Sehr geehrte Madame Ladirectrice Maxime, es hat mich sehr gefreut und erleichtert gestimmt, Ihr Schreiben vom 14. Mai diesen Jahres erhalten zu dürfen, dem ich entnahm, daß Sie mich darum bitten, Monsieur Julius Latierre für die aufopferungsvolle Arbeit, die er außerhalb seiner schulischen Verpflichtungen für das Wohl der Zauberergemeinschaft Frankreichs im besonderen und der gesamten Menschheit mit und ohne magische Begabung im allgemeinen erwiesen hat, auf eine nachhaltige Weise zu entlohnen. Die von meinem hoch geschätzten Stellvertreter Monsieur Delamontagne gesammelten Aufzeichnungen über die nur wenigen mitzuteilenden Einzelheiten dieser Taten haben mir ein schlechtes Gewissen bereitet, weil mir überhaupt nichts brauchbares einfiel, wie ich Ihrem Ausnahmeschüler die schweren Lasten vergüten soll, die er für uns alle geschultert hat. Denn das vertrackte an der unbedingt einzuhaltenden Geheimhaltung ist ja, daß die ihr unterlegten Begebenheiten weder Strafe noch Belohnung ermöglichen, da das eine oder das andere ja offiziell begründet werden müßte. Ihre Hinweise auf die Leistung für Beauxbatons, sowie die Hilfsbereitschaft, seine besonderen Fähigkeiten und Kenntnisse einzusetzen, um Beauxbatons und die der Akademie anvertrauten Schülerinnen und Schüler zu schützen, sowie das vorbildliche Verhalten in der durch den Überfall der Schlangenwesen entstandenen Ausnahmelage und der daraus erwachsene Vorschlag Ihrerseits, bei Erreichen von allen ZAGs die Ausnahmeregelung 2 des Familienstandsgesetzes zur Anwendung bringen zu können, verschafft mir doch noch das gute Gewissen, alle Taten angemessen würdigen zu dürfen und dies offiziell begründen zu können, ohne die der Geheimhaltung unterlegten Einzelheiten berühren und erwähnen zu müssen. Insofern entspreche ich äußerst gerne Ihrem Vorschlag, nach Vollendung des laufenden Schuljahres einen Zwölferrat einzuberufen, der sich aus sechs Hexen und sechs Zauberern zusammensetzt, die mit Monsieur Latierre bereits näheren Umgang hatten oder haben und erweitere Ihren Vorschlag auch darauf, eine Entscheidung im Bezug auf Madame Mildrid Latierre zu treffen, sofern diese sich wahrhaftig ebenso vorbildlich betragen und damit einen entscheidenden geistigen Entwicklungsnachweis erbracht hat. Mir ist bewußt, daß eine positive Entscheidung des Rates für Monsieur Latierre eine drastische Veränderung bedeuten mag, erkenne jedoch in einer möglichen positiven Entscheidung auch die Möglichkeit, mehr für sich und seine künftige Familie erwerben und einrichten zu können.
Ihr Einverständnis vorausgesetzt, werde ich die von Ihnen als mögliche Ratskandidaten vorgeschlagenen und von mir ergänzte Kandidaten anschreiben und Ihr Schreiben, sowie diese Antwort als Begründung für die Einberufung beifügen.
In Dankbarkeit und Anerkennung für die von Ihnen dieses Jahr für unseren Nachwuchs geleistete Arbeit verbleibe ich
Hochachtungsvoll
Zaubereiminister Armand Grandchapeau
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"Bernie hat die Brosche zwar wieder, Monju. Aber die alle hier wissen, daß sie die nur auf Bewährung hat", hörte Julius Millies Gedankenstimme und fühlte die sanften Impulse des Herzanhängers auf seiner Stirn. Er war froh, das an einer Silberkette befestigte Schmuckstück eines halbierten Herzens und seine Centinimus-Bibliothek wiederzuhaben. Alle hatten sich soweit von den Prüfungen und dem vorangehenden Stress erholt und freuten sich auf die Sommerferien.
"Es sind ja nur noch zwei SSKs, bei denen sie dabei sein kann. Da wird sich ja zeigen, ob sie im nächsten Jahr noch weiter Saalsprecherin oder Stellvertreterin sein soll. Paß mal auf! Nachher kriegst du noch die Silberbrosche."
"Danke nein, Monju. Abgesehen davon, daß mir nix einfällt, wofür ich die dann kriegen soll, wenn ich die dieses Jahr nicht schon verdient habe, will ich mir dieses Zeug nicht antun, was Brunhilde und Bernadette das ganze Jahr lang mit den anderen Mädels hatten. Wenn Bernie die nicht behalten darf, sollen Caro oder Leonie die kriegen."
"Pech nur, daß Tine die schon hatte und Madame Maxime finden könnte, daß du dich so gut gemacht hast wie deine große Schwester", schickte Julius zurück.
"Könnte der einfallen. Ups, Moment, jemand steht auf. Muß Schluß machen!" Julius schwieg. Er fühlte den Herzanhänger auf der Stirn. Irgendwie war ihm, als könnte das sanfte, warme Pulsieren gleich aufhören. Doch nach zwei Minuten beruhigte er sich wieder. Denn da meldete Millie Latierre:
"Bist du noch wach, Monju? Es war echt Bernie, die meinte, meinen Vorhang aufmachen und nachsehen zu müssen, ob ich was ungehöriges mache. Dumm nur, daß ich deren Vorhang leise habe rascheln hören können. Die ist wieder in ihrer Falle und schläft jetzt hoffentlich. Nacht!"
"Nacht, Mamille", erwiderte Julius. Er fragte sich einen Moment, was er getan hätte, wenn Bernadette Millies Hälfte des Zuneigungsherzens beschlagnahmt hätte. Denn dann hätte sie eine klare Begründung dafür liefern müssen. Doch weil das geteilte und doch magisch verbundene Schmuckstück noch warm, weich und sacht pulsierend war, trug Millie ihre Hälfte noch. So steckte er seinen Teil des Anhängers unter die Schlafanzugjacke und drehte sich beruhigt in seine bevorzugte Einschlafstellung.
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Madame Maxime ordnete gerade die eingegangenen Briefe nach Betreff und Absender, als ein männlicher Waldkauz mit einem braunen Umschlag am Bein eintraf. Farbe und Vogel sagten ihr deutlich, daß es ein amtliches Schreiben von der Zauberwesenbehörde in der Abteilung zur Führung und Aufsicht magischer Geschöpfe war. Sie nahm den Umschlag also mit einer gewissen Anspannung entgegen. Der Postvogel flatterte fast geräuschlos auf die Fensterbank im Büro der Schulleiterin und wartete. Er sollte also eine eulenwendende Antwort mitnehmen.
Sehr geehrte Madame Maxime,
hiermit wird Ihnen unsererseits mitgeteilt, daß sich am gestrigen Abend, den19. Juni 1998, am Strandabschnitt in der Nähe von Calais etwas zutrug, das dringend einer weiteren Expertise bedarf.
Gegen elf Uhr abends muß, soweit bisher von unserer Behörde in Erfahrung gebracht werden konnte, ein mit Explosionsstoffmotor betriebenes Fischereiboot britischer magieloser an jenem Strandabschnitt gelandet sein, wobei es jedoch eine Havarie erlitt. Die der Küstenschutzbehörde angehörigen Vertreter der nichtmagischen Gemeinschaft befanden sich bereits auf dem Weg, dieses Wasserfahrzeug zu untersuchen, da es ihren Objektspürapparaturen bereits auf dem Meer auffiel. Als besagte Küstenschutzmannschaft das Gefährt erreichte, seien von dieser drei höchst verängstigte Männer vorgefunden worden, die am Rande eines schockbedingten Bewußtseinsverlustes behaupteten, von einer mehr als acht Meter großen Frau am Strand von Großbritannien überfallen und zum Übersetzen auf französisches Festland angehalten worden zu sein. Diese Meldung bewirkte das Einschreiten unserer Außendienstmitarbeiter zur Aufnahme der Aussagen und muggeltauglichen Erinnerungsveränderung. Dabei erbrachte eine legilimentische Untersuchung der drei Muggel, daß sie wahrhaftig von einer humanoiden, übermenschengroßen Gestalt weiblichen Geschlechts überfallen und durch radebrechende Kommandos zur Überfahrt genötigt worden seien. Einer der Fischer soll sogar die Drohung verstanden haben, von ihr im Falle eines wie immer gearteten Widerstandes gefressen zu werden. Die Überprüfung erbrachte, daß sich das Subjekt augenfällig im weit fortgeschrittenen Zustand einer Schwangerschaft befand und die Fischer daher fürchteten, ihre Peinigerin habe bereits einen Menschen lebendig verspeist. Nach erfolgter Landung, so die Erinnerungsprüfung, sei der Riesin die Flucht gelungen. Eine Nachstellung unsererseits ist dringend angezeigt. Allerdings wurde erwogen, die Frage nach dem Umgang mit diesem Exemplar von Meganthropos ferox mit Ihnen zu erörtern, da uns bekannt ist, daß Sie im Zuge einer Kontaktaufnahmemission bereits vor drei Jahren auf mehrere Exemplare dieser magischen Species trafen. Ihrer Erfahrung möchten wir es unterordnen, ob diese Kreatur zur allgemeinen Sicherheit beseitigt werden muß oder eine sichere Unterbringung für sie und das in Bälde geborene Junge eingerichtet werden kann. Daher wird an Sie die höfliche Bitte um eulenwendende Antwort gerichtet.
Hochachtungsvoll
Augustin GrandvilleBehörde für verständigungsfähige und/oder humanoide magische Geschöpfe
"Warum ist die zu uns gekommen?" Schnaubte Madame Maxime halblaut. Dann nahm sie ihre Adlerfeder, tränkte sie in smaragdgrüner Zaubertinte und schrieb eine kurze und knappe Antwort:
Sehr geehrter Monsieur Grandville,
ich bitte dringend um meine Anwesenheit, so bald diese Riesin gestellt wird. Keine Tötung vornehmen, bis ich von dieser weiß, wer sie ist, wie sie den Kämpfen in Großbritannien entkam und warum sie sich zu uns flüchtete, statt so weit es ging zu reisen!
In der großen Hoffnung, daß mir diese dringende Bitte nicht abgeschlagen wird verbleibe ich
mit freundlichen Grüßen
Olympe Maxime
Leiterin der Beauxbatons-Akademie
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Professeur Tourrecandide erwachte. Wieder hatte sie diesen Traum gehabt, sie hocke auf einem hochlehnigen Stuhl, die Beine gespreizt und laut stöhnend und schreiend, bis jemand ihr ein plärrendes Baby in die Arme legte. Sie keuchte, als sie aufwachte. Wieso träumte sie das immer wieder? Wieso erlebte sie sich auch immer wieder so, als trüge sie ein Kind? Sie hatte gehofft, dieses Erlebnis überwunden zu haben, ihren klaren Verstand zurückgewonnen zu haben. Aber seitdem sie diesen verflixten Artikel in der Monde des Sorcières gelesen hatte fühlte sie sich aus der Bahn geworfen. Sollte sie noch einmal in die Delourdesklinik? Sollte sie vielleicht eine Gedächtnisänderung beantragen, um dieses niederschmetternde Erlebnis aus ihrem Kopf zu verbannen? Doch was ihr genau passiert war ging nur die unmittelbar beteiligten etwas an. Aber dieses überlegene, ja höchsterfreute Strahlen dieser Leda Greensporn hatte ihrem Verstand einen heftigen Stoß versetzt. Was hatte sie getan? Womöglich wäre es doch besser gewesen, die Konsequenz aus ihrer unverzeihlichen Fehleinschätzung und des daraus resultierenden Aktes wortwörtlich zu Ende zu tragen, um sicherzustellen, daß die magische Welt ein wenig friedlicher wurde. Es reichte doch schon völlig aus, daß sie einer gefährlichen Feindin alle Bewegungsfreiheit zurückgegeben hatte. Das schlechte Gewissen und die Nachricht, daß jemand sich über ihr Mißgeschick freute, brachten ihr diese Träume. Hinzu kam die körperliche Veränderung, die ihr nun jeden Tag zeigte, daß sie einen schweren Fehler gemacht hatte. Immerhin hatte Phoebus Delamontagne sich damit einverstanden erklärt, sie bei den Hauptprüfungen zu vertreten. Aber immer konnte sie sich nicht verstecken. Irgendwann mußte sie wieder vor die Tür, sich den Leuten zeigen, daß man wußte, daß sie noch lebte. Sollte sie den Trank trinken, der ihr das Aussehen vor einem Monat wiedergab? Oder sollte sie öffentlich eingestehen, sich bei etwas verhoben zu haben und ihre Erinnerungen nur behalten zu haben, weil ein merkwürdiger Zufall und das Zusammentreffen mehrerer magischer Umstände es begünstigt hatten?
Eine Eule klopfte an das südliche Fenster ihres Schlafzimmers. Sie erhob sich und öffnete dem Postvogel. Ein Steinkauz flog lautlos herein und ließ einen hellen Umschlag auf ihrem Nachttisch fallen. Dann strich der Eulenvogel für Menschenohren lautlos wieder zum offenen Fenster hinaus. Er sollte also nicht auf eine Antwort warten. Das konnte heißen, daß der Absender keine Antwort erwartete oder wußte, daß sie selbst drei eigene Posteulen besaß und sich mit der Antwort Zeit lassen konnte oder sollte. Austère Tourrecandide schloß das Fenster wieder, entzündete die Nachttischlampe und begutachtete den dicken Umschlag. Sie prüfte ihn übervorsichtig auf versteckte Flüche, fand keinen und öffnete ihn. Drei Pergamentbögen fielen ihr dabei in die Hände. Der Absender war Zaubereiminister Grandchapeau persönlich. Sie besah sich die drei Pergamente und stellte fest, daß zwei von Grandchapeau selbst und einer von Madame Maxime beschrieben worden waren. Sie überflog den inhalt, stellte fest, daß Madame Maximes Brief eine Anfrage war, auf die Grandchapeau geantwortet hatte und zu dem noch eine formale Einberufung mit Begründung beigefügt hatte. Oder um es richtig zu verstehen, er hatte die Frage Madame Maximes und seine direkte Antwort darauf der formalen Einberufungsanfrage als schriftliche Untermauerung seiner Begründung beigefügt. so las sie das vom vierzehnten Juni stammende Schreiben Madame Maximes:
Sehr geehrter Herr Zaubereiminister,
ich wende mich mit einer höchstvertraulich zu behandelnden Bitte an Sie, weil ich befinde, daß es uns von der französischen Zaubererwelt ansteht, die außergewöhnlichen und zum teil auch das eigene Leben gefährdenden Leistungen von Monsieur Julius Latierre in einer angemessenen Form zu würdigen. Ich spreche hier vor allem von dem selbstlosen Einsatz während der Evakuierung von Beauxbatons und der unschätzbaren Hilfe, die er mir und meinen Kollegen leistete, als es darum ging, die Nachstellungen Didiers unwirksam zu machen. Dadurch, daß er ohne zu zögern länger in Beauxbatons blieb, um verstreute Mitschüler aufzufinden und in Sicherheit zu führen, erwies er der Beauxbatons-Akademie einen unschätzbaren Dienst. Weiterhin half er, wie Ihnen als einer der Wenigen mittlerweile bekannt sein dürfte, die Plage der Schlangenmenschen von unserem Land zu nehmen und durch seinen Einsatz in anderen Bereichen wichtige Mittel zu beschaffen, mit denen Didiers paranoides Vorgehen und der daraus erwachsene Schaden beseitigt werden konnten. Zudem durfte ich in der Zeit, die er in Folge der angezeigten Heilbehandlung nach der beinahe unumkehrbar verlaufenen Vergiftung durch einen Schlangenmenschen auszustehen hatte erkennen, daß er sich schon wesentlich reifer und verantwortungsvoller gebärdet als es Angehörigen seiner Altersgruppe sonst eigen ist. Wie oben erwähnt empfinde ich es als vom Anstand geboten, daß wir Monsieur Latierre - und wegen ihrer tatkräftigen Unterstützung vor und während der besagten Heilbehandlung auch Madame Latierre, gemäß Zusatzregelung 2 zur Familienstandsbestimmung in einem von mir und Ihnen zusammengerufenen Rat bewerten und im Falle einer von der Regelung vorgeschriebenen Mehrheit der Ratsangehörigen festlegen, ob mit vollendung des sechzehnten Lebensjahres bei Monsieur Latierre bereits die Volljährigkeit festgestellt werden darf oder nicht. Ich weiß, daß es bereits fünfzig Jahre her ist, daß ein derartiger Antrag eingereicht wurde. Damals wollte das Elternpaar einer in der Akademie lernenden, bereits volljährigen Schülerin feststellen, ob ein Mitschüler, durch den besagte Schülerin im Sommer in andere Umstände versetzt wurde, bei Erreichen des sechzehnten Geburtstages für volljährig erklärt werden könne, um diesen Jüngling in die volle Verantwortung als Familienvater einzubinden. Der besagte Jüngling, Roger Fontainebleau mit Namen, wuchs nur bei seiner muggelstämmigen Mutter auf und wäre ohne finanzielle Möglichkeiten nicht in der Lage gewesen, eine Familie zu ernähren. Das außerhalb des Schulgeländes und der offiziellen Schulzeit gezeugte Kind hätte dann nur in mütterlicher Obhut verbleiben können, was den Eltern der Schülerin, Aminette Fontchaud, mißfiel. Damals wurden sechs Hexen und sechs Zauberer zusammengerufen, die beide kannten. Das Ergebnis fiel zwar dahingehend aus, daß Roger Fontainebleau nicht die vorzeitige Mündigkeit zuerkannt wurde, jedoch vorangegangene Beratungen dieser Art erbrachten positive Ergebnisse. Und alles in allem hat diese Sonderregelung seit ihrer Einführung 1720 keine unrühmlichen oder schädlichen Auswirkungen auf die davon betroffenen oder die Zaubererwelt nach sich gezogen. Daher beantrage ich offiziell im Zuge der Anerkennung der besonderen Verdienste von Mildrid und Julius Latierre, die Einberufung eines Zwölferrates zur Erörterung vorzeitig zuerkennbarer Volljährigkeit gemäß Familienstandszusatzregelung 2 vom 1. Juni 1720. Als mögliche Ratsmitglieder schlage ich folgende Personen vor:
Professeur Blanche Faucon, Madame Eleonore Delamontagne, sowie meine Wenigkeit als dritte Hexe, sowie Monsieur Florymont Dusoleil, Professeur Alexandre Énas und Sie persönlich als dritten Zauberer. Den obligatorischen Rest des Rates vorzuschlagen möchte ich Ihnen überlassen. Auch weiß ich, daß Sie oder der Leiter für magische Ausbildung und Studien darüber zu befinden hat, ob diesem meinem Antrag stattgegeben werden soll oder nicht.
Im Vertrauen auf Ihre Erfahrung und Ihr Einschätzungsvermögen verbleibe ich
hochachtungsvoll
Olympe Geneviève Laura Maxime
amtierende Leiterin der Beauxbatons-Akademie
Austère Tourrecandide holte tief Luft und atmete hörbar wieder aus. Offenbar war es Madame Maxime ein inneres Bedürfnis, diesen hochbegabten, zugegebenermaßen auch schon weit gereiften Jungzauberer eine hohe Belohnung zu verschaffen, die sich nicht in einem Verlies voller Galleonen oder der Überreichung eines einmaligen Gegenstandes erschöpfte. Sie war damals lehrerin gewesen, wo das zwischen Roger Fontainebleau und dieser Aminette Fontchaud passiert war. Anstatt wie bei Julius Latierre eine Eheschließung vor natürlich erreichter Volljährigkeit zu gewähren wollten Aminettes Eltern diesen Jungen in allen Belangen zur Verantwortung ziehen, da seine Mutter so gut wie mittellos in der Muggelwelt lebte, weil sie damals alle relevanten Endprüfungen verfehlt hatte. An und für sich hätte man eher diesem dummen Mädchen die Mündigkeit wieder aberkennen müssen, weil sie sich vor ihrem Schulabschluß auf diese Liebschaft eingelassen hatte. Jedenfalls wurde damals ein Rat einberufen, dem sie selbst angehörte. Sie hatte damals eindeutig gegen eine vorzeitige Mündigkeit argumentiert und eine ausschlaggebende Mehrheit gewonnen. Von den zwölf Ratsmitgliedern stimmten nur vier einer vorzeitigen Volljährigkeit zu. Sieben oder mehr waren jedoch laut der Ausnahmeregelung nötig. Somit mußte dieses voreilige junge Mädchen das Kind ohne väterlichen Beistand zur Welt bringen und ... Was war das denn? Sie legte schnell die Hand auf ihren Unterleib. Eben hatte sie gemeint, daß sich etwas darin bewegte. Doch das konnte absolut nicht sein. Die überschüssigen Fettreserven und was sie sonst in einem Moment angehäuft hatte, waren durch Abspecktränke und Leibesübungen verschwunden, und der Grund für die schlagartige Gewichtszunahme war weit von hier fort, irgendwo in den Staaten. Sie stellte jedoch fest, daß sie diese Art von Halluzination, oder auch Phantomempfindungen schon mehrmals verspürt hatte. Aber es konnte nicht angehen, daß sie immer noch mit ihr verbunden war. Jede Untersuchung hatte eine Restmagie ausgeschlossen. Offenbar wollte ihr Körper sich nicht damit abfinden, von dieser skrupellosen Person getrennt worden zu sein, die sie, Austère Tourrecandide, durch ein schweres Versehen in sich aufgenommen hatte. Vielleicht war es aber auch nur der Gedanke an diese Aminette Fontchaud und die unbewußte Nachempfindung ihrer Lage, die diese unwirkliche Empfindung gerade eben ausgelöst hatte. Wo war sie stehengeblieben? Ach ja! Sie erinnerte sich an das Ergebnis des letzten Zwölferrates. Nun, dieses Mal sprach nichts dagegen, daß sie für eine vorzeitige Anerkennung stimmen würde, da sie den bezeichneten Jungzauberer ja häufig selbst erlebt und ihn als disziplinierten jungen Mann - insofern schon eine Vorabbewertung - erfahren hatte. Sie wußte zwar nicht genau, woher er die ganzen Zauber kannte, die er ihr und anderen beigebracht hatte, und sie durfte ihm auch nicht die Schuld daran zuschreiben, daß sie einen davon zu voreilig aufgerufen hatte. Doch wenn Madame Maxime schrieb, daß Julius Latierre maßgeblich mitgeholfen hatte, die Plage der Schlangenmenschen zu beenden, so wollte sie es der Schulleiterin abnehmen, vor allem, weil sie den Minister ja daran erinnerte. Dies hieß für Madame Tourrecandide, daß der Zaubereiminister wohl auch wußte, worum es ging. Dies konnte sie auch dem Antwortschreiben Grandchapeaus entnehmen, weil dieser wohl damit gehadert hatte, Leistungen zu würdigen, die würdigenswert waren, jedoch vor keiner Öffentlichkeit erwähnt werden durften. Nun, wenn dieser Rat wirklich einberufen werden sollte wollte sie das ganz genau erfahren, weil dies zur Bewertung und Entscheidung dazugehören mußte. Sie las Grandchapeaus in einem Extraschreiben formulierte Ergänzung der Mitgliederliste und fand neben Madame Hera Matine und Madame Belle Grandchapeau auch ihren Namen bei den fehlenden Hexen und damit den Grund, weshalb sie das Schreiben erhalten hatte. Als Ergänzung der Zauberer wurden dann noch Monsieur Pierre aus Millemerveilles, der Ausbildungsleiter Descartes und der Zeremonienmagier Laroche erwogen. Natürlich wurden die Erziehungsberechtigten der beiden zu bewertenden Schüler um ihre Meinung gebeten. Lehnten diese den Antrag ab, blieb es dabei, daß die beiden erst mit siebzehn für volljährig befunden wurden. Sie fragte sich, ob Martha Andrews diesem Vorhaben zustimmen würde. Denn damit würde sie bei positiver Entscheidung jede Verantwortung für ihren Sohn aus der Hand geben. Machte eine Mutter sowas freiwillig? wieder meinte sie, eine körperfremde Bewegung in sich zu verspüren. Das mußte sie irgendwie überwinden. Bei Mildrid wußte sie nicht so genau, ob diese wirklich schon jetzt für reif genug befunden werden sollte. Immerhin war sie sehr voreilig mit Julius in eine Situation geraten, die zur Wahrung der beiderseitigen Ehre eine vorzeitige Verheiratung erforderte. Doch sie war nicht wie Constance Dornier vorzeitig schwanger geworden und ... Die Gedanken waren es also, erkannte Tourrecandide. allein daran zu denken, wie sich eine werdende Mutter fühlte, löste in ihr unechte Bewegungsempfindungen aus. Jedenfalls hatte sie Mildrid bei den vergessenen Zaubern als sehr aufmerksam und zielstrebig erlebt. Ob sie ihr uneingeschränkt eine vorzeitige Mündigkeit bescheinigen konnte wußte sie dadurch jedoch nicht. Das hing wohl davon ab, ob Madame Maxime und Minister Grandchapeau in der Vertraulichkeit des Rates die als geheim bezeichneten Einzelheiten preisgaben und dadurch auch Mildrid Latierres Beitrag oder Mitwirkung geklärt würde. Vielleicht war es nötig, die beiden getrennt voneinander zu vernehmen. Jedenfalls mußte sie selbst sich dann wieder blicken lassen. Sie überlegte, ob sie dem Minister die genauen Einzelheiten schildern sollte. Bisher hatte sie es bei der vagen Erklärung belassen, sie sei bei einer Mission zur Sicherstellung eines Artefaktes von Sardonia auf einer unortbaren Insel auf die Wiederkehrerin getroffen und sei dabei um fünf Jahrzehnte verjüngt worden. Ihr lag es fern, ein breiteres Publikum ihrer schmachvollen Begegnung mit Anthelia und Daianira Hemlock zu gewinnen. Bei dem Gedanken an Daianira fühlte sie sich irgendwie anders, als gelte es, auf sie aufzupassen. Das konnte nicht so bleiben. Das durfte nicht so bleiben! Diese skrupellosen Weiber hatten sie ausgenutzt, mißbraucht und geschädigt. Sich auch nur für eine der beiden fürsorglich zu fühlen widersprach ihren Erkenntnissen und Zielen. Doch was sollte sie jetzt tun? Sie würde der Einberufung folgen und hoffen, daß sie so sachlich sie konnte argumentieren und eine Entscheidung finden konnte.
So schrieb sie dem Minister noch am frühen Morgen die Antwort:
Sehr geehrter Herr Zaubereiminister,
mit sehr großem Interesse habe ich Ihr Schreiben und das von Madame Maxime gelesen und darüber nachgedacht, ob es wirklich schon möglich sei, Monsieur Latierre und seine früh angetraute Gattin Mildrid alle Rechte und Pflichten erwachsener Hexen und Zauberer zuzubilligen, was ja in letzter Konsequenz auch hieße, daß die beiden sich bereits nach den ZAGs zur Beendigung ihrer Zaubereiausbildung entschließen und Anspruch auf einen eigenen Wohnsitz bekunden, ja sogar eine eigene Familie begründen dürften. Ich hoffe, diese Auswirkungen einer entsprechenden Entscheidung sind Ihnen und Madame Maxime bereits klar gewesen, bevor Sie mir Ihre Einladung zu einem Zwölferrat zukommen ließen. Jedoch werde ich mit sehr großem Interesse und nötiger Sachlichkeit abwägen, wie meine Entscheidung ausfallen wird. Hierzu möchte ich Sie bitten, mich und jeden anderen von Madame Maxime und Ihnen benannten Teilnehmer umfassend und daher vollständig über alle Gegebenheiten zu informieren, die Madame Maxime und Sie als geheim eingestuft haben und damit als nicht für die Öffentlichkeit zugelassen erklärt haben. Um eine konkrete und sachlich vollständige Entscheidungsgrundlage zu besitzen ist diese meiner Meinung nach erforderlich. Ihre im Einladungsschreiben an mich gerichtete Anfrage nach meinem körperlich-seelischen Zustand möchte ich gerne so beantworten, daß die Ereignisse, die meine gegenwärtige Verfassung herbeiführten, mich trotz der heilmagischen Betreuung weiterhin begleiten, ich jedoch davon frei und unabhängig an der Beratung teilnehmen kann und Ihnen und den anderen Ratsmitgliedern im Rahmen der Vertraulichkeit erläutern möchte, was genau mir widerfuhr und welche Schlußfolgerung ich daraus ziehen mußte.
Fernerhin möchte ich Sie als amtliche Prüferin und frühere Fachlehrerin in Beauxbatons darauf hinweisen, daß eine wie auch immer geartete Entscheidung nicht vor offizieller Verkündung der Zauberergrad-Prüfungsergebnisse erfolgen kann, da an den Leistungen und möglichen Hinweisen auf bestimmte Begabungen auch gemessen werden kann, ob ein zur Bewertung anstehender Minderjähriger den nötigen Fleiß und die Disziplin aufbot, um hochwertige Zauberergrade zu erlangen. Madame Maxime und Sie wissen daher sehr wohl, daß nicht nur einer mehr als die Hälfte aller ZAGs erreicht werden muß, sondern zwei Drittel davon Erwartungen übertroffen oder besser ergeben müssen. Dies nur, um der Formalität die gebührende Vollständigkeit zu verschaffen.
So bleibt mir nur, den Termin zum Beginn der Beratungen zu erwarten. Mit der Vorschlagsliste bin ich einverstanden, da ich weiß, daß zumindest was Monsieur Latierre angeht alle Vorgeschlagenen genug mit ihm zu tun hatten, ohne familiär oder emotional zu sehr mit ihm verbunden zu sein.
Hochachtungsvoll
Austère Tourrecandide
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"Du kommst auch ohne Verwandlungs-ZAG durchs Leben. Meine Eltern werden dich dafür nicht zerfluchen", fauchte Céline, weil Robert erneut betonte, daß er den Verwandlungs-ZAG sicher verbockt hatte. Julius hörte da schon nicht mehr hin. Denn einmal hatte Robert es gewagt, ihm die Schuld dafür zuzuschieben, weil er, Julius, nicht am letzten Prüfungswochenende mit ihm die Theoriesachen durchgepaukt hatte. Darauf hatte er dann geanntwortet, daß er zwar stellvertretender Saalsprecher sei, aber jemanden nicht am vorletzten Tag vor den Prüfungen versäumte Sachen ins Hirn klopfen mußte. Immerhin hätte Robert ja lange genug Zeit gehabt, Sachen zu wiederholen. Gérard hatte Julius zugestimmt. So blieb Julius der hitzigen, einem kleinen Ehekrach ähnelnden Debatte zwischen Robert und Céline fern und redete lieber mit Gérard, der im Gegensatz zu Robert sicher war, zumindest die praktischen Prüfungen bestanden zu haben. Er hatte die Verwandlungsprüfung bei Lavalette absolviert, der außer den letzten drei Sachen nur Stoff der ersten drei Klassen abgefragt hatte, weil dadurch eher herauskam, ob jemand ein gutes Gedächtnis besäße. Sandrine hatte ihm den Theorieteil an praktischen Vorführungen verdeutlichen können. Womöglich hatte Professeur Faucon sich bei den Gelben mehr Zeit zum Erklären gelassen, oder Sandrine verstand Unittamos Beschreibungen einfach auf Anhieb.
"Wollte Giscard dir die Goldbrosche geben, weil er mit Yvonne an der Abgängervorstellung arbeitet?" Fragte Gérard Julius noch einmal. Giscard hatte etwas derartig zu verstehendes angedeutet.
"Die Brosche wird er mir nicht geben, weil die Saalsprecherregeln ihm verbieten, sie ohne Anweisung der Schulleitung abzulegen und auch nicht erlauben, daß er sie jemandem weitergibt, den er für geeignet befindet. Aber er kann mir die ganze Verantwortung zuschustern, solange er mit seinen Leuten probt", sagte Julius. Die Siebtklässler übten bereits seit April nicht nur für die UTZ-Prüfungen, sondern auch für die traditionelle, kabarettistische Schuljahresabschlußvorstellung, bei der sie sich von der Akademie verabschiedeten. Letztes Jahr hatte es diese Vorstellung nicht gegeben, weil Beauxbatons aus Solidarität mit Hogwarts vorzeitig die Ferien eingeläutet hatte. Sogesehen hatten sie alle wohl glück oder Pech, daß das dieses Jahr nicht passierte, obwohl Hogwarts seit der großen Schlacht leerstand, von Bautrupps abgesehen, die das alte Schloß wieder ganz machten.
"Dann hoffe ich, mir keine Strafpunkte einzuhandeln, wenn ich dich darum bitte, es in den letzten Schultagen etwas ruhiger und lockerer angehen zu lassen, jetzt, wo wir alle den ganzen Stress hinter uns haben."
"Liegt mir auch viel dran, keinen Krach zu kriegen, Gérard. Allerdings solltet ihr dann auch keinen Krach miteinander anfangen. Denn dann müßte ich wohl doch was raushauen", sagte Julius ruhig.
"Hast du deiner Mitbewohnerin Babette eigentlich schon geschrieben?" Fragte Gérard verschmitzt grinsend. Julius hatte ihm und Robert erklärt, was Babette so traurig gemacht hatte. Julius schüttelte den Kopf. Das sollte er wohl noch vor Schuljahresende machen, damit die Eule noch vor ihm in Paris ankam. So setzte er sich an einen freien Tisch und schrieb:
Hallo Babette!
Ich habe jetzt erst genug Ruhe, um dir eine Antwort zu schreiben. Der ZAG-Krempel und das mit der Saalsprecherbrosche, die mir unter anderem deine Oma Blanche verpaßt hat, lassen mich ja hier ziemlich wild rumstrampeln.
Nun, das mit Geri ist zwar traurig. Aber ich muß dir ehrlich sagen, daß ich das doch befürchtet habe, daß eine von denen irgendwann meint, alleine was reißen zu können. Die wurden ja sehr schnell zu Superstars hochgepuscht. Da bleibt das nicht aus. Mit Take That lief das ja ähnlich.
Ich kann das aber verstehen, daß Fans wie du jetzt Angst haben, daß die ganze Gruppe dran kaputt geht. Vielleicht bleiben die anderen vier Mädels jetzt aber auch erst recht zusammen, weil sie wissen, daß sie zusammen richtig groß sind. Etwas ganz alleine zu machen - das habe ich schon mit meinen grünen Fünfzehn Jahren raus - ist sehr schwer. Da muß jemand viel Mut und auch viel Geduld haben, um sowas aufzuziehen, weil das lange nicht sicher ist, daß das auch klappt wie es soll. Ich habe das ja gerade bei den ZAGs wieder mitgekriegt, wie anstrengend das ist, wenn du alles alleine lernen und machen willst. Da war das schon richtig doll, mit Klassenkameraden zusammen zu üben, weil das auch den Ernst und die Lust am Lernen hochgepuscht hat. Denn wenn du nur für dich lernst denkst du ja doch, daß du dir Zeit lassen kannst und das eine nicht so wichtig ist wie was anderes. Ich denke, so läuft das auch in der Popmusik. Wer alleine loszieht um groß rauszukommen fängt immer ganz neu an, egal, was er oder sie vorher gemacht hat oder gewesen ist. Ich habe das zwar selbst nicht mitbekommen, mir aber von meinen Verwandten erzählen lassen, was damals mit den Beatles war oder wie die Sängerin Diana Ross erst bei einer Mädchenband ähnlich den Spice Girls nur in Schokoladenbraun gesungen hat und dann ihre eigene Karriere, also ihren eigenen Weg in der Musik hingelegt hat. Ohne gute Freunde und ehrliche Leute um dich herum bist du da wie ein kleiner Fisch in einem Haifischbecken. Wenn Geri also jetzt meint, ohne die beiden Mels, Emma und Victoria klarkommen zu müssen, dann kann das daher kommen, daß sie mit jemanden von denen Streit hat. Das hast du mir ja geschrieben. Es kann aber auch sein, daß ihr gute Freunde geraten haben, nicht zu lange eine von fünfen zu sein und auf eine bestimmte Sache festgelegt zu bleiben. Wie gesagt, warum das mit den Beatles auseinandergegangen ist weiß ich auch nicht. Da fragst du vielleicht mal deinen Opa James. Der versteht das bestimmt auch, daß du jetzt traurig wegen Geri bist und Angst hast, daß die restlichen Girls sich auch noch trennen. Der wird dir zwar einen erzählen, daß die Beatles nicht mit einer künstlich zusammengewürfelten Truppe von kessen Gören verglichen werden können, weil die Beatles ja ohne den ganzen Rummel zusammengefunden haben und ihren eigenen Weg gemacht haben. Aber im Grunde müßte der das kapieren, daß du das schlimm findest, was im Mai passiert ist. Aber ohne jetzt überklug oder abwertend rüberzukommen, Babette: Es gibt schlimmere Sachen, als wenn eine Band auseinandergeht. Wir müssen alle froh sein, daß dieser Lord Unnennbar dir und uns allen nichts mehr tun kann, daß wir alle, die wir uns mögen oder lieben noch leben. Längst nicht überall können Leute das sagen. Ohne dir echte Angst machen zu wollen, in England sind jetzt viele Kinder, die ein ganzes Jahr im Gefängnis mit den Dementoren gesessen haben, nur weil die Eltern haben, die nicht zaubern können. Einige von den Kindern haben keinen Papa und keine Maman mehr, weil der Kerl, der auch deinen Opa Hugo umgebracht hat, meinte, Kinder ohne zaubernde Eltern dürften nicht zaubern lernen und gehörten ins Gefängnis.
Wie geschrieben möchte ich dir nicht überklug oder abwertend kommen. Ich kapiere es, daß du das traurig findest, daß Geri nicht mehr bei den Spice Girls mitmacht. Doch du darfst sehr froh sein, daß du deine Eltern, Opa James und Oma Jennifer, deine Tante Madeleine, Oma Blanche und deine Freunde noch hast. Ich bin das zumindest, daß meine Mum noch lebt, wenn ich auch nicht weiß, ob ich damit wirklich richtig klarkommen kann, daß sie jetzt auch zaubern kann. Aber ich denke, sie mußte irgendwie damit klarkommen, daß ich zaubern lerne. Dann muß ich das auch kapieren, daß sie jetzt zaubern lernt.
Wir sehen uns dann wohl in Paris wieder! Vielleicht möchtest du mir dann das zweite Album der Girls vorspielen, damit ich nicht dumm sterbe, weil ich das nie gehört habe.
Bis dahin paß gut auf dich und deine Eltern auf und grüße die schön von mir!
Julius Latierre
"Hallo Julius! Schreibst du deiner Maman?" Fragte Carmen Deleste, die Julius in der Eulerei des grünen Saales traf.
"neh, meiner Nachbarin Babette", sagte Julius, als er Francis, sein Schleiereulenmännchen, mit dem Antwortbrief für Babette behängte und losschickte.
"Babette, ach ja, die kommt ja nächstes Jahr zu uns. Hast du ihr gute Ratschläge gegeben, wie man sich auf die ZAGs vorbereiten soll?"
"Du bist nicht neugierig, Carmencita?" Fragte Julius verwegen grinsend.
"neh, ich möchte nur alles wissen", konterte Carmen erwartungsgemäß. Kriegen Belisama, Sandrine, Millie und du dieses Jahr auch noch Extraprüfungen bei Madame Rossignol?"
"Deborah und die anderen über uns haben die auch immer gekriegt", sagte Julius. "Die muß ja wissen, wer bei ihr gut aufgepaßt hat. Wenn du mal heilerin werden möchtest könnte dir das eine wichtige Tür aufmachen, daß du in der Truppe warst."
"Weiß ich. Hat meine Tante Aurelia ja schon zu mir gesagt." Julius stutzte. Carmen hatte diese Tante bisher nicht erwähnt. Dann hieß die auch noch Aurelia, was ihn an jenen verhängnisvollen Ausflug in die Festung der Sternenbrüder denken ließ. Doch er fragte ruhig:
"Ist die Heilerin?"
"Genau, aber nicht in Frankreich, sondern in der Gegend von Valencia. Wir schreiben uns halt nur oft, seitdem ich in der Pflegehelfertruppe bin. Und weil ich dir das jetzt erzählt habe möchte ich jetzt wissen, was du Professeur Faucons kleiner Enkeltochter geschrieben hast."
"Häh? Ich schrieb einen Brief an Babette. Claudine kann ja noch nicht sprechen, also auch nicht lesen."
"Stimmt ja, Professeur Faucon hat ja zwei Enkeltöchter. Aber so geheim kann das nicht sein, was du Babette geschrieben hast."
"Geheim nicht, aber persönlich. Das solltest du als Pflegehelferin berücksichtigen", erwiderte Julius. Wieso war seine Pflegehelferkameradin so neugierig? Zumindest nickte sie und sagte: "Okay, verstehe, irgendwas, was nur euch zwei oder ihre Mutter angeht. 'tschuldigung!" Julius nahm die Entschuldigung an. Sicher war das mit Geri Halliwell nichts echt vertrauliches. Aber er wollte Babettes Privatsphäre schützen, und Carmen hatte das zu kapieren.
"Hast du Carmen Strafpunkte wegen falschen Adressierens einer Eulenpost angehängt?" Fragte Céline, als Julius eine Minute später wieder im Aufenthaltsraum war. Julius erklärte ihr kurz, daß sie ihm etwas zu neugierig war, er aber keine Strafpunkte ausgesprochen hatte.
"Ist Carmens Marotte. Sie möchte sich gerne in andere reinfühlen. Das Madame Rossignol ihr das noch nicht beigebracht hat, persönliche Sachen in Ruhe zu lassen wundert mich. Schreibt Babette dir häufiger?"
"Nur, wenn ihr das wichtig ist, wie damals, wo sie mir schrieb, wie ihre kleine Schwester heißen soll und jetzt, weil sie traurig ist, weil eine Sängerin aus ihrer Lieblingsband ausgestiegen ist. Das wollte ich nicht als blödes Zeug hinstehen lassen und hab's erst nach den Prüfungen beantwortet."
"Ach, die Kiste, die Gabrielle so genervt hat, daß sie schon mit Pierre schlußmachen wollte", meinte Céline. "Aber jetzt hängen die wieder zusammen, als wenn nix wäre."
"Stimmt, Pierre interessierte das bestimmt auch. Wußte nicht, daß ihm das wer geschrieben hat", sagte Julius.
"Seine Maman muß ihm das ziemlich erfreut unter die Nase gerieben haben, weil sie die fünf Trällermädels wohl für unanständig und viel zu künstlich aufgeblasen hält. Zumindest hat Gabrielle mir das so gesagt. Weil wir da mitten in den ZAG-Prüfungen drin waren habe ich ihr gesagt, daß sie das locker nehmen und es nicht davon abhängig machen soll, ob das mit Pierre vorbei ist oder nicht. Hätte ich mal besser nicht machen sollen. Denn jetzt klammert die sich wohl noch mehr an den als vorher, und Yvonne könnte mich dumm anmachen, weil ich den beiden keine Standpauke halte."
"So trägt jeder sein Herz. Oder war es doch das Kreuz, oder Piek?"
"Haha, Monsieur Latierre. Ich habe genau wie du besseres zu tun, als die kleinen bei ihren belanglosen Nervereien zurechtzuweisen und dann aufzupassen, daß die nicht zusammenwachsen und womöglich mit zwölf schon Säuglingspflege lernen müssen."
"Klar, wo Connie das ja so schön vorgemacht hat, wie anstrengend sowas ist", mischte sich Irene Pontier ein.
"Ey, ich habe mit Millie, die früher so Sprüche abgelassen hat keinen Krach mehr, weil die gemerkt hat, wie viel Arbeit so'n Kind macht. Da hast du jetzt nicht auch anzufangen, Irene. Das sind mal eben fünf Strafpunkte wegen ungebetener Kommentare bei einer Unterhaltung zwischen stellvertretenden Saalsprechern. So und jetzt verzieh dich wieder!"
"Ey, wollte nur sagen, daß du besonders drauf achtest, daß nicht wieder wer zu früh 'ne Kugel unterm Umhang rumträgt", knurrte Irene.
"Keine Sorge, wenn du dir sowas zustecken läßt werde ich sicherstellen, daß ich zum Tatzeitpunkt sehr weit von dir weg war und dich nicht davon abhalten konnte", fauchte Céline.
"Bin ich eine von den Latierres. Dem Julius seine macht ja schon die Beine auseinander, wenn sie deine Nichte sieht und hofft, morgen schon selbst so'n Balg im Unterbau zu haben. Ich muß mir sowas vor dem dreißigsten Lebensjahr nicht antun. Ich will noch was erleben, ohne für andere mitdenken oder mitessen zu müssen."
"Sei froh, daß meine Frau das nicht gehört hat. Die würde dir sonst entweder die Faust in den Bauch rammen, damit dir da auch bloß niemand reinschlüpft oder dich auslachen, weil du ja nur neidisch bist", erwiderte Julius erheitert.
"Neidisch, weil ihr beide wohl schon Einstöpseln gespielt habt? Ich kann mich beherrschen."
"Das merken wir gerade, weil du so ganz unbeeindruckt unserer Unterhaltung zugehört hast, ohne was einwerfen zu müssen", erwiderte Julius und erntete ein lauthalses Lachen von Céline und ein biestiges Grummeln von Irene, die dann ohne weiteres Wort abschob.
"Warum hast du der keine Strafpunkte aufgeladen?" Fragte Céline. "Die hat doch Millie beleidigt."
"Beleidigen kannst du nur wen, wenn du wider besseres Wissen was behauptest, was den anderen vor anderen schlecht rüberkommen läßt. Daß Millie schon die Babysachen bei Madame Esmeralda bestellt hat ist kein Geheimnis. Das wissen die bei den Roten, weil deren jüngere Verwandte das gerne rumtratschen. Und ich habe ehrlich gesagt auch kein Problem mehr damit, mir Millie mit meinem Kind unterm Umhang vorzustellen, solange das wie gesagt meins ist. Und was Irene angeht denke ich echt, daß sie neidisch ist, weil du einen Freund hast, Sandrine einen Freund hat, Laurentine mal eine Zeit lang einen hatte und Millie halt mit mir zusammen ist. Die sagt das nur mit dem dreißigsten Lebensjahr, weil sie meint, daß sie da wohl mal wen gefunden haben sollte, der mit ihr neue Hexen und Zauberer auflegt."
"Wenn Robert sich von mir auf den Besen heben läßt und das durchzieht, mit mir vor den Zeremonienmagier zu gehen, sehe ich zu, wie ich das unter einen Hut kriege, Babys und Arbeit", sagte Céline. Aber davor möchte ich dann doch noch die UTZs haben und mindestens ein Jahr Quidditch gespielt haben, wenn du oder wer immer Kapitän wird mich in die Mannschaft holt."
"Ich und Kapitän. Da muß ich wohl was ganz wichtiges nicht mitbekommen haben", erwiderte Julius. Céline grinste nur.
"Die werden einen von euch Stammspielern beauftragen, besser Professeur Faucon und Professeur Dedalus werden einen aussuchen. Mit der Dawn'schen Doppelachse hast du dich ganz sicher ganz weit oben auf die Kandidatenliste gepflanzt."
"Wenn das von Professeur Dedalus abhängig ist eher weiter unten, weil er mich nicht noch mehr hofieren will als er meint, daß die anderen das schon machen. Ich habe mit dem strammen Herren drei Monate Lebenszeit gefrühstückt, Mittag- und Abendessen eingenommen. Der hat mich immer wider blöd aussehen lassen wollen und ist selbst immer wieder auf die Nase gefallen. Sport ist ein Sympathiefach, sagte mein Vater. Wenn du dem Lehrer nicht zeigst, daß du sein Fach allein für wichtig und sinnvoll hältst, hast du schon eine Note schlechter als die Turn- und Raufspezialisten. Professeur Dedalus hat zwar geschrieben, daß er mich irgendwelchen Talentsuchern aus der Liga empfehlen wolle. Aber am Lehrertisch hat der jedesmal raushängen lassen, daß er das nicht ab kann, daß ich nicht nur Sport oder nicht nur Lernsachen mache."
"Wenn der meint, daß er den Leuten aus der Liga deinen Namen nennen möchte ändert das andere nix daran, daß du wohl oben auf der Kandidatenliste stehst. Virginie konnte das. Giscard konnte das, wenn wir dieses Jahr auch nicht lange gespielt haben. Dann kannst du das auch. Na ja, aber du hast recht, daß es wohl wichtigere Sachen gibt. Ich wollte dir nur sagen, daß ich gerne in die Mannschaft möchte, wenn der Kapitän oder die Kapitänin mich reinläßt."
"Das passiert dann wohl nach den Ferien. Ich muß ja auch meine Form wiederfinden, wenn ich wieder mitspielen will."
"Stimmt, ihr trainiert ja wegen des Schulabschlußballs nicht mehr", grummelte Céline. Julius nickte.
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Madame Maxime reiste unverzüglich aus Beauxbatons ab, als sie erfuhr, daß die flüchtige Riesin in die Nähe von Cherbourg gelangt war. Ministeriumsleute hatten sie zunächst verfolgt, um zu sehen, ob sie ein bestimmtes Ziel hatte. Doch nun wurde es ernst. Denn wenn die Riesin die Vororte der Stadt in der Normandie erreichte, würde man sie dort sehen. Und wie sie dann reagierte, besonders mit dem Kind im Leib, wußte niemand. So blieb ihr nur, per Flohpulver nach Paris zu reisen, wo sie Monsieur Grandville von der Zauberwesenbehörde treffen wollte. Leicht ungehalten zwengte sie sich aus dem für sie zu engemKamin im Foyer des Ministeriums heraus, gerade als Madame Barbara Latierre apparierte.
"Oh, Monsieur Grandville hat Sie auch gerufen, Madame Maxime. Gut, Dann können wir beide Seit an Seit apparieren. Er ist bereits in der Nähe der Dame", sagte die trotz ihrer stolzen 1,95 Meter im Vergleich zu Madame Maxime winzige Hexe.
"Wir sollten uns große Besen suchen", sagte Madame Maxime."
"Sind schon vor ort", sagte Barbara Latierre und bot Madame Maxime die Schulter an. Die Halbriesin hielt sich fest genug, um nicht unterwegs verloren zu gehen. Sie konzentrierte sich, dort ankommen zu wollen, wo Barbara Latierre ankommen wollte. Dann verschwanden beide mit lautem Knall aus dem Ministeriumsvoyer.
"Beide auf einmal. Wunderbar", begrüßte sie ein kleiner, spindeldürrer Zauberer mit bleigrauem Schopf und Schnurrbart, der einen mit goldenen Sternen benähten Umhang aus blauem Samt trug.
"Dieses Weib marschiert ausdauernd auf den Ort zu. Daß die ein Baby trägt macht der offenbar nicht viel aus."
"Ist es sicher, daß die Riesin schwanger ist?" Fragte Madame Maxime ohne weitere Begrüßungsfloskeln.
"Alle Körpermerkmale sprechen dafür. Die Dame trägt nur einen Lendenschurz, und von ihrer Oberweite ganz zu schweigen konnte unser Verfolger mehrere Bewegungen innerhalb des prallen Unterbauches sehen", sagte Augustin Grandville. Dann holte er ungesagt einen Familienbesen herbei, lang und stark genug für Madame Maxime. Barbara bekam einen Ganymed 10 ausgehändigt.
"Ich frage mich zwar, was ich als Tierwesenexpertin hier soll, Augustin, aber einen Grund wird es wohl geben", sagte Barbara Latierre.
"Nun, wir brauchen Sie als Expertin für große Lebewesen, Barbara", erwähnte Grandville, als er seinen eigenen Besen bestieg. "Könnte immerhin passieren, daß die übergroße Dame kurz vor der Niederkunft steht."
"Da gibt es dann nur eine Regel, Augustin: Möglichst außerhalb ihrer Bein- und Armreichweite bleiben, am besten viermal so weit", sagte Barbara. "Ich kann bei meinen Kühen auch keine Geburtshilfe leisten. Das machen die untereinander. Ich habe es gesehen, wie eine einer anderen das Kalb ganz sanft mit dem Maul aus dem Körper zieht, während zwei andere die Gebärende rechts und links abstützen. Das machen die gegenseitig und fördern dadurch den Herdenzusammenhalt."
"Bei der Niederkunft einer Riesin bleiben selbst die aggressivsten Männer auf Abstand", wußte Madame Maxime noch einzuflechten. "Insofern haben Ihre Leute Glück, daß keiner es ausprobiert hat, ihr nahe zu kommen, Augustin."
"Wir hofften, sie würde ein bestimmtes Ziel suchen, das weit ab von menschlichen Ansiedlungen ist. Wenn sie einen geeigneten Geburtsplatz sucht könnte ihr einfallen, ein Haus anzugreifen und dort einzudringen", erwiderte Grandville, während sie bereits schnell voranflogen.
"Es könnte sein, daß ich die Riesin bereits einmal gesehen habe, Augustin. Darauf fußt ja auch Ihr Ersuchen, mich bei der Annäherung dabeizuhaben, nicht wahr?"
"So verhält es sich, Madame Maxime", bestätigte Grandville.
Sie flogen fünf Minuten. Und dann sahen sie sie. Zunächst erschien sie nicht größer als eine Maus. Doch von den Felsen hob sie sich bereits deutlich ab, daß unschwer zu erkennen war, daß sie mindestens sechs oder sieben Meter hoch sein mußte. Augustin Grandvilles Kundschafter flog nun nur noch zweihundert Längen des Ganymed 10 vor ihnen her, sicheren Abstand zum verfolgten Ziel haltend. Dieses wuchs an, während der Abstand zu ihm schrumpfte. Bald erschien es kaninchengroß, dann so groß wie ein aufrechtgehendes Schaf. Das war, wo sie den Kundschafter einholten.
"Die hat einen strammen Schritt drauf. Aber die hat schon mehrere Vögel im Vorbeigehen aus den Bäumen geschüttelt und wie kleine Bonbons im Mund verschwinden lassen. Daß Meerwasser salzig ist weiß sie offenbar und läßt die Finger davon. Ich habe außer Ihnen noch kein menschenähnliches Wesen gesehen, daß so groß ist, Madame", sagte der Kundschafter mit scheuem Blick.
"Dann hoffen Sie mal, daß dies nicht auch das letzte menschenähnliche Wesen ist, daß Sie je zu sehen bekommen, Albert", erwiderte die Schulleiterin von Beauxbatons.
Sie verfolgten die Riesin noch einige Kilometer weit. Dann befand Grandville, daß sie nicht näher an Cherbourg heranrücken dürfe. Er fragte Madame Maxime, ob sie die sofortige Tötung empfehlen würde oder eine Möglichkeit sah, die Riesin zu fangen und fortzubringen.
"Rein vernunftmäßig müßte ich Ihnen raten, sie mit dem Todesfluch zu erledigen, Augustin. Aber mein Gefühl widerspricht dem. Ich denke nicht, daß sie von sich aus jemandem schaden will, obwohl sie bestimmt sehr gefährlich ist. Ich möchte versuchen, sie dazu zu überreden, in eine von Ihnen abzusichernde Gegend zu wandern. Das mit dem Einfangen können sie gleich vergessen. Magische Netze halten sie nicht auf. Schwangere Riesinnen sind doppelt so stark wie die männlichen."
"Einen Versuch haben Sie, Madame. Mißlingt dieser, müssen wir wohl den Todesfluch anbringen."
"Es könnte sein, daß ein Todesfluch ihr nichts anhat, solange sie Ihnen nicht den Gefallen tut, ihren Mund zu öffnen, um einen ihr geltenden Fluch dort hineinschlagen zu lassen", sagte Madame Maxime. Die anderen nickten. Drachen konnten auch nicht so einfach mit einem Todesfluch erlegt werden. Davon waren mindestens drei auf einmal nötig, um einen letzten Wutausbruch im Keim zu ersticken. Sicherer erschien da eher die Benutzung magisch gehärteter Geschosse aus Stahl oder Holz. Doch Madame Maxime wollte erst einen freundlichen Kontakt versuchen, bevor sie das gigantische Weibchen dem Tod überließ. Sie flog voraus und überholte die Riesin in zehn Metern Abstand. Dabei erstarrte sie beinahe. Sie erkannte die Riesin. Sie wirkte zwar durch ihre Schwangerschaft unförmig, ja regelrecht aufgequollen wie ein gigantischer Hefeteig. Doch das Gesicht und die Augen verrieten, daß dies Meglamora war, die sie bei den Riesen im Ural getroffen hatte. Meglamora war die jüngere Schwester von Ramante gewesen, Madame Maximes leiblicher Mutter. Sie hatte also einmal mehr direkten Blickkontakt mit ihrer eigenen Tante. Demnach wuchs in dieser ein Cousin der Schulleiterin heran und würde wohl jederzeit ans Licht der Welt drängen.
"Meglamora! Ich erkenne dich. Kennst du mich auch noch?" Fragte Madame Maxime und schwebte immer auf Abstand vor dem Gesicht der Riesin herum. Die Gigantin stoppte ihren strammen Marsch und blickte die halb so groß wie sie gewachsene Frau auf dem langen Holzstück mit dem ausgefransten Ende an. Ein Ausdruck des Erkennens durchzuckte ihre großen, schwarzen Augen. Sie stieß ihre rechte, mit dicker, gelber Hornhaut bewachsene Hand mit den mehrere Zentimeter langen Fingernägeln vor. Doch Madame Maxime wich blitzartig nach oben aus, und der Griff ging ins leere. Noch einmal grabschte die Riesin nach dem fliegenden Besen und langte in leere Luft. Dann öffnete sie ihren Mund und stieß mit einer hirschartig röhrenden Stimme aus:
"Du, die Kurze von Ramante. Also hier wie du gesagt hast. Die in Land von Rotauge haben uns totgemacht, wollten mich und mein Guigui auch totmachen. Habe viele von denen gegen Boden oder Steine geschmissen. Guigui will raus. Suche Höhle zum rausdrücken, sonst Guigui tot."
"Die Leute haben Angst vor dir hier. Sie werden dich totmachen, wenn du ihnen zu nahe kommst", sagte Madame Maxime mit sehr entschlossener Stimme. "Ich helfe dir und deinem Kind, aber nur, wenn du nicht zu den anderen Menschen gehst."
"Kleinlinge sehr gemein. Können grüne Schreilichter machen, die totmachen oder Speere mit böser Magie in uns reinstoßen. Aber ich jeden totmache, der mir und meinem Guigui zu nahe kommt. Du we gda! Sonst ich dich von fliegendem Holz runterreißen und Kopf abreißen!""
Madame Maxime hielt zwar den Abstand, blieb jedoch vor der Riesin, die versuchte, sie mit ihren zu Fäusten geballten Händen zu schlagen. Die Schulleiterin wußte, daß ein Treffer ausreichen würde, selbst sie schwer zu verletzen oder zu töten. Die Riesin war im durch ihre Mutterinstinkte geschürten Beschützungsrausch wie eine Berserkerin. Einer der begleitenden Zauberer hob seinen Zauberstab. Madame Maxime sah es noch rechtzeitig und rief ihm zu, noch zu warten. Meglamora drehte sich um und sah die Männer. Sie stieß ein ohrenbetäubendes Wutgebrüll aus und stürmte auf sie los. Perplex stoben die Kundschafter auseinander, nur nicht Barbara. Die blieb zwar weit über der Riesin in der Luft, aber auch in deren Nähe. Tobsüchtige Riesentiere kannte sie ja zu gut, vor allem solche im Paarungsrausch oder vor der Geburt eines Jungtieres. Die Riesin versuchte, ihr entgegenzuspringen. Doch der vorgewölbte Unterleib warf sie dabei fast um. Selbst in ihrer Verteidigungswut vermied sie jede direkte Gefärhdung ihres ungeborenen Kindes.
"Die da und du Kurze von Ramante, ihr weg da!"
"Wir wollen dir helfen!" Rief Madame Maxime, die scheinbar tollkühn hinter der Riesin auftauchte und gerade noch nach oben wegzog, als die sich herumwarf und nach dem Besen schlug. Dann jedoch hielt Meglamora inne. Etwas passierte da mit ihr. Das konnte von dem Ungeborenen kommen, aber auch eine Erkenntnis sein, die Madame Maximes Worte vermittelten. Sie senkte die Arme, blickte sich jedoch lauernd um, ob mögliche Feinde sie attackieren wollten. Dann röhrte sie: "Du mir helfen? Will höhle! Will Essen für mich und Wasser das nicht stinkt um Milch für Guigui zu haben. Wo Höhle?"
Madame Maxime überlegte, wie weit die nächste fort war. Dann sagte sie, daß sie Meglamora hinbringen würde. Sie müsse dabei aber Magie benutzen. Meglamora traute der Zauberei zwar nicht. Aber irgendwas an oder in der Halbriesin da vor ihr gab ihr ein, daß diese sie nicht totmachen wollte. Denn die da hatte keine Angst, genau wie das Kleinlingsweibchen auf dem anderen Stiel. So sagte sie in ihrer gebrochenen englischen Aussprache zu. Madame Maxime apportierte einen für sie gebauten Sessel aus Beauxbatons, den sie mit dem Engorgius-Zauber auf die dreifache Größe anwachsen ließ. Dann belegte sie das Möbel noch mit dem Zauber "Portus", worauf der aufgeblasene Sessel blau aufleuchtete. Meglamora sah der Zauberei höchst skeptisch aber doch auch gebannt zu. Dann sollte sie sich in den Sessel hineinsetzen. Weil Madame Maxime es vor ihr Tat und nichts böses passierte, warf sie sich auch in den Sessel, nachdem die Halbriesin schnell wieder herausgesprungen war. Stattdessen ergriff sie nun einen der baumstammdicken Füße. Barbara Latierre tat es ihr nach. Als sich Meglamora von ihrem prallen Unterleib nach hinten geworfen mit dem Kopf anlehnte, erstrahlte eine blaue Lichtspirale um den Sessel herum, rotierte wild und verschwamm mit dem gigantischen Möbelstück zu einem blauen Blitz. Mit einem lauten Fauchen verschwand der Sessel spurlos.
"Wärest du auf die Idee gekommen, die mit einem Portschlüssel wegzuschaffen, Albert?" Fragte Augustin Grandville den Verfolger Meglamoras, der mit seinem Chef in sehr weitem Abstand die Szene beobachtet hatte.
"Ich wußte gar nicht, daß man einen magisch aufgeblasenen Gegenstand noch zum Portschlüssel machen kann, der dann noch so ein Trumm von Frau, eine gerade mal halb so große und eine andere nicht ganz so kleine verdaut, wenn er aktiv wird.
"Wo landet der Portschlüssel eigentlich?" Fragte Albert seinen Chef.
"In der alten Goldmine, die vor fünfzig Jahren von den Zwergen aufgegeben wurde. Da stehen noch dicke Granitpfeiler und halten die Decke. Dieses Riesenweib kann sich da hinlegen oder ein paar Schritte machen, aber nicht durch die kleinen Stollengänge raus. Luft kriegt sie da wohl genug. Schon eine patente Dame, Madame Maxime.
"So wie dieses Riesenmädel da gestanden hat fing die sogar an, mir leid zu tun. Das mit den anderen Riesen haben wir ja mitbekommen, und die Fischer hat sie ja auch nicht umgebracht. Wahrscheinlich müssen wir unsere Schulbücher umschreiben lassen, daß die doch nicht alles und jeden kurz und klein hauen."
"Nur solange sie wissen daß sie das oder den auch noch brauchen. Die wollte nicht durch den Kanal schwimmen. Und auf Großbritannien hätten sie sie erledigt wie ihre Kumpels. Die wollte ihr Guigui in Sicherheit bringen. Wußte nicht, daß die Kosenamen für ihre Bälger kennen."
"Mit Verlaub, Monsieur Grandville, ich fürchte, wir wissen so einiges nicht von denen, außer das sie sich gegenseitig massakrieren und keine Rücksicht auf Menschen nehmen, wenn sie was haben wollen. Aber selbst das scheint nicht mehr so ganz allgemein zu sein."
"Da muß ich Ihnen wohl recht geben, Albert. Aber Haben Sie gesehen, wie dreist die werte Kollegin Latierre ist?"
"Die hat jeden Tag mit Riesenwesen zu tun, Chef. Das macht furchtlos."
"Wird es wohl sein, Albert", grummelte Augustin Grandville.
Madame Maxime, Barbara Latierre und die schwangere Riesin landeten nach einer wilden Wirbelei durch bunte Farben in einer gewaltigen Höhle. In diese mündeten von acht Seiten Stollen, die jedoch gerade groß genug waren, daß Menschen im Vierfüßlerstand hindurchkrabbeln konnten. Hier hatten einmal Zwerge Gold gesucht und einen Versammlungsraum mit gewaltigen Leuchtkörben errichtet, wo sie auf ihren Fund oder den Frust, nichts gefunden zu haben tranken. Barbara Latierre hatte diesen Ort einmal mit ihrer Schwester Hippolyte und deren Schwiegermutter besucht und Madame Maxime den genauen Standort vor zehn Jahren mitgeteilt. Die Belüftung war gut genug, um hunderte von Leuten mehrere Monate hier mit frischer Atemluft zu versorgen. Nur mit Licht und Essen würde es schwierig sein. Doch Madame Maxime hatte sicher daran gedacht. So wunderte es Barbara Latierre auch nicht, als Madame Maxime sagte:
"Hier bist du sicher, Meglamora. Hier kannst du dein Guigui rauslassen. Wir schicken dir immer Fleisch und Gemüse und große, runde Holzgefäße mit viel Wasser drin. Aber nur, wwenn du nicht versuchst, hier wegzulaufen und andere Menschen Angst machst oder totzumachen versuchst."
"Du mir geben Essen und Wasser?" Fragte Meglamora.
"Ja, mache ich", sagte Madame Maxime und konzentrierte sich. Aus dem Nichts ließ sie ganze Rinderhälften erscheinen. Meglamora sah die zerlegten Rinder mißtrauisch an und brummte: "Schon lange tot. Will Essen, das noch nicht tot ist, weil besser für mich. Oder will Kleinlinge, die ich essen kann, wenn Guigui draußen ist."
"Die Kleinlinge wollen sich nicht essen lassen und werden dich totmachen", sagte Madame Maxime, während Barbara zur Sicherheit schon einmal in einen der Stollen hinauskroch.
"Gut, dann du mir geben lebende Tiere, um mir Essen zu geben. Sonst mach ich dich tot und ess dich, Ramantes Kurze."
"Das mußt du nicht", stieß Madame Maxime aus und verschwand mit lautem Knall. Barbara kroch schnell noch weiter in den Stollen. Die Riesin brüllte so laut, daß sie meinte, über ihr würde gleich alles zusammenbrechen. Tatsächlich rieselte von sehr weit oben Staub herab. Meglamora erkannte wohl, in welche Gefahr sie sich gebracht hatte. Sie schwieg. Da tauchte Madame Maxime wieder auf, jedoch gerade noch weit genug von Meglamora fort. Sie warf der Riesin eine große Daunendecke zu, die im Fluge weiter anwuchs. Dann stellte sie einen Gitterkasten mit Tür hin, in den gut und gerne ein ganzes Schaf oder Schwein hineinpassen mochte.
"Du bekommst jeden Tag drei rosarote Grunzer oder vier weiße Blöker in diesen Kasten hinein", sagte Madame Maxime. Dann stellte sie ein normalmenschengroßes Holzfaß hin und zauberte daran herum, bis es mit lautem Platschen voller Wasser war. "Das wird immer von selber voll. Du kannst also trinken so oft und so viel du willst", sagte Meglamoras Nichte und zeigte ihr, wie sie das Faß benutzen konnte. Die reinrassige Riesin hob es mit beiden Händen locker an, setzte es an und trank gierig das Wasser da raus. Barbara konnte jetzt sehen, daß unter dem Faßboden Runen eingeritzt und mit Silber ausgekleidet waren. Offenbar hatte Madame Maxime dieses Faß schon länger bereithalten wollen. Tatsächlich schien das Wasser im Faß nicht weniger zu werden. Denn die Riesin stürzte Mengen in sich hinein, die in mindestens vier Putzeimer gepaßt hätten. Erst dann gab sie es auf, das Faß leertrinken zu wollen und setzte es wieder auf den Boden. In der Zeit ploppte es, und mehrere Schweine tauchten im Gitterkäfig auf. Barbara blieb ganz ruhig, als Madame Maxime ihrer Tante zeigte, wie sie die Tiere töten konnte. Dann jedoch setzten bei der Riesin die Wehen ein. Sie hatte wohl befunden, jetzt sicher genug zu sein und begann, ihr Kind zu gebären. Das hieß für Madame Maxime und Barbara, schnellstmöglich den Rückzug anzutreten.
"Bei Augustin", zischte sie Barbara zu. Diese nickte und disapparierte, während die Schulleiterin ebenfalls verschwand. Die Höhle würde wohl noch lautere Schreie überstehen müssen, dachte Barbara. Doch die Zwerge hatten mit der ihnen eigenen Zauberkraft jede zum Wohnen oder passieren gedachte Höhle härter als diamant werden lassen, wußte sie von Lutetia Arno. Da würde die Gebärende wohl keinen Einsturz heraufbeschwören.
"So, jetzt möchte ich von Ihnen beiden wissen, wie das mit dieser Riesin funktioniert hat und wie Sie gedenken, sie am Leben zu halten, wenn wir sie schon nicht töten durften", wandte sich Monsieur Grandville an Madame Maxime.
"Seit Sie mich vorwarnten, daß eine offenbar schwangere Riesin unser Land betreten hat, mutmaßte ich, daß ich diese Riesin kennen könnte. Ich traf daher gewisse Vorbereitungen, sie an einem Ort unterzubringen, an dem sie vor Menschen sicher ist und sie keinem Menschen etwas tun kann. Dann benutzte ich eine Kombination von Zaubern, die mir der junge Monsieur Latierre vorgeführt hat, um einen Behälter unleerbar mit Wasser zu füllen. Wasser kann aus der Umgebungsfeuchtigkeit und dem Grundwasser herbeigezaubert werden, wie sie wissen. Ich habe ein Faß entsprechend bezaubert, daß es mindestens einen Monat nicht mehr leer geht. Das mit den lebenden Tieren ist zwar kompliziert, weil sie nicht so einfach teleportiert werden können wie tote objekte. Doch wenn zwei auf Abschicken und empfangen eingerichtete Behälter gleicher Größe und Beschaffenheit erstellt werden geht auch das. Damit kann ich also auch genug Fleisch in die höhle befördern. Die Sendestation ist einer der Bauernhöfe, die üblicherweise Beauxbatons mit Nahrung beliefern. Insofern war es wesentlich einfacherer, Meglamora, so heißt die Riesin, am Leben zu halten. Allerdings wird es später nötig sein, ihr auch wieder freien Himmel und Landschaften zum laufen zu bieten, da sie nach der perinatalen Phase sicherlich Langeweile empfinden wird, wenn sie keinen Auslauf hat. Aber dieses möchte ich erst übernächste Woche mit Ihnen erörtern, wenn die Schulferien begonnen haben. Ich möchte anmerken, daß Meglamora zu den intelligenteren Vertreterinnen ihrer Art gehört. Dadurch wird sie etwas berechenbarer, wenn auch nicht gerade harmloser. Wenn Sie einverstanden sind und es dem Zaubereiminister vorschlagen möchten, könnte es für unsere Studien sehr wertvoll sein, ein lebendes Exemplar der Riesen im Lande zu beherbergen, natürlich weit genug fort von jeder menschlichen Ansiedlung und/oder Einrichtung."
"Nun, im Moment haben Sie sie wohl sicher untergebracht, Madame Maxime. Aber ob das auf Dauer geht, sie am Leben zu halten und ihr gar einen Lebensraum einzurichten muß ich mit anderen Experten besprechen und dem Zaubereiminister zur Entscheidung überlassen", sagte Grandville."
"Ich vertraue auf Monsieur Grandchapeaus Überblick und Achtung höher entwickelter Lebewesen", sagte Madame Maxime. Dann entschuldigte sie sich, weil sie durch den Einsatz die Vorbereitungen auf den kommenden Schultag vernachlässigt habe. Sie durfte per Flohpulver nach Beauxbatons zurückkehren.
"Das mit dem unleerbaren Wasserbehälter hat mein Schwiegerneffe für seine Frau erfunden. Ich hoffe, Madame Maxime erstattet ihm die fälligen Lizenzgebühren", sagte Barbara Latierre voller Stolz.
"Wie, ihre Nichte Mildrid trinkt Wasser aus Fässern?" Fragte Augustin verschmitzt grinsend.
"Nein, das nicht. Aber sie hat von Julius eine vielseitige Kanne bekommen, aus der man Wasser für Speisen oder Pflanzen ausgießen kann."
"Wie soll das denn gehen?" Fragte Augustin.
"Bewerben Sie sich um die Herstellungs- und Handelslizenz, Augustin", erwiderte Barbara Latierre vergnügt. Denn durch das, was Millie zum Geburtstag erhalten hatte, war es ihr nun bald möglich, ihre Latierre-Kühe zu jeder Tages- und Nachtzeit mit frischem Wasser zu versorgen, was die Nahrungsaufnahme und Milchproduktion sicherlich steigern würde. Sie verabschiedete sich von ihrem Kollegen aus dem Zauberwesenbüro, der nun koordinieren mußte, wie mit möglichen Zeugen für das Auftauchen der Riesin umgegangen werden mußte.
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Giscard hatte seine Ankündigung wahrgemacht und Julius als seinen dauerhaft präsenten Stellvertreter abkommandiert, auf den grünen Saal aufzupassen. So kam der wohl mit den ZAGs fertige Jungzauberer nur dann an die Frische Luft oder gar an den Strand, wenn wirklich niemand im grünen Saal war. Er hatte sich von Madame Rossignol die Erlaubnis eingeholt, seinen Pflegehelferschlüssel mit einem Bewegungsmeldezauber zu verbinden, den er in der Nähe der Tür an einen Tisch band. So konnte er schnell wieder in den grünen Saal zurück, wenn jemand dort eintrat. Dennoch blieb ihm wenig Zeit für draußen. Die Erstklässler schrieben Briefe an die Lieben zu Hause. Die zweit-, Dritt-, und Viertklässler begannen damit, die eigentlich für die Ferien aufgegebenen Hausaufgaben bereits in der letzten Woche zu machen, um zu Hause mehr Freiraum zu haben. Die ZAG-Schüler vertrieben sich die nach dem Stress gähnende Langeweile mit Schach und Kartenspiel, während die Sechstklässler immer mal wieder ausprobierten, ob die in diesem Jahr erlernten Zauber auch wirklich saßen, wobei sich einige andauernd mit abgedrehten Selbstverwandlungen traktierten. Julius war froh, daß er diesen Bereich der Verwandlungskunst bereits im Fortgeschrittenenkurs erlernt hatte. Denn einige schafften zwar die Hin- aber nicht die Rückverwandlung und mußten sich deshalb schadenfrohe Bemerkungen ihrer Mitschüler anhören.
"Gut, daß die aus der siebten jetzt die Proben für ihre Aufführung haben", meinte Julius einmal, als er Antoine Lasalle von einem giftgrünen Haarschopf befreite, bevor er zum alldonnerstäglichen Verwandlungskurs für Fortgeschrittene ging.
Am letzten Schultag bei ihrer Saalvorsteherin stand wie fast jedes Jahr die Zeugnisvergabe auf dem Programm. Da sie ja alle die ZAGs zu bestehen gehabt hatten, wurden keine Jahresendprüfungen in die Benotung eingebunden, sondern nur die über das Jahr erbrachten Leistungen und erzielten Erfolge zusammengefaßt. Dabei schnitten Julius mit einer Durchschnittsnote von 14,9 und Laurentine mit einer Durchschnittsnote von 14,1 Punkten am Besten ab. Ganz schlimm erwischte es Jasmine Jolis mit gerade sieben Bewertungspunkten im Durchschnitt und André, der gerade mit sechseinhalb Durchschnittspunkten sehr laut knirschend an der Versetzungsgrenze entlangschrammte.
"Ich werde abwarten, wie Ihre ZAGs ausgefallen sind, Mademoiselle Jolis und Monsieur Deckers. Sollten diese jedoch auch überwiegend unter dem Durchschnitt oder gar unzumutbar ausfallen, so werde ich anregen, ob die Lehrerkonferenz Ihretwegen aus den Ferien zurückbeordert wird, um zu befinden, ob Sie überhaupt noch einmal eine Möglichkeit erhalten sollten, weiterhin in dieser Akademie zu lernen. Ich konnte Sie ja nicht dazu anhalten, mein Beratungsangebot wahrzunehmen. Sie wußten da wohl auch ganz sicher, daß Sie von mir keine wohlwollenden Rückmeldungen zu erwarten hatten. Ich kann in Ihrem Sinne nur hoffen, daß dieser eklatante Leistungseinbruch ausschließlich auf die den ZAG-Prüfungen vorausgehenden Stress- und Angstphasen zurückzuführen war und sich durch erfolgreich bestandene Prüfungen aufwiegen läßt. Andernfalls muß ich Ihnen mutwillige Leistungsverweigerung, also Faulheit unterstellen. Ich habe Sie beide in meinem Unterricht oft genug angehalten, mehr zu zeigen. Das sollen wohl die einzigen beiden vorzeigbaren Noten ausdrücken, die Sie in Ihrem Zeugnis stehen haben. Auch wenn Sie jetzt der Meinung sind, daß Sie nur meinetwegen gute oder schlechte Noten erhalten, möchte ich Sie daran erinnern, daß sie Ihre eigene Zukunft bestimmen, indem Sie sich möglichst vorteilhaft einbringen. Und wenn einer von Ihnen beiden jetzt einzuwenden wagen sollte, daß nach den Noten vor den UTZs kein Hahn auf dem Mist kräht, so sehe ich mich verpflichtet, Sie darauf hinzuweisen, daß es Arbeitgeber in der magischen Welt gibt, die sehr wohl prüfen, wie sich jemand in den Fächern eingebracht und entwickelt hat, die er oder sie als verbindlich für den entsprechenden Beruf ansieht. Sie, Mademoiselle Pontier müssen nicht so schadenfroh grinsen, nur weil sie einen Punkt im Durchschnitt besser abgeschnitten haben als Ihre Kameradin Jolis", ergoß Professeur Faucon ihr Mißfallen auch über Irene, dieJasmine sehr gehässige Blicke zuwarf. Jasmine hockte wie ein Häuflein Elend auf ihrem Stuhl, während André kampfbereit straff auf seinem Stuhl thronte und dann, als die Lehrerin die Schimpftirade beendet hatte sagte:"
"Es wäre für mich sicher mehr drin gewesen, wenn der von Ihnen so extra geförderte Musterschüler Julius Latierre geborener Andrews mehr Zeit für die achso zurückgefallenen Kameraden aufgebracht hätte."
"Sonst ein Problem, André?" Fragte Julius, dem Professeur Faucon durch Nicken das Wort erteilte. Dann fragte er sehr entschlossen in die Runde: "Findet noch wer, ich hätte ihm oder ihr nicht genug geholfen und meint, ich hätte euch allen bessere Noten verschaffen müssen?"
Robert machte zwar anstalten, was zu sagen. Doch er blieb ruhig. Laurentine, Céline und Gérard erklärten verbindlich, daß sie ihm ganz sicher keine Schuld an Andrés Notendurchschnitt gaben. Außerdem hätte er ja wohl schlecht in den drei Monaten bei Madame Maxime jedem hier helfen können. Laurentine meldete sich dann noch mal:
"Du meinst doch nur, Julius hätte dir im Schlafsaal die Kniffe zeigen müssen, um bessere Noten zu kriegen, weil du gemerkt hast, daß wir anderen alle gut eingespielt sind. Hättest dich doch dazusetzen können, als wir wiederholt haben, André. Keiner hätte dich zurückgestoßen."
"Wieso du auf einmal so gut bist wissen nur die Wichtel", zischte Jasmine. Céline sah sich nun als stellvertretende Saalsprecherin gefordert und sagte nach Erteilung des Wortes:
"Es ist richtig, daß Julius hier viel mehr hingekriegt hat. Aber ihm wird hier auch verdammt viel mehr abverlangt als uns anderen, weil wir nicht mit so überstarken Zauberkräften gesegnet sind. Da darf er doch wohl mal Erholungspausen haben und nicht von Leuten behelligt werden, die ihren Allerwertesten nicht hochbekommen. Was dich angeht, Jasmine, so habe ich dir immer wieder angeboten, mit Laurentine und mir zu wiederholen oder die Sachen aus dem laufenden Jahr zu machen, nicht nur Verwandlung oder Fluchabwehr, sondern auch Zauberkunst und Kräuterkunde. Also hört bitte oder auch gefälligst damit auf, jemandem die Schuld an euren schlechten Zeugnissen in die Schuhe schieben zu wollen. Das kommt nicht gut rüber, nicht für Julius, nicht für mich, und Professeur Faucon sieht auch so aus, als könnte sie euch das übelnehmen."
"Du sagst, Julius wird drangsaliert, getrieben oder wie immer das genannt wird. Dann müßten ihm doch die Sachen, die uns Normalos als ausführbar zugemutet werden doch so leicht fallen, daß er die uns locker beibringen könnte", beharrte André aufseiner Behauptung. Julius hob die Hand und erhielt das Wort.
"Ich habe einmal einen sehr wichtigen Entschluß gefaßt, nämlich den, mich nicht mehr für das zu schämen, was ich bin, sondern nur noch für das, was ich nicht richtig gemacht habe. Sicher fallen mir praktische Sachen leichter als vielen anderen hier. Aber dafür kann ich nichts. Die Sachen zu erklären ist für mich genauso schwierig wie für jeden anderen von euch. Nur weil ich den ganzen Stoff von der nächsten Klasse schon praktisch umsetzen kann ffliegt mir das Wissen darüber nicht zu. Ich muß das alles erst einmal nachlesen und verstehen, genau wie ihr das nachlesen und verstehen könnt. Céline hat völlig recht, daß sie mir hier mehr zu tun geben als euch. Aber ich war immer da, wenn jemand konkrete Hilfe haben wollte. Das werden euch alle bezeugen, ob aus der ersten oder der siebten Klasse. Also mich jetzt für einen selbstsüchtigen Streber zu halten, der seine Kameraden fast in die Ehrenrunde reinrasseln läßt, um selbst supergut dazustehen, lasse ich mir von keinem hier bieten. Merkst du eigentlich nicht, wie idiotisch du dich hier gerade aufführst, André. Du versuchst, ein schlechtes Zeugnis damit zu verteidigen, daß dir niemand hat helfen wollen. Du hast am Tisch immer so getan, als wäre es dir gleich, ob du hier gute oder schlechte Noten kriegst und hast dich schön zurückgehalten, wenn Robert, Gérard und ich uns über die Stunden unterhalten oder Wiederholungssachen besprochen haben. Da hättest du doch fragen können, ob Gérard, Robert oder ich dir das eine oder andere noch mal erklären können. Wenn du dazu zu schüchtern warst - was ich sogar irgendwie verstehen kann - wundert mich das jetzt um so mehr, daß du hier behauptest, ich hätte dich nur um selbst gut wegzukommen hinten runterfallen lassen. Das ist so stark, daß dafür keine richtigen Wörter existieren, um das zu beschreiben. Wenn du das gerade wirklich nur als Entschuldigung gebracht hast, um Professeur Faucon oder uns besser gelaunt zu stimmen kann ich nur sagen: Netter Versuch."
André glubschte Julius zwar an, schwieg jedoch. Er sah es wohl ein, wie dämlich er sich gerade angestellt hatte. Das hätte er doch echt nicht in der Stunde bei Professeur Faucon anbringen müssen. So war es auch kein Wunder, daß die Lehrerin sagte:
"Wegen fadenscheiniger, und intellektuell sehr geringwertiger Ausreden für dokumentierte Nachlässigkeiten ergehen an Sie dreißig Strafpunkte, Monsieur Deckers. Da ich das Vergnügen hatte, Ihre ältere Schwester unterrichten zu dürfen und daher befinden kann, daß es keinen erblich bedingten Grund für Sie gibt, schlechtere Leistungen zu zeigen, bleibt meine Ankündigung aufrecht. Mehr noch: Sollten Sie sich nicht in den nächsten Tagen schriftlich bei mir und Monsieur Latierre für Ihre ungerechtfertigte Zuweisung entschuldigen, wird die Ihretwegen einzuberufene Konferenz wohl sehr kurz und schmerzvoll Ihren Ausschluß aus der weiteren Ausbildung verfügen. Es sei denn, es erweist sich tatsächlich so, daß Ihre ZAG-Ergebnisse jeden Vorwurf der mutwilligen Leistungsverweigerung widerlegen. Aber so wie Sie sich gerade aufgeführt haben fürchte ich, daß Sie um Ihre Prüfungsergebnisse bangen müssen, weil Sie sonst frank und frei hätten einwänden können, daß Ihnen die Prüfungen in diesem Jahr wichtiger waren als der Rest des Schuljahres." André sah sich spöttischen Gesichtern ausgeliefert. Er meldete sich und grummelte:
"Womöglich habe ich es falsch rübergebracht, Professeur Faucon. Ich wollte lediglich erwähnen, daß ich nicht gerade vor anderen, ob im Schlafsaal oder beim grünen Tisch was konkretes wissen wollte. Das kann Julius natürlich nicht wissen, weil er wohl keine Gedanken hören kann wie Ihre Kollegin Fixus. Ich werde die von Ihnen geforderte schriftliche Entschuldigung schreiben."
"Außerdem - und dies gilt selbstverständlich für Sie alle - werden Sie die Ihnen ausgehändigten Zeugnisse Ihren Eltern oder sonstigen Fürsorgepersonen zur Unterschrift vorlegen. Nach den Sommerferien bringen Sie mir wie üblich die unterschriebenen Zeugnisse zur Kopie für meine Akten zurück! Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Da wir uns nicht mehr in dieser Besetzung sehen werden, möchte ich mich bei Ihnen bedanken und Ihnen für die ZAG-Prüfungen die möglichst besten Ergebnisse wünschen. Wer die in den Berufsberatungen erörterten Mindestanforderungen erfüllt hat und sich davon angespornt fühlt, auch die kommenden zwei Jahre den Unterricht Transfiguration und/oder Protektion wider destruktive Formen der Magie wahrzunehmen, ist jetzt schon herzlich willkommen, sofern er oder sie nicht meint, nur herumsitzen zu wollen. Der Lehrstoff ist umfangreicher, und die praktischen Anforderungen sind höher, zumal Sie alle dann auch erlernen müssen, Zauber ungesagt auszuführen. Daher erholen Sie sich gut in den Ferien. Hausaufgaben gibt es keine. Und jetzt hinaus mit Ihnen!"
"Auf wiedersehen, Professeur Faucon", grüßten alle im Chor, bevor sie die Klasse verließen. Céline, Laurentine und Robert hielten sich in Julius' Nähe.
"So ein Idiot", grummelte Laurentine. "Dabei habe ich gedacht, ich wäre schon blöd genug, das nicht zu blicken, was ich hier lernen kann, wenn ich das nur will."
"Das hast du ja noch rausgefunden", sagte Céline. Robert meinte dann noch:
"Du kannst nicht mit allen gleichzeitig Händchen halten, Julius. Ich habe das zwar auch manchmal gedacht, warum du nie da warst, wenn es mal was kompliziertes zu pauken gab. Aber ich kapiere was Céline sagt. Die hängen dir hier soviel ans Bein, daß du jede freie Sekunde verdient hast. Davon haben wir dann im nächsten Jahr wohl ein paar mehr." Julius nickte. Dann war ihm danach, an die frische Luft zu kommen. Er hoffte nur, daß André seinen Frust jetzt nicht an Julius' Sachen ausließ. Da aber Robert und Gérard gerade mit ihm unterwegs waren, würde der Verdacht dann ziemlich schnell auf ihn fallen. So dämlich durfte doch kein Mensch sein.
Tatsächlich fand Julius seine Sachen am Abend unversehrt, und auch das Bett war intakt. Die Bilder hingen noch an der Wand, wohl auch, weil sie mit entsprechenden Warnzaubern vor unerwünschtem Zugriff gesichert waren. Dennoch wirkte Julius seit langer Zeit mal wieder den Pacibiculum-Zauber, um ungestört schlafen zu können. Den wandte Millie jetzt auch immer an, um Bernadette von weiteren Bettkontrollen lange nach dem Lichtlöschen abzuhalten. Morgen waren der Abschlußball und die Aufführung. Übermorgen ging es nach Hause. Er dachte nur daran, ob Madame Maxime ihn zu einem der zehn besten Schüler erklären würde, wie in den beiden Jahren davor. Das mochte solche Idioten wie André noch mehr auf die Idee bringen, sie würden ihm hier alles leicht machen und die anderen hinten runterfallen lassen. Doch was hatte er im Unterricht gesagt und durch Laurentine sogar bestätigt bekommen? Für das, was er war mußte er sich nicht schämen.
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Die letzte Saalsprecherkonferenz des Schuljahres war eine Zusammenfassung der Geschehnisse und wie Beauxbatons darin verwickelt war oder darauf reagiert hatte. Das ging mit Professeur Pivert los - wobei Yvonne sich sehr dezent zurückhielt - und behandelte die Belagerungszeit durch Didier, den Angriff der Schlangenkrieger, die dadurch vorverlegten Osterferien und die Vernichtung Voldemorts und die damit zusammenfallende Entmachtung des Todesserregimes in Großbritannien. Ganz zum Schluß sagte Madame Maxime mit einer gewissen Wehmut in der Stimme, die niemand hier so recht zuordnen mochte:
"Es beruhigt und erfreut mich sehr, daß die Beauxbatons-Akademie nach wie vor ein Ort der Sicherheit und hohen Bildung geblieben ist, trotz aller Beeinträchtigungen, den wir hier und die restliche Zaubererwelt ausgeliefert waren. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, mich bei Ihnen allen zu bedanken, daß sie, bis auf wenige Abweichungen, Ihrem Rang und Ihrer Verantwortung dienlich die Geschicke dieser Akademie mit uns vomLeerkörper zusammen durch dieses Jahr gelenkt haben und Ihren Mitschülern damit den Halt und die Sicherheit boten, die für junge Menschen im allgemeinen und junge Hexen und Zauberer im besonderen unabdingbar sind, wenn sie auf die Welt außerhalb unserer Schulgrenzen vorbereitet sein wollen. Ich bin froh, mit Ihnen zusammen Ihren Eltern und denen der mit Ihnen hier lebenden und lernenden Schülerinnen und Schüler, versichern zu dürfen, daß ihre Kinder weiterhin beschützt, genährt und unterrichtet werden, und sie keine Sorgen zu haben brauchen, weil ihre Kinder, sofern sie die nötigen Regeln einhalten, sieben wertvolle Jahre in diesen Mauern verbringen und ihre eigene Zukunft zu gestalten lernen können. Die Fährnisse und Gefahren, die vor allem in diesem Jahr unsere Sicherheit und unseren Zusammenhalt bedrohten, konnten nur überwunden werden, weil jeder von Ihnen erkannte, wie wichtig Besonnenheit, Durchsetzungsvermögen und Einsatzbereitschaft sind und seinen oder ihren Mitschülern damit ein leuchtendes Beispiel bot, dem sie alle folgen konnten. Zwar mußte ich Sie, Mademoiselle Lavalette, zwischenzeitlich suspendieren, weil ich offenkundig einen geistig-seelischen Konflikt in Ihnen angestachelt habe, Ihren Eifer für erfolgreiche ZAG-Prüfungen und Ihre Pflicht der Akademie gegenüber nicht in Einklang bringen zu können. Ich setze auf Ihre Intelligenz, daß Sie die Aufgaben einer Saalsprecherin oder Stellvertreterin im nächsten Jahr mit mehr Ruhe und Ausgewogenheit erfüllen werden und dem von Ihnen bewohnten Saal damit ein gutes Beispiel sein werden." Madame Maxime sah Bernadette an, die offenbar was sagen wollte, es dann lieber nur bei einem zustimmenden Nicken beließ. Dann sah sie Yvonne Pivert und die andern Siebtklässler an, die morgen ihre Broschen für immer abgeben durften. "Sie, die sie mindestens ein Jahr lang die ehrenvolle Aufgabe versahen, Ihren Mitschülern als Ansprechpartner, Betreuer und Unterstützer zur Verfügung zu stehen, haben uns Lehrern sehr geholfen, den Frieden und die nötige Ordnung innerhalb der Akademie zu bewahren, so daß wir Ihnen und Ihren Mitschülern mit voller Einsatzfreude und nach bestem Wissen und Gewissen Unterricht in allen Studienfeldern der Magie erteilen konnten und von unserem bescheidenen Wissen und Können so viel an Sie weiterzugeben vermochten, daß Sie alle ein eigenständiges Leben für sich und mögliche Familienangehörigen aufbauen können, sowohl im Alltag wie auch im Berufsleben Ihren Anforderungen und Bedürfnissen gerecht werden und als wertvolle Mitglieder der magischen Gemeinschaft kommenden Generationen den Weg bereiten und Lebensziele anbieten können, egal, ob Sie Beamte im Zaubereiministerium, Mitarbeiter namhafter Unternehmen der magischen Welt, oder als Sportler, Künstler oder gastwirtschaftliche Mitarbeiter der Erholung Ihrer Mitmenschen dienen oder vielleicht eigene Geschäftsmodelle entwickeln, um ein einträgliches Leben zu führen und für nach Ihnen diese Schule besuchenden Hexen und Zauberern neue Arbeitsplätze erschließen. Vorstellbar ist auch - das erwähne ich selbstverständlich mit großem Wohlwollen, daß der eine oder die andere von Ihnen in einer längenmäßig nicht bestimmbaren Zukunft als Lehrer oder Lehrerin hierher zurückkehrt, um der Akademie, die Ihnen das Rüstzeug für das Leben gab, bei der geistigen und charakterlichen Ausstattung neuer Schülergenerationen behilflich zu sein. Schließen Sie das bitte nicht gleich kategorisch aus! Ich gehöre selbst zu denen, die früher davon ausgingen, hier keine Anstellung antreten zu wollen, bis ich erkannte, daß hier zu lehren und zu wirken ein sehr erhabenes und angesehenes Betätigungsfeld ist, und jeder mit dem willen, Wissen weiterzugeben, auch den natürlichen Widerständen desinteressierter Jungen und Mädchen entgegentreten kann, um zu beweisen, daß vermitteltes Wissen alles Gold von Gringotts aufzuwiegen vermag. Wo immer Sie aus der hoffentlich erfolgreich examinierten UTZ-Klasse ab morgen Ihren Platz im Leben finden werden, darf ich Ihnen als amtierende Direktrice der Beauxbatons-Akademie verbindlich bekunden, daß der Dank der Beauxbatons-Akademie Sie auf allen Ihren Wegen begleiten wird. Sie haben sich ausgezeichnet und werden neben meinen Worten eine schriftliche Anerkenntnisurkunde und Empfehlung erhalten, wenn Sie morgen nach dem Abendessen die Zeichen Ihrer besonderen Rangstellung an mich aushändigen. Vielen Dank für Ihre Mitarbeit!" Julius fragte sich, ob der letzte Satz nicht völlig ausgereicht hätte. Doch da wandte sich Madame Maxime an jene, die entweder gerade ihr ZAG-Jahr beendeten oder das Jahr zwischen ZAGs und UTZs hinter sich hatten. "Für sie, die mindestens noch ein Jahr an dieser Akademie ihre Ausbildung in den großen Studienfeldern der Magie erhalten: Ich setze sehr stark darauf, daß Sie weiterhin die Verantwortung und Einsatzbereitschaft, die Ihre von uns verliehene Rangstellung fordert, für Ihre Mitschüler aufbringen und diesen erhabenen Hort der magischen Bildung weiterhin als Stätte großer Wertschätzung und Wichtigkeit bewahren. Sollte es so sein, daß ich mein Amt, das mir ein überängstlicher Machterschleicher dieses Jahr zu entreißen trachtete, im nächsten oder übernächsten Jahr freiwillig zur Verfügung stelle, so kann ich mit bestem Gewissen meinem Nachfolger oder meiner Nachfolgerin Dank Ihrer Unterstützung und Anerkenntnis eine Lehranstalt von bestem Ruf und untadeliger Führung übergeben. Dies freut mich sehr, und dafür möchte ich mich bei Ihnen allen bedanken. Wie erwähnt werde ich jedem, der morgen von hier aus in das eigene Leben aufbricht nach dem gemeinsamen Abendessen eine schriftliche Bewertung und Empfehlung aushändigen, die Sie getrost als Schlüssel für manche schwere Tür betrachten dürfen. Erweisen Sie sich bitte dieses Lohns der Akademie stets als Würdig! Damit beschließe ich in meiner Eigenschaft als amtierende Leiterin der Beauxbatons-Akademie für französischsprachige Hexen und Zauberer die letzte Saalsprecherkonferenz des Schuljahres 1997/1998. Ich wünsche Ihnen allen noch einen angenehmen Tag."
Die Saalsprecher erhoben sich, bedankten und verabschiedeten sich im Chor und verließen das große Sprechzimmer, in dem Julius schon so häufig geheimen Sitzungen beigewohnt hatte. Als habe er seine Gedanken an Madame Maxime übermittelt oder diese von ihr übermittelt bekommen blickte sie Professeur Faucon an, die Julius dann zuwinkte, als die anderen bereits durch den hufeisenförmigen Korridor in Richtung Transpiktoralportal marschierten. Er ließ sich zurückfallen und wartete, bis keiner außer ihm mit Madame Maxime und Professeur Faucon im Wohn- und Arbeitstrakt der Schulleiterin stand.
Auf eine Stumme Geste der Schulleiterin kehrte er mit dieser und ihrer Stellvertreterin in den Besprechungsraum zurück und nahm Platz. Die Tür ging zu und verschloß damit den dauerhaft wirksamen Klankerker. Mit einer wie beiläufig wirkenden Zauberstabgeste beschwor Madame Maxime eine weiße Rose herauf, die sie durch Zauberkraft an den Kronleuchter hängte.
"Ich bitte Sie, Ihre Gattin und Mademoiselle Delacour so unauffällig es geht für zwei Uhr Nachmittags hierher zu geleiten, um der angezeigten Vollständigkeit halber der letzten Sitzung der neuen Sub-Rosa-Gruppe beizuwohnen. Immerhin hat diese außerministerielle Organisation dieses Jahr entscheidendes zur Rettung und Lebenssicherung unschuldiger Menschen hier und in Großbritannien geleistet und sollte daher nicht einfach so als beendet und nicht mehr benötigt hingenommen werden. Ich werde ihre Frau Mutter, Madame Brickston und Ihre Schwiegermutter und magische Fürsorgebeauftragte auf dem Weg der Bilder zu dieser Sitzung einladen. Da Ihre Mutter ja nun auch ganz offiziell und aus eigener Kraft das Flohnetz benutzen kann dürften Manöver wie Verwandlungszauber nicht mehr nötig sein. Da die Gruppierung und ihre Aktivitäten selbst dem Ministerium gegenüber geheim geblieben sind kann ich Ihnen leider keine wie auch immer geartete Anerkennung zukommen lassen. Aber wo Sie schon einmal hier sind möchte ich Ihnen sagen, daß Sie sich dafür, daß Sie in den vergangenen drei Jahren schwere Verluste erlitten und harte Anforderungen zu erfüllen hatten, sehr beherrscht und besonnen eingebracht haben. Weitere abschließende Einzelheiten werden wir dann während der Sitzung selbst besprechen. So, jetzt dürfen Sie gehen!" Julius bedankte sich und verließ den Konferenzraum. Als er wieder im allgemeinen Teil des Palastes war suchte er eine der Jungentoiletten auf, um Millie anzumentiloquieren.
"Bernie wird wohl nächstes Jahr eine Brosche tragen dürfen, und heute Nachmittag zwei Uhr letzte Sub-Rosa-Sitzung" schickte er an seine Frau ab, ohne daß ihm jemand dabei zusah, wie er das rote, sacht pulsierende Schmuckstück an die Stirn drückte.
"Bin jetzt am Strand. Kommst du auch?" Dachte ihm Millie zurück. Er bejahte es.
Nachdem er sich überzeugt hatte, daß niemand im grünen Saal war, zog er seine Badegarderobe an, wandschlüpfte in die Nähe des Teleportals und durchquerte es. Belisama machte Strandaufsicht. Bernadette war nirgends zu sehen. Seine Frau stand mit ihren zwei Cousinen und ihrer Tante Patricia am Strand. Er lief zu ihnen herüber. Nun sagte er noch laut, daß Bernadette von Madame Maxime wohl für fähig befunden wurde, nächstes Jahr eine der beiden Broschen zu behalten.
"Willst du uns echt den letzten Tag versauen?" Schnarrte Patricia. Dann winkte sie Marc Armand, der in den letzten Monaten einen gehörigen Schuß in die Höhe getan hatte. Julius fragte sich, wohin der Zweitklässler aus einer Muggelfamilie wachsen wollte, wo seine Eltern nicht größer waren als Durchschnittsmenschen. Hoffentlich hatte der nicht irgendeinen Streckzauber angestellt. Immerhin war er kein pummeliger Junge mehr.
"Hi, Julius! Ui, aus der Nähe bist du ja jetzt wie so'n Nordlandbarbar aus dem Rollenspiel, falls du sowas kennst."
"Kommt darauf an, welches du meinst, Marc", sagte Julius. "Ich habe mal AD&D gespielt, also die Kerker-und-Drachen-Welten. Daher kenne ich die Nordlangbarbaren noch und die Zauberer, die jeden gelernten Zauberspruch nur einmal bringen konnten und wenn sie ihn wieder können wollten neu zu lernen hatten."
"Häh?! Das war ein Spiel? Wo blieb denn da der Spaß, wenn jemand nur einmal was zaubern konnte?" Fragte Pattie.
"Es ging wohl darum, daß die Zauberer in diesem Spiel nicht übermächtig gegenüber denen mit Schwertern und Bögen sein durften und deshalb ihre Sprüche nur einmal loslassen konnten, falls sie sich beim Spielleiter nicht klar geäußert hatten, daß sie jetzt Feuerkugel zweimal oder Windhose dreimal gelernt hatten, damit sie den dann an einem gespielten Tag auch so oft loslassen konnten", erklärte Julius. Marc erwähnte, daß er ein anderes System gespielt hatte, wo Zauberer ihre Sprüche immer wieder konnten, aber eben dafür sogenannte Magiepunkte ausgeben mußten, die sie nur durch Schlaf wieder zurückgewinnen und deren Höchstmenge durch bestandene Abenteuer steigern konnten.
"Stimmt, wir brauchen ja auch Kraft, um Zauber zu bringen", meinte Millie. Dann gab sie jedoch als älteste der versammelten Gruppe die Anweisung aus, jetzt eine Runde schwimmen zu gehen. Julius ließ ihr das durchgehen und lieferte sich mit seinen verschwägerten Cousinen ein Wettschwimmen. Auch Patricia konnte gut mithalten, während Marc immer weiter zurückfiel.
"Den mußt du wohl wieder füttern, Pattie, wenn der beim Schwimmen nicht nur hinterherschwimmen soll", feixte Calypso Latierre.
"jetzt, wo er mehr lang als breit wächst geht das wohl wieder", erwiderte Patricia und nahm ihr Tempo zurück. Deshalb schwammen auch die anderen langsamer, bis Marc keuchend und prustend aufgeholt hatte.
"Ich will auch dieses Schwermacherding haben, mit dem Millie rumturnt", grummelte er. "Und bei dir ist wohl was von der alten Maxime in den Muskeln hängengeblieben, Julius. Wolltest du nach Sydney?"
"Nicht schwimmend", sagte Julius darauf. Er wußte natürlich, was Marc meinte. "Aber ich habe eine Bekannte da, die ich mal wieder besuchen könnte. Ist 'ne schöne Stadt, und das Umland ist auch sehr interessant."
"Wenn man keine Angst vor Giftschlangen hat", erwiderte Marc keuchend.
"Dagegen gibt's einen Trank", sagte Julius. "Die Australier haben ein Breitbandgegengift gegen tierische und pflanzliche Gifte und Gährstoffe erfunden." Er verriet jedoch nicht, daß er eine große Flasche von jener Mixtur immer mithatte.
"Gährstoffe? Meinst du Alk?" Fragte Marc.
"Hicks, jwaoll", lallte Julius.
"Ey, stark, dann kann man ja ganze Kompanien Bauarbeiter untern Tisch saufen und dann ohne Kater weiterfeiern."
"Das Zeug sollte eher dann benutzt werden, wenn du dir was tödliches eingefangen hast", korrigierte Julius den jüngeren Mitschüler. Er verschwieg natürlich, daß er dem russischen Zaubereiminister mit Hilfe seines Breitbandantidots bereits eine ordentliche Trinkfestigkeit vorgespielt hatte.
"Jedenfalls willst du nicht zu den Spielen 2000 hin, oder?" Kam Marc auf das eigentliche Thema zurück. Julius verneinte das. Er sagte: "Dieses Jahr wird England erst einmal Fußball-Weltmeister."
"Das glaubst du aber nur, weil du da ausgebrütet wurdest, Julius. Frankreich ist Gastgeber. Die holen den Pokal natürlich ins eigene Land."
"Das träumst du aber auch nur", erwiderte Julius, wenngleich er innerlich nicht so sicher war, ob der Heimvorteil den Franzosen nicht gehörigen Schwung und Spielwitz verpassen mochte.
"Das Spiel ist langweilig, Marc. Wir beide gehen nächstes Jahr in die Quidditchmannschaft rein. Dann lernst du es endlich, was richtiger Sport ist", schnaubte Patricia.
"Meine Eltern haben Maxime und Dedalus angeschrieben, daß die mich auf gar keinen Fall auf diesen Besen fliegen lassen, weil die nicht wollen, daß ich da runterfalle. Ich soll lieber Tennis spielen, sagt mein Vater."
"Ja, aber nur, wenn du nachts nicht einschlafen kannst, Süßer", grummelte Patricia. Julius überlegte, ob das für Marc wirklich so günstig war, nicht auf einem Besen fliegen zu dürfen. Dann durfte ihn auch keine zur Walpurgisnacht einladen. Das sagte er auch, um Patricia zu ärgern.
"Ich habe dieses Jahr mit Antigone die Soziusflugprüfung gemacht, damit ich nächstes Jahr da mitfliegen kann. Und wenn Marcs Eltern dem echt verbieten können, auf irgendeinem Besen mitzufliegen, muß ich wen anderen einladen. Das soll der sich mal überlegen."
"Das laß die besser unter sich ausmachen, Julius", flüsterte Millie ihrem Mann zu und zog ihn keck mit sich nach vorne.
"Meine Eltern waren auch nicht so begeistert, als sie mich Quidditch spielen sehen durften, und Mum hat wohl noch manchen Alptraum, in dem sie mich von einem Besen runterfallen sieht", erwiderte Julius, während er wie Millie mit einem Arm und den Beinen kräftige Brustzüge ausführte.
"Heh, die Familie Latierre und mögliche hinzukommende! Nicht so weit raus!" Erklang Belisamas magisch auf sie gerichtete Stimme.
"Hui, die gute Belisama hat den Zauber aber raus", trällerte Millie und nahm das Tempo zurück. Julius verzichtete darauf, seinen Zauberstab aus dem wasserdichten Futteral zu ziehen und den wie in einem eng begrenztem Bereich wirkbaren Fernflugstimmenzauber auszuführen. So kehrten sie wieder zum Strand zurück. Louis Vignier aus der zweiten Klasse führte allen anderen ein Surfbrett vor, das er von seinem Onkel geschenkt bekommen hatte.
Die Zeit bis zum Mittagessen verflog sehr Rasch. Julius stellte fest, daß er durch den Aufenthalt am Meer einen leichten Sonnenbrand abbekommen hatte und cremte sich dagegen mit Sonnenkrauttinktur ein.
Gegen halb zwei schaffte er es endlich, Gabrielle von Pierre loszueisen und ihr einen Zettel zuzustecken, daß sie um zwei Uhr noch einmal zu einer Sitzung unter der Rose antreten durfte. Sie erwähnte dann Pierre gegenüber, daß Madame Maxime mit ihr etwas wegen ihrer Schwester Fleur zu bereden habe und ging alleine los.
"Sieht diese Fleur echt noch heftiger aus als Gabie?" Fragte Pierre Marceau interessiert.
"Ja, tut sie. Vielleicht triffst du die in den Ferien ja mal."
"Vergiß es! Seitdem mein Paps bald hinter Gabies Ma hergedackelt ist, nur weil die freundlich gelächelt hat, hat Ma mir verboten, die auch nur eine Minute ohne Aufsicht durch wen von Beaux zu besuchen. Die meint, die Delacours hätten was unanständiges gemacht, daß denen alle Männer hinterherlaufen. Ich habe denen zwar erzählt, daß die da nix für können, weil Gabies Oma irgendein menschenähnliches Zauberwesen ist, daß von Natur aus supertoll aussieht, aber Ma glaubt's nicht. Du hättest die mal sehen sollen, wie wütend die Gabies Ma angeglubscht hat."
"Wir Jungs werden von denen angezogen, während Mädchen und Frauen sich angewidert oder bedroht fühlen. Wenn du mit Gabrielle mehr als ein Jahr zusammen sein möchtest, mußt du dich da wohl dran gewöhnen", erwiderte Julius. Dann blickte er auf seine Uhr und entschuldigte sich, er habe noch eine Verabredung mit seiner Frau, was ja nicht einmal gelogen war. Er wandschlüpfte zum achten Stock und wartete auf Millie, die eine Minute vor zwei Uhr aus demselben Wandstück wie er herausfiel und zu ihm hinlief. Das ständig streitende Königspaar unterbrach den um alles mögliche gehenden Zwist, als Julius lautstark das Passwort "Radices Mundi!" ausrief. Die meistens zankenden Majestäten erröteten, weil Julius das Wort so laut gerufen hatte, daß unbefugte es hätten hören können.
"Ab morgen könnt ihr ja ausruhen und ein neues Passwort aussuchen", sagte Julius unbekümmert und reichte dem König die Hand, während Millie der Königin die Hand gab. So wechselten sie hinüber zu Madame Maxime.
Catherine und Julius' Mutter waren schon da. Martha Andrews wirkte leicht blaß um die Nase, weil ihr das Flohpulvern offenbar nicht so bekam. Punkt zwei Uhr fauchten Millies Eltern noch herein. Gabrielle saß bereits im großen Konferenzzimmer. Wieder hing vom Kronleuchter eine weiße Rose herab. Die Delacours trafen per Kamin um kurz nach zwei Uhr ein. Zum schluß traf noch Professeur Faucon ein und schloß die Tür. Aus einem der Schulleiterbilder beobachtete sie Jane Porters gerade bildhaft erscheinendes Ich.
"Ich habe noch einmal um eine Zusammenkunft dieser Gruppe gebeten, weil ich der Meinung bin, daß wir alle unsere Erlebnisse, sowie die von uns durchgeführten Projekte beurteilen und einen ordentlichen Abschluß unserer heimlichen Tätigkeit begehen sollten", eröffnete Madame Maxime die letzte Sitzung der neuen Sub-Rosa-Gruppe. Sie breitete mehrere Ausgaben des Tagespropheten, des Klitterers, Umbridges unsägliche Anti-Schlammblut-Broschüre und mehrere Ausgaben des Miroirs und der Temps de Liberté auf dem Tisch aus. "In diesen Zeitungen und sonstigen mehr oder weniger ordentlichen Druckerzeugnissen läßt sich die Entwicklung von September 1997 bis zum Juni 1998 nachvollziehen. Diesen langen Zeitraum haben Sie und ich alle mit Ihren zu Gebote stehenden Kenntnissen und Möglichkeiten daran gearbeitet, die Auswirkungen des Terrors, den eine Bande fanatischer Rassisten auf Großbritannien, Irland und Festlandeuropa ausübten, da wo es ging einzudämmen, seine Erfolge zu schmälern und unschuldigen Menschen Leben und Freiheit zu erhalten. Fast wäre es durch ein gelungenes Erpressungsmanöver gelungen, zumindest die direkten Kontaktleute in die britische Zaubererwelt an den Feind auszuliefern. Nur der Jahrtausendzufall, daß einen Tag später der Urheber des verbrecherischen Wahnsinns sein Ende fand, verhinderte die Offenbarung unserer Verbündeten. In diesen Massenschriften wird mit keinem Wort erwähnt, wie viele Menschen Sie und ich vor einer ungerechtfertigten Inhaftierung bewahrt und deren Leben und das ihrer Angehörigen gerettet haben. Sie dürfen diesen Nachrichten- und Meinungsverbreitern jedoch entnehmen, daß unsere Arbeit wichtig und richtig war. Denn die unter der Führung der Todesser ausgelieferten Exemplare des Tagespropheten verkündeten immer wieder, daß sogenannte Greifer umherstrolchten, die flüchtige Feinde des Regimes suchten, also auch jene, die durch den Umstand, ohne magische Eltern magische Kräfte entfalten zu können, zu Verbrechern abgestempelt wurden. Diese Greifer wurden, soviel erfuhr ich mittlerweile von meiner mittlerweile ordentlich als Schulleiterin von Hogwarts bestimmten Kollegin Professor MacGönnagöll, aus Taugenichtsen und brutalen Elementen der Zaubererwelt rekrutiert und arbeiteten allein des materiellen Lohns wegen für jene, die die Ausrottung aller Abkömmlinge magieloser Eltern beschlossen hatten. Meine berufsmäßige Selbstbeherrschung verbietet mir, mich überschwenglich zu freuen, ja eine gewisse Schadenfreude zu empfinden, daß diesen Nutznießern einer Gewaltherrschaft so viele einträgliche Entlohnungen versagt blieben, weil ihnen die Beute vor den ungeratenen Nasen entwischen konnte. Daß dies gelang dürfen wir uns als das wesentliche Verdienst unserer geheimen Tätigkeiten zuerkennen. Ich möchte nun die erfreuliche Begebenheit, wieder in einer etwas friedlicheren Zaubererwelt zu leben nutzen, um von Ihnen nacheinander eine Selbsteinschätzung der von Ihnen übernommenen und durchgeführten Aufgaben zu erfahren."
Professeur Faucon begann die Runde derer, die zusammenfassen durften. Dann kam Martha Andrews dran, die schilderte, wie sie die Fluchthilfe organnisiert und mit den britischen Kontaktleuten zusammengearbeitet hatte. Sie erwähnte den Transport der Antisonden nach Großbritannien und die Repressalien Didiers und Pétains. Die Delacours richteten Grüße von ihrer Tochter Fleur und deren Mann Bill Weasley aus und übermittelten deren Dank für die Hilfe bei der Unterbringung flüchtiger Muggelstämmiger und deren heimliche Abreise. Gabrielle konnte nur beschreiben, daß sie wie ihre Eltern Briefe mit Fleur ausgetauscht habe, bis Didiers Belagerung jede Eulenpost unmöglich gemacht hätte. Die Latierres erwähnten noch einmal die Befreiungsaktion für Gloria, Betty, Jenna und Kevin, wobei Julius anfügen konnte, daß die vier zwar sicher in Thorntails untergebracht gewesen seien, jedoch wohl nicht länger in den Staaten geduldet würden, solange Lucas Wishbone dort Zaubereiminister sei und womöglich neu entschieden werden müsse, ob sie dort weiterlernen oder doch nach Hogwarts zurückkehren sollten.
"Zu dem Punkt darf ich Ihnen mitteilen, daß bereits Verhandlungen mit dem neuen britischen Zaubereiministerium laufen, daß das Schuljahr dort komplett wiederholt wird, besser, es so beginnt, daß die, die letztes Jahr gewaltsam vom Besuch abgehalten wurden, mit den neuen Erstklässlern zusammen die Schulzeit beginnen und alle anderen die Gelegenheit haben, das Jahr zu wiederholen, auch wenn sie als Muggelstämmige wie die Erstklässler inhaftiert wurden. Wie genau dies dann durchgeführt wird steht noch aus, da ja dann ein wesentlich stärkerer Erstklässlerjahrgang dort untergebracht werden muß", berichtete Madame Maxime.
"Dann wäre es für Gloria und die drei anderen wohl möglich, dort wieder eingeschult zu werden und das ZAG-Jahr ordentlich zu wiederholen", wandte die im Bild mithörende Jane Porter ein.
"Das hängt davon ab, ob die Kollegin Wright die Familien der betreffenden Schüler vielleicht doch als im Lande geduldet anerkennen lassen kann, bis die vier Schüler die Ausbildung in Thorntails beendet haben", wandte Professeur Faucon ein.
"Ich denke, Gloria und die anderen möchten vielleicht nur dann dort bleiben, wenn die ZAGs anerkannt werden", erwähnte Julius. "Mein letzter Kontakt mit Gloria ließ das noch offen. Wishbones Ministerium denkt wohl daran, sie nur als Austauschschüler zu werten und ihre Eltern als nur geduldet aber nicht als asylberechtigt anzusehen."
"Wenn die dortige Ausbildungsabteilung die vier als Austauschschüler akzeptiert, haben sie Anspruch auf eine ordentliche Durchführung und volle Anerkennung bestandener ZAG-Prüfungen", warf Madame Maxime ein. "Das könnte ein bildungsrechtlicher Präzedenzfall sein, ob die ZAG-Prüfungen vom Wohlwollen eines Ministers abhängig gemacht werden dürfen." Keiner wagte, was dagegen zu sagen.
Als dann alle ihre Erlebnisse und Schlußfolgerungen vorgetragen hatten, bedankte sich Madame Maxime noch einmal für die hervorragende Zusammenarbeit und gab an Martha Andrews noch den Wunsch weiter, daß sie ihre neugewonnenen Fähigkeiten so umfangreich sie konnte zu nutzen lerne und sie durchaus mit der Ausbildungsabteilung sprechen könne, daß sie, Martha, in ein oder zwei Jahren in den Sommerferien zur ZAG-Prüfung antreten könne, um sich weitergesteckte Berufsaussichten in der Zaubererwelt zu erschließen. Catherine, die wie ihre Tante Madeleine und Antoinette Eauvive für die magische Ausbildung Marthas verantwortlich war, beteuerte, daß sie das was sie ihr beibringen konnte auch weiterhin unterrichten würde, sofern Martha sie ließe. Julius' Mutter verzog zwar einen winzigen Moment das Gesicht, nickte dann jedoch sehr entschlossen in Catherines Richtung. Dann sagte sie noch:
"Nun, ich bin jetzt, wo ich diese Kaminfeuertransportverbindung nutzen kann häufiger im Château Florissant und auch im Château Tournesol. Die dort wohnenden Leute möchten mir auch helfen, dieses mir förmlich zugeflossene neue Wissen und Können so weit das geht auszuschöpfen."
"Dann verbleibt mir nur, Ihnen auf diesem Weg jeden verdienten Erfolg und ein einträgliches, langes Leben zu wünschen, Madame Andrews", erwiderte Madame Maxime darauf. danach richtete sie das Wort noch einmal an die versammelte Gruppe: "Somit befinde ich, daß unsere Arbeit getan ist, so daß wir auch in der Gewißheit, daß uns niemand offen dafür danken kann, der Dankbarkeit derer bewußt sind, deren Leben wir alle zusammen gerettet haben. Hiermit erkläre ich den Zweck unserer Zusammenkünfte für höchst erfreulich erfüllt und erkläre die neue Sub-Rosa-Gemeinschaft zum Zwecke geheimer Hilfsmaßnahmen für britische Hexen und Zauberer für ehrenhaft beendet. Noch einmal vielen Dank für Ihre Mithilfe und viel Glück und Erfolg Ihnen allen. Bitte bewahren Sie weiterhin jedem außerhalb dieses Raumes gegenüber Stillschweigen über unsere Tätigkeit! Vielleicht werden die schriftlichen Dokumente, die wir zusammen angelegt haben, irgendwann unsere Arbeit bezeugen, um der Nachwelt zu verdeutlichen, daß Widerstand gegen ein Unrechtsregime nicht sinnlos, und selbst die kleinsteHilfe wertvoll ist. Auf Wiedersehen!"
Alle anderen verabschiedeten sich auch und verließen wortlos den Besprechungsraum. Im sechseckigen Empfangsraum drückte Martha ihren Sohn noch einmal an sich und flüsterte: "Ich bin morgen abend noch in Millemerveilles, mit den Kollegen und den zehnjährigen den Abschluß der Grundschulzeit feiern. Du kannst mit Millie in die pariser Wohnung rein."
"Dann kommst du abends Spät wieder?" Fragte Julius leise.
"So gegen zwölf wohl. Babette schläft dann bei den Dusoleils."
"Wo noch ein Baby rumplärrt", erwiderte Julius frech.
"Camille meinte, du möchtest so früh es geht nach Ferienbeginn zu ihr und Florymont rüber, um dir die Kleine anzusehen." Julius nickte. Dann sah er zu, wie seine Mutter im smaragdgrünen Flohpulverfeuer verschwand.
"Dann haben wir morgen wohl sturmfreie Bude", meinte Millie zu Julius. Dieser wandte nur ein, daß Catherine und Joe wohl in ihrer Wohnung waren. Millie meinte dazu nur, daß die doch wohl nichts mitbekommen würden, wenn sie sich leise anstellten.
"Joe war mehrere Monate in Millemerveilles, Millie. Da haben sie ihn rumkommandiert, ihm gesagt, was von der Muggelwelt nicht so doll angesagt war, Catherine und ihre Tante haben meine Mutter mit ihren Zaubergaben vertraut gemacht. Kann sein, daß der jetzt in seiner Wohnung wieder den großen Kommandanten raushängen läßt. Solange wir nicht volljährig sind könnte der meinen, in Abwesenheit von Mum klarzustellen, daß wir nichts machen, was minderjährigen nicht zusteht."
"Dann ziehen wir zu Oma Line um. Die hat nix dagegen, daß wir das Bett teilen", flüsterte Millie verrucht und erzielte die gewünschte Wirkung, nämlich daß Julius sehr begehrend zu ihr hinsah. Offenbar reizte sie es, nun, wo er fast so groß wie sie gewachsen war, neue Erfahrungen zu machen. Und sie wußte, daß er das sicherlich auch wollte.
Wie jedes Jahr zur Abschlußballzeit belegten die Mädchen stundenlang die Badezimmer, um sich zu kleiden, schminken und herauszuputzen, während die Jungen nur prüften, ob die Festumhänge noch knitterfrei und sauber waren. Die Siebtklässler waren bereits in der Aula, um die letzten Vorbereitungen für ihre Aufführung zu machen, zumindest diejenigen, die die Abschiedsvorstellung einstudiert hatten. So blieben Céline und Julius wieder als Ordner vom Dienst. Während Céline in einem meergrünen Satinkleid die ganzen Mädchen auf geordnete Garderobe und nicht zu schrille Gesichtsbemalung prüfte, wobei sie Gabrielles himmelblaues Kleid wegen eines ziemlich tiefen Ausschnitts beanstandete und den Ausschnitt mit einem Nähzauber nach oben hin etwas harmloser ausführte, nahm Julius wie ein Unteroffizier das Erscheinungsbild der Jungen in Augenschein. Pierre hatte sich einen lindgrünen Festumhang mit Stehkragen schicken lassen und trug dazu einen dunkelbraunen Zaubererhut, während Julius den Weinroten Festumhang trug, der ihm trotz Größenwachstum noch saß wie gerade erst für ihn geschneidert.
"Geht das, daß ich mit Gabie zusammen runtergehe, oder müssen wir nach Männlein und Weiblein getrennt antreten?" Fragte Pierre Julius.
"Bei der Abschlußfeier sitzen die Pärchen und Verlobten oder Verheirateten alle zusammen. Wenn Gabie und du meint, ihr seid ein Pärchen und nix dagegen habt, daß jeder euch zusammen sieht, auch die Lehrer, dann setzt ihr euch zusammen hin. Ich gehe mit meiner Frau auch zusammen, und Robert wird sich mit Céline zusammensetzen. Kann sein, daß Céline Anstandshexe sein will und euch bei sich sitzen haben möchte. Nur zur Vorwarnung."
"Ach du Kacke", fluchte Pierre leise. "Gut, schmusen wollten Gabie und ich ja eh nicht. Ähm, Gabie sagte aber was, daß wir tanzen müssen. So gut habe ich das hier nicht gelernt, obwohl diese Tanztussi Nurieve da lange an mir rumgezerrt und geschubst hat. Muß das echt sein?"
"Ich denke mal, daß Mademoiselle Delacour vorführen möchte, wie gut sie tanzen kann. Da hast du dann nur zwei Möglichkeiten: Ihr beim Tanzen mit anderen Jungs zusehen oder selbst tanzen. Tritt ihr dabei aber nicht so oft auf die zierlichen Füße!"
"Ich könnte jetzt ein Wort sagen, aber dann müßtest du wohl diese Strafpunkte raushauen", knurrte Pierre.
"Kommt auf das Wort an. Wenn es das mit A am Anfang ist würde ich dir dafür wohl fünfzig geben. Dann hättest du den Vorteil, daß du heute nicht tanzen müßtest. Das mit Gabrielle wäre dann aber wohl erledigt, wenn sie schon auf Geri Halliwell eifersüchtig ist."
"Ach, hat Céline dir das erzählt? War wohl nicht gerade die dollste Sache, die mir da passiert ist, weil Gabie meinte, ich würde irgendwelchen blöden Singlerchen nachlaufen, wo sie angeblich doch mehr zu bieten habe."
"Das probierst du besser erst aus, wenn dir jemand erlaubt, das zu versuchen und dann besser nicht hier in Beauxbatons", erwiderte Julius. Pierre grinste.
"Kämm noch mal dein Haar durch, Louis", sagte Julius zu Louis Vignier, der mit wie unter Strom stehenden Haaren vor ihm paratstand.
"Yo Man!" Entgegnete Louis. Julius grinste und hielt ihm den Zauberstab über den Kopf. "Pecto", murmelte er. Mit einer sachten Bewegung strich er Louis' Haare so glatt, als habe er einen eng anliegenden Helm auf."Ey, das hat geziept, Mann!" Protestierte Louis. Julius sah ihn herausfordernd an und fragte ihn, ob er ein kleines Mädchen sei. Dann könne er ihm auch die passenden Zöpfe machen. Louis verzog das Gesicht und schüttelte den Kopf. So ging es weiter, wobei die älteren Jungs sich schön ruhig hielten, weil sie wußten, daß Julius ihnen Zaubertechnisch zumindest ebenbürtig war. Auf ungezählten Weckrunden hatte er das mehrfach bewiesen. als alle begutachtet worden waren und in Richtung Speisesaal loszogen war Julius erleichtert.
"Wie in den zwei bisherigen Schuljahren hier in Beauxbatons lief es wieder so ab, daß die Paare, Pärchen, Freunde und Verwandten sich im Speisesaal an kleinere Tische setzten. Millie und Julius setzten sich zu den drei in diesem Mai durch Besenwerbung ihre baldige Heirat bekundenden Paare, zu denen auch Arnica Dulac mit ihrem Erwählten Maurice Dujardin gehörte. Die Goldbroschenträgerin der Gelben verwickelte Julius während des mehrgängigen Essens in eine Unterhaltung über Hogwarts, ob es nun wirklich wiedereröffnet würde. Er erwähnte das, was Aurora Dawns Bild ihm berichtet hatte und meinte dann, daß die nächste Quidditchsaison wohl schwierig für die Gelben würde.
"Sandrine will in die Mannschaft rein", sagte Maurice. "Die wird dann wohl auf meiner Position spielen. Dieses Jahr war das für uns alle ja nichts mit Quidditchpokal."
"Das ist jetzt klar, daß meine Cousinen in die Mannschaft dürfen", sagte Millie. "Könnte für Sandrine ein ziemlicher Alptraum werden."
"Klar, wo ihr Roten von Julius den Aurora-DAwn-Doppelachser gelernt habt und die Grünen den auch können. Vielleicht gut, jetzt mit der Schule fertig zu sein, um das Debakel nicht mitzukriegen", erwiderte Arnica leicht betrübt.
"Na ja, die Violetten, Blauen und Weißen können den noch nicht", erwiderte Julius. Millie grinste.
"Sandrine sagte, ihr wohnt beide bei Julius' Mutter in Paris. Schlaft ihr da zusammen in einem Bett?" Fragte Maurice Dujardin.
"Ja, tun wir", sagte Julius ganz ruhig, bevor Millie sowas wie "Das auch" hätte sagen können.
"Und da habt ihr keine Angst, daß Millie schon vor dem Schulende ein Kind kriegt?" Fragte Arnica. "Ich meine, es ist bestimmt was schönes, ein Baby zu haben. Aber wenn das noch während der Schulzeit kommt wird's doch schwierig mit dem Lernen. Constance Dornier hat das doch gezeigt."
"Nur mit dem Unterschied, daß Connie ihr Baby erstens nicht haben wollte, bis es kurz vor der Geburt war und sie zweitens ohne dessen Vater hier auskommen muß, weil der nur Spaß wollte und dabei keine Verhütungssachen benutzen wollte. Dann kann so'n Kind meinen, es wäre ganz bewußt auf den Weg gebracht worden", entgegnete Millie verwegen.
"Wir sehen zu, daß wir unserem Kind schon helfen können, ob das hier in Beauxbatons oder bei uns zu Hause oder irgendwo in der Welt geboren wird."
"In Beaux ist die Versorgung ja auch gut", fügte Millie dem hinzu. "Aber wir wollten erst abwarten, bis uns weder Julius' Mum noch meine Eltern reinquatschen können, was wir wie mit dem ersten Kind zu machen haben." Julius nickte. Das hieß, daß an den Nachwuchs nicht vor dem 20. Juli 1999 zu denken war. Deshalb meinte er noch:
"Am elften August 1999 findet eine totale Sonnenfinsternis über Europa statt. Das wäre doch ein genialer Termin, wen mit der wiederkehrenden Sonne auf den Weg zu schicken."
"Die Sonnenfinsternis wollte ich mir aber vom höchsten Turm von Tournesol aus ansehen, Julius", erwiderte Millie verdrossen. Doch dann grinste sie. "Ich denke mal, bis dahin ist es längst in meiner warmen Stube eingezogen und läßt sich von mir großfüttern." Julius verstand. Millie setzte wirklich darauf, genau an oder direkt nach seinem siebzehnten Geburtstag neues Leben für die Zaubererwelt von ihm aufzunehmen. Arnica meinte dazu:
"Na ja, eine gewisse Sicherheit muß ein Kind haben, will sagen, ich sehe erst einmal zu, daß ich bei denen der Delourdesklinik reinkomme, bevor ich ein Baby in der Wiege habe."
"Die Heiler sind da so komisch. Die lassen Ehepaare nicht zusammen in einem Zimmer, wegen der Kameradschaft zwischen den Lernheilern", knurrte Maurice. "Ich hoffe, die Drachen nehmen mich in die Stammauswahl. Dann kann ich die nächsten zehn Jahre erst einmal Quidditch spielen."
"Das müssen wir hier nicht noch mal haben, daß du meinst, das Geld ranzuschaffen, während ich nur zu Hause sitze und drauf warte, daß unser erstes Kind heranwächst und dem dann hinterherlaufe, wenn es ins Krabbel- und Laufalter kommt."
"Stimmt, hast recht, Arnica", sagte Maurice verhalten. "Das müssen wir für uns alleine klären."
"Das mit den Heilern habe ich wegen dieser Verhaltensbeschränkungen wohl schon aussortiert", sagte Julius. "Ich hoffe darauf, daß die ZAGs was hergeben, damit ich was finde, was sowohl abwechslungsreich als auch fordernd ist. Vielleicht versuch ich mich doch als Erfinder oder sowas."
"Das ginge doch gut, Julius. Die Zauberlaterne und diese immervolle Wasserkanne sind doch sehr nützlich und schön. Tante Babs will Lizenzen für die immervollen Wasserbehälter, damit die ganzen Kühe immer volle Tröge haben."
"Das kriege ich von deiner Tante wohl dann schriftlich oder wenn ich sie bei der nächsten Familienfeier wiedertreffe", erwiderte Julius. Dann sprachen sie über den möglichen Ablauf des Abends. Arnica gehörte mit zum Festkommitee der Siebtklässler. Was genau geplant war ließ sie natürlich nicht heraus. Doch Julius hörte so viel, daß die letzten drei Jahre wohl auch erwähnt würden, also er durchaus Sachen erleben würde, die während seiner Zeit hier passiert waren.
Nach dem Abendessen lud Madame Maxime alle in die Aula ein. Julius wünschte Arnica und Maurice Hals und Beinbruch, weil ihm irgendwer mal gesagt hatte, daß Schauspielern oder anderen Bühnenkünstlern Glück zu wünschen in deren Aberglauben Unglück heraufbeschwor. Aus dem Aberglauben war dann Tradition geworden, wie so häufig.
Millie und er besetzten eine Reihe zusammen mit Patricia, Callie, Pennie und Marc. Viele aus dem grünen Saal glubschten Julius an, weil er sich zu den Roten setzte. Doch als dann noch Robert mit Céline, Sandrine mit Gérard und Pierre mit Gabrielle in derselben Reihe Platz nahmen hörte das ungläubige Geglotze auf. Dann eröffnete Madame Maxime den Abend.
Giscard und Brunhilde betraten die Bühne. Sie trug einen grünen Festumhang mit Kragen, während er ein kirschrotes Rüschenkleid trug. Julius grinste schon. Der Gag war zwar nicht mehr der neueste, wenn ein zweigeschlechtliches Moderatorenduo auftrat, aber hier vielleicht noch nicht gezeigt worden.
"Meine sehr verehrten Damen und Herren vom Lehrkörper", begrüßte Giscard die Zuschauer. Doch es war Brunhildes Stimme, die sie alle zu hören meinten. "Sehr geehrte Mitschülerinnen und Mitschüler ..."
"Joh, Giscard, haben sie dir was abgeschnitten", klang es aus unsichtbarer Quelle. Die Blauen lachten, während die Lehrer etwas pickiert dreinschauten. Dann sagte Giscard ganz ruhig: "Wir sind heute alle hier versammelt, weil wir, die Schülerinnen und Schüler der siebten Klasse, uns von Ihnen und euch für alle Jahre hier bedanken und uns angemessen und fröhlich von Ihnen und euch verabschieden wollen."
"Nicht schon schlimm, daß ich deine Sachen anziehen muß, weil du mein Kleid angezogen hast", sagte nun Brunhilde, jedoch wie Giscard klingend. "Jetzt hast du auch noch meine Stimme geklaut. Am Besten ziehen wir uns mal wieder um. Vielleicht geht das dann wieder richtig herum." Giscard nickte und stellte sich neben seine Moderationspartnerin. Sie vollführten eine gegenläufige Drehung zueinander und hüpften Hoch. Da wurde das Kleid zum Umhang und umgekehrt.
"So, geht's jetzt wieder?" Fragte Giscard und jubelte, weil er seine Stimme wiederhatte. Auch Brunhilde hatte mit dem Kleid ihre natürliche Stimme zurückbekommen. Julius hatte schon vermutet, sie würden einen Körpertausch vorspielen oder sowas. Doch das konnte ja noch kommen. "So, nachdem wir wieder haben, was uns selbst gehört", setzte Giscard mit seiner eigenen Stimme an, "Zeigen wir euch nun, was uns in den letzten sieben Jahren zum Lachen brachte, oder was im Nachhinein mit einem Lachen leichter zu ertragen gewesen wäre", vollendete Brunhilde den Satz. "Aber wo genau fangen wir an?" Wollte Giscard wissen. "Da wo alles anfängt vielleicht?" Erwiederte Brunhilde rätselhaft. Julius schwante etwas und er sah zu Céline, die so aussah, als müsse sie sich auf was heftiges vorbereiten. Schlagartig wechselte die bisher als großer Festsaal dekorierte Aula ihre Erscheinung. Ein beinahe schwarzes, dunkles Rot trat an die Stelle von Wänden, Decke und Boden, und es wurde schlagartig so warm wie in einem Gewächshaus für Tropenpflanzen. Irgendwie schien die Luft immer dichter zu werden. Zwar ließ sie sich atmen. Doch alle meinten, in Wasser zu sitzen. Julius kam dieser Eindruck unheimlich bekannt vor, und nicht nur ihm, sondern auch Millie, die ähnliche Einblicke bereits ausprobiert hatte. Zu alle dem pochte dumpf ein Rhythmus, der unzweifelhaft einem riesigen, menschlichem Herzen nachempfunden war. In der Richtung, wo vorher noch die Bühne gestanden hatte, hing nun frei schwebend, aus sich selbst rötlich glimmend, eine menschliche Gestalt mit angezogenen Beinen, deren Knie an die Stirn stießen. Die Arme waren halb über dem Brustkorb gefaltet. Dann sagte die Erscheinung mit einer den Raum wie einen kleinen Kellerraum erfüllend: "Hups, da guckt jemand zu. Ähm, gut. Ich bin irgendein Mädchen. Zumindest sagt die das bei der ich gerade bin. Die will mir aber nicht erzählen, wie ich heißen soll. Ui, da sind noch so komische Sachen zu hören." Alle hörten dumpf wie durch dicke Wände Stimmen, die von Professeur Faucon, Madame Maxime und anderen Lehrern, die irgendwas erklärten, was in dieser Klangqualität jedoch nur andeutungsweise zu verstehen war. Julius hörte heraus, daß es um Sachen aus der vierten Klasse ging. Dann setzte ein beschwingter Walzer von einem Klavier ein, nicht wie durch Wände, sondern in einem weitläufigen Saal. "Ui, meine Gymnastik, Leute. Und los geht's!" Doch die frei in der Luft schwebende Erscheinung stieß bei ihren Reck und Streckübungen immer an ein nicht sichtbares Hindernis an, bis Constance Dorniers Stimme wie durch auf untere Frequenzen eingestellten lautsprechern protestierte: "Ey, ich bin keine Turnhalle, Cythera!" Die blauen lachten, und sogar von den Roten, gelben und Grünen, die in dieser Mutterleibssimulation nicht klar zu erkennen waren, lachten. Julius wartete förmlich darauf, daß Madame Maxime oder Professeur Faucon dem ganzen doch einen Riegel vorschoben. Doch offenbar waren sie eingeweiht. "Dann muß ich eben draußen turnen, Mann!" Nölte Cythera. "Dann komm raus!!" Dröhnte Constances Stimme von überall her. Da erschien ein kleiner Lichtpunkt unter der Erscheinung, der zu einem runden Lichtfleck wie eine Sonne wurde. Die simulierte Cythera sagte dann noch: "Ui, habe ich heute schon Geburtstag? Dann kann ich mir endlich ansehen, wovon die da draußen es alle .... uaaaaääääää!" Der letzte Laut schien in einem Abfluß zu verschwinden, als Cytheras Erscheinung in das immer größere Licht hineinstürzte und mit einem lauten Plopp wie ein Champagnerkorken verschwand. Für einen Moment blieben alle in dieser fast vollständigen Finsternis und hörten die protestierenden Schreie eines Babys. Dann erklang die Musik, diesmal von mehreren Instrumenten, und ein im Moment unsichtbarer Chor sang wie mit Kinderstimmen:
Seit sieben Jahren ruhen wir in diesem Schoß.
Wir lernten viel und wurden dabei groß.
Doch auch für uns wird's hier langsam zu eng.
Drum Maman Beaux, sei bitte nicht so streng!
Laß uns hinaus in eine Welt voll licht.
Für all die Güte dankt dir dies Gedicht.
So bring uns alle sicher auf die Welt!
Damit wir seh'n, was sie für uns enthält.
So bring uns alle sicher auf die Welt.
damit wir seh'n, was sie für uns enthält."
Bei den letzten Zeilen wandelten sich die Kinderstimmen zu denen von jungen Erwachsenen und das Dämmerdunkel eines simulierten Mutterschoßes wurde von dem immer noch im Raum schwebenden Lichtfleck vertilgt, der zu einem Meer aus lauter goldenen Kerzen anwuchs. Dann konnte Julius die Sänger sehen, die alle in blauen, grünen, gelben, weißen, Violetten und roten Strampelanzügen steckten. Doch als die Aula wieder ein großer Saal, die Luft schlagartig abgekühlt und die Bewegungsfreiheit wieder so wie üblich war, sprangen sie alle in die Luft und bekamen ihre Schulumhänge an. Das Publikum klatschte. Julius sah noch einmal Céline an, die wohlwollend lächelte. Sie fing seinen Blick mit ihren smaragdgrünen Augen ein und deutete auf Constance, die sehr erfreut im Publikum saß, ihre kleine Tochter auf dem Schoß, die gerade wohl aufgewacht zu sein schien. Sie grinste Julius an und lachte dann.
"Ich dachte, sie würde das nicht so wegstecken", sagte Julius zu Céline. Diese beugte sich an Millie vorbei und sagte: "Die hat den Gag erlaubt. Sie meinte nur, daß ich darauf gefaßt sein müßte, daß Cythies Geburt mit eingebaut wird. Aber das die daraus gleich ein neues Abschiedslied für Beauxbatons gebaut haben ist genial."
"Immerhin wäre sie ohne Cythera ja jetzt auch mit der Schule fertig", sagte Julius leise, während das Publikum wieder zu klatschen aufhörte. jetzt kam eine Quidditchszene, wobei es so aussah, als müßten alle vor den Bällen davonfliegen, weil vierzehn Klatscher die fliegenden Jungen und Mädchen jagten, während ein menschengroßer Quaffel auf jeder Seite die Ringe bewachte. Wenn jemand von einem Klatscher nach vorne gehetzt versuchte, durch einen der Ringe zu fliegen polterte der Quaffel mit drohender Stimme: "Du kommst hier nicht durch!" Doch wem das gelang, der konnte keuchend mit dem Besen landen und war aus dem Spiel raus, bis ein Spieler von einem adlergroßen Schnatz mit Spinnenbeinartigen Armen am Schopf gepackt wurde und der aufgeblasene goldene Ball mit einer schrillen Stimme: "Hab dich! Spiel aus!" plärrte. "Die rabenschwarzen Klatscher gewinnen das Spiel durch Schnatzgefangenen mit fünf durchgejagten Getriebenen gegen die kohlschwarzen Klatscher mit vier getriebenen. Nächste Woche dann die spannende Partie der Pechschwarzen gegen die nachtschwarzen Klatscher, liebes Publikum!" Erscholl eine erfreute Stimme unter von unsichtbarer Seite her in den Raum gezaubertem Gejohle. "Damit führen die Rabenschwarzen mit siebzehn durch die Ringe gejagten Getriebenen vor den Rußschwarzen. Die Kohlschwarzen müssen jetzt darauf hoffen, daß die nachtschwarzen nächste Woche keinen einzigen durch die Ringe treiben, weil sie sonst hinter den Tintenschwarzen Tabellenschlußlicht sind."
Lautes Lachen aus dem Publikum und Beifall für die Flugakrobatik brandete durch die Aula. Dann kam eine Schulstunde dran, bei der jemand den Muggelkundelehrer Paximus spielte, der ein kleines Modellflugzeug durch die Klasse fliegen ließ und darüber redete, daß das fliegen eines Flugzeugs wie das eines Vogels sei, worauf das Flugzeug zum Papagei wurde und "Alles Quatsch!" krakehlte. Der Lehrer wedelte mit dem Zauberstab und ließ den Papagei wieder zum Flugzeug werden. Doch als er seinen Spruch von eben noch mal brachte, wurde aus dem Flugzeug ein Luftballon, der zur Decke aufstieg und ein hämisch grinsendes Clownsgesicht zeigte. "Fliegen ist fliegen! Was interessiert das die anderen überhaupt, wieso so'n Muggelflugdings 'nen Propeller hat", feixte der Clown. "Fliegen ist auf jeden fall das beste Mittel gegen Platzangst! Autsch!" Ein Lichtblitzaus Paximus' Zauberstab brachte den Ballon zum Platzen. Dabei viel ein eingeschrumpfter Drache heraus, der sein Maul öffnete und einen dünnen Feuerstrahl spie, der in der Luft zu einer ineinander verschnörkelten Buchstabenreihe wurde:
WER DIES HIER LIEST, DEM SEI GESAGT, ER HAT SICH GANZ UMSONST GEPLAGT!
Der nachgespielte Lehrer fegte die Schrift mit einem Wasserstrahl aus der Luft und wollte den Drachen einfangen. Doch dieser flitzte an ihm vorbei und durch ein illusionäres Fenster hinaus, wobei er gackerndes Lachen von sich gab. Einen Moment später fauchte und heulte es über ihren Köpfen wie ein tief über sie hinwegschießender Düsenjäger. Der nachgestellte Lehrer versuchte, das Flugzeugfliegen nun ohne Modell zu erläutern. Doch immer wieder fauchten weitere Kampfjets über sie alle hinweg. Das erinnerte Julius ein wenig an die Sache mit dem verhexten Mobiltelefon, dem am Ende des Sketches Nicole L'eauvite entstiegen war. Der Lehrer schloß das offene Fenster und meinte dann, daß er dann doch besser das Radio erklären wollte. Als er ein Radio aus Julius' Großvaters Zeiten heraufbeschworen hatte und einschaltete, erklang ein sehr betörendes Lied, das besang, daß die Veelas von Bulgarien alle zur Quidditch-Weltmeisterschaft einluden. Das führte dazu, daß die männlichen Teilnehmer des Unterrichts aufsprangen und laut johlend aus dem Klassenzimmer stürmten, auch der Lehrer. Die verbliebenen Mädchen schnarrten ungehalten und suchten einen anderen Sender. Dabei kamen dann Lieder wie das Farbenlied der Siebtklässler von vor zwei Jahren, bei dem entsprechende Rauchwolken, künstlicher Schnee, falsche Goldstücke, Feuerflammen und Grashalme aus dem Radio herausflogen oder wuchsen. Dann verschwand das Radio im Nichts, und scheinbarer Nebel verhüllte die Darsteller. Danach kam eine Verwandlungsstunde bei Professeur Faucon dran, die von Yvonne Pivert gespielt wurde. Dabei geriet natürlich auch alles mögliche durcheinander. So passierte einem Schüler das, was vor einigen Wochen echt passiert war, nämlich daß an Stelle eines Meerschweinchens mehr schweinchen durch den Klassenraum wuselten. Die nicht im Verwandlungskurs für Fortgeschrittene waren lachten über den Wortgag, und die die echte Panne erlebt hatten lachten über die astreine Wiederholung, wie auch Professeur Faucon.
"Wer immer die goldene Sprecherinnenbrosche von uns trägt muß die wohl spielen", grinste Céline, die sich ausmalte, in zwei Jahren selbst die Saalvorsteherin darstellen zu müssen. Für einen winzigen Moment überkam Julius ein Gefühl der Trübsal. Er mußte daran denken, daß Claire mit ihrer vielfältigen Begabung und Verehrung für Professeur Faucon durchaus auch als Saalsprecherin in Frage gekommen wäre. Er meinte schon, ihren warmen Arm um seiner Schulter zu fühlen und ein ihn berauschendes Parfüm zu riechen, stellte dann aber fest, daß es Millie war, die ihn sicher hielt. Die Herzanhängerverbindung hatte ihr wohl empathisch vermittelt, daß Julius sich gerade wegen irgendwas betrübt fühlte. Wieder erkannte er, daß es absolut unnötig war, zu trauern. Claire war nicht weg. Sie war in ihm, um ihn herum und in jeder und jedem, der und die mit ihm gut auskam. Millies tröstende Umarmung war ihre Umarmung, und die sanften Impulse des Herzanhängers waren ihre lebendigen Impulse, die ihn aufrecht hielten, ihm zeigten, daß er lebte, daß er mit wem und für wen lebte und jemand für ihn da war. Das zog ihn wieder aus dem Gefühlsloch heraus, in das sein Gedanke an eine mögliche Saalsprecherin Claire ihn hinabzuziehen versucht hatte. Inzwischen wurden aus den zehn kleinen Schweinchen durch einen wie auch immer gebrachten Zauber zehn lebendige, halb menschengroße Versionen von Barbie und Ken,die ein Lied trällerten, das Julius irgendwie muggelmäßig vorkam und auf Englisch mit künstlich erhöhter Stimmlage geträllert wurde, bis die als Professeur Faucon auftretende Yvonne Pivert die Sänger mit einer Zauberstabbewegung in zehn Merschweinchen verwandelte, die das Lied jedoch weiterquiekten, bis die Lehrerin die alle eingesammelt hatte. Dabei bekam die Aula jedoch einen total rosaroten Anstrich. Das Haar der Faucon-Darstellerin wurde goldblond und fiel immer länger hinunter, bis sie selbst dieses Trällerlied sang.
"Connie hat mir das erzählt, das Bert aus der siebten, Muggelstämmig, einen verdammt aufdringlichen Ohrwurm aus den Osterferien mitgebracht hat, irgendwas mit Barbie Girl", knurrte Céline.
"Muß ich mir mal anhören, wie der echt klingt", erwiderte Julius und dachte daran, daß diese Art von Musik was für Babette sein könnte. Aber die war ja bis Didiers Entmachtung und dem Ende der Schlangenmenschen in Millemerveilles, fern von allen Muggelmusikstücken gewesen. Jedenfalls sahen nun alle Schüler im simulierten Klassenraum wie Barbies und Kens aus und trällerten dieses Lied, bis eine übergroße Hand von oben kam, die wie eine zwanzigfache Vergrößerung von Madame Maximes mit Ringen geschmückter Hand schien und eine große Kiste über die in Barbie- und Ken-Ableger verwandelten Schüler stülpte. Erst dann war Ruhe. Doch aus dem Publikum trällerten die in den vorgezogenen Osterferien gewesenen Muggelstämmigen das Lied weiter, bis Yvonne, jetzt wieder Professeur Faucon in ihrem mauvefarbenen Umhang ähnelnd, den Zauberstab hob und ein Fanfarenstoß wie von hundert Fußballtröten und LKW-Hörnern durch die Aula brandete. Dann tauchte Arnica Dujardin in einer weißen Schwesterntracht mit einem Wollknäuel und Stricknadeln aus einem Wandstück heraus auf und stellte sich in Positur. "Das ist ein eindeutiger Fall des berühmt-berüchtigten Barbifizierungsfluches, der immer dann auftritt, wenn irgendwo was rosarotes gezaubert wird und irgendwer den in einem eingängigen Musikstück verpackten Fluch durch die Ohren in seinen Geist aufnimmt. Dagegen hilft nur Ein Lied, in dem kein Rosarot vorkommt. Kennt jemand eins?" Viele riefen "Das Farbenlied". "Dann singt das bitte!" Forderte Arnica, während sie ihre Stricknadeln ergriff und damit das Wollknäuel bearbeitete, während die Blauen ihre Strophe sangen, wobei die Darsteller aus dem blauen Saal Takt und Text lieferten. Da sie mittlerweile alle das Lied von vor zwei Jahren auswendig konnten, da es zur Hymne der einzelnen Säle geworden war, wurde nun das ganze Publikum einbezogen. Arnicas Wollknäuel wechselte von Strophe zu Strophe in die Farbe, die gerade besungen wurde. Julius erkannte, daß in einer magischen Welt viel Aufwand betrieben werden mußte, um wirklich verrblüffendes zu zeigen.
"Jedenfalls haben die sich jetzt für dieses blöde Lied revanchiert", stellte Céline mit Genugtuung fest. "Cythera hat das ja auch schon nachzusingen versucht."
"Hups, habe ich nichts von mitgekriegt", sagte Julius.
"Das war ja auch, während du mit Madame Maxime zusammen warst", erklärte Céline dieses nicht so große Versäumnis.
Nach dem Farbenlied kamen noch einige Alltagsszenen aus dem Schulleben der Abgänger. Dann setzte die Musik mit dem traditionellen Schlußlied an: "Maman Beauxbatons, auf Wiedersehen"
Danach bedankte sich Madame Maxime bei den Abgängern 1998 für diese aufwendige, humor- und phantasievolle Aufführung und betonte, daß sie nun wahrlich ausgereift waren, in diese große Welt, die nun wieder mit Licht erfüllt war, hinausgelassen zu werden. "Doch wie es sich für eine fürsorgliche Mutter gehört möchte sie, daß Sie mit uns zusammen noch ein paar glückliche Stunden bei Tanz und Musik verbringen, bevor sie Ihnen morgen Abend die Wegzehrung für ihre Reise in die große Welt mitgibt. So genießen Sie mit uns, die wir als Lehrer oder Schüler noch mehr als ein Jahr dieser alten und weisen Mutter verbunden sein werden, einen beschwingten Tanzabend!" Aus dem Nichts heraus erklang nun sanfte Musik, bis eine Formation von Musikern Aufstellung nahm und dann von sich aus zur klanglichen Unterhaltung aufspielte.
Millie hatte mit Julius den ersten Tanz. Danach wollte Céline mit ihm tanzen. Dabei sagte sie Julius:
"Wir beide haben nächstes Jahr die goldenen Broschen an. Ich wollte dir nur sagen, daß du da keine Angst vor haben mußt. Du hast dich bei den anderen sehr beliebt gemacht, auch wenn Dummschwätzer wie André behaupten, du hättest ihnen nicht geholfen. Ich weiß nicht, wen die mit der silberbrosche behängen. Aus der sechsten Klasse von heute wird das wohl keiner sein, weil die die Leute immer erst mit Silber behängen, bevor sie Gold tragen dürfen. Wird also jemand von uns oder eine aus der fünften dann die Silberbrosche kriegen, vielleicht Carmen, weil die bei euch in der Pflegehelfertruppe ist."
"Ich unterhalte mich besser noch mal mit meiner Schwägerin und Jeannes Mann, wie sich das anfühlt, Saalsprecher zu sein. Ich meine, die laden mir hier alles mögliche auf. Ich weiß nicht, ob ich nicht doch irgendwann drunter zusammenbreche", sagte Julius.
"Das weiß hier keiner. Aber an deiner Stelle würde ich das solange tragen, wie du kannst. Bestes Beispiel ist meine Schwester. Die hat sich auch bange gemacht, Mutter zu werden, auch weil die das ja nicht wollte. jetzt freut sie sich, daß sie den ehemaligen Klassenkameraden einen Aufhänger für den Abend geboten hat, ohne zu sehr durch den Kakao gezogen zu werden."
"Tja, und Cythera lernt schnell. Könnte sein, daß Constance sie bald in einen Kindergarten tun und bei euren Eltern lassen muß, bevor sie hier irgendwas macht, was sie nicht machen will."
"Das wird wohl passieren. Maman hat das angedeutet, daß Cythie jetzt groß genug ist, um mit anderen Kindern zusammenzukommen, um sich als Kind unter Kindern zu fühlen und nicht andauernd betüddelt oder ausgeschimpft zu werden. Das wird Connie zwar weh tun, ihr aber für das letzte Jahr mehr Ruhe geben, um die UTZs zu packen."
"Das mit den UTZs gönne ich ihr auf jeden Fall", bekräftigte Julius. Céline nickte wissend. Sie bot an, daß Julius ja mal mit ihr tanzen könne. Er behielt sich das vor.
Der Fluch des guten Tänzers, so mußte Julius nach drei Stunden wieder einmal erkennen, war, daß jede mit ihm tanzen wollte und er deshalb keinen Tanz auslassen durfte, außer um sich mal eben schnell was zu Trinken zu besorgen. Nicht nur Schülerinnen der Abgängerklasse wie Yvonne, Arnica und Deborah wollten mit ihm tanzen, sondern auch Lehrerinnen wie Professeur Faucon, Professeur Pallas und auch Madame Maxime, die den ihr gewährten Tanz nutzte, um sich bei Julius noch einmal für die vorbildliche Zeit in ihrer Nähe zu bedanken und daß er den Mut aufgebracht habe, sich den ihm auferlegten Anforderungen zu stellen. Julius mußte feststellen, daß die Halbriesin sich von einem wesentlich kleineren Tanzpartner sehr elegant führen ließ. Dann war da noch Constance, die sich mit ihm während des beschwingten Liedes über die Aufführung und ihre Mithilfe unterhielt und ihm ähnliches sagte wie Céline, daß er wohl im nächsten Schuljahr die goldene Brosche tragen würde und daß er das genauso hinbekommen würde, wie sie das mit Cythera hinbekommen hatte. Er fragte sie, ob sie die Kleine nächstes Schuljahr wieder mitbringen würde. Sie sagte ihm dann, daß sie mit ihren Eltern ausgemacht habe, Cythera bei ihnen zu lassen, bis sie die UTZs geschafft habe.
"Hier in Beauxbatons sind zu viele Räume, wo sie verlorengehen kann. Außerdem gibt es hier manche gefährlichen Sachen. Dann muß sie den Kontakt mit Gleichaltrigen lernen. Wird mir wohl weh tun. Aber ich muß das durchstehen, weil ich als ihre Mutter nicht im Weg stehen darf, wenn sie weiterwächst. Und ihr beide, plant ihr schon wen neues oder möchtet ihr dafür erst nach den UTZs anfangen?"
"Wenn es nach meiner Frau ginge dürften wir morgen schon die Babysachen vorbestellen. Aber sie weiß auch, daß wir erst einmal wissen müssen, wie die ZAGs laufen. Außerdem wollen wir ein Kind erst haben, wenn wir selbst darüber bestimmen dürfen, wo es wohnt, wie es aufwächst und so weiter."
"Das kann ich echt nur unterschreiben", schnaubte Constance. "meine Eltern meinen es gut. Aber rechtfertigt das wirklich, daß die mich seit meiner Schwangerschaft wie ein kleines Kind behandeln, mach dies für sie, mach das für die. Überlege, was für deine Tochter wichtig ist! Und so geht das wohl auch nach den ferien weiter, auch wenn ich schon siebzehn bin. Das Problem ist nur, daß sich keiner der Jungs mehr traut, mit mir über mehr als Schule und Quidditch zu reden, weil keiner so recht Lust hat, eine Tochter mitzuheiraten. Aber irgendwo da draußen läuft wohl noch wer herum, der mich und Cythie gern hat. Wenn nicht, bleibe ich eben alleinerziehende Mutter. Ich lasse zumindest keinen zwischen Cythie und mich kommen."
"Dafür hast du ja auch heftig genug gelitten, um sie zu kriegen", sagte Julius. Er durfte sich sowas erlauben, weil er ja dabei gewesen war.
"Ich kann Millie jetzt sogar verstehen. Das ist ziemlich schlimm, ein Kind zu kriegen. Aber es ist auch was ganz erhabenes. Und daß sie jetzt da ist, obwohl ich sie eigentlich nicht wollte, zeigt mir, daß es keinen noch so strickten Plan geben kann, der das Leben vorbestimmt. Wir sehen uns dann morgen wieder im Ausgangskreis", verabschiedete sich Constance Dornier und überließ Julius seiner Frau, die auch mit mehreren Leuten getanzt hatte.
"Giscard aus deinem Saal meint, ich müßte mich wohl damit abfinden, daß du im nächsten Jahr die Goldbrosche hast, weil Madame Maxime offenbar keinen Grund hatte, dich vorzeitig von der Schule zu werfen, als du bei ihr gewohnt hast. Das wäre schon ein ziemlicher Anhaltspunkt, daß du ihr mit irgendwas imponiert hast", erwähnte Millie. Julius berichtete ihr von der kurzen Unterhaltung mit Constance.
"Wie gesagt, ich habe keine Angst vor einem Kind. Aber dafür müssen wir beide ja erst einmal siebzehn werden. Dann spielen wir beide nächstes Jahr noch einmal gegeneinander Quidditch. Ist auch was schönes."
"Und vorher muß ich gegen Oma Line Schach spielen, falls die in Millemerveilles nicht sogar meinen, Mum zum Turnier einzuladen und die mir zeigt, was ich bei dem Spiel noch lernen muß", sagte Julius.
"Dann möchtest du wohl deinen Geburtstag feiern, wenn du einen Platz findest, der groß genug ist."
"Millemerveilles dann wohl nicht, weil Kevin da einen schlechten Eindruck gemacht hat."
"Joh, dann feiern wir natürlich bei Oma Line. Die mag freche Jungs, und das Feuerwerk, von dem Caro erzählt hat, war ja wirklich lustig."
"Hmm, das sagst du besser nicht, wenn Belisama dabei ist. Dann könnte der Frieden zwischen dir und ihr schnell wieder zerbröseln."
"Stimmt, hast du erzählt, wegen der Haare. Aber wenn du nicht in Millemerveilles feiern möchtest, kriege ich das bei Oma Line durch, daß deine Gäste bei ihr feiern dürfen."
"Falls die in Millemerveilles nicht sauer werden, daß ich da nicht feiern will", sagte Julius dazu nur. Millie grinste. "Da mußt du dann durch", entgegnete sie schnippisch.
Als der Tanzabend endlich vorbei war und Julius seine Füße wie kribbelnde Bleiklumpen empfand führte er mit Giscard die letzte Bettkontrolle des Schuljahres durch. Ab morgen würden sie wieder bei ihren Eltern schlafen, zu Hause. Julius fragte sich jedoch, ob Paris wirklich noch sein wahres Zuhause war. Sicher, dort standen seine Sachen und vor allem das bequeme, belastungsfähige Ehebett. Aber es war nicht sein eigenes Zuhause. Ein solches würde er wohl erst nach den UTZs erwerben können.
"So, dann werde ich morgen noch einmal wecken gehen", sagte Giscard. "Irgendwie komisch, daß mir dieser Krempel in den letzten Monaten doch irgendwie gefallen hat."
"Aurora Dawn, also die aus Fleisch und Blut, hat mir gesagt, daß man in ein übergroßes Kleid reinwachsen könne. Sollte ich nächstes Jahr die goldene Brosche angeklebt kriegen, muß ich das wohl rauskriegen, ob in die Länge oder in die Breite."
"In die Länge ist wohl nicht mehr viel nötig", meinte Giscard und klopfte Julius auf die Schultern. "Und in die Breite ginge wohl nur, wenn du Millie um die Schwangerschaft bei eurem Kind betrügen möchtest, wie das auch immer von der Anatomie her klappen sollte. Aber ich kapiere den Spruch. Du bist schon in einige großen Sachen reingewachsen, aus einigen davon sogar schon wieder raus. Das habe ich doch mitgekriegt, wie du deinen Patronus gerufen hast. Gut daß dieser Schwachkopf Pétain dich damals nicht einziehen durfte."
"Der ist aus der Welt, Giscard, genau wie Didier, die Schlangenmenschen, Snape und dieser Schweinepriester Voldemort." Giscard zuckte kurz zusammen. Doch dann atmete er auf. Denn dieser Schrecken der Zaubererwelt war ja wirklich erledigt, wie Sardonia.
"Dann gute Nacht, Julius. Falls du morgen nicht zum Frühsport ausrückst wecke ich dich eben mit den anderen."
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Julius raffte sich doch zum Frühsport auf, nachdem die Mexikaner wieder ihr musikalisches Unwesen in den Bildern im Schlafsaal getrieben hatten. Die übliche Pflegehelferkonferenz war für den Nachmittag angesetzt, weil dort Deborah und Gerlinde ihre Pflegehelferschlüssel abgeben durften. So verbrachten Millie und Julius den Vormittag am Strand, wo sie Wasserball spielten und schwammen. Aufsicht hatte Sandrine. Callie hatte einmal gemeint, sie durch ihre Stärke austricksen zu können. Da hatte Sandrine sie eine Minute lang auf einer aus dem Meer heraussprudelnden Fontaine hängen lassen und gesagt, daß sie dafür besser zaubern könne. Die mochte sicher einen Erwartungen-übertroffen-ZAG abräumen, fanden Millie und Julius.
Nach dem Mittagessen ging Julius auf das Flachdach des Palastes. Irgendwie gehörte das für ihn zur Tradition. Jetzt waren es schon drei Jahre, die er hier verbracht hatte. Damals war er mit Barbara, Jeanne, César und Belle angekommen. Die alle hatten bereits ihr zweites Jahr nach Beauxbatons geschafft. Belle hatte dieses Jahr ihre Tochter Laetitia bekommen. Jeannes und Barbaras Erstgeborene konnten vielleicht schon laufen. Würde er mit seinem ersten Kind auf den Armen von hier abgehen oder doch erst nach der Schule Vater? Wieso interessierte ihn das eher als das, was er nach Beauxbatons sein und tun wollte? Professeur Faucon hatte ihm gesagt, was er alles machen konnte. Doch offenbar wirkte die Eingangsszene des diesjährigen Schulkabaretts so nachdrücklich auf ihn. Neues Leben, geboren aus einem behütenden Schoß, darauf angewiesen, daß da wer war, der ihm half, auf die Beine und dann in die Welt zu kommen. Auf eigenen Füßen stehen, auf eigenen Wegen gehen, die Welt im ganzen sehen. Diese Zeilenfolge im Kehrreim des Abschiedsliedes der Abgänger waren logisch und in sich alles erfassend, was ein Menschenleben ausmacht gegliedert. Doch er, Julius, mußte seinen Platz im Leben finden. Er trug schon zu viel auf den Schultern, als im ungewissen zusammenzubrechen. Claire hatte ihn lieben und geliebt werden gelehrt, Millie hatte ihn Lust empfinden und Freude geben beigebracht. Die anderen wollten nur Noten und Leistungen von ihm haben. Darxandrias Erbe in seinem Kopf und auf Barbara Latierres Weide machte das alles nebensächlich. Er konnte es nun nachempfinden, wie schwer Harry Potter an seiner vom Schicksal aufgelegten Last zu schleppen hatte. Doch der Junge hatte sich diesem Widerling, seinem Erz- und Todfeind gestellt und ihn besiegt. Hatte er jemanden, den er besiegen mußte, um frei von aller Bürde zu sein? Wollte er das eigentlich, jemanden besiegen, nur um eine ungewisse Freiheit zu erleben? Voldemort oder Tom Riddle war über seine eigene Machtgier und seinen Größenwahn gestolpert. Im Grunde hatte Harry ihn nur dazu getrieben, die längst fällige Selbstvernichtung zu vollenden, so wie Professeur Faucon es diesem Mörder schon vor Jahren in Stellvertretung aller schwarzen Hexen und Magier prophezeit hatte. Anthelia war da sicher vorsichtiger. Oder vielleicht doch nicht? Doch war sie eigentlich seine Feindin oder nur eine, deren Meinung er nicht teilte? Er war wohl solange vor ihr sicher, solange sie nichts tat, wogegen er was hatte und sie deshalb hindern mußte, und sei es, jemanden zu rufen, der sie zurückschlug oder aus der Welt stieß. Was hatte die mit Professeur Tourrecandide angestellt, daß diese jetzt erst einmal aus der Öffentlichkeit verschwunden war? Doch wenn er so nachdachte mußte er wohl die Rache der Töchter Lahilliotas und die von ihm freigelassene Spinnenfrau Naaneavargia eher fürchten als Anthelia. Es mochte sogar sein, daß er Anthelia brauchte, um die einen oder die andere von Millie und sich fernzuhalten, so verrückt und erschreckend dieser Gedanke auch war. Sie hatte ihn gerettet, auch wenn sie ihn als Lockvogel und Köder ausgelegt hatte. Aber auch ohne sie wäre er wohl mit Hallitti aneinandergeraten, wäre von Bokanowski einkassiert worden. Gut, sympathisch mußte er Anthelia deshalb nicht finden, daß sie ihn aus diesen Klemmen rausgehauen hatte. Aber irgendwie bedrohte sie ihn und seine angehende Familie nicht so sehr wie Voldemort und Umbridge. Die Umbridge! Die hätte er locker zu seiner Erzfeindin erklärt, wenn ihr gelungen wäre, Gloria und die anderen einzubuchten oder sie durch Dementoren entseelen zu lassen. Allein schon für diese Folterfeder, mit der sie Kevins Hand verunziert hatte, gehörte dieses Weib in das tiefste Kellerloch mit Stahlbetondeckel oben drauf. Vielleicht sowas wie das, wo in der Sherlock-Holmes-Geschichte um das alte Familienritual ein untreuer Butler und Frauenheld eingesperrt worden war, weil seine Ex ihn aus einem plötzlichen Rausch von Rachsucht da drin hatte verrecken lassen. Krimis konnten schon brutale Ideen hervorbringen. Leider, so wußte Julius, war die Wirklichkeit immer schlimmer.
"Julius, gleich ist die Abschiedskonferenz", meldete Millie sich per Armband bei ihm. Er nickte ihrem Abbild zu und kehrte in den Palast zurück. Im nächsten Jahr, da war er sich nun sicherer als vor drei Jahren oder vor einem Jahr, würde er wieder hier oben stehen.
"Dann möchte ich mich bei euch allen für die hilfreiche Unterstützung auch und vor allem in den Ausnahmesituationen der Belagerung und vor dem Angriff der Schlangenmenschen bedanken", sagte Madame Rossignol, nachdem sie die vergangenen Monate, Erfahrungen und Fortschritte erörtert hatten. "Nun kommt für mich wieder der Augenblick, wo ich mit Tränen in den Augen lächeln muß", sagte sie mit einer stark beherrschten Stimme. "Denn wir müssen uns heute wieder von jemandem aus der so vorbildlichen Truppe verabschieden. In diesem Jahr sind es Mademoiselle Flaubert und Gerlinde van Drakens. Es hat mich sehr gefreut, mit euch zusammenarbeiten zu dürfen, wenngleich du, Deborah wegen deiner Freundschaft zu Constance erst neu lernen mußtest, was eine Pflegehelferin zu tun hat. Aber weil du es gelernt hast und dich danach wie die anderen vorbildlich ausgezeichnet hast, freue ich mich, euch beiden nun in eure Selbständigkeit entlassen zu dürfen. Was Verantwortung, Kameradschaft, Einfühlung und Durchsetzungsvermögen angeht, so habt ihr beiden das alles in dieser so wichtigen und hervorgehobenen Gruppe erlernt. Diese Eigenschaften sind euer Rüstzeug, mit dem ihr ein sicheres und für euch und andere gedeihliches Leben führen werdet." Sie löste Deborah und dann Gerlinde die Silberarmbänder von den Handgelenken. Dann verabschiedete sie ihre Truppe bis ins nächste Jahr.
"Glauben Sie, daß wieder wer neues dazukommt?" Fragte Carmen Deleste.
"Von den Gelben hat sich Nadine Albert interessiert", sagte Madame Rossignol. Sandrine nickte. "Allerdings sollte sie wohl noch ein Jahr lernen, bevor sie die Grundausbildung machen kann. Ansonsten denke ich, werden wir in den Ferien wissen, ob noch wer dazukommt oder nicht." Millie nickte verhalten. Hatte eine ihrer Cousinen das vor oder gar Patricia? Doch das würde Julius wohl erst im nächsten Schuljahr erfahren.
Sie verließen das Sprechzimmer der Heilerin und bereiteten sich auf das Abendessen und die Abreise vor. Julius prüfte, ob sein Koffer und seine Tasche gepackt waren. In seinem Schrank war nichts mehr, im Nachtschrank auch nicht. Sollte er Aurora Dawns Bild von der Wand nehmen und noch mit einpacken, um in den Ferien schnell zu erfahren, was in Sachen Hogwarts neues beschlossen worden war? Doch da fiel ihm ein, daß er ja mit Aurora Dawn telefonieren konnte. Und soweit seine Mutter ihm das erzählt hatte, besaß sie von ihrer Tante nun einen solarbetriebenen Computer und eine E-Mail-Adresse. So ließ er das Bild hängen. Er nahm nur den Pappostillon der Latierres und die von Claire gemalten Bilder mit, das Kalenderbild, daß ihm und Claire ähnelnde Personen oder feiertagsentsprechende Motive zeigte, so wie die vier Musikzwerge. Dann ging er zum Abendessen.
Als das Abendessen vorbei war kam der letzte traditionelle Teil des Jahres, die Bekanntgabe der zehn besten und fünf schlechtesten Schüler, sowie die nach Durchschnittsbonuspunkten aufsteigende Hitparade der Saaltische. Es war eigentlich schon Tradition, daß die Blauen ganz dabei ganz unten zu finden waren. Nur ganz oben war es jedes Jahr spannend. Ein Punkt mehr könnte da über Sieg oder Platz entscheiden. Doch zuerst die Schüler. Diesmal fing Madame Maxime mit den schlechtesten an. Hier waren es drei Blaue aus der siebten, die lauthals lachten, weil ihnen ja nichts mehr passieren konnte, Jacques aus der fünften, der aus irgendeinem Grund wohl wieder ordentlich durchgesackt war und Rochelle Bellerose aus der dritten Klasse der Roten, die sich sofort lauthals beschwerte, weil sie ihre ganzen Strafpunkte Bernadette zu verdanken meinte.
"Ich lasse mich wegen dieser gestressten Streberin zum ganzjährigen Putzdienst einspannen", zeterte Rochelle. die knapp einen Meter fünfzig große, breitschultrig gebaute Schülerin mit den nachtschwarzen Locken und dunkelblauen Augen gestikulierte wütend gegen Bernadette, die sie nur herablassend ansah. Julius erkannte, wie viel Glück Millie wohl gehabt hatte, daß seine Bonuspunkte auch ihrem Konto gutgeschrieben wurden und er doch wesentlich mehr Bonuspunkte gesammelt hatte als sie von Bernadette Strafpunkte abbekommen hatte. Womöglich wäre sie dann an Rochelles Stelle gelandet. Wenn Bernie jetzt die zweite Chance haben sollte, dann konnte das noch was geben. Madame Maxime ermahnte Rochelle lautstark, sich zu mäßigen und die Konsequenzen ihres Handelns zu tragen. Doch Rochelle wetterte weiter wie eine verärgerte Henne. Dafür bekam sie den Schweigezauber und noch einmal fünfzig Strafpunkte ab, was sie in der Wertung um einen Platz weiter nach unten beförderte. Doch Julius entging das gehässige Grinsen Bernadettes nicht. Vielleicht, so dachte er, sollte er sie damit im nächsten Jahr festnageln, wenn sie mal wieder mehr um sich biß und Säcke voller Strafpunkte über ihre Mitschülerinnen ausschüttete. Als Madame Maxime danach die zehn besten Schüler benannte, bangte Julius darum, nicht doch auf der höchsten Podeststufe zu stehen. So gesehen hatten Millie und er identisch viele Straf- und Bonuspunkte bekommen. Das fiel ihm nun ganz klar auf. Das war die Sonderregelung der frühen Ehe, daß sie beide alle Punkte gleich verteilt bekamen, weshalb die immer noch gehässig grinsende Bernadette ja auch versucht haben mochte, Millie und damit ihn mit Strafpunkten zu beladen. Zuerst jedoch kamen Schüler aus den Sälen Gelb, Violett und weiß. Dann, auf dem siebten Platz, tatsächlich Bernadette Lavalette, vor dieser Sixtus Darodi aus der sechsten. Dann Corinne Duisenberg, und davor Sandrine Dumas. Jetzt wurde es wirklich spannend, dachte Julius. Denn nun kam das Siegertreppchen.
"Auf Platz drei der diesjährigen Wertung findet sich mit zweihundertzehn durchschnittlichen Bonuspunkten pro Woche Mademoiselle Laurentine Hellersdorf." Der Grüne Saal klatschte. Julius freute sich für die Klassenkameradin, die sich in nur zwei Jahren so derartig gewandelt hatte, nicht nur von Arbeitseifer und Noten, sondern auch körperlich. Aufrecht und elegant schritt sie mit strahlender Miene zu Madame Maxime an den Lehrertisch.
"Auf Platz zwei findet sich Mademoiselle Patrice Duisenberg mit zweihundertzwanzig durchschnittlich erzielten Bonuspunkten pro Woche." Einige Blaue buhten, weil Patrice den schlechten Ruf ihres Saales "gefährdet hatte", doch die meisten von ihnen klatschten. Patrice ging an ihrer ein jahr älteren Nichte Corinne vorbei, die sie kurz knuddelte und nach vorn weitertrieb. Jetzt müßte der Mann mit der Wirbeltrommel loslegen, dachte Julius und baute den entsprechenden Spannungsunterleger in seine Vorstellung von diesem Moment ein:
"Und auf dem erhabensten Platz, auf den ein Schüler in einem Jahr gelangen kann ist dieses Jahr, zum ersten Mal seit nun einhundertsieben Jahren, nicht nur ein Schüler zu finden, sondern wegen vereinbarter Verteilungsregeln und gemeinsam erreichter und erbrachter Erfolgsleistungen mit je zweihundertfünfzig Durchschnittspunkten pro Woche ausgezeichnet, ein junges Paar, daß mit Vorbildlichem Eifer, über alle Erwartungen hinausgehender Disziplin sowie Standhaftigkeit, in zwei Ausnahmesituationen zu bestehen: Madame Mildrid Ursuline und Monsieur Julius Latierre!" Julius fühlte sich schwindelig. Es war echt passiert. Träumte er das vielleicht? Robert boxte ihn sacht in die Seite und zischte: "Du mußt da jetzt hin, los!" Julius stand auf, noch etwas wackelig auf den Beinen. Doch durch seine Brust strömte pure Genugtuung, reine Euphorie. Die kam ganz sicher nicht nur von ihm. Doch sie peitschte ihn voran, ließ ihn aufrecht und doch gelassen voranschreiten, nicht zu überlegen gucken, aber begeistert Schritt um Schritt tun, bis Millie neben ihm war und sich locker rechts unterhakte. Beide zusammen gingen nun ohne hast an der Reihe der neun anderen vorbei zum Lehrertisch, wo Laurentine sie beide anstrahlte und ein schnelles V-Zeichen machte: Victoria! Aber wie ein Sieger kam sich Julius nicht vor, sondern wie ein Bettler, der mal eben zum König ernannt worden war, wie ein schwerverletzter, der nach einem Moment kerngesund war oder wie die berühmte Jungfrau, die von jetzt auf gleich ein gesundes Kind in den Armen hielt, ohne was dafür getan zu haben. Doch genau das verkündete Madame Maxime nun, während Julius flüchtig zu Bernadette sah, die ihren Blick gesenkt hatte.
"Sie beide erwisen sich der von uns wegen der frühen Verheiratung auferlegten Sonderrichtlinien als tragfähig und haben sowohl als Mitglieder der schuleigenen Pflegehelfertruppe, sowie in Schule und Freizeitkursen vorbildliches Betragen gezeigt, womit Sie den Kameraden ihrer Säle bewiesen, daß wir Ihnen hier keine Vergünstigungen ohne Gegenleistungen gewährten. Sie haben sich des erhabenen Standes einer Ehe als leuchtendes Beispiel präsentiert, indem Sie beide die Last der Strafen wie die Erleichterung der Belohnung zu tragen bereit waren, sich im Unterricht eingebracht und die großen Ausnahmesituationen der Belagerung und jener Zeit vor und nach dem Angriff der Schlangenkreaturen, als einander beistehendes, stützendes und kräftigendes Paar erwiesen und damit dem Wort Partnerschaft die große Würdigung erwiesen. Insbesondere Sie, Monsieur Latierre, zeichneten sich durch die Beharrlichkeit, aber auch ruhige und feste Hand in der Ausübung der Saalsprecheraufgaben aus, halfen wie Ihre Ehefrau bei der Beseitigung des Ernährungsnotstandes und bewiesen Verantwortungsgefühl, als es darum ging, Ihre Mitschüler zu evakuieren. Sie riskierten Ihr Leben dabei und mußten sich, um ihre Unversehrtheit und Gedankenfreiheit zurückzugewinnen, einer langfristigen Behandlung unterwerfen, die Sie vor sehr hohe Anforderungen stellte. Auch wenn Ihre Ehefrau Ihnen nur aus der Ferne durch aufrichtenden Botschaften und Gesten helfen konnte, trug sie nicht unwesentlich dazu bei, daß Sie die bereits früher lobend erwähnte Selbstbeherrschung wiederfanden und gestärkt aus der erwähnten Behandlung hervorgehen und ohne Zögern in die schweren Wochen der ZAG-Prüfungen gehen konnten. Insofern haben Sie beide diese Auszeichnung verdient, die ich gleich noch um eine weitere Auszeichnung ergänzen möchte, wenn die Vorsteher Ihrer Säle die ehrenvolle Aufgabe erfüllt und Ihnen die Auszeichnungen umgehängt haben werden." Professeur Faucon umarmte erst Julius und dann Mildrid, hängte Julius eine goldene Medaille um, während professeur Fixus Millie eine gleichfarbige Medaille um den Hals hängte. Dann ging sie weiter zu Laurentine, vorbei an Professeur Pallas, die Patrice gerade die silberne Medaille umhängte. Professeur Fixus wandte sich noch einmal an Julius:
"Sie haben Mildrid geholfen, meinem Saal große Ehre zu machen, Monsieur Latierre. Möge dieser neue Familienname Sie nun mit genauso viel Stolz erfüllen, wie er durch seine lange Geschichte an Last für Sie bedeutet haben mag!" Dann ging sie weiter zu Bernadette, die nun trotz der Top-10-Platzierung weinte, als habe sie etwas wertvolles für immer verloren. Madame Maxime bat Julius zu sich hin. Wieder stand er ihr näher als drei Meter. Er blickte zu ihr auf. Dann sagte sie erhaben und doch mit freudigem Lächeln:
"Es freut mich außerordentlich, Ihnen, Monsieur Latierre, für Ihre Hilfe bei der Bewältigung der Schlangenmenschenkrise und der Hilfe, die Sie mir boten, um den Wiederaufbau von Beauxbatons nicht als langweilige Sache zu erleben, die zwei goldenen Zauberstäbe mit Platinfunken am Bande zu verleihen, die Auszeichnung für einen Schüler, der sich um den Ruf und die Existenz von Beauxbatons verdient gemacht hat." Damit hängte Sie Julius ein Schmuckstück wie ein goldenes Kreuz um den Hals, die zwei das Wappen von Beauxbatons bezeichnenden Zauberstäbe, aus deren dünnen enden drei im Dreieck angeordnete Funkenkügelchen hervorgearbeitet waren, die offenbar aus reinem Platin bestanden. "Madame Latierre, treten Sie bitte vor." Millie folgte der Bitte. "Hiermit verleihe ich Ihnen den Eauvive-Delourdes-Orden für vorbildliches Hexentum einer Schülerin von Beauxbatons, durch das Sie Ihren Geschlechtsgenossinnen und damit auch Ihren Lehrerinnen gezeigt haben, daß Mut, Einfühlung, Beistand, Tatkraft und Beharrlichkeit, Umsicht und Disziplin keine leeren Worte für heranwachsende Hexen sind." Damit hängte sie Mildrid Latierre eine silberne Kette um, an der ein galleonengroßes Schmuckstück in form einer silbernen Schale mit goldenem Rand befestigt war. "Sie beide dürfen diese Orden ab nun zu jeder in Beauxbatons stattfindenden Feierlichkeit offen tragen. Sie sind auf Ihre wahren Namen geprägt und somit gefeit gegen Diebstahl und mutwillige Beschädigung durch neidische Mitschüler. Bitte wenden sie sich nun alle nach Rechts!" Madame Maxime stellte sich links von Julius und legte ihm und seiner Frau ihren Arm über die Schultern. Patrice umfaßte Millies linke Schulter und wurde von Laurentine umfaßt. So pflanzte sich die Siegerpose bis zum zehnten fort. Bernadette ließ es sich gefallen, daß Professeur Fixus ihre Arme entsprechend arrangierte. Dann blitzten drei Fotoapparate auf und dann noch einmal. Die Saalvorsteher postierten sich hinter den ausgezeichneten Schülern, wobei Professeur Faucon und Professeur Fixus sich vor Millie und Julius hinstellten und leicht in die Hocke gingen, um eine weitere Fotosalve auf sich zu nehmen.
"Mir ist bewußt, daß Orden keine besseren Menschen machen. Aber sie können Menschen helfen, sich selbst zu bessern, wenn sie daran denken, daß sie für eine lobenswerte und großartige Leistung ausgezeichnet wurden und wissen, daß sie sich dieser Auszeichnung immer würdig erweisen müssen. Ich weiß auch, daß Auszeichnungen nur schwache Gesten sind im Vergleich zu dem, für das sie verliehen werden. Doch in der Welt der Menschen kann eine schwache Geste Stärke verleihen. Meinen allerherzlichsten Glückwunsch!" Sagte Madame Maxime. Julius sah zu ihr hoch. Er meinte, kleine Tränen in den großen, schwarzen Augen zu sehen. Waren das Freudentränen? Er wußte, daß Madame Maxime Gefühle hatte und auch im Rahmen ihrer auferlegten Disziplin auslebte. Doch Tränen, die hatte er bisher nicht bei ihr gesehen, weder bei ihr als gegenwärtiger Hexe noch in den Erinnerungen, in die sie ihn eingelassen hatte. Einen Moment dachte er, daß Madame Maxime vielleicht traurig über irgendwas war, daß durch die Auszeichnungen verdrängt werden konnte. Dann dachte er doch, daß es merkwürdigerweise Freudentränen waren. Sie hatte ihm das Leben wiedergeschenkt, nachdem er fast dem Schlangenmenschengift erlegen war. Fühlte sie sich vielleicht doch als etwas wie seine Mutter? Er sah sie an und sagte leise genug, daß es die anderen nicht hörten: "Ohne Sie wäre ich heute nicht mehr hier, Madame Maxime. Vielen Dank dafür!" Laut sagte er dann: "Ich bin, wohl wie viele Menschen, denen eine Auszeichnung oder ein hoher Verdienstorden verliehen wurde und noch wird, nicht besonders davon überzeugt, diese Auszeichnung verdient zu haben. Denn ich sehe meinen Beitrag zur Sicherung von Beauxbatons als einen kleinen Beitrag, den ich mir mit elf anderen teilen muß, nämlich denen, die mit mir zusammen die Säulen der Gründer geöffnet haben. Was die Schlangenmenschen angeht, so könnte der Spruch stimmen, daß Dummheit die Mutter aller Helden ist, weil ich die Gefahr unterschätzt habe, die mir drohte, als ich nicht schnell genug das rettende Fluchttor angesteuert habe. Und ich habe hier eines ganz sicher gelernt, daß man für Dummheit nicht ausgezeichnet wird. Also kann das, warum ich diese Auszeichnung erhalten habe nur einen Grund haben: Ich habe etwas bewegt, was ich mir selbst niemals zugetraut hätte. Daher bleibt mir nur, mich allerherzlichst für die mir verliehene Auszeichnung zu bedanken und zu versprechen, daß ich in den beiden noch anstehenden Schuljahren vermeiden werde, mich ihrer unwürdig zu Erweisen. In der Muggelwelt gibt es einen Kunstpreis, der öffentlich verliehen wird und Oscar heißt. Die die ihn erhalten bedanken sich immer gerne bei allen, die ihnen geholfen haben, den Preis zu bekommen. So möchte ich mich bei meinen Eltern bedanken, die mich zu dem Jungen gemacht haben, der heute bei euch ist, bei Professor Albus Dumbledore, der für mich und alle anderen Muggelstämmigen sein Leben gab, damit wir mit der besonderen Gabe der Magie richtig umgehen lernen dürfen, bei Claire Dusoleil, die mir half, in diese Schule hineinzufinden und mir beibrachte, Liebe zu fühlen und zu geben, was sehr wichtig ist, wenn ein Mensch nicht zum wilden Tier werden will, bei Claires Eltern, die euch und mir diese einzigartige Junge Hexe geschenkt haben, bei Harry Potter, weil er für uns alle den schlimmsten Feind magischer Menschen mit und ohne zauberfähige Eltern dazu brachte, sich selbst aus der Welt zu schleudern und zum Schluß bei meiner Frau, die mit ihrer Beharrlichkeit und Willensstärke an mich glaubte und mich als gleichwertige Gefährtin begleiten will, sowie bei einem kleinen, aber sehr intelligenten Wesen namens Goldschweif XXVI., ohne das ich wohl heute auch nicht mehr hier vor euch stehen würde. Zum guten Schluß bleibt mir auch noch, Ihnen, Madame Maxime dafür zu danken, daß Sie bereit waren, einen Teil Ihres Blutes für mich herzugeben, um mein Leben und meine Gedankenfreiheit zu erhalten. Vielen Dank auch an euch alle anderen, die es mit mir bisher ausgehalten habt und wohl noch zwei Jahre aushalten müßt." Den letzten Satz sprach er mit einem Lächeln. Dann sagte Millie noch:
"Nun, Julius hat denen bereits gedankt, denen ich auch Danke schön sagen muß, weil sie ihm geholfen haben, daß er heute bei mir ist. Aber ich möchte mich noch im besondren bei seiner Mutter Martha bedanken, die ihn nicht aus Angst vor seiner Magie von Hogwarts und damit auch von Beauxbatons ferngehalten hat. Sie hat ihn zur Welt gebracht und ihn auf den Weg geschickt, das zu lernen und auszuführen, was ihm liegt. Wir wissen alle, daß sie in diesem Jahr selbst wie viele Menschen in Millemerveilles unterschlüpfen mußte, weil ein überängstlicher, machtgieriger Amtsräuber namens Didier sie und die meisten anderen anständigen Hexen und Zauberer zu Feinden erklärt hat. Dabei hat Martha Andrews, meine Schwiegermutter, an einem Ort wohnen müssen, der ihr eine Zeit lang nicht das Leben bieten konnte, das sie gewohnt war. Sie hat das alles für ihren Sohn, Julius, aber dadurch auch für uns alle, auf sich genommen und sich dabei der Hilfe ihr fast fremder Leute überlassen müssen. Sicher hat sie dadurch, daß sie sich einer bestimmten Person anvertraute, lange nach ihrer Geburt selbst Zauberkräfte erhalten und muß wohl oder übel rausfinden, wie sie was damit anfangen kann. Aber dadurch ist noch deutlicher herausgekommen, wie sehr sie sich nicht nur für Julius, sondern für Sie, werte Lehrerinnen und Lehrer, euch, meine mehr oder weniger gut mit mir auskommenden Kameraden und Verwandten und somit auch für mich eingesetzt hat. Deshalb sage ich dir, Julius, daß du diesen Orden für deine Mutter verdient hast, die dich getragen, geboren und zu dem erzogen hat, was du jetzt bist, ein intelligenter, starker, aber auch anständiger Bursche, der nur zufällig etwas mehr Magie im Blut hat als die meisten anderen. Ich widme den Orden, den ich trage meinen Eltern und meinen Großeltern beider Seiten, ohne die ich nun auch nicht hier wäre. Das mit der Danksagung hat Julius ja schon für mich miterledigt. Ansonsten, bis dann im nächsten Jahr Leute!" Die Menge klatschte, lachte und johlte. Dann durften die ausgezeichneten Spontanredner zurück auf ihre Plätze. Denn nun stand noch die Wertung der Säle an. Das würde wohl weniger erhaben sein.
"Es ist offenbar genauso traditionell wie die Zuteilung der neuen Schüler, daß der himmelblaue Saal dieses Jahr wieder den untersten Rang der Saalwertung bekleidet", begann Madame Maxime, während Julius von Robert, Gérard und auch André beglückwünscht wurde. "Immerhin konnten Sie dieses Schuljahr einige Punkte mehr verbuchen als im letzten Jahr noch", fügte die Schulleiterin hinzu und deutete auf Patrice und Corinne Duisenberg. Dann erwähnte sie die gelben, die zwar nicht so wenige Punkte hatten, aber wohl durch zu wenig Einsatzbereitschaft weniger Bonuspunkte gesammelt hatten. Die Roten durften dieses Jahr zumindest am Siegerpodest schnuppern, wohl auch wegen Millie, Bernadette und den Quidditchspielern, die ja doch einige Punkte für die Wertung eingefahren hatten. Der dunkelviolette Tisch bekam zumindest noch den Bronzeplatz. Doch an den langen Gesichtern der daran sitzenden konnte Julius den alten Sportlerspruch nachvollziehen: Silber ist auch schon blech. Jetzt wurde es wieder spannend. Anders als bei an die tausend Schülern würde mit dem zweiten Platz auch schon der erste klar sein. Madame Maxime deutete auf den weißen Tisch und sagte, daß die Schüler dort zwar ein beachtliches Gesamtpunktekonto erarbeitet hatten, jedoch genau zehn Punkte weniger als der grüne Saal, nämlich fünfhundertzweiunddreißig zu fünfhundertzweiundzwanzig. Die Saalsprecher der am höchsten platzierten Säle gingen strahlend zu Madame Maxime und bekamen die entsprechend großen Auszeichnungen. Danach wurden die zehn weiteren Helfer bei den Gründersäulen zu Madame Maxime gerufen. Sie erhielten die gekreuzten Zauberstäbe in Silbern für ihre tatkräftige Mitarbeit bei der Erhaltung von Beauxbatons und der erfolgreichen Rettung der Schüler vor den Schlangenmenschen. Julius fragte sich dann zwar, warum er das goldene Zauberstabkreuz verdient hatte, konnte es sich eben nur damit erklären, daß Madame Maxime seinen besonderen Einsatz für die verstreut herumlaufenden Schüler hervorheben mußte. Dann hieß es doch: "So holen Sie alle nun bitte Ihr Gepäck aus den Sälen und treffen Sie in spätestens zwanzig Minuten am Ausgangskreis ein!"
Julius wollte diesmal nicht wandschklüpfen. So begegnete ihm Giscard, der auf dem Weg nach oben war, um seine goldene Brosche abzugeben. "Guck die dir genau an! Nächstes Jahr steht da dein Name drauf, und du darfst sie bis nach den UTZs herumtragen. Merkst du schon, wie sie von dir angezogen wird?" Sagte er leise. Julius verzog keine Mine. Er sagte nur: "Da gibt's bestimmt noch wen, der die kriegen kann. An mir könnte die abprallen, weil noch was von Madame Maximes Blut in mir fließen könnte."
"Dafür wird die von dem da wohl magnetisch angezogen", sagte Giscard und deutete auf die goldenen Zauberstäbe, die bei oberflächlicher Betrachtung wie ein christliches Kreuz erscheinen mochten. "Die Auszeichnung hat vor hundertacht Jahren ein gewisser Lucian Binoche erhalten, weil er die Schule durch einen uralten Zauber vor irgendeiner Art Schattenwesen beschützt hat, daß von einem Vorläufer Grindelwalds auf die Welt losgelassen worden war. Der stammt auch aus der Ahnenreihe der Eauvives."
Julius beherrschte sich. Er wollte Giscard keinen Grund liefern sich über etwas zu freuen. Lucian Binoche war Aurélie Odins Großvater gewesen und damit der leibliche Großvater von Ammayamiria. Sollte er wirklich an Zufälle oder Fügungen glauben? Er wußte es nicht und wollte es hier und jetzt nicht mit Giscard ausdiskutieren.
Mit Sack und Pack standen die Schüler zum festgelegten Zeitpunkt am Ausgangskreis. Millie hatte ihren großen Koffer, an dem wie bei Julius ein Besenfutteral mit Inhalt festgeschnallt war zwischen sich und ihn gestellt. Dann erfolgte auch schon der Aufruf nach Paris.
Madame Maxime sah den abreisenden Schülerinnen und Schülern zu, bis auch die Reisesphäre nach Millemerveilles sonnenuntergangsrot aufleuchtete und mit ihren Passagieren im mit dumpfem Knall zwischen Raum und Zeit verschwand. Jetzt stand sie wieder einmal alleine vor dem weißen Palast, in etwa fünfhundert Metern entfernung der grüne Forst, nun durch die anbrechende Dämmerung schon leicht geschwärzt. Professeur Faucon war noch zurückgeblieben. Sie hatte der neuen Lehrerin, die ja immer noch in Millemerveilles wohnte den Aufruf der Sphäre überlassen, weil Madame Maxime noch zwei Dinge mit ihr besprechen wollte.
"Es ist ein erhabenes Haus", sagte Madame Maxime, als sie langsam durch den weißen Palast gingen. "Und ich bin froh, daß es noch einmal so sehr erstrahlen konnte."
"Sie sprechen so, als würden Sie diesen Ort bald für immer verlassen, Olympe", sagte Professeur Faucon mit gedämpfter Stimme.
"Sie wissen, was mich seit den letzten Tagen sehr intensiv beschäftigt, Blanche."
"Ja, weiß ich, Olympe. Ihre Tante mütterlicherseits kam zu uns herüber und brachte hier einen Jungen zur Welt. Doch sie ist hier nicht sonderlich willkommen und wird wohl nach überstandener Wochenphase versuchen, ihrem Aufenthaltsort zu entweichen", ergänzte Professeur Faucon, während sie die Treppen zum achten Stockwerk hinaufgingen.
"Ich habe eigentlich gedacht, mit meiner mütterlichen Verwandtschaft weder gesellschaftlich noch sonst wie in Verbindung gebracht werden zu wollen", sagte Madame Maxime verdrossen. "Aber als ich sie wiedersah, nach der Reise mit 'agrid, ein Kind tragend, ist mir aufgefallen, daß meine bloße Existenz einen bestimmten Zweck erfüllt. Bisher dachte ich, es sei Beauxbatons gewesen, das mich aufgenommen und trotz aller Schwierigkeiten, die ich hier verursacht habe, meine Heimat wurde. Doch wenn ich nicht bald entscheide, wem ich mehr verpflichtet bin, wird man wohl hingehen und Meglamora und den Jungen töten, um der Sicherheit unseres Landes Willen. Kann ich das einfach so hinnehmen, weil es ja doch keine richtigen Verwandten mehr für mich sein können?"
"Da kann ich Ihnen wohl nicht konkret raten. Ich weiß nur, daß wenn meine Tochter in Schwierigkeiten stecken würde, ich alles aufgeben und aufbringen würde, ihr beizustehen. Aber wie Sie sagten, Olympe, diese Meglamora ist Ihnen so fremd wie ein gewöhnlicher Mensch es sein kann. Sie erwarten wohl auch keine Dankbarkeit, wenn die Strapazen der Geburt vollkommen überwunden sind." Madame Maxime nickte. "Dann haben Sie in der Tat nur zwei Möglichkeiten: Sie lassen sich zu Meglamoras Betreuerin ernennen und müssen ihr und der Zauberwesenbehörde tagtäglich zur Verfügung stehen. Dies jedoch würde Sie daran hindern, der Beauxbatons-Akademie weiterhin zur Verfügung zu stehen. Andererseits weiß ich, daß Ihnen die Akademie sehr viel bedeutet und Sie ihr Ihr Leben gewidmet haben. Dann müßten Sie jedoch hinnehmen, daß jemand, die auch nur der Bezeichnung nach mit Ihnen verwandt ist getötet wird, weil sie eine leider nicht abzustreitende Bedrohung darstellt, wenn sie nicht in einem gesicherten Umfeld bleibt."
"Warum mußte dieses Weib ausgerechnet zu uns kommen? Warum ist es nicht nach Deutschland oder gleich nach Übersee gefahren, wo es genug unbewohnte Landschaften gibt?" Brach es aus Madame Maxime heraus. "Jetzt habe ich ihr auch noch geholfen, ein Kind zu gebären und damit Verantwortung für ein wahrlich unschuldiges Wesen übernommen. Die kann ich jetzt nicht mehr zurückgeben. Entweder lasse ich zu, daß Mutter und Kind sterben oder muß meinen Dienst für die Akademie beenden und einer würdigen Nachfolgerin die Obhut anvertrauen."
"Es gäbe vielleicht die Alternative, daß Meglamora in eines der Drachenreservate in Rumänien verfrachtet wird. Dort laufen genug freie Tiere herum, und sie könnte dort leben."
"Das ist unfug, Blanche, bei allem Respekt vor Ihrer guten Absicht. Sie würde sich nicht im Reservat behaupten, wo gefährliche Drachen beheimatet sind, die selbst mit Riesen fertig werden können. Sie ist zu uns gekommen, weil ich ihr damals gesagt habe, daß mein Land Frankreich ist. Ihr Lebensgefährte, der Vater des Kindes, wurde getötet, als die Siedlung der letzten Riesen in Schottland erstürmt wurde. Ich kann mir nicht vorstellen, wie dieser Mann war, womöglich auch sehr brutal und menschenfeindlich. Aber jetzt ist sie mit dem Kind hier bei uns, in unserem Zuständigkeitsbereich, in meinem Land, Blanche, weil ich ihr das gesagt habe. Sie wissen, wie wir uns damals vor der Reise nach Hogwarts über 'Agrid und den Riesen unterhalten haben, der sein Halbbruder ist. Ich widersprach ihm damals, ihn von den anderen wegzuführen und nach England zu schaffen. Wie auch immer er den über den Kanal geschmuggelt hat. Doch bei der Beerdigung und in der Spiegelübertragung von Mademoiselle Drake habe ich diesen Kerl gesehen, hilflos und trotz aller Stärke wie ein Kind, daß an die Hand genommen werden muß. So ähnlich kam mir Meglamora vor, eisern zwar, weil sie ihr Kind gebären wollte, aber doch hilfesuchend wie viele hochschwangere Frauen der Menschen, die einfach jemanden um sich haben wollen, um mit der großen Anstrengung nicht allein zu sein. Madame Barbara Latierre, die mir half, Meglamora unterzubringen, gestand mir später, daß es schon etwas anderes sei, über die Gewaltlust der Riesen zu diskutieren, aber dann einen von ihnen in einer schwierigen Lage anzutreffen. Sie mögen instinktgesteuerte Ungeheuer sein. Aber irgendwas menschliches wohnt ihnen doch inne. Ich muß zwar fürchten, daß Meglamora ihren Sohn nach dem Abstillen grausam verstößt, wie meine Mutter mich einfach so aussetzte. Aber wenn das die einzige Wahl ist, das Kind nicht aus eigener Wut heraus umzubringen, ist das womöglich die Natur dieser Wesen. Doch so oder so leben sie beide gerade hier. Wenn es keinen Ort in Frankreich gibt, in dem sie garantiert von jedem menschlichen Kontakt abgeschottet bleiben, ohne in einer Höhle wie in einer Gefängniszelle zu sitzen, und wenn es keinen anderen Ort gibt, wo nicht gerade Drachen hausen, muß sie entweder getötet oder betreut werden. Madame Latierre schlug Rückhalteringe vor, wie ihre Kühe sie tragen. Doch dann bleibt immer noch die Frage, wo sie vor menschlichem Kontakt sicher ist, beziehungsweise, wo Menschen vor ihr und dem Jungen sicher sind."
"Eines der Friedenslager unseligen Angedenkens, Olympe. Dort könnte sie weit fort von Menschen weiterleben. Doch sie müßte durch magische Rückhaltevorrichtungen in einem begrenzten Gebiet festgehalten werden", erwiderte Professeur Faucon. Madame maxime nickte sehr entschlossen.
"ich werde mich dann wohl mit den Kollegen aus der Zauber- und der Tierwesenbehörde, sowie Ihnen und Professeur Tourrecandide, die ja die Befreiung der Friedenslager mitgestaltet hat, über einen passenden Ort beraten müssen. Wie geht es Austère?"
"Körperlich ist sie außer der durch den auf sie zurückgeprallten Mutter-Kind-Tausch-Zauber um siebenundsechzig Jahre jünger aber im Vollbesitz ihrer bisherigen Erinnerungen. Seelisch scheint sie jedoch immer noch nicht überwunden zu haben, daß sie der Wiederkehrerin geholfen hat, einem Dasein als hilfloses Kind zu entrinnen und sie, Austère für mehrere Minuten fremdes Leben in sich trug. Dieser Vorfall ist bisher nirgendwo erörtert worden, wie auch? Madame Matine möchte Austère weiterhin ambulant betreuen. Ich fürchte nur, daß meine Mentorin und unser beider frühere Lehrerin irgendwann in Wut gerät, sich vor der Welt verkrochen zu haben oder die seelischen Auswirkungen des Erlebnisses sie in den Wahnsinn treiben. Ich habe ihr angeboten, die Erinnerung daran vollständig auszulagern, damit sie sie nicht im Kopf behalten muß. Sie hat es abgelehnt. Zu seinen Fehlern müsse man stehen, hat sie mir gesagt. Aber ich erfahre von Hera, daß jedesmal, wenn diese Leda Greensporn und ihr wundersamer Umstandsbauch in den Zeitungen oder Zeitschriften auftauchen, verzweifelt, ob das wirklich die richtige Lösung war, Daianira an Leda abzugeben. Ich fürchte, sie spielt mit dem Gedanken, den Tausch zu widerrufen."
"Und diese Daianira, die wohl mehr als nur eine ehrwürdige Kollegin war als eigene Tochter zu gebären?" Fragte Madame Maxime ungläubig.
"Oder sie nach der Geburt von Heilerin Greensporn einzufordern, wohl mit dem erpresserischen Vorsatz, andererseits die Einzelheiten der Affäre zu veröffentlichen. Doch dann könnte sie gleich eine der dem Volk zur Abschreckung in den Museen ausgestellten Guillotinen benutzen. Denn was ihr dann von der Öffentlichkeit her droht kommt einer Enthauptung sehr nahe."
"Das heißt, sie wird dann für den von Minister Grandchapeau auf meinen Vorschlag hin einberufenen Rat nicht zur Verfügung stehen?" Fragte Madame Maxime.
"Doch, wird sie, weil ihr daran gelegen ist, die Verdienste und Entwicklungsfortschritte von Monsieur Latierre zu erläutern. Für die Begegnung auf der Insel der hölzernen Wächterinnen kann er ja nichts. Die Zauber, die er uns lehrte, müssen von uns vernunftgemäß ausgeführt werden. Jede Konsequenz daraus ist von uns zu tragen, nicht von ihm. Obwohl er selbst ja davor Angst hat, daß diese Spinnenfrau aus dem Uluru ihn suchen könnte, weil er den sie bannenden Fluch umgekehrt hat, hat er mit Austères Fehltritt nichts zu tun."
"Hat man wirklich keine Spur von ihr?" Fragte Madame Maxime.
"Sie ist intelligent. Sie weiß, daß man sie jagt. Andererseits könnte sie die Fährte verloren haben die Julius hinterlassen hat. Vielleicht war es ein Segen, daß er die magische Flöte aus dem Uluru bei den Vogelmenschen zurücklassen mußte."
"Jedenfalls sind wir beide wohl einer Meinung, daß die Arbeit, die Monsieur Latierre hinter allen Kulissen geleistet hat gewürdigt werden sollte. Die Auszeichnung eben gerade ist wahrlich ein kläglicher Ersatz für die wahre Anerkenntnis."
"Dennoch imponiert sie den anderen. Sie wird bestimmen, wie Julius hier weiterhin von seinen Mitschülern und kommenden Schülergenerationen behandelt wird. Das wird ihn motivieren, alle hier zufallenden Aufgaben so gut es ihm fällt zu erledigen und auf eine beachtliche, zügige Endprüfung hinzuarbeiten."
"Was die geistige Entwicklung entscheidend vorantreiben dürfte", sagte Madame Maxime. "Damit wäre ein weiterer Grund erfüllt, der zur vorzeitigen Anerkennung seiner Mündigkeit führen könnte."
"Dies bleibt abzuwarten, weil andere Ratsmitglieder Vorbehalte wegen der damit einhergehenden Zusatzbelastung oder Freigaben einlegen werden." Madame Maxime nickte.
"So soll also der Zwölferrat befinden, welche Aussichten Monsieur Latierre bevorstehen."
"Und seiner Frau, Olympe. Es ist wohl nötig, beide zur Entscheidung zu stellen." Madame Maxime nickte wieder. Das könnte eine vorzeitige Volljährigkeitsanerkenntnis auch vereiteln. Doch sie wollte zumindest den Versuch wagen, ihm einen Teil dessen zurückzuzahlen, was er der Zaubererwelt gegeben hatte. Ihr Blut und der Orden waren der Anfang. Was weiter kam mußten sie alle besprechen.
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Am grünen Zielkreis der Reisesphäre begrüßten die Angehörigen der heimkehrenden Schüler ihre Kinder, Neffen, Nichten oder Enkel. Julius sah sich um, ob Catherine ihn abholen würde. Doch sie war nicht da. Dafür standen Millies Eltern und Schwestern da.
"Holla, bist du aber in die Länge geschossen", stellte Martine fest, während ihre Mutter Millie begrüßte. Dann sah sie das handteller große Kreuz aus Zauberstäben auf Julius' Brust und nickte. "Habe ich vermutet, daß sie dir das umhängt", sagte sie. "Wenn ich das richtig mitgekriegt habe konntest du ja Beauxbatons vor der Vernichtung bewahren und viele Schüler aus dem grünen Saal retten. Du weißt, daß du der erste nach, Hmm, hundert Jahren und etwas bist, der diese hohe Auszeichnung bekommen hat?""
"Irgendwie vor hundertacht Jahren muß ein gewisser Lucian Binoche die als letzter verdient haben", antwortete Julius darauf. "Das war einer aus dem Eauvive-Stammbaum", fügte er hinzu.
"Madame Maxime hat dich ja richtig großgekriegt", bewunderte Hippolyte Julius' stattlicheren Körper. "War bestimmt nicht billig, dir genug neue Sachen zu besorgen, wie?"
"Zwei Größen habe ich zugelegt", sagte Julius, der das von Madame Rossignol so erwähnt bekommen hatte.
"Catherine ist mit Joe und Claudine doch in Millemerveilles. Joe hat sich doch breitschlagen lassen, Babettes Grundschulabschluß zu feiern. Albericus und ich bringen euch in die Rue de Liberation. Am besten versteckt ihr eure Gold- und Silbersachen unter der Kleidung", sagte Hippolyte noch. Dann zeigte sie Julius die kleine Miriam, die in einem zweiräderigen Wagen saß. Sie besaß jetzt langes, rotblondes Haar und hatte die rehbraunen Augen ihrer Mutter, jedoch von Kinn und Nase her das Gesicht ihres Vaters.
"Kann die schon laufen?" Fragte Julius.
"Hauptsächlich noch da, wo sie sich langhangeln kann", erwiderte Hippolyte. Julius erkannte, daß wirklich ein Jahr mehr vergangen war. Er hatte Miriam noch als Baby in Erinnerung. Sicher, seit dem Beginn des letzten Schuljahres hatte er Miriam ja nicht mehr zu sehen bekommen. Was mochte dann aus Claudine geworden sein?
Mit Albericus' veilchenblauem VW-Bus ging es durch das Gewühl der drängelnden und tutenden Autos in die Rue de Liberation zum Haus Nummer dreizehn. Julius holte den auf das magische Türschloß abgestimmten Schlüssel hervor und schloß auf. Seine Schwiegereltern und Martine halfen ihnen, das Gepäck in die obere Wohnung zu schaffen. Dort lag auf dem Wohnzimmertisch ein verschlossener Briefumschlag. Als Hippolyte sich von Millie und Julius verabschiedete, übergab sie ihrer Tochter eine kleine Kiste. "Schöne Grüße von Tante Trice, falls ihr nicht zu früh neu planen wollt, ohne auf den gemeinsamen Spaß zu verzichten", sagte sie, als Albericus mit Martine und Miriam schon wieder in Richtung Erdgeschoß unterwegs war. Millie grinste ihre Mutter an und bedankte sich. Julius hängte schon den Pappostillon in das Dachzimmer.
"Danke Ma", sagte Millie.
Als Julius sich von seinem Schwiegervater verabschiedete meinte dieser: "Ich hoffe, ihr beiden laßt das Haus ganz, bis Catherine und die anderen zurückkommen."
"Ich hatte eigentlich vor, die große Atombombe im Keller scharfzumachen, damit die um Punkt Mitternacht explodiert", konterte Julius. Albericus wußte zwar nicht ganz genau, was eine Atombombe war, erkannte jedoch, daß sowas bestimmt ganz gefährlich war und Julius ihn damit veralbern wollte. Etwas grummelig wünschte er ihm deshalb noch erholsame Ferien. Julius bedankte sich höflich und geleitete seine Schwiegerfamilie zur Haustür und hinaus.
"Doch Sturmfreie Bude, Millie", sagte Julius, als sie von der plötzlichen Stille des leeren Hauses umgeben wurden.
"Tut uns vielleicht beiden gut, uns ein wenig Ruhe zu gönnen, nach dem ganzen Trubel. Ähm, wer hat uns denn da geschrieben? Oder ist das für Martha?" Sie deutete auf den großen Umschlag. Julius nahm ihn und las "An die Eheleute Mildrid und Julius Latierre" und daß es eine Einladung für den ersten Juli war, also für morgen. "Camille möchte, daß wir uns ihre jüngste Tochter ansehen", sagte er dann, als er den Umschlag geöffnet und neben einem Brief mehrere Fotos von Camille in guter Hoffnung bis zu Fotos von Chloé Dusoleil am Tag der Geburt bis zwei Wochen danach herausgeholt hatte.
"Die will dir unbedingt zeigen, was sie schon bei dieser Reise über die alten Straßen unterm Umhang hatte", grinste Millie. Julius nickte. Dann fand er noch eine Mitteilung von Martha Andrews auf dem Küchentisch.
Hallo Millie und Julius!
Ich weiß ja, daß ihr in Beauxbatons schon was zum Abendessen hattet. Aber für den Fall, daß ihr Durst habt ist im Keller ein Kasten Wasser und ein Kasten Cola. Catherine hat ja eingekauft. Ich komme dann wohl so gegen zwölf zurück, wenn ich mit meinen Kollegen den überstandenen Schuljahresabschluß gefeiert habe. Catherine konnte Joe überreden, mit ihr und Claudine doch rüberzukommen. Belle holt sie ab und bringt sie wieder zurück. Die hat uns alle drei übrigens für den zweiten Juli zu sich eingeladen, damit ihr beiden ihre Tochter Laetitia Syrinx ansehen könnt. Camille möchte euch ja schon am ersten ihre jüngste Tochter vorstellen. Leider konnte ich dir, Julius, ja nicht die letzten zwei Monate als Nachrichtenpack zusammenstellen, weil ich ja hier genug zu tun habe. Geneviève beaarbeitet mich immer noch, auch das nächste Schuljahr zu bleiben. Jetzt, wo ich offiziell als Hexe gelte, stehe dem nichts entgegen, auch ohne Ausnahmesituation als Lehrerin weiterzumachen, sagt sie. Aber Nathalie möchte, daß ich in ihre wiedereröffnete Abteilung zurückkehre. Madeleine will, daß ich während des Schuljahres bei ihr wohne. - Da hätte sie mich in Rufweite und könnte meine Ausbildung weiterführen, falls ich nicht lieber zu ihrer Schwester zu euch nach Beauxbatons umsiedeln wolle. Ich fürchte, ich habe die gute Madeleine falsch eingeschätzt, und sie hat doch die gleichen Kommandoalüren wie ihre jüngere Schwester. Insofern seid froh, daß ihr noch zwei Schuljahre vor euch habt!
Achso! Ich soll euch schöne Grüße von Aurora Dawn und ihrer Tante June bestellen. Die wollten euch eine E-Mail schicken, damit ihr deren Adresse habt. June Priestley ist wohl schon wieder in England, um das Ministerium zu verstärken. Es soll da eine Abteilung für die Wiedergutmachung für Hexen und Zauberer aus nichtmagischen Familien und deren Angehörige geben. Sie schrieb mir, daß ich mich durchaus auch dort bewerben könne. Allerdings haben die bereits erwähnten Damen und Herren verbindlich gesagt, daß ihr zwei nur in Beauxbatons anständig zu Ende ausgebildet werden könnt und ich als deine Mutter, Julius, im französischen Sprachraum wohnen müßte, solange ihr beiden nicht volljährig seid. Wenn die erwähnte E-Mail schon bei dir angekommen ist, Julius, grüß Mrs. Priestley und Ms. Dawn!
Falls ihr nicht auf mich warten möchtet wünsche ich euch beiden eine gute Nacht und verbleibe
Bis morgen früh
"Was schreibt deine Mutter?" fragte Millie. Er gab ihr den Brief zu lesen und sagte: "Aurora könnte uns einen elektronischen Brief geschickt haben. Ich möchte mal sehen, ob mein Rechner überhaupt noch geht, nachdem die alle so lange aus dem Haus waren." Millie nickte und fragte, ob sie die Schulsachen in den Koffern lassen wollten. Er sagte dann nur, daß sie wohl die gewöhnlichen Sachen anziehen könnten.
"Oh, das wird bestimmt lustig", erwiderte Millie und machte mit der Hand eine abmessende Bewegung über Julius' Schulterbreite und von seinem Kopf bis zu den Füßen. Er erkannte, daß sie da wohl was wichtiges nachzuholen hatten. Er besah sich die Hosen, Hemden, Pullover mit kurzen und langen Ärmeln und breitete die größten über Oberkörper und Beine aus.
"Oha, wenn ich nicht die Ferien in Schulumhängen rumlaufen will müssen wir morgen für mich einkaufen gehen."
"Gute Idee. Ich kann auch ein paar neue Sachen gebrauchen. Meine Klamotten zwengen doch schon wichtige Sachen unnötig ein", erwiderte Millie und deutete auf ihren Oberkörper. "Dann müssen wir beide wohl eine Nacht lang in Schlafanzügen oder nackig rumlaufen."
"Aber erst mal guck ich nach Post", sagte Julius und ging in sein früheres Schlafzimmer, daß nun sein Arbeitszimmer war. Auf der Stereoanlage lagen mehrere noch in Klarsichtfolie eingeschweißte CDs, darunter das zweite Spice-Girls-Album und einige Hitsammlungen.
"o dann können wir uns Babettes angebröselte Lieblingsgruppe anhören", sagte Julius und bot Millie einen Platz auf dem kleinen Sofa an, daß statt seines Bettes nun im Zimmer stand. Millie nickte und ließ sich nieder. Geduldig wartete sie, bis Julius die CD eingelegt, gestartet und den Rechner hochgefahren hatte. Er stellte fest, daß seine Mutter zwischen Grundschullehrtätigkeit und sonstigen Zaubererweltverpflichtungen ein neues Betriebssystem installiert hatte, fand jedoch alle seine Daten noch vor und wählte sich über das nun etwas schnellere Modem ins Internet ein, wo er sein elektronisches Postfach prüfte und tatsächlich viele neue Nachrichten fand, darunter zwar sehr viel Werbemüll, aber auch Nachrichten von der Adresse pridawn@kangaroonet.au.
Hallo Julius, und wenn sie mitlesen sollte auch hallo Mildrid!Meine Tante hat mir ihren tragbaren Computer mit der von Florymont gebauten Solarstromerzeugungsmaschine dagelassen, damit ich auch auf diesem wirklich schnellen Weg mit deiner Mutter und dir Mitteilungen austauschen kann, da ja die andere Möglichkeit ja nur für das laufende Schuljahr wichtig und praktisch ist.
Seit dem zweiten Mai ist unsere Lage ja doch wieder etwas rosiger. Tante June ist nach Hause auf die alte Insel zurück und hilft denen, die jetzt dort den großen Scherbenhaufen aufräumen müssen. Das Schreiben auf diesen versenkbaren Buchstabenfeldern ist für mich zwar schwierig, wo ich das mit der Hand schreiben doch eher gewöhnt bin. Aber irgendwie fängt das die Zeit ja auf, die ich zum schreiben brauche, wenn der Brief dann in einer Sekunde bei dir ankommt.
Meine Eltern sind auch wieder zurück auf die Insel. Mum denkt sogar daran, wieder in unserer alten Schule anzufangen, da Professor Vector bei der Sache in der Nacht zum zweiten Mai umgekommen ist. Näheres möchte ich nicht auf diesem Weg schreiben, weil ich nicht weiß, ob dieser Brief nicht doch anderswo kopiert und mitgelesen werden kann. Deshalb nur noch so viel:
Ein Buschflugzeugflieger hat eine übergroße schwarze Spinne bei Alice Springs gesichtet. Unsere Tierbestandsbehörde sucht jetzt nach der. Das heißt also, daß die alte Lady, die dir einen unzüchtigen Antrag gemacht hat, noch bei uns im Land unten drunter sein muß, wenn ihr exotisches Haustier da frei herumlaufen kann.
Grüße an Mildrid und deine Mutter! Vielleicht sehen wir uns ja bei Camille, falls du deinen Geburtstag da wieder feiern möchtest. Dann kann ich auch sehen, um wie viel du im letzten Jahr gewachsen bist.
mfg
Aurora Dawn
"Das so zu lesen flimmert aber schön", grummelte Millie. Julius verstand es so, daß er die Nachricht auf Papier drucken sollte und wählte den Ausdruckenknopf aus. Surrend und schnarrend warf der Nadeldrucker den Text auf ein Blatt Papier. Dann schrieb er zurück:
Hallo Aurora!
Millie und ich sind jetzt zu Hause in Paris und haben gerade deine Nachricht gelesen. Ich hoffe, deine Tante kriegt den Laden wieder zum laufen. Ich hörte sowas, daß eine Abteilung für Schadensersatz und Wiedergutmachung eingerichtet werden soll. Das mit Professor Vector tut mir leid, auch wenn ich sie nur flüchtig vom Sehen am Lehrertisch her gekannt habe. Wie genau das passiert ist interessiert mich schon. Aber ich stimme dir zu, daß wir das besser direkt bereden. Ob ich meinen Geburtstag bei Camille oder Madame Faucon feier oder vielleicht doch in Paris bleibe weiß ich noch nicht. Ich habe von Camille schon eine Einladung, mir ihr kleines Mädchen Chloé anzusehen. Hoffentlich denke ich dabei nicht zu heftig an Claire. Dann soll ich zur Arbeitskollegin meiner Mum, die ja im Februar auch eine Tochter zur Welt gebracht hat. Viele neue Kinder in einer hoffentlich neuen Welt.
Ich hoffe, keiner bei euch kriegt Mordskrach mit dieser alten Dame, die mich damals ziemlich fies angemacht hat. Die ist auf jeden Fall gefährlich. Aber das weißt du ja. Was ich im Schuljahr so erlebt habe, weißt du ja schon alles von mir. Bin mal gespannt, was meine Schwiegerverwandtschaft mir noch so erzählt.
Bei euch ist es ja schon Morgen, wenn ich diesen Brief abschicke. Deshalb wünschen wir beide dir noch einen schönen Resttag.
Mit freundlichen GrüßenMildrid und Julius Latierre
"Super, die Spinnenfrau ist noch in Australien", stellte Millie fest. "Dann weiß die nicht, wie sie da wegkommen soll."
"Sagen wir es mal so, Mamille, daß sie nicht weiß, wo sie jetzt hin soll. Die Erde ist groß. Solange sie nicht konkret weiß, wo ich bin, kann sie nicht nach mir suchen."
"Du hast erzählt, die wäre unsterblich, Monju. Immerhin hätte die mehrere tausend Jahre auf dem Buckel."
"Das stimmt schon, Mamille. Aber von denen hat sie wohl viele Jahrtausende im zeitverzögerten Tiefschlaf überstanden. Also ob sie wirklich unsterblich ist oder nur langsamer alt wird als Menschen weiß ich nicht. Wenn die meinte, ich würde mit der Silberflöte rumlaufen und merkt jetzt, daß die ganz weit oben am Himmel herumgondelt, denkt die vielleicht, sie käme nicht an mich ran und bleibt deshalb da, wo sie ist."
"Was aber dann heißt, daß die Australien terrorisieren kann wie die Abgrundstöchter oder der Unnennbare."
"Ich kann nur hoffen, daß deren Spürsinn keine tausend Kilometer weit reicht. Sonst darf ich mich bei denen da unten nicht mehr blicken lassen."
"Mußt du ja erst einmal nicht mehr, und daß die Schlangenkrieger erledigt sind ist es wohl auch wert, daß du da erst einmal nicht mehr hinfliegst", bemerkte Millie. Julius nickte und prüfte die weiteren Nachrichten. Doch außer einer Testnachricht aus Millemerveilles, was Julius am Absender maisondufaucon@mxg.com lesen konnte, war nichts neues eingetrudelt. Er sah, daß das Antivirusprogramm sich gerade noch mit den neuesten Informationen auffrischte und überließ den Rechner einstweilen sich selbst, während er mit Millie die Arme umeinander gelegt und Wange an Wange auf dem Sofa saß und den Spice Girls zuhörte.
"Von wegen viva forever, lebe ewig", grinste Millie, als das vorletzte Stück durchlief, eine sanfte, mit spanisch angedeuteten Gitarren- und Streicherklängen unterlegte Ballade. "Bei denen hat das wohl gerade zwei Jahre gehalten, wenn ich das von dir richtig verstanden habe."
"Kannst du mal sehen, die hatten da schon genug voneinander."
"Damit möchtest du mir doch nicht sagen, daß das mit uns genauso laufen soll, Süßer", schnarrte Millie. "Wir sind aber nur zwei, und du bist kein Mädchen." Zum Beweis langte sie keck nach Julius' privatester Körperstelle. Dieser revanchierte sich, wobei er jedoch weniger grob zulangte, was sie leise schnurren ließ. Doch weil sie nicht im abhörsicheren Ehebett lagen, beließen sie es nur bei zärtlichen Handgriffen und Streicheleinheiten. Erst als der CD-Spieler leise surrend den Abtastlaser auf die Nullstellung zurückführte ließ Julius kurz von seiner Angetrauten ab, obwohl die beiden Herzanhänger sie gerade in einem wohligen, warmen gleichklang durch sie fließender Ströme wiegten. Er ließ den Rechner herunterfahren und schaltete ihn aus. Dann sagte er:
"Wollen wir schon nach oben?"
"Wir haben eine ganze Nacht Zeit, Monju. Genießen wir das noch, etwas zusammenzusitzen!" Erwiderte Millie. Julius war einverstanden. So lauschten sie eine unbeachtete Zeit lang ihren Herzschlägen und den leisen Atemgeräuschen, während sie sich aneinanderkuschelten und sich der gleichförmigen Kraft ihrer Anhänger überließen, die sie miteinander verbanden. Julius Gedanken wanderten durch schöne Erlebnisse mit Millie. Sie genoß es, ihn wieder bei sich zu haben, als wenn das ganze Schuljahr nicht verlaufen wäre, die Strapazen des Lernens, die bange Frage, ob Madame Maxime ihn ihr vielleicht wegnehmen könnte und die Gefahren, in die er sich auch für sie gestürzt hatte. Das alles war bereits Lichtjahre weit weg. Diese ohne ausschweifende Bewegungen und Annäherungen auskommende Phase einfachen Zusammenkuschelns endete, als von unten das Geräusch einer sich öffnenden Tür zu hören war. Vorsichtig lösten sich Millie und Julius voneinander. Julius fand in die Gegenwart zurück und fühlte sich sichtlich von Millies warmem Körper erwärmt. So ging's auch, dachte er. Es mußte ja nicht immer gleich zur Sache gehen. Er konzentrierte sich und mentiloquierte: "Catherine, wir sind noch auf. Dürfen wir euch begrüßen?"
"Wenn ihr beide noch tagesfertig seid könnt ihr das", kam Catherine Brickstons Gedankenstimme zurück. Julius fragte Millie, ob sie die Brickstons begrüßen wollten. Millie stimmte zu. Denn sie wollte jetzt, wo sie ihre kleine Schwester gesehen hatte, Claudine mit dieser vergleichen. So gingen sie in ihren Schulumhängen und mit den Auszeichnungen um den Hals hinunter. Joe sah sie beide komisch an und meinte, ob sie die leere Bude ausgenutzt hätten.
"Wir haben mit denen in Beauxbatons ein Abkommen, daß keiner was davon erfährt, was wir wann und wie miteinander tun, Joe", sagte Julius schroff, während Millie den Vater Babettes und Claudines anstrahlte und meinte, daß sie noch genug Zeit hätten und auf Martha warten wollten. Joe starrte auf die Orden und fragte, ob die in der Schule jetzt doch das Christentum herauskehren wollten. Dann erkannte er das Symbol als Metall gewordendes Wappen von Beauxbatons. Julius begrüßte Babette und erzählte ihr, daß seine Mutter ihm auch das zweite Album geschenkt habe. Millie hob Claudine hoch, die sich beim hereinkommen noch an Joes Bein festgehalten hatte.
"Dann mache ich euch den Kamin oben auf", sagte Catherine, nachdem sich alle begrüßt hatten. Joe verschwand kurz danach schon im Wohnzimmer. Julius hörte eine Stimme über eindeutiger Stadionkulisse kommentieren. "Hups, wer spielt heute?" Fragte er laut.
"England gegen Argentinien, Julius. Die sind schon in der Verlängerung! Zwei zu zwei!" Rief Joe zurück.
"Millie, das interessiert mich auch", sagte Julius und setzte Claudine wieder ab.
"Dann guckt euch das besser oben an", sagte Catherine. "Joe ist wegen der Feier und wegen des letzten Halbjahres genervt. Ich bin ja deshalb überhaupt mit Babette und Claudine so früh weg, weil ich ihm versprochen habe, daß er sich das ganz in Ruhe angucken kann", sagte Catherine. Dann nahm sie ihre kleine Tochter auf den Arm und folgte Julius und Millie nach oben, wo Julius im Wohnzimmer den Fernseher einschaltete, Catherine den Kamin freimachte und Millie Claudine auf die Schultern hob und herumtanzte.
"Joe hat ab Morgen eine neue Anstellung. Nathalie Grandchapeau hat ihm gute Kontakte aus der Muggelwelt vermittelt, die einen Computerprogrammierer suchen. Das wird ihm wieder Selbstbestätigung geben", sagte Catherine, während auf dem Bildschirm die Fußballmannschaften um einen Ball spielten, der nicht wie die früheren nur schwarz-weiß war.
"Oha, das könnte in die Binsen gehen", unkte Julius, als er die Spielzüge sah. Catherine erklärte ihm dann noch, daß sie Sachen zum Frühstück eingekauft hatte. Er solle sie anmentiloquieren, wenn Millie und er in die Stadt wollten.
"An und für sich können wir auch selbst einkaufen. Aber ich habe kein Papiergeld hier."
"Dann gehen wir zusammen. Claudine soll ihre ersten Schuhe kriegen, wenn sie demnächst richtig ans Laufen kommt."
"Was spielt ihr denn da für einen Scheiß zusammen?!" Hörten sie Joe von unten auf Englisch fluchen.
"Hoffentlich übernimmt Babette das nicht doch noch von ihm", stöhnte Catherine. Julius antwortete nicht darauf. Er holte lieber das größte Hemd und die größte Jeans, damit Catherine sie ihm mit einem Rauminhaltsvergrößerungszauber passend machte.
"So, da paßt du morgen locker rein", sagte sie. "Aber weil Muggelsachen nicht beliebig bezaubert und behext werden dürfen muß ich das morgen nachmittag wieder rückgängig machen. Ich hörte, daß ihr dann bei Camille seit", sagte Catherine. Währenddessen endete gerade die Verlängerung.
"Ach du dickes Ei, jetzt müssen die ins Elfmeterschießen", stöhnte Julius, während Joe unten einen unverständlichen Wutlaut absonderte.
"Was ist das eigentlich, worum die da spielen, Julius?" Fragte Millie.
"Das ist die Weltmeisterschaft. Das wußte ich nicht, daß heute England spielt. Na ja gut, hatten ja dafür eine tolle Schulfeier und etwas Zeit für uns."
"So wie die da spielen hast du eh nix verpaßt", sagte Millie. Catherine meinte dann:
"Ich geh dann besser runter, bevor das Spiel aus ist. Gute Nacht ihr zwei und erholt euch gut!"
"Joh, danke, Catherine. Bis morgen früh dann. Ähm, ich packe unseren Wecker wieder aus. Wenn das also morgen früh muht, sind wir das."
"Gut, kenne ich ja", lachte Catherine und verließ die obere Wohnung.
"Super!" Rief Julius verächtlich, als England im Elfmeterschießen verlor und Joe einen weiteren derben Wutschrei durch das ganze Haus gellen ließ.
"Sind die Franzosen da auch bei?" Fragte Millie mit einem oberflächlichen Interesse. Julius rief den Videotext auf und holte die bisherigen Ergebnisse auf den Bildschirm. "Ja, sind schon einige rausgekullert", sagte er. Dann schaltete er den Fernseher aus.
"Julius, Florymont hat gerade durchs Feuer geguckt und gesagt, daß deine Mutter die Nacht bei den Dusoleils bleibt und ihr sie morgen Mittag bei ihnen wiedertreffen dürft, weil Camille euch zum Mittagessen erwartet", durchdrang Catherines Gedankenstimme seinen Kopf. "Verstanden, Catherine. Hat Mum zu viel Champagner erwischt?"
"Eher Madame L'ordouxes Extraklasse-Met", bekam er Catherines amüsierte Antwort.
"In Ordnung. Dann gute Nacht!" Schickte er zurück und teilte seiner Frau mit, daß sie die Nacht für sich hatten.
"Dann nehmen wir sie uns auch", säuselte Millie. Eine Viertelstunde später lagen sie beide in ihrem abhörsicheren Ehebett. Sie ließen sich jedoch viel zeit, bis sie nachholten, was sie seit der letzten simulierten Begegnung aufgespart hatten.
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"Es tut mir leid, daß ich nicht bei der Beerdigung deiner Großtante anwesend sein konnte, Hera. Noch einmal mein aufrichtiges Beileid", bekundete Madame Faucon, als sie bei Hera Matine im Wohnzimmer saß.
"Danke, Blanche. Ich verstehe, daß du nicht selbst kommen konntest, wo gerade Prüfungen waren. Aber Großtante Zoé ist dir deshalb bestimmt nicht böse", sagte die Heilerin und Hebamme von Millemerveilles. "Sie hatte zumindest einen sanften Übergang, und einhundertdreiundfünfzig Jahre sind ja doch auch ein gesegnetes Alter", fügte sie mit einer Spur Trauer in Gesicht und Stimme hinzu.
"Ich sehe mich noch, wie ich bei ihr zu Besuch war und da ihren Zauberstab vom Tisch genommen habe", offenbarte Madame Faucon eine weit zurückliegende Erinnerung. Hera Matine lachte.
"Ja, das war schon schön, wie du auf dem Tisch Gras und kleine Blumen hast wachsen lassen, wo du gerade erst sechs Jahre alt warst. Tante Zoé hat den Tisch wohl noch behalten und immer wieder gegossen, weil ihr das imponiert hat, einen Blumenwiesentisch zu haben. Vielleicht erbst du ihn sogar. Was ich kriege möchte ich mir besser nicht ausrechnen."
"Wie viele waren denn dort?" Fragte Blanche Faucon.
"Mindestens hundert. So unbeliebt war sie dann ja doch nicht, wenn von ihren vielen Freunden und Freundinnen viele nicht mehr da waren. Armand war mit seiner Frau und Belle da. Die hat sich noch mal bei mir bedankt, weil ich ihr mit der Kleinen geholfen habe."
"Austère war nicht dabei?" Fragte Blanche Faucon.
"Sie ist immer noch nicht über die Sache hinweg. Vor allem jetzt, wo meine Kollegin Greensporn das natürlich nicht vor der Öffentlichkeit verbergen konnte und offensiv darüber gesprochen und diese Legende aufgetischt hat."
"ich hätte sie vielleicht behalten", grummelte Blanche Faucon.
"Du hättest sie so nicht bekommen, weil du dann auf Kleinkindalter zurückgeschrumpft wärest. Im Schlimmsten Fall wärest du dann in dieser hinterhältigen Sardonianerin gelandet. Schon schlimm genug, daß die uns alle derartig austricksen konnte und dadurch ihre alte Macht zurückgewonnen hat."
"Die Unstimmigkeit mit Catherine hält auch noch an", grummelte Madame Faucon. "Sie hält mir immer noch vor, daß das alles hätte verhindert werden können, wenn Austère und ich uns herabgelassen hätten, sie zu informieren. Ich muß leider zugeben, daß sie da recht behalten hat."
"Jedenfalls muß für Austère bald eine Lösung gefunden werden, weil sie körperlich wieder Anzeichen zeigt, als habe die Abtretung nicht stattgefunden. Wir haben es hier mit einem Präzedenzfall zu tun, weil eine solche Zauberei bisher nie dokumentiert werden konnte."
"Du meinst, sie könnte die Abtretung widerrufen wollen?" Fragte Blanche Faucon.
"Es steht zu befürchten, je öfter sie die Folgen des ganzen vor sich sieht. Rein instinktiv würde ich eine partielle Gedächtnismodifikation anraten. Doch ich weiß nicht, ob von der freigesetzten Zauberkraft noch etwas in ihr verblieben ist. Ich finde zwar nichts dergleichen, kann aber nicht mit sicherheit ausschließen, daß der gewisse Rest durch die eigenen Lebensäußerungen überlagert wird und damit nicht zu messen ist. Wir dürfen nicht vergessen, daß es ein Rückpraller war und dieser als Bestrafung diente. Diejenigen, die die Strafhandlung ausführten könnten die Abtretung als Umgehung der Strafe verstehen, auch wenn diese außerhalb ihrer Einflußsphäre geschah."
"Dann wäre es vielleicht günstiger, wenn Austère nicht an der Beratung teilnimmt, zu der wir eingeladen wurden?"
"Sie sagt, sie könne und wolle daran teilnehmen. Ich denke, es ist besser, als sie in ihrem Refugium grübeln zu lassen. Außerdem muß sie ja mal irgendwann wieder an die Öffentlichkeit treten, will sie nicht ihr restliches Leben damit hadern, was ihr widerfahren ist. Deshalb sollten wir sie unbedingt dabei haben."
"Gut, das wollte ich wissen", sagte Blanche Faucon. Dann sprachen sie noch weiter über die Beerdigung von Hera Matines verstorbener Großtante.
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"Muuuuuuh!!" Ertönte das Gebrüll der dem Orginal magisch nachempfundenen Miniaturausgabe der Flügelkuh Artemis. Als wolle sie den Frust, ein ganzes Schuljahr lang in ihrer Ruhehaltungskiste eingesperrt gewesen zu sein hinausbrüllen. Julius schwang sich schnell aus dem Bett. Dabei kullerte das kleine, nun nur noch dreiviertelvolle blaue Fläschchen herunter. er griff behutsam nach dem Euter der Miniatur-Temmie. Diese gab einen erleichterten Schnaufer von sich.
"Wir sind auch wach", hörte er Catherines Gedankenstimme im Kopf.
"Wollte euch nicht wecken. Es ist ja erst sechs Uhr."
"Joe ist sehr genervt wegen des Spiels gestern. Wenn ihr mit dem Frühstücken fertig seid denk mir das zu!" Julius bestätigte diese Aufforderung.
"Willst du baden?" Fragte er seine Frau.
"Warum nicht? Du auch?"
"Eher duschen", sagte Julius.
"Dann geh du zuerst ins Badezimmer. Wenn ich in der Wanne bin kannst du Frühstück machen. Ich komm mit dem gesamten Elektroküchenkrempel hier noch nicht klar."
"Gut, dann mach ich Frühstück", bestätigte Julius.
Um Acht uhr saßen beide in der Küche und hörten die Nachrichten aus dem kleinen Radio, das seine Mutter beim Kochen gerne laufen ließ. Catherine hatte Croissants bei einem Backwarenlieferanten bestellt und einige davon in einer Papiertüte vor der Wohnungstür abgestellt.
"Na, ob die französischen Fußballspieler bis zum Finale spielen?" Wollte Millie wissen. Julius wollte darauf noch keinen Tipp abgeben. Sie sprachen dann davon, daß ja eigentlich in diesem Jahr die Quidditch-Weltmeisterschaft auch in Frankreich stattfinden sollte.
"Die ist dann eben nächstes Jahr. Ist doch bestimmt auch toll, deinen Siebzehnten dann in einem rappelvollen Dorf zu feiern, wo alle irgendwelchen Mannschaften zujubeln."
"Nur, wenn ich 'ne Karte für ein Spiel kriegen kann, daß mich interessiert", sagte Julius.
"Du machst Witze. Ma ist wieder die Leiterin der Sport-und-Spiele-Abteilung. Da kriegen wir Freikarten für mehrere Spiele und das Finale, wenn du das möchtest", entgegnete Millie.
Gegen neun Uhr fuhren sie mit Catherine zum Einkaufen. Millie lieh sich bei Catherine Geld, um sich selbst ein paar schicke Sachen für drüber und drunter anzuschaffen. um fünf vor zwölf zogen Julius und Millie sich schicke grüne Umhänge an, um die Hausherrin vom Jardin du Soleil zu erfreuen. Durch den Kamin der oberen Wohnung flohpulverten sie dann in Camilles und Florymonts geräumiges Wohnzimmer.
"Ah, ihr seid ja überpünktlich. Maman hat vor einer Viertelstunde erst das Frühstücksgeschirr abgeräumt", lachte Jeanne, die ihre Tochter Viviane Aurélie auf dem Schoß schaukelte.
"Oh, ein Wonneproppen", sagte Julius, als er aus dem Kamin heraus war. "Na hallooo!" Sprach er auf die Kleine ein, die ein weiß-grün-blaues Kostüm trug und jetzt wie eine jüngere Ausgabe ihrer Mutter aussah.
"Man könnte meinen, Viviane und Chloé seien Schwestern, wenn die so nebeneinander in ihren Wiegen liegen", sagte Jeanne ganz die stolze Mutter.
"Ach, ihr seid schon da!" Rief Camille. Ich bin in der Küche, zeige Martha noch ein paar praktische Zauber!"
"Muß das sein, Camille", hörten sie Julius' Mutter leicht verlegen antworten. Doch da waren Millie, Jeanne und Julius schon in der Küche. Die kleinste Dusoleil lag in einem Tragekörbchen auf der Bank am Küchentisch. Martha hielt einen Zauberstab in der rechten und mußte sich wohl darauf konzentrieren, was ein Rührlöffel in einem großen, brodelnden Topf machte.
"Hi Mum", grüßte Julius seine Mutter. "Oh, das ist dein eigener Zauberstab. Jau!"
"Der ist ideal auf sie abgestimmt", sagte Camille lächelnd, bevor sie Julius umarmte. Dann maßregelte sie Martha, das Fleisch in der Pfanne nicht zu lange auf einer Seite braten zu lassen.
"Hallo ihr beiden. Komm mir vor wie selbst wieder als Schulmädchen", grummelte Martha Andrews, als sie nach dem Pfannenwender langen wollte. Camille ließ diesen jedoch einfach verschwinden. "Was haben wir bei Madeleine gelernt?" Fragte sie, jedoch lächelnd.
"Das ist Schikane", knurrte Martha und murmelte einen Spruch, mit dem Julius vor einigen Wochen auch einen Pfannkuchen in der Pfanne umgedreht hatte.
"Hatten wir vor drei Wochen in der Zauberkunst-AG", sagte Millie, bedauernd, daß sie selbst nicht zaubern durfte.
"Bin froh, wenn wir wieder zu Hause sind. Ein Schädel wie eine Ritterburg und muß diesen ganzen Kram hier ohne körperlichen Kontakt machen."
"Weil du das kannst", sagte Camille kategorisch. Doch dann sprang sie Martha Andrews bei. Julius sah wie sich Möhren und Kartoffeln aus ihren Schalen befreiten, wie anderes Gemüse wie von Geisterhand überzählige Blätter und Wurzelwerk verlor und bereits dampfende Soße aus Camilles Zauberstab in einen anderen Topf einfloß. Um nicht dumm rumzugaffen übernahmen Millie und Julius das Anrichten des Salates ohne Zauberkraft. Julius' Mutter wollte ihnen das lieber abnehmen. Doch Camille bestand darauf, daß sie sich wie eine anständige Hexe in der Küche verhielt.
"Ähm, darfst du denn ohne Unterrichtsanweisung zaubern, Mum?" Fragte Julius verwegen, als seine Mutter Geschirr auf einem Tablett stapeln sollte.
"Da sie volljährig ist und bereits einen gesunden Zauberer auf die Welt brachte kann keiner mehr eine Spur auf sie legen. Mit anderen Worten, es kann ihr also auch keiner verbieten, zu hexen und zu zaubern", kam Camille Martha zuvor. Jeanne fragte, wo gegessen werden sollte und ließ drei Tabletts mit Geschirr und Besteck vor sich herschweben. Julius trug die kleine Viviane, die quängelte, weil sie lieber alleine laufen wollte. So nahm er sie bei der Hand und ging behutsam mit ihr hinaus.
"Die Übung mit Connies Kleinen hat dich richtig gut eingestimmt", sagte Jeanne, als Julius das zweitkleinste Mädchen hier im Haus in seinen Kinderstuhl setzte.
"Was mir nur zeigt, daß er keine Angst mehr hat, selbst sowas wie deine Viviane hinzukriegen", mußte Millie dazu einwerfen. Julius ließ ihr das durchgehen.
"Wo ist denn eigentlich dein Vater?" Fragte Julius Jeanne.
"Bei Madame Delamontagne. Er kommt aber, wenn Maman ihn ruft", sagte Jeanne. Dann kam auch Denise aus dem Haus. Ihre kleine Nichte machte Anstalten aus dem hochlehnigen, links und rechts mit langen Armlehnen gesicherten Stuhl herauszuturnen.
"Die beiden sind wie Schwestern", sagte Jeanne amüsiert, als Denise Viviane Aurélie begrüßte. Dann sah sie Millie und Julius und fragte kindlich unbekümmert:
"Habt ihr bald auch ein Baby?"
"Bald", lachte Millie. Julius fügte dem hinzu: "Wir dürfen erst ein Baby machen wenn wir beide siebzehn sind, Denise. Weil sonst könnten die in Beauxbatons sagen, daß wir da nicht mehr lernen dürfen."
"Wann ist das?" Fragte Denise.
"Also Millie ist jetzt sechzehn, ich werde das wie du vielleicht noch weißt am zwanzigsten Juli. Dann müssen wir noch einmal Weihnachten, Ostern und Walpurgisnacht warten, und dann ... Kucken wir mal, was dann ist", sagte Julius, weil Millie ihn sehr herausfordernd ansah.
"Du bist auf jeden Fall noch jung genug, um dir noch keine Gedanken um ein Baby machen zu müssen", sagte Jeanne ihrer zweitjüngsten Schwester. "Aber wie du mit Vivi und Chloé umgehen kannst zeigt schon, daß du mal eine gute Maman wirst, wenn du groß bist."
"Stimmt, ich muß ja erst mal sowas kriegen", sagte Denise und deutete auf Jeannes Oberweite.
"Ihr verschwendet eure Zeit, Denise ist aufgeklärt", sagte Camille. "Immerhin durfte sie Chloé beim ankommen zusehen und hilft mir auch, sie beim Stillen zu halten", lachte Camille und ließ große Warmhalteplatten an Julius vorbei auf den Tisch segeln.
"Sah total glibberig aus, als die aus Maman rauskam", grummelte Denise. "Aber Maman hat sich gefreut, und die alte Matine hat sogar gestrahlt. Deine Maman hat ja auch zugesehen, Julius."
"Hat sie mir erzählt. Deshalb heißt die ja mit zweitem Namen Martha wie meine Maman", sagte Julius. Da kam erwähnte Frau verkniffen dreinschauend, weil sie eine Blumenvase mit Sommerblumen vor sich herschweben lassen mußte.
"Auch wenn ich deshalb hier ruhig wohnen konnte gibt es Tage, wo ich Antoinette verwünschen könnte", zischte Mrs. Andrews ihrem Sohn ins Ohr. Dann ließ sie die Blumenvase unfallfrei auf dem Tisch aufsetzen.
"So, dann können wir", sagte Camille. Martha fragte ihren sohn, ob er wisse, wie die Engländer gespielt hätten. Er erzählte ihr, daß sie im Elfmeterschießen gegen Argentinien ausgeschieden seien.
"Dann dürfen die zumindest jetzt Urlaub machen. Mir wäre es lieber, ich könnte nachher mit euch zusammen in ein Flugzeug steigen und irgendwo nach Australien oder Amerika flüchten. Aber ich weiß ja, daß die einen da auch finden."
"Bist du auf der Flucht, Mum?" Fragte Julius, währen Jeanne mit einer Zauberstabbewegungsabfolge Teller und Besteck auf die Plätze verteilte.
"Sagen wir es so, ich werde angehalten, vieles von dem, was ich für bereits gelernt und selbstverständlich ansehe neu zu lernen. Wenn nicht gerade Camille, dann ist es Blanches Schwester Madeleine, und sonst die gute Antoinette, die mir das alles eingebrockt hat."
"Wo bleibt deine Logik, Mum. Sie mußten was machen, um klarzukriegen, daß du nicht ein halbes Jahr verschlafen mußtest. Abgesehen davon zwingt dich zu Hause keiner, den Zauberstab in die Hand zu nehmen. Millie und ich dürfen ja auch nicht."
"Ihr dürft nicht zaubern und ich darf nicht nicht zaubern", berichtigte Martha Andrews ihren Sohn. "Deshalb müßte ich eigentlich wohin, wo viele magielose Menschen rumlaufen, die keine Ahnung von der Zaubererwelt haben. Nur wie erwähnt, wenn die mich suchen, finden die mich da auch. Haben dein Vater und ich doch erlebt, in Australien und in den Staaten."
"Zur Zeit läuft die Fußball-WM. Am besten wir gucken, uns ein paar Karten auf dem Schwarzmarkt zu sichern. Da bist du bei jedem Spiel unter zigtausend Leuten und das Fernsehen guckt dir zu", sagte Julius.
"Fußball", entrüstete sich Camille. "Du hast lange kein Quidditch mehr gespielt, Jungchen. Na gut, zwischen dem vierundzwanzigsten und achtundzwanzigsten bist du ja eh hier, und falls du möchtest, auch schon am zwanzigsten."
"Ich kann doch nicht jedes Jahr bei euch feiern", wagte Julius einen Einwand.
"Stimmt, letztes Jahr hast du bei Blanche gefeiert", parierte Camille für Julius unerwartet gekonnt. "Du hast bisher immer in Millemerveilles gefeiert, weil das eben gut geht, deine Freunde und andere Gäste hier zusammenzubringen. Gut, jetzt habt ihr einen Kamin, aber im Sommer drinnen zu sitzen ist Mutter Natur gegenüber sehr undankbar, solange es nicht regnet."
"Ist mir klar, Camille, daß du meinen Sohn wieder hier haben möchtest, nachdem Eleonore, Madeleine und Ursuline sich abgesprochen haben, daß ich meinen Ruckzuck-Zauberkurs bis zu den ZAGs hier weitermachen kann und Line schon gejubelt hat, weil sie davon ausgeht, daß ich zum Schachturnier hier eingeladen werde. Das geht aber nur, wenn ich im fraglichen Zeitraum Gast eines ordentlichen Einwohners bin."
"Mit anderen Worten, du darfst dir aussuchen, ob du bei mir, Blanche oder Eleonore wohnen darfst, um diese Bedingung zu erfüllen", sagte Camille. Da hörten sie ein Baby schreien. "Das ist der kleine von Uranie. die soll den selbst versorgen. Wenn ich den bade oder sonst wie versorge könnte sie meinen, ihn mir ganz zu überlassen", zischte Camille.
"O schade, ich wollte vergleichen, ob der so gut gefüttert wird wie deine kleine, Camille", sagte Julius.
"Gegen den kleinen Bauduin von Eleonore kommen Chloé und Philemon nicht an. Der ist ganz die Maman geraten."
"Camille, wo sind die verfluchten Windeln?!" Keifte Uranie Dusoleil. Das war eindeutig nicht die besonnene, teils gestrenge Schwester Florymonts.
"Das würde ich weder deinem noch meiner zumuten, verfluchte Windeln anzukriegen!" Rief Camille erheitert. "In der blauen Kommode sind noch welche!"
"Oha, die pralle Babystation", bemerkte Julius zu seiner Mutter, die ihn zwar einen Moment lang vorwurfsvoll ansah, dann aber nickte. Da apparierte Florymont Dusoleil im Garten. Er trug einen grünen Gebrauchsumhang, der mit Ruß besudelt war.
"Oh, die Eheleute Latierre sind auch da? Ich dachte, ihr würdet erst zum Kaffee kommen", begrüßte Florymont die Gäste.
"Florymont, dein blauer Umhang hängt über dem Stuhl im Schlafzimmer", sagte Camille kategorisch. Florymont grinste zwar, verstand jedoch und ging aufrecht einherschreitend ins Haus.
"Das volle Leben", sagte Julius zu Millie. Diese erwiderte jedoch schlagfertig:
"Die verstehen sich aber immer noch sehr gut. Das macht richtig Mut und Laune."
"Viviane hat mir gestern abend was erzählt, ihr hättet besondere Orden gekriegt", brachte Martha das Gespräch auf den Abreisetag von Beauxbatons. Julius nickte und zog die goldenen Zauberstäbe am Band unter seinem Umhang hervor, damit seine Mutter sie begutachten konnte. Millie holte dann ihr Silberschälchen hervor. Camille sah die Zauberstäbe und blickte erst verwundert und dann höchsterfreut darauf.
"Das hat Madame Maxime dir umgehängt? Schön, wieder einen zu kennen, der es verdient hat. Mein Urgroßvater, Lucian Binoche hat es bekommen, als er damals die Viererschatten eines gewissen Spiegelknechtes von einem Kiasatan oder Iaxan oder so von Beauxbatons abwenden konnte." Julius erschrak. Camille meinte doch nicht etwa diesen Iaxathan? Weil er kreidebleich geworden war fragte Camille, was sie so entsetzliches gesagt hatte. Er meinte nur, daß sie nichts böses gesagt habe, sondern nur die Vorstellung, daß es schon einmal wer ganz böses, von dem er wirklich nichts gutes gehört hatte, die Welt zu erobern getrachtet hatte. Der Begriff Viererschatten gefiel ihm auch nicht. Die könnten schlimmer sein als die Skyllianri, und die hatten ihm schon das Gruseln gelehrt.
"Noch wer böseres als Ihr-wißt-schon-wer?" Erschrak nun Denise.
"Ob der böser ist als der weiß ich nicht und will das auch nicht wissen, Denise", sagte Julius. "Der soll nur lange lange vor dem sogenannten Unnennbaren gelebt und alles was böse Zauberei ist so gut gelernt und weitergetrieben haben, daß er wie ein böser Gott, also stärker als jeder Mensch angesehen wurde. Mehr weiß ich von ihm nicht und will dir auch keine Alpträume machen. Das letzte von diesem Typen ist ja mit den Schlangenmenschen aus der Welt geschafft worden." Er hoffte, daß er Denise und sich da nichts vormachte. Denn er war sich nicht sicher, ob nicht noch etwas oder jemand im Namen Iaxathans, der allen bösen Göttern und Dämonen der Welt als Vorbild gedient hatte existierte.
"Stimmt, dieser Kampf ist schon sehr lange her, Denise. Ist nur so, daß Julius seine gekreuzten Zauberstäbe ja auch dafür bekommen hat, daß er denen in Beauxbatons beim Kampf gegen die bösen Schlangenmänner geholfen hat", sagte Camille.
"Gut, daß ich mein eigenes Haus habe", sagte Jeanne verdrossen. "Da muß ich Denise nicht nachts trösten, wenn sie schlecht träumt."
"Was hast du denn von diesem Kampf hier mitgekriegt, Denise", preschte Julius nun vor, weil er fand, daß Denise mit den Erlebnissen und Berichten doch irgendwie fertig werden mußte. So erzählte ihm Denise, daß sie diese Schlangenmenschen zwar nie selbst gesehen hatte, aber von anderen Kindern beschrieben bekommen hatte, wie die ausgesehen hatten. Sie erwähnte die vielen großen Luftballons mit Feuer und Körben drunter.
"Das hat fast einen offenen Ehekrach zwischen Catherine und Joe gegeben", wisperte Martha ihrem Sohn zu. "Catherine wollte ihn nicht damit fliegn, ähm, fahren lassen." Julius nickte.
Florymont nahm am Tisch platz. "Uranie hat den Kleinen gleich umgepackt, dann kommt sie auch", sagte er.
Als Uranie Dusoleil, immer noch füllig von der Schwangerschaft mit Philemon an den Tisch kam grüßte sie Julius lächelnd. Dann aßen sie das mehrgängige Mittagessen. Als sie fertig waren sagte Florymont: "Madame Delamontagne möchte mit dir allein sprechen, wenn du bei uns bist. Ich wollte nur warten, bis du satt bist, Julius."
"Mit mir alleine? Wieso'n das?"
"Weil sie das so gesagt hat, Julius", erwiderte Florymont. Julius verstand. Dann sagte Jeanne noch: "Sie ist jetzt die Sprecherin des Rates, weil Monsieur Charpentier in die Handelsabteilung des Ministeriums gewechselt ist und daher keine führende Ratsstellung mehr ausüben darf."
"Und wer macht jetzt Madame Delamontagnes Arbeit?" Fragte Julius.
"Geneviève Dumas, die Grundschuldirektrice", sagte Jeanne mit einem mädchenhaften Grinsen auf Martha sehend.
"Deshalb kam die wohl auch an den Met dran, der mir heute morgen fast die Schädeldecke weggesprengt hat. Grundsatz, wer nichts verträgt soll nicht trinken", grummelte Martha.
"Ich hoffe mal, du hast nichts unterschrieben", sagte Julius feist grinsend.
"Das schon, aber bereits vor vier Wochen bei Madame Nathalie Grandchapeau. Der Vertrag gilt."
"Moment, wenn eine Direktrice gleichzeitig Rätin ist kommt die doch mit dem einen oder anderen durcheinander", sagte Millie.
"Solange sie in Millemerveilles bleibt und nicht im Ministerium arbeitet darf sie Rätin und Schulleiterin sein", sagte Martha. "Ich habe das mit ihr gestern abend - zumindest erinnere ich mich da noch dran - auch diskutiert. Camille muß ja auch jeden Tag die grüne Gasse hüten."
"Stimmt. Bei Charpentier ist das was anderes gewesen, weil er jeden Tag im Ministerium anzutreten hat und sich noch Arbeit mit nach Hause nimmt", berichtete Camille. Julius nickte. Dann fragte er, ob er dann losgehen dürfe. Millie sah Monsieur Dusoleil noch einmal fragend an. Doch dieser bekräftigte, daß Madame Delamontagne nur ihn sehen wolle. Jeanne erbot sich, ihn mal eben vor das Haus der Delamontagnes zu apparieren. Julius genoß dieses eigentlich unangenehme Zusammenquetschen zwischen Start- und Zielort. Nächstes Schuljahr würde er das selbst lernen.
Als er den Schachgarten durchschritt, sah er Gigie, die Hauselfe der Delamontagnes, die gerade die Blumen goß. Er bat sie, ihn ihrer Herrin zu melden. Eine Minute später durfte er Madame Delamontagne begrüßen. Er gratulierte ihr höflich zur Geburt ihres Enkelsohnes Roger Phoebus und zur Ratssprecherin von Millemerveilles.
"Mein Mann ist mit unserem Sohn im Tierpark. Ich bat ihn, mir genug Zeit mit dir zu lassen", sagte die Hausherrin und führte Julius in ihr Arbeitszimmer. Ihm war nicht ganz wohl. Sie hatte sich ein leeres Haus gesichert, um Zeit mit ihm zu verbringen. Warum? Doch er beherrschte sich und wartete, bis sie von sich aus darauf kam.
"Ich hörte Andeutungen, der Angriff der Riesenvögel auf die uns bestürmenden Schlangenkrieger sei von dir erbeten worden, jedoch keine genauen Einzelheiten, warum und wie, wann und bei wem. Da du ja weißt, daß ich ab heute die Ratssprecherwürde innehabe und davor ja noch für gesellschaftliche Fragen zuständig war, verstehst du sicherlich, daß es mich höchlichst interessiert, ob an diesen vagen Andeutungen etwas dran ist und habe ein Anrecht, den genauen Hergang zu erfahren. Da ich dich niemals als Aufschneider oder Lügner erlebt habe, der solche Behauptungen in die Welt setzt, um Anerkennung zu erheischen, hat entweder jemand aus hochrangigen Ministerkreisen eine unrichtige Behauptung geäußert oder einen hahnebüchenen Grund gesucht, warum uns diese Riesenvögel wie rettende Engel aus christlicher Überlieferung oder die Götter aus Maschinen der altrömischen Theaterstücke diese Pest vom Hals geschafft haben, justamente als auch Beauxbatons bestürmt wurde und du selbst dem Gift dieser Ungeheuer beinahe selbst anheimgefallen bist."
"Es tut mir leid, aber ich wurde von Madame Maxime und Professeur Faucon unmißverständlich dazu angehalten, darüber nichts an Unbeteiligte zu verraten, da das Sachen berührt, die eine hohe Geheimhaltungsstufe besitzen."
"Oh, so möchten Sie mir kommen, junger Mann! Verstehe, Geheimhaltungsstufe, kann man jeden mit auf abstand halten. Aber welcher Geheimhaltungsstufe das von Ihnen nicht an Unbeteiligteweiterzugebende Wissen besitzen mag, möchte ich Sie mit aller Entschiedenheit darauf hinweisen, daß ich bereits als Dorfrätin von Millemerveilles und jetzt durch meine Beförderung zur Ratssprecherin Zugang zur höchsten Geheimhaltungsstufe besitze und damit immer noch mehr wissen darf als Sie. Oder hat Ihnen Minister Grandchapeau persönlich untersagt, dieses Wissen preiszugeben? Dann frage ich mich, warum Madame Maxime und Professeur Faucon davon wissen durften. Bei der Gelegenheit habe ich mit Professeur Faucon heute morgen noch gesprochen. Sie wich mir auch aus und berief sich auf Angelegenheiten, die nicht in meinen Zuständigkeitsbereich fallen. Wenn aber graue Riesenvögel, die sonnenheiße Strahlenbündel wie Blitze aus gebündeltem Drachenfeuer speiend über Millemerveilles auftauchen, dann betrifft das sehr wohl meine Zuständigkeit. Sie wagte es, mich an Minister Grandchapeau und dessen früheren Stellvertreter Delamontagne zu verweisen."
"Dann darf ich Ihnen das auch nicht verraten, weil ich nicht weiß, ob Ihr ... Monsieur Phoebus Delamontagne und Minister Grandchapeau mich nicht dafür belangen würden, wenn ich derartiges Wissen nur auf Grund einer Einschüchterung ausplaudere."
"Das war mir klar, daß ich diese Antwort erhalten würde", schnaubte Madame Delamontagne. Julius verschloß seinen Geist so gut es ging. Abgesehen davon schützte ihn das Latierre-Familiengeheimnis vor unbewußtem Verrat. "Dann stellen wir die Frage doch mal anders: Wer weiß von dem, was ich nicht wissen darf?"
"Madame Maxime, Professeur Faucon und meine Frau, weil Sie zum Stillschweigen verpflichtet wurde."
"So, also Ihre Angetraute, rechtlich und faktisch nicht mehr als ein sechzehnjähriges Schulmädchen, darf Dinge wissen, die eigentlich nur erwachsene Ministerialbeamte wissen dürfen. Ohne jetzt kindisch zu wirken kann ich doch wohl davon ausgehen, daß was die darf ich erst recht darf, Monsieur Latierre."
"Nur im Vergleich zu Ihnen, werte Madame ist meine Angetraute durch ihren Familiennamen und die von den Latierres errichteten Schutzmaßnahmen vor ungewolltem Verrat geschützt, ebenso wie ich", konterte Julius. Er dachte an ein Schachspiel, bei dem nicht Figuren sondern Wörter geführt wurden und das Schachbrett die Geheimnisse waren, die er sich hatte aufladen lassen oder selbst aufgeladen hatte. So erfolgte auch schon der Gegenzug:
"Dann stellen wir die Frage doch mal unverbindlich: Hat das, was du gemacht hast seinen Ursprung dort, wo du die vier Zaubersprüche erlernt hast, die du ja auch mir beigebracht hast?"
"Das trifft zu", erwiderte Julius. Dann sagte er: "Die Sprüche waren eine Art Hilfe und Belohnung dafür, daß ich eine schwere Aufgabe übernehmen konnte, die dazu führte, Kontakt mit dem Ursprung dieser Vögel aufzunehmen. Das ich dazu auserwählt wurde basiert wiederum auf dieser Geheimsache, die Ihnen dann wohl nur der Minister erzählen darf."
"Hältst du mich für eine Klatschhexe, die weitergibt, was sie zu hören bekommt, wenn sie weiß, daß es sehr brisante, ja Leben und Ansehen einer Person beeinflussende Dinge sind?"
"Nein, das tu ich nicht. Ich habe nur gelernt, daß es oft richtig ist, heftige Sachen besser nicht weiterzuerzählen. Und nachdem, was wiederum mir andeutungsweise erzählt wurde, können die vier Zaubersprüche, die ich gelernt habe auch auf den zurückfallen, der sie anwendet, obwohl sie ursprünglich nur schützen und verteidigen."
"Du schreibst dir doch nicht etwa die Schuld an dieser groben Fahrlässigkeit zu, der sich Professeur Tourrecandide schuldig gemacht hat, die seit Anfang Mai von Madame Matine betreut wird?"
"Ich hörte nur, daß sie einen Fehler gemacht hat, weil sie einen oder zwei der Zauber auf etwas angewendet hat, was sie nicht genau einschätzen konnte und es mit der Erbin Sardonias zu tun hatte."
"Das ist eigentlich schon mehr, als ein knapp sechzehn Jahre alter Zauberer wissen darf, der gerade erst höchstwahrscheinlich erfolgreich die ZAG-Stufe gemeistert hat. Du hältst mich also nicht für eine Klatschhexe?" Julius schüttelte den Kopf und betonte, daß er das nicht tue. "Gut, ich erkenne an, daß du eben, weil du noch minderjährig und naturgemäß noch verunsichert bist, wie du mit sehr gravierenden Kenntnissen richtig umgehen kannst lieber darauf vertraust, daß dir erteilte Anweisungen ihre Richtigkeit haben müssen. Dann muß ich wohl von meiner Rangstellung gebrauch machen und dir die Madame Maxime und Professeur Faucon übergeordnete Anweisung erteilen, mir zumindest über den Hergang der Mission zu berichten, die zur Entsendung dieser Riesenvögel führte, da sie ja offenbar kein ministeriell bestätigtes Geheimnis sind." Boing! Die alte Schachexpertin hatte ihn erwischt. Er hatte rausgelassen, daß nur der Grund, warum er ausgesucht worden war geheim war, nicht aber, was er genau hatte tun müssen. Das zu bewahren hatten ihm Madame Maxime und Professeur Faucon befohlen. Doch das berührte auch ein sehr persönliches Ereignis, Claires körperlichen Tod. Mit dem wollte er nicht in Verbindung gebracht werden. Und was Darxandria anging, die in der Zwischenzeit in die junge Latierre-Kuh Artemis genannt Temmie umgezogen war, so war das für ihn auch eine sehr private Sache, über die er nur denen was erzählen durfte, denen er bedingungslos vertraute. Vertraute er also Madame Delamontagne nicht? Er hatte mit ihr nicht so sehr zu tun wie mit Millie, den Latierres, seiner Mutter oder den Lehrern in Beauxbatons. So sagte er: "Wenn Professeur Faucon, die im Gegensatz zu mir volljährig und alt genug ist, um zu entscheiden, wie sie mit "gravierenden Kenntnissen" umgehen muß befindet, Ihnen, die sie ihr besser bekannt sind als Sie mir, bestimmte Dinge nicht zu erzählen, muß ich das als für mich verbindlich ansehen, da ich Professeur Faucon besser kenne als Sie und das ist noch sehr sehr wenig." Zu seiner Überraschung lächelte Madame Delamontagne ihn erfreut an, als habe er ihr nicht gerade eine grobe Abfuhr erteilt, sondern sie zu einer tollen Party eingeladen. So fragte sie nun ganz ruhig und ohne autoritären Tonfall: "Von was machst du dann abhängig, wem du Sachen anvertraust, die du nicht alleine bewältigen kannst? Die Frage kannst du mir ganz sicher beantworten."
"Ja, das kann und das möchte ich", setzte Julius an. "Ich mache das davon abhängig, inwieweit jemand selbst mit in etwas hineingezogen werden kann, was mir passiert ist, mir dabei helfen kann, damit fertigzuwerden und mich deshalb nicht anders bewertet als vorher, wenn er oder sie das erfährt, was wohl ziemlich erschütternd sein kann."
"Deine Mutter zum Beispiel?" Fragte Madame Delamontagne. Julius überschlug schnell, wie seine Antwort ausgelegt werden könnte. Wenn er ja sagte, würde Eleonore Delamontagne vielleicht auf die Idee kommen, seine Mutter auszuforschen, um die Antworten zu kriegen, die er nicht rausrücken wollte. Wenn er nein sagte würde er damit andeuten, daß er seiner Mutter nicht vertraute. Da fand er eine Antwort. "Meine Mutter darf von mir die Sachen wissen, bei denen sie mir helfen kann und wo niemand aus dem Ministerium Bedenken haben kann, daß man es ihr legilimentisch oder mit Veritaserum entreißen könnte, um mich oder andere zu schädigen. Sie haben ja mitbekommen, daß Pétain oder Borgogne meiner Mutter das Zeug einzutrichtern versucht hat, um Sachen rauszufinden, die sie und mich als gemeine Betrüger oder unbefugte Eindringlinge hinzustellen. Legilimentisch kann man ihr keine Sachen entreißen, die ich im Schutze meiner neuen Familie als Geheimnis verstaut habe." Madame Delamontagne lächelte wieder. Wieso machte die das?
"Was für mich heißt, daß du durchaus ermessen kannst, was für deine Angehörigen gefährliches Wissen sein kann und was nicht." Julius bejahte das vorsichtig, weil er ja eben erst immer ergründen mußte, wie gefährlich das was er wußte oder konnte für andere werden mochte. Er erwähnte in dem Zusammenhang das erste Treffen mit der Wiederkehrerin, weshalb er ja Occlumentie erlernt hatte und warum Mildrids Eltern darauf so bestanden hatten, ihn bereits mit fünfzehn zu verheiraten, damit ihre Familie ihn und die Geheimnisse vor unbefugtem Zugriff schützen konnte. Dieser Schutz schlösse auch seine Mutter mit ein, wenn er ihr Sachen anvertraute, um ihr zu zeigen, daß er ihr vertraute, aber nur die Sachen erzählte, die zu erzählen ihm nicht verboten waren.
"Fühlst du dich dann nicht sehr unwohl, mit so gefährlichem Wissen oder Können belastet zu werden?" Fragte Madame Delamontagne.
"Wenn Sie meinen, daß ich Angst habe, weil ich das kann oder weiß, dann nur, daß mir das schwerfällt, damit alleine klarzukommen, ich das aber irgendwie machen muß, wenn ich weiß, daß es für mich oder Leute, die mir wichtig sind, mache."
"Gut, du hast mir zumindest verraten, daß du geeignete Maßnahmen hingenommen hast, daß du darauf vertraust, daß jemand weiß, ob etwas gefährlich oder beeinträchtigend ist und mir bestätigt, daß du nur so viel Wissen preisgibst, wie du verantworten kannst oder preiszugeben berechtigt wurdest." Julius nickte. "Und wenn ich dir jetzt sagen würde, daß ich dir bestimmt besser helfen könnte, mit alledem zurechtzukommen, wenn ich weiß, was dich umtreibt?"
"Müßte ich Ihnen wohl sagen, daß Sie das nicht wissen können, solange ich es Ihnen nicht verrate und sobald ich es Ihnen verrate ich Ihnen ausgeliefert hätte, was Sie wissen wollten, ohne mir die versprochene Gegenleistung zu bieten, egal, worin sie besteht. Ich habe gelernt, daß Wissen Macht ist und Macht nicht geschenkt, sondern verliehen wird. Solange ich etwas weiß, besitze ich die Macht, damit umzugehen. Gebe ich es weiter, gebe ich anderen Macht über mich, falls ich nicht genau weiß, daß daß, was ich weiß, nicht gegen mich oder mir wichtige oder geliebte Personen benutzt werden kann wie besagte vier Zauber, die mich nicht töten und auch nicht als unbefugten oder Feind zurückschlagen können, weil sie nur auf mit Tod und Zerstörung handelnde Wesen oder eben Flüche wirken."
"Ja, aber du kannst in die Notlage kommen, einen Fluch auf jemanden oder etwas zu wirken, um dich zu verteidigen und jemand anderes könnte mit dem Fluchumkehrer diesen Fluch entweder zum Nutzzauber umschlagen oder gegen dich wirksam werden lassen."
"Es käme wohl darauf an, ob der Zauber dann gegen Lebewesen oder Gegenstände geführt würde. Bei Lebewesen würde ich den Fluchumkehrer wohl nicht empfehlen, weil das Lebewesen dann ganz anders aussehen oder handeln kann, beispielsweise einen Werwolf, der dann am Tag zum zahmen Wolf wird und bei Vollmond zum massenmordenden Menschen."
"Interessante These", wandte Madame Delamontagne ein. So wie sie das sagte mußte Julius das auch gerade denken, daß es eine interessante Überlegung war. Wenn ein Mensch verflucht war, dann würde der Fluchumkehrer den Fluch nicht aufheben, sondern umdrehen. Infanticorpore könnte dann zu einem Uraltmacherfluch verdreht werden oder einen Erwachsenen Menschen mit dem Verstand eines Neugeborenen erzeugen. War es das vielleicht, was Professeur Tourrecandide nicht überlegt hatte? War es das, worauf Madame Delamontagne gerade ausging, es ihm ohne es zu erwähnen mitzuteilen?
"Jedenfalls möchte ich mich immer sicher fühlen, daß das, was ich an wirklich heftigen Sachen weiß, nicht an zu viele Leute gelangen lasse", sagte er.
"In Ordnung", sagte Madame Delamontagne. "Dann kann ich beruhigt feststellen, daß du niemandem außer den genannten und geschützten Personen berichten wirst, daß du die grauen Riesenvögel auf irgendeine Weise gerufen hast, indem du einem alten Vermächtnis aus Atlantis nachgespürt hast, weil ein solches dich wohl vorher - auf ministerielle Anordnung geheimzuhalten - als Ausführungsberechtigten und befähigten bestimmt und instruiert hat. Die Schlangenkrieger und deren Feinde stammen beide aus dem alten Reich, Julius." Er nickte. Was sollte es jetzt auch? Denn ihm fiel gerade auf, daß sie es schon die ganze Zeit gewußt haben mochte, was er genau getan hatte. Dann war die ganze strenge Anfuhr und das ganze Geplenkel nichts anderes als eine Prüfung gewesen. "Es beruhigt mich, daß du im Gegensatz zu einer bedauerlicherweise großen Mehrhheit deiner körperlichen Altersgenossen früh genug gelernt hast, vertrauliche oder gar welterschütternde Dinge nicht als gutes Mittel zum Aufschneiden zu verwenden und daß es eine gutartige Macht gibt, die befunden hat, daß du in ihrem Sinne handeln kannst und dir daher die Aufgabe übertrug, in ihrem Sinne zu handeln und damit auch dir und uns einen sehr großen Dienst zu erweisen. Mein Wissen um die Vermächtnisse des alten Reiches ist zwar sehr beschränkt, aber wie erwähnt darf ich über einiges mehr wissen als dir zu wissen erlaubt ist und bin daher nicht überrascht, daß eine solche Macht dich als ihr genehm und belastbar eingestuft hat. Welche Ketten von Ursachen oder Zufälle dich auch immer mit einer solchen Macht in Berührung gebracht haben, sie führten letzthin dazu, daß du uns allen helfen konntest. Die Frage, warum das nicht schon passierte, daß die Riesenvögel uns zu Hilfe kamen, als die Schlangenmenschen bereits auf unserer Welt ihr Unwesen trieben ist für mich leicht zu beantworten: Es mußten bestimmte Bedingungen erfüllt sein, um das Mittel zu erwerben, sie zu rufen und es mußte wohl ein unmittelbarer Angriff dieser Feinde auf dich persönlich stattfinden, um das den Hilferuf tragende emotionale Gewicht zu verleihen, die unmittelbare Bedrohung, die Gefahr für das eigene Leben. Es gibt Zauber und Rituale, die nur unter bestimmten körperlichen oder geistig-seelischen Bedingungen ihre Kraft entfalten können. Mehr muß ich nicht wissen." Wieder lächelte sie, während Julius sich nun absolut sicher war, gerade geprüft worden zu sein, und zwar nicht durch die Beantwortung von Fragen, sondern die Verweigerung von Antworten. Oder hatte er den Test vielleicht nicht bestanden, weil er doch mehr rausgelassen hatte als gut war? Madame Delamontagne sagte dann noch: "Das was du erwähnt hast, Personen nur die Sachen mitzuteilen, denen du vertrauen kannst, gilt nicht nur für dich oder deine Frau, sondern auch für meine Familie." Sie holte eine Rolle zusammengesteckter pergamente aus einer Schublade, zog den sie zusammenhaltenden Kupferring ab und hielt Julius den äußersten Bogen unter die Nase. Er konnte lesen, daß es ein von Professeur Faucon als Geheimzuhaltender Bericht über die Schlangenwesen und ihre Bekämpfung war. er las, daß sie beschrieb, daß ein ihr zum Schutz anvertrauter Schüler durch eine Verkettung von Ereignissen, die der Minister als Geheimnis hütete, von einer Macht Namens Darxandria beauftragt worden sei, ein Artefakt zu finden, mit dem die Feinde der Schlangenwesen gerufen werden könnten, daß das Artefakt nur zu einer bestimmten Jahreszeit geborgen werden konnte und es erst aussah, als sei die Mission fehlgeschlagen, aber dann doch ein Ausweg angeboten wurde. Er las weder seinen Namen, noch was er gesucht und benutzt hatte. Doch er war sich sicher, daß Professeur Faucon das alles dem stellvertretenden Minister mitgeteilt hatte und diese Abschrift nur eine Erklärung für Nachfolger war, um die Vorfälle zu ordnen. Sie stecte die Pergamente wieder in den Kupferring und legte die Rolle zurück in die Schublade, die sich leise klickend versperrte.
"Sie wurden umfassend über den Ablauf der Hilfsmission informiert?"
"Nur soweit es keine persönliche Beeinträchtigung für dich darstellt", sagte die Ratssprecherin. "Mein Ziel war, wie du durchaus bemerkt haben wirst, daß du in einer Situation warst, in der du befinden mußtest, ob du jemandem mehr darüber erzählen darfst, willst oder kannst und wie du das begründest. Mehr wollte ich nicht."
"Wie bei den Klingonen, wenn jemand gezwungen wird, etwas zu verraten, wird er als Verräter getötet", grummelte Julius, dem die entsprechende Star-Trek-Folge mit Riker in der Hauptrolle einfiel.
"Die Klingonen sind meines bescheidenen Wissens von Babette und Laurentine nach ein fiktives Kriegervolk in einem anderen Planetensystem, die ein hohes Maß an Aggression zur Kultur und einen hohen Ehrbegriff zum Daseinszweck erhoben haben, nicht wahr?"
"Paßt so zusammen", erwiderte Julius. Hatte Laurentine bei Madame Delamontagne über Star-Trek gesprochen? Interessant, um nicht zu sagen, faszinierend, fand Julius. So schilderte er, weil das ja eben nur erdichtet war, wie genau das in dem erfundenen Universum abgelaufen war. Die Ratssprecherin hörte interessiert zu. Offenbar nutzte sie sein Wissen um erfundene Geschichten, um über seine Gedanken etwas zu erfahren. Zum Schluß meinte er noch: "Diese Klingonen betrachten den Freitod als ehrenvoll, wenn sie damit aus einem zum Kamf unfähigen Körper freikommen können. Und bei denen gilt ein Junge als Mann, sobald er das Schwert eines Kriegers festhalten kann, ohne umzufallen."
"Halten, nicht jemanden damit töten?" Fragte Madame Delamontagne.
"Soweit ich das aus der Geschichte gelernt habe nur halten", bekräftigte Julius.
"Ich hörte von Laurentine, daß es Menschen in der Muggelwelt gibt, die nicht nur die fiktiven Sprachen erlernen, sondern auch Waffen, soweit sie abgebildet werden können, Kleidung und andere Ausstattungsstücke nachbauen. Schwerter sind Jahrtausende lang die Nahkampfwaffen magieloser Menschen gewesen. Da gab es doch bestimmt auch so ein Klingonenschwert oder?"
"Ob es sowas gibt weiß ich nicht. Deshalb kann ich auch nicht sagen, wie schwer das dann wäre und ob ich das dann mit einer Hand hochhalten könnte. Hmm, jetzt wohl schon, aber nicht als Vier- oder Fünfjähriger." Madame Delamontagne strahlte ihn an und lachte hell und höchst erheitert. Die hatte ihn doch vor nicht mal einer viertelstunde angeherrscht, ihr was zu erzählen und mit ihrer Rangstellung punkten wollen. Als sie wieder zu Atem kam sagte sie:
"Eine erheiternde Vorstellung, die Mündigkeit eines Menschen durch die Übergabe einer Waffe oder einer bestimmten Aufgabe zu bestätigen. Aber ich frage jetzt einmal, und hoffe nicht zu intime Details anzurühren: Empfindest du dich als Erwachsen, seitdem du mit deiner Frau die erste körperliche Liebe erlebt hast?"
"Sagen wir so, ich weiß jetzt, wie sich das anfühlt. Das gibt mir mehr Wissen, aber ob mich das gleich erwachsen gemacht hat will ich besser nicht sagen. Vielleicht kann ich das erst sagen, wenn ich weiß, ob ich mit Mildrid auch ein Kind großziehen kann. Vielleicht kann ich dann überhaupt erst erwachsen werden, weil ich jemandem helfen muß, eigenständig leben zu lernen, wobei ich ja zwangsläufig alles von früher anders zu sehen und zu bewerten habe und damit wieder neu lerne. Das kann ich so also nicht festhalten. Sonst müßte ich Sie fragen, ob sie sich als Mutter einer Tochter besser gefühlt haben als als Mutter eines Sohnes. Aber ich respektiere wie Sie, daß es private Sachen gibt, die nicht weltbewegend genug sind, daß andere sie auch als Geheimnis wissen müssen."
"Gut, mehr möchte ich dann auch nicht von dir erfahren. Aber wo du schon mal hier bist: Die Dusoleils erwarten dich wohl zum Kaffeetrinken zurück. Gönnst du mir bis dahin die Ehre, deine Schachfortschritte zu erkunden?"
"Warum nicht", erwiderte Julius.
Als er dann um vier Uhr mit Madame Delamontagne auf der Landewiese der Dusoleils apparierte brummte sein Kopf, weil er eine anstrengende Partie hinter sich hatte. Sie verabschiedete sich von ihm und wünschte ihm noch schöne Ferien, und er möge ihr bitte schreiben, wie seine ZAGs ausgefallen seien, weil er bestimmt keinen davon unter akzeptabel geschafft habe. Dann disapparierte sie mit vernehmlichem Plopp.
Julius sprach mit den Dusoleils noch über die Sachen, die in den Ferien anstanden. Martha Andrews meinte dann, daß sie wohl nun freier atmen könnten als im letzten Jahr. Julius erwähnte Pina, die mit ihrer Mutter und ihrer jüngeren Schwester ein neues Haus suchen müsse und auch, daß Gloria, die Hollingsworths und Kevin nicht wüßten, ob sie jetzt in Thorntails weiterlernen sollten oder nicht. So verflog der Nachmittag. Als Martha Andrews, Millie und Julius dann per Flohpulver in ihre Wohnung zurückkehrten, vertraute Julius ihnen an, daß Madame Delamontagne ihn aus irgendeinem Grund getestet hatte, ob er Sachen auch unter Druck nicht rauslassen würde.
"Eleonore ist, wenn sie nicht gerade ein Kind trägt, eine sehr geübte Menschenkennerin", sagte Martha Andrews. "Sie braucht wohl dieses Gedankenaufspüren nicht zu können, gegen das ihr beide eine Abwehrtechnik erlernt habt. Offenbar ging es ihr darum, zu sehen, ob dir bewußt ist, wie weitreichend das war, was du gemacht hast, Julius und ob du damit behutsam oder frei heraus umgehst."
"Julius gibt doch nicht damit an, was er gemacht hat, Martha. Sonst hätte das schon längst in der Zeitung gestanden, was letzten Sommer in London passiert ist", sagte Millie. Julius nickte.
"Stimmt", bestätigte Martha Andrews. Dann ging sie daran, das Abendessen zu machen, wobei sie ihren Zauberstab schön weit fortpackte.
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So stelle ich fest, daß von Ihnen allen keine Einwände bestehen, einen Zwölferrat nach Familienstandszusatzregelung Nummer zwei einzuberufen. Da zur Grundvoraussetzung die Entscheidung der ZAG-Kommission abzuwarten ist, schlage ich als Einleitende Zusammenkunft den siebzehnten Juli 1998 vor, um alle nicht-ZAG-relevanten Faktoren zusammenzutragen und zu bewerten. Bis dahin bitte ich keinem außer den in der Liste der Mitglieder genannten Personenkreis über diesen Rat zu berichten, da dies das Ergebnis beeinflussen könnte.
Auf eine gerechte und sachlich unanfechtbare Bewertung hoffend verbleibe ich
Mit freundlichen Grüßen
Armand Grandchapeau
Zaubereiminister von Frankreich
Als Professeur Faucon dieses Rundschreiben am dritten Juli las, hatte sie bereits drei weitere Schreiben aus Großbritannien erhalten, in denen sie befragt wurde, ob sie den Prozessen gegen festgenommene Todesser beiwohnen wolle. Sie hatte mit Gloria Porter gesprochen, die wohl einen dezenten Vorschlag des Ministeriums erhalten habe, sich um eine Rückkehr nach Hogwarts zu bemühen und hatte auch mit Professeur Tourrecandide über die Folgen ihres Ausflugs gesprochen. Sie rechnete damit, daß es in den nächsten Tagen, bedingt durch eine eigentlich freudige Mitteilung in der amerikanischen Zaubererweltpresse, zu einer Eintrübung von Professeur Tourrecandides Gemütszustand kommen mochte. Doch Hera Matine meinte, daß die einzige Alternative für Professeur Tourrecandide außer einer Gedächtnisänderung darin bestehe, den kritischen Zeitpunkt bewußt zu überstehen und zu hoffen, daß die restliche Kraft, die bisher nicht nachzuweisen war, erlöschen würde. Sie dachte auch an Madame Maxime, die vor einer schweren Entscheidung stand, die auch sie unmittelbar betreffen würde, sollte die Halbriesin nicht doch jemanden anderen in die engere Wahl ziehen oder dann doch lieber hinnehmen, wie die Angst vor der Gefahr zur Auslöschung der potentiellen Gefahrenquelle führte.
Jedenfalls würden diese Sommerferien, die ersten im Bewußtsein, daß der Mörder ihres Mannes nicht mehr lebte, die wohl wichtigsten Wochen seit langer Zeit für sie sein.
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Julius las seiner Mutter und Millie am dritten Juli einen Brief vor, der das Wappen von Hogwarts trug:
"Sehr geehrter Mr. Latierre, zunächst einmal unser nachträglicher Glückwunsch zur Eheschließung mit Mildrid Ursuline Latierre. Sicherlich haben Sie während Ihres ZAG-Jahres die betrüblichen Mitteilungen erhalten, was in Hogwarts vor sich ging und daß die Schule, die Sie zwei Jahre Ihres Lebens lang mit erfolg besuchten, fast zu einem Hort finsterer Machenschaften verkam. Sie werden bestimmt auch den Zeitungen entnommen haben, daß es Anfang Mai zu einer gewaltsamen Auseinandersetzung kam, in deren Verlauf noch mehr unschuldige Hexen und Zauberer ihr viel zu kurzes Leben verloren. Um so mehr dürfte es Sie erfreuen, daß diese eine gewaltsame Auseinandersetzung, die wohl als "Die Schlacht von Hogwarts" in den Zaubereigeschichtsbüchern verzeichnet sein wird, den Sieg der menschlichen, toleranten Zaubererwelt über die zerstörerische, größenwahnsinnige Diskriminierungswut einer kleinen Gruppe von mordlüsterner Fanatiker eintrug und er, Sie-wissen-schon-wer, dabei ein schmachvolles aber doch verdientes Ende fand. Da ich von meiner geschätzten Korrespondenzpartnerin Professeur Faucon erfuhr, daß Sie um das Wohl Ihrer ehemaligen Mitschüler besorgt waren, freut es sie sicherlich zu wissen, daß Ihre vier besten Schulfreunde durch eine Gruppe mir selbst nicht bekannter Helfer vor einem ungerechten Schicksal gerettet werden und in den vereinigten Staaten weiterlernen konnten. Nun, davon werden Sie wohl Kenntnis erhalten haben, auch wenn meine geschätzte Kollegin berichten mußte, daß die Lage bei uns auch den Frieden in ihrem neuen Heimatland erschüttert und zu einer Periode von Angst und Unterdrückung geführt hat. Daher empfinde ich große Genugtuung und Freude, daß wir nun alle einer neuen Ära entgegensehen dürfen, in der wir hoffentlich aus den Fehlern der Vergangenheit lernen und die kommenden Generationen von Hexen und Zauberern auf einen besseren, menschlicheren Pfad geleiten dürfen. Es wird sie beruhigen und bestimmt auch erfreuen, daß das neu errichtete Zaubereiministerium in Übereinkunft mit den Schulräten von Hogwarts befunden hat, daß die Schule nach den Sommerferien wiedereröffnen wird, um denen, die im letzten Jahr durch üble Anschuldigungen und Gewalt von ihrer Ausbildung abgehalten wurden, die Möglichkeit zu geben, ihr magisches Studium zu beginnen und/oder fortzusetzen. In diesem Zusammenhang korrespondiere ich gegenwärtig mit meiner Amtskollegin Professor Ernestine Wright, ob Ihre Schulfreunde Gloria Porter, Betty und Jenna Hollingsworth und Kevin Malone das Angebot des wiederholten Jahres nutzen oder weiterhin in Thorntails ihre Ausbildung erhalten sollen. Näheres werden Sie wohl dann von Ihren Kameraden erfahren.
Zum Schluß möchte ich Sie noch darüber informieren, daß ich von Ihrer Auszeichnung erfuhr und auch vernahm, daß Sie meinem seligen Vorgänger und Hogwarts dafür gedankt haben. Ebenso gehe ich davon aus, daß sie die ZAG-Prüfungen bestanden haben werden, was wir von Hogwarts als weitere Dankesbekundung Ihrerseits entgegennehmen möchten. In der Hoffnung, Ihnen eine Zukunft mit vielfältigen Möglichkeiten ermöglicht zu haben verbleibe ich mit freundlichen Grüßen, Professor Minerva McGonagall, ordentlich bestätigte Schulleiterin von Hogwarts."
"Jetzt haben wir es also amtlich", bemerkte Martha Andrews dazu. Julius nickte. Hogwarts würde also wiedereröffnet. Dann las er noch einen vom britischen Zaubereiministerium zugestellten Brief vor, demnach er offiziell vorgeladen wurde, um am 12. Juli im Prozeß gegen Dolores Jane Umbridge auszusagen, da der durch die Folgen eines dauerhaft wirksamen Imperius-Fluches gedemütigte Pius Thicknesse ausgesagt habe, daß er zur Rückkehr nach London gezwungen werden sollte. Die entsprechenden Schriften seien in Hogwarts, dem mittlerweile aufgelösten Büro der Kommission für Muggelstämmige und dem Büro des Zaubereiministers gefunden worden.
"Toll, dann könnte denen einfallen, daß ich rauslassen muß, wie das mit den vieren wirklich ablief", grummelte Julius.
""Das klärst du besser mit Gloria und den anderen ab", sagte seine Mutter. "Die werden sicherlich eine ähnliche Vorladung erhalten haben."
"Ist demnächst nicht auch der Prozeß gegen diesen Flavio Maquis, der die Lager gebaut hat?" Fragte Millie.
"Da werden dann wohl eher die aussagen müssen, die in diesen Lagern waren."
"Sie könnten prüfen, ob das, was der falsche Pétain dir erzählt hat schon lange in Planung war oder erst an dem Tag angeleiert wurde, als er es dir sagte", wandte Julius ein. Seine Mutter nickte. Millie meinte dann noch:
"Da ist auf jeden Fall einiges zerschmissene Glas zusammenzukehren." Julius nickte. Insofern konnten die Ferien noch sehr viel betrübliches an die Oberfläche spülen. Doch er würde weiterhin das tun, was er tun konnte, um den Schaden, den Voldemort, Umbridge und auch Didier und Pétain angerichtet hatten, zu beheben, auch wenn das nicht viel war, was er tun konnte.