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Julius Andrews - Auf seinem Weg in die Zaubererwelt von Thorsten Oberbossel

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Der Saal wirkte fast wie das Innere einer mittelalterlichen Kathedrale. Mannsdicke Säulen trugen die fünf Meter hohe Decke, die den flackernden Schein von hundert an den Wänden hängenden Fackeln wie ein von unruhigen Wolken überzogener Herbstmorgenhimmel auf die fünfhundert Männer und Frauen in langen Umhängen zurückwarf. Dem heutigen Anlaß entsprechend trugen die Anwesenden eher dunkle Kleidung, die zwischen Mitternachtsblau und Weinrot, Moosgrün und Violett wechselte. Die Männer trugen dunkelblaue, braune oder schwarze Spitzhüte, während die Frauen ihre langen Haare sorgsam hochgebunden trugen. Alle saßen auf hochlehnigen Stühlen, die in langen Reihen hintereinanderstanden, unterbrochen durch zwei gerade für zwei Personen ausreichend breite Gänge. Der Boden bestand aus nacktem, aber glattpoliertem Granit.

Alle Anwesenden raunten und tuschelten miteinander, darauf bedacht, nicht lauter zu sprechen, als es für eine Unterhaltung mit den unmittelbaren Sitznachbarn nötig war. Alle waren sie gespannt, was sie heute zu hören bekommen würden. Schon der vergangene Tag hatte ungeheuerliches ans Licht gebracht. Zwar hatte Sebastian Pétain, der in diesem Saal vor Gericht gestellt wurde, jede Aussage verweigert. Doch die gegen ihn aufgerufenen Zeugen hatten unabhängig voneinander ausgesagt, daß er einen wesentlichen Anteil an Didiers Friedenslagerunterbringungspolitik trug. Doch das, so wußten die Mitglieder und als interessierte Öffentlichkeit zugelassenen Besucher des Zaubergamots, war noch lange nicht das schlimmste, was das Gericht dem Angeklagten zur Last legte. Da Minister Grandchapeau als einer der Hauptbelastungszeugen gehört werden sollte, führte sein früherer Stellvertreter Delamontagne den Vorsitz, zusammen mit dem neuen Strafverfolgungsleiter Montpelier und der ehrwürdigen Professeur Tourrecandide. Doch noch waren nicht alle Beisitzer da. Mehrere Reporter der beiden existierenden Zaubererzeitungen saßen im Saal verteilt. Zwar durften in diesem Raum weder Radioaufnahmen noch Fotos gemacht werden, doch die Flotte-Schreibefedern würden jedes Wort, bewußt gewählt oder unbedacht, mit der Gewandtheit erfahrener Jäger aufschnappen und durch ihren wilden Tanz zu Pergament bringen. Gilbert Latierre, der seine fast bis zur Kopfhaut gestutzte, rotblonde Haarpracht unter einem zu seinem mitternachtsblauen Umhang passenden Hut versteckt trug, dachte daran, daß heute alle die gehört wurden, die Pétain gründlich den Tag vermiesen konnten. Er erinnerte sich auch daran, daß sein angeheirateter Verwandter Julius auch kommen würde, der im Moment im Magischen Schlepptau Madame Maximes hing, weil das von dieser auf ihn übertragene Blut ihn leicht zu einem rammdösigen Dreinschläger machen konnte. Sie würden wohl zusammen mit Professeur Faucon anreisen, die näheres zu dieser absoluten Ungeheuerlichkeit mit dem Muggel-Giftgas erzählen sollte, mit dem Pétain Millemerveilles verseuchen und entvölkern wollte. Er beschrieb, um die Atmosphäre dieses Raumes einzufangen, wer so alles da war und wer mit wem wo saß, erwähnte dabei auch, daß sein Kollege Rivolis an Stelle der Sensationsreporterin Chermot gekommen war. Hätte die gewußt, daß sie Julius Latierre heute hier antreffen konnte, hätte die sich das ganz bestimmt nicht entgehen lassen. Er dachte noch daran, wie ihn der Chef des Miroirs abgebürstet hatte, weil er seinen Arbeitsplatz verlassen und eine Konkurrenzzeitung aus dem Boden gestampft hatte. Doch weil das eben nicht mehr sein Chef war, hatte er dem nur ein belustigtes Lächeln geschenkt und gesagt, daß er jetzt höchstzufrieden sei, eine eigene zeitung zu haben.

Das Raunen verstummte unmittelbar, als die meterhohen Türflügel aufschwangen und sich eine überlebensgroße Erscheinung in Gebückter Haltung durch die eigentlich sehr breite und hohe Pforte zwengen mußte. Madame Maxime trug jenes schwarze Satinkleid, mit dem sie damals die trimagische Abordnung ihrer Schule nach Hogwarts begleitet hatte. Sie strahlte eine unbändige Entschlossenheit, aber auch eine nicht zu unterschätzende Wut aus. Beinahe Seitwärts laufend wie ein Krebs durchschritt die alle hier überragende Schulleiterin von Beauxbatons den linken der beiden Zwischengänge. Hinter ihr ging ein mittlerweile wirklich athletisch wirkender Jüngling mit hellblonder Kurzhaarfrisur, der mit seinen hellblauen Augen die hier versammelten Leute betrachtete, als suche er nach interessanten Männern und Frauen. Gilbert entging nicht, daß der Jüngling einige der jüngeren Hexen genauer musterte, als versuche er, durch deren lange Kleider oder Umhänge hindurchzublicken. Er kannte das von sich und seinen anderen männlichen Verwandten, wenn sie als junge Burschen Frauen und heranwachsende Mädchen abgeschätzt hatten. Gilbert mußte sich zwingen, nicht zu grinsen, wenn er daran dachte, daß der arme Bursche gerade nicht ganz bei seinem sonst so gut trainierten Verstand war, weil ein Großteil Fremdblut durch seinen Kopf strömte. Hinter den durch unsichtbare Kraft an Madame Maxime festgebundenen Jungen im blaßblauen Umhang betrat noch die etwas kleinere Professeur Faucon den Saal. Sie trug einen lindgrünen Satinumhang und bedachte die bereits anwesenden Personen mit kurzen Blicken ihrer saphirblauen Augen.

"Julius Latierre nimmt zusammen mit Madame Maxime und Professeur Faucon in der ersten Sitzreihe vor dem Verhandlungspodium Platz. Madame Maxime läßt sich wie häufig zu beobachten war auf drei großen Stühlen zugleich nieder, Julius links von sich, der wiederum von Professeur Faucon an der Linken flankiert wird", diktierte Gilbert Latierre seiner Schreibefeder. Dann wandte er sich wieder der Tür zu, durch die gerade das Ministerehepaar hereinkam. Außerdem konnte Gilbert seiner magischen Feder diktieren: "Soeben betritt Madame Ursuline Latierre zusammen mit ihrer ältesten Tochter Hippolyte und ihrer Beider Ehemänner den Gerichtssaal." Er schmunzelte, weil Albericus Latierre hinter dem großen, fülligen Körper seiner Schwiegermutter verschwand. Eigentlich konnte Gilbert seinen schwiegervetter nur sehen, wenn seine Tante Ursuline zum nächsten Schritt ausholte und ihr knielanger, dunkelblauer Rock dabei ein wenig höher rutschte. Sie sah ihn an und nickte ihm zu. Er grüßte ebenso unhörbar zurück. Mentiloquieren ging im Gerichtssaal nicht, um Zeugen nicht zu beeinflussen oder einem Beisitzer durch eingestreute Gedankenbotschaften die Erinnerung an eine Aussage zu verderben.

"Insgesamt sind nun vierhundertzweiunddreißig Personen im Saal Nummer eins der magischen Gerichtsbarkeit eingetroffen. Die Sicherheitszauber sind für die laufenden Prozesse extra verstärkt worden", faßte Gilbert noch die Zahl der Anwesenden und die Schutzmaßnahmen zusammen, um keine unliebsamen Überraschungen zu erleben. Denn man konnte nie wissen, ob nicht Freunde Didiers oder die Auftraggeber Pétains einen Befreiungsversuch starten wollten oder Agenten des Unnennbaren die Gunst der Stunde nutzten, um mehrere hochgradig wichtige Zauberer auf einen Schlag zu erledigen. In der Gilbert gegenüberliegenden Granitwand klaffte eine Geheimtür auf wie ein dunkler Schlund. Aus dieser traten fünf Sicherheitszauberer in dunkelgrauen Umhängen. , Sie führten einen kleinen, schmächtigen Mann in blau-grau längsgestreifter Häftlingskleidung herein. Die schwarzen Locken des Gefangenen wirkten nicht mehr so adrett, sondern leicht zerwühlt. Das war Sebastian Pétain. Der Angeklagte war mit Handschellen gefesselt und blickte mit seinen dunkelgrauen Augen trotzig umher, als suche er jemanden, den er für sein Schicksal verantwortlich machen konnte. Auch Gilbert fing den trotzigen Blick Pétains ein, hütete sich jedoch davor, ihm zu tief in die Augen zu sehen. Pétain war immer noch ein guter Legiliment. Gilbert genoß die verschämten Blicke junger Hexen, die weit hinten im Saal saßen. Das waren Pétains bisherige Eroberungen, von denen sieben Mütter seiner Kinder waren. Was mochte in deren Köpfen gerade los sein? Die Frage hatte sich der nun selbständige Zeitungsherausgeber, Chefredakteur und Chefreporter in einem schon gestern gestellt, als der erste Verhandlungstag eröffnet wurde. Und genauso wie gestern mußte Pétain sich auf dem Podium in jenen schmalen, eisernen Sessel setzen, der von mehreren hochlehnigen Stühlen umringt war. Die Handschellen sprangen von alleine auf, als Pétain sich widerwillig auf den Verhandlungsstuhl platzierte. Doch sofort schossen goldene Ketten unter dem Stuhl und hinter der Lehne hervor und umschlangen den Angeklagten mit vernehmlichem Klirren. Gilbert dachte an Gerichtsverhandlungen der Muggel. Normalerweise durften die Angeklagten da ungefesselt auftreten. Nur wenn sie zu Tobsuchtsanfällen neigten kam es vor, daß der vorsitzende Richter sie fixierte. Bei seinen Ausflügen in die magielose Welt hatte er sich ein paar mal deren Strafprozesse angesehen. Keiner der Anwesenden bedachte Pétain mit einem Wort des Bedauerns. Alle sahen ihn nur abschätzend an, ob der gestern schon so unerschütterlich wirkende Zauberer nicht doch einknickte und reumütig verriet, was er in den letzten Monaten und Jahren angestellt hatte. Gilbert kündigte für seine mitnotierende Feder noch an, daß Monsieur Delamontagne durch die Tür in der Wand den Gerichtssaal betrat, gefolgt von Montpelier und Professeur Tourrecandide, so wie einigen anderen hochrangigen Mitarbeitern der Strafverfolgungsabteilung. Noch einmal blickte sich Gilbert um. Sein Reporterinstinkt piesackte ihn, daß doch noch nicht alle heute wichtigen Leute da sein konnten. Er erkannte viele gestandene Hexen und Zauberer aus allen Teilen der französischsprachigen Zaubererwelt, sogar den schweizer Zaubereiminister Urs Rheinquell mit seinem Spitzbauch und hellgrauen Ziegenbart. Der war eingeladen worden, weil Pétain auf seinem Hoheitsgebiet versucht hatte, Janus Didier zu verhaften, und zwar wegen angeblichen Mordes an seinem eigenen Bruder, Roland Didier, seinem Schwiegeronkel. Das hatte er seiner Tante noch nicht erzählt, was da noch gegen Didier aufgefahren werden konnte. Denn er wußte, daß sie Janus - Schwager oder nicht - abgrundtief dafür hassen mochte, wenn herauskam, daß dieser wirklich den eigenen Bruder umgebracht haben sollte. Da auch in der Zaubererwelt der Grundsatz galt, daß ein Angeklagter erst schuldig gesprochen wurde, wenn ihm etwas nachgewiesen werden konnte, wollte er erst einmal abwarten, ob sich Pétains Behauptung nicht vielleicht als billiges Manöver entpuppte, um den bereits angeschlagenen Didier komplett zu entmachten. Aber wer fehlte denn noch? Dann fiel es ihm ein, daß heute auch Martha Andrews gehört werden sollte. Würden sie heute damit herausrücken, daß Martha mittlerweile hexen konnte? Besser nicht, weil sonst die Frage, ob es die echte war neu gestellt würde. Wie auf ein unhörbares Stichwort ging die mächtige Flügeltür noch einmal auf, und in Begleitung einer Hexe, die Professeur Faucon ähnelte, sowie der Tochter der Beauxbatons-Lehrerin, betrat Martha Andrews, die er gewissermaßen als Kollegin im Nachrichtenverbreitungswesen ansah den Gerichtssaal. Sie trug einen wadenlangen, taubenblauen Rock und ein gleichfarbiges Oberteil mit Kragen und hatte ihr blondes Haar säuberlich im Nacken verknotet. Er sah ihr nur für einen Moment an, daß sie die Umgebung beeindruckte. Dann jedoch wirkte Julius' Mutter sehr entspannt. Er wunderte sich auch über die Bekleidung von Madeleine L'eauvite. Denn er kannte Professeur Faucons Schwester eher als Verehrerin bunter Umhänge mit manchmal kindlich wirkendem Zeug wie Federn oder Glöckchen daran. Heute führte sie wohl ihr ungeliebtestes Kleidungsstück aus, einen dunkelgrünen Umhang mit Rüschen und Stehkragen. Hinter den dreien betraten noch die Eheleute Camille und Florymont Dusoleil den Gerichtssaal, hinter denen dann noch die Familie Grandchapeau hereinkam. Er sah die in guter Hoffnung befindliche Camille. Der im Amt bestätigte Zaubereiminister schritt in einem marineblauen Samtumhang herein, einen blitzblank polierten Zylinder auf dem Kopf. Er strahlte Willenskraft und Entschlossenheit aus, ähnlich wie Madame Maxime wenige Minuten zuvor. Er warf seinem Stellvertreter Delamontagne einen auffordernden Blick zu und ließ die beiden Eichenholztürflügel hinter sich zufallen. Das Zusammenschlagen der massiven Türblätter übertönte das leise Getuschel und ließ dieses in gespannte Stille umschlagen.

"Herr Minister, da Sie und ihre Gattin als zeugen geladen wurden gehen Sie bitte in den Warteraum für Zeugen, ebenso Sie, Madame Andrews!" Forderte Monsieur Montpelier, während Pétain das Ministerehepaar verdrossen anstarrte wie ein kleiner Junge, der wen anderen beschuldigen will, um nicht selbst bestraft zu werden. Die Grandchapeaus nickten. Martha nickte Catherine Brickston und Madeleine L'eauvite zu und verließ mit den Grandchapeaus den Gerichtssaal. Gilbert hoffte, daß im Warteraum auch alles sicher war. Dann ging die Verhandlung los. Beziehungsweise, sie wurde dort fortgesetzt, wo sie gestern um fünf Uhr nachmittags vertagt worden war.

 

__________

 

Julius Latierre war am Morgen dieses Tages mit Madame Maxime durch den Kamin direkt ins Zaubereiministerium gereist. Er kam sich so hilflos und herabgewürdigt vor, weil ihn die große Dame wie einen kleinen Jungen hochgenommen und während der Flohpulverreise in ihren Armen gehalten hatte. Aber anders ging's ja nicht oder wäre zu gefährlich geworden. Und jetzt, wo sie im Zentrum der französischen Zaubereiverwaltung waren, wollte er nicht wie ein störrischer Vierjähriger rumnölen, daß ihn diese Art annervte. Er hatte überhaupt beschlossen, möglichst kein Wort zu sagen, um sich nicht doch zu irgendwas hinreißen zu lassen.

Als dann noch Professeur Faucon aus dem Kamin gerauscht war, fuhren die drei mit einem der Aufzüge in die Untergeschosse, wo die Gerichtssäle lagen. Dort zog ihn seine Blutsschwester durch einen der breiten Gänge zwischen den Stuhlreihen ganz nach vorne, wo bereits wichtige Leute der zaubererwelt saßen und platzierte ihn zwischen sich und Professeur Faucon. Als Montpelier seine Mutter und die Grandchapeaus, die kurz nach der Vorführung des Angeklagten eingetroffen waren, in einen anderen Raum geschickt hatte, lauschte er wie alle anderen. Er wußte, daß das hier heute schon der zweite Verhandlungstag war.

"Monsieur Sebastian Pétain, sofern wir diesen Namen noch weiter verwenden dürfen", setzte Monsieur Delamontagne an, "wir hörten gestern von Monsieur Bromelius Rossignol, daß Sie versucht haben, ihm den Imperius-Fluch anzuhängen, was bereits ein mit lebenslänglicher Freiheitsstrafe bedrohtes Verbrechen darstellt. Bleiben Sie immer noch dabei, daß Sie auf direkte Anweisung von Monsieur Didier handelten, als Sie diese verbotene Handlung ausführten?"

"Ich habe es gestern schon gesagt und bleibe dabei, daß das alles Verleumdungen Monsieur Didiers sind, um mich in Mißkredit zu bringen", erwiderte Pétain kalt. Julius sah seine Nase an. Ja, die war wirklich wieder gut verheilt. Dennoch konnte er sich denken, daß Pétain immer noch daran dachte, wie Julius ihm mal eben mit japanischer Kampfkunst die Nase plattgehauen hatte. Wahrscheinlich haßte dieser falsche Hund ihn sogar dafür. Noch mehr könnte der aber die Frau hassen, die gerade in einen Warteraum geschickt worden war. Die war ja schließlich wesentlich an seiner Entmachtung beteiligt gewesen, dachte Julius.

"Nun, dann trifft es nicht zu, daß Sie Monsieur Rossignol und seine Frau wegen des fehlgeschlagenen Imperius-Fluches in das Friedenslager Nummer sieben geschickt haben?" Wollte Monsieur Montpelier wissen. Julius fand, daß der genau so breit und wuchtig aussah wie seine Tochter Callisto, eben nur in männlich.

"Ich mußte die Rossignols zur Verbringung in das Friedenslager Sieben bestimmen, weil sie versucht haben, gegen den amtierenden Minister zu konspirieren. Immerhin bekleidete Monsieur Rossignol eine nicht unwichtige Stellung im Zaubereiministerium, und Didiers Anweisung war klar, daß im Falle einer zeitlich nicht festgelegten Unterbringung in einem Friedenslager Ehepartner mitzugehen hätten, um die dorthin zu entsendenden nicht gänzlich allein zu lassen."

"Heuchlerischer Drecksack", dachte Julius und war sich absolut sicher, daß nicht nur er das dachte. Eine Sippenhaft à la Nazi-Reich mit Sorgen um das Wohlbefinden verurteilter Familienväter und -mütter zu begründen war frecher als erlaubt sein durfte. Dieser Spargeltarzan mit den schwarzen Locken hing da in goldenen Ketten und tat so, als könne ihm keiner was, ja als habe man ihn ganz ungerechtfertigt auf diesen Sünderstuhl hingepflanzt.

"Nun, über Didiers Beweggründe wird sich dieses Gericht noch früh genug Klarheit verschaffen, Monsieur Pétain. Allerdings ist es doch höchst zweifelhaft, daß Monsieur Montpelier bei seinen Befragungen erklärt hat, unter den Imperius-Fluch gezwungen worden zu sein, Sie jedoch bei Ihrer Befragung nie einräumten, mit diesem verwerflichen Zauber gehorsam gestimmt worden zu sein. Also haben Sie folglich alles, was Sie taten, aus Überzeugung und Loyalität zu Ihrem Schulfreund und zum fraglichen Zeitraum Vorgesetzten ausgeführt", faßte Delamontagne wohl was zusammen, was am vortag schon mal angesprochen worden sein mußte. "Was genau soll Ihrer Meinung nach Monsieur Rossignol dazu bewogen haben, Sie persönlich des Imperius-Angriffes zu bezichtigen, als er in der Nacht des fünfzehnten auf den sechzehnten Dezember 1997 befreit wurde?"

"Der Umstand, daß ich zu diesem Zeitpunkt der Leiter der Landfriedensabteilung war", schnarrte Pétain. Delamontagne nickte. Offenbar wollte er sich nicht länger an diesem strittigen Punkt aufhalten oder die Sache auf einen späteren Zeitpunkt vertagen, wo es doch wichtigere Punkte gab, die hier und heute angesprochen und verhandelt werden sollten. So hörte er wie alle anderen auch, wie Delamontagne sagte: "Ihnen ist bekannt, daß wir noch weitere Zeugen haben, die hier aussagen werden, daß Sie persönlich Ihnen durch besagten Fluch die Gefolgschaft zu Ihnen und Ihrem Bundesgenossen Didier aufzwingen wollten, Monsieur Pétain. Wollen Sie nicht doch endlich verraten, wer Sie wirklich sind?"

"Das ist eine fixe Idee von Ihnen, Monsieur Delamontagne, daß ich nicht der bin, als der ich allen hier seit mehr als sechzig Jahren bekannt bin, von meinen Eltern, die es wohl wissen müssen, bishin zu angesehenen Damen und Herren der magischen Gemeinschaft inner- und außerhalb Frankreichs", erwiderte Pétain. Julius grinste überlegen. Bildete sich dieser Typ da auf dem Kettenstuhl echt ein, daß außer Delamontagne keiner hier wußte, daß dieser kleine miese Verräter ein Spion war. Und daß seine Eltern das nicht mitbekommen hatten, daß er nicht derselbe Junge war, der ihnen geboren worden war, war lächerlich. Pétain sah es wohl, daß Julius sich amüsierte und blickte ihn verächtlich an. Das jedoch verstärkte nur Julius' Überlegenheit. Irgendwie quoll es in dem ZAG-Schüler auf, diesen Mistkerl da vorne voll an die Birne zu knallen, daß er ein Agent der Elfenbeininsel war. Aber das, so wußte er von Professeur Faucon, würde diese bei ihrer Zeugenaussage klarmachen. Also brauchte er nur zu warten.

"Nun, Sie fühlen sich offenbar jeder Situation gewachsen, Monsieur Pétain. Aber ich fürchte, wir werden Ihnen bald schon das Gegenteil beweisen", erwiderte Delamontagne völlig gelassen. "Kommen wir nun zu einem Punkt der Ihnen vorgelesenen Anklageschrift, daß Sie genauestens wußten, wer in die sogenannten Friedenslager zu verbringen war und dies nicht aus strafrechtlich gültigen Gründen geschah, sondern aus dem klaren Bestreben, mißliebige Mitbürger mundtot und handlungsunfähig zu machen. Hierzu werden wir gleich eine Zeugin hören, die uns genauestens darlegen wird, was sie bei einer Unterredung mit Ihnen erfahren hat." Pétain lachte.

"Sie meinen diese Muggelfrau, die diesen unverschämt grinsenden Bengel da ausgebrütet hat?" Fragte Pétain gehässig. "Seitt wann läßt dieses Gericht Muggel als Zeugen zu, wo die längst nicht alles sehen und hören können, was wir mitbekommen? Abgesehen davon kann dieser Frau durch Gedächtniszauber eine falsche Erinnerung eingeprägt worden sein, um sie in Ihrem Sinne verwertbar zu machen."

"Diese Behauptung hat bereits gestern nicht gegriffen, Monsieur Pétain", erwiderte Montpelier. "Wer in diesem Saal aussagt und dabei unter Auswirkungen eines Gedächtniszaubers steht, kann nicht normal schnell sprechen, weil der hier wirksame Eumnesia-Zauber alle magisch aufgepfropten Scheinerinnerungen lähmt. Aber das sollte Ihnen als vorübergehendem Strafverfolgungsleiter doch bewußt sein", erwiderte Montpelier. Julius atmete auf. Also hatte man daran gedacht, als Wahrheit getarnte Gedächtnisveränderungen zu erkennen. Man sollte ja auch meinen, daß ein magisches Gericht die Mittel kannte, mit denen falsche Erinnerungen erzeugt werden konnten.

"Dann werden wir jetzt erleben, ob die Zeugin Andrews eine aufgeprägte Pseudoerinnerung besitzt. Und falls ja, dürfen wir uns alle fragen, wer einen Vorteil daraus ziehen mochte."

"Sie natürlich, Monsieur Delamontagne. Sie spielen sich gerade als überlegener Sieger auf und meinen, die Gefahr durch den Unnennbaren damit fernhalten zu können, indem Sie mich und Monsieur Didier verunglimpfen", konterte Pétain. Julius hoffte nur, daß Delamontagne genug Selbstbeherrschung hatte. Er selbst fühlte gerade wieder große Wut auf diesen Schweinehund auf dem Stuhl. Der wollte seine Mutter und ihn abschieben und hatte versucht, sie und alle in Millemerveilles umzubringen. Falls der da vorne wirklich mit seinen Ausreden durchkam ... Aber er würde nicht durchkommen, dachte Julius. Im Notfall mußte er auspacken, wie sie ihn fast über Millemerveilles aus dem Flugzeug geholt und kampfunfähig gemacht hatten.

"Die Zeugin Martha Andrews möge bitte vortreten!" Rief Delamontagne mit magisch verstärkter Stimme. Keine Minute später trat Julius' Mutter wieder in den Gerichtssaal ein, winkte Madeleine und Catherine, die in den Zuschauerreihen saßen und ging mit erhobenem Kopf zum steinernen Podium, auf dem das Gericht und der Angeklagte versammelt waren. Julius hatte sich erkundigt, daß es den Angeklagten selbst überlassen blieb, einen professionellen Verteidiger zu bestimmen oder sich selber zu verteidigen. Doch während ein Zeuge gehört wurde, mußte der Angeklagte schweigen. Julius war gespannt, ob Pétain sich daran hielt.

"Nennen Sie uns bitte ihren vollen Namen und Ihre Herkunft", forderte Professeur Tourrecandide, als Martha im Zeugenstand platzgenommen hatte. "Martha Andrews geborene Holder", sagte Julius' Mutter klar und überall verständlich. "Ich wurde in Devon, Großbritannien geboren, lebe jedoch seit dem Sommer 1995 in Paris, Frankreich."

"Warum leben Sie jetzt in Paris?" Fragte Professeur Tourrecandide. Julius' Mutter korrigierte sie, daß sie zur Zeit in Millemerveilles bei Catherine und Joseph Brickston lebe, beantwortete die Frage jedoch noch korrekt, daß sie wegen der Gefahr, in der ihr einziger, magisch begabter Sohn Julius in der alten Heimat geschwebt habe, umgezogen sei. Pétain grinste verächtlich und schnarrte ungefragt:

"Klar, Sie wollen uns nicht erzählen, daß Ihr eigener Mann Sie aus dem Haus gejagt hat, weil er keinen Zauberer zum Sohn haben wollte, nicht wahr? Können Sie denn etwa nicht zaubern?"

"Angeklagter, die Zeugin soll zunächst unbeeinflußt die ihr gestellten Fragen beantworten. Später dürfen Sie sich dazu äußern. Schweigen Sie also, oder wir müssen Ihnen den Sprechbann auferlegen", schnarrte Delamontagne.

"Ich verfüge über keinerlei abgeschlossene Zaubereiausbildung wie Sie oder die überwiegende Mehrheit hier", erwiderte Martha. "Auch damals nicht, als ich mit meinem Sohn auf den Vorschlag von Madame Brickston einging, wegen der Ihnen allen bekannten Bedrohung aus meinem Geburtsland auszuwandern", erwiderte Martha Andrews ganz ruhig. Julius bewunderte sie für diese völlig gelassene Haltung. Davon konnte er im Moment nur träumen.

"Sie zogen also mit Ihrem Sohn um", griff Montpelier die Frage nach dem augenblicklichen Wohnort noch einmal auf und ließ sich dann erklären, was damals passiert war. Pétain versuchte erneut, dazwischenzureden. Doch Delamontagne verpaßte ihm den angedrohten Sprechbann, so daß dem kleinen Kerl da auf dem Kettenstuhl nur das gehässige Grinsen blieb, bis Martha Andrews die Fragen Montpeliers beantworten mußte, die sich um ihren Besuch bei Pétain drehten. Hier erfuhren sie alle von der bis kurz vor Weihnachten unmagischen Frau, wie ihre Schwiegerverwandtschaft und Catherine ihr geholfen hatten, einer unrechtmäßigen Gefangennahme zu entgehen. Pétain grummelte. Das war das einzige, was der Sprechbann ihm noch ermöglichte. Montpelier hakte nach, ob sie nicht doch versucht habe, unrechtmäßig einzureisen. Martha wies ganz entspannt darauf hin, wer ihr geholfen hatte und warum. Dann schilderte sie ausführlich die Begegnung mit Pétain, erwähnte, daß sie sich durch irgendwas immer durstiger gefühlt habe, bis sie auf Pétains scheinheiliges Angebot einging, etwas zu trinken, beschrieb den Umtausch der Gläser, so daß Pétain das ihr zugedachte Wahrheitselixier schluckte und schilderte so weit sie konnte, und zwar ohne träge oder mit vielen Pausen zu sprechen, was sie dabei erfahren hatte, wie sie dann durch die Vorsichtsmaßnahmen aus dem Ministerium entkommen und mit den Brickstons nach Millemerveilles umgesiedelt war. Einer aus dem Publikum rief dazwischen:

"Dann gehören Madame L'eauvite und Madame Brickston auch hier vor Gericht, wegen magischer Manipulation mit magielosen Menschen ohne zwingende Notlage!"

"Schlauberger", schnarrte Julius verhalten, als sich im Gerichtssaal ein aufgeregtes Raunen ausbreitete. Martha deutete auf Julius, der sich kerzengerade auf seinem Stuhl aufrichtete und sagte: "Es stand damals klar zu befürchten, daß ich dazu benutzt werden sollte, meinen Sohn dem Herren der Dementoren auszuliefern, da dieser in seinem Haß und seinem Wahnsinn alle, die nicht über zehn Generationen hinweg in direkter Linie von Hexen und Zauberern abstammen, nach dem Leben trachtet. Insofern war das eine eindeutige Notlage. Und als Blutsverwandte eines anerkannten Zauberers bin ich berechtigt, Magie um mich herum zu sehen und in meinen Grenzen zu nutzen, sonst dürfte ich auch nicht in Millemerveilles sein. Ich würde die Kompetenzen dieses Gerichtes beleidigen, wenn ich ihm hier und jetzt den entsprechenden Gesetzesabschnitt nennen müßte, der Madame Brickston und Madame L'eauvite dazu berechtigte, sich und mich für diesen Fall abzusichern." Ein verhaltenes Kichern und Tuscheln flutete durch den Saal. Die Mitglieder des Gerichtes nickten mit einem Anflug von Lächeln. Professeur Tourrecandide sagte kalt wie Gletschereis:

"Es handelt sich um Abschnitt 409 des allgemeinen Zaubereigesetzes, demnach im Angesicht einer drohenden Notlage die Anwendung defensiver Zauberei ohne nachhaltige Schädigung des Feindes auch den Familienstandsgesetzen nach anerkannten Personen ohne magische Eigenkräfte zur Verfügung gestellt werden dürfen, zum Beispiel durch Curattentius-Zauber oder Situationsportschlüssel. Sollte sich im Nachhinein erweisen, daß die betreffende Person sich damit gerechtfertigtem Zugriff ordentlicher Strafverfolgungskräfte entzogen habe, so ist sie aus der magischen Welt auszuschließen und durch Gedächtniszauber davon abzubringen, sich an die Zaubererwelt zu erinnern. Die Benutzer des im Nachhinein als unrechtmäßig erkannten Zaubers müssen sich wegen Beihilfe zur Flucht verantworten. Allerdings bestreitet hier niemand, daß die Maßnahmen Didiers unrechtmäßig sind, außer vielleicht noch Ihnen, Monsieur Wie-auch-immer." Sie deutete auf Pétain. Professeur Faucon blickte ihre frühere Lehrerin an. Doch diese machte eine abwehrende Handbewegung. Martha durfte dann weiter ausführen, wie sie mitgeholfen hatte, die Friedenslager zu finden und deren Befreiung zu ermöglichen. Da hier bereits Leute ausgesagt hatten, die in diesen Lagern waren vermerkte das Gericht nur, daß eindeutig erwiesen war, daß die Insassen sich keiner nach bisherigem und nun wieder gültigem Zaubererweltrecht strafbar gemacht hatten. Dann wurde Julius' Mutter gefragt, ob sie irgendwas davon mitbekommen habe, ob Pétain im Januar versucht habe, nach Millemerveilles vorzudringen. Sie verneinte es. Zwar wußte sie wie die meisten Bewohner dort, daß jemand versucht hatte, sie mit Giftgas anzugreifen. Doch rein wahrheitsmäßig hatte sie den Angriff selbst nicht mitbekommen. Pétains Sprechbann wurde gelöst, um dem Angeklagten ein paar Minuten zu geben, sich zu den Aussagen zu äußern. Er bezichtigte Martha, für den Unnennbaren zu arbeiten und wiederholte noch einmal die Frage, die ihr vorhin gestellt worden war, ob sie zaubern könne.

"Wie erwähnt habe ich es nicht gelernt und in meiner Jugend auch keinerlei Anzeichen verspürt, magische Kräfte zu haben. Gemäß den gültigen Erkennungsrichtlinien gelte ich daher als geborene Persona sine Potentia Magica", erwiderte Martha Andrews so kühl, daß ein Kühlschrank dagegen eine heiße Bratpfanne darstellte. Auf die logischerweise folgende Frage, woher sie den exakten Fachbegriff kannte lieferte sie ebenso kühl die Antwort: "Natürlich habe ich mich nach meinem Umzug nach Paris genauestens erkundigt, welche Rechte, Pflichten und Möglichkeiten ich als nicht als Hexe eingestufte Familienangehörige habe und welchen Status ich in der magischen Gesellschaft bekleide. Daher kenne ich den mich bezeichnenden Fachausdruck, der nebenbei simples Schullatein ist und daher auch von sogenannten Muggeln jederzeit nachvollzogen werden kann." Obwohl sie es nicht als Scherz angelegt hatte löste Martha Andrews verhaltenes Lachen im Publikum aus. Nur die auf ihre magische Abstammung bedachten Hexen und Zauberer verzogen die Gesichter, weil eine Muggelfrau ihnen vorhielt, was sie alles konnte.

"Nun, was den schwerwiegenden Vorwurf des versuchten Massenmordes in Tateinheit mit Unterwerfung eines magielosen Menschen unter den Imperius-Fluch in Tateinheit mit unerlaubter Bezauberung nichtmagischer Menschen in Tatmehrheit mit Diebstahl von Kriegswaffen aus der nichtmagischen Welt angeht, werden wir gleich näheres von der Zeugin Faucon erfahren."

"Warum haben Sie die dann nicht rausgeschickt, Herr Alleswisser?" Fragte Pétain höchst verächtlich.

"Aus dem einfachen Grunde, weil die von Ihnen gemachten Aussagen und die von Madame Andrews unabhängig von dem sind, was Sie zu erzählen hat und daher keine Beeinflussung darstellen", erwiderte Delamontagne. "Was den Alleswisser angeht, so bedauere ich, dieses Prädikat nicht für mich geltend machen zu dürfen, weil ich wie erwähnt nicht davon überzeugt bin, daß Sebastian Pétain Ihr wahrer Name ist, Angeklagter und ich daher nicht weiß, wie Sie wirklich heißen."

"Hinzu kommt, daß Professeur Faucon gemäß den Aufnahmeregeln in die Liga zur Abwehr dunkler Künste bereits per Eidesstein verpflichtet ist, vor jedem ordentlichen Gericht wahrheitsgemäß und unbeeinflußt auszusagen", wandte Professeur Tourrecandide noch ein. "Es wäre also durchaus möglich, wenn auch höchst unwahrscheinlich, daß Professeur Faucon die Aussagen von Madame Andrews widerlegen könnte, Angeklagter. Daher bitte ich den Vorsitzenden darum, uns auf den vereitelten Angriff auf Millemerveilles zu konzentrieren."

"Ich will erst klargestellt haben, daß diese Person da keine Vielsafttrank-Kopie ist", schnarrte Pétain. "Abgesehen davon verlange ich gemäß meiner Rechte, die Aussage, daß sie magisches Unvermögen besitzt, durch eine Magiepotentialmessung zu überprüfen. Erweist sie sich als magisch begabt, handelt es sich entweder um eine Doppelgängerin oder um die Vortäuschung falscher Tatsachen seitens der britischen Zaubereibehörden. In beiden Fällen muß die von dieser Frau da gemachte Aussage in allen Punkten als Unwahrheit eingestuft werden." Wieder schwoll ein gewisses, erregtes Raunen im Publikum an. Julius konnte gerade noch zur Seite blicken, bevor ihn die Schreckensblässe ins Gesicht sprang. Wenn Delamontagne darauf einging kam Pétain mit dieser Behauptung durch. Professeur Faucon, die ihm ins Gesicht sah, ergriff behutsam seine linke Hand und hielt sie warm und zärtlich, als sei er Babette und fürchte sich vor einem bösen Ungeheuer oder einem Gewittersturm. Doch anstatt sich über diese überfürsorgliche Geste zu ärgern, genoß er das. Denn es half ihm, seine Ruhe wiederzufinden. Auch die Gelassenheit im Gesicht der Lehrerin vertrieb seine Angst. Pétain merkte wohl, daß Julius nicht besonders abgebrüht reagiert hatte. Er warf ein:

"Erschreckt dich die Vorstellung, Bursche? Verstehe, ist nicht angenehm, sich vorstellen zu müssen, daß die Frau, zu der du Mutter sagtest entweder schon lange tot ist oder nie deine richtige Mutter war."

"Ich würde an Ihrer Stelle nicht noch einmal versuchen, einen Zuschauer vor dem Publikum zu verspotten, Monsieur Borgogne", schnarrte Professeur Faucon. "Denn dann dürften Sie uns auch ohne meine Zeugenaussage erklären, wie gut Sie sich damit auskennen, Leute zu täuschen, daß selbst die, die einen von Kindesbeinen an zu kennen meinten, nicht wußten, mit wem sie es zu tun hatten." Schlagartig brandete eine Welle aus aufgeregten Wörtern durch den Raum. Professeur Faucon hatte herausgelassen, daß sie Pétains wahren Namen kannte. Das mußte dem jetzt genauso zusetzen wie es Julius zusetzte, daß sie seine magisch nun eindeutig aktive Mutter überprüfen sollten.

"W-was f-für ein U-unfug", stammelte Pétain und rang unübersehbar mit seiner bisher so trefflichen Trotzhaltung. Julius genoß es. Professeur Faucons Worte waren wie ein Photonentorpedo voll in seinen aus Trotz und Überheblichkeit gebauten Schutzschild hineingedonnert und hatten diesen erheblich zum flackern gebracht. Offenbar, so dachte Julius zwischen der ihn überkommenden Welle aus Genugtuung und Freude an der Verunsicherung Pétains, hatte dieser Wechselbalg da auf dem Kettenstuhl keinem auf die Nase gebunden, wer er wirklich war. Doch das würde ihm Professeur Faucon sicher während ihrer Zeugenaussage um die Ohren hauen und seinen Trotzschirm restlos zerbröseln.

"Wie kommen Sie darauf, daß der wahre Name des Angeklagten Borgogne sei?" Fragte Montpelier Professeur faucon. Diese erwiderte darauf nur, daß sie gerne ausführlich und natürlich wahrheitsgemäß darüber auskunft geben wolle, wenn sie offiziell in den Zeugenstand gerufen wurde. Doch Delamontagne sagte dazu nur:

"Vorher möchten wir, um dem Angeklagten sein Recht auf Verteidigung zu gewähren, seinen Vorschlag aufgreifen und Madame Andrews einer Messung ihres Magiepotentials unterziehen. Ich gehe davon aus, daß Madame Andrews sich einer derartigen Prüfung nicht verweigern wird." Julius Mutter nickte heftig und sagte über das immer noch hörbare Raunen und Tuscheln hinweg: "Ich stelle mich dieser Überprüfung zur Verfügung, weil ich weiß, wer ich bin." Das Gericht ordnete dann eine Pause von fünf Minuten an, während der Martha Andrews von Sicherheitszauberern bewacht im Zeugenstand zu warten habe. Pétain wurde zunächst mit einem Sprechbann belegt im Kettenstuhl sitzengelassen. Als dann drei Heiler mit den entsprechenden Meßgeräten anrückten fragte sich Julius, ob jetzt die Karten auf den Tisch gelegt wurden. Dann müßte Madame Eauvive wohl noch antreten, um zu erklären, was passiert war und warum. Vielleicht, dachte er, trug seine Mutter aber auch eine jener Antisonden, ein Kleidungsstück, das eine antimagische Aura erzeugte, die jedes von außen meßbare Zauberkraftpotential unterdrückte. Dann würde es jedoch später einmal schwer, seine Mutter als im Erwachsenenalter aktivierte Hexe auszugeben, sofern das überhaupt mal beabsichtigt war.

"1,32", verkündete der erste Heiler. Der zweite bestätigte die Messung. Schlagartig blickten sämtliche Zuschauer auf die Frau, die als Martha Andrews in den Zeugenstand getreten war. Julius mußte tief durchatmen. Also hatte sie es darauf ankommen lassen, um hier und jetzt klarzustellen, daß sie nicht mehr nur eine Muggelfrau war. Als auch der dritte Heiler die genaue Maßzahl für ihr Magiepotential ausgerufen hatte, wandte sich der immer noch unter Sprechbann stehende Pétain an sie und funkelte sie bösartig an. Gleichzeitig umspielte seine Lippen ein überlegenes Lächeln. Doch das gefror ihm sofort wieder, als Professeur Tourrecandide zu sprechen begann und alle im Saal lauschenden Ohren begierig einsogen, was sie sagte:

"Sie erwähnten, daß Sie weder in Ihrer Jugend magische Kräfte entfalteten noch eine vollständige Zaubereiausbildung erhielten, Madame Andrews. Wie kann es dann kommen, daß unsere unbestechlichen Meßinstrumente eine nach außen einsetzbare Zauberkraft im Ruhezustand anzeigen?"

"Weil ich unter Zuhilfenahme verschiedener Mittel, wie dem Unterdrückungstrank gegen den Anti-Muggelzauber in Millemerveilles, sowie dem Vita-Mea-Ritual magisch aktiviert wurde und mein Ruhepotential vor diesem Ritual wohl schon an der Untergrenze magischer Wirksamkeit lag", erwiderte Martha ganz ruhig. Professeur Tourrecandide war ja eingeweiht und hatte die Frage ganz sicher genau so gestellt, wie sie die Antwort hören wollte, erkannte Julius. "Madame Eauvive, die über mehrere Generationen zurück gemeinsame Vorfahren mit mir und meinem Sohn besitzt, erbot sich, um mich länger als die Abwehrtrankreserven erlaubten, gegen die Verdrängungsmagie in Millemerveilles zu immunisieren, diesem Ritual zu unterziehen, um mir ein von außen zufließendes Grundpotential zu verschaffen, wobei sie und ich jedoch nicht davon ausgingen, daß ich dadurch genauso zur Zaubereiausübung befähigt würde, wie Sie alle hier im Saal." Sie blickte kurz über die Sitzreihen hinweg. Der Reporter des Zauberspiegels diktierte eifrig flüsternd was in seine Feder, als Martha eine taktische Pause machte, um diese ungeheuerliche Neuigkeit in die Gehirne der Anwesenden einsickern zu lassen.

"Sie wollen also damit sagen, daß Sie postnatal zur Hexe verändert werden konnten, weil ein günstiges Zusammenspiel verschiedener Potentialveränderungsmittel ein bereits knapp vor Wirksamkeit ruhendes Potential anhob?" Fragte Monsieur Montpelier. Julius' Mutter bejahte dies laut und deutlich. Julius mußte tief durchatmen. Seine Mutter hatte sich soeben zum Knüller des Tages gemacht, vielleicht sogar zu einer gefragten Persönlichkeit, im guten aber vor allem im Bösen. Denn wußte sie oder er, ob nicht jemand im Publikum saß, der oder die mit Voldemort oder Anthelia kungelte und das für den einen ein gefundenes Fressen war, die Anti-Schlammblut-Kampagne weiterzutreiben und für die andere eine nette Möglichkeit bot, ihr willfährige Frauen zu getreuen Hexenschwestern zu machen? Doch die unerschütterliche Ruhe, mit der seine Mutter diese Megabombe zum platzen gebracht hatte imponierte ihm. Sicher, sie hatte weiß der Himmel genug Zeit gehabt, darüber nachzudenken, ob und wenn ja wie sie mit dieser neuen Lage an die Öffentlichkeit gehen konnte. So beschrieb sie weiterhin sachlich, wer, wann, wie, wo was mit ihr angestellt hatte und vor allem, warum Madame Eauvive und ihre erwachsenen Töchter das getan hatten. Professuer Tourrecandide fragte die drei Prüfungsheiler, ob sie sich derartiges vorstellen konnten. Die sagten einhellig aus, daß es bei den erwähnten Fällen bereits zu Potentialerhöhungen gekommen war, allerdings waren die Personen davor bereits magisch aktiv oder von bösartigem Zauber zu befreien gewesen. Um sicherzustellen, daß Martha Andrews auch keine Vielsaft-Trank-Kopie war, erbot sich Professeur Tourrecandide, sie für eine Stunde in eine Doppelgängerin von sich selbst zu verwandeln. Simulakren und gerade unter Vielsaft-Trank Stehende Menschen konnten sich während der Wirkung des Zaubers nicht noch einmal verwandeln oder verloren ihre körperliche Haltbarkeit, sofern es magisch gezüchtete Doppelgänger waren. Julius wußte, wovon die altehrwürdige Lehrerin sprach. Jane Porter, auch Araña Blanca genannt, hatte mit diesem Klontrick Anthelia und den Rest der Zaubererwelt zum narren gehalten, auch wenn dabei viele ihrer geliebten Anverwandten den Schreck ihres Lebens bekommen hatten. Martha Andrews ging darauf ein, den Trank zu trinken. Julius sah, wie sie sich unter merkwürdigen Verformungen verwandelte, faltige Haut bekam und fast weißes Haar. Es war erschreckend, sie innerhalb von wenigen Sekunden um mehr als achtzig Jahre altern zu sehen. Doch je älter sie aussah, desto weniger ähnelte sie seiner Mutter. Es war nicht so wie die erschreckende Begegnung mit seinem von Hallitti versklavtem Vater. Als dann eine haargenaue Kopie Professeur Tourrecandides im taubenblauen Kostüm aus Rock und Oberteil mit Kragen auf dem Zeugenstuhl saß und fragte, ob der Trank so gewirkt hatte, wie er bei einer nicht bereits damit veränderten Person wirken sollte, hörte er auch nur Professeur Tourrecandides räumlich versetzt wirkende Stimme. Das Original dieser Verwandlungsaktion bestätigte, daß der Trank die Volle Wirkung erzielt habe. Martha Andrews nickte. Sie sagte dann nur noch: "Ich hoffe, ich entehre Ihre Einmaligkeit nicht all zu sehr, Madame Tourrecandide."

"Solange Sie in der nächsten Stunde nicht auf unzüchtige Abenteuer ausgehen können Sie mich nicht entehren. Danach wird meine Einmaligkeit ja wieder hergestellt sein", erwiderte die frühere Beauxbatons-Lehrerin. Julius schwirrte der Kopf vor Empfindungen. Er war die Angst nicht ganz losgeworden, die er wegen der Enthüllung hatte. Dann kam noch große Bewunderung für den Mut seiner Mutter dazu, sich dem Vielsaft-Trank auszuliefern. Was wäre, wenn dieser nicht so gewirkt hätte wie er sollte? Außerdem fühlte er die tausend Augen auf sich, die erst die Verwandlung seiner Mutter verfolgt hatten. Sicher würden viele was dafür geben, zu wissen, was er dachte. So versuchte er, sich occlumentisch zu verschließen. Doch das Gefühlschaos war zu groß. Er schaffte es nicht. Die deshalb aufkommende Verzweiflung verdarb den winzigen Rest an Erfolgsaussichten. Wieder fühlte er seine Hand in der Professeur Faucons liegen, wie sie ihn sacht festhielt. Er widerstand dem Drang, sich loszureißen oder die warme, weiche Frauenhand mit seinen derzeitigen Superkräften so heftig zusammenzudrücken, daß Professeur Faucon von sich aus loslassen mußte.

"Nun, da wir hier alle Zeugen wurden, daß es sich bei der Vorgeladenen nicht um eine magische Doppelgängerin handelt bliebe ja nur noch die Frage, ob Madame Andrews eine magisch begabte Zwillingsschwester besaß. Aber das können wir definitiv ausschließen, weil diese mit Sicherheit in Hogwarts gelernt hätte und als Tante des hier anwesenden Julius Latierre gewiß keine Probleme bekommen hätte, ihn ohne große Erschütterungen in unsere Welt hinüberzugeleiten", sagte die Originalversion Professeur Tourrecandides. "Da ich die Eigenheiten des Körpers kenne, dem Sie gerade innewohnen, Madame Andrews, weiß ich, daß Sie einer fortgehenden Befragung folgen könnten, wenn die übrigen Mitglieder des Gerichtes noch welche haben sollten."

"Nur eine noch, Madame Andrews", wandte sich Monsieur Delamontagne an die Verwandelte. "Gedenken Sie, diese in Ihnen geweckten Zauberkräfte unangetastet zu lassen oder sorgfältig auszubilden?"

"Ich unterziehe mich bereits einer grundlegenden Ausbildung meiner neuen Fähigkeiten, Monsieur Delamontagne", sagte Julius' Mutter. "Dies geschieht im Rahmen der Rehabilitationsrichtlinien für durch Unfall oder Krankheit geschwächte Hexen und Zauberer." Die immer noch anwesenden Heiler nickten bestätigend, was Delamontagne laut kommentierte, um es im Gerichtsprotokoll festzuhalten und auch den mitschreibenden Zauberfedern der Reporter zu servieren. Er fragte dann, wer diese Ausbildung durchführe und erhielt von Catherine Brickston und ihrer Tante Madeleine die Bestätigung. Madame Maxime wurde gefragt, ob sie sich an Fälle erinnern könne, wo sehr spät als Hexen oder Zauberer erkannte Menschen die volle Ausbildung in Beauxbatons durchgemacht hätten, obwohl sie schon älter als elf Jahre waren.

"Da ich sämtliche Unterlagen meiner Vorgängerinnen und Vorgänger kenne, sowie über andere Quellen verfüge, deren Wissen und Erfahrung abzurufen, kann ich Ihnen allen verbindlich versichern, daß es bisher keinen Schüler von Beauxbatons gab, dessen magische Begabung sich erst nach dem elften Lebensjahr offenbarte", erwiderte die Schulleiterin. Julius trieb indes immer noch in diesem Strom aus Gefühlen. seine Mutter war ab heute eine Besonderheit, etwas, das die einen bewundern und die anderen beneiden mochten. Jemand, den Leute verehren oder verachten würden. In England durfte sie sich jedenfalls im Moment nicht blicken lassen. Aber das durfte sie ja vorher schon nicht. Allerdings galt es nun, sie vor Nachstellungen der Agenten Voldemorts und Anthelias Bundesschwestern zu schützen. Doch an den Mienen der Eingeweihten las er ohne jeden Zweifel ab, daß diese die gewaltige Enthüllung nicht riskiert hätten, wenn sie das alles nicht lang und breit erörtert und vorausgeplant hätten. Allein schon der Vorschlag, seine Mutter mit Professeur Tourrecandides Essenz im Vielsaft-Trank für eine Stunde zu verwandeln, war ganz sicher nicht vor einer Minute aufgekommen. Ja, er fühlte sich nun etwas besser, jetzt, wo sein Verstand sich doch ein wenig mehr durch die Fluten aus Gefühlen hindurchgearbeitet hatte.

"Dann ist es wohl für Sie günstiger, Sie vertrauen sich weiterhin der Sachkunde von erfahrenen erwachsenen Hexen und Zauberern an und erlernen, was Sie als Ihre Grundlage ausbilden wollen, Madame Andrews", sagte Monsieur Delamontagne.

"Falls Sie jedoch eine andere Tätigkeit anstreben als jene, der Sie vor Monsieur Didiers Machtübernahme nachgingen, Madame Andrews, sollten Sie sich zumindest die Grundlagen für eine Prüfung der allgemeinen Zauberergrade aneignen", mußte Professeur Tourrecandide noch loslassen. Julius wußte, daß seine Mutter das längst wußte. Immerhin hatte Madame Maxime ihr das auch schon gesagt.

"Sagen wir mal, ich habe gelernt, mich in der magiefreien Welt zu behaupten und muß daher nicht alles erlernen, was Sie zur vollwertigen Lebensgestaltung erlernt haben", erwiderte Julius' Mutter. Ihn irritierte es immer noch ein wenig, sie mit Professeur Tourrecandides Stimme sprechen zu hören und das Gesicht der altehrwürdigen Lehrerin dabei anzusehen. Aber mit Körperverdopplungen hatte er ja dann doch genug Erfahrungen.

"Nun, es dürfte Ihnen durchaus widerfahren, daß eine Prüfungskommission befindet, ob Sie Prüfungen ablegen müssen oder zum Leben ohne Zauberstab verpflichtet werden", wandte Monsieur Delamontagne ein. "Die von Ihnen als Rechtsgrundlage für eine außerschulische Ausbildung verlangen nämlich, daß eine erwachsene Person mit ausgebildeten Zauberkräften nachweisen muß, Gesetzliche Bestimmungen wie korrekte Zauberausführungen genau kennen und ausführen zu können. Sicherlich wird Ihnen Madame Brickston erzählt haben, daß die Kenntnis der gesetzlichen Grundlagen sehr wichtig ist, um mit der innewohnenden Zauberkraft vernunftgemäß und zum eigenen wie allgemeinen Wohl umgehen zu können. Das sage ich Ihnen deshalbb, weil nun hier sehr viele Zeugen sind, die erfahren haben, daß Sie nach Ihrer Geburt mit einem verwendbaren Zauberkraftpotential aktiviert wurden." Julius' Mutter nickte, wobei ihr das gerade weiße Haar ins Gesicht wehte. Sie griff sich an die linke Wange und strich die Strähnen in den Nacken zurück. Julius war schlicht beeindruckt, wie gelassen seine Mutter mit diesem ihr völlig fremden Körper umging. Catherine und ihre Tante hatten sie offenbar optimal für diesen Auftritt trainiert. Vielleicht hatte sie sogar schon einmal eine Vielsaft-Trank-Verwandlung ausprobiert, um nicht all zu schockiert zu sein, wenn jemand es hier vor Gericht verlangen würde.

"Als zertifizierte Prüferin für die allgemeinen und fortgeschrittenen Zauberergrade gebe ich hier zu Protokoll, daß ich diese Angelegenheit überwachen werde, jetzt, wo ich wieder meinen früheren Verpflichtungen nachkommen darf", stellte Professeur Tourrecandide klar. Damit war für Julius klar, daß seine Mutter nun von drei älteren Hexen umschwirrt wurde, die darauf drängen würden, ihr genug Zauber beizubringen, um sie für vollwertig anzusehen. Er fragte sich lediglich, ob das unbedingt vor der ganzen Öffentlichkeit beredet und beschlossen werden mußte. Das hätten die doch auch verschwiegener klären können. Dieser Gedanke flößte ihm einen gewissen Unmut ein, der sich vor allem auf Monsieur Delamontagne und Professeur Tourrecandide richtete. Hier hingen Zeitungsleute rum. Was hier und jetzt gesagt und getan wurde stand morgen, vielleicht auch schon heute abend, in den neusten Ausgaben drin. Hatten die das echt alles bedacht? Das von allgemeiner Verwunderung genährte Raunen hing noch eine Weile in der weitläufigen Halle. Julius sah seine Schwiegeroma, die anerkennend lächelte. Noch 'ne ältere Hexe, die jetzt meinen konnte, sich an seine Mutter dranzuhängen. Auch war seiner werten Schwiegergroßmutter zuzutrauen, daß sie bereits überlegte, ob sie Martha nicht einen ihrer unverheirateten Söhne, Neffen oder Vettern an die Backe kleben konnte. Die Mutter eines Ruster-Simonowskys, noch dazu magisch aktivierbar, durch Eauvive-Kraft noch dazu, war ganz sicher eine feine Sache für die auf gute Nachzucht wertlegende Latierre-Familie. Warum empfand er bei diesem Gedanken eine gewisse Verachtung? Line hatte nie einen Hehl daraus gemacht, worauf es ihr im Leben ankam. Und was war daran verboten, für die eigenen Kinder gute Ehepartner zu finden, wenn die einander vorgestellten auch wirklich zusammenleben wollten? Dann stellte er sich noch Jane Porter vor, die sicherlich auch nichts dagegen hatte, seiner Mutter was beizubringen, so wie sie alle ihm zeigen wollten, was sie ihm beibringen konnten. Jedenfalls war das Thema Martha Andrews in Beauxbatons, Hogwarts oder sonstwo vom Tisch. Er stellte sich Dumbledore vor, wie der über diese Entwicklung gestaunt oder sie mit seinem tiefgründigsten Lächeln kommentiert hätte. Er dachte an Ammayamiria. würde sie auch auf seine Mutter aufpassen, wie sie auf ihre Verwandten und ihn aufpaßte? Aber das tat sie bestimmt schon längst. Vielleicht hatte sie das sogar, als die Schlangenmenschen Millemerveilles berannt hatten und ihn dabei nicht mehr .. Unfug! Die wußte einfach, daß er aus der Giftfalle rauskommen konnte, woher auch immer.

"Nun, dann bleibt uns wohl nicht mehr zu fragen, Madame Andrews", sagte Monsieur Delamontagne und erhielt zustimmendes Nicken von Montpelier und Tourrecandide. Pétain feuerte derweil einen gehässigen Blick nach dem anderen auf die auf dem Zeugenstuhl sitzende Frau in Taubenblau ab. Was hatten ihm Madame Maxime und Professeur Faucon erzählt? Hier im Gerichtssaal konnte niemand mentiloquieren, apparieren oder Fernlenkungszauber anwenden. Also konnte dieser Wicht da auf dem Anklagestuhl seiner Mutter keine wüsten Sachen in den Kopf beamen. Aber der wußte jetzt, daß er das konnte, wenn seine Mutter nicht wie hier in einem Anti-Melo-Raum war. Oder er, fiel Julius ein. Er hatte nicht gehört, daß aus dem Gefängnis Tourresulatant heraus jemand mentiloquieren konnte. Das wäre ja genauso, als würden sie in Normalgefängnissen den Insassen beim Einrücken Mobiltelefone in die Hand drücken, damit die von drinnen noch weiter irgendwelche Gaunereien anstellen konnten. Daß das vorkam hatte er zwar gehört, aber nicht mit Segen der Gefängnisdirektion.

"Professeur Blanche Faucon, bitte in den Zeugenstand", sagte Monsieur Delamontagne, nachdem er von Julius wegen seines Gedankenwirrwarrs unbemerkt die Zeugin Andrews entlassen hatte. Professeur Faucon nickte und stand auf. Julius' Mutter erhob sich etwas schwerfällig und ging mit leicht steifen Schritten zu Madeleine L'eauvite und Catherine Brickston zurück. Dabei fragte sich Julius, warum sie nicht Catherine Brickstons Haar zur Einstellung des Vielsaft-Trankes benutzt hatten. Doch jetzt wollte er genau mitbekommen, was passierte. Er sah Pétain an, der Professeur Faucon wütend anfunkelte. Der wußte auch ganz genau warum. Sie hatte ihn erledigt, ihn festgenommen und gerade vor ein paar Minuten seinen echten Namen rausposaunt, den sie ganz sicher gleich wieder für alle Zuhörer und Mitschreiber verkünden würde. Er fragte sich aber auch, ob sie die ganze Kiste erzählen würde, wie er und Temmie ihr geholfen hatten. Was hatten die gesagt, sie mußte vor Gericht die Wahrheit sagen. Oha, dann durften sein angeheirateter Verwandter Gilbert und der Fritze vom Miroir Magique gleich noch eine Supergeschichte mitnehmen und sich drum zanken, welche davon auf Seite eins kommen sollte. Offenbar wußten die Gerichtsbeisitzenden das auch. Denn ohne große Vorankündigung sagte Monsieur Delamontagne: "Gemäß der bereits im Vorfeld gemachten Aussagen Professeur Faucons muß ich diese zu Dingen befragen, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind. Daher möchte ich alle nicht zum Gamot zugelassenen Zuhörer einschließlich der wackeren Herrschaften von den Zeitungen und Rundfunkverbreitern bitten, diesen Saal bis zur Wiederherstellung der Öffentlichkeit zu verlassen." Wieder brandete ein lautes Raunen durch die Zuschauerreihen, diesmal ein ungehaltenes. Doch da schritten bereits mehrere Zauberer in dunkelgrauen Umhängen aus den Ecken heran und hoben ihre Zauberstäbe. "In einer Minute ist der Saal bis auf die zugelassenen Mitglieder des Gamots geräumt, so oder so", bekräftigte Monsieur Delamontagne. Julius verstand. Wer in einer Minute nicht freiwillig aus diesem Raum war wurde weggebeamt und er wußte nicht, wohin. Dabei fiel ihm siedendheiß ein, daß er kein Mitglied des Gamots war. Das konnten nur volljährige Hexen und Zauberer werden, die mindestens zehn Jahre einen untadeligen und öffentlich nachvollziehbaren Lebensweg beschritten und/oder wichtige Ämter errungen hatten. Somit war ein Zaubereiminister und dessen Sekretäre und die ältesten Abteilungsleiter automatisch Gamot-Mitglied, genauso der Chef oder die Chefin von Beauxbatons ... Ups!

"Ähm, wenn die hier einen Räumungszauber loslassen, werde ich wohl auch mit rausgeschickt", zischte Julius Madame Maxime zu. Diese schüttelte jedoch den Kopf und ergriff seine Hand so fest, daß er meinte, sich nicht losreißen zu können. Aber was brachte das, wenn ein magisches Teleportationsfeld ihn entmaterialisierte und anderswo wieder auftauchen ließ und er dann vom Walpurgisnachtring gezogen voll gegen die Wand flog, hinter der in direkter Linie Madame Maxime zu finden war? Er hatte es gesehen, wie Linda Knowles von Rausschmeißern des Quodpot-Stadions einfach so weggezaubert wurde. Genau das erwartete er jetzt hier.

"Solange wir beide Körperkontakt halten und durch Ringe und Blut zu einer Einheit werden wird der Saalräumungszauber Sie nicht von meiner Seite weisen, Monsieur Latierre. Ich gehe nämlich sehr stark davon aus, daß die Enthüllungen, die Professeur Faucon tätigen wird, Ihnen eh schon längst bekannt sind."

Julius dachte an Temmie. Von der, beziehungsweise deren neuer Bewohnerin, wußte Madame Maxime noch nichts. Wenn Professeur Faucon damit herausrücken würde kam heute noch das blaue Wunder über ihn.

Hastig verließen die Zuschauer den Saal. Martha Andrews warf noch einen Blick auf ihren Sohn. Dann ging sie mit ihren Begleiterinnen hinaus. Er sah noch Camille Dusoleil, die leicht watschelnd den Saal verließ. Im Mai würde ihr viertes Kind ankommen, wußte Julius. Vielleicht bekam er das über den Neotokographen sogar mit. Die Reporter standen nur da und grinsten. Was sollte das denn? Als dann nach einer Minute die Flügeltüren zukrachten und verriegelt wurden, ploppte es, und die beiden Zeitungsschreiber und der vom Radio ohne Mikrofon waren weg.

"Sie finden das immer wieder amüsant, nicht auf eigenen Füßen hinauszugelangen", knurrte Madame Maxime. Julius hatte bei dem Verschwindezauber nur einen leichten Stoß in seinen Körper und aus diesem heraus in Madame Maximes Körper verspürt. Nun saß er ruhig da. Sie ließ ihn los. Er dachte, gleich doch noch irgendwo anders zu landen. Doch er blieb wo er war. "Der Zauber wirkt instantan und nicht permanent", belehrte ihn die Schulleiterin. Julius übersetzte es so, daß dieser Saalräumer nur für einen Moment mit voller Kraft wirkte und dann ausging wie ein Blitzlicht.

"Kommen die in einem bestimmten Raum an?" Fragte Julius.

"In einem gerade nicht benutzten Gerichtssaal", erwähnte Madame Maxime beiläufig klingend. "Die Reporter werden also nicht mal eben per Mentiloquismus die neuesten Sensationen für die Sonderausgabe verbreiten können. Das hätten die doch wissen sollen."

"Meine Damen und Herren, wie ich sehe beehrt uns Monsieur Latierre, da er durch bereits erörterte Umstände dazu veranlaßt wurde, in Madame Maximes unmittelbarer Nähe zu verweilen", stellte Monsieur Delamontagne fest, als nur noch dreißig ehrwürdige Hexen und Zauberer in den ersten drei Sitzreihen anwesend waren. "Deshalb frage ich Sie, Professeur Faucon: Berühren Ihre Aussagen Dinge, von denen er Kenntnis haben darf und können Sie garantieren, daß er diese Kenntnisse nicht an die Öffentlichkeit dringen lassen wird?"

"Erstens besitzt er von dem, was ich gleich aussagen möchte alle Kenntnisse aus erster Hand. Zweitens ist es in seinem eigenen Interesse, diese Kenntnisse nicht an die Öffentlichkeit dringen zu lassen", sagte Professeur Faucon. Monsieur Delamontagne nickte. Dann ließ er Monsieur Montpelier die Fragen stellen, woher sie wußte, was Pétain plante, wieso sie genau wußte, wie er wirklich hieß, wie sie und Julius seinen Angriff vereitelt hatten und das sie vermuteten, daß Pétain Agent der Elfenbeininsel war. Natürlich kam dabei auch die geflügelte Kuh Artemis zur Sprache. Julius sah den Angeklagten an. Dieser war nun leichenblaß. Die Freund-Feind-karte hatte er offenbar nicht eingeplant, und eine durch wundersame Fügungen neu beseelte Zauberkuh, die schnell wie ein Düsenbomber fliegen und dabei unsichtbar sein konnte war ein herber Schlag für ihn. Julius fragte sich, ob das wirklich so gut war, wenn Pétain diese Geheimnisse hörte. Sicher, das mit Temmie war an und für sich ein Latierre-Geheimnis. Aber wieso konnte Professeur Faucon es hier und jetzt ausplaudern? Wirkte der Zauber nicht in einem Gerichtssaal? Oder war der Wahrheitseid stärker als die Geheimhaltung? Das mußte er klären, wenn er hier wieder heraus war. Als Pétain die herben Enthüllungen geschluckt hatte fragte Professeur Tourrecandide noch, ob dem Piloten irgendwas passiert sei. Professeur Faucon verneinte es und erwähnte den Fluchumkehrzauber, mit dem Julius den beeinflußten Piloten zum Abbruch des Angriffs gebracht hatte. Julius hob die rechte Hand, als Pétain ihn finster ansah. Er erhielt das Wort.

"Ich bin zwar kein offizielles Mitglied im Gamot und muß da wohl noch mindestens zwölf Jahre drauf hinarbeiten. Aber ich möchte doch gerne vom Angeklagten wissen, was für ein Giftgas er über Millemerveilles freisetzen wollte. Unter Umständen kann ich dem Gericht und allen ehrenwerten Mitgliedern des Zaubergamots beschreiben, was es außer den Bewohnern da noch umgebracht hätte." Madame Maxime nickte ihm von ihrer erhöhten Warte her zu. Pétain warf sich wütend in die ihn haltenden Ketten. Der Sprechbann wurde von ihm genommen, was wohl hieß, daß er die Frage beantworten sollte.

"Elendes Schlammblut", spie er aus. "Hältst dich wohl für besonders schlau und überragend, wie? Das Zeug hieß VX. Na, jetzt Angst genug, du Bastard?"

Julius fühlte die gleiche Wut, die Pétain gegen ihn geschleudert hatte in sich hochsteigen wie kurz vor dem Ausbruch stehende Lava. Dieser Drecksack da auf dem Stuhl hatte echt VX-Nervengift über Millemerveilles abwerfen wollen? Abgesehen davon, wie der da rangekommen war schon sehr hinterhältig, weil das Zeug nach dem Ausbringen wegen der schweren Wasserlöslichkeit Wochen lang am Abwurfort bleiben konnte. Er hatte nicht übel Lust, diesem Kerl da gleich hier links und rechts voll einzuschenken, mit den Fäusten oder den Handkanten. Dann merkte er jedoch, daß er damit einen gerade wehrlosen Mann angreifen wollte. Und als Feigling wollte er sich dann nicht auch noch beschimpfen lassen. So blaffte er wild und bedrohlich:

"Im Gegensatz zu Ihnen, Sie Wechselbalg, weiß ich, daß meine Eltern auch meine Eltern sind, bin also kein Bastard. Und was das Schlammblut angeht, dann freut es mich, daß wir Ihnen die linke Tour so gründlich versaut haben, daß Ihre Freunde von der Reinblüter-Inzucht-Insel keine Verwendung mehr für Sie haben. Oder wollten die demnächst mit Voldemort und Genossen klären, wie sie sich Europa aufteilen, was sie der selbsternannten Erbin Sardonias ja zugestanden haben? Gemäß der gemeinen Lügen in der englischen zaubererwelt bin ich ein Schlammblut. Na und?! Im Gegensatz zu Ihnen komme ich in beiden Welten klar. Oder haben Ihre Leute sie echt einem Muggelpaar untergeschoben. Wie war das, von einer Frau gestillt oder gefüttert zu werden, die nicht in Ihr Bild von echten Menschen reingepaßt hat. Hat das Sie amüsiert? Abgehen konnte Ihnen da wohl keiner, weil das bei Babys nicht klappt. Oder hat ihr Chef Ihnen einen Gedächtniszeitschaltzauber ins Hirn gesetzt, der erst machte, daß Sie sich an alles wieder erinnern, als jemand "Alles gute zum Geburtstag" zu ihnen gesagt und Ihnen 'ne Torte mit siebzehn Kerzen drauf hingestellt hat? Sie sind voll erledigt, Monsieur Borgogne. Jeder Spion oder Attentäter kriegt von seinen Leuten mit: "Sollten Sie oder einer Ihrer Mitarbeiter gefangengenommen oder getötet werden, werden wir leugnen, Sie zu kennen." Jeder Spion kriegt diesen Spruch ab, wenn er oder sie ins Feindesland rübergeschickt wird. Fühlen wir uns jetzt immer noch so überlegen? Ich mich schon, weil ich weiß, daß ich mithelfen konnte, Sie und ihre Saubande fertigzumachen. Offenbar hatten Sie kein Problem damit, an VX ranzukommen. Haben Sie mal Bilder davon sehen können, wie das Zeug wirkt? Mein Vater, ein Chemiker, hat mir vor fünf Jahren mal Bilder aus dem Irak gezeigt, wo Giftgas eingesetzt wurde. Das hat über fünftausend Menschen, hauptsächlich Frauen und Kinder, ganz grausam umgebracht. Ja, ich hatte eine Scheißangst, als ich das hörte, daß Sie sowas über Millemerveilles loslassen wollten und habe mich auch gerade eben erschreckt, weil ich ungefähr gelesen habe, wie VX wirkt, Sie Schweinehund. Um so doller freue ich mich, Ihnen den Massenmord versaut zu haben. Wen wollten Sie Arschloch denn noch umbringen, ey? Die Leute in Marseille? Gut, VX ist ziemlich schwer löslich, wenn's einmal runtergegangen ist und ist schwerer als Luft oder Wasser, breitet sich also nicht so leicht aus. Aber mit den zwei Bomben, die Sie dem von Ihnen versklavten Piloten unter's Flugzeug gehängt haben, wären mehr Leute draufgegangen als in Millemerveilles. Sowas wie Sie gehört eindeutig im tiefsten Keller eingesperrt und eingemauert. Dixi Howk ich habe gesprochen." Julius fühlte, wie dieser Wutschwall regelrecht aus ihm hinausexplodierte, die angestaute Gefühlslava heftiger auf das Ziel seiner Wut niederging als jeder Schlag es geschafft hätte. Dann stieß er noch was aus: "Achso, vielleicht hätten Sie besser bei Syrinx bleiben sollen."

"Du verdammter, kotiger Auswurf einer schmutzigen ..." "Silencio!" Rief Professeur Tourrecandide. Julius dachte erst, der volle Schweigezauber gelte ihm. Doch Pétain bekam ihn ab.

"Na, das böse Wort hätten sie den ruhig noch rausblöken lassen können. Sie sind hier alle volljährig, und ich war nicht mein ganzes Leben in Beauxbatons, wie Sie alle mitbekommen durften", scherzte Julius, sicher, gleich selbst den Schweigezauber oder den Sprechbann abzukriegen. Doch nichts dergleichen passierte. Professeur Tourrecandide funkelte ihn zwar sehr verärgert an. Doch die anderen grinsten. Offenbar war der Witz von ihnen wohlwollend aufgenommen worden. Es klirrte und rasselte wild, weil Pétain sich immer noch gegen die Ketten warf und versuchte, sich zwischen ihnen herauszuwinden. Da zogen diese sich unvermittelt so straff, daß Pétain in die eiserne Lehne hineingequetscht zu werden schien. Pétain, oder Ion Borgogne, wie Professeur Faucon ihn genannt hatte, röchelte schon um luft. Dann gab er den Kampf gegen die wie lebendig wirkenden Fesseln auf und entspannte sich. In seinem Gesicht stand jedoch der blanke Haß wie eingemeißelt. Ein "Schlammblut" hatte ihn besiegt, ihn, einen Agenten der reinblütigsten Zauberer Frankreichs. Das konnte und durfte doch nicht sein. Doch Julius sah in diesem kleinen, hageren Kerl da eine abgewrackte Existenz. Dieser Typ da hatte komplett verspielt. Sicher, wenn sie ihn nicht gut genug einsperrten konnte der sein ärgster Todfeind sein. Ärger als Voldemort, mächtiger als die Abgrundstöchter, gefährlicher als Naaneavargia? Aber unterschätzen sollte er den besser nicht. Aber aufstecken, vor dem da? Das wollte er mit und ohne Madame Maximes Blut in sich dann auch nicht.

"Wir haben Ihre sehr wilden Gegenhaltungen zugelassen, Monsieur Latierre, weil sich in der Wut manchmal interessante Dinge entfalten, ob sie nun natürlichen oder künstlichen Ursprungs ist", sagte Monsieur Delamontagne, der jedoch ein gewisses, anerkennendes Schmunzeln nicht unterdrücken konnte. "Aber ich möchte Sie nun bitten, sich wieder neben Madame Maxime hinzusetzen und so weit Sie können zu schweigen, ohne von uns dazu gezwungen zu werden." Julius setzte sich wieder hin. Ihm war gar nicht aufgefallen, daß er überhaupt aufgestanden war. "Und was Sie angeht, Monsieur Borgogne - denn nur mit diesem Namen werde ich Sie weiterhin ansprechen, Angeklagter -, so haben Sie in Ihrer Wut und Monsieur Latierre in seiner eigenen sehr wichtige Fragen aufgeworfen, die wir gleich klären werden." Er hob den Schweigezauber wieder auf. Wie vorhin aus Julius' Mund prasselten wilde Schimpfkanonaden unterster Bildungsklasse durch den Saal. Doch weil die Ketten sich wieder zusammenzogen und ihm die Luft für weitere Beschimpfungen abklemmten beruhigte er sich. So konnte man einen tobsüchtigen Angeklagten also auch disziplinieren, dachte Julius erschauernd. Für ihn stand fest, daß er nicht irgendwann auf so einem Foltergerät landen wollte. Als der Angeklagte sich endlich abgeregt hatte wurde er von Professeur Tourrecandide und Monsieur Montpelier befragt, wie er an dieses Teufelszeug gekommen war und wer ihm verraten hatte, wie es wirkte. Denn, das wußte Julius aus seinen Nachforschungen, VX war erst ab 1950 von den Amerikanern entwickelt worden, konnte also unmöglich schon vorher auf der Insel bekannt gewesen sein. Pétain lachte lauthals und erzählte, daß er das natürlich von seinen Muggelverwandten erfahren hatte. Da er Julius vorhin als Schlammblut, also abfällig als Muggelstämmigen bezeichnet hatte, sich dabei jedoch wohl ausnahm, bestätigte er damit indirekt, daß er eben kein reinrassig Muggelstämmiger war, wie es in seinen Akten gestanden hatte. Er verweigerte jedoch die Aussage, wie genau er an das Gas herangekommen war. Doch das half ihm nichts. Denn Monsieur Delamontagne wartete mit einer Aussage auf, die ein Muggelsoldat gemacht hatte, als herauskam, woher der Kampfstoff stammte. Immerhin stritt Borgogne alias Pétain nicht mehr ab, das Gas eingesetzt zu haben. Er wußte, daß sie ihm eh schon alles nachgewiesen hatten, als sie ihn kurz vor Millemerveilles abgefangen hatten. Die eigentliche Wut kam jetzt erst, weil er erfuhr, wie sie ihm die Tour vermasselt hatten. Julius, der sich mittlerweile selbst wieder abgeregt hatte, durfte dann dem Gamot erklären, was VX war, das er auch als "O-Ethyl-S-2-diisopropylamino- ethylmethylphosphonothiolat" bezeichnete. Die ehrwürdigen Zauberer und Hexen starrten ihn an. Er wiederholte den Namen und schrieb ihn dann mit Zauberfadenschrift in die Luft. Er erklärte so ruhig er konnte, aus welchen Bestandteilen das Zeug hergestellt wurde und genau wie Sarin, Tabun und Soman auf die Liste der zu vernichtenden C-Kampfstoffe gesetzt worden war, die 1997 vereinbart wurde. Weil er schon einmal in Fahrt war und sie ihn ließen, erwähnte er noch die heftigsten anderen Nervengifte und was seines Wissens nach dagegen getan werden konnte, wenn Leute sich damit vergiftet hatten. Dann fragte er den Angeklagten: "Wenn sie über Nervengifte Bescheid wußten, Monsieur Borgogne, dann haben Ihre Zieheltern bestimmt auch mal erwähnt, daß Frankreich Atombomben hat. Wieso haben Sie keine von denen genommen. Die hätte schneller gewirkt als das Gas."

"Weil irgendein Muggelstämmiger dem Ministerium erzählt hat, daß es diese Dinger gibt und die was gemacht haben, um Millemerveilles, Beauxbatons und die Rue de Camouflage gegen sowas zu sichern, Klugscheißer", schnarrte der falsche Pétain. Julius grinste überlegen und erwiderte: "Tja, diese Muggelstämmigen können ihr Wissen nicht für sich behalten. So'n Pech aber auch. Hat Ihnen Minister Grandchapeau nie erzählt, wer ihm diese netten Sachen erzählt hat?" Wollte er dann mit einem Ausdruck größter Scheinheiligkeit wissen.

"Das kann mir egal sein. Mit dem Giftgas hätte ich euch allen gezeigt, daß es Sachen gibt, gegen die ihr euch nicht absichern könnt", schnarrte der Angeklagte.

"Ich weise den Angeklagten darauf hin, dem Gericht gegenüber Respekt zu bekunden", blaffte Monsieur Delamontagne. Ein wahnsinnig anmutendes Lachen war Borgognes Antwort. Julius empfand neben der Wut jetzt auch noch tiefste Verachtung für dieses Wesen da auf dem Kettenstuhl.

"Es bleibt dabei, daß alles hier besprochene nicht an die Öffentlichkeit dringen darf", sagte Delamontagne noch einmal. Julius sah ihm an, daß er doch zwischendurch heftig mit seiner Selbstbeherrschung hatte ringen müssen. Borgogne wollte ihn und die Bewohner Millemerveilles heimtückisch vergiften, einfach umbringen. Dann sagte der Vorsitzende des Gerichtes: "Ich denke, jetzt können wir die Öffentlichkeit wiederherstellen, um zu erfahren, was dem Minister und seiner Frau passiert ist."

"In Ordnung, sagte Professeur Tourrecandide und ließ die Tür aufschwingen. "Achtung an alle Zuschauer des Prozesses Zaubereiministerium gegen Sebastian Pétain, Sie dürfen nun wieder eintreten!" Rief die Lehrerin und zeitweilige Leiterin der Strafverfolgungsabteilung des Gegenministeriums. Zwei Minuten später waren wieder alle auf ihren Plätzen. Julius hätte seine Schwiegergroßmutter gerne gefragt, wieso Professeur Faucon das mit Artemis ausplaudern konnte. "Um sicherzugehen, daß der Angeklagte keine außerhalb der Öffentlichkeit gemachten Angaben wiederholt verbleibt er bis auf weiteres unter dem Schweigezauber", verkündete Monsieur Delamontagne. Als Julius seine Mutter sah, wie sie immer noch in Professeur Tourrecandides Körper hereinkam, erkannte er, daß das Verhör und die wortreiche Auseinandersetzung mit Pétain alias Borgogne keine Stunde gebraucht hatte. Dann wurden die Grandchapeaus aufgerufen. Diese erzählten das, was sie bereits im Rundfunk erwähnt hatten. Diesmal rief ein anderer Zuschauer, daß das vielleicht nicht die echten Grandchapeaus waren. Der Minister wandte sich an ihn und deutete kurz auf Martha Andrews: "Meine Gattin und ich erklären uns bereit, die Körperumwandlungsprobe durchzuführen, um unsere Identität zweifelsfrei zu beweisen. Wir tauschen schlicht weg unsere Körper aus." Ein langgezogenes "Uuuiii" wogte durch den Saal. Daß der sonst auf behutsames, ja teilweise verknöchertes Handeln abonierte Minister ein derartig drastisches Experiment anbot war eine Sennsation. Monsieur Delamontagne fragte den Minister, ob er das wahrhaftig auf sich nehmen wolle. Dieser bestätigte es. Seine Frau stimmte diesem Nachweis ebenfalls zu. So passierte es, daß Ehemann und Ehefrau mit weiterem Vielsaft-Trank für eine Stunde ihre Körper tauschten. Julius konnte sich ein gewisses Grinsen nicht verkneifen, wenn er sich vorstellte, daß die beiden das vielleicht schon einmal oder mehrmals gemacht hatten, und unvermittelt fand er sich in Béatrice Latierres Behandlungszimmer wieder, wo er fühlte, wie sie als er mit ihm als sie Orions Fluch auskonterte. Madame Maxime zwickte ihn schmerzhaft genug in den rechten Arm, um ihn in die Gegenwart zurückzuholen. Denn gerade setzte bei seiner Mutter die Rückverwandlung ein. Unter leisem Stöhnen, das sich stimmlich leicht verschoben anhörte, wurde die alte Hexe wieder zur jüngeren, brandneuen Hexe. Als der Vorgang beendet war sagte Professeur Tourrecandide nur: "Willkommen in Ihrem angestammten Körper, Madame Andrews. Ich hoffe, die eine Stunde brachte Ihnen nicht zu viele Unannehmlichkeiten." Julius' Mutter verneinte es, wohl er aus Höflichkeit als aus Wahrheitsliebe. Die beiden nun körpervertauschten Eheleute, deren Kleidung gerade nicht so korrekt saß wie geschneidert, sagten weiterhin aus, was sie von Syrinx Chaudchamps und Dorian Sannom, dem scheinbar zauberunfähigen Mann mit der fremdartigen Halstätowierung erfahren hatten. Der Minister, der gerade Stimme und Aussehen seiner Frau besaß, verriet nun das entscheidende Detail: "Syrinx erklärte, daß eine gewisse Lucine Montmorency mit ihrem Sohn in Frankreich in Kontakt stehe. Diesen sollten wir suchen. Sein Name sollte Ion Borgogne lauten." Pétain sank in seinen Ketten zusammen. Julius fragte sich, was diesem Mann jetzt durch den Kopf ging. Er hatte nicht nur auf ganzer Linie verloren, sondern sein ganzes Leben für nichts und wieder nichts gelebt, ein gestohlenes Leben ganz sicher. Aber er hatte es gelebt. Was konnte ihm da jetzt noch passieren? Auf die logische Frage, wie diese Syrinx dem Minister das alles erzählen konnte sagte dieser: "Es ging darum, daß das Chaos auf dem Festland behoben würde. Borgogne sollte uns dabei helfen. allerdings wußte sie nicht, unter welchem Namen dieser Agent lebe. Wenn wir ihn träfen sollten wir nur sagen: "Syrinx will dich zurück!" Pétain zuckte zusammen, straffte sich und keuchte los. Irgendwas lief da mit ihm ab, erkannte Julius. Um den Körper des Angeklagten flimmerte die Luft. Alle Prozeßzuschauer starrten auf die Szene. Julius war klar, daß Grandchapeau etwas wie einen Zünder gedrückt hatte. Da schossen aus Pétains Körper blaue Flammen heraus, die ihn unvermittelt wie eine riesige, himmelblaue Kerzenflamme erscheinen ließen. Mit Schrecken sahen alle, wie Pétains Körper wie Wachs zerlief und eins mit der blauen Flamme wurde. Der Stuhl, auf dem er angekettet war, glühte rot, dann gelb auf. Die Ketten peitschten Funken sprühend davon. Pétains Körper zerfiel innerhalb weniger Sekunden zu blauem Feuer, aus dem eine weiße Wolke herausschnellte, die wie eine Kugelschale mit einem geisterhaften Menschenwesen darin wirkte. Diese Kugelschale drang ungeblockt durch die Granitdecke und verschwand, während mit einem lauten Wuff die blaue Riesenflamme wieder zusammenfiel. Der Kettenstuhl glühte nun sonnenhell, blieb jedoch ein Stuhl.

"Verdammt, das wollte ich nicht", stammelte der Minister kreidebleich. "I-ich konnte nicht wissen, daß dieser Satz ihn umbringen würde. Ich ging nur davon aus, daß er uns dann verraten würde, wieso wir entführt wurden."

"Ein wenig naiv für einen gerade erst im Amt bestätigten Minister", schnarrte einer der Zuschauer, den Julius nicht kannte. Professeur Tourrecandide mußte jedoch genauso nicken wie Professeur Faucon und Monsieur Delamontagne. Julius fühlte, wie heftig dieser Selbstvernichtungszauber ihn selbst betroffen machte. Hätte er das gewußt, daß in Pétain so ein Fluch verankert war, dann hätte er seinen Fluchumkehrzauber darauf anwenden können. Aber das war so schnell gegangen, daß es ihn erschreckt und gelähmt hatte. Er fühlte sich wie der spätere Captain Kirk an der Phaserkanone der Farragut, als die gruselige Vampirwolke über sein Raumschiff herfiel. Er hätte das aufhalten können, weil er den Fluchumkehrer kannte. Dieses Höllenfeuer hätte er bestimmt ...

"Niemand kann Ihnen einen Vorwurf machen, daß Sie nicht wußten, daß dieser Satz die Vernichtung des Eindringlings bedeuten würde", sagte Monsieur Delamontagne laut, als die unheimliche Stille ihm lange genug gedauert hatte. "Keine mir bekannten Zauber hätten das Schmelzfeuer so rasch eindämmen können, ohne Pétain/Borgogne zu Schaden kommen zu lassen. Schmelzfeuer gehört immer noch zu den tückischsten Elementarflüchen der hermetischen Zaubererwelt. Es muß ihm in die Knochen oder vielleicht sogar in das Gehirn eingepflanzt worden sein. Irgendwo, wo keine Seriositätssonde und kein Spürzauber ihn hätte ausmachen können, weil eh schon viel Magie angereichert war. Vorstellbar ist auch, daß er diesen Zauber mit einem Gedächtniszauber blockiert in sich trug und von sich aus rein mental und auf sich selbst angewendet aufrief, ohne einen Zauberstab zu benötigen. Monsieur Latierre konfrontierte ihn mit einem Satz, den angeblich jeder Muggelwelt-Spion vor seiner unmöglich erscheinenden Auslandsmission erfährt, daß seine Auftraggeber jede Kenntnis von ihm oder der Mission selbst abstreiten würden. Offenbar hat sich der Angeklagte ohne es zu planen oder zu wissen an ein anderes Faktum dieser meines Wissens nach populären Spionagefiktion erinnert, nämlich das die Unterlage mit dem Auftrag durch Selbstvernichtung unlesbar wird. Ich gehe sogar davon aus, daß nicht jene Mademoiselle Chaudchamps ihn mit diesem tödlichen Zauber versah, sondernjene, die ihn seinen Zieheltern unterschoben. Denn nur wer von der Insel kam und genau diesen Satz sagte, konnte diesen Zauber freisetzen oder zur Verfügung stellen. Für Wahr, die Insulaner sind und bleiben sehr respektable, wenn auch skrupellose Magier, die die hellen wie die dunklen Kräfte meisterhaft beherrschen."

"Die hellen Kräfte?" Stieß Julius ungefragt aus. "Das war doch ein Vernichtungsfluch, verdammt noch mal!"

"Abgesehen davon, daß Kraftausdrücke das geschehene nicht umkehren können, Monsieur Latierre, dürfte Ihnen genausowenig entgangen sein wie mir, daß sich aus dem Schmelzfeuer etwas gelöst hat, ein Iterapartio-Kokon. Für alle, die von diesem Zauber bisher nichts wußten - was wohl die Mehrheit der Anwesenden betrifft - er ermöglicht in unmittelbarer, magischer Gefahr befindlichen Personen, ihr Leben neu entstehen zu lassen, wenn sie eine Hexe finden, die ehrlich und unumstößlich dazu bereit ist, die neue Mutter zu werden. Der Körper vergeht bei dem Zauber. Der Geist kapselt sich ein und nistet sich als neue Leibesfrucht im Schoß der Empfängerin ein, wo er mit dem neuen Körper heranwächst und sich mit Entwicklung der Sinne neu entfaltet. Diesen Seelenkokon haben wir alle gerade beobachtet. Irgendwer auf der Insel, vielleicht seine leibhaftige Mutter, vielleicht besagte Syrinx Chaudchamps, hat mit dem Angeklagten und nun vorzeitig und wohl für lange Zeit abgetretenen Borgogne einen abrufbaren Zauber mit dem Schmelzfeuerfluch verwoben. Vielleicht konnte der Fluch deshalb auch nicht aufgespürt werden. Jedenfalls dürfte der Angeklagte nun für die nächsten Jahre unfähig sein, uns oder sonst wem zu schaden, weil er kein Geist wurde und auch nicht ganz starb. Jedenfalls dürfte er nun dort eintreffen, wo die Hexe lebt, die diese Kombination mit ihm ausgeführt hat. Und sie wird wissen, daß Pétains Mission gescheitert ist, uns diesen Isolationisten auszuliefern, unser Land für ihre Form von Zaubererverwaltung und Zaubererweltgesinnung gefügig zu machen. Da der Angeklagte nun unauffindbar und gemäß seiner Identität aus der Welt ist, ist das Verfahren hinfällig geworden."

Julius hörte diese Worte, die seine Selbstvorwürfe aufwühlten und dann hinwegfegten. Delamontagne kannte den Fluchumkehrer. Er selbst hatte dem Gegenminister diesen Zauber doch beigebracht. Und wenn der sagte, daß keine ihm bekannte Kraft das hätte aufhalten können ... Aber jetzt brütete irgendwo auf dieser verfluchten Insel vielleicht irgendeine alte oder junge Hexe diesen Schweinehund neu aus. Von Larissa Swann wußte er, daß die auf diese Weise unter der Klinge des Sensenmannes weggeschlüpften durchaus ihr entwickeltes Bewußtsein behielten, wenn alle Körpersinne wieder funktionierten. Einen Moment dachte er wieder an diesen Traum mit der schwangeren Anthelia und wie die ihn mal eben bei dieser Kröte Umbridge untergebracht hatte. Sowas konnte auch eine Strafe sein. Vollreset, wie die Computerexperten das nannten, von denen gerade drei in diesem Raum waren, seine Mutter, Madame Grandchapeau und er. Aber für Julius Latierre hieß das, daß er in vielleicht zwei oder drei Jahren, wenn Pétain echt wiedergeboren werden konnte, einen Pimpf zum ärgsten Todfeind haben konnte. Spinnenfrauen, superschöne wie supergefährliche Monsterfrauen und diesen bleichgesichtigen Voldemort mit seinen roten Augen. Das waren schon echt illustre Figuren, die ihn nicht mochten oder irgendwie für sich vereinnahmen wollten. Seltsamerweise zählte er Anthelia im Moment nicht zu diesen Todfeinden. Weil sie ihm zweimal das Leben gerettet hatte? Sie hatte nur den ausgeworfenen Angelköder wieder eingeholt, nichts weiter. Wenn es ihr was gebracht hätte, hätte sie ihn draufgehen lassen oder um ihr hübsches Wiederkehrgeheimnis zu bewahren umgebracht oder sonstwie für sie unschädlich gemacht. Sie hätte dieser Patricia Straton nur befehlen müssen, ihn neben seinen Vater in den Sand der Mojavewüste zu legen und den Notrufzauber zu bringen, bevor sie verschwanden.

"Meine Damen und Herren, ich bedauere zu tiefst den Ausgang dieses Verfahrens, da die wahren Drahtzieher es hinbekommen haben, ihre Machenschaften weiterhin zu verhüllen, auch wenn wir nun doch etwas mehr wissen und ihren Agenten enttarnen konnten. Ich glaube nicht, daß es noch mehr von ihnen gibt. Denn der Aufwand dürfte die meisten Freiwilligen abschrecken. Hoffen wir, daß uns Monsieur Didier zumindest nicht mitten im Verfahren abberufen wird, ob durch eigene Hand oder lange vorbereiteter Planung. Das Gericht des ehrenwerten Zaubergamots Frankreichs vertagt sich auf den kommenden Montag neun Uhr, wo der erste Verhandlungstag im Prozeß französische Zaubererwelt gegen Janus Didier beginnen wird. Die Sitzung ist geschlossen." Er brauchte keinen Richterhammer, um das Ende des Prozesses zu beklopfen. Denn die meisten standen bereits. Sie wandten sich um und strebten dem Ausgang zu. Camille mußte gestützt werden. Julius sah Madame Matine, die fürsorglich hinter ihr herging und ihr dabei den Zauberstab über den Kopf führte. War das ein Heilzauber oder was? Julius interessierte sich vordringlich für seine Schwiegergroßmutter. Diese kam durch den rechten Gang nach vorne und postierte sich vor Monsieur Delamontagne. Julius zischte Professeur Faucon zu, ob das schwergefallen sei, die Sache mit dem abgewehrten Gasangriff zu erzählen, wo doch einige Familiengeheimnisse im Spiel waren.

"Ihre Schwiegergroßmutter gewährte mir die Möglichkeit, diese Aktion zu beschreiben, solange Sie nicht Einspruch erhoben, Monsieur Latierre", sagte Professeur Faucon. Madame Maxime wandte sich beiden zu und schnarrte:

"Schon ein starkes Stück, daß diese alte Königin einen Weg fand, wiederverkörpert zu werden und dies keinem mitgeteilt zu werden ansteht, auch mir nicht?" Professeur Faucon und Julius bestätigten das. "Nun, darauf zurückgreifen kann ich eh nicht und gemäß der Anweisung ist das besprochene ein Factum sub Rosa. Gehen wir!"

Julius verabschiedete sich draußen in den karg erhellten Gängen von den Dusoleils. Madame Matine mentiloquierte ihm: "Habe das Ende Pétains als Portschlüsselflucht umgeändert. Bitte verrate Camille nicht, was wirklich geschah!" Julius schickte zurück, daß er das verstand. Er konnte echt noch mentiloquieren. Dann waren sie bei den Kaminen. Noch einmal mußte ihn Madame Maxime wie einen Hund vor der Rolltreppe aufheben und in den Kamin und durch das Flohnetz tragen. Doch dieses Gefühl der Entwürdigung kam nicht zurück. Wesentlich heftigere Sachen hatten ihn erschüttert. Und am Ende blieb die Frage, ob er Pétain jemals wiedersehen würde und ob es dann eine tödliche Feindschaft zwischen ihnen geben würde, sofern er nicht vorher von den anderen unheimlichen Gegenspielern aufgespürt und vernichtet wurde.

"Grandchapeau wird seinen schweren Fehler schnell wieder ausbügeln müssen oder das ihm gerade verliehene Ministeramt zur Verfügung stellen", faßte Professeur Faucon die Ereignisse zusammen. "Aber niemand hätte das Schmelzfeuer eindämmen können, Julius. Der Fluchumkehrer dauert schnell ausgesprochen mindestens zwei Sekunden. Zuzüglich der Schrecksekunde wären es drei geworden. Das blaue Feuer zündete jedoch bereits nach nur einer Sekunde. Ein Fluchumkehrer hätte die körperlichen Schäden nicht mehr beheben können."

"Madame Matine mentiloquierte mir, daß sie Madame Dusoleil wegen der voranschreitenden Schwangerschaft mit einem Gedächtniszauber vermittelt hat, daß Pétain mit einem Portschlüssel flüchtete, der in ihm selbst versteckt war. Ginge sowas im Gerichtssaal?"

"Gegen Eindringlinge ist der Saal abgeriegelt. Für eine Flucht könnten allerdings Portschlüssel erzeugt werden, wenn jemand einen Zauberstab in der Hand hat. Ja, das ist die einzige Schwachstelle, die bewußt gelassen wurde, um im Notfall noch flüchten zu können, weil der Portschlüsselaufbau weniger Zeit braucht als das Einreißen des Apparitionswalles." Madame Maxime nickte. Dann schaltete sie wieder auf Schulbetrieb um. "Blanche, bitte kehren Sie nun in den Unterricht zurück! Gerade dieser Vorfall eben zeigt, wie überaus wichtig es ist, in der Abwehr destruktiver Zauberkräfte vorgebildet zu sein."

"Ich pflichte Ihnen vollkommen bei, Madame Maxime", erwiderte Professeur Faucon und verließ den sechseckigen Ankunftsbereich durch das Bildertor. "So, junger Mann, und wir beide werden uns erst der aufgeschobenen Korrespondenz zuwenden, bevor Sie mir noch einmal zeigen dürfen, wie dieser Fluchumkehrzauber funktioniert. Ich erwarte von Ihnen, daß Sie mir diese vier Zauber, über deren Herkunft Professeur Faucon nichts hat verlauten lassen können, beibringen, als Übung für Sie und konstruktiven Zugewinn für uns beide."

"Erzählen Sie mir bitte mehr von diesem Schmelzfeuerfluch. Das war ja echt wie eine Selbstvernichtungsbombe."

"Aufrufen kann ich ihn nicht und sehe es auch nicht als erstrebsam, diesen Mordzauber zu unterrichten. Nur so viel, er kann auf ein Kleidungsstück oder wohl auch auf eine Person gelegt werden und zündet wortwörtlich, wenn ein bestimmter Satz gesagt wird oder bestimmte Gedanken gedacht werden. Lebendes Gewebe im Wirkungsbereich des Zaubers schmilzt förmlich dahin und verstärkt das Feuer, bis kein lebendes Gewebe mehr vorhanden ist. Damit hantieren nur unmenschliche und absolut skrupellose Dunkelmagier und -hexen. Und Ihrem Gesichtsausdruck bei Aufflammen des Schmelzfeuers nach wünschen Sie wohl trotz der Derbheiten, die Sie gegen diesen Borgogne vorbrachten, nicht zu dieser Sorte Zauberer zu gehören."

"Kann man diesen Zauber früh genug orten?" Fragte Julius.

"Wohl nur mit einem Flucherkenner, wenn rechtzeitig genug nach ihm gesucht wird. Aber da er auf Schlüsselwörter oder -gedanken anspricht muß die Person, die ihn einrichtet wissen, welche Schlüsselwörter das sind oder von wem sie ausgesprochen oder gedacht werden."

"Wenn Pétain/Borgogne echt durch den Iterapartio-Zauber wiedergeboren wird, muß dieser Zauber ja vor Jahrzehnten vorbereitet worden sein. Kann sein, daß die Hexe, die ihn neu empfangen will, schon gar nicht mehr lebt oder in einem für Geburten nicht mehr empfohlenen Alter ist."

"Was dafür spricht, daß es jene ominöse Syrinx ist, die Minister Grandchapeau erwähnte. Der Zündsatz - leider fällt mir kein besseres Wort dafür ein - kann genauso gemeint gewesen sein, daß sie ihn wiederhaben wollte. Dann wäre diese Hexe jedoch einige Jahre älter als ich selbst. Wissen wir, ob die Insulaner nicht noch älter werden können als gewöhnliche Zauberer? Aber jetzt an die Arbeit! Ich möchte gerne noch den Stapel Briefe auf meinem Schreibtisch verkleinern, bevor wir heute Nachmittag Ihren Unterricht fortsetzen." Julius nickte zustimmend. Die Bürokratie und die Einzelstunden mit Madame Maxime würden ihn hoffentlich wieder in den Alltag hinüberbringen. Hoffentlich träumte er jetzt nicht jede Nacht von dieser blauen Riesenflamme.

 

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Die erste Saalsprecherkonferenz seit Wiedereröffnung der Akademie war eine weitere Hürde, die Julius bewältigen mußte. Madame Rossignol hatte ihm die Verabreichung von Bicranius Beaumonts Mixtur der mannigfaltigen Merkfähigkeit verweigert, um seine Emotionen auszublenden. "Das gehört zu uns Menschen, daß wir mit unseren Gefühlen leben müssen und nicht wie seelenlose Maschinen reine Lern- und Arbeitsaktionen ausführen", hatte sie ihm gesagt. Er hatte da an den Androiden Data denken müssen, der all zu gerne menschliche Gefühle empfinden und nicht nur deren sichtbare Anzeichen immitieren wollte. Andererseits verstand er auch, welch großes Geschenk es war, kein Roboter oder Androide zu sein, auch wenn ein solcher das absolute Gedächtnis hatte, das der Trank bescherte. Das warnende Beispiel für einen übermäßigen Gebrauch war dieser Simon Newton, den er im letzten Sommer getroffen hatte. So wollte er dann doch nicht sein. So mußte er ohne die Wirkung des Trankes die Konferenz mitmachen, wo es natürlich um die Renovierungen, die Ferienverschiebung und seine Situation ging. Céline fragte vorsichtig, ob Julius dann nicht besser die silberne Brosche an jemanden anderen abgeben könne, solange er mit Madame Maxime zusammen sei. Julius war zwar bereit, Antoine oder Robert die Brosche abzutreten, doch Madame Maxime und Professeur Faucon lehnten das kategorisch ab.

"Madame Rossignol hat zwar atestiert, daß er wegen der Therapie erst einmal seine eigene Selbstbeherrschung wieder aufbauen muß und bis zum Mai bei Madame Maxime bleiben soll. Aber was seine Verantwortung als Saalsprecher angeht, so ist er zum einen ja nur Stellvertreter. Zum anderen kann er die Angelegenheiten des grünen Saales trotzdem noch vertreten", erwiderte Professeur Faucon. Giscard fragte dann zwar, wie genau, worauf Madame Maxime ihn ansah und antwortete: "Indem anstehende Angelegenheiten direkt zwischen ihm und mir besprochen werden können. Abgesehen davon können Sie alle Eulen verschicken. Wenn ich einen Saalsprecher benenne, Stellvertreter oder hauptamtlich, so ist die Zuerkennung solange gültig, bis der Saalsprecher ehrenvoll oder unehrenvoll von der Akademie verabschiedet wird oder das in ihn oder sie gesetzte Vertrauen des Schulleiters nicht mehr gerechtfertigt. Es gab in der langen und vielfältigen Geschichte von Beauxbatons Fälle, wo ein hauptamtlicher Saalsprecher drei Monate ausfiel. Sein Stellvertreter übernahm zwar die goldene Brosche, mußte seine silberne Brosche jedoch keinem Mitschüler überlassen. Als der hauptamtliche Saalsprecher zurückkehrte erhielt dieser die goldene Brosche zurück. Auch während des trimagischen Turnieres blieben die mitgereisten Saalsprecher im Amt, auch wenn ihre Stellvertreter die Hauptverantwortung übernahmen." Julius erinnerte sich, daß er die goldene Brosche bei Barbara, Fleur und Adrian nicht gesehen hatte, auch als sie nach Beauxbatons zurückgekehrt waren. Das sprach er an.

"Die Broschen sind zwar immer am Körper mitzuführen, bei Austauschschülern müssen sie jedoch nicht sichtbar sein. Sie dabei zu haben ist allein wichtig", erwähnte Madame maxime. Julius nickte. Vielleicht sollte er nächstes Jahr mal ein Austauschjahr in Thorntails machen, falls Hogwarts nicht doch durch irgendwas oder irgendwen von diesen Carrows und dem Hakennaserich Snape befreit wurde. Das sagte er aber nicht laut.

"Jedenfalls kann er definitiv nicht unmittelbar in die Geschicke seines Saales eingreifen", wandte Bernadette ein. Corinne und Deborah sahen das jedoch anders, ebenso Sandrine, Yvonne und Giscard. Céline und Belisama, sowie die vier aus dem violetten Saal schwiegen. Brunhilde meinte dann noch, daß es für den Stellvertreter des Stellvertreters schweerer sein würde, sich für zwei weitere Monate in diese Rolle einzuarbeiten als wenn so lange kein Stellvertreter benannt würde. Das wäre zwar für Giscard schwieriger, aber Saalsprecherinnen dürften im Bedarfsfall auch Jungen Anweisungen erteilen. Das mußte Céline Dornier einsehen. Es deckte sich auch mit dem, was Julius immer mal wieder von Barbara van Heldern geborene Lumière und seiner Schwägerin Martine gehört hatte. Damit war das Thema auch schon durch. Bernadette wandte dann noch ein, daß die beiden Latierre-Zwillinge versucht hatten, Professeur Fourmier zu verärgern, weil sie vor die Tür zum Magizoologieklassenraum einen großen Wandschrank mit großen steinen drin hingestellt hatten. Julius mußte grinsen. Das hatte er am letzten Nachmittag gehört, als er Madame Maxime gerade den Fluchumkehrzauber erklärte. Die neue Zaubertierlehrerin hatte den klobigen Schrank mal eben eingeschrumpft und anderswo hingezaubert, um ihre Klasse in den Raum zu lassen. "Jemand hat rumgehen lassen, daß Professeur Fourmier ultrakräftige, magische Armprothesen besitzen solle, mit denen sie pro arm mehr als eine Tonne Last bewegen kann", sagte Bernadette. Sandrine nickte und sah den Goldbroschenträger der Blauen an. Dieser erwiderte darauf:

"Das war bei uns auch einer. Jacques Lumière hat das rumposaunt, daß Professeur Fourmier künstliche Gliedmaßen hat und damit superstark sein soll. Ich habe ihn angehalten, das nicht rumzuerzählen, weil es entweder nicht stimmt oder Professeur Fourmier nicht möchte, daß das jeder weiß."

"Sag das bitte auch mal Caroline", meinte Brunhilde. "Die hat uns Mädchen alle gefragt, ob wir nicht auch so schicke Silberarme und Beine haben wollen. Dann wären wir stärker als die Latierre-Mädchen."

"Haben Sie den betreffenden Schülerinnen und Schülern Strafpunkte ausgesprochen?" Fragte Madame Maxime.

"Zehn für Mademoiselle Renard", sagte Brunhilde. Bernadette grinste überheblich und meinte herablassend, daß sie der bestimmt das dreifache gegeben hätte. Darauf bekam sie selbst zwanzig Strafpunkte wegen Anmaßung und unerbetenen Sprechens. Das brachte sie vom grinsen ab.

"Es verhält sich wirklich so, daß Professeur Fourmier im Auftrag für das Zaubereiministerium beide Arme und Beine verlor und seitdem mit magischen Prothesen versehen ist, über deren Natur sie jedoch nicht öffentlich diskutieren möchte. Deshalb teilen Sie alle, die sie indiskrete Mitbewohner aus Millemerveilles betreuen, diesen jungen Damen und Herren bitte mit, daß Professeur Fourmier keine Kuriosität ist, über die man sich den Mund zerreißt oder die man veralbern oder provozieren darf, egal wodurch! Sie ist eine vollwertige Lehrerin und hat daher den vollen Anspruch auf den Respekt und die Autorität, die jedem Lehrer und jeder Lehrerin zustehen. Jede wie auch immer motivierte Diskussion oder Aktion, die ihre magischen Körperteile betrifft hat zu unterbleiben. Ansonsten haben Sie die Erlaubnis, die Summe der üblichen Strafpunkte wegen Respektlosigkeit zu verdreifachen, bis es bei allen sitzt. Das gilt dann auch für abwertende oder entwürdigende Reden und Handlungen gegen alle anderen Lehrer, mich eingeschlossen", sagte Madame Maxime. Alle Saalsprecher einschließlich Julius seufzten nur. Da würden bei einigen Schülern wohl bald Minuszeichen vor der Bonuspunktesumme auftauchen, wenn diese Maßnahme echt durchgedrückt wurde. Doch sonst wagte niemand, dagegen Einspruch zu erheben. Julius befand, es seiner Frau am Abend besser gleich zu mentiloquieren, daß die beiden Kraftküken nicht noch so'n Ding wie den Schrank voller Steine brachten. Die hatten wohl gehofft, die Lehrerin würde mal eben ihre Magobionischen Arme einsetzen und das Möbelstück wegtragen. Daß die immer noch zaubern und hexen konnte hatten die beiden nicht einkalkuliert.

Zu Julius' größter Befürchtung fragte Madame maxime die Saalsprecher noch aus, was die Mitschüler so über die erzwungene Verbindung zwischen ihr und Julius beredeten. Er mußte sich arg zusammennehmen, um nicht loszutoben oder wütend auf den Tisch einzudreschen. Es war wirklich so, daß einige Mädchen aus dem roten Saal hofften, er käme nach dem Mai über den Teppich und zu ihnen in den roten Saal, obwohl Millie ihre Position sehr gründlich verteidigte. Bei den Gelben ging herum, daß er wohl dauerhaft gefährlich bleiben würde, weil das Erlebnis mit den Schlangenkriegern ihn bestimmt total verändert hatte. Die Jungen des blauen Saales wetteten, ob Julius nicht doch bei Madame Maxime im Bett landen würde, und die Violetten schätzten, daß Julius nicht mehr so weiterlernen würde wie vorher. Corinne meinte am Ende dieser Berichte: "Also die Jungen bei uns haben Angst, auch wenn sie das nicht zugeben würden. Deshalb kommen die auf solche albernen Ideen."

"Ja, und Mademoiselle Renard hat Madame Latierre schon fast zu einem Duell provoziert, weil die meinte, Julius müsse sich von ihr scheiden lassen, um weiterhin mit Ihnen zusammenzuleben, natürlich außerhalb von Beauxbatons, um die bestehenden Regeln nicht auszuhebeln. Aber komischerweise findet Madame Latierre, daß sie keine Sorgen zu haben braucht und ihr Angetrauter wieder zu ihr zurückgelassen wird."

"Was soll daran bitte komisch sein?" Fragten Madame Maxime und Julius fast in einem Atemzug. Bernadett blickte sie beide an. Dann meinte Julius auf ein Nicken Madame Maximes hin: "Ich weiß, daß es dir sehr recht wäre, wenn ich von Millie und Beauxbatons wegziehen müßte, Bernadette. Dann hättest du das Glück der einen nicht mehr zu ertragen und daß der andere sich bisher gut in den geforderten Lernstoff reingehangen hat. Dann sage ich dir was und hoffe, nicht zu laut oder vulgär zu klingen: Was Paare, ob verheiratet oder nur befreundet, füreinander empfinden und tun geht dich erst dann was an, wenn sie von dir bei Verstößen gegen bestehende Schulregeln erwischt werden. Was diese unsinnige Konkurrenz zwischen dir, damals Waltraud und immer noch mir angeht, Bernadette, so finde ich die total kindisch. Als wenn's im Leben nur auf Supernoten ankäme. Keinem macht das Spaß, in einer Ellenbogengesellschaft rumgeschubst zu werden und nur aus Frust, andauernd angerempelt und wegestoßen zu werden zurückzurempeln und zu stoßen. Wenn dir das Spaß macht, dann geh besser mal zu Madame Rossignol! So'n Verhalten ist ziemlich krank. Ich lerne, weil ich Sachen wissen und können will, nicht weil ich damit wem anderen Butter vom Brot oder die Sonne wegnehmen will. Wenn du so'ne Einstellung hast, wunder dich nicht, wenn du nie richtig Spaß im Leben kriegst! Ich weiß das noch wie heute, was du mir damals auf Claires Beerdigung um die Ohren gehauen hast, daß ich ja jetzt wieder viel Zeit zum lernen hätte. Das war unverschämt und bleibt unverschämt, Mademoiselle Lavalette. Mehr sage ich nicht dazu." Die Blauen, Roten und Gelben im Konferenzraum starrten Julius und dann Bernadette an, die unschuldsvoll zurückstarrte und dann verächtlich grinste, als könne sie Julius' Standpauke damit einfach wegscheuchen. Brunhilde grinste auch, aber nicht verächtlich, sondern erfreut, weil Julius der Streberin da gerade die Meinung gegeigt hatte. Belisama sagte dann noch:

"Ich denke, Mademoiselle Lavalette, Sie sollten sich überlegen, mit wem Sie im Leben gut oder schlecht auskommen und nicht, welchen Abschluß Sie machen können."

"Das hast du gerade nötig, mir sowas zu sagen", schnarrte Bernadette Belisama an. "Hast doch selbst gemerkt, daß der Typ nicht einen Knut wert war. Ich bin ja froh, meinen Kopf noch früh genug klargekriegt zu haben, bevor ich mich vielleicht mit einem Monsterbrütigen zusammengetan hätte."

"Mesdemoiselles, es ist genug jetzt", schnarrte Madame Maxime, während Julius den Wutvulkan wieder in sich grollen fühlte, weil Bernadette die Kiste mit Hercules aufgemacht hatte. Andererseits zeigte diese unerträgliche Junghexe damit, daß es ihr nicht egal gewesen war, daß ihr Ex sich eine andere gesucht hatte, die wohl eher aus Frust, weil sie nicht den kriegen konnte, den sie haben wollte, und aus gemeinsamer Abneigung gegen Mädchen aus dem roten Saal mit ihm gehen wollte. Belisama hatte ihre Augen niedergeschlagen. Madame Maxime sprach nun weiter: "Es ist schon richtig, daß in der Akademie von Beauxbatons jeder danach beurteilt wird, was er oder sie im Unterricht erreichen kann. Es ist auch richtig, daß hier sehr viel Wert auf Fleiß und Einsatzbereitschaft gelegt wird. Ich muß Ihnen in dem Punkt widersprechen, Monsieur Latierre, was die Ausagekraft der vergebenen Noten angeht. Viele Institutionen bewerten die erreichten Ziele und das Leistungsvermögen anhand der vergebenen Schulnoten. Daher sollte es jedem hier überlassen sein, ob er oder sie auf eine optimale Benotung hinarbeitet oder seine geistigen und zeitlichen Ressourcen anders einteilt. Wo ich Ihnen jedoch zustimme, Mademoiselle Lagrange, das ist der Punkt des Miteinanders. Niemand vergönnt hier jemanden einen hervorragenden Abschluß, solange er oder sie sich kameradschaftlich und umgänglich beträgt und deutlich zeigt, die Mitschüler zu achten wie sich selbst. Sie tun dies leider nicht im gebotenen Maße, Mademoiselle Lavalette. Warum ich Sie trotz dieser charakterlichen Einschränkung als stellvertretende Saalsprecherin ernannt habe liegt einzig daran, daß Sie die gebotene Disziplin und das Verantwortungsgefühl mitbringen, daß dieser Würde angemessen ist. Sie haben jedoch gehört, daß ich sagte, woran die Benennung und Abberufung eines Saalsprechers gekoppelt ist. Dies dürfen Sie als unverbindliche Ermahnung mitnehmen, daß ich durchaus neu darüber nachdenken kann, wer wann und wie mein Vertrauen gerechtfertigt oder nicht. Also benehmen Sie sich bitte anständig und Ihrer zuerkannten Rangstellung würdig!" Bernadette überlegte wohl, was sie darauf antworten sollte und schwieg besser. Es ging dann nur noch um das weitere Schuljahr, daß wegen der ausfallenden Osterferien nun stracks bis Ende Juni laufen würde. Giscard fragte Madame Maxime, wie das mit Julius gehandhabt würde. Dieser verzog zwar das Gesicht und glotzte den Kollegen mit der Goldbrosche verärgert an. Doch Madame Maxime erwähnte klipp und klar, daß sie dafür Sorge trug, daß er nicht hinter das gebotene Pensum zurückfiel, zumal er im letzten Schuljahr bereits unter ZAG-Bedingungen geprüft wurde und dieses Nieveau sehr sicher von ihr aufrechterhalten würde. "Somit wird Ihr Mitschüler, wenn Madame Rossignol bestätigt, daß er wieder außerhalb meiner unmittelbaren Nähe weiterleben und -lernen darf, die ZAG-Prüfungen wie seine Jahrgangsstufenkameraden bestehen. Und er würde sich grob undankbar mir und der Akademie gegenüber erweisen, wenn er in diesen Prüfungen auch nur ein Fach unterhalb Akzeptabel belegen sollte. Mehr gibt es nicht mehr zu diesem Punkt zu erwähnen." Julius fühlte wieder einen Schub an Ärger. Dieses übergroße Frauenzimmer da meinte hier und vor allen anderen, daß er das der Akademie schuldig sei, daß er alle Prüfungen mit mindestens Akzeptabel hinbekam. Die hatten ihm doch zu danken, daß die Schlangenkrieger überhaupt abgewehrt wurden. Wegen unter anderem ihm und Millie konnten sie alle überhaupt rechtzeitig abhauen, als die Schlangenkrieger kamen. Ja, sie wären bis dahin längst verhungert, wenn Julius nicht mitgeholfen hätte, die Säulen der Gründer zu öffnen. Wer hatte da wem zu danken? An und für sich sollte ihm Beauxbatons die Prüfungsergebnisse vom letzten Jahr als gültige ZAGs anerkennen und ihn in Ruhe auf die UTZs hinlernen lassen, anstatt ihm vorzuhalten, wie dankbar er sein müsse. Sicher, daß er noch eigenständig rumlief und sein natürliches Aussehen besaß mußte er wohl Madame Maxime verdanken, weil die die Wolkenhüter gerufen und ihr Blut in ihn reingeschossen hatte. Aber die Akademie? Das war zwar ziemlich überheblich gedacht, aber die stand doch echt nur, weil er sich hatte beknien lassen, diesen Lotsenstein zu benutzen, den überhaupt zu finden, deshalb auf seine Verlobte Claire zu verzichten und und und. Aber weil das ja alles so streng geheim war, konnte die Akademie ihm ja nicht einfach auf die Schultern klopfen und ihm sagen, daß er das gut gemacht hatte, daß sie ihm zu Dank verpflichtet wären und ihm nebenbei noch einen Orden für großartige oder außergewöhnliche Verdienste umhängen. Bernadettes blödes Grinsen heizte seinen Wutvulkan noch mehr an. Gleich würde der wieder losbrechen. Wehe denen, die nicht weit genug von ihm fortstanden oder saßen! Doch Professeur Faucon fing seine ansteigende Verärgerung ab, als sie sagte:

"Wir alle hier sollten uns glücklich und froh schätzen, daß Monsieur Latierre mitgeholfen hat, daß wir nicht verhungern mußten und daß alle aus dem grünen Saal und den anderen rechtzeitig evakuiert werden konnten. Denn wir dürfen nicht vergessen, daß es Monsieur Latierre war, der uns früh genug vor dem Angriff gewarnt hat. Insofern beruht die Dankbarkeit wohl auf Gegenseitigkeit." Corinne nickte, ebenso Yvonne, Céline, Sandrine, Belisama, Giscard und alle Saalsprecher der weißen und Violetten. "Und ich bin überzeugt, daß Monsieur Latierre dieses Glück, an dem er ja genauso teilhat wie wir, würdigen und wie alle anderen ZAG- und UTZ-Kandidaten die für ihn bestmöglichen Prüfungsergebnisse herausarbeiten möchte, ohne sich dauernd fragen zu müssen, wem außer sich selbst er zu solchen Ergebnissen verpflichtet ist." Madame Maxime funkelte Professeur Faucon zwar mit ihren schwarzen Augen an. Doch sie erhob keinen Einspruch oder tadelte die Stellvertreterin, weil diese ihre Worte uminterpretierte. So sagte die Schulleiterin nur noch:

"Wie Sie hören schätzen Professeur Faucon und ich die Situation für Monsieur Latierre sehr zuversichtlich ein. Das mag Ihnen allen genügen und jedem, der Sie alle wegen dieser Frage ansprechen mag. Damit beschließe ich die heutige Saalsprecherkonferenz. Ich wünsche Ihnen und Ihren Mitschülerinnen und Mitschülern noch ein erholsames Wochenende." Das war für alle das Zeichen, artig im Chor zurückzugrüßen und den Konferenzraum zu verlassen. Nur Corinne Duisenberg ließ sich zurückfallen. Als alle anderen durch das Bildertor in die allgemeinen Bereiche zurückgeschlüpft waren, wandte sie sich an Professeur Faucon und Madame Maxime, wobei sie Julius freundlich ansah, der versuchte, seine Gefühlsschwingungen occlumentisch abzuschotten. "Verzeihen Sie mir bitte, daß ich nicht so zügig Ihre Räumlichkeiten verlassen habe, Madame Maxime. Ich möchte lediglich einen Vorschlag machen, der nicht für alle Saalsprecher und Mitschüler bestimmt ist. Ich beziehe mich dabei auf das, was ich auf Grund meiner besonderen Eigenschaft mitbekommen durfte, konnte oder mußte, ganz wie Sie es sehen möchten." Julius starrte sie verdrossen an. Sicher sah sie jetzt das rote Warnlicht in seinem Kopf, daß es jeden Moment knallen konnte. Madame Maxime nickte jedoch und winkte Corinne, noch einmal mit ihr, Professeur Faucon und Julius in das Konferenzzimmer zurückzukehren. Als sie saßen sprach die kleine, runde Saalsprecherin der Blauen ihren Vorschlag aus, der eigentlich nicht ihr alleiniger Vorschlag war.

"Ich habe mit meiner Tante Patrice und ihrer Pflegehelferkameradin Mildrid darüber gesprochen, daß du, Julius, wesentlich leichter mit diesem Gefühlsfeuerwerk zurechtkommen kannst, wenn du ein Erinnerungstagebuch führst. Ich habe das angefangen, als ich merkte, wie heftig das ist, von hunderten von Leuten umgeben zu sein, deren Gefühle ich alle mitbekam. Meine Urgroßmutter Celestine kann auch, was ich kann. Sie meinte, daß ihr das unheimlich geholfen hat, ihre wildesten Erinnerungen auszulagern und immer mal wieder in anderen Stimmungen anzusehen. Das kann helfen, die Empfindungen dafür auf ein für einen selbst erträgliches Maß zu verkleinern, ohne gleich mit jemandem darüber reden zu müssen und sich damit auszuliefern. Abgesehen davon mußte ich ja auch lernen, meine eigenen Gefühle von denen der anderen zu unterscheiden und mich gegen überstarke Empfindungen zu wehren. Ich gehe davon aus, daß Professeur Fixus ein ähnliches Problem hatte."

"Sie schlagen Vor, daß Monsieur Latierre seine emotionalsten Erinnerungen extrahiert, jedoch nicht so, daß er sie nicht wieder abrufen kann, sondern so, daß er sie quasi von außen betrachten kann?" Fragte Professeur Faucon. Corinne nickte. Julius erkannte, daß dieses kugelrunde Mädchen da nicht einmal unrecht hatte. Die hatte von Geburt an diese Gabe, Gefühle anderer zu erfassen. Das war für ein Kind bestimmt so heftig wie dieses Gefühlschaos in seinem Kopf jetzt. Ausschlaggebend war für ihn jedoch die Erwähnung, daß sie lernen mußte, sich gegen die Gefühle anderer zu wehren, sie nicht als eigene Gefühle zu sehen. Das war ganz bestimmt nicht einfach. Madame Maxime erwiderte darauf noch:

"Ich bin mir der Lage, in der Monsieur Latierre jetzt steckt durchaus bewußt, Mademoiselle Duisenberg und werde ihm helfen, so gut es geht, damit zu leben und seine eigene Beherrschung wiederzufinden."

"Nichts für ungut, Madame Maxime, aber mit der Bemerkung von der der Akademie geschuldeten Dankbarkeit haben Sie eher das Gegenteil erreicht", widersprach Corinne ungeachtet, ob sie damit Strafpunkte kassierte oder nur aus dem Raum geschickt würde. Professeur Faucon sah Madame Maxime sehr erwartungsvoll an. Julius war darauf gefaßt, gleich ein Donnerwetter mitzuerleben. Doch Madame Maxime straffte sich und sagte ganz ruhig:

"Ich habe diese beinahe theatralisch anmutende Aussage gemacht, um zu sehen, wie die anderen auf Monsieur Latierre reagieren und ob er dieser Belastung standhalten kann. Da er es geschafft hat, sich nicht von seinem ganz sicher empfundenen Ärger hinreißen zu lassen, fiel dieser Versuch für uns alle positiv aus."

"Sie wollten also wissen, ob Monsieur Latierre ausfällig wird oder nicht", knurrte Corinne unstatthaft. Professeur Faucon wiegte den Kopf. Julius sah die Schulleiterin an und versuchte, sie mit seinen Blicken zu durchbohren. Doch sie hielt ihm stand und fuhr ganz ruhig fort:

"Sie werden es auf Ihre individuelle Weise erfaßt haben, daß die Stimmung der anderen Saalsprecher zwischen Ablehnung und Faszination schwankte. Die Unfeinheiten, die sich Mademoiselle Lavalette herausnahm schürten diese polarisierte Stimmungslage." Corinne nickte heftig. "Ich mußte etwas sagen, was Monsieur Latierre und Sie alle wieder in Einklang bringt, auch wenn ich bewußt darauf hingearbeitet habe, daß er dabei seine Selbstbeherrschung verliert und mich oder sonst wen hier tätlich oder magisch anzugreifen versuchte. Der Gedanke, daß Ihr Mitschüler von mir und den anderen Lehrern für fähig genug erachtet wird, die ZAG-Prüfungen zu bestehen, ja sie so gut es geht zu absolvieren, sollte jenen, die ihn wegen der gegenwärtigen Lage bedauern oder verachten zeigen, daß er immer noch ein Schüler von Beauxbatons ist und kein Sonderfall der magischen Heilkunst, selbst wenn er es de Facto unbestreitbar ist. als der von mir billigend in Kauf genommene Wutanfall ausblieb, zumal Professeur Faucon seinen zorn wohl gut genug abkühlte, haben Sie alle es mitbekommen können, daß er kein Ungeheuer und kein armseliges, seinen Gefühlen ausgeliefertes Geschöpf ist, was ihn wieder in Ihre Reihen zurückgebracht hat. Ich erkenne jedoch Ihre unbestreitbare Kompetenz im Umgang mit ungewollten Gefühlsregungen an, Mademoiselle Duisenberg. Bitte richten Sie Ihrer Tante Patrice und Madame Latierre aus, daß ich den von Ihnen dreien vorgebrachten Vorschlag prüfen und gegebenenfalls umsetzen werde!" Corinne nickte und bedankte sich für die Zeit, die Madame Maxime ihr gewidmet hatte. Dann sagte sie noch zu Julius:

"Ich weiß, daß das gerade ziemlich fies von uns ist, über dich so zu reden wie über ein Kind in der Wiege. Aber ich kriege es mit, daß du dich sehr heftig dagegen wehren mußt, dich von deinen Gefühlen rumschubsen zu lassen. Deshalb habe ich das jetzt vorgeschlagen, damit du nicht meinst, alles einfach gefühlte sei was schlimmes oder feindliches. Als Saalsprecherin und eine, die Gefühle anderer mitkriegen kann, die nicht zumachen können, fand ich das jetzt richtig, nicht um dich zu ärgern oder kleinzumachen."

"Zwar habe ich mal gelernt, daß gut gemeint längst nicht gut getan ist, Corinne. Aber böse bin ich dir jedenfalls nicht, daß du mit meiner Frau und Patrice drüber gesprochen hast. Millie kriegt ja meine ganzen Sachen mit. Da will sie ja doch irgendwie von einer, die das auch kann wissen, wie sie damit richtig umgehen kann, um mir zu helfen."

"Ich treffe mich gleich mit ihr und Patrice. Soll ich ihr Grüße ausrichten?"

"Ja, bitte. Sage ihr, daß ich dich diesmal nicht mit den Augen ausgezogen habe", erwiderte Julius in einem Anflug von derbem Humor. Corinne lachte vergnügt, während Madame Maxime sich räusperte und Professeur Faucon Julius tadelnd ansah. Dann verließ Corinne den Schulleiterinnenbereich. Professeur Faucon sagte dann noch:

"Wäre eine Hausaufgabe, Monsieur Latierre. Lernen Sie, Ihre Erinnerungen zu extrahieren und zwar so, daß Sie sie sowohl im Kopf als auch außerhalb nachbetrachten können!"

"Sie haben damals ein Denkarium benutzt, Professeur Faucon. Ich weiß, daß es hier aufbewahrt wird. Aber das darf ich doch nicht benutzen, weil das für die Schulleiter reserviert ist und ich nicht weiß, wie ich mein eigenes bauen kann."

"Oh, noch eine sehr nützliche Aufgabe. Bauen Sie uns bis zu Ihrer Rückkehr in Ihren Wohnsaal ein funktionsfähiges Denkarium nach!" Sagte Madame Maxime. "Die Kenntnisse dafür entnehmen Sie den Büchern "Verstofflichte Erinnerung" und "Außergewöhnliche Artefakte", die für UTZ-Kandidaten in der Bibliothek ausliegen!"

"So'n Denkarium kriege ich in zwei Monaten nicht hin. Die ganzen Runen und wie sie zu bezaubern sind dauert bestimmt ein halbes Jahr, wenn das Ding was taugen soll. Und das mit den Erinnerungen ist mir irgendwie ziemlich riskant. Wenn ich dabei was aus meinem Kopf lösche und nicht mehr zurückholen kann habe ich bestimmt eine Menge Probleme am Hals."

"Deshalb sollen Sie es ja langsam erlernen. Und was das Denkarium angeht, so ist das nicht alleine eine Frage der richtigen Runen, sondern des Materials, das bezaubert werden und mit Erinnerungen aufgefüllt werden soll", sagte Professeur Faucon. "Sie haben natürlich recht, daß ein derartiges Artefakt nicht an einem Tag hergestellt werden kann. ein Denkarium muß von ein und demselben Zauberer oder derselben Hexe erschaffen werden, der oder die die erste dort aufzuhebende Erinnerung einfüllt. Insofern gilt es, erst die Memorextraktion zu erlernen und dann die nötigen Fertigungsschritte und Bezauberungen für ein funktionsfähiges Denkarium zu studieren und anzuwenden."

"Und wer bekommt es, wenn es mir gelingt, es wirklich zu bauen und zu aktivieren?" Fragte Julius die beiden höchsten Hexen von Beauxbatons.

"Wenn Sie es schaffen, eines zu erschaffen, ist es ihr materiell gewordenes Verdienst, Ausdruck von Arbeitskraft, Lerneifer und schöpferischem Geist und daher Ihr persönliches Eigentum, wenn wir wissen, daß es seinen Verwendungszweck erfüllt", sagte Madame Maxime. Professeur Faucon nickte. Julius erfaßte jetzt erst, was die beiden ihm da aufdrückten. Er sollte ein Projekt durchführen, daß bestimmt eine Menge Zeit und Aufmerksamkeit kostete. Dabei würde er nicht nur was neues erlernen und was besonderes nachbauen, sondern bei der Gelegenheit auch rauskriegen, wie er sich am besten auf die Arbeit konzentrieren und störende Gedanken verdrängen konnte. Er erkannte, daß die beiden Corinnes Vorschlag mit weit offenen Armen begrüßt hatten und wohl bis jetzt nicht gewußt hatten, wie sie ihn richtig fordern konnten, außer die ZAG-Sachen zu vertiefen und die ersten UTZ-Sachen einzuüben. Er versprach, dieses Projekt durchzuführen, allein schon, weil es ihn interessierte, wie so ein Denkarium gemacht wurde. Wie gut es dann funktionierte wußte er schon aus diversen Ausflügen in die Erinnerungen anderer Leute.

 

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Den Sonntag verbrachten Madame Maxime und Julius bei den Abraxarieten, den elefantengroßen, geflügelten Pferden, die das goldene Fell von Palominos besaßen. Die Leitstute Cleopatra spielte mit ihrem nun bald ein Jahr altem Fohlen. So nahmen sie zum Fliegen die etwas jüngere Stute Aquitaine, die vor vier Jahren ihr drittes Fohlen geworfen hatte und im Juni wohl die nächste Rosse erreichte. "Sie werden aller Sicherheit nach die Walpurgisnacht hinter mir im Sattel dieser Stute zubringen, Monsieur Latierre. Insofern ist es schon sehr vorteilhaft, daß wir beide uns mit ihr und sie mit uns vertraut machen, da sie lange nicht mehr zum Ausritt an Walpurgis herangezogen wurde", sagte Madame Maxime. Julius nickte. Die Nähe dieses Riesenpferdes bereitete ihm zwar ein gewisses Unbehagen. Doch wenn er an Temmie dachte, die wesentlich größer war als dieses Prachtmädel mit dem goldenen Fell, verdrängte er dieses Unbehagen wieder. Er fand es irgendwie lustig, wenn das geflügelte Pferd puren Whiskey aus einem Trog soff. Das erinnerte Julius an ein Westernlied, wo die Cowboys besangen, daß sie ihren Pferden das Wasser nicht wegtrinken wollten und deshalb ihren Whiskey unverdünnt schluckten. Hier müßte das genau anders herum gesungen werden. Aber welcher Cowboy würde zugeben, nur Wasser zu trinken. Keiner würde ihn für voll nehmen, daß sein Pferd an die Bar ging, um irisches und schottisches Lebenswasser wegzusaufen. Die Vorstellung wiederum erinnerte ihn an einen Witz, wo ein Pferd an die Bar kam und was zu trinken bestellte und der Barmann es so heftig zur Kasse bat und danach sagte, er habe noch nie ein Pferd an seiner Bar gesehen, worauf das Pferd erwiderte, daß das bei den Preisen auch kein Wunder sei. Als er diesen Witz seiner derzeitigen Zimmergenossin erzählte mußte diese Lachen. Das geflügelte Pferd empfand diese Regung wohl als Aufmunterung, richtig loszupreschen und mit den beiden bis hinauf in die Wolken zu steigen. Julius kannte das auch schon, in einer Wolke dahinzufliegen.

"Ou, jetzt wird's naß", sagte er, als das fliegende Pferd voll in eine dicke, graue Wolke hineinstieß. Madame Maxime ließ der Stute dieses Vergnügen. Diese wieherte jedoch leicht ungehalten, als sie klatschnaß wurde und stürzte sich schnell wieder aus der kalten Wasserdampfansammlung heraus. Die Flügel wollten erst nicht so richtig. Doch dann bekam das Abraxas-Pferd sie wieder unter Kontrolle.

"Wo geht's eigentlich hin?" Fragte Julius, der sich hinter Madame Maxime doch sehr klein vorkam und die wegen des breiten Pferderückens fast bis zum Anschlag gespreizten Beine langsam schmerzen fühlte.

"Wir machen nur einen Rundflug über das Umland und kehren dann zurück nach Beauxbatons", sagte die Schulleiterin und bemühte sich, das riesige Reittier in die gewünschten Richtungen zu lenken. Dieses bockte zwischendurch, wenn ihm die Zügel und die Trense zu arg im Maul wehtaten. Doch es konnte die beiden durch Gurte am Sattel gesicherten Reiter nicht abwerfen und fügte sich nach einer Weile. Julius war froh, daß das Wetter endlich wieder schön war und sie nicht wie die Sonntage zuvor im Palast herumhängen mußten. Als sie dann nach etwa zwei Stunden wieder landeten und von dem Riesenzossen herunterglitten, fühlte Julius seine Beine wie aus Holz. Im Schritt tat ihm seltsamerweise nichts weh. Der Sattel war also mit Polsterungszauber versehen.

Am Abend musizierten die beiden wieder. Julius hatte sich überlegt, der Schulleiterin die ihren ohren angenehmeren Lieder aus seiner Kindheit beizubringen. So kamen sie auch zu Mike Oldfields Lied über die schottische Königin Maria Stuart, die vergeblich versuchte, zu ihren Verwandten nach Frankreich zu flüchten.

"Wenn sie wollen, können Ihre Landsleute aus der Muggelwelt schon ansprechende Musik und Texte komponieren", meinte Madame Maxime, nachdem sie die Begleitmelodie so weit es an einem Abend ging nachspielen konnte. Julius nickte dazu nur.

 

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Der einundzwanzigste März näherte sich. Julius hatte es inzwischen heraus, die Runen für ein Denkarium nachzuzeichnen, nachdem er aus seinen Runenwörterbüchern die entsprechenden Bedeutungen gelernt hatte und an Madame maximes Denkarium nachvollziehen konnte, wie diese Zauberzeichen richtig gruppiert werden mußten. "Ein Denkarium", dozierte die Schulleiterin, "besteht aus einem einzigen Stück Granit, dem härtesten Nicht-Edelstein der Erde. Die Erkenntnisse der auf die Elemente bezogenen Zauberkunst sprechen deutlich dafür, daß zur dauerhaften, über mehr als zweihundert Jahre möglichen Aufbewahrung von Erinnerungen kein besseres Naturmaterial gefunden wurde. Es gilt als Hybrid der lebendigen, wandlungsfähigen und verändernden Elementarkraft Feuer und der bewahrenden, dauerhaft festen Elementargewalt Erde. Granit wurde als Gedächtnis der Erde bezeichnet und befindet sich, was auch die Muggel wissen, in sehr tiefen Schichten der festen Erdkruste."

"Wieso kann ein Denkarium unendlich viel Erinnerungen aufnehmen?" Fragte Julius, der dies in den empfohlenen Büchern gelesen hatte, jedoch ohne eine genaue Erklärung dafür zu bekommen.

"Weil die fluidisierte Erinnerung sich beliebig verdichten und ausdehnen, verknüpfen und entwirren kann, je danach, wie Sie sie betrachten möchten. Für körperliche Berührungen ist sie zwar endlich und ätherisch, aber in sich ist sie unendlich kombinierbar, wie unsere Erinnerungen im Gehirn selbst. Sie haben mit den Extrahierten Erinnerungen einen halbstofflichen Abdruck Ihrer rein geistigen Errungenschaften. Diese sind beliebig miteinander verknüpfbar, immer im Fluß. Daher sind auch die in ein Denkarium übertragenen Erinnerungen immer im Fluß und durchdringen sich, was sie vom Raum entkoppelt. Hinzu kommt, daß durch die Aktivierung eines Denkariums ein flexibler Rauminhaltsvergrößerungszauber aufgebaut wird, der innerhalb des berunten Randes die physische Begrenzung übersteigt, also unbegrenzt aufgefüllt werden kann, während ein statischer Rauminhaltsvergrößerungszauber, wie Sie ihn ja schon erlernt haben, die inneren Abmessungen lediglich vervielfacht, aber doch eine Obergrenze einhält. Bei flüchtig wirkenden Essenzen wie extrahierten Erinnerungen, potenziert sich das verfügbare Raumangebot, daß ein Denkarium, daß nach allen Regeln korrekt erschaffen und aktiviert wurde, die gesamten Lebenserfahrungen von mehr als tausend Menschen fassen und halten kann." Julius verstand. Dann meinte Madame Maxime: "Wie Sie wissen begehe ich morgen meinen siebenundsiebzigsten Geburtstag. Ich pflege normalerweise keine große Feier daraus zu machen. Aber zum einen mußte ich immer zwischen großem Fest oder freier Zeit für mich selbst entscheiden, was im Moment nicht so einfach ist. Zum anderen sehe ich es als durchaus förderlich, wenn wir beide diesen Tag nicht wie jeden anderen verbringen, auch wenn Sie weiterhin die Ihnen aufgetragenen Übungen und Studien betreiben." Julius nickte.

In der Nacht vor dem Jubeltag träumte er von seinem elften Geburtstag. Gerade erzählte der von seinem Vater engagierte Nachhilfelehrer Mr. Russell, daß Julius durchaus mehr könne als er vorher gezeigt habe, es wohl aus Bequemlichkeit nicht auf gute Noten angelegt habe. Danach war Moira bei ihm gewesen. Er hatte ihr gegenüber nicht erwähnt, daß er in den letzten Tagen so merkwürdige Briefe erhalten hatte. Dann war er mit ihr in Richtung ihres Elternhauses gezogen, wo sie seine früheren Freunde Lester und Malcolm getroffen und sich mit ihnen unterhalten hatten. Er hatte denen von diesen Briefen aus Hogwarts erzählt, an das er damals nicht wirklich geglaubt hatte. Dann war da diese getigerte Katze aufgekreuzt, die schon am Nachmittag vor dem Fenster gehockt hatte. Später hatte er dann wie seine Eltern erfahren, daß es die Animagus-Gestalt von Professor McGonagall war. Als er gerade sah, wie Lester eine Knallerbse nach ihr werfen wollte, und er ihn "Flohsack, mach, das du Land gewinnst!" rufen hörte. Spürte er wieder dieses rhythmische Erdbeben, das er schon einmal verspürt hatte. Die Knallerbse fiel zu Boden und zersprang mit einem grellen Lichtblitz. Er hörte, wie Madame Maxime mit einer babyhaft quängelnden Stimme rief: "Julius, hilf mir hier raus!" Doch er sah nur das Licht vor sich, aus dem sich eine erhabene Erscheinung formte, eine Frauengestalt aus warmem, rotgoldenem Licht: Ammayamiria. Sie wuchs an, wurde größer als ein gewöhnlicher Mensch, lächelte Julius an, während eine Donnerwetterstimme, jedoch eindeutig Weiblich, brüllte: "Eh, du Bursche da. Herkommen, Guigui rausholen."

"Die kriegt die alleine raus. Wenn du der hilfst, bringt die dich dabei um", sagte Ammayamiria, doch jetzt mit der Stimme Aurélie Odins. "Komm lieber zu mir und leiste Camille gesellschaft, bevor ich sie raus in die Welt lasse!" Ihre Worte wirkten wie ein Zauber. Er verlor den Boden unter den Füßen und schwebte auf die nun haushohe Lichterscheinung zu, berührte sie und fühlte etwas wie ein Eintauchen in wohlig warmes Badewasser. Um ihn herum glühte es nun in einem warmen Rotton. Er hörte seinen Atem nachhallen und ein großes Herz schlagen. "Hallo Juju", hörte er eine Stimme, die er seit über anderthalb Jahren nicht mehr gehört hatte. Sie drang in ihn ein und machte ihn traurig, aber auch fröhlich. Dann sah er sie. Frei in diesem roten Licht schwebte eine aus sich heraus leuchtende Menschengestalt, nicht so wie Ammayamiria oder die offenbar von ihr abgetrennte Abbildung Aurélie Odins, sondern Camille Dusoleil, groß wie eine Erwachsene, aber von Gliedern und Kopf her eindeutig ein Baby. "Oma Aurélie hat mitgekriegt, daß du von dieser Riesin da gesucht wirst, Juju", hörte er Claires Stimme und erkannte Claires Gesicht in Camilles gerundetem Bauch wie in einer großen Glaskugel. Ihre Stimme klang jedoch ungefiltert zu ihm.

"Ey, Lichtweib. Rück den raus!" Schrie die Riesin, deren Stimme jetzt jedoch wie durch dicke, gepolsterte Wände drang.

"Krieg sie alleine raus, Ramante!" Hörte er Aurélies energische Antwort um sich herum hallen. "Der ist einer aus meiner Familie, geliebt von meiner Tochter und meiner Tochtertochter. Reicht es dir nicht, den armen Monsieur Moureau dazu gezwungen zu haben, dir dieses Würmchen da in den Schoß zu treiben? Reicht es dir nicht, ihn bei dieser von ihm nicht gewollten Paarung umgebracht zu haben? Verschwinde!"

"Du mir den da rausgeben. Der mir rausholen Guigui, sonst dich tothauen!" Brüllte die wütende Riesin. Er hörte noch Madame Maximes quängelig verzerrte Stimme: "Eh, wird eng hier. Hilfe!!!" Dann hörte ER ein leises Keuchen und dann lautes Röhren von der Riesin. Er fühlte, wie Aurélie sich bewegte, oder das, was irgendwie um ihn herum war. "Du sagst nix, Juju. Brauchst keine Angst zu haben. Oma Aurélie paßt auf dich auf."

"Camille?" Wandte sich Julius an den schwebenden Riesensäugling. "Mann, habe geschlafen", quängelte dieser zurück. "Huch, wie kommst du denn hier rein?"

"Weiß ich nicht", erwiderte Julius. "Oma Aurélie hat den zu uns beiden reingezogen, Maman", hörte er Claires Antwort. "Da ist 'ne ziemlich wütende Frau, die den haben wollte."

"Maman ist gut, wo die gesagt hat, daß ich heute auf die Welt komme", sagte das Riesenbaby. "Und du da drin bleib ruhig. Du kannst ja erst raus, wenn Jeanne draußen ist."

"Jeanne schläft und Denise und Chloé auch", hörte er Claire. "Die langweilen sich eh, weil du erst noch groß werden und Papa finden mußt, damit wir vier auch rauskommen. Aber Oma Aurélie hat gesagt, ich soll Juju sagen, daß wir immer noch auf den aufpassen und diese Ashtaria ihn ggrüßen läßt."

"Sie hätte dich fast zu sich geholt, als das Gift der Skyllianri dich fast ganz ergriffen hat", hörte er Aurélies Stimme, während das wütende Gebrüll der Riesin weit hinten zurückblieb. Aber weil du von Madame Maxime Blut in den Körper bekommen hast, hat sie dich dort gelassen. Wir wollten dich lieber zu uns holen. Doch Ashtaria sagte, daß die Macht, die dich an sich ziehen wollte, zu groß war, als daß wir dich hätten halten können. Aber es ging ja auch so."

"Warum seid ihr wieder getrennt?" Fragte Julius.

"Wir sind nicht getrennt. Durch dich und Camille sind Claire und ich immer noch verbunden. Und weil das so ist, kann sie als einzige meiner Enkeltöchter schon mit dir reden, obwohl ihre Mutter selbst noch geboren werden muß."

"Was wäre passiert, wenn ich dieser Riesin geholfen hätte?"

"Sie hätte dich machen lassen und dann aus übersteigerten Mutterinstinkten selbst mit angelegt, Julius. Du hättest dann saugen müssen, bis du nicht mehr könntest und wärest dann an ihrer Milch erstickt. Das wollen wir dann ja doch nicht", erwiderte Aurélie. Camille quängelte: "Red nicht von Milch. Kriege hunger."

"In sieben Stunden darfst du raus, Kleines", hörte er Aurélie. Julius fragte Claire, woher sie wisse, daß sie noch ein Schwesterchen kriegte.

"Bist echt Lustig, Julius. Bin doch hier drin und sehe die alle", lachte Claire. "Aber zu mir reinziehen kann ich dich nicht, weil Maman dann platzt und wir beide uns dann nie sehen würden."

"Russische Großmutter Matrioschka oder was?" Fragte Julius. Camille winkte ihm mit dem rechten Arm, der dick und kurz war. "Mach's dir bequem, Julius. Maman läßt mich erst in sieben Stunden raus."

"Ich bin aber nicht dein Bruder", sagte Julius. "Die kann mich nicht so rauslassen wie dich."

"Ist auch nicht mehr nötig, dich länger bei mir zu haben, Julius", hörte er Aurélies Stimme. Die alte Ramante ist weg. Sie muß die kleine allein gebären. Sie wird sie dann solange als Kind anlegen, bis ihre Brüste schlaff genug sind, daß sie keinen Druck mehr fühlt und die kleine dann irgendwo in den Bergen hinlegen und verschwinden, damit sie nicht doch noch einen Wutanfall kriegt und sie umbringt, weil sie sie sechzehn Monate und das halbe Jahr lang belastet hat."

"Holla, das ist mehr als bei Normalmenschen", sagte Julius.

"Ich wäre an und für sich schon für vorgestern fällig gewesen. Aber ich will im Frühling auf die Welt, wo die Blumen blühen", bekräftigte Camille, Während Julius erkannte, daß er sich gerade selbst wie ein Ungeborenes zusammenrollte, ohne daß ihm das im Rücken oder den Beinen wehtat. Jetzt merkte er auch, daß er wie Camille in diesem roten Licht leuchtete und splitternackt und babyhaft umgestaltet war.

"Ich weiß, Camille, daß du ein Frühlingsmädel sein willst. Heute ist Tagundnachtgleiche. Die willst du bestimmt schon richtig sehen", schnurrte Aurélies Stimme.

"Ähm, Das wird aber 'ne Enge Kiste, wenn ich solange hier abhängen soll", erwiderte Julius.

"meine Großmutter hat schon Drillinge bekommen, Claire, Èlysée und Lucine. Trotzdem hatte sie wenig umstandsbelastungen und eine sehr schmerzarme Niederkunft. Aber ich weiß, daß du kein Baby mehr sein willst, Julius. Deshalb nur noch so viel, bevor ich dich in das große Kinderbett werfe, in dem du neben Ramantes Tochter schlafen darfst."

"Mußt meinst du wohl, Aurélie", knurrte Julius.

"Darfst, Julius. Wäre Madame Rossignols Therapie nicht erfolgreich gewesen, hätte Ashtaria deine Seele aus dem vergifteten Leib gehoben und dich solange in sich selbst weitergetragen, bis eine ihr verwandte Hexe dich in ihrem Kind neu zur Welt hätte bringen können, vielleicht Jeanne, vielleicht Camille, Denise oder Chloé, vielleicht aber auch eine von denen, die noch in Camille drinstecken und vielleicht mal irgendwann geboren werden."

"Ey, Oma Aurélie, du hast gesagt, da sind nur die drei Mädchen", widersprach Claire so lautstark, daß die Hülle ihrer Mutter wild vibrierte.

"Ey, nicht so laut, mein Bauch", quängelte Camille.

"Ich habe nur gesagt, daß drei von den Schlafenden deine Schwestern werden, Claire. Aber da können noch Brüder und noch viele andere Schwestern sein, die du schlafen siehst. Uns beide wird es dann ja so nicht mehr auf der Welt geben, wenn Camille die kleine Chloé kriegt."

"Krieg du mich erst mal, bevor wir über die ganzen Kinder reden, die du und Claire in mir rumliegen seht", nölte Camille.

"Maul nicht rum, sonst werf ich dich in einem Muggelkrankenhaus raus und lass dich da", schnarrte Aurélie. Dann sagte sie zu Julius: "Wie erwähnt, bevor du in dein Kinderbett zurückdarfst, Julius, du brauchst keine Angst vor deinen Gefühlen zu haben. Du wirst dein eigenes Denkarium bauen. Verschließe es für alle, die deine Freunde sind mit Ashtarias Worten der Liebe, des Lebens und des Schutzes vor deinen Feinden! Dann kannst du alle deine Träume und Erinnerungen dort hineingeben, ohne daß eine dir feindlich gesinnte Person sie herausziehen oder sichtbar machen kann. Du mußt die Runen für Bewahrung und Versiegelung in einer fünffach gewundenen Spirale von außen nach innen unter den Boden des Denkariums eingravieren und diesen Zauber fünfmal sprechen, dabei jede Windung der Spirale mit deinem Zauberstab berührend, bevor du die gewöhnlichen Runen eingravierst und gemäß der Bauanleitung bezauberst. Am besten legst du die Erinnerung an deine und Millies Geburt an die unterste Stelle, womit es nur für die benutzbar wird, denen du vertraust und deine Liebe gewidmet hast. Jedem anderen werden dann nur jene Erinnerungen offenbart, die dir und deinen Lieben nicht schaden können."

"Ich weiß nicht, was bei Millies Geburt passiert ist", sagte Julius. "Ich kann ihr ja nicht einfach sowas aus dem Kopf ziehen, geschweige denn mir."

"kein Thema, wir holen euch beide zu uns, wenn ihr Tag wiederkommt", tönte Claire ganz lässig.

"Werdet ihr dann wieder eins sein?" Fragte Julius Camilles gläsernem Bauch und Aurélies ihn schützender Hülle zugewandt. "Werden wir", sagten beide. Dann erfaßte Julius ein sanfter Sog, der ihn forttrug. Er meinte noch, Aurélie ächzen zu hören und glaubte, daß sie sagte: "Ich weiß, daß ich dich in eine feindliche Welt zurückdrücke, Julius. Aber sie ist es wert, darin zu leben, wenn du immer genug Licht in dir hast und weitergibst." Dann fühlte er, wie er wieder durch warmen Widerstand stieß und fiel. Laut schreiend wie ein Neugeborenes landete er in jenem übergroßen Kinderbett, sah gerade noch Aurélies Körper über ihm hocken und dann übergangslos verschwinden. Er war wieder in Beauxbatons.

Genau in diesem Moment trällerten die Mariachis "Zum Geburtstag viel Glück", auf das die Gitarrenspieler und Fidler jedoch "Cumpleaños feliz" trällerten wie professionelle Operntenöre. Einen Moment lang dachte Julius, das sei seinetwegen. Doch dann erkannte er, daß er nur wieder einen dieser übernatürlichen Traumausflüge hinter sich hatte. Und er erkannte, daß heute nicht nur Madame Maxime ihren Geburtstag feiern durfte, sondern seine beinahe-Schwiegermutter Camille. Vierzig Jahre war das her, was er gerade in seltsamer Verfremdung im Traum fast miterlebt hatte. Er dachte an das, was er von Claire und Aurélie gehört hatte. Camilles erwartetes Kind würde wieder ein Mädchen? Chloé sollte sie heißen? Irgendwie schon eine unheimliche Vorstellung, echt in die Zukunft träumen zu können. Aber nein! Wenn Ammayamiria, die sich für diese Traumschau kurz in ihre Ursprungsseelen aufgetrennt hatte, die Familie Dusoleil überwachte, und Camille schon längst wußte, wem sie da demnächst einen Platz in der Welt geben würde - weil leben tat das Baby ja doch schon -, konnte Ammayamiria das natürlich wissen und ihm mal eben sagen. Also keine Zukunft, sondern nur eine abgedrehte Form von Hellseherei und Telepathie, der volle ESP-Trip.

"Muchisimas Gracias, Señores. Estoy despierta! Gracias!" Rief Madame Maxime. Die konnte wohl fließend spanisch, dachte Julius beeindruckt. Doch dann meldete sich sein Verstand, der bei dem sonstigen Gefühlschaos immer wieder darum kämpfte, den ihn haltenden Körper nicht wen anderen umbringen zu lassen. Die war doch alt genug, um hundert Sprachen gelernt zu haben, wo das in der Zaubererwelt so schön schnell ging. So begann er nun, auf Englisch zu singen. Sie erhob sich hinter dem mehr als zwei Meter hohen Wandschirm und bedankte sich bei ihm auf Französisch. "Sie dürfen froh sein, daß gesungene Lieder nicht unter die Sprachregelung fallen, Monsieur Latierre. Aber trotzdem vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Allerdings hörte ich gerade einen Schrei, als sei ich gerade eben neu geboren worden."

"Hups, das war ein Traum von mir, Madame. Hatte ein Treffen mit Ammayamiria. Die kennen Sie ja noch."

"Diese Entität ist mir immer noch sehr präsent", grummelte Madame Maxime. "Hat Sie Ihnen erzählt, warum sie, wo sie angeblich so überragende Macht hat, nicht gegen die Schlangenkrieger helfen konnte?" Julius schluckte. Hatte Madame Maxime etwa mitbekommen, was er geträumt hatte? Immerhin hatte er sie ja irgendwie mitgeträumt, und von Millie wußte er ja, daß ein gemeinsamer Traum kein dummes Zeug war, sondern unter gewissen Umständen passieren konnte.

"Sie möchte sich bei Ihnen bedanken, daß Sie mir helfen konnten. Sonst hätte mich ihre Urmutter aus dem Körper rausgezogen", sagte Julius. Er wußte, daß Madame Maxime seine Träume nicht weitererzählen konnte, wenn er das nicht wollte. "Dann hätte mich der Neotokograph wohl irgendwann als eines von Camilles oder deren Anverwandten Kind neu registriert, wenn ich nicht von einer der anderen ihrer Töchter oder Schwiegertöchter wiedergeboren worden wäre."

"Man hätte dich nicht in das Reich der Toten gelassen?" Fragte Madame Maxime unerwartet mitfühlend. Offenbar kaufte sie ihm den Traum unwidersprochen ab. Er nickte betrübt. "Die nette Ashtaria, der Sie mich ja entsteigen sehen durften, will wohl haben, daß ich ein ganzes Leben auf dieser Welt habe, wohl mit allem Zipp und Zapp, Ehefrau, Kinder, womöglich Enkelkinder. Will mich jemand vorher abmurksen läßt die mich wohl zu sich rein und behält mich oder schickt mich in einem andren Körper durch den kurzen Tunnel zurück ans Licht", sagte Julius. Madame Maxime räusperte sich, wohl wegen der Wortwahl. Dann sagte sie ruhig:

"Ich denke, Sie werden, wenn Sie sich nicht immer neue Gefahrenherde aussuchen, ein erfülltes Leben haben und der Akademie Beauxbatons oder Ihrer ersten Zauberschule Hogwarts neue Schüler anvertrauen."

"Toll, Hogwarts. Wenn das dann noch eine Schule ist und keine Kaderschmiede für Lord Massenmords Wegwerfkrieger und Folterknechte. - Öhm, heute feiert Madame Camille Dusoleil auch Geburtstag, darf ich ihr über die Bilder gratulieren oder eine Ihrer Eulen verschicken?"

"Natürlich, vierzig Jahre wird sie alt. Professeur Faucon wurde sogar eingeladen. Aber heute hat sie hier genug zu tun." Julius wußte das natürlich, weil heute, einem Donnerstag, der Fortgeschrittenenkurs Verwandlung anstand.

Er hatte es bisher nie erlebt, daß einem Lehrer oder der Schulleiterin zum Geburtstag gratuliert wurde. So wunderte er sich auch nicht, daß der Tag wie ein gewöhnlicher Schultag anfing. Auch wunderte ihn nicht, daß Professeur Faucon ihm nach dem Frühstück einen Aufgabenzettel in die Hand drückte. Das waren die Verwandlungen, die er sonst am Donnerstag in ihrem Freizeitkurs auszuführen hätte. Wie üblich versuchte Professeur Dedalus, ihn wieder herauszufordern. Doch mittlerweile wußte er, was er zu antworten hatte, um den Sportlehrer über seine eigenen Unverschämtheiten stolpern zu lassen. Als dieser nämlich fragte, von welchem Mädchen er diese Nacht geträumt hatte sagte er keck: "Ich habe von Ihrer Mutter geträumt, Professeur Dedalus. Sie war noch nicht verheiratet und wurde von Ihrem Vater umschwärmt. Dem habe ich sie ausgespannt und ihren Leib mit Ihnen gesegnet. Also seien Sie bitte höflicher zu Ihrem Herrn Vater!" Das verursachte bei den Lehrerinnen zwar ein tadelndes Räuspern und Kopfschütteln. Doch die Lehrer mußten grinsen, und Dedalus wußte nicht, was er sagen sollte. "Es geht Sie wohl auch nichts an, ob Monsieur Latierre von einer anderen als seiner Angetrauten träumt", windheulte Professeur Fixus den Kollegen an. "Oder frage ich Sie etwa aus, wessen Anhimmelungen Sie eher schätzen, Aiolos?"

"Das ist mir jetzt doch zu privat", schnarrte der Besensportlehrer. Julius grinste. Die Gedankenhörerin hatte seinen Gag noch entscheidend verstärkt. Der Typ würde ihn von heute an nicht mehr fragen, von wem er so träumte. Nebenbei hatte er ohne darauf einzugehen eine Traumszene verballhornt, die ihm eher lästig und peinlich gewesen war. Vor allem, wenn er Professeur Faucon sah, deren Mutter er im Traum beehrt hatte.

Als Madame Maxime mit ihrem derzeitigen Mitbewohner und Blutsbruder in ihren Räumen war sagte sie:

"Professeur Dedalus hat es jetzt wohl erkannt, daß Ihr englischer Humor nicht unter meinem urfranzösischen Blut gelitten hat, Monsieur Latierre. Aber ich möchte Sie doch sehr bitten, derartige Derbheiten in Zukunft nicht mehr am Lehrertisch zu äußern, weil sonst der Eindruck entstehen könnte, mein Lebenssaft würde in Ihnen alle rüden Umgangsformen der Bewohner des roten Saales nach außen kehren. Und dann müßte ich Sie womöglich im Mai noch einmal über den Teppich schreiten lassen."

"Und wenn der mich dann zu den Roten läßt wäre das ein Präzedenzfall?" Fragte Julius keck.

"Wollen Sie dorthin, nachdem Sie miterleben durften, wie rauflustig und aggressiv die meisten dort sein können?"

"Sagen wir's so, die Quidditchleute da würden mich sofort mit Applaus begrüßen und meine Frau würde ihrer Mutter und ihrer Großmutter schreiben, daß die doch recht gehabt hätten und der Teppich mich nur zu den grünen geschickt hätte, weil die roten Eigenschaften in mir nicht richtig gefördert worden sind. Aber ich fühle mich ziemlich wohl bei Robert, André und Gérard im Schlafsaal. Ich vermisse die ja schon langsam."

"Es ist bisher noch nie gemacht worden, einen Schüler nach drei Jahren noch einmal über den Teppich schreiten zu lassen. Da dies jedoch eigentlich nur zu Schuljahresbeginn geht wäre das in mehrfacher Hinsicht ein Präzedenzfall. Aber Sie baten mich darum, Madame Dusoleil zu beglückwünschen. Das dürfen Sie über den Kamin tun." Julius bedankte sich höflich und schickte seinen Kopf mit Flohpulver zum Anschluß "Jardin du Soleil!"

"Guten Morgen, Madame Matine und Mademoiselle Dusoleil", wünschte Julius, als er Uranie Dusoleil sah, wie sie im Wohnzimmer gerade unter Anleitung von Madame Matine Gymnastik machte, um sich auf die im April anstehende Geburt ihres eigentlich ungeplanten Kindes vorzubereiten.

"Hallo Julius. Du möchtest ganz sicher mit Camille sprechen. Die ist bei Jeanne. Viviane zahnt."

"Oha, das heißt viel Nachtwache, wie?" Fragte Julius, der sich zu gut an die Beschwerden der Weißen erinnerte, als Cythera ihre Zähnchen bekam.

"Eindeutig", schnarrte die Hebamme von Millemerveilles.

"Gut, dann schicke ich meinen Kopf mal eben zu Jeanne rüber", sagte Julius. "Noch alles gute für Sie und den oder die, Mademoiselle Dusoleil. Die angesprochene grummelte nur, daß sie langsam genug vom Getretenwerden hatte. "Am vierundzwanzigsten oder fünfundzwanzigsten April, Uranie. Solange wirst du dich wohl noch zusammennehmen können."

"Hera, lass das, wenn noch wer zuhört", schnarrte Mademoiselle Dusoleil.

"Der kann es ruhig hören, wo er ja mit euch verwandt ist."

"Machen Sie den vierundzwanzigsten draus, sonst zanken sich meine Frau und Ihr Kind noch um die Geburtstagstorte", scherzte Julius.

"Ich werfe dieses balgende Balg gleich heute raus und drücke es Camille in die Arme. Die kann das bestimmt schon sattkriegen."

"Das wüßte ich aber, daß ein Kind mehr als einen Monat vor der berechneten Zeit auf die Welt zu kommen hat", knurrte Madame Matine und machte eine gegen Julius' Kopf wegscheuchende Handbewegung. Julius verstand und zog seinen Kopf zurück, um ihn nach einer Minute bei Jeanne im großen Salon auftauchen zu lassen, wo ihn die Schmerzensschreie eines Babys und das beruhigende Dudidu und "Ganz ruhig" von Camille Dusoleil empfingen. Er sah die selbst bald wieder Mutter werdende Kräuterhexe in einem weit wallenden, meergrünen Umhang, die kleine Viviane im Arm.

"Hallo, Camille, wollte dich nicht zu lange stören. Ich wollte dir nur alles gute zum Geburtstag wünschen wow ich gerade ein paar Minuten Zeit habe."

"Hallo Julius. Habe diese Nacht geträumt, wir beide hätten gemeinsam im Schoß meiner Mutter gelegen. Muß die Schwangerschaft sein", sagte Camille. Julius stutzte. Also doch ein Gemeinschaftstraum? Er fragte, ob sie Claire gehört habe, auch wenn er wußte, daß das wohl ziemlich fies war.

"Die hat mit dir geredet und dir verraten, was für ein Geschwisterchen sie bekommen hätte", sagte Camille, nicht traurig sondern amüsiert. Julius' Gesicht mußte Bände sprechen. Denn sie sezte sofort nach: "Ach, hast du das auch geträumt. Dann war's wohl doch Ammayamiria, die uns da zusammengebracht hat."

"Sie hat sich in deine Mutter und Claire aufgeteilt und mir geraten, wie ich was bestimmtes so bezaubern kann, daß keiner meiner Feinde das benutzen kann", seufzte Julius.

"Also doch, du sollst ein Denkarium bauen. Na gut, dann weißt du neben Florymont eben auch, daß die kleine Viviane hier gerade ihrer zukünftigen Tante Chloé in die Ohren brüllt. Schsch-sch-sch, meine Kleine", zischte sie zärtlich. Dann schob sie Viviane einen Beißring in den kleinen Mund und fuhr fort: "Hera hat mich für den Walpurgisnachtflug gesperrt. Ich wollte zwar in der Kutsche von Eleonore mitfliegen. Aber die gute Hera sagt, daß ich die kleine nicht zu früh herausschütteln soll. Die gute ist sich bei der nämlich nicht so sicher, wann sie jetzt ankommen möchte. Zwischen mir und meiner kugelrunden Schwägerin laufen schon Wetten, ob ihr Baby zuerst kommt oder meines. Sie will es immer noch nicht haben, Julius. Wenn ich selbst nicht eins hätte hätte ich Hera bekniet, mit mir den Transgestatio-Zauber zu machen. Aber den hätte Hera eh abgelehnt. Sei es drum. Ich freue mich in den Club der Mutter werdenden Großmütter eingetreten zu sein. Wie geht es dir überhaupt. Seit deinem letzten Brief sind ja schon zehn Tage verflogen. Uptsch, du nicht auch noch", grummelte sie und legte ihre Hand auf den Unterleib. Julius überhörte und übersah das und antwortete ruhig:

"Abgesehen davon, daß Professeur Dedalus mich immer noch zu ärgern versucht kriege ich mich langsam wieder klar. Hoffe nur, daß das nicht von irgendwas niedergebügelt wird."

"Millie paßt noch auf dich auf?" Fragte die werdende Mutter.

"Stimmt, die hilft mir noch manchmal, wenn ich mich von den anderen so komisch angeglotzt fühle. Aber der Unterricht hält mich gut auf Trab und sie wohl auch. Während der Stunden muß sie den Anhänger weglegen, hat Professeur Fixus befohlen."

"Hast du nicht geschrieben, die wollte wissen, wie viele starke Gefühlsschwankungen sie aushalten kann? Irgendwann wirst du ihr auch so was süßes zum tragen geben, dann wirst du dich wohl revanchieren können."

"Deine Schwägerin ist echt grummelig. War Constance aber auch, bevor sie merkte, daß sie doch nichts mehr dagegen machen konnte", tröstete Julius Camille Dusoleil. Viviane quängelte und kaute auf dem Beißring herum, der offenbar was schmerzlinderndes enthielt. Er fragte, ob das ein besonderer Beißring war. Camille sagte, daß Hera den mit einem leichten Schmerzelixier bestrichen habe. Das darf ich ihr aber nur geben, wenn es wirklich schlimm ist, weil sie sonst in einem Dämmerschlaf hängenbleibt wie ihre kleine Tante."

"Dann hoffe ich mal, du kriegst das weiter so gut klar, Mutter und Oma zugleich zu sein, Camille. meine Oma mütterlicherseits war da schon fünfzig, als ich ankam. Wirst also wohl noch viel Zeit mit Viviane und allen anderen erleben."

"Die große Feier ist von Hera abgesagt worden. Ich darf ja nicht mehr wild tanzen oder auf einem Besen fliegen. Und irgendein Scherzbold hat behauptet, ich wolle vierzig Runden über's Dorf fliegen. Gluck gluck gluck gluck!"

"War bestimmt deine Schwägerin, um dir die Freude auf die Kleine zu vermasseln", scherzte Julius.

"Neh, das war Bruno, dieser Scherzkeks. Will wohl sicherstellen, daß seine Holde nicht auch noch den Tag wachbleiben muß, wenn sie schon keine ruhigen Nächte haben. Dann sieh mal zu, daß du deinen Kopf wieder auf deinen Hals kriegst. Bestell Millie schöne grüße. Der kannst du auch ruhig erzählen, welche entfernte Cousine sie demnächst bekommt. Aber sonst behalte das bitte für dich. Sonst meinen einige wohl, ich hätte Claire noch mal unterm Umhang."

"Entfernte Cousine? Aber die Kleine ist doch noch bei dir drin", erwiderte Julius mit schalkhaftem Grinsen.

"Unverkennbar, Lümmel", lachte Camille. "Und jetzt hol deinen Kürbis wieder ein, bevor Madame Maxime dich zurückzieht!" Sie lachte noch, als Julius seinen Kopf schon aus dem Kamin zurückgezogen hatte.

"An und für sich müßte Ich Ihnen nach dieser Unverschämtheit jegliche Benutzung meines Kamins oder der Posteulen untersagen, Monsieur Latierre", schnarrte Madame Maxime. "Allerdings weiß ich, daß Madame Dusoleil eine Menge Humor besitzt und zum anderen bereits die passende Antwort gegeben hat. Nun, dann werde ich mich auch noch an sie wenden. Auch wenn ich den Wunsch verspüre, Ihr vorlautes Mundwerk zu entschuldigen, werde ich dies nicht tun, weil ich Madame Dusoleil damit noch mehr zum lachen bringe." So hörte Julius mit, was Madame Maxime mit Camille besprach, wie sich beide beglückwünschten und über die bevorstehende Geburt der kleinen Chloé diskutierten. Camille sagte wie aus einem tiefen Schacht klingend, daß Madame Maxime nicht all zu streng zu Julius sein solle, weil er mit der Situation genauso unvertraut sei wie eine Frau in der ersten Schwangerschaft. Das saß heftiger als Madame Maximes Tadel, dachte Julius. Doch andererseits hatte Millie ja unverhohlen gesagt, daß sie an ihm üben könne, wie das für sie mal selbst sein würde. Madame Maxime grummelte nur, daß auch andere Umstände gewisse Verhaltensweisen nicht pauschal entschuldigen würden. Darauf antwortete Camille: "Natürlich möchten Sie ihm helfen, Madame Maxime. Und Sie können sich des Dankes meiner ganzen Familie sicher sein, daß Sie ihm geholfen haben, dieses Gift loszuwerden und ihm jetzt helfen, wieder er selbst zu werden. Ich wollte nur sagen, daß er nicht Angst vor sich selbst bekommen darf."

"Deshalb sind gewisse Verhaltensrichtlinien auch unverzichtbar, um gerade beängstigende Situationen zu vermeiden. Aber ich sehe, sie haben mit ihrer Enkelin und Ihrem baldigen Nachwuchs genug Beschäftigung, als daß ich mit Ihnen eine Diskussion über den richtigen Weg bestreite, Monsieur Latierre in den normalen Schulalltag zurückzuführen. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen und erquicklichen Tag, Madame!"

"Ich Ihnen auch, Madame", erwiderte Camille. Dann bekam Madame Maximes kniender Körper den angeborenen Kopf zurück.

"Die Korrespondenz wartet, Monsieur Latierre."

Sie saßen gerade beide am Schreibtisch, als eine aufgeregte Winzeule, ein Sperlingskauz wild zwitschernd aus der nebenan liegenden Eulenkammer hereinschwirrte und einen scharlachroten Briefumschlag am rechten Bein schwenkte, aus dessen Ecken dünne Rauchfäden drangen. Julius dachte nur: "Hoffentlich ist der nicht für mich." Madame Maxime sah ihn schon fragend an, als der Vogel ihr den leicht rauchenden Brief gegen die Stirn klatschte. Der Rauchausstoß verstärkte sich.

"Wer wagt es, mir einen Heuler zuzusenden?" Schnarrte sie ungehalten und griff nach dem Vogel. Mit einem Zauberstabstupser ließ sie den Winzkauz erstarren und pflückte ihm den Heuler vom rechten Bein. Julius riß den Mund weit auf und hielt die Hände so, daß er sich schnell die Ohren zuhalten konnte. Mit einer energischen Handbewegung riß Madame Maxime den roten Umschlag auf. In einer Flammenwolke explodierte der Brief. Doch das war bei weitem nicht das schlimmste.

"Hämm-Hämm!! Sie verdammte Mißgeburt!! Sind Sie immer noch nicht tot!! Sie haben sich monate lang erfolgreich dagegen gestellt, der Aufforderung nachzukommen und den Kriminellen Julius Andrews an unser Zaubereiministerium auszuliefern, obwohl Minister Didier uns das garantiert hat. Ich ging davon aus, daß Sie längst vom Ausschuß zur Beseitigung gefährlicher Geschöpfe erlegt worden wären!! Wenn Sie nicht augenblicklich dieses aufwieglerische Schlammblut dem Zaubereiministerium überstellen, wird Beauxbatons von der Liste der respektablen Schulen gestrichen und alle dort angeworbenen Qualifikationen für null und nichtig erklärt!!" Julius sah die Bilder an der Wand wackeln, die Gardinen vor den Fenstern zittern und den Putz von der Decke rieseln. Madame Maxime starrte wütend auf die Asche, die von dem Heuler übriggeblieben war. Dann schnaubte sie wütend:

"War das diese opportunistische, hinterhältige Kanallie, die sich anmaßte, Hogwarts unter Kontrolle zu bringen? Wie kann die es wagen, mich eine Mißgeburt zu schimpfen, Sie ein Schlammblut zu nennen und mir zu drohen, Beauxbatons von der Liste der erhabenen Schulen der Welt zu streichen, und das alles noch in einem Heuler?"

"Ihr Herr und Meister hat wohl arge Probleme, seine Stellung im Land zu behaupten", knurrte Julius. "Die Pleite mit den Schlangenkriegern dürfte bei seinen Leuten einigen heimlichen Spott ausgelöst haben."

"Mag alles sein, aber diese Unverschämtheit wird nicht ungeahndet hingenommen", blaffte Madame Maxime. "Ich werde ihr eine gleichwertige Antwort zukommen lassen, auf daß sie lernt, was alle lernten, die es wagten, mir eine derartige Postsendung zuzustellen."

"Ich würde der gerne auch so'n Ohrenabreißerbrief schicken. Aber ich habe das bis heute nicht gelernt, wie einer geht", schnaubte Julius. Dann hörten sie von etwas weiter weg wieder die keifende Kleinmädchenstimme, die ihnen vorhin fast die Trommelfelle zerrissen hätte.

"Was bilden Sie sich immer noch ein, flüchtige Verbrecher beherbergen zu können, ohne die entsprechenden Konsequenzen hinnehmen zu müssen?! Bilden Sie sich nicht ein, das Frankreich der sicherste Ort der Welt ist, wenn Ihre Regierung unfähig ist, erwiesene Verbrecher auszuliefern, so werden alle die mit auf der Liste der Kriminellen geführt. Fühlen Sie sich nicht zu sicher. Bald wird jeder Widerstand zwecklos sein. Schicken Sie uns diesen Schlammblüter Julius Andrews! Oder Ihre Familie wird wie Sie die Konsequenzen zu tragen haben!"

"Professeur Faucon hat auch eine derartige Postsendung erhalten und das mitten im Unterricht. Das ist an Dreistigkeit nicht mehr zu überbieten", rief Madame Maxime. Julius stimmte ihr schweigend zu. Wer hatte gerade was bei ihr? Die Roten aus der zweiten Klasse. Oha, Pattie, Callie und Pennie. Denen würden jetzt die Ohren klingeln.

"Sie hat zwei verschickt, so wird sie zwei zurückerhalten", schnaubte Madame Maxime. Julius korrigierte sie und sagte, er wolle auch einen Heuler an Ms. Dolores Jane Umbridge zurückschicken.

"Möchten Sie ihr unbedingt verraten, daß Sie gerade mit mir zusammen die Gemächer bewohnen, Monsieur Latierre?" Julius stutzte. Natürlich würde er behaupten, daß er die beiden Heuler im Unterricht gehört habe. Dann fiel ihm noch was auf.

"Moment, sie geht davon aus, daß Sie beide mich hier verstecken und beschützen, damit Didier mich nicht ausliefern kann, wie er es versprochen hat. Die weiß also nicht, daß Didier schon längst abgemeldet ist und Grandchapeau den Teufel tun wird, mich nach England auszuliefern. Dabei haben es Zeitungen und Rundfunk tage lang herumposaunt, daß Didier verhaftet wurde, Beauxbatons drei Wochen Ferien einschieben mußte und die Schlangenkreaturen erledigt sind. Heißt das, daß die nicht wissen, was hier abgeht?"

"Interessante Frage, Monsieur Latierre. Sie würde damit frei heraus verraten, daß in unserer großen Nation im Moment kein Getreuer des Unnennbaren stationiert ist, der diese Neuigkeiten hätte weitermelden können. Es wäre für den Unnennbaren und seine Verbrecherbande doch eine wichtige Meldung."

"Vor allem, daß die Schlangenkrieger erledigt sind", erwiderte Julius. "Zwar wird seine Unnennbarkeit das natürlich schon längst wissen, daß sein Angriff gründlich ins Wasser gefallen ist. Aber daß Didier entmachtet wurde sollten gute Agenten ihm und seiner Mörderbande und dieser krötengesichtigen Gangsterbraut schon mitgeteilt haben", schnaubte Julius. Dann meinte er: "Wenn es hier noch agenten gäbe wüßte Umbridge, daß mit meiner Auslieferung nicht mehr zu rechnen ist, weil ich entweder in Beauxbatons oder Millemerveilles sicher unterkommen könnte. Sie würden dann ein Kommandounternehmen starten, um zu versuchen, mich und andere Muggelstämmige herauszuholen, natürlich ohne Vorwarnung wie dieser Heuler. Wie beknackt ist dieses kleine, dicke Weib, daß die uns mit der Nase draufstößt, daß hier gerade keiner rumläuft, der ihrem Boss die neusten Nachrichten liefert?"

"Wie erwähnt wird sie unverzüglich die gebührende Antwort erhalten. Sie schreiben besser erst einmal keinen Heuler, es sei denn, Ihnen wird ein solcher zugestellt!" Julius nickte, obwohl er bestimmt die nötige Wut hatte, um einen roten Briefumschlag damit zu stopfen. Aber er wußte auch, daß er nicht so dämlich sein sollte wie die Umbridge, jemanden mit der Nase auf etwas zu stoßen, was er oder sie eigentlich nicht wissen sollte. So sah er zu, wie Madame Maxime einen gewöhnlichen Briefumschlag nahm und ihn mit roter Tinte adressierte. Dann schrieb sie einen Brief mit dieser Tinte und steckte ihn in den Umschlag. Diesen verschloß sie. Dann begann die Heulerherstellung. Sie tippte den Umschlag an allen vier Ecken mit dem Zauberstab an, wobei sie laut und mit inbrünstiger Verärgerung: "Vox Irae", bellte. Dann zog sie wie beim Reinitimaginus-Zauber leuchtende Linien diagonal über den Umschlag, wobei sie "Vox Irae ex Scripto!" Rief. Nun glühte ein feuerrotes X über die gesamte Länge und Breite des Umschlages. Dann ließ Madame Maxime den Zauberstab gegen den Uhrzeigersinn in einer immer engeren Spirale über dem Umschlag kreisen, bis sie den Schnittpunkt der glühenden Linien unter der Spitze hatte. Dann stieß sie den Stab genau auf diesen Punkt und rief mit ungebändigter Wut: "Vox Irae ex Scripto fortissima clamato! Es schien, als verbrenne der Briefumschlag in einem roten Feuerball. Doch als die Flammen zusammenfielen, hinterließen sie einen scharlachrot verfärbten Umschlag ohne Beschriftung. Julius erkannte, daß das dasselbe Rot war wie die Tinte. Und er verstand auch, warum seine Mutter ihm das Lateinlernbuch geschenkt hatte. "Stimme des Zorns, rufe so laut du kannst aus dieser Schrift!" Wohl wahr, dachte Julius. Wer die Sprache der alten Römer konnte hatte damals schnell einen Heuler erfunden. Das war gut zu bedenken, wenn er doch mal irgendwann eine Heulerfalle, ein Abfanggerät für diese Briefform bauen wollte. Jetzt wußte er, daß nicht nur die Lautstärke abgefangen werden mußte, sondern die in dieses Schreiben hineingezwengte Wut, die wohl erst in Hörweite des Empfängers herausplatzen würde. Die Lautstärke ergab sich also aus der eingewirkten Wut. Dann sollte sich die Umbridge besser schon mal nach magischen Ohren umsehen, dachte Julius überaus schadenfroh. Vielleicht explodierte sogar ihr ganzes Büro vor lauter in Schall verwandelter Wut.

"Bring dies zu Dolores Jane Umbridge, London!" Blaffte Madame Maxime, als sie den erstarrten Sperlingskauz wieder aufgetaut hatte. Das Gefider des winzigen Eulenvogels war wohl durch die Nachricht seiner Absenderin gut zerzaust worden. Hoffentlich hatte der Vogel jetzt kein Ohrenklingeln. Dann müßte er glatt verhungern, dachte Julius. Spätestens dann, wenn er die Antwort überbracht hatte, würde der arme Vogel komplett ertauben.

"Die Eule", sagte Julius. "Die können die danach nur noch einschläfern, weil die nur noch einen lauten Piepton im Ohr haben wird, wenn Ihr Heuler ankommt", seufzte Julius mitfühlend. Er aß Fleisch und Fisch und hatte in seiner Kindheit auch Grillen und Frösche gefangen, um zu zeigen, daß er das konnte. Aber er hatte diesen Tieren kein unnötiges Leid zugefügt, keine Beine oder Flügel ausgerissen oder diese Gemeinheit mit dem Strohhalm gemacht, die die älteren Brüder von Lester und Malcolm ihnen mal vorgeführt hatten. So dachte er eher an die arme Eule als daran, daß der Vogel seiner Herrin diesen Heuler zustellen mußte.

"Die magische Tierkunde kann Gehör- und Augenschäden bei Posteulen kurieren", schnarrte Madame Maxime kalt wie flüssiger Stickstoff. Dann trieb sie sich und Julius an, die weitere Post zu bearbeiten. Doch Julius ging das mit Umbridges Heulern nicht aus dem Kopf. Er fragte sich, ob das die ersten Heuler waren, die die abgeschickt hatte. Bis Didiers Machtverlust war Beauxbatons doch abgeschirmt gewesen. Kein Brief war hinein- oder hinausgelassen worden. Was wenn Umbridge mehrere Heuler losgeschickt hatte?

"Entschuldigung, Madame Maxime, aber ich möchte gerne wissen, was mit Heulern passiert, die nicht zu ihren Empfängern durchgelassen werden. Gehen die dann so los oder was passiert?"

"Natürlich läßt Sie diese dreiste Attacke auf unsere Würde und Ohren nicht in Ruhe, Monsieur Latierre. Dann möchte ich das Ihnen auch sagen. Heuler reagieren auf die Nähe derer, denen sie zugedacht sind. Die Adresse prägt sie auf die Zielperson. Daher muß sie zuerst notiert werden, bevor der Brief mit dem zu tönenden Inhalt verfaßt wird. Gelangt der Brief als Heuler nicht in die Nähe der Zielperson, bleibt er ein roter Umschlag. Wird er jedoch von einer fremden Person geöffnet, explodiert die in ihm komprimierte Verärgerung als kleiner Feuerball und kann unter Umständen einen Brand, zumindest aber Brandschäden an der unbefugten Person verursachen. Kein Zauberer würde einen nicht an ihn gerichteten Heuler öffnen außer mit schweren Metallhandschuhen. Wird der Heuler zu seinem Absender zurückgetragen, zerfällt er in dessen Nähe mit einem kurzen Knall zu Asche, ohne die in ihm gebündelte Wut länger herauszurufen. Aber mein Heuler wird die Adressatin erreichen, wo auch immer sie ist und dort meine Wut herausschreien."

"Dann werden wir wohl demnächst hören, wie es der guten Dame ergangen ist, falls sie nicht noch einen Heuler abschickt."

"Glauben Sie mir, sie wird sich hüten, mich noch einmal dermaßen zu behelligen, Monsieur Latierre!" Stieß Madame Maxime aus, bevor sie Julius das kleine Faß mit der smaragdgrünen Tinte vor die Nase stellte. "Verfassen Sie ein Schreiben an meine Kollegin Prinzipalin Wright von der Thorntails-Akademie und formulieren Sie bitte mein Anliegen, näheres über einen gewissen Cyrill Southerland zu erfahren, der im nächsten Schuljahr ein Austauschjahr bei uns zu verleben wünscht! Teilen Sie Ihr bei der Gelegenheit auch gleich bitte mit, daß von meiner Seite her keine Bedenken vorliegen, die Schülerin Mésange Bernaud für ein Austauschjahr in Thorntails zu empfehlen, sollte sie dieses Jahr die Abschlußprüfungen bestehen!" Julius stutzte. Mésange Bernaud aus dem blauen Saal wollte nach Thorntails? War das nicht Jacques Schwarm seit dem letzten Sommer, Barbaras mögliche Schwägerin? Doch er hatte kein Recht, weiter nachzufragen und schrieb in seinem besten Akademikerenglisch die aufgetragene Mitteilung und Anfrage nieder. Zeitgleich schrieb Madame Maxime an einem anderen Brief, über den sie ihm nichts verriet. Er fragte sich nach Fertigstellung des Briefes, ob das wirklich nötig war, so einen langen Vorlauf zu haben. Gloria hatte ihm nie erzählt, daß sie sich schon im März für das Austauschjahr beworben hatte. So fragte er frei heraus, wie lange sich Schüler anmelden mußten, die ein Austauschjahr machen wollten. Madame Maxime erkannte natürlich sofort, worauf er hinauswollte und antwortete:

"Ihre frühere Schulkameradin Gloria Porter trat Ende Juni mit der Anfrage nach einem Austauschjahr an mich heran. Die Frist für eine gültige Anmeldung liegt zwischen einem Monat und einem Jahr. Alles spätere kann nicht bearbeitet werden und alles was mehr als ein Jahr vor dem beabsichtigten Austauschjahr beantragt wird ist zu unsicher, weil der betreffende Schüler da noch nicht wissen kann, wie sicher er oder sie die nötigen Abschlußprüfungen schaffen wird. Denn die Bedingungen sind eindeutig. Austauschschüler können erst Schüler ab der vierten Klasse werden, die die Abschlußprüfung ihrer Jahrgangsstufe oder die ZAG-Prüfungen erfolgreich bestanden haben. Bei Ihrer Schulkameradin Gloria Porter waren die Ergebnisse und der auf Französisch verfaßte Antrag exzellent. Es ist bedauerlich, daß sie sich nicht zum Bleiben entschlossen hat oder hierher zurückkehrte, als ihr die Möglichkeit angeboten wurde."

"Sie wollte mit den Hollingsworths und Kevin weiterlernen", verteidigte Julius Glorias Entscheidung. Dabei fiel ihm ein, wie lange er nicht mehr selbst mit ihr gesprochen hatte. Doch hier den Spiegel rauszuholen hatte er dann doch nicht gewagt.

Weitere Geburtstagsglückwünsche trudelten ein. Julius erkannte, daß alle Lehrerinnen und Lehrer, Familienmitglieder und Freunde die Zeit zwischen elf und zwölf Uhr ausgemacht hatten, um die Glückwünsche ankommen zu lassen. Einige Eulenpostsendungen waren kleine Pakete, die Madame Maxime in ihrem Wohnzimmer aufstapelte. Auch das Ministerehepaar, deren Tochter und der Ehemann schickten Glückwünsche und Wünsche für eine weitere, erfolgreiche Zusammenarbeit, also die nötigen Höflichkeiten. Dann flatterte noch ein Brief aus Australien auf den Flügeln eines braun-weißen Vogels herein, der eindeutig keine Eule war. Mit einem Ruf, der wie heiteres Lachen klang landete der gefiderte Postbote auf dem Tisch und ließ einen dicken Umschlag auf die Schreibtischplatte fallen. Julius kannte diesen Vogel. Das war Chackie, die Cockaburrahenne von Aurora Dawn.

"Exotische Postvögel kennen sie dort auf dem fünften Kontinent", bemerkte Madame Maxime dazu und öffnete den blauen Umschlag, aus dem wie eine angeknipste Holographie Aurora Dawns lebensgroße Abbildung entstand.

"Sehr geehrte Madame Maxime", setzte sie mit einer leicht verwaschen klingenden Stimme in akzentfreiem Französisch an, "ich möchte Ihnen an diesem Tage meine allerherzlichsten Glückwünsche zur Vollendung eines weiteren Lebensjahres aussprechen und mich bei dieser Gelegenheit noch einmal recht herzlich bedanken, daß Sie dem jungen Zauberer Julius Latierre haben helfen können und sich bereiterklärt haben, mit ihm die Nachwirkungen der nötigen Therapie durchzustehen. Ich hoffe ganz ehrlich, daß Ihnen diese Zeit keine all zu großen Umstände machen wird und halte mein Angebot aufrecht, Sie durch mein bei Ihnen befindliches Bild-Ich oder in eigener Person zu unterstützen, sollten Sie etwas finden, womit ich Ihnen helfen kann. An dich Julius noch meinen Gruß, daß du dich wieder ordentlich aufrappelst, nachdem du fast unrettbar verlorengegangen wärest. Was immer dich an ungewohnten Gefühlen, Gedanken oder Träumen überkommt, versuche nicht zu sehr dagegen anzukämpfen, sondern versuche, die ganzen Eindrücke in gewünschte Bahnen zu lenken! Hab keine Angst vor deinen Gefühlen! Sie werden dich nicht zu Grunde richten, auch wenn du das irgendwann mal finden wirst. Du bist intelligent genug, gutes und böses voneinander zu trennen, richtig und falsch zu unterscheiden und das dir und andren nützliche zu tun und das weniger nützliche so zu verändern, daß es wieder nützlich wird. Genieße die Zeit, die du erlebst. Denn diese Tage werden dir nicht mehr vergönnt sein, wenn sie erst vorbei sind! Gut, die ganzen Ratschläge hast du wohl schon mal gehört und kannst das vielleicht nicht mehr hören. Aber wenn es wieder warm bei euch auf der Nordhalbkugel wird, benutze Sonnenkrauttinktur! Deren Nutzen ist unumstößlich von Heilern und Kräuterkundlern bestätigt." Mit einem lächeln auf den Lippen verneigte sich das räumliche Abbild Aurora Dawns und verschwand übergangslos. Julius mußte grinsen. Das mit der Sonnenkrauttinktur sollte wohl nur die ganzen gutgemeinten Ratschläge auflockern.

Außer dem Bild-Ich-Brief enthielt der Umschlag noch Grüße von Latona Rockridge, der australischen Zaubereiministerin, dem Schulleiter von Redrock und June Priestley, die sich auch noch einmal bei Madame Maxime bedankte, daß sie Julius hatte helfen können und ihm immer noch half. Julius durfte die ausnahmslos in französischer Sprache verfaßten Begleitschreiben lesen. Irgendwie kam dabei herum, daß viele Menschen Madame Maxime sagen wollten, daß es gut war, daß es sie gab. Was konnte einem an seinem oder ihrem Geburtstag schöneres gesagt werden?

Am Nachmittag zwischen zwei und vier handelte Julius die Verwandlungsübungen ab. Danach wartete eine große Marzipantorte im Wohnzimmer. Hauselfen hatten sie gebacken und mit siebenundsiebzig schlanken, elfenbeinfarbenen Geburtstagskerzen bestückt. Dazu war frischer Kaffee und Milch bereitgestellt worden. "Ich verzichte für gewöhnlich auf derartige Zwischenmahlzeiten. Aber wenn ich schon nicht alleine in diesen Räumen bin, kann ich uns das Vergnügen gönnen. Entzünden Sie bitte alle Kerzen durch ungesagten Zauber, wenn es geht alle auf einmal!" Julius nickte. Das hatte er zwar noch nie gemacht. Aber er hatte es in seinem Buch über Zauberkunst im Alltag gelesen, das er von Catherine geschenkt bekommen hatte. So nahm er seinen Zauberstab, ließ ihn zweimal über der Torte kreisen, bis er sicher war, alle Kerzen überstrichen zu haben und dachte konzentriert: "Omnilumos Candelas!" Mit leisem Zischen blühten siebenundsiebzig Flämmchen aus den hauchdünnen Dochten.

"Mit diesem trefflich ausgeführten Zauber können Sie zwischen zwei und eintausend Kerzen auf einen Streich entzünden, Monsieur Latierre", belehrte ihn Madame Maxime, die nicht zu fragen brauchte, wie Julius das gemacht hatte. Dann blies die sieben mal elf Jahre alte Wiegenjubilarin die brennenden Kerzen mit einem kräftigen Atemstoß wieder aus. Die Flammen duckten sich zwar und versuchten, sich wieder ganz aufzurichten, verloschen dann aber doch. Danach wurde die Torte angeschnitten.

Julius genoß die etwas lockere Atmosphäre der kleinen Geburtstagsfeier. Sie unterhielten sich über ihre Schulzeiten in Hogwarts und das Beauxbatons von damals, daß sich räumlich nicht groß verändert hatte. Julius wagte es nicht, über seinen Traum von letzter Nacht zu reden und die Riesin zu erwähnen, deren Namen er gehört hatte, aber nicht wußte, ob sie wirklich Madame Maximes leibliche Mutter war. Auch was die in ihre Mutterseelen aufgesplitterte Ammayamiria ihm über Madame Maximes erstes Lebensjahr erzählt hatte wollte er eigentlich für sich behalten. Doch irgendwie kam es ihm vor, als legilimentiere Madame Maxime ihn, ohne ihn ansehen zu müssen. Denn sie fing auf einmal damit an, daß sie lange Zeit keinem mehr erklären wollte, warum sie so groß war. Sie habe erst durch den Gedächtnistrank und das Vermögen, Erinnerungen auszulagern ermittelt, daß ihre Mutter Ramante geheißen habe und aus Kasachstan vertrieben worden sei. Über ihren Vater habe sie erst nach Beauxbatons mehr erfahren, als es darum ging, daß ein Zaubertierkundler namens François Moureau ungefähr sechzehn Monate vor ihrer Geburt verschwunden sei und ein Jahr später mit tödlichen Knochenbrüchen und Quetschungen übersäht gefunden wurde. Ihre Zieheltern hatten damals verlangt, mit einer Haarprobe nachzuprüfen, ob ihre Tochter, die als nackter, wohl gerade entwöhnter Säugling in den Pyrenäen aufgefunden wurde, mit Moureau verwandt war. Damals sei das Verfahren gegen sie wegen der von ihm beobachteten Szene gelaufen. Sie habe jedoch seither nicht mehr einräumen wollen, eine Riesin zur Mutter zu haben.

"Womöglich ist sie wieder zu den anderen zurückgekehrt. Ich habe wie 'agrid versucht, mehr über sie herauszubekommen. Doch sie ist verschwunden. Ich erfuhr nur, daß sie eine Schwester hatte, die Meglamora heißen soll und mit besonders starken aber auch intelligenten Artgenossen eine überlebensfähige Gruppe gegründet hat, die mit den anderen zusammenleben konnte. Diese Meglamora habe ich zwar einmal gesehen. Doch Familienverbundenheit fühlten weder sie noch ich. Wir sind einfach zu verschieden. Die Fragmente, die Sie in jenem Traum von letzter Nacht aufgewühlt haben, was wohl an einer Eigenschaft meines Blutes liegen mag, haben Ihnen ja wohl verraten, daß meine Mutter eine sehr einfältige aber brutale Persönlichkeit besaß. Womöglich war ich ihr erstes Kind und habe sie so unbeabsichtigt verängstigt und damit noch mehr gereizt. Ich habe in ausgelagerten Erinnerungen immer wieder meine letzten Minuten vor der Geburt und die ersten Lebenswochen nachbetrachtet. Leider kann ich keinen Anhaltspunkt finden, daß meine Mutter mich jemals wirklich geliebt hat. Ich war das Junge eines einzelgängerischen Raubtierweibchens, das sie irgendwann wohl im letzten Anflug von Fürsorge verstoßen hat, um mich nicht umzubringen. Mutterliebe erscheint mir doch anders. Zumindest habe ich bei Geniviève Maxime, deren Vornamen und Familiennamen ich zu tragen die Ehre habe, lernen dürfen, was es heißt, geliebt zu werden, obwohl ich für meine Zieheltern eine Monstrosität sein mußte, etwas ablehnenswertes."

"Ähm, das sind sehr persönliche Sachen, Madame. Das müssen Sie mir nicht erzählen, wenn Sie möchten, daß das keiner weiß", wandte Julius ein. Doch die Schulleiterin von Beauxbatons schüttelte den Kopf und erwiderte:

"Ich mußte Ihnen zu dieser Gelegenheit deuten, was Sie bisher in Ihren Träumen erlebt haben. Die Entität Ammayamiria hat Sie und mich im Traum verbunden. Dies tat sie sicherlich nicht ohne Grund. Ich hörte, daß Sie sie beauftragte, das Denkarium, das sie herstellen möchten mit einem mächtigen Schutzzauber zu versiegeln, der nur Ihnen ungefährliche Erinnerungen für alle sichtbar macht. Ich bekam dies mit, obwohl ich gerade darum rang, dem Schoß meiner wütenden Mutter zu entsteigen. Eine sehr unangenehme Vorstellung, bei vollem Bewußtsein im Mutterschoß gefangen zu sein. Ich beneide niemanden, der sich durch den einen dazu befähigenden Zauber in diese Lage bringen läßt."

"Dieser Zauber gehört zu den mächtigsten Anrufungen aus Altaxarroi, erklärte Julius. "Er wurde nur an die Kinder einer bestimmten Blutlinie weitergegeben. Daß ich ihn kann liegt daran, daß Darxandria diese Blutlinie begründet hat. Wenn ich das raushabe, wie das Denkarium gebaut und bezaubert wird, werde ich Ihnen den Zauber vorführen. Aber übersetzen kann ich ihn nicht wirklich, nur das er Schutz durch Liebe, also ehrliche Verbundenheit und Zuneigung gewährt." Madame Maxime nickte. Dann sprachen sie wieder von angenehmeren Dingen wie die letzte Quidditch-Weltmeisterschaft, die Julius wegen seinem Vater und dessen Brief ja nicht besuchen durfte. Fast wollte er ihr erzählen, daß sein Vater wohl noch lebte, wenngleich er wohl nicht mehr wußte, daß es sein Vater war. Doch er behielt das dann doch für sich.

Um sechs Uhr abends saßen sie beide wie üblich am Lehrertisch und aßen mit den anderen zu Abend. Professeur Faucon fragte Julius, ob er ihr und den anderen noch einmal erläutern würde, wie die Lage in Großbritannien sei. Das war zwar nicht gerade das, was er unter einer angenehmen Unterhaltung verstand. Doch wenn sie ihn schon einmal da hatten, und mitten in einer Schulstunde ein Heuler reingeplatzt war, verstand er das vollkommen. Oftmals seinen guten Ton vergessend, weil er von zu vielen Gefühlen überrollt wurde, erwähnte er die Lage in England im allgemeinen und Hogwarts im Besonderen, von den Massakern an Widerstandskämpfern und Muggelstämmigen, der Anti-Schlammblutkampagne von Dolores Umbridge - mögen ihre Ohren lauter klingeln als alle Kirchenglocken der St.-Pauls-Kathedrale zusammen - bis zu dem Terrortrio in Hogwarts, worüber er von Gloria und dem Bild-Ich Aurora Dawns erfahren hatte. Auf die an ihn gestellte Frage, ob er sich nun glücklich schätzte oder für einen Feigling hielt, weil er alle dem so schnell ausgewichen sei sah er Proresseur Faucon an und sagte: "Ich bin Professeur Faucon sehr dankbar, daß sie meiner Mutter und mir geholfen hat, aus England herauszukommen, bevor dieser Drecksack mit dem unnennbaren Namen richtig loslegen konnte. Ich halte mich nicht für einen Feigling, weil ich Vorsicht nicht als Feigheit sehe und keine Probleme habe, Freunden in Gefahr zu helfen, weil ich sonst wohl auch kein Pflegehelfer geworden wäre. Meine Mutter arbeitet ja seit einiger Zeit mit Madame Nathalie Grandchapeau zusammen und hilft Muggelstämmigen in Frankreich und anderswo. Ich denke, damit kann sie mehr für gejagte Muggelstämmige tun als wenn sie sich hätte gefangennehmen oder umbringen lassen und mich gleich dazu. Die Sache mit den zwei Heulern zeigt ja deutlich, daß die uns für sehr gefährlich halten, wenn sie schon derartige Maßnahmen ergreifen." Er verschwieg, daß Umbridge im letzten Jahr einen wesentlich erfolgversprechenderen Versuch gestartet hatte.

"Diese Person fürchtet ganz bestimmt um ihr nacktes Leben", fauchte Professeur Faucon. "Die Heulerattacke dürfte das letzte Aufgebot von ihr sein. Aber Sie erwähnten, daß sie damit zeige, daß es keine Todesser oder deren Agenten auf französischem Boden gebe. Zählen wir die Elfenbeininsel zu den Bereichen, wo die fanatischen Ideen dieser Leute auf fruchtbaren Boden fallen können, so könnten durchaus weitere heimliche Kundschafter vom Schlage eines Pétain im Lande sein und es nicht einmal wissen, bis jemand wie der Minister aus Versehen oder ganz beabsichtigt einen Satz oder eine Gedankenbotschaft weitergibt, um sie aus dem Schläferzustand zu erwecken."

"Des Waldes Dunkel zieht mich an ...", setzte Julius mit einer beschwörerisch monotonen Stimme zu einem Zitat an. Professeur Faucon nickte ihm zu. Offenbar wußte sie, was er meinte als er weiterzitierte, "... doch muß zu meinem Wort ich steh'n
und Meilen geh'n
bevor ich schlafen kann."

"Offenkundig haben Sie in ihrer Kindheit Filme zu sehen bekommen, in denen Spionage und Geheimagenten thematisiert wurden", stellte die Lehrerin fest und ließ Julius berichten, was das zitierte Gedicht für eine Funktion gehabt hatte, nämlich die, durch chemisch unterstützte Hypnose zu ihrer Tätigkeit nicht bewußten Agenten dazu zu bringen, im feindlichen Ausland ausgewählte Ziele anzugreifen. Der, der sie in Marsch setzte, brauchte sie nur anzurufen und dieses kurze Gedicht zu sprechen und sie mit ihrem wahren Namen anzusprechen.

"Schon unheimlich, daß Muggel derartige Phantasien haben können und die Durchführung in den Bereich ihrer Möglichkeiten fallen könnte", wandte Paximus ein. Professeur Fixus sagte, daß sie einen gewissen Respekt vor der bewußtseinsverändernden Kraft der Hypnose habe, derartig drastische Geistesumwandlungen jedoch auf große Skrupellosigkeit schließen ließen.

"Der Schulfreund meines Vaters arbeitete für den Auslandsgeheimdienst. Meine Mutter hat das vor Gericht ja auch erwähnt, als sie wegen Pétain aussagen sollte. Der meinte, daß wir längst nicht alles wüßten, was im sogenannten kalten Krieg so gelaufen sei und wir eigentlich ein Riesenglück hatten, daß es keinen weltweiten Atomkrieg gegeben hat. Dicht genug dran waren wir wohl schon häufig. Aber ich möchte Ihnen keine Angst machen. Ich wollte lediglich sagen, daß sowas wie Pétain immer noch herumlaufen kann und ich hoffe, nicht eines Tages so einen Aufweckanruf zu kriegen, um als Agent von irgendwem irgendwen anzugreifen", sagte Julius.

"Die Gefahr dürfte Ihnen nicht drohen, Monsieur Latierre", wandte Professeur Fixus ein. "Wenn ich es richtig mitbekommen habe, wurden Sie schon vielfältigen Zaubern und Ritualen unterzogen, die Ihre Gedanken beeinflußt haben. Jene, die sich Sardonias Erbin nennt, hätte bei der Untersuchung Ihres Gedächtnisses sicher derartige schlummernden Anweisungen gefunden."

"Na ja, Pétain ist wohl erst mit siebzehn oder später aufgegangen, wer er eigentlich war, weil er wohl als gewöhnliches Kind aufgewachsen ist", wandte Professeur Faucon ein. "Doch wir sollten nicht Didiers Fluch auf uns ziehen und uns dem Verfolgungswahn ergeben, daß wir alle in Wirklichkeit wer anderes sein könnten!" Alle stimmten ihr zu.

Am Abend nahmen Madame Maxime und Julius noch einmal ein Vollbad. Julius gab sich erneut dieser bergenden, warmen Schwerelosigkeit der tiefen Wanne hin und entspannte sich total. Im Gitterbett mentiloquierte er mit Millie, die ihm stolz verkündete, daß sie es nun richtig raushatte, Professeur Fixus aus ihren hörbaren Gedanken auszusperren und Corinne gegenüber zuzumachen. Julius beschrieb ihr seinen Traum von letzter Nacht und erwähnte auch, daß Ammayamiria sie beide noch einmal zusammenbringen wolle, damit er seine und ihre Geburt als erste Erinnerungen in das Denkarium einlagern konnte.

"Schön, daß du das Ding dann behalten darfst, Monju. Kann in einigen Jahren mal wichtig sein, alte Erlebnisse noch mal nachzuerleben, um sie besser zu verstehen."

"Stimmt", schickte Julius noch zurück. Dann verabredeten sie, daß sie am Samstag Abend wieder die Hora-Amoris-Unterkleidung benutzen wollten und wünschten sich eine gute Nacht.

 

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Abgesehen von schwierigen Situationen, in denen Julius immer wieder an den Rand eines Wutanfalls oder Weinkrampfes getrieben wurde, während er die ZAG-wichtigen Zauber und Tränke einstudierte, verging der Rest des Monats März mit einer gewissen Routine. Julius mußte an jedem Sonntag Abend bei Heilerin Rossignol antreten, die ihn untersuchte und befragte, was er in der letzten Woche erlebt, gedacht und auch geträumt hatte. Zwar fand er das manchmal sehr lästig, weil er sich mit den Antworten auf ihre Fragen ja irgendwie auslieferte oder wie ein Sonderfall vorkam. Zwar erkannte er mit seinem zwischendurch immer wieder durchdringenden Verstand dahinter, daß er ja wirklich was bisher einmaliges war. Doch die ständigen Fragen, ob er sich bei dem Traum von Aurélie und ihren direkten Abkömmlingen nun traurig oder verängstigt gefühlt habe nervten ihn doch ein wenig, und Madame Rossignol merkte das natürlich. Am Ende jeder Mischung aus Körperuntersuchung und Befragungsrunde versuchte sie ihn mit dem Schockzauber ansatzweise zu betäuben. Doch das klappte nicht. Julius merkte nur, daß wo früher nur ein Prickeln an der Aufschlagstelle des Schockblitzes zu fühlen war, jetzt sowas wie ein Stoß und ein schwacher elektrischer Schlag passierte. Madame Rossignol sah wohl auch, daß der abprallende Zauber nicht mehr mit voller Wucht abgelenkt wurde, sondern leicht zerstreut von ihrem Patienten zurücksprang, wobei sie natürlich aufpassen mußte, außerhalb der Flugbahn zu bleiben.

"Zumindest reagiert dein Körper anders auf den Zauber als ganz am Anfang, wo du alle fünf Liter von Madame Maximes Blut in den Adern hattest, Julius. Dein Körper stellt sich also nicht darauf ein, das fremde Blut selbst neuzubilden, sondern reguliert die übliche Eigenbluterneuerung."

"Jetzt laufen genug Leute hier rum, von denen bestimmt welche meine Blutgruppe und was auch immer haben. Warum machen wir mit denen nicht eine neue Blutverdünnung?" Wollte Julius wissen, der heimlich hoffte, diese abgedrehte Behandlung bald überstanden zu haben.

"Habe ich Madame Maxime und dir schon erklärt", knurrte die Heilerin leicht ungehalten. "Durch die vorher nicht genau zu bestimmende Wechselwirkung zwischen Madame Maximes Blut und dem Skyllianrigift wissen wir nicht, ob jede neuerliche Blutveränderung nicht noch was anderes ungewolltes auslöst. Es könnte immerhin sein, daß das Gift des Schlangenkriegers von Madame Maximes Blut mit abgeführt wird. Wenn ich es jetzt durch gewöhnliches Blut austausche könnte ein kleiner Rest übrigbleiben, der wieder neu aufkeimen kann. Ich habe das sehr wohl mit der französischen Heilerzunft besprochen, Julius, ob wir den Vorgang nicht abkürzen können. Alle waren meiner Meinung, daß dein Körper sich nach der Blutübertragung selbst regenerieren muß. Daß er dies tut erkenne ich ja daran, daß du langsam wieder ruhiger wirst und dein Körper den auf ihn treffenden Schockzauber nicht mehr mit voller Wucht reflektiert, sondern nur blockiert." Julius sah es ein, daß er jetzt wohl noch bis Mai hinter Madame Maxime herlaufen und echt auf der Flügelstute Aquitaine durch die Walpurgisnacht fliegen sollte.

Außer Madame Rossignols Untersuchungsrunden hatte er genug damit zu tun, zu lernen, wie ein Denkarium gebaut wurde und wie er Erinnerungen aus dem Gedächtnis in einer halbflüssigen, silbrigweißen Form auslagern konnte. Dabei galt es, behutsam zu sein und sich genau auf das zu konzentrieren, was er auslagern wollte. Um nicht Löcher in sein eigenes Gedächtnis zu schlagen übte er das Auslagern von Erinnerungen an kleinen Affen und Ratten. Zwar würde die Auslagerung eigener Erinnerungen einfacher sein, weil die Barriere zwischen fremdem Willen und eigenem Willen bei anderen Menschen fast unüberwindlich war, doch er hatte es ja schon einmal erlebt, wie Professeur Faucon ihm ihr Wissen und ihre Erfahrungen mit fortgeschrittenen Zaubern und Flüchen übermittelt hatte.

"Und es ist unbedingt erforderlich, daß die Runen für Dauer, Erinnerung und Bewahrung in der Richtung eingraviert werden, in der sich die Sonne relativ zur Erddrehung befindet, also im Urzeigersinn", sagte Madame Maxime ihm noch einmal, als er die Grundlagen für das Denkarium abhandelte. Er stellte fest, daß es ähnlich schwer war, diesen Auffangbehälter für Erinnerungen zu bauen wie die Herstellung eines Intrakulums. Dreißig magische Gravuren, durch genau einzuhaltende Linien miteinander verbunden, jede davon zu einer bestimmten Tageszeit mit einem Zauber belegt, machten das Denkarium zu dem was es sein sollte. Doch bevor diese Zauberzeichen eingraviert und entsprechend mit Zauberstab und Wirkungsformel in Kraft gesetzt wurden, mußte er einen großen Granitblock aushöhlen, daß mindestens sein Kopf darin versenkt werden konnte. Die Runen würden den gewissen Rauminhaltsvergrößerungszauber bewirken, der schier unendlich viele Gedächtnisabschnitte aufnehmen konnte. Hierbei lernte er, daß es nicht auf die Dauer der erinnerten Begebenheit ankam, sondern auf die Spuren, die dieses Erlebnis in seinem Gedächtnis hinterließ, die Heftigkeit der Erinnerung, egal ob es seine schönste, traurigste oder schlimmste Erinnerung war. "Zeit ist amorph in der Erinnerung. Sie wird nur durch die in ihr stattgefundenen Erlebnisse geprägt", dozierte Madame Maxime zwischendurch.

Am siebzehnten April hatte er auf jede Frage nach der Herstellung eines Denkariums die korrekte Antwort parat. Professeur Faucon hatte derweil einen zugeschnittenen Granitblock von knapp einem Meter Durchmesser beschafft. Der praktische Knetbarkeitszauber Mollisaxum, der härteste Steine zu gummiartig formbarer Masse umwandelte, durfte allerdings nicht benutzt werden. Denn der Block sollte nur die Magien vollständig in sich aufnehmen, die zu seiner Funktion als Denkarium gehörten. Ein den ganzen Körper betreffender Materialeigenschaftszauber würde die Arbeit um mindestens einen Monat verzögern, hatte Madame Maxime gesagt. So mußte Julius aus seinem Buch über Zauberkunst den Aushöhlzauber benutzen, der sich auf winzigsten Raum oder größere Flächen anwenden ließ, wenn die Wort- und Gedankenkomponenten entsprechend ergänzt wurden. Hier zeigte sich, daß Madame Maxime Ahnung vom Töpfern und Bildhauerei besaß. Denn sie konnte Julius an Übungssteinen zeigen, wie er den Deffodius-Zauber so anwenden konnte, daß er wie mit einem fingerdicken Verdampfungsstrahl vom Mittelpunkt des runden Granitblocks nach außen kreiseln konnte, um ein immer weiteres und tieferes Loch, erst wie eine kleine Delle und dann wie eine Kuhle zu formen, die immer tiefer und weiter gähnte. Er mußte jedoch darauf aufpassen, daß der Rand breit genug für die Runen blieb, die zum teil parallel ineinandergriffen, also neben der waagerechten auch eine senkrechte Verbindung untereinander bekamen. Doch was ihm Ammayamiria geraten hatte mußte er zuerst machen, wenn er den runden Granitblock für die Herstellung eines Denkariums ausgehöhlt hatte. eine volle Stunde dauerte diese Präzisiionsarbeit, bis er ein unberuntes, quasi jungfräuliches Steingefäß vor sich hatte, daß wie ein Aschenbecher für eine Kettenraucherparty wirkte. "So, um Reste der zur Aushöhlung gewirkten Magie abklingen zu lassen müssen Sie das Denkarium jetzt zwölfmal so lange unberührt lassen, wie Sie es mit dem Deffodius-Zauber bearbeitet haben. Sie haben offenbar eine gute Auffassungsgabe für plastisches arbeiten, Monsieur Latierre."

"Wenn Sie meinen, daß ich gut irgendwas töpfern kann kommt das wohl von meiner Großmutter Linda. Die hat viele Sachen selbst getöpfert. Und ich habe als kleiner Knirps gerne mit Knetmasse und in der Schule auch mit Ton rumgewerkelt."

"Und Sie haben sich hier in die AG für praktische Zauberkunst eintragen lassen, um diese Begabung nicht einrosten zu lassen", sagte die Schulleiterin. Julius wußte ja durch die nun schon mehr als zwei Monate, daß Madame Maxime sehr gerne töpferte und Tonskulpturen baute, wenngleich sie mit dem Steinaufweichungszauber auch härtere Materialien kneten konnte.

"Wie war das, was Sie mir erzählten, daß Sie das neue Denkarium gegen den Zugriff feindlicher Hexen und Zauberer absichern wollten?" Fragte die Schulleiterin. Julius beschrieb ihr noch einmal, was er von Ammayamiria erfahren hatte. Eine Spirale von Aufbewahrungs- und Siegelrunen in fünf Windungen an der Unterseite eingraviert und jede Windung mit der magischen Formel bezaubert, die eine besonders starke Schutzmagie entfaltete, wie sie die Nachkommen Ashtarias kannten, um die von Vater an Sohn, Mutter an Tochter, Großvater an Enkelsohn oder Großmutter an Enkeltochter weitergereichten Erbstücke mit voller Kraft gegen ihre Feinde einsetzen zu können. Dabei ging es nicht darum, die Feinde zu vernichten, sondern sich selbst vor ihnen zu schützen und/oder die Gegner für lange Zeit zu vertreiben. Die größte Macht dieses Zaubers hatte er im August des letzten Jahres erleben dürfen, als zwei Nachkommen Ashtarias ihm über mehr als tausend Meilen Entfernung genug Kraft zuführten, um den Haßdom der Todesser in eine nach außen zerfließende Welle aus Zuneigung und Zuversicht umzuwandeln. Er hoffte, daß der mächtige Schutzzauber nicht in die anderen Eigenschaften des Denkariums hineinfuhrwerkte.

Am nächsten Tag zog er mit dem Insignius-Zauber die fünffach gewundene Spirale aus Aufbewahrungs- und Versiegelungsrunen, wobei er sich auch hier an die Drehrichtung hielt, die die wandernde Sonne vorgab. Als er die letzte dieser runden Siegelrunen präzise im Mittelpunkt der schweren Schale eingeschrieben hatte, ging er wie angewiesen vor.

"Alaishadui Siri,
Alaishaduan a sogaharan Iri.
U Alaishaduim Godiri,
san Arwoxaran Laishandan Miri!" Die uralte Sprache wirkte selbst schon wie eine Zauberformel, fand Julius, während er diese alte Machtformel der hellen Kräfte bei jeder Windung von außen nach innen wiederholte. Jedesmal ergoß sich ein goldener Lichtstrahl aus dem Zauberstab, der die in der gerade bezauberten Windung aufgereihten Runen aus sich selbst erleuchten ließ. Als er die mächtige Anrufung weißer Magie auf die fünfte und innerste Spiralwindung sprach, floß das immer noch glimmende Goldlicht der anderen Runenreihen zu einem hellen, goldenen Licht zusammen, das die gesamte Denkariumsunterseite erstrahlen ließ. Es breitete sich bis zur runden Wand des Granitgefäßes aus und überzog diese. Irgendwie ahnte Julius, daß es nicht nur die Außenseite erfüllte, sondern auch im inneren des Behälters leuchtete. Doch er wagte nicht, das unberührte und an sonsten auch noch nicht fertige Denkarium umzudrehen, da es trotz Aushöhlung immer noch ein gutes Gewicht besaß. Eine volle Minute lang glühte das goldene Licht. Dann erlosch es übergangslos. Der Boden des Denkariums war jedoch nun völlig glatt wie poliert. Nichts deutete auf die eingeschriebenen Runen hin. Hoffentlich hieß das, daß ihre Macht nun im ganzen Behälter steckte und nicht, daß er irgendwas verkehrt gemacht hatte.

"Ein höchst imposanter Zauber, Monsieur Latierre", bemerkte Madame Maxime, die die volle Konzentration ihres Einzelschülers nicht mit einem Wort unterbrochen hatte, bis das magische Leuchten erloschen war. "Falls diese Behandlung wahrhaftig die von Ihnen erhoffte Wirkung besitzt, ist sie wohl unumkehrbar und dauerhaft. Ich habe selten Schutzzauber gesehen, die länger als eine Minute nachklangen, auch wenn sie wie Ihrer für eine unbegrenzte Dauer vorhalten sollten."

"Irgendwie hat mich das jetzt gut geschlaucht", stellte Julius fest, als er sich ansah, was er da hinbekommen hatte. "Die volle Konzentration nur auf mich ruhig machende Sachen und auf die, die mir wichtig sind hat wohl Kraft gekostet."

"Ich denke auch, daß die Macht dieser Bezauberung viel Ausdauer von dem fordert, der sie auf einen Gegenstand überträgt. Ich habe die Kraft gespürt, die die Zauberformel an sich schon entfaltet", sagte Madame Maxime. "Und ich denke, wir haben nun den Beweis, daß Sie wohl wirklich von dem Gift des Skyllianris genesen."

"Es ist bestimmt schon ganz aus mir raus", erwiderte Julius leicht ungehalten. "Aber Madame Rossignol meint ja, ich dürfte den ablaufenden Prozeß nicht beschleunigen."

"Nun, da verlassen wir beide uns wohl besser auf ihre Erfahrung und die Kompetenz der mit ihr korrespondierenden Kollegen ihrer Zunft", erwiderte Madame Maxime. "Aber was den gerade angewandten Zauber angeht, Monsieur Latierre, wissen Sie da, ob Sie das Denkarium nicht auch mehr als die zwölffache Zeit unberührt lassen müssen, oder gleich mit den nächsten Zaubern fortfahren können?" Julius überlegte. Ammayamiria hatte ihm in jenem Traum erzählt, sie würde an Millies Geburtstag noch einmal zu ihm kommen, um seiner Frau und ihm zu helfen, sich an ihre eigenen Geburten zu erinnern, selbst wenn das mit starken Gedächtnisverstärkertränken auch ohne Ammayamiria möglich war. Somit hatte Julius die Vorgabe. Offenbar wußte die aus Aurélie Odins und Claire Dusoleils Seelen entstandene Daseinsform sehr gut, wie lange er für die Herstellung des Denkariums brauchte und wann er den Schutzzauber aufbringen konnte. Bis zum fünfundzwanzigsten April waren es jetzt nur noch sieben Tage. Nachdem, was er über die üblichen Denkariums-Zauber gelernt hatte würde er sechs Tage dafür brauchen, alle dreißig Runen einzugravieren und die entsprechenden Zauber damit auszuführen. Also konnte er wohl einen Tag verstreichen lassen. Verflüchtigen würde sich die nun im Behälter steckende Kraft nicht mehr, da war er sich auch sicher.

 

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Es erwies sich als nicht so einfach, die Wirkungsrunen in das Denkarium einzumeißeln und korrekt miteinander zu verknüpfen. Offenbar setzte der bereits eingewirkte Schutzzauber einen gewissen Wiederstand gegen weitere Bearbeitungszauber. Nur Julius konnte diese Arbeit ausführen, weil das Denkarium nur von einem alleine hergestellt werden durfte und er mit dem Schutzzauber bereits vorgeprägt hatte, daß er derjenige sein sollte. So schaffte er nur vier der beabsichtigten sechs Runenzauber pro Tag. Doch er dachte daran, daß Ammayamiria nicht behauptet hatte, daß er unverzüglich die ersten Erinnerungen einlagern müsse, wenn das Denkarium fertig sei. Immer wieder mußte er kleinere Wutanfälle abreagieren, wenn etwas nicht gleich so lief wie er wollte. Nur wenn er es schaffte, sich vollends zu konzentrieren und alle störenden Gefühle zu verdrängen, konnte er weitermachen. So vergingen die Tage bis zum fünfundzwanzigsten April hauptsächlich mit den Bearbeitungsschritten für das Denkarium. Allerdings wollte Madame Maxime auch, daß er die für die ZAGs notwendigen Zauber übte und forderte am vierundzwanzigsten April sogar einen über fünf Stunden zu brauenden Zaubertrank von ihm. Wie heftig die Arbeit ihn forderte merkte er daran, daß er fast jede Nacht von irgendwelchen aufwühlenden Sachen träumte, ob Prüfungen, bei denen er durch dunkle Gänge rennen und Zaubern und Fallen ausweichen mußte, Quidditch wie damals in der Vision in der Säule der Gründungsmutter Viviane, wo er von Drachen umschwirrt worden war, oder Träumen, wo ihm mehrere hundert Mitschülerinnen nachjagten und ihn aufforderten, mit ihnen die Nacht zu verbringen. Temmie hatte ihn seit Madame Maximes Geburtstag nicht wieder in seinen Träumen geführt. Offenbar war die von Darxandria beseelte Latierre-Kuh mit ihren eigenen, natürlichen Angelegenheiten zu sehr beschäftigt. Oder sie wollte, daß er wieder für sich alleine träumte.

"Ich werde wohl am siebenundzwanzigsten die letzten Runen hinkriegen", sagte Julius zu Madame Maxime, als er das Denkarium an diesem Abend genug bearbeitet hatte.

"Hauptsache, es ist zu Walpurgis fertig", erwiderte die Halbriesin und betrachtete das der Schule gehörende Denkarium, das als Vorbild diente. Wie halbflüssiges Mondlicht kräuselte und strudelte sich darin die silberne Substanz gesammelter Erinnerungen. Julius dachte daran, daß wohl schon alle aussichtsreichen Mitschüler Einladungen von jungen Hexen erhalten hatten. Er dachte auch daran, daß Madame Maxime dieses Jahr wohl nicht mit auf dem Auswahlkarussell der Lehrer mitfahren würde, das durch unterschiedliche Drehgeschwindigkeiten zufällig ausloste, welcher Lehrer mit welcher Lehrerin den Hexenabend verbringen sollte. Da mit Professeur Agrippine Fourmier eine weitere Lehrerin dazugekommen war, würde es wohl nicht groß stören, wenn Madame Maxime an diesem einen Abend nicht zur Verfügung stand.

"Sie haben auf jeden Fall bisher alles richtig gemacht", sagte die Schulleiterin noch, als sie die bereits fertigen Gravuren mit denen auf dem Denkarium von Beauxbatons verglich. "Ich denke, es wird seinen Zweck mindestens zehn Generationen lang erfüllen, wenn Sie die Zeit- und Bewahrungsrunen ebenso hinbekommen wie die Runen für Gedächtnis, Liebe, Freude, Angst, Trauer und Verärgerung, Dauer und Vielfalt." Julius hoffte das auch. Zwar hatten ihm die entsprechenden Emotionen gute Dienste geleistet, während er die damit verknüpften Zauber gewirkt hatte. Ob das aber ein taugliches Denkarium wurde kam erst heraus, wenn er die Runen für Unerschöpflichkeit, Bewahrung und Zeit eingraviert und durch die vorgesehenen Zauber mit den anderen Runen Verknüpft und aktiviert hatte. Wenn dann alle dreißig innerhalb und außerhalb des Behälters angebrachten Runen für eine halbe minute leuchteten würde er es erst wissen, ob die Verbindungen und Verknüpfungen alle ineinandergriffen und er zur vollständigen Aktivierung die ersten Erinnerungen einlagern konnte. Zwar konnten Erinnerungen aus einem Denkarium auch wieder gelöscht werden, wenn sie jemand ohne entsprechende Vorbereitung einfach so in seinen Kopf übertrug. Doch wenn die ganzen Erinnerungen unangetastet blieben, mochten sie mehr als tausend Jahre lang ungetrübt bereitgehalten werden. Das besondere an einem Denkarium war, daß es nicht aus Versehen leerlaufen konnte wie ein umgestürzter Putzeimer. Zum einen galt die Schwerkraft nicht für die halbstoffliche Erinnerungssubstanz. Zum anderen hielten die Bewahrungs- und Dauerhaftigkeitsrunen alle dem Denkarium anvertrauten Eindrücke so fest, wie ein Elektromagnet ein ganzes Auto gegen die Schwerkraft anziehen und festhalten konnte. Da Julius schon mit der fremdartig anmutenden Art vertraut war, Erinnerungen in verschließbare Flaschen oder Phiolen zu füllen, störte ihn das nicht sonderlich.

Vor dem Schlafengehen hörten sie noch einmal Radio. In den letzten Tagen war Didier wegen der ihm vorgeworfenen Verbrechen im Amt von hunderten von Zeugen belastet worden, die ihre Gründe anführten, warum er sie in die Friedenslager geschickt hatte. An diesem Tag mußte das Gericht mit anderen Leuten tagen, weil Professeur Tourrecandide und Monsieur Delamontagne über die Befreiung der Friedenslager auszusagen hatten.

"Die Hälfte der Zeugen ist nun gehört worden, und trotzdem ist das Ausmaß des ganzen Schadens immer noch nicht zu überblicken", sagte der Sprecher vom Nachrichtensender. "Heute traten Professeur Tourrecandide und der frühere Oppositionsführer Phoebus Delamontagne in der ungewohnten Rolle als Zeugen auf. Minister Grandchapeau und Monsieur Montpelier fragten sie über die Suche nach den Friedenslagern und deren Befreiung aus. Wann Flavio Maquis, der zur Zeit an einem geheimgehaltenen Ort inhaftiert ist, als Kronzeuge gegen Janus Didier aussagt ist noch nicht gewiß, daß zunächst geprüft werden muß, ob die von dem durch eine unglaubliche Verknüpfung von Zaubern aus der Welt entfernte Sebastian Pétain massive Mordvorwürfe gegen Janus Didier erhoben hat, für die er Beweise gefunden haben will. Diese Beweise werden parallel zum laufenden Verfahren auf ihre Echtheit überprüft." Julius erinnerte sich, daß einige der Zeugen von Beweisen gesprochen hatten, daß Janus Didier seinen eigenen Bruder Roland entweder eigenhändig ermordet oder dessen Mördern geholfen hatte. Er dachte an seine Schwiegergroßmutter Ursuline, sowie alle ihre Kinder, die sie von Roland Didier bekommen hatte. Wenn das stimmte, daß der Typ, der damals Professeur Faucon so fies verladen hatte, vom eigenen Bruder umgebracht worden war, würden die Latierres Janus Didier wohl abgrundtief hassen. Er fragte sich, ob es wirklich schwieriger war, einen Verwandten umzubringen als einen fremden Mitmenschen. Denn für ihn war das Töten in jeder Hinsicht keine leichte Sache. Er selbst ging davon aus, daß er keinen Menschen töten konnte, und falls doch, dann wohl in einer ausweglosen Lage, ohne groß darüber nachdenken zu können. Er dachte an Draco Malfoy. Der sollte Dumbledore umbringen, hatte es in Hogwarts geheißen. Aber der eigentliche Mörder von Dumbledore war dann Snape geworden und nicht Draco Malfoy. Und Snape war von Goldschweif für nur unangenehm empfunden worden. Daran mußte er alles denken, während der Nachrichtensprecher über die Aufarbeitung der Wolkenhüterangriffe berichtete. Er hörte erst wieder genauer hin, als der Sprecher sagte: "... tauchten seit dem fünften März keine Entomanthropen mehr auf. Was jene, die diese Ungeheuer wieder in die Welt zurückgeholt hat wirklich bezweckt hat bleibt somit im Dunkeln. Womöglich verfolgt jene, die sich als Sardonias Erbin bezeichnet mittlerweile ein anderes Ziel. In dem Zusammenhang dürfte der Brand auf dem Landgut der Lanuages eine andre Bedeutung erhalten. Zwar behauptete Madame Véronique Lanuage, es habe sich um eine Nachlässigkeit mit Zauberfeuer gehandelt, bei dem eine Aschwinderin entstanden sei. Doch ungenannt bleiben wollende Quellen sprechen von alten Schulden, die die Familie Lanuage bei den Anhängerinnen Sardonias ausstehen habe. Wir erinnern in dem Zusammenhang an die Einbruchswelle von vor einem Jahr, wo sowohl die Lanuages, sowie die Villeforts und nicht in Millemerveilles beheimateten Graminis von bis heute unbekannten Tätern heimgesucht und beraubt worden sein sollen. Wenige Tage darauf tauchten die Entomanthropen wieder auf. Monsieur Montpelier sagte diesbezüglich am Rande der Verhandlung gegen Didier: "Mag es sein, daß Sardonias Erbin, sofern dieser Titel überhaupt gelten darf, eine weitere dunkle Hinterlassenschaft der Hexenkönigin aus dem sechzehnten Jahrhundert erlangen will oder dies bereits geschafft hat. Wir haben also keinen Grund, uns in unserer Heimat sicher zu fühlen." Immerhin konnten die Dementoren, die gestern Morgen versucht haben, die Atlantikküste zu überrennen, wirksam zurückgeschlagen werden."

"An und für sich sollten wir beide keine Nachrichten mehr hören, wenn wir unmittelbar vor der Nachtruhe stehen", grummelte Madame Maxime. "In Ihrem Zustand könnte das unruhige Träume auslösen und für mich könnten sich aus den Vorfällen unangenehme Fragen ergeben, die mich nicht recht schlafen lassen, und ich benötige genug Tagesausdauer für die Unterrichtstage."

"Trotzdem ist es wichtig zu wissen, was in der Zaubererwelt passiert", widersprach Julius vorsichtig. Darauf erhielt er jedoch keine Antwort.

 

__________

 

Julius glaubte, zwischen den baumhohen Blumen des Châteaus Tournesol entlangzulaufen. Es war noch früh am Morgen. Über ihm am Himmel eilten graue Wolken dahin, zwischen denen ein blasses Blau hindurchschimmerte. Dort traf er seine Frau Mildrid, die gerade völlig unbekleidet war. Er glaubte zuerst, sie wolle ihn zur körperlichen Liebe ermuntern, als zwischen den Sonnenblumen die rotgoldene Gestalt Ammayamirias hervortrat und sie beide anlächelte. "Ah, schön, es hat doch geklappt, euch beide hier zu treffen", sagte sie. Julius erinnerte sich. Sie wollte die beiden aufsuchen, um seine und Millies Geburt für jeden der beiden nacherleben zu lassen. Denn mit dieser Erinnerung sollte er das Denkarium in Betrieb setzen, wenn es fertig war. Mit einer sanften Handbewegung streifte Ammayamiria Julius Pyjama vom Körper. Sonst trug er nichts, nicht einmal seine Uhr, den Brustbeutel oder das Zuneigungsherz. Die transvitale Entität stellte sich zwischen die beiden sehr jungen Ehepartner und berührte sie. Unvermittelt meinte Julius, er habe den Platz gewechselt. Als er jedoch feststellte, daß er nicht nur den Platz, sondern den Körper mit Millie getauscht hatte und sie mit seiner Stimme belustigt kicherte, setzte er schon an, Ammayamiria zu fragen, wieso das jetzt sein mußte. Doch diese sagte ruhig: "Jeder von euch beiden erlebt erst die letzten Stunden vor bis ersten Stunden nach der Geburt des anderen, um dann den eigenen Eintritt in die Welt noch einmal zu erleben." Dann breitete sich Ammayamiria aus, wurde zu einer rotgoldenen Lichtkugel, die sie beide einsog. Julius wollte schon sagen, daß er sich Millies Ankunft auf der Erde auch in seinem eigenen Körper ansehen konnte, als er auch schon nicht mehr auf festem Boden stand. Er besuchte mal wieder den Schoß seiner Schwiegermutter, beziehungsweise, empfand nun das, was seine Frau wenige Stunden vor dem ersten Atemzug schon von der Außenwelt mitbekommen hatte. Er hörte, wie Hippolyte mit ihrer Schwiegermutter sprach, die stark gedämpft und von Körpergeräuschen überlagert sagte:

"Ich bin mir jetzt ganz sicher, daß deine Tochter heute schon raus will, Hippolyte. Auch wenn du dich sehr gut fühlst kriege ich das mit, daß sie fertig ausgetragen ist. Glaub's mir, daß ich da genug Erfahrung habe, um das zu erkennen."

"Denkst du ich hätte keine Erfahrung, Lutetia", dröhnte Hippolytes Stimme um ihn herum. "Bei Martine wußte ich das auch, wann es so weit war. Aber bei Mildrid denke ich, daß sie erst in zwei Tagen klarmacht, daß sie ans Licht will."

"Du hast dich also doch für die seltenere Schreibweise entschieden", hörte Julius wie durch eine dicke Wand Lutetias Stimme.

"Ja, habe ich", donnerte ihm Hippolytes Stimme in den Ohren. Da merkte er, der gerade eine Sie war, wie um ihn herum die runde Wandung zusammengestaucht wurde und hörte Hippolytes erschreckten und schmerzhaften Aufschrei und Lutetias leicht verächtliche Bemerkung, daß sie ihr doch gesagt hatte, daß es heute so weit sei. Julius versuchte, aufzuwachen, weil ihm die immer enger werdende Umgebung eher ängstigte. Hinzu kamen Hipps Schmerzenslaute, die zwischen Stöhnen und lauten Schreien schwankten. Als endlich der Kopf freikam und er durch den Nebel der noch mit Fruchtwasser bedeckten Augen ins Licht blinzelte, hörte er Hippolyte noch sagen: "Omakind. Hättest dir ruhig noch Zeit lassen können, bis die Pelikane gegen die Drachen gewonnen haben." Doch Julius konnte eh nichts tun außer zu hoffen, daß Hipp ihn nun innerhalb einer Minute vollständig freigeben würde. Doch es dauerte noch mehrere Minuten. Als sein Körper endlich aus dem engen Kanal heraus war hielten für ihn gerade große Hände seinen schweren Kopf und den Körper sicher. Dann fühlte er, wie ihm etwas auf Höhe des Bauchnabels abgeschnitten wurde. Er meinte, gleich ersticken zu müssen. Doch bevor ihn die gerade riesenhaft mit ihm dastehende Zwergin eins hinten draufhauen konnte, spie er seine Verärgerung über die ganze leidige Sache in einem langen Schrei aus. Widerwillig bekam er noch mit, daß ihm die kurzen Beine auseinandergedrückt wurden, um zu sehen, ob er wirklich ein Mädchen war. Dann wurde er als seine gerade erst geborene Frau Mildrid ordentlich gewickelt und Hippolyte, die in dieser Perspektive mindestens so groß wie Madame Maxime war, in die Arme gelegt. Er bekam noch die ersten zwei Stunden mit, bevor er in seinem eigenen Körper wieder neben Millie stand, die kein Baby war und immer noch nichts anhatte.

"Werden die Muggelkinder immer in so kalten und hellen Räumen geboren?" Fragte sie. Julius mußte eingestehen, daß das wohl stimmte. Dann schickte Ammayamiria seine Erinnerungen fast sechzehn Jahre zurück, wo er noch mitbekam, worüber seine Mutter und sein Vater sich in den Stunden vor seiner Ankunft noch unterhalten hatten. Als er dann noch einmal die Tortur der Geburt aus der Babywarte miterlebte und sich die Namen des Arztes und der beiden Geburtshelferschwestern einprägte, hörte die Rückempfindung auf. Ammayamiria lächelte beide an und wünschte Millie alles gute zum Geburtstag und versicherte Julius, daß er das Denkarium richtig hinbekommen würde und nun die beiden ersten klaren Erinnerungen ihrer beider Leben darin einlagern könne. Dann fand sich Julius in diesem übergroßen Gitterbett wieder. Noch einmal dachte er, ein gerade erst geborenes Baby zu sein, als Millies Stimme in seinem Kopf erklang: "Diese Ammayamiria ist echt 'ne lustige Type, uns beide mal eben komplett aus unseren Müttern rauskrabbeln zu lassen. Wozu sollte das noch mal gut sein?"

"Weil die beiden Erinnerungen mit dem Zauber, von dem ich dir ja erzählt habe, keinen mehr rausziehen lassen, was wir reintun und uns zu wichtig oder brisant ist, um es Feinden von uns in die Hände fallen zu lassen", erwiderte Julius.

"Oma Tétie hat mich deshalb wohl so vergöttert, weil ich ihr rechtgegeben habe und genau an dem Tag auf diesen Planeten geplumpst bin, den sie angesagt hat. Aber die Muggelheiler spinnen doch echt, 'ne Frau liegen zu lassen und deren Baby gegen die Erdanziehung rauszudrücken."

"Wegen der besseren Versorgungsmöglichkeiten, Millie. Allerdings kommen doch jetzt viele Ärzte und vor allem Hebammen auf den Dreh, die Mütter anders zu lagern, damit deren Kinder nicht gegen, sondern mit der Schwerkraft ankommen. Aber viele Ärzte halten die Rückenlage immer noch für die versorgungstechnisch günstigere Gebärbposition."

"Wir beide wissen das jetzt auf jeden fall, daß das nicht so ist, Monju. Schade, daß wir beide morgen nicht alleine in den Park gehen können."

"Ja, stimmt", gedankenantwortete Julius. Dann wünschte er seiner Frau trotz allem einen schönen Geburtstag, jetzt wo sie den allerersten, den Nulltag noch einmal durchgestanden hatten.

Am Morgen zogen die gemalten Musiker aus Mexiko einen flotten Marsch spielend durch die Bilder. Julius konnte sich noch gut an alles erinnern, was er in der Nacht geträumt oder nacherinnert hatte. Irgendwie fühlte er sich jetzt Hippolyte noch enger verbunden als ein Schwiegersohn seiner Schwiegermutter gegenüber, wohl weil Millie nicht in einem sterilen Kreißsaal in einem Großstadtkrankenhaus auf die Welt kam, sondern in einem mit Kerzenschein erleuchteten Salon. Zwar konnte sie damals genauso wenig sehen, was weiter als zwanzig Zentimeter weg war. Aber er empfand ihre Erinnerung an die Umgebung nicht als zu hell oder kalt, was wohl auch daher kam, daß ein munteres Feuer im Kamin viel Wärme erzeugt hatte, während sein Geburtsraum sich sehr kalt anfühlte. Die ganzen Erinnerungen, die Stimmen von Dr. Newman, Schwester Eldridge und Schwester Worthington hatten fürsorglich geklungen. Und vor allem hatten sie das alberne Dudidu-Geschwätz unterlassen und nur mit leicht angehobenen Stimmen auf ihn eingesprochen.

"Guten Morgen, Monsieur Latierre. Haben Sie gut geschlafen?" Fragte Madame Maxime, als sie hinter dem Wandschirm auftauchte, der als Blickschutz zwischen ihrem und seinem Bett stand. Julius richtete sich soweit auf, bis er an das netzartige Metalldach seines geschlossenen Schlafmöbels stieß.

"Ich habe nur geträumt, wie das vor sechzehn Jahren mit Mildrid losging und dann mit mir, weil ich laut Ammayamiria diese Erinnerungen im Denkarium unterbringen soll, um den Zugriff für Unbefugte komplett zu sperren", erwiderte der ZAG-Schüler und wartete bis Madame Maxime ganz hinter dem Wandschirm hervorgetreten war und die Verriegelung des Seitengitters löste.

"Dann müssen wir zusehen, daß Sie Ihr Denkarium in den nächsten Tagen erfolgreich vollenden, um diese Erinnerungen so gut wie möglich abrufbar extrahieren zu können. Julius bestätigte das leicht grummelnd. Dann stand er auf. Der nächste Tag ging los. Wohl wieder ein üblicher Arbeitstag und das immer noch dumme Glotzen der Mitschüler aushaltend. Zwar half ihm die Erinnerung an Madame Maximes katastrophale Liebesnacht dabei, nicht in unbeherrschbare Gelüste auszuschweifen, und Dedalus' Sprüche hatten auch nachgelassen, seitdem er ihm die passenden Antworten gab, ohne gleich in die Luft zu gehen. Aber er sehnte den Tag herbei, an dem er diesen Ring um seine Taille loswerden konnte. Irgendwie kam er sich vor wie Edmont Danton, Martines Ex-Freund, der bei der ersten von Julius miterlebten Walpurgisnacht geschummelt hatte und deshalb einen Tag mit diesem immer schwereren Ring herumlaufen mußte. Doch wenn er an die Enge der letzten Minuten vor seiner Geburt dachte und sich überlegte, wie bedrückend der vorher so gemütliche Mutterschoß sein konnte, war er zumindest froh, laufen, atmen, essen und sprechen zu können.

"Möchten Sie Ihrer Gattin das Geburtstagsgeschenk persönlich übergeben oder per Eulenpost zukommen lassen?" Fragte Madame Maxime, als sie und Julius tagesfertig angekleidet im Gang zum sechseckigen Empfangsraum standen. Julius überlegte, ob er die sechzehn kleineren Sachen, die er für seine Frau beschafft oder selbst gezaubert hatte in ein Paket stecken und verschicken oder sie in der kleinen Holzkiste überreichen wollte, in der er sie aufbewahrte. Er hatte sich in den verstrichenen Wochen mit Madame Maximes hilfe praktische Alltagsgegenstände und Schmuckstücke ausgesucht, die mit den in der Magie anerkannten Elementen zu tun hatten. Darunter waren eine meergrüne Schürze, die er selbst reiß- und feuerfest gezaubert hatte, ein Feuermeldestein aus Australien, den Aurora Dawn ihm extra zugeschickt hatte, eine Mini-Sonnenuhr, ähnlich der in Viento del Sol, die selbst bei totaler Bewölkung noch den Sonnenstand anzeigte, welche ihm Brittany Forester besorgt hatte, sowie ein von ihm selbst aus Ton geformter, gehärteter und mit Animierzaubern belebter Drache ähnlich dem, der auf einem der Türme des Sonnenblumenschlosses thronte, Lederhandschuhe und Füßlinge, die mit einem dauerhaft abrufbaren Muscapedes-Kletterzauber behandelt waren und es erlaubten, an den glattesten Wänden oder mehr als zwanzig Zentimeterdicken Baumrinden hinaufzuklettern wie mit Saugnäpfen an Handflächen und Füßen, von Florymont Dusoleil Leichtwegstiefel, mit denen jemand durch holperiges Gelände, über morastigen Untergrund, durch tiefen Schnee oder über Glatteis wie auf glatten, festen Straßen laufen konnte. Richtig stolz war er auf die unleerbare, universell einsetzbare Wasserkanne, deren Ausfüllstutzen zu einem kurzen, schnabelartigen Gebilde für Küchenbenutzung oder zu einem schlanken, schwanenhalsartigen Ende für Gartenbenutzung verlängert werden konnte. eine halbe Woche hatte er an dieser Holzkanne herumgezaubert, bevor er sie mit einem ständig neu aufgebauten Aguamentizauber behandelt hatte, der sie ständig voll hielt, sobald sie einmal benutzt worden war. Die genaue Abstimmung der Zauber und das verwendete Holz hatte er zum Patent angemeldet. Womöglich gab es diese Kanne schon. Vielleicht aber auch nicht. Oder die Bezauberung war so einfach, daß jeder vollständig ausgebildete Zauberer sich selbst sowas machen konnte und es daher nicht patentwürdig war. Dann hatte er dünne Silberketten und Haarbänder ohne magische Bezauberung gekauft und eine von Madame Maxime getöpferte Blumenvase, die aussah wie eine aus Ton gewordene Sonnenblume mit Unzerbrechlichkeitszauber belegt.

"Ich möchte ihr das gerne zuschicken", sagte Julius. "Sie möchte ja erst feiern, wenn ich wieder dabei sein kann."

"Sie lasen mir das entsprechende Schreiben von ihr vor", erinnerte sich Madame Maxime.

So packte Julius die verschiedenen Sachen in vier kleinere Schachteln, eine wasserblaue mit allem, was mit der Naturkraft Wasser zusammenhing, ein himmelblaues, das für die Luft und die in ihr weit oben gestreute Sonnenstrahlung stand, ein grasgrünes für alles, was aus der Erde stammte und ein orangerotes für das Licht des Feuers. Diese vier Pakete verteilte er auf die Eulen Madame Maximes, die gerade da waren und ging mit der Schulleiterin zum Frühstück in den Speisesaal.

Während des Frühstücks ertappte sich Julius dabei, wie er wieder mit gewissem Verlangen zu den verschiedenen Junghexen an den anderen Tischen hinüberblickte. Vor allem Corinne tat es ihm immer noch an, weil sie trotz ihrer geringen Körpergröße und des Übergewichtes einen kraftstrotzenden Eindruck machte und sich sehr geschmeidig bewegen konnte. Doch als er am Schluß die ihm früh angetraute Hexe ansah, wie sie hochgewachsen, mit glatt bis weit auf den Rücken fallendem, rotblondem Schopf dasaß, die im letzten Jahr Ihrer großen Schwester immer ähnlicher geworrden war, erkannte er, warum er diese und sonst keine andere an den Tischen so verehrte. Sie bündelte Kraft, Willensstärke, Lebenslust, aber auch Zielstrebigkeit, Lockerheit und Gewandtheit in sich. Daß sie wohl schon daran dachte, selbst Mutter zu werden, obwohl sie heute die in vielen Rock-'n-Roll-Liedern so verehrten süßen sechzehn erreicht hatte, wunderte ihn jetzt nicht mehr. Auch wenn sie sich immer noch leicht zu irgendwas hinreißen ließ, sei es Freude, Ärger oder Verstimmung, wirkte sie auf ihn schon wie eine erwachsene Frau, jemand, die wußte, wofür sie leben wollte und wie sie ihre Ziele erreichen konnte. Mit einer Mischung aus Verlangen und Verehrung ließ er seine Blicke an ihrem Körper hinauf- und hinuntergleiten. Sie erkannte das wohl und fing seinen Blick einmal mit ihren rehbraunen Augen ein und lächelte ihn an, daß ihm schlagartig heiß und kalt wurde. Am liebsten hätte er sie gleich hier und jetzt geliebt, egal, wie viele Leute dabei zusahen. Doch er fing sich wieder, als das übliche Posteulengeschwader durch die Fenster hereinflog. alle Schüler, er eingeschlossen, freuten sich, daß die Eulen wieder zu ihnen flogen, wo unter Didiers Herrschaft wochen lang kein Postvogel zu ihnen durchgelassen worden war. Er sah, wie Millie von einer großen Staffel verschiedener Eulen angeflogen wurde, die sich um ihr Frühstücksgeschirr drängten und Briefe, Päckchen und ein großes Paket ablieferten. Viele Mitschüler staunten über die anzahl der Eulen. Dann sah er auch die Eulen mit seinen vier Paketen, die in einer gekonnten Pyramidenformation einflogen und die vier Geschenkpakete ablieferten. Bernadette Lavalette blickte immer wieder auf den immer größer werdenden Stapel von Geschenken vor Millies Nase und suchte nach Leuten, die für diesen Haufen Post verantwortlich sein mochten. Sicher hatten die Zwillinge und Patricia ihre Geschenke auch per Eulenpost abgeliefert. Aber wer war da noch alles. Julius grinste, als Bernadette ihn ansah. Einen winzigen Moment dachte er daran, wie es mit dieser überheblich gewordenen Bücherhexe da sein würde. Doch der Gedanke war selbst für das von Madame Maximes Blut überflutete Gehirn zu abwegig. Womöglich würde Millie sich im Laufe des Tages oder der kommenden Woche bei den Absendern der Päckchen und Pakete bedanken. Er genoß es zumindest, daß die meisten Schüler sich nun eher mit Millies Geburtstagsgeschenken beschäftigten als mit dem blonden, in den letzten Monaten um mehr als zehn Zentimeter in die Höhe und einige Zentimeter in die Breite gewachsenen Jungen am Lehrertisch.

Das Tischgespräch der Lehrer drehte sich an diesem Morgen um die weiteren Zeugen im Didier-Prozeß. Das Verfahren wegen Machtmißbrauch, Freiheitsberaubung in mehr als siebenhundert Fällen und mehr als zwanzigfacher Anwendung des Imperius-Fluches ging in die letzten Runden. Am neunundzwanzigsten April sollten auch Madame Maxime und Professeur Faucon gehört werden, um über die Lage in Beauxbatons auszusagen. Da die Sache mit Julius und der von Didier für ungültig erklärten Ehe und der Empfehlung, er möge doch nach England zurückkehren durch die Presse gegangen war, sollte er selbst noch über diese Punkte aussagen und als Beweis für die tödliche Gefahr, in die Didier ihn schicken wollte die Briefe und aus Großbritannien zugeschickten Zeitungen und Broschüren vorlegen. Alle rechneten damit, daß Didier am dreißigsten April wegen der eindeutig nachweisbaren Vorfälle zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt wurde. Es ging sogar schon die Diskussion um, ob alle, die Didier und Pétain freiwillig geholfen hatten, in einem separaten Straflageruntergebracht wurden, das ähnlich der mittlerweile aufgelösten Friedenslager beschaffen war. Andere wollten eine Abschiebung in die Muggelwelt. Wieder andere riefen immer lauter nach einer exemplarischen Vollstreckung der Todesstrafe, wobei sich die Phantasien der Fordernden an Grausamkeiten übertrumpften. Da erschien die Hinrichtung mit dem Todesfluch noch als gnädigste Version. Julius wurde deshalb auch gefragt, ob es in der britischen Muggelwelt noch Hinrichtungen gebe. Er erwähnte, daß die Todesstrafe schon seit mehreren Jahrzehnten abgeschafft worden sei, da sich herausgestellt habe, daß es weder den Angehörigen der Verbrechensopfer noch der Gesellschaft was brachte, die Schwerverbrecher umzubringen. Ermordete kamen dadurch nicht zurück, und die Verbrechensrate war dadurch auch nicht grundlegend geringer geworden. Er meinte dann zum Schluß:

"Ich habe auch Gründe genug, mich an diesem Kerl zu rächen, Messieurdames, aber was wäre danach? Ich glaube nicht, daß es irgendwem was bringt, wen im Namen des Volkes umzubringen, außer den Herstellern von Hinrichtungsmaschinen oder Henkern, die dafür bezahlt werden. Aber was Didier getan hat kann damit nicht zurückgedreht werden. Das muß ich mir selbst immer wieder sagen, wenn ich solche Meldungen lese."

"Könnte es nicht eher sein, daß Sie sogar irgendwie froh sind, weil nur durch die Zwangslage, daß Ihre Mutter entweder in tiefem Zauberschlaf in Millemerveilles versteckt bleiben oder aus dem Schutz dieses Dorfes ausgeschlossen werden mußte, diese eine Potenzierung ihrer unwirksamen zu wirksamen Zauberkräften erfuhr?" Fragte Dedalus sehr herausfordernd. Julius überlegte nur eine Sekunde und sagte:

"Meine Mutter hat nicht darum gebeten, eine Hexe zu werden, genausowenig wie Sie, ein Zauberer zu sein, Professeur Dedalus. Sie kam mit dem Leben, was sie vorher führte problemlos in beiden Welten klar und kam gut mit ihren Nachbarn in Millemerveilles zurecht. Sicher ist es richtig zu sagen, daß diese Potenzierung wegen Didiers Taten passierte, weil ja irgendwie was getan werden mußte, um ohne den Willkommenstrank für Muggel auszukommen. Aber weder der hat das angeordnet, noch haben die, die diese Verstärkung ausgelöst haben das so beabsichtigt. Ich habe also keinen Grund, mich bei Didier dafür zu bedanken. Denn meine Mutter wäre auch ohne Zauberkräfte immer noch meine Mutter. Oder lassen Sie Ihre Mutter nur gelten, solange sie hexen kann?"

"Meine Mutter lassen Sie bitte aus dem Spiel", knurrte Dedalus. Doch damit verriet er, daß Julius ihn mit seiner Erwiderung wieder einmal ausgekontert hatte. Professeur Faucon schnarrte den Kolegen an, daß dieser ja das Thema angeschnitten habe und der Höflichkeit und des damit einhergehenden Respekts wegen antworten solle. Madame Maxime nickte beipflichtend.

"Meine Mutter würde sich schämen, in der Muggelwelt leben zu müssen", grummelte der Besenfluglehrer. Dann wollte er sofort wieder was anbringen, um Julius aus dem Konzept zu bringen oder zu reizen:

"Und ich denke, Madame Latierre würde sich auch ärgern, wenn sie nicht mehr fliegen könnte. Die wird sich bestimmt wen für Walpurgis einladen, damit sie nicht alleine auf ihrem Besen herumfliegen muß."

"Ich habe ihr das nicht verboten", sagte Julius dazu kühl. "Aber sie hat keine Lust, wen einzuladen, der sie den ganzen Abend lang damit nervt, daß er nur Lückenbüßer ist oder darüber herzieht, was für ein Idiot ich doch gewesen sei, nicht früh genug abzuhauen und so weiter. Hat sie mir zumindest mitgeteilt. Aber ich weiß, warum Sie das Thema jetzt anbringen, Professeur Dedalus. Sie haben sich Hoffnungen gemacht, hinter Madame Maxime auf dem Abraxas-Pferd reiten zu dürfen." Madame Maxime räusperte sich warnend. Eisige Stille überkam die Tischgemeinschaft. Dedalus starrte Julius an, dessen Abwehrbereitschaft zu einer gerade so noch kontrollierbaren Angriffslust anwuchs. Zehn Sekunden hing diese Stille über dem Lehrertisch wie eine abrutschbereite Schneelawine. Dann sagte Madame Maxime ganz ruhig:

"Ich denke, die Herren, derartige Bezichtigungen und Vorhaltungen sind an diesem Tisch nicht weiter erwünscht. Da Sie, Aiolos, Monsieur Latierre provoziert haben, kann ich ihm für seine Reaktion nicht einmal Strafpunkte zuweisen. Ich stelle jedoch eindeutig klar, daß derartige Vorhaltungen, sobald sie meine Person einbeziehen, in Zukunft härter bestraft werden. Sie sind kein Schuljunge mehr, Aiolos. Lassen Sie sich also auch nicht auf die Verhaltensstufe eines solchen absinken, nur um zu prüfen, wie weit Sie Monsieur Latierre oder einen anderen Schüler reizen können, ohne eine Tätlichkeit auszulösen. Ich empfinde diese kurze aber unerwünschte Debatte als anmaßend und habe keine Probleme damit, nicht nur Schüler zu disziplinieren. Ein Brief an die Spiele und Sportabteilung, und ich darf einen neuen Fluglehrer oder eine Fluglehrerin in Beauxbatons begrüßen. Nur damit Sie endlich begreifen, daß dieses wiederkehrende Geplänkel zwischen Ihnen und Monsieur Latierre mich sehr mißmutig macht. Monsieur Latierre, ich bewundere einerseits, daß Sie trotz der immer noch nicht völlig wiederhergestellten Balance zwischen Ihren Gefühlen und Ihrem Verstand eher Wert auf einigermaßen geistreiche Antworten legen als loszupoltern. Ich verstehe auch, daß Sie sich nicht einfach stillschweigend bieten lassen wollen, was Ihnen hier alles vorgehalten wird, wenn es durchaus gerechtfertigt ist, Einspruch zu erheben. Ich möchte jedoch auch Ihnen mitteilen, daß Sie nicht unendlich viel Spielraum haben. Wenn Sie ähnliches wie eben gerade wiederholen muß ich meine Haltung zu Ihnen überdenken und Ihr Verhalten als grob undankbar und undiszipliniert einstufen. Das könnte zu einem vorzeitigen Verweis von dieser Akademie führen. Ich hoffe, Sie verstehen mich da eindeutig." Julius nickte nur. Jetzt was zu sagen könnte sie eh nur in den falschen Hals kriegen. Dedalus sah ihn zwar überlegen an, als habe er gerade einen Kampf gewonnen. Doch alle anderen Kollegen sahen ihn mit leichtem Kopfschütteln an.

Julius war froh, als das gemeinsame Frühstück im Speisesaal beendet war und Madame Maxime über die gerade passierte Sache kein weiteres Wort mehr verlor. Die Schulleiterin wollte jetzt die übliche Schreibarbeit erledigen, bevor sie mit ihm weiter an dem Denkarium arbeiten konnte.

Im Arbeitszimmer Madame Maximes wartete ein himmelblaues Pergamentauf dem Schreibtisch. Julius blickte es erwartungsvoll an. Madame Maxime nahm es und las es. Dann gab sie es Julius. Dieser bekam einen verhalten amüsierten Gesichtsausdruck. Es war tatsächlich passiert. Uranie Dusoleils Kind hatte nun am gleichen Tag Geburtstag wie seine Frau Millie. Der kleine Philemon Dusoleil war im Haus Jardin du Soleil zur Welt gekommen. Als Vater wurde ein gewisser Larentius Portius Villefort angegeben. Jetzt stand das also doch fest, wer den kleinen auf den Weg in diese Welt gebracht hatte. Madame Maxime fragte ihn, warum ihn diese Meldung so schadenfroh dreinschauen ließ.

"Mademoiselle Dusoleil hat es immer abgelehnt zu verraten, wer der Vater von dem Kind ist. Kriegt der Geburtenschreiber das denn irgendwie raus?"

"Nein, der Vater muß namentlich erwähnt worden sein, sofern es der wahrhaftige Vater ist", erwiderte Madame Maxime. "Aber das ist kein Grund, sich darüber zu freuen, daß er jetzt namentlich vermerkt ist. Denn er ist beim Ausbruch der Skyllianri aus Lager vier von den Entomanthropen getötet worden." Julius stutzte und verlor für einen Moment sämtliche Farbe aus dem Gesicht. Madame Maxime nickte ihm zu und holte mit einem Zauberstabwink eine Pergamentrolle in einem silbernen Haltering. "Er ist auf dieser Liste verzeichnet. Er brach zusammen mit Didier aus dem sogenannten Friedenslager vier aus und geriet dabei in einen Schwarm von Entomanthropen. Diese haben ihn neben einigen anderen Zauberern, die als Insassen in diesem Lager waren und den überwiegend nichtmagischen Opfern der Skyllianri dort zurückgelassen." Julius nickte nun. Wenn Madame Maxime sagte, daß Monsieur Larentius Portius Villefort tot war, dann mußte er das wohl glauben. So oder so hätte der Kleine wohl keinen Vater gehabt, weil der sich ja von aller Verantwortung freikaufen wollte und der Hexe, die er nur so aus Spaß beehrt hatte, eine Kiste voller Galleonen mal soeben nach Hause geschickt hatte, um den Aufwand für das Kind zu bezahlen. Würde Uranie ihrem Sohn irgendwann erzählen, wer sein Vater im Leben war, ihn vielleicht als für die Freiheit gestorbenen verklären? Oder würde sie dem Jungen nur sagen, daß sein Vater beim Kampf zwischen den Ungeheuertruppen umgekommen war? Vielleicht wollte sie jetzt, wo sie ihn gegen ihren eigenen Willen geboren hatte, zur Adoption freigeben, wie das in der Muggelwelt bei minderjährigen Müttern oder mittellosen Frauen die uneheliche Kinder bekamen möglich war.

"Villefort, der Name sagt mir was", sprach Julius etwas aus, daß ihm bei der Namensnennung durch den Kopf ging.

"Er entstammt einer der einflußreichsten Familien der französischen Zaubererwelt. Allerdings steht diese Familie in einem sehr schlechten Ruf. Es ist unstrittig, daß die weiblichen Angehörigen zur Zeit Sardonias offen mit der dunklen Matriarchin zusammenarbeiteten und daß nach Sardonias Sturz und hoffentlich endgültiger Vernichtung alle geborenen Hexen den alten Zeiten nachtrauerten, sich jedoch nach außen hin tolerant gaben. Sie erinnern sich ganz sicher an die Ereignisse vor etwas mehr als einem Jahr, weil es kurz vor Ihrer außerüblichen Hochzeit mit Mildrid Latierre geschah, daß es Einbrüche bei drei bekannten Familien gab. Es waren die Lanuages, Gramiminis' und Villeforts. Wenige Tage darauf erfolgte der Großangriff der Dementoren auf Millemerveilles und etwas, daß den diesen Ort umgebenden Dom veränderte, sodaß auch Dementoren davon abgewehrt werden und es seitdem auch möglich ist, dort lebende Hexen und Zauberer anzumentiloquieren." Julius nickte. "Die Vorsteherin der Villeforts hat mehrere Geschwister. Larentius Portius war einer ihrer Brüder, jemand der den Reichtum, mit dem er bereits als Neugeborener begütert war, als natürlichste Sache der Welt ansah und keine Bedenken hatte, die Galleonen mit vollen Händen unters Volk zu werfen. Ich habe den Jungen Zauberer als sehr freigiebigen, aber auch bestimmerischen Schüler kennengelernt. Wer von ihm gemocht werden und was von seinem Reichtum abhaben wollte, hatte zu tun und zu denken was er wollte. Mit dieser unsozialen und für andere Schüler unvorteilhaften Einstellung hat sich Larentius fast an den Verweis von der Akademie herangearbeitet. Doch seine hoch angesehene Familie erreichte es, daß er nicht ohne die UTZs von Beauxbatons abgehen mußte. Er gab immer gerne mit seinen Eltern an, hatte eine gewisse Scheu vor seiner Mutter und seiner Tante. Die waren es wohl, die ihn dazu brachten, weniger angeberisch und geldprotzend aufzutreten, zumindest bis er mit der Akademie fertig war. von da an arbeitete er als Schatzsucher für Gringotts und scheute sich nicht davor, ungeschützte Grabstätten oder versunkene Schiffe auszuplündern."

"Das machen die Fluchbrecher von Gringotts doch auch alle", wandte Julius ein.

"Nun, wie dem auch sei, Larentius gewann neben dem bereits mitgegebenen Vermögen noch mehr Gold und genug Ansehen, um einen starken Einfluß im Ministerium zu haben. Warum er verschwand und in Lager vier landete weiß ich nicht. Ich weiß nur, daß ihm die Damenwelt großen Spaß gemacht hat. Es gab durchaus junge Damen, die ihn wegen seines Aussehens und aufregenden Lebens vergötterten. Das Mademoiselle Dusoleil, Uranie, dazu gehört hat erstaunt mich nicht besonders. Denn er hat es meisterhaft verstanden, die Interessen der von ihm auserwählten Gesellschafterinnen zu seinen eigenen zu erheben, solange das Vergnügen dabei gewahrt blieb."

"Ich hatte er den Eindruck, daß Mademoiselle Dusoleil eher die ernsthafte, ja für leichte Spiele nicht zu haben ist", erwiderte Julius verwundert. "Ich dachte an einen alten Schulkameraden, der durchaus ähnlich war wie Mademoiselle Dusoleil."

"Womöglich, um nicht zu sagen höchstwahrscheinlich hat Sie der Eindruck getäuscht, den Mademoiselle Dusoleil Ihnen bot. Im Umgang mit Kindern und Heranwachsenden mag sie womöglich die strengere aus der Familie sein. Ihnen jetzt näheres zu erläutern, warum ich einen anderen Eindruck habe wäre eine grobe Indiskretion. Nur so viel: Mich wundert es nicht, daß der Name Villefort auf dieser Geburtsmeldung verzeichnet ist, Monsieur Latierre."

"Ich will auch nicht behaupten, daß Mademoiselle Dusoleil eine Nonne oder sowas wäre", erwiderte Julius darauf. "Aber so wie Sie mir den Kindsvater von Philemon beschreiben, war der ja ein Frauenheld, Playboy, wie wir Engländer das auch nennen."

"Vergessen Sie bei dieser Überlegung nicht, daß Mademoiselle Dusoleil Jahre lang bei der Betreuung der Familie ihres Bruders mitgeholfen hat und daher vielleicht gewisse Bedürfnisse zurückgestellt hat!"

"Das wäre doch kein Thema gewesen, sich wen zu suchen und auch 'ne Familie zu gründen", meinte Julius, noch was dazu einwerfen zu müssen. Doch Madame Maxime schüttelte den Kopf und sagte:

"Darüber jetzt weiter zu sprechen bringt nichts ein und verstößt gegen die gültigen Anstandsgrenzen. Es geht nur darum, daß ein neuer Erdenbürger geboren ist, dessen Eltern magisch begabt waren und der deshalb vorgemerkt wurde. Allerdings ist der Gedanke, daß dieser Junge eine Tante hat, die womöglich noch der Weltanschauung Sardonias anhängt nicht gerade etwas, was mich amüsieren würde."

"Wenn die eine Sardonianerin ist kommt die nicht nach Millemerveilles rein, weil deren sogenannte Erbin ja dann schon längst da sitzen und als zweite dunkle Matriarchin regieren würde", stellte Julius klar.

"Ich denke nicht, daß Sie das definitiv ausschließen sollten, Monsieur Latierre. Ich kann das wenigstens nicht unbeachtet lassen." Julius sagte nichts weiter dazu. Die Schulleiterin schickte die Pergamentrolle mit den Namen der Skyllianri-Opfer zurück an ihren Platz und ließ Julius die Eintragung des wahrscheinlichen Erstklässlers 2009/2010 vornehmen.

Es war nicht einfach, den Kopf von den ganzen Fragen und Gedanken freizukriegen, die sich um Uranies Kind drehten. Einerseits wollte er ihr gratulieren, auch wenn sie sich ihm gegenüber ziemlich verärgert über ihren Nachwuchs gegeben hatte. Andererseits gefiel ihm nicht, wie besorgt Madame Maxime war, weil der Junge die Blutlinie einer Familie fortsetzte, deren weibliche Mitglieder mit Sardonia, also auch mit Anthelia, zusammengearbeitet hatten. Würde die Wiederkehrerin vielleicht doch davon profitieren können? Er hoffte, daß Uranie den kleinen Philemon nicht zur Verehrung der reinen Hexenwelt erzog oder erziehen ließ. Was jedoch passieren konnte war, daß die Villeforts nun Ansprüche auf Mitbestimmung stellen mochten, auch wenn Larentius nicht mit Uranie verheiratet gewesen war. Da konnte noch was nachkommen, erkannte Julius.

Irgendwie schaffte er es dann doch noch, sich voll auf die noch ausstehenden Runen und Bezauberungen des Denkariums zu besinnen und zu konzentrieren. Am nachmittag kamen dann die üblichen Übungszauber dran.

"Deine Pakete sind ja echt nett, Monju", hörte er abends in seinem Gitterbett die Stimme seiner Frau im Kopf. "Die Kanne ist ja praktisch. Kann ich bei Kräuterkunde benutzen oder um mal zu sehen, ob ich damit eine Badewanne vollkriege."

"Interessant. Könnte hinhauen", schickte Julius zurück.

"Schade, daß du in die Blumenvase keine Blumen reingetan hast. Das holen wir aber nach, wenn Madame Maxime dir den Ring abnimmt und Madame Rossignol dir das Armband wieder dranmacht. Ist schon sehr schön, wie viel ich dir wert bin, Monju."

"Ich habe es glaube ich schon mal gesagt, daß du im Moment der Sinn meines Lebens bist", erwiderte Julius.

"Schön hast du das gesagt, vor allem, weil ich weiß, daß du das auch so meinst. Corinne ist wohl auch darauf aus, was kleines zu kriegen. Die hat mir doch glatt ein Buch geschenkt daß "Hallo Maman, hier ist dein Baby" heißt und wohl was für Mädels sein soll, die entweder noch nicht wissen, wie sie an so einen kleinen Schreier und Duttelnuckler drankommen oder für die, die schon sowas im Backofen haben und sich damit auseinandersetzen wollen, was das Kleine so alles empfindet. Werde da noch ein wenig drin lesen."

"Hat Oma Line das geschrieben?" Fragte Julius mit dem Herzanhänger auf der Stirn unhörbar zurück.

"Neh, so'ne ganz bekannte, altehrwürdige Hebamme aus den Staaten, eine Ejlejtia Griensporn, wenn die sich so ausspricht."

"Buchstabierst du mir den Namen mal? klingt irgendwie lustig", erwiderte Julius.

"E-i-l-e-i-t-h-y-i-a G-r-e-e-n-s-p-o-r-n, Monju! Im Vorwort steht, daß die in der Honestus-Powell-Klinik arbeitet, wohl der besten magischen Heilstätte der Staaten. Da ist sie Chefin der Geburtsstation. Halt, Moment, Oma Line hat mir doch mal im Château erzählt, daß Lino Langohr die im November interviewt hat, da wurde die hundert irgendwas.""

"Lino? Dafür hat die sich aber gut gehalten oder wie Pétain zurückschrumpfen lassen", warf Julius ein.

"Neh, die Hebammenhexe. Oma Line sagt, die würde sie gerne mal treffen und mit ihr drüber reden, was die beiden so an Erfahrungen haben. Jedenfalls liest sich das Büchelchen lustig, wo das Kind erst fordert, daß seine Mutter doch endlich mit ihrem Typen zur Sache kommt, damit es nicht wie seine hundert anderen Kameraden vorher unbefruchtet weggespült wird. Die hat offenbar einen derben Humor, die alte Tante. Aber mir gefällt's und Oma Line bestimmt auch."

"Apropos neue Kinder: Deine verschwägerte Tante Uranie hat ihren Kleinen heute bekommen."

"Och nöh, konnte der nicht noch einen Tag länger warten? Was soll's! Konnte wohl die ständige Grummelei und Nölerei um sich herum nicht mehr aushalten. Wie heißt "der kleine" denn?"

 

"Philemon, Mamille. Dieses Geburtsanzeigeding hat sogar den Namen des Vaters rausgelassen. Aber das darfst du echt keinem auftischen, wenn das nicht auch anders rumgeht."

"Solange es nicht der Unnennbare oder Janus Didier ist, Monju."

"Ich glaube nicht, daß Lord Massenmord Spaß an was findet, was neues Leben macht, Mamille, und Didier ist es auch nicht. Larentius Villefort hieß der. Madame Maxime sagte mir, daß der auch zu den Skyllianri gehört hat, die im Lager vier waren."

"Villefort? Oha, doch nicht etwa der Bruder von Minette Villefort. Uiiii, ist die ach so besonnene Uranie also auch auf den reingefallen. Die Villeforts haben damals tierischen Krach mit meiner, also unserer Familie gehabt, als Sardonia die Welt unsicher gemacht hat. Eine von denen, eine Epuna Leonie, ist sogar hinter Anthelia hergezogen, als die sich auf deiner Heimatinsel festgesetzt hat. Die hat mit der zusammen viele Hexen auf die Sardonia-Seite gezogen oder abgemurkst. Einige sagen, daß die Villeforts bis heute noch an Sardonias Sachen hängen und vielleicht noch was von der haben, womit jemand wie ... Okay, das dürfte wohl erledigt sein", kam Millies kurz verhaltene Antwort zurück. "Toll, dann kräht jetzt also einer aus der Villefort-Blutlinie in einer Wiege in Millemerveilles. Kein Wunder, daß Tante Uranie das nicht rausrücken wollte, von wem sie sich so unverhofft zur Lebensspenderin hat machen lassen. Aber ich verstehe, daß das sonst keiner wissen muß, Monju, wenn die in Millemerveilles das nicht in die Zeitung setzen."

"Und du bist nicht eifersüchtig, weil da noch wer an deinem Tag Geburtstag hat?" Fragte Julius.

"Ich fürchte, dann müßte ich mehr als eine Million Leute umbringen. Muß mich nur dran gewöhnen, daß die Dusoleils jetzt an dem Tag auch wen zu feiern haben. Ähm, aber Tante Camilles kleine fühlt sich noch wohl wo sie ist?"

"Camille sagte was von Maianfang. Könnte auch sein, daß Philemons Geplärre bei der Kleinen wie ein Startsignal ankommt und die morgen auch die Welt begrüßen will. Aber den Tschernobyl-Tag würde ich mir nicht als Geburtstag aussuchen."

"Den was?" Fragte Millie. Julius erklärte es ihr. "Wieso nicht, als Zeichen, daß an dem Tag auch was schönes passieren kann, Monju?" Erwiderte sie dann. Er schickte nur ein "Ja, vielleicht" zurück. Dann fragte Millie ihn, ob er ihr gut aus ihrem Geburtstag in den andren Tag hinüberhelfen wolle. Er wollte, denn er hatte es heimlich gehofft, daß sie das von ihm haben wollte. Eine Stunde später konnten sie beide sehr gut einschlafen.

 

__________

 

"Ich denke, jetzt habe ich diese Zeitrune oft genug vorgeübt", grummelte Julius, als er am nächsten Tag dreißigmal die für die Fertigstellung des Denkariums letzte Rune in eine Granittafel graviert hatte. Madame Maxime besah sich die Ergebnisse und wandte ein: "Die Zeitrune ist tückisch. Wenn sie nicht im richtigen Winkel zu den anderen Runen gezogen wird könnte der ihr zugeordnete Zauber ungewollte Nebenwirkungen erzielen, beispielsweise die Zeit innerhalb des von ihr markierten Behältnisses verlangsamen oder beschleunigen, rückwärts laufen lassen oder den, der den Gegenstand berührt unrettbar schnell altern oder wiederverjüngen lassen. Zeit, Monsieur Latierre, ist die am schwersten zu beeinflussende Gegebenheit. Ihr ist alles andere unterworfen, die Bewegung im Raum, das Licht, der Schall, die Gedanken und das Leben."

"Das ist mir klar", fauchte Julius angenervt. Die Schulleiterin sah ihn sehr streng an und stieß aus: "Fangen Sie ja nicht an, kurz vor Vollendung des Denkariums wegen noch nicht sicherer Zauber unverschämt zu werden! Sie haben es bisher geschafft, das nötige Geschick und die korrekte Anordnung für die Gravur der magischen Zeichen zu erlernen. Dann werden Sie das auch bei der letzten, der Zeitrune. Ich wies Sie nur auf die Gefahren einer unkorrekten Anbringung und Ausführung hin. Das haben Sie gefälligst anzuerkennen."

"Ich wollte Ihnen nur sagen, daß mir die Gefahren einer Zeitzauberei klar sind, weil ich genug Geschichten und Berichte aus den Zauberbüchern kenne, wo es um verpatzte Zeitbeeinflussungen ging, und daß ich wohl begreife, daß ich diese Rune im ersten Ansatz richtig eingravieren muß, um das Denkarium richtig hinzukriegen. Mehr war und ist nicht, Madame Maxime."

"Für diese leichte Unbeherrschtheit Ihrerseits muß ich Ihnen fünf Strafpunkte zuteilen", schnarrte Madame Maxime. Julius verkniff sich jede Antwort. Er schrieb noch eine Tafel voll mit Zeitrunen, bis beide sicher waren, daß er sie im richtigen Verhältnis zu den anderen Runen setzen würde. Sie mußte nämlich genau in einem bestimmten Winkel zu den Runen für Aufbewahrung, Dauer und Gedanken stehen, um sie alle miteinander zu verknüpfen. Morgen würde er sie in den geometrischen Mittelpunkt des Gefäßes eingravieren und den letzten Zauber vornehmen, um das Denkarium als dauerhaften Auffangbehälter schwer zu bewältigender oder interessanter Erinnerungen wirken zu lassen.

"Wieviele Denkarien gibt es eigentlich?" Stellte Julius die Frage, die er sich bis heute nicht getraut hatte.

"Nun, ich gehe davon aus, daß in jeder Zaubererschule der Welt mindestens eines für den Schulleiter steht, sofern er oder sie nicht noch ein eigenes Denkarium mitbringt. Wie Sie selbst in den letzten Wochen mitbekommen haben ist es sehr mühsam und aufwendig, ein solches Gefäß anzufertigen. Hinzu kommt, daß es ein sehr sensibles Unterfangen ist, ein Denkarium zu benutzen. Denn jeder, der lernt, die darin bewahrten Erinnerungen und Träume an die Oberfläche zu holen, kann diese herausschöpfen oder sich als Erinnerungsabdruck in das eigene Gedächtnis übertragen. Das Denkarium unterscheidet unter normalen Umständen nicht zwischen Freund und Feind. Daher kann es zum Verräter Ihrer innersten Ängste, Wünsche und Verachtung werden, wenn es in falsche Hände gelangt. Daher verzichten viele Hexen und Zauberer darauf, ihre Erinnerungen einem Denkarium anzuvertrauen, wenn sie nicht sicherstellen können, daß der Behälter nur von ihnen genehmen Personen benutzt werden kann. Daß in jeder Zaubererschule ein solcher Behälter bereitsteht liegt daran, daß wichtige Erfahrungsgrundlagen durch den direkten Gedächtnisbesuch, wie Sie ihn erlebt haben, einprägsamer vermittelt werden können als durch die reine Niederschrift, wenngleich diese auch zu den wichtigsten zeugnissen früherer Begebenheiten zählt."

Julius dachte an Professeur Faucons Denkarium. Würde jemand es stehlen hätte er die Geschichte zwischen ihr, Roland und seiner Schwiegeroma Ursuline zur Verfügung, um sie zu demütigen oder zu erpressen. So ein Denkarium war wie ein unverschließbares Tagebuch, wenn man nicht gerade Ashtarias Schutzzauber konnte, mit dem er das so gut wie fertige Denkarium gegen ihm und seinen Vertrauten übles wollende Leute versiegelt hatte. Ob der ganze Aufwand sich gelohnt hatte, würde der letzte Zauber zeigen.

Als es kurz vor Mittag war läutete das magische Glockenspiel des Neotokographen: "Ecce Dies Vitam novam". Doch weder ein himmelblauer Zettel für einen neuen Jungen, noch ein rosaroter für ein neues Mädchen wurde ausgespuckt, sondern ein orangeroter. Julius wunderte sich. Bisher hatte er geglaubt, die auch in der Zaubererwelt üblichen Geschlechterfarben seien die einzigen.

"Oh, eine Vormerkung für das kommende Schuljahr. Die Farbe signalisiert, daß der Schüler oder die Schülerin jetzt erst magisch in erscheinung trat. Tragen Sie bitte die Angaben in den entsprechenden Ordner ein, Monsieur Latierre!" Die Schulleiterin nahm einen Pergamentbogen und das Tintenfaß für die offiziellen Anschreiben. Julius nahm den orangeroten Zettel. Darauf stand:

 

Magus novus apparevit

 

Nomen: Alain Dupont
Natus: Dies VII Maii MCMLXXXVII in Medicatoorio St. Barbara, Lille 
Parentes: Jeanne-Marie Dupont n. Martin (SPM), Alfons Dupont (SPM)
Annus Initialis: MCMXCVIII/MCMXCIX

"Hier steht nicht, wodurch der Junge als Zauberer erkannt wurde", stellte Julius fest. Madame Maxime nickte und deutete mit der freien Hand auf das Pergament, das sie gerade vor sich hatte. "Das möchte ich gerade in Erfahrung bringen", erklärte sie noch und schrieb nun mit ihrer goldenen Adlerfeder auf das Pergament. Julius nickte. Also mußten bei einer derartigen Vormerkung durch den Geburtenschreiber die genauen Einzelheiten noch erfragt werden. Julius ließ ihr den Zettel mit der Vormerkungsangabe. Da läutete der Neotokograph erneut eine Ankündigung ein. Julius staunte, als direkt hintereinander drei Zettel ausgespuckt wurden, zwei blaue und ein rosaroter. Madame Maxime blickte auf die Pergamente und befahl Julius, die Angaben in den Ordner für 2009 bis 2010 einzutragen. Dabei las er, daß das Ehepaar Fontchamp in Avignon Drillinge bekommen hatte, Gérard, Reinier und Bérenice. Der Name Fontchamp erinnerte ihn an Fabienne und Germaine, mit denen Millie, Patricia, Argon und er zusammen die Säulen der Gründer geöffnet hatte. Waren die drei Neugeborenen deren Geschwister? Er las die Namen der Eltern noch einmal. Beide waren magisch begabt. Vielleicht hätte er sich doch ein wenig häufiger mit den beiden Schwestern unterhalten sollen. Als Madame Maxime die Zettel las sagte sie jedoch, daß es sich nicht um die Eltern der beiden Schwestern handele, sondern um deren Onkel und Tante.

"Drillinge kommen auch in der Zaubererwelt selten vor. Die letzte Meldung über eine Drillingsgeburt dürfte wohl aus den USA stammen, wo die Kollegin Verdant im Zeitraum zwischen Weihnachten und Neujahr ihren Nachwuchs bekommen hat."

"Ich habe im letzten Sommer Drillingsschwestern in Viento del Sol getroffen. Die spielen da in der Quodpotmannschaft", erwähnte Julius die Begegnung mit den Friday-Schwestern.

"Mir selbst sind gerade zwanzig Elternpaare von Drillingen bekannt", erwiderte Madame Maxime. "Die Fridays aus Viento del Sol gehören dazu."

"Auf jeden Fall viel los heute", meinte Julius nicht ganz so sachlich, wie es vielleicht anstand. Doch Madame Maxime beließ es nur bei einem Nicken.

Am Nachmittag erhielt die Schulleiterin einen Brief von der Ausbildungsabteilung. Darin hieß es, daß der junge Alain Dupont Brennspiritus in die Toilette seiner Schule gekippt und angezündet hatte. Dabei sei Feuer ausgebrochen, das den Jungen selbst einzuschließen drohte. Er habe es durch pure Angst gelöscht, indem sämtliches in der Nähe befindliches Wasser von ihm aus den Wänden direkt auf die Flammen befördert worden sei. Julius erinnerte sich daran, wie er manchen Feuerstreich gespielt hatte, dabei aber immer auf der Hut vor Verletzungsrisiken geblieben war. Die von seinem Vater früh genug erlernten Chemiekenntnisse hatten ihm geholfen, früh genug zu merken, wenn es brenzlig wurde. Womöglich hatte Alain Dupont mit irgendwem gewettet, ob er die Nummer mit dem Spiritus bringen würde oder nicht.

"Sollte dieser junge Mann bei uns dergleichen wiederholen wollen könnte er schneller wieder aus der Akademie verschwinden als er sich dafür empfahl, hineinzukommen", knurrte Madame Maxime. Julius schwieg lieber dazu. Vielleicht hätte er bei so einem Streich selbst mitbekommen, daß er doch was konnte, was andere nicht konnten.

 

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Am Samstag konzentrierte sich Julius darauf, die letzte Rune in sein Denkarium einzugravieren und sie zu bezaubern. Wie vorher auch schon zeichnete er sie mit einem Stück Holzkohle vor und gravierte sie dann magisch ein. Danach rief er laut und vernehmlich: "Per Temporem persisteto omnes Signa connecta ad eternum!" Die Zeitrune, die ähnlich wie ein Halbmond mit wellenartigen Fortsetzen aussah, leuchtete nun mondlichtfarben auf. Die Wellenlinien verlängerten sich erst langsam, dann schneller schwingend zu den bereits magisch aktivierten Zeichen innerhalb des Behälters, die daraufhin aufleuchteten und sich miteinander verbanden. Es entstand eine pulsierende Leuchtkraft, die sich immer weiter nach außen fortpflanzte, dabei die miteinander verbundenen Runen in silberweißem Licht erstrahlen ließen, bis die in den Rand gravierten Runen aufleuchteten und das ganze Denkarium in helles Licht tauchten. Das Gefäß schimmerte aus sich selbst heraus in einem blauen Licht, das immer heller wurde. Julius atmete schneller. Er fühlte, wie durch seinen Zauberstabarm Kraft auf das Denkarium überfloß und ihm körperlich zusetzte, als laufe er immer schneller oder müsse einen immer steileren Anstieg hinauflaufen. Das gehörte zu den erwähnten Auswirkungen, hatte er gelesen. Doch wenn er sich nicht voll auf die gerade eben gerufene Zauberformel konzentrierte, was hieß, daß er sich leuchtenden, von oben herabrieselnden Sand und ein schwingendes Pendel vorstellen mußte, würde die Magie unkontrolliert freigesetzt. Bestenfalls wäre das Denkarium dann unbenutzbar. Schlimmstenfalls würden alle bereits darin gebündelten Zauber eine unbekannte Wirkung auslösen, die eine Fläche von mehr als dem zehnfachen innenraum des Behälters betreffen mochte. Doch außer das Schimmern des Denkariums passierte nichts. Julius hielt stand und behielt die Spitze des Zauberstabes über der Zeitrune, deren Wellen nun flirrend mit den beiden bestimmten Runen verbunden waren. Mehr als eine Minute lang leuchtete das Gefäß. Dann erlosch das magische Licht. Mit einem letzten Ruck fühlte Julius eine Kraft aus sich in den Behälter überspringen. Dann ebbte der Sog an seiner Ausdauer ab. Sehr erschöpft und mit Schweiß auf der Stirn trat er mit einem leicht wackeligen Schritt von dem Denkarium zurück. Er durfte es nun auf keinen Fall mit der Hand oder dem Zauberstab berühren, bis sich die gerade darin eingewirkte Magie beruhigt hatte, was seiner neuen Kenntnisse nach eine Stunde dauern würde. Erst dann durfte er es anfassen oder eine Erinnerung darin unterbringen.

"Sie haben es geschafft. Ich gratuliere", bemerkte Madame Maxime. "Wie fühlen Sie sich?"

"Ziemlich erledigt", keuchte Julius. "Das war heftiger als alles, was ich bisher gezaubert habe."

"Das geschieht bei mächtigen Artefakten immer, daß die darin wirksamen Zauber einem viel Kraft abfordern, wenn es vollendet wird. Je mächtiger es ist, desto kraftzehrender wirkt es sich aus."

"Gleich ist die Saalsprecherkonferenz. Hoffentlich bin ich bis dahin wieder klar genug", entgegnete Julius.

"Hoffentlich wirkt sich dieser Kraftaufwand nicht auf Ihre Selbstbeherrschung aus", grummelte Madame Maxime dazu nur. Vielleicht ist es besser, Ich bringe Sie heute schon zu Madame Rossignol zur wöchentlichen Untersuchung. Dann haben Sie morgen Ruhe, bevor wir am Montag vor dem Zaubergamot aussagen müssen." Julius nickte heftig. Am neunundzwanzigsten April stand ihm ja noch einmal ein Auftritt vor Gericht bevor. Da war es bestimmt gut, wenn er die jede Woche stattfindende Überprüfung seines Körper- und Seelenzustandes schon heute hinter sich brachte. So verschloß Madame Maxime den Schrank, in dem das neue Denkarium stand sorgfältig und brachte Julius zum Krankenflügel, wo zur Zeit niemand liegen mußte. Madame Rossignol meinte, daß es auf den einen Tag früher wohl nicht ankäme und übernahm den Zauberschüler, was hieß, daß sie ihn wieder auf dem Behandlungstisch festschnallte und Madame Maxime ihren Walpurgisnachtring öffnete, um ohne ihn in ihre Räume zurückgehen zu können.

"Bevor wir die Schockzauberprobe machen mußt du wohl erst einmal wieder zu Kräften kommen", stellte die Heilerin fest, als sie Julius untersucht hatte. "Reden wir also darüber, was dir diese Woche so passiert ist und was du dabei empfunden hast!"

Eine Stunde lang sprachen sie über die Ereignisse der letzten Tage und daß Julius am Vortag mehrere Vormerkungen mitbekommen hatte. Auf die direkte Frage, ob er früher selbst derartige Streiche wie Alain Dupont gespielt hatte antwortete er, daß es ihm schon Freude gemacht hatte, mit Chemikalien oder Trickapparaturen herumzuspielen, an Halloween Türklinken einzuseifen oder Gläser mit einer ungiftigen Substanz zu füllen, die beim Einschütten von Kohlesäurehaltigen Getränken ein heftiges Überschäumen verursachte. Mit derartigen Streichen hätte er erst aufgehört, als er in Hogwarts eine Natriumtablette in den See geworfen und dabei einige Meermenschen zum Auftauchen gebracht hatte.

"Konntest da wohl von Glück reden, daß der selige Albus Dumbledore ein sehr großes Maß an Humor besaß, Jungchen", grinste Madame Rossignol. Julius mußte das wohl zugeben. Denn wo er nun wußte, daß Dumbledore bestimmt legilimentieren gekonnt hatte war ihm klar, daß der Schulleiter ganz genau wußte, woher der laute Knall im schwarzen See gekommen war. Bei Professor McGonagall hätte er ganz sicher Strafarbeit abbekommen, und Snape hätte ihn gleich mit lautem Jubelgeschrei von der Schule geworfen. Ja, er hatte wohl schon ein großes Stück Glück damals.

"In Ordnung. Du bist jetzt wieder erholt genug, um die Schockzauberprobe zu machen. Vielleicht ist das die vorletzte, die du über dich ergehen lassen mußt." Julius sagte dazu nichts. Die Heilerin hob den Zauberstab und rief: "Stupor!" Der rote Blitz aus dem Zauberstab traf Julius. Diesmal prallte er jedoch nicht wieder ab oder zerstob wie die letzten Male, sondern drang in den Körper ein. Schlagartig wurde es um Julius herum schwarz und still. Er konnte sich nicht mehr bewegen. Doch dieser Zustand klang nach nur wenigen Sekunden wieder ab. Er fühlte es heiß und kalt durch seinen Körper pulsieren und wachte wieder auf.

"Wieder wach?" Fragte die Heilerin. "Du hast dich gerade mal dreißig Sekunden nicht bewegen können. so stark wirkt der Zauber also schon auf dich. Da die Wirkung wohl im Kehrwert zur noch in dir vorhandenen Menge Fremdblut steht können wir also die Zeit der Betäubung als neuen Richtwert nehmen, wann du nur noch dein eigenes Blut in den Adern hast. Die übliche Wirkung des Schockzaubers ist ja, daß er solange vorhält, bis er durch den Gegenzauber aufgehoben wird. Dies sollte jedoch innerhalb von vierundzwanzig Stunden passieren, da sonst durch die beeinträchtigten Körperfunktionen Folgeschäden entstehen können. Also legen wir beide fest, daß wenn du länger als zwanzig minuten bewußtlos bist, dein Körper wieder genug eigenes Blut gebildet hat, um die angewiesene Verbindung zwischen dir und Madame Maxime aufzuheben."

"Hoffentlich schon nächste Woche", grummelte Julius. "Die glotzen mich immer noch alle so komisch an, wenn ich am Lehrertisch sitze. Und das dumme Gesülze von Dedalus geht mir auch ohne Madame Maximes Blutspende sowas von auf den Keks, daß ich lieber gestern als morgen wieder zu meinen Leuten zurückgehen möchte."

"Ich verstehe den werten Professeur Dedalus auch nicht. Wenn das wirklich reine Gehässigkeit ist, weil du, der nicht nur gut auf dem Besen fliegen kannst und dich durch Leibesübungen in guter Form hältst, sondern auch eine hohe Auffassungsgabe, Einsicht und Kreativität hast und zu alledem noch über überragend hohes Zauberkraftpotential verfügst, sollte er langsam merken, daß er bei den Kollegen nicht besonders viele Sympathien hat. Ich meine, ich bekomme das von deinen Pflegehelferkameraden mit, daß die das mitkriegen, wenn Professeur Dedalus mit dir Streit sucht."

"Es soll Sportlehrer geben, die meinen, bei einem nur dann die Höchstleistungen rauszukitzeln, wenn sie ihn oder sie wütend machen oder heftig genug einschüchtern. Aber ich denke, der Typ kann es nicht vertragen, daß ich trotz der ganzen Hausaufgaben immer noch auf dem Quidditchbesen sitzen kann, ohne runterzufallen", erwiderte Julius.

"Das ist aber kein Grund, dich immer wieder mit Sticheleien oder konkreten Vorwürfen zu behelligen", schnarrte Madame Rossignol. "Womöglich verträgt er das nicht, daß ihr Grünen zweimal ohne Unterbrechung den Pokal geholt habt, wo er immer noch zu den Roten hält, bei denen er damals selbst mitgespielt hat."

"Weiß ich mittlerweile", grummelte Julius. "Meine Frau hat mir das erzählt, daß der drei Klassen über ihrer Mutter im roten Saal war. Seitdem bin ich bei dem auch auf derartige Anspielungen gefaßt. Aber was den geritten hat, die mittlerweile heiß diskutierte Kiste mit meiner Mutter anzubringen, daß die Didier noch dafür danken sollte, kapiere ich nicht."

"Weil seine Mutter außer im Fliegen in fast allem unterdurchschnittlich war und nur im Quidditchbereich arbeiten konnte und heute als niedere Vereinsfunktionärin bei den Dijon Drachen arbeitet", wandte Madame Rossignol ein. "Daher wollte er auch nicht, daß über seine Mutter weitergesprochen wird. Daher konnte Professeur Faucon ihn auch von weiteren Anspielungen darauf abhalten."

"Verstehe", entgegnete Julius grinsend. Die Heilerin meinte dann noch, daß er das nicht ausnutzen möge, um Professeur Dedalus von sich aus zu verärgern. "Ich werde das für mich behalten, daß ich das jetzt gehört habe. Die Lehrer wissen das eh", sagte der ZAG-Schüler. Damit beendete Madame Rossignol die Untersuchung.

"Dein Größenwachstum kommt auch langsam zur Ruhe, Julius. Ich schätze, du wirst bei einem Meter einundneunzig deine für den Großteil des Lebens bleibende Endgröße erreichen."

"Es bleibt doch dabei, daß die neuen Schulumhänge von der Heilerzunft bezahlt werden?" Fragte Julius noch einmal.

"Natürlich, auf Grund der bei der Therapie angefallenen Extrakosten", erwiderte Madame Rossignol unbestreitbar. Dann ließ sie nachprüfen, ob die Konferenz schon vorbei war. Sie war es noch nicht, weil es zwischen den Saalsprechern der Violetten und der Roten eine Meinungsverschiedenheit gab, weil einige Viertklässlerinnen aus dem roten Saal Sechstklässler der Violetten zur Walpurgisnacht eingeladen hatten. Darüber hinaus hatte Bernadette Lavalette trotz der für ihren Lerneifer sprechenden Intelligenz die ziemlich dumme Bemerkung gemacht, Julius sei wohl endgültig für nicht mehr ohne Aufsicht zu lassen befunden worden, was ihr nicht nur Krach mit Corinne, Sandrine, Belisama, Céline und Giscard eingebracht hatte, sondern der Roten auch noch zwanzig Strafpunkte einbrockte, weil sie so abfällig betont hatte. Die ständig hin und her pendelnde Serena Delourdes gab alle zehn Minuten einen kurzen Bericht ab. Die übrigen Tagesordnungspunkte, die Vorbereitung der Walpurgisnacht, die Stellvertretung für Professeur Faucon am neunundzwanzigsten und dreißigsten April und die nun offen auftretenden Prüfungsprobleme für die ZAG- und UTZ-Schüler, wurden immer noch nicht besprochen. So verbrachten die Heilerin und ihr gerade nicht diensttuende Pflegehelfer die Zeit mit einer Unterhaltung über die letzten Pflegehelferkonferenzen. Erst zum Mittagessen konnte Madame Maxime Julius wieder abholen. Die Konferenz war da aber noch nicht zu Ende.

"Es hat eine unliebsame Bemerkung gegeben, Madame Rossignol könnte befunden haben, daß Sie nicht mehr allgemeinheitstauglich seien, Monsieur Latierre. Insofern nicht schlecht, daß Sie nach dem Mittagessen am Ende der Konferenz teilnehmen können", sagte die Schulleiterin von Beauxbatons leicht verärgert. Julius bestätigte, daß Magistra Delourdes Madame Rossignol und ihn bereits in groben Umrissen über den Ablauf dieser Konferenz informiert habe.

"Am Montag und Dienstag wird Professeur Fixus die Akademie führen. Der Unterricht in Verwandlung wird von Professeur Chariot für alle Klassen übernommen. Protektion gegen destruktive Formen der Magie entfällt an diesen beiden Tagen", faßte Madame Maxime noch zusammen. Julius nickte.

Beim Mittagessen sprachen die Lehrer über die letzten Prozeßtage gegen Didier und welche Folgen für das Land daraus entstehen mochten.

Am Nachmittag wurde die über das Mittagessen vertagte Konferenz fortgesetzt. Julius durfte kurz erzählen, daß er wohl zwischen dem vierten und neunzehnten Mai von den Nachwirkungen der Therapie befreit sein mochte und er dann wie Sandrine, Céline, Patrice und Belisama die ZAGs angehen konnte. Bernadette blickte ihn nur verdrossen an. Seinetwegen hatte sie Strafpunkte bekommen. Na und? Sie hätte doch nicht so einen Blödsinn ablassen müssen. Er hatte ihr keinen Anlaß dazu geliefert, außer daß er diesen Morgen nicht von Anfang an bei der Konferenz sein konnte. Um nicht weitere Streitigkeiten zu provozieren, die er womöglich noch durch eine wilde Schlägerei verstärken würde, verhielt er sich bei den weiteren Diskussionen ruhig. Als ihn Arnica Dulac, die Sprecherin der Gelben fragte, was er am Montag vor dem Zaubergamot erzählen würde, sagte er nur, daß er die Briefe erwähnen wollte, die er von Didier und aus England bekommen hatte. Was sonst noch gefragt werden könnte wollte er erst einmal nicht vermuten.

Die Debatte über das Verhältnis der Violetten zu den Roten zog sich bis in den Nachmittag hinein. Außerdem ging es für die Saalsprecher der Grünen, Gelben, Violetten und Weißen nun auch darum, inwieweit man Bernadette Lavalette außer den Strafpunkten noch zeigen mußte, daß sie sich unverschämt verhalten hatte. Madame Maxime versuchte zwar immer wieder, ihre Auswahl der Saalsprecher zu verteidigen, erkannte jedoch, daß ohne gewisse Korrekturen bald eine Atmosphäre der gegenseitigen Verächtlichkeiten entstehen konnte. So sagte sie an der heftigsten Stelle der Diskussion: "Noch einmal. Ich befinde, wer zum Saalsprecher oder zur Saalsprecherin geeignet ist oder nicht. Ich erkenne jedoch auch, daß diese Aufgabe zu überhöhter Anmaßung führen kann. Daher stelle ich noch einmal klar, daß gegenseitige Anmaßungen, wer seine Aufgaben richtig oder falsch ausführt, nicht erwünscht sind. Was die gesundheitliche Befähigung angeht, so besitzt allein die diensthabende Schulheilerin die Kompetenz, das zu beurteilen und entsprechende Empfehlungen oder Anweisungen auszusprechen." Die im Saal anwesenden Pflegehelferinnen nickten beipflichtend. "Und ich muß wohl feststellen, daß Sie, Mademoiselle Lavalette, sich durch irgendetwas veranlaßt sehen, jedes Gespür für Diplomatie und die richtigen Umgangsformen aufzugeben. Das sollten Sie besser überdenken. Denn sollten Sie derartig fortfahren, erhalten Sie neben den für jeden Fall einzeln festzulegenden Strafpunkten eine eindeutige Abmahnung. Was das heißt erkläre ich Ihnen gerne, falls es Ihnen noch nicht bekannt ist. Sollte sich ein Schüler, der die Funktion des Saalsprechers ausüben darf dazu berechtigt fühlen, willkürlich und aus purer Machtgier heraus Mitschüler verächtlich zu reden oder ihren Ruf innerhalb der Akademie zu beschädigen, kann der Schulleiter oder die Schulleiterin entweder die Ernennungzur Saalsprecherin zurücknehmen oder den Schulverweis aussprechen. Die drohende Zurücknahme der Saalsprecherprivilegien muß durch drei konkrete Verwarnungen erfolgen. Eine haben Sie schon sicher, Mademoiselle Lavalette, weil sie damals ohne die vorgeschriebene Frist und Mitteilung den Unterricht praktische Magizoologie abgebrochen haben und sich dabei auf die Funktion der stellvertretenden Saalsprecherin beriefen. Ich habe Sie bereits darauf hingewiesen, daß die Funktion des Saalsprechers mehr als ein guter Notendurchschnitt ist. Besinnen Sie sich also darauf, daß Sie mehr zu tun haben als ihre Mitschüler zu maßregeln, wenn es nicht unbedingt erforderlich ist. insbesondere sollten Sie endlich erkennen, daß ich Sie nicht wegen Ihrer schulischen Leistungen, sondern wegen der daraus ersichtlichen Auffassungsgabe zur stellvertretenden Saalsprecherin berufen habe. Benutzen Sie diese Auffassungsgabe und lernen Sie, wo Sie eingreifen müssen und wo es besser ist, nur zuzuhören! Die meisten anderen hier haben das verstanden, daß die Brosche nicht dazu da ist, sich den Mitschülern gegenüber Unverschämtheiten herauszunehmen. Damit ist diese Diskussion beendet. Wird sie aus anderem aber ähnlichem Anlaß erneut eröffnet, muß ich mir wohl überlegen, ob Sie jemals dazu berechtigt werden, die goldene Brosche zu erwerben, Mademoiselle Lavalette. Auf jeden Fall sollten Sie mich nicht dazu zwingen, Ihnen die silberne Brosche wieder abzunehmen. Das würde eine dreistellige Summe Strafpunkte und einen Eintrag in Ihr Zeugnis bedeuten, möglicherweise die Aberkennung von einem oder zwei ZAGs, egal, wie gut Sie die Prüfungen bestehen. Sie wissen, daß wir vom Lehrkörper Sie in dieser Hinsicht berichtigen dürfen und Sie wesentlich genauer auf Ihr Bonuspunktekonto achten müssen als Ihre Mitschüler." Bernadette sah sie an, dann Julius, dann die anderen. Bei allen erkannte sie, daß sie Madame Maxime zustimmten, nicht aus kriecherischer Unterwerfung, sondern aus vollem Herzen. So sagte sie nur, daß sie offenbar noch herauszufinden habe, was genau von ihr verlangt würde. Damit war der Punkt auch erledigt. Die weitere Debatte über das Verhältnis jüngerer Schülerinnen zu älteren Schülern wurde damit beendet, daß es in den Schulregeln nicht verboten sei, daß bei Tanz- und Festveranstaltungen jüngere mit älteren Mitschülern länger als fünf Minuten zusammen seien, solange sie dabei keine geschlechtlichen Annäherungsversuche oder Handlungen äußerten. Eben das befürchtete der Saalsprecher der Violetten. Madame Maxime erwähnte noch einmal, daß außer in der gerade zwischen ihr und Julius ablaufenden Situation keiner mit dem Ringpartner bei Walpurgis länger als den Abend zusammenblieb. Ansonsten sei es die Aufgabe der Saalsprecher, sich anbahnende Partnerschaften oder flüchtige Liebschaften zu beobachten und zu erwähnen, falls es über die in den Schulregeln festgelegten Umgangsformen hinausginge. Bernadette sah Julius verschlagen an, wohl weil der ja in der Hinsicht sehr befangen war. Doch Julius sah sie ruhig an und sprach kein Wort.

Als die verlängerte Konferenz endlich zu Ende war, verbrachten Madame Maxime und Julius den Restlichen Nachmittag in der schuleigenen Menagerie.

 

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"Wohnst du immer noch mit der zusammen?" Frage ich Julius, als er mal wieder mit Olympe bei unseren Wohnhöhlen vorbeikommt. Ich rieche und spüre, daß Olympes Kraft, die in ihm drin ist, nicht mehr so stark ist. Er sieht mich an und lauscht. Dann macht er dieses erfreute Gesicht und gibt diese Laute von sich, wenn ihn etwas ganz stark freut.

"Ich kann sie wieder verstehen, Madame Maxime!" Ruft er sehr erfreut. Olympe sieht ihn und dann mich an und sagt: "Der Interfidelis-Zauber wäre auch nur ganz zerstört worden, wenn Ihnen sämtliches Blut entzogen worden wäre, Monsieur Latierre. So konnte er sich mit Ihrem eigenen Blut wieder auffrischen und seine frühere Stärke zurückgewinnen. Dies zu erkennen galt unser Ausflug."

"Sie wollte wissen, ob ich noch bei Ihnen wohne", sagt Julius dann.

"Teilen Sie ihr mit, daß Sie wohl in einem halben Monat wieder ohne mich herumlaufen dürfen, Monsieur Latierre!" Julius sagt mir das, obwohl ich das doch auch von Olympe verstehen kann. Ich antworte:

"Dein Weibchen Millie und du könnt die Stimmung mit der Kraft ausleben. Aber das bringt euch beiden doch nichts. Deshalb muß die ganz Große dich entweder wieder zu ihr lassen oder selbst sagen, ob sie Junge von dir will."

"Was hat sie gesagt?" Fragt Olympe nicht so ganz freundlich. Julius sagt, daß ich ihm erzählt hätte, daß Millie ihn vermisse und ich dachte, Olympe hätte ihn an sich gebunden, um ihn ihr wegzunehmen.

"Sagen Sie ihr, daß ich das getan habe, um sicherzustellen, daß Sie auch weiterhin in der Nähe Ihrer Frau bleiben dürfen", faucht Olympe. Julius macht das auch. Dann sagt er, daß er mich erst wieder besuchen kommt, wenn er ohne den Ring um seine Körpermitte herumlaufen kann. Ich erzähle ihnen dann noch, daß die kleine Prinzessin demnächst in Stimmung kommt und ich aufpassen will, daß sie nicht Junge von dem kriegt, der sie mir in den Bauch gelegt hat. Olympe findet das wohl sehr interessant, weil sie genau zuhört und dann mit der mit dunklem Zeug vollen Feder eines großen Vogels auf dieser toten Haut herumkratzt, wobei das dunkle Zeug Kringel und Striche macht. Schreiben sagen die Zweifußläufer dazu. Damit können sie das, was wer sagt oder macht aufbewahren, um es viele Monde später genauso wieder nachzusehen. Dadurch können sie auch lernen, was früher schon wichtig war, weil es in dem Steinbau ganz viel Zeug gibt, das jemand geschrieben hat. Sie bleiben noch ein wenig Zeit bei mir stehen und fragen, was die anderen von meiner Art so machen. Dann gehen sie zurück in den großen Steinbau. Julius soll bald wieder ohne den singenden Ring herumlaufen, der mit dem um Olympes Bauch verbunden ist. Dann kann ich wohl auch wieder zu ihm in seine Schlafhöhle.

 

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Julius freute sich so sehr, daß er Goldschweif wieder verstand, daß er fast in die Luft gesprungen wäre und laut über das ganze Gelände herumgejubelt hätte. Doch irgendwie merkte er, daß das wohl gerade nicht so gut rüberkam. Er fragte Goldschweif zu ihren Jungen und den anderen Knieseln. Madame Maxime notierte sich noch einmal, von wem Goldschweif XXVII, auch die kleine Prinzessin genannt, gezeugt worden war. Das wollte sie der neuen Kollegin Fourmier weitergeben. Goldschweif hatte Julius erzählt, daß er bei der die Kraft, also Magie, in den Armen und Beinen singen hören konnte. Goldschweif ging der deshalb genauso aus dem Weg wie die anderen Kniesel, weil sie sie nicht einschätzen konnten.

"Das hat Professeur Fourmier mir schon berichtet, daß die Kniesel ihr weiträumig aus dem Weg bleiben und auch die Vermutung angestellt, daß es an ihren magischen Gliedmaßen liegt. Zu wissen, daß sie die Knieselin nicht in die Enge treiben darf ist wohl lebenswichtig."

"Goldschweif kennt noch die goldenen Mädchen von Kallergos", flüsterte Julius. "Wundere mich, daß sie Professeur Fourmier nicht für eine von denen gehalten hat."

"Es wird wohl einen Unterschied zwischen der Animierung der Prothesen und der vollkommen künstlichen Geschöpfe geben", vermutete Madame Maxime. Julius pflichtete ihr bei.

Am Abend warf der Geburtenschreiber noch eine Vormerkung in dunkelgrün aus. Damit zeigte er, daß noch eine Muggelstämmige aus Paris, die gerade erst sechs Jahre alt war, als Hexe erkannt worden war. Womöglich würde Madame Maxime auch schon bald wissen, wodurch das passiert war.

 

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"Martha, jetzt noch mal pressen!" Hörte Julius die Stimme von Schwester Wilma Eldridge, während er meinte, durch ein viel zu enges Rohr geschoben zu werden. Dann fühlte er, wie sich der silberne Faden von seiner Schläfe löste und am Zauberstab aufrollte. Er hielt diesen über das nun fertige Denkarium und machte eine vorsichtige Kreiselbewegung. Die fremdartige Substanz, die weder Gas noch Flüssigkeit war, rutschte vom Zauberstab herunter und ergoß sich in das Innere des Steingefäßes, überdeckte die Zeitrune und breitete sich zu einer hauchdünnen Schicht aus. Dann erstrahlte ein helles Licht aus dem Denkarium, und Julius hörte den Schrei eines Babys, seinen eigenen ersten Schrei und das fröhliche Getue der Geburtshelfer. Dann verblaßte das grelle Licht aus mehreren Neonlampen wieder und machte jener hauchdünnen, silbrigweißen Substanz Platz, die nun den Boden des Denkariums überdeckte. Die innerhalb angebrachten Runen waren nun nicht mehr zu sehen.

"Die in Ammayamiria aufgegangene Madame Odin wußte sehr wohl, daß die Erinnerung an die eigene Geburt des Denkariumerschaffers ein trefflicher Aktivator ist", sagte Madame Maxime zufrieden dreinschauend. "Sie haben das Projekt erfolgreich abgeschlossen. Herzlichen Glückwunsch, Monsieur Latierre. Zweihundert Bonuspunkte für diese Leistung und das Ergebnis!" Julius strahlte. Er hatte es geschafft. Er hatte in wenigen Wochen sein eigenes, oder besser ein für ihn und seine Vertrauten nutzbares Denkarium hinbekommen. Als er die Euphorie des Erfolgserlebnisses überstanden hatte, wandte er den Erinnerungsverdopplungszauber erneut an und erlebte in wenigen Sekunden auch den Übergang Millies in die Welt nach. Als er daraus eine halbstoffliche Form gemacht hatte, schüttelte er auch diese in das Denkarium hinein, wobei er für einige Sekunden die letzten Schmerzensschreie Hippolytes und den ersten Schrei Millies hörte, einen Raum mit Kamin und ein großes, warm lächelndes Gesicht sah. Dann verschwamm dieser flüchtige Eindruck und versank in der nun etwas heller leuchtenden Substanz im Denkarium, die nun sanft hin und her wogte, kleine Strudel und Wellenmuster bildete, weil nun schon zwei Erinnerungen zusammenflossen. Julius sollte dann seine erste Erinnerung noch einmal hervorholen. Wie das ging hatte ihm Madame Maxime an ihrem Denkarium trainieren lassen. Tatsächlich schaffte er es, die letzte Stunde vor seiner Geburt in Form von fast dunkler Umgebung sichtbar zu machen und sich selbst als kopf nach unten hängenden Fötus über dem Denkarium aufsteigen zu lassen. Er hörte die schnellen Herzschläge und die langsameren, dumpferen seiner Mutter. Dann sank die heraufbeschworene Erscheinung in den Steinbehälter zurück.

"Sie können also Ihre wichtigsten, bedrückendsten oder erfreulichsten Erinnerungen dauerhaft konservieren, Monsieur Latierre. Womöglich dürfen Sie das Denkarium morgen schon mit neuen Eindrücken betrauen."

"Ich beschicke das schon einmal mit den Erinnerungen an die letzten Monate, die Säulen, die Briefe und den Angriff der Skyllianri", sagte Julius. Madame Maxime verstand, daß er diese Last sicher auslagern wollte. Er wendete jedoch nicht den reinen Erinnerungsabsaugezauber an, um sich selbst davon zu erleichtern, sondern den Erinnerungskopierzauber, der die ausgelagerte Erinnerung nicht aus seinem Kopf verschwinden, sondern einen gleichwertigen Abdruck davon entstehen ließ. Eine ganze Stunde arbeitete er konzentriert daran, die Erinnerungen der letzten Monate auszusuchen, genau zu überdenken und dabei auszulagern. Das Denkarium füllte sich. Er konnte jedoch nicht erkennen, ob es voller wurde, weil das silberne Licht sich nicht weiter veränderte. Es wirkte gleichbleibend halb gasförmig und halb flüssig, und wie tief das Denkarium war fiel nicht auf.

Am Abend erzählte er über die Herzverbindung, daß er das Denkarium hinbekommen und aktiviert hatte. Millie bat ihn darum, von ihm zu lernen, wie sie ihre Erinnerungen als Kopie in das Denkarium einlagern konnte. Er versprach, es ihr beizubringen, wenn er wieder ohne Verbindungsring herumlaufen durfte.

 

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Ein wenig nervös War Julius schon, als er am nächsten Morgen im Sonntagsumhang mit Madame Maxime und Professeur Faucon, die beide ihre erhabendsten Kleider angezogen hatten, in das Zaubereiministerium hinüberwechselten. Julius hatte den Frühwarner angezogen, den Aurora Dawn ihm geschenkt hatte. Falls jemand ihm was böses wollte, weil er jetzt kein einfacher Zuhörer sondern Zeuge war, würde das magische Armband es ihm verraten. Doch es blieb ruhig.

"Ui, was führen Sie denn da mit sich, Monsieur?" Fragte einer von Montpeliers Sicherheitszauberern, der die Besucher des Gerichtssaals mit einer Seriositätsonde überprüfte. Das stabförmige Kontrollinstrument leuchtete in einem warmen Goldton. "Das ist ein Frühwarner", sagte Julius. "Er reagiert auf die Nähe feindlicher Wesen."

"Könnte sein, daß der dann gleich wirklich reagiert, falls stimmt, was ich erfahren habe", sagte der Sicherheitszauberer und zog die Sonde über Julius Brustkorb, wo sie kurz mit grünen Lichtschimmer auf das Zuneigungsherz traf. "Hält immer noch, die Partnerschaft, wie?" Fragte der Sicherheitsprüfer. Julius nickte nur lächelnd. Madame Maxime fauchte den Zauberer an, nicht nach Sachen zu fragen, die nicht in seinen Zuständigkeitsbereich fielen. Doch der Prüfer blieb gelassen. Er winkte den Besuchern aus Beauxbatons und verwies sie auf den schalldichten Warteraum. Dort sollten sie auf ihren Aufruf warten. Die Zeit bis dahin vertrieben sich Julius und Professeur Faucon mit Schach. Weitere Zeugen wurden in diesen Raum geschickt, wo zwei weitere Sicherheitsleute darauf achteten, daß niemand des anderen Aussage manipulieren konnte.

Erst gegen zehn Uhr Morgens wurde Professeur Faucon aufgerufen. Gegen elf Uhr mußten dann Madame Maxime und Julius eintreten. Monsieur Grandchapeau beendete gerade das Verhör gegen Professeur Faucon. Julius vermißte Professeur Tourrecandide. Wo war diese? Didier wirkte sichtlich verärgert. Tatsächlich fühlte Julius, wie Sein Frühwarner erzitterte, als er den Gerichtssaal betrat. Also witterte das Armband Didiers Feindseligkeit. Julius blickte sich um und sah seine Schwiegerfamilie. Einen Moment lang sah er die lodernde Wut, die in den Augen seiner Schwiegergroßmutter glomm. Doch als sie seinen Blick auffing lächelte sie so freundlich, wie er es meistens von ihr kannte. Dann konzentrierte er sich auf das hohe Gericht, das gerade in Person von Minister Grandchapeau ansetzte, Madame Maxime als Zeugin zu befragen. Die Schulleiterin berichtete von den Drohungen Didiers und Pétains, von der versuchten Aushungerung von Beauxbatons und daß sie diese durch ein Vermächtnis der Gründer abwehren konnte, über das sie jedoch nicht mehr erzählen dürfe. Sie schilderte so ruhig es ging die Zeit zwischen dem Aushungerungsversuch und dem Angriff der Schlangenmenschen und räumte dabei immer wieder mit Didiers Politik auf. Dann sollte Julius berichten, ob er auf Grund von Didiers Maßnahmen in Gefahr geraten sei oder nicht. Er las die an ihn ergangenen Briefe laut vor. Aus dem Publikum kam immer wieder Raunen auf. Als er dann noch las, daß er in die Obhut einer gewissen Dolores Jane Umbridge übergeben werden sollte, schwirrten aufgeregt klingende Worte durch die Zuschauerreihen.

"Da war für mich und alle die die Lage in meinem Geburtsland kennen klar. Didier wollte mich loswerden, weil er hoffte, die Gefahr für die französische Zaubererwelt abzuwälzen. Um Ihnen, die Sie nicht mit der gerade vorherrschenden Lage vertraut sind, klarzumachen, wem mich der werte Monsieur Didier da ausliefern wollte, möchte ich Ihnen sehr gerne Briefe vorlesen, die zeigen werden, daß Monsieur Didier mir damit einen Riesenbärendienst erwisen hätte." So las Julius auch aus den Briefen aus England und der Anti-Schlammblut-Broschüre vor, bevor er die Schreiben an das Gericht übergab. Am Ende fragte ihn Didier, ob er noch mehr solcher Lügen verbreiten wolle, da er mit Minister Thicknesse ganz ruhig verhandeln konnte.

"Der hat gelogen. Womöglich konte er sich nicht einmal dagegen wehren", erwiderte Julius.

"Sagen Sie, Monsieur Andrews", knurrte Janus Didier verbittert. "Aber niemand außer Grandchapeau, Faucon und denen, die ihnen alles nachreden - Sie eingeschlossen - behauptet, daß Minister Thicknesse unter fremdem Einfluß steht. Allein schon die Tatsache, daß Sie bei der Zeugenvorstellung den falschen Nachnamen angegeben haben zeigt, daß Ihren Worten nicht zu trauen ist. Wer sagt uns, daß Sie nicht unter fremdem Einfluß stehen, und das völlig ohne Imperius-Fluch?"

"Der Umstand, daß ich mehrmals nach Millemerveilles gelangen konnte und auch keine Probleme hatte, in das Château Tournesol zu kommen, trotz Ihrer bescheuerten Belagerung, die hunderte von Schülern aushungern sollte, nur damit Sie Ihren kranken Plan durchziehen konnten, um Madame Maxime und Professeur Faucon aus Beauxbatons herauszutreiben, womöglich auch, um mich endlich diesem Massenmörder Voldemort auszuliefern." Das Publikum schrak zusammen, als Julius derartig wütend antwortete und dabei den gefürchteten Namen aussprach. Minister Grandchapeau sah Julius sehr ernst an und mahnte ihn, sich ausschließlich an das Gericht zu wenden, sich nicht vom Angeklagten provozieren zu lassen und einen gemäßigteren Tonfall einzuhalten. Doch Julius sah nur Didier an und sagte ganz kühl:

"Ihr Plan ging ja nicht auf, alle, die Ihnen widersprachen in diesen sogenannten Friedenslagern wegzusperren. Ihre Nichte Suzanne war schon hier, habe ich aus der Zeitung. Warum hat die ihren Nachnamen geändert? Bestimmt nicht, weil es der in Lager fünf so gut gefallen hat, daß Sie Ihnen dafür dankt. Und was meinen Nachnamen angeht, so ist das von Minister Grandchapeau zertifiziert worden, daß daran nichts ungesetzliches war. Aber ich sehe es durchaus ein, daß Sie nicht mit der Vorstellung leben wollen, ein Schlammblut als verschwiegerten Großneffen zu haben."

"Ist genug jetzt", schnarrte Madame Maxime selbst so zornig dreinschauend wie Julius, während das Publikum sehr entrüstet mit der Zunge schnalzte und den Kopf schüttelte. Monsieur Grandchapeau wies Julius darauf hin, keine üblen Schimpfwörter zu gebrauchen, schon gar nicht gegen sich selbst. Julius Latierre entschuldigte sich beim Gericht und dem Publikum und erwähnte sehr lässig klingend: "Ich wollte lediglich wissen, ob die ganzen Maßnahmen nur durchgezogen wurden, weil Ihr Angeklagter meinte, was gegen mich unternehmen zu müssen oder ob das eine allgemeine Schikane gegen alle Beauxbatons-Schüler sein sollte."

"Nun, die Befragungs- und Ermittlungskompetenz liegt dann doch wohl bei uns", erwiderte der Zaubereiminister. Die Mitglieder des Gamots nickten. Doch Julius sah deutlich, wie Grandchapeau verhalten lächelte. Didier blickte Julius finster an. Der Zaubereiminister wandte dann ein:

"Gut, der Punkt ist eh schon ausgiebig erörtert worden. Die Einrichtung der sogenannten Friedenslager und die Maßnahmen gegen Beauxbatons entsprangen laut der Mehrheit aller Aussagen dem Wunsch, eine einheitliche Haltung gegen die Dementorenüberfälle zu erzwingen und dem britischen Widersacher eine Starke Front entgegenzustellen. Daß dies nicht nur an der Beseitigung des Widerstandes sondern auch an der Invasion der Schlangenungeheuer scheiterte ist ja hinlänglich bekannt. Durch Unterdrückung der eigenen Mitbürger kann ein ausländischer Aggressor nicht abgewehrt werden."

"Ich bitte das Gericht die unstatthafte Verärgerung von Monsieur Latierre zu entschuldigen, da die gegen seine Mutter, seine Freunde und ihn durchgeführten Maßnahmen und sein bereits erörterter Zustand seine ansonsten emotionale Balance extrem erschüttert haben", rechtfertigte Professeur Faucon Julius beinahe Ausfälligkeit. Julius nickte rasch, bevor er sich über diese Äußerung ärgern konnte. Das Gericht nahm die Rechtfertigung und Julius' Reaktion darauf zur Kenntnis. Didier sah wohl eine Chance, den Zeugen wertlos zu machen und rief laut in den Gerichtssaal: "Er ist zu leicht beeinflußbar, läßt sich herumkommandieren, verkuppeln und demnächst vielleicht noch als Zuchthengst benutzen. Wie können Sie so einem Burschen, der nicht weiß, was er in unserer Welt verloren hat, derartig viel Vertrauen schenken." Doch Julius war jetzt darauf gefaßt. Er schwieg, eine Sekunde, zwei Sekunden und noch eine mehr. Dann sagte Monsieur Grandchapeau:

"Monsieur Latierre hat durchaus Überblick und verhält sich überwiegend vernünftig, jedenfalls vernünftiger als Sie und Pétain. Woran das bei Pétain gelegen hat wissen wir ja mittlerweile. Woran es bei Ihnen liegt auch, Monsieur Didier. Wir haben keine weiteren Fragen an den Zeugen Latierre. Sie dürfen gehen." Julius nickte und verabschiedete sich vom Gericht. Madame Maxime begleitete ihn in den Warteraum zurück. Er rechnete mit einem Donnerwetter und war darauf gefaßt, sich nichts gefallen zu lassen. Doch die Schulleiterin sagte nur:

"Sie haben ein unverschämtes Glück gehabt, daß Ihr derzeitiger Zustand das Gericht milde gestimmt hat und die Herrschaften wissen wollten, wie Didier versuchen wird, Sie als Zeugen lächerlich zu machen. Beinahe wäre es ihm gelungen. Aber die Briefe und Broschüren aus England dürften jeder Beteuerung, er habe keinen Arg in Thicknesses Behauptungen gesehen, als naiv oder böswillig falsch auslegen. Vielleicht werde ich noch einmal befragt. Dann halten Sie sich bitte zurück. Sie haben Ihren Beitrag zum Ende von Didiers Machtträumen geleistet. Darauf dürfen Sie stolz sein. Verderben Sie es sich nicht, indem Sie sich und mich unglaubwürdig machen!" Julius sagte nur, daß sie nicht dabei war, als er den ehemaligen amerikanischen Zaubereiminister Pole vor Gericht die Meinung gesagt hatte.

"Ich hörte davon", knurrte Madame Maxime. "Ich hoffe, Sie rechnen sich diese Entgleisung nicht als Glanztat an. Daß Sie gerade dieses Unwort im Zusammenhang mit Ihrer Person benutzten war schon sehr stark ahndungswürdig. Daß der Zaubereiminister es bei einer Ermahnung belassen hat liegt einzig daran, daß Sie ausgesprochen haben, was das Gericht über Didier denkt. Wenn jetzt auch noch unanfechtbare Beweise für den Mord an seinem eigenen Bruder oder zumindest eine Beihilfe angeführt werden, wird Janus Didier den Rest seines Lebens in magischer Hochsicherheitsverwahrung verbleiben. Könnte auch sein, daß das Gericht ihn zum lebenslänglichen Zauberschlaf in einer Stahlgruft verurteilt. Dann wäre er definitiv lebendig begraben, ohne hingerichtet werden zu müssen."

"Stahlgruft?" Fragte Julius.

"Eine sehr intensive Einkerkerung, die nach Sardonias Machtverlust vollstreckt wurde. In der Festung Tourresulatant gibt es stählerne Räume mit Luftlöchern, die so eng sind, daß ein bewegungsunfähig gezauberter Mensch dort eingeschlossen werden kann. Er wird im tiefen Zauberschlaf gehalten und erst wieder herausgeholt, wenn das Herz nicht mehr schlägt."

"Dann können sie ihn ja gleich hinrichten oder in irgendwas praktisches verwandeln", erschauerte Julius, der sich an Zukunftsgeschichten erinnerte, wo Gefangene in Kühlkammern tiefgefroren mehrere Jahrzehnte aufbewahrt wurden. So was ähnliches war das hier ja auch. Auch im Zauberschlaf konnte jemand verhungern und verdursten. Es dauerte eben nur statt weniger Wochen mehrere Jahre.

"Die staaten vollstrecken die Seelentrennung als Höchststrafe. Dommcastle, ihr magisches Gefängnis, beherbergt die Gefangenen in Form von Conservacorpus-Bezauberung, nachdem ihre persönlichkeit in Kerkerkristalle übertragen wurde, wo sie wegen mangelnder Sinneseindrücke eher dahinvegetieren als über ihre Verbrechen reflektieren können. Mag sein, daß der von Ihnen erwähnte Ex-Minister Pole in diesem Zustand eingekerkert wurde." Julius erschauderte noch mehr. Vor seinem geistigen Auge sah er einen Saal voller Glaskugeln oder Flaschen, in dem nebelhaft die ausgelagerten Seelen von Menschen wimmerten oder um Gnade bettelten. Vielleicht wäre eine Hinrichtung für wirkliche Schwerverbrecher gnädiger als so eine ewige Gefangenschaft, dachte er. Doch dann dachte er an Didier und seine Verbrechen. Viele unbescholtene Hexen und Zauberer waren in den Friedenslagern gequält und gedemütigt worden. Didiers Politik hatte eine vereinte Abwehr der Entomanthropen und Schlangenkrieger vereitelt. Dabei waren viele Menschen gestorben. Irgendwas abschreckendes mußten sie tun, wenn sie schon keine Hinrichtung durchführen wollten.

"An und für sich würde das bei Didier doch reichen, wenn sie alles Wissen um Zaubersprüche und Tränke aus seinem Gedächtnis löschten und ihn irgendwo in der magielosen welt aussetzten", schlug Julius vor.

"Dann wird er dort zum Kriminellen, Monsieur Latierre", widersprach Madame Maxime. "Aber Gedächtnis auslöschen klingt schon interessant. Er könnte noch einmal völlig neu anfangen, ohne zu wissen, wer er war und was ihn zu dem machte, was er heute ist", raunte Madame Maxime. "Aber dazu müßten sie ihn körperlich zurückverjüngen, und das steht nicht in den Gesetzen."

"Totalreset", erwiderte Julius. "Ich starte komplett neu, ohne das, was mich Fehler hat machen lassen. Damit wird aber die Persönlichkeit ausgelöscht, was auch eine Form von Hinrichtung sein kann." Mit gewissem Unbehagen dachte er an seinen Vater, der eben ein solches Schicksal erfahren hatte, weil Anthelia die Seelische Beziehung zu Hallitti so abrupt gekappt hatte. Doch was immer er jetzt noch vorschlagen würde, auf ihn würden sie eh nicht eingehen.

"nach einer halben Stunde kehrte Professeur Faucon aus dem Gerichtssaal zurück und sagte: "Ich denke, Janus Didier wird lebenslänglich eingekerkert." Madame Maxime und Julius nickten nur. Dann kehrten sie per Flohpulver nach Beauxbatons zurück.

Julius vertraute seinem Denkarium die Erinnerungen an diesen Gerichtstag an. Vielleicht konnte er später einmalnachverfolgen, was er hätte anders machen können. Auf jeden Fall gehörte das zu dem von Corinne Duisenberg vorgeschlagenen Erinnerungstagebuch dazu.

 

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Nicht mehr als Zeugen, sondern als Zuhörer durften Madame Maxime, Professeur Faucon und Julius Latierre am nächsten Tag dem Prozeß beiwohnen. Ihm fiel auf, daß Professeur Tourrecandide schon wieder nicht unter den Gerichtsmitgliedern war. Auf die Frage, ob sie etwas wichtigeres zu erledigen hatte bekam Julius von Professeur Faucon nur die Antwort: "Sie hat bestimmt ihre Gründe, heute nicht hier zu sein, Monsieur Latierre."

Nach einer flammenden Rede Minister Grandchapeaus verteidigte sich Didier noch einmal, wobei er das Publikum hart anging, daß es undankbar sei und er das Land hätte sichern können, wenn ihm nicht die vorwitzige Mutter eines unerlaubt im Lande lebenden Halbwüchsigen seinen Plan verdorben hätte. Die erwähnte saß jedoch ruhig auf ihrem Platz neben Belle Grandchapeau, die heute zum ersten Mal an die Öffentlichkeit durfte. Ihr Töchterchen Laetitia ruhte in einem Tragekorb, vor neugierigen Blicken geschützt und schlief wohl. Camille Dusoleil war heute nicht da. Womöglich wollte Madame Matine sie vor der bald anstehenden Geburt nicht unbeaufsichtigt herumlaufen lassen. Florymont, Jeanne und Suzanne Grandchapeau waren aber anwesend.

"Wir haben die Anklage gehört. Wir haben alle Augen- und Ohrenzeugen vernommen. Soeben hat der Angeklagte selbst seine Verteidigungsrede gehalten, wie es die Prozeßordnung vorsieht", faßte Minister Grandchapeau alles zusammen. "Die Mitglieder des Gamots werden nun gebeten, durch Handzeichen darüber zu befinden, ob sie den Angeklagten schuldig befinden oder unschuldig. Wer befindet den Angeklagten Janus Didier für Schuldig?" Ausnahmslos alle Mitglieder des Zaubergamots so wie die Prozeßführer hoben ihre Hände. "Wer befindet den Angeklagten Janus Didier nicht schuldig im Sinne aller Anklagepunkte?" Keiner aus dem Zaubergamot rührte eine Hand. "Somit müssen wir, das magische Gericht von Frankreich, nach allen Aussagen und Beweisen erkennen, daß durch einstimmiger Meinung die Schuld des Angeklagten erwiesen ist. Einwände oder Zweifel an der Schuld wurden keine erhoben. Damit sind Sie, Monsieur Janus Didier, in den Anklagepunkten Amtsmißbrauch, Freiheitsberaubung, Anstiftung zur Folter, Anwendung des Imperius-Fluches in dreiunddreißig direkten und fünfundfünfzig indirekten Fällen, Verbrüderung mit einer ausländischen kriminellen Organisation, ansässig in Großbritannien, sowie wegen Mordes an Ihrem eigenen Bruder, Roland Didier schuldig. Allein schon die Benutzung des Imperius-Fluches ist ein mit lebenslänglicher Haft bedrohter Straftatbestand. Insofern kann das Gericht bei der Schwere der summierten Taten und der damit angehäuften Schuld die lebenslängliche Kerkerhaft in einer Stahlgruft von Tourresulatant aussprechen. Die Strafe wird unverzüglich vollstreckt."

"Das wird Ihnen noch leid tun, Grandchapeau. Meine Freunde werden mich nicht in diesem Kasten verdorren lassen!" Schrie Didier. "Ich werde bald wiederkommen und ..." Da traf ihn ein Schockzauber. Die Ketten seines Fesselstuhles flogen zur Seite, und drei Sicherheitszauberer ergriffen den Verurteilten. Im Publikum klatschten einige in die Hände. Das fand Julius zwar nicht in Ordnung. Aber er konnte nichts dagegen tun, als der Applaus sich zaghaft und dann ungehemmt durch alle Zuschauerreihen fortpflanzte. Auch Suzanne und Belle klatschten begeistert mit. Ursuline Latierre hatte nur einen verächtlichen Blick für ihren Schwager übrig, der soeben durch die kleine Zuführungstür aus dem Saal hinausgetragen wurde. Womöglich waren das die letzten Bilder, die außerhalb des Zaubereigefängnisses wer von ihm zu sehen bekam. Julius nahm sich vor, auch diese Szene in das Denkarium einzulagern. Unmut, Verachtung für den Angeklagten, aber auch eine gewisse Scham, weil hier mal eben ohne große Rechtsprinzipien die er kannte ein Mensch abgeurteilt wurde, jedoch auch erleichterung, Befriedigung und Stolz herrschten in seinem Bewußtsein vor. Die Mitglieder des Gamots schüttelten die Köpfe über diesen protokollwidrigen Beifall. Doch sie schritten nicht weiter ein. Als der Verurteilte aus dem Saal entfernt war forderte Monsieur Delamontagne die Mitglieder des Gamots und das Publikum auf, ebenfalls den Saal zu verlassen. So verließen Madame Maxime, Professeur Faucon und Julius Latierre den Saal. Davor trafen sie auf Julius' Mutter, Belle Grandchapeau und deren Cousine Suzanne.

"Es ist echt eine Schande, daß dieser Mann mit uns verwandt ist", knurrte Suzanne, als sie Julius sah. "Immerhin hättest du zu diesem Kerl Großonkel sagen müssen."

"Er hat keinen Wert drauf gelegt, Suzanne. Hast du gestern doch mitgekriegt", erwiderte Julius gelassen. Belle sagte nur: "Er bildete sich ein, die Zaubererwelt durch eine starke Führung allein gegen Ihr-wißt-schon-wen behaupten zu können. Fast hätte dieser uns alle überrannt."

"Das kann uns immer noch passieren, Mademoiselle Did..., Ähm, Grandchapeau", wandte Professeur Faucon ein. "Mit Didiers Verurteilung wurde die Macht dessen, vor dem Sie berechtigte Angst haben nicht gebrochen. Er kann jederzeit wieder über uns herfallen, auch wenn seine schlimmsten Kreaturen von der Erdoberfläche getilgt wurden."

"Glauben Sie, er verbündet sich mit der Lenkerin der Entomanthropen?" Fragte Belle Grandchapeau.

"Das wohl nicht. Und wollen wir hoffen, daß sie davon abgehalten werden kann, ihre Macht über die des Psychopathen zu erheben und uns alle damit zu unterwerfen."

"Aber ihre Entomanthropen haben Frankreich doch verlassen", warf Suzanne ein. "In den letzten Wochen sind keine mehr gesehen worden."

"Was nicht heißt, daß sie nicht auf andere Weise gegen uns losschlagen möchte", erwiderte Professeur Faucon und sah dabei sehr bedrückt aus. Julius fragte, ob sie irgendwelche Hinweise hätte, ob die Lenkerin der Entomanthropen was plane.

"Falls ich darüber etwas wissen sollte, Monsieur Latierre, dann gehört das nicht unters Volk, allein schon, um keine neue Hysterie zu erzeugen, wie sie Didiers Taten oder die Machenschaften des Massenmörders in Ihrer früheren Heimat eh schon entfachten." Julius hörte daraus, daß sie mehr wußte, es ihm oder anderen nicht verraten wollte. im Zusammenhang mit Professeur Tourrecandides Abwesenheit beim heutigen Prozeßtag kam da vielleicht eins zum anderen, dachte er, behielt es aber vorsorglich für sich.

"auch wenn er an sich ein armer Mensch war, der meinte, mehr haben zu müssen als alle anderen, so war er doch nur ein Drecksack", schnarrte Ursuline Latierre. "Jetzt wissen wir also, wie mein erster Mann starb. Jetzt kann er in Frieden ruhen."

"Sie haben sich beide nichts geschenkt, Madame Latierre", schnarrte Professeur Faucon. "Auch wenn Janus Didier Ihnen den Mann fortgenommen hat, so ist doch fraglich, warum dieser einen Mordanschlag gegen sich provozierte."

"Wollen Sie dem Opfer die Schuld daran geben, zum Opfer geworden zu sein, Professeur Faucon?" Fragte Ursuline sehr erbost.

"Nun, im Zweifelsfall gilt de Mortuis nil nisi bene, Madame Latierre."

"Über die Toten nichts außer gutes", übersetzte Ursuline Latierre. "Ich hoffe, Sie können mit dieser Pietätsvorgabe Ihren Frieden mit meinem verstorbenen Mann machen", raunte sie dann noch. Professeur Faucon verzog zwar das Gesicht, nickte dann aber. Doch so ganz recht war es ihr wohl nicht, auf die alten Zeiten angesprochen worden zu sein. Sie trieb Madame Maxime und Julius zur Eile an. Julius verabschiedete sich nur noch schnell von seiner Mutter und hoffte, daß er in den Sommerferien wieder ohne Verbindungsring zu ihr hinkommen konnte.

"Madame Dumas besteht darauf, daß ich das laufende Schuljahr in Millemerveilles zu Ende bringe, Julius. Aber ich denke, in den Ferien können wir wieder nach Paris zurückkehren", sagte Martha Andrews.

Zurück in Beauxbatons klatschten alle Beifall, als Madame Maxime beim Mittagessen das Urteil gegen didier bekanntgab. Keiner weinte Janus Didier noch eine Träne nach.

Am Nachmittag galt es, die Walpurgisnachtfeier vorzubereiten. Julius erlebte es quasi hautnah mit, wie Madame Maxime mit Schuldiener Bertillon das Wählrad prüfte, die über tausend verbindungsringe zusammenpacken ließ und die fünf Spiele des Abends auf ihre Spielbarkeit prüfte. Dieses Jahr galt es für die Besenpaare, die fünf magischen Elementarkräfte im Spiel zu bezwingen, ohne die eigenen Zauberstäbe zu benutzen. Sie mußten Wasser in einen Turm hinaufpumpen und das innerhalb von einer Minute. Ein Kolben innerhalb des Turmes wurde dabei nach oben gedrückt. Da wo er bei Ablauf der Zeit anhielt, wurden die Höhenzentimeter in Spielpunkte umgerechnet. Madame Maxime und Julius probierten dieses Pumpspiel aus. Julius erkannte, daß das nicht so locker ging wie es aussah. Der Kolben im Turm drückte mit großem Gewicht und verdrängte das in den Turm gepumpte Wasser. Auch mit seiner durch Schwermachertraining und Madame Maximes Blut erhöhten Körperkraft gelang es ihm in einer Minute nur, den Kolben um dreißig Zentimeter nach oben zu treiben, immer gegen das zurückfließende Wasser ankämpfend. Insgesamt einhundert dieser Türme standen den Paaren zur Verfügung. Somit konnte dieser Teil der üblichen Partnerspiele schon eine halbe Stunde dauern, weil dreihundert Paare angemeldet waren. Die restlichen über vierhundert Schülerinnen und Schüler waren Einzelflieger oder Erstklässler, die noch nicht fliegen durften. Neben dem Wasserspiel gab es noch so etwas wie einen überdimensionalen Zauberwürfel aus verschiedenen Steinen umzuordnen, daß Steine einer Sorte eine Außenfläche bildeten. Professeur Faucon hatte sich das ausgedacht, erfuhr Julius von Madame Maxime. Zum Thema Metall und Erz sollten die Paare ohne Zauberkraft mehrere Kilo schwere Schrauben aus Kupfer, Zinn, Eisen, Zink, Titan und Silber mehr als zweihundert Meter weit tragen und in entsprechende Schraublöcher eindrehen, fünf von jedem Metall. Hier galt eine Zeitbeschränkung von fünf Minuten. Das Spiel zur Luft bestand in einer Kletterstange, wie sie Julius im letzten Jahr schon mit Millie zu absolvieren hatte. Nur galt es diesmal nicht, an der schwankenden Stangenspitze hängende Holzscheiben einzusammeln, sondern daran hängende Luftballons mit eigener Lungenkraft aufzublasen und so viele wie möglich an die Stange zu hängen, bevor die hier laufendenMinuten verbraucht waren. Etwas kitzlig war das Spiel zum Thema Feuer, wofür die Paare feuerfeste Kapuzenumhänge bekamen. Es galt, aus nachgebildeten Drachenmäulern goldene Gegenstände herauszufischen, ohne die Zunge des Drachens zu berühren. Passierte das doch, kam eine Flammengarbe heraus, und das Spiel war zu ende. Wer die meisten Gegenstände aus dem Drachenmaul gefischt hatte bekam entsprechend der Schwierigkeitsstufen Punkte. Hier hatten die Spieler drei Minuten oder bis sie doch den Feuerstoß auslösten. Die Partner konnten hier zusammenarbeiten und versuchen, dem Drachen so viel Gold wie möglich zu entreißen, bevor die Zeit um war oder doch wer den Flammenstrahl auslöste.

"Nett", sagte Julius, als er es versucht hatte, einem der hundert Drachenmäuler im Keller der Schule seine Beute zu entreißen, ohne dabei seinen zauberstab einzusetzen. Je weiter er mit der Stange mit Haken ins Drachenmaul langte, desto schwerer war es, einen der kleinen oder großen Goldgegenstände zu ergreifen und herauszuziehen, ohne die Zunge des Drachens zu berühren. Wusch! Nach sieben erfolgreichen Fischzügen fegte ein glutheißer Strahl Julius um den Kopf. Er meinte dann noch. "Das war aber kein echtes Drachenfeuer. Dann gäb' es mich wohl trotz Feuerschutzumhang nicht mehr."

"Es ist heiß genug, um einen ungeschützten Spieler Verbrennungen zweiten Grades zu verabreichen, Jungchen", sagte Schuldiener Bertillon. "Madame Rossignol hat schon Eingewandt, daß dieses Spiel für Walpurgisnachtanfänger zu gefährlich sei. Aber die Umhänge fangen alles ab, wenn du dich richtig damit bedeckst."

"Wenn Madame Rossignol das dann erlaubt wird das wohl klappen", erwiderte Julius darauf nur.

Bevor der Abend anbrach zogen sich Madame Maxime und Julius ihre Festbekleidung an. Julius wählte sich den weinroten Festumhang aus, den er sich nach der Begegnung mit seinem Vater und Hallitti neu gekauft hatte. Doch der Wachstumsschub, den er durch Madame Maximes Blut erfahren hatte ließ den Umhang leicht spannen. Zumindest dachte Julius in den ersten paar Sekunden, er sei diesem erhabenen Kleidungsstück schon entwachsen. Doch dann saß der Umhang ganz locker. auf Kosten der Heilerzunft hatte er sich zwei paar neue Schuhe schicken lassen, um an der Tanzveranstaltung teilzunehmen. Da er hinter Madame Maxime auf der Flügelstute Aquitaine sitzen sollte, trug er nun halbhohe, fest anliegende braune Schuhe, die schon fast Reitstiefel waren.

"Ich hoffe, ich muß so schnell keine neuen Sachen anschaffen", sagte Julius, als er neben der in einem fließenden, orangegoldenen Umhang gehüllten Madame Maxime auf den großen Festplatz hinüberging. Irgendwie erinnerte ihn dieser Umhang an die Altmeisterin Kailishaia, die Schwester des altaxarroi'schen Feuererzmagiers Yanxotahr. Denn der Umhang wirkte wie schlafende Flammen, die nur darauf warteten, sich ausbreiten zu dürfen. Auf dem Kopf trug sie ein Diadem aus Rubinen und Topasen, oder zumindest ähnlich aussehenden Schmucksteinen.

"Hängt von dem Anlaß ab, ob Sie neue Kleidung benötigen oder nicht", erwiderte die Schulleiterin auf Julius Bemerkung.

Die Auswahl, welche Lehrerin mit welchem Lehrer den Abend verbrachte verlief innerhalb von zwei Minuten. Brunhilde Heidenreich war als älteste Schülerin dazu angetreten, das Wählrad in Gang zu setzen und wieder anzuhalten. Dann erfolgte die Zuteilung der Besen. Julius hielt sich so gut er konnte zurück, als die jungen Hexen mit ihren Auserwählten die Verbindungsringe entgegennahmen. Er begrüßte nur Sandrine und Gérard, Céline und Robert, sowie Brunhilde und ihren Besenpartner Laertis Brochet. Die anderen Paare begrüßte er nur durch nicken.

Immer wieder flogen zwei Verbindungsringe aus einer großen Truhe herbei, bevor Madame Maxime sie dem nächsten Paar umlegte. Diese Prozedur dauerte knapp eine halbe Stunde, bis alle angemeldeten Paare ihre Ringe trugen. Millie gehörte zu den Einzelfliegerinnen, genauso wie Laurentine Hellersdorf und Belisama Lagrange. Bernadette hatte sich Afranius Saunière aus der UTZ-Klasse des violetten Saales für den Abend gesichert und betrachtete Julius mit unverhohlenem Mitleid. Corinne Duisenberg hatte einen Klassenkameraden aus ihrem Saal eingeladen, der mindestens zwei Köpfe größer als sie und sehr drahtig war. Wer seinen Verbindungsring umgelegt bekommen hatte ging zu einem der Tische am Rande der Festwiese. Dort fand das Abendessen statt.

Julius setzte sich mit seiner Besenherrin Madame Maxime zu Professeur Faucon, die diesmal mit Professeur Trifolio den Abend verbringen würde und Professeur Fourmier, die mit Professeur Paximus ein Walpurgisnachtpaar bildete an einen der für Lehrer und Schulbedienstete reservierten Tische. Für Julius war das sehr angenehm, nicht mit Dedalus zu tun zu kriegen, der vom Wählrad mit Professeur Fixus zusammengedreht worden war. So war es kein Problem für ihn, sich während des Abendessens unter einer magischen Lichtkugel ganz ruhig und sachlich über Themen zu unterhalten, die die Lehrer und ihn gleichermaßen interessierten. Da er bisher nicht bei Professeur Fourmier im Unterricht gewesen war und am großen Lehrertisch eher die Tagespolitik des Zaubereiministeriums so wie die Stundenabfolge beredet wurden, nutzte Julius die etwas lockerere Atmosphäre, um sich auf dem laufenden zu halten. Millie hatte ihm zwar immer einen Überblick gegeben, und Madame Maxime hatte Fourmiers Hausaufgaben an ihn weitergereicht. Aber eine angenehme Plauderei über die Abraxas-Pferde und Latierre-Kühe war schon was anderes als auf Pergament stehende Aufgaben. Trifolio erwähnte Julius gegenüber die Pflanzen, die gerade durchgenommen wurden, und Professeur Faucon erinnerte Julius daran, daß zwei Wochen vor den ZAG-Prüfungen eine Berufsberatung angeboten wurde, bei der die ZAG-Kandidaten mit den Saalvorstehern ausloten konnten, was sie sich nach den UTZs vorstellen konnten und welche Fächer sie dafür weiterbelegen sollten. Irgendwie hatte Julius jedoch den dumpfen Eindruck, daß seine Saalvorsteherin etwas bedrückte, was sie jedoch nicht hier und vor allen Leuten erwähnen wollte oder durfte. Sie wirkte ernster als sonst schon und machte den Eindruck, sich sehr beherrschen zu müssen, um nicht gleich loszupoltern. Julius wußte selbst, wie angespannt jemand sein konnte, der fürchtete, gleich irgendwas zu sagen oder zu tun, was peinlich oder schlimm war. Er war sich auch sicher, daß Madame Maxime das bemerkte. Doch die Schulleiterin fragte ihre Stellvertreterin nicht, was sie hatte.

Nach dem Abendessen wurden die Besen ausgegeben. professeur Fourmier lief mit Paximus hinüber zur weitläufigen Koppel der geflügelten Riesenrösser. Julius schmunzelte, weil Paximus sichtlich mühe hatte, hinter der kraftvoll ausschreitenden Lehrerin aus Millemerveilles herzulaufen. Er dachte daran, daß diese ihn locker abschütteln konnte. Doch mit den Ringen wäre das grausam. Denn dann würde sie Paximus hinter sich herschleifen. Jedenfalls kam sie nach nur zwei Minuten mit Aquitaine zurück. Aus der Ferne hörte er ein verärgertes Wiehern. Das mochte der Hengst Pyrois sein, dem man eine seiner Stuten weggenommen hatte, noch dazu eine, die wohl bald paarungswillig war. Madame Maxime ließ Sattel und Zaumzeug aus dem Nichts erscheinen und legte der geflügelten Stute eine gefederte Satteldecke auf, bevor der wie ein breiter hoher Ledersessel wirkende Sattel auf Aquitaines Rücken landete und durch Bewegungszauber festgezogen wurde. Als dann auch das Zaumzeug um Kopf und Hals des Riesenrosses befestigt war legte die Schulleiterin eine kurze Leiter an den Bauch des unruhig trippelnden Pferdes, das nur noch von Professeur Fourmier an einer langen Führleine gehalten wurde. Olympe Maxime benötigte die Leiter nicht. Sie schwang sich auf die elefantengroße Stute wie eine normalgroße Reiterin auf ein gewöhnliches Pferd. Julius hatte ja genug mit ihr geübt, um schnell die kurze Leiter hinaufzuturnen und sich hinter ihr in den Sattel zu setzen. Da seine Beine nicht lang genug waren, um den Leib des Pferdes zu umfassen, steckte er seine füße durch Halteschlaufen am unteren Ende des Sattels und zog einen breiten Gurt um Bauch und Brust, der hinter ihm in starken Halterungen einrastete. Auch Madame Maxime sicherte sich mit einem breiten Gurt. Dann löste sie die Führungsleine und hielt die Zügel fest. Leise schnaubend und trippelnd wartete Aquitaine auf das Kommando. Julius merkte schon, daß die Stute hibbeliger war als vor einigen Tagen noch, wo er Mit Madame Maxime das Aufsitzen und Absteigen noch einmal trainiert hatte. Als die Anwesenden Hexen ihre Besen ergriffen flüsterte Madame Maxime ihm zu: "Blicken Sie sich besser nicht um! Der Sattel hat keine Innertralisatus-Bezauberung wie ein Besen oder die Transportkabinen ihrer Schwiegertante." Julius verstand. Auf diesem Pferd zu reiten war heftiger als eine Achterbahnfahrt mit fünffacher Erdbeschleunigung in den Kurven. Madame Maxime überblickte von ihrer hohen Warte noch einmal, ob alle Fliegerinnen ihre Besen hatten. Die Jungen, die weder eingeladen wurden noch Interesse an einer Besenherrin gefunden hatten, mußten auf dem Boden bleiben. So war der Brauch. Walpurgis war die Nacht der Hexen, seitdem die ersten Christen das keltische Beltane-Fest zum Maifest umgedeutet hatten und es ursprünglich ihrer Heiligen Walpurga gewidmet hatten, die paradoxerweise gerade gegen böse Hexen schützen sollte. "Auf auf ihr Hexen!" Rief Madame Maxime das Startsignal in den Abend. Es ging los!

Julius sah, wie Madame Maximes Umhang zu brennen schien. Diewie gefrorene Flammen wirkenden Muster wurden zu lodernden Feuerzungen, die nach ihm griffen und ihn umtobten, ihm aber nichts anhatten. lichtillusionen, gerne für diesen Abend in Kleidungsstücke eingewirkt. Der Kopfschmuck der Schulleiterin leuchtete hell und flackerte wie eine Krone aus goldenen und roten Flammenfontänen. Julius schämte sich ein wenig, keinen dazu passenden Umhang tragen zu können. Doch um einen gescheiten Walpurgisnachtumhang zu kaufen ... Ui! Aquitaine warf sich gerade in eine sehr steile Rechtskurve und bekam dabei mindestens fünfzig Grad Schlagseite. Überhaupt fühlte Julius den himmelweiten Unterschied zu einem Flug auf dem Besen. Die aufkommenden Fliehkräfte, die Beschleunigung und die kurzen Freifallphasen rüttelten kräftig an seinem Körper, zerrten gnadenlos an Kopf und Gliedern und brachten ihm die Erinnerung an alle wilden Karussellfahrten seines bisherigen Lebens zurück. Die Riesenstute sträubte sich gegen Madame Maximes Zügelkommandos und Schenkeldruck. Doch die Halbriesin ließ sich von ihrem reitbaren Untersatz nicht austricksen.

"Sie ist noch jung und empfindet wohl schon die Vorzeichen der nächsten Rosse und will zu Pyrois und den anderen zurück", bemerkte Madame Maxime, als sie Aquitaine über den großen Scheiterhaufen hinwegbrausen ließ. Die Nähe echten Feuers jagte der Stute doch genug Respekt ein, um nicht zu tief abzusinken. Julius riskierte es bei schnörkellosen Flügen im Kreis, die Debütantinnen mit und ohne Begleitung zu überblicken. Er vermißte die Latierre-Zwillinge und seine Schwiegertante Patricia, bis er sie weiter oben zwischen den fortgeschrittenen Fliegerinnen erkannte. Dafür hielt sich Millie auf ihrem Ganymed 10 in der Nähe der Riesenstute und flog die vorgegebenen Anfängermanöver so geduldig aus, als sei sie froh, noch nicht so wilde Schleifen und Rollen drehen zu müssen. Julius dachte jedoch eher, daß sie nur in seiner Nähe bleiben wollte, wenn er schon nicht hinter ihr auf dem Besen sitzen durfte. Da es nicht verboten war, daß Fortgeschrittene auf der Debütantinnenhöhe mitflogen, solange sie sich nicht zu sehr aufspielten hatte Madame Maxime wohl keine Einwände. Als Aquitaine einen Richtungswechsel schräg über das prasselnde Hexenfeuer hinweg machte konnte Julius Corinne mit ihrem Besenpartner sehen. Sie flog hinter Patricia Latierre her, die sich sichtlich freute, mit Marc Armand die Walpurgisnacht zu feiern. Corinnes Begleiter schwankte auf dem Ganymed 9 Corinnes und schien sich nicht so zu freuen. Auf der Anfängerhöhe kam ihnen ein grüne und rote Blitze schleudernder Besen mit Mésange Bernaud und Jacques Lumière entgegen. Der sonstige Partymuffel trug einen Umhang, der wie eine mächtige Wunderkerze silberne und goldene Funken, die schon kleine Leuchtkugeln sein konnten versprühte, natürlich auch nur Lichtillusionszauberei. Er erinnerte sich, daß Mésange im nächsten Schuljahr in die Staaten nach Thorntails wollte. Wußte Jacques das schon? Es war aber nicht sein Ding, ihm das zu verraten. Was welche Schüler vorhatten berührte im Moment die Angelegenheiten der Schulleiterin. Über die durfte er nichts rauslassen, basta!

Nach der wilden Besenreiterei kamen die Spiele dran. Alle Lehrer beaufsichtigten die Einzelaufgaben. Millie unterhielt sich derweil mit Laurentine Hellersdorf, Constance Dornier und Belisama. Julius traute seinen Augen nicht. Vor einem Jahr wären die vier sich außerhalb des Unterrichts nie näher als zehn Meter über den Weg gelaufen. Doch offenbar war es nicht Langeweile, die die vier zusammengetrieben hatte, sondern irgendwelche gemeinsamen Interessen oder ein Thema, über das sie wohl schon am Abend vor dem Besenritt gesprochen hatten. Julius fragte sich, ob er vielleicht ein Ohrenklingeln hören würde, wenn es um ihn herum nicht so laut und durcheinander zuginge. Doch es mußte nicht um ihn gehen. Die Mädels hatten halt Zeit, sich über was auch immer zu unterhalten. Und zwischen Belisama und Millie stimmte die Wetterlage ja doch schon so weit.

Wuff! Gerade hatte eines der Drachenmäuler Jacques Versuch vereitelt, einen goldenen Teller herauszufischen. Für einen Moment sah es so aus, als würden er und seine Besenpartnerin Mésange in Flammen aufgehen. Doch die feuerfesten Umhänge verhinderten das. Auch andere hatten Pech bei dem Spiel, dem Drachenmaul seine Beute zu entreißen. So blieben dieses Mal viele Walpurgisnachtringe dunkel, wo sie sonst nach allen erfüllten Aufgaben weißgolden erstrahlten. Corinnes Begleiter war wohl froh, endlich fertig zu sein. Beim Tanz in den ersten Mai wankte er sichtlich. Corinne hielt ihn mit quirligen Bewegungen auf Trab. Julius erkannte, daß seine damaligen Sorgen, mit Jeanne oder Martine keine gute Figur beim Tanzen zu machen, wirklich unberechtigt gewesen waren. Denn mit der ihn weit überragenden Madame Maxime konnte er sich schnell in einen harmonischen, elegant anmutenden Tanz einfügen, auch wenn er dabei nur die mit mehreren Ringen geschmückten Hände der Halbriesin halten konnte. Als eine Hebefigur drankam, bei der die Damen die Herren so weit sie konnten vom Boden lösen sollten, warf Madame Maxime Julius so hoch in die Luft, daß sein Umhang fast über seinen Kopf schlug. Er hörte lautes Lachen und dann noch ein "Ooiii!" Als er sah, daß das nicht wegen ihm war konnte er nur ein "Ei der Donner", von sich geben, während Madame Maxime ihn gekonnt um die Taille faßte und wieder auf die Füße stellte. Professeur Fourmier hatte Professeur Paximus so ungestüm in die Luft geworfen, daß der Muggelkundelehrer mindestens fünf Meter nach oben stieg. Die neue Tierwesenlehrerin federte aus der Tanzbewegung heraus mit den Beinen durch und sprang ab wie von einem Trampolin, sauste nach oben und fing den ihr nun durch den Zug der Verbindungsringe entgegengetragenen Begleiter auf, um mit ihm zu landen, ohne hinzufallen. Das war das erste Mal, daß Julius die neue Lehrerin ihre überragenden Körperkräfte vorführen sah. Paximus war jedoch bei dieser magobionischen Kraftnummer kreidebleich geworden und kämpfte wohl mit einem Würganfall.

"Sie hat sein Gewicht überschätzt", bemerkte Madame Maxime mit einem nicht ganz so ihrer Würde gehörigen Grinsen.

"So wie Sie, Madame?" Fragte Julius keck.

"Keinesfalls. Ich wollte Sie so hoch werfen wie ich es tat", erwiderte die Schulleiterin immer noch mädchenhaft amüsiert grinsend. Wann hatte er sie jemals so erheitert gesehen? Wo er nun seit dem dritten Februar mit ihr sehr nahe zusammenlebte war ihm nicht ein winziges Lächeln von ihr aufgefallen.

"Womöglich wird Professeur Paximus froh sein, wenn die Feier vorbei ist", erwiderte Julius, der sich jedoch jungenhaft vorstellte, selbst mit der neuen Lehrerin zu tanzen. Doch mit Madame Maxime hatte er ja auch eine sehr kräftige wie bewegliche Tanzpartnerin abbekommen.

Nach dem Tanz in den Mai löste Madame Maxime die Verbindungsringe von den Besenpaaren. Fixus und Dedalus sahen einander verknirscht an, als sie von ihrer Vorgesetzten voneinander losgemacht wurden. Offenbar war für die beiden Lehrer der Abend nicht so heiter verlaufen wie erwartet. Paximus bedankte sich nur kurz bei seiner Besenpartnerin und zog schnell von Dannen, wohl um nicht noch eine übermenschliche Umarmung überstehen zu müssen.

Wie die Wochen zuvor zogen sich die beiden therapeutisch zusammengebundenen in Madame Maximes Schlafzimmer von einem Wandschirm getrennt um. Als sie dann für die letzten Verrichtungen im Bad waren meinte Julius: "Ich hoffe, ich habe Ihnen den Abend nicht verdorben, Madame. War auf jeden Fall eine außergewöhnliche Erfahrung, mit Ihnen auf einem Abraxas-Pferd zu reiten."

"Ihre Tanzausbildung und Körperbeherrschung überwiegt die der meisten Kollegen. Insofern war ich sehr zufrieden mit Unserem gemeinsamen Auftritt. Und ich durfte zu meiner sehr großen Erleichterung und Freude feststellen, daß Sie sich wieder sehr gut im Griff haben, Monsieur Latierre. Dann werden sie wohl in der nächsten oder übernächsten Woche wieder in den allgemeinen Klassenunterricht und Ihren Wohnsaal zurückkehren dürfen."

"Ich möchte nicht indiskret sein, Madame. Aber ist Ihnen auch aufgefallen, daß Professeur Faucon den ganzen Abend sehr angespannt ausgesehen hat?"

"Aufgefallen ist mir das durchaus und ich hoffe, es ist ein lösbares Problem, daß meine Stellvertreterin gerade umtreibt. Über Art und Umfang dessen, was sie gerade bedrückt bin ich nicht unterrichtet und würde dann wohl auch respektieren müssen, daß sie es nicht an Sie oder andere Schüler weiterreichen möchte. Es sei denn, sie befindet selbst, Sie und andere darüber aufzuklären, ob sie ein Problem hat und ob sie dieses lösen kann oder nicht." Julius nickte. Dann sagte die Schulleiterin was, was er von ihr nicht erwartet hatte: "Ich denke, Ihre Gattin hat diesen Abend nicht so viel Freude erfahren wie mit Ihnen oder einem anderen Besenpartner auf der Flughöhe für geübte Fliegerinnen. Meinetwegen dürfen Sie ihr diese Nacht noch einmal eine großzügige Entschädigung zukommen lassen, bevor Sie in Ihren Wohnsaal zurückkehren werden." Julius stutzte. Diese sonst so auf Anstandsregeln festgelegte Dame, die seine Großmutter sein konnte und ihn größenmäßig zum Kleinkind degradierte, schlug ihm vor, die magischen Hilfsmittel zu benutzen, die seine Schwiegertante Béatrice ihm zur kontrollierten Lustabfuhr gegeben hatte? In der Tat, am ersten Mai war vieles lockerer.

"Nun, ob Madame Latierre das möchte weiß ich nicht. Aber es wird sie freuen, daß Sie ihr und mir so viel Freude an Walpurgis gönnen, wie sie haben kann."

Millie wollte auf jeden Fall. So fanden Julius und sie erst nach drei Uhr die Ruhe, um zu schlafen. Julius fragte sich, ob er schon morgen dieses übergroße Gitterbett um sich herum als erledigte Vergangenheit ansehen konnte. Doch wie würde das sein, wenn er wieder in seinen Schlafsaal zurückkehrte. Alles würde ihm ein wenig kleiner vorkommen und daher vielleicht fremder sein. Auch hatte er nicht vergessen, wie Robert Deloire ihn angeguckt hatte, als Céline und er vor Madame Maxime und Julius angetreten waren. Robert war nun einen kopf kleiner als Julius. Würde das was an ihrer Freundschaft ändern? Würde die ganze Zeit mit Madame Maxime was an der Beziehung zu den anderen ändern? Bestimmt gab es noch ein paar Idioten, die rumreichten, er habe mit Madame Maxime heimliche Liebesnächte verbracht, wo sie schon mal zusammen in einem Schlafzimmer untergebracht waren. Wenn er das abstritt, würden die Gerüchte noch mehr ins Kraut schießen, wußte er als noch nicht ganz ausgewachsener Mann. Wahrscheinlich mußten erst neun oder sechzehn Monate vergehen, bis die alle wußten, daß er ganz sicher nichts mit Madame Maxime angestellt hatte. Und die Therapie seiner Schwiegertante, sowie die von Madame Maxime nacherlebte Erinnerung hatten ihn das Verlangen nach ihr vollständig ausgetrieben.

 

__________

 

Traditionell war der erste Mai ein schulfreier Tag in Beauxbatons. Deshalb konnten sie alle mindestens eine Stunde länger schlafen. Der Tag an sich verlief für Julius wie die Sonntage zuvor. In der Zeitung stand nur noch was über Ex-Minister Didier. Dessen ganzes Privatvermögen war eingezogen worden, um die Opfer der Friedenslager und die unter Imperius versklavten Mitarbeiter zu bezahlen.

Professeur Faucon bat nach dem Mittagessen Madame Maxime und Julius Latierre um eine sehr rasche Unterredung. Das hieß, daß sie wohl mit dem rausrücken wollte, was sie gerade bedrückte, dachte Julius. Doch das dachte er nur. Denn was die Lehrerin in der Abgeschirmtheit des Konferenzsaales hinter dem Bildertor erzählte war eher etwas, daß gerade tagesfrisch reingekommen sein mußte.

"Madame Maxime, Monsieur Latierre. Offenbar gab es unter den Muggelstämmigen, die Madame Andrews aus England ausfliegen lassen wollte einen Verräter, ob aus eigenem Antrieb oder wider eigenenWillen ist nicht bekannt und auch völlig unerheblich. Vier Familien von Muggelstämmigen, die heute Morgen mit einer kleinen Flugmaschine von Birmingham in Mittelengland ausreisen wollten, sind von Greifkommandos der Todesser, angeführt von einem gewissen Rowle, gestellt und nach kurzem Kampf festgenommen worden. Dabei fielen dem Feind zwanzig Antisonden-Unterwäschestücke in die Hände. Ich komme auf Verrat, weil die von Madame Andrews per elektronischer Kommunikationsmittel vermittelten Daten nur von einem, der diese Methoden benutzen kann weitergeleitet worden sein können. Die Befürchtung, Timothy Abrahams, unser Kontaktmann zur Fluchthilfe könnte der Verräter sein, konnte mittlerweile entkräftet werden. Er hat sich seit Februar nicht aus der sicheren Zuflucht seiner Schwiegerfamilie herausbegeben. Die Prüfung läuft noch, ob einer doch mehr Familienangehörige in der Zaubererwelt hat als wir dachten. Denn dann hätten unsere Feinde ein passables Erpressungsmittel an der Hand oder gar einen, der den Verrat verüben konnte."

"Oha, damit geht die ganze Organisation den Bach runter", erschrak Julius sichtlich. "Wenn diese Schweinebande die Gefangenen verhört."

"Sie wurden stante Pede nach Askaban verbracht", grummelte Professeur Faucon. "abgesehen von diesem schweren Fiasko dürfte die Erbeutung der Antisonden das größere Problem sein, weil die Verbrecher nun ergründen können, wie diese erkannt werden können, um entsprechende Gegenmaßnahmen einzurichten."

"Mittel und Gegenmittel", knurrte Julius. "Radar und Antiradar."

"In dem Fall eher umgekehrt", erwiderte Professeur Faucon. "Wir dürfen, besser müssen damit rechnen, daß die bisher so passable Fluchthilfe für die verfolgten Muggelstämmigen versagt und die wenigen, die noch auf britisch-irischem Hoheitsgebiet sind, nicht mehr entkommen können. Womöglich wird der Feind dann sogar das einleiten, was Ihre Frau Mutter als "Endlösung" bezeichnet hat, die massenhafte Vernichtung aller gefangenen Muggelstämmigen."

"Wenn schon so ein Drecksack wie Pétain mit Giftgas rumspielt durchaus möglich, daß Lord Massenmord auch sowas macht wie Hitler & Kameraden", seufzte Julius. Er stellte sich schon große, kahle Räume voller Menschen vor und einen gehässig grinsenden Wächter, der einen Hahn aufdrehte, um die ganzen Leute zu vergasen. Julius bat darum, seine Mutter von dem Fehlschlag zu unterrichten. Er fragte nicht, woher Professeur Faucon das überhaupt wußte. Denn er dachte an den Zweiwegespiegel, den er im August des letzten Jahres unter Einsatz seines Lebens übergeben hatte.

"Ich habe diesen schweren Gang bereits absolviert, Monsieur Latierre. Ihre Mutter zeigte sich sehr gefaßt. Offenbar ging sie immer davon aus, daß irgendwann dieser Fall eintreten mochte. Sie sagte nur, daß die Todesser viel Spaß mit den Antisonden haben würden. Mehr wollte sie nicht dazu äußern."

"Vielleicht hat Monsieur Dusoleil etwas darin eingearbeitet, was die Dinger mit lautem Knall in die Luft fliegen läßt, wenn versucht wird, ihre Funktion zu ergründen", hoffte Julius. Professeur Faucon wiegte den Kopf und nickte dann verhalten. Sie, Martha Andrews und Julius spielten Schach. Sie hatten gelernt, mögliche Gegenzüge vorauszusehen und die entsprechenden Antworten parat zu haben. Wenn seine Mutter sagte, daß die Feinde viel Spaß mit den Antisonden haben würden, dann hieß das für Julius, daß sie mit ihrem Fang nicht lange glücklich sein dürften.

"Ihre ehemalige Mitschülerin Gloria Porter hat sich ebenfalls bei mir gemeldet, Monsieur Latierre. Sie wollte wissen, wann das verordnete Zusammenleben mit Madame Maxime beendet sei. Ich vertröstete sie auf das zweite Maiwochenende." Julius nickte. Er wollte dann noch wissen, wie sich die Lage in den Staaten entwickelte. Professeur Faucon schien darüber sehr gründlich nachdenken zu müssen. Offenbar gefiel ihr diese Frage nicht sonderlich. Erst nach zwanzig Sekunden sagte sie so gefaßt sie konnte:

"Die Lage ist dort angespannt, weil jene Entomantrhopenkönigin, die eigenständig apparieren kann, immer noch ihr Unwesen treibt. Zwar können einige ihrer Abkömmlinge getötet werden, aber nicht mehr alle. Mademoiselle Porter wagte ohne genaue Hintergrundinformationen die Vermutung, daß es bald ganz unmöglich sein könnte, diese Kreaturen zu besiegen. Das wiederum hat die USA in einen ähnlichen Belagerungszustand versetzt wie Frankreich unter Didier. Zaubereiminister Wishbone hält mit drastischen Kontrollmaßnahmen und Einberufungen von kampffähigen Zauberern dagegen. Seltsamerweise will er keine einzige Hexe verpflichten. Er fürchtet wohl, daß jede Hexe eine potentielle Verräterin auf Seiten seiner Hauptgegnerin sein könnte. Und wollen wir hoffen, daß er damit nicht recht behält."

"Ich glaube nicht, daß jede Hexe zu ihr überläuft", warf Julius sehr zuversichtlich ein. "Nicht freiwillig."

"Durch den Nachtrag Ihrer sehr gewagten Vermutung haben Sie sich noch einmal davor bewahrt, als vorlauter oder unbedachter Schwätzer zu gelten", schnarrte Professeur Faucon. Madame Maxime sah ihre Mitarbeiterin kritisch an und fragte mit aller ihr zu Gebote stehenden Vorrangstellung: "Was soll das heißen, daß Sie fürchten, daß jede Hexe zur potentiellen Verräterin werden kann, Blanche. Ich verlange eine ausführliche Auskunft!"

"Es tut mir leid, Madame Maxime, Ihrer Anweisung nicht Folge leisten zu können. Aber das berührt den Eid gegenüber der Liga, dem ich eher verpflichtet wurde als dem Gebot des Gehorsams in Beauxbatons. Ich kann nur so viel sagen, daß wenn wir in zehn Tagen von heute an eine Antwort auf eine ausstehende Frage erhalten, keine Gefahr mehr besteht. Falls diese Antwort ausbleibt, müssen wir damit rechnen, daß wir nicht nur einen Gegner mit übermächtigen Mitteln ohne jede Skrupel haben werden."

"Ich sagte ausführlich und nicht andeutungsweise, Blanche", blaffte Madame Maxime. "Mir ist durchaus geläufig, daß Mitglieder der Liga zur Abwehr dunkler Künste trotz ihres Eides die Erlaubnis und die Verpflichtung haben, direkten Vorgesetzten in Ministerium, Beauxbatons oder Delourdes-Klinik ausführlich Rede und Antwort zu stehen. Also reden Sie gefälligst nicht um den glühenden Kessel herum!"

"Wie gesagt, Madame Maxime, in diesem Falle darf und werde ich Ihrer Anweisung nicht folgen, auch wenn mir die disziplinarischen Folgen einer derartigen Insubordination sehr klar bewußt sind", stieß Professeur Faucon aus. "Jede Intervention durch Sie oder sonst jemanden außerhalb der Liga könnte ein schlimmeres Inferno in der globalen Zaubererwelt heraufbeschwören als die Gefahr, der die Liga begegnen will es schon vermag. Mehr werde ich zu diesem Punkt nicht äußern. Dixi!"

"Dies sollten Sie mir überlassen, ob das mir zugetragene Wissen eine große Gefahr heraufbeschwört oder nicht", schnarrte Madame Maxime. Doch Professeur Faucon blieb bei ihrer Haltung.

"Sie wissen, daß ich Sie deshalb suspendieren, ja sogar fristlos entlassen kann, Blanche?" Kleidete Madame Maxime eine Drohung in eine Frage.

"Wie erwähnt, ich bin mir der disziplinarischen Folgen meines Verhaltens bewußt. Allerdings möchte ich Sie im Namen der bisher so gedeihlichen Zusammenarbeit darum bitten, mir zwölf Tage Zeit einzuräumen, die Lage zu klären."

"Nun gut, Blanche. Bisher haben Sie nichts unternommen, was Beauxbatons geschadet hat", fauchte Madame Maxime. Ich gewähre Ihnen die erbetene Frist bis zum dreizehnten Mai. Dann werden Sie mir die Sie gerade umtreibende Situation schildern oder Ihre Entlassung entgegennehmen. Dies nur, um klarzustellen, wem Sie in diesen Mauern und unter diesem Dach zuerst verpflichtet sind, Professeur Faucon."

"Ich danke für Ihr Entgegenkommen und nehme die Ermahnung an", erwiderte Professeur Faucon kalt wie Gletschereis.

"Ähm, Professeur Faucon, bitte teilen Sie Gloria Porter mit, daß ich mich wieder mit ihr in Verbindung setze, wenn die Therapie erfolgreich beendet wurde", sagte Julius, dem die zum zerreißen gespannte Situation zwischen Madame Maxime und Professeur Faucon sehr unangenehm war.

"Madame Maxime kennt Ihre Verbindungsmöglichkeiten doch, Monsieur Latierre. Wünschen Sie ihr am besten heute noch eine schöne Walpurgisnacht gehabt zu haben!"

"Die feiern da drüben nur Halloween, wie wir in England", erwiderte Julius. In Gedanken fügte er hinzu, daß die Amerikaner das noch wilder feierten als in England.

"Natürlich. Für Mademoiselle Porter ist heute ein gewöhnlicher Unterrichtstag. Vielleicht ergibt sich zu einer Zeit, zu der sie keinen Unterricht mehr hat die Gelegenheit."

"Die haben bis vier Uhr nachmittags. Unserer Ortszeit gemäß ist das dann schon ein Uhr Nachts", rechnete Julius laut um. "Das lasse ich dann besser bleiben."

"Über die Entwicklung in England hätte ich gerne noch mehr gewußt, wo sie jetzt einige Muggelstämmige auf der Flucht ergriffen haben", wandte sich Madame Maxime an Julius. "Ich erfuhr, daß Sie mittlerweile eine weitere Zweiwegespiegelverbindung unterhalten. FragenSie die mir nicht bekannte Mademoiselle Drack, ob sie von der Angelegenheit Kenntnis bekam?" Julius nickte. Zwar hatten die in Hogwarts auch gerade Unterricht. Aber Lea Drake war ja als Gespenst aus Fleisch und Blut sicher nicht jede Stunde in einer Klasse, wenn die eh nur zwei Sachen abbekamen: "Friß meine Meinung oder den Cruciatus!" So holte er den Zweiwegespiegel mit dem Kelchsymbol aus dem Brustbeutel und sah nach der Zeit. In England war es ja eine stunde früher als in Frankreich. Hier war es jetzt zwei Uhr nachmittags. Dann war da in Hogwarts im Moment kein Unterricht. Er flüsterte Lea Drake hinein. Wie würde sich ein unsichtbarer Gesprächsteilnehmer im Spiegel zeigen? Die Antwort auf die Frage machte ihn jetzt auch richtig neugierig. Denn seit er den Spiegel besaß hatte er mit Lea kein weiteres Wort gewechselt. Einige Minuten vergingen. Dann meinte er, sein Spiegelbild verschwimmen und verschwinden zu sehen. Er konnte jetzt eine gekachelte Wand erkennen und hörte noch die Worte "Clausa contra Umbrae Animarum!" von einer hallend aber fast flüsternd klingenden Mädchenstimme klingen. Julius grinste. Die Wand sagte Badezimmer: Der Zauberspruch konnte eine Geisterbannformel sein. Die beiden Einzelheiten paßten nur zu einem Ort in Hogwarts. "Och, bist du bei Myrte im Wohnzimmer?" Fragte er leise und vergnügt.

"Yep", klang aus gewisser Entfernung Leas Stimme. "Muß noch die beiden anderen Klos absperren, bevor die dicke Tränentüte wiederkommt. - Clausa contra Umbrae Animarum!"

"Woher kennt diese Schülerin die temporäre Geisteraus- und -einsperrformel?" Schnarrte Madame Maxime leise, während Lea die Beschwörungsformel noch einmal aussprach. Professeur Faucon zischte ihr zu, daß ihre Mutter oder deren gute Bekannte ihr die sicher beigebracht hatten.

Julius sah nun, wie die Wand nach links in den Hintergrund rutschte und es dann in eine offene Kabinentür hineinging, bevor Julius die Zisterne einer Toilette zu sehen bekam.

"Wau, du kannst dich jetzt in eine Klospülung verwandeln?" Spottete er. Er tat das gerne und jetzt wohl noch lieber. Doch Lea war hart im Nehmen und erwiderte:

"Klar, weil ich sonst den ganzen Scheißdreck nicht wegkriege, der hier so anfällt, Julius. Darfst du wieder ohne diesen Metallreifen rumlaufen, oder hat dich die große Dame von Beauxbatons gebeten, mit mir zu reden?"

"Ja, hat sie", erwiderte Julius ganz ruhig. Madame Maxime starrte ihn verwundert an, nickte dann aber, weil ihr wohl klar wurde, woher die Hogwarts-Schülerin das wußte.

"Die möchte wohl mehr von dem Überfall auf Gringotts wissen, der da heute morgen passiert ist", sagte die unsichtbare Lea Drake. Julius hätte fast den Spiegel fallen lassen. "Ein Überfall auf Gringotts?" Fragte er höchst erstaunt.

"Eher ein Einbruch, Julius. Zwei Leute, eine Hexe und ein Zauberer, sind da rein. Die Hexe sah aus wie Voldys Lieblingshexe Bella Lestrange. Sie wollte in das Lestrange-Verlies rein und wurde von einem der Kobolde runtergefahren, heißt es. Dabei müssen die Kobolde einen Tipp bekommen haben, daß die Lestrange im Moment nicht frei rumlaufen darf oder sowas, hat sich um Ostern ein Ding geleistet, daß dem Boss der Todesser ziemlich übel aufgestoßen ist. Zumindest wenn ich Malfoys verhaltenes Gedruckse verstehe, wenn der sich mit seinem Doppelschatten unterhält. Jedenfalls soll das aufgeflogen sein, daß es nicht die Lestrange war. Die kamen wohl noch zum Verlies hin und rein. Aber als sie wieder raus wollten kamen die Sicherheitskobolde. Da sollen die mit einem Drachen abgehauen sein. Und weißt du, wen die in der Bank rumhängenden Todesser gesehen haben wollen: Nicht mehr nur zwei, sondern drei. Rate mal wen!"

"Harry Potter, Hermine Granger und Ronald Weasley", schoß Julius ins Blaue und traf offenbar ins Schwarze. Denn lea stieß nur ein entschlossenes "Genau die drei. Diese Blutmixerei, von der die Lady mir erzählt hat, hat dein Gehirn wohl doch nicht so zerbröselt, wie deine große Freundin erst befürchtet hat."

"Aurora Dawn konspiriert mit dieser Medea", entrüstete sich Madame Maxime. "Hätte ich das gewußt ..." professeur Faucon machte eine zur Ruhe gemahnende Geste.

"Entschuldigung, Madame Maxime, wußten Sie das noch nicht. Seit der Kiste mit den Bildern redet die gemalte Aurora Dawn häufig mit Lady Medea", sagte Lea mit nachhallender Stimme. Die Schulleiterin machte Anstalten, Julius den Spiegel aus der Hand zu pflücken, zog ihre Hand jedoch wieder zurück und nickte Julius zu, er solle weiter mit Lea sprechen.

"Sie hat es soeben zur Kenntnis genommen, Lea. Sie möchte wie ich wissen, wie diese Nachricht zu euch reingekommen ist. Das muß doch für das Terror-Trio der reinste Tiefschlag sein."

"Das kannst du wohl laut sagen. Ich habe den Carrow dabei mitbekommen, wie der die Nina Barklane aus Hufflepuff eine Minute lang mit dem Cruciatus beharkt hat, weil die das ihren Kameradinnen weitergegeben hat. Angeblich kam die Nachricht von einem aus der Nähe von Gringotts, der heimlich für den Phönixorden eintritt und den Todesser abgepaßt hat, der die Meldung weitergeben sollte. Der PO ist mit der DA in Hogwarts verbunden, über Proteuszauber-Münzen, Julius. Genial aber einfach. Du machst aus einem Gegenstand einen Sender und verkoppelst gleichartige Gegenstände. Veränderst du den Sender, werden die Empfänger ..."

"Kenne ich schon", schnitt Julius ihr das Wort ab. Professeur Faucon zog die Stirn kraus.

"Na klar, durftest ja Einzelstunden nehmen, sagt die Lady. Jedenfalls kriegt die DA dadurch wieder richtig Schwung, nachdem das Trio es fast geschafft hat, einen von denen zu kassieren, ausgerechnet Adrian Moonriver. Dem hat das tierischen Spaß gemacht, die dicke Carrow abzufertigen. Kann auch sein, daß er sich als Lockvogel angeboten hat, um die drei Todesser richtig zu verladen. Der ist supergut, Julius, ganz bestimmt besser als du, und das heißt wohl was."

 

"Ich kenne den Knirps", sagte Julius darauf nur. "Hat sein ganzes Leben alles gelernt, um sich vor bösen Leuten zu schützen", fügte er noch hinzu. "Und dann sind die Infos über den Gringotts-Coup über so eine Proteus-Verbindung zu euch rübergekommen?" Fragte er. Madame Maxime starrte ihn verdrossen an, wohl weil er eine nicht gerade gehobene Ausdrucksweise benutzte.

"Und über diesen Piratensender Potterwatch wohl auch. tja, und die Carrows und Snape wissen nicht, wie das durchsickern konnte. Sie vermuten die Bilder. Aber zu Gringotts hat keiner von denen eine den Draht und im Marionettentheater Thicknesse hängen nur todesserfreundliche Bild-Leute rum. Snape hält auf jeden Fall die Lehrer auf Trab, jeden anzuschwärzen, der diese Geschichte weiter rumreicht. Aber die machen das nur, wenn jemand vom Terror-Trio in der Nähe ist, und das ist doch ziemlich selten."

"Okay, Lea: Die Sechs-Fragen-Runde,wobei wir ja schon wissen, wo und wann ungefähr; heute morgen in Gringotts. Wer war das? Vermutlich Harry Potter und seine beiden besten Freunde. Wie haben die das gedreht? Einer Unsichtbar, die beiden anderen getarnt, vielleicht mit Vielsaft-Trank verwandelt, wobei ich mir nicht vorstellen möchte, als Bellatrix Lestrange rumzulaufen."

"Ich mir auch nicht. Aber was soll das mit den sechs Fragen, Julius?"

"Kriegen wir gleich", sagte Julius. "Wir hatten also das Wann, Wo, Wer und Wie. was hat denen geholfen, so weit bis zu einem Verlies und da rein zu kommen?"

"Könnte wieder eine Wer-Frage sein, Julius. In Gringotts kommst du nicht mal bis zum ersten Stock runter, wenn du da klauen willst. Also hatten die Hilfe von einem Kobold, so abgedreht das auch klingt", vermutete Lea. professeur Faucon nickte heftig, und Madame Maxime wiegte den Kopf.

"Durchaus möglich, wenn die einen gefunden haben, der keine Angst vor seinen Leuten hat", erwiderte Julius. "Bleibt also als sechste Frage noch: Warum sind die ins Lestrange-Verlies runter, wo die Lestrange doch bestimmt kein kleines und einfaches Verlies hat? Du sagtest was von einem Drachen. Meinen die, von denen du das hast vielleicht einen dieser Hochsicherheitsdrachen, die die ganz alten und wichtigsten Verliese bewachen sollen?"

"Ziehen wir deine Sechs-Fragen-Nummer erst richtig durch, Julius. Also warum die in das Lestrange-Verlies runter sind wissen wohl nur die Lestranges und die drei, die das Ding gedreht haben. Vielleicht hängt das mit der Kiste zusammen, weswegen Voldys Lieblingshure sich Hausarrest eingefangen hat. Könnte sein, daß Harry Potter was aufgeschnappt hat und die Lestrange ihn nicht festhalten konnte, um ihn seiner dunklen Mordschaft auszuliefern."

"Das vermute ich auch gerade, Lea. Oho, könnte sein, daß Dumbledore Harry auf was angesetzt hat, mit dem er unseren großen bösen Todhexer aushebeln kann?"

"Das vermuten hier eh alle, daß Potter für den seligen Albus Dumbledore was erledigen soll, weil keiner rauslassen will, daß Potter und die beiden anderen sich einfach nur versteckt haben, um nicht erwischt zu werden. Alles kriege ich leider nicht mit, was die über ihre Münzen so rumgehen lassen, Julius. Vielleicht hat Hermine Überschlau, die das Zeug verteilt hat noch eine und hält Kontakt zur DA."

"Oha. Dannkönnte Harry Potter, falls sein Coup gelungen ist demnächst wieder von sich hören lassen, Lea. Schicke über Aurora Dawns Bild sofort 'ne Nachricht, wenn sich bei euch im Land oder in Hogwarts was tut, was mit Harry Potter zu tun hat, auch wenn's keine guten Nachrichten sein sollten!"

"Toll, hat meine Mutter mir auch schon eingeimpft", hörte er Lea belustigt antworten. "Okay, ich bleib dann dran und geb's über deine große Freundin weiter, wenn was ist, sofern Madame Maxime die nicht bei euch abhängt, weil die gut mit Lady Medea kann."

"Das ist sehr nett von dir, Lea. Bist doch irgendwo noch ein anständiges Mädchen", sagte Julius.

"Mädchen ist gut. Wenn das Jahr rum ist habe ich dich körperlich glatt abgehängt, Süßer."

"Solange es nur körperlich ist kann ich damit gut leben", erwiderte Julius frech. Lea grummelte zwar, sagte dann aber noch: "Geistig ziehe ich dich locker mit nach oben, wie wir das gerade eben ausgeknobelt haben. Grüße Madame Maxime und deine Hauslehrerin bitte von mir!"

"Ja, mach ich", sagte Julius. Dann verschwamm die Toilettenzisterne und verwandelte sich in Julius' Spiegelbild. Er nickte und steckte das magische Hilfsmittel zurück in seinenBrustbeutel.

"Es fällt mir schwer, aber ich muß anerkennen, daß Sie beide, diese renitente junge Dame und Sie, ein kongeniales Duo bilden, Monsieur Latierre", grummelte Professeur Faucon. "Sie haben ihr offenbar die Bestätigung für etwas geliefert, von dem sie bis dahin keine Ahnung hatte oder sich jetzt bestätigt fühlen muß. Sie hegen einen ganz konkreten Verdacht, was Harry Potter zu diesem wortwörtlichen Ritt auf dem Drachen getrieben hat."

"Womöglich hat Harry Potter von Professor Dumbledore vor dessen Tod wichtige Informationen über den sogenannten Unnennbaren bekommen, wie er diesen entmachten kann", sagte Julius ganz ruhig. "Womöglich hat er den entscheidenden Hinweis bekommen, wo er das Mittel findet, an dem Voldemorts Macht hängt. Das heißt, ob er es rausgetragen hat oder zurücklassen mußte weiß ich nicht. Vielleicht mußte er mit leeren Händen flüchten, weil die Sicherheitszauber in Gringotts ihm den Zugang zu dem Ding verwährt haben."

"Wenn es wirklich ein Mittel ist, um die Macht des sogenannten dunklen Lords zu brechen, Monsieur Latierre, so ist es unerheblich, ob er es an sich bringen konnte oder zurücklassen mußte", schnarrte Professeur Faucon. "Denn der Besitz könnte ihm schaden, wenn er keine Maßnahme ergreift, es zu vernichten, und das gelingt nur mit Mitteln, deren Zerstörungskraft jede magische Reparaturmöglichkeit übersteigt. Und jedes dieser Mittel ist tödlich gefährlich."

"Zumal es von besagten Ankern der Macht des Unnennbaren nicht nur einen gibt, Blanche", grummelte Madame Maxime und erwähnte den Traum von Pteranda, ließ jedoch aus, daß Julius diesen Traum mit ihr geteilt hatte.

"Dann wird es noch schwieriger, weil die Gefahr, die von diesen verwerflichen Gegenständen ausgeht durch die Menge potenziert wird", schnaubte Professeur Faucon. Doch dann hellte sich ihre Miene auf. "Es sei denn, er erhält Zugriff auf die Waffe, mit der er damals in der Kammer des Schreckens den Basilisken erlegen konnte. Dessen Gift dürfte der Waffe anhaften und sie wie ein Giftzahn eines Basilisken selbst wirken lassen. Das ist nämlich eines der Gegenmittel gegen diese verwerflichen Artefakte dunkelster Zauberei."

"Ich hörte davon, daß Harry Potter mit einem silbernen Schwert diese Riesenschlange abgestochen hat", sagte Julius. "Allerdings gehört das wohl nach Hogwarts und wurde wohl von Gryffindor selbst angefertigt oder gekauft."

"Was Kobolde kaufen nennen, Julius. Das Schwert ist von Kobolden geschmiedet und an Gryffindors Wünsche und Absichten gekoppelt worden. Kobolde haben jedoch einen besonderen Sinn für Eigentumsfragen."

"Auf jeden Fall wäre es nicht damit getan, einen solchen Gegenstand zu vernichten, falls Monsieur Potter das Schwert besitzt, solange er nicht weiß, wo und was die anderen sind", sagte Madame Maxime. Julius wollte gerade einwenden, daß Harry Potter bestimmt mehr über das Was und Wo erfahren hatte, als mehrere ehemalige Schulleiter in ihre Bilder stürmten und "Dementorenangriff auf Paris und Millemerveilles!" Riefen.

"Das ist die Vergeltung wegen der Hilfe für die Muggelstämmigen", seufzte Professeur Faucon. "Ich bitte um die Erlaubnis, nach Paris zu gehen, um dem Minister und den anderen bei der Abwehr zu helfen", sagte Professeur Faucon.

"Nur, wennSie für mich schriftlich hinterlegen, welche Gefahr uns außer diesen Ungeheuern und ihrem Herrn und Meister droht, Blanche", schnarrte Madame Maxime. Professeur Faucon schnaufte. Dann nickte sie. "Ich verberge es in meinem privaten Denkarium in Millemerveilles. Sollte ich den Ansturm nicht überleben, wird meine Tochter Ihnen Zugang zu dieser Erinnerung gewähren", sagte die Lehrerin. Madame Maxime starrte sie verdrossen an, nickte aber dann doch einverstanden. Professeur Faucon verließ rasch den Konferenzraum und benutzte den Kamin, um erst in ihr Haus in Millemerveilles überzuwechseln.

"Hoffentlich ist meine Mutter nicht wegen dem schulfreien Tag nach Paris zurückgekehrt", seufzte Julius.

"Das läßt sich rasch ergründen", knurrte Madame Maxime und schickte einen der gemalten Schulleiter aus, um über Viviane Eauvive Nachricht von Martha Andrews zu erhalten. Fünf Minuten später wußten sie beide, daß Julius' Mutter in Millemerveilles geblieben war. Dort war sie sicher. Die Dementoren kamen dort nicht mehr hinein, dank der Wiederkehrerin. Julius fragte sich, ob diese bereits von diesen so verwerflichen Gegenständen wußte, mit denen Voldemort sich unsterblich gemacht hatte. Vielleicht hatte die selbst sowas benutzt, um ein zweites Leben im anderen Körper anzufangen.

"Sind die Säulen der Gründer noch aktiv?" Fragte Julius. "Ich meine, wenn Dementoren auch bis hier her kommen."

"So lange ich hier Schulleiterin bin und Sie wie die anderen, die mir halfen, die Säulen zu öffnen, sind sie bereit. Danke für die Anregung!" Erwiderte Madame Maxime und wandte sich den lebensgroßen Gründerstatuen zu. "Protegete Inimicis!" Rief sie mit nach oben weisendem Zauberstab. Die Gründer erstrahlten in silbernem Licht, regten sich und verneigten sich. Dann breiteten sie ihre Arme aus und erzeugten magische Lichtbögen, die von ihren Fingerspitzen zu den jeweils nächsten Händen reichten. Von draußen war ein Geräusch wie ein Windstoß und dann eine kurze Erschütterung zu hören. Dann sagten die sechs belebten Statuen: "Inimici exclusi!" Danach zerstoben die Lichtbögen durch die Decke. !

"Ich gehe davon aus, daß sich die Magie, mit der die schützende Kuppel damals errichtet wurde, längst wieder regeneriert hat", sagte Madame Maxime.

Doch die Dementoren griffen Beauxbatons nicht an. Sie wollten Paris und Millemerveilles stürmen. Nach Millemerveilles kamen sie nicht rein. Außerdem benutzten die Leute dort die bereits bewährten Heißluftballons, um die Schreckenskreaturen aus sicherer Höhe mit Patronus-Zaubern zu bekämpfen. Das erfuhr Julius von Vivianes Bild-Ich, das als ständige Botin zwischen dort und Beauxbatons pendelte. Nach vier Stunden war dort der Angriff vorbei. In Paris tobte er wegen der großen Stadt noch bis tief in die Nacht. Erst gegen zwölf Uhr meldete sich Professeur Faucon zurück, sichtlich geschafft, aber zufrieden.

"Es wirkte wie das letzte Aufgebot. Dieser Wahnsinnige hat wohl den Großteil seines Kontingentes gegen uns in die Schlacht geworfen. Wir haben mindestens hundert von ihnen vernichtet. Sie bildeten sich ein, mit Einbruch der Dunkelheit an Stärke zu gewinnen, aber Da hatten sie die Rechnung ohne die fliegenden Patroni von mir und Monsieur Fontchamp gemacht. Sein Habicht und mein Adler konnten von oben her aufklären und angreifen. War froh, den patronus überhaupt hinbekommen zu haben. Minister Grandchapeau kämpfte ebenfalls. Sein Patronus ist imposant, wenn auch nicht vergleichbar mit Ihrer geflügelten Kuh, Monsieur Latierre. Bei der Gelegenheit, ich hattte zunächst arge Probleme, meine Gefühle auf ein glückliches Ereignis zu fokussieren, um einen Patronus zu rufen. Sie dürfen sich glücklich schätzen, in den letzten drei Monaten keinen Patronus rufen zu müssen. Denn spätestens da hätte die ihnen zugeflossene Flut von Emotionen Sie sehr stark behindert."

"Den Patronus haben wir deshalb auch nicht durchgenommen, Blanche", erwiderte Madame Maxime verdrossen. "Ich entsinne mich selbst, wie Professeur Tourrecandide mich drangsaliert hat, weil ich diesen Zauber unzureichend bis gar nicht ausführen konnte." Der Name Tourrecandide ließ Professeur Faucon für eine Sekunde sehr besorgt dreinschauen. Als sie bemerkte, daß die beiden sie deshalb ebenso besorgt anblickten, änderte sie ihre Miene. Julius fragte jedoch:

"Ist was mit Professeur Tourrecandide? Die war doch bestimmt in Paris mit dabei, oder?"

"Ich habe sie dort nicht angetroffen", schnarrte Professeur Faucon. Julius wunderte sich zwar über den eisigen Ton, mit dem sie das sagte, nahm es jedoch erst einmal als Antwort zur Kenntnis. Madame Maxime wollte gerade ansetzen, die Lehrerin zur Nacht zu verabschieden, als aus der offenen Sprechzimmertür Aurora Dawns Stimme rief: "Harry Potter in Hogwarts! Mögliche Schlacht zwischen Todessern und Schülern! Ms. Drake bittet um direkten Kontakt!""

"Verdammt", stieß Julius aus, dem sofort mehrere Gefühle zu gleich ins Bewußtsein brandeten. Da war einmal die Angst und die Sorge um alle die, die dort waren. Daneben fühlte er auch sowas wie eine Bestätigung für etwas, das er vorher nicht mit Worten hätte beschreiben können. Außerdem war da ein unbändiges Gefühl von Kampfeslust, als sei er gerade in Hogwarts und nicht in Beauxbatons. Dann war da auch ein Gefühl von Verärgerung, weil er eben nicht in Hogwarts war, gepaart mit Hilflosigkeit, weil er seinen ehemaligen Schulkameraden nicht helfen konnte, wo Ianshira ihm doch echt mächtige Zauber gegen böse Wesen und Flüche beigebracht hatte. Er hing hier herum, mit einer unsichtbaren, nicht greifbaren Kette an Madame Maxime festgeschmiedet. Am liebsten wollte er sein Intrakulum nehmen und durch Auroras Bild hinüberwechseln. Denn er war der einzige, der die alten Zauber kannte, der im Moment auf die britischen Inseln gelangen konnte, ohne sofort getötet zu werden. Er sah auch in Professeur Faucons Gesicht die Mischung aus Sorge und Verärgerung. Bestimt dachte sie dasselbe wie er. Sie konnte auch nicht nach Hogwarts.

"Howdy, jemand zu Hause?!" Kam eine andere Stimme aus dem Konferenzzimmer. Das war Jane Porter. Madame Maxime stand von ihrem Stuhl im Büro auf und preschte in Richtung Konferenzraum. Julius kam gerade noch schnell genug auf die Füße, um ihr hinterherzusprinten. Sonst hätte die Walpurgisnachtringverbindung ihn sicher umgeworfen und hinter der Halbriesin hergeschleift.

"Treten Sie bitte zu uns herüber, Madame Porter!" Sagte Madame Maxime dem Bild zugewandt, in dem gerade auch Aurora Dawn saß. Glorias für tot gehaltene Großmutter nickte und rief mit ihrem Intrakulum eine Lichtspirale auf, die erst im Bild hell rotierte, um dann aus dem Bild herauszuwachsen, sich zum Boden zu verlängern und dabei erst wie eine Erscheinung aus licht und dann vollkommen verstofflicht Jane Porter freizugeben.

"Julius, Lea will unbedingt sofort mit dir sprechen", zischte Aurora Dawns Bild-Ich dem ehemaligen Hogwarts-Schüler zu. Dieser verstand. Er wandte sich an Madame Maxime und bat darum, jene Vorrichtung zu benutzen, mit der sie damals die Befreiung der Friedenslager beobachtet hatten. Madame Maxime nickte und eilte, Julius wieder im Schlepptau in jenen Raum, in dem sie ihr Denkarium aufbewahrte. Dieser war nur von der aufgelegten Hand der Schulleiterin zu öffnen. Nach nur fünf Sekunden hatte sie jenes Stativ mit Rahmen und jener Muschelartigen Vorrichtung, die an einen Zweiwegespiegel angebracht werden konnte. Dann nahm sie noch die silberne Leinwand, auf die das Bild aus dem Spiegel projiziert werden konnte, um eine exzellente Vergrößerung zu bekommen.

 

__________

 

"Schon was von Ihrer Mentorin gehört, Blanche?" Flüsterte Jane Porter.

"Woher wissen Sie davon, Jane?"

"Nicht nur in Frankreich ist das durch die Liga gegangen. Auch in den Staaten sind sie besorgt, vor allem, wo sie offenbar einen Weg benutzt, mit Daianira zu kommunizieren."

"Das wird das Artefakt sein, daß ihre Seele erhalten hat", wisperte Professeur Faucon auf der Hut vor mithörenden Bild-Ichs, die jedoch gerade verdutzt durcheinandertuschelten.

"Schlimmer, Blanche. Die Wiederkehrerin hat bei jenem Duell damals ihren Körper nicht verloren, sondern nur extrem verjüngt und geriet in Daianiras Schoß, wo sie sich wohl derzeit zum lebensfähigen Baby entwickelt."

"Wie bitte?!" Blaffte Professeur Faucon und fischte in ihren Umhang. "Das schreiben Sie mir bitte sofort genau auf, um nicht länger reden zu müssen!" Schnarrte sie noch und reichte Jane ein Pergament und Schreibzeug. Jane nickte und setzte sich damit an das der Tür fernste Ende des Tisches. Professeur Faucon wurde leichenblaß. Dieses Wissen hätte sie vor zwei Tagen gebraucht. Möglicherweise konnte es über Erfolg oder Mißerfolg der heiklen Mission entscheiden. Doch es erschien ihr sonnenklar, daß dieses Duell genau so ausgegangen sein mußte. Wie blind war sie gewesen, das nicht sofort sehen zu können? Da kam Madame Maxime mit Julius und der Spiegelbildvergrößerungsvorrichtung.

 

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Julius Latierre spannte den Spiegel mit dem Kelchsymbol in die Vorrichtung ein, als diese genau auf die Leinwand ausgerichtet war. Dann berührte er ihn und rief: "Lea Drake!" Die Tür zum Konferenzraum war verschlossen. Doch die Verbindung würde den Klangkerker überwinden, weil die Vorrichtung sie vervielfachte.

"Wurde auch Zeit", hörten sie ein hektisches Flüstern, als sich auf der Leinwand ein Korridor abzeichnete. Die Sprecherin war nicht zu sehen. "Vor einigen Minuten kam von Leuten der DA durch, daß Potter in Hogwarts ist. Ich hatte glück, nicht mit Moonriver zusammenzurasseln. Mit dem Typen habe ich so meine gewissen Probleme. Falls Madame Maxime und Professeur Faucon auch da sind. Guten Abend oder besser guten Morgen Mesdames." Die beiden begrüßten Hexen wunderten sich sehr, daß Lea sie im fließenden Französisch ansprach, ohne Akzent. Doch für Julius stand fest, daß sie wohl das Sprachlernbuch benutzte, mit dem auch er so schnell die Sprache der Grande Nation erlernt hatte. Jane Porter, die eben noch am Tisch gesessen hatte, war nicht zu sehen, erkannte Julius, als er flüchtig durch den Raum blickte, so tuend, als suche er in den Bildern etwas oder jemanden. Die ehemalige Laveau-Mitarbeiterin hatte sich unsichtbar gemacht. Wie gut sie das konnte wußte er aus eigener Erfahrung.

"Ich fühle mich sowohl geehrt wie verwundert, daß Sie unsere Sprache erlernt haben, Mademoiselle Drack", sagte Madame Maxime. Professeur Faucon korrigierte sie leise, wie sich Leas Nachname korrekt aussprach. Schließlich sollte die nicht den Eindruck haben, man würde absichtlich einen Namen falsch aussprechen. So korrigierte Madame Maxime sich und entschuldigte sich für den Aussprachefehler. Offenbar erkannte die Schulleiterin von Beauxbatons, daß jetzt keine Zeit für Verärgerungen war.

"Also folgendes, die Damen und der Herr. Vor einigen Minuten kam die Nachricht bei Ernie McMillan rein, daß Harry Potter in Hogwarts angekommen ist. Wo genau weiß ich nicht. Könnte aber da sein, wo die damals trainiert haben. Jedenfalls ist der wegen irgendwas hier, was er für Professor Dumbledore tun soll. Bin jetzt gerade auf dem Weg nach Ravenclaw. "Terra Lapisque permeabilis pro Vivo!" Julius sah ein Wandstück wie aus einer Wolke Funken zusammenwachsen. Dann ging der Virtuelle Lauf durch die Gänge weiter.

"Was willst du in Ravenclaw, Lea?" Fragte Julius. "Harry ist ein Gryffindor."

"Weil er mit Luna unterwegs sein soll. Die Lady hat's mir gerade geflüstert. Was folgern wir daraus, Monsieur Muggelkind?"

"Geschenkt", knurrte Julius. "Moment mal! Luna Lovegood ist auch in Hogwarts? Ich dachte, die Drecksbande hätte die entführt."

"Tja und irgendwer hat die befreit. Bin gleich bei der Tür und ... Mist! Da ist eins von Voldys Haustieren drin", zischte Lea verärgert. "Okay, ich lasse den Spiegel an und geh leise rein, und guck mir an, wer da ist", flüsterte sie. "Aber damit haben wir's jetzt amtlich, daß in Ravenclaw was wichtiges abgeht. Bis dann."

"Eine unsichtbare Hand legte sich auf Julius' Schulter. Er wandte sich um. "Honey, wie kann die wissen, daß da jemand von dieser Gangsterbrut drin ist?" Fragte Jane Porter.

"die hat was, daß auf die Brandmahle reagiert. Sie nennt es Voldymeter", zischte Julius zurück, während sich die abgebildete Szenerie wieder änderte. Dann konnte Julius hinter einem Tisch die geduckte Gestalt einer ziemlich fülligen Frau sehen, die er kannte. Auch Jane Porter erkannte sie wohl: "Al Carrow", zischte sie und zog Julius näher zu sich. "Ich glaube, hoffe und fürchte, daß wir heute die Entscheidung miterleben, ob sich dieser Wahnsinnige halten oder vergehen wird, Honey."

"Sie meinen, weil Harry Potter nach Hogwarts gekommen ist?"

"Weil beide, Harry Potter und dieser brandgefährliche Verbrecher auf diese Schule fixiert sind. Es würde mich nicht wundern, wenn dort etwas verborgen liegt, was die Macht dieses Wahnsinnigen zementiert hat."

"Ui, könnte sein", dachte Julius. Dann hörte er jemanden hinter einer geschlossenen Tür eine Frage stellen und Lunas Stimme, die sie beantwortete.

"Die hätten die Portraittür lassen sollen", grummelte Julius. Er sah, wie die Tür aufging und zwei Gestalten unter einem flimmernden Nebelschleier hereintraten. Nebelschleier? Das war ein Umhang. Jetzt konnte er auch Harry Potter und Luna Lovegood erkennen. Warum sah Alecto Carrow die beiden nicht? Julius ärgerte sich über die Dämlichkeit dieser Frage. Er konnte sehen, was Lea sah, wenngleich er sie nicht sehen konnte. Der Unsichtbarkeitstranklies sie magisch unsichtbare Dinge erkennen. Dann ging alles ziemlich schnell. Harry untersuchte die Statue von Rowena Ravenclaw. Dabei geriet er aus der Unsichtbarkeitsaura des Umhangs und wurde von Alecto Carrow ertappt. Diese drückte schnell einen ihrer Wurstfinger an ihren linken Arm und wollte Harry Potter festnehmen. Da wurde sie von Luna geschockt.

"Sie hat die Todesser gerufen. Jetzt ist die Schlacht nicht mehr aufzuhalten", kommentierte Professeur Faucon leise was gerade geschehen war.

"Ich hab's gemerkt", wisperte Lea Drake. Mein Voldymeter hat einen richtigen Hüpfer getan."

Nun erlebten sie mit, wie Amycus Carrow und Professor McGonagall in den Ravenclaw-Gemeinschaftsraum eintraten. Als Amycus androhte, alle Ravenclaws zu foltern, um rauszukriegen, wer seine Schwester betäubt hatte erhielt er Widerworte von Professor McGonagall. Deshalb spuckte er dieser ins Gesicht. Das trieb Harry Potter dazu, sich zu zeigen und den Kerl mit dem Cruciatus-Fluch zu attackieren.

"Wenn er diese Nacht überlegt wird das ein heikles Rechtsthema", grummelte Professeur Faucon leise, während sie sahen, wie Professor McGonagall nun ihrerseits den ebenso verbotenen Imperius-Fluch anwandte, um Amycus Carrow zu unterwerfen. Nachdem beide Carrows in einem Netz unter der Decke gelandet waren und sämtliche Ravenclaw-Schüler herunterkamen verschwanden Harry Potter und Professor McGonagall aus dem Ravenclaw-Gemeinschaftsraum. Lea Drake wollte ihm schon nach, als mehrere Schüler, darunter auch Holly Lightfoot und Fredo Gillers ihr den Weg verstellten. Sie mußte ausweichen und verlor den Anschluß.

"Super, jetzt habe ich die verloren", knurrte Lea, als es ihr endlich gelang, unbemerkt aus dem Gemeinschaftsraum zu schlüpfen.

"Die wollen zu Snape", sagte Julius rasch. Lea verstand offenbar. Die Carrows waren weg, fehlte noch Snape, der ausgeschaltet werden mußte. Julius empfand das richtig merkwürdig, daß erst Harry Potters Auftauchen allen den Mut zu geben schien, sich gegen die Unterdrücker aufzulehnen. Oder war es eher der Mut der Verzweiflung? Denn wenn es wirklich zur Entscheidungsschlacht kam, dann war Wegducken und Stillhalten nicht mehr angebracht. So liefen sie mit Lea mit und hörten wie aus weiter Ferne das Wort "Feigling!" durch die Gänge hallen. "Mist, schon zu spät. Snape ist getürmt", fauchte Lea, immer noch französisch sprechend.

"Wer sagt das, Lea. Er könnte auch eine Falle gestellt haben", erwiderte Julius.

"Dann hätte Snape triumphiert. Ich dachte du wärest mit Logik gestillt worden."

"Die muß erst wieder richtig hochfahren, Lea", grummelte Julius, den es doch ärgerte, diesen einfachen Schluß nicht selbst gezogen zu haben. Snape mußte sich einfach abgesetzt haben, weil ihm Professor McGonagall sonst bestimmt nicht "Feigling!"hinterhergerufen hätte.

"Monju, was ist bei dir los? Du bist so drauf, als müßtest du gleich gegen wen kämpfen und hast Angst, dabei draufzugehen", meldete sich dann noch Millies Stimme in Julius Kopf. Da in diesem Raum alle wußten, daß er mit dem Herzanhänger mit seiner Frau mentiloquieren konnte machte es nichts, ihn hervorzuholen und zu benutzen.

"Hogwarts steht wohl vor einer Zauberschlacht. Harry Potter ist da rein und hat die alle angetrieben, gegen ihre Unterdrücker loszuschlagen. Die Carrows wurden schon kampfunfähig gemacht und gefesselt. Snape ist abgehauen. Aber die dicke Carrow hat ihren großen Chef durch sowas wie einen sympathetischen Zauber wachgekitzelt, daß der mal zu ihr rüberkommen soll. Das wird da gleich richtig knallen."

"Hast du diese Slytherin-Göre, die wohl aus einer dieser Schweigsamen rausgepreßt wurde an der Spiegelverbindung?"

"Genau", schickte Julius zurück.

"Du ärgerst dich, weil du da nicht hinkannst um die alle mit den alten Zaubern aufzumischen wie damals?"

"Verdammt, genau!" Gedankengrummelte Julius zurück. Professeur Faucon wandte sich ihm zu und flüsterte: "Wenn Ihre Gattin nicht mehr schlafen kann, weil Ihre Übermacht an Gefühlen sie wach hält, möge sie zu uns kommen. Ich erwarte sie vor dem Bildertor."

"Professeur Faucon, die auch bei Madame Maxime und mir sitzt möchte, daß du zu uns kommst. Sie holt dich vor dem Königspaarbild ab."

"Kannst du knicken, Monju. Wo ich noch den Pflegehelferschlüssel umhabe kriegt Madame Rossignol das sofort raus wo ich bin und macht Terz."

"Stimmt", schickte Julius zurück. Indessen wechselten Korridore. Lea suchte Harry Potter, um an ihm dranzubleiben.

"Ich rede gerade mit Madame Rossignol. Die hat's mitgekriegt, daß ich wach bin und mich gerade wohl ziemlich aufrege. Sie bringt mich zu euch und bleibt dann auch da. Sag das bitte Madame Maxime und Königin Blanche!"

"Millie kommt mit Madame Rossignol zu uns, wenn Madame Rossignol auch bleiben darf", zischte Julius Madame Maxime zu, während Lea den Weg durch ein Treppenhaus nahm. Es ging in die große Halle, erkannte Julius.

"Teilen Sie Ihrer Gattin mit, daß Madame Rossignol ebenfalls mitkommen darf", flüsterte Madame Maxime. Julius gab die Erlaubnis sofort weiter. keine fünf Minuten später - Lea stand bereits in der großen Halle, traten Madame Rossignol in ihrer weißen Tracht und Millie in ihrem blaßblauen Schulmädchenkostüm ein. Wortlos nahmen sie Platz, als Madame Maxime ihnen durch Nicken zwei Stühle anbot. Auf der magischen Leinwand, die nun die Funktion eines Fernsehschirms erfüllte, wurden sie Zeugen, wie alle Schüler und mehrere Dutzend Ex-Schüler und gestandene Hexen und Zauberer in die Halle kamen und sich an ihren Haustischen versammelten. Lea postierte sich so, daß sie und die fernen Zuschauer die ganze Halle überblicken konnten. Professor McGonagall hielt eine Ansprache, in der sie verkündete, daß eine Schlacht um und in Hogwarts unmittelbar bevorstand und alle minderjährigen Schülerinnen und Schüler evakuiert werden sollten. Alle Volljährigen durften sich entscheiden, ob sie an der Schlacht teilnahmen oder ebenfalls evakuiert werden wollten. Da dröhnte eine kalte, böse Stimme durch die Halle, so laut, daß selbst der Kronleuchter im Konferenzraum klirrte. Es war die Stimme des Feindes, des dunklen Lords. Er forderte alle in Hogwarts auf, ihm Harry Potter zu übergeben, um jede unnötige Gewalt zu vermeiden. Pensy parkinson forderte sofort, dieser Aufforderung nachzukommen. Doch keiner der anderen Haustische ließ die Slytherins an Harry Potter heran. Das führte nur dazu, daß die Slytherins zuerst vom Gelände evakuiert werden sollten. Wie das gehen sollte wurde erst später verraten. Dann rückten sie ab. Lea verpaßte erneut die Chance, hinter Harry Potter zu bleiben, weil diverse Phönixordensmitglieder die Volljährigen um sich versammelten. Julius imponierte die Statur und Stimme des großen Mannes Kingsley Shacklebolt. Der strahlte die Gelassenheit eines Kriegshelden aus, der weiß, das er mit seinem Wissen die Schlacht für sich entscheiden konnte.

"Lea, wenn du kannst, laß dich besser auch evakuieren!" Empfahl Julius.

"Hat meine Mutter mir gerade auch zugedacht. Aber ich mach das nicht. Erstens will ich wissen, wie das ausgeht. Und zweitens kann ich denen helfen, die kämpfen, im Gegensatz zu dir. Oder würdest du dich evakuieren lassen, wo die dir alle erzählen, wie gut du schon zaubern kannst, ey?"

"Impertinente Person", knurrte Madame Maxime. Doch sie konnte Lea keinen Befehl erteilen, den diese auch befolgen würde.

"Okay, sehe ich ein, daß wir dir nicht davon abraten können", grummelte Julius. Er hätte sich auch nicht evakuieren lassen, auch wenn er rein zauberergesetzlich noch minderjährig war. Aber er hatte Slytherins Galerie des Grauens erledigt und seine Freunde aus Hogwarts rausgeholt. Da würde er bestimmt nicht abhauen, wenn er dort wäre und kämpfen könnte. So verfolgte er mit den anderen schweigend mit, wie Lea erneut versuchte, Harry Potter zu finden. Dann krachte es auch schon. Mitternacht in England. Das von Voldemort gestellte Ultimatum war verstrichen.

"Okay, ich lasse Potter seinen Job machen, was immer das ist und helfe denen da draußen", schnarrte Lea. Sie konnten nun sehen, wie die Korridore durch's bild flogen. Julius fragte sich, ob sich Adrian Moonriver aus Hogwarts hinausschaffen ließ. Der sture Kerl, der gerade die zweite Kindheit erlebte, würde mit seinen wohl über hundert Jahren Zaubererfahrung und seinem Heilsstern bestimmt nicht abhauen.

Nach wenigen Minuten traf Lea auf sich duellierende Hexen und Zauberer. Im Schutz ihrer Unsichtbarkeit teilte sie Fessel- und Lähmzauber aus. Dann sah sie eine gigantische Faust durch ein Fenster langen und einen Siebtklässler aus Hufflepuff packen. Das allein mochte dem schon sämtliche Knochen brechen. Doch als der Riese ihn hochris und gegen die Wand schleuderte war es endgültig aus. Dann riß der Riese ein Stück wand ein und sperrte sein Maul auf, als er vorgebeugt in den Gang hineingrinste. "Asphyxia!" Rief Leas Stimme. Der Riese zuckte zusammen. Dann begann er heftig zu röcheln, versuchte, sich irgendwas vom Hals oder aus dem Mund zu reißen. Doch das gelang nicht. Lea kam wohl an dem nun unter einem schweren Erstickungsanfall leidenden Riesen vorbei und stieß zu den Kämpfern, die gut zu unterscheiden waren, weil die Todesser ihre Kapuzenumhänge trugen, aber keine Masken. Offenbar wußte eh schon jeder, daß es Todesser waren. Vielleicht dachten sie aber auch, daß ihnen ab Morgen eh die ganze Zaubererwelt gehörte. Lea schleuderte einige mit Schockzaubern zurück, bevor sie jemanden mit Todesflüchen beharken konnten.

"Wenn der Riese nicht den Gegenzauber erhält stirbt er in nicht einmal fünf Minuten", stellte Madame Maxime fest.

"Ihr Bruder war das nicht, und der von Hagrid auch nicht. Den kenne ich, Madame", entgegnete Lea. Julius dachte daran, daß er Lea den Todeswehrzauber erklären wollte. Doch erstens war sie nun mitten drin in der Schlacht und mußte sich absichern und Gegenstöße austeilen. Zweitens würde der von ihr verschuldete Tod eines Riesens es ihr unmöglich machen, diesen Zauber je zu erlernen. Denn nur wer noch nicht durch Zaubermacht getötet hatte konnte ihn anwenden. Furcht und Verehrung überkamen ihn, als er sah, wie Lea im Gewitter mehrerer Flüche stand. Mehrmals sirrten grüne Todesblitze durch die Nacht. Bestimmt fand der eine oder andere ein Opfer. Julius stach es jedes Mal ins Herz, wenn er das unheilverkündende Geräusch oder die den Tod eines fordernden Worte Avada Kedavra hörte. Lea erwischte einen, der ziemlich freigiebig den Todesfluch austeilte mit einem ungesagten Zauber, der den Todesser schmerzhaft die Beine zusammenschlagen und sich krümmen ließ.

"Das ist eindeutig jenseits der Verhältnismäßigkeiten", blaffte Professeur Faucon.

"Lea, was hast du dem angehext?" Wollte Julius wissen.

"Vexatesticolum", schnarrte Lea. "Kann nur von Hexen gegen böse Männer angewendet werden."

"Darf aber nicht", schnarrte Professeur Faucon. Madame Rossignol nickte schweigend. Da Lea nicht wissen durfte, daß sie nun auch da war mußte die Heilerin still sein, auch wenn ihr das schwerfiel.

 

"Sah so aus, als hättest du dem voll unten rein getreten", seufzte Julius.

"Denkt der bestimmt auch. Außerdem kann der jetzt nicht mehr den Todesfluch bringen, Professeur Faucon", knurrte Lea. "Soll es nur einen Gegenfluch geben, um das wieder abzustellen."

"Lea, laß dich nicht zu übermäßigen Quälereien verleiten", sagte Julius. "Sonst wirst du ohne es zu wollen so grausam wie die Todesser."

"Ach ja?" Schnarrte Lea. Wie zur Bestätigung schwirrten drei verschiedene Flüche auf sie zu. Julius sah den Boden wie eine senkrechte Wand. Dann wieder den Kampf. "Volantapes Maxima!" Hörte Julius Lea ausrufen.

"Wie geht der Gegenfluch?" Fragte Julius Jane Porter, die ihm am nächsten saß.

"Recalmato Genitalia", flüsterte Jane Porter ihm zu. "Schon ein kleines Biest deine ehemalige Schulkameradin. Ihre Mutter ist eine von den Sorores?"

"Vermute ich stark", wisperte Julius. Lea hörte das bestimmt nicht, weil sie sich gerade mal wieder mit mehreren Todessern anlegte. Ihre ausgeschickten Bienen fanden zwar Ziele, brachten aber keine nennenswerte Beruhigung des Kampfgeschehens. Tatsächlich überwog die Angriffsmacht der Todesser. Julius verzog das Gesicht vor Wut, als er sah, wie ältere Slytherins auf Seiten der Todesser in den Kampf eingriffen. Lea schien seine Wut empfangen zu haben. Denn sofort ging sie mit gezielten Körperverunstaltungsflüchen auf die Verräter, besser die nun ihr wahres Gesicht zeigenden Hauskameraden los. Als sie Pensy Parkinson unter den für Voldemort fechtenden Hexen erkannte entlud sich ihre Wut in Form eines Fluches, der Pensy unvermittelt schleimige Schnecken speien ließ.

"Verräterin", hörten sie Leas Stimme verächtlich ausstoßen.

"Lea, laß bloß die Finger von den größeren wie Lestrange oder einen der anderen Ausbrecher!" Mahnte Julius die frühere Schulkameradin. Er mochte sich nicht ausdenken, was passierte, wenn Lea gegen Bellatrix Lestrange antrat.

"Gute Idee, ich hole mir Bellas verdorbenen Schädel", schnarrte Lea. Doch dann sagte sie ganz ruhig: "Ich bin doch nicht lebensmüde. Sollen die größeren mit der kämpfen. Ich mach die Verräter aus meinem Haus da ... Neh, Ms. Ashton hat sich wieder zurückgemeldet. Moment, haben wir gleich." Jetzt sah Julius Melissa Ashton, die zusammen mit Caligula Scorpaenidus aus Richtung Eingangstor zurückgelaufen kam. Doch zwei Schocker reichten, um sie aus dem Kampf herauszuhalten. Und als wenn das noch nicht reichte schweißte Lea sie mit einem flirrenden Nebel in etwas wie gestein ein. Das war der Vitricorpus-Zauber, erkannten wohl alle außer Millie, die Julius zuflüsterte, was Lea alles für linke Zauber gelernt hatte. Da erscholl ein markerschütternder, unmenschlicher Schrei in der Ferne. Das Bild wackelte. Er sah, wie der Boden wieder zur Wand wurde und auf Lea zuflog. Besser, sie fiel um. Um sie herum passierte das wohl etlichen. Auch Julius fühlte einen stechenden Schmerz in den Ohren, nur nicht so schlimm, daß er schreien mußte. Dann erstarb der schrille Schrei unter einem lauten Knall.

"Alte Unkrauthexe, hast gedacht, mir mit 'ner Alraune das Licht ausblasen zu können, was!" Hörten sie die triumphierende Stimme eines Zauberers, die seltsam hohl gedämpft wie in einen Kessel gesprochen klang.

"Aus dieser Entfernung könnte der Schrei einer erwachsenen Alraune eine schwere Blutung des Innenohrs verursachen", diagnostizierte Madame Rossignol.

"Dann ist Lea jetzt wohl schwer verletzt", entfuhr es Julius. Er hatte bisher noch nie den Schrei einer Alraune gehört, denn dann wäre er wohl längst tot. Aber wie außer mit Ohrenschützern konnte man das überleben?

"Wie kann einer den Schrei überleben?"

"Wissen nicht viele und wenden ihn auch nicht dauernd an. Aber der Echodomus-Zauber kann jedes Geräusch, auch den Schrei der Alraune von den Ohren abhalten", bemerkte die Heilerin. Julius fühlte sich jedoch nun richtig elend, weil er nicht wußte, was mit Lea war. Wie konnte Sprout darauf kommen, Alraunen als biologische Bomben einzusetzen? Wie alle Biowaffen machten die keinen Unterschied zwischen Freund und Feind.

Weiter weg schrillte schon wieder eine Alraune. Doch es war für die Betrachter des Spiegels nicht so schlimm. Madame Rossignol fragte Professeur Faucon, ob der Spiegel eine bestimmte Ton- und Bildübertragung besaß oder sich der des Benutzers annahm.

"Der Spiegel zeigt und erklingt so, wie sein Benutzer es sieht oder hört."

"Gut, dann ist Mademoiselle Drake nur halbbewußtlos, eine Gleichgewichtsstörung", bemerkte die Heilerin. "Weil sonst wäre die Verbindung ausgefallen, oder wir würden jetzt nichts mehr hören."

"Au mann! Was war das denn?" Fragte Lea und versuchte wohl wieder aufzustehen, schaffte es den Bildern nach jedoch nicht.

"Die haben Alraunen rausgelassen, Lea", antwortete Julius sehr laut, weil er nicht wußte, ob Leas Ohren nicht doch gelitten hatten.

"Ey, brüll mir noch die Lestrange oder seine dunkle Mordschaft persönlich her, Julius, dann komme ich als Geisterbraut zurück und würge dich mit eiskalten Händen ins Jenseits", schnarrte Lea Drake.

"Sie soll ihr Gehör und Ihr Gleichgewicht prüfen und behandeln!" Befahl Madame Rossignol. Julius gab es weiter. Lea fragte: "Wen habt ihr denn während meines K.O.s noch zu euch geholt?"

"Unsere Heilerin. Die machte sich gedanken, weil ich nicht schlafen konnte", sagte Julius. Madame Rossignol trat nun in die Nähe des eingespannten Spiegels und sprach auf Lea ein, wies sie ruhig an, wie sie ihre Ohren prüfen konnte und befahl ihr: "Richte den Zauberstab auf jedes Ohr und sprich Restaurato Equilibrium. Vorher kannst du nicht ungefährdet aufstehen." Zisch! Wusch! Zwei Zauber mußten unmittelbar über Lea hinweggeflogen sein.

"Hier liege ich gerade besser als ..." Rums! Rums! Ein rhythmisches, tiefes Wummern und das Zittern des Bildes verrieten, daß etwas großes mit unaufhaltsamen Schritten auf sie zustampfte. "Okay, mit Rumliegen ist gerade nix", erwiderte Lea, wobei sie immer noch Französisch sprach. Dann wendete sie die empfohlenen Zauber auf ihre Ohren und die Gleichgewichtsorgane darin an. "Hui, fühle mich jetzt viel besser. Jau!" Stieß Lea aus und stand wohl auf. Da sahen sie den Fuß eines Riesen, der knapp neben ihr ein Loch in den Boden rammte. Lea zog diesmal die Flucht einem Kampf vor und eilte in Richtung Palast, wo sie bestimmt keine neue Alraunenattacke zu erleiden hatte. Im Palast selbst half sie einigen Mitschülern gegen verächtlich lachende Todesser und stieg die Treppen hinauf. Sie wollte von den Türmen her die Bagage unter Feuer nehmen. Dabei stolperte sie über eine Männerleiche mit roten Haaren. Julius dachte zuerst, daß es Ron Weasley sei. Doch das zu einem ewigen Grinsen gefrorene Gesicht erinnerte ihn dann doch an einen der Weasley-Zwillinge.

"Oha, den Scherzbold Fred Weasley hat's erwischt", seufzte Lea. "Hat wohl gedacht, den coolsten Tag des Lebens zu haben."

"Woher weißt du, daß es nicht George ist?" Fragte Julius.

"Weil der hier noch beide Ohren hat, Julius. George hat meiner Info nach im Kampf gegen Todesser ein Ohr eingebüßt."

"Verdammt!" Entfuhr es Julius. Das ganze Ausmaß, die Grausamkeit und auch die Sinnlosigkeit des Kampfes gegen diese Mörderbande, traten mit dem Anblick des toten Weasley-Zwillings mit aller Brutalität zu Tage. Er erkannte nun, wie weit er wirklich von all dem weg war, wie viel Glück er im Vergleich zu so vielen Anderen doch gehabt hatte, und wie hilflos er jetzt war, nicht eingreifen zu können, wo vielleicht die alles entscheidende Schlacht tobte. Er dachte an seinen Großonkel, dessen Namen er trug. Der war im Kugelhagel der Deutschen an der Atlantikküste Frankreichs gefallen, um Europa von einem grausamen Tyrannen und dessen Mörderbande zu säubern. Sein Tod war tragisch und einer von tausenden. Doch er hatte mit seinem Leben den Weg nach Deutschland geöffnet, damit dieser wahnsinnige Schreihals aus Österreich endlich besiegt wurde. Krieg! Das Wort war kurz und stand doch für die größten Grausamkeiten, die Menschen anderen Menschen antun oder von diesen erleiden konnten. Ja, in England herrschte Krieg, ohne daß die sogenannten Muggel das überhaupt richtig mitbekamen.

Millie umarmte Julius. Sie fühlte, daß er unter den Bildern und Geräuschen litt. Leute kämpften, Leute starben, womöglich sogar welche, mit denen er gut klargekommen war. Julius nahm diese zärtliche Geste seiner Frau hin, gab sich in dieses Gefühl, daß da jemand war, die ihn hielt und für ihn da war. Das rüttelte ihn aus seiner Verzweiflung wach. Es gab Dinge, für die es sich lohnte, sein Leben einzusetzen. Millie gehörte dazu, wie alle anderen, mit denen er gut auskam. Die Freiheit, ein für die westliche Welt allgemeines Gut, wurde immer wieder bedroht. Sie mußte jeden Tag erkämpft und verteidigt werden. Und genau das taten die Hexen und Zauberer von Hogwarts, und Fred Weasley, sonst ein Kasper, Clown und Scherzkeks, hatte das mit dem nötigen Ernst erkannt und sein Leben dafür geopfert. Wo war sein Bruder George? Kämpfte der noch irgendwo? Oder war er schon wieder mit seinem Bruder Fred vereint im ewigen Frieden?

Lea stieg über kaputte Treppen und suchte den Aufgang zu den Türmen. Der Kampfeslärm hallte wie das Echo eines grausamen Alptraums aus der Vergrößerungsvorrichtung. Dann erklang wieder Voldemorts Stimme. Der Dunkelmagier gab Harry Potter eine letzte Chance, sich ihm freiwillig zu stellen. Die Frist, die er hatte sollte genutzt werden, um die Verwundeten zu versorgen. Lea lief zum Astronomieturm, wo noch einige Hogwarts-Schüler auf dem Posten waren, obwohl bereits Teile der Außenwand herausgesprengt waren. Die Schüler liefen hinunter, um nach ihren Kameraden zu sehen. Lea postierte sich auf dem Turm und drehte sich wohl, weil der Bildausschnitt wanderte. "Von hier ist Dumbledore nach Snapes Todesfluch abgestürzt", sagte sie mit belegter Stimme. "Ich war im ganzen bisherigen Jahr kein einziges Mal hier oben, Julius und wer sonst noch zuhört."

"Lea, du kannst nix mehr ändern. So wie es aussieht haben die Todesser gewonnen", meinte Julius, als er das Ausmaß der Schlacht sah. Viele Todesser lungerten leise lachend vor dem Schloß herum, während Hogwartianer ihre Toten und Verwundetenhineinschafften.

"Ich bleibe jetzt hier, Julius. Du bist schon wie meine trächtige Mum. Die will wissen, wo ich hingeschickt wurde."

"Sie meinen, Ihre Mutter ist in gesegneten Umständen, Mademoiselle", berichtigte Professeur Faucon sie.

"Mit Halleluja und "Seid fruchtbar und mehret euch" hat das nichts zu Tun, Professeur Faucon", schnarrte Lea. "Das war der Handel, den die mit denen gemacht hat, die mir den Unsichtbarkeitstrank spendiert haben", schnaubte sie noch. "Damit sie noch wen großziehen kann, wenn ich bei der Nummer draufgehe."

"Das ist kein Argument für Lebensmüdigkeit", stieß Madame Rossignol dazwischen. "Ich habe drei Kinder geboren. Und jedes davon ist mir bis heute gleich wichtig geblieben. Ich glaube nicht, daß deine Mutter es wirklich wollte, daß du stirbst, nur weil sie auf einen so fragwürdigen Handel einging. Also sieh zu, daß du die Kampfpause nutzt und setz dich ab. Julius hat recht. Du kannst wohl nichts mehr ausrichten oder neues verkünden."

"Mag sein, daß Sie mich für unbelehrbar halten, Madame Dingenskirchen und Professeur Faucon. Womöglich stimmt das sogar. Aber ich bin nicht hiergeblieben um dann, wenn es wirklich wichtiges zu melden gibt, den nicht vorhandenen Schwanz einzuklemmen und abzuhauen. Ich bleibe jetzt hier oben, bis ich weiß, wie dieser Alptraum ausgeht. Und wenn Lord Unnennbar selbst hier in Hogwarts einrückt und alles in seinen Farben umstreicht, dann ist es verdammt wichtig, daß jemand da ist, der oder die ihn beobachtet. Ewig kann der auch nicht leben."

"Haben Sie eine Ahnung", schnarrte Professeur Faucon. Millie hielt Julius derweil noch sicher in ihrem Arm.

"Ich habe das heute noch mit meiner Mutter bequatscht, Professeur. Wenn Harry Potter wirklich diese Sachen gesucht und gefunden hat, um diesen Drecksack auszuknippsen, dann ist es egal, wer das macht."

"Es ist wohl sinnlos, mit Ihnen in Ihrem Zustand darüber zu diskutieren, ob es etwas bringt, jetzt noch in dieser Schule zu bleiben oder nicht", seufzte Professeur Faucon. Lea erwiderte nichts darauf.

Die nächsten Dutzend Minuten verstrichen. Immer wieder führte Lea die Aussicht vom Astronomieturm vor. Dann klang Voldemorts triumphierende Stimme überall hörbar. mit vier Worten schlug er alle Hoffnungen der Hogwartianer nieder: "Harry Potter ist tot." Er behauptete noch, daß der sogenannte Auserwählte geflüchtet und von seinen Todessern gestellt worden sei. Professeur Faucon sank fast in sich zusammen. Madame Maxime blickte auf die Leinwand, als wolle sie sich einreden, nur eine Illusion zu sehen, nicht die Wirklichkeit. Jane Porter seufzte zwar leise, legte Julius jedoch die Hand auf die Schulter. Millie drückte ihren Mann fest an sich und tränkte seinen Umhang mit Tränen. Dieser fand sich in einem Strudel aus Verzweiflung, Hilflosigkeit, Verachtung und Wut wieder. Voldemort hatte gesiegt. Er hatte den Jungen umgebracht, der ihm wohl nach Dumbledores Tod gefährlich hätte werden können. Er hatte einen Hoffnungsträger der englischen Zaubererwelt umgebracht und damit jeden Rest von Widerstand erledigt. Ab morgen konnte er losgehen, um sich die restliche Welt zu holen. Doch er würde nicht lange lachen. Es warteten genug Feinde auf ihn, die Wiederkehrerin, die Nachtfraktionsschwestern, das Laveau-Institut, die Liga gegen dunkle Kräfte, die Morgensternbrüder, und auch die Abgrundstöchter, die sonst nichts für Menschen übrig hatten, würden sich nicht von diesem Irren beeindrucken lassen. Wo in dieser Liste sollte er sich hinsetzen? Sollte er sich als Beobachter oder als Widerstandskämpfer sehen? Immerhin hatte er diesem Bastard die Nummer mit den Bildern vermasselt, hatte ihm die Tour mit Sophia Whitesand versaut, die Drohungen gegen ihn und seine Freunde abgeschmettert und ihm noch seine uralten, angeblich unbesiegbaren Schlangenmonster abgejagt. Er mußte nicht berühmt und auserwählt sein, um zu wissen, daß dieser durchgeknallte Lump von dieser Erde zu verschwinden hatte, und wenn er es sein sollte, der ihn mit sich in den Tod riß.

Voldemort verkündete, daß die Leiche Harry Potters nach Hogwarts gebracht würde. Lea lief wieder die Treppen hinunter. "Ich glaube diesem Schweinehund das erst, wenn ich die Leiche sehe", schnaubte sie. Tja, und dann sah nicht nur sie sondern auch jeder an der Zweiwegspiegelverbindung und jeder Hogwartianer und Todesser einen von Hagrid herbeigetragenen, leblosen Harry Potter, der in letzter Verachtung vor Voldemort niedergelegt wurde. Dann bekamen sie mit, wie Neville Longbottom als einziger gegen den Massenmörder aufbegehrte. "Ich mach erst bei euch mit, wenn die Hölle gefriert!" Spie Neville dem Herrn der Todesser entgegen, als dieser ihm großzügig anbot, ihn in seine Reihen aufzunehmen. Bellatrix Lestrange stand dabei und grinste überlegen. Offenbar hatte sie mit Neville oder seiner Familie irgendwas zu tun gehabt. Voldemort setzte Neville, dessen Haare merklich lang herabhingen, den aus dem Schloß aufgerufenen sprechenden Hut auf und steckte diesen in Brand. Doch Neville widerstand dem Feuer. Mehr noch, er zog ein silbernes Schwert aus dem Hut. Julius sah die Klinge im Licht der Lampen blitzen. Mit einem entschlossenen Streich trennte Neville der großen, gräußlichen Schlange um Voldemorts Schultern den Kopf vom Hals, so das dieser hoch in die Luft geschleudert wurde. Voldemort schrie vor Wut auf. Da brachen mit lautem Hufgeklapper und Kriegsgeschrei die Zentauren aus dem Wald heraus und überschütteten die Todesser mit einem wahren Pfeilhagel. Sofort brach die unterbrochene und schon verloren gesagte Schlacht wieder los. Julius entging nicht, wie der leblose Körper Harry Potters sich in einem Augenblick aufrichtete und unter dem Tarnumhang verschwand, der nun nur für Lea Drake und die am ende der Spiegelverbindung sichtbar blieb. Neville wurde durch einen Schildzauber vor einem Schlag Voldemorts geschützt. Dann rollte die Front der Kämpfenden in das Schloß zurück. Die Punktegläser waren eh schon zerstört, und weitere Zauber zertrümmerten die MarmorEinrichtungen in der Eingangshalle.

"Das gibt's doch nicht. Der Bursche hat sich totgestellt. Wie hat der das denn hingekriegt?!" Rief Lea, die nun zusehen mußte, selbst mit Schild- und Lähmzaubern den Ansturm der Todesser von sich abzuhalten.

"Dieser überhebliche Kerl", schnarrte Professeur Faucon. "Er hat versäumt, den Jungen mit dem Vivideo-Zauber zu überprüfen, hat sich zu sehr auf seinen Todesfluch verlassen." Julius konnte sehen, wie das Feuer der Entschlossenheit in den saphirblauen Augen loderte. Offenbar wußte sie etwas, daß Voldemort besser hätte wissen sollen aber nicht bedacht hatte. Der Kampf verlagerte sich in die große Halle. Julius sah, wie Lea sich in eine Ecke drängte um Rückendeckung und ein besseres Schußfeld zu haben. Dabei beobachteten sie über die Spiegelverbindung, wie Hauselfen mit scharfen Küchengeräten aus dem Korridor hereinstürmten und auf die Todesser losgingen. Außerdem sahen sie, wie drei Mädchen, Hermine, Luna und Ginny, gegen die wie besessen hexende Bellatrix Lestrange fochten, während Voldemort sich mit drei Erwachsenen, Kingsley Shacklebolt, Professor McGonagall und dem schwergewichtigen Schnauzbart Horace Slughorn duellierte. Dann brach eine füllige Hexe mit flammenrotem Haar durch die Reihen der Todesser und Hogwartianer und schrie Bellatrix an: "Nicht meine Tochter, du Schlampe!"

"Erzählen Sie mir noch mal, ich sollte meine Ausdrucksweise bessern", hörten sie Lea unangebracht grinsen. Dann sahen sie, wie Bellatrix Lestrange laut und wahnsinnig lachend mit der rothaarigen ein Duell anfing. "Das ist Molly Weasley, die Mutter der Zwillinge, Rons und Ginnys, nur für alle, die noch nie in Hogwarts waren", bemerkte Lea aufgeregt. "Das hält die nicht lange durch, die ist keine große Duellhexe."

"Diese Lestrange ist doch irre. Die legt sich mit dem gefährlichsten Wesen des Universums an", widersprach Julius.

"Häh?!" Machte Lea. Julius schwieg jedoch. Professeur Faucon nickte ihm zu,und Millie schien zu begreifen. Sie lächelte überlegen. Jane Porter zwickte ihm ins rechte Ohr, während sie alle sahen, wie Molly Weasley sich ein wildes Gefecht mit Bellatrix Lestrange lieferte, die immer giggelte und dann den fatalen Fehler beging, sie zu provozieren, daß sie nachdem sie die Gegnerin geschafft haben würde, die anderen Kinder von ihr erledigen würde. Das ließ Molly Weasley förmlich explodieren. Ein gezielter Sonnenspeer traf die irre lachende Hexe mit dem dunklen Haar an der Brust, mit einem letzten, ungläubigen Blick, taumelte sie, fiel nach vorne über und stürzte zu Boden.

"Eine Mutter, die ihre Kinder verteidigt wächst immer über ihre Grenzen hinaus. Im Kampf um ihre Kinder wird sie damit unberechenbar und für den Angreifer höchstgefährlich", belehrte Professeur Faucon sie alle. "Woher wußtest du das, Julius?"

"Aus einer Star-Trek-Folge, Professeur Faucon. Da hat ein außerirdisches Wesen eine junge Artgenossin wie ihr eigenes Kind angesehen und hätte fast wen getötet, der diesem Kind was gefährliches zugemutet hätte."

"Ich bin echt vernagelt, Julius", grummelte Lea. "Meine Mutter hätte die Lestrange auch nicht leben gelassen." Dann richtete sich die ganze Aufmerksamkeit auf Harry Potter und Voldemort. Harry war wieder sichtbar und forderte Voldemort heraus. Dieser wollte ihn verhöhnen. Doch Harry entgegnete ihm, daß es von ihnen beiden nur einer überleben würde und das es keine Horkruxe mehr gebe, die Voldemort beschützen würden. Dabei nannte er den Namen Tom Riddle. Professeur Faucon lächelte überlegen. Das war also der wahre Name des Massenmörders. Daß Harry ihn kannte mußte diesem Dunkelmagier doch wie ein Alarmsignal vorkommen. Doch der meinte immer noch, die Lage zu beherrschen, verhöhnte Harry, Dumbledore, Harrys Mutter und prahlte mit einem Zauberstab, der wohl sehr mächtig sei. Schicksalstab, Todesstab, so nannte er dieses Stück Holz in seiner bleichen Hand mit den Spinnenbeinartigen Fingern. Er feixte, das er ihn Dumbledore aus dessen Grab gestohlen habe. Harry hielt ihm entgegen, daß dieser Zauberstab nicht für Voldemort eintreten würde, weil dieser nicht sein wahrer Herr sei. Voldemort erwiderte dann, daß er Snape vor drei Stunden getötet habe, der wahre Meister war, weil er Dumbledore besiegt habe. Doch Harry hielt ihm entgegen, daß Snape nicht gegen den Willen Dumbledores gehandelt habe, als er diesen tötete. Vielmehr hätten die beiden ausgemacht, daß Snape Dumbledore tötete, wenn eine aussichtslose Lage dies als einzige Möglichkeit zuließ, umHogwarts zu schützen und daß Snape aus Liebe zu Harrys Mutter immer auf Dumbledores Seite gestanden habe. Julius dämmerte nun, warum Goldschweif ihm gesagt hatte, daß Snape nicht böse, sondern unangenehm war. Die Knieselin hatte Snape durchschaut und als fiesen aber loyalen Zauberer erkannt, der aus verlorener Liebe dem half, der als Sohn dieser Hexe überlebt hatte. Als Harry dann noch verkündete, daß nicht Snape der Herr des unbesiegbaren Zauberstabes sei, sondern Draco Malfoy, weil dieser Dumbledore vorher schon entwaffnet habe, lachte Voldemort überlegen und kündigte an, Draco dann eben auch noch umbringen zu müssen. Doch Harry hielt einen Zauberstab hoch, den Julius jetzt als den erkannte, den Malfoy immer geführt hatte. Das sagte Harry dem Erzfeind auch ins bleiche Gesicht mit den wütend funkelnden Augen. Und weil Harry Draco den eigenen Stab weggenommen hatte, so könne es sein, daß der unbesiegbare Zauberstab ihn, Harry Potter, als neuen Herrn erkennen würde.

Während die beiden die letzten Sekunden dieser Begegnung umeinander herumschlichen, schob sich die Sonne über den unteren Rand der großen Fenster und ergoß ihr rotgoldenes Licht in die Halle. "Avada Kedavra!" Schrillte Voldemorts Stimme. "Expelliarmus!" Rief Harry gleichzeitig dagegen an. Ein roter und ein grüner Blitz prallten in der Luft mit lautem Knall zusammen und schufen eine goldene Flammensäule zwischen den beiden Erzfeinden. Julius konnte einen winzigen Moment lang einen grünen Lichtfleck auf Voldemorts Brust erkennen. Dann stürzte der Herr der Todesser, der gefährlichste Zauberer der Gegenwart, mit ausgebreiteten Armen zu Boden. Der angeblich so übermächtige Zauberstab flog, von Harrys Entwaffnungszauber aus der bleichen Hand geprellt, hoch, aus dem Erfassungsbereich des Spiegels, um eine Sekunde später wieder aufzutauchen. Harry hielt die freie Hand auf und fing den entwundenen Stab mit einem Reflex auf, den ein geübter Sucher besaß. Voldemort lag nun am Boden, die roten Augen leer und verdreht. Er tat keinen Atemzug mehr. Er war tot.

Schweigen in Hogwarts und dem Konferenzsaal von Beauxbatons herrschte. Dann entluden sich die Freudenschreie, Jubel und Beifallsstürme. Die aufgehende Sonne tauchte die verwüstete Halle in ein neues Licht. Jetzt erst ging ihnen allen auf, wie viele Stunden dieser Alptraum gedauert hatte. Auch vor den Fenster von Beauxbatons schimmerte das Licht des Leben spendenden Gestirns. Im Lichte dieser neuen Sonne strahlten Madame Maxime, Professeur Faucon und Madame Rossignol um die Wette. Millie zog Julius nun mit beiden Armen an sich und küßte ihn. Er pfiff auf die auferlegten Anstandsregeln. Er genoß diese innige Verbundenheit. Tränen der Freude überströmten sein Gesicht, verirrten sich in Millies Bluse und sickerten in seinen Umhang. Es waren nicht nur seine Freudentränen, die da flossen. Unvermittelt fand sich Julius noch in den Armen einer anderen, fülligeren Hexe, die keine Anstalten machte, die liebenden Eheleute voneinander zu trennen, sondern nur ihre Freude und Verbundenheit in dieser geschichtsträchtigen Stunde bekunden wollte. als Professeur Faucon die beiden Verheirateten sah räusperte sie sich, während Lea Drake freudig ausrief: "Das Schwein ist tot! Das Monster ist erledigt! Der Bastard bringt jetzt niemanden mehr um! Hups, die Todesser sind ja ganz erstarrt. Wissen wohl nicht mehr, was sie machen sollen. Dann halten wir die eben noch ein wenig fest. Maneto!"

"ich verstehe und billige diesen innigen Beweis der Zuneigung, Madame und Monsieur Latierre", sagte Professeur Faucon. "Doch es ist besser, sich nun wieder zu beruhigen." Dann umschlangen ihre Arme Julius, daß er meinte, von einem warmblütigen Kraken umfaßt zu werden. Lea bewegungsbannte weitere Todesser. Doch einige flohen, nun darüber im klaren, daß ihr Herr und Meister endgültig entmachtet war. Doch weil sie nun keine Masken mehr trugen würde man sie leicht erwischen, wußten sie alle. Da hörten sie über den Jubel aus dem Spiegelbildvergrößerer hinweg ein fernes Glockenspiel aus der geöffneten Bürotür: "Ecce Dies Vitam novam"

 

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"Ja, komm Camille! Pressen!" Kommandierte Hera Matine. Die sich in letzten Wehen windende und schreiende Frau mit den schwarzen Haaren rang sich einen weiteren Druck auf ihren Schoß ab. Da war er frei, der große, mit schwarzem Flaum bedeckte, gerade wie eingedellt wirkende Kopf des Kindes, dem sie gerade die letzten Zentimeter in die Welt öffnete. Rechts hielt ihre Tochter Jeanne sie bei der Hand. Links saß Martha Andrews, die die letzten sechs Stunden mit ihrer guten Bekannten Camille Dusoleil ausgeharrt hatte. "Und noch mal, Camille!" Rief Hera Matine. Camille Dusoleil preßte noch einmal. Dann zog die Heilerin und Hebamme den restlichen Körper behutsam aus dem Leib der nun wieder dreifachen Mutter heraus. "Ja,hallo, guten Morgen!" Sagte Hera dann in einer zärtlichen, mit erhöhter Lage klingenden Stimme. "Ja, hallo kleines Fräulein!" Ein lauter Schrei erklang, der erste Schrei eines neuen Lebens, eines Lebens, das gestern noch so unsicher schien wie nichts auf der Welt. Dem schützenden Mutterleib entschlüpft schrie dieses kleine Wesen seinen ganzen Ärger, seine Angst und Hilflosigkeit hinaus in das geräumige Wohnzimmer, wo ein prasselnder Kamin Wärme und Licht spendete, und wo in dem Moment, wo Martha Andrews und Jeanne gemeinsam die letzte direkte Verbindung zwischen Kind und Mutter durchtrennten, die Sonne hereinschien. "Hallo, meine Kleine!" Keuchte Camille, während ihr das gerade wenige sekunden atmende Mädchen in die Arme gelegt wurde. "Hallo, Chloé! Da bist du ja endlich. Wir haben lange auf dich gewartet."

"Wenn es nach der ging hättest du sie noch einen Monat weiter tragen dürfen, Maman", witzelte Jeanne, deren kleine Tochter Viviane nun auch plärrte, weil da wer anderes plärrte.

"Du bleibst bei dem Namen, Camille?" Fragte Hera Matine lächelnd.

"Ja, den legen wir gleich fest. Sie heißt Chloé Martha Dusoleil." Martha Andrews schüttelte abwehrend den Kopf.

"Camille, es ehrt mich. Aber ich habe nichts dazu beigetragen, daß ich noch einem Kind meinen Namen geben darf."

"Natürlich hast du das, Martha. Du hast uns einen klugen, starken und einfühlsamen Jungen geboren, ohne den wir bestimmt längst alle von den Schlangenkriegern überrollt worden wären", sagte Camille, während die kleine Chloé bereits nach einer freien Brustwarze suchte. Uranie Dusoleil trat mit ihrem erst eine Woche altem Sohn in das Wohnzimmer ein und sah Camille, die von der Geburt sichtlich mitgenommen aussah. "Jetzt hast du deins auch", sagte sie nur. "Wenn du schon so vielversprechend aussiehst, willst du meinen dann nicht auch noch anlegen?"

"Tante Uranie, das ist doch jetzt voll behämmert", knurrte Jeanne. "maman hat noch nicht mal die Nachgeburt ausgetrieben, und du willst ihr den Jungen geben, den du selbst nur unter großen Schmerzen auf die Welt gebracht hast?"

"Ich habe diesen Lebemann nicht darum gebeten, mich zu schwängern", schnarrte Uranie. "Und jetzt, wo alle Welt dank dir Hera weiß, von wem ich diesen Braten habe, will jeder mir reinreden, wie ich mit dem umzugehen habe."

"Ich dachte, die Geburt von Philemon hätte dich dazu bekehrt, den Jungen anzunehmen. Womöglich Postnatale Depression, gekoppelt mit der davor schon bestandenen Aversion gegen die Mutterschaft. Abgesehen davon habe ich dir nicht erlaubt, aufzustehen, Uranie. Ich lege Camille gleich selbst hin. Dann sehe ich nach, wie es dir geht. Also, Marsch zurück ins Bett!"

"Der Kleine hat die Windeln voll", schnarrte Uranie. Jeanne seufzte und stand von ihrem kleinen Schemel auf, auf dem sie neben ihrer Mutter gesessen hatte. "Gib ihn mir her, ich lege den trocken. Seine Großcousine ist auch fällig, höre ich."

"Ihr seid echt toll", knurrte Martha Andrews. "Da hat eine von euch gerade selbst ein Kind gesund auf die Welt gebracht ... Aber warum soll ich mich da einmischen. Pack schlägt sich, Pack verträgt sich."

"Ja, aber erst nach dem Wochenbett. Heh, Uranie, du stehst immer noch hier rum. Na, du wirst mir den Kleinen bestimmt nicht an den Kopf werfen wollen", stieß sie leise aus, um die kleine Chloé nicht zu erschrecken und ging auf Uranie zu, die zurückwich und mit wackeligen Schritten aus dem Wohnzimmer ging.

"Ich mach das mit der Nachgeburt, Madame Matine", sagte Jeanne noch. "Martha, da kannst du mir auch bei helfen. Das ist kein Akt. Das habe ich schon oft genug in den letzten Jahren mitbekommen."

"Viviane möchte das bitte Julius mitteilen, daß Chloé da ist", sagte Camille sichtlich erschöpft, während Jeanne ihren Unterleib säuberte.

"Die ist im Moment nicht hier, Maman. Irgendwas auswärtiges, hat sie gesagt. Aber wenn Julius noch bei Madame Maxime ist weiß der das wohl nach dem Frühstück schon." Da tauchte Viviane Eauvives Bild-Ich mit hocherfreutem Gesichtsausdruck in ihrem Bild auf und strahlte alle an. "Oh, die Kleine ist da?" Fragte sie. "Herzlichen Glückwunsch, Camille. Danke, daß du meiner Ahnenreihe noch eine Tochter geschenkt hast. Um so schöner klingt diese Nachricht, weil die Kleine nun in einer friedlicheren, helleren Welt aufwachsen darf. Ich komme gerade von Beauxbatons. Dort haben Madame Maxime und ein paar andere die ganze Nacht durchgemacht, und es hat sich gelohnt. Jener, den ihr nicht beim Namen nennen wolltet, hat das letzte Duell gegen Harry Potter mit seiner eigenen Überheblichkeit verloren. Er wird nie wieder jemanden bedrohen oder töten. Und die, die er dazu anstachelte, werden bereits gesucht."

"Was, der Unnennbare ist tot?" Fragte Jeanne. Sie wußte nicht, ob die Nachricht über einen Todesfall in den ersten Minuten eines neuen Menschenlebens wirklich so angebracht war. Doch die Freude über diese Nachricht verdrängte die Bedenken.

 

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Das kann doch nicht wahr sein", entfuhr es Julius, nachdem sie sich bei Lea bedankt hatten, die nun zusehen wollte, aus dem Trubel herauszukommen um weit ab von Hogwarts ihre Verwandten zu treffen. "Das gibt's doch sonst nur im Film", fügte er noch hinzu. "Da geht der Bösewicht drauf, und im gleichen Moment kommt ein Baby zur Welt, als sei dies ein Zeichen, daß eine neue Welt entstanden sei."

"In gewisser Weise entsteht auch eine neue Welt, wenn ein Mensch geboren wird, Julius", sagte Professeur Faucon, die Madame Maxime, Madame Rossignol, Millie und Julius in das Arbeitszimmer der Schulleiterin begleitete. Ein rosaroter zettel lag auf dem Schreibtisch. Eine neue Hexe war geboren. Madame Maxime strahlte Julius an und gab ihm den Zettel, er las laut vor, daß an diesem Tag Chloé Martha Dusoleil, die Tochter von Camille und Florymont Dusoleil, im Haus Jardin du Soleil geboren wurde. Julius errötete. Warum hatte Camille der Kleinen als zweiten Vornamen den Namen seiner Mutter genommen?

"Das tragen wir beide nachher in das Register ein, Monsieur Latierre", sagte Madame Maxime. Millie umarmte Julius und beglückwünschte ihn, als ob er der Vater des Kindes geworden sei. Dann hauchte sie ihm zu: "Irgendwann in den nächsten zwei Jahren läutet das Was-auch-immer unser erstes Kind ein, Monju."

"Ist schon was erhabenes, das mitzukriegen", sagte Julius. Millie nickte. Sie hatte ja schließlich die Ankunft ihrer kleinen Schwester mit ansehen dürfen. Dann kamen sie wieder darauf, daß das ein Jahrmillionenzufall war, daß keine Minute nach Voldemorts endgültiger Niederlage dieses Baby geboren wurde.

"dieses Kind kann sogar schon im Augenblick der letzten Entscheidung das Licht der Welt erblickt haben, Madame Latierre. Die Vorrichtung meldet es uns erst an, wenn ihm sein Name gegeben wurde. Aber das behalten Sie bitte Ihren Mitschülern gegenüber für sich. Ich vertraue darauf, daß Sie damit nicht prahlen möchten, zu wissen, daß Beauxbatons die Geburten neuer Schüler mitbekommt."

"Verstehe ich, Madame Maxime. Gilt das auch für die Muggelstämmigen?"

"Nein, die werden erst vorgemerkt, wenn sie eigene Magie offenbart haben", sagte die Schulleiterin. Da läutete der Geburtenmelder schon wieder. Wieder kam ein rosaroter Zettel heraus, kurz danach ein himmelblauer. "Holla", gab Millie von sich. Madame Maxime nahm die beiden Zettel und las sie. "Höchst interessant, die beiden Kinder sind von einer Muggelfrau geboren worden. Der Vater der Kinder ist Zauberer, und die beiden sind nicht durch gemeinsamen Familiennamen als Ehepaar kenntnlich. Die Kinder haben den Namen der Mutter erhalten."

"Hatten wir lange nicht mehr, daß eine alleinerziehende Mutter ohne Magie Kinder eines Zauberers zur Welt bringt", erwiderte Professeur Faucon. Julius las den neuen rosaroten Zettel und stutzte. Er las ihn nochmal und entspannte sich. "jetzt habe ich erst gedacht, ich träume schon. Aber die heißt Claudia Sperling, nicht Sterling."

"Stimmt, die Geburt fand in Bonn statt, das ist noch die Hauptstadt der Bundesrepublik. Die wollen aber demnächst nach Berlin umziehen, wegen der zentralen Lage."

"Bonn, da wurde Ludwig van Beethoven geboren", fiel es Professeur Faucon ein.

"Ach, der die kleine Nachtmusik komponiert hat?" Fragte Julius frech grinsend.

"Nein, das war der andere Genius der Klassik, du Lümmel", lachte Professeur Faucon, die natürlich sofort merkte, daß Julius sie alle auf die Schippe nahm.

"Das wird eine interessante Diskussionsrunde mit meiner Kollegin Gräfin Greifennest, wo die beiden denn dann eingeschult werden, wenn der Vater ein französischer Zauberer ist."

"Das ist doch klar, Madame Ladirectrice. Wenn ein Familienmitglied ohne Magie ist wird die Aufnahme des Kindes oder der Kinder in der Schule erfolgen, deren Nationalität der magische Elternteil hat. Sonst hätte unser Geburtenanzeiger die beiden wohl für Greifennest vorgemerkt", sagte Professeur Faucon. Komisch, dachte Julius, wie schnell die unheimliche Nacht vergessen war, eine Nacht, in der sich doch so viel entschieden hatte. Das mit den Horkruxen und dem angeblich so unbesiegbaren Zauberstab, der dann, wenn es drauf ankam, nach hinten losgegangen war, wollte er doch noch gerne klären. So wartete er einige Sekunden und stellte die Fragen.

"Das mit den Horkruxen ist finsterste Magie, Monsieur Latierre. Ein hemmungsloser Zeitgenosse kann damit einen Teil seiner Seele auslagern, wofür er oder sie zunächst ein Menschenleben auslöschen muß, und zwar gegen den Willen des Opfers. Was Snape - den wir wohl alle gründlich falsch eingeschätzt haben - getan hat, war Tötung auf Verlangen, wie wir es zumindest schon für vorstellbar hielten. Wenn jemand um seinen Tod bittet, ja diese Bitte schon lange vorher äußert, ist das kein Mord, auch wenn es genug Bedenken gegen diese Handlung gibt. Das mit dem unbesiegbaren Zauberstab habe ich bis zu jenem Moment für einen Mythos gehalten, eine Legende, die herumgereicht wurde, wenn mächtige Zauberer und Hexen schier unüberwindlich schienen. Wenn Dumbledore diesen Stab erobert hat und ihn benutzen konnte, dann muß Grindelwald ihn vorher besessen haben. Offenbar ist das Elderholz in Kombination mit einem ungleich mächtigen aber auch wählerischen Kern ausgestattet - kein Veela-Haar."

"Dann hat Harry Potter jetzt einen unbezwingbaren Zauberstab, bis dieser sich wieder wen anderen als Meister aussucht?" Fragte Julius.

"Nur, wenn Harry Potter daran denkt, ihn im Duell zu benutzen. Mag sein, daß er dieses Geschenk annimmt. Mag aber auch sein, daß er den Stab nicht behält und ihn einem würdigeren überläßt, wenn ich auch nicht weiß, wer das sein soll", erwiderte Professeur Faucon. Dann sagte sie beunruhigt: "Wollen nur hoffen, daß Leas Nachtbericht nicht doch in die falschen Ohren gesprochen wird. Obwohl, dieser Zauberstab sucht sich seinen Herren aus. Allerdings könnte Diebstahl und Mord diesen Besitzwechsel ermöglichen. Hoffen wir, daß in der ganzen Euphorie jeder vergißt, weshalb Voldemort nicht gewinnen konnte." Millie gähnte unüberhörbar.

"Ihr kriegt gleich alle Wachhaltetrank", verordnete die Schulheilerin. "Ich denke, der Tag dürfte lang werden."

Als außer Madame Maxime und Julius keiner in den Räumlichkeiten der Schulleiterin war, erschien Jane Porter noch einmal innerhalb eines Bildes und strahlte alle an. "Jetzt können wir in den Staaten daran gehen, die kaputten Brücken zur restlichen Welt wieder aufzubauen. Haben Sie beide einen schönen Tag!"

"Sie auch, Madame Porter", wünschte Madame Maxime.

Die Nachricht von Voldemorts Ende wurde in Beauxbatons bejubelt. Madame Maxime verkündete zudem noch, daß der Tag auch noch Schulfrei sein würde. Sie hatte die Eltern eingeladen, mit ihren Söhnen und Töchtern zu feiern. So kam es, daß Catherine Brickston zusammen mit Martha Andrews und Jeanne Dusoleil aus einer Reisesphäre aus Millemerveilles trat und Julius umarmte. Martha erzählte ihrem Sohn, daß sie bei Chloés Geburt dabei gewesen war. "Eigentlich wollte ich mit Camille nur darüber sprechen, was sie von Madame Dumas' Vorschlag hält, mich noch ein Jahr auf die unter elf Jahre alten Schüler aufpassen zu lassen. Tja, und da ging es dann los."

"Tja, und weil deine Mutter jetzt eine von uns ist haben Maman und ich sie eingeladen, zuzusehen, wie Belle auch. Ach ja, von der soll ich dich auch schön grüßen. Ist durch's Ministerium gegangen, daß ihr die Schlacht um Hogwarts mitverfolgen konntet, wenn auch keiner verraten wollte, wer diesen anderen Zweiwegespiegel hatte."

"Muß auch nicht jeder wissen, Jeanne", sagte Julius. "Irgendwie schon eine sehr merkwürdige Stimmung. Einerseits freuen wir uns alle, weil der, vor dem wir alle Angst hatten und dem wir Didier zu verdanken hatten weg ist. Andererseits fällt jetzt auf, wie viel Schaden der angerichtet hat. Die Toten können nicht mehr wiederkommen. Ich hörte über Aurora Dawns Bild, daß die Eltern eines gerade wenige Wochen alten Jungen bei der Schlacht getötet worden sind. Der hat zwar noch eine Oma, die durch diesen Drecksack auch erst zur Witwe wurde, aber so ohne die eigenen Eltern ist echt fies. Das sage ich nicht nur, weil du daneben stehst, Mum. Ich denke auch immer wieder an Paps und frage mich, was der heute sagen würde, wenn er das doch mitbekommen hätte, was ich so erlebt und erreicht habe."

"Er suchte sich sein Schicksal aus, Monsieur Latierre", sagte Madame Maxime, die immer noch mit Julius verbunden war. Martha Andrews sagte dazu nur: "Ich weiß aber, was Julius meint. Einerseits wollen wir eigenständig sein. Andererseits wollen Eltern immer um ihre Kinder herum sein. Da zeigen zu können, was sie können ist für die Kinder sehr wichtig."

"Ja, aber Julius, ich bin froh, daß meine Schwestern und ich jetzt doch in einer helleren Welt aufwachsen dürfen, auch wenn da draußen noch eine ist, die meint, Sardonia beerbt zu haben."

"Die könnte von der Niederlage Tom Riddles alias Lord Voldemort lernen, daß zu viel Machtgier immer in die eigene Selbstvernichtung führt, wie Professeur Faucon das uns beidenimmer wieder gepredigt hat. Aber vielleicht lernt sie auch nur daraus, nicht gleich alles auf einmal haben zu wollen und sich auf einem bestimmten Stand zu halten, solange den ihr keiner streitig macht."

"Sofern sie noch über eigenständige Macht verfügt, Monsieur Latierre", wandte Madame Maxime ein. "Es könnte durchaus sein, daß sie momentan selbst geschwächt ist. Zumindest muß ich das den Andeutungen Professeur Faucons entnehmen."

"Apropos, Madame Maxime. Heute ist doch Familientag in Beauxbatons. Ist meine Frau Mutter zu sprechen?" Fragte Catherine, die bisher wenig gesagt und nur nachdenklich dreingeschaut hatte.

"Sie wartet auf sie. Sie sprach davon, mit Ihnen einen Ausflug zu einer gewissen Gedenk- und Grabstätte zu machen."

"Ja, er kann jetzt endlich in Frieden ruhen, wo sein Mörder uns nicht mehr bedrohen kann", seufzte Catherine melancholisch. "Ein Grund zur Freude aber auch zur Trauer, weil er so sinnlos aus der Welt gestoßen wurde."

"Ich denke, wenn die Supereuphorie abgefeiert ist werden wohl viele sich fragen, ob der eine oder die andere wirklich schon so früh gehen mußte", sagte Martha Andrews. Julius nickte. "Zum beispiel Claire", sagte er bedrückt. Jeanne nickte ihm zu. Doch dann lächelte sie: "Sieh zu, daß du und Millie auch so'n süßes Mädchen in die Welt setzt wie die kleine Chloé, dann weiß sie, daß du es ihr wert warst, ein paar Jahre Liebe mit dir zu teilen."

"Wenn du selbst nicht schon mal wen neues ausgeliefert hättest würde ich jetzt sagen, daß du da genauso locker drüber reden kannst wie ich, wo ich das gar nicht kann. So frage ich mich immer wieder, was damals hätte anders laufen können, um jeden von uns da glücklich rauskommen zu lassen." Da kamen Hippolyte, Albericus, Martine und Millie, die ihre kleine Schwester auf den Armen trug.

"Hallo, Martha. Hallo Jeanne. Sage deiner Maman bitte auch von uns noch mal herzlichen Glückwunsch! Da werden dein Vater und die anderen Väter in Millemerveilles demnächst wohl richtig einen wegsaufen."

"An und für sich nicht nötig, weil die kleine schon eine Windel vollgepullert hat, Millie", erwiderte Jeanne. "Aber das kann man den Mannsbildern eh nicht erklären, daß das nicht vom Wein den der Vater trinkt herkommt, sondern von der Milch die die Mutter gibt." Madame Maxime räusperte sich leicht ungehalten. Doch da Sie den Familientag angesetzt hatte und quasi als Julius' Anhängsel mitlaufen mußte, durfte sie nichts dazu sagen. Catherine meinte dann, daß sie dann ihre Mutter aufsuchen würde, um den abschließenden Ausflug zur Sternenhausgedenkstätte zu machen, wo die Urnen der damals ermordeten bestattet worden waren.

"Wann glauben Sie, kann mein Sohn sich wieder ohne Ihre Begleitung bewegen, Madame Maxime?" Fragte Martha Andrews die Schulleiterin.

"Das wird die nächste Untersuchung Madame Rossignols ergeben. Entweder schon danach oder die Woche danach. In jedem Fall werden wir vom Lehrkörper Ihrem Sohn helfen, sich wieder gut in die Schülergemeinschaft einzufinden. Vom Lehrstoff her habe ich ihm mit Unterstützung meiner Kolleginnen und Kollegen alles für die ZAG-Prüfungen notwendige vermittelt."

"Ich habe mich entschieden, mir von Madame Matine bis zum Ferienbeginn Unterricht erteilen zu lassen, auch von Madame Brickston", teilte Julius' Mutter der Beauxbatons-Schulleiterin mit. "Madame Grandchapeau, Belle hat mir kostenlos ihre Schulbücher überlassen. Sie meinte, daß sei meine Leistung allemal wert, und sie gehe davon aus, daß die Lehrbücher von mir entsprechend gewürdigt würden. Allerdings habe ich gewisse Skrupel bei diesen Verwandlungszaubern, bei denen Tiere in tote Sachen oder andere Tiere verwandelt werden. Irgendwo blockiert da mein Sinn für das Leben."

"Nun, wenn Sie sich Madame Matine anvertrauen werden Sie die Dinge lernen, die für Ihr Alltagsleben wichtig genug sind, Madame Andrews", erwiderte Madame Maxime.

Den Rest des Nachmittags verbrachten die Familien der Schülerinnen und Schüler in den Parks, dem Forst oder am Strand. Madame Maxime hatte zur Feier des Tages den Schulstrand eröffnet. Die Dementoren waren nach dem Tod ihres Meisters in heller Konfusion. Denn sie wußten nicht, was sie nun tun sollten. Sie wurden nun von allen Seiten gejagt. Und noch einmal als Gefängniswärter eingestellt zu werden konnten sie bestimmt vergessen.

Abends beklatschten alle ein Extrablatt, daß mit einer schnellen Eule aus Großbritannien herübergekommen war. Eine gewisse Mrs. Drake hatte Julius diese Zeitung zukommen lassen. Er las den Hauptartikel und übersetzte, daß Kingsley Schacklebolt zum neuen Zaubereiminister auf Zeit ernannt worden war. Thicknesse befand sich im St.-Mungo-Hospital. Die Folgen eines Imperius-Fluches, der lange vorhielt und dann so abrupt verflogen war mußten behandelt werden. Julius sah die Muggelstämmigen von seinem Haustisch an und sagte: "Ist wie bei Captain Picard in den Händen der Borg. Thicknesse hat bei vollem Bewußtsein schlimme Dinge getan, Menschen zum Tode oder Askaban verurteilt. Da muß der jetzt mit leben, sich immer fragend, ob er wirklich nichts gegen den Fluch hätte tun können."

"Und was schreiben die über Potter?" Rief einer der Violetten herüber. Julius las noch einmal den Artikel. Dann sagte er:

"Harry Potter und seine Freunde verbringen noch ein paar Tage in Hogwarts, bis alle Schüler abreisen. Die neue Schulleiterin ist jetzt ganz offiziell Professor McGonagall, früher zuständig für Verwandlung. Sie möchte veranlassen, daß in der Galerie der Schulleiter ein Abbild von Severus Snape aufgehängt wird. Es hat sich ja herausgestellt, daß Professor Snape Professor Dumbledore auf dessen Verlangen getötet hat, weil dieser unter den Auswirkungen eines progressiven Körperverdorrungsfluches litt und wußte, daß er so oder so sterben würde. Sterbehilfe oder Töten auf Verlangen sind zwar verdammt heiße Eisen in der Muggelwelt. Aber da Professor Snape von Voldemort, alias Tom Volorst Riddle, getötet wurde, wird keine Ermittlung gegen ihn angestrengt. Steht hier zumindest so drin."

"Die haben uns und die von euch ziemlich heftig beharkt", stieß Jacques Lumière aus, der einen aufgewühlten Nachmittag mit seinen Eltern und seinen Geschwistern hinter sich hatte. "Meine Schwester hat ein ganzes Jahr wegen dem Sausack nicht arbeiten können. Wer zahlt der den Ausfall? Wer zahlt den Witwen das Geld, daß ihre Männer mitverdient haben? Steht in deiner Zeitung da auch schon was drin, Julius?"

"Moment, haben wir gleich!" Rief Julius. "Seite sieben folgende", wisperte Madame Maxime ihm zu. Er fragte nicht erst, ob das stimmte und schlug die Seite auf. Er las und übersetzte sinngemäß, daß der neue Minister Shacklebolt mit den Abteilungsleitern eine Stiftung für die Opfer des Todesser-Regimes ins Leben rufen würde, die dazu berechtigt sei, erwisene und freiwillig mitmachende Anhänger Voldemorts zu einem Großteil zu enteignen. "Hups, da wird Mr. Malfoy aber sehr traurig sein, wenn er das liest", flocht er noch ein.

"Es ist eh nicht mit Geld auszugleichen", warf Professeur Faucon ein. Sie wirkte längst nicht mehr so erfreut wie am Morgen noch. Irgendwie hatte Julius den Eindruck, als habe sie heute eine unangenehme, ja sehr unangenehme Nachricht erhalten oder sich mit jemanden heftig gestritten. Doch keiner wagte, sie danach zu fragen. Die Feierstimmung sollte nicht zerstört werden.

 

__________

 

In den folgenden Tagen wurde der Schulbetrieb zwar wieder aufgenommen. Doch die meisten hingen noch den Ereignissen vom zweiten Mai nach. Julius erfuhr von Mrs. Drake, daß ihre Tochter bis zur Geburt ihrer beiden Kinder Stubenarrest bekommen hatte, weil sie sich nicht hatte evakuieren lassen. "Ich hätte ihr den Spiegel besser nicht geben sollen, wenn ich gewußt hätte, daß sie sich für nicht mehr benötigt hält, nur weil ich gerade zwei Kinder trage", sagte Mrs. Drake sehr verdrossen. Dann flog ein Lächeln über ihr Gesicht: "Immerhin hat sich die Gehorsamsverweigerung gelohnt. Noch eine erfolgreiche Zeit. Du machst doch dieses Jahr auch die ZAGs, nicht wahr?"

"Wenn man mich läßt", erwiderte Julius und steckte den Spiegel wieder fort.

Am zweiten Maisonntag traf ihn Madame Rossignols Versuchsschocker. Die Heilerin zählte die Minuten. Als sie bei zwanzig ankam, ohne das Julius wieder zu Bewußtsein gekommen war, weckte sie ihn auf.

"Gratuliere, Julius. Ich kann dich nun endlich wieder in deinen Saal zurückschicken." Julius freute sich wie ein Schneekönig. Endlich waren die drei Monate rum. Sie waren zwar die unangenehmsten seines Lebens gewesen. Doch er hatte dabei auch viel über sich gelernt und nebenbei das schmachvolle Ende eines Tyrannen miterlebt, eine Lektion, die unbezahlbar war. Denn er hatte erkannt, wie gefährlich er selbst seiner Umwelt werden konnte, wenn er mit seinen Zauberkräften so unberechenbar war wie unter dem Einfluß des Halbriesenblutes. Macht war flüchtig. Und wer zu viel davon wollte machte sich selbst irgendwann kaputt.

"Halt, Moment, Moment!" Hielt ihn die Heilerin zurück, als sie den Ring um seinen Körper gelöst hatte. "Wenn du wieder in deinen gewohnten Schulalltag zurückkehrst, dann nur, wenn du die dir hier auferlegten Aufgaben alle erfüllst. Los, den rechten Arm her!" Julius kapierte es und streckte ihr den Arm hin, damit sie ihm das silberne Armband mit der Nummer XVII umlegen konnte. Es vibrierte einen Moment. Dann saß es locker genug. "Es mußte sich wohl an deine neue Körpergröße gewöhnen, Julius", sagte sie lächelnd. Dann entließ sie Julius zurück in sein eigenes Leben.

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