Spur bleiben konnten."

"Der Exosenso-Zauber?" Fragte Martha Andrews. Julius erklärte ihr, was das für ein Zauber war und daß es schon unheimlich war, sich vorzustellen, daß jemand fremdes durch seine Augen sehen und durch seine Ohren hören konnte, ohne daß er sich dessen bewußt wurde. Catherine schüttelte den Kopf.

"Du kannst und wirst lernen, dir einer solchen unerwünschten Beobachtung bewußt zu werden, Julius. Das lernst du aber nicht bei und von mir, sondern dann eher von Maman, wenngleich Beauxbatons gegen derlei Fernbeobachtungszauberei abgesichert ist, sofern du kein Focusartefakt wie dein Pflegehelferarmband oder eine zweiteilige Kombination benutzt wie bei Cytheras Geburt."

"Ich möchte hier raus", sagte Martha Andrews. "Ich möchte einfach wieder hier raus."

"Ich fürchte, die werden dich erst hier weglassen, wenn das FBI und andere Polizeibehörden sich sicher sind, alles von dir zu wissen, Martha und wenn keine Gefahr mehr für dich besteht. Dich jetzt mitzunehmen und durch die Reisesphäre außer Landes zu schaffen würde unnötiges Aufsehen geben, weil du dann ja genauso verschwunden wärest wie Julius", wandte Catherine ein. "Aber wir bleiben in deiner Nähe."

"Die haben gesagt, ich dürfte heute hier raus", sagte Martha. "Ich möchte nicht länger hier in diesem Zimmer oder diesem Haus herumliegen und mich andauernd damit rumschlagen, was man mir und was man Julius angetan hat. Diese Rosenberg hat mir vorgeschlagen, mir einen Psychotherapeuten zu suchen. Ich habe selbst genug Psychologie in der Schule gehabt um zu wissen, daß eine direkte Auseinandersetzung mit dem Problem und eine Rückkehr in den gewohnten Arbeitsalltag hilfreich genug sind, solange keine ernsteren Depressionen oder Verhaltensstörungen auftreten. Und auf meine Selbstbeherrschung kann ich mir trotz dem gerade eben noch immer was einbilden."

"Wirst du dann wieder bei Zachary Marchand wohnen?" Fragte Julius.

"Wenn ihr meine Sachen dort noch nicht fortgeholt habt", erwiderte Julius' Mutter. Catherine und er schüttelten die Köpfe. "Dann werde ich dorthin zurückkehren. Vielleicht interessiert es ihn, was uns beiden angetan wurde. Bestimmt kann er auch regeln, daß ich meine Aussage so schnell wie möglich machen kann. Außerdem ist seine Wohnung einbruchssicher."

"Solange man nicht das alte Sofa von ihm anderswo geparkt hat", sagte Julius und erklärte, was er damit meine. Als seine Mutter die Namen der Eheleute Ross hörte mußte sie grinsen.

"Eine Hexe namens Alexis aus Denver und ein Texaner namens John Ross. Eure Welt ist doch immer für Überraschungen gut. Aber die beiden sind gutartig?"

"Sie sind in der Liga gegen die dunklen Künste", sagte Julius. "Da wird wohl drauf geachtet, daß keiner da Mist baut."

"Na ja, Maulwürfe kommen in jedem guten Garten vor", sagte Martha Andrews unheilvoll klingend. Dann straffte sie sich und sagte gefaßt: "Aber dann wärest du nicht mehr am Leben, nachdem du deine Mission erfüllt hast."

Mission! Sie sah Julius' gefährliches Abenteuer als "seine Mission" an. "Und sollten Sie oder ein Mitglied Ihres Teams gefangengenommen oder getötet werden ...", dachte Julius leicht verdrossen dreinschauend. Ja, dieses Monster in Frauengestalt zu finden und sich zum Köder einer Falle dafür machen zu lassen war genauso seine Mission gewesen wie die Vernichtung der grünen Würmer in der Bilderwelt von Hogwarts. Er hoffte nur, daß er in Zukunft nur noch die Mission hatte, gut mit der Schule klarzukommen, weiterhin gute Freunde zu haben und mit einer Frau wie Claire eine glückliche Familie gründen zu dürfen.

Martha Andrews klingelte. Eine Schwester kam und fragte, was sie wolle. Sie bat um den sie behandelnden Arzt und die Entlassungspapiere. Die Krankenschwester lächelte und sagte, daß Dr. Kessler bereits mit den Unterlagen beschäftigt sei. Allerdings wäre es wohl nicht praktisch, wenn sie ohne Straßenkleidung das Krankenhaus verlassen würde. So fuhren Catherine, Mrs. Porter und Julius zu Mr. Marchand, wo Catherine einige Kleidungsstücke für Martha aus dem Schrank im Gästezimmer holte.

"Ihr hättet mich doch anrufen können, um die Sachen zu bringen", sagte Zachary Marchand. Jane Porter meinte dazu nur:

"Würdest du haben wollen, daß eine Frau, die nicht mit dir verheiratet ist oder deine eigene Mutter deine Sachen durchstöbert?"

"Kein Kommentar", erwiderte Marchand. Dann brachte er die Hexen und den Jungzauberer zum Krankenhaus zurück, wo er Martha zum ersten Mal wieder sah, seitdem sie in diesem Hubschrauber gesessen hatten, der sie in Laroches Falle geflogen hatte. Vor der Zimmertür warteten sie, bis Martha sich straßentauglich angekleidet hatte und gingen zum Stationsarzt, der die Entlassungspapiere fertig hatte. Zwar meinte Dr. Esther Rosenberg, eine brünette Frau Mitte bis Ende dreißig, Martha möge sich doch noch einige Tage hier ausruhen und eventuell eine psychotherapie beginnen. Doch Martha sagte ihr eiskalt:

"Ich werde mich nicht auf Sachen einlassen, die mich hinterher mehr ausliefern als das, was dieser Verbrecher mit mir angestellt hat. Außerdem habe ich einen Sohn, der mich braucht."

"Eben aus diesem Grund sollten Sie es nicht darauf ankommen lassen, an den Folgen dieser Untaten zu zerbrechen, Martha."

"Für Sie bitte Mrs. Andrews, Dr. Rosenberg", stellte Martha Andrews klar. Dann klärte sie mit Dr. Kessler ab, daß ihre Krankenversicherung den Aufenthalt bezahlen würde und erfuhr, daß die Kollegen Marchands auch den Fond für die Opfer von Gewaltverbrechen um einen kleinen Beitrag für die stationäre Behandlung bitten konnten und sie daher keine Sorgen wegen ausstehender Arztkosten zu haben bräuche.

"Es war schon gut, auch eine amerikanische Krankenversicherung abzuschließen", sagte Martha auf dem Weg zurück zu Marchands Haus, wo sein Kollege Giles auf sie wartete, um auch ihre Aussage aufzunehmen.

"Wie sieht es jetzt aus?" Fragte Julius, der statt an seinen von ihm unbemerkt beerdigten Vater an das Quodpot-Spiel denken mußte, das morgen in Viento del Sol steigen würde. "Fahren wir heute noch zurück oder bleiben wir über Nacht?"

"Wieso fragst du?" Entgegnete Catherine wissend lächeln.

"tja, öhm, wegen der Sache morgen, wo angeblich das größte Spiel des Jahres ... Aber ich denke, Mum möchte jetzt die letzte Tour mit dem FBI hinter sich bringen und dann zurück nach Paris."

"Sagen wir es so", setzte Martha an. "Hier in den Staaten wäre es für mich im Moment wohl ziemlich brenzlig, solange sie diesen Patron und seinen Frankenstein-Transvestiten nicht gefunden haben. Die könnten meinen, sich an mir zu rächen. Das gilt dann auch für dich, Julius."

"Andererseits können wir, wie geplant, heute nach Viento del Sol reisen", sagte Jane Porter. "Da wird man sie nicht finden, weil der Ort unortbar ist."

"Darf ich denn da rein?" Fragte Martha Andrews.

"Das ist anders als Millemerveilles. Sie können hinein, sofern eine Hexe oder ein Zauberer sie über die unsichtbare Grenze führt. Sie wissen doch, Schlumpfhausen. Auf diese Weise könnten sie sich sogar das Spiel ansehen", sagte Jane Porter. "Außer denen, die es wissen muß ja keiner wissen, daß Sie keine Hexe sind."

"Dann müßte ich mir aber was anderes anziehen", sagte Martha, der der Gedanke, die sonst so geheiligten Muggelabwehrmaßnahmen einmal zu unterlaufen und ein professionelles Spiel von Hexen und Zauberern zu sehen gefiel. Dann wurde sie leicht enttäuscht.

"Sie täten dabei nichts verbotenes, Martha. Immerhin ist der Vater von Brittany, die Sie ja kennengelernt haben auch ein Muggel. Und der darf da wohnen, wie auch die anderen zehn Nichtzauberer, die mit einer Hexe oder einem Zauberer verheiratet sind. Wir leben in Amerika, wo alles möglich ist."

"Auch die Unmöglichkeiten", Warf Julius ein.

"Frechdachs", durchbrauste ihn ein Gedanke, der sich wie von Mrs. Porter gesprochen empfand.

Als sie Martha mit Zachary und seinem Kollegen Giles alleine ließen, damit Martha ihre Aussage zu Protokoll geben konnte, brachte Jane Porter Julius und Catherine in den Weißrosenweg, wo sie sich mit den Enkelinnen der Laveau-Hexe trafen, die Besuch von Brittany bekommen hatten. Diese betrachtete Julius in seiner Muggelkleidung und fragte, ob er damit morgen zum Quodpotspiel gehen wolle. Er sagte verschmitzt grinsend:

"Na klar, damit die Mädels von den Windriders mich andauernd angucken und dabei aus dem Tritt geraten."

"Die Windriders, Kore Blackberry, Sharon Silverbell und Venus Partridge von ihrem Sieg abhalten? Nix gibt's. Wie der glückliche Zufall es will, paßt du jetzt wunderbar in einen meiner Windrider-Umhänge rein", sagte Britt Forester und kniff Julius kurz in die Nase. Dieser sagte, dafür hätte er nicht die passende Figur. Brittany lachte und sagte:

"Die meisten Fan-Klamotten sind unisex, weil die sich nicht den Aufwand machen wollten, figurbetonte Kostüme zu schneidern, außer für die Cheerleader. Das Kleid, das ich anhatte, ist eine Eigenkonstruktion aus einem gewöhnlichen Kleid und einem Abziehbild des Windriders-Wappen. Ich habe aber noch drei gekaufte Umhänge im Schrank hängen, von denen einer bestimmt paßt." Melanie Redlief sprang sofort an und meinte:

"Soweit kommt's noch, den Jungen auf deine Dorfmannschaft einzupendeln, Brit. In meinen Rossfield-Ravens-Umhang paßt er auch rein. Die sind auch geschlechtsneutral, Julius, und vor allem die Klamotten des sehr bald kommenden Meisters."

"Ihr spinnt doch alle", mußte auch Myrna ihren Senf dazugeben. "Die Slingshots holen sich morgen das Spiel und machen die Bugbears damit doch noch zum Meister, weil die selbst nicht genug Punkte für den goldenen Topf zusammengespielt haben."

"Habe ich dir schon mal gesagt, daß kleine Mädchen sich nicht in die Unterhaltungen von großen Mädchen reinhängen dürfen, Myrna?" Entgegnete Mel. Gloria zog Julius kurz bei Seite und sagte:

"Das war jetzt auch taktisch verkehrt, Britt zu drohen, ihre Lieblingsmannschaft vom Spielen abzulenken. Jetzt wirst du auf eine der beiden Mannschaften festgenagelt."

"Ich geh bestimmt nicht im Ravens-Umhang da raus", erwiderte Julius grinsend. "Nachher werden die noch Meister, weil die Windriders so dösig spielen, und die Fans werden sauer, weil ihre Truppe es nicht gebracht hat und fluchen dann auf alles ein, was im Ravens-Umhang rumläuft. Das ist dem älteren Bruder von 'nem Grundschulkameraden passiert, als er mit Chelsea-Schal bei einem Spiel von Arsenal London dabei war und Arsenal verloren hat. Da sind die Fans auch so ausgerastet. Nein Danke, muß ich nicht haben."

"Die werden nicht Meister, Julius. Mel träumt nur davon. Denn wenn ich das in den letzten Tagen richtig mitgekriegt habe, zieht die Spiele-und-Sport-Abteilung denen am Ende dreihundert Punkte ab und legt die bis zum Start der übernächsten Saison auf Eis."

"Was war das, Gloria?" Fauchte Mel, die es wohl gehört hatte. "Die Ravens kriegen echt ihre Punkte abgezogen? Nööö."

"Frag Opa Livius, wenn du es mir nicht glaubst, Melanie!" Bestand Gloria auf dem, was sie Julius gesagt hatte. Dann meinte sie noch: "Aber deshalb kannst du Julius ruhig deinen Umhang leihen. Das hätte dann dieselbe Wirkung wie seine Jeans und das T-Shirt."

"Eben deshalb kommt nur der Windriders-Umhang in Frage, wegen der Unauffälligkeit", argumentierte Brittany mit feistem Grinsen. "Oder wollt ihr haben, das Lino sich wieder an den dranhängt, nachdem sie nicht das Interview mit ihm gekriegt hat?"

"Lino?" Fragte Julius. Da läutete es an der Tür. Catherine, die gerade mit Jane Porter die Abreise nach Viento Del Sol besprochen hatte, trat neben Julius, während Jane die Tür öffnete.

"Einen wunderschönen Tag!" Trällerte eine frohmütige Frauenstimme durch die geöffnete Tür. Julius erkannte sie. Das war Linda Knowles, die Reporterhexe von der Stimme des Westwindes.

"Das ist Lino", grummelte Melanie, die gerade neben Julius trat. "Linda Knowles vom Westwind."

"Ich wünsche einen noch schöneren Tag, Ms. Knowles. Wer hat Sie arme Seele denn ins Feindesland geschickt?" Grüßte Mrs. Porter amüsiert zurück.

"Ihr Gatte ist doch gerade in seiner Redaktion, um die Blamage der Ravens in die nächste Ausgabe hineinzubekommen, Mrs. Porter. Aber zu ihrer Frage, eine sehr glaubwürdige Information, hier jemanden zu finden, der mir ziemlich sicher noch ein paar Details zum Sturz von Minister Pole verraten kann. Sicherlich wissen Sie, daß er seit vorgestern unter sehr merkwürdigen Umständen ins Doomcastle-Gefängnis für magische Schwerverbrecher verbracht wurde, nachdem eine weitere Sitzung des Zwölferrates, die absolut geheim verlief, ihn zur lebenslänglichen Haft dort verurteilt hat."

"Dann müssen Sie mit den Seelenhütern von Doomcastle sprechen, Ms. Knowles. Hier ist der Weißrosenweg neunundvierzig."

"Genau, und da wollte ich auch hin, da sich zurzeit der junge Mr. Andrews hier aufhalten soll."

"Mr. Andrews? Welcher?" Fragte Jane Porter

"Mrs. Porter, bei allem Respekt für Ihre Erfahrung und Intelligenz sollten Sie es doch wissen, daß man mich nicht so leicht abhängen kann. Natürlich meine ich Julius Andrews. Immerhin haben Sie selbst ihn kurz nach ein Uhr am frühen Morgen mitgebracht, wie mein Nachrichtendienst zuverlässig gemeldet hat."

"Welcher, CIA, NSA, FBI?" Flüsterte Julius.

"Ms. Knowles, ich fürchte, man hat Ihnen da falsche Informationen für teures Geld verkauft. Gut, daß ich den Herold aboniere, da wird mich die Preiserhöhung nicht treffen, die Sie für den Kauf unergiebiger Nachrichten an Ihre Leser weitergeben werden."

"Ich denke schon, daß meine Quellen sehr ergiebig sind", erwiderte Ms. Knowles erheitert. "Es geht mir lediglich um fünf Minuten mit ihm, um zu erfahren, ob er während jener Verhandlung, die Jasper Pole des Amtes enthob, bereits etwas bemerkt hat. Abgesehen davon hätte ich gerne noch die restlichen Details dieses erschütternden Vorfalls aus erster Hand, der letzthin die Sitzung und die Entlassung des Ministers zur Folge hatte."

"Ach, hat Mademoiselle Chermot ihr nicht alles rüberwachsen lassen?" Fragte Julius im Flüsterton.

"Nein, hat sie nicht, Mr. Andrews", trällerte Ms. Knowles triumphierend.

"Entschuldigung, mit wem reden Sie gerade?" Fragte Mrs. Porter. "Ich habe niemanden gehört, der was gesagt hat."

"Mrs. Porter, lassen Sie doch diese Spielchen, bitte! Sie wissen doch genau, daß ich seit dem Unfall in der Tränkefabrik von Hickburr & Söhne gewisse, ähm, Verbesserungen bekommen habe, damit die Hickburr-Familie nicht wegen mangelhaften Arbeitsschutzes belangt wurde."

"Super", dachte Julius. "Wußte doch, daß es außer Moody und Perseus noch andere von der Sorte gibt."

"Ach das meinen Sie. Wer hat denn da was gesagt?" Tat Mrs. Porter immer noch ahnungslos erstaunt.

"Mr. Julius Andrews flüsterte eben, daß meine hochgeschätzte und sehr dankbare Kollegin Ossa Chermot vom Miroir Magique mir nicht alles hat rüberwachsen lassen, was aus der Umgangssprache heißt, daß sie mir nicht alles erzählt hat, was er ihr freundlicher Weise berichtet hat. Immerhin ist die Affäre auf unserem Boden passiert, also in den vereinigten Staaten, sogar in Kalifornien, in relativer Nähe meiner Heimat. Daher geht es mich in jeder Hinsicht was an, welche Zauberwesen sich dort mit Schülern aus fremden Zaubberschulen herumschlagen. Also geben Sie mir bitte die fünf Minuten. In gedeihlicher Zusammenarbeit Ihres Institutes mit meiner Zeitung."

"Oder was?" Fragte Mrs. Porter.

"Kein Oder-was, Mrs. Porter. Sie helfen lediglich, die zauberische Öffentlichkeit unseres Landes über die Schwere dessen zu informieren, was Minister Pole an und für sich vorgeworfen werden sollte, als die Sitzung wegen der neuerlichen Untaten, über die ich bestimmt noch etwas erfahren werde, ihn mit Freiheitsentzug belegte."

"Tja, wenn Sie mehr erfahren können, möchte ich Ihre kostbare Zeit nicht damit vertun, Sie hier vor meinem Haus solange herumstehen zu lassen. Bitte, holen Sie sich Ihre Exklusivgeschichte da, wo jemand meint, Ihnen was auch immer erzählen zu müssen!" Sagte Mrs. Porter immer noch ruhig.

"Ja, deshalb bin ich ja hier, Mrs. Porter", erwiderte Ms. Knowles immer noch unerschütterlich fröhlich klingend.

Julius grinste Feist, spitzte die Lippen, hob die Finger der rechten Hand und stieß einen schrillen Pfiff aus, der Catherine und Melanie zur Seite springen machte.

"Soll ich jetzt Autsch sagen oder netter Versuch?" Lachte Ms. Knowles.

"Geben Sie ihr die fünf Minuten, Mrs. Porter", sagte Catherine sehr entschlossen. "Allerdings in meiner Gegenwart."

"Oh, jemand mit einer gewissen Berechtigung, Mrs. Porter?" Fragte Linda Knowles. Mrs. Porter gab die Tür frei und ließ die Besucherin ein. Heute trug sie eine blattgrüne Bluse über einem knielangen rubinroten Rock, Claire und Madame Dusoleil in Bekleidungsunion. Ihre rotbraunen Kräuslehaare reichten bis auf die Schultern hinunter, und die fast schwarzen Kulleraugen in ihrem kaffeebraunen Gesicht blickten freudig umher, als sie Julius neben Catherine Brickston stehen sah. Im Wohnzimmer setzten sie sich zusammen. Nicht nur Catherine war anwesend, sondern alle gerade im Haus befindlichen Bewohner und Gäste. Julius entspannte sich. Mrs. Porter mentiloquierte ihm:

"Sei vorsichtig. Sie versucht es immer auf die Schmunzelhexentour." Julius vermutete, daß sie keine gedachten Worte hören konnte. Das wenigstens hatte man ihr bestimmt nicht eingebaut. Er betrachtete sie und fand keinen Hinweis auf magische Organprothesen. Doch das konnte man bei Ohren nicht unbedingt sehen, wenn die wichtigsten Bestandteile im Kopf verborgen waren. Als sich beide gemustert hatten holte sie ein Klemmbrett mit aufgelegtem Pergament hervor und setzte eine Flotte-schreibe-feder an. "Eins, zwei, Test!" Sprach sie und las nach, ob die Feder mitgeschrieben hatte. Da stand: "Unsere für gute Nachrichten über die Landesgrenzen hinaus berühmte Reporterhexe Linda Knowles bereitet sich auf ein mit Spannung erwartetes Interview vor." Dann fragte sie Julius, ob es ihm gut gehe. Er bedankte sich und sagte, es gehe ihm jetzt sehr viel besser als vor zehn Tagen. Die Feder schrieb hin, daß Julius Andrews, vierzehn Jahre alt, muggelstämmig, bei besserer Verfassung sei als zehn Tage zuvor (03.08.1996). Dann fragte sie ihn, was er genau erlebt hatte. Er setzte an, im Stil eines wissenschaftlichen Vortrags zu berichten, doch Linda Knowles schnalzte mit der Zunge und fragte ihn mit mädchenhaftem Grinsen:

"Mußt du in Beauxbatons auch so reden, wenn du etwas über dich selbst erzählen willst?"

"Weiß ich nicht. Will ich?" Konterte Julius. Da Ms. Knowles keine Zeit schinden wollte, weil Catherine links von Julius saß und seinen Arm mit der Weltzeituhr im Auge behielt fuhr sie fort. Julius sah immer wieder auf das Klemmbrett mit der Schreibefeder, die in Lindas Fall nicht giftgrün, sondern schweinchenrosa war. Catherine mentiloquierte ihm, sie würde was er gesagt hatte mit dem vergleichen, was die Feder da hinschreibe. So sprach er nun so, wie er mit Mademoiselle Chermot gesprochen hatte. Tatsächlich schaffte er es, in vier Minuten und zehn Sekunden zu berichten. Zwar versuchte ihn Linda auf seine Gefühle, seine Ängste, seine Erwartungen und die Gefühle während Hallittis direktem Angriff auf seinen Geist anzusprechen, doch Julius antwortete bei solchen Fragen, auch wenn sie noch so zuckersüß gestellt wurden:

"Ist für die Öffentlichkeit nicht wichtig."

"So, fertig", sagte Catherine, als sie auf Julius Uhr fünf Minuten abgelesen hatte. "Da ich die magische Fürsorgerin des Jungen bin, muß ich jetzt die von Ihrer Feder gemachten Notizen prüfen, Ms. Knowles. Accio Interviewnotizen!" Offenbar hatte sie ihren Zauberstab während des Interviews unter dem Tisch bereitgelegt. Denn unvermittelt flogen die Pergamentblätter zu ihr hin. Linda Knowles versuchte, Julius noch ein paar Gefühlsfragen zu stellen.

"Du weißt doch, wie wichtig es ist, unter welchem Eindruck jemand steht, wenn er oder sie in großer Gefahr schwebt, Julius. Das tut doch keinem weh, wenn du mir erzählst, wie es für dich war, als du dieser Hallitti in ihrer menschlichen Gestalt gegenüberstandest. War sie schön?"

"Schönheit ist Ansichtssache", kam Julius prompte Antwort. Catherine räusperte sich und sagte laut:

"Wenn Sie meinen Schützling zu unbedachten Äußerungen außerhalb der gewährten Zeit verleiten wollen, muß ich ihm einen Sprechbann auferlegen. Der Junge hat Ihnen die wesentlichen Dinge erzählt, und die blumige Einstellung Ihrer Feder hat das zu durchaus zeitungswertem Bremborium ausgewalzt. Aber soweit ich durch die umschweifigen Sätze durchblicke, ist bisher weder unwahres noch übertriebenes dabei.

"Wie gut ist ihr magisches Gehör, Ms. Knowles?" Fragte Julius unerwartet direkt. Ms. Knowles sah ihn erst etwas verdutzt an, mußte dann aber strahlen.

"Gut genug, um einen Floh in mehreren hundert Metern husten zu hören, Julius. Interessieren dich magische Heilmittel? Natürlich tun sie das. Denn du bist ja Pflegehelfer in Beauxbatons, und dein Vater war ja ausgebildeter Alchemist."

"Chemiker, Ma'am. Alchemisten waren für ihn Betrüger, die den Leuten was vormachten", erwiderte Julius leicht verärgert. Dann preschte er wieder vorwärts. "Also Ihr Gehör. Ist es nur ein Ohr oder beide? Quid pro Quo, Ms. Knowles. Sie wollten was über mich wissen, jetzt möchte ich was über Sie wissen."

"Es war ein Unfall mit verdünnter Erumpenthornflüssigkeit und Hippogreifenurin. Das Zeug ist explodiert. Über den genauen Hergang darf ich nicht mehr sagen, weil das Teil des Abkommens ist, dem ich mein neues Gehör verdanke. Es sind aber beide Innenohren betroffen."

"Ui, dann haben Sie ja einen vollen Rundumklang auf den Millimeter genau", erging sich Julius in einer ihn faszinierenden Vorstellung.

"Das auch. Vor allem kann ich gut Ballett tanzen, weil mit den magischen Ersatzstücken auch mein Gleichgewichtssinn verbessert wurde. Bist du auch gut im Tanzen?"

"Fragen Sie Mademoiselle Chermot", erwiderte Julius. Da fiel ihm ein, daß er das besser nicht hätte sagen sollen, und er ärgerte sich. Catherine las derweil weiter. Julius versuchte, den Fehltritt auszubügeln und sagte schnell: "Aber ich kann gut auf einem Besen fliegen."

"Welchen Besen fliegst du gerade?" Hakte Ms. Knowles nach.

"Och, einen Ganymed", erwiderte Julius, ohne zu verraten, welchen genau.

"Du hast deine Mutter heute im Krankenhaus besucht, nicht wahr? Hat sie das, was ihr die Muggel angetan haben gut überstanden?"

"Das geht die Öffentlichkeit nichts an", sagte Julius leicht ungehalten.

"Aber unser Interview ist doch vorbei. Das schreibe ich doch nicht in die Zeitung", säuselte Linda Knowles und schenkte Julius einen Blick, mit dem sie wohl als kleines Hexenmädchen schon jedes Schimpfen abgewehrt haben mochte.

"Solange Sie fragen und ich antworten soll ist das Interview nicht vorbei", erwiderte Julius. Catherine sagte dazu nur:

"Sehr richtig, Julius. Manche Gehörprothesen können Geräusche oder Worte wie Tonbänder aufzeichnen und bei Bedarf noch einmal wiedergeben. Außerdem können solche magischen Ohren fremde Sprachen übersetzen, egal welche, wenn die Heilthaumaturgen gut dafür bezahlt werden."

"Oh, Sie trauen meinen Ohren ja Sachen zu", lachte Ms. Knowles und schlug leicht errötend die Augen nieder. Dabei fingerte sie eher beiläufig als gewollt an ihrem linken Blusenärmel herum. Mrs. Porter verstand dies als Eingeständnis, daß sie wohl auf solche Nachhörschnäppchen gelauert hatte und meinte:

"Der Junge interessiert sich für alles, was mit Magie geht. Aber ich fürchte, Sie nutzen das aus. Ich möchte Sie nicht in allzu große Versuchung führen. Julius, am besten bereitest du dich schon mal für Morgen vor. Ms. Brittany, Ms. Melanie, bringt ihr ihn schon mal hin?"

"Hui oder Knall, Oma?" Fragte Melanie. Eine Sekunde verging, dann sagte sie: "Dann komm mal mit, Julius!" Julius stand auf und folgte den Mädchen so schnell, daß Ms. Knowles es erst mitbekam, als er schon an der Tür war. Als sie ihm dann hinterherlaufen wollte, rief Catherine:

"Hallo, Ms. Knowles. Der Absatz über die direkte Begegnung mit Hallitti gefällt mir so nicht. Wenn Sie das Interview als ganzes bringen wollen, erläutern Sie mir bitte, wieso Ihre Feder das so geschrieben hat! Andernfalls gebe ich diese Unterlagen nicht frei, und Sie müssen ihre Nachhörfähigkeit bemühen, und dann kriegen Sie Ärger mit mir und Ihrem Chefredakteur, den zu kennen ich mir zu Gute halten kann."

Julius hörte nicht mehr, was Linda Knowles antwortete. Er hatte nicht ihre Ohren. Als sie vor der Haustür standen, winkte Brittany ihm, ihr zu folgen. Melanie lief hinter ihnen her. Dann streckte Brittany Julius den linken Arm hin. Er stutzte. Dann verstand er. Er ergriff ihn fest genug, nicht abgeschüttelt zu werden. Sie machte eine Drehbewegung und zog ihn übergangslos durch diesen viel zu engen Gummischlauch, der ihm alles in den Leib hineinzuquetschen schien. Keuchend atmete er durch. Mel trat näher und betrachtete ihn.

"Außer das du jetzt Brittanys Augen drin hast ist noch alles in Ordnung mit dir", sagte sie mit einem hinterhältigen Grinsen. Julius blickte erschrocken auf seine Uhr und sah seine blauen Augen leicht verschwommen im Glas widerspiegeln. Dann lachte er.

"Zum Glück habe ich nicht wesentliches von ihr übernommen, was sie vielleicht mal braucht", erwiderte er. Dann fragte er verwundert: "Hast du dich an der anderen Seite festgehalten?"

"Nö, eigenmagisch, Julius. Ich wußte doch, wo es hingeht. Ich kann Melo, genau wie Brit. Ihre Mom hat's ihr beigebracht wie meine Gran mir. Deshalb wußte sie, wo sie mit dir hinsollte, und da bin ich dann auch hingeschlüpft."

"Wir sind in Viento del Sol", erkannte Julius und sah Brittany sehr hochachtungsvoll an.

"Stimmt auffallend, Julius. Da hinten steht mein Freund, der Spendebaum, der dir auch schon was geschenkt hat. Aber du hast wahrscheinlich auf deine Uhr gesehen und gemerkt, daß wir mal wieder drei Zeitzonen nach Westen übersprungen haben. Dieses Ding ist einfach genial", antwortete sie und zeigte ihren rechten Arm vor, wo die Damenausführung der Uhr am Handgelenk anlag.

"Du hast das erst vor einigen Wochen gelernt und kannst schon Leute über die Strecke mitnehmen? Bor eh!" Staunte Julius. Daß er auch gerne Apparieren lernen wollte wußten die Mädchen ja schon.

"Ich habe in den letzten sieben Tagen immer wieder geübt, mit Mel oder mit Tamy, einer Quodpotkameradin. Die Strecke VDS - NO appariere ich schon wie einen Waldspaziergang."

Sie führte Julius zu ihrem Haus, wo Julius eine stämmige Hexe in Lederkleidung kennenlernte, die Brittanys Haar- und Augenfarbe hatte. Das war Professor Forester. Sie fragte Julius, ob er nie Angst hatte, wenn ein junges Mädchen ihn einfach in eine Apparition hineinzog. Er grinste und meinte:

"Bisher ist mir nichts passiert, weshalb ich Angst haben müßte, Professor."

"Mrs. Forester, wenn wir nicht in Thorntails sind", berichtigte die Hausherrin den Jungen. Dann sagte Brit, daß Julius einen ihrer Fan-Umhänge anprobieren solle, da er wohl nur Muggelkleidung mitgenommen habe. Sie fragte ihn, ob er überhaupt wisse, was Quodpot für ein Spiel sei. Britt funkelte ihre Mutter an und meinte, er hätte sie fast schon überflügelt.

"Was ich im Apparieren draufhabe macht der auf dem Besen, Mom. Abgesehen davon ist der auch gut in Kräuterkunde und so'ner komischen Sache, wo es um unnatürlich zusammengekreuzte Tiere geht."

"Du ärgerst mich nicht, Brittany Dorothy Forester", lachte Mrs. Forester, die in Thorntails Pflege magischer Geschöpfe unterrichtete.

Nachdem Julius einen ihn angenehm umspielenden Windriders-Umhang anprobiert hatte, unterhielt er sich mit Brits Mutter über Zaubertiere. Während dessen bereitete Britt in der Küche für sich und ihren Vater das Mittagessen zu, weil sie als Veganerin weder Hühnerbrühe noch ungarisches Goulasch essen wollte, was ihre Mutter für sich und die angekündigten Gäste vorbereitet hatte. Tja, und weil im Schokoladeneis wohl auch Milch drin war, war das für sie genauso tabu. Melanie lauschte, wie Julius mit der Thorntails-lehrerin über die Latierre-Kühe sprach und ihre Fragen beantwortete, ob ihm Thorntails gefallen habe. Er fragte Melanie, wann die Porters, ihre Schwester Myrna und seine Mutter kommen würden, da seine Mutter wohl kaum durch den Kamin gehen und auch nicht per Anhalter apparieren durfte, solange kein magischer Notfall und die Aufdeckung der Geheimhaltung drohten.

"Oma Jane hat wohl einen Muggelwagen aus dem Ministerium loseisen können. Damit sind die in sechs Stunden hier", sagte Mel ruhig.

Tatsächlich knatterte acht Stunden später ein gelber Cadillac, der in New York todsicher als Taxi durchging über den Vorplatz des Hauses. Ihm entstiegen die Porters zusammen mit Gloria, Myrna, Catherine Brickston, Zachary Marchand und Martha Andrews.

"War ein wenig schwierig, Lino loszuwerden", sagte Myrna und fragte, ob Julius in Brits Klamotten keine Probleme hätte. Martha Andrews begrüßte die bereits Anwesenden und erzählte Julius, daß sie fast drei Stunden mit Zachary Marchand und seinem Partner verbraucht habe, weil so ein FBI-Profiler, einer der sich an Tatortgegebenheiten und nachweisbaren Verhaltensmustern ein Bild von gesuchten Verbrechern machen konnte, über diesen Menschen namens Salu gesprochen habe.

"Die haben einen Verdacht, wer das ist", sagte Marchand. "Aber pssst, ganz geheime Geheimsache."

"Haben die einen in ihrer Datenbank, der so drauf ist und das Wissen um diese Höllenmaschinen haben könnte?" Fragte Julius. Marchand legte seine Finger auf die Lippen und nickte nur leicht. "Dann haben sie die Ratte bald am langen Schwanz und ziehen das ganze Drecksvieh daran aus dem Loch", knurrte er. Dann sprachen sie wieder über angenehme Dinge wie Quodpot. Da Julius mittags dem fleischhaltigen Essen gut zugesprochen hatte, aß er diesmal was von Brittanys Extrakost, aus zerbröselten Haselnüssen und Maismehl und Tomatenmark gedrehte Hütchen, die in einem Maismehl-Olivenölteig eingebacken waren, wozu es noch Kartoffeln und eine würzige Kräutersoße gab, und dazu frischen Salat der Saison. Julius' Mutter unterhielt sich mit Brittany darüber, daß eine Schulkameradin aus der Fairmaid-Zeit auch Veganerin sei und von den Lehrern und der Schulleitung immer eine schriftliche Garantie bei ihren Eltern abliefern mußte, daß sie in der Schule und auf Klassenfahrten nichts aus Tierprodukten zu essen bekommen würde. Nur einmal habe sie, ohne es ihren Eltern zu erzählen, eine Portion Schokoladeneis gegessen. Brittanys Vater, der seine Tochter zu dieser Lebensweise ermuntert hatte, meinte dazu, daß es ja keine Frage der körperlichen Gesundheit sei, sondern der Lebensanschauung.

Abends gingen die Mädchen zusammen mit Brittany auf ihr Zimmer, wo sie die Nacht zubringen würden, während die Andrews', Catherine und Zachary Marchand im Dorfgasthaus einkehrten, das "Zum sonnigen Gemüt" hieß. Dort schliefen sie die Nacht sehr ruhig und ohne Alpträume durch.

 

__________

 

"Da kommt Kore Blackberry an den Quod und bedient ihre Kameradin Venus Partridge, die heute als Eintopferin super in Form ist!" Rief der Stadionsprecher im Windriders-Stadion, als eine wahrlich venusgleiche Blondine im himmelblauen Spielerumhang mit dem tiefblauen Flügelmenschen auf der langgezogenen Silberwolke drauf vor dem frei in der Luft hängenden Pot herumschwirrte. Brittany, die rechts neben Julius in ihrem Kleid mit dem Wappen der Windriders saß, freute sich unüberhörbar, als Venus Partridge den Quod in einer schnellen Drehbewegung in den Pot plumpsen ließ. Hier gab es nicht nur ein langgezogenes Signal wie im Bugbears-Stadion, sondern eine dreistimmige Trompetenfanfare. Allerdings nur beim Punktgewinn der Heimmannschaft. Wenn die Slingshots mal einen Pot füllten, also den Spielball im bauchigen Topf des Gegners unterbrachten, kam ein schnarrendes, disharmonisches Tröten als Signal herüber. Wenn ein Quod in den Händen eines Slingshot-Spielers explodierte, klangen drei wie Lachen klingende Hornsignale herüber. Und die zwei Male, wo die Windriders durch die Quodexplosion rausgeknallt wurden kam ein wehleidiges Wimmern von der Fanfarenanlage. Julius' Mutter wußte nicht, wo sie hinsehen sollte, weil das Spiel ohne Ball genauso spannend war wie das mit Ball. Einmal, als die Windriders ihre vierhundert Punkte erspielt hatten, sagte sie in der zwanzig-minütigen Spielunterbrechung:

"Ist schon spannend und schnell. Da hilft auch keine Mathematik was, den Flug des Balls auszurechnen. Aber die Werbewand ist wie bei uns im Fernsehen."

"Deshalb ist mir das ja auch so leicht gefallen, in die Zaubererwelt reinzukommen", sagte Julius. "Vieles was wir für nötig halten gibt's auch da in irgendeiner Form."

Als dann nach insgesamt zweiundachtzig Durchgängen, von denen der kürzeste zehn Sekunden und der längste fünf Minuten dauerte, sowie den Unterbrechungen von insgesamt drei Stunden die Heimmannschaft die Gäste mit siebenhundert zu einhundert Punkten regelrecht in Grund und Boden gespielt hatte, trat der Leiter der Abteilung für magische Spiele und Sport in die Feldmitte und wirkte den Stimmverstärkungszauber.

"Sehr geehrte Freunde des quirligen, quantitativ und qualitativ besten Sportes der Zaubererwelt, sowie die an diesem Ort auch mal reinschauenden Gäste aus der nichtmagischen Welt. Die Windriders wollten es wissen, und jetzt wissen wir es alle", sprach Flavius Conners, der Leiter der sogenannten Spispo, ein Mann wie ein Kleiderschrank, der sicher einmal selbst den explosiven Ball möglichst gut in den gegnerischen Pot unterbringen konnte. "Vor den Augen der amerikanischen Zaubererwelt und derer, die es keinem erzählen, weil die denen das eh nicht glauben würden haben die Gastgeber das große Finale des Jahres gespielt und gewonnen. Sie haben es geschafft, mit dreihundert Punkten Vorsprung in der Gesamtwertung aller zwanzig Mannschaften den obersten Tabellenplatz einzunehmen!!" Ein ohrenzerfetzendes Jubelgeschrei, Gestampfe und Getröte war die Antwort auf diese Bekanntgabe. Eine volle Minute lang lagen sich Fans und Spieler in den Armen. Brittany hatte Julius an sich gezogen und ihm mindestens drei Küsse auf die Wange geschmatzt. Seine Mutter hatte dem nur mit großen Augen zusehen können. Dann, als Conners sicher sein konnte, auch verstanden zu werden, rief er noch einmal alle glorreichen Helden aufs Spielfeld. Danach kam unter schmetternden Trompetenklängen ein goldenes Tablett von der Größe eines Mittelklasseautos herangeschwebt, auf dem eine dreimal so große Ausgabe des Pots in Gold stand. Wie von einem unsichtbaren Laserstrahl in das glänzende Metall gebrannt erschien langsam von links nach Rechts der Schriftzug: "Meister der amerikanischen Quodpotliga 1996: Die Viento del Sol Windriders"

"Wen von denen kennst du persönlich?" Fragte Julius Brittany, bevor er sich darüber klar wurde, daß sie ihn immer noch in ihrem linken Arm hielt.

"Von den Mädels alle, weil ich mich schon für die Nachwuchsmannschaft beworben habe und Kore und Venus mich getestet haben. Von den Jungs Clayton Ripley und Jonathan Peasegood. Ja, du hast richtig gehört. Einer von Abraham Peasegoods Nachfahren ist einer von den Windriders."

"Kannst du ihm das auch sagen, ohne ihn so an dich zu ziehen?" Fragte Melanie Brit. Diese ließ von Julius ab. Der setzte sich wieder zurecht und sagte seiner Mutter, daß der Vorblocker links, auf dessen Rücken Jonathan Peasegood stand, ein direkter Nachfahre des Erfinders dieses Spiels sei. Melanie Redlief weinte indes. Denn so oder so gingen die Ravens dieses Jahr leer aus. Gloria, die als unbeteiligte und nicht festgelegte Zuschauerin das Spektakel verfolgt hatte, stand auf und schlüpfte an ihren zwei Cousinen vorbei und beugte sich zu Julius, der in dem geliehenen Umhang mit dem Windrider-Wappen zumindest nicht der falschen Mannschaft huldigte.

"Es war schön, daß du dir das auch ansehen konntest, Julius. Ach ja, Sie auch, Mrs. Andrews. Ich denke mal, daß war das schönste überhaupt, daß Sie es mit uns sehen konnten."

"Ich hatte während des Spiels das Gefühl, ich würde einen Traum träumen. Aber als eben gejubelt wurde und mir die Ohren dabei wehgetan haben, wußte ich, daß ich wach sein muß. Danke, daß du mir das gesagt hast", sagte Julius' Mutter und fing unerwartet an zu weinen. Julius, der seine Mutter selten in dieser Lage gesehen hatte, fühlte die Freude, etwas großarttiges gesehen zu haben schwinden und die Trübsal wiederkommen, die ihn seit dem Moment begleitete, als er aus Hallittis Höhle freigekommen war und sein Vater nur noch ein schreiendes Baby war. Seine Eltern waren zerbrechlich. Sie waren nicht unverwundbar und auch nicht allwissend. Sicher sollte er mit seinen vierzehn Jahren, davon dreien in einer seinen Eltern doch noch fremden Welt, über solchen Gefühlen stehen. Doch es ging nicht. Nicht immer.

"Entschuldigung, Mrs. Andrews, aber auf der anderen Seite des Spielfelds sitzt ein Pressefotograf. Hier, nehmen Sie das hier", sagte Brittany und reichte ihr ein Ding, das aussah wie eine Kreuzung aus Alufolie und Geschirrtuch. Martha hielt es sich vor ihr Gesicht und ließ Tränen hineinfallen.

"Das verdirbt ihm den Spaß am unerlaubten Ablichten", grummelte Brittany. Julius lief knallrot an. Wenn dieser Fotograf ihn dabei erwischt hatte, wie Britt ihn umarmt hatte. Gloria schien dasselbe zu denken. Sie ging zu ihrer Großmutter und flüsterte ihr was zu. Diese nickte und stand auf.

"Will die dem jetzt einen Fluch anhängen?" Fragte Julius Gloria.

"Wohl eher rauskriegen, von wem der Typ ist, Julius. Ich denke mal, sie wird deine Bilder zurückhaben wollen, bevor sie ..." Catherine war ebenfalls unterwegs zur gegenüberliegenden Tribüne. Während dieser Momente übergab Flavius Conners den goldenen Topf an die Kapitänin, Venus Partridge.

"Wenn das da unten vorbei ist, soll ich Venus mal fragen, ob sie dir ihr Autogramm gibt, damit deine Mitschüler neidisch kucken?" Fragte Brittany. Julius nickte eher reflexartig als bewußt. Doch jetzt hatte er dem zugestimmt. Warum nicht. Er hatte Pamela Lighthouse von den Sydney Sparks. Warum sollte er nicht auch eine Quodpotspielerin in seine Autogrammsammlung aufnehmen?

"Könnte Claire nicht eifersüchtig werden, wenn du dir diese Blondine da als Autogrammbild holst?" Fragte Martha, die ihre Tränenflut wohl überwunden hatte.

"Nur wenn ich mir von dieser Sharon Silverbell das Bild hole. Die hat schönes, dunkles Haar und sieht auch sonst sehr rund aus, Mum. Diese Venus sieht eher wie eine Walküre aus, eine nordische Kriegsgöttin."

"Du brauchst mir nicht zu erklären, was eine Walküre ist, Junger Mann", entgegnete Martha Andrews leicht verstimmt. Doch dann mußte sie Lachen. "Dann geh dir mal dein Autogramm von einer Walküre namens Venus abholen!"

"Julius, Linda ist bei diesem freundlichen Herren, der dich und Ms. Brittany so schamlos erwischt hat. Sie will mit deiner Mutter reden, damit die Bilder nicht in die Zeitung kommen", kam Jane Porters Stimme bei Julius im Kopf an. Dann empfing er noch Catherines Gedankenbotschaft:

"Mach dir keine Sorgen, Julius. Ich habe diesem freundlichen Herren gesagt, daß ich für jedes Bild von dir, Brittany und deiner Mutter, daß in diesem Stadion gemacht wurde zehntausend Galleonen Strafgebühr pro Veröffentlichung einklagen werde, wenn es von jetzt an innerhalb der nächsten drei Jahre veröffentlicht wird, egal wo. Wenn du volljährig bist, würdest du dich mit diesen Leuten noch einmal über eine entsprechende Entlohnung unterhalten."

"Ja, danke", mentiloquierte Julius zurück.

"Eh, du kannst ja auch Melo", flüsterte Brits Stimme in seinem Kopf. Er sah sie an und stimmte sich mit den üblichen Konzentrationsübungen auf sie ein. Dann schickte er ihr zu:

"Ja, ist schon praktisch.

"Mum, Catherine hat dem Fotomacher da einen tonnenschweren Klops über den Bauch gehängt. Wenn der Bilder von dir, Britt oder mir irgendwem zur Veröffentlichung gibt zahlen die zehntausend Galleonen pro Veröffentlichung, solange ich noch keine siebzehn bin. Soviele Leser haben die nicht, daß denen das die Summe wert wäre."

"Catherine war schon immer eine sehr gute Unterhändlerin", sagte Martha Andrews erleichtert. "Wir können beide froh sein, daß wir sie kennengelernt haben und sie uns beide in unseren Welten zusammenhält."

"Verdammt, das bin ich auch", sagte Julius inbrünstig. Dann kehrten Catherine und Mrs. Porter zurück. Jane Porter grinste über ihr rundes Gesicht.

"Die Idee hätte ich vorher schon mal haben sollen. Dann hätte ich das am Malibu-Strand gemachte Nacktfoto von Geri auch unveröffentlichbar machen können", flüsterte sie mit ihrer körperlichen Stimme.

"Das ist die Muggelwelt, Mrs. Porter", sagte Julius' Mutter mit breitem Lächeln. "Prominente und die Presse, das ist alles eine Frage der Schadensersatzforderungen. Es ist ja auch schlimm, wenn Leute nicht einmal mehr in ihrem Schlafzimmer vor weitreichenden Kameras sicher sind oder durch die halbe Stadt gejagt werden. Eines Tages ... Aber lassen wir das. Ich möchte nichts beschreien. War auf jeden Fall richtig, was Catherine gemacht hat."

"Wäre auch 'ne Möglichkeit, mit einem Schlag Millionär zu werden", feixte Julius. "Pro Veröffentlichung. Könnte man so auslegen, daß ja jede einzelne Zeitung eine Veröffentlichung ist. Bei tausend Exemplaren ... Holla die Waldfee!"

"Eben das hat gezogen, Julius. Ich konnte mich nämlich auf einen Grundsatz, dem Protectio-Protegendi-Artikel im internationalen Zauberergesetz berufen, demnach ein anerkannter Erziehungsberechtigter oder amtlich bestellter Fürsorger, der auch weiblich sein kann, nicht nur Leben und Gesundheit des Schützlings zu bewahren hat, sondern auch dessen Darstellung in Wort, Schrift, Bild und plastischem Modell zu überwachen hat, um ihn oder sie vor nachhaltigen Schäden durch die Darstellung als solche oder derer, die sie wahrnehmen zu bewahren. Da deine soziale Unversehrtheit unmittelbar mit dem Wohlbefinden deiner Mutter zusammenhängt und dein Ruf nicht durch unbegrenzt interpretierbare Bilder gefährdet werden darf, konnte ich der hellhörigen jungen Dame begreiflich machen, wie gut sie damit fährt, wenn ich nur eine Geldstrafe androhe und nicht ihre Arbeitsmoral als Zeitungsreporterin öffentlich anklage. Offenbar hat sie es verstanden."

"Die hört uns doch jetzt bestimmt ab", sagte Julius.

"Du hast eine Vorstellung von ihren Fähigkeiten, alle Achtung. Aber stimmt, nachdem was Joe mir über diese bionischen Superhelden erzählt hat glaube ich auch, daß sie ihre Ohren wie Schallansaugtrichter auf einen entfernten aber eng begrenzten Raum ausrichten kann. Na und? Das konnte sie ruhig mithören, weil es durch das Gesetz geschützt ist."

"Dann werden die Fotos jetzt drei Jahre eingemottet, und Peng, sobald ich siebzehn Jahre alt bin, tauchen die auf?" Wollte Julius wissen.

"Das oder sie werden wertlos, weil mittlerweile andere Sachen wichtiger geworden sind als ein Junge, der ohne es zu wollen eine gefährliche Kreatur gestellt hat und indirekt zu deren Vernichtung beitragen konnte."

"Falls Harry Potter diesen Lord Voldemort auf eine ähnliche Weise erledigt, kann ich mir vorstellen, wie er dann drauf ist", sagte Julius.

"Das ist eine andere Geschichte", seufzte Catherine. "Seien wir froh, wenn Hallitti die einzige wirklich gefährliche Kreatur bleibt, der du begegnet bist."

"Juhu, Julius! Wir können", mentiloquierte Brit. Julius nickte ihr zu. Catherine hielt ihn fest und jagte ihm einen telepathischen Tadel in den Schädel:

"Was haben wir geübt? Keine körperlichen Regungen auf erhaltene Mentiloquismus-Botschaften zeigen! Wir beide werden uns in den nächsten Tagen wieder häufiger zusammensetzen, damit wir deine Occlumentie-Grundlagen festigen."

Julius sagte Catherine mit körperlicher Stimme, das Brittany ihm eine Autogrammkarte besorgen wollte. Sie nickte ihm zu und ließ ihn ziehen.

Als sie nach einer knappen Stunde langsamen Marsches endlich soweit forne in der Schlange standen, daß Britt Venus Partridge direkt ansehen konnte, hörte Julius rechts von sich Linda Knowles, die mit einem Mann stritt, den Julius sofort an der Stimme erkannte. Es war Arco Swift, der noch amtierende Leiter der Strafverfolgungsabteilung. Offenbar wollte die hellhörige Reporterhexe wissen, was er über die klammheimliche Verhaftung des früheren Zaubereiministers wußte. Julius konnte es sich denken. Sie hatten gewartet, bis der Gegenwarts-Pole mit einem heimlich organisierten Zeitumkehrer in die Vergangenheit gereist war, um ihn, Julius, auf der Herrentoilette im Ministeriumsgebäude zu überfallen und seines Gedächtnisses zu berauben. Dann hatten sie einen echten Grund, den dort erwischten Minister aus der Zukunft einzubunkern, wohl wegen massiver Zeitverbrechen. Daß das niemand an die große Glocke hängen wollte verstand sich von selbst. Es wunderte ihn nur, daß er nicht zum Stillschweigen verdonnert worden war. Offenbar kaufte ihm diese Donata Archstone ab, daß er nicht gewußt haben wollte, was der Doppelgänger Poles zu bedeuten hatte. Jedenfalls war die gute Lino jetzt auf etwas anderes aus und ließ ihn in Ruhe.

"Hallo, Junge. Du bist Julius Andrews, der fast von diesem Monsterweib getötet worden wäre?" Begrüßte ihn die hünenhafte und muskulöse Venus Partridge und sah ihn aus ihren meergrünen Augen anerkennend an. Er nickte. "Und, hat dir unser Spiel gefallen?" Fragte sie nach.

"Das war das spannendste, wenn auch nachher eindeutigste Spiel, daß ich bisher gesehen habe. Herzlichen Glückwunsch, Ms. Partridge!" Erwiderte Julius.

"Danke dir, Julius. Spielst du auch Quodpot?"

"In Beauxbatons nicht, Ms. Partridge. Da spielen wir Quidditch."

"Natürlich", erwiderte Venus Partridge und mußte über ihre Einfalt grinsen. "Aber das tust du gerne, hat Britt mir kurz gemelot."

"Sie haben mich noch nicht aus der Mannschaft geworfen", stapelte Julius tief. Das mußte die hellhörige Lino nicht mitkriegen, daß er bereits ein Schulturnier gewonnen hatte. Außerdem war er da nicht alleine gewesen, und nichts war so vergänglich wie der Ruhm, hatte man ihm mal gesagt. Dann bat er um ein Auttogramm. Sie lächelte und holte eine Karte mit einer beweglichen Farbfotografie von sich aus einer Box. Sie machte ihren Namenszug und schrieb noch: "Für Julius, in Anerkennung seiner bisherigen und künftigen Errungenschaften." Dann gab sie ihm die Karte und winkte ihm zum Abschied zu. Brittany bedankte sich bei Venus Partridge und führte Julius zurück zur Tribüne.

"Ich wußte gar nicht, daß hier Handys gehen", Begrüßte ihn seine Mutter. "Joe hat mich gerade angerufen. Ich hatte ihn von Mr. Marchand aus angerufen, daß ich nun wieder unter den Erlebenden bin. Er hat gerade angerufen, das "die schwangere Oma" mit ihrer noch jüngsten Tochter bei Babette zu Besuch sei und seine Schwiegermutter Blanche ihm wieder die Hölle wegen seiner Liebe zu Schnellgerichten heiß gemacht hat."

"Madame Latierre ist bei Joe? Ui, da ist der bestimmt vom Glauben abgefallen", grinste Julius.

"Immerhin hast du ihn wohl vorgewarnt. Sie kennt wohl wen im Ministerium, der ihr ein Auto besorgt hat. Sie wollte wissen, ob es dabei bliebe, daß Babette am sechzehnten, also übermorgen, zusammen mit den anderen Brautjungfern Jeannes alle in diesem Schloß Tournesol zusammenkommen würde, weil Mayettes Cousinen da auch ihren Geburtstag feiern wollten. Falls wir könnten, also die Brickstons, du und auch ich, wären wir herzlich eingeladen, noch ein paar Tage in diesem Schloß zu verbringen. Allerdings wäre da was, das wir wissen sollten: Die Latierres wollen die eingeladenen in Millemerveilles abholen und mit ihrer geflügelten Reitkuh hinbringen und nach den Feiertagen wieder zurück nach Millemerveilles. Ich habe das mit Catherine schon besprochen. Joe wollte da nicht hin. Aber als Catherine sagte, daß Babette ihre neuen Kontakte pflegen und du und ich in einer anderen Umgebung entspannen sollten, hat er sich zähneknirschend bereiterklärt, mitzukommen. Ich habe dann noch ein paar Worte mit Madame Latierre gewechselt. Sie hat wohl nicht gewußt, daß ich eine Woche ohne Bewußtsein war und war wohl etwas betrübt. Hoffentlich macht ihr das in ihrer Verfassung nicht so viel aus."

Julius sah sich rasch um. Lino war im Moment nicht im Stadiongetümmel zu sehen. Immer noch reihten sich lange Schlangen vor den Spielern der Windriders. Dann sah er Lino Arco Swift hinterherlaufen. Dieser machte eine Drehbewegung aus dem Lauf und verschwand. Lino hielt erst an, blieb für zwei Sekunden stehen und disapparierte ebenfalls.

"Hmm, irgendwas ist da im Gang", dachte Julius bei sich. Womöglich hat Swift dem Minister den Zeitumkehrer besorgt oder zumindest angeregt, daß er sich einen besorgen soll."

Nach dem Spiel aßen die Andrews, Porters, Redliefs und Foresters noch einmal zu abend, bevor der gelbe Cadillac herbeifuhr. Julius staunte, wie geräumig der auch so schon große Wagen erst innen war. Er meinte, in einen riesigen Bus einzusteigen, in dem statt Sitzen Sofas standen. Als der Fahrer losfuhr, hörten sie fast kein Geräusch.

"Ich habe die Straßenlage überprüft, Mrs. Porter", meldete der Fahrer. "Wir können erst in acht Stunden in New Orleans sein. Weil wir nicht so häufig und so weit springen können."

"Okay, dann ruhen wir uns solange von dem anstrengenden Tag aus", sagte Mrs. Porter und teilte leichte aber warme Decken aus. Vor dem Ausstrecken auf den Sofas postierte sie Zachary Marchand, ihren Mann, Catherine und Martha Andrews in die Mitte. Sie selbst blieb bei den Mädchen, während Julius links von Zachary Marchand ein Sofa für sich hatte.

"Nur der Anstandsregeln halber, Honey", mentiloquierte Mrs. Porter dem Jungen.

Tatsächlich dauerte es acht Stunden und fünfundzwanzig Minuten, bis sie wieder im Weißrosenweg ankamen. Julius sagte, er könne jetzt erkennen, wie stark Brittany sein mußte, wenn sie ihn über diese lange Strecke appariert hatte.

"Wollen Sie noch etwas bei uns bleiben, oder wollen Sie gleich nach Paris zurück, bevor Zachs Leute noch mal auf merkwürdige Ideen kommen?" Fragte Jane Porter. Martha Andrews wollte schnellstmöglich nach Paris zurück. Immerhin hatte sie von Amerika doch etwas mehr gesehen als das Menschenversuchslabor eines Verbrechers und seines zahmen Frankenstein-Transvestiten. Vielleicht hatten sie diesen schon gefaßt.

Knapp zwei Stunden nach der Ankunft verabschiedeten sich Mr. Marchand, die Porters und Redliefs von den Andrews' und Catherine. In den Reisepässen von Martha und Julius Andrews war nun auch ein Ausreisestempel enthalten, ebenso wie in dem Catherines.

"Es war auf jeden Fall nett, wie gut Sie uns beide aufgenommen haben", sagte Martha Andrews ergriffen. "Vielen Dank für alles, was sie für uns tun konnten. Vielleicht mache ich das, was Julius vorschlägt und unterhalte mich mit Heilern wie dieser Antoinette Eauvive oder Hera Matine, wie ich ein mögliches Trauma loswerden kann, das mir diese Banditen eingebrockt haben."

"Halte dich gut in Mentiloquismus, Honey. Du hast ja gesehen, wozu es gut ist. Aber bleibe dabei im Rahmen der Anstandsregeln!" Gab Mrs. Porter Julius noch mit auf den Weg. Gloria und ihre Cousinen sagten ihm noch einmal, daß er sich für seinen neuen Körper weder schämen, noch davor Angst haben müsse. Gloria gab ihm auf, Claire von ihr zu grüßen, wenn er sie in Millemerveilles wiedersehe. Dann traten die, die nicht nach Paris mitfliegen wollten zurück, und Catherine rief die Reisesphäre auf. Als sie sie schwerelos in sich trug und leises Summen um sie herum erklang, überkamen Julius Trauer und Freude in einem kurzen Schauer. Er war traurig, daß sein Vater nicht mehr lebte, um das alles mitzuerleben, was ihm, Julius alles begegnete. Dann kam die Freude, daß seine Mutter wieder bei ihm war und er mit ihr bis zum Ferienende zusammenbleiben würde, auch in der Zaubererwelt. Als die Schwerkraft die Sphärenreisenden wieder einfing dachte er schon daran, was er für die Reise in das Schloß der Latierres einpacken sollte. Als allererstes fiel ihm das Zauberschachspiel ein, daß er nun schon zwei Jahre hatte. Dann würde er mindestens die Panflöte mitnehmen, besser auch noch eine Blockflöte, falls man da mal zur Musik zusammenkommen würde. Dann wollte er auch den Besen mitnehmen, da man dort ja bestimmt auch herumfliegen könnte und er ja doch noch etwas Übung vor dem nächsten Schuljahr brauchte. Mit diesen Gedanken verließ er zusammen mit Catherine und seiner Mutter den Ausgangskreis und suchte den Durchgang in den Metroschacht, der ihn für einige Stunden in die Muggelwelt zurückbringen würde.

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