"Brrrrrrrittany Foresterrrrr!" Rief Kestrel Jones, der genau hinter der höchsten Ehrenloge postiert war und die Heimmannschaft ankündigte. Brittany flog auf ihrem Bronco Millennium kurz über das Stadion, knapp über die Köpfe der am höchsten sitzenden Zuschauer hinweg. Millie und Julius sahen, wie die beiden Mannschaften in der Feldmitte landeten. Natürlich saßen sie nicht alleine in der Loge der Familienangehörigen und Ehrengäste. Siedlersprecher Hammersmith und seine Frau saßen ebenso im höchsten Rang der Ehrenloge. Links von Julius saß Camille Dusoleil. Ihre jüngste Tochter schlief gerade unter kleinen rosa Ohrenschützern auf Camilles Schoß. Silvester Partridge, der Vater der Starspielerin Venus, saß drei Plätze rechts hinter Millie und Julius. Dann waren da noch die Eheleute Gildfork, die großzügigen Hauptfinanzierer der Rossfield Ravens.
"Und da fliegt auch schon der erste Quod übers Feld!" Rief Kestrel Jones erregt aus, als der blaue, kurzlebige Spielball vom Schiedsrichter nach oben geschleudert wurde. Sofort stürzte sich der breitschulterige, fuchsrote Boris Morowitch auf den Ball, um ihn möglichst schnell zur gegnerischen Seite zu spielen. Doch der Spieler wurde unverzüglich abgeblockt und versuchte, seinen Mannschaftskameraden anzuspielen. Doch offenbar hatten die Windriders genau diese Taktik erwartet. Die Friday-Schwestern versperrten den direkten Weg nach rechts und links. Morowitch blieb daher nur der Rückpaß zu seinem Vorgeberkollegen. Da doppelachserte Venus Partridge in die Flugbahn des Quods und bekam den blauen Ball zu fassen. Sofort wurde sie von den Vorblockern der Ravens gestört. Doch sie führte zwei schnelle Richtungswechsel aus, täuschte einen Weitwurf an und spielte dann auf ihren Eintopferkollegen ab, der gerade völlig frei war. Dieser zog nach Quodannahme mit gesteigertem Tempo nach Vorne und bekam den Ball an den Blockern und dem Rückhalter der Ravens vorbei in den mit Abkühlflüssigkeit gefüllten, frei über einem orangerot leuchtenden Punkt fest in der Luft stehenden Topf und damit zehn Punkte für die Windriders.
"Fliegt mal normal! Fliegt mal normal!" Brüllte die mitgereiste Fantruppe der Ravens, um gleich ihre Mannschaft mit "Rab, Rrab rab! Die Ravens heben ab", anzufeuern. Tatsächlich konnte der neue Starspieler Morowitch beim nächsten Quod zehn Punkte für seine Mannschaft machen. Doch dann wurde er sofort beim Einwurf des blauen Balls so fest eingeschnürt, daß er fast nicht mehr fliegen konnte. Die Fridays wirbelten wie besonders wilde Walpurgisnachthexen um ihn herum, verlegten ihm den Weg in alle sechs Richtungen des Luftraums oder ließen ihn scheinbar frei nach vorne, um dann zuzusehen, wie der Rückhalter der Windriders den direkten Eintopfversuch durch einen verlockenden Anflugweg anbot, um dann durch schnelles Verlegen desselben den punkteträchtigen Treffer zu vereiteln. Um nicht rausgeknallt zu werden mußte Morowitch den Ball zurückpassen. Immerhin gelang es seiner Mannschaft, den Ball in den eigenen Reihen zu behalten. Doch jeder Sturm auf den Pot der Windriders brach sich an der dreierlinie der Blockerinnen.
"Wer immer denen dieses unverschämte Manöver beigebracht hat gehört in den tiefsten Sumpf geworfen", protestierte Phoebe Gildfork, die in einem bis zum Boden wallenden Blaufuchspelzmantel in der Ehrenloge saß. Julius sah sie nur verächtlich an, während auf der schwarzen Anzeigetafel Werbesprüche und -bilder einander ablösten.
"Das Manöver stammt aus dem Quidditchsport, liebes", sagte Mr. Gildfork. "Eine gewisse Aurora Dawn hat es in Hogwarts erstmalig angewendet und vervollkommnet. Womöglich hatte wer von den Windriders Kontakt mit ihr."
"Was der nicht sagt", raunte Millie halblaut an Julius' Adresse. Sie sprach Französisch, was die bepelzte, sehr füllige Hexe da vor ihr wohl nicht konnte. Doch scheinbar vermutete die, daß die beiden Latierres damit zu tun haben mochten. Denn sie wandte sich um und fragte biestig:
"Habt ihr das mit dieser unfairen Flugtechnik angezettelt, als diese vorlaute Brittany Forester bei euch in Millemerveilles war?"
"Was heißt hier unfair? Das ist ein sehr brauchbares Flugmanöver, das Zusammenstöße vermeidet und daher sehr gesundheitsfördernd für die Spieler ist", erwiderte Julius ruhig. "Abgesehen davon wurde diese Flugtechnik nicht verboten, soweit ich von den hier lebenden Leuten gehört habe. Also ist sie zulässig und damit nicht unfair. Sie ärgern sich doch nur, daß Ihr für teures Geld eingekaufter Suprerspieler zu quodverliebt ist und seine Mannschaft ihm durchgehen läßt, jeden Pot alleine treffen zu wollen."
"Du hast meine Frage nicht beantwortet, Bursche", schnaubte Mrs. Gildfork. "Habt ihr diese Unverschämtheit eingefädelt, als diese Modeverleugnerin Forester letzten Sommer bei euch war?"
"Erst einmal gewöhnen sie sich bitte einen höflicheren Umgangston an", setzte Julius nach einer Sekunde Durchatmen an. "In Beauxbatons und außerhalb werde ich bereits wie ein erwachsener Mensch angesprochen und nicht herablassend Bursche genannt. Zweitens sind weder Ms. Forester noch ich Ihnen gegenüber irgendeine Erklärung schuldig, wann wer wie von wem bei den Windriders Heilerin Dawns Flugmanöver erlernt hat. Drittens verstehe ich Brittany Forester, wenn sie Mode ablehnt, für die hunderte von Tieren auf einmal umgebracht werden müssen. Sie denkt halt, daß sie nackt immer noch besser aussieht als im Pelzumhang. Aber ich kann verstehen, daß Sie das für sich selbst anders sehen." Camille Dusoleil stupste Julius an, wohl um ihn zur Mäßigung zu bringen. Doch er legte schnell noch nach: "Viertens sind Sie genauso hier Gast wie ich und haben sich daher bitte an die Höflichkeit zu halten, die der Gast dem Gastgeber, in unserem Fall der Gemeinde Viento del Sol, schuldet."
"Wie meinst du das, Jungchen, daß meine Frau es anders sieht, wenn neidische und einer fragwürdigen Lebensanschauung verbundene junge Dinger sagen, sie sähen nackt besser aus als im Pelz?" Fragte Mr. Gildfork, der jedoch merkwürdig grinsen mußte. "Willst du meiner Frau unterstellen, sie habe es nötig, einen Pelz anzuziehen, damit sie überhaupt gut aussieht?"
"Sowas auch nur andeutungsweise zu sagen verbietet meine Erziehung", erwiderte Julius darauf. "Ich habe nur gesagt, daß ich verstehen kann, daß Ihre Frau das anders sehen mag als Brittany Forester. Immerhin gilt in den Staaten die Meinungsfreiheit." Millie mußte grinsen, während Mrs. Gildfork empört mit den goldberingten Händen fuchtelte und Julius anfauchte:
"Paß ja auf was du sagst, Lümmel, bevor wir finden könnten, dich wegen Beleidigung belangen zu müssen."
"Ihr Mann hat doch gerade behauptet, Sie könnten das so auffassen, daß Sie nur im Pelz gut aussehen", meinte Millie nun verhalten lächelnd. Mr. Gildfork schüttelte zwar den Kopf, beließ es aber dabei. Denn gerade wurde der nächste Quod eingeworfen.
Als Brittany und Venus durch ein schnelles Zupassen den Quod nach Vorne brachten, dachten die Windriders schon, die nächsten zehn Punkte sicher zu haben. Doch der Rückhalter der Ravens prellte die blaue Kugel so heftig aus seinem Potraum heraus, daß der Ball weit über die Höhenbegrenzung hinausstieg und erst auf der anderen Seite des Feldes wieder auf der erlaubten Spielhöhe ankam, wo Morowitch den Quod sofort annahm und in einem schnellen Vorstoß zwischen Hope Fridays Beinen hindurch zum Pot flitzte und Dara Flanigan, den rotschopfigen Rückhalter der Windriders fast mit der Besenspitze durchbohrte, als er den Ball im Pot versenkte. Phoebe Gildfork stieß ein triumphierendes "Ha" aus. Doch als der nächste Quod ins Spiel gebracht wurde, gab es fünf Minuten lang ein wildes Mittelfeldscharmützel, weil die Vorgeber und Eintopfer ständig mit den Vorgebern und Eintopfern der Gegenmannschaft aneinandergerieten. Julius bemerkte knochentrocken dazu, daß eine gute Abwehr eben beim Sturm anfinge. Als Morowitch dann wutentbrannt den Quod zwischen Bauch und Besen einklemmte und erst weit nach unten stieß, um von unten her den Pot anzufliegen, löste sich die Ballung der Mittelfeldspieler auf. Die Fridays warfen sich in den Sturzflug, wobei sie aber knapp vor der Potzone blieben, um Morowitch noch abzufangen. Doch da blitzte es auf, und der Quod war verschwunden. Morowitch stürzte ab, weil sein Besen auf dem vorderen Drittel durchbrach. Mit allen vier Gliedmaßen von sich gestreckt schlug der Starspieler der Ravens auf den erdbraunen Boden des Feldes auf. Die Windriders-Anhänger johlten so laut, daß Julius es in seinen Ohren fast klirren hörte. Die füllige Phoebe Gildfork schlug die beringten Hände vor ihr Gesicht und stieß einen gerade nicht zu hörenden Wutschrei aus. Julius sah auf das Feld, wo gerade zwei Medimagier der Ravens damit beschäftigt waren, den rausgeknallten Boris Morowitch zu behandeln. Aus dem Jubel der Windriders-Fans wurde höhnisches Gelächter, weil es ausgerechnet den mit vielen Vorschußlorbeeren überschütteten Morowitch als ersten in dieser Partie herausgeknallt hatte. Julius fragte sich jedoch, ob der Spieler ernsthaft verletzt war. Sicher hatte der Spieleranzug mit eingebauten Polsterungs- und Hitzeabwehrzaubern das schlimmste verhindert. Doch er sah, wie die Heiler mit ihren Zauberstäben fuhrwerkten und dann eine Trage beschworen, auf die sie den Spieler hoben. Einer der Medimagier deutete auf den Schiedsrichter und bat ihn offenbar, den eh vorerst nicht gebrauchten Spieler zur Behandlung fortbringen zu dürfen. Julius wußte, daß bei einem groben Foul ein rausgeknallter Spieler ins Spiel zurückkehren durfte, während der Foulende vom Platz gestellt wurde. Womöglich würde die umfangreiche Heilzauberei Morowitch bis zu einem solchen Fall wieder hinbekommen. Aber auch die Windriderspieler wußten, daß sie jetzt mit fairen Mitteln mehr erreichen konnten, wenn Morowitch nicht mehr ins Spiel zurückkehren durfte.
"Der ist zu besessen gewesen", meinte Camille zu Julius. "Der hätte den Ball nicht so fest vor seinen Bauch drücken dürfen, wenn dabei auch der Besen noch durchbricht."
"Dabei sind die Spielanzüge so bezaubert, daß sie die Hauptwucht einer Quodexplosion oder einen direkten Zusammenstoß abfangen", bemerkte Julius. "Trotzdem könnte der sich was heftiges eingefangen haben."
"Die Heiler werden ihn schnell wieder einsatzfähig bekommen, und dann wird Morowitch alle Pots der nächsten stunde machen", schnarrte Mrs. Gildfork. Julius verbiß sich die Antwort "Wenn sie ihn wieder reinlassen." Er betrachtete die Zuschauermenge, die nun, wo alle hatten sehen müssen, daß es Morowitch doch heftiger erwischt haben mochte, etwas gedämpfter jubelten. Mr. Gildfork starrte die Friday-Drillinge an, die auf ihrer Seite des Feldes miteinander tuschelten. Sie wirkten nicht erschüttert oder mitleidsvoll, sondern zufrieden. Julius konnte ihnen das auch ganz nachempfinden. Sie hatten gegen Morowitch einen guten Job gemacht. Daß der meinte, den Quod um keinen Preis der Welt abjagbar führen zu müssen und nicht mehr bedacht hatte, daß der ihm mit lautem Knall um die Ohren fliegen könnte war ja nicht deren Schuld.
Auf jeden Fall erkannten die Ravens, daß sie ohne Morowitch schlechter dran waren. Sieben Quods wurden von den beiden Eintopfern der Windriders versenkt. Jedes Mal war Brittany die entscheidende Vorgeberin. Zwar fanden die Ravens zu sowas wie Mannschaftsspiel zurück, weil die Windriders ihnen nicht den Gefallen taten, durch Foulspiel ihren Supereintopfer zurückholen zu dürfen. Doch die Taktik, für einen alleine zu spielen und nicht miteinander, hatte sie wohl in der vergangenen Saison zu sehr festgelegt. Als es dem verbliebenen Eintopfer der Ravens gelang, eine Fortführung der Serie zu vereiteln, war das nur ein schwacher Trost. Denn nach dem Pot für die Rossfield Ravens spielten die Windriders wieder ihr Spiel und erzielten fünf direkte Eintopftreffer und drei Treffer durch Weitwürfe in Folge. Dann knallte es Dara Flanigan, den Rückhalter der Windriders heraus, als Eintopfer Foggerty versuchte, ihn mit einem Weitwurf zu überwinden und Flanigan den Ball statt abzuprellen festhielt. Dawn Friday besetzte für ihn die Rückhalterposition. Die Ravens witterten neue Hoffnung, gegen nur zwei Blockerinnen und eine nicht hauptamtliche Rückhalterin besser auszusehen. Doch die Drillinge hatten offenbar im Training genau diese Situation eingeübt und schlugen jeden Angriff ab. Zwar führte eine Abwehr nicht gleich zu einem erfolgreichen Konterschlag der Windriders. Doch so blieb die Mannschaft der Ravens ohne weiteren Punktgewinn, bis der Quod knapp vor Erreichen von Venus Partridge im freien Flug explodierte, was beiden Mannschaften je fünf glückspunkte bescherte.
"Zwanzig Minuten bis zum nächsten Quod!" Verkündete Kestrel Jones mit Hilfe des Stimmverstärkerzaubers. Da segelte ein bunter Papierflieger um das Spielfeld herum und landete bei dem Stadionsprecher. Dieser nahm den kleinen Flieger auseinander und las einen Zettel. Dann vermeldete er für die Zuschauer, die bereits unterwegs zu den Imbißständen und Toilettenhäuschen waren: "Ich erfahre soeben, daß Boris Morowitch von seinen inneren Blutergüssen und Magenwandanrissen geheilt wurde und sich für einen möglichen Straftausch bereithält." Die Ravens-Fans jubelten nun und stimmten ihren Schlachtruf an: "Rab, rab, rab! Die Ravens heben ab!"
"Ich finde, die Zeit reicht aus, um zu klären, inwieweit du an der völlig unverdienten Überlegenheit der Windrider Schuld trägst, Bursche", versuchte Phoebe Gildfork noch einmal, Julius festzunageln. Doch dieser tat diese Idee mit einem Schulterzucken ab und blickte demonstrativ zum Stand mit den kleineren Speisen. "Möchtest du mitkommen, oder soll ich dir was mitbringen, Millie?" Fragte er seine Frau. Diese meinte, daß sie mitkommen wolle. So standen sie auf und gingen los. Da hörten sie Siedlerrat Hammersmith laut rufen: "Unterstehen Sie sich, Phoebe!" Julius warf sich herum und sah gerade noch, wie Mrs. Gildfork mit verengten Augen hinter ihm stand und ihren Zauberstab senkte, weil ihr vom Siedlerrat drei andere Zauberstäbe entgegengestreckt wurden. Er bedeutete seiner Frau, schon einmal vorzugehen und kehrte mit entschlossenem Gesicht und festem Schritt in die Loge zurück.
"Das haben wir gerne, mir und anderen Unverschämtheit zu unterstellen und dann den Zauberstab auf jemanden zu richten, der einem den Rücken zuwendet. Wie, wo und von wem Sie immer erzogen wurden, Madam, ich bin froh, nicht denselben Schaden abbekommen zu haben, an dem Sie leiden. Angenehmen Tag noch, Madam."
"Willst du mich zur Feindin haben, Jungchen. Dafür fehlt es dir an ausreichenden Fähigkeiten", schnarrte Mrs. Gildfork.
"Erstens wissen Sie absolut nicht, was ich alles kann oder nicht kann, wer mir wie viel Geld zur Verfügung stellen kann, wenn ich es brauche und ob Sie dann nicht zu wenig haben. Zweitens, werte Dame, suche ich mit Ihnen keinen Streit und daher auch keine Feindschaft. Drittens müssen Sie sich fragen, ob ich Ihnen eine zeit in Ihrem Doomcastle-Gefängnis wert bin. Sich freizukaufen gilt nur für Todesser. Oder sind Sie eine Anhängerin Voldemorts und seiner Bande?" Mr. Gildfork starrte Julius verstört an, während seine Frau wieder nach ihrem Zauberstab fischte. Dann sagte Mr. Hammersmith:
"Ich muß dem jungen Gentleman völlig zustimmen, Phoebe. Ihr Getue und vor allem Ihre Streitlust erreichen langsam meine Geduldsgrenze. Wenn Sie nicht erst aus der Zeitung erfahren möchten, wie dieses Spiel ausgeht, verzichten Sie gefälligst auf jede weitere Aggression!" Mr. Gildfork nickte und nahm seine Frau bei Seite. Fornax Hammersmith machte eine sanfte, dennoch unmißverständliche Handbewegung, die Julius bedeutete, seiner Frau nachzugehen.
"Wie, die wollte dir von hinten einen Zauber nachjagen?" Fragte Millie. "Die ist doch wirklich hohl."
"Ich frage mich nur, ob die beim anstechen explodiert oder implodiert", knurrte Julius.
"Implodieren heißt das, wenn was in sich zusammenstürzt?" Fragte Millie.
"Vor allem, weil es vom größeren Außendruck zusammengequetscht und dabei zerbrochen wird", erwiderte Julius. Jetzt verstand Millie, was er meinte. Sie meinte dann leise und auf Französisch:
"Die ist wohl stinkwütend, weil sie sich wegen diesem Trottel Morowitch einen Pelz weniger kaufen konnte als sonst. Und du hast recht, Britt sieht nackt ohne Pelz und alles besser aus als die dicke Trulla."
"Na, nicht über Gewicht lästern, Millie. Oma Line ist ja auch keine Serena Marinera."
"Stimmt, Serena hat sich bisher noch kein Baby machen lassen", erwiderte Millie ungerührt über Julius' Zurechtweisung. "Und was die Figur angeht, Monju, so hätte Oma Line diese aufgeblasene Sabberhexe im blauen Pelz auch als dick bezeichnet. Denn die ist wirklich nur vom Fressen so rund geworden."
"Apropos, wir sollten die überkandidelte Dame besser vergessen und uns ein paar Brötchen einwerfen, bevor die Windriders noch eine lange Serie hinlegen." Millie nickte.
Die Gildforks hatten sich nach der Unterbrechung auf andere Plätze der Ehrenloge gesetzt, um weit genug von Julius und Millie fortzusitzen. Nun saß Silvester Partridge mit seiner Frau auf den Plätzen. Julius war das recht. Er mußte sich ja echt nicht mit dieser protzigen Hexe herumzanken. So konnte er den Rest der noch zwanzig Durchgänge dauernden Partie in Ruhe ansehen. Die Ravens schafften zwischendurch noch fünf Treffer. Die Windriders schafften zehn weitere Treffer. Ein Quod explodierte ungeführt. Rückhalter und Blocker der Ravens wurden rausgeknallt. Der Saisonauftakt war damit für die Heimmannschaft erfolgreich abgeschlossen.
Die Siegesfeier fand im Gasthaus zum Sonnigen Gemüt statt. Hier sah Julius auch Peggy Swann, die diesmal ohne ihre kleine Tochter Larissa mitfeierte. Doch sie machte keine Anstalten, das Gespräch mit Julius zu suchen, zumal der immer von irgendwelchen hochrangigen Bürgerinnen Viento del Sols zum Tanzen aufgefordert wurde, wenn er nicht gerade mit Mildrid, Brittany oder einer der Friday-Schwestern über die Tanzfläche fegte. Ihm war das auch recht. Er wunderte sich nur, daß Larissa nicht wieder versuchte, ihn anzumentiloquieren. Eigentlich konnte sich diese im Kleinkindkörper steckende Nachtfraktionsschwester die Gelegenheit nicht entgehen lassen, mit ihm auf unhörbare Weise zu plaudern. Doch nichts dergleichen passierte.
Als Brittany Forester mit ihren beiden Übernachtungsgästen wieder bei ihrem Haus ankam klang eine fröhliche Frauenstimme aus Brittanys kirschrotem Briefkasten: "Ihr habt Post!" Brittany tippte den Kasten kurz mit dem Zauberstab an, worauf die breite Klappe im Bauch des Briefkastens aufschwang und zwei dicke Umschläge preisgab.
"Eulen dürfen ja nicht ins Stadion fliegen", sagte Brittany und überreichte Millie und Julius je einen der Umschläge. Dann mentiloquierte sie Julius zu: "Ist sicher euer Antrag auf den Ferienkurs Apparieren. Sagt da besser nichts laut drüber, wenn Lino noch nüchtern genug sein sollte, das aufzuschnappen."
Tatsächlich war es ein in drei Kopien verfertigtes, zwei Seiten umfassendes Formular, ein Abdruck eines Gesetzestextes und ein Begleitschreiben. Julius las es genauso lautlos wie seine Frau.
Julius Latierre
Gästezimmer von Brittany Dorothy Forester
Viento del Sol, Kalifornien
Vereinigte Staaten von AmerikaBetrifft: Antrag auf Erteilung eines Sommerferienkurses zum Erwerb der Erlaubnis, außerhalb bestehender Beschränkungszauber frei zu apparieren
Sehr geehrter M. Latierre,
wie unsere geschätzte Mitarbeiterin, Melle. martine Latierre uns mitteilte, tragen Sie und Ihre Ehefrau, Mme. Mildrid Latierre, sich mit dem Wunsch und Vorhaben, noch innerhalb der laufenden Sommerferien genug Übungen und Kenntnise in der Kunst zeitlosen Standortwechsels zu erlernen, um vor Antritt des nächsten Schuljahres die gemäß Gesetz zur vernunftgemäßen und gefahrlosen Apparition von 1820 vorgeschriebene Prüfung zum Erwerb einer Erlaubnis zur Ausübung dieser magischen Reisemöglichkeit zu bestehen. Nach Rückfrage bei den Abteilungen für magische Familienfürsorge und Gesellschaft, sowie magischer Strafverfolgung ist uns bekannt, daß Sie als bereits mit 16 Jahren volljährig erklärter Zauberer und ohne bisherigen Eintrag im Register der magischen Strafverfolgungsabteilung von Frankreich, und nach fälliger Abwandlung Ihres Eintrags im britischen Strafregister von "gesuchter Zauberkraftdieb" zu "unbescholtener Zauberer", zum Erwerb der Appariererlaubnis berechtigt sind. Weitere wichtige Angaben zu Ihrem Vorhaben, bereits außerhalb von Beauxbatons apparieren zu dürfen und weitere persönliche Angaben Ihrerseits sind von Ihrer Hand in beiliegendem Formular einzutragen, wobei Sie bitte das mit blauem Rand gekennzeichnete Originaldokument verwenden mögen. Die beigefügten Durchschläge werden auf Grund einer Durchschriftsbezauberung und Fälschungssicherheit zeitgleich mit den von Ihnen gemachten Angaben versehen. Sobald die noch ausstehenden Angaben Ihrerseits in das bezeichnete Dokument eingetragen wurden, ist jenes Dokument zu unterschreiben, wodurch es seine Rechtskraft erhält. Sie werden jedoch darauf hingewiesen, daß Sie mit Ausfüllung und Unterzeichnung des Antragformulars allen Bestimmungen des magischen Personenverkehrsgesetzes und der darin enthaltenen Paragrafen zur Regelung zeitloser Standortwechsel zustimmen und dessen Gültigkeit anerkennen, sowie die aus strafbaren Handlungen wider dieses Gesetz erfolgenden Folgen zu tragen bereit sind. Deshalb wird Ihnen unsererseits sehr dringend nahegelegt, das Gesetz zur vernunftgemäßen und gefahrlosen Apparition von 1820 vor dem Eintrag der notwendigen Angaben und abschließenden Unterzeichnung im für magische Zivilpersonen gültigen Umfang zur Kenntnis zu nehmen. Diesem Zweck dient beigefügte Abschrift Stand 1978.
Alle von Ihnen gemachten Angaben sind dann mit den zwei beigefügten, magisch gekoppelten Kopien bis zum fünften August zwei Uhr Nachmittags in der Registratur des Appariertestzentrums auf der Etage für magischen Personenverkehr im Gebäude des französischen Zaubereiministeriums zu paris einzusenden oder von Ihnen in eigener Person einzureichen. Da wir um bevorzugte Bearbeitung gebeten wurden kann bei Erhalt der Unterlagen der Ferienkurs bereits am Folgetag begonnen werden.
Mit freundlichen Grüßen
Ariane Mistral Büro des Appariertestzentrums Frankreich
"In Eigener Person eingereicht", schickte Julius über den Herzanhänger an seine Frau, die gerade auch mit dem Durchlesen ihres Begleitbriefes fertig war. "Das können wir schon mal vergessen, weil es hier schon zwölf Uhr Mitternacht ist und in Frankreich also neun Uhr Morgens. Aber ob eine Blitzeule bis ins Ministerium gelassen wird?"
"Das kriegt die gute Tine, wenn die meint, bei mir noch mal auf die große, führende Schwester machen zu müssen", erwiderte Millie ebenfalls über die Herzanhängerverbindung für Außenstehende unabhörbar. "Das Gesetz sagt, daß nur volljährige ohne Begleitung apparieren dürfen, daß du nicht gezielt in Ansammlungen von Muggeln hineinapparieren oder gar vor Muggelaugen diese Kunst vorführst, wenn dies gegen die Geheimhaltungsvorschriften verstößt, du natürlich die Privatsphäre von Mitmenschen respektieren mußt und daher nicht direkt in fremden Häusern ankommen darfst oder gar in ganz privaten Räumen wie Bade- oder Schlafzimmern apparieren sollst, wenn es nicht deine eigenen sind, keine Muggel beim Apparieren mitnehmen darfst und bloß keine Gegenstände und Geld aus der Muggelwelt durch Apparieren und Disapparieren klauen darfst. Für mich steht da noch bei, daß ich im Falle einer Schwangerschaft die Erlaubnis einer Heilerin einholen möchte, wielange ich da noch apparieren darf. Da hält sich nur fast keine Hexe dran, wie du bei Oma Line ja noch mitbekommen durftest, als sie Tante Felicité und Tante Esperance drin hatte."
Julius las das Gesetz trotzdem noch und fand neben Millies bereits erwähnten Vorschriften und Beschränkungen noch die Klausel, daß es verboten war, flüchtige Verbrecher der Zaubererwelt per Apparition vor dem Zugriff der Strafverfolgungsabteilung in Sicherheit zu bringen. Die geringste Strafe war die Zahlung von hundert Galleonen für das Apparieren ohne Lizenz, wobei es nicht nötig war, diese immer vorzeigbar mitzuführen, wie es bei Führerscheinen für Autofahrer Pflicht war. Die nächsthöhere Strafe belief sich auf zweihundert Galleonen plus zehn Prozent eines Jahreseinkommens für fahrlässiges und zwanzig Prozent des Jahresgehaltes für gezieltes Apparieren in Muggelansammlungen. Das Mitnehmen von Muggeln mit deren Einverständnis galt noch als mit Geldbuße geahndeter Verstoß. Wurde ein Muggel jedoch von einem Apparator entführt, setzte es gleich zwei Jahre Gefängnis. Diebstahl von Muggelgeld brockte einem überführten Täter gleich fünf Jahre ein, zu denen dann aber noch der Wert des Diebesgutes oder der in Galleonen umgerechnete Wert der gestohlenen Zahlungsmittel hinzugezählt wurde. Eine Woche pro Galleone. Wer dann noch das Pech hatte, daß seine Apparition gleichermaßen als Deckungshandlung einer Straftat dazugezählt wurde, kam unter Umständen für insgesamt neun Jahre ins Gefängnis, auch ohne den Wert des Diebesgutes. Eine Deckungshandlung lag dann vor, wenn jemand einen Straftäter in Sicherheit brachte, das Opfer eines Mordes oder Totschlages beseitigte - was nach Julius' Ansicht sehr schwer zu beweisen sein mochte - oder schwarzmagische Gegenstände entfernte, deren Wirkung Menschen gefährdet hatte. Dann stand da noch was, daß jemand, der die Lizenz zum Apparieren erworben hatte, diese Kunst jederzeit in den Dienst des Ministeriums stellen mußte, falls dieses darauf zugreifen wollte und jeder Apparitionsberechtigte gehalten sei, in Not geratenen Hexen oder Zauberern mit seinem Können zu helfen. Wer dreimal einen mit Geldstrafen bedrohten Verstoß beging verlor die Lizenz und konnte sie vor Ablauf von zwei Jahren nicht neu erwerben. Kam jemand wegen Verwendung des Apparierens zu kriminellen Zwecken ins Gefängnis, mußte er bei einer nicht lebenslangen Freiheitsstrafe ein Drittel der verhängten Strafzeit auf die Wiedererteilung einer Lizenz warten. Apparierte jemand in diesem Zeitraum unerlaubt, so verdoppelte sich die Wartefrist, und er mußte die für unerlaubtes Apparieren fällige Strafgebühr zahlen.
"An diesen ganzen Einschränkungen kannst du ganz deutlich ablesen, wie mächtig jemand ist, der apparieren kann", mentiloquierte Julius über den Herzanhänger.
"Tja, aber so heftig die Gesetze dreinschlagen, Monju, die müssen dich erst mal überführen. Das wurmt die von der Apparierüberwachung doch am meisten. Und nachdem Florymont diese Unaufspürbarkeitsdinger gebaut hat ist es jetzt in Frankreich nicht mehr möglich, überhaupt zu klären, wo jemand appariert ist und schon gar nicht, wer das ist und warum."
"Ach, die Dinger stehen noch?" Schickte Julius vergnügt zurück. "Ich dachte, seitdem Didier und Pétain weg vom Fenster sind hätten Onkel Otto und Florymont die Anti-Ortungsvorrichtungen wieder abgebaut, um die Überwachung wieder möglich zu machen, falls Sardonias Erbin und andere was in Frankreich anstellen wollen."
"Tine schrieb mir, daß die noch nicht alle Vorrichtungen weggenommen haben, weil sich herausgestellt hat, daß die durch die ständigen Überlagerungen nicht mehr gezielt angesteuert werden können. Sie werfen Apparatoren mindestens einen Kilometer zurück, wenn diese versuchen, bei den Vorrichtungen zu landen. Als die aufgebaut wurden wurden sie ja durch Disapparieren in Gang gesetzt", erwiderte Millie unhörbar. Dann fragte sie, ob Julius jetzt keine Lust mehr habe, den Kurs zu machen. Dieser fragte zurück, warum sie beide dieses umfangreiche Formular bekommen hätten, wo Leute in der Schule doch nur zwölf Galleonen zahlen mußten, ohne die entsprechenden Gesetze lesen zu müssen.
"Weil die Schüler zehn oder zwölf Wochen Zeit haben, das alles zu lesen oder im Unterricht erklärt zu kriegen. Wir haben aber nur noch fünfzehn Tage, vierzehn, wenn der Kurs erst am sechsten losgeht", erläuterte Millie. Julius kapierte das. Es ging ja nicht nur um die praktische Übung, sondern eben auch um die Theorie und vor allem um die rechtlichen Regelungen. War ja beim Autofahren auch nicht anders, wußte er von seinem Vater und von Lesters Bruder, der seinen Führerschein gemacht hatte, wo Julius gerade sieben Jahre alt war. Julius ertappte sich bei der Frage, ob er nach Beauxbatons nicht auch Fahrstunden nehmen und einen Autoführerschein machen sollte. Dann fragte er sich, ob sein Schwiegervater überhaupt einen besaß. Doch darauf fand er sofort die entsprechende Antwort, daß das Ministerium ihn bestimmt schon vor Didiers Machtübernahme wegen Führens von Muggelfahrzeugen ohne entsprechende Lizenz drangekriegt hätte. Doch wenn er einmal apparieren konnte brauchte er eigentlich kein Auto, solange er nicht gezielt auf den Champs Élysées auftauchte oder mitten in der St.-Pauls-Kathedrale. Er dachte aber daran, daß er vielleicht mal größere Gepäckstücke mitnehmen mußte. Doch bis dahin hatte er wohl noch Zeit. Erst das apparieren und dann die UTZs. Das sollte er alles erst einmal schaffen. Er schickte an Millie zurück, daß er trotz der Gesetze nicht darauf verzichten wolle und füllte das Formular aus, in dem er Angaben über seine bisherige Ausbildung machen und die Fragen beantworten mußte, warum er bereits in den Sommerferien den Kurs belegen wollte, ob er geschäftliche Gründe habe, die Lizenz zu erwerben, vor dem Beginn des Schulkurses volljährig würde oder den in Beauxbatons angebotenen Kurs nicht hatte belegen können und wenn ja warum nicht. Dann unterschrieb er dort, wo er sein Einverständnis erklärte, diesen Kurs machen zu wollen und dort, wo er bestätigte, sich über die gesetzlichen Bestimmungen beim Apparieren kundig gemacht zu haben und sie bei bestandener Prüfung einzuhalten. Er unterschrieb auch, daß er im Falle einer verfehlten Prüfung keine Rückzahlungsforderungen stellen würde. Dann mentiloquierte er Brittany, er würde gerne noch die Unterlagen vor vierzehn Uhr mitteleuropäischer Sommerzeit in Paris haben.
"Die sind echt lustig", schickte Brittany zurück. "Anstatt die euch die Unterlagen gleich mitgeben, damit ihr die hier in Ruhe ausfüllt ... Ich schicke meine Eule als Blitzeule los. Braucht mir dafür nichts zu geben, weil ich ja weiß, wie wichtig dir das ist, apparieren zu können."
Millie und Julius bedankten sich bei Brittany, als sie ihre Eule im Kamin verschwinden ließ. Die Grenzstation war ja rund um die Uhr besetzt. Die Eule ging an Millies Eltern, die die Dokumente dann gleich ins Ministerium weiterschicken sollten. So landete die Eule um kurz vor ein Uhr Nacht Pazifikstandardzeit in Paris. Um halb zwei tauchte sie voller Ruß wieder bei Brittany im Kamin auf. Diese ließ ihren Vogel nach gründlicher Gefiederreinigung zum Nachtflug hinaus. Der Postvogel hatte eine Antwort von Albericus Latierre mitgebracht.
Hallo Millie und Julius!
Ich habe Tine gleich eure Formulare rübergeschickt. Die sind echt lustig, euch so knapp vor Einreichungsfrist erst die Sachen zu schicken. Klar, wenn die Eule nicht ins Stadion durfte mußte die die Briefe bei der angegebenen Adresse abliefern. Aber ich denke, Tine wird die gleich ganz oben auf die Liste der eingegangenen Anschreiben setzen. Viel Spaß noch in VDS! Meldet euch kurz, wenn ihr wieder in Millemerveilles seid!
Gruß
Albericus Latierre
Den Rest der angebrochenen Nacht verschliefen die drei Bewohner des Hauses Buchecker bis morgens um acht. Julius hatte die Mini-Temmie vorsorglich wieder in ihre Transportkiste gepackt, wo sie unbeweglich und lautlos blieb.
Gegen zwölf Uhr Mittags wurden die Gäste aus Millemerveilles vom Siedlerrat verabschiedet. Auch Venus Partridge und die anderen Quodpotter der Windriders nutzten die Gelegenheit, sich von Mildrid und Julius zu verabschieden. Camille posierte noch einmal mit ihren Kindern und ihrer Enkeltochter vor den Kameras des Westwindes und des Kristallherolds. Linda Knowles stand nur am Rande des großen Landeplatzes. Offenbar lauerte sie auf irgendwelche unbedachten Aussagen. Doch Millie und Julius gaben nichts von sich, was die Reporterhexe mit den magischen Ohren interessieren mochte.
Unter rhythmischem Klatschen bestiegen die Gäste aus Millemerveilles über die ausfahrbare Leiter das magische Luftschiff. Die mit ihnen hier angereisten Dorfräte von VDS blieben jetzt zu Hause.
"Auf dann", hörte Julius Robin Jones' Stimme im ganzen Luftschiff. "Es geht los!" Die Leiter wurde eingeholt, die große Zugangsluke unter dem Kiel schlug dumpf zu und verriegelte sich von alleine. Durch die großen Aussichtsfenster konnten die Reisenden sehen, wie unter ihnen das Dorf Viento del Sol wegsackte und mit zunehmender Geschwindigkeit in die Tiefe stürzte. Doch natürlich war es umgekehrt. Sie stiegen nach oben. Julius lauschte wieder auf das erst zaghafte Pulsieren, das zum Summen, singen und Sirren anstieg und dann irgendwann nicht mehr gehört werden konnte.
Als sie die Pazifikküste unter sich sahen dachte Julius daran, daß dieses Luftschiff nur eins von insgesamt fünf Stück war. Fornax Hammersmith hatte es am Morgen noch erwähnt, als er bekräftigte, wie wertvoll seiner Gemeinde die Partnerschaft mit Millemerveilles sei, daß zwei der insgesamt fünf superschnellen Luftschiffe dafür bereitgehalten wurden, personen und Güter von dort nach hier zu befördern oder umgekehrt. Eines der beiden Fluggeräte würde jeden Tag einmal über den Ozean dahinbrausen, um Fahrgäste aus den Staaten nach Frankreich zu bringen oder umgekehrt. Dann fiel ihm was ein, was ihm vor lauter neuen Eindrücken bei der ersten Überfahrt nicht in den Sinn gekommen war. Sie flogen oder fuhren ja in vierzigtausend Metern Höhe. Wußten die Erbauer dieses Luftschifftyps was von kosmischer Strahlung? Wie heftig mochte die in dieser Höhe wirken? Diese Frage beunruhigte ihn. Selbst wenn sie Dank der Überschallzauberei des magischen Zeppelins nur eine Stunde unterwegs waren - woher die auch immer die Bewegungsenergie bezogen -, konnte die hier oben wirkende Strahlungsdichte schon der Ausstrahlung eines betriebenen Atomkraftwerkes entsprechen. So gut kannte er sich mit der Höhenwirkung nicht aus, um das selbst nachzurechnen. Millie fühlte, daß ihn etwas bedrückte und fragte ihn.
"Mir fiel erst jetzt ein, daß aus dem Weltraum jede Menge Strahlung auf die Erde trifft. Die Atmosphäre fängt den größten Teil davon ab. Doch je weiter jemand vom Meeresspiegel entfernt ist, desto dünner wird die Atmosphäre." Jeanne hörte genau zu, während sie ihre kleine Tochter im Tragekorb wiegte. Florymont wollte wissen, ob das eine ähnliche Strahlung sei wie die der Kernspaltungsbomben. Julius erwähnte, daß es eben sogenannte ionisierende Partikelstrahlung sei.
"Ionisierend heißt elektrisch aufladend?" Fragte Florymont. Julius nickte. "Dann ist das für uns wohl ähnlich wie die Elektrizität in der Luft, um Blitze abzufangen. Aber ich kann da vorne noch mal fragen. Wenn das stimmt, was du sagst, sollten wir mit diesen Höhenfliegern sparsam umgehen, wenn wir uns nicht langsam den Körper zersetzen wollen. Du bleibst besser hier, weil die beiden da vorne vielleicht sonst auf stur machen, weil ein junger Bursche meint, ihnen ihr schönes Vehikel madig reden zu wollen. Bis gleich." Florymont verließ den großen Aussichtsraum und kehrte erst nach zehn Minuten zurück.
"Die wollten nicht damit rausrücken, wie sie es machen. Aber sie erzählten mir, daß deren Heiler schon Stunk gemacht haben, weil sie in der Höhe flögen, Julius. Die hätten darauf bestanden, daß die Außenhülle mit einem besonderen Stoff lackiert wird, der mindestens sechzig Prozent der Strahlung zurückwirft. Am Ende haben sie sogar achtzig Prozent Rückprall herausgeholt. Die wollen mir nicht verraten, wie genau die Abstimmungen der Flug- und Innertralisatus-Zauber ist und wie die das schaffen, schneller als der Schall zu fliegen, wo unsere Besen bei den großen Strecken immer wieder zwischenlanden müssen.""
"Hast du denen gesagt, woher du das mit der Strahlung hast?" Fragte Julius.
"Ich habe denen erzählt, daß unsere Heilerin Matine und unsere Alchemielehrerin von dieser Art Ausstrahlung erfahren und Gegenmaßnahmen ergründet hätten und ob die aus VDS auch wüßten, wie die gingen. Als das geklärt war wollte ich natürlich noch ein wenig über die Bewegungszauber und den Luftumsetzungszauber wissen, wo ich schon mal da vorne in dieser Kristallkugel war. Aber da haben sie dann beide doch auf stur gemacht. Ich, so dieser Robin Jones, würde ja auch nicht jedem auf die Nase binden, wie meine Zauber funktionieren. Das muß ich leider als Begründung hinnehmen. Jedenfalls kennen die in VDS diese Höhenstrahlung. Vor neun Jahren hat da schon mal jemand kurz drüber gesprochen, weil vor zwölf Jahren in einem Zaubererdorf Resting Rock in Australien Uranstaub aufgetaucht ist, der die Leute da krank gemacht hat. Dreimal dürft ihr raten, wer denen in VDS davon erzählt hat." Julius' Stimmung hellte sich sichtbar auf. Natürlich! Aurora Dawn hatte ja schon Erfahrungen mit Radioaktivität sammeln müssen. Und für ihren "kleinen Hexengarten" war sie ja auch längere Zeit unterwegs gewesen.
"Das wäre auch noch schöner, mir diese Strahlung einzufangen, wo Julius erzählt hat, daß Frauen deshalb keine gesunden Kinder mehr kriegen könnten", wandte Jeanne ein und erhielt ein sehr heftiges Nicken von Millie zur Antwort.
"Deshalb wird Schwangeren in den ersten drei Monaten abgeraten, in Flugzeugen zu fliegen, nicht nur, weil es jederzeit zum Ausfall der Sauerstoffversorgung kommen könnte, sondern eben auch wegen der Strahlung in großen Flughöhen", konnte Julius noch einbringen. Camille sah Jeanne fragend an. Doch diese schüttelte nur den Kopf, lächelte aber dabei.
"Ich möchte mir noch ein wenig Zeit lassen, Maman", sagte die älteste Tochter der Dusoleils. Millie mußte dann natürlich dazu loswerden, daß Jeannes und brunos zweites Kind ja dann wohl mit ihrem und Julius' erstem Kind in Beauxbatons eingeschult werden könnten. Darauf meinte Jeanne:
"Dann sieh mal zu, daß du als erstes ein Mädchen auslieferst, weil Bruno beim nächsten Mal einen Jungen haben will. Dann könnten die beiden vielleicht sogar mal heiraten." Florymont warf seiner ältesten Tochter einen kritischen Blick zu, während Camille den Gedanken offenbar nicht so unsympathisch fand, daß ein Enkel mit einem Kind von Julius tatsächlich eine Familie gründen konnte. Julius fragte nun von einer gewissen Anwandlung beflügelt:
"Hast du nicht mit Barbara eine Übereinkunft, daß eure Kinder einander heiraten möchten?"
"Bring die nicht auf Ideen, Julius. Die sieht Viviane hier wohl schon mit ihrem Charles vor dem Zeremonienmagier."
"Ich denke, das sollte reichen, Jeanne, Mildrid und Julius", meinte Florymont, das für ihn unangenehme Thema beenden zu müssen. Doch Millie und Jeanne reichte das nicht, weil Jeanne Millie nun fragte, ob sie nicht vielleicht doch lieber warten wolle, bis ihre große Schwester wen auf den Besen gehoben hätte, um die nicht eifersüchtig zu machen. Millie erwiderte darauf:
"Sie hätte sich wen anderen suchen können, statt euren Mogeleddie. Meine Eltern haben mir nicht verboten, vor ihr zu heiraten, was für mich heißt, daß ich mir auch keinen Kopf machen muß, ob ich vor der Kinder habe oder nicht."
"Klar, weil sie deinen Süßen auch nicht so schlecht findet", feixte Jeanne. Camille meinte dann auch, es möge reichen, weil Denise sonst einen merkwürdigen Eindruck kriegen müsse. Doch Denise hatte nur Augen für die Überfahrt. Gerade kamen die Rocky Mountains wieder in Sicht, und die Sonne unterschritt bereits ihren Zenit. Julius wandte sich an Denise und sagte, daß sie jetzt einen ganz schnell vergehenden Tag mitbekommen würde, weil sie ja jetzt nach Osten flögen, wo es ja schon später am Tag sei.
"Echt, dann geht die Sonne jetzt ganz schnell unter?" Fragte Denise. Florymont und Julius bestätigten das. Wenn sie so schnell wieder in Millemerveilles ankamen wie von dort nach Viento del Sol, würden sie um zehn Uhr abends dort landen. Dann war dort schon keine Sonne mehr zu sehen.
So drückte Denise ihre Nase an der unzerbrechlichen Fensterscheibe platt und verfolgte die Reise über den Atlantik und die dabei sehr schnell über den Himmel wandernde Sonne. Tatsächlich fiel das gleißende Tagesgestirn von Minute zu Minute Grad um Grad dem Horizont entgegen, bis es erst in zarten Orangetönen und dann immer röter den blauen, gebogenen Schimmer des Ozeans berührte, der an dieser Stelle blutrot widerschien. Für einen winzigen Moment konnten Denise und Julius über der versinkenden Sonnenscheibe einen grünen Lichtblitz ausmachen, der den in allen Rottönen glühenden Himmel durchzuckte, bevor die Sonne vollständig unter dem Horizont versank. Über ihnen war bereits die Schwärze des Weltraums zu sehen, die von abermillionen winziger Lichtpunkte durchsetzt war. Julius erkannte, daß die Sterne klar und flimmerfrei am Himmel standen. Er konnte sogar noch mehr Sterne ausmachen als auf dem Erdboden. Hier oben gab es kein gestreutes Licht von Scheinwerfern und Straßenlaternen. Die Lufthülle war hier oben fast nicht mehr vorhanden. Er kam sich vor wie ein Astronaut in einer hohen Erdumlaufbahn, aus der heraus er nun das All und die unter ihm liegende Erdkugel betrachten durfte. Doch er konnte von der Erde nur einen verhältnismäßig kleinen Ausschnitt erkennen. Im Westen spiegelte sich das immer dunkler werdende Blau der Abenddämmerung. Im Osten sah er nur pechschwarze Finsternis. Bis er den Widerschein des Mondes ausmachte, der gerade gelblich-weiß über den Horizont emporstieg. Julius fühlte sich wieder wie der vierjährige Junge, der mit seinen Eltern zwei Autostunden außerhalb von Greenville, Florida in den Nachthimmel geguckt hatte und da schon fasziniert von den vielen kleinen Lichtern und dem großen runden Etwas aus leuchtendem Silber war. Er gab sich der Vorstellung hin, daß es außer ihm und dem Sternenhimmel nichts weiteres gab. Doch dann ertappte er sich dabei, daß er versuchte, eine Zeit heraufzubeschwören, die schon sehr lange vorbei war und die er selbst dann nicht zurückholen wollte, wenn er das wirklich gekonnt hätte. Zu viel war seit der Reise nach Greenville passiert. Das Sanderson-Haus, Die brutalen großen Jungs in seiner ersten Schule, die Bubblegum-Bande, mit der er viel Spaß hatte. Dann die Einschulung in Hogwarts und alles, was danach um ihn und mit ihm passiert war, einschließlich dem Ereignis, daß er nun schon seit einem Jahr mit einer Hexe verheiratet war, ja, daß seine Mutter mittlerweile selbst zu dieser magischen Welt gehörte, an die sie vor sechs Jahren noch keinen Gedanken verschwendet hätte. Er tastete vorsichtig mit der rechten Hand nach rechts und fand ddiese in Millies schlanker, warmen aber doch kräftigen Hand wieder. Behutsam hielt er sie und sie ihn. Da ertönte Jones' Stimme:
"So, die werten, neugierigen Fluggäste. In zehn Minuten sind Sie alle wieder zu Hause. Könnte ein wenig wackelig werden, weil über Marseille gerade ein heftiges Gewitter tobt."
"Na wunderbar", meinte Jeanne. "Hoffentlich ist diese fliegende Wurst wirklich gegen Blitzschlag abgesichert."
"Spüren werden wir da wohl nichts von", meinte Florymont. "Aber wir sollten uns besser hinsetzen."
Es war schon ein faszinierender Anblick, wie weit voraus rote, gelbe und violette Lichter aufflackerten und in Sekundenbruchteilen verloschen. Sie konnten die sich verzweigenden Glutbahnen der Blitze erkennen, die in den Wolken dahinzuckten und immer wieder Lichtpfade zur nachtschwarzen Erdoberfläche brannten. Sie konnten das unter ihnen tosende Mittelmeer als schwarz-graues Muster erkennen, das immer wieder vom Schein der Entladungen silbern und hell wie ein Spiegel glitzerte, vor dem man schnell eine brennende Taschenlampe hin und herschwänkt. Drei Glutpfade zugleich verbanden ein Ungetüm von Gewitterwolke mit der Wasseroberfläche. Zu spüren war nichts. Doch das dumpfe Dröhnen nicht mehr all zu ferner Donnerschläge klang nun, wo sie offenbar unterhalb der Schallmauer flogen zu ihnen herein. Die beiden Luftschiffer steuerten das magische Fluggerät so, daß es nicht direkt in die sich austobende Gewitterfront hineinraste, sondern in ostnordöstlicher Richtung seine Ausläufer durchquerte. Tatsächlich flammten mehrere Blitze um das Luftschiff auf, die unmittelbar von riesenpeitschenartigen Donnerschlägen gefolgt wurden. Für einen Moment konnte Julius ein schwach grünliches Flimmern erkennen, das sich vor den Fenstern aufbaute. Da zuckte der nächste Blitz vom Himmel herab und brannte sich in die Meeresoberfläche. Dann umfing sie alle eine Zehntelsekunde lang blendende Helle, und ein scharfer, lauter Knall rüttelte an den Trommelfellen der Insassen. Julius konnte für einen Moment ein grünes Wabern erkennen, daß ihren Überschallzeppelin umfloß. Dann war der Feuerzauber auch schon vorbei. Sie flogen noch und fühlten auch nichts von Sturm oder Regen. Den konnte Julius nun als dicken, silbrigen Vorhang erkennen, der sich auf die Aussichtsfenster legte. Es rauschte laut. Dann kamen sie in die äußersten Ausläufer der Gewitterfront. Noch einmal glühte ein blendender Blitz auf. Noch einmal krachte ein kanonenschlaggleicher Donnerschlag auf sie alle nieder. Dann lag das Gewitter hinter ihnen.
"Könnte sein, daß wir das heute Nacht noch bei uns kriegen", meinte Camille. "Muß gleich unbedingt die Himmelstrinker ansehen."
"Kann sich ruhig über dem Meer austoben, Maman", erwiderte Jeanne. Denise stimmte ihrer großen Schwester zu.
"Vielleicht regnet's ja auch bei uns", vermutete Mildrid.
"Dann wird das das erste Gewitter sein, daß wir im Apfelhaus überstehen müssen", meinte Julius dazu. Doch er klang nicht verängstigt, sondern interessiert.
Diesmal landete das Luftschiff richtig. Julius hatte die acht Spinnenbeinartigen Landestelzen bis dahin nicht gesehen. Doch offenbar war es wichtiger, den magischen Flugapparat auf sicheren Boden zu bringen, statt ihn an Ankertauen festzumachen. So brauchten die Passagiere nur durch die Luke auszusteigen und nur drei Leitersprossen zu überwinden. Hier regnete es noch nicht. Aber die Luft drückte auf sie alle, und immer kälterer, sowie immer stärkerer Wind blies ihnen zur Begrüßung um die Köpfe. Das über dem Raum Marseille wütende Unwetter wirkte sich also auch schon hier aus.
"Es könnte noch was geben", sagte Ratssprecherin Delamontagne, die zur Begrüßung der ersten Heimkehrer aus Viento del Sol an die Landestelle gekommen war.
"Dann wird es Zeit, in die sichere Behausung zurückzukehren", sagte Camille. Chloé quängelte. Offenbar fühlte sie sich durch die rasante Zeitumstellung nicht sonderlich wohl.
"Geht das noch mit Besen?" Wollte Jeanne wissen. Eleonore Delamontagne nickte. "Mit Windumlenkungszauber geht das noch", sagte die Ratssprecherin.
"Dann sehen wir zu, daß wir auch nach Hause kommen", sagte Julius zu seiner Frau. Diese nickte ihm zustimmend zu. Sie verabschiedeten sich noch von den Dusoleils und den beiden Piloten des Luftschiffes. Dann flogen sie zurück zum Haus Pomme de la Vie.
Julius prüfte zuerst nach, ob sein Geräteschuppen blitzsicher war. Alle Elektrogeräte im Schuppen waren ausgestöpselt, und die kleine Solarstromanlage war gerade im Schlafzustand.
"Dann schnell ins Haus", sagte Millie. Julius pflichtete ihr bei und trug seine sachen in das runde Haus, das im Licht des noch unverhüllten Mondes silbergrau schimmerte.
"Ich bin noch viel zu wach, weil die uns in der Eile keinen Ortszeitanpassungstrank gegeben haben", sagte Millie. "Wwollen wir zusehen, ob das Gewitter hier auch noch vorbeikommt?"
"Am besten schicken wir erst einmal eine Nachricht an deine Eltern, ob das mit den Formularen geklappt hat", schlug Julius vor.
Fünf Minuten später ertönte die magische Türglocke, und Heilerin Matine stand vor der von außen unsichtbaren Tür.
"Ich fürchte, ihr beiden könntet morgen unausgeschlafen sein, wenn ihr euch nicht an unsere Tageszeit anpassen wollt", sagte die Heilerin und präsentierte eine Flasche mit Ortszeitanpassungstrank. Millie und Julius nahmen dieses Angebot dankbar an. Sie wußten schließlich nicht, wann genau sie für die erste Kursstunde anzutreten hatten.
"Ihr habt Hin- und Rückreise gut überstanden?" Fragte Hera Matine. Millie und Julius bestätigten das und plauderten zehn Minuten lang mit der Heilerin über die Flugreise und ihren Aufenthalt in Viento del Sol. Dann befand Hera Matine, das junge Paar besser jetzt alleine zu lassen. Sie verabschiedete sich und disapparierte außerhalb des Apfelhauses. Im Süden sahen die beiden Eheleute nun eine immer dichtere, schwarze Wand.
"Dann wollen wir hoffen, daß das Haus wirklich jeden Sturm abhält", sagte Julius, als er die Haustür von innen geschlossen hatte. Millie stimmte ihm zu. Sie waren jetzt einigermaßen müde, aber auch hungrig. So aßen sie bis elf Uhr noch Brot und Käse. Dann zogen sie sich in ihr Schlafzimmer zurück. Sie sahen die ersten Regentropfen an die Fensterscheibe klopfen und verfolgten mit, wie der Mond von immer größeren Wolken regelrecht verschlungen wurde. Das Gewitter war nicht mehr fern.
In ihrem breiten, nach außen schallschluckenden Ehebett flüsterten sie eng aneinandergekuschelt über den Ausflug nach Viento del Sol, während die Regentropfen etwas heftiger gegen die nordöstliche Wölbung des Fensters klopften. Dann, von einem zum anderen Moment, wechselte das drängende Klopfen zu einem lauten Rauschen, als sprühe jemand mit einem Gartenschlauch oder dem Wasserstrahlzauber dicke Strahlen gegen die Scheiben. Dann bollerte ein lauter Donner und rumpelte mehrere Sekunden lang über das Haus hinweg, bis er in der Ferne zu einem leisen Grummeln verklang. Die Vorhänge waren zugezogen. Trotzdem drang etwas vom Schein eines Blitzes zu ihnen herein. Das Rauschen der Regenfluten wurde indes von einem Moment zum anderen leiser. Julius begann unverzüglich die Sekunden abzuzählen. "Eins ..." Tschakrabumm! Da war der Donnerschlag auch schon wie eine Riesenpeitsche zu hören.
"Mayette mag keine Gewitter, weil Oma Line mal mit ihr in den Pyrenäen voll in eins reingeraten ist", seufzte Millie. Da krachte auch schon der nächste Donner über dem Haus.
"Komisch, der Regen hat nachgelassen", meinte Julius, während ein neuer Blitz durch die Vorhänge schien. Er zählte noch einmal und kam nicht mal bis zur ersten Sekunde.
"Deine Elektrosachen sind sicher?" Fragte Millie.
"Ich habe alles ausgestöpselt und die Tür von außen fest zugeschlossen", sagte Julius. "Wahrscheinlich fangen die Bäume im umliegenden Wald viele von denen auf und ..." Tschakrawumbumm! Ein weiterer, nahebei krachender Donnerschlag würgte seine Worte ab. Er reckte sich und zog die Vorhänge bei Seite. Da sah er, wie ein hauchzarter Silberschimmer genau vor den Fenstern lag, an dem die Regenfluten, die wie aus großen Kesseln oder Badewannen gekippt herabfielen, geräuschlos abglitten wie Phaserstrahlen an einem eingeschalteten Energieschirm. "Ah, unser Wasserschutz ist angesprungen. Offenbar geht der bei einer bestimmten Menge Regen pro Minute an", stellte Julius fest, der sich an Florymonts Erläuterungen über die Wetterschutzzauber erinnerte. Millie warf sich auf ihren Bauch und warf ihren Kopf in den Nacken, um den silbernen Hauch zu sehen.
"Ist eigentlich nix anderes als der Parapluvius-Zauber, der in der Spange ist, die du mir zum fünfzehnten Geburtstag geschenkt hast, Monju. Oha, da hinten ist Feuer. Einen der Bäume im Wald hat's also erwischt."
"Wollen nur hoffen, daß der Regen das löscht, sonst müssen wir noch Feuerwehr spielen", meinte Julius. Doch da sah er auch, wie die schwachen Flammen auf einem alten Tannenbaum bereits unter den Himmelsfluten zusammenschrumpften und zu harmlosen Dampfwölkchen wurden. Ein quer über das Haus wegschießender Blitz hellte alles für einen Sekundenbruchteil auf. Keine Viertelsekunde später traf die von ihm erzeugte Druckwelle als scharfer, schmerzhaft lauter Knall auf die Ohren der Latierres. Dann sah Julius etwas, mit dem er nicht gerechnet hatte. Ein in allen Regenbogenfarben schillernder Glutball schlingerte und ruckte über sie hinweg, wohl auf der Höhe der magischen Barriere über dem Zaubererdorf. Millie sah das merkwürdige Gebilde auch. Julius meinte, daß er echt nicht so recht an Kugelblitze geglaubt habe. Aber die wurden doch häufiger beobachtet als echte Magie, und an die müsse er ja wohl glauben.
"Interessant, daß der genau da langeschossen kam, wo Sardonias Glocke über uns steht", wunderte sich Millie. Julius pflichtete ihr bei.
"Vielleicht wechselwirkt die Elektrizität in den Gewitterwolken mit der Magie der Schutzglocke. Dann wundert es mich allerdings, daß Blitze bis ganz unten durchschlagen können."
"Kann ja sein, daß wir von denen noch mehr zu sehen kriegen ... Ha, ist das hell!" In Millies schmerzhaften Ausruf hinein krachte ein weiterer, ohrenbetäubender Donnerschlag, erst scharf wie eine Peitschenschnur, um keine Zehntelsekunde später zu einem bauchboxenden Paukenwirbel zu werden. Die beiden lauerten auf weitere Kugelblitze. Doch in den nächsten anderthalb Stunden zeigte sich keiner mehr.
"Vielleicht erzählen die mir mal, ob das ein echter Kugelblitz oder ein magischer Energieausgleich oder sowas war", beschloß Julius. Immer noch tobte das Gewitter. Es peitschte mit kräftigen Sturmböen Kübelweise Wasser gegen alles, was nicht durch diesen hauchzarten Wasserabweisezauber geschützt war. Um das Haus stand bereits ein glitzernder Teich. Doch der Apfel des Lebens stand wohl fest verankert im Erdboden.
"Dann haben wir morgen wohl was zu tun, die Beete wieder klarzukriegen", seufzte Julius.
"Die haben uns noch nicht gesagt, wann wir zur ersten Stunde antreten sollen. Da kriegen wir das gar nicht geregelt. Frage unsre Tante Camille, ob sie das macht! Die freut sich bestimmt."
"Tante? Oha, stimmt ja, die ist ja jetzt eine entfernte Tante von mir."
"Du bist süß. Schon seit mehr als einem Jahr ist sie das", grinste Millie, während ein nun etwas weiter niedersausender Blitz die Nacht aufriß. Julius zählte wieder bis zum Donnerschlag und kam diesmal bis drei. Doch unmittelbar darauf schlug es wieder ganz nahe bei ihnen ein. Julius konnte sehen, wie der Blitz wohl beim oder im See der Farben auftraf.
"Haben Tante Camille und du nicht erzählt, daß in dem See Wassermenschen wohnen?" Fragte Millie.
"Stimmt. Ob das für die da drinnen gefährlich ist? Meine Eltern haben mir immer eingeschärft, bei Gewitter nie im Wasser zu sein. Das leitet nämlich die Elektrizität und kann einen umbringen, wenn der blitz auch hundert Meter weiter weg einschlägt."
"Ich denke nicht, daß es hier das erste Donnerwetter ist", meinte Millie abgebrüht. Julius nickte und erzählte ihr von seinem dreizehnten Geburtstag, wo Arcadia Priestley und Aurora Dawn bei den Dusoleils gewohnt hatten. Das brachte ihn auf die Idee, seinen Langsamgucker herauszuholen, die echte Zeitlupe, die Arcadia entwickelt hatte. Er ging schnell in das auf dieser Etage liegende Wohnzimmer und holte das einem normalen Vergrößerungsglas ähnelnde Sehwerkzeug und bezog wieder Posten am Fenster. Tatsächlich konnte er einen nicht zu weit niedergehenden Blitz damit einfangen und in tausendfacher Verlangsamung betrachten. Als Millie sich dieses nützliche Hilfsmittel ausborgte und ebenso beobachtete, daß ein Gewitterblitz nicht in einem Ruck nach unten fuhr, sondern sich immer in kleinen, zu den Seiten ausgreifenden Verästelungen immer weiter nach unten vortastete und zu Beginn kaum zu sehen war, bis vom Boden her ein gleißender Funkenstrom den ertasteten Weg zurück nach oben stieg, wunderte sie sich nicht schlecht.
"Da soll noch mal wer sagen, es bringt's nicht, Sachen mit anderen Augen zu sehen", meinte sie. "Wie kommt denn das, daß die Blitze erst fast nicht sichtbar diesen Schlängeltanz nach unten machen und dann vom Boden her erst das grelle Licht nach oben abgeht?"
"Luft kann Strom nicht so gut leiten. Deshalb muß sich die Entladung wohl erst einen Weg durch im Verhältnis besser leitende Teilchen in der Luft suchen. Dann gibt's wohl einen Kurzschluß mit dem Zeug im Boden, und wuff", meinte Julius. "Aber das siehst du nicht, weil's zu schnell geht."
"Diese Lichtfunken sind auch nicht als eine Kette da hochgeschossen, sondern wie kleine Haufen aus Licht, die sich verteilt haben", meinte Millie.
"Wohl wegen der schlechten Stromleitung. Die Entladungsspannung muß erst erreicht werden."
"Schon schön, aber auch gefährlich, wie ein bretonischer Blauer", meinte Millie dazu.
"Jedenfalls gut, daß Temmie jetzt nicht da draußen herumsteht", meinte Julius. "Tante Babs' Kühe haben ja Luxusställe."
"Das glaubst du auch, daß Tante Babs Temmie nicht mehr so locker herumfliegen läßt", erwiderte Millie. Da fegten drei Blitze in kurzer Folge über das Haus hinweg. "Wenn das so weitergeht kommen wir nicht mehr zum schlafen", sagte Millie verdrossen. "Dann hätte deine Pflegehelferziehmutter uns nicht den Zeitumstellungstrank geben brauchen."
"Wir können doch Ohrenschützer aufsetzen", schlug Julius vor. Seine Frau kniff ihm keck in die Nase.
"Oder uns total müde machen, Monju?" fragte sie herausfordernd. Julius überlegte, ob das echt die rechte Gelegenheit war. Aber warum nicht? Schließlich war ihm das hier nicht mehr verboten.
Als sie schließlich doch erschöpft genug waren hatte sich auch die Hauptwucht des Gewitters ausgetobt. Ob draußen noch Regen fiel konnten die beiden nicht hören. Doch das war ihnen egal. Sie rollten sich auf ihre jeweilige Bettseite und schliefen tatsächlich schnell ein.
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Am Nächsten Morgen um kurz nach sieben besichtigte Julius die von Blitzen und Regenflut angerichteten Verwüstungen. Die Beete waren völlig voll Schlamm. Die Stellen, wo sie die Kirschkerne ihrer Urgroßmutter Barbara eingesäht hatten, waren aufgeschwemmt. Julius prüfte mit seinem Herboskop, ob die Kirschkerne noch eingebettet waren und wunderte sich, daß diese tatsächlich noch in den bereitgemachten Erdflecken steckten. Dann prüfte er den Schuppen von außen und von innen. Kein Blitzschlag hatte hier etwas angerichtet. Er nutzte die Gelegenheit, den tragbaren Computer anzuwerfen und eine kurze E-Mail an seine Mutter abzuschicken, daß er wieder zu Hause sei, aber wegen schweren Gewitters nicht mit elektrischen Geräten herumhantieren wollte. Da hörte er die Gedankenstimme von Ursuline Latierre unter seiner Schädeldecke.
"Ich hörte, ihr seid wieder da. Hat's bei euch auch so gerappelt?"
"Ja, hat es", schickte Julius zurück. "Millie und ich wissen nur nicht, ob das mit dem Kurs klappt."
"Ihr kriegt wohl noch Eulen, wann Tine ihre mittelgroße Schwester trietzen will", erhielt er zurück.
"Bist du in der Nähe? Ich verstehe dich sehr klar", schickte Julius zurück.
"Nöh, ich bin im Château. Aber wir zwei sind ja gut miteinander verbunden. Dann geht das. Dann auf jeden Fall einen schönen Tag, Julius!"
"Danke, Oma Line", mentiloquierte Julius. Er sah, wie der Bildschirmschoner seines Rechners bunte Würfel über die Flüssigkristallanzeige kullern ließ und erkannte, daß er ihn für's erste nicht mehr benötigte. So fuhr er ihn ganz herunter.
Während des Frühstücks traf tatsächlich eine Eule ein. Es war ein Waldohreulenmännchen mit zwei zusammengebundenen Umschlägen am rechten Bein.
"Also nicht um acht", stellte Julius knochentrocken fest, während er den an ihn adressierten Umschlag öffnete und las, daß Michel Montferre ihn um zehn Uhr zur ersten Stunde erwartete. Sie würden jedoch nicht in Millemerveilles üben, sondern im Übungsraum des Appariertestzentrums. Das hieß für ihn, daß er ins Ministerium mußte. Er wurde darauf hingewiesen, daß er ins Foyer des zaubereiministeriums reisen und sich dort registrieren lassen sollte, bevor er zum Stockwerk für die Personenverkehrsabteilung hinauffuhr.
"Tine will mich bei uns im Honigwabenhaus haben", sagte Millie leicht verdrossen. "Da könnte auch nix passieren, bis ich das raus habe, über größere Strecken zu apparieren. Sie schreibt ausdrücklich, daß nur ich da hinkomme, weil Bines und Sans Vater dich im Ministerium haben will." Julius bestätigte es. "tine schreibt, daß sie dann jeden Morgen um acht Uhr mit mir weitermachen will, drei Stunden praktische Übung und dann noch zwei Stunden Theoriekram. Haben wir über's Apparieren schon Bücher da, oder muß ich mir welche in der Rue de Camouflage besorgen?"
"Ich habe die Bibliothek geordnet. Moment. Joh, wir haben die beiden wichtigen Bücher da, Kasimir Rosebridges "Wege durch das Nichts - Zeitlose Reisen, wie sie angetreten werden und was dabei zu beachten ist und "Regeln des zeitlosen Ortswechsels" von Locustus Underwood mit Ergänzungen der gesetzlichen Neuerungen von 1978. Fehlt im Grunde nur noch "Das Gewebe des Raumes - Theoretische Grundlagen aller zeitlosen Ortsbewegungskünste", aus dem Florymont ja hatte, wie er die Apparierspürer Austricksen konnte."
"Das brauche ich dann wohl nicht, falls Tine nicht meint, mich die ganze Kiste lernen zu lassen, was genau beim Apparieren in mir und um mich herum passiert. Will ich ehrlich gesagt auch nicht unbedingt wissen", erwiderte Millie. Dann machte sie den Kamin in der Küche für Kontaktfeuer auf und schickte ihren Kopf zu ihren Eltern, wo sie Martine ausrichtete, pünktlich zu sein.
"Tine hat gegrinst, als ich ihr sagte, daß wir die Nacht nicht richtig geschlafen hätten", grummelte Millie, als ihr Kopf wieder auf ihren Schultern saß. "Das mit dem Gewitter wollte sie mir wohl nicht abkaufen. Aber die hatten in Paris bleischwere Luft. Könnte sein, daß die heute auch noch Blitz und Donner kriegen. Aber bitte dann erst, wenn ich wieder in Millemerveilles bin."
"Joh, dann bleibt uns jetzt nichts mehr übrig, als pünktlich an unseren Treffpunkten einzutrudeln", sagte Julius, der sich arg anstrengen mußte, die in ihm aufkommende Vorfreude, aber auch eine gewisse Anspannung zu überspielen. Doch sein Herzanhänger funkte es Millie eh, wie er sich wirklich fühlte. So wunderte er sich nicht, als sie antwortete:
"Für dich sind doch heute schon Weihnachten, Ostern und dein nächster Geburtstag zusammen, Monju."
"Erst wenn ich diesen Zettel habe, wo draufsteht, daß ich apparieren darf, weil ich es gelernt habe", gestand Julius ein. Millie nickte und knuddelte ihn kurz. "Ich weiß, warum die uns nicht in einem Raum zusammenlassen, weil Michel rauskitzeln will, was bei dir schon geht, ohne daß du dich wegen mir zurückhältst. Und Tine will nicht, daß ich gleich total erledigt bin, wenn du heute schon aus dem Haus disapparieren kannst. Aber die konnte das auch schon am zweiten Kurstag. Also kriege ich das wohl auch hin. Wollte deine Mutter das nicht auch lernen?"
"Ich denke, die will doch nicht zu viel auf einmal", entgegnete Julius.
"Willst du in dem langen Umhang da hin. Das geht doch immer mit einer Drehung ab. Vielleicht kommst du leichter weg, wenn du keine Angst haben mußt, zu stolpern."
"Hmm, ich weiß nicht, ob es einen Bekleidungskodex für Apparierschüler gibt. Sonst würde ich sagen, daß wir so rumlaufen sollten wie die in Beauxbatons."
"Gute Idee, ich zieh mein Braves-Schulmädchen-Kostüm an, damit Tine noch mehr zu grinsen hat."
"Stimmt, kommt wohl besser", erwiderte Julius.
So trugen beide ihre übliche Schulkleidung, er seinen neuen, blaßblauen Umhang für die Unterrichtsstunden in Klassenräumen, sie eine blaßblaue Bluse und einen knielangen, blaßblauen Rock. Die Hüte ließen sie jedoch weg. Als die Standuhr im Erdgeschoß Viertel vor zehn schlug küßten sich beide noch einmal zum Abschied. Dann flohpulverte Millie mit ihrer kleinen Handtasche nach "Maison Mardi!" Julius wartete. Er dachte daran, wie schnell die Zeit doch verflogen war. Er sah noch gut vor sich, wie Professor McGonagall aus dem Wohnzimmer seines Elternhauses disapparierte. Da hatte er schon gewußt, daß er, wenn sie ihn schon das Zaubern beibringen wollte, auch das können wollte. Dann das wirklich echte erste Mal, wie ihn Camille Dusoleil an Jeannes Hochzeitstag mitgenommen hatte und er da noch gemeint hatte, daß es keine Werbung für diese Art zu reisen sei, durch eine strohhalmenge Gummikanone geschossen zu werden. Dann die eigentlich nicht erlaubte Reise nach San Rafael mit Brittany Forester, die Sprünge auf der Suche nach seinem Vater an der Seite Jane Porters. Danach noch Reisen mit Martine, Brittany, einem der Dusoleils. Jetzt wollte und durfte er das lernen, wie er alleine diese Raumsprünge machen konnte. Jetzt würde er endlich ein großes Ziel angehen, wie schnell auch immer er es schaffen mochte, sich selbst in einem Stück an einen anderen Ort zu versetzen. Er dachte an die ihm schon bekannten Grundregeln. Die goldene Dreierregel, die auch als 3-D-Regel bekannt war, die Drehung in den Transit durch das Nichts zwischen zwei magisch für einen winzigen Sekundenbruchteil verbundenen Orten. Wie das mit größeren Entfernungen war und was dabei für eine Streuung im Raum-Zeit-Gefüge auftrat. Ein wenig bange war ihm schon, daß seine sonst so überragende Zauberkraft bei diesem Kurs nicht ausreichen mochte oder sich als hinderlich erweisen würde, das Apparieren ordentlich zu steuern und nicht über ein ausgesuchtes Ziel zu weit hinauszuschießen. Er hatte von allen, die ihren Kurs in der Schule gemacht hatten gehört, daß es am ersten Kurstag keinem so recht gelang. Aurora hatte ihm nur einmal erzählt, daß eine begabte Jahrgangskameradin von den Gryffindors es am ersten Tag schon geschafft habe, mehrmals in einen wenige Schritte entfernten Holzring hineinzuspringen. Diese Hexe war auch sonst so überragend, hatte schon in der fünften ungesagte Zauber gewirkt und war am Ende sogar Schulsprecherin von Hogwarts. Schulsprecher gab es in Beauxbatons nicht. Aber die goldene Saalsprecherbrosche hatten sie ihm schon zugeschickt. Dann überwog wieder die Freude, genau das jetzt schon lernen zu dürfen, was er seit Professor McGonagalls Verschwindeübung lernen wollte. Zu der Vorfreude kam jetzt aber auch eine gewisse Angenervtheit. Das war nicht sein Gefühl. Er konzentrierte sich und erkannte, daß es über den Herzanhänger in ihn einströmte. Er drückte den Anhänger an die Stirn und dachte konzentriert: "Mamille, ich nehme meinen Anhänger besser ab, damit wir uns nicht gegenseitig mit unseren Gefühlen aus dem Tritt bringen."
"Tine kuckt mich schon so überheblich an, weil ich deine Vorfreude offenbar im Gesicht stehen habe. Mach das dann besser, Monju! Wenn du mit deinem Kurstag fertig bist hängst du ihn einfach wieder um", dachte ihm Millie zurück. Julius zog die Silberkette mit dem halben, sanft pulsierenden Anhänger über den Kopf und steckte sie in eine verschließbare Innentasche seines Umhangs. Dann sah er noch einmal auf die Uhr. Jetzt waren es nur noch zehn Minuten bis zum angesetzten Termin. Er mußte zum Foyer des Zaubereiministeriums, wo Besucher registriert wurden. Vielleicht kannten sie ihn da aber noch von seinem Ausflug mit Madame Delamontagne, die er ab dem ersten August beim Vornamen nennen durfte.
Er warf noch eine kleine Dosis Flohpulver nach, jedoch nicht zu viel, um den Kamin nicht länger als nötig brennen zu lassen. Denn Aschwinderinnen mußte er sich ja doch nicht ins Haus holen. "Foyer des Zaubereiministeriums!" Rief er aus, als er in den grünen Flammen seines Kamins stand. Sofort erfaßte ihn die Wirkung des Flohpulvers und riß ihn aus dem Apfelhaus hinaus, hinein in das weitverzweigte Netz magischer Kamine, vorbei an offenen Feuerstellen in anderen Zaubererhäusern, bis er mit einem Ruck auf dem gerade feuerlosen Rost des Zielkamins landete.
Das Foyer hatte sich nicht groß verändert, erkannte Julius. Er ging schnell zur Besucherregistratur hinüber und stellte sich und sein Anliegen vor, wie er es in London getan hatte.
"Sie werden schon von Monsieur Montferre erwartet, Monsieur Latierre. Sie haben noch denselben Zauberstab?" Fragte der Registrierungsbeamte. Julius legte seinen Eichenholzstab mit Phönixschweifkern vor, bekam diesen aber gleich wieder zurück. "Danke, alles in Ordnung! Nehmen Sie einen der Fahrstühle und fahren sie zum dritten Stockwerk hinauf! Dort befindet sich die Abteilung für magischen Personenverkehr. Dort links halten bis zur Abzweigung "Apparierüberwachung und Zulassungsprüfung". Dort bis zur Tür mit dem Hinweisschild "Montferre, Michel, Seniorprüfer" und Wandelwortschild darunter beachten!" Julius bestätigte diese Instruktionen, bedankte sich und ging zu einem der Fahrstühle. Unterwegs traf er zwei Zauberer, die angeregt über einen Gerichtsprozeß diskutierten.
"... fährt der genauso ein wie sein großer Gönner Didier", hörte er heraus.
"Nur wenn sie dem beweisen können, daß er die Leute gefangenhalten wollte und nicht davon überzeugt war, gefährliche Leute in diesen Lagern zu haben", sagte der zweite Zauberer, ein hagerer, an die zwei Meter großer Mann mit schwarzem Scheitel, bleichem Gesicht und hellgrünen Augen. Dann sah er Julius Latierre.
"Ach, der junge Monsieur Latierre im Beauxbatons-Umhang. Auch vorgeladen?"
"Nicht als Zeuge oder Angeklagter, Monsieur Dornier. Habe ein Treffen mit jemanden aus der Personenverkehrsabteilung."
"Ah, also doch!" Erfreute sich Monsieur Dornier. "Céline hat es mir schon angedeutet, daß sie dich jetzt noch vor dem ersten Schultag durch die Prüfung schicken wollen. Dann mal viel Glück und Erfolg!"
"Danke, Monsieur", erwiderte Julius höflich und betrat den gerade eingetroffenen Fahrstuhl. Dort stand Madame Champverd, Virginies Großmutter mütterlicherseits, eine seiner ZAG-Prüferinnen.
"Guten Morgen, Madame Champverd!" Grüßte Julius vorbildlich, weil er ja der war, der hereingekommen war. Die füllige Hexe mit dem weißblonden Haar, das auf Nackenhöhe zu einem eleganten Knoten gewunden war, lächelte ihn an und grüßte zurück.
"Sie sind hoffentlich nicht zu einem Gerichtsverfahren vorgeladen worden, oder?"
"Diesmal nicht, Madame", erwiderte Julius, als die Fahrstuhltüren zuglitten und der Korb nach oben anfuhr.
"Ich erfuhr es von meiner Tochter, daß Ihre Bemühungen bei den ZAGs sehr weitreichende Folgen hatten. Sind Sie deshalb hier?"
"In gewisser Weise, Madame. Mir wurde angeboten, in den Ferien schon die Appariererlaubnis zu erarbeiten."
"Oh, davon hat meine Tochter nichts berichtet. Na ja, aber sie kann sich ja auch nicht um alles kümmern", erwiderte Madame Champverd. Dann sagte eine weibliche Stimme an, daß auf diesem Stockwerk die Abteilung für magischen Handel sei. "Hier muß ich schon raus", sagte die Kräuterexpertin und ZAG-Prüferin mit leichtem Bedauern. "Habe einige schwerfällige Diskussionen zu führen. Vielleicht sehen wir uns irgendwann noch mal", sagte sie. Julius ließ sie respektvoll passieren und wartete bis der Fahrstuhl weiterfuhr. Im zweiten Stockwerk lag die Spiele-und-Sport-Abteilung. Hier stieg Hippolyte Latierre zusammen mit einem ziemlich aufgeregten Zauberer im Spielerumhang der Pariser Pelikane ein. Beide unterbrachen ihre offenbar sehr angeregte Unterhaltung, als sie Julius sahen. Hippolyte nickte ihm zu und grüßte höflich. Der Zauberer stellte sich kurz und ungehalten als Daniel Vendredi vor, Ehrenspielführer der Pelikane.
"Wir müssen auch zur Verkehrsabteilung", sagte Julius' Schwiegermutter.
"ja, auch wenn das Ihr Schwiegersohn ist, muß der nicht erfahren, daß Sie meinen ... Ach lassen wir das. Abgesehen davon, was will der Junge alleine in der Abteilung. Apparieren darf der doch wohl noch nicht, oder?"
"Stimmt, das darf ich noch nicht", erwiderte Julius verhalten grinsend.
"Was willst du dann da?" Grummelte Vendredi. Julius sah seine Schwiegermutter an, die ein vergnügtes Grinsen aufsetzte.
"Ms. Brittany Forester aus Viento del Sol wollte mir einen Bronco-Besen schenken, und den müßte ich wohl vorher genehmigen lassen", erwiderte Julius spontan und nicht ganz wahrheitsgemäß. Doch er wollte diesem verbitterten Typen da nicht auf die Nase binden, was er hier wollte. Hippolyte grinste vergnügt und meinte:
"Solange die werte Mademoiselle Forester dir nur einen Besen schenken will und du keinen Krach mit meiner Tochter Kriegst viel Glück!"
"Die Yankeebesen lassen die doch nicht aus ihrem Land raus", schnarrte der Ehrenspielführer, der gut und gerne vierzig Jahre alt sein mochte. Dann kamen sie auch schon auf der Zieletage an.
Julius wartete einige Sekunden, bis die beiden Zusteiger ausgestiegen waren und verließ dann noch rechtzeitig vor dem Türenschließen den Aufzug. Er folgte im gebührenden Abstand seiner Schwiegermutter, die von Vendredi wieder in eine hitzige Debatte verwickelt wurde. Er sah sie in einen Seitengang rechts abbiegen, wo "Besenkontrollamt" zu lesen stand. Julius hielt sich links und betrat den Trakt für die Apparierüberwachung und Lizenzvergabe. Dort kam ihm eine braunhaarige Hexe entgegen, die ihn kurz musterte. Er grüßte höflich und ließ die Hexe im lindgrünen Umhang vorbei. Hinter ihr erschien Michel Montferre, hochgewachsen mit feuerrotem Haar wie seine Frau und seine Kinder es besaßen.
"Ach, sind Sie doch schon hier", begrüßte er Julius. "Dann wollen wir mal. "Schönen Tag noch, Louisette!" Rief er der Kollegin nach, die gerade an Julius vorbeigegangen war.
"Dir auch noch, Michel!" Erhielt er Antwort.
"Der Registrierungszauberer hat mir schon gesagt, wo Sie arbeiten, Monsieur Montferre", beruhigte Julius seinen Apparierlehrer. Dieser nickte, meinte dann aber, daß er nicht darauf warten wollte, daß sein Schüler sich im Labyrinth der Macht verlaufe.
"Solange Sie hier keinen Minotaurus gefangenhalten, in den ich reinrennen kann, passiert mir wohl nichts", erwiderte Julius scherzhaft. Offenbar hatte sich Michel Montferre entschieden, den Kurs mit Humor anzugehen.
"Seitdem Didiers Hydra den gefressen hat gibt es hier keinen mehr", nahm Bines und Sans Vater den zugeworfenen Ball gekonnt an. Julius lachte. "Na ja, und wen die Hydra nicht erwischt der verhungert, wenn er oder sie sich nicht auskennt. Apparieren geht nur vom Foyer aus oder auf ausdrückliche Anweisung des Ministers selbst. Nur wir vom Apparierbüro können für Prüfungen lokale Zutrittszonen einrichten."
"Deshalb wollte der Zauberer da unten meine Maße haben, um dem Schreiner die Sarglänge durchzugeben", trieb Julius den Scherz weiter. "Aber Sie haben mich ja noch rechtzeitig gefunden."
"Ich glaube, ich hätte meinen beiden Töchtern nicht unter die augen treten dürfen, wenn Sie hier verlorengegangen wären", erwiderte Michel Montferre und entriegelte mit einem Zauberstabsttupser die Tür seines Büros, wo ein Umstellbares Schild gerade noch verkündet hatte: "Besucher bitte bis Aufforderung zum Anklopfen draußen warten!"
Im Büro selbst nickte Michel Montferre dem Einzelschüler zu.
"So, hier ist mein Reich", sagte er und deutete auf den mit weißem leder überzogenen Schreibtisch, auf dem allerdings schon einige unschöne Tintenflecken hafteten. Über dem Tisch war ein Wandregal mit Fotos, die die Montferre-Familie in verschiedenen Lebensabshnitten zeigten. Julius konnte nicht anders, als auf die durch die wohl erste Schwangerschaft rund und üppig gestaltete Raphaelle Montferre glotzen, die noch dazu in einem gewagten, kurzen Kleid posierte, ihn aber wohlwollend anlächelte, bevor eines der damals noch ungeborenen Mädchen ihr offenbar in den Bauch trat.
"Das macht den Mann zum Mann, wenn er genau da hinguckt", scherzte Michel, als Julius knapp zehn Sekunden auf die Erscheinung auf dem Foto geglotzt hatte. "Ich will es immer wieder wegstellen, weil das ja schon einige Jährchen her ist. Aber das Bild hat einen von mir nicht zu brechenden Ortsverharrungszauber. Ich weiß nicht, was Raphaelle da geritten hat, sich von allen männlichen Besuchern angucken zu lassen. Wahrscheinlich der Stolz, daß sie mir gleich zwei Töchter geschenkt hat." Die erwähnten Töchter, von Säuglingsklein bis in den Umhängen der Pariser Pelikane, winkten Julius zu. Er fragte Michel, wieso auch die kleinen Bines und Sans ihm zuwinkten.
"Mit Bilderzaubern und Zauberfotos habe ich es nicht", sagte Michel. "Ich vermute aber, daß die irgendwie miteinander verbunden sind und egal ob sie damals schon wissen konnten, wer du bist sofort grüßen, wenn ältere Ichs von ihnen dich oder wen immer erkennen. Übrigens darfst du mich hier im Büro und während der Stunden duzen. Ich denke nicht, daß Mildrids Schwester als Mademoiselle Latierre angesprochen werden möchte, wo Mildrid schon eine Madame ist. Aber kommen wir zur Sache." Er blickte auf ein wuchtiges, an den beiden Enden himmelblaues Stundenglas, in dem ein kleiner goldener Tropfen in einer kristallklaren, aber offenbar zähflüssigen Substanz schwebte. Der Tropfen verschmolz gerade mit einer goldenen Pfütze am Grund des Glases. "Genau zehn!" Trällerte eine fröhliche Sopranstimme aus der Richtung des Stundenglases.
"Geburtstagsgeschenk meiner Eltern zum siebzehnten. Ich hätte lieber so eine schöne Weltzeituhr gekriegt, wie du sie hast, Julius." Dieser sah nur, wie das Stundenglas sich selbst umdrehte, so daß die goldene Flüssigkeit auf das dünne Verbindungsröhrchen zustürzte.
"'ne Armbanduhr ist besser", sagte Julius mitfühlend.
"Tja, aber ich mußte sie irgendwo hinstellen, weil sie sonst zu protestieren anfängt, wenn man sie nicht würdigt", knurrte Bines und Sans Vater. Dann kam er auf den eigentlichen Grund für diese Zusammenkunft.
"Wir machen hier schon einmal ein theoretisches Abklopfen, was du über das Apparieren weißt und wie gut du diesen Schrieb mit den unvermeidlichen Bestimmungen gelesen hast. Dann gehen wir in den Würfel, wo die Einzelkurse für erwachsene Hexen und Zauberer stattfinden." Julius setzte sich, nachdem er, wie es sein Vater ihm mal erklärt hatte, höflich abgewartet hatte, bis ihm ein Stuhl angeboten worden war. Michel meinte dazu nur, daß es wohl Zeit wurde, daß er nicht nur auf Anweisungen zu warten lernte. Doch er nickte anerkennend und holte dann Schreibzeug und einen Fragebogen. Julius wurde gefragt, was er über das Apparieren an sich wußte. Er antwortete wie aus einem Schulbuch gelernt:
"Unter einer Apparition versteht man in der magischen Welt die Kunst, sich fast ohne Zeitverlust zwischen zwei Punkten im Raum zu versetzen, die abhängig von der Zauberkraft und Übung des Ausführenden weit von einander entfernt sein können. Sie unterscheidet sich von der Teleportation dadurch, daß bei Teleportation ein berührungsloser Ortsversetzungszauber auf ein Objekt oder Lebewesen gewirkt wird, das gerade ein Drittel der Körpergröße des Ausführenden besitzt."
"Vorbereitung ist alles", grinste Michel Montferre. "Seit wann kennt die Zaubererwelt die Apparition?"
"Hmm, das war im alten Griechenland, so um das Jahr 1080 vor Christlicher Zeitrechnung, wo der athenische Zauberer Hermion Anaxagoras zum ersten Mal den "Weg zwischen den Welten gefunden hat, aus Zufall, weil er vor einer Sphinx fliehen mußte. Er beschrieb es als Wiedergeburt und ging bis zu seinem Tod davon aus, tatsächlich ein zweites Leben geführt zu haben. Wie er damals apparierte wußte er nicht und wollte es auch nicht herausfinden. Das konnten dann achthundert Jahre später die römischen Magier Flavius Parvulus und Laureus Agrestus, die einem ähnlichen Umstand die Entdeckung der Apparition verdanken, weil sie vor einem karthagischen Kronenträger, einem heute ausgestorbenen Wüstendrachen, flüchten mußten. Sie forschten weiter und fanden heraus, daß bestimmte Gedanken und passende Zauberkraftausrichter halfen, erst ungezielte und dann zielgerichtete Apparitionen auszuführen. Aus dem alten Rom stammt auch die Bezeichnung, die bis heute gültig ist." Michel war schon drauf und dran, Julius' Vortrag durch Abwinken zu unterbrechen. Doch weil Julius danach nichts mehr sagte nickte Michel Montferre. So fragte er nun:
"Welche grundlegende Regel gilt es beim Apparieren einzuhalten?"
"Das ist die dreiteilige Regel, auch goldene Dreierregel oder 3-D-Regel, die sich aus den festen Größen, Ziel, Wille und Bedacht, beziehungsweise Destination, Determination und Deliberation ergibt."
"Ja, und was heißt das?" Fragte Michel Montferre, der offenbar jetzt Gefallen daran fand, Julius' Grundwissen auszureizen.
"Ich muß mich erst genau auf ein Ziel konzentrieren. Dabei ist es gut, wenn ich es kenne und auch weiß, in welcher Richtung von meinem jetzigen Standort aus es zu finden ist. dann muß ich mich darauf konzentrieren, mit allem an und in meinem Körper, mit jedem Molekül, wenn du es so möchtest, an diesem Ort zu sein. Schaffe ich das, muß ich mit erhobenem Zauberstab eine Drehung auf der Stelle machen, ohne meine Konzentration auf das Ziel und meine Anwesenheit dort zu verlieren. Dabei öffne ich durch die Drehung die Transitverbindung. Je nach Geschwindigkeit und Konzentration kann ich diese Verbindung schnell oder langsam aufbauen. Dabei trete ich bereits in Verbindung mit dem Zielort und löse den Transit aus. Ist die Drehung fast vollendet, und ich habe Ziel und Wille richtig verinnerlicht, komme ich hoffentlich in einem Stück dort an, wo ich hin wollte. Ich muß mich mit bedacht in dieses Nichts zwischen Ausgangs- und Zielort hineindrehen, damit die Verbindung mich auch hinüberträgt."
"Ich weiß, daß du schon einige Seit-an-Seit-Apparitionen mitgemacht hast. Weißt oder vermutest du, was der Grund für die Wahrnehmung beim Apparieren ist?"
"Ich habe mit einer Beauxbatons-Schülerin für ihre Prüfung die Theorie durchgenommen. Daher habe ich es noch so im Kopf, daß es eine Durchdringung einer räumlich und Zeitlich nicht ermittelbaren Barriere ist, die auch als Transit oder Nichts bezeichnet wird, weil man für Zuschauer ja eben im Nichts verschwindet oder daraus auftaucht. Dieser Transit ist eine magisch erzwungene Verbindung zwischen Ausgangsort und Zielort, wobei der Ausgangsort mich nicht fortlassen oder der Zielort mich nicht ankommen lassen will. Das geht mit dem räumlichen Widerstand in der Magie, der eigenen Zauberkraft und der Entfernung von Ausgangsort und Ziel zusammen. Kasimir Rosebridge führt auch die Erdschwerkraft und ihre Wirkung auf feste Körper an. Das ähnelt einer Theorie eines Muggels namens Einstein, der behauptet hat, die Schwerkraft krümme Raum und Zeit. Vielleicht treffen sich die beiden an einem Punkt, der mir noch nicht klar ist. Nachdem ich auf Grund einer magischen Gedächtnisübung mal meine eigene Geburt in mein Bewußtsein zurückgeholt habe verstehe ich, warum Anaxagoras meinte, wiedergeboren worden zu sein. Eine Entstofflichung, wie sie in Muggelgeschichten vermutet wird, findet so nicht statt, weil ich mich nicht in reine Energie auflöse, sondern durch einen Tunnel, eine Lücke oder ein Loch im Raum-Zeit-Gefüge durchquetschen muß." "
"Ja, mir sind solche Fiktionen bekannt, weil gerade Muggelstämmige sie anführen, wenn sie versuchen, zu erklären, wieso Magie Objekte zeitlos befördern kann. Da du bereits ein erstaunlich gutes Grundwissen mitbringst können wir in den Theorieeinheiten gerne auf die von Rosebridge und anderen erarbeiteten Theorien und Beobachtungen eingehen. Dann kommen wir mal zum rechtlichen Bereich ..." Julius gab mit eigenen Worten die entsprechenden Bestimmungen und Strafandrohungen wider, schilderte auch die Ausnahmen, wenn ein Zauberer in Not war und nur die Flucht oder der Nottransport blieb, um Leben zu schützen, auch aus einer Muggelansammlung disapparieren durfte. Dann wurde Julius gefragt, warum werdende Mütter nur mit Erlaubnis ihrer Heilerin apparieren durften.
"Weil es durchaus passieren kann, daß das Ungeborene beim Apparieren am Ausgangsort zurückbleibt oder beim Seit-An-Seit-Apparieren mit einer gerade nicht Schwangeren in deren Schoß überwechselt. Zudem hat, soweit ich als Pflegehelfer gelernt habe, eine werdende Mutter für die Zeit der Schwangerschaft bis Ende der Stillzeit eingeschränkte Rechte, weil sie quasi für ihr minderjähriges Kind mitlebt, das nicht bewußt auf Gefahren reagieren oder eigene Risiken einschätzen kann", erwiderte Julius ruhig. Eigentlich wollte er jetzt ausprobieren, ob er heute schon eigenständig apparieren konnte. Dieser unausgesprochene Wunsch wurde ihm erst erfüllt, als Michel Montferre sagte, daß Julius damit eigentlich schon die theoretische Prüfung ablegen könne, sie aber Ruhe und Zeit aufwenden wollten, um noch fehlende Aspekte zu erlernen und die bekannten genauer zu erfassen. Dann sagte er: "Na, dann wollen wir mal sehen, ob deine überragenden Zauberkräfte etwas dazu beitragen, wann du eigenständig apparieren kannst. Einige, die keine Ruster-Simonowsky-Zauberer sind, schaffen es erst in den vorletzten Stunden vor der Prüfung, die angesetzten Ziele zu erreichen. Wieder andere können schon am zweiten Kurstag die Anfängerstrecke mehrmals überwinden. Dann probieren wir das jetzt aus." Er öffnete eine bis dahin verborgene Hintertür, worauf seine eigentliche Bürotür verriegelt wurde und führte Julius durch einen schmalen Gang ohne Beleuchtung zu einer massiven Metalltür, die mit diversen Symbolen beschrieben war. "Der Würfel, wie wir diesen kleinen Übungsraum nennen, ist von außen nicht per Apparition zu erreichen und hält Apparatoren, die darin üben, davon ab, unfreiwillig außerhalb des Ministeriums zu apparieren. Aber er ist groß genug, um Übungssprünge auszuführen."
Die Metalltür drehte sich nach fünfmaligem Zauberstabstupsen nach innen. Dabei schloß sich die Tür des Korridors. Dadurch wurde es für einen Moment stockdunkel.
Der Raum hinter der Metalltür war mindestens dreißig mal dreißig Meter in der Fläche. Julius erkannte jedoch sofort, daß die Decke bestimmt auch in dreißig Metern Höhe verlief. Hier hätte man das Apfelhaus mühelos unterbringen können. Die Wände leuchteten aus sich selbst heraus in einem rubinroten Farbton. Die Decke glomm in einem hellen Gelbton, ähnlich dem der Sonne, nur halb so hell wie das Licht des Tagesgestirns. Dafür war der Boden frei von eigenem Licht. Er glänzte schwarz wie poliertes Ebenholz. Julius stampfte auf und hörte den Widerhall. Der Boden klang massiv und steinern. In einer Ecke der magischen Halle stand ein Schrank. Ansonsten war die Halle völlig leer.
"Die Wand- und Deckenbeleuchtung ist nur die Grundform, Julius", erläuterte Michel Montferre und wedelte mit dem Zauberstab. Unvermittelt wurde aus der würfelförmigen Halle die Illusion einer weiten Wiese unter strahlendblauem Himmel. Doch der braune Schrank stand noch da wie vorhin.
"Was ist in dem Schrank?" Fragte Julius.
"Zielmarkierungen und Kompasse. Ich kann auch eine Nacht jeder Mondphase oder verschiedene Bewölkungen auswählen. Aber wichtig ist, daß der Schüler - ab heute also du - nicht den Eindruck behält, in einer eng begrenzten Halle zu üben. Wenn die Kurzstreckenapparitionen auf Sicht klappen, so werden wir im zweiten Praxisabschnitt Übungssprünge in bekannten Gebieten machen. Wann das ist bestimmst du durch deinen Lernfortschritt. "
"Zielmarkierungen. Du meinst diese Holzreifen, in deren Zentrum die Anfänger zu apparieren versuchen müssen?" Fragte Julius, der von Jeanne gehört hatte, wie sie das Apparieren erlernt hatte.
"Genau. Haben meine zwei hübschen oder sonst wer aus den UTZ-Klassen dir das schon haarklein erzählt?" Wollte Michel wissen.
"Jeanne Dusoleil hat mit mir kurz vor ihrer Prüfung die Theorie wiederholt und mir dabei verraten, wie geübt wurde. Monsieur Montferre nickte. Dann winkte er dem Schrank, dessen beide Türen aufschwangen. Ein rot-weiß quergestreifter Holzreifen, eine Mischung zwischen einem Wagenrad und einem Seenotrettungsring, segelte von einem Stapel gleichartiger Holzringe herunter in den Würfelraum hinein und landete knapp zehn Meter vor Lehrer und Schüler. Julius kribbelte es im Arm, den Zauberstab anzuheben. Er fixierte den Mittelpunkt des rot-weißen Reifens. Doch Michel meinte rasch:
"Ich seh's, du würdest am liebsten aus dieser Entfernung da reinapparieren. Aber wir fangen hübsch mit zwei Metern Grundabstand an. Auch mit deiner höheren Zauberkraft wirst du sehen, daß kleine Schritte am Anfang besser sind als überhastete Gewaltversuche." Er machte eine von Julius auf den Reifen weisende Geste. Julius nickte und machte so viele Schritte, daß er knapp zwei Meter hinter dem Rund ankam. Dort gebot Michel ihm, anzuhalten. "Normalerweise würde ich jetzt eine Vorführapparition ausführen, um dir zu zeigen, wie das bei einem geübten Apparator auszusehen hat. Aber ich weiß natürlich, daß du schon genug Leute hast disapparieren sehen dürfen und schon von einigen mitgenommen wurdest. Das Gefühl dabei könnte sowohl Hemmung sein aber auch Antrieb, gleich ein Gefühl für den Transit zu bekommen. Da wir beide das noch nicht wissen, was zutrifft, geh jetzt bitte alle drei Stufen des Apparierens durch! Ziel, Wille, Bedacht. Ich zähle bis drei, wobei ich zwischen jeder Zahl fünf Sekunden verstreichen lasse. Komme ich bei drei an, versuchst du, dich mit erhobenem Zauberstab in die nötige Bewegung zu versetzen, um den Durchgang zwischen Ausgangsort und Ziel zu passieren. Sei bitte bitte nicht enttäuscht, wenn es beim ersten Mal nicht klappt! Oder konntest du sofort laufen, als du es endlich geschafft hast, auf deinen Beinen zu stehen?"
"Nein, das nicht", bestätigte Julius leicht verdrossen. Doch dann konzentrierte er sich auf den Mittelpunkt des Reifens. Er hatte beschlossen, vor dem Absprung die Augen zu schließen, um die Zielausrichtung und seinen Wunsch, dort zu sein, ganz ohne störenden Anblick der Umwelt durchzuhalten. Michel nickte Julius noch einmal aufmunternd zu und zählte dann los.
"Eins!" Julius sah auf den Mittelpunkt des Reifens. Dort wollte er hin. "Zwei!" Er schloß die Augen, dachte an den Mittelpunkt des Reifens. Dort wollte er jetzt mit allem sein, was an und in ihn war. Dort stand er jetzt im Geist, fühlte es immer deutlicher. "Drei!" Er warf sich mit erhobenem Zauberstab herum. Doch statt des ihm schon vertrauten Stauchens im Transit fühlte er nur, wie er über dem Boden rotierte, um dann knapp vor dem Verlust des Gleichgewichts auf seinen Füßen zu landen. Er blickte sich um. Er war nicht in den Reifen hineingelangt. Er hatte nur einen sanften Hüpfer mit schneller Drehung hingelegt. Doch irgendwie hatte er ein leichtes Ziehen im Zauberstabarm gefühlt, als habe er bei der Drehung mehrere elektrische Felder durchdrungen. Er verdrängte sofort den Gedanken, beim Apparieren einen Körperteil von sich am Ausgangsort zurückzulassen.
"Sah schon ganz gut aus", meinte Michel. "Du hast auf jeden Fall den Fluß der Drehbewegung und Zauberstabausrichtung gut abgeschaut. Dann noch einmal. Eins!" Julius konzentrierte sich erneut auf den rot-weißen Holzreifen. Dort wollte er jetzt hin. "Zwei!" Julius dachte mit geschlossenen Augen konzentriert daran, im Mittelpunkt dieses Kreises zu stehen. Dort wollte er sein. "Drei!" Rief Michel Montferre. Julius Wirbelte auf der Stelle, hielt seinen Zauberstab richtig hoch und dachte daran, jetzt im Mittelpunkt des Kreises sein zu wollen. Diesmal hatte er sich sehr heftig gedreht. Er fühlte ein leichtes Kribbeln durch den ganzen Körper gehen, vermeinte einen Moment, in einem engen Sack zu stecken und fiel dann auf seine Knie. Michel Montferre eilte herbei und bot ihm Hilfe an. Doch Julius kam von selbst wieder auf seine Füße.
"Jetzt habe ich was gefühlt, ein Kribbeln und eine Enge, als wäre ich in einen ziemlich engen Sack gestopft worden", beschrieb Julius. Michel Montferre notierte sich das unverzüglich. "Deine Konturen haben auch für einen winzigen Moment geflimmert", erwiderte Michel. "Da ist schon genug Kraft in dir, den Transit zu schaffen. Sie muß sich jedoch zuerst richtig ausrichten. Also versuchen wir es noch einmal! Eins! Zwei! Drei!" Wieder konzentrierte sich Julius darauf, mit allem, was an und in ihm war in der Mitte des Reifens stehen zu wollen. Bei "Drei!" drehte er sich mit noch etwas höher gehaltenem Zauberstab. Da fühlte er das ihm bereits vertraute Zusammenstauchen. Doch unvermittelt kam da sowas wie ein Schupser und ein warmer Schauer. Er meinte, schwerelos in einem Gemisch aus Finsternis und Blitzen zu schweben, fühlte einen neuen Stoß, der ihm einen weiteren Wärmeschauer durch den Körper jagte. Dann meinte er, mit großer Wucht links auf etwas zu prallen, von dem er wild durch den Raum gewirbelt wurde. Ein erneuter Stoß bremste seine wilde Kreiselei. Da fühlte er für einen Moment diesen mörderischen Druck wieder. Dann sah er flimmernd die Würfelhalle um sich und erkannte einen Augenblick zu spät, daß er über dem Boden ... Er krachte mit Knien und der Freien Hand auf den Boden.
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Millie verwünschte die Sticheleien ihrer Schwester, das es beim ersten Mal nicht klappen würde und wohl Oma Lutetias Zwergenblutanteil ein Apparieren für sie sowieso schwerer machte und sie wohl am vorletzten Tag klar haben würden, ob Millie die Prüfung bestehen konnte oder nicht. Doch sie strengte sich an, in einem blau-gelben Holzreifen ankommen zu wollen. Ihre Tante Béatrice stand als Heilerin parat, um Zersplinterungen sofort zu beheben. Doch die ersten sechs Versuche endeten in kuriosen Pirouetten, Schraubensprüngen, Beinahe-Bauchlandungen oder unfreiwilligen Landungen auf dem Po.
"Die Bewegung stimmt, Millie. Aber du mußt dich voll auf das Ziel konzentrieren. Du mußt dir vorstellen, da zu sein, alles andere aus deinen Gedanken rausdrängen", hielt Martine sie mit guten Ratschlägen an. Der siebte Versuch war ein wuchtiger Absprung nach oben und eine anderthalbfache Drehung. Um ihrem Körper flimmerte jedoch die Luft, als ihr Zauberstab laut pfeifend einen Bogen schlug.
"Ich habe jetzt was gefühlt, als würde mich etwas fest einwickeln und mir Mund und Nase zuhalten", bemerkte Millie. "Soll das so sein?"
"Kein Kommentar", erwiderte Martine. Millie sah ihre Tante an. Diese winkte jedoch ab und meinte:
"Ich bin hier nur Heilerin. Tine gibt die Stunden." Millie grummelte und versuchte es spontan, ohne die Zählung ihrer Schwester abzuwarten. Da verschwand sie mit lautem Knall und landete auf einem Bein im Reifen. Zuerst fürchtete Martine, ihre Schwester habe bei der Apparition ihr linkes Bein am Absprungort zurückgelassen. Doch sie kam in diesem Sekundenbruchteil auf ihrem linken Fuß zum stehen und reckte die freie Hand als Siegerfaust in die Luft. Béatrice nickte wohlwollend, bis sie feststellte:
"Du hast die Haare vom Hinterkopf am Ausgangsort vergessen, Millie." Millie wandte sich um und sah das zu einem rotblonden Knäuel zusammengefallene Haarbündel auf dem Boden.
"Oha", meinte sie dazu. Martine verzog das Gesicht, als Millie sich von Béatrice die verlorenen Haare nachwachsen ließ. Millie wurde von ihrer Schwester ohne Wort des Lobes auf den Startpunkt zurückgewunken. Millie sah sie an und meinte:
"Immerhin, der neunte Versuch war zumindest schon mal was."
"ja, aber nur, wenn du alles an und in dir beim Apparieren auch noch an oder in dir hast ist das erfolgreich", bemerkte Martine unerbittlich. Sie zählte dreißig Sekunden ab. Dann sagte sie: "Und jetzt versuchst du das gefälligst erst, wenn ich bis drei gezählt habe. Du mußt die drei Stufen konzentriert durchdenken und nach dem Zielwunsch den Willen zum Dortsein eindeutig in deinen Gedanken ausprägen. Sonst zersplinterst du andauernd. Also klarmachen! Eins! ..."
Millie dachte daran, daß Tine jetzt sicher verärgert war, weil sie erst nach dem zweiten Kurstag so weit war, die zwei Meter ohne sich durch den Raum zu bewegen geschafft hatte. Dann sollte ihre achso strenge große Schwester das jetzt mitkriegen, daß sie, Millie, doch schon am ersten Tag disapparieren konnte. Als Tine "Drei!" Rief, drehte sie sich geschmeidig aus der Hüfte heraus. Zauberstab und Haar peitschten durch die Luft. Es ploppte laut, und Millie war unvermittelt über dem Reifen und plumpste in seiner Mitte auf den Teppich.
"Noch alles dran, Tante Trice?" Fragte Martine. Ihre Tante deutete auf Millie und nickte. Dann untersuchte sie die Schülerin. ob der Aufprall ihr was getan hatte. Doch dem war nicht so.
"Gut, jetzt mußt du mindestens dreißig mal im stehen ankommen, ohne umzufallen", stellte Martine fest. "Aber ich werde dich nur noch zwanzig Versuche machen lassen, weil das doch den Körper ziemlich auszehrt, andauernd ruckelig zu apparieren. Eins! Zwei! Drei!"
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Michel Montferre hatte als apparierlehrer sowohl in Beauxbatons als auch bei Einzelprüfungen schon vieles gesehen, von Zersplinterungen, bei denen Leute Nasen, Füße, Hände oder sogar den ganzen Unterleib am Ausgangsort zurückgelassen hatten, wie Apparitionen im Kopfstand, oder mit den Füßen an der Decke. Doch das, was er gerade beobachten durfte oder mit ansehen mußte versetzte ihm einen heidenschreck, vermittelte dabei jedoch eine unbeschreibliche Faszination. Julius verschwand übergangslos vom Ausgangspunkt, ließ dabei nichts zurück. Doch dann war es Michel, als sähe er ihn als violett flammendes Phantom an der ihm gegenüberliegenden Wand auftauchen, breitgedrückt werden und dann wie von einem Katapult davongeschleudert zu werden, wobei er völlig unsichtbar wurde. Einen Lidschlag später prallte ein indigofarbener Schemen an der Rechten Wand auf, wurde dabei in eine leichte Drehung versetzt und verschwand in einem hellen Blitz, um einem bernsteingelbem Leuchtgebilde an der linken Wand Raum zu geben, das schräg nach oben abgewehrt wurde, wieder völlig verschwand, um dann als rote, Julius haargenau ähnelnde Form an der Hinterwand zu erscheinen und schräg nach oben in Richtung Decke geschleudert zu werden. Dann war auch die rote Leuchterscheinung fort, und es dauerte zwei ganze Sekunden, die für Michel Montferre wie eine Ewigkeit erschinen. Dann krachte es laut, und aus einer schillernden Funkenentladung erschien Julius Latierre und fiel aus gut zwei Metern Höhe in den Holzreifen hinein. Michel Montferre eilte sofort zu dem Jungen, der wie nach einem anstrengenden Dauerlauf keuchte.
"Junge, das hat bisher keiner hinbekommen. Geht es dir gut?" Fragte der Lehrer besorgt und begutachtete seinen Schüler beklommen.
"Halli, mich gibt's wohl noch", erwiderte Julius. "Was war das denn. Ich habe erst das übliche Quetschen gespürt, bis ich dann wie eine Flipperkugel mal hier und mal da von irgendwas zurückgeprallt bin. Hah, muß mir wohl die Hand angeknackst haben, verdammt noch mal!"
"Wir haben einen Notfallheiler im Gebäude. Ist es schlimm?"
"Mal sehen", erwiderte Julius leicht betreten und versuchte, die Hand zu bewegen. "Geht schon wieder besser. Mit dem Trank gegen Prällungen kriege ich meine Hand wohl wieder klar."
"Das lassen wir besser unseren Notfallheiler befinden", erwiderte Michel Montferre ganz ernst. Er wollte dem Jungen gegenüber nicht raushängen lassen, wie erschrocken er noch war.
"War das diese Abschirmung im Würfel, die mich zurückgeworfen hat oder was?" Wollte Julius wissen.
"Das auf jeden Fall. Aber der Effekt war ganz ungewöhnlich", bemühte sich Michel um eine gefühlfreie Erwiderung. "Was ist eine Flipperkugel?" Fragte er noch, weil ihm eine Bemerkung des Schülers ins Bewußtsein zurückkehrte.
"Ein Spielautomat der Muggel. Silberne Eisenkugeln werden durch ein beleuchtetes Hindernisfeld geschossen, in dem Stoßvorrichtungen an den Seiten die Kugel bei jeder Wand zurückschlagen. Habe ich lange nicht mehr gespielt. Daher kann ich das nicht erklären, wie genau das geht. Jedenfalls wird die Kugel immer hin und her geschupst. So kam mir das vor. Und ich habe gemeint, durch einen Raum aus Dunkelheit und regenbogenfarbigen Blitzen zu rasen. Dann hat mich dieser Mörderdruck wieder zusammengestaucht. Ich meinte schon richtig zerdrückt zu werden, bevor ich in der Reifenmitte ... Hauu", er biß schnell die Zähne zusammen, weil ihm der linke Arm seinen Protest gegen den Harten Aufprall bekundete.
"Das deckt sich wohl mit meiner Beobachtung", erwiderte Michel und bandagierte Julius Linken Arm mit gezaubertem Leinentuch.
"Deinen Knien geht es aber noch gut?" Fragte Monsieur Montferre. Julius betastete die Knie mit der rechten Hand, nachdem er seinen Zauberstab begutachtet und keinen Schaden daran entdeckt hatte. Dann meinte er:
"Hatte wohl mehr Glück. Bin wohl hauptsächlich auf dem Arm aufgekommen. Das Krafttraining hat wohl verhindert, daß ich mir den dabei brach, weil alle Muskeln den Aufprall besser weggesteckt haben."
"Höhenverfehlungen kommen vor, Julius. Das ist wohl besser als Zersplinterungen. Die kann ich zwar auch beheben, aber das wäre zu fies, wenn dir das hier passieren würde, nachdem, was ich gerade gesehen habe."
"O Mist, daran habe ich im Moment gar nicht gedacht, weil ich mich auch zu heftig drauf konzentriert habe, genau mit allem von Mir in diesem Reifen zu sein."
"Ja, und das ist genau das, was du dir weiterhin wünschen mußt, wenn du apparierst. Aber offenbar hast du bei diesem ersten Mal mehr Kraft aufgewandt und wärest wohl weit außerhalb des Würfels gelandet. Aber warum der dich dann viermal durch den Raum ... Erst der Heiler", sagte Michel Montferre und ergriff Julius gesunden Arm. Dieser ließ sich auf wackeligen Beinen widerstandslos aus dem Würfelraum Führen. Michel brachte ihn in sein Bereitschaftszimmer zurück und winkte dem Schreibtisch mit dem Zauberstab zu: "Sonitus Urgentiae!" Rief er. Julius meinte, einen lauten Glockenton zu hören, der jedoch keinen Nachhall besaß. "Setz dich bitte hin. Heiler Champverd kommt gleich."
"Champverd, ein Sohn von Madame Oleande Champverd?" Fragte Julius sehr aufgeregt.
"Ein Neffe", erwiderte Michel. "Er ist der Cousin eurer Ratssprecherin und der ministeriumseigene Notfallheiler."
Es dauerte nur wenige Sekunden, da apparierte ein gedrungener Mann mit strohblonder Löwenmähne direkt im Büro. Er trug eine weiße Heilertracht mit dem Wappen des Zaubereiministeriums, einem blau-weiß-roten zaubererhut, auf dem dazu noch zwei grüne Heilkräuter wie Federn steckten. "Tach, Michel. Ups, der junge Monsieur Latierre. Armbruch oder Arm ab und falsch wieder angesetzt?"
"Klär das bitte, Louis!" Versetzte Michel ungehalten. Julius gefiel diese spontane, lockere Art dieses Heilers, der auch gleich daranging, Julius bandagierten Arm mit Diagnosezaubern abzutasten. "Nur eine leichte Verstauchung der Oberarmmuskeln. Handgelenk nur ein wenig gedehnt. kein Bruch, kein Bänder- oder Muskelfaserriß. Sind Sie gestürzt, Monsieur?"
"Ich habe wohl nicht auf Höhenunterschied null geachtet", erwiderte Julius, der froh war, keine wirklichen Probleme mit dem Arm zu haben. Eine kleine Dosis Myoregeniumtrank vertreib die Schmerzen auch gleich.
"Okay, der sollte jetzt erst in Ruhe wirken. Keine Apparierübungen in der nächsten Stunde, weil der Trank die Konzentration schwächt. Nachher bringt mir Michel Ihren Körper in sechs Teilen an. Sie wollen also jetzt schon apparieren lernen."
"Das wollte ich schon gestern können", erwiderte Julius, dem es nach dem Muskelheilungstrank schon wieder sehr gut ging. Louis Champverd grinste und meinte: "Hätte mich auch gewundert, wo die alle an Ihnen dran sind, welche Leistungen Sie schon vollbringen können. Sie wurden schließlich von meiner Lieblingstante geprüft, hörte ich."
"Du hast nur die eine, du Komiker", grinste Michel Louis an.
"Das sag mal nicht zu laut, Michel. Ich weiß nicht, ob Opa Octave nicht noch einer anderen Hexe zur Mutterschaft verholfen hat. Aber das genauer auszuloten wäre eine lange Geschichte. Ich sollte meiner Pflicht nachkommen und nach der Therapie die Ananmnese durchführen, um zu befinden, ob ihr zwei auch nichts anstellt, wo ich nichts mehr machen könnte."
"Anna was?" Fragte Michel. "Sprich bitte Französisch!"
"Er meint, daß er gerne klären möchte, was mich behandlungsfällig gemacht hat und wie ich mir das zugezogen habe und ob vorher schon", übersetzte Julius, weil der Heiler ihn herausfordernd angrinste. Darauf nickte Louis Champverd.
"Dann soll der Wichtelschlucker das sagen", knurrte Michel, räusperte sich und sprach im Ton eines Beamten weiter: "Dann möge er bitte bedenken, daß er der einzige Heilkundige in diesem Hause ist und sich der in diesem hochehrenwerten Gebäude der gültigen Amtssprache zu befleißigen hat, um die Gefahr un- oder mißverständlicher Fragen, Antworten oder Bemerkungen gänzlich auszuschließen."
"Oha, bewirbst du dich doch um Grandchapeaus Nachfolge?" Wollte Louis wissen. Doch Michel schüttelte den Kopf.
"Für eine Frau und zwei gerade auf die Beine kommende Jungs ist das Ministerium zu klein, Louis. Aber du wolltest wissen, wie das kam." Louis nickte. So erzählte erst Michel von den Instruktionen beim Apparieren und das Julius tatsächlich bereits bei seinem dritten Versuch erfolgreich disapparierte. Was dann geschah könne er, der geschulte Apparierlehrer, jedoch nicht ganz begreifen. Normalerweise wies der Würfel über seinen Rauminhalt hinausreichende Apparierversuche mit einem Rückpralleffekt ab, bei dem die Apparatoren unmittelbar am Ausgangspunkt apparierten. Julius durfte dann seine Eindrücke schildern. Daß er tatsächlich eine Disapparition geschafft hatte erschloß sich ihm jetzt erst so richtig. Er strahlte mit der Sonne um die Wette, als er beschrieb, welches Gefühl es war, zu verschwinden und dann, was ihm passiert war.
"Du bist schon Seit an Seit apparierrt?" Fragte Louis, nun die persönliche Anrede gebrauchend. Julius bejahte es und zählte auf die Frage nach der Häufigkeit einige Male auf, wobei er den Ausflug mit Brittany ins Internetcafé ausließ.
"Dann hast du schon ein Gefühl dafür, wie dein Körper sich anfühlen muß. Da du ja offenbar da gelandet bist, wo du hinsolltest vermute ich stark, daß du zu viel Zauberkraft auf einmal freigesetzt hast und dich damit weit über das Ziel hinausbefördert hättest. Der Würfel hat dich mehrmals zurückgeworfen, aber nicht zur Reapparition gezwungen, weil diese überschüssige Kraft noch nicht abgebaut war. Wunder mich, daß du überhaupt bei Bewußtsein wieder aufgetaucht bist. Kann aber an der Wechselwirkung mit den Zaubern im Würfel liegen, daß Sie dir nicht eigene Körper- und Geisteskraft abgesaugt haben. Im Endeffekt wurdest du einige Meter über dem eigentlichen Zielpunkt aus dem Transit geworfen, nach Michels Erwähnung zwei Sekunden nach dem letzten sichtbaren Rückpralleffekt. Hatten wir vor hundert Jahren schon einmal, wo jemand mit überragenden Zauberkräften aus einem unbegrenzten Raum herausdisapparierte und in Algier auftauchte, weil er sich zu sehr auf seine alte Heimat bezog. Aber das renkt sich nach den ersten zehn Versuchen ein, wenn dein Wille Körpermaterie und Zauberkraft immer besser aufeinander einstimmen kann. Ist so wie bei kleinen Kindern, die um mit den Erwachsenen Schritt zu halten immer rennen oder hüpfen. Irgendwann machen sie längere Schritte und können so schnell, aber wenigstens immer mit einem Fuß auf dem Boden voranschreiten. Je besser die Vorwärtsbewegung eingeübt ist, desto besser funktioniert sie. Das ist auch beim Apparieren der Fall. Bei dir ist es nur so, daß du mehr Kraft für die zu überwindende Strecke freimachst, als du wirklich brauchst. Ich werde mir das nachher ansehen und incantimetrisch protokollieren", legte der Heiler fest.
"Das habe ich befürchtet, daß sowas passieren kann", erwiderte Michel. "Der Junge konnte schon in der ersten Klasse ungesagt zaubern und kann Mentiloquieren."
"Ups, das hättet ihr zwei beiden mir aber gerne schon vorher sagen dürfen", erwiderte Louis Champverd nun etwas weniger spaßig klingend. "Wie gut kannst du mentiloquieren, Julius." Julius konzentrierte sich auf die fünf Stufen des Gedankensprechens und schickte dem Heiler "So etwa" zurück. "Verstehe", sagte Louis. "Ja, dann besteht tatsächlich eine stärkere Ausprägung des mentalen Impulses, weil bereits zauber und Geistesübungen erarbeitet sind, die die Apparitionsausrichtung mit überschüssiger Kraft verfälschen. Wäre genauso, als wolltest du mit einem Besen einen Kilometer weit fliegen, würdest aber auf dem Besen aus einer Kanone geschossen und flögest fünf Kilometer oder mehr weit. Aber wie gesagt, das pendelt sich ein. Spätestens dann, wenn du weitere Strecken apparierst, findet die unbewußte Abstimmung deines Geistes auf die verfügbaren Zauberkräfte und deine Körpermasse statt. Hinzukommt, daß du ja schon Erfahrungen mit dem Seit-an-Seit-Apparieren hast. Das ist wie eine kinästhetische Leibesübung."
"Jetzt quatscht der weiter Heilerländisch", schnaubte Michel.
"Damit meine ich, daß es Bewegungsabläufe gibt, die einem durch Führung der entsprechenden Körperglieder alleine beigebracht werden können. Julius wurde schon mehrfach mitgenommen. Dadurch hat er ein Gefühl für den Transit bekommen, mußte aber lernen, den Weg selbst zu öffnen und zu überqueren. Weil jetzt wohl klar ist, daß er das kann, gilt es jetzt, ihn bis zum Prüfungstermin mit der Balance zwischen seinem Körper und seiner Zauberkraft vertraut zu machen. Das geht nur durch Übungen. Ich empfehle jeden Tag mindestens zehn Versuche, maximal zwanzig und nicht mehr, um ihm genug Restkonzentration geben zu können, um die Eindrücke vom Tag geordnet in seinem Gedächtnis zu speichern. Bleibt also mindestens fünf Tage im Würfel. Ich empfehle keine Freilandübungen vor einem dreißigmaligen Sprung an ein durch Markierung bezeichnetes Ziel auf Sicht. Vielleicht muß ich mich sogar noch korrigieren, wenn wir in einer Stunde in den Würfel steigen und du mir vorführst, was du schon kannst, Julius."
"Ich weiß nicht, ob ich das wiederholen kann. War vielleicht doch anfängerglück wie meine erste Verwandlungszauberei", wandte Julius ein. Er dachte daran, daß das Unbehagen, nicht doch irgendwo ganz anders anzukommen die nötige Konzentration schwächen würde.
"Nach dem dritten Versuch gleich so ein Überschießer? Das ist kein reines Anfängerglück. Das ist es, wenn du einen Meter zwischen deinem Ausgangspunkt und dem Ziel apparierst oder zehnmal hintereinander genau in der Mitte des Reifens ankommst", flocht Michel Montferre ein. "Die meisten brauchen mehr als einen Tag. Wenn sie in der Schule sind sogar mehr als zwei Kurstage, weil der Lernstress und die im Unterricht verwendeten Zauber doch viel Kraft verlangen." Aber wir kriegen dich hin, Julius. Wenn du das rauskriegst, in über achtzig von hundert Fällen immer da anzukommen, wo du ankommen willst, ist dir die praktische Prüfung schon sicher. Und die Theorie hast du ja schon gut vorgearbeitet. Da müssen wir nur durch ständige Wiederholungen, Ergänzungen und Argumentationslinien nachfeilen, was die Prüfer dich fragen könnten und das dann ganz locker von dir beantwortet werden kann, wobei ich mit locker meine, daß es dich nicht anstrengt. Nachher redest du im Theorieteil so wie Bine und San, die fast Punktabzüge dafür bekommen hätten."Louis grinste. Julius lächelte.
Um die von Heiler Champverd verordnete pause auszufüllen sprachen sie noch über Viento del Sol und wie es sich in Millemerveilles lebe. Julius räumte ein, das noch genauer herausfinden zu müssen, vor allem wie er mit Madame Delamontagne und Madame Faucon auskommen konnte, ohne sich zu klein machen zu müssen. Louis Champverd wollte von Julius noch wissen, ob er nach den ZAGs schon wisse, was er nach der Schule machen wolle. Julius umschrieb seine konkreten Vorstellungen und erwähnte, daß er den magischen Heilberuf zwar nicht komplett, aber größtenteils ausschließe.
"Ach ja, die Keuschheitsklausel bis zur Heiratserlaubnis", seufzte Louis. "Hat bei mir zwanzig Jahre gedauert, bis mir die Zunft eine Hexe fürs Leben genehmigt hat. Was ich in der Zeit getan habe, um nicht um den Verstand zu geraten verrate ich besser nicht. Denn das könnte mir Ärger von verschiedenen Seiten einbrocken." Er zeigte ein geheimnisvolles Lächeln. "Aber ich kann mir vorstellen, daß du locker anderswo unterkommst, wenn die UTZs ähnlich empfehlenswert sind wie deine ZAGs. Und selbst wenn du doch Lust auf unseren stressigen, aber auch sehr vielseitigen Beruf haben solltest, hast du das Thema Keuschheitsklausel eh schon hinter dir." Er lächelte nun lausbübisch und zwinkerte Julius herausfordernd zu. Dieser grinste auch wie ein vergnügter Junge, der einen herrlichen Streich ausgeheckt oder ein Weltklassetor geschossen hatte.
"Wechseln wir besser das Thema und kommen auf Sachen, die auch in meinen Bereich fallen", erwiderte Michel und eröffnete eine Diskussion über das Apparieren über große Strecken, weil Julius ja erwähnt hatte, mit Jane Porter, später auch mit Brittany und den Redliefs über größere Strecken in Amerika Seit an Seit apaariert zu sein. Julius erwähnte, was Jeanne Dusoleil ihm erklärt hatte, daß es mehr Kraft kostete, in westrichtung eine größere Strecke zu apparieren als in Ostrichtung. Sie diskutierten dann über die kosmische Trägheit, die Langstreckenzauber im Bezug zur Drehrichtung und Ausrichtung der Erde und anderer Himmelskörper beeinflußte und die goldene Dreierregel und das Julius immer geglaubt habe, es fände beim Apparieren eine vollständige Entstofflichung und Verwandlung in reine Gedankenenergie oder fünfdimensionale Impulse statt, worauf er natürlich dem Heiler gegenüber ausführen mußte, wie sich Muggel die nach realer Naturwissenschaft als unmöglich erscheinende Überlichtgeschwindigkeit in erfundenen Geschichten aus der Zukunft doch irgendwie vorstellen könnten. Als er die Begriffe "Transporter" und "Warpantrieb" aus dem Technikwortschatz der Star-Trek-Serien einbrachte, meinte Michel, der die Erläuterung mit sehr großem Interesse verfolgt hatte, daß das Apparieren eine Mischung aus beiden erfundenen Maschinen sei, weil jemand beim Apparieren eine engbegrenzte, magische Abkürzung im Raum erzeugte, wobei er durch die Zielausrichtung schon ein Ankunftspotential am Zielort aufbaute, das durch den Apparitionsimpuls fast in derselben Sekunde die mit der Willensanstrengung durchdrungene Körpermaterie des Apparators aufnahm. Diese Prozesse verliefen jedoch genauso ohne willentliche oder sinnliche wahrnehmung wie die Verdauung oder die Abstimmung der Arm- und Beinmuskeln beim Schwimmen oder laufen, oder die auf Musik und Partner ausgerichtete Koordination beim Tanzen. Das nutzte Louis als Aufhänger, um Julius zu sagen, daß er genauso die korrekte Zielankunft beim Apparieren einüben könne, wie zwischen einem Wiener Walzer und einem Samba zu unterscheiden. Dann sprachen sie noch über Julius bekannte Heiler und Heilerinnen. Julius war versucht, die Sache mit der Bettpfannenstrafe anzubringen. Doch das wollten Millie und er dann doch lieber erst mit Madame Rossignol alleine besprechen. So meinte Louis Champverd:
"Dann muß ich meiner Tante wohl die enttäuschende Mitteilung machen, daß du zu viele Heilerinnen an der Hand hast, um dich von ihr zu einer Tätigkeit in der magischen Kräuterkunde bewegen zu lassen."
"Wenn, dann würde ich wohl auch eher mit Madame Dusoleil verhandeln", erwiderte Julius darauf. Louis Champverd und Michel Montferre nickten bestätigend. Dann war die verordnete Pause um.
Julius führte dem Heiler und seinem Lehrer vier weitere Kurzstreckenapparitionen vor, wobei er einmal noch gegen die Würfelwände prallte. Aber der vierte Sprung führte ihn in einem Stück ans gewünschte Ziel. Louis meinte, daß es die Verausgabung sein könnte, die den Kraftüberschuß abgebaut habe. Aber er bleibe dabei, daß sich das richtige Maß von selbst einpegeln würde. Dann ließ er Lehrer und Schüler alleine.
"So, nach der ganzen Theorieeinheit, die ich für heute schon mal notieren werde versuchst du das mindestens noch fünf mal, Julius. Klappt das jetzt immer, können wir morgen die doppelte Strecke ansetzen. Das ist zwar unterhalb von hundert Kilometern unerheblich, ob es zwei Meter mehr oder weniger sind, aber die Vorschriften sagen das deutlich, daß in kleinen Schritten geübt werden soll." Julius sah das ein. Wenn diese Einrenkung stattfinden sollte, die der fröhliche Heiler Louis Champverd voraussetzte, dann ging das eben nur durch ständige Übung, wobei die Wegstrecke langsam vergrößert wurde, bis es irgendwann ins Freiland gehen sollte.
Den Nachmittag verbrachten Lehrer und Schüler noch mit der Theorie über den räumlichen Widerstand und die Frage, ob eine Apparition immer gleichlaut zu hören sein müsse und ob es dünnen Menschen leichter fiele als vollschlanken Menschen, den Standort auf magische Weise zu wechseln. Julius wartete hier mit den Pinkenbachformeln und der von Kasimir Rosebridge daran angelehnten Körper-Entfernungsthese auf. Dann war der erste Ferienkurstag beendet. Julius fand nun zeit, zu erkennen, daß er bereits am ersten Tag eine vollständige Apparition geschafft hatte, wenngleich er wie bei den anderen Zaubern zu viel des Guten aufgeboten hatte und jetzt daran arbeiten mußte, nur das aufzubringen, was wirklich nötig war. Einerseits wurde ihm klar, daß nur der Rückhaltezauber der Würfelhalle ihn davor bewahrt hatte, irgendwo in der Weltgeschichte zu reapparieren. Andererseits freute er sich immer mehr, weil ihm endlich erlaubt war, diese überragende Kunst zu lernen. Als er sein rubinrotes Zuneigungsherz wieder umhängte, wurde dieses sofort angenehm warm und weich wie ein vorgeheiztes Federkissen und pulsierte schnell. Unvermittelt überkamen ihn noch mehr Freude, aber auch großer Trotz. Das waren Millies Empfindungen. Seine Glückseligkeit mußte im selben Augenblick bei ihr angekommen sein. So wunderte er sich nicht, als er eine Gedankenfrage seiner Frau hörte: "Ah, du hast es auch schon geschafft? Glückwunsch!"
"Ey, du hast's auch schon am ersten Tag rausgekriegt? Super!" Schickte Julius ehrlich begeistert zurück. Ja, er war deshalb begeistert, weil er Millie in Ruhe erzählen konnte, was ihm passiert war, ohne sich von ihrer Frustration, es noch nicht geschafft zu haben bedrücken lassen zu müssen.
Als die beiden jungen Eheleute am Abend im Kamin ihres Apfelhauses ankamen stellten sie fest, daß jemand am Tag die Gartenbeete wieder geordnet hatte. Julius kontaktfeuerte mit Camille und bedankte sich bei dieser. Jeanne, die gerade auch bei ihrer Mutter war fragte ihn, wie oft er heute schon appariert sei. Er sagte darauf, daß er es immerhin ein- zweimal geschafft habe, in einem Stück im Zielreifen anzukommen. Jeanne grinste.
"Ein oder zweimal, Julius? Siehst nicht so aus, als hättest du von zehn oder zwanzig Versuchen nur zwei geschafft, wenngleich das schon sehr toll ist für den ersten Tag. Also wie oft genau?" Julius erwähnte es nun, fügte aber sofort hinzu, daß er dabei häufig mit dem Rückhaltezauber der Übungshalle aneinandergeraten sei und wohl noch lernen müsse, nur so viel Kraft aufzubringen wie gebraucht wurde.
"Tja, das ist eben die Schwierigkeit von der anderen Seite her. Viele können es erst nach dem zweiten oder dritten Kurstag ansatzweise, und du mußt erst einmal aufpassen, nicht auf dem Mond zu apparieren, wenngleich ich nicht weiß, ob das wegen der kosmischen Trägheit und der unterschiedlichen Beschaffenheit überhaupt ginge."
"Hmm, womöglich deshalb nicht, weil der Mond vom Bezugspunkt Erdoberfläche her ein sich schnell fortbewegendes Objekt ist und es nahezu unmöglich ist, auf sich unabhängig von der Erdoberfläche bewegenden Objekten wie Schiffen, Eisenbahnen, Autos oder Flugzeugen zu landen, weil hierfür die genaue Kenntnis des jeweiligen Standortes zum Zeitpunkt des Disapparierens absolut bekannt sein müßte und die durch die Erddrehung im eigenen Körper mitgeführte Bewegungsenergie unterschiedlich zu der des Zielobjektes ist, wobei die Entfernung ..."
"Jaaaa, ich seh's ein!" Rief Jeanne, während ihre Mutter laut lachte. "Aber du kannst von einem sich "unabhängig zur Erddrehung" bewegtem Objekt auf die Erdoberfläche zurückapparieren. Woran liegt das?"
"Das kriegen Monsieur Montferre und ich morgen", erwiderte Julius schlagfertig. Jeanne mußte nun lachen.
"Dürfen wir nachher mal zu euch um Musik zu machen? Ich würde mal wieder gerne zu einem Klavier die Begleitung spielen."
"Wer ist wir?" Fragte Julius herausfordernd. Camille nickte Jeanne zu und erwähnte, daß Jeanne und Denise rüberkommen wollten. Julius drehte den Kopf so weit es ging und fragte die gerade für ihn nicht sichtbare Millie. Diese rief wie durch einen engen Tunnel klingend:
"Und was macht Viviane Aurélie?"
"Die ist gerade bei ihren anderen Großeltern. Die meinen ja, sie auch mal einen Abend bei sich haben zu müssen", gab Jeanne Auskunft. Camille grinste.
"Die meinen sonst, ich würde die Kleine zur Blumenhexe verderben, wo sie doch Chevallierblut im Körper habe. Aber ich hab' ja gerade selbst wen ganz kleinen zu versorgen, sonst würde ich zu gerne rüberkommen und ausprobieren, ob ein Klavier schwerer zu spielen ist als ein Spinett. Aber irgendwann mal."
"Das Klavier können wir in der Umhangtasche mitnehmen", meinte Julius. "Wenn du mal gerne darauf spielen möchtest ..."
"heute besser nicht. Uranie ist wegen ihres Kronprinzen sehr erschöpft. Die Mutterrolle will halt genauso geübt werden wie das Apparieren."
"Sehr witzig, Camille", hörte Julius von außerhalb des Wohnraumes der Dusoleils. "Wenn ich nicht wüßte, daß du selbst ... Lassen wir's! Hatten wir ja schon dauernd."
"Ich nehme ja genau deshalb Rücksicht auf dich, Uranie, damit du die nötige Erholung findest", erwiderte Camille. Dann sagte sie leise: "Wenn du die Appariererlaubnis hast kommst du mit dem Piano Forte mal rüber, und wir spielen im Garten vierhändig."
"Ähm, falsche Baustelle, Camille. Ich kann kein Tasteninstrument."
"So schwer ist das nicht, wenn man Ballett kann", erwiderte Camille und grinste. Hatte ihr Jeanne also doch erzählt, daß er einmal in Belles Ballettstunde mitgetanzt hatte, wenngleich er die Kunsttanznummern doch so gut er konnte vermieden hatte. Julius nickte nur. Dann verabredeten sie sich für den Abend gegen halb neun.
Da der Kamin gut funktionierte kam auch Julius' Mutter mit Babette Brickston herüber. Außer Jeanne und denise kam auch Florymont mit seinem Akordeon, so daß sie abwechselnd Klavier- und Akordeonbegleitung hatten. So konnte Denise auch länger aufbleiben, weil ihr Vater sie ja mit zurückbringen konnte. Deshalb ging das kleine Hauskonzert im Pomme de la Vie bis halb zwölf, bis Denise zu müde war, um noch einen richtigen Ton auf ihrer Blockflöte zu treffen. Die Dusoleils verabschiedeten sich und flogen auf dem Familienbesen davon. Babette bedankte sich bei Millie, weil sie ihr ein paar Griffe auf dem Klavier gezeigt hatte und erwähnte, daß sie morgen mit ihrer Mutter zum Einkaufen in die Rue de Camouflage ginge. Sie war schon ganz aufgeregt, weil es in diesem Jahr nach Beauxbatons ginge. Sicher, so ganz geheuer war ihr die Schule nicht, wo ihre gestrenge Großmutter Blanche dort unterrichtete und ja auch außerhalb der Schule sehr genau auf gutes Benehmen wert legte. Aber endlich richtig zaubern und fliegen zu lernen war das alles wert.
"Ich bin ab morgen mit Nathalie in London, um dort eine bilaterale Vereinigung zur Integration muggelstämmiger Hexen und Zauberer und Auswertung nichtmagischer Erkenntnisse zu begründen. Da treffe ich auch Mr. Abrahams wieder."
"Achso, hat der Minister das gedreht, daß du schön weit weg bist, wo die morgen Pétains Stellvertreter vorgeladen haben, um zu klären, was der über die Friedenslager wußte?" Wandte Julius ein. Seine Mutter nickte.
"Sein Rechtsberater will mich immer noch vorladen. Der Minister und seine Frau wollen das aber nicht."
"Und wie kommt ihr nach London? So wie wir mit Flohpulver?" Wollte Julius wissen.
"Nein, wir nehmen einen sogenannten Portschlüssel. Ich weiß nicht, ob mir das gefällt, nachdem, was du über diese Vorrichtungen erzählt hast."
"Ist sicherer als Flohpulver, weil ein Portschlüssel nur da landet, wo ihn sein Erzeuger hinhaben will", erwiderte Julius. Dabei sah er die Bilder von der Endrunde des trimagischen Turnieres vor seinem geistigen Auge. Harry Potter und Cedric Diggory waren mit einem Portschlüssel in Voldemorts Falle gelockt worden. Er erinnerte sich an Zacharys altes Sofa, auf dem Jane Porter und er Swifts Strafverfolgungszauberern entwischt waren. das brachte ihn darauf, seine Mutter zu fragen, ob sie Mr. Marchand nun alles erzählt hatte.
"Ich möchte das eigentlich gerne von Angesicht zu Angesicht klären, nicht über E-Mail oder Telefon. Mir scheint, er würde das nicht glauben, solange er es nicht sieht. Aber die haben gerade sowas wie Alarmstufe Rot wegen dieser Wiederkehrerin, die deren früheren Minister ermordet haben soll, was von ihrer Warte aus wohl ziemlich töricht gewesen sein muß."
"Ich denke, vielen da drüben fällt bald auf, daß es für Wishbone mehr Vorteile hätte, für tot erklärt zu werden als für die Wiederkehrerin, Mum. Und wenn die erst aus der Zeitung erfährt, daß sie Wishbone umgebracht haben soll, und die will das nicht so hinstehen lassen, dann gnade jeder Gott oder Teufel auf Erden dem- oder derjenigen, wer immer das mit Wishbone verzapft hat", erwiderte Julius.
"Ein Grund, warum ich im Moment nicht in die Staaten geschickt werde, auch wenn Nathalie meint, daß wir da viel reparieren müßten und wohl einiges neue einführen könnten", erläuterte Martha Andrews. Dann verabschiedete sie sich bis zum neunten von Julius. Sie flohpulverte mit Babette zurück nach Paris.
"Dann sollten wir zusehen, genug Schlaf zu kriegen, nach dem Gewittersturm gestern und dem Apparierkurs heute", erwiderte Julius. Millie nickte.
"Wenn Tine morgen wieder so überlegen und wie Professeur Dedalus drauf ist brauche ich mindestens zehn Stunden Schlaf." Das brachte sie prompt zum gähnen.
Julius lag noch einige Minuten Wach, während seine Frau schon tief schlief. Er dachte an den ersten Kurstag. Er hatte die Schwelle schon überschritten, aber mit Raketen an den Füßen. War es wirklich leichter, mit viel Zauberkraft das Apparieren zu lernen als mit wenig? Er selbst mußte im Moment auf diese Frage mit einem klaren Nein antworten.
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Wesentlich erholter als am Vortage traten Millie und Julius ihre Einzelstunden an. Julius hatte diesmal genug Schreibzeug mitgenommen, um Sachen, die Michel Montferre ihm erklären würde, sofort mitschreiben zu können. Millie hatte nämlich sowas beim Frühstück angedeutet, daß Martine ihr jede Menge zu schreiben beibringen wolle. Doch zunächst durfte Julius die Versuche von gestern wiederholen. Dabei schaffte er es von den zehn Versuchen viermal, wieder gegen den Rückhaltezauber des Würfels zu krachen und mindestens zweimal abgestoßen zu werden. Doch die letzten sechs Male landete er ohne Probleme im Zentrum des Reifens. "Alles eine Frage der Übung", erwiderte Michel Montferre. "Zumindest bekommst du es schon hin, zu disapparieren, was für manchen Schüler am zweiten Kurstag immer noch eine schier unüberwindliche Hürde ist. Aber wir haben bisher von durchschnittlich hundert Schülern über neunzig das Apparieren beigebracht und erfolgreich geprüft. Wenn du es schaffst, ohne den Rückhaltezauber auszulösen an Orten innerhalb des Würfels zu apparieren, können wir davon ausgehen, daß deine Willenskraft-Zauberkraftbalance sich eingerenkt hat. Aber zunächst die für die Prüfung ebenso relevanten theoretischen Grundlagen."
"Dazu habe ich schon eine Frage", setzte Julius an. "Gestern habe ich mit Jeanne Dusoleil über meinen ersten Kurstag gesprochen. Die vermutete dann, daß ich ohne den Rückhaltezauber auf dem Mond hätte apparieren können, was ich nach dem, was ich mit ihr schon mal durchgenommen habe für höchst unwahrscheinlich halte, weil der Mond im Bezug zur Erdoberfläche ein sich bewegender Körper ist und daher die Einschränkung gilt, die für das Apparieren in fahrenden Fahrzeugen oder Flugzeugen gilt. Da wurde ich natürlich gefragt, warum es andersrum möglich sei, aus einem Fahrzeug oder von einem fliegenden Besen her auf festem Grund oder der Erdoberfläche zu apparieren. Das mit den Fahrzeugen habe ich vorher mit unterschiedlicher Bewegungsenergie erklärt. Aber das Argument müßte ja umgekehrt auch verhindern, daß ich aus einem fahrenden Fahrzeug heraus ungefährdet auf festem Boden apparieren kann, weil ich ja die Bewegungsenergie des Fahrzeugs bei der Disapparition mitnehme."
"Ähm, was heißt Bewegungsenergie, Julius?" Wollte Michel wissen. Julius wunderte sich, doch dann erkannte er, daß der physikalische Begriff in der Zaubererwelt wohl nicht in diesem Sinne erklärt wurde und daher womöglich anders umschrieben wurde. So erklärte er, daß damit das Verhältnis der Masse und Geschwindigkeit eines Körpers bezeichnet wurde, der nicht fortwährend beschleunigt oder gebremst wurde. In welche Richtung die Bewegung stattfand war für die Bewegungsenergie unerheblich. Die Zuführung von Bewegungsenergie bezeichnete er als Impuls, womit auch eine Abbremsung und damit Verringerung der Bewegungsenergie gemeint sein konnte. Er holte sein Physikbuch aus der Centinimusbibliothek in seinem Brustbeutel und schrieb Michel die Formeln ab und zeichnete die Darstellungen nach, die als Kurve eine beschleunigte Bewegung oder das Verhältnis Wegstrecke und Zeit bei einer unveränderten Geschwindigkeit beschrieb. Dann meinte Michel:
"Ich sollte vielleicht anregen, die Muggelkundlichen Begriffe für Bewegungsarten und die innere Wirkung eines sich bewegenden Objektes und deren Umsetzung in andere Bewegungsarten in eine Fortbildung für Apparierlehrer zu übernehmen, um bei weiteren Anfragen näheres auszuführen. Laut Rosebridge besteht die Ausnahme, daß du von einem über der Erdoberfläche fahrenden oder fliegenden Objekt disapparieren und ohne dessen Bewegungsstärke und -richtung im Bezug zur festen Erdoberfläche stillstehend reapparierst deshalb, weil du beim Apparieren eben immer relativ zur sich unter dir drehenden Erde stillstehend apparierst. Dabei ist es egal, ob du vom Nordpol aus disapparierst und am Äquator reapparierst oder in Kalifornien disapparierst, um in Peking zu reapparieren. Nebenbei wäre das eine beachtliche Strecke, wenn du sie in einem einzigen Schritt überwindest. Aber dir ist wohl nach dem ganzen Grundwissen über Kräfte und die Kunde des unbelebten aus der Muggelwelt bekannt, daß Strömungen aus Wasser oder Luft bei Bewegungen zum Äquator hin oder von dort weg einen Drall erfahren, vom Äquator weg zum Osten hin, zum Äquator hin zum Westen hin. Das ist aber eben nur bei sich frei im Raum mit einer zeitlich klar feststellbaren Geschwindigkeit so. Wenn du apparierst paßt sich die in deinem Körper steckende Bewegungswirkung immer der Erdoberfläche des Zielortes an. Einige Rosebridgeschüler vermuten deshalb, daß Apparatoren im Transit dieses beengende Gefühl verspüren, weil Unterschiede der Erddrehung ausgeglichen werden müssen. Aber nachmessen kann man sowas leider nicht. Du kannst also vom fliegenden Besen aus disapparieren, um auf einem festen Punkt auf der Meeres- oder Landoberfläche anzukommen und krachst dabei nicht sofort mit hundert Stundenkilometern gegen eine Wand oder schlidderst mit dieser hohen Geschwindigkeit einige Dutzend Meter weit, bis die Reibung dich weit genug abgebremst hat. Entscheidend für den Ausgleich ist die Erde, mit welcher Geschwindigkeit sie sich am Zielort dreht. Triffst du am Nordpol ein, erreichst du die Stelle, wo die Eigendrehung null ist. Die höchste Eigendrehungsgeschwindigkeit liegt am Erdäquator vor. Sobald du in den Transit gehst wird dein Körper dem Zielort angeglichen, bevor du dort körperlich erscheinst."
"Hmm, könnte es das Schwerefeld der Erde sein, eine art überdimensionale Konstante oder sowas?" Fragte Julius.
"Nicht ganz. Aber wenn Schwerkraft durch die Menge von Materie in einem bestimmten Raum geregelt wird womöglich schon", erwiderte Michel, der sich gerade nicht sicher war, wer hier Lehrer und wer Schüler sein sollte. "Durch die höhere Drehgeschwindigkeit am Äquator erfährt ein Körper ja einen geringfügigen Fortschleuderantrieb, so wie ein ball an einer Schnur, die du im Kreis um dich herumschleuderst." Julius nickte. Dann sagte er:
"Natürlich, der Gravitationsunterschied beziehungsweise der winzige Unterschied zwischen zum Erdmittelpunkt hinwirkender Schwerkraft und durch die Drehung bestehender, vom Erdmittelpunkt wegtreibender Zentrifugalkraft. Das könnte der Unterschied sein, der beim Apparieren ausgebügelt wird, eine Art Gefälle. Dann ist die Magie doch nicht so von der Erdschwerkraft entkoppelt, wie viele beim Fliegen gerne denken. Aber Mrs. Hammersmith hat mir ja erklärt, daß man keine magischen Fluggeräte bauen kann, die aus dem irdischen Schwerefeld hinausfliegen können, um beispielsweise den Mond oder den Mars anzufliegen."
"Wobei dann wohl als Regulator, also als die relative Bewegung beim Apparieren bestimmende Kraft das Schwerefeld unserer Sonne eingreifen würde. Und damit haben wir dann die Erklärung, warum du nicht auf dem Mond apparieren kannst. Du würdest einen Konflikt dreier Schwerefelder auslösen, weil du sowohl das auch für den Mond noch gültige Erdschwerefeld, das eigene Schwerefeld des Mondes und für beide gültig noch das Schwerefeld der Sonne gegen dich hättest. Soweit ich weiß ist das Mondschwerefeld an der Oberfläche ein Sechstel so stark wie das der Erde. Dann würde es von den dreien wohl das geringste sein. Es könnte also entweder passieren, daß du mit der Eigendrehungsgeschwindigkeit der Erde auf dem Mond apparierst, weil du zu einem bestimmten Punkt auf der Erdoberfläche ausgerichtet stillstehst oder zu einem bestimmten Punkt auf der Sonne stillstehend ankommst, wobei ich nicht weiß, ob die Sonne sich auch dreht."
"In beiden Fällen würde ich das nicht mal merken, ob ich dort ankomme, weil es mich dann mit mindestens 1200 Stundenkilometern gegen irgendwas wirft und zerbröselt, bevor mein Blut Zeit bekommt, im Vakuum zu kochen und mich auch so zerplatzen läßt", erkannte Julius. "Aber vom Mond aus auf der Erde, wenn wir mal die Entfernung zwischen den beiden weglassen ginge dann?"
"Das ist eben eine Frage, ob der Schwereunterschied zwischen Mond und Erde da nicht hineinspielt. Auf der Erde ist der Unterschied zwischen Ausgangs- und Zielort ja gering. Vielleicht greift dann aber doch die stärkere Schwere auf der Erde und vollzieht die Anpassung", vermutete Michel Montferre. "Aber das zu diskutieren ist eigentlich unerheblich, weil selbst große Entfernungen auf der Erde sehr schwer in einer einzigen Apparition zu überwinden sind. Auf Jeden Fall wirkt sich dann die Ausrichtung zwischen Ausgangs- und Zielpunkt aus."
"Aber wenn ich jetzt in einem Druckanzug mit einem Fluggerät oder Raumfahrzeug auf dem Mond lande könnte ich auf dem herumapparieren? Ich meine, Mrs. Hammersmith hat zu bedenken gegeben, daß Magier deshalb nicht wissen, ob sie zu andren Planeten wollen, weil sie nicht wissen, ob da andere Wechselwirkungen in der Zauberei gelten.""
"Das wäre aber denkbar, wenn du im Verhältnis der Mondschwere apparierst und er dann als für Ausgangs- und Zielort gültiger Bezug erhalten bleibt." Julius nickte und grinste. Dann sollte er erzählen, worüber er sich mit Stella Hammersmith unterhalten hatte.
"Gut, was sich im Raum bewegende Körper angeht bin ich nicht so der Fachmann wie Florymont Dusoleil oder Professeur Bellart. Aber sie hat wohl recht, daß Flugzauber immer im Verhältnis zur irdischen Schwerkraft wirken und daher wohl schwächer wirken, je schwächer das Erdschwerefeld wirkt. Um ein den Weltraum durchquerendes, magisches Fluggerät zu konstruieren müßte dieses nicht auf die Erdschwerkraft sondern die der Sonne ausgerichtet werden, was jedoch dann denselben Einschränkungen unterworfen ist. Je weiter von der Sonne weg, desto weniger Wirkung der Sonnenschwere, desto kraftloser der Antriebszauber. Aber wieder zurück zur Theorie des Apparierens, weshalb wir zwei ja zusammen sind. Denkst du, daß ein leichterer Mensch es leichter hat, zu apparieren als ein schwerer?"
"Die zu bewegende Masse könnte einen Unterschied in der Anstrengung ausmachen. Ich habe aber gelernt, daß nicht die einen Raum ausfüllende Materie in der Magie entscheidend ist, sondern die räumliche Ausdehnung. Daher denke ich, daß ein dünner Mensch besser durch den Transit kommt als ein dicker."
"Das ist fast unerheblich. In dem Moment, wo ein Apparator sich allein oder einen Seit-an-Seit-Apparator auf ein Ziel ausrichtet und sich entschlossen wünscht, dort anzukommen, erfüllt die von ihm ausgehende Willenskraft jedes Bißchen Materie, auch tote Objekte, die mitgenommen werden sollen. Die räumliche Ausdehnung und der damit einhergehende räumliche Widerstand werden also überwunden, sobald die Entschlossenheit, am Zielort mit allem am und im Körper erscheinen zu wollen auch alles einschließt. Allerdings wächst durch die etwas größere räumliche Ausdehnung auch der Schwellenwert für die Disapparition. Rosebridge nennt es die Determinationsdurchtränkung." Julius schrieb sich schnell den neuen Begriff auf, den er bei Jeanne zwar schon mal gehört, aber wegen ihrer eigenen Fragen her nicht weiter besprochen hatte.
"Ich lade also meinen Körper und alles, was an mir dranhängt mit einer Art Energie auf, die mir und alles mit mir verbundene in den Transit zwischen Start und Ziel reinhilft und mich dabei zusammenhält?"
"Nur dann, wenn du wirklich genug Entschlossenheit, also Willenskraft aufbietest, wirklich jedes Gramm deines Körpers und das eines Partners in den Ankunftswunsch einzubeziehen. An sonsten könnte es zu zersplinterungen kommen, wenn Körperstellen nicht ausreichend mit Entschlossenheit angereichert werden, die dann mit der versetzenden Zauberkraft verbunden werden. Bei Seit-An-Seit-Apparitionen kommen da noch begünstigende und behindernde Faktoren hinzu. Kommst du alleine drauf, welche?"
"Moment. Ich nehme ein intelligentes oder auch so lebendes Wesen mit. Wenn ich die Zielausrichtung und den Wunsch der Ankunft übernehme, muß ich es ja mit in meine Vorstellungen einbeziehen. Das heißt, ich habe mehr Materie mit Willenskraft anzureichern als meinen eigenen Körper. Das ist schon mal eine Behinderung. Dann muß ich für den ja auch mitdenken, was mehr Konzentration kostet. Dann muß ich mich ja drehen, um die den Transit einleitende Bewegung auszuführen und dabei auch den Willensimpuls auszulösen, zu disapparieren. Jemand, der an mir dranhängt bremst die Drehbewegung, weshalb ich mich mit mehr Kraft drehen muß. Ich habe von Aurora Dawn beim Seit-an-Seit-Apparieren gelernt, daß wenn der Mitgenommene in dem Moment abspringt, wo disappariert wird, es für beide einfacher ist. Das kann durch zusätzliche Kraftübertragung an den führenden Apparator kommen oder eben, daß der Mitapparator in dem Moment nicht mit der Erde verbunden ist."
"ja, das stimmt. Wer abspringt verringert für sich für einen winzigen Moment die auf ihn wirkende Anziehungskraft so sehr, daß er für den führenden leichter wird. Das alles stimmt soweit", sagte Michel und deutete auf Julius Notizzettel, damit er sich diese Überlegungen schon aufschreiben konnte. Als er das erledigt hatte meinte Michel dann noch: "Du hast aber was wichtiges außer Acht gelassen. Wenn du ein Lebewesen mitnimmst, nimmst du nicht nur seinen Körper mit. Je höher es entwickelt ist, und wenn es noch dazu eigene Zauberkräfte besitzt, bietet es dem Führenden entweder eine unüberwindliche Blockade oder eine zusätzliche Verstärkung der eigenen Apparition. gut, wenn du ein Tier mitnimmst, sei es ein Frosch oder ein Schwatzfratz, ist diese willentliche Komponente nicht groß genug, um dich an einer zielgenauen Apparition zu hindern. Abgesehen von der Größe des Mitzunehmenden spielt aber dessen eigene Willenskraft und magische Durchtränkung des eigenen Körpers eine entscheidende Rolle. Du könntest niemals mit einem Einhorn zusammen disapparieren, weil diese Tiere hochpotente Tierwesen sind und von ihrer Größe her genug auf bestimmten Raum verteilte Magie besitzen und dazu noch gegen jede Form magischer Ortsversetzung immun sind, weil sie durch eigene Wünsche, nur aus eigenem Antrieb den Ort zu wechseln gegen jede fremdbestimmte Versetzung aufbegehren. Anders ist es, wenn du mit einem Wesen apparierst, das durch seinen Körperkontakt den Willen bekundet, bei dir zu sein und zu bleiben. Dann kann die magische und willentliche Hürde zur Verstärkung werden, auch und vor allem, wenn der Begleiter genug eigene Zauberkraft besitzt, um die Zielausrichtung zu unterstützen, bestennfalls schon selbst apparieren kann. Dann führt das zu einer kumulativen Determinationsdurchtränkung, und die beiden müssen sogar aufpassen, nicht über das Ziel hinauszuschießen, weil die Kraft, mit der sie disapparieren höher ist als benötigt. Wenn du also mit jemanden Seit an Seit appariert bist, dann immer unter der Voraussetzung, mit dem Jenigen apparieren zu wollen, nicht wahr. Oder kamst du schon in die Situation, daß jemand dich entführen wollte?"
"Zum Glück nicht, Michel. Aber das ist ein großer Drache, den du da rufst. Hallitti, diese Abgrundstochter, hätte das zum Beispiel ... Dann hätte die das auch so gemacht", dachte Julius, dem jetzt siedendheiß klar wurde, warum sich Hallitti den Umstand gemacht hatte, seinen Vater auf ihn zu hetzen, und mit diesem und ihm in Autos und Flugzeugen zu ihrem Schlafplatz zu reisen, wenn die doch so mächtig war und wohl offenkundig selbst apparieren konnte. Der magische Widerstand in ihm hatte ihr das unmöglich gemacht, ihn einfach so zu packen und mit ihm zeitlos zu ihrem Versteck zu reisen. Das erwähnte er jetzt auch und schrieb es sich gleich auf, daß bei Seit-an-Seit-Apparitionen Willens- und Zauberkraft des Mitzunehmenden entweder die Apparition behindern oder erheblich erleichtern konnten und notierte die entsprechenden Stichpunkte. Michel diktierte ihm dann noch in die Feder:
"Diese Beschränkung gilt jedoch vorwiegend für magische Lebewesen. Weil unmagische Tiere oder magielose Menschen ihre Willenskraft nicht als Durchtränkungskraft ihres Körpers steuern können sind sie wehrlos gegen eine Verschleppung durch einen Apparator. Daher gilt im Gesetz zur Regelung des zeitlosen Ortswechsels, daß magielose Menschen nicht von einem Apparator mitgenommen werden dürfen, ob mit oder gegen den Willen des Muggels. Zuwiderhandlung wird mit mindestens zwei Jahren Gefängnis bestraft."
"Also halte ich mal fest, daß es nicht auf das Gewicht des Apparierenden ankommt, wie gut oder schlecht er oder sie apparieren kann. Die Größe oder Fülligkeit ist insofern wichtig, weil der Apparator alles an sich mit seiner Entschlossenheit an einem Ort anzukommen erfassen muß. Beim Seit-an-Seit-Apparieren gelten Größe, magische Fähigkeiten und dessen Wille, mitzukommen oder an seinem Ausgangsort zu bleiben als Behinderung oder Erleichterung. Hmm, sind Hauselfen mächtiger als ausgebildete Hexen und Zauberer?"
"Du meinst, ob sie, die auf eine andere Art apparieren als Hexen und Zauberer leichter mitgenommen werden können oder jemanden verschleppen können, Julius? Es steht fest, daß sie für ihre Magie, die sich vor allem in der telekinetischen und antigravitatorischen Manipulation, das Apparieren an jedem auch unbekannten Ort durch bestehende Barrieren hinweg sowie die Teleportation von Objekten äußert, unter Umständen doppelt oder dreimal so stark sein können wie ausgebildete Zauberer und Hexen, sofern ihre Herren ihnen befehlen, gegen einen anderen Zauberer zu kämpfen und diesen zu überwältigen und fortzuschaffen. Aber da sprichst du besser mit einem Kollegen aus dem Hauselfenzuteilungsbüro drüber!"
"Es könnte ja sein, daß jemand meint, jemanden durch einen Hauselfen entführen zu lassen. Die müssen sich nicht an die Verhaltensregeln beim Apparieren halten, sondern machen meistens das, was ihre Meister ihnen befehlen."
"Meistens? Kennst du etwa einen Hauselfen, der Befehle verweigert hätte?" Fragte Michel Montferre interessiert. Julius erwähnte das, was Harry Potter ihm über den Hauselfen Dobby erzählt hatte und warum Hermine Granger befand, eine Befreiungsbewegung für Hauselfen gründen zu müssen.
"Nun, von meiner Großmutter her weiß ich, daß es schon sehr entscheidend ist, wie jemand mit den ihm untergeordneten Hauselfen umspringt. Es kann also durchaus zu einem gewissen Widerstand kommen, wenn der Respekt für den Diener nicht vorhanden ist. Aber in den aller meisten Fällen unterwerfen sich Hauselfen den Befehlen der ihnen übergeordneten Meister oder in dessen Abwesenheit jedem anderen Zauberer, solange der Elf nicht gegen das Wohl oder Eigentum des Meisters eingesetzt wird. Aber auch das klärst du dann mit einem vom HEZ-Büro, falls millie und du meint, einen Antrag auf Zuteilung eines Hauselfen stellen zu wollen."
"Haben Raphaelle und du einen?" Fragte Julius nun sehr direkt.
"Wir nicht, Julius. Auch wenn es manchmal leichter wäre, um das Haus in Ordnung zu halten, haben Raphaelle und ich darauf verzichtet, die Nachkommen des Elfen meiner Großmutter zu übernehmen. Denn an einer Zuteilung hängt viel dran, unter anderem, daß du jedes Jahr melden mußt, ob dein Hauself noch da ist, wie viel eigenen Wohnraum dieser besitzt und ob er fortpflanzungsfähig ist. Dann kommt noch jedes zweite Jahr eine Registrationsgebühr dazu, die sich auf Alter, Geschlecht und Einsatzraum des Hauselfens bezieht. Stirbt dir der Elf, oder hast du eine Hauselfe, die schwanger wird und meldest weder das eine noch das andre, dann kann es dir passieren, daß du eine Strafgebühr wegen unrichtiger Angaben zahlen mußt. Aber fortpflanzungsfähige Hauselfen werden wohl nur dann schwanger, wenn du zwei Elfen zusammenbringst und ihnen den Befehl gibst, ein Kind oder mehrere Kinder zu bekommen."
"Ja, und was den Nachwuchs angeht ist wohl auch dieses Zuteilungsbüro für zuständig", grummelte Julius, der ein wenig besser verstand, was Hermine so gegen die Haltung von Hauselfen aufbrachte. Das Ministerium machte auch noch Geld mit den umsonst arbeitenden Hausdienern. Das kam Sklaven- oder Pferdehandel wirklich schon sehr nahe. So war er entschlossen, ohne zwingenden Grund keinen Hauselfen halten zu wollen. Aber im Château Tournesol und Florissant gab es welche.
"Okay, wieder zurück zu unseren Stunden, Julius. Wenn jemand einen Hauselfen dazu benutzt, einen anderen Menschen zu entführen, kommt das aufs gleiche heraus, als ob der Meister des Elfen den anderen Menschen selbst durch Apparition zu entführen trachtet. Der Hauself gilt dann als Apparitionsverstärker. Sofern das Entführungsopfer es will und nicht durch Unterwerfungszauber oder den Tod daran gehindert wird, kann es nach der Entführung Anzeige erstatten. Neben dem Straftatbestand der Entführung selbst kommt dann eben auch die Art der Ausführung durch Apparieren verschärfend hinzu. Es gibt dazu einen Präzedenzfall aus dem Jahre 1809, wo ein junger Zauberer eine Hexe aus dem Haus ihrer Eltern entführt hat, in dem er den Hauselfen seiner Eltern dazu beauftragt hat. Das junge Mädchen war zu der Zeit noch minderjährig. Obwohl es der Entführung zugestimmt hat wurde der junge Zauberer angeklagt. Dabei wurde der Einsatz des Hauselfen als Seit-an-Seit-Apparition ohne Erlaubnis der Eltern bewertet. Das brachte ihm zur eigentlichen Entführung an sich noch zwei Jahre und drei Monate mehr ein. Der Hauself erhielt den Befehl seiner wahren Meister, keine Anweisungen des jungen Zauberers mehr auszuführen, wenn diese nicht von dessen Eltern ausdrücklich bestätigt wurden. Na ja, was manche aus Verliebtheit für Unsinn anstellen."
"Okay, das schreibe ich mir besser auch noch auf", erwiderte Julius und notierte sich die wichtigsten Äußerungen und Erkenntnisse der letzten Minuten. Dann ging es wieder um die Apparitionstheorie. Julius wurde gefragt, ob er schon wisse, wie das war, wenn ein Apparator versuchte, in ein massives Hindernis oder einen für ihn zu kleinen Hohlraum einzudringen. Julius konnte aus den Vorübungen mit Jeanne antworten, daß ein Apparator, der in ein festes Objekt einzudringen versuchte, entweder an seinen Ausgangspunkt zurückgeworfen wurde oder mit der im Material des Objektes gültigen Schallgeschwindigkeit in einem teilmaterialisierten Zustand bis auf die andere Seite getragen wurde, woo er aus dem Objekt austrat. Wie das mit zu kleinen Hohlräumen war wußte er nicht, konnte sich jedoch denken, daß da die gleiche Zurückweisung galt.
"Wenn deine Willenskraft ausreichte, deinen ganzen Körper zu befördern, so kann eer nur in einem Stück am Zielort ankommen. Ist jedoch zu wenig Platz da, wird der Körper von dort abgedrängt, sobald etwas von ihm an ein Hindernis stößt. Das nennt Rosebridge den Aparitionsschrecken, wenn du beim Ankommen mit etwas zusammenstößt, aber noch nicht richtig angekommen bist und daher quasi eine ungewollte Rückapparition auslöst, die dich direkt zu deinem Standort zurückbringt oder zumindest in dessen Nähe erscheinen läßt. Damit gleich ein weiterer Punkt. Muß ein Apparator unbedingt im stehen disapparieren?"
"Ähm, eigentlich nicht, wenn die 3-D-Regel eingehalten wird. Es muß nur möglich sein, mich in die Disaparition hineinzudrehen", erwiderte Julius. Michel vermerkte die Antwort als korrekt und gab ihm ergänzend zu schreiben mit:
"Es ist unbedingt nötig, einen Kreisbogen von mehr als neunzig Grad zu beschreiben, um die Magie für den Transit zu entfalten. Aus welcher Körperstellung heraus dies geschieht ist dabei unerheblich. Zu beachten ist jedoch nur, daß der Apparator auch in der Stellung am Zielort eintrifft, aus der heraus er disapparierte. Siehe hierzu auch den Fall Swann aus dem Jahre 1958!"
"Swann? Der Name sagt mir was", erwiderte Julius. Michel Montferre erwähnte, daß eine gewisse Larissa swann mit ihrem damaligen Mann mitten im Liebesspiel an den Meeresstrand wollte und mit ihm zusammen ohne Zauberstab disapparierte, weil beide durch ihre Willenskraft und Begierde genug Magie für den Transit entfesseln konnten. Tja, und so landeten sie vor einer Gruppe völlig überraschter und schockierter Muggel und konnten erst einmal nicht zurück, weil sie wegen der körperlichen Auszehrung und Gefühlsüberlagerung keine Möglichkeit hatten, ohne Zauberstab zu disapparieren."
"Aha, man kann also auch ohne Zauberstab disapparieren?" Fragte Julius.
"Das kommt sehr selten vor und wird daher nicht empfohlen. Es ist erwiesen, daß sehr starke Gefühle wie Angst und damit der Wunsch zur Flucht oder eben auch gesteigerte Lust und damit verbundene Wunschvorstellungen zauberstablose Apparitionen begünstigen können. Ich würde mich aber in Gefahrensituationen nicht drauf verlassen, ohne Zauberstab fliehen zu können, Julius. Der Zauberstab kann einen Zauber anständig kanalisieren, ohne die magischen Kräfte vorzeitig zu zerstreuen."
"Moment, Mrs. Jane Porter hat mir mal vorgeführt, daß magische Menschen wie ein lebender Zauberstab wirken können, wenn sie keinen richtigen Zauberstab zur Verfügung haben", erinnerte sich Julius. "Dann könnte diese Larissa Swann ihren Geliebten aus Versehen als Zauberstab verwendet haben", er grinste jungenhaft.
"Ich seh's dir an, Jungchen, daß du jetzt gerne gesagt hättest, daß sie seinen gerade mit ihr verbundenen Zauberstab benutzt haben könnte. Nicht wahr?" Julius nickte immer noch grinsend. "Dann sollten millie und du aber aufpassen, euch aus einer bestimmten Situation heraus nicht irgendwo anders hinzuwünschen, um nicht aus Versehen zu disapparieren", erwiderte Michel noch. "Aber an dieser Feststellung, daß magische Menschen durch bestimmte Konzentrationsübungen für die Ausrichtung von Zaubern mit ihnen körperlich verbundener Leute dienen können bestätigt sich, wie wichtig die Verbindung zwischen Willens- und Zauberkraft ist, daß sie auch als Zauberstabäquivalent benutzt werden kann. Diese Jane Porter hat es aber offenbar mit dir sehr gut gemeint, dir so viele fundamentalen Einblicke in Zauberei zu geben, wie?"
"Wir beide haben meinen Vater gesucht und mußten dabei vor Ministeriumsleuten flüchten, die genau das verhindern wollten, daß wir ihn auch fanden."
"Immerhin hast du bei der Gelegenheit ja auch den Zauber mitbekommen, mit dem Raphaelle Bine und San wiedergefunden hat", erwiderte Michel Montferre. "Hätte also allen Grund, dieser Dame sehr dankbar zu sein. Aber sie lebt ja leider nicht mehr."
"Trotzdem wird sie das wohl mitbekommen, wer ihr was zu verdanken hat", erwiderte Julius sehr zuversichtlich. Michel wußte wohl nicht, wer Professeur Faucon jenen Zauber beigebracht hatte. Oder vielleicht doch? Besser er fragte ihn das nicht.
"Halte also fest, daß es unerheblich ist, in welcher Stellung jemand disappariert, solange die goldene Dreierregel eingehalten wird und der Apparator in jener Stellung auch reappariert, ob sitzend, hockend, kniend oder liegend."
Julius wurde dann zu Zielausrichtungen und Zielabweichungen belehrt, warum es passieren konnte, daß jemand auf dem Kopf stehend apparieren konnte, aber es bis heute keinen dokumentierten Fall gab, daß ein Europäer im Kopfstand in Australien apparierte oder, wenn er dort disapparierte andauernd im Kopfstand reapparierte, weil er ursprünglich aus Europa stammte, sondern nur dann verkehrt herum ankam, wenn er bei der Zielausrichtung nicht ganz bei der Sache war, aber die Determination stark genug war, ihn hinzuschaffen. "Günstigstenfalls muß der Apparator das Ziel schon sehr gut kennen, vor allem wenn er noch nicht viel appariert ist, um es so zu sehen, wie er es bei seiner Ankunft auch vorfinden will, also mit dem Kopf nach oben zu erreichen bemüht ist", diktierte Michel Montferre Julius in die Schreibfeder.
Zum Abschluß des Tages durfte Julius noch zehn Apparitionsversuche machen, wobei der Reifen sechs Meter von ihm entfernt lag. Alle zehn Versuche gelangen.
Am Abend erwähnte Millie, welche Gesetzestexte und bekannten Störfaktoren sie auswendig zu lernen hatte und daß es ihr auch gelungen sei, in einen sechs Meter entfernten Reifen zu apparieren. "Unter hundert Kilometern ist das so gut wie unerheblich, ob das Ziel einen Meter mehr oder weniger weit von dir weg ist, hat Tine gesagt. Jedenfalls kriege ich das immer besser raus, mich sacht genug zu drehen, um nicht beim Ankommen nicht über meine eigenen Füße zu stolpern."
"Und Tine ist immer noch eifersüchtig, weil du schon am ersten Tag apparieren konntest?" Fragte Julius.
"Sie hat eine abgedrehte Theorie, warum das bei ihr so gut ging und bei mir noch besser ging. Sie meinte, daß die meisten Anfänger ja noch V. I. positiv seien und deshalb wohl noch nicht alles ausgereizt hatten, was die Verbindung zwischen Körper und Geist angeht, daß nämlich der Geist sich auch dem körperlichen unterwerfen läßt. Aber das sollten wir bloß schön für uns behalten und nicht in Beauxbatons herumgehen lassen, weil sonst viele meinen könnten, vor dem Apparierkurs mit wem Liebe zu machen. Abgesehen davon ist das eben nur Tines Vermutung."
"Interessant. Michel montferre hat da nix drüber gesagt, ob das was ausmacht", erwiderte Julius. "Er hat nur eine gewisse Larissa Swann erwähnt, die mit ihrem Mann oder Geliebten einmal mitten im Bodentanz disapparierte, weil beide ans Meer wollten. Das wäre natürlich eine heftige Bestärkung dieser Theorie."
"Die Larissa Swann?" Fragte Millie verächtlich. Julius nickte. "Tja, die darf jetzt auf Kleinmädchenbesen rumfegen, wenn überhaupt." Julius grinste. Doch dabei mußte er an Leda Greensporns Baby denken. Wenn stimmte, was er bisher nur vermutete, gab es vielleicht noch wen, der oder die bereits erlernten Fähigkeiten nachtrauerte. Aber wie er schon für sich selbst geklärt hatte konnte das auch nur pure Einbildung sein.
"Stimmt schon, daß wir Tines Theorie besser nicht in Beaux rumgehen lassen. Aber interessieren würde es mich jetzt doch, wie gut Connie Dornier das Apparieren gelernt hat. Céline hat da nichts zu gesagt. Wieso auch?"
"Ich habe Tine natürlich erzählt, daß du Probleme mit der Raumbegrenzung hattest. Sie meinte, daß Michel dich wohl deshalb als Einzelschüler in diesem Würfelraum haben wollte, weil beide das genauso vorhergeahnt hätten. Die haben ja schließlich in den Akten, was du schon alles gezaubert hast, Monju."
"Nicht alles", flüsterte Julius Millie ins rechte Ohr. Laut sagte er: "Hätte mich auch gewundert. Die hätten mich bestimmt nicht mit dem Kurs anfangen lassen, wenn die das für Zeitverschwendung hielten, und dich sicher auch nicht."
"Na ja, aber ich hätte lieber bei Bines und Sans Vater als bei meiner großen Schwester. Wie wäre es, wenn wir zwei morgen Vielsaft-Trank schlucken?"
"Davon haben wir nix hier. Den zu brauen dauert zu lange und benötigt auch Sachen, die mir hier in Millemerveilles keiner ohne Gegenfragen rausgeben würde", erwiderte Julius."
"Stimmt. Nachher hätte Tine dich als mich behalten wollen, weil du ihr nicht so viele Widerworte gibst", grummelte Millie. "Dann hätte ich nur in einer Kiste rumliegen und brav Haare oder Fingernägel spenden dürfen, um dich in meinem Körper halten zu können. Neh, auf sowas stehe ich dann doch nicht." Julius war bei Millies Vorstellung, sie könne von Tine in einer Kiste gefangengehalten werden, um genug Körperfragmente für einen Vielsaft-Trank zu liefern unangenehm eingefallen, wie Barty Crouch Junior damals den echten Madeye Moody gefangengehalten haben mochte, um in Hogwarts dessen Rolle spielen zu können. Um sich nicht anmerken zu lassen, welche dunklen Saiten Millie in ihm angezupft hatte gab er mit tiefer Stimme zum besten, daß ihm die andere Art besser gefalle, mit ihrem Körper verbunden zu sein. Sie pflichtete ihm da völlig bei.
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So vergingen drei weitere Tage mit Übungen und Lernen. Millie maulte zwar zwischendurch immer wieder, weil Tine ihr gegenüber die große Schwester raushängen ließ und Tante Trice immer wie eine Hauselfe im Hintergrund hockte und nur mal ein paar von ihr abgesplinterte Haare wieder hatte anwachsen lassen, was Tine zu einem langen Vortrag über die körperlichen Gefahren des Apparierens veranlaßt hatte. Julius erwähnte, daß er das mit dem Zersplintern auch mit Michel Montferre beredet hatte. Der hatte ihm nur zum Mitschreiben erzählt, daß zersplinterte Apparatoren auch über Entfernungen weg mit ihren Körpern verbunden blieben und es als sehr befremdliche Empfindung spürten, wenn sie beispielsweise auf einem Bein apparierten, das zurückgelassene Bein jedoch nicht als abgetrennt empfanden oder ein Auge am Ausgangsort vergaßen und so zwei Bilder zu sehen bekamen, bis die Corporeplantation durchgeführt wurde.
"Hat dir dein Lehrer auch erzählt, wie dieser zauber geht, Monju?" Fragte Millie.
"Nur, daß an Ausgangsort und Zielort ein damit vertrauter Zauberer oder eine Hexe sein muß, um den Apparator und den von ihm zurückgelassenen Körperteil zu bezaubern, damit dieser sich wieder an seinen ursprünglichen Platz anfügt", sagte Julius. "Wenn zwischen Ausgangs- und Zielort nur wenige Meter liegen reicht es aus, den abgetrennten Körperteil zu sehen und mit dem Zauberstab darauf zielen zu können, um die Corproeplantation durchzuführen."
"Meine werte Schwester und Vorgängerin bei den Pflegehelfern hat mir erzählt, daß ein vergessener Körperteil von dem unbewußten Drang beherrscht würde, mit seinem Körper verbunden zu werden und die Heiler oder Appariertestleute diesen Drang ausnutzten, um den zersplinterten Apparator wieder zusammenzusetzen, solange das vergessene Stück Körper nicht abstarb, was passierte, wenn der Körperteil kein Blut mehr bekäme. Sie hat mir Horrorgeschichten von Leuten erzählt, die wegen zu spät behandelter Zersplinterung mit künstlichen Beinen oder Armen herumlaufen mußten, keine Nase mehr im Gesicht hatten oder ein falsch herum angebrachtes Ohr besaßen. Denn wenn der Körperteil nicht rechtzeitig wieder angefügt wird und stirbt, so meine Schwester, gilt er als durch magie abgetrennt und somit nicht durch Regenerationszauber wiederherstellbar."
"Stimmt, das ist die Erasmus-Polyanthus-Regel von 690, die besagt, daß durch Flüche oder magisch hochwirksame Schadstoffe abgetrennte oder abgetötete Körperteile nicht durch Regenerative Zauber nachgebildet werden können. Deshalb läuft ein Drachennjäger in England mit zwei magischen Armen herum und Moody trug ein Holzbein und ein magisches Auge. Und George Weasley konnte sein abgetrenntes Ohr nicht mehr zurückbekommen", seufzte Julius. Dann meinte er nur, daß Tine halt sicherstellen wollte, daß Millie sich bei jeder übung voll konzentrierte.
Am elften August vibrierte einer der Zweiwegespiegel, die Julius immer mit sich herumtrug. Er stellte fest, daß es der war, der ihn mit Gloria verband. Da Millie längst von ihm wußte, daß er einen solchen Spiegel hatte und Gloria das auch wußte konnte er ihn bedenkenlos hervorholen. Er begrüßte Gloria. Millie setzte sich neben ihren Mann und sah auch in den Spiegel.
"Hallo ihr zwei. Ich soll euch von meinen Eltern grüßen und fragen, ob euer Haus noch steht."
"Ja, das ist noch ganz und auch alle Möbel", meinte Julius.
"Ich wollte Trixie nicht unnötig durch die Weltgeschichte schicken, um euch zu erzählen, daß Betty, Jenna und ich wegen unserer ZAGs gleich mit dem sechsten Jahr weitermachen werden. Kevin könnte zwar auch, er will aber das ZAG-Jahr noch mal machen. Seine Eltern haben ihm das erlaubt."
"Dann mußt du dich aber wohl wieder auf Wendels Verwandlungstechniken einstellen. Oder läßt du Verwandlung weg?" Erwiderte Julius.
"Betty und Jenna lassen Verwandlung aus und machen Zauberkunst, Verteidigung gegen dunkle Künste, Kräuterkunde, Muggelkunde, magische Geschöpfe und Zaubertränke", entgegnete Glorias Gesicht im Spiegel. "Ich nehme Verwandlung, Zauberkunst, Verteidigung gegen dunkle Künste, Zaubertränke, Kräuterkunde und alte Runen. Mum meinte zwar, ich sollte auch Pflege magischer Geschöpfe nehmen, um zu lernen, welche Tierbestandteile für magische Kosmetiksachen wichtig seien. Aber ich werde nach der Schule nicht in Mums Geschäft einsteigen wie Mel, da ich lieber zusehen möchte, Oma Janes Erbe im LI anzutreten. Aber das will Mum nicht hören, wohl vor allem, weil sie Angst um mich hat, mir könnte da ähnliches passieren wie Oma Jane. Als alternative habe ich einen Posten in der Handelsabteilung des Ministeriums gewählt, falls die im LI mich nicht nehmen wollen." Ihr Gesicht im Spiegel verzog sich bei diesen Worten zu einer verächtlichen Miene. Julius fragte sie, warum sie deshalb so verbittert sei. "Weil Oma Jane mal behauptet hat, daß dieses Gespenst Marie Laveaus jeden Kandidaten vorher begutachte. Und ich habe es ja schon mal versucht, Marie Laveau zu befragen. Könnten die also finden, daß ich nicht würdig genug bin, dort zu arbeiten. Na ja, wir werden sehen, was ich mache. Sind ja noch zwei Schuljahre."
"Wo wir schon fünf hinter uns haben gehen die bestimmt schnell um", entgegnete Julius darauf. Gloria bejahte das. Dann erzählte sie, daß sie Pina und Prudence wieder für lebendig erklärt hätten, nachdem die beiden klar ausgesagt hatten, daß sie in einem fidelius-gesicherten Versteck von Mrs. Watermelons Patentante ausgeharrt hatten. Prudence zukünftiger heißt übrigens Michael Whitesand und ist ein Cousin dritten Grades von ihr. Das nur, damit ihr wißt, von wem sie das Baby kriegt. Er und seine Schwester Melissa genannt Mel arbeiten wohl bei einer gewissen Lady Hidewoods und wurden bis zum ersten August 1997 für Squibs gehalten, soweit ich das mitbekommen habe." Julius nickte. Das war natürlich eine Erklärung, wie die beiden auf einmal auftauchen konnten. "Ach ja, und Filch muß vor Gericht, wenn sie die ergriffenen Todesser alle durch haben. Runcorne ist wegen mehrfacher Anstiftung zur Folter und selbst ausgeführter Flüche, darunter Imperius, in Askaban eingezogen. Er hat zu wenig Gold in Gringotts." Diesen Satz sprach sie mit unüberhörbarer Verachtung aus. Nicht weil Runcorne so arm war oder ein so großer Verbrecher war, sondern weil sie es verabscheute, daß sich Todesser ihre Haftzeit durch festgelegte Goldspenden verkürzen konnten. "Der sitzt da lebenslang, weil ihm drei Imperius-Flüche nachzuweisen waren."
"Kann sich ja nicht jeder freikaufen", bemerkte Julius beipflichtend. Gloria nickte. Dann fragte Julius, ob sie wieder Vertrauensschülerin sei. Zur Antwort erschien kurz das blau-bronzene V-Abzeichen im silbernen Rahmen des Spiegels.
"Professor McGonagall hat es als erwiesen angesehen, daß ich meine Pflicht nicht wegen groben Undanks, Ungehorsams oder Faulheit abgeschüttelt habe, sondern vor einer akuten Lebensgefahr geflohen sei. Da das ganze Jahr in Hogwarts quasi auf Anfang zurückgesetzt würde könnte ich weiter als Vertrauensschülerin dort arbeiten. Das geht auch, weil Mandy Brocklehurst aus der UTZ-Klasse Schulsprecherin geworden ist und wir in Ravenclaw deshalb eine Nachrückerin gebrauchen können."
"Die UTZ-Klasse. Wollen die von denen denn alle noch mal nach Hogwarts?" Fragte Millie. Julius ahnte, was sie damit eigentlich wissen wollte. Und auch Gloria erfaßte den Sinn dieser Frage.
"Also, die Nachricht ging noch nicht durch den Propheten. Aber soweit ich von meiner Oma Grace erfuhr, die sich um Professor McGonagalls Posten als Verwandlungsfachlehrkraft beworben hat, kommen zumindest Harry Potter, Hermine Granger und Ronald Weasley zurück nach Hogwarts. Kingsley Shacklebolt hat Harry wohl geraten, einen schriftlich bestätigten Abschluß zu machen, wenn er ins Aurorenkorps will. Hermine will wohl eh den besten Abschluß der vergangenen Jahrzehnte machen, und Ronald Weasley ist wie ich in seiner Funktion als V-Träger behalten worden, falls McGonagall den nicht gleich zum Schulsprecher macht. Die freut sich wohl auch, weil Potter als Mannschaftskapitän erhalten bleibt und sie den Quidditchpokal nach Gryffindor wandern sehen könnte. Das bringt mich auch darauf zu vermuten, daß Oma Grace nicht als Lehrerin eingestellt wird. Die ist zwar überragend gut in Verwandlung und Zauberkunst und hat viel für Verwandlung heute geschrieben. Aber sie war damals eine Hufflepuff. Und eine Hogwarts-Schulregel sagt, daß ein Lehrer nur dem Haus vorstehen darf, in dem er als Schüler gewohnt hat. Und da Professor McGonagall Gryffindor geleitet hat, muß ihre Nachfolgerin oder ihr Nachfolger auch mal da gewohnt haben, um ihre Stelle als Hausvorstand anzutreten. Dann kämen entweder Rollin McFusty, der Enkel von Angus McFusty von den Hebriden, dessen Cousine Ceridwen Barley oder jemand, von dem ich bisher nichts mitbekommen habe in Frage. Es sollen insgesamt fünf Kandidaten zur Auswahl stehen, von denen einige jedoch nicht von sich aus um den Posten gebeten haben und noch genauer umworben werden sollen."
"Ceridwen Barley? Die kann vieles ganz gut, aber vor allem Zaubertränke", wußte Julius.
"Ich kenne die Dame auch, Julius", erwiderte Gloria mit einer gewissen Biestigkeit in der Stimme. "Deshalb weiß ich auch nicht, ob ich das echt will, wenn die in Hogwarts anfängt. Aber sie ist eine Animaga. Und es könnte Professor McGonagall einfallen, sie deshalb zu engagieren."
"Deine Oma Grace, hmm, die kenne ich bisher nicht", griff Julius etwas auf, das er jetzt gerne klären würde.
"Die konntest du auch nicht kennenlernen. Bei der einzigen Feier, wo viele aus meiner Familie da waren, hat sie bewußt gefehlt, weil sie ständig Streit mit Dad und Oma Jane hatte und nicht ausgerechnet bei Oma Janes Beerdigung aufkreuzen wollte. Reuige Sünderin oder miese Heuchlerin, sowas hätten ihr sicher einige um die Ohren gehauen. Aber ich komme mit der gut aus. Die sieht in mir Mums Ableger oder sowas oder eher wohl ihren. Sie meinte, daß mein unterstrichenes O in Verwandlung ihr Erbteil sei und sie froh sei, daß ich das Fach weiterlernen wolle. Du würdest sie wohl auch mögen. Aber verscherz dir das dann nicht, indem du ihr sagst, daß du sehr gut mit Oma Jane klargekommen bist und mit ihr die Wichtel aus dem Zaubereiministerium aufs Dach gejagt hast." Julius machte "Häh?!" Millie grinste mit Gloria um die Wette und erklärte ihm, daß damit gemeint sei, jemandem gehörigen Ärger bereitet zu haben. "Ich bilde ihn noch in unserer Umgangssprache aus, Gloria", sagte Millie noch mit breitem Grinsen. Julius schluckte jede wie auch immer gemeinte Bemerkung dazu hinunter.
"Rollin McFusty? Will der nicht Drachenwärter sein?" Fragte Julius.
"Der ist der zweite Sohn von Angus' dritten Sohn und wird damit wohl kaum der Häuptling und Chefdrachenhüter der Hebriden werden. Da paßt ihm vielleicht eine anerkannte Anstellung in Hogwarts mit Aufstiegsmöglichkeit zum Schulleiter besser in den Kram."
"Ihr braucht ja auch einen neuen Hausmeister, wenn ich das gerade richtig verstanden habe", sagte Julius.
"Wer das macht weiß ich nicht", sagte Gloria. "Ich weiß nur, daß Betty, Jenna und ich mit der sechsten Klasse weitermachen, Kevin das Jahr wiederholt, weil er da bessere Prüfungsergebnisse erhofft und wohl zwei neue Lehrer anfangen. Wer Hausmeister wird weiß ich noch nicht. Das kann ich dir sagen, wenn ich wieder in Hogwarts bin, falls es nicht vorher im Tagespropheten gebracht wird. Apropos, was ist an den Gerüchten dran, daß bei euch eine Riesin untergeschlüpft ist, die ein Baby bekommen hat?"
"Das stimmt wohl", erwiderte Julius. "Sie müssen noch klarkriegen, ob sie irgendwo eingepfercht, ganz weit weg von hier freigelassen oder mit ihrem Jungen erlegt wird. Da sind sich die Zauberwesenexperten und die Strafverfolgungsleute noch nicht sicher. Im Miroir stand zumindest nichts neues und in der Temps de Liberté auch nicht."
"Na ja, weil die Kimmkorn sowas abgelassen hat, daß es bei euch was ähnliches sei wie bei Hagrid, daß eine Verwandte Madame Maximes, vielleicht deren Mutter, zu euch gekommen sei, weil sie nicht allein mit dem Baby sein wolle."
"Tja, Gloria. Riesen sind ja auch sowas von ängstlich, hilflos und anhänglich", grinste Millie.
"Jedenfalls posaunt die Kimmkorn herum, Madame Maxime müsse sich jetzt entscheiden, ob sie ihrer "großen Verwandten" helfe oder einfach so zugucken könne, wie diese umgebracht würde. Wir kennen diese Giftspritze doch. Deshalb wollte ich wissen, ob sie da nicht wieder was vom grünen Einhorn gefaselt hat."
"Was die Riesin angeht stimmt es zumindest, daß gerade eine in Frankreich ist. Mehr wissen wir hier nicht", sagte Julius. Millie nickte.
"Ihr habt wahrscheinlich auch andere Sachen um die Ohren, nicht wahr?" Fragte Gloria mit verhaltenem Lächeln. "Ihr macht doch jetzt den Ferienkurs Apparieren. Haben meine Eltern mir auch angeboten. Aber ich mach den mit den anderen zusammen in Hogwarts."
"Julius wollte ja schon aus seiner Mutter rausdisapparieren", feixte Millie und tätschelte Julius' rechte Wange. Gloria verzog leicht beschämt das Gesicht, während Julius meinte, daß Millie nicht so danebenläge. Gloria meinte darauf:
"Ich weiß, daß du gerne schon vor drei Jahren hättest apparieren wollen, Julius. Aber so drastisch wie Mildrid hätte ich das dann wohl nicht kommentiert."
"Abgesehen davon, daß ich damals wohl noch nicht gewußt hätte, wohin ich hätte apparieren sollen hätte das meiner Mutter bestimmt ein paar anstrengende Stunden erspart", griff Julius Millies Bemerkung auf. Sie grinste ihn an und nickte. Sie hatten schließlich die letzten Stunden zwischen Mutterschoß und Licht der Welt miteinander ausgetauscht.
"Wie dem auch sei. könnt ihr zwei schon einen Meter weit apparieren?"
"Wir haben es schon geschafft, mehr als vier Meter zu überspringen", berichtete Julius. "Und das obwohl Millies große Schwester sie ständig mit Gruselgeschichten von zersplinterten Apparatoren füttert, die ihren Unterleib und ihre Beine beim Apparieren zurückgelassen haben." Millie kniff ihm dafür kräftig in den rechten Arm. Gloria ging auf Julius Bemerkung ein und meinte, daß Millie dann ja dann als Frau ohne Unterleib bei den Zirkusleuten der Muggel Karriere machen könnte."
"Immerhin nicht als zersägte Jungfrau. Der Job wäre für dich noch frei, Gloria", erwiderte Millie verächtlich.
"Kein Neid, Mildrid. Wer noch hat der noch hat", konterte Gloria ebenso biestig. "Man muß schließlich nicht gleich alles ausprobieren. Zumindest schön, daß ihr beiden diesen Kurs echt gut hinkriegt."
"Wir sind noch nicht über das einfache auf Sicht apparieren raus", schränkte Julius seine und Millies Lernerfolge ein. "Zu sehen, wo es hingeht und es sich nur genau vorzustellen sind zwei paar Schuhe."
"Wer Melo kann kann auch auf reine Vorstellung hin apparieren", warf Gloria ein. Millie sah verbittert in den Zweiwegespiegel und knurrte: "Danke schön, Gloria."
"Wenn wir den Kurs nicht hätten würde ich dir das ganz sicher an einem Tag beibringen", sagte Julius.
"Neh lass ruhig, daß lerne ich bei Tante Trice, wenn wir mit dem eigentlichen Lernen durch sind, hat sie mir gesagt", erwiderte Millie.
"Gut, dann will ich euch mal in Ruhe frühstücken lassen. Ist ja schon halb acht bei euch."
"Stimmt, Gloria, wir wundern uns eh, daß du so früh aus dem Bett gefunden hast", meinte Julius.
"Ich treffe mich gleich mit Mandy Brocklehurst und Pina. Die wurde von Professor McGonagall zur V-Trägerin der Fünftklässler gekürt, weil der neuen Schulleiterin wohl irgendwer verraten hat, daß sie sehr gründlich gelernt hat. Dann noch einen erfolgreichen Appariertag und verlegt eure Beine nicht!"
"Danke gleichfalls", knurrte Millie. Julius bedankte sich freundlicher und wünschte ihr einen störungsfreien Wiedereinstieg. Dann fiel ihm noch was ein, das er jetzt noch wissen wollte:
"Was ist mit Drecksau Malfoy. Kommt der Kerl auch wieder?"
"Nein, der bleibt weg. Der ist volljährig und durch das Urteil nicht gerade in der Position, sich als Hogwarts-Schüler wieder blicken zu lassen. Wo Snape jetzt weg ist konnte Professor McGonagall seinen Eltern und ihm verdeutlichen, daß sie keinen Schüler mehr unter dem Dach von Hogwarts sehen wolle, der den Todessern geholfen habe, auch wenn er das nicht grundweg freiwillig getan habe. Aber Todesser reinzuschmuggeln und Giftanschläge auszuführen gehöre sich eben nicht für anständige Hogwarts-Schüler. Kann sein, daß seine Eltern ihn zu den achso reinblütigen Typen nach Durmstrang schicken. Mit seinen ZAGs kann der da auch UTZs machen, als achso reinblütiger Kronprinz einer alten Sippschaft", spie Gloria aus. Julius kapierte es. Millie auch. Die in Durmstrang würden Draco wohl bejubeln, daß er Todesser unterstützt hatte. Vielleicht auch nicht, wenn sie hörten, daß er es riskiert hatte, daß Mitschüler fast gestorben wären.
"Aber jetzt richtig auf Wiedersehen", wünschte Julius seiner früheren Schulkameradin noch und gab Grüße an Pina weiter.
"Wir gehen morgen ins Gelände", beschloß Michel Montferre, als Julius ohne an der Aparitionsbarriere anzuecken dreißig beinahe spielerische Apparitionen in alle Richtungen der Würfelhalle geschafft hatte. "Deine Balance zwischen Willens- und Zauberkraft ist offenbar für das Apparieren weit genug abgestimmt. Der Würfel wird dir ja schon zu klein."
"Wird meiner Frau wohl nicht gefallen, daß wir morgen schon raus dürfen", erwiderte Julius. "Die muß immer noch zusehen, genau im Mittelpunkt des Reifens zu landen. Ich komme ja auch nicht immer genau mittig an."
"Wenn es danach geht können wir morgen gerne noch eine PräzisionssÜbung machen. Da habe ich keine Probleme mit. Wir liegen exzellent im Zeitplan." Julius atmete auf. Präzisionsübungen würde er doch noch gerne machen, weil er wußte, daß das im freien Gelände einen Vorteil beim Langstreckenapparieren brachte. Dann fragte er Michel noch, ob er am vierzehnten zur Saisoneröffnung gehen dürfe. Michel Montferre sah ihn an und meinte: "Rechne nur nicht damit, daß du eine Sickel dafür von der Kursgebühr wiederkriegst, Jungchen." Doch dann mußte er lachen und sagte, daß er froh sei, wenn er seinen Töchtern beim Auftaktspiel zusehen dürfe. Die hätten ihn nämlich schon gefragt, ob er zuschauen käme. "Womöglich hätten die zwei dich noch angesprochen, ob du mir freigeben könntest", scherzte Michel Montferre. Julius lachte darüber. Das traute er Sabine und Sandra durchaus zu.
__________
Am zwölften August trafen sie sich nicht im Ministerium, sondern in Millemerveilles. Michel hatte befunden, keinen besseren Ort zu kennen, wo jemand ohne Gefahr, von Muggeln entdeckt zu werden größere Strecken apparieren könne. Julius hatte zwar ein wenig Sorge, weil Sardonias magische Glocke ihn vielleicht unsanfter zurückwerfen mochte als die Würfelhalle. Doch als Hera Matine sich zu dem Lehrer-Schüler-Gespann gesellte war ihm etwas wohler.
"Ich empfinde es als große Ehre, dir bei deinen Übungen zusehen und aus dem Hintergrund heraus helfen zu dürfen, Julius", bekräftigte die Heilerin und Hebamme von Millemerveilles. "Hier gibt es auch genug Ziele, die du schon kennst. Aber du wirst wie alle Apparierschüler ein Ortungsarmband tragen, denke ich mal. Monsieur Pierre sollte ja schließlich wissen, daß hier ein Schüler herumspringt." Michel Montferre nickte. Julius willigte ohne Zögern ein und ließ sich ein buntes Armband am linken Arm anlegen, daß mit entsprechenden Ortungsvorrichtungen des Appariertestzentrums verbunden war, aber auch mit Monsieur Pierres Überwachungsstelle in Millemerveilles. Hera Matine schickte dann noch eine Eule aus, um den Beginn der Übungen anzumelden. Eine Viertelstunde später durfte Julius von seinem Haus aus versuchen, den Dorfteich zu erreichen. Doch beim ersten Mal landete er im See der Farben. Beim zweiten Mal apparierte er knapp an der westlichen Dorfgrenze. Erst der dritte Versuch brachte ihn ans Ziel. Wenigstens hatte er sich nicht zersplintert. So mußte er nun zwanzig Übungssprünge zum Dorfteich machen, wobei er immer neben einer anderen der zwölf darum herum aufgereihten Bronzestandbilder erscheinen sollte. Das sprach sich natürlich herum, weil Caroline Renard mitbekam, wie Julius andauernd alleine apparierte, bevor Michel und Hera nachrückten. die Tochter der Gasthausbetreiber, die Julius auch schon mal versucht hatte, um ihren Finger zu wickeln, war ein wenig neidisch, weil Julius das jetzt schon lernen durfte. Zusammen mit Sandrine Dumas, die von ihr per Kontaktfeuer herübergerufen worden war, hockte sie hinter einem Fenster und bekam mit, wie Julius neben dem südwärts weisenden Drachen, der nordwärts weisenden Nixe oder dem westwärts blickenden Einhorn auftauchte.
"Ich gönn's ihm, wenn er die Prüfung im ersten Ansatz schafft", meinte Sandrine zu Caro, die leicht verbittert zusah, wie Julius von Hera Matine für die Präzision der Ankunft gelobt wurde. So feixte sie:
"Tja, ich muß ja nicht Millies Genöle ertragen, wenn die das nicht hinkriegt."
"Woher willst du das wissen, daß sie das nicht hinkriegt. Wann hast du sie zuletzt gesehen?"
"Kuck mal, Julius ist doch superstark. Der hätte schon vor drei Jahren apparieren lernen können. Millie hat sich doch mit verschiedenen Zaubern schwergetan."
"Ach so, und trotzdem auch alle nötigen ZAGs geschafft", meinte Sandrine verächtlich. Caro verzog das Gesicht und räumte ein, daß Millie wohl im letzten Jahr besser geworden sei. Sie behauptete, daß könne vom Beischlaf kommen. Damit wollte sie Sandrine wohl in schlechte Stimmung versetzen. Doch diese sagte ganz gelassen:
"Da gäbe es nur eine Möglichkeit, das zu bestätigen oder zu widerlegen, Caro, und ich hätte die besseren Voraussetzungen als du."
"Denkst du aber, kleines, braves Mädchen. Ich bräuchte nur auf den Fingern zu pfeifen und den Unterrock anheben, während du ja bei Gérards Maman erst einmal um Erlaubnis bitten müßtest, ihn so zu dir zu nehmen, wie sie den bisher alleine hatte", gab Caro biestig zurück.
"Ist aber vielleicht was anderes, wenn ein Mädchen von dem zur Frau gemacht wird, den sie sehr gern hat und nicht von einem Jungen besprungen wird, dem sie sonst total egal ist. Also bin ich in der Richtung wohl doch besser dran." Darauf konnte Caroline nur mit einem gehässigen "Ha ha ha" antworten.
Weitere Zaungäste beobachteten aus ihren Häusern oder vom Schankraum des Chapeau du Magicien die Übungen von Julius, bis Michel Montferre ihn zu einem anderen Ziel schickte.
Gegen Mittag apparierte Julius auf Anweisung Michels am Südtor der grünen Gasse. Keine zwei Sekunden darauf apparierte Camille Dusoleil neben ihm. "Ich habe gehofft, daß Michel dich mal in meine Nähe schickt. Ich wollte nicht in deine Konzentrationen reinmentiloquieren, um dich zu fragen, ob du heute mittag bei uns ißt. Millie ißt ja wohl bei ihren Eltern. Und wenn du schon mal bei uns zur kostenlosen Bewunderung herumspringst ..."
"Ich hab's mitgekriegt, daß sich ein paar neugierige Mädchen die Nasen an den Fenstern im Chapeau plattgedrückt haben", meinte Julius leicht ungehalten. "Aber ich habe mich ja nicht blamiert, hoffe ich mal. Und ich wäre ja schön dämlich, wenn ich nicht damit gerechnet hätte, daß Caro ihre Nachbarn anspitzt, mir zuzugucken."
"Dann kommst du zu uns?" Fragte Camille.
"Nur, wenn Monsieur Montferre findet, daß ich das darf", sagte Julius. "Immerhin ist er ja mein Instrukteur."
"Michel, für dich haben wir auch noch einen freien Stuhl am Mittagstisch. Möchtest du mit deinem Kandidaten zu uns kommen?" Wandte sie sich an Michel Montferre.
"Hmm, Mittagspause ist auf jeden Fall. Stimmt, der alte Galleonenschlucker Renard muß von mir keine Zeche kriegen. Und dann können wir auch gleich hierbleiben und weiterüben", sagte Michel. "der Bursche da macht den Eindruck, heute noch alle Winkel eurer kleinen Gemeinde anspringen zu wollen. Sei es drum. Dann kann ich mit ihm morgen einen reinen Theorietag machen."
"Was willst du noch von ihm lernen, wo der Jeanne zu einer großartigen Prüfung verholfen hat", scherzte Camille.
"Wir gleichen das gut aus, was diese Muggelphysiker und Rechenkünstler machen und was wir vom Testzentrum als für eine zu bestehende Prüfung unbedingt voraussetzen. Ich darf den eh nicht prüfen. Das macht dann die gute Ariane."
"Ui, doch nicht die, die Julius damals mit einem illusionären Drachen erschreckt hat", grinste Camille. Julius erinnerte sich auch noch zu gut an diese Vorführung, die ihn gleichermaßen heiter aber auch traurig stimmte. Damals hatte er den Eltern und der großen Schwester Claires die für diese gebaute Zauberlaterne mit den räumlichen Bild- und Geräuscheffekten vorgeführt. Dabei hatte er auch erfahren, daß Madame Mistral, die Mutter der Zwillinge Serge und Marc, keine Muggelsachen mochte. Das erwähnte er dann vorsichtshalber noch Michel gegenüber, daß er der wohl besser nicht mit Einstein, Newton oder der pythagoräischen Trigonometrie kommen sollte.
"Wir haben bisher immer entsprechende Aussagen von Rosebridge, Underwood und Agrestus gefunden, die das ähnlich beschreiben, was dieser Newton und dieser Einstein vermutet haben", sagte Michel. "Okay, Julius. Du bist ja fast von der netten Madame in Grün adoptiert worden und weißt, wo sie wohnt. Soweit ich weiß, umgibt ihr Grundstück kein Apparitionswall, nur das Wohnhaus ist für Familienmitglieder reserviert. Dann sehen wir uns da in sagen wir mal zwanzig Sekunden von jetzt ab!" Sagte er und disapparierte ohne Bestätigung abzuwarten.
"Du kannst das", sagte ihm Camille und tätschelte ihm über den Kopf. Julius zuckte dabei leicht zusammen, weil er diese zärtliche Berührung gerade nicht wünschte, wo er sich konzentrieren mußte. Doch es dauerte keine drei weiteren Sekunden, da verschwand er mit einer schwungvollen Drehung und scharfem Knall im Nichts. Madame Matine meinte zu Camille:
"Das machen die Glücksstoffe im Körper. wir müssen aufpassen, daß er uns nicht zusammenbricht, weil er im Freudentaumel nicht merkt, wie erschöpft er ist. Ist fast wie eine Mutter unter der Geburt."
"War mir klar, daß du sowas ähnliches sagen mußtest, Hera. Du darfst mitkommen, falls du möchtest."
"Nein, ich möchte Julius nicht beim Essen überwachen oder zumindest den Anschein erwecken, es zu tun. Abgesehen davon hat mich Begonies Enkeltochter aufgesucht und möchte mich als Hebamme anwerben, weil sie da, wo sie wohnt nur einen residenten Heilzauberer haben. Ich nutze die Stunde, mit ihr die Einzelheiten abzustimmen. Kann sein, daß sie mich danach nicht mehr haben möchte oder sehr beruhigt ist, wenn jemand da ist, der gut auf sie aufpaßt."
"Dann bis nachher, Hera", erwiderte Camille und disapparierte.
Julius war tatsäcchlich direkt vor der Haustür der Dusoleils appariert. Florymont saß dort auf einer Bank und las in einem Buch.
"Na holla, das konnte ich erst am drittletzten Tag vor der Prüfung so genau. Oder wolltest du ein Haus weiter apparieren?" Grüßte er Julius. Michel Montferre, der ja schon einige Sekunden auf der Landewiese gewartet hatte lachte.
"Anfängerglück", bemerkte Julius dazu. Michel räusperte sich mit vergnügtem Gesicht. Florymont lachte darüber nur.
"Nachdem du alle Mädels zwischen elf und achtzehn um das Cahpeau du Magicien herum konzentriert hast und Jeanne dich zweimal vor ihrer Apotheke hat apparieren und disapparieren sehen dürfen hattest du wohl echt glück, daß du nicht aus Versehen bei Blanche gegen den Wall geknallt bist", sagte Florymont und hieb Julius auf die Schultern. "Wenn Martine ihre mittlere Schwester auch so auf Trab hält wie Michel dich, packt ihr zwei wohl die praktische Prüfung."
"Na ja, hier kenne ich mich ja aus. Wird ganz sicher 'ne andere Kiste, wenn ich mal eben irgendwo hin soll, wo ich noch nie oder selten war", meinte Julius in aufgezwungener Bescheidenheit.
"Das hat Millie noch nicht aus dir rausgekitzelt, wie", seufzte Florymont. "Ich sehe es, daß du dich freust, was zu können, was du schon immer lernen wolltest. Aber du tust so, als dürftest du keinen Erfolg haben oder dich noch drüber freuen. Na ja, kommt erst mal zum essen rein, falls Michel dich nicht noch mal anderswo hinschicken möchte."
"Das waren nur vier von den angesetzten zwanzig Sekunden, zudem mit präziser Ankunft vor der Haustür, Monsieur Latierre. Ortskenntnis hilft wirklich ungemein", lobte Michel seinen Schüler. Dann meinte er zu Florymont: "Ich kriege das doch mit, daß er sich freut. Aber er hat eben gelernt, einen Teilerfolg nicht überzubewerten. Du warst in der Hinsicht nicht so zurückhaltend, weiß ich von Ariane."
"Ich kapiere es, daß wir das besser nicht weiter auswalzen sollten", grummelte Florymont und öffnete die Haustür. Denise war mit ihrer Tante Uranie und den Babys zusammen im Wohnzimmer. Julius begrüßte sie alle und erwähnte, daß Camille ihn eingeladen habe. Die Hausherrin kam dann eine Minute später dazu und ließ alle im Garten Platznehmen. Philemon und Chloé wurden in ihren Wiegen unter einem Sonnenschirm abgestellt. "Hera wird noch den ganzen Nachmittag mit unserem Gast zusammensein, um notfalls einzugreifen, falls ihm was passieren sollte. Sie hat aber schon angekündigt, daß wir zwei morgen mit den Kleinen von ihr inspiziert werden", wandte sich Camille an ihre Schwägerin. Diese grummelte nur, daß die alte Glucke sie langsam in Ruhe lassen könnte. Immerhin hätten sie und Philemon sich ja aneinander gewöhnt. Julius hörte nicht hin. Denn Jeanne apparierte im Garten.
"Dann muß ich dich nicht mehr mitnehmen, wenn Bruno mir Vivianes Geschwisterchen zum Tragen gibt", scherzte sie.
"Wohnt Viviane jetzt bei ihrer Patentante in Brüssel?" Fragte Julius. Denn Viviane Aurélie Dusoleil war seit dem ellften August bei Barbara van Heldern in Belgien.
"Die hole ich morgen wieder nach Millemerveilles. Nicht das die stramme Barbara meint, an ihr zu üben, wie sie zwei Kinder gleichzeitig aufziehen kann."
"Tja, muß sie ja üben", erwiderte Julius. Jeanne nickte schwerfällig. Dann mentiloquierte sie: "Sag's keinem weiter, auch nicht Millie! Aber ich fürchte, Barbara hätte lieber eine Tochter gekriegt und nutzt das aus, Vivianes Patin zu sein. Aber sie kann ja jetzt wieder hoffen."
"Und wenn Gustav nur Jungs machen kann?" Schickte Julius zurück.
"Dann hat die sich den auf den Besen geholt und nicht ich", kam Jeannes unhörbare Antwort. Beide blickten einander ruhig und konzentriert an. Erst als Michel und Jeannes Verwandte sich an den Tisch setzten plauderten sie über den Morgen. Julius erwähnte, daß er Sandrine und Caro zusammen im Chapeau gesehen hatte.
"Ui, könnte Sandrine einfallen, ihrem süßen auch einen Ferienkurs schmackhaft zu machen. Aber der wird ja erst im Februar siebzehn", meinte Jeanne. Julius nickte. Danach sprachen sie über den bisherigen Kurs und über das anstehende Quidditchspiel am vierzehnten. Jeanne zettelte eine nicht ganz ernst gemeinte Zankerei mit Michel Montferre an, daß die Mercurios sowieso gewinnen würden, was dieser als Fürsprecher seiner Töchter natürlich nicht so stehen lassen wollte. So verging das Mittagessen, wobei Camille Julius mit der Übung einer mehrfachen Mutter ohne strenges Wort oder Vorhaltung dazu brachte, genug zu essen, um nicht nur satt, sondern gestärkt zu sein. Da sie nach dem Essen nicht gleich weiterüben wollten durften Jeanne und Florymont mithören, wie Michel Julius abfragte. Dann ging es noch einige Male durch das Dorf, wobei Michel Julius Seit an Seit irgendwo hinbrachte und ihn fragte, wie weit sie jetzt vom jeweiligen Ausgangspunkt entfernt seien. Er mußte dann so oder so dorthin zurückkehren. Michel Montferre nannte das die Orientierungseinheit, um später intuitiv Entfernungen und Richtungen auswählen zu können. Am späten Nachmittag durfte Julius vor dem Apfelhaus apparieren. Michel nahm ihm das Armband ab und erinnerte ihn daran, morgen wieder ins Ministerium zu kommen, weil das sich gehöre, daß der Schüler den Lehrer an der offiziellen Ausbildungsstatt aufsuche. Da apparierte Millie mit leisem Plopp keine zwanzig Meter entfernt. Keine halbe Sekunde später erschien auch Martine mit leisem Piff aus leerer Luft.
"Ups, die sind ja auch schon da", grüßte Martine lächelnd. "Ich wollte meiner kleineren Schwester nur den Gefallen tun, sie vor die Tür zu bringen. Wußte ja nicht, daß ihr die sturmfreie Bude ausgenutzt habt."
"Konnten wir wissen, daß du deine Mittelschwester doch noch heute unter deinem Rock rausläßt?" Gab Michel derb zurück. Millie funkelte ihn dafür verdrossen an, strahlte dann aber ihren Mann an, als sie sich abgetastet und alles was ihr angewachsen war vorgefunden hatte.
"Ähm, Du verwechselst die Verwandtschaft, Michel. Ich bin Mildrids Schwester. Ich hatte die nicht unterm Rock. Und sie würde sich wohl auch sehr bedanken, wenn ich mir einfallen ließe, sie dort unterkommen zu lassen."
"Das du um mich herumläufst reicht mir aus, Tine. Du mußt nicht auch noch für mich rumlaufen. Danke für das Angebot!"
"Na, wie redest du mit einer amtlichen Lehrkraft, Mildrid Ursuline", erwiderte Martine.
"Dann müssen Sie auch Madame Latierre zu mir sagen, Mademoiselle Latierre", feuerte Millie zurück.
"Okay, ich leg dich hier mal ab, damit du dich von mir erholen kannst, Millie", schnarrte Martine. "Erholen heißt gut essen, viel Trinken und vor allem lange genug schlafen. Und so wie ich das sehe gilt das auch für Sie, Monsieur Latierre."
"Gegessen und getrunken habe ich heute Mittag schon eine ganze Menge", erwiderte Julius. Dann beglückwünschte er seine Frau, daß sie so leise und zielgenau apparieren konnte.
"Wir waren schon in der Rue de Camouflage, nachdem ich Martine zu häufig richtig im Zielreifen appariert bin", knurrte Millie.
"Dann bis morgen, Mittelschwester", flötete Martine und disapparierte, nachdem Millie sich auch verabschiedet hatte.
"Ist schon ein großartiges Gefühl, einfach irgendwo hinspringen zu können", meinte Millie. "Tante Trice prüft ja immer, ob ich nicht doch was von mir zurücklasse. Aber irgendwie findet die nichts. Morgen darf ich richtig ins freie Gelände. tine wird sich wohl mit Michel absprechen müssen, wo er mit dir und tine mit mir üben."
"Dann darfst du morgen vor Sandrine, Caro und den anderen Mädchen herumapparieren", meinte Julius und erzählte seiner Frau, wie der Tag für ihn gewesen war.
Abends aßen sie reichlich Speckpfannekuchen, die Julius nach einem Rezept seiner Uroma Hillary mit Mildrid zusammenkochuspokuste. Sie sahen noch eine Spätausgabe der Fernsehnachrichten im Geräteschuppen. Dann wurde es auch schon wieder Zeit Für's Bett.
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Am Morgen des vierzehnten Augustes trötete Julius' Pappostillon, daß er eine Nachricht für ihn zustellte.
An Julius Latierre
Hippolyte Latierre
Betrifft: Treffen in Paris
Hallo Millie und Julius!
Das Spiel fängt um zehn Uhr an.
Bitte kommt eine halbe Stunde vorher zu uns ins Honigwabenhaus!
Bringt bitte die beiden Eintrittskarten mit, sonst bin ich blamiert, wenn es in die Loge gehen soll!
Bis dann!
"Ist ja nett, daß wir durch die Minitemmie immer früh genug geweckt werden", meinte Millie zu Julius. Dieser nickte nur bestätigend.
Es war schon etwas anderes, wegen eines Quidditchspiels aus dem Haus zu gehen und nicht um weitere anstrengende Apparierstunden zu haben. Auch wenn Julius jetzt sehr wild darauf war, bald schon geprüft zu werden, um möglichst noch zwei Tage vor dem neuen Schuljahr einige Sprünge durch die Gegend zu machen, hatte er doch lernen müssen, daß diese überragende Reiseform ihre Tücken hatte. Nicht, daß er sich jemals zersplintert hätte. Doch der gestrige Tag hatte ihm gezeigt, daß eine hohe Grundkraft auch hinderlich sein konnte. Die Raketenrollschuhe, wie er seinen Zauberkraftüberschuß genannt hatte, hatten ihn viermal vom ausgewählten Ziel abweichen lassen. Da Millie nun in Millemerveilles trainierte, hatte Monsieur Montferre ihn in der weiteren Provence üben lassen. Dabei war er einmal in Calais statt Paris gelandet, hatte fast ein Bad im Mittelmeer genommen, obwohl er eigentlich hundert Kilometer weiter nördlich apparieren sollte und hatte aus Versehen die Staatsgrenze nach Spanien überschritten, was eine kurze Diskussion mit den Apparitionsüberwachern der iberischen Zaubereiverwaltung ausgelöst hatte. Doch die letzten zehn Versuche hatten ihn an die von ihm anzusteuernden Ziele getragen. Michel Montferre hatte ihm daraufhin bescheinigt, daß sich jetzt auch die Fernwirkung seiner Grundkraft auf ein verträgliches Maß mit seiner Vorstellungskraft eingependelt habe. Die nächsten Tage sollten sich dann in Theorie und Praxis abwechseln, um auszuloten, ob sich der Kraftüberschuß nach einem Tag Pause wieder störend bemerkbar machte oder nicht. Michel hatte Julius jedoch was den Durchblick durch die Apparitionstheorien von Kasimir Rosebridge und Locustus Underwood anging sowohl eine große Auffassungsgabe und eine hilfreiche Vorstellungskraft bescheinigt, wohl auch, weil es in der Muggelwelt erfundene Geschichten gab, die das phantastische Unternehmen, Materie über große Strecken zu versetzen behandelten, teilweise in einem Augenblick, teilweise in Form mysteriöser Energiestrahlen. Was davon den zaubererweltlichen Erkenntnissen entsprach konnte Michel so fast spielerisch erarbeiten.
Millie hatte sich den wasserblauen Umhang mit dem aufgedruckten weißen Pelikan angezogen, während Julius den leuchtendgelben Umhang mit dem goldenen Aufdruck eines geflügelten Stiefels als Bekenntnis zu den Mercurios zugelegt hatte. Das würde bestimmt lustig, wenn die beiden sich gegenseitig aufzogen oder anstachelten, je nach Spielstand.
Durch den Kamin ging es direkt ins Honigwabenhaus, daß im Flohnetzadressregister jedoch "Maison Mardi", das Dienstagshaus, eingetragen war, weil Albericus bei der Antragsstellung damals berauscht vom Hochzeitsfest den Wochentag angegeben hatte. Womöglich würden die Latierres in Paris einen Abänderungsantrag durchbekommen, der bei einer der nächsten Regulären Flohregulierungsratssitzungen besprochen wurde. Es galt nämlich, den Anschluß der Latierres in Paris nicht mit dem Anschluß Madame L'ordouxes zu verwechseln, die unter "Maison de Miel", Honighaus, zu erreichen war. Doch im Moment galt es erst einmal, mit der Verwandtschaft ins Stadion zu gehen. Von wegen der Verwandtschaft, stellte Julius fest, als sie nur mit der Leiterin der Spiele-und-Sport-Abteilung weiter ins Stadion außerhalb von Paris flohpulverten. Auch Hippolyte trug den Umhang der Pelikane und hatte auch einen kleinen, wasserblauen Hut aufgesetzt, auf dessen Spitze ein verkleinerter Pelikan thronte.
Das Stadion wurde gut besucht. Auch wenn selbst die Karten für die unteren Plätze, von denen man aus nur mit dem Kopf im Nacken gut sehen konnte schon zehn Galleonen kosteten, war das Interesse riesig. Hippolyte hatte ihrer mittleren Tochter und ihrem Schwiegersohn natürlich Ehrenlogenplätze mitbesorgt. Miriam würde mit den Zwillingen von Barbara Latierre zusammen den Tag verbringen. So hatte Hippolyte genug Freiraum. In der Ehrenloge warteten bereits viele Angehörige der verschiedenen Spieler, wie Laura Rocher, die Oma von César oder die Eheleute Chevallier und Jeanne Dusoleil, die heute ohne ihre kleine Tochter Viviane erschienen war, um ihren Mann anzufeuern. Julius begrüßte die Dorniers. Céline zwinkerte Millie zu und rief über den Lärm der anderen Zuschauer hinweg: "Ich kriege auch 'nen Platz in der Ehrenloge." Ihr Vater begrüßte Julius und erkundigte sich, wie weit sein Apparierkurs gedieh. Julius übte sich mal wieder in Bescheidenheit und antwortete, daß er froh sei, keinen zu engen Zeitplan einhalten zu müssen, um in Ruhe alles einzuüben, was für die Prüfungen wichtig sei, er aber schon einige Dutzend Meter auf einmal überwinden könne. Agilius Dornier meinte, daß seine Schwester Michelle damals lieber auf den Schulkurs verzichtet habe, weil ihr da alle ja zusehen konnten, sie aber bei ihrer Bewerbung bei den Ganymed-Werken daran erinnert worden sei, als Besentesterin einen bestandenen Apparierkurs vorweisen zu müssen, um notfalls vom flugunfähigen Besen aus in Sicherheit zu disapparieren. Julius faßte dies als inoffizielle Anwerbung für die Ganymed-Besenbauer auf. Doch noch würde er zwei Schuljahre überstehen müssen. Cythera saß bei ihrer Mutter auf dem Schoß. Sie trug eine Mütze in den Farben der Pelikane. Constance lächelte Julius an. Er lächelte zurück und ging kurz hinüber, um sie zu begrüßen.
"Ich habe die Apparierprüfung geschafft. Zweiundneunzig von hundert. Wie ich höre dürfen Millie und du noch vor Céline geprüft werden." Julius gratulierte ihr zu diesem sehr guten Ergebnis und bestätigte ihre Vermutung. Dann kehrte er zu seiner Frau und seiner Schwiegermutter zurück. Hippolyte begrüßte gerade den Geschäftsführer der Pelikane und den der Mercurios. So konnte Julius seiner Frau sagen, daß Connie Dornier zweiundneunzig Bewertungspunkte in der Apparierprüfung abgeräumt hatte.
"Da kommst du locker drüber, Julius. Ob ich das schaffe hängt dran, ob Tine mir nicht wieder Springen im sicheren Häuschen verordnet", grummelte Millie. Julius sah diese Antwort als Aufforderung, seiner Frau Mut zu machen und erwiederte, daß Tine sich bis auf die Knochen blamieren würde, wenn sie ihrer Schwester nichts beibringen könnte. Millie grinste nur darüber.
Nachdem Julius die ihm bekannten Logenbesucher artig begrüßt hatte setzte er sich zwischen seine Frau und seine Schwiegermutter hin. Er fiel in seinem Mercurios-Umhang richtig zwischen den aufgereihten Pelikan-Anhängern auf. Jeanne mentiloquierte ihm, daß er rein optisch besser bei ihr und ihren schwiegereltern platznehmen sollte. Doch Julius verneinte das, weil er die Karten ja geschenkt bekommen habe und er auch so gut saß.
Viele Zuschauer hatten Fanfaren mit, die die Rufe von Pelikanen imitierten oder bliesen in große, schneckenartig gewundene Hörner, die einen Höllenlärm machten und einen lauten, gleichförmigen, teils auf einem Ton, teils leicht dissonanten Klangteppich woben. Julius fragte sich, wer denen da unten geraten hatte, so einen nervtötenden Krach zu machen. Das würde doch schon reichen, wenn die Meute da unten laut jubelte. Die Anhänger der Mercurios hatten mit Schallverstärkungszaubern belegte Glöckchen mitgebracht oder hielten mit Schlaginstrumenten von der schallverstärkten Triangel bis zur Zugpauke gegen den Trötenlärm der Pelikan-Anhänger. Kurz vor dem offiziellen Anstoß des Spiels trafen weitere Ehrenlogengäste aus Millemerveilles ein, darunter die Eheleute Delamontagne mit ihrem Sohn Baudouin, der von seinem Vater in einem besentauglichen Tragekorb über der Schulter getragen wurde. Eleonore sah leicht verstimmt auf Millies Aufmachung. Doch diese schenkte ihr dafür nur ein Lächeln. Dann wirkte der Stadionsprecher den Sonorus-Zauber und begrüßte alle Anwesenden. Ein einziges Tröten und Trommeln erfüllte das knapp fünfzigtausend Zuschauer fassende Stadion. Die, die kein Blasinstrument spielen mußten jubelten lautstark. Dann wurden die Spieler aus ihren Wartezonen aufgerufen. Julius sah sofort den breitgebauten, fast kohlschwarz getönten Neuling bei den Pelikanen, Simba Rafiki, unschwer als Sohn afrikanischer Einwanderer zu erkennen. Er würde heute seinen Einstand als Hüter geben. Im Sportteil des Zauberspiegels hatte man ihn als kenianischen Kleiderschrank bezeichnet. Seine Großmutter Levande war sogar von Gilbert Latierre interviewt worden. Diese tauchte gerade im Aufruf der weiteren Pelikane in der Ehrenloge auf und machte eine abbittende Geste gegenüber den Familienangehörigen der Spieler, die ihretwegen aufstehen mußten. Julius wußte, daß die Tochter einer afrikanischen Medizinfrau und eines europäischen Zauberers, der die archaische Magie der afrikanischen Stämme erforschen wollte, bei der Befreiung von Friedenslager fünf und damit der Startreiberinnen Sabine und Sandra Montferre entscheidend mitgeholfen hatte. Doch im Moment hatte er keine rechte Aufmerksamkeit für die exotische Hexe mit der dunkelbraunen Naturkrause. Denn gerade fegten die Montferre-Zwillinge auf ihren Besen über das Stadion hinweg und sausten im halsbrecherisch anmutenden Sturzflug zu ihren bereits aufgestellten Mannschaftskameraden hinunter. Die Pelikane hatten noch ein paar Neuzugänge aufzubieten. So spielte der bisher bei den Dijon Drachen erfolgreiche Antoine Dubois nun als Jäger für die Pelikane. Sein Erscheinungsbild erinnerte an einen Helden der nordischen Sagenwelt. Groß, mit schulterlangem, hellblondem Haar. Nur die moosgrünen Augen paßten nicht so ganz zu diesem nordischen Heldenbild, stellte Julius insgeheim fest. Dann wurde "mmmmmmichelle Dorrrrrrrrrnieeeeeeer!" ausgerufen. Der Jubel der Pelikan-Fans erreichte die absolute Schmerzgrenze. Da flog sie auch aus der Luke auf der Seite ihrer Mannschaftskabine, die schlanke, schwarzhaarige Hexe, die alle zwei Spiele für die Pelikane suchen durfte.
Die Mercurios, die als Gastmannschaft aufspielen sollten, hatten keine nennenswerten Änderungen in ihrer Mannschaft vorgenommen. Nur Polonius Lagrange war nicht mehr bei ihnen. Bruno Dusoleil hatte sich als Führungsjäger durchgesetzt. Für Polonius trat nun der drahtige Bombus L'ordoux auf, den seine Großtante Begonie für die Mercurios hatte begeistern können. César durfte wieder Hüter spielen, während Janine Dupont als Sucherin die wichtigste Position in der Mannschaft erfüllte. Nadine Pommerouge und Eugène Vouvier sollten die Klatscher von ihren Leuten fernhalten, was bei der überragenden Spielweise der Montferre-Zwillinge alles andere als ein leichter Job sein würde.
"Begrüßen wir unseren heutigen Schiedsrichter, den ehemaligen Paradejäger der Dijon Drachen, Monsieur Tiberius Montargent!" Rief der Stadionsprecher. Doch längst nicht alle jubelten dem Spieler im schwarzen Umhang zu. Julius erinnerte sich an Zeitungsmeldungen, denen nach Montargent für Didier gearbeitet haben sollte, ohne unter dem Imperius gestanden zu haben, jedoch ein zu kleines Licht gewesen sei, um ernsthafte Probleme mit der Justiz befürchten zu müssen. Ein klassischer Mitläufer, der sehr schnell seinen Mantel in den vorherrschenden Wind hängte, wie Gilbert Latierre es mit einer unüberhörbaren Verachtung in seiner Zeitung bezeichnet hatte. Gerüchte vermeldeten, daß Montargent an der Aufdeckung der angeblichen Verschwörung der Pelikane gegen Didiers Ministerium beteiligt gewesen sein sollte. Das machte ihn für Leute wie die Montferre-Zwillinge sicher nicht gerade zum Sympathieträger. Der Stadionsprecher erkannte die sich aufschaukelnde Ablehnung gegen den Schiedsrichter und rief: "Leute, jeder hat das Recht, seine Meinung zu äußern. Und wir wollen uns doch nicht den Tag verderben lassen, weil einige Gerüchte Monsieur Montargent unterstellen, er habe in der Didierzeit ganze Mannschaften belastet. Unschuldig bis zum Beweis der Schuld, Messieursdames. Und ihm konnte keine schädliche Handlung nachgewiesen werden. Also gebt ihm eine faire Chance."
"Soviel zum Neuanfang", knurrte Hippolyte. "Ich darf wohl nachher wieder Interviews geben, warum ich Montargent für das Eröffnungsspiel zugelassen habe, wenn die Pelikane verlieren sollten. Und wenn sie gewinnen sollten werde ich wohl gefragt, ob ich dem Schiedsrichter die Anweisung zur Wiedergutmachung erteilt habe. Dabei hat der Zaubergamot ihn von der Denuntiation gegen die Pelikane freigesprochen."
"Dann sollte der sich vielleicht einen anderen Beruf suchen", meinte Julius. "Wenn jemand im Sport ein ramponiertes Bild hat kann der das nicht durch ein Weiter-so reparieren."
"Julius, ich glaube nicht, daß du dir einen anderen Beruf suchen würdest, nur weil dir jemand vorwirft, du hättest ihm was getan, ohne daß dir das bewiesen werden kann. Ich habe Tiberius gefragt, ob er sich nicht im Ministerium einen unauffälligen Posten geben läßt. Aber der will noch Schiedsrichter bleiben. Da ich keine rechtliche Handhabe gegen ihn habe und nicht willkürlich Leute rauswerfen will, kann ich nichts anderes machen, als ihn machen zu lassen. Denkst du, mir schmeckt das, daß so ein kleiner Opportunist mit weißer Weste aus dem Sumpf rausgekommen ist? Didier hat mich schließlich als eine der ersten gefeuert. Und Montargent hätte bestimmt nicht nein gesagt, wenn Didier ihm meinen Bürostuhl angeboten hätte", schnaubte Hippolyte weiter. "Also bleibt mir und uns allen hier nichts übrig, als zu hoffen, daß er als Schiedsrichter fair bleibt."
"Ja, aber dann solltest du die Vorwürfe prüfen, er habe private Aufzeichnungen von Spielern zu ihrer Rolle im Didier-Regime, Hippolyte", meinte Michel Montferre. "Du hättest ihm zumindest nicht gerade das so öffentlichkeitswirksame Eröffnungsspiel überlassen sollen."
"Ich rede in deine Kompetenzen nicht hinein, Michel und bin dir verbunden, wenn du das mit meinen auch so hältst", schnarrte Hippolyte. Julius konnte seiner Schwiegermutter die Wut ansehen, die sie nur mit Mühe zurückhielt. Dabei hätte die doch die Möglichkeit, die Einteilung der Schiedsrichter zu regulieren. Zumindest dachte er das. Doch als er sie fragte, erwiderte sie, daß die Schiedsrichter per Zufallsrad ausgesucht würden, um eine Bevorzugung bestimmter Mannschaften zu verhindern. Dann ging das Spiel los.
Der neue Hüter der Pelikane war ein Bollwerk. Diese klare Feststellung mußte Julius machen, als nach fünf gespielten Minuten immer noch kein Tor für die Mercurios gefallen war. Rafiki wirbelte im Torraum und schien intuitiv zu wissen, wo der Quaffel langfliegen würde, um ihn innerhalb seiner Spielzone vor Jägern zu schnappen oder sich rechtzeitig in die Flugbahn zu werfen, um ein Tor zu vereiteln. Außerdem schlug er den scharlachroten Spielball immer soweit ins Feld zurück, daß der Quaffel fast schon bei César durch einen Torring flitzte. Zwar war César auch sehr fit auf dem Besen. Doch die fünf Treffer für die Heimmannschaft konnte er dennoch nicht verhindern. Die Jäger der Pelikane konnten ihre Angriffe meistens im Schutz ihre Gegner aus dem Feld drängender Klatscher vortragen. Die rothaarigen Zwillinge hatten mit ihren Jägerkameraden eine optimale Abstimmung erreicht. Bruno war der einzige, der es immer mal wieder schaffte, vor dem gegnerischen Torraum aufzukreuzen. Doch an dem kenianischen Kleiderschrank scheiterte er immer.
"Hoffentlich hat der nix eingeworfen, um so schnell und vorausschauend zu sein", sprach Julius seiner Frau ins linke Ohr, als gerade wieder ein Tor der Heimmannschaft bejubelt wurde.
"Dann würden die Pelikane jeden erspielten Punkt verlieren, falls das stimmte, Julius", erwiderte Mildrid nur. Natürlich wußte sie, daß Julius den hochpotenten Zaubertrank Felix Felicis meinte, der Beweglichkeit, Intuition und Auffassungsgabe so verstärkte, daß dem davon trinkenden alles gelang, was er für die Dauer der getrunkenen Dosis anstellte. Daher war dieser Trank bei Wettkämpfen, Sportveranstaltungen und Prüfungen jeder art verboten, ähnlich wie Kraft- und Ausdauerverstärker.
"Ups, da hätte es Monsieur Montargent fast vom Besen gezimmert", feixte Millie, als ein von Sandra Montferre gedroschener Klatscher nur um Haaresbreite am verlängerten Rücken des Schiedsrichters vorbeizischte.
"Ich glaube, daß hätte der gefallen, den Schiedsrichter abzuschießen", grummelte Julius. Er konnte sich vorstellen, daß die Montferre-Schwestern eine Stinkwut auf Montargent hatten, falls die an die Behauptungen glaubten, er habe die Pelikane als Umstürzler hingehängt, weswegen die beiden Hexen ja im Friedenslager fünf gelandet waren.
"na, unterstellt der guten Sandra bloß nicht, sie wolle Montargent vom Besen hauen!" Mahnte Hippolyte. "Selbst wenn die einen Grund dazu hätte, ihn über dem Feld herunterzuschlagen würde sie mehr Ärger kriegen, als er wert ist."
Millie beugte sich an Julius vorbei und rief ihrer Mutter zu: "Der muß halt aufpassen, nicht zu nahe an die Klatscher zu kommen! Die Dinger sind ziemmlich hart!"
"Und da ist das erste Tor der Mercurios in der sechsten Spielminute!" Rief der Stadionsprecher über das Buhen und protestierende Blöken und Quäken der Fanfarenbläser hinweg. Es war komischerweise kein direkter Torwurf, sondern eigentlich ein aus der Feldmitte abgeworfener Paß, der bei Bruno landen sollte, und den er scheinbar nicht hatte annehmen können, weil Rafiki sich sofort in Brunos Flugbahn warf. Dadurch war der Ball jedoch ungehindert an dem dunkelhäutigen Hüter vorbeigesegelt und durch den mittleren der drei Torringe gedrungen. Somit war auch verständlich, daß die Fans der Mercurios nicht nur jubelten, sondern auch lachten, weil der bisher so unüberwindliche Hüter zu früh aus seinem Torraum gekommen war.
"Immerhin sind die Mercurios auf dem Platz", kommentierte Julius die ersten zehn Punkte der Spieler aus Millemerveilles.
"jetzt werden die Pelikane wohl voll auf das andere Tor draufgehen", vermutete Millie. Julius nickte. Das war zu erwarten. Und die Mercurios hatten auch genau mit dieser Reaktion gerechnet. Denn sie hielten die Klatscher so im Spiel, daß die gegnerischen Jäger nicht in den Torraum kamen. Erst als Sabine Montferre unter Bruno hindurchtauchte und einen der Klatscher von unten forthieb, konnten ihre Kameraden zehn wichtige Meter näher zum Torraum aufschließen. Sandra trickste Nadine aus, die den noch auf Spielhöhe herumflitzenden schwarzen Ball gerade auf Dubois hetzen wollte, der sich einen Blockiertanz mit Bruno Dusoleil lieferte. Sie hielt den Schläger so, daß der Klatscher beim Abschlag Nadines davon abprallte und genau auf César Rocher zuflog. Antoine Dubois brach nach oben aus und sprang über Bruno, der versuchte, durch den Rosselini-Raketenaufstieg hinter dem Jäger im Pelikan-Umhang herzusetzen. Dubois deutete auf den Quaffel, der gerade von seinem Kameraden angenommen worden war und erhielt keine zehntelsekunde später den roten Ball, den er im schnellen Flug nach vorne brachte und an dem unter dem Klatscher durchtauchenden César vorbei durch den linken Torring schmetterte.
Allerdings fingen sich die Pelikane ein sehr schnelles Gegentor, weil nach dem Torschrei die Mercurios eine in der Luft schlingernde Längskette aus Jägern bildeten, die in einem schnellen Vorstoß Rafiki überraschte, der gerade erst auf seine Position zurückkehrte. Doch ab da gab es für mehr als zwanzig Minuten nur das Spiel auf ein Tor, nämlich das, vor dem César Rocher wachte. Dieser wuchs gerade über sich selbst hinaus und parierte von zehn kräftigen Würfen ganze acht mit weiten Rückprallaktionen, die fast von den Jägern der Mercurios zu überraschenden Treffern verwertet wurden. Doch Rafiki hatte aus seinen Patzern gelernt und blieb schön in seinem Torraum, um nur dann einzugreifen, wenn der Ball wirklich kurz vor einem der Ringe war. So stand es nach fünfundzwanzig Minuten schon fünfzehn Tore zu dreien für die Heimmannschaft. Julius vermutete schon, daß die Mercurios heute heftig baden gehen würden. Sollten die Pelikane auch noch den Schnatz erwischen ... Da sah er den kleinen goldenen Ball, der genau über Rafikis rechtem Torring in der Sonne blitzte. Julius suchte sofort die beiden Sucherinnen. Michelle Dornier und Janine Dupont zirkelten noch über dem Spielfeld. Doch dann stieß Janine übergangslos nach unten. Michelle folgte ihr. Doch Janine flog nicht zum Torraum der Gegner, sondern zu dem der Mercurios. Michelle blieb ihr für eine Sekunde am Besenschweif. Dann erkannte sie, daß Janine sie wohl verladen wollte und wirbelte auf ihrem Besen herum. Janine erkannte, daß ihre Ablenkungstaktik wohl danebenging und führte den Dawn'schen Doppelachser aus, der im Publikum einen Ausruf des Erstaunens auslöste. Sie trieb den Ganymed 10 so heftig an, daß der Rennbesen förmlich durch die Luft sprang. Zwei schwarze Geschosse folgten ihr. Michelle wollte gerade an Rafiki vorbei. Doch dieser wurde gerade von Bruno und seinen beiden Jägerkameraden veranlaßt, nach oben zu hechten, um den Quaffel zu fangen. Michelle konnte gerade noch eine halsbrecherische Halbdrehung nach rechts und einen 20-Grad-Anstieg einleiten, um ihrem Kameraden nicht vor den Kopf zu krachen. Janine doppelachserte flink nach links und oben und dann wieder nach rechts und unten, als sie über dem Tor war. Der Schnatz schwirrte gerade wieder los, um sich einen anderen Wartepunkt zu suchen. Janine war ihm aber jetzt auf den silbernen Flügeln und warf sich nach vorne. Michelle Dornier kam gerade aus dem Gewühl aus Jägern und eigenem Hüter frei und stieß in die Flugbahn der gegnerischen Sucherin. Diese ließ gerade den rechten Arm vorschießen. Da krachte einer der Klatscher mit voller Wucht gegen den Ellenbogen der Sucherin im gelben Umhang und fegte den arm nach links um Janines Körper herum. Michelle stieß beide Hände nach vorne, um den Schnatz zu erwischen. Doch der war nicht mehr da. Erst als die immer lauter werdenden Rufe der Erregung zu einem lauten Jubelorkan der Mercurio-anhänger wurden, erkannte sie wohl, daß sie einen Sekundenbruchteil zu spät zugepackt hatte. Obwohl Janines Arm nun angeschlagen herabhing und die Sucherin die Zähne zusammenbeißen mußte, weil der Schlag ihr sicher höllisch eh tat, konnten doch alle den Triumph in ihren Augen sehen. Denn in der rechten Faust glitzerten vier silberne Flügel, die wild schwirrend schlugen. Janine hätte den Schnatz sicherlich gerne länger festgehalten, ihn zum Zeichen des Sieges hochgereckt. Doch der Treffer am Ellenbogen hatte ihr die Kraft dafür geraubt. So wand sich der goldene Ball aus der immer lockerer werdenden Umklammerung und wirbelte wie eine aufgescheuchte Wespe davon. Doch jeder hier hatte gesehen, daß Janine den Schnatz erwischt hatte. Das allein zählte.
"Die Mercurios aus Millemerveilles gewinnen durch Duponts todesverachtenden Einsatz mit einhundertachtzig zu einhundertfünfzig Punkten das Auftaktspiel der diesjährigen Liga, Messieursdames!" Machte es der Rufer amtlich, daß die vorhin noch so hoffnungslos unterlegenen Gäste am Ende doch triumphieren durften. Julius jubelte mit. Er trug ja den Umhang der siegreichen Mannschaft. Die lauten Tröten und Hörner schafften es zwar, den Lärm der jubelnden Mercurios auszugleichen, aber nicht, ihn zu übertönen. Die Mercurios flogen drei Ehrenrunden über das Stadion und winkten ihren Anhängern zu. Janine war jedoch gelandet und ließ sich von Heiler Delourdes am rechten Arm behandeln.
"Von wem hat die deine Doppelachse gelernt, Julius?" Fragte Millie ihren Mann. Dieser mußte einräumen, es ihr nicht beigebracht zu haben. Er wandte auch ein, daß nur Janine den Doppelachser gelernt hatte, weil die Mercurios damit wohl kaum so viele Tore hätten schlucken müssen.
"Dann bleibt aber immer noch die Frage, von wem sie den hat", knurrte Millie. denn ihr ging auf, daß die Mercurios damit wohl den anderen Mannschaften gut überlegen sein konnten. Außerdem hätte Janine den Schnatz nicht erwischen können, wenn sie dieses Manöver nicht mehrmals hintereinander ausgeflogen hätte.
"Das klären wir nachher", meinte Julius. Er hatte zwar kein Problem damit, daß jemand Aurora Dawns Doppelachser lernte. Doch er war davon ausgegangen, daß entweder sie selbst oder er es jemand anderem beibringen mußte. Da er das bei Janine nicht getan hatte, wollte er zumindest wissen, von wem die den hatte.
"Verboten ist der nicht, Millie", meinte Hippolyte, die nach der ersten Enttäuschung, die Heimmannschaft so unverhofft verlieren gesehen zu haben, wieder ganz ruhig war. Wer richtig enttäuscht war war Michel Montferre, der seinen Töchtern den Auftaktsieg gegönnt hätte. Wußte der von seinen Töchtern, daß Julius dieses Manöver beherrschte? Falls ja, dann konnte das in den nächsten Tagen noch lustig werden, dachte Julius. Auch deshalb sollte er wohl klären, von wem Janine diesen Flugtrick gelernt hatte.
Nachdem die Fans der Pariser Pelikane ihren Unmut über den abrupten Verlust der Partie lange genug hinausgetrötet und gerufen hatten stießen sie wüste Schimpfchöre gegen den Schiedsrichter aus, weil der drei angeblich gerechtfertigte Strafwürfe für die Pelikane nicht hatte ausführen lassen. Dann hätten die immerhin genausoviele Punkte. Julius sah gerade noch, wie die Montferres sich bei Janine erkundigten, die gerade ihren Arm wieder zu bewegen versuchte. Die ersten Zauberstäbe wurden im Publikum sichtbar. Montargent, der gerade noch über dem Spielfeld flog, mußte einer unangekündigten Salve aus blauen und roten Blitzen ausweichen, die aus den Reihen der Pelikan-Anhänger geflogen kamen. Montargent konnte den auf ihn zufliegenden Zaubern nur durch den Rosselini-Raketenaufstieg entkommen. Dann spannte sich auf Ruf des Stadionsprechers ein silbern flimmernder Schirm wie eine Markiese über das Feld und schluckte die weiteren Zauber. Stadionordner in violetten Umhängen und Sicherheitszauberer aus dem Ministerium, die bei Profi-Spielen dabei waren, stürmten in die Zuschauermenge, um die unbeherrschten Fans zu maßregeln.
"Leute, so machen wir das hier nicht!" Rief der Stadionsprecher, weil immer noch Anhänger der Pelikane versuchten, den mittlerweile über dem silbernen Schutzschirm fliegenden Montargent mit Zaubern zu belegen. "Wer seinen Zauberstab nicht für immer abgeben will stellt die Angriffe auf Spieler und Schiedsrichter umgehend ein!" Hörte Julius einen sehr strengen Befehl von einem dunkelhaarigen Zauberer, der wohl den Ordnungsdienst leitete. Montargent flog derweilen über dem Schirm aus silbernem Licht dahin und versuchte, in seine Schiedsrichterkabine zu kommen. Doch die magische Abschirmung wirkte wohl auf alles, in dem Magie wirkte, also auch auf fliegende Besen. Denn Montargent wurde von der silbernen Barriere heftig nach oben zurückgeworfen, als er versuchte, durch sie hindurchzutauchen, während die Sicherheitszauberer sich vereinzelte Duelle mit wütenden Fans lieferten.
"Wir bleiben hier oben, bis da unten alles ruhig ist", sagte Hippolyte und hielt Julius sicher an der Schulter.
"Wie auf dem Fußballplatz!" Rief Julius, als sich ein Block der wütenden Fans gegen die zusammengezogenen Sicherheitskräfte formierte und eine Zauberschlacht vom Zaun brach. Doch die Ordnungskräfte setzten weitere Sperrzauber in Kraft, die die wütende Meute zurücktrieb. Weil keine Zauber mehr durchkamen gingen viele aufgebrachte Fans nun dazu über, die Ordner mit geworfenen Flaschen und Faustschlägen zu traktieren. Zwanzig unbeherrschte Zuschauer wurden mit magischen Seilen gefesselt. Nach nur zwei Minuten war der Aufruhr erstickt.
"Passiert das häufiger?" Fragte Julius Hippolyte. Diese schüttelte den Kopf.
"Ist bisher nur fünfmal passiert. Weil die, die das dann angezettelt hatten ihre Zauberstäbe für ein Jahr abgeben mußten oder wegen magischer Schädigung von Personen und Sachen Gäste in der Festung Tourresulatant oder Askaban wurden, haben es eigentlich alle begriffen, daß sie sich bei Ligaspielen nicht so gehen lassen dürfen. Die Gesetze sind da sehr strickt. Ich denke, von den zwanzig, die gerade festgenommen wurden dürften wir viele in den nächsten Monaten nicht mehr zaubern sehen. In unserer Welt kommt das einer Berufsunfähigkeit gleich. Wenn sie ihre Arbeit mit Zauberstäben ausüben müssen, verlieren sie für die Dauer des Zauberverbotes ihren Lohn. Das sollte eigentlich abschreckend genug sein."
"Hoffentlich kommt es nicht soweit, daß alle Zuschauer ihre Zauberstäbe abgeben müssen, bis das Spiel aus ist", sagte Julius, der an strenge Waffenkontrollen an Fußballstadien dachte. Wie heftig angebliche Fans von Mannschaften wie Manchester und Liverpool aufeinander einprügeln konnten kannte er ja doch noch zu gut. Aber hier hatte sich die Wut wohl nur gegen den Schiedsrichter gerichtet.
"Julius, ich greife unsere kurze Besprechung über Montargent noch mal auf", sagte Hippolyte, als sie und die anderen Ehrenlogenbesucher sahen, wie die Zuschauer hastig, aber von den Ordnern in sichere Bahnen gelenkt aus dem Stadion abzogen. "Ich werde dem werten Tiberius Montargent empfehlen, sich doch eine andere Tätigkeit zu suchen. Im Zweifelsfall mache ich von meinem Berufsnotstandsprivileg gebrauch und verdonner den dazu, in meiner Abteilung als Laufbursche zu arbeiten. Denn einige von denen haben schon recht, daß er eurer Mannschaft einige Fouls hat durchgehen lassen. Das wird noch zu klären sein, ob das Unachtsamkeit, Unvermögen oder Absicht war."
"Wir können auch jetzt, Hippolyte", meinte Michel Montferre. Er wollte zumindest noch seinen Töchtern zum guten Spiel gratulieren. Hippolyte nickte und winkte die Ehrenlogenbesucher hinter sich her. Das vorhin noch so volle Stadion war nun schon so gut wie geräumt. Viele Zuschauer hatten am Rande der Panik das Weite gesucht. Gerade zerlief der silberne Schutzschirm zu tropfenartigen Fragmenten, die wie sich zusammenrollende Blätter um das Oval des Spielfeldes herum zu Boden glitten.
"herzlichen Glückwunsch zum Auftakterfolg!" Wünschte Hippolyte Bruno Dusoleil, dem Kapitän der Mercurios. Dieser bedankte sich artig. Julius gratulierte Janine, die nun wieder beide Arme so bewegen konnte wie vor dem Spiel. Dabei fragte er sie leise, von wem sie dieses tolle Flugmanöver gelernt hatte. Sie grinste ihn verwegen an und meinte:
"Von Virginie. Als Hera mal nicht so gut um sie rumlaufen konnte hat sie uns das Manöver mehrmals langsam vorgeflogen. Ich sollte es aber als einzige bringen, haben wir beschlossen. Und dann nur, wenn ich den Schnatz nicht anders kriegen könnte. Sonst hätten wir die Pelikane nämlich entflügelt und gerupft."
"Virginie? Oha, hat Hera Matine das nicht mitgekriegt, wenn die mit dem Baby im Bauch solche Manöver vorgeflogen hat?" Fragte Julius leise.
"Tähä, muß die gute Hera ja nicht wissen. Im Zweifelsfall haben wir den Doppelachser von anderswo abgeguckt."
"Nur so, daß Hera Matine mich fragen könnte", grummelte Julius. Janine schüttelte den Kopf.
"Nur, wenn du ihr steckst, daß du ihn Virginie beigebracht hast", erwiderte Janine. Julius nickte. Sollte er doch so tun, als sei er so erstaunt gewesen wie die anderen auch, daß die Sucherin der Mercurios dieses Flugmanöver gebracht hatte.
"Na, warst du das, der der guten Janine kurz vor dem Spiel noch gezeigt hat, wie sie Michelle den Schnatz unter der Nase wegschnappen kann?" Fragte Sabine Montferre Julius, als er gerade auf dem Weg war, César Rocher zu beglückwünschen, der jedoch von einem Schwarm junger Hexen umzingelt wurde. César trug schließlich noch keinen Ehering wie Bruno.
"Ich habe das gerade geklärt, Sabine. Sie hat den Doppelachser von Leuten gelernt, die in Beauxbatons zugeschaut hatten, wie ich den geflogen habe. Hat dir also nix gebracht, ihr fast den Arm abzuhauen."
"Das war einer von San", wies Sabine die Schuld an Janines Armverletzung von sich. "Aber selbst wenn ich die schwarze Murmel gedroschen hätte würde mir das nicht leid tun. Tja, schön wär's gewesen. Aber wir haben gezeigt, daß wir in dieser Saison oben mitspielen werden, ob den anderen Mannschaften das paßt oder nicht." Sie knuddelte Julius, bevor ihre wenige Minuten jüngere Schwester Julius erreichte. Sie wisperte ihm ins Ohr:
"Laß Michel gegenüber bloß nicht raushängen, daß du diesen Doppelachser kannst, Julius. Sonst könnte der meinen, dich durch die Prüfung rasseln zu lassen." Laut sagte sie dann noch: "Mann, ist Michel sauer. Der meinte glatt, ich hätte Janine die Birne mit dem Klatscher von den Schultern dreschen sollen. Und Montargent sollte sich bloß schön weit aus seiner Zauberstabreichweite halten und bloß keinen Krach mit der Apparierüberwachung kriegen."
"Gegen wen müßt ihr nächstes Mal ran?" Fragte Julius. Als er erfuhr, daß sie gegen die Lotringer Löwen spielen mußten grinste er. Die hatten in der letzten offiziellen Saison die rote Laterne des Tabellenletzten vom dritten bis zum letzten Spiel besessen. Da die Quidditchliga keine ab- und Aufsteiger kannte, waren die Spiler in den sandfarbenen Umhängen mit dem goldenen Löwenkopfaufdruck natürlich in dieser Saison wieder mit dabei. Er meinte nur, daß das wohl die Schießbude der Liga sei und erklärte, daß so eine Mannschaft hieß, die anderen Mannschaften große Torerfolge ermöglichte.
"Da sind viele ehemalige Gelben drin. Warum die sich so großspurigg Löwen nennen weiß keiner. Aber Maurice Dujardin soll da in dieser Saison suchen", meinte Sandra, während Sabine mit ihrem Vater sprach, um ihn zu beruhigen.
"Der ist gut", erwiderte Julius darauf. Sandra meinte, daß sie ihn in Beauxbatons aber immer gut beherrscht hätten und das auch in der Liga so bleiben würde.
"Tja, der Tag ist doch ein bißchen kürzer geworden", meinte Hippolyte. "Ich lade Millie und dich zum Mittagessen in Artemis' Café ein. Michel wird bestimmt nicht darauf ausgehen, dir heute noch was über das Apparieren beizubringen."
"Den hat die Niederlage wohl heftig aus dem Tritt gebracht, wie?" Mentiloquierte Julius seiner Schwiegermutter und erstaunte mal wieder, wie leicht er sie erreichen konnte.
"Daß Janine den Doppelachser kann hat ihn nicht so gestört wie Montargents Entscheidungen", erhielt er die unhörbare Antwort. Laut sagte Hippolyte: "Temmie freut sich sicher, dich mal in Natura zu sehen, nachdem sie mich schon gefragt hat, ob das stimmt, daß du mich und Tine größenmäßig eingeholt hast. Millie, Lyre freut sich drauf, mit dir zu plaudern, falls du Lust hast."
"Ich weiß, Damian hat ihr Zwillinge zugesteckt, Ma", erwiderte Millie grinsend. "Wird die wohl nicht mehr lange für Temmie kellnern können."
"Woher weißt du das mit Lyre?" Fragte Hippolyte leicht enttäuscht.
"Hat die mir geschrieben, als der Unnennbare erledigt war. Sie meinte, jetzt könne sie ihre beiden Kinder wohl ohne Angst großfüttern", entgegnete Millie.
"Julius, wir sehen uns dann morgen wieder bei mir im Büro, wenn ich Montargents Unfähigkeit verdaut habe", schnarrte Michel Montferre noch, bevor er mit seinen Töchtern abzog. Die wollten aber nicht zum Mondscheincafé von Artemis Orchaud, sondern nach Avignon zu Raphaelle Montferre und den anderen Montferre-Zwillingen.
Das Mondscheincafé "Chez Artemis" hatte sich seit Julius erstem Besuch nicht geändert. Das kleine, weiße Haus in der Nebengasse der Rue de Camouflage lud mit dem Duft von Kaffee, Bratenfleisch und Pfeifentabak zur Einkehr ein. Drinnen war alles in silbern, grau und Schwarz gehüllt. Die Decke war eine aus sich selbst leuchtende Abbildung des nördlichen Sternenhimmels, unter dem der Mond in seiner gerade auch natürlichen Phase leuchtete. Die halbmondförmige Theke im Mittelpunkt des kreisrunden Schankraumes wurde von kreisrunden Tischen umringt, auf denen jeweils eine weiß glimmende Lampe stand und die Gesichter der Gäste zu geisterhaft fahlen Masken veränderte. Doch trotz dieser gewollten Nachtbeleuchtung fühlte Julius sich hier geborgen und gut aufgehoben. Die Latierres begrüßten Gäste, die sie aus der näheren Verwandtschaft und Bekanntschaft kannten. Auch Laura Rocher war wieder da. Sie saß bei einigen Hexen, wohl aus ihrer Jahrgangsstufe. Julius dachte einen winzigen Moment daran, wie er sie in einer Erinnerung von Blanche Faucon als Saalsprecherin der Roten gesehen hatte. Ja, damals war sie wirklich schlanker gewesen. Doch ähnlich wie bei seiner Schwiegergroßmutter Ursuline wirkte sie mit ihrer Körperfülle nicht plump oder bewegungsunfähig. Artemis Orchaud, die Besitzerin des Mondscheincafés und Cousine von Hippolyte Latierre, begrüßte ihre neuen Gäste sehr freundlich. Sie gratulierte Julius nachträglich zur Hochzeit mit Millie und verglich ihre mit seiner Körpergröße.
"Laura Rocher hat mich schon angestrahlt, weil ihr Enkel mit seiner Mannschaft gewonnen hat", meinte Artemis. Dann entschuldigte sie sich, weil sie hinter der Theke gebraucht wurde. Sie schickte dafür ihre Tochter Lyre herüber, die eine weite Schürze trug. Julius hatte das von Millie gehört, daß Lyre im Dezember Zwillinge bekommen würde. So gratulierte er ihr nach Millie, bevor er die beiden jungen Hexen miteinander reden ließ und sich mit Hippolyte über den Apparierkurs unterhielt, daß er froh sei, daß man ihm den gegönnt hatte und daß er hoffte, die Prüfung am zwanzigsten zu schaffen.
"tine hat Millie wohl dann auch weit genug getrietzt. War schon richtig, daß sie Millies Ausbilderin ist, weil Millie da mehr Enthusiasmus aufbieten mußte, um die nötigen Fortschritte zu machen. Das du gleich am ersten Tag eine Apparition schaffst war ihr genauso klar wie Michel. Deshalb wollte der dich ja unbedingt in diesem Übungswürfel ausbilden."
"Wir hatten es auch schon davon, ob interplanetare Apparitionen gehen und wenn nicht, warum nicht", erwähnte Julius.
"Ich weiß. Millie hat's Martine auch gefragt, ob du nicht aus Versehen auf dem Mond landest. Aber jetzt weißt du sicher, daß das bei zunehmender Entfernung schwieriger wird, den Zielort zu erreichen, abgesehen von der Einwirkung der Erddrehung und Schwerkraft. Aber ich bin da nicht die Fachkraft für. Ich bin eher für Besen zuständig."
"Céline meinte, die werden den Zwölfer nächstes Jahr rausbringen. Habt ihr bei euch schon welche in der Vorprüfung?" Fragte Julius.
"Nun, über Neuzulassungen und Vorprüfungen darf ich als vereidigte Beamtin nichts nach außen dringen lassen, Julius. Aber wenn Céline meint, daß sie den Zwölfer nächstes Jahr marktreif haben will ich das mal so stehen lassen. Agilius ist in dem, was er für öffentlichkeitstauglich hält immer sehr realistisch. Aber ich denke, du kommst mit dem Zehner genauso gut durch das UTZ-Jahr wie Millie. Viel mehr werden die wegen Pinkenbach nicht mehr am Zwölfer verbessern können. Die Windumlenkung soll besser sein und damit höhere Reisefluggeschwindigkeiten ermöglichen. Wie die das dann aber mit der Traglast hinkriegen muß sich noch erweisen. Der Zehner ist schon sehr gut ausgebaut."
"Weil Céline meinte, daß der Familienbesen, den deine Eltern uns geschenkt haben schon einige Sachen vom Zwölfer drin hätte."
"Tja, das geht aber auch nur, weil der Familienbesen etwas länger ist und aus einem für Polsterungszauber sehr gutem Holz gearbeitet ist. Dafür kann der nicht diese hohen Geschwindigkeiten erreichen wie ein Rennbesen. Wartet mal ab, was am Ende beim Zwölfer neues möglich ist."
"Vielleicht sowas wie beim Bronco Parsec?" Fragte Julius herausfordernd.
"Da werden uns die Yankees sicher durch Patentschutz kleinhalten", meinte Hippolyte verdrossen. "Andererseits braucht man für Quidditch keinen Besen, der fünf Kilometer in einem Sprung zurücklegt." Dem mußte Julius beipflichten. Dann fragte er seine Schwiegermutter, ob Millie ihr von der Überfahrt mit dem überschahllschnellen Luftschiff erzählt hatte.
"Die müssen einen vollen Tag ausruhen, wenn sie zwei Stunden mit diesem Tempo fliegen", meinte Hippolyte dazu. "Derartig heftige Flugzauber erschöpfen sich schnell. Abgesehen davon, daß sich Flugartefakte gegenseitig stören, wenn sie einander näherkommen. Deshalb ist es wohl gut, daß diese Stratofeger nicht in großer Serie aufgelegt werden durften. Soweit ich von unseren amerikanischen Bekannten weiß gibt es von den Überseeflugschiffen nur fünf Stück, von denen zwei wohl für die Gemeindepartnerschaft zwischen VDS und Millemerveilles bereitgestellt wurden. Weiß der Drache, wie der Dorfrat von VDS das hingebogen hat."
"Ich habe mich schon gefragt, woher die diese viele Bewegungsenergie kriegen, also wie die so schnell fliegen können. Nur Windumlenkung bringt ja doch kein Tempo", meinte Julius.
"Ich denke, das haben die Amerikaner auch sicher verwahrt, wie sie derartige Geschwindigkeiten hinbekommen. Ich weiß nur, daß diese Flugartefakte je schneller sie fliegen können je längere Erholungspausen brauchen, um ihre magischen Eigenschaften nicht zu verlieren." Julius nickte. Da meldete sich Millie leise bei ihm zu Wort.
"Lyre hat gleich einen Jungen und ein Mädchen unterm Umhang, Julius. Wie geht denn sowas. Ich dachte, Zwillinge müßten dasselbe Geschlecht haben."
"Hat deine Tante dir das nicht erklärt?" Fragte Julius grinsend. Hippolyte nickte ihrer Tochter zu und dann Julius. Der erklärte Millie dann, was zweieiige Zwillinge waren und daß dabei Paare aus Jungen und Mädchen entstehen konnten. Dann sprach er mit Lyre über den erwarteten Zuwachs. Sie meinte dazu, daß beide gleichzeitig bekämen, was sie wollten. Sie wollte ein Mädchen, er wollte einen Jungen haben. So hatte da wohl etwas befunden, beide zugleich ankommen zu lassen. Sie sprachen dann noch über Millemerveilles, daß Millie und Julius ja nun eigenverantwortliche Zaubererweltbürger seien und nach Beauxbatons wohl viele Leute gespannt waren, was Millie und Julius beruflich machen würden. So vergingen die Stunden, die von einem mehrgängigen Mittagessen unterbrochen wurden. Danach kehrten Millie und Julius über den Kamin des Honigwabenhauses in den Kamin des Lebensapfels zurück. Vor dem Kamin lag eine feuerfeste Schachtel, in der ein Brief lag.
Sehr geehrte Madame und sehr geehrter Monsieur Latierre,
Hiermit sind Sie beide eingeladen, am heutigen Abend im Musikpark zu Millemerveilles den gelungenen Saisonauftakt der Millemerveilles Mercurios zu feiern. Festgarderobe ist nicht zwingend vorgeschrieben. Doch falls Sie in festlicher Bekleidung erscheinen möchten ist Ihnen das natürlich gestattet. Bitte senden Sie uns eine Eule oder kontaktfeuern Sie Monsieur Nathanael Dupont im "Colline Grosse" an, um zu bestätigen, ob Sie an der Feier teilnehmen oder aus irgendwelchen nicht näher zu erläuternden Gründen nicht daran teilnehmen können!
Mit freundlichen Grüßen
I. A. Bruno Dusoleil
"Am besten machen wir den Kamin zu, wenn wir die Apparierprüfung geschafft haben", meinte Julius. "Bruno hat bestimmt seinen Kopf mit der Schachtel im Mund zu uns geschickt und die Schachtel hier rausplumpsen lassen."
"Wir müssen morgen wieder früh raus. Aber die Feier will ich dann doch mitmachen", sagte Millie. Julius überlegte, wielange er da mitfeiern konnte. Dann gab er sich einen Ruck und schrieb die erbetene Antwort mit einer Zusage von ihm und Millie.
Vor der Zusammenkunft im Musikpark prüfte Julius sein elektronisches Postfach und fand eine Nachricht von Aurora Dawn vor.
Hallo Julius!
Ich hoffe, dein Ferienkurs läuft gut an und du hast schon raus, wie du schnell von einem Ort zum anderen kommst. Das könnte wohl außerhalb eurer gesicherten Schule sehr wichtig sein. Fünfzig Experten von Ministerin Rockridge haben versucht, die übergroße Spinne bei Melbourrne einzufangen, nachdem sie mehrere Leute im Hafen angegriffen hat. Die ist aber gegen unsere herkömmlichen Mittel immun und konnte flüchten. Wir vermuten stark, daß sie an die Küsten reist, um dich aus der Ferne aufzuspüren. Ob sie das kann weiß ich nicht. Vielleicht sucht sie aber eher nach diesem Musikinstrument ihres Bruders, das sie wohl aufspüren kann. Aber für den Fall, daß sie dich aus der großen Entfernung wahrnehmen kann ist es auf jeden Fall wichtig, daß du dich schnell von ihr absetzen kannst. Die Ministerin steht mit den Ordnungshütern in Australien in Verbindung. Die haben die von dir gegebene Bildbeschreibung, wie die Dame, die mit dieser Spinne zusammen ist, aussieht. Es steht zu befürchten, daß diese Dame mit arglosen Menschen außer Landes reist, wenn sie meint, eine Spur von dir oder der Flöte ihres Bruders zu haben.
Gut, ich muß fürchten, daß du wieder Schuldgefühle hast, weil du diese Dame damals aufgeweckt hast. Aber zum einen mußtest du dich von ihr absetzen. Eine übliche Betäubung hätte sie wohl mit dem, was in ihrer Höhle war schnell überwunden, wissen wir mittlerweile. Zum anderen haben Untersuchungen ergeben, daß die Wächter der Höhle nicht mehr existieren. Sie sind wohl alle in diesem Sturm draufgegangen, der kurz nach deiner Abreise vom Uluru gewütet hat. Unsere Experten haben es geschafft, die versiegelte Höhle gefahrlos zu öffnen. Was immer die besagte Dame darin festgehalten hätte fluktuiert so stark, daß sie wohl auch ohne dich freigekommen wäre. Unsere Experten meinten meinem Kollegen Melchior Vineyard gegenüber, daß die Wirkung der alten Kraft durch etwas aufrechtgehalten wurde, daß jetzt fehlt. Oder wie es mein Kollege so schön gesagt hat: "Jemand hat einen Stöpsel aus dem vollen Becken gezogen, so daß jetzt alles unwiederbringlich abfließt." Meine Kontaktleute bleiben weiter an der Spinne und ihrer Hüterin dran. Wir hoffen nur, daß sie das Land nicht verläßt. Weil sonst kommen wir in einen großen Erklärungsnotstand.
Paßt gut aufeinander auf!
Aurora Dawn
"Na super!" Schnarrte Julius. Doch dann las er die Zeilen auf dem Bildschirm noch einmal. Ohne Worte wie Magie oder Zauberei zu gebrauchen hatte Aurora ihm gerade geschrieben, daß die Kräfte aus dem Höhlensystem im Uluru abklangen. Taten sie das, weil sowohl Ailanorars Flöte als auch Naaneavargia nicht mehr dort waren? Klang die Magie ab, weil die Wächter nicht mehr existierten? Oder beides? Jedenfalls ging Aurora davon aus, daß dieses Spinnenweib Julius' so oder so irgendwann nachgelaufen wäre. Doch wenn er sie nicht mit dem Fluchumkehrer aufgehalten hätte, sondern nur mit einem Schockzauber betäubt hätte, wäre sie wohl sofort in tiefen Schlaf gefallen, als er die Höhle im roten Felsenberg verlassen hatte. doch Aurora ging davon aus, daß die Entfernung der magischen Flöte des Windmagiers aus Altaxarroi die Zauber abbaute, damit auch den Schlafbann, unter dem Ailanorars unsterbliche Schwester gestanden hatte. Das änderte so oder so nichts daran, daß wegen seiner Expedition zum Eyers Rock dieses Monster in der Welt herumspukte. Mit einem gewissen Grimm bedachte er, daß Aurora Dawn ihm garantiert nicht alles erzählte. Andererseits hatte er dieses Biest unbeabsichtigt freigelassen, um andere Biester zu erledigen. Das konnte jetzt nicht mehr ungeschehen gemacht werden. Selbst wenn er mit einem Zeitumkehrer von hier in die Zeit zurückreiste, wo er kurz vor dem Aufbruch zum Uluru gestanden hatte, konnte er sich selbst wohl kaum davon abbringen, die einzige Waffe gegen die Schlangenkrieger zu holen und anzuwenden. Die logische Erkenntnis, daß kein älterer Julius Latierre ihn in Beauxbatons aufgesucht und vor Naaneavargia gewarnt hatte verriet ihm, daß er keine andere Wahl gehabt hatte. Hätte er die Flöte nicht geholt und damit die Himmelsburg der Vogelmenschen betreten, hätten sich die Schlangenkrieger unaufhaltsam ausgebreitet. Das wäre das Ende der Menschheit gewesen. So gemein das für alle die klang, die wohl schon von der Spinnenfrau angegriffen worden waren, sie war alleine und konnte ihr Sein wohl nicht auf andere übertragen. Sie war, so kaltherzig das rüberkommen mochte, eine tausendmal kleinere Gefahr als abertausend Schlangenmenschen, die durch ihren giftigen Biß unbescholtene Menschen zu ihren Artgenossen machen konnten. Ja, er dachte daran, daß er, hätte er sich selbst davon abhalten können, den Uluru zu betreten, womöglich heute ein Schlangenmensch wäre, weil Madame Maxime kaum gegen die anderen Skyllianri bestanden hätte, wenn die grauen Wolkenhüter nicht gekommen wären. Dann hätte das Gift des einen Schlangenmannes ihn unaufhaltsam und am Ende unumkehrbar in einen Skyllianri verwandelt, so wie er sich in Marie Laveaus Vision von vier möglichen Ausgaben seiner Selbst gesehen hatte.
"Monju, bist du im Pilz?" Hörte er Millies Gedankenstimme. Er dachte zurück, daß er einen Brief von Aurora bekommen habe, die ihm erklärte, daß die Spinnenfrau noch in Australien sei, aber wohl versuchte, den Kontinent zu verlassen. "Bring den Brief mit, Monju. Ich lese diese Flimmerschrift in dem Elektrofenster nicht so gerne." Julius druckte Auroras Brief aus und schrieb eine kurze Antwort zurück, daß er hoffte, daß die unheimliche Dame davon ausging, er habe das besagte Musikinstrument noch bei sich. Dann konnte die lange suchen. Danach kehrte er in das Apfelhaus zurück.
"Aurora meint, diese Magie würde verschwinden, weil was aus der Höhle fehlt. Kann sein. Dann ist nur die Frage, was fehlt? Vielleicht solltest du noch mal in die Himmelsburg, um den Triller in den Uluru zurückzubringen", sagte Millie.
"Gute Idee, Mamille. Pech nur, daß diese Burg jetzt von keinem Menschen mehr zu finden oder zu betreten ist. Abgesehen davon mußte ich die Flöte in einem besonderen Raum ablegen, der nichts mehr freigibt, wenn ich das richtig in Erinnerung habe. Du weißt doch. Ich hatte nur die Wahl, da oben festzusitzen oder die Flöte wegzulegen. Vielleicht kann die vierbeinige Temmie uns sagen, wie wir mit diesem Weib fertig werden, ohne es gleich umzubringen. Am liebsten wäre es mir, ich könnte die in den magischen Tierpark von VDS oder Millemerveilles bringen und hinter mehreren Rückhaltelinien festsetzen. Aber die ist ja nicht blöd, und wenn die sich mal wieder in diese heiße Braut zurückverwandelt, gilt sie nicht mehr als Tier und müßte in ein Menschengefängnis. Ist dann so ähnlich wie mit dieser riesin."
"Die ist alleine, Julius. Die Schlangenkrieger waren viele und konnten leicht mehr werden", erwähnte Millie etwas, daß ihm ja selbst gerade erst wieder bewußt geworden war. Er nickte und erwiderte, daß er hoffte, daß die vom australischen Zaubereiministerium Naaneavargia entweder einfangen konnten oder zumindest davon abbringen konnten, Menschen umzubringen. Er wunderte sich eh, daß dieses Spinnenweib bisher nur wenige angegriffen hatte.
"Was zeigt, wie schlau die ist. Die weiß, daß jeder von ihr umgebrachte Mensch die anderen Zauberer auf ihre Spur bringt. Tiere können nicht nach der Polizei oder dem Zaubereiministerium rufen. Sie greift wohl nur dann wen an, wenn sie was bestimmtes haben oder wissen will." Julius überlegte. Das konnte stimmen. Dann sagte er jedoch:
"In ihrer Tiergestalt ist sie wohl einfach nur hungrig, Millie. Und als Frau will sie offenbar nur Sex, so wie ich die kennengelernt habe."
"Kann ich ihr nicht ganz verübeln", erwiderte Millie. Doch sofort fügte sie an, daß es aber einen Unterschied gab, ob sie dafür Männer und Jungs nahm, die auch mit ihr wollten oder meinte, jeden zwingen zu müssen, so wie es Riesinnen im Paarungsrausch angeblich taten. Julius hätte darauf fast gesagt, daß es nicht nur angeblich so sei. Doch er beließ es bei einem zustimmenden Nicken. "Die sieht sehr gut aus, Millie. Ich habe die ja gesehen. wenn die einen rumkriegen will, hat die den in fünf Minuten klar. Sie muß ja keinem auf die Nase binden, daß sie ein Monster ist. Die Schöne und das Biest in Personalunion, Mamille."
"Halten wir uns besser dran, was Aurora am Anfang schreibt! Bringen wir den Kurs gut zu ende und packen die Prüfung. Dann können wir außerhalb von Beauxbatons und Millemerveilles sofort verschwinden, wenn Ailanorars kleine Schwester doch rauskriegen sollte, wo wir sind."
"Stimmt, das Grübeln bringt es nicht", knurrte Julius. "Gefährliche Biester gibt's ja leider überall. Ich kann ja nicht für die alle verantwortlich sein, schon gar nicht für die, die älter sind als die christliche Zeitrechnung." Millie stimmte ihm zu.
Am Abend flogen beide auf ihrem neuen Familienbesen zum Musikpark. Millie und Julius trugen grüne Umhänge. Die ganzen Familien der Spielerinnen und Spieler waren da. Auch Madame Delamontagne mit ihrer Tochter Virginie war gekommen, um den Auftaktsieg der Mercurios zu feiern. Virginie stellte bei der Gelegenheit auch ihren Sohn vor. die Feier ging mit abwechselnder Musik und Tanz bis kurz vor Mitternacht. Millie und Julius hielten sich beim Met und Wein genauso zurück wie die stillenden Mütter, was ihnen von Bruno den Spruch eintrug, ob sie auch für wen mitzuessen und zu trinken hätten. Doch Julius wetterte das damit ab, daß Michel Montferre ihn mit einem Kater wohl kaum im Gelände herumapparieren lassen würde, und wenn er deshalb die Prüfung verpatzen würde jeder Ärger mit Bine und San bekäme, der ihn vom Lernen abgehalten hatte, weil ihr Vater dann nämlich sinnlos Zeit verbraten hätte. Das wirkte offenbar bei Bruno und César. Immerhin hatten sie die Montferre-Schwestern ja noch in Beauxbatons miterlebt.
Als die jungen Eheleute Latierre wieder in ihrem runden Haus waren meinte Millie zu Julius: "Andere Jungs hätten sich mit Bruno gekloppt, wenn der denen gesagt hätte, daß sie sich wie überängstliche Mädchen benehmen würden. Irgendwann mußt du's rauskriegen, mit wem du wieviel trinken willst, ohne dich hinter wem verstecken zu können, Monju."
"Ich halte das Trinken um des Besoffenseins wegen nicht für besonders cool, Millie. Ein paar Gläser. Aber sich voll die Birne zuzuknallen ... Irgendwann teste ich mal aus, wie viel reingeht. Dann habe ich auch diese Erfahrung hinter mir und kann mir überlegen, ob das wiederholt werden kann", sagte Julius, weil er meinte, Millie wollte keinen Spielverderber.
"Das uralte Spiel, Julius. Du mußt das tun können, was du tun willst. Ich wollte mich heute nicht mit Met vollschütten, weil ich Tine auch ohne dicken Kopf schon schwer genug als Lehrerin ertragen kann. Hast du ja gehört, daß ich das so rübergebracht habe." Julius nickte. Doch er sah keinen großen Unterschied zwischen seiner Antwort und der seiner Frau. So beließ er es bei diesem Stand der Unterhaltung zwischen Bad und Bett. Morgen würde es eh wieder anstrengend genug.
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Die beiden folgenden Tage wurden durch Geländeübungen und Gesetzes- und Grundlagenstudium bestimmt. Am Abend des sechzehnten Augustes durfte Julius nach dem Kurstag mit Flohpulver auf den Hof seiner Schwiegertante Barbara reisen, wo die Montferres mit den Zwillingstöchtern Barbaras und den Latierres einen Vierfachgeburtstag feierten. Bei der Gelegenheit konnte Julius sich für einige Minuten absetzen und zu Temmie hinübergehen, die mit den anderen Latierre-Kühen auf der Westweide stand. Da sie im Moment kein Cogison trug mußte er trotz leichtem Brummen im Kopf vom vielen Apparieren mentiloquieren.
"Temmie, ich mach mir immer noch Gedanken um Naaneavargia. Meine Bekannte im Südland schreibt mir, daß sie an der Westküste aufgetaucht ist und daß die Kraft im großen roten Berg weniger wird. Kann die mich aus der Entfernung fühlen?"
"Sie hört wohl, wo die Stimme ihres Bruders ist", empfing er die wie ein sanft angespieltes Cello klingende Gedankenstimme der von Darxandrias Geist bewohnten Flügelkuh. "Er ist ja in seiner Burg geblieben, richtig?" Julius bestätigte das mit einem konzentriert gedachten "Ja, ist er."
"Dann wird sie nicht wissen, wo sie hinsoll. Sie denkt wohl, du hättest dich dort oben versteckt, wo sie nicht mehr hinkommt und bleibt in diesem Land. Aber wenn du zu ihr hinreist wird sie wissen, daß du Ailanorars Stimme nicht mehr bei dir hast. Dann wird sie ihre ganze Kraft einsetzen, dich so oder so für sich alleine zu sichern. Du hast sie befreit. Sie wird dich nicht gleich umbringen. Sie wird dir ihre Dankbarkeit beweisen wollen, auch wenn du sie nicht annehmen willst. Deshalb bleibe besser in meiner Nähe, damit ich auf dich so aufpassen kann wie auf das Kind in mir."
"Schön, dann kann ich im Moment also nicht mehr nach Australien", sagte Julius mit hörbarer Stimme. "Und was ist, wenn sie doch rauskriegt, daß ich ohne die Wunderflöte unterwegs bin?" Fragte er mentiloquistisch.
"Wird sie dich suchen und irgendwann auch finden, Julius Latierre. Sie könnte auf die Idee kommen, mein Siegel mit ihrer Kraft zu finden. Sie könnte dir Gedankenrufe zuschicken, wenn sie näher als eine Tageswanderung von dir entfernt ist. Und wenn sie einen Kraftausrichter kriegen kann, könnte sie alle alten Zauber ausführen, die sie in meiner ersten Heimat gelernt hat."
"Gibt es keine Möglichkeit, sie unschädlich zu machen, ohne sie gleich töten zu müssen?" Fragte Julius.
"Das Gift der Tränen der Ewigkeit müßte aus ihrem Leib entweichen, ohne daß sie an den Folgen zu schnell altert und stirbt. Doch die Tränen der Ewigkeit sind tückisch. Sie sind das mächtigste Gebräu, das meine alte Heimat je hervorgebracht hat. Wer sie trinkt wird von ihnen verändert, je nachdem, in welche Richtung er sich vorher gewandt hat. War Gier der Antrieb, so verstärkt sie sich. War es Mitgefühl, so verliert jemand die Fähigkeit, das eigene Leben zu gestalten, weil er oder sie nur noch für andre da sein muß und leidet, wenn niemand Hilfe braucht. Wer liebt wird jedes Wesen und Ding hassen, daß der Liebe im Weg steht. Wer haßt wird danach trachten, alles, was er oder sie haßt zu vernichten und danach neuen Haß entwickeln. Naaneavargia heißt die Unersättliche. Doch sie hat vor dem Trinken der Tränen der Ewigkeit auch große Dankbarkeit erwisen. Sie weiß jetzt, daß du sie befreit hast. Sie wird dich körperlich oder seelisch begehren, aber dir auch mit ihren Mitteln zeigen wollen, wie dankbar sie sein kann. Doch diese Dankbarkeit wird dich zum ewigen Gefangenen machen, wenn du dich ihr näherst und sie nicht besiegen kannst. Also bleibe besser in meiner Nähe oder nimm mich mit, wohin du gehst, wenn du nicht in diesem Land bleibst!"
"Ich denke, Babs Latierre wird dich nicht mehr irgendwo hinfliegen lassen", meinte Julius und deutete auf Temmies sanft aufgetriebenen Bauch, in dem er schon sehr sachte Bewegungen erahnen konnte.
"Du mußt doch noch zwei Sonnen lernen, wie du die Kraft benutzen kannst. Da bist du ja in meiner Nähe. Und bis du damit fertig bist ist mein Kind aus meinem Bauch raus", dachte ihm Temmie zu. Julius nickte. Sogesehen mußte er ja nicht nach Australien. Doch er wollte noch wissen, wie man Naaneavargia daran hindern konnte, Menschen umzubringen.
"In dem sie dazu gebracht wird, ihr tierisches Selbst zu vergessen, indem sie eine menschliche Trägerin der kraft bleibt und die Empfindungen des ihr innewohnenden Tieres vergißt. Nur dadurch kann sie länger davon abgehalten werden, andere Menschen wie Beute zu töten. Der andere Weg wäre es, ihr eine völlig neue Form zu geben. Doch gegen verändernde Kräfte ist sie durch die Tränen der Ewigkeit sicher. Nur Wirkungen der Zeit, wie der Bann der Verlangsamung konnten sie binden."
"Sowas gibt es auch bei uns noch. Ein zauber, der den Körper verlangsamt, damit Gifte nicht mehr so schnell wirken oder blutende Wunden einen nicht umbringen, bis ein Heiler am Ort ist", erkannte Julius. Temmie nickte mit ihrem großen Rinderschädel. Julius strahlte. Lentavita ginge also, dachte er. Dann bedankte er sich bei Temmie. Denn er wollte nicht zu lange fortbleiben.
"Sie wird jede vorhaltende Kraft abschütteln, wenn sie nicht dauerhaft aus einer mächtigen Quelle nachfließt. Bedenke das", gab ihm Temmie gedankensprachlich noch mit. Julius bestätigte es und kehrte dann zur kleinen Feier zurück.
"Also kann man dieser Spinnenhexe beikommen", meinte Millie, als Julius mit ihr alleine in der oberen Küche ihres neuen Hauses war.
"Ja, aber es muß ein ständig nachfließender Zauber sein. Lentavita wirkt ja einmal und hält dann eigentlich vor. Aber dieses Teufelszeug, das sie geschluckt hat baut fremde Zauber ab, die nicht ständig nachgeladen werden. Und wenn es nicht gerade diese Superverlangsamung ist, wie in der Höhle, kann die dagegen langsam immun werden."
"Was wiederum heißt, daß dieser Windmacher, dessen Riesenvögel du ausgeliehen hast, um die Schlangenkrieger dieses armen Irren Riddle plattmachen zu können diese Kraftquelle gewesen sein kann, Monju." Julius nickte. Auszuschließen war es nicht, daß der Bann über Naaneavargia tatsächlich nur solange vorhielt, wie die magische Flöte im Versteck war und die Unersättliche das nicht einmal wußte, daß sie jedem Suchenden nur den Ort hätte zeigen müssen. Er wollte das nach der Theorieeinheit morgen mit Madame Faucon besprechen.
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"Regeln für das Seit-an-Seit-Apparieren, Julius?" Fragte Michel Montferre Julius.
"Das Seit-an-Seit-Apparieren darf nur zwischen magischen Menschen stattfinden." Michel nickte. "Es darf nur mit ausdrücklicher Einwilligung des Mitzunehmenden ausgeführt werden." Michel nickte wieder. "Erwachsene Hexen und Zauberer dürfen Minderjährige nur dann Seit an Seit mitnehmen, wenn diese Kinder gemäß der beiden anderen Regeln magisch begabt und mit der Seit-an-Seit-apparition einverstanden sind, solange die Erziehungsberechtigten dem führenden Apparator die Erlaubnis dazu geben, der führende Apparator selbst zu den Erziehungsberechtigten gehört, beziehungsweise in dessen Abwesenheit für das Wohlbefinden des Minderjährigen verantwortlich ist, eine unmittelbare oder mittelbare Bedrohung des Wohles des Minderjährigen bekannt ist oder der Erziehungsberechtigte nicht schnell genug erreicht werden kann, um den Grund für die Apparition abzuklären. Innerhalb geschlossener Zaubererhäuser oder -gemeinden dürfen erwachsene Hexen und Zauberer Minderjährige auch dann mitnehmen, sofern die Erziehungsberechtigten der Person vertrauen und Ausgangspunkt und Endpunkt innerhalb des geschlossenen Zaubererhauses oder der -gemeinde liegen." Wieder nickte Michel. Julius dachte an Brittany und Jane Porter. Doch Jane Porter hatte damals nicht gewußt, daß Brittany mit ihm apparieren würde, weil sie sowieso eine verbotene Handlung ausführen wollten. Jane Porter hätte das auch nicht bei Minister Pole angezeigt, weil sie damit ja selbst verraten hätte, daß Julius sich über seinen Vater schlaugemacht hätte. Daß Jane Porter später mit Julius appariert war lag daran, daß sie wohl eine ihm drohende Gefahr sah und solange seine Mutter nicht rechtzeitig befragt werden konnte eben entscheiden mußte. Insofern hatten sie sich da zumindest nicht gegen die bestehenden Gesetze vergangen. Abgesehen davon war das sowieso schwierig, beim Seit-an-Seit-Apparieren abzuschätzen, ob der Mitgenommene mitgenommen werden durfte oder nicht.
"Gut, dann sage mir noch mal, wann spontanes Apparieren ohne Zauberstab vorkommen kann!"
"Bei starken Gefühlen, vor allem Angst, vor allem bei magisch begabten Kindern unter zehn Jahren."
"Gut. Dann wiederhol noch mal die Beziehung zwischen Entfernung und Hauptrichtung!"
"Die nicht mit genauen Messeinheiten bestimmte Kraftaufwandszahl nach Rosebridge ergibt sich aus folgender Formel: gesamter zu apparierender Rauminhalt in Kubikmetern geteilt durch einen halben Kubikmeter plus den Quotienten aus West-Ost-Abstand in Kilometern durch einhundertelf Kilometer mal Drehrichtungswiderstand, also für eine West-Ost-versetzung ein halb und für eine Ost-West-Versetzung zwei, plus dem Quotienten aus Nord-südentfernung in Kilometern durch einhundertelf Kilometer."
"Was soll das mit dem halben Kubikmeter, durch den der Rauminhalt des Apparierenden geteilt wird?" Fragte Michel Montferre. Julius kannte sowas schon aus den Physikbüchern seiner Eltern und antwortete:
"Im Grunde könnte man den Rauminhalt gleich verdoppeln, weil beim Eintritt und Austritt in den Transit eine Beeinflussung des Raums proportional zum eigenen Rauminhalt stattfindet, also eine doppelte Raumbeeinflussung. Da die Rosebridgezahlen keine physikalischen Einheiten enthalten dürfen hat er einfach, um mal zwei zu nehmen den messbaren Rauminhalt durch einen halben Kubikmeter Geteilt. Eine Einheit durch sich selbst ergibt immer eins, wird also dadurch für jede Rechnung neutral. Sie taucht als Einheit aber dann in der weiteren Rechnung nicht mehr auf. Genauso läuft das mit den Kilometern, wo die Gesamtentfernungen durch je hundertelf Kilometer geteilt werden. Kilometer durch Kilometer gleich eins."
"Na, du wirst mir doch erlauben, meine Fragen erst zu stellen, bevor du sie beantwortest", lachte Michel. Doch dann erkannte er, daß Julius ja für beide Fälle die eine gleiche Antwort geben wollte. "Aber das mit der Zahl einhundertelf. Wo kommt die denn her?"
"Hmm, das ist der durchschnittliche Abstand zwischen zwei Längen- oder Breitengraden auf der Erde. Wie gesagt, der durchschnittliche, weil die Längengrade auf die Pole zulaufend ja immer dichter zusammenstehen und an den Polen selbst ineinanderfließen."
"Soso. Und wie ist das Verhältnis der Drehrichtungszahlen und warum sind die so und nicht anders?"
"Wie erwähnt muß die Abstandszahl der Ost-West-Entfernung ja mit dem Drehrichtungswiderstand malgenommen werden. Da die Erde sich nach osten dreht entfällt bei einer geradlinigen Versetzung von West nach Ost nur der Halbe Widerstand, bei einer geradlinigen Versetzung von Ost nach West gleich der doppelte Widerstand. Ein halb ist der Kehrwert von zwei. Aber das soll ja nur zeigen, daß es einen Kraftaufwand im Bezug zur Entfernung und Versetzungsrichtung gibt und daß bei Entfernungen unter einhundertelf Kilometern quasi nur der doppelte Rauminhaltszahlwert gilt.
"Ist schon beachtlich, wenn jemand Seit An Seit disappariert, selbst wenn der Mitgenommene durch unbewußte Verstärkung der Determinationsdurchtränkung seinen Teil des gemeinsamen Rauminhalts abdeckt. Dennoch gehört viel Konzentration dazu, jemanden mitzunehmen. Der Körperkontakt muß den Auslöser für einen Willenskontakt bieten, wenngleich hier keine bewußten Gedanken übermittelt werden. Aber das alles sind nur Modelle, wie du ja schon erkannt hast. Rosebridge wollte nur andeuten, welche Vorgänge beim Apparieren ablaufen. Das mit den sich selbst durch Teilung ausschließenden Einheiten kann mir nicht jeder so locker runterbeten, obwohl Rosebridge deutlich sagt, daß er für den Kraftaufwand kein Maß erlaubt, da es keine Methoden gibt, eine Apparition genau zu messen. Es können nur die Streuungen der überschüssigen Raumbeeinflussung angemessen werden, zumindest wenn keine Echomacher in der Landschaft rumstehen. Wunderbar. Ich hoffe, deine Frau kommt mit dem ganzen Wust zumindest so klar, daß sie ihn in der Theorie runterbeten kann, sofern Ariane keine absolut genaue Herleitung will. Hängt von ihrer Tagesform und den Kandidaten ab, ob sie so drauf ist. Ihre beiden Bürschchen, die meinen Mädchen die roten Köpfe verdreht haben, hat sie fast durchrasseln lassen, weil sie voraussetzte, daß die jeden Gedanken von Rosebridge und Underwood nachvollziehen könnten. Apropos, mit der heutigen Stunde haben wir das theoretische Gerüst für die Prüfungszulassung fertig. Morgen machen wir noch mal ein wenig Geländehüpfen - wobei wir mal unbekannte Orte aufsuchen, die du nur als Entfernungs- und Beschreibungsvorgaben kennenlernst. Wenn du mir von den dreißig Sprüngen mehr als die hälfte korrekt landest kann ich meinem Vorgesetzten schreiben, daß du am zwanzigsten August geprüft werden möchtest."
"Mir schwirrt manchmal der Kopf vom schnellen Apparieren und weil ich immer denke, irgendwie zu weit zu springen oder doch was von mir zurückzulassen", räumte Julius ein, das das für ihn kein Spaziergang in den Ferien war. "Aber wenn ich das schaffen sollte, die Prüfung zu bestehen, werde ich wohl 'ne kleine Party geben, obwohl ich schon ein paar in diesen Ferien mitgemacht habe."
"Noch 'ne Party. Dann müssen wir dich unbedingt über die 75 Punkte bringen", erwiderte Michel Montferre grinsend.
"Tine ist süß, wenn man ihr nicht zu nahe kommt", knurrte Millie, als sie sich abends in ihrem Apfelhaus trafen. "Die hat mir heute die Augen Verbunden und verlangt, ohne zu gucken an ein Ziel zu apparieren. Die hat mich dann mal eben so dreimal im Kreis gedreht und gesagt: "So, mach mal!" Morgen soll ich noch eine Einheit Theorie machen, nachdem Tine mir noch die Notfallmaßnahmen beigebracht hat. Das ist auf Tante Trices Mist gewachsen."
"Ups, davon hatte Michel es bisher nicht. Wir haben zwar Notfallregeln bequatscht, und ich habe gelernt, daß man bei einem Feuer nicht gleich reinapparieren darf, ohne Kopfblase und Flammengefrierzauber. Aber weitere Maßnahmen hat er nicht erwähnt."
"Hat er nicht?" Fragte Millie. "Und das macht dir nichts aus?" Fragte sie hinterhältig grinsend. Julius überlegte. Wenn Millie das lernen sollte, dann doch wohl auch, weil Madame Rossignol .. aber in Beauxbatons konnte niemand aparieren. Da nicht, aber in Millemerveilles schon, erkannte er. Aber dann wunderte er sich, daß die fürsorgliche Hera Matine ihn nicht angehalten hatte, die Notfallpraktiken auch praktisch auszuprobieren.
"Wir haben heute das rechnerische Ausgangsmodell für den Kraftaufwand beim Apparieren und die Regeln für die Seit-an-Seit-apparition durchgenommen. Ich könnte das Mum mal zuschicken, damit die sieht, daß es doch wen gibt, der mit Zahlen jongliert."
"Erst mal ißt du was. Tante Trice meinte nämlich, daß du von Michel wohl schon heftiger durch die Gegend gescheucht wirst als ich, und bei euch ist kein Heiler dabei, der aufpaßt. Damit du nicht vor Hunger umfällst sollten wir erst einmal was essen." Da fauchte es im Kamin in der Küche, und der Kopf jener gerade beim Namen genannten Heilerin aus dem Château Tournesol erschien auf dem gerade feuerlosen Rost.
"Holla, Tante Trice!" Rief Julius. "Haben dir die Ohren geklingelt?"
"Wieso, hattet ihr es gerade von Millies Übungstag? Eben deshalb bin ich hier", sagte Béatrice Latierres Kopf. "Ich wollte nämlich wissen, ob Michel mit dir auch die praktischen Notfallmaßnahmen beim Apparieren ausprobiert hat."
"Heiler Champverd kann nicht immer um mich rumlaufen, hat Michel gesagt. Deshalb haben er und ich die Notfallvorschriften durchgenommen, daß jemand beim Apparieren zu einem Brand nicht gleich ins Feuer hüpfen soll, das Bewußtlose Mitzunehmende mit dem Mobillicorpus-Zauber gesichert werden müssen und Beim Apparieren von Tragen der Apparator die Trage zweimal überschauen muß, bevor er sie mitnimmt. Praktische Übungen dazu hatten wir nicht."
"Oha, und eure achso erfahrene Heilerin Hera Matine hat nicht nachgehakt, ob zwei volljährige Pflegehelfer, die darauf ausgehen, eine Apparierlizenz zu erwerben, auch alle Erstversorgungsmaßnahmen ausprobiert haben? Erstaunlich. Na, dann muß ich das wohl klären, daß du die noch lernst, bevor Hera dem guten Michel mit einem Heuler die Ohren zum klingeln bringt. Was hattet ihr beiden Jungs denn morgen vor?"
"Was Jungs so machen, um die Häuser ziehen, schönen Mädchen nachpfeifen und über Sport quatschen", erwiderte Julius grinsend. Millie lachte. Sie meinte:
"Als wenn du jemals irgendeinem Mädchen nachgepfiffen hättest. Die hätte sich ja umdrehen und sich dir anbieten können."
"Jetzt mal im Ernst, Süßer, was macht ihr morgen?"
"Ey, Tante Trice, das ist mein Süßer", protestierte Millie. Doch ihre Tante funkelte sie sehr bedrohlich an. Julius sagte nun, daß sie morgen Apparitionen an ihm bis dahin unbekannte Orte machen wollten. Millie meinte dazu nur "Öi, heftig!"
"Gut, dann darf Millie morgen zu Michel. Der kann mit ihr noch die Theorie machen. Die zersplintert sich jetzt nicht mehr, und falls doch soll Michel den Notruf machen. Du kommst zu Tine und mir ins Château. Da Mamans Ritual und dein Nachname dich auch Apparitionsberechtigt machen kannst du das mit den unbekannten Orten auch in unserer Gegend und dem Château Florissant durchführen. Und wir zwei machen dabei die Ersthelfersachen für Apparatoren, falls Hera das nicht erst nach der Prüfung mit euch durchgeht. Aber vor der Prüfung ist eigentlich besser."
"Das mußt du Tine aber beibringen, daß Julius und ich morgen die Lehrer tauschen", erwiderte Millie grinsend.
"Was glaubst du, was ich gleich mache, Fruchtschaumschneckchen. Du gehst dann morgen zu Michel, Millie. Den einen Tag werden euch die vom Appariertestzentrum wohl erlauben. ich kläre das mit Tine und Michel Montferre ab, daß ich das nicht hinnehmen kann, daß Julius keine heilkundliche Prüfungsvorbereitung für zertifizierte Ersthelfer bekommen hat. Dann kommst du morgen gleich zu uns ins Château, wenn der Pappostillon nichts anderes vermeldet. Bis dann, ihr zwei!" Julius und Milie waren von der voranpreschenden Art Béatrices so überrumpelt, daß sie kein Wort mehr sagten. Der Kopf der Heilerin verschwand mit leisem Plopp aus dem Kamin.
"Die will Hera eins auswischen, Monju, weil die nicht hinter dir herlaufen oder apparieren kann, während Tante Trice sich immer an mich dranhängen konnte."
"Die hat eine Energie, holla!" Erwiderte Julius anerkennend.
"Wer wenn nicht du weiß das am besten", grummelte Millie. Julius ahnte, was sie damit andeutete, nickte nur sachte.
"Sei also froh, daß du nicht mit der über die Mondbrücke gegangen bist. Sonst würde die das jeden Tag mit dir so abziehen", lachte Millie. Julius mußte das wohl glauben.
Nach dem sehr umfangreichen Abendessen gingen die beiden Eheleute noch etwas im umgebenden Wald spazieren und genossen den lauen Sommerabend. Julius fragte Millie, ob ihr das mit dem Ferienkurs zu viel sei. Sie fragte zurück, ob er das so empfände. Er verneinte es. "Ich habe gesagt, ich mach das und will jetzt auch wissen, ob ich das bringe, Monju. Und selbst wenn ich die Prüfung vermassel werde ich nicht anfangen, dich dumm anzumachen, weil du das schon kannst. Aber Tine meint, die könnte mich nach der Geländeübung morgen wohl zumindest mal vorsprechen lassen. Für mich heißt das, daß die sich sicher ist, daß ich das auch packe. Das wäre ihr ja oberpeinlich, eine ihrer ersten Schülerinnen und noch dazu ihre eigene Schwester, nicht anständig durch die Prüfung zu treiben. Aber du darfst ja mal morgen mitkriegen, wie sie unterrichtet, wenn Tante Trice sie läßt."
"Da bin ich jetzt echt gespannt", erwiderte Julius.
Bei der Rückkehr guckten beide auf ihre magischen Nachrichtenbilder. Doch die bunten Schmetterlinge mit den goldenen Rüsseln hatten nichts neues für die jungen Eheleute. Auch am restlichen Abend kam keine Mitteilung herein. Damit war für Millie und Julius klar, daß sie morgen ihre Ausbilder tauschten.
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Julius fiel am frühen Morgen ein, daß er eigentlich noch mit Professeur Faucon über Temmies Hinweise hatte sprechen wollen. Doch dann war das mit dem Lehrertausch angesagt worden und er und Millie hatten den Abend lieber zur Entspannung genutzt. Sollte er heute zu ihr hinfliegen und mit ihr über Naaneavargia sprechen? Erst mal wollte er sehen, wie er den Tag überstand.
"So, dann paß gut auf, daß du beim Apparieren nicht bei meiner Schwester unterm Umhang landest", feixte Millie. Julius konterte:
"Und paß du auf, daß du ohne Bines und Sans Halbbrüderchen nach Hause kommst." Millie knurrte zwar, mußte dann aber erkennen, daß sie ja angefangen hatte und lachte, weil Julius sich nicht verschämt stillgehalten hatte. Er setzte dann noch einen drauf, daß unter Tante Trices Umhang noch Platz sei.
"Sagt Oma Line auch. Aber ich denke, dann hättest du absolut nix mehr zu lachen, Monju. Bis heute Abend!"
"Bis heute abend, Ma Chere!" Erwiderte Julius. Millie flohpulverte zuerst, weil sie wohl erst im Labyrinth des Ministeriums das richtige Büro suchen mußte. Julius wartete noch zehn Minuten. Dann rief er "Château Tournesol!" aus und ließ sich vom Flohnetz ins Sonnenblumenschloß, dem Stammsitz der Latierre-Familie, hinüberwirbeln.
"Gut gefrühstückt?" Erkundigte sich Line Latierre, nachdem Julius sie, Ferdinand und die beiden Schwestern Béatrice und Mayette begrüßt hatte. Er bejahte das.
"Tine ist gleich bei uns", sagte Béatrice Latierre. "Und du brauchst echt keine Hemmungen zu haben. Wenn Jemand schon unfallfrei apparieren kann, kann das Geschlecht des Ausbilders ruhig ein anderes sein. In Beauxbatons bildet auch ein und derselbe Zauberer einen ganzen Jahrgang von Mädchen aus, und ist dabei ganz anständig."
"Es geht mir eher um das, was du mir noch beibringen willst, Tante Trice", erwiderte Julius.
"Das kriegen wir im Laufe des Tages", bekundete Béatrice.
Martine erschien in einem grasgrünen Hosenanzug, wie ihn Muggelfrauen trugen. Ihr Haar hatte sie hochgebunden. Julius begrüßte sie förmlich.
"Komm mir jetzt bitte nicht mit "Mademoiselle Latierre", Julius. Eigentlich wollte ich heute mit meiner mittleren Schwester noch die Gründe und Vermeidungen von Apparierpannen durchnehmen. Aber so wie ich den Brief von Michel von Gestern Abend verstehe wollte der nur mit dir üben, weil er deinen Kraftüberschuß bei unbekannten Zielorten prüfen wollte. Dann soll der mit Millie nach der Theorie die Standardzielapparitionen im Bois de Champverd machen und hoffen, daß sie dabei keiner Alraune auf den Kopf tritt. Ach neh, geht ja nicht, weil die werte Madame Champverd ihre Lieblinge ja in einem apparitionssicheren Gewächshaus untergestellt hat. Aber zu uns. Meine heilkundige Tante äußerte gestern nach Beendigung des Kurstages mit ihrer Nichte die Besorgnis, deren Ehegatte, der da selbst als zertifizierter Ersthelfer und Pflegehelfer von Beauxbatons aktenkundig ist, könne mangels heilkundlicher Beratung und Ausbildung seines Ausbilders ganz ohne dessen Absicht wichtige Unterrichtseinheiten versäumen. Ich meine, ihr zwei kommt eh durch die Prüfung. Und wenn nicht, schrubbe ich mit meiner Schwester das Château Tournesol vom Dachboden bis zum tiefsten Keller durch. Aber Tante Trice hat recht. Ich habe diese Sachen auch erst nach der Prüfung gelernt und erkannt, wie sicher ich mich fühlte, als ich das alles konnte. Sind im Grunde ja nur zehn wichtige Sachen. Aber die mal praktisch ausprobiert zu haben ist schon sehr gut."
"Zeitung ist da!" Rief Patricia durch das Schloß. "Ey, Maman, Trice, Mayette, wir kriegen 'ne neue Schulleiterin!"
"Häh!" Machte Julius. Martine knirschte zwar mit den Zähnen. Doch dann schaltete sie blitzschnell um. "Okay, in den Speisesaal mit dir, ohne nur eine Treppenstufe und eine Tür anzufassen. Die Zeit läuft!" Julius nahm diesen spontanen Apparierbefehl gerade so noch auf. Die Nachricht, die Patricia da durch das Schloß gerufen hatte, hatte ihn ziemlich unvorbereitet erwischt. Doch dann kapierte er, daß Martine ihn einer Stressprobe unterzog. Aus einer gefühls- und Gedankenverwirrung heraus einen wenn auch bekannten Ort per Apparition zu erreichen war eine gute Übung. Er schloß die Augen, stellte sich den großen Speisesaal des Sonnenblumenschlosses Vor, hob den Zauberstab an und wünschte sich so heftig, dort am Tisch zu stehen, daß er meinte, er stünde dort. Er fühlte fast gar nicht, wie er sich drehte, wie durch den Zauberstab und dann durch seinen Körper ein Ruck ging und dann diese alles zusammenquetschende Schwärze ihn verschlang, scheinbar zerdrücken wollte und doch sofort wieder unversehrt ausspuckte. Unversehrt? Er prüfte schnell, ob auch alles von ihm mitgekommen war. Er atmete auf, als er alle unverletzten Arme, Beine, Ohren und die Nase da fand, wo sie hingehörten. Ein leises Piff meldete ihm die Ankunft Martines. Patricia sah die beiden, die Nichte, die sieben Jahre älter war als sie und den Mitschüler, der mal eben appariert war.
"Unter drei Sekunden", meinte Martine. Patricia fragte, ob sie denn im Schloß apparieren könnten."
"Julius kann das wie du, Maman oder ich, weil wir was von deiner Mutter Lebenskraft in uns haben. Aber normalerweise apparieren wir ja nicht im Schloß selbst. Ich wollte Julius nur vorführen lassen, ob er nach Erhalt einer befremdlichen Meldung sofort anderswo apparieren kann. Die Antwort ist ja. So, was ist denn da jetzt mit Beauxbatons? Interessiert mich auch!"
"Ey, ich bin deine Tante", grinste Patricia. "Mit Trice redest du nicht so von oben runter."
"Als wenn du das hören wolltest, Tante Patricia", lachte Martine und deutete auf die Zeitung, den Miroir Magique, den Zauberspiegel, die ältere der beiden französischen Zaubererzeitungen. Auf der ersten Seite war eine Doppelfotografie. Die linke zeigte Madame Maxime auf einem hochlehnigen Stuhl. Die rechte zeigte Professeur Faucon in ihrer Wohnküche, die Julius gut kannte. Auf den Bildern wirkten beide gleichgroß. Darunter stand die Fette Schlagzeile
NEUES SCHULJAHR NEUER KOPF
STAFFELWECHSEL IN BEAUXBATONS
"Darf ich das lesen, Tante Patricia?" Fragte Julius, die Augen aufschlagend. Seine drei Klassen unter seiner lernende Schwiegertante glubschte ihn verdutzt an und gab ihm die Zeitung. Julius nahm sie, schlug die erste Seite auf und wollte gerade loslesen, als Ursuline, Béatrice und Mayette hereinstürmten. Julius mußte einmal mehr anerkennen, wie gelenkig seine Schwiegeroma war. "Möchtest du uns vorlesen, Julius? Das ist aber nett!" bemerkte Line Latierre mit warmem Lächeln. Julius wartete, bis alle saßen. Dann las er vor:
"In den Nachmittagsstunden des gestrigen Tages erreichten die Redaktion für Gesellschaftsthemen zwei unabhängig voneinander abgesandte Briefe. Der eine stammte von der langjährigen Schulleiterin Madame Olympe Maxime und der weithin beachteten Expertin für Verwandlungszauber und Abwehr schädlicher Zaubereien, Professeur Blanche Faucon. In beiden Briefen teilten Sie dem Miroir Magique mit, daß es im Zuge einer schwerwiegenden Entscheidung beschlossen worden sei, daß mit Beginn des kommenden Schuljahres Professeur Faucon im Einvernehmen mit den Schulräten von Beauxbatons und der Abteilung für magische Ausbildung und Studien als hauptamtliche Schulleiterin der renommierten und im letzten Jahr so außerordentlich hart geprüften Akademie antreten würde. Die Entscheidung sei zunächst außerhalb der magischen Öffentlichkeit erörtert und mit den dafür zuständigen Personen ausgearbeitet und umgesetzt worden. Somit dürfe nun, eine Woche vor dem Beginn des neuen Schuljahres, die französische Zaubererwelt darüber informiert werden, so Madame Maxime in einer ersten Stellungnahme nach Bekanntgabe ihrer Absicht. Professeur Faucon bekundete in ihrem an unsere Redaktion ergangenen Schreiben ihren großen Respekt, ihre Dankbarkeit und ihre Freude, so viele Jahre unter der Führung Madame Maximes zum Wohl unserer Jugend gearbeitet zu haben. Sie drückte ihr Bedauern darüber aus, daß Madame Maxime dieses ehrenwerte Amt nicht noch für weitere Jahre ausüben wolle, müsse jedoch die Gründe für die Entscheidung ihrer Vorgesetzten akzeptieren. Sie hoffe, daß sie den zeitweilig böswillig angeschlagenen Ruf der Akademie wieder festigen und mehren könne und ihren Beitrag zur gedeihlichen Bildung und Förderung unserer Kinder und der mit Magie begabten Kinder nichtmagischer Mütter und Väter leisten könne. Sie empfinde ihre Berufung in den höchsten Rang der Beauxbatons-Akademie zwar als etwas verfrüht, würde aber im Namen und zur Ehre Madame Maximes und der Beauxbatons-Akademie alles in ihren Kräften stehende tun, um den Führungswechsel reibungslos und mit der nötigen Menge Entschlossenheit zu vollziehen. Madame Maxime begründete ihren Rücktritt vom Amt der Schulleiterin, sowie ihren Weggang von der Akademie mit familiären Obliegenheiten, um die sie sich zu kümmern habe. Diese Obliegenheiten würden mehr Zeit beanspruchen, als sie im Amt als Schulleiterin hätte aufbringen können. Daher, so Madame Maxime, sei es notwendig, diesen für sie so schmerzlichen Schritt zu tun und Beauxbatons in die Obhut eines würdigen Nachfolgers zu übergeben. Da sie mit den anderen Lehrern der Beauxbatons-Akademie einhellig befunden habe, daß Professeur Faucon, die ja schon länger ihre Stellvertreterin ist, die besagte, würdige Nachfolgerin sein möge, habe sie mit dieser zusammen die Schulräte von Beauxbatons angeschrieben und die Gründe für ihren Rücktritt erläutert, sowie ihre Bitte um Einsetzung Professeur Faucons vorgebracht. Gestern sei beiden die mehrheitliche Zusage der Schulräte und die amtliche Gewährung ihrer beiden Ersuchen zugestellt worden. Professeur Faucon habe fast zeitgleich Kenntnis von ihrer künftigen Tätigkeit erhalten. Ein Interview mit der ehemaligen und eines mit der künftigen Direktrice von Beauxbatons lesen Sie bitte auf den Seiten drei folgende!"
"Das ist wegen dieser Riesin", grummelte Béatrice. "Haben sie der den glühenden Zauberstab auf die Brust gesetzt und wohl gemeint, die Riesin und ihr Kind in Nomine securitatis Mundi Magici zu töten oder weit genug von allen Menschen entfernt anzusiedeln." Julius fühlte, wie ihm eine Flut von Erinnerungen durch den Kopf schoß. Er fühlte das Blut heiß und heftig in seinen Adern pochen. Wieviel davon war vielleicht noch Olympe Maximes Blut? Er hatte drei Monate in ihrer Nähe verbracht, sie besser kennengelernt als ihm lieb war und trotzdem eine große Ehrfurcht empfunden. Er dachte an diese drei Monate, die Erinnerungen, die sie beide geteilt hatten, warum er überhaupt mit ihr zusammengewohnt hatte. Er sah sie in Professeur Faucons Haus, in dem Sommer, wo das trimagische Turnier in Hogwarts geplant wurde, beim Abmarsch der Beauxbatons-Delegation zur Quidditch-Weltmeisterschaft, wobei ihn als heißkalter Schauer die erste Begegnung mit Fleur Delacour durch den Kopf ging. Er sah sie hinter sich mit einem Besen im schwarzen See von Hogwarts landen, sich mit ihr auf der blauen Kutsche, dann im zylindrischen Warteraum in Beauxbatons, ihn weit überragend, immer wieder am Lehrertisch, dann wie sie in Albericus' Latierres Bus auf allen Vieren gekauert hatte, weil sie zu groß für den VW-Bus war. Er sah sie mit sich und den elf anderen Abkömmlingen der sechs Gründer, wie sie die Säulen der Gründer öffneten. Dann sah er sich hinter ihr herlaufen, neben ihr in ihrem Büro, wie er in diesem übergroßen Kinderbett lag und sie hinter einem Wandschirm verschwand, die Erinnerungen, die sie ihm zu sehen erlaubt hatte, um seine durch ihr Blut angefachten Gefühle beherrschen zu lernen. Zum Schluß noch der Ritt zur Walpurgisnacht und die Verleihung des goldenen Ordens für seine herausragenden Leistungen in Beauxbatons. Ja, ihn und sie verband eine ganze Menge. Sie waren wie Geschwister, die nach der Geburt voneinander getrennt aufgewachsen waren und sich nur für drei Jahre hatten sehen können. Wollte er jetzt behaupten, daß er die Halbriesin liebte? Wohl nicht als Geliebte. So nahe hatte sie ihn nicht an sich herangelassen. Ja, aber wie eine viele Jahre ältere Schwester oder Wegführerin konnte er sie auch verehren. Und jetzt war es amtlich, daß Professeur Faucon die Nachfolgerin von ihr wurde. Professeur Faucon, mit der Julius auch so viele tiefgreifende Dinge erlebt hatte.
"Ich merke, daß es in dir arbeitet, Julius", mentiloquierte Béatrice. "Aber ich möchte doch, daß du die Angelegenheit ähnlich aufnimmst wie alle anderen auch. Für uns alle ist das jetzt was neues." Julius schwieg dazu. Erst als Martine meinte, daß er das Interview mit Madame Maxime auch bitte laut vorlesen möge, kehrten seine Gedanken vollständig in das Hier und Jetzt zurück. So las er das Interview, in dem Madame Maxime tatsächlich erläuterte, daß die aus England herübergekommene Riesin ihre Tante sei und sie, die sie früher jede Abstammung von diesen als grobschlächtig und gewalttätig bezeichneten Wesen abgestritten habe, erkennen müsse, daß sie ihre Herkunft nicht länger abstreiten dürfe, da es gelte, ein unschuldiges Leben, nämlich ihren Vetter Ragnar, mit der Notwendigkeit und Fürsorge aufzuziehen, die das Kind einer den Menschen fast fremden Zauberwesenart beanspruchen dürfe. Selbst wenn dessen Mutter eines Tages befinden sollte, ihr Kind zu verstoßen, sei es an ihr, die sie selbst keine Kinder zur Welt gebracht habe, sein Leben in geordnete Bahnen zu lenken. Sie habe gerade im verstrichenen Jahr lernen müssen, wie schnell Angst zu schändlichen Taten ausufern konnte und habe auch erkannt, wie wertvoll ihr eigenes Leben für andere sei. So wolle sie nun einen neuen Abschnitt ihres Lebens mit einem weinenden und einem hoffnungsvoll dreinschauenden Auge beginnen und äußerte ihre Zuversicht, daß Professeur Faucon, die dann als Madame la Directrice Faucon anzusprechen sei, das Geschick der von ihr geliebten und verehrten Beauxbatons-Akademie in ihre Bewährten Hände nehmen und mit ihrer dort gereiften Erfahrung und ihrem dort und anderswo angehäuften Wissensschatz bereichern und zu noch mehr Ansehen führen werde. Julius fühlte seine Augen brennen. Doch er wollte hier vor Patricia und den anderen Hexen nicht wie ein kleiner Junge oder ein mit dem Tod geliebter Menschen belasteter Mann losweinen. Denn Madame Maxime war ja nicht tot. Sie hatte nur was neues, in jeder Hinsicht größeres für sich gefunden. Er dachte an die Sub-Rosa-Sitzungen und wie sie erwähnt hatte, wie wichtig ihr die Arbeit in Beauxbatons sei. Und jetzt wollte sie Kindermädchen für ein Riesenbaby sein, daß nichts dafür konnte, daß andre Angst vor ihm oder seiner Mutter hatten. Wo genau die Riesin mit ihrem Sohn untergekommen war wurde nicht verraten. Es wurde nur erwähnt, daß sie in einem vom französischen Zaubereiministerium vorbereiteten Ort wohnen und auch für ihre Rasse zuträgliche Annehmlichkeiten erhalten würde. Julius dachte an die Drachenreservate. Doch dann fiel ihm ein, daß Drachen Tiere waren, die nur nach Instinkten lebten und trotzdem ein Recht auf Leben genossen. Das galt dann wohl auch für einigermaßen bewußt handelnde Wesen wie Riesen. Martine bat ihn der Vollständigkeit halber noch, professeur Faucons Stellungnahme zu lesen. So erfuhr er zeitgleich mit den anderen hier, daß Professeur Faucon bereits am Ende des verstrichenen Schuljahres erfahren hatte, daß Madame Maximes Tante über den Kanal gekommen sei und hier in Frankreich einen Sohn geboren habe. Die Diskussionen um die Zukunft von Mutter und Kind beschränkte sich bald auf drei Ausweichmöglichkeiten: Beide der Sicherheit wegen töten, in ein Drachenreservat sperren, um sie mit den gefährlichen Zaubertieren zusammen festzuhalten oder einen dünn bis gar nicht besiedelten Ort für ihre Lebensweise einrichten und sie dort unter Aufsicht einer Fachkraft des Ministeriums leben lassen. Tier- und Zauberwesenkundler erwärmten sich dann wohl eher für die letzte Möglichkeit, da es auch noch nie vorgekommen sei, einen weiblichen Riesen bei der Aufzucht eines Kindes beobachten zu können. Offenbar sei das Ministerium nur noch auf die Alternative Tötung oder Beaufsichtigung eingeschwenkt. Professeur Faucon erwähnte, daß sie aus der Erfahrung, ein Schuljahr lang hauptamtliche Schulleiterin gewesen zu sein und dabei gleichzeitig ihren Fachunterricht erteilt zu haben gelernt habe, eine zeit- und arbeitsintensive Tätigkeit nicht mit anderen zusammenzulegen. Daher habe sie Madame Maxime darum gebeten, Nachfolger für den Fachunterricht Transfiguration und Protektion gegen destruktive Formen der Magie anzuwerben. Madame Maxime habe ihr jedoch diese Anwerbung übertragen, da es immerhin ihre vordringliche Aufgabe sei, den Lehrkörper von Beauxbatons zu formieren und zum bestmöglichen Wohl der dort lernenden Schülerinnen und Schüler arbeiten zu lassen. Sie habe da auch schon einige Kandidaten und Kandidatinnen im Auge, mit denen sie bereits korrespondiere.
"... Auch wenn ich weiß, daß Kontinuität der Unterrichtserteilung für ein möglichst hohes Bildungsniveau wichtig ist, möchte ich nicht in die peinliche Lage geraten, durch meine neue Betätigung in der Unterrichtserteilung nachzulassen, oder durch den nötigen Zeitaufwand im Unterricht dringende Angelegenheiten der Schulleitung zu vernachlässigen. Das Schuljahr, in dem in Hogwarts das trimagische Turnier stattfand, lehrte mich, daß es Aufgaben gibt, die zu wichtig sind, um sie neben anderen zeitgleich erfüllen zu können. Ich werde Ihnen noch nicht mitteilen, wen ich als neue Fachkräfte für die bislang von mir erteilten Unterrichtsfächer ins Auge faßte oder bereits so gut wie angeworben habe. Dies möchte ich erst verlautbaren, wenn ich handfeste und von den Schulräten befürwortete Zusagen in Händen halte. An meine bisherigen Schüler, ob unterhalb oder oberhalb der ZAG-Klasse richte ich meine letzten Worte als Fachlehrerin, die sie gerne auch schon als erste Worte einer Schulleiterin auffassen dürfen: Ich habe Sie alle, Mädchen und Jungen, so gut es mir gelang und so gut Sie meine Aufmerksamkeit durch Ihre Mitarbeit honoriert haben, zu brauchbaren Hexen und Zauberern erzogen und bin nicht aus der Welt, wenn Sie mit gerechtfertigten Anliegen bei mir vorsprechen möchten, die den Wechsel im Kollegium betreffen. Ich möchte Sie alle jedoch ersuchen, mit mir zusammen die Ehre und die Gründlichkeit von Beauxbatons zu pflegen und in Ihrem eigenen Interesse mit dem Personal- und Führungswechsel so vernünftig und bereitwillig umzugehen, wie ich dies tun werde. Wer auch immer an meiner Stelle die beiden Unterrichtsfächer betreuen und die Freizeitkurse Verwandlung und Fluchabwehr leiten mag, er oder sie darf, wird und muß denselben Respekt und dieselbe Einsatzbereitschaft von Ihnen erhalten, welchen und welche ich von Ihnen erhielt." Das waren die letzten Worte des Interviews, das Julius mit der entsprechenden Betonung vorgelesen hatte, als habe Blanche Faucon seinen Körper übernommen und spräche aus seinem Mund. Dann gab er Patricia die Zeitung zurück. "Ich glaube, ich bin hier irgendwie noch zum arbeiten, oder?" Fragte er Martine und Béatrice. Alle anderen lachten.
Julius verließ das Schloß auf seinen zwei Beinen. Draußen vor den Toren ließ er sich von Martine Orte beschreiben, die er nur der Beschreibung nach anspringen sollte. Als er sich sicher war, jedes Bißchen Information darüber zu haben, ging er die drei Stufen des Apparierens durch. Er stellte sich das ihm bis dahin unbekannte Ziel vor, holte es so gut er konnte vor sein geistiges Auge. Dann wünschte er sich mit steigender Entschlossenheit, dort zu sein, zwischen hohen Felsen und einer Hügelkette in Nordrichtung. Dann drehte er sich fast automatisch und stieß hinein in jene schwarze, ihn mit Überdruck zusammenquetschende Zwischenstufe zwischen Hiersein und Dasein. Als er dann aus der Verdrillung zwischen Ausgangsort und Zielort freikam stand er genau auf einem der Hohen Felsen. Er hörte in der Ferne ein Düsenflugzeug am Himmel entlangfauchen. Er prüfte, ob noch alles an ihm dran war. Zwar hatte er jetzt schon mindestens fünfzig eigenständige Apparitionen geschafft. Doch an unbekannten Orten zu landen kostete ja noch mehr Konzentration. Er sah sich um. Zwischen den Felsen apparierten gerade Tine und Béatrice. "Nicht nachkorrigieren!" Schoß ihm Tines Gedankenbefehl durch den Kopf, als er Anstalten machte, bei ihnen unten zu erscheinen. Er fühlte, wie sein Aufspürarmband zitterte. Sie hatten also vermessen, um wie viel Winkelmillisekunden in der Fläche und in der Deklination er sich verappariert hatte. Seiner Schätzung nach war er etwa hundert Meter über dem Talgrund und zweihundert Meter von den beiden Hexen entfernt. Dann verschwanden diese und erschienen fast zeitgleich mit kaum hörbarem Plopp und Piff an seiner Seite.
"Beim ersten Mal vertun sich alle", begrüßte ihn Martine. "Aber dafür bist du zumindest auf der gewünschten Gradsekunde und -minute in Länge und Breite appariert. Das üben wir jetzt solange, bis du zehn mal genau da ankommst, wo ich auch hinwollte", sagte Tine noch und klopfte ihm anerkennend auf die Schulter.
"Wo genau bin ich hier eigentlich rausgekommen?" Fragte Julius.
"Das ist der altdruidische Bezirk der Bretagne, knapp zehn Kilometer vom Atlantik entfernt", sagte Tine. "Insofern schon günstig, nicht im Meer gelandet zu sein."
"Und hier kann man apparieren?" Fragte Julius.
"Wunderbar kann man das. Nur Muggel kommen hier nicht hin, weil ein über tausend Jahre alter Zauber sie dazu bringt, um diese Gegend herumzugehen oder zu fahren. - In Ordnung. Ziel Eins um knapp ein Viertel Prozent verfehlt. Wunderbar für den Anfang", erwähnte Martine und gab Julius ein anderes Ziel. Als Julius dort oder zumindest ungefähr dort landete, fand er sich auf einem Gipfel wieder. Das erinnerte ihn an seine Ausflüge mit Michel, wo er schon in Spanien gelandet war. Doch offenbar war er noch im Hoheitsgebiet des französischen Zaubereiministeriums. Keine vier Sekunden später erschienen auch Tine und Trice.
"Sage ich es doch, du lernst das. Das mit dem Kräfteüberschuß hat Michel offenbar doch gut bei dir eingepegelt. In Ordnung, das dritte Ziel. Da gibt es einen Wald, ungefähr siebenhundert Kilometer südöstlich von hier. In dem ist eine Lichtung, wo fünf Birken und zwei Eichen um eine Blumenwiese stehen. Fünf Birken und zwei Eichen auf einer Lichtung siebenhundert Kilometer südöstlich von hier." Julius peilte die Himmelsrichtung an und stellte sich so, daß er bei der nötigen Drehung vom Schwung her genau nach Südosten abspringen würde. Zwar galten im Transit keine Drehrichtungen, sondern nur der feste Wille, dorthin zu kommen, wohin er wollte. Er konzentrierte sich und stellte sich die Bäume vor. Er fragte jedoch, in welcher Anordnung die Bäume standen. So erfuhr er, daß die beiden Eichen am Lichtungsrand standen und die fünf Birken ein Hufeisen nachbildeten. Das war doch mal eine Information. Er stellte sich genau diese Baumgruppe vor, dachte sich eine Blumenwiese dazwischen, hielt das Bild fest und dachte, genau auf der Wiese zu stehen. Er dachte es und konzentrierte sich und drehte sich fast ohne es genau einzuleiten. als er aus dem Transit in die stoffliche und zeitliche Welt zurückfiel stand er auf jener Blumenwiese, die er sich vorgestellt hatte, die fünf Birken grüßten mit ihrer von der Sonne beschienenen, hellen Rinde, und der Wind strich leise rauschend durch die Kronen der beiden Eichen. Keine Sekunde später standen Béatrice und Martine genau neben ihm.
"Du bist zwar noch ein bißchen laut. Aber du entwickelst eine intuitive Bewegungsabfolge, die dich sicher trägt", bemerkte Martine.
"Millie kann schon leiser, habe ich schon gehört. Wie macht ihr Mädels das eigentlich? Und jetzt sagt mir bitte nicht, daß läge daran, daß es an was liegt, was wir Jungs haben oder an was, das wir nicht haben!?"
"Das klären wir nachher im kurzen Nachbereitungsteil", sagte Martine und fragte ihn, ob er das nächste Ziel angehen wolle.
Zehn Ziele, nur sechs nennenswerte Abweichungen. Dann kam eine Serie mit zehn halbwegs gelungenen Ankünften. Dann jedoch, nachdem sie auf Béatrices Heileranweisung hin was gegessen hatten, legte Julius die von Tine erwünschte Serie von genauen Treffern hin. Béatrice meinte, daß diese Übung eigentlich schon für Heileradepten sei, die ja grundsätzlich zu ihnen unbekannten Zielen reisen müßten. Bei der Standardprüfung käme es eher darauf an, zielsicher an bereits bekannte Orte zu wechseln.
"Wir kriegen das auch ohne eine Herzanhängerverbindung mit, daß du dich da voll reinkniest, Julius", meinte Martine. Béatrice nickte ihr zu und sagte dann zu Julius: "Du bist da wie meine Mutter, die sich darauf gefreut hat, ein Kind zu kriegen und dafür alles tut, auch wenn's schwierig ist, aber mit der vollen Vorfreude auf das Ergebnis alles durchzieht und übersteht."
"Na ja, neun Monate wollte ich dafür auch nicht ackern", meinte Julius. Martine lachte. Dann sagte sie noch:
"Du hast wohl Millie mit deinem Enthusiasmus angesteckt, weil sie das als Herausforderung sieht, mit dir mitzuhalten, auch oder gerade weil sie weiß, daß du mehr Zauberkraft hast, aber dafür nichts kannst und sie eben wissen will, ob sie trotzdem mitkommt."
"Das Herumfliegen im Würfel wie einer dieser unerschöpflichen Flummis hat mir schon gezeigt, daß viel Kraft längst nicht immer gut ist."
"Deshalb kannst du das jetzt auch."
"Millie meint aber, sie wolle nur zusehen, nicht zu lange bei dir zu lernen."
"ja, sagt sie mir auch. Die ist wohl froh, daß sie bei Michel Montferre heute herumapparieren darf. Aber ob die darüber glücklicher ist", grinste Martine. "Michel ist ein Theoretiker. Wenn du dem alle Gesetze und Theorien des Apparierens im Schlaf runterrattern kannst ist der glücklich."
"So heftig habe ich das nicht empfunden", erwiderte Julius, der natürlich wußte, wie viel Wert Michel auf die theoretischen Grundlagen gelegt hatte.
"Apparieren ist wie Tanz und Musik. Drüber reden und schreiben klingt zwar sehr gebildet. Aber können muß man das, damit es Eindruck macht."
"Das gilt für so vieles", erwiderte Julius darauf. Béatrice zwinkerte ihm zu und mentiloquierte: "Das wissen wir zwei auch schon." Er beherrschte sich, wie es die Manieren des Mentiloquismus vorschrieben. Er hörte nun auf Martine, die ihn noch einige Ziele anspringen schickte und traf von zehn Zielen neun perfekt und eins im Rahmen von nur zehn Metern Abweichung.
"Zum Auflockern apparieren wir jetzt in die Rue de Camouflage und dann zu Tante Babs auf den Hof", gab Martine vor. "Also erst einmal zur Rue de Camouflage vor unser Haus, Julius. Nicht ins Haus, weil Ma heute Putztag hat und du mit der Walderde und dem Felsenstaub an den Schuhen bestimmt drei Stunden Putzdienst von ihr aufbekommen würdest. Und die Zeit haben wir zwei nicht. Also los: Ziel, Wille, Bedacht!" Sie disapparierte beim letzten Wort mit leisem Piff. Julius stellte sich schnell das Honigwabenhaus vor, dachte, er klopfe gleich an die Tür und drehte sich in den Transit. Als er ankam warf er Martine fast um.
"Ui, gut, daß wir zeitversetzt appariert sind", meinte Martine, als sie ihren Beinahesturz abgefangen hatte.
"Wie bei Robin Hood, der einen Pfeil genau in einen anderen reingeschossen haben soll", sagte Julius scherzhaft.
"Hallo, Julius!" Rief ihm eine Mädchenstimme zu. Er sah sich um und erkannte Céline, die mit ihrer Nichte Cythera spazierenging. Martine sah ihn zwar erst etwas unwirsch an, lächelte dann aber, als er die beiden kurz begrüßte.
"Ist das schon die Abschlußprüfung?" Fragte Céline, wobei sie Cytheras rechtes Händchen sicher hielt.
"Die kommt übermorgen. Ich möchte nur noch ein paar Zusatzsachen für apparierende Ersthelfer lernen", sagte Julius.
"Du kannst wegpengen?" Fragte Cythera Julius und sah ihn mit ihren großen Kinderaugen an, die ihrem unseligen Vater Malthus Lépin ähnelten.
"Noch nicht ganz. Aber ich probier das aus", sagte Julius. Dann meinte Béatrice, daß der Zeitplan eng sei. Céline kapierte es und lächelte Julius an. "Wenn du das ganz offiziell darfst komm noch mal zu uns rüber, meinetwegen auch mit Millie. Tschüs!"
"Die ist kein bißchen Eifersüchtig, weil ich das schon mache", wunderte sich Julius, als er mit Martine einige Schritte gelaufen war.
"Bestimmt beneidet die dich darum. Aber sie kann's ja im nächsten Jahr lernen, und in Beauxbatons könnt ihr eh nicht apparieren", erwiderte Béatrice. "Und womöglich möchte sie sich gerade um ihre kleine Nichte kümmern."
"In Ordnung, Julius. Wir apparieren jetzt beim Haupthaus auf dem Hof von Tante Babs. Paß auf, daß du keiner Kuh unter dem Hintern rauskommst, wenn sie gerade was fallen läßt!" Julius überhörte diese Warnung und konzentrierte sich auf das Haupthaus im Valle des Vaches. Dann disapparierte er. Er meinte schon, wieder perfekt anzukommen, als die Ansicht des Haupthauses wieder im schwarzen Nichts verschwand und er meinte, von einem vernehmlichen Sog eingefangen zu werden. Als er dann doch wieder in das feste Raum-Zeit-Gefüge zurückkehrte stand er genau mit dem Gesicht zu einem großen, rosaroten Sack, der unten in vier langen Enden auslief. Er blickte nach oben und sah den blütenweißen Bauch einer Latierre-Kuh, einer Kuh, die gerade ein Kalb trug.
"Oh, bist du wieder bei mir", hörte er Temmies Stimme in sich und trat schnell zwischen ihren baumstammartigen Hinterbeinen heraus.
"Wollte eigentlich zum Wohnhaus und bin dann davon umgelenkt worden", sagte Julius halblaut. "Ich wollte dich nicht erschrecken."
"Der kurze Weg ist manchmal schwierig", hörte er Temmies Gedankenstimme mit amüsierter Schwingung in sich. Da apparierte Martine, keine Sekunde später gefolgt von Béatrice.
"Das habe ich aber bis heute nicht gehabt, daß etwas einen Apparator in den Transit zurückzieht und anderswo absetzt. Du warst schon zu sehen. Dann bist du wie eine erlöschende Kerzenflamme verschwunden. Mein Spürgerät hat gezeigt, daß etwas deinen Transit überlagert und verstärkt hat. Nur mit dem Anpeiler konnte ich überhaupt ... och nöh, Hast du deine kleine Temmie gefunden?"
Temmie gab ein langes, tiefes Muuuuuuuuuh von sich. Offenbar amüsierte es die noch junge Kuh mit der Seele einer mächtigen Magierin aus dem alten Reich auch, daß Martine das amüsierte. Béatrice grummelte, daß sie das eigentlich hätte befürchten müssen. Sie wies die beiden an, ihr zu Fuß zum Haus zu folgen. Martine könne ruhig schreiben, daß alle erforderlichen Zielankünfte abgeschlossen seien. So gingen sie dann zu Fuß zurück zum Haus.
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ICH FÜHLE MEIN KIND. ES BEGINNT ENDLICH, SICH ZU BEWEGEN. ICH HABE FAST VERGESSEN, WIE HERRLICH SICH DAS ANFÜHLT, ABER AUCH UNANGENEHM, WENN ES MEINT, MIR IN DEN MAGEN ZU DRÜCKEN UND DIESE STINKLUFT AUS MIR HINTEN RAUSDRÜCKT. ABER WAS IST JETZT? ICH MERKE, DAß JULIUS GENAU AUF DEM GROßEN PLATZ ANKOMMT, WO BARBARA UND IHRE KINDER WOHNEN. IRGENDWIE WILL ER ZU MIR UND ICH WILL, DAß ER BEI MIR IST. TATSÄCHLICH KOMMT ER AUF DEM KURZEN WEG ZU MIR UND STEHT DA, WO ICH MEIN KIND FÜHLEN KANN. ER LERNT DEN KURZEN WEG ALSO. SICHER HAT UNSERE VERBINDUNG IHN ZU MIR GETRAGEN, BEVOR ER RICHTIG VOM KURZEN WEG HERUNTERGETRETEN IST. DANN MUß ER WOHL NOCH AUSPROBIEREN UND DAS RICHTIG FÜHLEN, WO ER DEN KURZEN WEG VERLASSEN KANN. EIGENTLICH WOLLTE ICH JETZT EIN WENIG IN DEN HERRLICHEN, WEIßEN WOLKEN DA OBEN BADEN. ABER ICH MUß ERST WARTEN, BIS JULIUS WIEDER GANZ WEIT VON MIR WEG IST, BEVOR SIE WOLLEN, DAß ER DEN KURZEN WEG WIEDER GEHT UND DANN DA OBEN BEI MIR ANKOMMT. DAS IST GANZ SICHER, WEIL ER UND ICH DURCH KÖRPER UND INNERES SEIN VERBUNDEN SIND.
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"Also, das muß euer Chef nicht wissen, Martine. Aber zwischen Temmie und Julius gibt es eine sowohl körpermagische und seelenmagische Verbindung. Kann sein, daß die wie ein auf ihn geprägter Locattractus-Zauber gewirkt hat", erwähnte Béatrice. Martine nickte. Sie wußte ja doch, was zwischen Julius und der geflügelten Artemis los war.
"Neh, das müssen die Pergamentfresser und Tintentrinker in der Verwaltung echt nicht wissen", meinte Tine Latierre. "Aber dann darfst du wohl so schnell nicht mehr hier her, Julius", sagte sie noch. "oder du kriegst mit der Zeit ein richtiges Gefühl, wie du an deinem Ziel ankommen mußt."
"Ich kann ja froh sein, daß ich nicht in Temmies Unterbau gelandet bin", meinte Julius. "Nachher hätte die mich als Zwillingskalb rauswerfen müssen."
"Ja, wahrscheinlich hast du unbewußt an sie gedacht und sie dadurch mit dir verbunden, aber eben nur unbewußt, so daß ihre Determinationsdurchtränkung auf dich überfloß und du nicht aus dem Transit herauskamst, bevor du bei ihr warst", vermutete Béatrice. Martine bestätigte es.
"Da sie mehr Körper und damit auch mehr eigene Magie hat konnte sie dich aus dem Transit zu ihr hinüberziehen, ohne das eigentlich zu wollen", vermutete Martine. In Ordnung, dann sollten wir besser per Kamin von hier zu einem Ort reisen, wo wir deine Zusatzübungen machen können, Tante Trice."
"Dieselben wie gestern", sagte Béatrice.
So flohpulverten sie in die Rue de Camouflage, von wo aus Julius zehn Ziele mit der Vorgabe anspringen mußte, nicht näher als zehn Meter heranzukommen. Béatrice und Martine führten mit ihm Transportübungen durch, bei denen er den Nacken fixieren und den scheinbar ohnmächtigen Körper transportklar machen mußte. Er mußte eine mit einem einen Zentner schweren Sack beladene Trage vor den Eingang der Delourdesklinik bringen, wo sie Clementine Eauvive trafen, die Julius begrüßte und ihm viel Erfolg bei der Prüfung wünschte.
"Wenn du möchtest, daß deine Nichte und dein Schwiegerneffe die Zusatzangabe "Ersthelferproben bestanden" haben sollen, müssen die nach der Prüfung noch bei Maman vorbei."
"Es reicht, daß sie es können und die vorgeschriebene Prüfung bestanden haben, Clementine", erwiderte Béatrice. Dann ließ sie Julius die mit der Attrappe belegte Trage wieder zum Sonnenblumenschloß bringen.
"Du wolltest doch noch wissen, warum gerade Hexen so leise apparieren können", erinnerte Martine ihren Schwager an das, was er vorher gefragt hatte. Er nickte. "Es ist nicht so, daß Zauberer nicht sehr leise apparieren können. Es kommt auf die fließende Bewegung im Zusammenspiel mit den Bewegungszonen an. Bewegungszonen erhöhen oder verringern die Ausdehnung der magischen Säule, in der dein Körper sich in den Transit hineinbegibt oder daraus erscheint. Die Bewegungszonen werden durch drei Faktoren bestimmt: Drehgeschwindigkeit, Auslenkung und Längenabstand. Auch wenn du vorher gegrinst hast, als du das sagtest, ob es daran liegt, daß wir Hexen hier mehr haben", wobei sie auf ihren Oberkörper deutete, "und hier weniger haben", worauf sie für einen Moment das rechte Bein abspreizte, "bestimmt die Körperform schon einmal die Auslenkung. Unsere Becken sind breiter als bei euch Jungs und unsere Oberweite ist meistens ausgeprägter als bei euch. Dadurch kommen in einem gewissen Längenabstand zwei ausgreifende Ringabdeckungen hinzu, die sich aber wegen der dazwischen liegenden geringeren Körperbreite darin ausgleichen, beziehungsweise damit zerstreuen. Ihr seit oben an den Schultern meistens breiter als am Becken. Bei dir kann ich das definitiv sagen", stellte sie fest und zeichnete mit einer Hand eine gerade Linie von Julius' rechtem Schulterblatt zu seiner rechten Hüfte, wobei er sehen konnte, daß der Abstand zwischen ihren Fingern und seinem Körper etwas wuchs. "Interessant, daß das nicht zum theoretischen Prüfungsvorbereitungskram gehört", meinte sie noch. "Gut, einen Flugbesen bauen mußt du beim Fliegen ja auch nicht können. Aber um deine Neugier und deinen analytischen Verstand zu befriedigen kann ich dir sagen, was Rosebridge und Pinkenbach gemeinsam in ihrer Fachpublikation "Körper im Gewebe von Raum und Zeit" dargestellt haben. Der magische Mensch, der das Apparieren erlernen will oder schon praktizieren kann, vermag durch seine durch den Willen in seinem Körper konzentrierte Magie sechs Bewegungszonen zu schaffen. Je breiter der Körper, desto weiter wird die Transitsäule, die bei der Drehung oder bei besonders starken Apparatoren durch gerades anheben des Zauberstabes erzeugt wird. Jetzt ist es aber so, daß die Bewegungszonen sich gegenseitig beeinflussen und die darin gebündelten Kräfte einander hinzuzählen oder voneinander abziehen. Der Kopf mit dem Hals, eigentlich die Quelle des Willens, ist wegen seiner zum Körper geringen Größe die kleinste Bewegungszone. Dann kommen der Oberkörper mit den Oberarmen, der Bauchraum mit den Unterarmen und Händen bis zur Taille, das Becken, die Oberschenkel einschließlich der Knie und zum Schluß die Unterschenkel mit den Füßen." Sie deutete bei der Ausführung auf die betreffenden Körperstellen. Da sind wir genau da, warum es bei euch Jungs häufig lauter knallt, solange ihr nicht rausbekommt, wie ihr diese Bewegungszone enger macht. Die Breite der Schultern wird bei kräftigerer Drehung auf die Arme ausgedehnt, wodurch die Transitsäule erweitert wird. Da sie einheitlich weit bleibt, erfährt sie durch die Oberkörperpartie ihre größtmögliche Gesamtausdehnung. Das heißt also, daß mehr umgebende Luft mit in den Transit hineingerät. Warum es beim Disapparieren und Reapparieren knallt weißt du ja schon aus der Muggelwelt. Abgesehen davon, das die restlichen Körperzonen eines Zauberers die Oberkörperauslenkung wenig bis überhaupt nicht beeinflussen, weil der Ausdehnungsunterschied zu gering ist. Deshalb nimmt die vom Oberkörper her bestimmte Säule mehr Luft mit und bringt diese mit dem Apparator ans Ziel. Das unterscheidet dann zwischen Piff und Bumm! Wenn aber zwei Bewegungszonen, die durch mindestens eine weitere Bewegungszone getrennt sind, eine größere Ausdehnung haben als die mindestens eine dazwischenliegende, verringern die mit der geringeren Breite die größte Ausdehnung der Transitsäule."
"Moment, wenn ich also die Arme fest an den Körper drücke müßte ich weniger Luft mit hinüberreißen?" Fragte Julius.
"Das, oder du kriegst raus, wie du eine der unteren Bewegungszonen deiner Schulterbreite anpaßt, also die Füße etwas weiter auseinandersetzt. Hinzu kommt, daß die Transitsäule durch die Bewegungskraft, also wie schnell du dich in den Transit hineindrehst, die Ausdehnung beeinflußt. Wenn du es hinbekommst, ein Ausdehnungsgefälle von zwei durch mindestens eine voneinander getrennten Bewegungszonen mit unterschiedlicher Breite hinzukriegen und gleichzeitig eine ruhige, stabil nach oben ausgerichtete Drehung zu vollführen, nimmst du weniger Luft mit in den Transit, und das von dir am Ausgangsort entstehende Vakuum ist geringer, und die von dir am Zielort verdrängte Luft weniger. In diesem Fall gilt also, Drehgeschwindigkeit mal Zonendifferenz gleich Luftverdrängung. Es gibt Apparatoren, die meinen, sie könnten sich so langsam in den Transit hineindrehen, daß es leise säuselt, bis sie weg sind oder ankommen. Meistens zerfließt die Transitsäule bei zu langsamer Bewegung. Sie baut sich in Form mit Menschensinnen nicht wahrnehmmbarer Entladungen ab, die keinen physischen Einfluß ausüben. Sie verpuffen halt nur, und der Apparator bleibt am Ausgangsort, auch wenn er sonst eine perfekte Determinationsdurchtränkung aller mitzunehmenden Materie hinbekommt. Wer flüchten muß wird sich natürlich sehr schnell in den Transit drehen, was dann natürlich die Breite der Transitsäule vergrößert. hast du das soweit alles mitbekommen?" Julius nickte heftig. Er bat jedoch darum, sich diese Zusatzinformationen aufzuschreiben. Vielleicht mußte er irgendwann mal sehr genau darauf achten, möglichst leise zu apparieren. Nachdem er das alles und noch einige Hinweise von Béatrice zum Apparieren mit größeren Objekten niedergeschrieben hatte, war der Unterrichtstag zu Ende.
Am Abend war Julius regelrecht platt. Trotz der Nahrungs- und Wasseraufnahmeüberwachung durch Béatrice merkte er jetzt erst, wie heftig er sich an diesem Tag verausgabt hatte. Millie war auch im Gelände unterwegs gewesen und hatte auch zehn Ziele perfekt getroffen. Julius erzählte ihr, was in der Zeitung gestanden hatte.
"Das war wohl heftig für dich, wo Madame Maxime dir das Leben gerettet und dich drei Monate lang sicher geführt hat, daß du nicht auf Corinne losgesprungen bist." Julius mußte das bestätigen, obwohl Millie so verwegen grinste. Doch ihre Augen verrieten ihm, daß sie sich nicht über ihn lustig machen wollte.
"Ich wollte an und für sich mit Blanche Faucon, die wir dann wohl bald Madame Faucon nennen dürfen, über dieses Spinnenweib reden, weil Temmie mir da einen guten Tipp gegeben hat. Aber ich bin gerade zu platt, und sie kurbelt gerade kräftig das Personalkarussell, wenn ich das richtig gelesen habe."
"Und du fährst nicht gerne Karussell, Monju?" Fragte Millie grinsend. Julius lachte und sagte, daß er schon gerne Karussell führe aber nicht, wenn er einen ganzen Tag durch einen strohhalmengen Gummischlauch nach dem andren gesprungen und dabei fast an Temmies Zitzen hängengeblieben sei.
"Das hätte die sich bestimmt gerne gefallen lassen", schnurrte Millie und drückte Julius fest an ihren Brustkorb. "Ich kann der das nicht verübeln." Dann schnüffelte sie. "Aber ihr Parfüm steht dir nicht. Ich mach dir 'n schönes, heißes Bad." Julius erhob keine Einwände.
Um nicht aus Versehen in der großen meerblauen Badewanne zu ertrinken hüllte Julius seinen Kopf in eine magische Luftblase ein und genoß dieses Gefühl, fast zu schweben, vom heißen Wasser umfangen zu werden, wie damals, vor nun fast sechzehn Jahren und ein paar Monaten. Erst als er fast eingeschlafen war und das Wasser nicht mehr so einlullend warm sondern fast lau war entstieg er diesem Behälter der Ruhe, der Entspannung und Reinigung für Körper und Seele. Millie hatte sich auch eine Badewanne einlaufen lassen und fast eine Stunde darin zugebracht. Nun lagen sie, noch eingehüllt vom Duft der Badezusätze im Bett und glitten fast zeitgleich in einen wohltuenden, mehr als nötigen Schlaf hinüber.
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Der letzte Tag vor der Prüfung war für die beiden Frei. Am Morgen bekamen beide nur die Eulen, daß sie am nächsten Morgen um neun Uhr von Madame Ariane Mistral einzeln an ihrem Wohnort abgeholt wurden. Einer zwanzigminütigen Befragung würde dann eine Prüfung über etwa eine Stunde folgen. Julius stand seiner Frau beim Putzen zur Seite und setzte ein paar Herbstblumensamen. Wie die aufblühten würde er zwar nicht mitbekommen, doch Camille würde das freuen, wenn sie ab und an durch den Garten patrouillierte. Gegen Nachmittag flog er alleine zum Haus von Blanche Faucon. Millie hatte sich mit Caro, Sandrine und Belisama bei Sandrine verabredet. Prüfungsvorbereitungen wollte sie jetzt absolut keine mehr machen. Julius verstand sie. Was sitzen sollte war die Technik. Die Theorie brauchte im Zweifelsfall kein Mensch mehr, wenn er nicht Apparierlehrer werden wollte wie Michel. Seine Eltern hatten in der Fahrschule auch alles mögliche über den Motor eines Autos gelernt. Aber was wirklich zählte war das Fahren und die Verkehrszeichen. Wenngleich ihn das Phänomen, daß Temmie ihn an sich gezogen hatte schon sehr interessierte, wußte er doch, daß er das heute nicht mehr lösen konnte.
Blanche Faucon sprach wohl gerade im Haus mit jemandem. Doch ihr Umgebungsmeldezauber reagierte auf den landenden Besen. Sie hielt inne. Julius trat an die Tür und zog den Klingelzug. Hier hatte er seine ersten Sommerferien als Hogwarts-Schüler verbracht. Damals konnte keiner wissen, wie entscheidend die in diesem Haus wohnende Hexe sein Leben geprägt hatte. Ohne sie wäre er wahrscheinlich nie in Slytherins Galerie gewesen oder hätte diesen Husarenritt dorthin überlebt, hätte seine Freunde vor Umbridges Dementoren retten können oder die Himmelsburg Ailanorars suchen dürfen.
"Hallo, Julius! Ich hoffe, du wolltest nichts fachliches wegen der UTZ-Jahre von mir wissen", begrüßte die Hausherrin ihren Ausnahmeschüler, der nicht so gerne als solcher rüberkommen wollte.
"Ich habe von Aurora gehört, daß sie im Westen immer noch dieses Spinnenproblem haben. Und eine sehr gewichtige Dame, die gerade ihr erstes Kind erwartet hat mir ein paar Tipps gegeben, wie ich Aurora helfen könnte. Aber ich wollte das gerne mit jemanden ... Aber ich bin unhöflich! Herzlichen Glückwunsch, Madame Faucon. Ich hoffe, nicht der erste zu sein, der Sie zu ihrer neuen Position beglückwünschen darf." Er reichte der künftigen Direktrice die rechte Hand zum Glückwunsch. Doch sie zog ihn in eine Umarmung, die er erwiderte und sie auf die Wangen küßte.
"Jetzt lebst du schon so lange hier, wirst von mehreren Familien gleichzeitig gehegt, gepflegt und angeleitet", sagte sie, während sie Julius in ihr Haus hineinbugsierte. "Und immer noch meinst du, alles durch einen Handschlag bekräftigen zu müssen", vollendete sie den Satz. Dann gab sie Julius wieder frei und wischte sich kurz mit einem rosaroten Taschentuch über die saphirblauen Augen. "Nein, du bist nicht der erste, der mir gratulieren darf. Ich habe bereits die amtliche Bestätigung und den Glückwunsch von Madame Maxime, sowie Eleonore, Camille, Florymont, Professeur Énas, Professeur Tourrecandide, Professeur Fixus, Aurora Dawn und einigen mehr. Aber das du mir persönlich gratulierst zeigt mir, daß ich diesen Posten wirklich bekommen habe. Komm bitte in die Wohnküche. Ich habe noch jemanden zu Besuch. Nein, du mußt jetzt nicht den schnellen Rückzug antreten. Wir sind so gut wie durch", sagte sie und zog ihn bestimmt hinter sich her in die Wohnküche.
Julius fragte sich, wo er die Hexe im grünen Kleid mit den seidenweichen, tiefschwarzen Haaren, die fast noch eine Spur dunkler als die der Hausherrin oder Aurora Dawns waren, schon mal gesehen hatte. Sie wirkte noch jung, vielleicht in Béatrice Latierre oder Auroras Alter. Sie war gerade dabei, ein mehrseitiges Formular zu studieren. Julius grüßte höflich.
"Madame Dirkson, das ist Monsieur Julius Latierre, ein UTZ-Schüler, von dem ich sehr zuversichtlich ausgehe, daß er Ihrem Unterricht folgen wird, sofern Sie Ihre Meinung nicht doch geändert haben. Monsieur Latierre, daß ist Madame Eunice Dirkson, bisher freie Kolumnistin der britischen Ausgabe von Verwandlung Heute und Verfasserin der Veröffentlichung "Hexenküche, Haushaltszauber unter hohen Anforderungen" in der Fachzeitschrift "Zeitgenössische Zauberkunst. Sie hat sich auf die vakante Stelle der Fachlehrerin für Transfiguration beworben."
Julius fiel natürlich sofort auf, daß Blanche Faucon den Vornamen der Hexe englisch und akzentfrei aussprach, ebenso wie den Nachnamen. Er sah sie genauer an. Sie wirkte lebenslustig, wenn er auch meinte, einen Schatten von Trübsal in ihrem Gesicht zu sehen. Sie stand auf und streckte ihm die rechte Hand entgegen. Er ergriff sie.
"Ich habe Sie bei dem Prozeß gegen die Carrows gesehen und gehört, daß Sie wie ich vor dem Gamot zu den Umtrieben der Mörderin Dolores Umbridge ausgesagt haben, wenngleich sie am letzten Tag vor der Urteilsverkündung wohl aus weiser Voraussicht nicht im Gerichtssaal waren." Julius erinnerte sich. Dann stach es ihm ins Herz. Er hatte bei der Urteilsverkündung gehört, daß Umbridge auch wegen vollendeten Mordes an einem Dorian Dirkson für schuldig befunden worden war. So setzte er eine protokollgemäße Beileidsmiene auf und nickte Madame Dirkson zu. Sie winkte ab. "Ja, mein Mann war so gutgläubig, seine Zaubererfähigkeiten vor dieser Kommission als rechtmäßig befinden zu lassen und hat diesen Yaxley gesehen, einen Handlanger von Sie-wissen-Wem."
"Ich habe in den Tagen feststellen müssen, wie viel Glück und Hilfe ich selbst hatte", sagte Julius und sah Blanche Faucon an, die zwar erst nickte, dann aber sofort bekundete, daß alle Hilfe nichts nütze, wenn man nicht bereit war, sie anzunehmen. Und das hätte Julius' Mutter getan.
"Ich hörte von der Blutprobe. Es hat mir in all der dunklen Erinnerungswut doch ein wenig Spaß gemacht, daß jemand dieser Opportunistin und Handlangerin die Meinung gesagt hat. Aber ich bin ja wegen was andrem hier. Madame Faucon, abgesehen von Verwandlungen als Disziplinarstrafe kann ich mit dem Vertragsentwurf sehr gut leben, und meinen drei Kindern wird es gut tun, nicht dauernd mit Abkömmlingen dieser Verbrecherbande zu tun zu kriegen. Bleibt es bei der ausgemachten Bezahlung und Unterbringung?"
"Darf ich noch mal", sagte Madame Faucon und nahm die Unterlagen. Dann nickte sie und reichte sie der Hexe mit dem seidenweichen Haar zurück. Diese suchte die Stellen zum unterschreiben und zeichnete mit einer versilberten Adlerfeder ab. Madame Faucon strahlte erleichtert. Dann nahm sie die unterschriebenen Dokumente, kopierte sie mehrmals und gab der offenbar frisch angestellten Hexe zwei Exemplare davon.
"In Ordnung, Madame Faucon. Dann sehen wir uns also am fünfundzwanzigsten August um sechs Uhr abends. Komme ich von hier aus zur Grenze?"
"Problemlos", erwiderte Madame Faucon. Die brandneue Lehrerin wandte sich dann noch einmal Julius zu:
"Mit Ihrem ZAG sehen wir uns sicher nächste Woche im Unterricht wieder", sagte sie auf Englisch. Das war nicht unhöflich, weil Blanche die Sprache ja auch konnte. Dann verstaute sie die unterschriebenen Einstellungspapiere in einer blauen Drachenhauthandtasche. Dann ließ sie die Hausherrin den Kamin entzünden, warf Flohpulver in die Flammen, schwang sich elegant in den Kamin hinein und rief "A la Frontière!"
"Ich wollte nicht ungelegen kommen, Blanche", meinte Julius, als die Besucherin im grünen Wirbel verschwunden war.
"Das hätte ich dir gesagt, wenn dem so wäre. Aber bei ihr brauchte ich nur ein paar Saiten anzuzupfen. Sie hat als eine der wenigen in Hogwarts die Unittamotechniken perfekt erlernt, meine nunmehr auch Amtskollegin McGonagall bescheinigt ihr außergewöhnliche Einfühlungsgabe, aber auch - und das wird sie brauchen - Durchsetzungsvermögen. Sie war Schulsprecherin und hat nach drei Jahren Mutterschaftspause für die Fachzeitschriften gearbeitet. Ich habe mir ein paar Verwandlungsstücke von ihr vorführen lassen, um den eigenen Augenschein zu wahren. Mit ihr erhaltet ihr eine zumindest fachlich kompetente Lehrerin. Ob sie mit dem strengen Duktus unserer Lehranstalt zurechtkommt wird sich wohl noch erweisen, da sie eben nur Hogwarts kennt, was keinesfalls eine Abwertung ist." Sie hatte den letzten Satz schnell nachgeschoben, weil sie merkte, daß Julius protestieren wollte. "Aber", so legte sie nach, "du wirst ja nicht abstreiten, daß es von Vorteil ist, wenn man beide Schulen kennengelernt hat, nicht wahr?"
"Das streite ich nicht ab", erwiderte Julius ruhig. Dann fragte er, ob sie noch weitere Termine habe oder sie sich mit seinem Anliegen befassen wolle.
"Das mit dieser Spinnenfrau ist für dich ein schwerer Stein auf dem Herzen, nicht wahr?" Julius bejahte es. "Du konntest dich nicht anders vor ihr retten. Auch ich habe Kontakte nach Australien und erfahre, daß sie gegen direkte Körperbeeinflussungszauber wie den Schocker oder den Klammerfluch immun ist, wenn sie in ihrer Tiergestalt herumläuft. Auch der tödliche Fluch wirkte nicht. Wo immer sie ihre Magie her hat, sie panzert sie so ähnlich wie diese zu unser aller Glück vernichteten Entomanthropenkönigin, die nur durch die Hand ihrer Erzeugerin vernichtet werden konnte. Welche Möglichkeiten bietet Mademoiselle Artemis vom grünen Rain zur nicht-tödlichen Überwindung dieser Kreatur an?"
"Sie sagte, daß die Zeit betreffende Zauber wirken, eben wie der verlangsamende Schlafzauber, dem sie im Uluru unterworfen war und den ich Depp umgedreht habe, daß sie aufwachte, sobald ich draußen war."
"Die selbstabwertende Bemerkung überhöre ich einmal mehr, weil es wie erwähnt darum ging, lebend zu entkommen. Du hättest nach Artemis' Bekundung ja nur die Wahl gehabt, ihre nymphomanischen Gelüste zu befriedigen oder von ihr verspeist zu werden. Keine wirklich akzeptablen Auswahlmöglichkeiten, ohne Gegenwehr aus der Angelegenheit herauszukommen."
"Gut, Artemis erwähnte auch, daß die Beeinflussung durch den Zauber ständig nachgestärkt, also nachgefüllt werden müsse, weil sie sich sonst davon freimachen könne."
"Sehr wichtig", sagte Blanche Faucon. "Und du möchtest jetzt einige Zauber von mir wissen, mit denen diese Kriterien erfüllt werden, die die Fachleute vom Zaubereiministerium nicht kennen?"
"Womöglich geht es um etwas, daß noch gebaut werden muß, um sie einzupferchen. So ein Zauberschlaf wäre natürlich eine nicht-tödliche Methode. Aber sie könnte irgendwann wieder auftauchen."
"Ja, das ist wohl wahr. Die Entomanthropen beweisen ja, daß Zauberschlaf nur eine halbe Lösung ist, wenn jemand diesen bricht. Aber um sie zeitweilig unschädlich zu machen sollten derartige Mittel in Erwägung gezogen werden. Ich werde das mit einigen Fachkollegen mal erörtern, was es da noch so gibt, was dauerhaft vorhält."
"Im Zweifelsfall muß wer den alten Zauber noch mal anwenden um den auf ihr liegenden Fluch umzudrehen. Vielleicht schläft sie dann wieder ein."
"Ich fürchte, der Zauber dürfte sich nur auf das Höhlenversteck beschränken." Julius nickte und erwähnte dann noch, daß Auroras Kollegen ermittelt hätten, daß die Zauber im Höhlenlabyrinth schwächer würden.
"Eigentlich setzen sie schlagartig aus. Nur der Bezug zur Zeit, in dem sie wirken ist wesentlich langsamer als unser Zeitempfinden. Ein Zauber, der Jahrtausende vorhalten sollte, verlischt nicht innerhalb von Sekunden, wenn das ihn erhaltende Agens, also die Quelle, nicht mehr in seinem Wirkungsbereich ist." Julius nickte. Er hatte ja auch schon überlegt, ob die Flöte, die Spinne oder beides dort sein sollten.
"Was die Flöte angeht wird das wohl schier unmöglich, weil die Vogelmenschen sie sicher nicht mehr herausgeben wollen", Julius nickte. "Und diese Spinnenfrau wird sich auch nicht dazu überreden lassen, in diese Höhle zurückzukehren." Wieder nickte Julius.
"Dann muß eine Alternative her. Ich setze meine Kollegen dran. Denn sollte irgendwer außer uns beiden und Auroras Kollegen davon Wind bekommen, sollte der oder diejenige nicht davon ausgehen, du wüßtest über dieses Wesen mehr als alle anderen." Julius erkannte, was die Lehrerin meinte und nickte. Falls Anthelias Schwestern auf Naaneavargia trafen oder von ihr erfuhren, sollte keine von denen mitkriegen, daß Julius Kontakte zum alten Reich bekommen hatte. So blieb ihm nur noch, sich für die Minuten zu bedanken, die Madame Faucon ihm gewidmet hatte.
"Ich leite die Erforschung von Möglichkeiten in die Wege. Das deckt sich ja auch mit meinen kommenden Terminen. Immerhin habe ich einen Posten schon besetzen können."
"Wissen Sie schon, wer das zweite Fach gibt?" Fragte Julius.
"Da möchte ich mich nicht zu äußern. Daß du Madame Dirkson bei mir angetroffen hast magst du deiner Gattin erzählen. Aber warte mit einer allgemeineren Verbreitung darauf, daß ich es offiziell tue!" Julius versprach es. Dann sprach er noch mit der künftigen Schulleiterin über seinen Ausflug nach Viento del Sol, den Mord an Wishbone, an den auch Blanche Faucon nicht recht glaubte."Dieser Narr", hatte sie dafür nur übrig. Sie sprachen über das Aparieren und das dies ja für Julius wie der Zusammenfall von mehreren Feiertagen sein mochte. Julius bestätigte dies all zu gerne.
So verging die Zeit mit Erinnerungen an vor fünf Jahren und die Erlebnisse in Beauxbatons selbst. Sie tranken Tee und aßen Cafégebäck. Gegen Abend kehrte Julius zum Apfelhaus zurück. Millie saß auf dem grünen Stiel des großen, runden Bauwerks und winkte Julius zu. "Genial zum landen. das von außen unerkennbare Dach des Wintergartens ist bruchsicher, Julius. Genießen wir doch ein wenig die Aussicht!" Julius nahm die Anregung an und landete auf der Scheitelhöhe des Apfelhauses. Dort blieben sie eine halbe Stunde und genossen die Luft und die Sommersonne. Dann zogen sie sich für den Rest des Abends ins Haus zurück.
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In der Nacht träumte Julius von einer hundert Meter großen Dolores Umbridge, die laut "Schlammblüter!" Schreiend durch London und Paris walzte und jene, die im blauen Lichtkegel ihres Zauberstabes dunkelblau anliefen mit zwei fingern griff und sie wie Schokolinsen verschlang. Julius konnte die auf diese Weise vertilgten laut schreien hören. Als sie knapp hinter ihm war disapparierte er, um in einem Keller zu landen, aus dem unvermittelt Bellatrix Lestrange hervortrat und auf ihn zielte. Doch ehe sie ihren Fluch ausrufen konnte, stürzte sich eine menschengroße, schwarze Spinne auf sie, schlug ihr die giftigen Beißwerkzeuge in die Schultern und übergoß sie mit einem ekelhaft grünen Schleim, der wie pure Salzsäure wirkte. Julius schrak aus dem Schlaf, als Bellatrix schreiend zerging und von dem Spinnenwesen ausgesaugt wurde.
"Scheiß Alpträume", dachte er. Sein Herzanhänger pulsierte ebenso heftig wie sein eigenes Herz.
Millie schrak aus dem Schlaf. "Oha, ich habe geträumt, ich müßte andauernd vor jemanden wegdisapparieren. Am Ende traf ich auf Bernadette, die zwanzig Meter groß war. Sie stellte mir Fragen zum apparieren. Jedesmal, wenn ich was falsches sagte, wurde sie größer. Dann habe ich versucht, zu Tine zu apparieren und landete voll in Bernies Unterbau. Ich konnte nix mehr machen. ich hing so an der dran wie an Ma damals. Ich hörte die dumme Pute nur sagen, daß ich ihr zwar jetzt übel aufstoße, aber dafür endlich ein anständiges Mädchen würde. Ausgerechnet von der", knurrte sie. Julius erzählte seinen Alptraum. "Zumindest ähnlich, wir sollten in Bäuchen von Sabberhexen landen", knurrte Millie dazu nur. Julius meinte dazu nur, daß sie wohl Prüfungsangst hätten.
"Klar, und dann träume ich ausgerechnet von Bernie Lavalette. Super!"
"Versuchen wir ohne Umbridge & Genossinnen zu schlafen", meinte Julius dann noch. Dann griff er Millies Hand. Die ließ es sich gefallen. Sie lagen nebeneinander und fielen wieder in Schlaf. Sie träumten nun, daß sie auf Temmies Rücken über dem Land dahinflogen und die geflügelte Kuh ihnen nicht nur die Schönheiten Frankreichs, sondern auch ihre erste Heimat zeigte. Das beruhigte die beiden so gut, daß sie frisch und munter am nächsten Morgen aufwachten, als erst die Traum-Temmie und dann die Miniversion von ihr ein ineinander übergehendes Muhen von sich gab.
"Schön war das, mal ohne nacktes Fleisch und fleischfressende Monsterfrauen", sagte Julius.
"Temmie hat dir damals geholfen, als du diese total abgedrehten Träume hattest, stimmt's."
"Allerdings, da war sie auch nötig", erwiderte Julius, der an die turbulenten Nächte in jenem riesigen Kinderbett dachte.
"Heute darfst du endlich die Erlaubnis abholen, apparieren zu können, Monju", säuselte Mildrid. Julius wollte was sagen, doch seine Frau küßte ihn auf den Mund und hielt ihn zwanzig Sekunden so nah an sich gezogen.
"Nimm keine Rücksicht auf mich, Monju. Entweder kriege ich auch das nette Dokument oder muß eben bis zur nächsten Prüfung in Beauxbatons warten", hauchte sie ihm zu.
"Dann sollten wir zwei aber zumindest straßentauglich und gesättigt sein, wenn die gute Ariane Mistral uns hier abholt", meinte Julius zu seiner Frau, die Anstalten machte, noch etwas zu kuscheln. Sie grummelte, daß er wohl recht habe und suchte das mit ihrem Hexenzeug bestückte Badezimmer auf. Julius empfand den Luxus von mehreren Badezimmern mittlerweile als eher praktisch als überheblich. So konnte er sich in Ruhe waschen, rasieren und anziehen, während seine Frau ihren ganzen Reinigungs- und Verschönerungsablauf abspulte. Um Acht uhr frühstückten die beiden, wobei sie in Anlehnung an die Tage bei Brittany weder Wurst, noch Käse oder Honig, sowie keine Milch zu sich nahmen. Dafür tranken sie aber Tee statt dem warmen Fruchtsaftgemisch.
Millie und Julius setzten sich in Beauxbatons-Schulkleidung vor ihrem Haus auf eine Holzbank und warteten. Sie hatten ihre Herzanhänger im Schlafzimmer zurückgelassen. Für beide war es etwas unangenehm, diese leicht pulsierende Vertrautheit zwischen sich im Moment nicht zu spüren. Aber sie wußten zu gut, daß ihre Gefühle den jeweils geprüften durcheinanderbringen mochten. Abgesehen davon konnte ja keiner sagen, ob Madame Mistral wußte, daß man sich mit den Anhängern Gedankenbotschaften zuschicken konnte.
Die Sonne war bereits seit mehreren Stunden über dem Horizont und flutete das Apfelhaus und seine Umgebung mit warmem, hellem Licht. Orangerot schimmerte das Rund des Hauses Pomme de la Vie, saftiggrün glänzte die Landewiese. Dunkelgrün rauschten die Blätter der noch stehenden und einige hundert Schritte weiter stehenden Bäume im lauen Sommerwind. Die Blumen, Gräser und Kräuter verströmten ihren Duft. Aus der Ferne blinkte die spiegelnde Oberfläche des Farbensees zu ihnen herüber. Julius dachte daran, daß Camille mit den jüngeren Schülern aus Millemerveilles und deren Eltern am dreizehnten August wieder dort getaucht war. Er konnte das eigentlich mal nachholen, wenn er die Prüfung hinter sich hatte. Er konnte und durfte ja die Kopfblase zaubern, um ohne Dianthuskraut bis zum dreißig Meter tiefen Seegrund abzutauchen und dort die Stadt der Wasserleute zu besuchen. Warum eigentlich nicht.
Dumpf klang das Läutewerk der Standuhr aus dem Haus heraus. Neun Schläge ließ es vernehmen. Beim neunten Schlag ploppte es laut. Eine in einen eleganten, türkisgrünen Satinumhang gekleidete Hexe apparierte. Sie trug ein kleines, weißes Hexenhütchen auf dem Kopf, war in einen eleganten, türkisfarbenen Satinumhang gehüllt und trug einen Flugbesen unter dem linken Arm. Über der rechten Schulter verlief der Trageriemen einer schwarzen Handtasche, die irgendwie auch eine Aktentasche abgeben konnte. Von Haar und Gesicht her war es deutlich, daß sie die Mutter der Zwillinge Serge und Marc Mistral war. Das letzte mal hatte Julius sie vor Claires dreizehntem Geburtstag gesehen, als sie zusammen mit Professeur Bellart Jeanne zur Apparierprüfung abgeholt hatte. Doch die Zauberkunstlehrerin war diesmal nicht dabei. Julius erhob sich fast wie von einer Bogensehne abgeschossen von seinem Platz, während Millie ganz ruhig aufstand.
"Ich wünsche den beiden Herrschaften einen erfolgreichen guten Morgen. Wundershön ist er ja schon", begrüßte Madame Mistral das junge Ehepaar. Millie und Julius erwiderten höflich den Gruß, mußten aber über die Bemerkung grinsen, daß der Morgen ja schon schön war. Es stimmte zwar, aber es beim Gruß auszuschließen, ihn noch wünschen zu müssen war für Julius neu und für Millie eine nötige Erheiterung, um den plötzlich in ihr aufkommenden Druck etwas abzumildern.
"Ich hoffe, sie beide haben ausreichend geschlafen und gut gefrühstückt", sagte die Ministeriumshexe. Beide nickten. Darauf holte sie aus ihrer Kombihandtasche einen Pergamentbogen und las ihnen die amtlich formulierte Bekanntmachung vor, daß sie, Julius Latierre geborener Andrews und Mildrid Ursuline Latierre an diesem Tag, dem 20. August 1998, ihre außerschulische Prüfung in der magischen Ortsversetzungskunst ablegen sollten und sie, Ariane Mistral, die von der Abteilung für magischen Personenverkehr beauftragte Prüferin sei. Dann deutete sie auf Mildrid. "Gemäß der Regelung, Prüflinge dem Alter nach folgen zu lassen, möchte ich Sie zuerst bitten, mich zur Prüfung zu begleiten, Mademo..., - ich wußte, daß mir das passiert - Madame Latierre natürlich."
"Sind sie mit dem Besen bis zu uns rübergeflogen?" Fragte Millie. Madame Mistral erwähnte nur, daß sie in die Nähe appariert, mit dem Besen bis zum Farbensee geflogen und dann, als ihre Armbanduhr Punkt Neun vermeldet hatte, zum ausgiebig beschriebenen Wohnhaus der beiden appariert war.
"Dann viel Glück, Millie!" Wünschte Julius. Seine Frau atmete tief ein und aus und bedankte sich dann. Sie wurde gebeten, sich hinter Madame Mistral auf den Besen zu setzen, um die magische Umfriedung des Dorfes zu überfliegen. Millie saß auf. Julius konnte auch ohne Herzanhänger merken, wie angespannt sie war. Als die beiden Hexen im Soziusverbund über die Baumwipfel davonflogen blickte Julius ihnen so lange nach, bis nicht einmal ein Punkt von ihnen zu sehen war. Dann setzte er sich wieder hin. Er sollte keine Rücksicht auf sie nehmen, hatte sie ihm am Morgen gesagt. Hieß das, daß sie sich nicht sicher war, die Prüfung zu schaffen? Sie hätte nicht wie er schon in den Ferien lernen müssen, dachte er. Sie hätte in Beauxbatons mit den anderen zusammen die Wochenendstunden mitmachen können. Daß er, wie sie mal scherzhaft behauptet hatte, am liebsten schon aus dem Mutterleib disappariert wäre, war ihr ja klar. Aber sie mußte doch nicht apparieren können, bevor sie mit der sechsten Klasse fertig war. Dann fiel ihm aber ein, was er mit ihr zusammen durchgemacht hatte. Sie wußte von seinem Ausflug nach Khalakatan, nach Hogwarts und zur Himmelsburg. Sie hatte ihm über die Herzanhängerverbindung gegen Voldemorts Einflüsterungen beigestanden und damit die schwarzmagische Vergiftung des Skyllianris solange abgeschwächt, bis Madame Maxime ihm genug von ihrem Blut gegeben hatte, um ihn von dem teuflischen Gift freizuspülen und die bereits foranschreitende Umwandlung umzukehren. Ja, Millie wußte, wie wichtig das für ihn war, apparieren zu können. Womöglich war es ihr deshalb auch wichtig, es auch jetzt schon zu lernen. Sie konnte es. Er hatte sie ja schon apparieren sehen dürfen. Also würde es die Tagesform und die Theorie sein, die ihr zusetzen konnten. Er überschlug kurz, wie gut er Millies Monatszyklus mitbekommen hatte und war sich sicher, daß seine Frau keine biologische Entschuldigung wie ein Schulmädchen beim Schwimmtraining brauchte. Dann würde es wohl die Theorie sein. Aber jetzt über Millie zu grübeln würde ihm kurz vor der lange ersehnten Prüfung auch nicht gerade helfen. Wie konnte er sich ablenken? Da fiel ihm ein, daß er Madame Maxime schreiben könnte, um sich für alles, was sie für ihn getan hatte zu bedanken und ihr viel Ruhe und Glück für ihre selbstgewählte Aufgabe zu wünschen. Also kehrte er in das Apfelhaus zurück. Denn laut Prüfungsankündigung würde Millie vor einer Stunde und zwanzig Minuten nicht zurückkommen. Er holte Schreibzeug und setzte sich in die Bibliothek im zweiten Stock. Dort schrieb er:
Sehr geehrte Madame Maxime,
ich habe mit einer gewissen Überraschung aus der Zeitung erfahren, daß Sie Ihre jahrelange Tätigkeit als Schulleiterin von Beauxbatons beenden möchten, um sich um Ihre aus England herübergekommene Tante und deren Sohn zu kümmern. Ich spreche Ihnen hiermit meinen allerhöchsten Respekt dafür aus, eine so weitreichende, für Sie sicherlich auch schwerwiegende Entscheidung zu treffen und umzusetzen. Ob ich den Mut hätte, eine sichere Lebensgrundlage, ja eine Arbeit, die mir Freude und Anerkennung bringt aufzugeben, um etwas zu tun, von dem ich nicht weiß, ob es mir überhaupt gedankt wird, kann ich nicht sagen. Da ich ja die Ehre hatte, sie ein wenig besser kennenlernen zu dürfen, erinnere ich mich, daß Sie Beauxbatons als Ihre große Lebensaufgabe ansahen, daß sie erfreut waren, uns junge, wilde Hexen und Zauberer aufwachsen und alles nötige lernen sehen zu dürfen. Ich weiß nicht, ob eine gerade Mutter gewordene Riesin leichter oder schwerer zu betreuen ist als eintausend Jungen und Mädchen zwischen Heimweh und Aufbegehhren. Aber ich weiß, wie heftig eine vollkommene Umstellung sein kann. Immerhin habe ich selbst ja eine völlig neue Welt kennenlernen müssen, in der das, was meine Eltern für richtig und wichtig hielten, nur noch sehr wenig beachtet wurde. Ich habe auch gelernt, daß ich mich nicht darauf verlassen durfte, daß die Arbeit meiner Eltern für mich und meine Mitschüler wichtig genug wäre und daß sie nicht immer wußten, was der richtige Weg für mich war. Kurz, ich mußte lernen, eigene Gedanken zu denken, eigene Wege zu finden und anderen zu vertrauen, die ich vorher gar nicht einschätzen konnte. Einen Teil dieses Lernens habe ich in Beauxbatons unter Ihrer Leitung hinbekommen. Ich habe noch zwei Jahre Zeit, dort genug zu lernen, um ganz in der Welt zurechtzukommen. Daß ich überhaupt bei Ihnen in Beauxbatons lernen durfte, daß ich jetzt schon ausloten darf, wie weit ich mit meinen Entscheidungen kommen kann, ja daß ich überhaupt noch ich selbst sein darf, das alles verdanke ich Ihnen. Sicher, Aurora Dawn, Professor Dumbledore und die Bewohner von Millemerveilles haben mir geholfen, meinen Weg in die Zaubererwelt ohne Angst vor Stolpersteinen oder Einsamkeit gehen zu können. Doch in Durmstrang hätten sie mich nicht angenommen, weil meine Eltern keine geborenen Zauberer waren. Daß das nicht nur in Hogwarts, sondern auch Beauxbatons nicht zutrifft, liegt wohl auch daran, wer die Schule gerade leitet. Das letzte Jahr hat uns allen ja sehr grausam gezeigt, daß die Auswahl der Schüler vom Schulleiter bestimmt wird. Also muß und möchte ich mich auch sehr herzlich dafür bedanken, daß ich bei Ihnen lernen durfte, wo sich die Lage in meinem Geburtsland immer mehr verschlechterte. Ich möchte mich bedanken, daß meine Mutter vor den Nachstellungen der Todesser sicher war, weil Catherine Brickston und ihre Mutter es bewirkten, daß ich nach Beauxbatons wechseln konnte. Hätten Sie damals abgelehnt, mich als Quereinsteiger aufzunehmen, nachdem ich Sie vor Ihren Schülern so heftig blamiert habe, wäre dies nicht gegangen, und ich hätte doch in Hogwarts weiterlernen müssen, der Gnade einer Dolores Umbridge und der Ungnade der Todesser ausgeliefert. Und wie schon erwähnt verdanke ich Ihnen mein Leben und die Freiheit meines Willens. Denn wenn Sie Madame Rossignol ihr Blut verweigert hätten, um es mir in die Adern zu pumpen, wäre ich heute ein bestenfalls von grauen Riesenvögeln totgepickter Schlangenmensch Voldemorts. Auch möchte ich mich für die Geduld bedanken, mit der Sie mir geholfen haben, die drei Monate zu überstehen, in denen ich durch die Therapie nicht immer bei klarem Verstand war. Ich konnte nur von Ihnen lernen, mit der Flut der Gefühle und Anwandlungen zu leben, die mich in der Zeit überkamen. Ich entschuldige mich noch einmal dafür, wenn ich Sie manchmal bis häufig verärgert haben sollte und bin froh, daß es zwischen uns beiden zu keiner Feindschaft kam.
Zum Schluß möchte ich mich noch bei Ihnen dafür bedanken, daß Sie ein solches Vertrauen in mich gesetzt haben, daß Sie einen Zwölferrat einberufen ließen, der Mildrid und mir die vorzeitige Volljährigkeit zusprach. Dieses ermöglicht mir heute, wo ich diesen Brief schreibe, einen seit meiner ersten Bekanntschaft mit der Zaubererwelt gehegten Wunsch zu erfüllen. Jetzt, wo ich diesen Brief schreibe, warte ich darauf, daß ich meine Prüfung in der Kunst des Apparierens ablegen und bei Erfolg eigenständig diese Kunst offiziell ausüben darf. Dank Ihrer Anregung, den Zwölferrat einzuberufen, kann ich dies heute schon tun und muß nicht noch ein Jahr darauf warten, falls ich die Prüfung bestehen sollte.
Ich hoffe, Sie empfinden diesen Brief nicht als Ausbund von Heuchelei. Das hatte ich bisher nicht nötig, und ich denke, daß würde mir jetzt auch nichts mehr bringen, wo Sie einen neuen großen Lebensabschnitt beginnen wollen. Falls Sie Zeit und vor allem Lust haben, mir zu antworten, würde ich mich sehr freuen. Ich kann jedoch verstehen, wenn Ihre neue Aufgabe Ihnen dazu keine Zeit läßt.
Noch einmal viel Ruhe, Geduld und auch Glück bei dem, was Sie in Ihrer Zukunft nun alles tun werden!
Mit hochachtungsvollen Grüßen
Julius Latierre geb. Andrews
Julius weckte seine Schleiereule Francis und schickte ihn los, um Madame Maxime den Brief zu bringen. Dann trank er noch eine Tasse Tee. Als er auf seine Uhr sah fand er, daß er noch Zeit hatte, nach E-Mails zu sehen. So ging er in den kleinen Gerätepilz und startete den tragbaren Rechner und das Satellitenmodem. Zu seiner Freude fand er mehrere E-Mails. Eine war von Catherine Brickston, die Millie und ihm für heute die nötige Ruhe und Gelassenheit wünschte.
"... bist du ja endlich da, wo du schon seit Hogwarts hinwolltest, Julius. Ich bin mir absolut sicher, daß du es nicht vermasselst", las er halb laut.
Die zweite elektronische Nachricht stammte von seiner Mutter, die Millie und ihm ebenfalls viel Erfolg wünschte. Die dritte hatte eine weite Reise gemacht. Aurora Dawn schrieb ihm, daß sie eine elektronische Nachricht Catherines bekommen habe, daß sich die "Vereinigung gegen böse Machenschaften", womit sie ganz klar die Liga gegen die dunklen Künste meinte, mit dem Spinnenproblem in Australien befaßte und ihr vorgeschlagen habe, Verlangsamende Mittel zu verwenden. Dann wünschte sie ihm und Millie auch viel Erfolg bei der anstehenden Prüfung.
Als Julius alle Nachrichten kurz beantwortet hatte stellte er fest, daß insgesamt schon mehr als eine Stunde verstrichen war. So fuhr er die beiden Geräte herunter und verließ seinen Geräteschuppen.
Es war schon viertel vor elf, als das Gespann Madame Mistral und Millie Latierre auf dem Ganymed 4 der Prüferin in Sicht kam. Julius sah genau hin, wie Millie gestimmt war. Doch zunächst wirkte sie ruhig und unbewegt. Erst als sie vom Besen absaß erkannte er, daß sie regelrecht aufgeladen war. Sie eilte mit weiten, federnden Schritten auf ihn zu und fiel ihm um den Hals. Unvermittelt fühlte er ihre linke Wange an seiner linken und erfuhr wieder einmal, wieviel Kraft in dieser jungen Hexe steckte, als sie ihn kräftig an sich drückte. "Geschafft!" Brüllte sie ihm fast ins Ohr. "Ich hab's geschafft!" Julius fühlte Tränen auf seinem Gesicht und wußte nicht, wessen Tränen es waren. Madame Mistral ließ diesen Freudentaumel eine halbe Minute lang geschehen. Dann räusperte sie sich und sagte:
"Ich verstehe, wie sehr Ihre Frau darauf gehofft hat, es zu schaffen und wie wichtig es Ihnen ist, auch die Prüfung zu bestehen. Ist es mir daher erlaubt, Sie nun auch zu bitten, mir zu folgen und die von Ihnen erwünschte Prüfung abzulegen?" Julius löste sich behutsam aus der nicht mehr ganz so fangschreckenartigen Umarmung, küßte seiner Frau die Wangen und nickte der Prüferin zu. Sie ließ ihren Besen in Aufstiegshaltung springen und saß auf. Julius schwang sich hinter sie über den Stiel des altehrwürdigen Rennbesens und umfaßte die Prüferin. Er fand Halt am vorderen Besenstiel und stieß sich mit ihr zusammen ab.
"Wir fliegen einen Kilometer über die sardonianische Grenze hinweg. Dann apparieren wir Seit an Seit in mein Büro im Ministerium", gab Madame Mistral die Marschroute vor.
"Für eine Ministeriumsbeamte sind Sie aber sehr tolerant, was protokollabweichendes Verhalten angeht", meinte Julius. "Ich weiß nicht, ob Madame Faucon meine Frau so einfach auf mich zulaufen gelassen hätte."
"Nun, ich kenne die Freuden der Ehe wie den Druck, sich vor dem Ehepartner nicht zu blamieren, junger Mann. Insofern habe ich einigen unserer Abteilung ein gerüttelt Maß Toleranz voraus. Und ich fürchte, Sie tun Madame Faucon unrecht, wenn Sie ihr kalte Befolgung der Vorschriften unterstellen. Eigentlich ging ich davon aus, daß Sie sie ein wenig besser kennengelernt haben müßten, seitdem Sie sowohl ihr Schüler als auch ihr Nachbar sind. Und wenn ich so eine sture Beamtin wäre, hätte ich Sie damals wegen groben Unfugs belangen müssen, als Sie mich mit einem illusionären Drachen begrüßten.""
"Das war nur, um Monsieur Dusoleil meine Zauberlaterne vorzuführen", erwiderte Julius. Die Hexe vor ihm auf dem Besen lachte erheitert.
"Ich habe eine widerspenstige Tochter und zwei Lausbuben auf die Welt gebracht und mußte an denen erkennen, wie schön aber auch anstrengend es damals für meine Eltern und Mitschüler gewesen sein muß, mit mir klarzukommen. Aber unsere Lebensgeschichten sind ja heute nicht wichtig." Julius hätte zwar jetzt gerne gefragt, wie alt Madame Mistrals Tochter sei. Doch ihre Schlußbemerkung war für ihn sowas wie eine Anweisung, nicht zu privat zu plaudern. Er war eben doch ein Direktorensohn, trotz früherer Umtriebe vor allem mit den Bubblegum-Banditen.
Den restlichen Flug sprachen sie nur über die Durchführung der Prüfung, daß er erst den Theorieabschnitt machen sollte. Bestand er diesen, durfte er sein erlerntes Können beweisen.
Julius dachte immer wieder seine Selbstbeherrschungsformel, um das Gemisch aus Vorfreude, Anspannung aber auch Angst vor dem Scheitern niederzuhalten. Er durfte jetzt das machen, was er in der ersten Hogwarts-Klasse schon gerne gemacht hätte. Er hatte jetzt die Gelegenheit, ab heute mittag ohne Angst vor Bestrafung einfach so in der Gegend herumzuspringen. Er wollte das, und er würde sich reinhängen, es auch zu dürfen.
Weit genug außerhalb der von Sardonia errichteten Barriere gegen Apparatoren landete Ariane Mistral auf einem freien Feld. Julius durfte ihren Besen schultern und sich an ihrem freien Arm festhalten. "Sie sind schon häufig Seit an Seit appariert, richtig?" Fragte Madame Mistral. Julius bestätigte das. "Gut, dann brauchen Sie sich nur darauf zu konzentrieren, dort zu sein, wo ich sein will." Julius bejahte es und dachte es mit voller Konzentration, neben Madame Mistral zu stehen. Bis diese mit einer schnellen Drehung nach rechts den Transit einleitete und ihn mit sich zog, hinein zwischen Hier und da, zwischen dem Umland von Millemerveilles und einem ihm noch unbekannten Büro im Ministerium. Er genoß dieses Gefühl, zusammengestaucht zu werden. Er empfand es nicht mehr als unangenehm, sondern verheißungsvoll. Dann entstand um ihn herum die Welt neu. Ein großer Blumentopf, in dem eine graue, kakteenartige Pflanze in lockerer Erde ruhte und mit ihren dicken Blättern wie zum Gruß winkte.
"Oh, so eine große Mimbulus mimbletonia habe ich aber noch nicht gesehen", waren Julius erste Worte im Büro der Prüferin.
"Herbologe, wie?" Fragte sie. "Natürlich, haben mir meine zwei Prinzen erzählt, daß Sie sich in Kräuterkunde sehr gut empfohlen haben. Ja, die Pflanze ist mir recht gut gelungen, wenn ich auch nicht genau weiß, womit ich sie wirklich so gut gezogen habe. Aber wie dem auch sei. Da ist ein Stuhl, auf dem setzen Sie sich bitte hin!" Wies sie ihn an, nicht mit der Strenge einer Beamtin, sondern mit der sanften Autorität einer Mutter.
Julius wußte nicht, ob er dem roten Stuhl vertrauen sollte, der auf dünnen Beinen stand, ähnlich wie der Stuhl bei Ollivander. Doch als er saß und ein leichtes Kribbeln fühlte, daß auch in das silberne Armband an seinem rechten Handgelenk einwirkte, fühlte er sich sicher geborgen, wie unter einer leichten Decke.
"Das leichte Kribbeln ist ein Telesensorikabsperrzauber, der sie für Fernüberwachung und Gedankenübermittlung unerreichbar macht, Monsieur Latierre. Es ist leider schon vorgekommen, daß Kandidaten versucht haben, mit Kommunikationsartefakten oder durch die Kunst des Gedankensprechens wertvolle Hinweise für die Fragen zu erheischen. Damit sind wir auch schon beim Thema: Die Befragung ist rein mündlich. Bitte legen Sie ihre Hände auf den Tisch, damit nicht der Verdacht aufkommt, Sie würden versteckte Hilfsmittel benutzen!" Julius befolgte die Anweisung. Das Kribbeln ließ merklich nach, blieb aber mit einem gewissen Rest spürbar. Dann kam die erste Frage:
"Was unterscheidet Apparition von Teleportation?" Julius erwiderte das, was er Michel Montferre dazu erklärt hatte. Dann wurde er gefragt, seit wann die auf Zauberstäben basierende Zaubererwelt die Kunst des Apparierens kenne. Beinahe hätte er gesagt, daß schon die Menschen aus Atlantis apparieren konnten. Doch er hielt sich an das, was in den Büchern stand. Es folgten Fragen zu den gesetzlichen Bestimmungen des Apparierens, sowie Manieren, die nicht in Gesetzestexten vorkamen. Da erwähnte er, daß man nicht unangemeldet in einem Haus apparierte, in dem man nicht wohnte, aber dort apparieren konnte und daß es nicht gern gesehen wurde, wenn jemand unbekleidet apparierte. Er durfte die Notfallbestimmungen hersagen, und die Bestimmungen für das Seit-an-Seit-Apparieren herunterbeten. Dann erst kamen die Fragen zum Vorgang des Zeitlosen Ortswechsels selbst.
"Wie lautet die wichtigste Regel der praktischen Apparition?"
"Das ist die goldene Dreierregel oder auch 3-D-Regel: Ziel, Wille, Bedacht, beziehungsweise Destination, Determination und Deliberation", erwiderte Julius.
"Was besagen diese drei Bestandteile?" Fragte Madame Mistral, die eine Flotte-Schreibefeder für sich mitschreiben ließ. Julius erklärte es ihr. Dann wollte sie wissen, was eine Transitsäule sei.
"Die Transitsäule ist ein nichtstofflicher Zylinder, der um den Apparator und alles, was er mit sich nehmen will oder an ihm hängt entsteht und die Verbindung zwischen Ausgangsort und Zielort herstellt. Die Säule wird so hoch wie die Höchste Erhebung des Apparators, die von seinem Willen einbezogen wird. Sie wird so breit, wie die breiteste Stelle des Körpers oder der zu apparierenden Körper und Objekte."
"Was ist Determinationsdurchtränkung?" Wurde er gefragt und beantwortete diese Frage auch. Dann meinte Madame Mistral, daß es nicht im Standardbogen stehe, aber nach Vorerkundigung des Ausbilders einbezogen werden durfte und fragte ihn über die Notfallmaßnahmen beim Apparieren und dann noch, was der Begriff Bewegungszone besage. Das war sicher auf Martines Mist gewachsen, dachte Julius, gab jedoch ganz ruhig wieder, was Martine ihm erklärt und gezeigt hatte. Nach einigen weiteren Fragen, die er beantwortete, kam endlich die abschließende Frage:
"Halten Sie das Apparieren für gefährlicher als jede andere Reisemöglichkeit?"
"Nun, weil man bei nicht genügender Konzentration beim Apparieren Körperteile am Ausgangsort zurücklassen kann kann man sich also schwer bis tödlich verletzen. Anders als beim Absturz mit einem Besen oder einem Zusammenstoß müßten Heiler am Ausgangsort und am Zielort zugleich wirken, um den Schaden zu beheben. Insofern muß ich die Frage mit einem klaren Ja beantworten."
"Ein einfaches Ja hätte mir und dem Büro schon gereicht", grinste die Prüferin ihn an. "Aber dann noch zum Abschluß die nicht mehr in die Bewertung fallende Frage: Warum wollen Sie apparieren?"
"Ich kenne von meiner Zeit vor der Zaubereiausbildung Geschichten von Menschen oder Maschinen, die einen zeitlosen Ortswechsel über große Entfernung möglich machen. Ich habe das aber damals nur für Erfindungen gehalten. Als ich dann ein Mitglied der Zaubererwelt disapparieren sehen durfte, wollte ich das auch können, weil es doch viele lange Strecken erspart."
"Fliegen Sie nicht gerne?" Fragte die Prüferin. Julius verneinte das und sagte, daß er gerne fliege und auch Quidditch und Quodpot spiele.
"Gut, das ist dann alles", sagte die Prüferin und faltete die Mitschrift zusammen. Sie steckte das Pergament mit Julius' Antworten in einen himmelblauen Umschlag, versiegelte diesen und warf ihn in einen unauffälligen Briefschlitz an der Wand. Es klackerte einmal. "Der Prüfungsbeamte wird Ihre Antworten jetzt mit den Vorgaben gegenprüfen. In zehn Minuten dürften wir wissen, ob Sie schon fertig sind oder mit mir in die praktische Erprobung gehen dürfen." Julius verzog etwas das Gesicht. Doch die Prüferin schenkte ihm ein beruhigendes Lächeln.
"Da die Unterlagen nun abgeschickt sind darf ich Ihnen zuversichtlich sagen, daß es bei Ihnen garantiert nicht an der Theorie scheitert. Nach meinem Wissen haben Sie alle geforderten Antworten korrekt gegeben, vielleicht ein wenig ausführlicher, als die Frage es erforderte. Aber das ist bisher kein Kriterium für eine Verfehlung."
"Na ja, das mit den Bewegungszonen habe ich auch nur wegen einer Frage von mir erklärt bekommen", sagte Julius.
"Warum Hexen leiser apparieren können als Zauberer nehme ich an", erwiderte die Prüferin schmunzelnd. "Das war auch die Frage, die meine Söhne mir mal gestellt haben. Neugier ist keine Abart, sondern ein Antrieb. Das gilt für die frühe Kindheit, für die Schule und das ganze lange Leben."
"Nur daß es Leute gibt, die meinen, nur das was schon mal wer geschrieben oder erzählt hat sei nötiges Wissen", grummelte Julius.
"Weil das meistens die Leute sind, denen es dummerweise verboten wurde, zu fragen oder auszuprobieren."
"Ich habe beides kennenlernen dürfen", seufzte Julius. Doch mehr wollte er dazu nicht sagen.
Sie tranken Kaffee, bis aus dem Briefschlitz mit lautem Klackern ein smaragdgrüner Umschlag kam. Julius wußte, daß auch in der Zaubererwelt Grün als Signalfarbe für "Alles in Ordnung" oder "Weitermachen" stand. So entspannte er sich, während Madame Mistral ihm vorlas:
"Sehr geehrte Madame Mistral, hiermit werden sie beauftragt, den Apparitionslizenzkandidaten Julius Latierre umgehend zum Antritt der Praktischen Prüfung aufzufordern und die weiter unten aufgeführten Erkundungsziele aufzusuchen. Bitte legen Sie ihm das Aufspürarmband für die zielgenaue Auffindung für den Fall einer Fehlapparition oder einer hoffentlich nicht stattfindenden Körperteilabspaltung um und arbeiten Sie mit ihm die unten stehende Liste ab! Melden Sie sich mit ihm nach Vollzug bei mir! Mit freundlichen Grüßen, Cephyrus Leblanc." Sie ließ einige Sekunden verstreichen. Dann winkte sie Julius zu und sagte: "Dann wollen wir mal!" Julius stand auf und stellte sich mit seinem Zauberstab in der Hand bereit, das erste Ziel anzusteuern. Die Prüferin legte ihm erst das Aufspürarmband an, das mit im Briefumschlag gesteckt hatte. Erst dann gab sie ihm das erste Ziel an, in den roten Kreis zu apparieren, der in der hinteren Ecke des Büros auf dem Boden gemalt war. Julius nahm das Ziel in Augenschein und konzentrierte sich darauf. Keine zwei Sekunden später stand er drei Meter von seinem Ausgangsort fort im Kreis, ohne auch nur einen Schritt getan zu haben. Unvermittelt leuchtete der Kreis auf und wurde zu einer Ansammlung konzentrischer Ringe mit mindestens zwanzig diese durchziehenden Linien. Julius erkannte, daß dies für die genaue Zielbestimmung nötig war und wartete, bis er das nächste Ziel angesagt bekam, Die Halle des Geschichtsmuseums in der Rue de Camouflage, nicht weit von hier fort. Da er jedoch die Richtung nicht genau wußte, mußte er sich mit dem Bild des Zielortes begnügen. Keine drei Sekunden später war er mit einem vernehmlichen Plopp verschwunden. Madame Mistral las auf einem kleinen Gerät wie ein Kristallwürfel ab, wo er war und folgte ihm. Danach ging es hinaus ins Gelände, an Ziele, die er schon angesteuert hatte, einmal mehr durch Millemerveilles, wo er fünf Ziele anzuspringen hatte. Zwischen jeder Apparition lag eine Minute, um die genaue Ankunft zu notieren. So kamen insgesamt sechzig Übungssprünge auch in dunkle Höhlen dazu, wo Julius den Zauberstab entzündete, um sehen zu können. Der sechzigste Sprung führte in ein Büro, das er nicht kannte. Ihm wurde nur gesagt, in einem Büro zu apparieren, in dem ein großer, rubinroter Schreibtisch und sechs grüne Stühle standen, wo ein großes Aquarium mit runden, vierflossigen Fischen die Wand unter drei rechteckigen Fenstern beherrschte. Julius brauchte fast zwanzig Sekunden, um sich diesen auffällig beschriebenen Raum bildhaft genug für eine Zielausrichtung vorzustellen. Dann disapparierte er.
Als er sich mit allem, was er am Körper hatte in genau dem Raum fand, der ihm beschrieben worden war, atmete er durch. Hinter dem Schreibtisch, in einem wolkenweißen Ohrensessel, saß ein älterer Zauberer mit silbergrauem Haar und bis auf die Brust wallendem Bart. Er trug eine goldene Brille mit ovalen Gläsern, ähnlich der Zaubertranklehrerin Fixus. "Ah, wunderbar. Sie haben zu mir gefunden, Monsieur Latierre. Bitte noch einen Moment stehenbleiben", sagte der Zauberer zur Begrüßung.
"Sie sind Monsieur Leblanc?" Fragte Julius. Der Zauberer im Sessel nickte bestätigend. Er blickte auf eine Wandkarte hinter Julius. "Einzelprüfungen sind doch immer noch am überschaubarsten", sagte er und deutete auf einen blinkenden, grünen Lichtpunkt, der mit Julius Latierre beschriftet war. "Diese Karte da zeigt Ihren gegenwärtigen Standort. Madame Mistral und ich konnten so unabhängig voneinander auswerten, wo genau sie angekommen sind." Mit leisem Piff apparierte Madame Mistral im Büro. Sie nahm Julius das Überwachungsarmband ab und sah den älteren Zauberer an.
"Madame Mistral und ich werden uns jetzt kurz über unsere Ergebnisse beraten und dann auswerten, ob und wenn ja wie gut Sie bestanden haben. Bitte gehen Sie für die Dauer der Unterredung in den Flur und warten sie, bis ich Sie wieder hereinrufe!" Julius nickte und gehorchte.
Auf dem Flur vor dem Büro traf er die braunhaarige Hexe, die er bei seinem ersten Besuch in der Apparitionsüberwachung getroffen hatte. Sie saß auf einem von zehn braunen Wartestühlen und las in der Zeitung.
"Oh, ich habe Sie gar nicht durch die Tür hineingehen sehen", sagte sie und zwinkerte ihm zu. Julius grinste und antwortete, er habe einen neuen Zaubertrank ausprobiert, der ihn unsichtbar mache und durch Wände und geschlossene Türen gehen ließe. Sie lachte. Dann stellte sie sich vor: "Richelieu, Louisette Richelieu. Mir wurde gesagt, ich müsse noch etwas warten, weil mein Chef einen Termin habe."
"Sie arbeiten hier?" Fragte Julius, nachdem er sich vorgestellt hatte.
"Eher im Außendienst. Aber zwischendurch muß ich doch mal ins Hauptquartier zurück." Julius stutzte. Den Begriff Hauptquartier benutzten Zaubererweltgeborene eigentlich nicht. Wahrscheinlich war Madame oder Mademoiselle Richelieu eine Muggelstämmige. Dann sagte er ruhig: "Ich soll hier warten."
"Dann kann ich noch ein wenig lesen. Haben Sie auch schon gehört oder gelesen, daß Madame Maxime zurücktritt?"
"Ja, habe ich", erwiderte Julius so ruhig er konnte und plauderte mit der Hexe ein wenig über Beauxbatons. Daß die Verwandlungslehrerstelle schon besetzt war durfte er ja keinem außer Millie erzählen. Offenbar hatte Madame Faucon es auch noch nicht in die Zeitung gesetzt. So vergingen gerade zwei Minuten, bis Monsieur Leblanc die Tür von innen öffnete und ihn hereinwinkte. "o, Louisette. Stimmt, ich wolte Sie auch noch mal sprechen. Wir sind gleich durch. Wundern Sie sich nicht, wenn der junge Monsieur hier nicht mehr herauskommt. Er wird wohl gleich nach Hause wollen." Julius wußte nicht, ob das hieß, daß Madame Mistral ihn Seit an Seit zurückbringen würde, weil er die Prüfung verpatzt hatte oder er es doch geschafft hatte.
Als er wieder innerhalb des Büros war holte Monsieur Leblanc ein rechteckiges, goldgerahmtes Pergament aus einer auf dem Tisch liegenden Aktenmappe und verkündete feierlich: "Sehr geehrter Monsieur Latierre, hiermit darf ich Ihnen als erster und offizieller Angehöriger der Zaubererwelt zum erfolgreichen Erwerb der internationalen Erlaubnis für die eigenständige Ausübung der Apparition zu jeder Zeit an jeden dafür erreichbaren und im Rahmen von Gesetz, Vernunft und Anstand statthaften Ort gratulieren und Ihnen das diese Erlaubnis bekräftigende Dokument mit Ihren Prüfungsergebnissen überreichen. Herzlichen Glückwunsch!"
Julius fühlte, wie ihm die Knie weich wurden. Alle bewußte und unbewußte Anspannung der letzten Stunden fiel von ihm ab. Aus seinem Bauchraum ergoß sich ein warmes Empfinden in seinen ganzen Körper, wurde zu einem wohligen Prickeln und zu einem wunderbollen Gefühl der grenzenlosen Glückseligkeit. Es war wie berauschender Glühwein, wie seine erste körperliche Liebe, wie die große Erleichterung, als er mit ansehen durfte, wie der Todfeind aller Muggelstämmigen, Tom Riddle, unter seinem eigenen Todesfluch tot niederstürzte und damit den Alptraum der Zaubererwelt beendete. Auf diesen einen Moment hatte er jahrelang gehoft. Auf diese entscheidenden Worte hatte er gehofft. Über dieses goldgerahmte Stück Pergament, daß ihm in die nun feuchten Hände gelegt wurde, freute er sich unbändig. Nur seine anerzogene und unter harten Bedingungen immer wieder geforderte Selbstbeherrschung hielt ihn davon ab, in die Luft zu springen und ein lautes "Jaaaaa" hinaus in die Welt zu schreien. Fast wie auf Autopilot hörte er sich erfreut aber automatisch heraussprudeln: "Ich bedanke mich bei Ihnen, Monsieur Leblanc und bei Ihnen, Madame Mistral, sowie bei Monsieur Montferre, für das Vertrauen und die Unterstützung. Danke! Danke! Danke!"
"Bleiben Sie am Besten noch eine Minute hier, bis der Rausch der Euphorie ein wenig verflogen ist, Junger Mann", lachte Madame Mistral. "Ihre Frau hat uns schon vorgewarnt, daß Sie eventuell vor lauter Freude nicht wissen könnten, wo Ihnen der Kopf steht." Julius fühlte, wie das große Glücksgefühl sich nicht mehr all zu lange zurückhalten ließ. Er wollte es aber nicht hier ausleben, sondern da, wo er mit anderen feiern konnte. Das sagte er auch.
"Lesen Sie doch erst einmal, welche Ergebnisse Sie erzielt haben!" Bemerkte Monsieur Leblanc vergnügt. Julius nahm das Pergament, das die Erfüllung einer großen Hoffnung, der materialisierte Wunschtraum für ihn war. Dann las er, daß er im Theorieteil 14 von 14 Punkten und im Praxisteil alle zwanzig von zwanzig Bewertungseinheiten erreicht hatte. Nach der internationalen Bewertungsgrundlage hatte er von 100 Punkten 100 erreicht.
"Hiermit erhält Monsieur Latierre die Auszeichnung Apparator extraordinarius für die in den Prüfungen gezeigten Leistungen und wird mit sofortiger Wirkung als für Außeneinsätze des Zaubereiministeriums vorrangig zu empfehlendes Mitglied der magischen Gemeinschaft erfaßt", las er halblaut, um seine Atmung unter Kontrolle zu halten. Er setzte sich. Er hatte es geschafft! Geschafft! Geschafft!
Es dauerte mehr als eine Minute, bis er sich soweit abgekühlt hatte, daß Madame Mistral ihn Bedenkenlos in die Nähe von Millemerveilles brachte, mit ihm über die Grenze flog und ihn dort absitzen ließ. "Von Hier aus finden Sie ganz sicher alleine Nach Hause, denke ich", meinte die Prüferin lächelnd. Julius nickte heftig und bedankte sich. Sie meinte, sie habe sich zu bedanken, da er ihre Zeit nicht sinnlos beansprucht habe. Dann saß sie wieder auf dem Besen auf und flog ohne weiteres Abschiedswort davon. Julius winkte ihr nach. Dann galt es, sich zu konzentrieren. "Was mich stört verschwinde!" Dachte er. Doch ihn störte das doch nicht, daß er sich freute. Er wollte sich doch freuen. Doch dann fiel ihm ein, was für Occlumentie und Mentiloquismus galt auch für das Apparieren zu befolgen, keine überlagernden Gefühle. So dachte er seine Selbstbeherrschungsformel dreimal. Dann disapparierte er, um keine nennbare Zeit später auf der Landewiese anzukommen, wo bereits ein kleines Empfangskomitee bereitstand.
Außer Millie warteten da noch ihre Schwester Martine, die Montferre-Zwillingsschwestern, Ursuline Latierre und die gesamte Familie Dusoleil. Und im Hintergrund stand, eingehüllt in ihren mauvefarbenen Umhang, Madame Blanche Faucon, die zukünftige Leiterin von Beauxbatons. Aus der offenen Tür des Apfelhauses wehte fröhliche Musik und der Duft von Mittagessen zu ihm heraus. Er sah die auf ihn wartenden an, die lauthals jubelten und kräftig in die Hände klatschten.
"Unser Nachrichtendienst hat vermeldet, daß du an mehreren bekannten Orten der französischen Zaubererwelt erfolgreich appariertest und disappariertest", begrüßte Jeanne Julius. Doch seine erste Begrüßung galt Mildrid. "Die volle Punktzahl!" Rief er ihr fast ins Ohr. Millie grinste und knuddelte ihn. "Ich habe zwölf in der Theorie und siebzehn von zwanzig im praktischen Teil. Ich bekam diesen Kram mit den möglichen Unfällen nicht mehr alle zusammen und habe mich einmal um fünf Meter vertan. Wir haben's beide!"
Als Julius von Millie loskam und sich bei den anderen bedanken durfte traten noch vier weitere Leute aus dem Haus. Die Tür war mit dem Musikfaß festgestellt, um nicht zufallen zu können. Julius sah seine Mutter, Cynthia Flowers, Aurora Dawn und Professor McGonagall. Alle lächelten.
"Ich bin noch nicht dazu gekommen, Ihnen zu schreiben, daß ich sehr stolz auf Sie bin, daß Sie sich derartig hervorragend entwickelten und den seltenen Vorrang vorzeitiger Mündigkeit erlangen durften, Mr. And..., - Latierre", begrüßte ihn die Schulleiterin von Hogwarts auf Englisch. Sie gab ihm die Hand und sagte: "Sie sind das lebende Beispiel für die Richtigkeit, Menschen ohne magische Eltern in Zaubererschulen auszubilden, sobald sich auch nur ein Funken Magie in ihnen zeigt. Ich bedanke mich im Namen des seligen Professors Dumbledore und aller muggelstämmiger Schülerinnen und Schüler von Hogwarts, denen Sie mit ihren Leistungen Türen und Tore öffnen mögen. Vielen Dank!"
"Papa kann erst gegen zwei kommen", sagte Sabine Montferre, als Julius sich bei Professor McGonagall für ihre Worte und ihr Hiersein bedankt hatte. Doch er wandte sich an seine Mutter und sagte, daß er es geschafft hatte. Sie sah ihn nur glücklich an und erwiderte:
"Auch wenn das eine sehr riskante Art ist, sich fortzubewegen, Julius, so freue ich mich für dich, daß du sie erlernt und die Erlaubnis dafür bekommen hast. Autofahren ist schließlich auch gefährlich. Und vielleicht hättest du sogar ein Motorrad fahren wollen. Weiß ich das? Beim Apparieren kannst du dich zumindest auf dich selbst konzentrieren und mußt nicht für rücksichtslose oder betrunkene Fahrer mitdenken."
"Ich freue mich auf jeden Fall, das endlich zu können, Mum. Ich weiß, daß es anstrengend und deshalb auch gefährlich ist. Aber jetzt fühle ich mich richtig gut!"
"Das freut mich", erwiderte seine Mutter.
"nelly hat meinen Job bekommen. Ich bin jetzt im Ministerium im Muggelverbindungsbüro", sagte Cynthia Flowers, als Julius seinen Spontangästen Plätze in der Wohnhalle angeboten hatte und er ein wenig mit den einzelnen Gästen plaudern konnte.
"Wollten Sie nicht weitermachen oder hat man Ihnen eine berufliche Veränderung empfohlen?" Fragte Julius vorsichtig.
"Sagen wir es so: Bevor die muggelstämmigen Schüler mich in der Zeitung als Mitläuferin beschimpft hätten, wollte ich lieber von mir aus was anderes tun. Minister Shacklebolt und Professor McGonagall ermöglichten mir den sanften Umstieg. Nelly hat ein Alibi, sie war ja Gefangene der Todesser."
"Ich hoffe, Sie finden wieder zu einem angenehmen Leben zurück", wünschte Julius.
"Das hoffe ich sehr", erwiderte Cynthia.
Julius sprach noch mit den anderen. Aurora wünschte ihm viel Vergnügen, aber auch das richtige Maß für alles, was er nun anfangen würde. Sie mußte um drei uhr wieder abreisen, um noch früh genug in Sydney anzukommen, um dort noch ruhig schlafen zu können, bevor ihr Alltag sie wieder brauchte.
Gegen vier landeten Laurentine, Céline und Belisama im unteren Kamin. Julius fragte, wie sie Laurentine von ihren Eltern fortbekommen hätten.
"Wir haben die Hellersdorfs eingeladen. Weil ich darauf bestanden habe, daß wir Saalsprecherinnen miteinander über die neuen Verhältnisse in Beauxbatons reden müssen, kamen Sie nicht darum herum, mit ihrem Motorwagen nach Paris zu kommen. Meine Eltern haben sie dann eingeladen, sich in der Rue de Camouflage umzusehen. Wir haben wohl nur eine Stunde Zeit", sagte Céline. Aber die Stunde verflog so schnell, daß Julius fast dachte, er habe Laurentine und Céline nur im Traum gesehen. Belisama blieb noch.
Michel und seine Frau Raphaelle kamen gegen fünf mit den beiden Söhnen, die gerade zu laufen anfingen. Gegen sechs Uhr traf dann noch Catherine mit Babette und Mayette ein. Sie waren in der Rue de Camouflage gewesen, um Mayettes Schulsachen zu holen. Da Ursuline schon bei der von Martine und Millie organisierten Spontanfete dabei war, fand sie es in Ordnung, daß Catherine auch gleich für Mayette die ganzen Bücher und Ausrüstungsstücke besorgte.
Die Feier ging bis elf Uhr. Dann verabschiedeten sich die Gäste von den Hauseigentümern und flohpulverten oder flogen zurück zu ihren eigenen Häusern. Als alle aus dem Haus waren meinte Millie:
"Gut, daß ich diesen Schein jetzt habe. Jetzt muß ich mir von Martine nichts mehr vorbeten lassen. Das habe ich jetzt hinter mir." Julius grinste. Also das war der Grund, warum sie unbedingt jetzt schon apparieren können wollte.
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Am zweiundzwanzigsten August machte der Zauberspiegel mit der Nachricht auf, daß die Personalfrage für Beauxbatons geklärt sei. Madame Faucon stellte die beiden neuen Lehrer vor. Eunice Dirkson lächelte aus einem Foto heraus. Daneben war das Foto eines Zauberers abgedruckt, von dem Julius am wenigsten gedacht hatte, daß er zum Lehrer in Beauxbatons werden würde. Es war Phoebus Delamontagne, der Schwiegervater der amtierenden Ratssprecherin von Millemerveilles, Mitglied der Liga gegen die dunklen Künste, der ehemalige Zaubereigegenminister von Frankreich. Er würde in Beauxbatons sowohl die Stelle des Fachlehrers für Protektion gegen die dunklen Künste übernehmen, als auch den Vorstand des grasgrünen Saales, in dem er damals selbst Schüler gewesen war.
Am Dreiundzwanzigsten August erreichte Julius ein Brief Madame Maximes.
Sehr geehrter Monsieur Latierre,
Ich habe bei Erhalt Ihres Schreibens wohlwollend zur Kenntnis nehmen dürfen, daß sie die von Ihnen als gerade zu bestehende Prüfung mit Auszeichnung bestanden haben. Hierzu meinen aufrichtigen Glückwunsch! Ich weiß, daß Sie sich damit einen Herzenswunsch erfüllen durften und wünsche Ihnen, daß Sie mit dem neuen Können so umsichtig umzugehen wissen, daß Sie für sich und andere Mitmenschen das Optimum erzielen werden. Da ich ja die Ehre hatte, Sie genauso ein wenig besser kennenzulernen wie Sie mich, bin ich sehr zuversichtlich, daß Sie nun, wo Sie lernen durften, bei einigen Sachen auch mußten, daß Vergnügen alleine nicht der Maßstab des erfüllten Lebens sein kann, da es ohne ein es umgebenden Behälter der Vernunft und der Mitverantwortung ein viel zu flüchtiger Stoff ist. Doch wenn ein solches Gefäß aus Vernunft und Mitverantwortung besteht, kann Vergnügen jeder Art sicher verwahrt und in den gerade erforderlichen Maßen geschöpft werden, ohne zur Überdosis zu werden oder im Strom unbeherrschter Dinge zu zerlaufen. Das mußte ich auf eine Ihnen bekannte, sehr grausame Weise lernen, und ich bin froh, daß diese einschneidende Erfahrung zumindest den Nutzen barg, Ihnen, der seinen reinen Bedürfnissen ausgeliefert war, einen sicheren Halt zu geben. Ohne das Faß ist der teuerste Wein nur wertlose Flüssigkeit. Doch ohne den Wein ist das Faß nur eine Platzverschwendung. So wünsche ich Ihnen, daß Sie immer ein solides Faß der Vernunft randvoll mit dem Wein aus Spaß und Freude im festen Keller Ihres alltags vorrätig haben mögen.
Ich habe an dem Ihnen bekannten Burschen Rubeus Hagrid erkannt, daß eine Abstammung kein Makel bleiben darf. Sie muß sich für irgendwas lohnen. In meinem Fall ist es die schwere Aufgabe, einem unschuldigen Jungen zu helfen, so weit er kann in eine Welt der Menschen hineinzufinden, ohne sich und anderen zu schaden. Da seine Mutter mir dabei zu helfen oder zu hindern vermag, weiß ich nicht, ob ich dieses Vorhaben erfüllen kann. Aber die Alternative wäre entweder die Unterbringung zwischen Drachen gewesen oder die sicherheitsrelevante Abtötung von Mutter und Kind. Und auch wenn ich zu Beginn dachte, das Schicksal meiner Tante ginge mich nichts an, so erkannte ich, daß es auf Lebenszeit mein Gewissen belastet hätte, ihren gewaltsamen Tod zugelassen zu haben. Ob ein Rudel aufsässiger, teilweise undankbarer Schüler leichter zu hüten war als eine Riesin mit ihrem gerade neugeborenen Kind weiß ich nicht. Doch die Frage, ob es einen Unterschied gibt oder nicht, treibt meine Neugier voran. Und als Fachkundige für magische Geschöpfe mit und ohne Intelligenz, ist es ein lohnendes Forschungsobjekt, um bekanntes und unbekanntes einander gegenüberzustellen.
Zum Schluß bedanke ich mich für Ihren Dank. Ich werde mit der großen, berechtigten Hoffnung weiterleben, daß Sie durch Ihre Leistungen und Taten jederzeit beweisen mögen, daß mein Einsatz für Sie mehr als gerechtfertigt war. Da ich keine Schulleiterin mehr bin und zeit meines Lebens nie ehelich angetraut war, wurde ich vom Zaubereiministerium darauf hingewiesen, daß ich nunmehr wieder als Mademoiselle Maxime zu adressieren sei. Insofern ein Kompliment an Ihre Eule, daß sie mich trotzdem noch dort fand, wo ich mich nun, einstweilen fernab aller Zivilisation, aufhalte. Aber ich stehe über meine eigenen Eulen noch in Verbindung mit dem Rest der Welt und hoffe, daß mein Vetter keine davon im Spiel tötet oder verspeist.
Vertragen Sie sich bbitte gut mit meiner Nachfolgerin und machen Sie ihr keinen Kummer! Das ist nur eine Bitte. Denn Anweisungen darf ich Ihnen so oder so keine mehr erteilen.
Mit freundlichen Grüßen
Melle. Olympe Geneviève Laura Maxime
"Was schreibt Madame Maxime?" Fragte Millie, die gerade mit dem Staubsammelzauber durch das zweite Stockwerk fuhrwerkte.
"Das wir immer ein Faß aus Vernunft voll Wein der Lebensfreude im Keller unseres Alltags stehen haben sollen", gab Julius einen Ausschnitt aus dem Brief wieder.
"Soso, Monju. Sie hat das echt so ausgedrückt?" Julius gab ihr den Brief zu lesen. Denn zu privates stand da nicht drin. Womöglich hatte sie ihn auch so verfaßt, daß Millie ihn ohne zu viel über die ehemalige Schulleiterin mitzukriegen lesen konnte. "Mademoiselle Maxime. Also, wehe, ich muß mich wieder Mademoiselle nennen, Monju, dann gibt's aber Krach."
"Eine Frau, die einmal verheiratet war wird Zeit Lebens Madame genannt", wollte Julius sie beruhigen.
"Nur, wenn sie aus der Ehe mindestens ein Kind hervorgebracht hat, Julius. In der Zaubererwelt ist das etwas anderes. Also komm nicht auf die Idee, dich wieder von mir abzusetzen oder ein Stelldichein mit der Botin des Todes zu vereinbaren, bevor ich nicht was von dir in einer der Wiegen liegen habe."
"Ach, wenn da was liegt, darf ich das?" Fragte Julius.
"Du willst also nicht sehen, wie deine Kinder ihre Kinder vorbeibringen?" Fragte Millie verbittert. Doch dann grinste sie. "Selbst wenn du meinen könntest, eine andere zu finden, werde ich immer bei dir mit im Bett liegen, Monju. Also besser ist das, wenn ich dich dann auch wärmen kann." Sie küßte ihren Mann innig. Als sie beide voneinander abließen meinte sie noch: "Wann wollten wir eigentlich in die Rue de Camouflage, um unsere Schulsachen zu kaufen?" Julius sog heftig Luft zwischen den zusammengebissenen Zähnen durch. An die Sachen für Beauxbatons hatte er nicht gedacht. So legte er fest, daß sie am Nachmittag einkaufen gehen sollten.
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Am nächsten Tag - Millie und Julius hatten noch einmal richtig ausschlafen wollen - fanden sie eine Ausgabe des Tagespropheten in der Eulenpost. Julius grinste, als er Millie laut vorlas:
"Neue Lehrer für Hogwarts gefunden. "Hogwarts kann wieder seinen Verpflichtungen im vollen Umfang nachkommen", bekräftigt die nun endgültig hauptamtliche Schulleiterin von Hogwarts, der Schule für Zauberei und Hexerei, während sie unseren Reporter im erhabenen Wohnbereich der großen Direktoren auf eine Tasse Tee empfängt. "Das Problem der fehlenden Fachlehrer konnte rechtzeitig vor dem neuen Schuljahr behoben werden", führt sie weiter aus und präsentiert unserem Reporter mehrere Photographien. Diese dürfen wir mit ausdrücklicher Genehmigung der Schulleiterin abdrucken, sagte sie uns." Julius deutete auf vier nebeneinander abgedruckte Zaubererfotos. Das Foto ganz links zeigte eine Hexe mit feuerrotem Haar und grün-blauen Augen, die an Ceridwen Barley erinnerte, allerdings eine in jüngeren Jahren. Tatsächlich stand unter dem hellgerahmten Bild: "Professor Megan Barley, Fachlehrerin für Verteidigung gegen dunkle Künste und neue Hauslehrerin von Gryffindor". Daneben prangte das Foto eines Zauberers, den Julius schon kennengelernt hatte. Das war Roy Fielding. Er sah ihn und seine Frau Dina noch bei der Party der Sterlings und später in Whitesand Valley. Tatsächlich stand sein Name unter dem Bild und daß er Muggelkunde unterrichten würde. Neben Roy Fieldings Bild war die Aufnahme einer Hexe mit langem rotbraunem Haar, die Julius vom Gesicht her an seine frühere Fürsorgerin June Priestley erinnerte. Natürlich kannte er sie auch persönlich. Denn es war Regina Dawn, Aurora Dawns Mutter. Sie wurde laut Bildunterschrift als wieder eingestellte Arithmantiklehrerin geführt. Die Hexe auf dem Foto ganz rechts war klein, so kugelrund wie Professor Sprout und besaß bis auf den Rücken wallendes, weißblondes Lockenhaar. Die hellgrünen Augen erinnerten ihn an Gloria oder ihre Mutter. Unter ihrem Bild stand: "Professor Grace Calliope Craft, Fachlehrerin für Verwandlung und Materialisation"
"Ist ja lustig, hat's Glorias Oma doch geschafft?" Feixte Millie. "Ich weiß nicht, ob ich meine Oma als Lehrerin in der Schule haben wollte."
"Babettes Oma ist die neue Schulleiterin und Gérards Mutter gibt Arithmantik", wußte Julius.
"Ja, aber Sandrines Auserwählter lernt nicht bei seiner Mutter, zumindest keine Arithmantik. Und ob Babette jetzt noch nach Beaux will weiß ich auch nicht."
"Gleich mal Gloria anspiegeln, ob die mir die Zeitung hingeschickt hat", meinte Julius.
"Moment mal! Hattest du nicht gesagt, daß Filch womöglich auch eine neue Anstellung kriegt, als Bettwärmer einer Pritsche von Askaban vielleicht?" Julius grinste verächtlich und suchte in der Zeitung nach einem Hinweis. Aber die Hausmeisterstelle war wohl nicht neu vergeben worden, oder sie würde noch vor dem neuen Schuljahr neu besetzt.
"Okay, dann ... Moment, Megan Barley ist doch eine Tochter von Ceridwen Barley, oder?"
"Sie sieht so aus und es steht "Barley" drunter", meinte Julius, dem natürlich sofort aufging, was Millie daran anstieß.
"Wenn die im gleichen Verein wie die Mutter ist hat sich die gestrenge Professor McGonagall aber eine ins Haus geholt, von der sie nicht weiß, wem sie wirklich verbunden ist."
"Kann man so sagen, daß jemand jetzt wen in Hogwarts an der Quelle hat. Könnte sein, daß jemand aus der Sache mit Lea im letzten Schuljahr die Konsequenz gezogen hat .. Aber wissen wir echt, wer von denen wo drin ist oder schon drin war, Millie. Fang jetzt nicht an wie Wishbone!"
"Dann müßte ich ja tot umfallen oder wen schicken, der das für mich tut. Kein Bedarf!" Versetzte Millie sehr ungehalten. Julius holte bereits den Zweiwegespiegel heraus, der ihn mit Gloria verband.
"ja, ich habe die Zeitung losgeschickt, als wir gestern erfuhren, wer alles neu bei uns unterrichten darf. Ich weiß echt nicht, ob ich Verwandlung nehmen soll, weil ich nicht weiß, ob Oma Grace mich dann nicht betüddelt oder noch heftiger rannimmt als die anderen. Mann, McGonagall hätte sich wen anderen suchen sollen. Das haben die beiden mies eingefädelt, weil die als Schülerinnen in Hogwarts waren. Tja, und ob Megan Barley mehr als ein Jahr bleibt weiß auch keiner, wo das Fach angeblich verflucht ist."
"Verflucht, von wem?" Fragte Julius.
"Von wem wohl?" Schnarrte Gloria. "Angeblich hat Voldemort selbst das Fach haben wollen. Aber Dumbledore hat ihn abgewiesen. Seitdem hat bis auf wenige Ausnahmen kein Lehrer länger als ein Jahr durchgehalten oder ist durch sehr gemeine Umstände unterrichtsunfähig geworden."
"Ich glaube nicht, daß Megan Barley auf einem derartigen Schleudersitz platznehmen wollte, wenn sie denkt, der wäre immer noch in Betrieb", erwiderte Julius. "Denn Voldemort kann jetzt keinen Job mehr machen außer Würmer füttern."
"Wie gesagt, ich muß mir das noch überlegen, ob ich statt Verwandlung nicht lieber weiter Muggelkunde nehme. Dieser Roy Fielding sieht sehr kompetent aus."
"Der ist verheiratet", flötete Julius, weil er einen gewissen Glanz in Glorias Augen gesehen hatte.
"Ich bin eine Dame, sonst müßte ich dir jetzt ein Schimpfwort an den Kopf werfen", knurrte Gloria. Millie lachte glockenhell. Dann fragte Julius, ob das dann mit dem unterstrichenen O in Verwandlung für nichts gewesen sein sollte.
"Ich weiß das wohl erst, wenn ich in der großen Halle am Ravenclaw-Tisch sitze und mich freue, wieder in Hogwarts zu sein", schnaubte Gloria. "Ihr müßt ja morgen schon wieder zur Schule. Habt ihr eure Stundenpläne denn schon klar?"
"Aber sicher doch", erwiderte Millie. Julius bekräftigte das auch. Dann fragte er nach dem Hausmeisterposten.
"Die warten den Spruch des Zaubergamots ab, ob das mit Filch mutwillig oder krankhaft ist. Wenn's mutwillig ist brauchen wir einen neuen. Wenn es krankhaft war kriegen den die Psychomorphologen im St.-Mungo-Krankenhaus", sagte Gloria. "Was mir lieber wäre weiß ich auch nicht. Filches Vorgänger soll noch mieser gewesen sein, sagt Tante Greta. Die ist auch nicht so begeistert, daß ihre Mutter jetzt Lehrerin ist. Vielleicht plant die noch Nachwuchs ein."
"Deine Oma?" Fragte Julius scheinheilig.
"Nein, Idiot! Tante Greta", knurrte Gloria zurück. Dann wollte sie noch wissen, was sich in Beauxbatons tun würde. Julius erzählte es ihr. Danach meinte sie:
"Allerlei neues. Neues Jahr, neues Glück. Wir haben echt eine neue Welt bekommen. Dann wünsche ich euch einen guten Einstieg in das neue Schuljahr. Ähm, kriegt ihr zwei nun ein Ehegattenzimmer?"
"Nur wenn ich nachweißlich wen neues mit nach Beaux bringe", erwiderte Millie darauf. "Dieses Jahr noch nicht."
"Da wird Julius wohl noch gut drüber nachdenken, ob er vor dem Abschluß schon ein Baby wickeln will. Connie hat's ja vorgemacht, wie schwer es einer dann hat."
"Ja, und du bist mit der kleinen auch gut klargekommen, haben Belisama und Deborah erzählt", konnte Millie einwerfen. "Und ich denke, jetzt wo wir zwei apparieren dürfen, können wir im Jahr nach dem hier schon den Brief für den Regenbogenvogel schreiben."
"Tja, wenn ihr schon schreiben könnt", knurrte Gloria. Millie lachte nur darüber.
"Ich kann mir nicht helfen, Monju, aber Gloria wird richtig biestig, ein kleines, wildes, kratzbürstiges Mädchen", grinste Millie, als Glorias Bild nach dem Abschied aus dem Spiegelglas verschwunden war.
"Sie hat jetzt wieder die Leute vor sich, die damals mit den Slytherins und den Carrows zusammengearbeitet haben. Das wird kein angenehmes Jahr", nahm Julius Gloria in Schutz.
"Ich habe nicht gesagt, daß ich das nicht mag, wie sie ist. Wurde vielleicht mal Zeit, daß sie nicht immer nur denkt", meinte Millie. "Denn wenn du ehrlich bist: Dir tut es doch gut, daß du von mir und meiner Familie gelernt hast, daß Denken alleine nicht das Leben ist. Und was hat deine große Blutsschwester geschrieben: Ohne Wein ist das Faß nur reine Platzverschwendung. Wenn Gloria jetzt auch lernt, daß ein supergroßes Faß nichts wert ist, wenn nichts leckeres drinsteckt, dann gönne ich ihr das. Und ich sage dir noch was, Julius: Die sucht schon einen, der ihr was süßes kleines in den Schoß legt. Sie will es dir oder mir nur nicht sagen, weil sie dann das Bild der vernünftigen, über allem stehenden Junghexe vermurkst, daß sie bei dir aufgebaut hat."
"Ich wette mit keiner Latierre, ich könnte verlieren", sagte Julius geheimnisvoll. Millie sah ihn fragend an. Doch er fügte dem nichts hinzu.