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Julius Andrews - Auf seinem Weg in die Zaubererwelt von Thorsten Oberbossel

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Am Tag nach dem Turnier stand es breit in den beiden Zaubererzeitungen Frankreichs. Schlagzeilen wie "Die Letzte wird die erste" und "Unerwartet erfolgreich" sprangen den Leserinnen und Lesern in die Augen. Gilbert Latierres Temps de Liberté titelte:

 

DIE KÖNIGIN DES WIRRSAL-WÜRFELS

 

 

BEAUXBATONS-CHAMPION LAURENTINE HELLERSDORF GEWINNT DIE ERSTE RUNDE

 

Nicht wenige bekamen die Temps und lasen den Aufmacher nebst einem Interview mit Hippolyte Latierre über den Verlauf der ersten Runde. Der Begriff "Inverse Logik" wurde ausführlich erklärt und mit gewisser Schadenfreude darauf hingewiesen, daß damit unüberwindlich erscheinende Zaubersperren kinderleicht umgangen oder ausgelöscht werden könnten. Dies, so Gilbert Latierre weiter, sei wohl die Aufgabe der Zauberschmiede, die das kommende Jahrhundert bereithielte. Seit diesem Tag hatte Laurentine den Spitznamen "Reine de les Cubes", Königin der Würfel weg. "Solange ich nicht selbst wie ein Würfel aussehe", konterte Laurentine, als ihr ein kleiderschrankgleicher Roter aus der fünften Klasse damit kam. Nur Laurentines Brosche und ihre schlagartig errungene Berühmtheit als Champion hatten sie davor bewahrt, sich einen Fluch oder einen Faustschlag einzufangen.

Am Dienstag behandelten sie im Unterricht Protektion gegen die destruktiven Formen der Magie das Thema bösartige Geisterwesen weiter. Gloria und Julius hielten ein gemeinsames Referat über die Dibbukim, die Geister schwarzer Magier, die durch alte Seelenzauber des Orients ihren Geist aus dem Körper lösten, bevor dieser starb, um dann wie ein Parasit von Körper zu Körper zu wandern. Wo eine Seele im Ungleichgewicht war, weil ihr Besitzer gerade ein schlimmes Erlebnis oder eine schmerzliche Enttäuschung erfahren hatte, konnte sich ein unsichtbarer Dibbuk in den Körper einschleichen, die geschwächte Seele durchdringen und langsam von innen auffressen. Das verlief so ähnlich wie bei den Larven der Schlupfwespe, deren Eier in lebende Insekten hineingepreßt wurden. Dazu mußte ein Dibbuk jedoch den betreffenden Menschen zu seinen Lebzeiten gekannt oder in einem anderen übernommenen Körper diesen Menschen kennengelernt haben. Die Fachleute gegen dunkle Künste und Wesen unterschieden zwischen einer genuinen Besessenheit und einer imaginären Besessenheit. Die genuine lag vor, wenn ein Dibbuk oder ein anderes körperrloses Wesen einen Menschen zu seinem Ausführungs- oder Wirtskörper machte. Die imaginäre lag vor, wenn ein Mensch sich einbildete, von einer solch dämonischen Entität übernommen worden zu sein oder seine Umwelt dies glaubte. Um die echte von der eingebildeten Besessenheit zu unterscheiden gab es mehrere Möglichkeiten. Ein Mensch wies über Tage eine auf Fieberstärke erhöhte Körpertemperatur auf, ohne sich schwach und Handlungsunfähig zu fühlen. Denn solange zwei einander bekämpfende Seelen existierten, führte es zu einer körperlichen Rückkopplung, vergleichbar mit der Bekämpfung von organischen Krankheitserregern. Wenn der Besessene auf einmal übernatürliche Erscheinungen verursachte, beispielsweise telekinetische Vorgänge oder teilweise oder vollständige Unsichtbarkeit, wies dies auch auf die genuine Besessenheit hin. Zumindest galt das bei Muggeln. Magier, die trotz der inneren Barriere gegen einwirkende Magie übernommen werden sollten, konnten Träume und Wünsche zu vorübergehend wirklichen Dingen werden lassen. Hinzu kamen die Persönlichkeitsveränderungen, die jedoch auch bei der nur eingebildeten Besessenheit auftreten konnten. Zwei weitere Anzeichen für echte Besessenheit waren das Sprechen und Verstehen einer bis dahin weder gehörten noch gelesenen Sprache, sowie das Sprechen mit einer völlig anderen Stimme. Joseph Maininger hatte da um Sprecherlaubnis gebeten und erwähnt, daß die katholische Kirche diese beiden Anzeichen auch als Zeichen für dämonische Besessenheit anerkannte. Darauf hatte Professeur Delamontagne geantwortet:

"Grundsetzlich halten die von Ihnen erwähnten Weltanschauungsvertreter alles, was nicht in ihr Weltbild paßt oder ihren Aussagen widerspricht für böse, dem Gegenspieler Gottes entstammend, Monsieur Maininger. Dann versuchen sie, Besessenheit zu erkennen und mit reinen Sprüchen und unbezauberten Symbolen zu exorzieren. In den meisten Fällen hat es sich bei den besessen geglaubten Personen um durch Rauschmittel oder traumatische Erlebnisse geistig verwirrte bis schwer geschädigte Menschen gehandelt, die durch die magielosen Verfahren noch schlimmer verwirrt werden können. Bei echter Besessenheit würde der den Körper befallende Dibbuk den Besessenen entweder mit einer Kurzstreckenapparition aus dem Einflußbereich der katholischen Priester bringen oder den Körper einfach verlassen, was bei einer bereits hochgradig in die Energie des Dibbuks aufgelösten Seele den sofortigen Tod des Opfers herbeiführt und sogar dazu führt, daß der Dibbuk mal eben in den Körper des gegen ihn ankämpfenden eintritt. Aber dazu wollen uns Mademoiselle Porter und Monsieur Latierre sicher noch ausführlich berichten, richtig?" Die beiden erwähnten hatten dies bejaht.

So schilderten sie, daß erst einmal Selbstschutzzauber auf Gegenstände aus Silber mit Saphiren oder Gold und Rubinen gelegt werden mußten. Dann war das Ziel, den Dibbuk in dem Körper einzusperren, dem er innewohnte. Gelang dies mit den drei Zaubern, die Gloria erwähnte, so mußte mit dem natürlichen Tod des Wirtes auch der an den Körper gebundene Dibbuk erlöschen. Am besten gelang dies, wenn man zu dem bei Geburt vergebenen Namen des Opfers auch den des Magiers kannte, der zum Dibbuk geworden war. Robert fragte dann besorgt, ob sie jetzt alle darauf gefaßt sein sollten, jederzeit von so einem Wesen übernommen zu werden. Professeur Delamontagne beruhigte ihn, daß Dibbukim trotz ihrer Körperlosigkeit von lebenden Menschen abhängig seien und nicht über große Distanzen apparieren könnten. Die Zauber, um zu einem Dibbuk zu werden seien im jüdisch-arabischen Kulturkreis bekannt, und es gebe Magier, die als Rabbiner oder Imame auf der Jagd nach "glühenden Menschen" seien. Es habe nur einen Fall gegeben, wo ein in Damaskus tätiger Londoner Kaufmann nach einem Raubüberfall so verwirrt war, daß ein in der Gegend umhergeisternder Dibbuk ihn gefunden und in Besitz genommen habe. In London zurück wollte der Dibbuk Panik und Grauen verbreiten, um weitere Wirte zu übernehmen. So beging er eine Serie abscheulicher Frauenmorde. Julius horchte auf, ließ den Lehrer aber zu Ende erzählen, daß das Geisterwesen in wohl sechs verschiedenen Gestalten aufgetreten sei, um niedere Straßendirnen abzuschlachten. Dann habe einer der erwähnten Dibbukjäger ihn im Körper eines jungen Mädchens gefunden und ihn dort gebannt, so daß das Mädchen als geisteskrank aber für den Dibbuk nicht weiter nutzbar in eine Nervenheilanstalt verbracht werden konnte.

"Ja, das waren jene schauerlichen Morde im Jahre 1888, Monsieur Latierre. Natürlich ist Ihnen, der Sie in London aufwuchsen diese Serie von Kapitalverbrechen bekannt. Die Muggel rätseln ja heute noch, wer sich hinter dem Decknamen Jack The Ripper verborgen hat. Wer die anderen Wirte des Dibbuks waren wissen wir nicht. Das Unwesen muß jedoch gespürt haben, daß ihm ein tödlicher Gegner auf der Spur ist und hat versucht, die Bevölkerung gegen die Juden aufzuhetzen. Der Rabbiner kehrte nach vollendeter Mission in die von ihm betreute Gemeinde ins damals noch Palästina genannte Land zurück."

"Wieviele von denen spuken noch herum?" Wollte Laurentine wissen.

"Nach Auskunft der Liga, die ich Ihnen weitergeben darf, werden weltweit noch fünfzig Dibbukim vermutet. Sie können jedoch entweder nur in ihrem körperlosen Zustand mit Preisgebungszaubern geortet oder eben in ihren Wirtskörpern anhand der beschriebenen Anzeichen erkannt werden. In jedem Fall altert ein wahrhaftig Besessener in einem Zehntel der Zeit, die sein Körper normalerweise leben würde, was dem Parasiten nicht viel Zeit läßt, damit nach kommenden Opfern zu suchen." Julius hob noch einmal die Hand und fragte:

"Setzen wir mal voraus, der Dunkelmagier, der sich Lord Voldemort - Nicht schon wieder, Leute!" Außer den Muggelstämmigen, Gloria und Mildrid waren wieder alle zusammengezuckt "also daß der immer noch gern ungenannt bleibende Zauberer die Zauber kannte, um ein Dibbuk zu werden. Hat er deshalb nicht davon gebrauch gemacht, weil er dann gerade mal zehn Jahre in einem Körper hätte leben können?"

"Das einmal, Monsieur Latierre. Zweitens können Dibbukim nur kurzzeitige Magieentladungen produzieren und nicht beliebig zaubern. Drittens trachtete Tom Vorlost Riddle, der diesen unseeligen Kampfnamen Voldemort - Leute, den gibt's nicht mehr!" Julius mußte grinsen, auch Laurentine, Millie und Gloria. "Also, er hat aus diesen drei Gründen auf die Weiterexistenz als Dibbuk verzichtet: Er wollte ewig in seinem Körper leben. Er wollte beliebig oft Magie benutzen. Drittens wollte er diese Armee von Fanatikern füren, die sich Todesser nannten. Ein ständig den Körper wechselnder Anführer läuft Gefahr, als Hochstapler bezeichnet und getötet zu werden. Deshalb hat er eine andere, genauso perfide Methode gewählt, sich für andere unangreifbar zu machen und im Falle, daß er doch stürbe, in der Welt der Lebenden weiterzuexistieren und sich einen Gehilfen zu suchen, der ihm einen neuen Körper erzeugen konnte. Diese Ziele hat er ja tatsächlich erreicht. Tja, die von ihm angefertigten Hilfsmittel für seine Unsterblichkeit wurden zerstört, und er verlor sich im Größenwahn, unbesiegbar zu sein und griff ausgerechnet den Zauberer an, der bereits als wahrer Hüter des von Riddle erbeuteten Hilfsmittels feststand. Als Dibbuk, um auf die Ausgangsfrage zurückzukommen, hätte man ihn noch leichter bannen und vernichten können. Daher hat er nicht einen Moment daran gedacht, diese Daseinsform anzunehmen, Monsieur Latierre." Julius nickte.

 

__________

 

In der Nacht vom Dienstag auf den Mittwoch träumte Julius, daß der im dunkeln leuchtende Regenbogenvogel ihn mit einem Schnabelstupser so stark schrumpfen ließ, daß er ihn mit seinen Krallen umschließen und forttragen konnte. Der Vogel sprach unterwegs mit Corinne Duisenbergs Stimme und verriet Julius, daß in dieser Nacht wieder viele nach ihm riefen und er gerade zwei Mädchen für eine Familie Cassiopeia und Emil Odin in seinem Wolkennest bereitgelegt habe.

Das Wolkennest war ein großes, birnenförmiges, weißes Gebilde hoch am Himmel. Julius mußte an die Gebärmutter einer Frau denken. Doch wenn Kinder von diesem Vogel gebracht wurden, brauchten die sowas doch gar nicht. Im Sturzflug brachte der vom Schnabel bis zu den Schwanzfedern in allen Farben des Regenbogens schillernde Vogel Julius in das Wolkennest, daß für den Eingeschrumpften wie eine kilometergroße Halle aus silberner Watte aussah. Überall lagen nackte Säuglinge laut miteinander tuschelnd in muschelartigen Erhebungen.

"Hier bringe ich euch den, den ihr mal sehen wolltet. Trifft sich gut, wo ich den kleinen Midas Lothaire sowieso ausliefern muß", sagte der Vogel. Julius landete weich zwischen diesen Schlafmuscheln. In einer drängelten sich gleich Vier Kinder zusammen. In einer lag ein Mädchen mit rotblondem Flaum. In einer dritten kuschelten sich ein Junge und ein Mädchen zusammen. Als das Kleine Kind mit den heller wirkenden rotblonden Haaren aufwachte rief es: "Ah, da ist der, zu dem ich mal Papa sagen soll!" Sie sprach mit einer Stimme, die Julius an Hippolyte Latierre denken ließ. Dann hörte er noch eine Stimme, die wie ein erschreckt klingender Junger Mann rief: "Nein, ich will nicht da runter. Ich will keine große Schwester haben! Loslassen! Ich bleibe hier! Eh, runterlassen! Neeeiiiin!!" Julius sah, wie der Regenbogenvogel einen kleinen Jungen aus der Wolkenmuschel zerrte. Der Kleine hatte sich mit ausgebreiteten Armen und fest in die Ränder gekrallten Händen widersetzt. Doch der bunte Vogel war unerbittlich und stark. "Du wirst es da gut haben, die warten schon lange auf dich", versuchte der Vogel mit Corinnes Stimme, den davongetragenen zu beruhigen.

"Er wird alles vergessen, wenn er durch das Weltentor geschoben und dabei auf die Größe von Menschenkindern vergrößert wird", sagte eines der beiden Mädchen, die in der mit vieren belegten Wolkenmuschel geschlafen hatten. Sie klang wie Blanche Faucon.

"Ist auch besser, wo ihr so auf mir herumkriecht", protestierte einer der beiden Jungen in der Vierermuschel. "Wie konnten die gleich vier auf einmal von uns bestellen! Mann, ist das eng hier."

"Moment, ihr seid die Kinder von Ursuline Latierre?" Fragte Julius.

"Der Typ ist voll schlau", maulte der, der von den beiden Mädchen und dem zweiten Jungen fast erdrückt wurde.

"Richtig", bestätigte das Mädchen, das wie Blanche Faucon klang. "Wir heißen nach unserer Durchquerung des Weltentores Linda Laure oder auch Lilau, ich soll dann Blanche Berenice heißen, und die beiden, die meine jüngeren Brüder werden sollen Faunus Ferdinand und Adonis Roland heißen."

"Kommm, Faunus, wir werfen die so, daß die ganz unten liegt. Dann kriegen wir die nicht als große Schwester", stachelte der ganz unten liegende Junge seinen Vierlingsbruder an. Dieser erwiderte mit Julius' Stimme:

"Wer so mault und quängelt kann ruhig noch länger hier drinbleiben. Blanche und ich gehen dann zuerst, dann ist das für euch anderen nicht mehr so anstrengend."

"Mann, kann man hier keine Minute Pennen. Habe gerade geträumt, ich läge mit Estelle zusammen in einer warmen, dunklen Höhle unter Wasser und würde hören, was die, denen wir abgeliefert werden sollen, sagen. Das war ein toller Traum, den kriege ich nicht mehr wieder, Mann!!" Das war einer der beiden in der Zweierschlafmuschel.

"Den kriegst du wieder, Roger", tröstete ihn das Mädchen, die Zwillingsschwester. "Aber ich habe mal geträumt, ich ginge ganz langsam durch einen großen Tunnel. Da kam mir etwas entgegen, das hatte keine Beine, sondern nur einen vielfach langen Schwanz. Das stupste mich an und drückte sich immer tiefer in mich rein. Da bin ich dann aufgewacht. Ähm, wenn du nicht in eine der freien Muscheln reingelegt wirst sage der, zu der Roger und ich kommen sollen bitte, daß ich auch dabei bin. Die soll bloß auch rosa Sachen kaufen, damit ich nicht mit dem hier verwechselt werde." Julius sah sich um. In der Nähe stand eine freie Muschel. In schauderte. Er fragte, wie sie denn alle gemacht worden wären:

"Dumme Frage, Coco, die dich hergebracht hat, zieht sich eine Feder aus, taucht sie in einen Regentropfen und hält sie dann in die Sonne, wobei sie sagt:

Regentropfen, Sonnenschein,
werdet rasch ein Kindelein.
Wachse im weichen Wolkennest,
bis der Freudentag steht fest.
Bis ich trage dich auf Erden,
wo du wohl geliebt sollst werden."

"Achso, und die so gezauberten Kinder müssen dann in dieser Muschel schlafen. Verhungern die dann nicht?"

"Nur wenn die, die Maman genannt werden will, nicht genug ist. Der Vogel guckt immer wieder nach und bringt von dem, was gegessen wurde den Kindern, die bestellt wurden", sagte Blanche Berenice im Stil Madame Faucons. Da hörten sie das Flattern des Vogels.

"Dieses Angstbündel", schnarrte der Vogel. "Wollte keine große Schwester haben. Oh, du liegst noch nicht in deinem Bett. Aurore wollte, daß du mit ihr zusammen groß wirst, aber nicht als ihr Bruder, sondern als ihr Schulkamerad. Stimt's?"

"Ja, weil der mich nicht richtig mag. Aber ich will bei dem sein, auch wenn ich dann nur eine Maman habe. Also bring ihn bitte wem, der und die mit meiner Maman gut auskommen", erwiderte das kleine Mädchen in der Einzelmuschel. Julius erkannte, daß er jetzt besser zusehen sollte, wegzukommen.

"Gut, dann leg ich dich schon mal hin, bis ich wen rufen höre, der mit deiner ehemaligen Frau gut zurecht kommt. Du wirst sicher ein süßes Kind", sagte der Vogel. Julius, der feststellte, daß er nichts bei sich trug, tanzte nach rechts weg und sprang an dem Vogel vorbei. Dann dachte er fünf Wörter, die ihm ermöglichten, zu fliegen. Er raste durch das Wolkennest. Von überall hörte er das Lachen und quängeln der noch nicht zur Welt gebrachten Kinder. Er stieß nach oben, rasend schnell. Denn hinter sich hörte er die Stimme des Vogels rufen: "Wen ich ausliefern will, den liefere ich aus. Komm sofort zurück und leg dich in deine Schlummermuschel!" Julius hörte es, gab aber darauf keine Antwort, er stieß an die Decke des gewaltigen Wolkenkörpers und durchdrang diese. Dann ließ er sich absinken. Hinter ihm rauschten die Flügel des Regenbogenvogels.

"Wenn du nicht sofort anhältst und dich zurückbringen läßt liefere ich dich einer grünen Waldfrau aus!" Schrillte der Vogel. Doch Julius stürzte und stürzte, hinein in eine alles und jeden verschlingende Dunkelheit ... und fand sich keuchend auf seiner Seite des Ehebettes. Millie erwachte auch gerade.

"Hast du wieder so komisches Zeug geträumt?" Fragte Millie schlaftrunken. Julius bejahte es und sah sich rasch um, ob nicht irgendwo was bunt leuchtendes unter der Zimmerdecke lauerte. Dann holte er sein Notizbuch und die Flotte-Schreibe-Feder vom Nachttisch und zog den Bettvorhang wieder zu. Dann diktierte er seinen Traum. Millie ergänzte, daß sie geträumt habe, sie habe ihre ungeborene Tochter sagen hören, daß sie ihren Papa sehen wolle und wenn der immer noch Angst davor habe, mit ihr groß zu werden, solle er eben auch neu ankommen. Julius fügte dann noch hinzu, daß der letzte Teil wohl eine Stimulation war, bloß wieder aufzuwachen. Millie fragte ihn dann, ob Oma Line oder Catherines Tante ihm die Geschichte, wie der Regenbogenvogel die neuen Kinder machte erzählt habe. Er grübelte nach. Doch niemand hatte ihm diese Geschichte erzählt. Warum auch? Den Regenbogenvogel gab es nur in der Phantasie von Eltern, die ihren kleinen Zaubererweltkindern nicht verraten wollten, wo sie wirklich herkamen.

"Ähm, und der Vogel hat behauptet, er müsse noch zwei Mädchen an Cassiopeia Odin ausliefern? Öhm, willst du das, daß Melanie noch zwei Schwesterchen kriegt?"

"Mir ist die Frau sowas von egal, Millie", schnaubte Julius. Da klopfte es an der Tür. Es war Madame Rossignol, die wissen wollte, warum die beiden um halb fünf schon so munter seien. Julius nutzte die Gelegenheit, den Traum in seinem und Millies Denkarium einzuspeichern. Dieses von ihm in den Monaten in Madame Maximes Obhut hergestellte Behältnis war von ihm mit Ashtarias mächtigem Schutzzauber gegen die Benutzung durch ihm und Millie feindlich gesinnter Personen gesichert. Da konnte er alles hineinspülen, was an wichtigen, freudigen, traurigen und beängstigenden Erinnerungen und Träumen in seinem Kopf herumspukte. Madame Rossignol wartete die Dreiviertelstunde, bis Julius alles ordentlich übertragen hatte. Dann begleitete sie ihn in die gerade ausgelagerte Traumerinnerung. Anschließend sagte sie: "Also das Sandrine einen Jungen und ein Mädchen trägt ist relativ sicher. Aber daß Melanies Mutter noch einmal Zwillinge empfangen soll ... Na ja, wenn sie meint, in Ihrem Alter nicht mehr verhüten zu müssen ... und Midas Lothaire soll eine große Schwester haben und bei Eltern groß werden, bei denen er es gut haben soll. Vielleicht ist ja in dieser Nacht wirklich ein kleiner Junge angekommen, der so heißt. Ich könnte Madame Faucon fragen. Aber besser ist es, wenn wir deinen Traum nicht zur Diskussion stellen. Am besten holst du jetzt deine Sachen aus dem Zimmer und machst dich schon mal Tagesfertig." Julius willigte ein.

"Ich habe sie jetzt zum ersten mal richtig gespürt, Monju", säuselte Millie und tätschelte ihren Unterbauch. "Jetzt weiß ich, daß sie wirklich da drinnen steckt und ich sie groß und rund füttern muß."

 

__________

 

Beim Frühstück am Mittwoch überkam Julius eine Mischung aus Wut und Enttäuschung, ohne zu wissen, wieso. Er wußte nur, daß dieses Gefühl von Millie ausging. Sofort stemmte er sich mit seinen antrainierten Fähigkeiten, die verlorene Selbstbeherrschung wiederzubekommen dagegen. Er hörte deshalb nicht, was um ihn gesprochen wurde. Kevin mochte sehen, daß er gerade so aussah, als wolle er wen angreifen oder sich gegen einen Angriff verteidigen. Erst nach zwei Minuten ebbte die von außen kommende Wut restlos ab. Julius sah zum roten Tisch hinüber. Millie tupfte sich gerade mit einem großen Taschentuch die Augen ab.

"Hey, wer hat dich gerade blöd angemacht?" Fragte Kevin.

"Jetzt könnte ich sagen, du wärst das gewesen. Aber ich habe mich über etwas geärgert, was ich schon längst hätte erledigen müssen, es aber bisher nicht gemacht habe. Mehr war nicht, Kevin", erwiderte Julius, der immer noch auf der Hut vor weiteren Gefühlswogen seiner Frau war. Béatrice Latierre hatte ihn ja gewarnt.

"Achso, und ich dachte schon, weil ich Robert gesagt habe, er sei nur neidisch auf Gérard, weil der ihn so angeguckt hat, als dürfe der hier nicht sitzen."

"Das gehört zu Gérards und meinen Privatsachen", knurrte Robert. "Das mußt du weder verstehen noch bequatschen, Kleiner."

"Ey, vom Alter her bin ich genauso groß und körperlich sogar noch mindestens zehn Zentimeter größer, Robert. Also nenn mich ja nicht "Kleiner"!" Stieß Kevin aus. Julius, der merkte, daß der von Millie in ihm angeheizte Wutvulkan drohte, alle anderen anzustecken, schritt sofort ein.

"Robert, Kevin hat recht, daß er dir altersmäßig gleich und größenmäßig sogar über ist. Wenn du ihn wütend machst fängst du dir genauso viele Strafpunkte ein wie er, wenn ihr nicht sofort wieder friedlich seid. Was mich angenervt hat war eben was, das mit euch nichts zu tun hat. Also benehmt euch. Denn für mich seid ihr zwei beide klein. Soviel dazu."

"Dann erzähl doch mal, was dich so angepinkelt hat!" Bestand Kevin auf einer Erklärung.

"Habe ich nicht gerade gesagt, daß nur mich das betrifft, Kevin?" Fragte Julius nun aus eigenem Wesen verärgert. "Nimm das bitte mal zur Kenntnis, daß du nicht an allem schuld und damit auch nicht an allem beteiligt bist."

Robert und Gérard ahnten zwar, was Julius umtrieb, schwiegen aber, weil sie es im inneren begrüßten, daß Kevin eine Abfuhr erhielt. Jetzt kapierte der irische Gastschüler auch, daß er gerade vor einer feuerroten Linie stand, die zu übertreten womöglich mehr Ärger brachte, als es das wert war, zu wissen, was Julius umtrieb. Beide wußten, daß es mit der früheren Freundschaft nicht mehr weit hin war. Kevin wußte auch genau, daß nicht Julius das verschuldet hatte.

Nach dem Frühstück erfuhr er von Millie, warum sie so übermäßig wütend reagiert hatte:

"Professeur Fourmier hat mir 'nen Brief geschrieben, daß ich morgen beim Ausflug ins Drachenreservat bitte zu Hause bleiben solle, weil sie es nicht verantworten dürfe, daß das Kind und ich bei möglicherweise heftigen Flugmanövern gefährdet würden. Als wenn der Ausflug zu Drachen nicht schon so für alle gefährlich wäre. Jedenfalls drohte die mir gleich tausend Strafpunkte an, sollte ich morgen auch nur in der Nähe vom Ausgangskreis auftauchen. Das dumme ist, die kann sowas machen, und ich hätte damit rechnen sollen, weil das mit den Feuerlöwen ja auch schon heftig war. Aber sauer hat mich das doch gemacht. Ich hab's gemerkt, daß dich das wohl auch voll erwischt hat und du mal wieder gegenhalten mußtest. Tut mir leid, Julius."

"Kevin hätte sich fast mit Robert angelegt, weil der dachte, ich hätte so biestig geglotzt, weil Robert Gérard mal wieder so angesehen hat, als dürfte der nicht an unserem Tisch sitzen."

"Ach, ist der immer noch sauer, weil Gérard schneller nach dem Regenbogenvogel rufen durfte als er?" Julius mußte das zumindest für möglich halten. "Und Kevin wollte dann wohl wissen, woran das liegt, wie?" Auch das bestätigte Julius. "Und habt ihr es ihm erzählt?" Fragte Millie noch.

"Ich habe ihm nur gesagt, daß er nicht an allem schuld sei, weil er nicht an allem beteiligt sei. Soll der das in den falschen Hals kriegen oder nicht. Alles muß der wirklich nicht kommentieren." Millie nickte.

von diesem neuerlichen Eindruck, daß die Gefühlswelt einer schwangeren Frau für einen Mann manchmal unheimlich und schwer zu bewältigen war abgesehen verlief der restliche Tag ohne außergewöhnliche Ereignisse.

 

__________

 

Als Julius am Donnerstagmorgen aufwachte erinnerte er sich an keinen Traum, der irgendwie befremdlich und äußerst intensiv gewesen wäre. Beim Frühstück langte er wieder so gründlich zu, daß ihn alle zwischen Unsicherheit und Belustigung anblickten. Keevin fragte ihn doch glatt, ob er aus Sympathie für seine Frau mitaß, damit sie sich beim Zunehmen nicht so alleine fühlte, oder ob er es einfach mal ausprobieren wollte, wie viel in ihn hineinpaßte?

"Wohl beides", erwiderte Julius darauf. Das mit der Herzanhängerverbindung mußte er hier nicht breittreten. Die die es wußten kannten das ja schon, und die anderen mußten es nicht unbedingt wissen.

als die Zeitungen eintrudelten fühlte Julius die Spannung in sich aufsteigen. Als er dann die Titelseite mit dem Bild der unübersehbar gerundeten Belle Grandchapeau und ihrem Mann Adrian sah dachte er sofort an seinen Traum vom Wolkennest. Er schlug die Zeitung auf und las den Aufmacher: "Neue Freude im Hause Grandchapeau, von beiden Großvätern sehnsüchtig erwarteter Enkelsohn nach langer Reise angekommen", raunte er die Schlagzeilen im Miroir Magique. Dann las er, daß der kleine Junge Midas Lothaire heißen würde und seiner Mutter einen langen, schmerzreichen Tag beschert hatte, weil er offenbar fand, noch nicht auf die Welt kommen zu wollen. Julius mußte sich anstrengen, seine Gefühlswallungen nach außen hin zu verbergen. Das ging jedoch nicht so glatt wie früher. Der Grund dafür saß am roten Tisch und las wohl auch gerade diesen Artikel. Kevin erkannte die Hexe auf dem Schwarz-weiß-Bild wieder.

"Holla, als die bei uns in Hogwarts war war sie aber nur halb so rund", mußte er dazu loslassen.

"Kevin, du bist echt unverbesserlich", erwiderte Julius. Gérard fragte Kevin angenervt, ob er grundsätzlich keinen Respekt vor schwangeren Hexen habe oder sich nur drüber ereiferte, weil es sich um die Tochter des Zaubereiministers handele.

"'tschuldigung, ich werde doch wohl noch vergleichen dürfen", erwiderte Kevin verdrossen.

"Dann aber bitte etwas rücksichtsvoller", knurrte Gérard und verpaßte Kevin fünf Strafpunkte wegen seinem Alter unangemessener Rede. Kevin sah Julius an, ob der dem zustimmte. Dieser sagte:

 

"Kevin, ich kann nicht alles, was du hier sagst oder tust entschuldigen. Das weißt du, und deshalb hat Gérard recht, wenn er dir fünf Strafpunkte gibt. Immerhin kann und wird er es auch persönlich nehmen. Sei froh, daß du seine oder meine Frau nicht mit so'nem Spruch bedacht hast. Dann wären es glatt fünfzig Strafpunkte geworden!"

"Klar, bist ja hier zuständig für die Einhaltung der Anstandsregeln", knurrte Kevin, der eigentlich nicht vorhatte, sich weitere Strafpunkte zu verdienen. Julius nickte jedoch. Gérard sagte dann noch:

"Irgendwo hier oder bei euch in Hogwarts läuft sicher eine herum, die irgendwann mal von dir ein Kind haben möchte. Dann wirst du das verstehen, warum Julius und ich uns solche Sprüche wie von einem Zweitklässler nicht anhören müssen." Kevin öffnete den Mund, um noch einen frechen Kommentar abzulassen, verzichtete jedoch darauf. Am Ende wurde er doch noch vor dem Weihnachtsball nach Hogwarts zurückgeschickt. Das wäre ja oberpeinlich.

"Wenn ich schon nicht drüber reden darf, wie diese hochvornehm auftretende Hexe vor ihrer Mutterschaft aussah frage ich doch zumindest mal, ob sie jetzt einen Beruf hat oder ob sie zu Hause bleibt, wenn da steht, daß sie schon ein Kind in die Welt gesetzt hat?"

"Da meine Mutter eine Arbeitskollegin von ihr ist gehe ich davon aus, daß Madame Grandchapeau Junior nach dem Mutterschaftsurlaub wieder im Büro zur friedlichen Koexistenz von Magiern und Nichtmagiern weiterarbeitet. Aber das steht hier doch. "Zu den Zukunftsplänen von Madame und Monsieur Grandchapeau lesen Sie bitte unser Interview auf den Seiten fünf folgende!" Dann stutzte er:

 

GROßAUFTRAG FÜR REGENBOGENVOGEL   SIEGESFEIER FÜR FRANZÖSISCHE QUIDDITCH-NATIONALMANNSCHAFT FÜHRT ZU BESONDERS GROßEM KINDERSEGEN AUF MARTINIQUE

 

Gérard las wohl den unter den Schlagzeilen stehenden Artikel, in dem sich mehrere Hexen und Zauberer dazu äußerten, daß sie im Rausch der Siegesfeier wohl die Selbstbeherrschung verloren hatten und jetzt auf Nachwuchs warteten. Einige alleinstehende Hexen, die ebenfalls auf dieser Feier dabei waren, erwähnten, daß sie zwar eigentlich nur feiern wollten, jetzt aber, wo sie eindeutig ein Kind oder gar zwei erwarteten, zusehen müßten, damit zu leben. Eine Hexe, die der in Klammern stehenden Altersangabe nach schon Großmutter hätte sein können, lamentierte, daß sie sich in ihrem moralischen Empfinden gedemütigt fühle und daß sie die Betreiber der Gastwirtschaft, wo sie "dieses verhängnisvolle Mischgetränk" zu sich genommen habe, auf Schadensersatz verklagen wolle, um die Zukunft ihrer beiden zwischen Ende April und Mitte Mai zu erwartenden Kinder finanzieren zu können, zumal sie auch auf Körperverletzung unter Ausnutzung magischer Gebräue klagen wollte. Auf die Frage des Reporters, ob sie die beiden Kinder nicht zur Adoption freigeben wolle stand da:

Kaum hatte ich diese Möglichkeit angedeutet, versetzte sie mir eine so heftige Ohrfeige, daß ich erst befürchtete, sie habe mir einen Zahn ausgeschlagen. Ich forderte darauf ihre Entschuldigung, die ich nur unter Androhung einer Körperverletzungsklage erhielt. Dann sagte sie mir: "Die beiden wachsen jetzt in meinem Leib heran. Wenn ich sie schon bekomme, dann will ich auch bestimmen, wie, wo und mit was sie aufwachsen."

Julius hörte das vielstimmige Tuscheln an den anderen Tischen. Womöglich lasen viele ihren Kameraden diesen Artikel laut vor. Robert wirkte mit einem Mal sehr erschüttert. Immerhin wußte er ja, daß auch Gérard und seine Frau am fraglichen Tag auf Martinique ihre Flitterwochen verbracht hatten.

"Haben Sandrine und du auch da mitgefeiert?" Fragte er dann auf der Hut vor einer Schimpfkanonade. Gérard grummelte erst und sagte dann:

"Ich wollte das garantiert nicht in die Zeitung setzen, daß Sandrine und ich heilfroh sind, daß sie von mir und nicht von wem anderem schwanger geworden ist oder ich einer anderen ganz ohne das zu wollen was kleines zum in die Welt tragen hinbekommen habe. Aber jetzt flitzen alle Wichtel aufs Dach. Dann kann ich zumindest sagen, daß Sandrine und ich das vorher auch nicht wußten, daß wir mit Zusatzgepäck aus den Ferien zurückkämen. Sandrine hatte absolut nicht vor, im Unterricht Sachen wegzulassen und die UTZs erst nach einer erfolgreichen Geburt zu machen, wenn der Rest von uns schon mit Beaux fertig ist. Wir nehmen das eben nur hin, daß das jetzt so läuft und sind froh, daß Madame Faucon und die anderen Saalvorsteher das verstehen."

"Dann wußten die das schon?" Fragte Robert. Julius fragte sich, warum der Klassenkamerad jetzt diese überflüssige Frage gestellt hatte, nur um Gérard noch einen reinzuwürgen? Da sagte Robert noch mit abbittendem Blick: "Dann möchte ich hier und jetzt alles zurücknehmen, was ich dir an den Kopf geworfen habe und wie ich mit dir und Sandrine umgesprungen bin. Ich hoffe, ich komme da nicht zu spät mit."

"Zu spät wäre es, wenn du und ich nach Beaux mehrere tausend Kilometer voneinander weg wären", grummelte Gérard und nahm dann die Entschuldigung an.

"Nichts für ungut, Leute, aber dann ist das so, daß du, Gérard, mit Sandrine nicht freiwillig das Kind auf den Weg gebracht habt?" Wollte Kevin wissen. Gérard nickte und erwähnte, daß sie sogar Mittel dabeigehabt hatten, um eine vorzeitige Empfängnis zu verhüten, da sie ja doch als ordentliches Ehepaar alles machen wollten, was Ehepaare durften. Kevin bekam erst einen verschlagenen Gesichtsausdruck, nickte dann verschämt, während seine Ohren rot anliefen.

Julius dachte eher daran, daß der kleine Midas Lothaire wirklich mehr als zwanzig Stunden gebraucht hatte, um auf die Welt zu kommen. Sollte er sie anschreiben und fragen, wieso das solange gedauert hatte? Nein! Das ging ihn ja doch nichts an.

"Die Fahrt zu den Drachen wird sicher angenehmer sein, als daß Sandrine und ich uns mit den Leuten hier auseinandersetzen müssen, ob ich auch zu denen gehört habe, die auf dieser Party waren. Hier steht's sogar, daß einige nicht ausschließen, daß eine geheimnisvolle Untergrundorganisation gezielt auf magischen Nachwuchs hinarbeiten wollte. Kevin sah einen Moment so aus, als müsse er noch einen lockeren Spruch dazu ablassen. Aber die vorher erwähnte Strafpunktezuteilungslinie wegen Beleidigung der werdenden Eltern hielt ihn gerade noch rechtzeitig ab.

"'tschuldigung, Gérard, das wußten wir echt nicht", sprach Céline Gérard noch vor Beginn des Unterrichts praktische Magiezoologie an.

"Céline, das ist jetzt um zwei Ecken", knurrte Gérard. "Sandrine und ich helfen unfreiwillig mit, noch mehr magische Menschen auf die Welt zu bringen. Hauptsache, wir kriegen das mit unserem Nachwuchs nach der Schule in die richtige Reihe." Céline konnte darauf nur nicken.

Wie mit Professeur Fourmier verabredet trafen sich die UTZ-Schüler gleich bei Stundenbeginn am Ausgangskreis für die Reisesphäre.

"Ich möchte Ihnen allen vor Antritt dieses Ausfluges wie damals bei den Feuerlöwen feuerfeste Kleidung und ebensolche Flugbesen leihweise zur Verfügung stellen. Darüber hinaus möchte ich jetzt von jedem einzelnen eine kurze Zusammenfassung der zu beachtenden Verhaltens- und Sicherheitsregeln beim Umgang mit Drachen hören. Hubert meinte, als er an der Reihe war: "Am besten mehr als zehn Kilometer von denen weg sein, Professeur Fourmier.

"Legen Sie wirklich Wert darauf, daß ich diese Aussage ernstnehme? Dann dürfte es Ihnen sicher nichts ausmachen, hier zu verbleiben", herrschte die Zaubertierlehrerin den Greifennest-Champion an. Dieser schüttelte den Kopf und korrigierte seine Aussage dahin, daß es schon reichen würde, dreimal so weit von einem Drachen entfernt zu sein, wie dessen Feuerstrahl reichte. Diese Antwort ließ sie gelten. Strafpunkte sprach sie keine aus. Ihr war wichtiger, daß alle die Verhaltensinstruktionen genau verstanden hatten. Dann wandte sie sich noch einmal an Gérard und Julius:

"Ich hoffe, die wortwörtlich brandgefährliche Episode im magischen Naturpark im Senegal hat Ihnen beiden klargemacht, daß nicht einfach so mit Angriffszaubern draufgehalten werden darf. Bei Drachen kommen Sie mit Zauberflüchen nur sehr eingeschränkt weiter. Außerdem kann ein Drache die Kraft und Gefährlichkeit von fünf Feuerlöwenmännchen erreichen. Also halten Sie sich bitte beide mit überbordenden Zaubern zurück!" Die erwähnten nickten.

Wie bei den Reisen in den Senegal und nach Algerien ließ Professeur Fourmier sich und ihre Schüler zunächst nach Paris versetzen. Von da aus brachte sie eine neue Reisesphäre in einen orangeroten Vollkreis. Um sie herum reckten sich hohe, auf den Gipfeln mit Schnee bedeckte Berge in den Himmel. Es war spürbar kälter als in Beauxbatons. Joseph sagte was in seinem Heimatdialekt zu Hubert und Waltraud. Die Lehrerin bekam es jedoch mit und stellte Joseph in Aussicht, bei der Rückkehr fünf Strafpunkte wegen Benutzung einer im Schulunterricht unvereinbarten Sprache zu geben.

"Ich habe den beiden nur gesagt, daß mich das hier an die Umgebung von der Zugspitze erinnert, wo meine Eltern und ich häufig die Sommerferien verbringen, Professeur Fourmier."

"Das hätten Sie dann ja auch auf Französisch einwenden können. Außerdem möchte ich Sie jetzt alle um Ruhe ersuchen, um die letzten Instruktionen von unserem Reiseführer entgegenzunehmen. Da kommt er."

Ein Zauberer in einem grün-goldenen Umhang, auf dessen Brustteil eine goldene Kralle unter einem orangeroten Flammensymbol prangte, glitt auf einem vergoldeten Flugbesen herab. Er warf die Kapuze zurück und zeigte sein tiefschwarzes Haar. Er besaß genauso smaragdgrüne Augen wie Céline Dornier. Seine Haut war jedoch vom Wetter dunkler getönt. Céline nickte, als sie den Zauberer sah, der die Truppe in den feuerfesten Umhängen mit einem Blick abzählte.

"Ich begrüße Sie, Professeur Fourmier und Ihre Schülerinnen und Schüler im Jardin des Feux, dem Reservat für westeuropäische Drachen und bodengebundene Feuerwesen. Mein Name ist Florian Lerouge. Ich bin hier der oberste Wildhüter. Meine Arbeit erschöpft sich in drei wesentlichen Punkten: Ich beaufsichtige zwanzig Hexen und vierzig Zauberer, die diesen Park hegerisch betreuen. Ich erhebe und verzeichne alle wichtigen Angaben über die hier gehaltenen Drachen. Ich sorge dafür, daß die bei uns geschlüpften und ausgewachsenen Tierwesen nicht aus unserer Obhut entwischen, weil das allzu leicht zu unangenehmen Zusammenstößen mit uneingeweihten Menschen führen kann. Ein- oder zweimal im Jahr bin ich dann auch als Reiseführer und Oberaufsicht für angemeldete Gruppen im Einsatz, die die bei uns lebenden Drachen, Feuerkrabben, Feuerraben und die vier Phönixe besichtigen und durch Beobachtung studieren möchten. Zwischendurch erschaffen wir auch Aschwinderinnen, um zu demonstrieren, wie schnell diese wenige Minuten lebenden Zaubertiere entstehen und wohin sie ihre Eier legen, aus denen dann - Sie wissen das sicher alle schon - nur verheerendes Feuer entschlüpft. Ich hoffe, Professeur Fourmier hat Sie alle bereits auf die wichtigsten Verhaltensregeln hingewiesen. Ihre Einhaltung ist überlebenswichtig. Ich sehe hier mehrere stramme junge Burschen, die vielleicht auf den Gedanken kommen, es sei sehr männlich, sich mit einem Drachen anzulegen. In den meisten Fällen ist es eher tödlich, sich mit einem Drachen anzulegen, insbesondere mit brütenden Weibchen. Da ich mit ihnen, Professeur Fourmier, ausgehandelt habe, die letzten Instruktionen erteilen zu dürfen, bitte ich Sie alle nun ganz besonders um Ihre volle Aufmerksamkeit." Als der Drachenhüter mit seiner sonoren Baßstimme seine offenbar über jahre eingeschliffene Begrüßung beendet hatte bedachte er jede und jheden mit einem mahnenden Blick. Gérard empfand aus einem Julius nicht ersichtlichen Grund eine gewisse Abneigung gegen den Drachenhüter. Doch weil dieser gerade wieder zu sprechen anfing schluckte Julius die Frage an den Kameraden, woran das lag. "Wenn wir in das Reservat einfliegen halten Sie sich in einer Walzenformation, die sie nur dann auflösen dürfen, sollten wir unmittelbar angegriffen werden. Ich führe diese Formation an. Professeur Fourmier bildet die Nachhut. Das heißt, niemand fliegt schneller als ich und keiner langsamer als Ihre Lehrerin. Ist dies angekommen?" Alle nickten wortlos. "Des weiteren machen Sie keinerlei Lärm oder verwenden irgendwelchen Licht- oder Feuerzauber. Drachen fühlen sich von magischem Feuer herausgefordert und greifen dann an. Außerdem ist es strengstens verboten, sich an den Gelegen von Drachen zu schaffen zu machen. Wie Sie sicherlich wissen gehören Dracheneier zu den unhandelbaren Gütern der Klasse A gemäß Gesetze zur Regelung magischen Handels sowie der Vereinbarung zur Zucht und Ansiedlungen magischer Tiere, Abschnitt 2 d. Von den gesetzlichen Bestimmungen ganz abgesehen würde es ihnen übel ergehen, wenn Sie es schaffen sollten, einem brütenden Drachenweibchen auch nur ein Ei zu entwenden. Brütende Drachenweibchen sind ähnlich wie die in Paarungsstimmung befindlichen fünfmal schlimmer als ihre männlichen Artgenossen. Während meiner Dienstzeit hier ist mir noch kein einziger Schüler von einem Drachen getötet worden. Und ich bestehe darauf, daß dies so bleibt. Nachdem auch das hoffentlich bei allen angekommen ist darf ich Sie nun alle bitten, mir in der erwähnten Formation zu folgen!" Der Drachenhüter saß auf seinem Besen auf und stieß sich vom Boden ab. Alle anderen folgten ihm, wobei sich die Walzenformation bildete. Professeur Fourmier wartete, bis alle Schüler in der Luft waren und folgte auf ihrem vergoldeten Besen.

"So wie der getönt hat könnte es harmloser sein, als das mit den Feuerlöwen", grummelte Gérard. Julius fragte ihn leise, was er gegen den Wildhüter habe.

"Nicht gegen den Mann, sondern gegen den Nachnamen. Kann sein, daß der in Übersee Verwandtschaft hat. Aber lassen wir das! Mit dem Wildhüter hier hat das eh nichts zu tun."

"Wie wollen die Drachen an einem Ort halten?" Fragte Joseph Meininger Hubert Rauhfels.

"Guck dir das selbst an, Sepp. Meine Großtante war mal mit mir und einer Gruppe andderer Tierwesenleute aus verschiedenen Ländern hier. Aber hör mal genau nach vorne!" Joseph und die anderen, die gerade in Walzenformation flogen lauschten. Vor ihnen erklang leises Rauschen. Das Rauschen wurde immer lauter.

"Wir müssen noch einmal zweihundert Meter weiter aufsteigen!" Gab Lerouge nach hinten durch und zog seinen Besen in einen steileren Aufstiegswinkel. Sie stiegen alle auf über dreihundert Meter Flughöhe. Da sahen sie es alle.

Vor ihnen glitzerte und nebelte es, als stünde eine Wand aus Wolken vor ihnen. Tatsächlich aber war es ein Wall, der aus hunderten von mannsdicken, in fünf versetzt angeordneten Reihen hintereinander aufschießenden Fontänen bestand. Ein Zaun aus riesigen Springbrunnen, staunte Julius. Das Rauschen der emporschießenden Wassersäulen hallte bis zu ihnen hinauf. Dunst und Gischt waberte und sprühte sogar bis in ihre Flughöhe hinauf. Julius vermaß mit Hilfe einer natürlichen Felsenformation als Vergleich die Höhe der gewaltigen Wassersäulen und hätte fast durch die Zähne gepfiffen. Der Wall aus Fontänen ragte zweihundert Meter auf. Wieviel Druck mußte hinter den Wasserquellen stehen, um so hohe Fontänen zu erzeugen? Jetzt sah er auch, das die oben auseinandertreibenden Wassermassen glitzernde, durchsichtige Pilzhüte formten, die ineinanderflossen und die Fontänen damit wie mit einem ständig zusammenbrechenden Dach bedeckten. Das von oben zurückfallende Wasser sammelte sich wohl zwischen den turmhohen Wassersäulen, um von einem Mechanismus eingesaugt und mit dem nächsten Superwasserstrahl in denHimmel zurückgeschossen zu werden.

"Das ist die Berühmte Fontänenpallisade des Jardin des Feux, die Grenze zum Reich der Feuerwesen", verkündete Lerouge. während sie durch die über die Wassersäulen hinausspritzende Gischt hindurchflogen. "Die Sprühvorrichtungen sind mit starken Abstoßungszaubern gespickt, die das durch sie schießende Wasser so stark beschleunigen, daß es in diese Höhen reicht. Daneben befindet sich zwischen den Fontänen ein Eiswallzauber, dessen Kraft sich auf das nach oben sprühende Wasser überträgt. Kein Drache kann durch diesen Wall hindurch, auch nicht darüber hinweg, ohne starke Erschöpfungserscheinungen zu erleiden, da das Wasser alle versteckten Feuerquellen schwächt oder erlischt. Im Umkreis von fünfhundert Schritten kann kein natürliches Feuer brennen."

"Entschuldigung, Monsieur Lerouge", bat Julius ums Wort und stellte sich kkorrekt vor. Als er sprechen durfte sagte er noch: "Ich las in einem Buch von Teras Rex, daß ausgewachsene Drachen eine Flughöhe von bis zu fünftausend Metern erreichen können, wenn sie einen Grund haben, so hoch zu fliegen. Inwieweit reicht dieser Zaun dann aus?"

"Insoweit, daß seine Kraft schon bei Annäherung an den Zaun erlahmt. Die von Ihnen erwähnte Flughöhe ist nur ein Maximalwert. Die gewöhnliche Flughöhe beträgt fünfhundert Meter, sofern Drachen nicht in Wäldern nach Beute suchen und daher knapp über den Baumwipfeln fliegen müssen. Bekommen wir mit, daß ein Drache weit über die Wallgrenze aufsteigt, müssen wir ihn mit Rücktreibezaubern zum Sinken zwingen, was nur ab einer Einsatzgruppenstärke von zehn ausgebildeten Zauberern möglich und empfehlenswert ist. Aber jetzt bitte keine weiteren lauten Fragen mehr! Wir sind jetzt im Schutzgebiet." Wie zur Bestätigung Lerouges erscholl lautes Gebrüll von links unten. Da konnten sie alle etwas sehen, das aus dieser Höhe winzig klein war wie ein blaues Insekt mit langsam schlagenden Flügeln. Doch als das Wesen höher stieg wuchs es auch an. Lerouge stieß den Besen sanft in einen Neigungswinkel von fünf Grad und brachte die ihm folgende Formation dazu, ebenfalls in den Sinkflug überzugehen. "Da haben wir schon den ersten Drachen, Felsenkralle, ein dreihundert Jahre altes Männchen der bretonischen Blauen", zischte Lerouge. Julius sah nach unten. Der aufsteigende Drache war jetzt scheinbar so groß wie eine Maus. Dann hatte er rein optisch die Größe einer Ratte angenommen. Er kam also näher. "Formation enger zusammenführen!" Stieß Lerouge gerade so laut aus, daß die direkt hinter ihm fliegenden es verstanden und enger zusammenrückten. Julius erkannte nun, was der Wildhüter vorhatte. Er wollte eine optische Einheit schaffen, die aus der Ferne für den Drachen wie ein unangreifbar großes Wesen erschien. So ähnlich schafften es Heringsschwärme, sich gegen Haie zu behaupten. Allerdings waren sie in Rudeln angreifenden Pott- und Schwertwalen nicht gewachsen, hatte Julius mal im Fernsehen gesehen. Waren die fliegenden Hexen und Zauberer dem Drachen gewachsen? Julius rief sich noch mal alle Angaben über die bretonischen Blauen ins Bewußtsein. Die Männchen maßen von Schnauzen- bis Schwanzspitze acht Meter und besaßen eine Schulterhöhe von drei Metern. Ihr Feueratem glühte meistens in einem blutroten Farbton und konnte in spontanen Glutbällen sieben und in gebündelten Flammenstößen zwölf Meter weit geblasen werden. Also galt es, mindestens vierundzwanzig Meter Abstand von dem Drachen zu halten. Doch dieser rückte schon an, um die Eindringlinge zu inspizieren und gegebenenfalls anzugreifen. Julius hoffte, daß die Feuerschutzausrüstung wirklich direkten Flammenstößen standhielt. Die Erfahrung mit den Feuerlöwen hatte Julius gelehrt, besser auch den Unfeuerstein mitzunehmen. Allerdings wollte er ihn nur im größten Notfall benutzen, weil er, einmal aktiviert, vierundzwanzig Stunden eine Kugelzone mit hundert Meter Halbmesser erzeugte, in der kein Feuer brennen konnte, ob magisch gezündet oder auf magielose Weise entfacht. Damit konnte selbst das weithin gefürchtete Drachenfeuer auf einen unschädlichen Wert geschwächt werden.

"Der will uns echt angreifen", unkte Gérard, dem jetzt erst so recht auffiel, womit sie es hier zu tun hatten. Etwas zu lesen und es zu erleben waren nun mal zwei verschiedene Dinge. Der Drache flog mit weit ausgespannten, lederartigen Flügeln heran und brüllte noch einmal. Da konnte Julius in der Ferne einen weiteren Drachen ausmachen, der auf die Quelle des Gebrülls zuhielt. Drachen waren Einzelgänger, was sowohl für die Jagd wie auch das Fressen galt, wußte Julius. Wenn jetzt noch ein Drache anflog würde sich der jeweilige Revierinhaber einem Vertreibungskampf stellen, der unter Umständen den Tod eines der Rivalen bedeutete. Dann erkannte Julius, daß der zweite Drache ein pyrenäischer Purpurpanzer war. Das Schuppenkleid glitzerte im satten Purpurton. Auf dem Rücken standen Panzerplatten ab, wie bei einem Stegosaurus, wußte Julius. Allerdings besaß der Purpurpanzer nicht die vier Schwanzstacheln der Urzeitechse, sondern eine stahlharte Kugel aus verdichteten Knochen, wie eine natürlich gewachsene Abrißbirne.

"Runter, sofort landen! in Formation bleiben! Keinen Lärm!" Stieß der Wildhüter aus und richtete seinen Besenstiel auf eine kleine Gruppe zusammenstehender Felsen aus, die aus der gerade beflogenen Höhe von hundert Metern winzig wirkten, aber wohl über drei Meter aufragen mochten. Julius vermeinte eine Anordnung zu erkennen, die zeigte, daß Menschen die großen Steine aufgestellt hatten. Außen ein Quadrat. Innen ein Kreis.

Felsenkralle erkannte, daß seine mögliche Beute gerade zur Landung ansetzte. Da erscholl das wie ein Orchester aus hundert rauh angeblasenen Posaunen klingende Reviergebrüll des Purpurpanzers, der nun mit schnelleren und stärkeren Flügelschlägen näher heranpreschte. Mit modernen Flugbesen konnten fast alle Drachen abgeschüttelt werden. Doch statt die Besenschweife im Flugwind zum erbeben zu bringen wollte Lerouge die Landung. Felsenkralle legte sich heftig ins Zeug. Julius peilte ihn an. Die suppentellergroße Nasenlöcher bebten. Der Drachen hatte wohl heute noch nichts gefressen. Er schwenkte so, daß er die Lehrerin als Ziel anvisierte, weil sie einzeln flog. Womöglich hielt der Drache sie für ein fuß- oder flügellahmes Exemplar, das mit der restlichen Gruppe nicht mithalten konnte. Julius wollte schon rufen, daß Professeur Fourmier aufpassen sollte. Doch dann hätte der Drache sofort zugeschlagen. So flog er schnell aber ruhig weiter auf sein Ziel los. Julius peilte den Purpurpanzer an, der die Nähe des anderen Drachens natürlich mitbekommen hatte. Der lange, aus unter dicker Schuppenhaut liegenden Wirbeln bestehende Schwanz war nach hinten ausgestreckt und zitterte wild auf und ab und hin und her.

"Rechts ist Feuermutter, das größte Purpurpanzerweibchen unseres Reviers. Sie teilt sich die zweitausend Quadratkilometer mit zwanzig weiteren Weibchen und fünf Männchen. Wobei die Zahl der Weibchen von Jahr zu jahr fluktuiert", sagte Lerouge noch, bevor er im Zentrum des Steinkreises niederging. Auch die anderen landeten im Steinkreis. Der Drache schien nicht damit einverstanden zu sein, daß seine Beute hier landete und schoß vor, um sich das ausgesuchte Exemplar aus dem Schwarm zu fangen. Professeur Fourmier blieb jedoch ganz ruhig. Selbst als der Drache näher als zehn Meter an sie heran war hielt sie ihren Landekurs ein. Julius sah einen mannsdicken, goldenroten Flammenstrahl aus dem rasch aufklaffenden Maul entfahren. Aus der Ferne dröhnte das Fauchen der Flammen zu ihnen hinunter. Die Lehrerin wurde vollkommen in den Flammen gebadet. Ihr Besen erglühte in einem sachten Rot, und um ihren Schutzanzug tanzten bläuliche, rote, orange und weiße Flammenzungen, ohne sie zu berühren. Dann war dieser Angriff beendet. Professeur Fourmier, die gesehen hatte, daß ihre Schutzbefohlenen in der magischen Steinanordnung gelandet waren, brach mit dem Besen nach oben aus. Dadurch entzog sie sich den beiden Drachen, die nun einander anstarrten.

"Haben Sie keine Angst, daß die beiden Drachen sich gegenseitig umbringen?" Fragte Waltraud den Wildhüter.

"Wenn die beiden es darauf anlegen könnten wir sie nur durch massiven Einsatz von Schockzaubern zugleich davon abhalten", grummelte Lerouge.

"Und die können hier nicht landen?" Fragte Belisama leicht bekümmert.

"Das sind unsere Rettungsposten. jungsteinzeitliche Megalithen, in denen eine starke Magie gegen böse Zaubertiere wirkt, die wie eine mehrere Meter dicke Stahlkuppel alle Drachen zurückhält", erwiderte Lerouge. Dann sahen er und die Schüler von Beauxbatons, Hogwarts und Greifennest, wie die beiden Drachen nun aufeinander losgingen. Feuermutter, das Purpurpanzerweibchen, blies nun ihrerseits einen Flammenstrahl gegen Felsenkralle. Selbst hundert Meter weiter unten konnten sie alle das Fauchen der dem Maul entfahrenden Lohe hören. Felsenkralle bekam den Flammenstrahl voll am Brustkorb ab. Drachen waren jedoch gegen die meisten Feuerarten immun. Die einzigen Drachen, die andere Drachen töten konnten, das waren die schwedischen Kurzschnäuzler, die das mit abstand heißeste und zerstörerischste Drachenfeuer überhaupt spien. Der Flammenangriff war jedoch eine Art Kampfansage, die Felsenkralle zu gerne annahm. Er spuckte nun selbst einen breiten Flammenstrahl auf die Gegnerin, die den Angriff mit ihrem Bauch auffing. Die purpurnen Schuppen und Hornplatten glühten dort, wo der Feueratem Felsenkralles getroffen hatte. Das machte Feuermutter jedoch erst recht wütend. Sie riß noch einmal ihr Maul auf und brüllte. Dann knallte ein zwei Meter durchmessender Feuerball heraus, zischte durch die Luft und zerbarst auf der Nase Felsenkralles. Die Schüler sahen mit einer Mischung aus Unbehagen und Faszination nach oben. Felsenkralle wurde regelrecht von meterlangen Flammen umtanzt. Seine taubenblaue Schuppenhaut glühte in einem zarten Rotton. Dann waren die beiden Drachen auf Nahkampfreichweite heran. Jetzt passierte etwas so schnell, daß Julius sich sein Verlangsamungsglas von Arcadia Priestley gewünscht hätte. Feuermutter warf sich herum, wobei sie ihre Flügel und Beine einzog. Ihr langer, von hier unten dünn und zerbrechlich scheinender Schwanz fuhr von der Fliehkraft gestreckt durch die Luft und traf den Kopf des bretonischen Blauen mit solcher Wucht, daß der blaue Drache aus seiner Bahn gerissen und zu einer halben Drehung um die Senkrechtachse gebracht wurde. Julius konnte eine gewaltige Wunde an der rechten Seite sehen. Grünliches Drachenblut begann niederzuregnen. Felsenkralle sackte durch und drohte, wie ein Stein auf die Megalithenformation zu stürzen. Doch er konnte den Absturz noch einmal abfangen und mit torkelndenBewegungen Höhe gewinnen. Dafür saß ihm das größere und wuchtiger gebaute Purpurpanzerweibchen nun im Nacken. Es schnappte mit den Fangzähnen in die rechte Schulter Felsenkralles. Dieser mußte die Beißattacke hinnehmen. Doch dann warf er sich herum und brüllte so laut, daß sich einige erschrocken die Ohren zuhielten. Dann hüllte er das Drachenweibchen in einen Mantel aus Feuer ein. Dieses brach jedoch daraus hervor und machte noch einmal eine blitzartige Wende, wobei ihr kugelförmiges Schwanzende laut krachend die rechte Flanke Felsenkralles traf. Der blaue Drache geriet erneut in eine Sturzbahn. Diesmal setzte ihm Feuermutter sofort nach, warf sich über den wortwörtlich angeschlagenen Drachen und drückte ihn mit der diesen tieren ureigenen Entschlossenheit nach unten.

"Wenn ein Männchen von einem Weibchen niedergedrückt werden kann, gibt es nur noch drei Auswahlmöglichkeiten: Unterwerfung, Flucht oder den sofortigen Tod", sagte Lerouge. Professeur Fourmier nickte.

"Wenn der besiegte Drache flüchtet, gibt er sein Revier auf?" Verkleidete Julius eine Feststellung als Frage. Lerouge bejahte dies.

"Er will aber nicht wegfliegen", erkannte Hubert. "Der macht sich fertig, ihr in den Hals zu beißen", fügte er noch hinzu. Tatsächlich versuchte der blaue Drache, sich für einen tödlichen Biß in die Kehle des Purpurpanzerweibchens zurechtzuwinden. Doch dieses erkannte die Absicht. Der Hals war ihre empfindlichste Stelle, von den Flügeln und Augen abgesehen. Gerade als Felsenkralle sich bog, um zuzustoßen, bekam er eine Stichflamme genau ins linke Auge. Er begann laut loszubrüllen. Dann hatte ihn das Drachenweibchen wieder im Schwitzkasten und drückte ihn auf den Boden. Sie hockte über ihm, krallte sich in den Boden, um nicht von ihm abgeworfen zu werden. Er keuchte, brüllte und versuchte, sich freizustrampeln. Dann gab er auf. Feuermutter glitt von ihm herunter. Er trottete los, dann hob er schwerfällig ab und flog wie eine bleierne Ente bei Sturmwind knapp zwanzig Meter über dem Boden davon. Das Purpurpanzerweibchen blieb zurück. Es besah sich die Megalithen, schnüffelte vernehmlich hörbar und schnaubte verärgert, weil sie offenbar merkte, daß sie an die Gruppe Menschen so nicht herankam. Dann tat sie etwas, was die Schüler mit weit aufgerissenen Augen ansahen und der Wildhüter mit sichtbarem Unbehagen betrachtete. Sie wühlte mit den hinterbeinen den harten Boden auf. Gesteinssplitter flogen Prasselnd und klatschend zu den Seiten. Auch mit den Vorderpranken begann sie, den aufgebrochenen Boden zu einer Kuhle auszuhöhlen.

"Sie will ein Nest bauen. Sie will hier ihre Eier legen. Offenbar war sie bereits in Legestimmung. Da kam ihr der Revierkonkurrent gerade recht. Hätte er nicht die Flucht ergriffen hätte sie ihn getötet und mit seinem Fleisch die in zwei drei Wochen schlüpfenden Jungen gefüttert", sagte Lerouge. Da vernahmen sie ein widerlich klingendes Schmatzen und spritzen, und mit einem lauten, hohlen poltern kullerte aus ihrem Hinterleib ein salatgurkenförmiges Ei von der größe eines Fußballs. Sie schnaufte, offenbar litt sie vor dem Kampf schon unter Legenot, mußte also sofort zusehen, ihre befruchteten Eier abzulegen. Da kam auch schon das nächste. Keuchend blickte das Drachenweibchen zu den Besuchern in der Megalithenformation.

"Sobald sie alle Eier gelegt hat kommen wir hier nicht mehr weg", stellte Lerouge fest. "Können Sie alle mit den Besen gut und schnell aufsteigen?" Flüsterte er noch. Alle nickten, wenngleich längst nicht alle Quidditch spielten. "Gut, das ist die einzige Chance. Wenn die Pausen zwischen den einzelnen Eiern kürzer werden ist das unsere einzige Chance. Ansonsten könnten wir hier nicht mehr weg. Sie würde ihr Nest unverzüglich verteidigen und nebenbei versuchen, uns als Beute für sich und Futter für ihre Jungen zu fangen. Also, auf die Besen!" Die Schüler saßen auf. "Nicht in Formation!" Zischte Lerouge noch. "Auf mein Kommando alle so steil es geht bis rauf in die Wolken dort oben!" Die Schüler nickten und saßen auf. Jeder peilte sein oder ihr persönliches Aufstiegsfenster an.

Feuermutter keuchte, und gab ein weiteres Ei frei. Keine zehn Sekunden später entfiel ihr das nächste. Dann dauerte es nur noch neun Sekunden. Jetzt kamen wohl die zusammengestauten Eier zum Vorschein. Noch eins polterte in die Kuhle. Dann noch eins.

"Und los!" Kommandierte Lerouge gerade so laut, daß jeder es hören konnte. Das Drachenweibchen blickte sie zwar mit den bernsteingelben Augen mit den senkrechten Schlitzen tückisch an, erbebte jedoch in einer neuen Kontraktion ihres Hinterleibes. Gerade als sie das nächste Ei in das provisorische Nest ablegte stießen sich alle ab und zogen im steilen Winkel nach oben. Céline, Betty, Jenna, Waltraud, Hubert, Apollo und Julius kamen dabei am besten weg, weil sie den Rosselini-Raketenaufstieg beherrschten, der sie im 90-Gradwinkel nach oben katapultierte. Auch wenn die Besen keine Rennbesen waren und auf Grund der Feuerschutzvergoldung schwerfälliger ansprachen als die hochgezüchteten Rennbesen, gewannen die geübten Quidditchspieler bereits in einer Sekunde dreißig Meter Höhe. Der Rest hatte immerhin nach der ersten Sekunde schon fünfzehn Meter zwischen Boden und Besenschweif. Dabei krachte Gérard fast mit dem vorderen Besenende gegen die oberkante eines Megalithen, der den Innenkreis bildete. Von unten hörten sie das zwischen Qual und Wut schwankende Gebrüll des Drachenweibchens. Es war von seiner sicheren Beute ausgetrickst worden und konnte nicht nachsetzen, weil der Legevorgang es am Boden hielt. Erst wenn sie alle Eier abgesetzt hatte mochte sie versuchen, die Flüchtenden zu verfolgen. Doch wenn ihr Mutterinstinkt größer als ihr Jagdtrieb war, dann mußte sie bei ihren gerade abgelegten Eiern und denen, die da noch kamen bleiben und darauf hoffen, am Boden lebenden Beutetieren aus kurzer Entfernung entgegenspringen zu können.

Die rasende Flucht auf den Besen ging bis unter eine graue Wolke. Richtig hinein wollte niemand. Die Umhänge waren feuersicher. Aber wie stand es mit dem in den Wolken schwebenden Wasser?

"In Ordnung, Richtung Norden weiter in Formation wie abgesprochen!" kommandierte Lerouge und dirigierte die ihm gerade anvertrauten Schülerinnen und Schüler. Julius konnte in westlicher Richtung noch etwas blaues in der Sonne glitzern sehen, das zu einem Punkt verschwamm und schließlich nicht mehr zu sehen war. Das war der geschlagene Drache Felsenkralle. Würde er jetzt um ein neues Revier kämpfen müssen? Oder würde er warten, bis Feuermutter zu sehr auf ihre Brut beschränkt war und sie angreifen? Die Frage stellte Professeur Fourmier und deutete auf Joseph Maininger:

"Öhm, ich habe nur gelesen, daß gleichartige Drachen nach einem Revierkampf entweder tot sind oder das verlorene Revier nicht mehr anfliegen, sofern sie nicht spüren, daß ihr Konkurrent geschwächt ist."

"Und damit haben Sie die Antwort schon gegeben, Monsieur Maininger", erwiderte Professeur Fourmier. Sie deutete auf den Drachenhüter. Dieser straffte sich auf seinem goldenen besen und sagte sehr überzeugt:

"Nach der Ablage von zwanzig bis dreißig Eiern ist ein Purpurpanzerweibchen meistens so erschöpft, daß es gerade noch mit dem eigenen Körper das Gelege überdecken kann. Sollte Felsenkralle das spüren oder bereits aus Erfahrung kennen, kann er zurückkommen und angreifen. Normalerweise benötigen Purpurpanzerweibcheneine richtige Höhle, in der sie Holz, durch eigenes Feuer angebranntes Fleisch und Brennmaterial zusammengetragen haben. Steht jedoch bereits eine Legenot bevor, muß sie das im Freien gegrabene Loch ständig nach oben und den Seiten absichern und solange hungernd und dürstend über dem Gelege hocken, bis die Jungen geshlüpft sind und sich mit den eigenen Zähnen an Beinen und Schwanz der Mutter festhalten können, damit sie sie an einen sichereren Ort bringen kann. Einige Jungen kann sie dabei sogar ins Maul nehmen, ähnlich wie Krokodile das machen, wenn sie ihre Jungen in Sicherheit bringen wollen."

"Dann wird Felsenkralle wohl angreifen", vermutete Joseph. "Ist ja genauso, als wenn eine Frau ihr Kind auf 'ner offenen Straße zur Welt bringt."

"Ja, in gewisserweise ist die Lage ähnlich schwierig", knurrte Professeur Fourmier. Gérard verzog nur das Gesicht, während Julius nur vergnügt grinste. Also war es Joseph nicht so egal, was in Beauxbatons gerade so vor sich ging.

Nach dem Kampf der Drachen und der beobachtbaren Eiablage konnten die Besucher aus Beauxbatons noch zehn weitere Drachen bestaunen, einen davon gerade im Verdauungsschlaf. Deshalb konnten sich unter Führung des Wildhüters jeweils vier Schüler bis auf nur zwei Meter an den laut schnarchenden Drachen herantrauen. Julius wollte gar nicht erst fragen, was das Ungeheuer gefressen hatte, was ihm jetzt so schwer im Magen lag. Doch er erhielt die Antwort.

"Um die Drachen zu füttern hegen wir Rotwildbestände, ja auch ausgewilderte Pferde, Haus- und Wildschweine in diesem Reservat. Allerdings müssen wir immer auf der Hut sein, daß keiner von uns einem wachen Drachen zu nahe kommt. Wir verzeichneten in den letzten zehn Jahren fünf Todesfälle. Das sind fünf zu viele. Außerdem gibt es unter meinen Leuten den einen oder die andere, der oder die an die Behauptung glaubt, wenn er oder sie von einem Drachen gefressen wurde, als andersgeschlechtliches Jungtier wiedergeboren zu werden. Bewiesn ist das jedoch nicht, und es gibt keine zulässige Art der Beweisfindung."

Auf dem Rückweg gerieten sie alle noch einmal mit einem plötzlich aus einer Felsspalte hervorschießendem Drachen aneinander. Es war ein Weibchen von den bretonischen Blauen. Leonie verdankte es nur der unsichtbaren Schutzaura gegen alle Ausprägungen des Feuers, daß der sie voll umhüllende Feuerstrahl ihr nicht schadete. Zwar mußte sie kurz nach Luft schnappen, weil der Flammenstoß ihr den Sauerstoff entzog. Doch sie blieb unverletzt.

Wieder zurück in Beauxbatons besprach die Lehrerin den Ausflug und forderte alle auf, einen Aufsatz darüber zu schreiben, in den alle von Lerouge erwähnten Einzelheiten eingebunden werden sollten. Dann verteilte sie noch Bonus- und Strafpunkte. Sie gestattete Julius, seiner Frau zu berichten, was er erlebt hatte. Alle bekamen wegen der erhöhten Gefährdung fünfzig Bonuspunkte. Joseph erhielt wegen Benutzung einer nicht im Unterricht erlaubten Sprache fünf Strafpunkte. Das war es dann für diesen Ausflug.

"Und was war da jetzt gefährlicher dran als das Ding mit den Feuerlöwen?" Fragte Millie Julius am Nachmittag, als er seiner Frau alles erzählt hatte.

"Das wir wilder mit den Besen manövrieren mußten und wir dem Weibchen am Schluß nur entwischen konnten, weil wir es mit unseren Flugmanövern verwirrt haben. Apollo hätte fast die rechte Vorderpranke dieses Drachenweibchens erwischt. Deshalb wollte Professeur Fourmier nicht, daß du mitkommst."

"Ich hätte mir das auch gerne angesehen, wie ein bretonischer Blauer Eier legt", grummelte Millie. Julius beschrieb ihr den Vorgang mit einer flackerfreien, konturscharfen Bildillusion. Millie beobachtete es.

"Jetzt weiß ich zumindest, wer unserer Kleinen die Gutenachtgeschichten erzählen darf", grinste sie. Julius fühlte ihre helle Freude, daß er ihr mit dieser Bilderschau einen Gefallen getan hatte.

"Im Zweifelsfall lege ich eine alte Märchencassette ein und laß sie darüber einschlafen", sagte er.

"Hier, meine Tochter schläft garantiert nicht in einem Geräteschuppen, wo keine anständigen Möbel drinstehen, Monsieur Julius Latierre", grummelte Millie. Aus der Freude war wie umgeschaltet Verärgerung geworden. Das kannte Julius leider schon besser, als ihm lieb war. Er mußte die Verärgerung aus dem eigenen Bewußtsein verjagen. Deshalb dauerte es, bis er ruhig antwortete:

"Ich sehe es ein, Millie, daß Aurore nicht im Geräteschuppen übernachtet."

Julius schrieb in der Abgeschiedenheit des von Millie und ihm bewohnten Zimmers einen Glückwunschbrief an Belle und Adrian Grandchapeau und drückte seine Hoffnung aus, daß Laetitia sich gut in die Rolle der großen Schwester einleben mochte, zumal ihr Brüderchen ja sehr früh nach ihr zur Welt gekommen war. Dann schickte er den Brief für Belle mit seiner Schleiereule Francis auf die Reise.

Der restliche Tag verlief fast im Rahmen des üblichen. Was nicht so war wie immer: Die Mädchen oberhalb der dritten Klasse fingen an, sich darum zu käbbeln, mit welchem Jungen sie zum Weihnachtsball gehen sollten. Zwar wardas eher eine Sache der Saalsprecherinnen. Doch wenn Millie sich mit ihren Cousinen und ihren jüngeren Tanten anlegen mußte bekam er das auch mit, wie verärgert sie war. Louis fragte ihn einmal:

"Ähm, Müssen wir da tanzen, oder kann ich mich über Weihnachten zu meinen Eltern verziehen?"

"Hast du Angst vor Mädchen?" Fragte Julius eher amüsiert als ernst dreinschauend.

 

"Ich weiß nicht, ob das nicht den Megastress gibt, wenn Endora und die anderen meinen, ich sei jetzt endlich mal auch vor Walpurgis fällig."

"Fällig wofür, Louis?"

"Na ja, daß die meinen, mich wegen ihrer nervigen Schwärmereien herumzuschupsen oder sich an mich zu klammern. Also, muß ich dahin oder nicht?"

"Es heißt nur, daß alle ab der vierten den Ball besuchen können. Von müssen hat Professeur Delamontagne nichts gesagt, zumindest nicht zu uns."

"Na ja, er meinte schon, daß wir endlich die Gelegenheit hätten, uns auf rein gesellschaftlicher Ebene hervorzutun, zu zeigen, daß wir nnicht nur der Noten wegen hier sind", erwiderte Louis. "Das klingt für mich so wie wenn meine Mutter sagt: "Der Anzug ist zum Theaterbesuch sicher besser als der Jogginganzug." Oder wenn mein Vater sagt: "Sicher bist du morgen ausgeruhter, wenn du schon vor zwölf im Bett liegst." Deshalb denke ich, der meint das in der höflichen Weise so, daß alle, die in Klasse vier und höher sind dahinzugehen haben."

"Hm, wenn du dir da so sicher bist, ohne Professeur Delamontagne noch einmal genau zu fragen, warum fragst du mich dann?" Wunderte sich Julius.

"Na ja, weil du das ja bei denen in Hogwarts schon mal erlebt hast."

"Das war was anderes. Ich war da gerade in der zweiten. Wir hatten keine grundsätzliche Erlaubnis, den Ball zu besuchen. Nur wenn uns Leute oberhalb der dritten Klasse eingeladen haben ging das. Mich hat damals die große Schwester von Denise und Claire eingeladen. Ich habe das aber sehr schön gefunden, da mitzutanzen. Außerdem ist es bei dem Ball ja nicht so, daß du andauernd von allen möglichen Mädchen umzingelt wirst. Es gibt Damen- und Herrenwahl, wie bei anderen Bällen auch."

"Hm, meine Eltern wollen mit mir über Weihnachten und Neujahr 'ne Kreuzfahrt machen, zu den Tongainseln. Der Gag ist dabei, daß wir dann zweimal ins Jahr 2000 reinfeiern können, weil da diese komische Datumsgrenze ist. Deshalb muß ich das wissen, ob die mich deshalb hier blöd anmachen, wenn ich mit den anderen nach Hause reise."

"Oh, das Jahr 2000", erkannte Julius. "Dann machst du das einfach so, daß du zu Professeur Delamontagne hingehst und dem ganz ruhig sagst, daß deine Eltern eine teuere Weihnachtsurlaubsreise geplant hätten, wo du auf jeden Fall dabei sein solltest. Dann wird er dir schon sagen, ob er das traurig oder unfair findet, daß du nicht mittanzen kannst. Aber wo du was vom Jahr 2000 erzählst muß ich noch meine Mutter antexten, ob unsre Computer jetzt alle fit für dieses Jahr sind."

"Wegen der Datumsanzeige? Oh, das kann dann lustig werden, wenn plötzlich der ganze Strom weg ist."

"Besser nicht, weil dann wohl auch fliegende Flugzeuge, fahrende Züge und voll ausgefahrene Atomkraftwerke betroffen wären. Aber womöglich wird das von den Untergangspropheten verheißene Chaos ausbleiben, genauso wie das, daß nach der Sonnenfinsternis die Welt untergeht."

"Für die Türken irgendwie doch, wo das kurz nach der Finsternis gerumst hat", meinte Louis. Julius nickte. Dann wiederholte er seinen Vorschlag, Louis möge zu Delamontagne hingehen und ihm erzählen, was los sei.

Am Abend vor seinem Abgang zum Eheleutetrakt winkte ihm Louis noch einmal zu.

"Der hat gemeint, daß wir hier auch genial ins Jahr zweitausend reinfeiern. Aber da meine Eltern nichts getan hätten, daß man mich ihnen über Weihnachten nicht nach Hause schicken dürfe, dürfe ich wie jeder andere aus der vierten bis siebten Klasse nach Hause. Es sei denn, ich hätte mindestens drei Einladungen von Besuchsberechtigten Damen. Dann müßte ich diesen Damen begreiflich machen, warum ich lieber zu meinen Eltern will als von denen auf die tanzfläche geführt werden."

"Und, hast du schon Einladungen?" Fragte Julius.

"Mal ja den Teufel nicht an die Wand", grummelte Louis. "Aber danke für deine Hilfe. Nacht!"

"Nacht, Louis!" Erwiderte Julius und verschwand durch die Wand.

"Der hat echt sorgen. Aber wennEndora Bellart das spitzkriegt, daß der ihr nicht die Ehre geben will, wird die dem einen Heuler hinterherschicken, das ist dir doch klar, Monju."

"Ihre Mutter wird ihr schon sagen, daß Heuler auf von reichen und Ruheständlern bevölkerten Kreuzfahrtschiffen nicht so gut ankommen, weil da nicht so schnell ein Vergissmich hingeschickt werden kann. Der muß selbst rauskriegen, was er will. Hast du mir ja schließlich auch andauernd gesagt."

"Ja, und ich bin sehr froh, daß du es gelernt hast", erwiderte Millie und gab ihm einen langen Gutenachtkuß.

 

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Bei der Saalsprecherkonferenz nach der ersten Runde ging es um die Vorbereitungen auf den trimagischen Weihnachtsball und auch noch einmal um den Umgang mit den Reportern aus den Teilnehmerländern. Gérard und Sandrine wurden von ihren Kollegen mit Fragen bestürmt, ob sie auch zu den mehr unfreiwilligen Kindseltern gehörten. Sandrine befriedigte die Neugier der ranggleichen Mitschüler und schilderte ohne auf intime Einzelheiten einzugehen, wie der bewußte Abend verlaufen war und daß sie und Gérard einen vollen Tag verschlafen hatten, was die Empfängnisverhütung eben unmöglich gemacht hatte. Sie betonte jedoch nochmals, daß sie sich mit dieser Lage angefreundet habe und die durch die anstehende Mutterschaft aufkommenden Schwierigkeiten überstehen würde, was auch hieß, die Schulabschlußprüfungen erst ein halbes Jahr nach der anstehenden Geburt abzulegen. Laurentine, die als Beauxbatons-Champion nun ebenfalls von den Jahresabschlußprüfungen ausgeschlossen war nickte ihr kameradschaftlich zu. Außerdem ging es darum, wie sich die Gastschüler mit den Schülern aus Beauxbatons vertrugen. Julius war zufrieden zu hören, daß seine früeren Schulkameraden sich wunderbar mit der hiesigen Schulordnung und den Verhaltensregeln zurechtfanden, wenngleich Kevin wohl immer noch fand, daß ihm das alles hier zu strickt und überorganisiert war.

Am Nachmittag trafen sich die Ehepaare Dumas und Latierre wieder bei Madame Rossignol zur Schwangerschaftsgymnastik. Gérard hatte es endgültig aufgegeben, über die Übungen zu murren. Julius legte sich von sich aus ins Zeug. Er wußte, daß er Millie nicht davon abhalten durfte, so viel zu essen, wie ihr Hunger verlangte. Daß er selbst deshalb mehr aß als sonst führte dazu, daß er selbst an Gewicht zulegte. Er mußte also mit verstärkten Leibesübungen gegenhalten, um die überschüssigen Kalorien zu verheizen oder zumindest mehr Muskelmasse als Körperfett anzuhäufen. Ob ihm das in den kommenden Monaten gelang wußte er nicht. Denn naturgemäß stieg der Appetit mit zunehmender Körpergröße des Ungeborenen. Am Ende der Übungen untersuchte die Heilerin die beiden werdenden Mütter noch einmal mit dem Einblickspiegel. Julius hatte außer ihr und seiner Frau keinem erzählt, daß Sandrine auch eine Tochter trug. Als dann tatsächlich genau zu erkennen war, daß in ihr ein Junge und ein Mädchen heranwuchsen mußte er tatsächlich einsehen, daß sein Traum vom Wolkennest eine Trefferquote von fast einhundert Prozent besaß. Das einzige, was er noch nicht wußte war die Namensgebung der vier Kinder seiner Schwiegergroßmutter Ursuline.

"Damit haben wir es nun klar, daß wir zwei auf Estelle Geneviève und Roger Amos warten", sagte Sandrine zu ihrem Mann. Dieser sah sich seine ungeborenen Kinder auch noch einmal an. Dabei erbleichte er.

"Irgendwie nimmt mich das komisch mit, daß das mal unsere Kinder werden sollen", bemerkte er dazu. "Vor allem, daß wir selbst mal so ausgesehen haben sollen." Sandrine knurrte ihn deshalb an, wie er das meine? "Na ja, irgendwie noch nicht so wie die meisten ein süßes Baby in Erinnerung haben, Sandrine", erwiderte Gérard darauf nur.

"Na ja, die brauchen eben noch", murrte Sandrine. Millie erwähnte, daß sie in dieser woche die erste spürbare Bewegung ihrer Tochter gefühlt hatte. Sandrine grummelte nur, daß sie da noch drauf warten könne.

Die allgemeine Stimmung im Palast war merkwürdig angespannt. Offenbar begannen jetzt die Rivalitäten zwischen den Jungen und Mädchen um ihre Auserwählten. Wer bis dahin nur heimlich für einen Jungen oder ein Mädchen geschwärmt hatte, sah im trimagischen Weihnachtsball eine willkommene Gelegenheit, seine Anbetung offen zu zeigen, ohne sich als voreilig oder ungehörig bezeichnen lassen zu müssen. Julius und Gérard hatten als einzige kein Problem, die Begleiterin für den Abend zu finden. Julius hatte Millie sogar eine schriftliche Einladung per Eule zugeschickt, was bei ihren Klassenkameradinnen eine gewisse Belustigung hervorgerufen hatte. Also mußte Gérard auch seiner Frau eine Einladung zum Weihnachtsball schreiben, damit diese vor ihren Saalkameradinnen nicht dumm dastand.

"Wieso schriftliche Einladungen?" Fragte Kevin Julius am Abend beim Essen. "In Hogwarts lief das doch damals so ab, daß jemand den oder die gefragt hat, ob der oder die mit ihr oder ihm zum Ball gehen will. Oder hat dir Jeanne damals 'ne schriftliche Einladung geschickt?"

"Andere Länder, anderer Stil, Kevin. Die Leute hier können zwar so fragen, aber weil das hier vor Walpurgis so üblich ist, daß die Mädchen die Jungen anschreiben, mit denen sie denHexenabend verbringen wollen, denken wohl die meisten, daß das auch beim trimagischen Weihnachtsball so ist."

"Das glaube ich erst, wenn mich eine von eurem Laden mit 'nem Brief fragt, ob ich mit ihr tanzen will", erwiderte Kevin. Julius gab darauf keine Antwort.

 

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Céline hatte in den kommenden Tagen einiges zu tun, sich zankende Mädchen zu beruhigen, die nun offen für einen bestimmten Jungen schwärmten. Julius hingegen lernte, daß nicht nur Louis Probleme damit hatte, einen geordneten Tanzabend außer dem alljährlichen Schulabschlußball besuchen zu sollen. Außerdem war Weihnachten ja für viele ein wichtiges Familienfest, wo sie auch die Leute trafen, die sie sonst nicht zu sehen bekamen.

Am Dienstagnachmittag fragten ihn die drei Zweitklässlerinnen Babette Brickston, Armgard Munster und Jacqueline Richelieu, ob er ihnen nicht wen empfehlen könne, mit dem sie am Weihnachtsball teilnehmen könnten. Julius amüsierte diese Dreistigkeit. Er mußte grinsen. Dann sagte er:

"Tja, ich denke nicht, daß Jungs ab der vierten sich von ihren Klassenkameraden nachsagen lassen wollen, keine in ihrem Alter zu finden und deshalb jüngere einladen zu müssen. Zumindest würde das keiner zugeben, der nicht wirklich jemanden bestimmten im Auge hat, mit dem er beim Ball gut aussieht. Ich denke auch, daß Jungs Angst haben, sie könnten sich vor der Enkeltochter der Schulleiterin voll blamieren."

"Na toll, Julius", grummelte Babette verdrossen. "Hau mir das jetzt auch um die Ohren. Ich wäre lieber hier beim Ball als zu Hause, wo Opa James Papa anmacht, ob der nicht noch ein Brüderchen für mich machen kann und Oma Jennifer mich dumm anquatscht, ob ich nicht neben dem ganzen Hexenzeug auch lerne, wie eine zivilisierte Dame rumläuft und sich beträgt, bei Claudine aber so tut, als sei sie die einzige Oma, die sie hat. Du kriegst das ja nicht mehr mit, seitdem Millie und du in diesem Apfelhaus wohnt. Aber ich komm mir echt langsam total blöd vor. Will ich für mich sein, heißt es, ich soll mich nicht isolationieren oder wie das ausländische Wort heißt, wenn jemand nicht mit anderen zusammensein will. Bin ich dann bei Maman, Papa und der kleinen soll ich so'n Vorbild sein. Wie nennt Oma Jennifer das? Nacheifernswert, was immer das sein soll."

"Das Wort an sich heißt, daß du nur die Sachen machen sollst, von denen du oder andere wollen, daß deine Schwester das auch so machen soll. Aber deine Oma Jennifer ist ja sowieso überordentlich und wegen ihrer tollen Bildung Vernagelt. Hast du ja damals mitgekriegt, wo Claudine noch unterwegs war, daß ich der meine Meinung gesagt habe. Das hat sich ja auch nicht geändert, seitdem sie weiß, daß du eine Hexe bist und ich ein Zauberer bin. Ich denke sogar, die hat Angst, daß doch noch irgendwer sagt, daß alles, was sie als einzig richtig gelernt hat totaler Quatsch ist. Deshalb meint die wohl, dir beibringen zu müssen, was in der Muggelwelt junge Mädchen so zu beachten haben. Dabei wohnt die in England und du in Frankreich, wo es ja eh schon Denkunterschiede gibt."

"So ähnlich zicken Maman und Tante Lou rum, wenn Weihnachten ist", sagte nun Jacqueline Richelieu. "Wäre schon mal 'ne Nummer gewesen, denen zu sagen, daß ich mal ohne die beiden feiern kann. Dann kriegen die's auch langsam gebacken, daß ich kein kleines Mädchen mehr bin, das immer nur süß und brav vorzusingen und vorzutanzen hat." Armgard hingegen wollte nicht auf Weihnachten bei den Eltern verzichten. Sie hatte sich nur deshalb mit ihren Schulfreundinnen drüber unterhalten, weil sie gehört hatte, daß ältere Mitschüler jüngere einladen konnten. Julius sagte dann nur:

"Ich bin froh, daß das Thema für mich schnell erledigt war, Mädels. Wenn ich mir so ansehe, wie viel Stress die anderen Jungs und Mädels haben, wen sie wie und warum einladen sollen und wer Angst hat, beim Ball ohne Begleitung rumzuhängen habt ihr's doch auch noch gut erwischt."

"Sage ich auch", pflichtete Armgard bei. Babette und Jacqueline verzogen nur die Gesichter. Da kam Céline und fragte, ob Julius "mal wieder" ihre Arbeit machen würde. Babette glubschte sie biestig an, während Jacqueline die hauptamtliche Saalsprecherin von der Seite anblickte.

"Die drei Damen wollten nur wissen, was sie anstellen müßten, um von den großen Jungs eingeladen zu werden, solange es mit den Schul- und Anstandsregeln vereinbar ist, Céline. Da Babette mich ja doch ein wenig besser kennt als dich hat sie mich gefragt, zumal ich als junger Herr ja eher weiß, wie andere junge Herren getaktet sind." Babette und Armgard lachten über diese Formulierung. Céline stierte die drei Zweitklässlerinnen mit ihren smaragdgrünen Augen kritisch an. Doch sie verzichtete auf Strafpunkte. Sie hatte lernen müssen, daß sie sich leicht zur unbeliebtesten Mitschülerin machen konnte, wenn sie jedem Mädchen wegen Albernheiten Strafpunkte aufbrummte. Dann erkannte sie, daß sie es besser mit Humor nehmen sollte und sagte den drei Mädchen zugewandt:

"Sagen wir es mal so, die drei Mesdemoiselles: ihr braucht euch nicht um einen Jungen zu zanken, von dem ihr später mal mitkriegt, daß er die Zankerei nicht wert ist. Außerdem haben Pina und Gloria aus Hogwarts erzählt, daß sie damals miese Typen abbekommen haben, als sie als Zweitklässlerinnen eingeladen wurden, nur weil die Burschen damals keine gleichaltrige Mitschülerin ansprechen konnten. Die hatten zu viel Angst, bei ihren Klassenkameradinnen dumm aufzufallen, weil sie keine Partnerinnen für den Ball hatten. Wollt ihr für solche Jungs die Vorführpüppchen werden?" Armgard schüttelte den Kopf. Babette verzog nur das Gesicht. Jacqueline grinste amüsiert. "Habe ich mir doch gedacht. Also wenn euch wer einladen sollte, macht das gleich klar, daß ihr mindestens vier oder fünf Tänze mit denen haben wollt!"

"Julius kann ja nicht mit einer von uns tanzen, weil der ja von Millie sonst einen Heuler abkriegt", warf Babette ein.

"Dann eher von ihren Eltern", erwiderte Julius. "Denn wenn sie auf mich böse ist dann merke ich das auch ohne Heuler und kann das dann gleich mit ihr bereden. So'n Pech aber auch, daß du mich nicht rumkriegen kannst, Babette." Die angesprochene verzog das Gesicht noch mehr als vorhin, während ihre Schulfreundinnen kicherten. Babette wandte sich um und ging ohne weiteres Wort davon.

"Das war das ganze", sagte Céline. "Babette wollte rausfinden, ob du sie einladen würdest. Hoffentlich hat die mit den beiden anderen Mädchen keine Wette abgeschlossen. Dann müßte ich denen glatt Strafpunkte aufladen."

"Genau deshalb werden die es gerade dir nicht auf die Nase binden", mußte Julius dazu sagen. Céline verzog nun auch das Gesicht und sagte dann noch, daß sie noch auf eine Einladung warte. Julius konnte gerade eben noch zurückhalten, daß er sich wundere, daß Robert sie noch nicht gefragt habe. Aber offenbar war der seit der Enthüllung, warum Sandrine und Gérard schon in diesem Jahr Eltern wurden mit sich selbst mehr beschäftigt als mit seiner Umgebung. Céline sagte dann nur noch: "Na ja, du warst zumindest anständig, deiner Frau eine richtige Einladung zu schicken als nur mal eben zu fragen, ob sie mit dir tanzen will. Aber wo du gerade so schön dabei bist, meine Saalsprechersachen mitzumachen: Denise weiß nicht, wie sie ihre Cousine dazu bringen kann, sich mehr im Unterricht zu beteiligen. Wir haben es ja bei der SSK schon davon gehabt."

"Ach, du meinst, weil Denise mich besser kennen könnte als dich? Ich denke, da soll sie besser ihre Mutter anschreiben, wie das laufen soll. Zwischen Madame Dusoleil und ihrer Schwägerin, Melanies Maman, ist zwar immer Gewitterstimmung. Aber die kann Denise besser sagen, was sie Melanie sagen oder vorgeben soll. Millie hat Melanie zumindest dazu gekriegt, sich keine unnötigen Strafpunkte mehr zu fangen. Die hat das ganz einfach damit begründet, daß Melanie ja nicht immer bei ihrer Mutter leben wolle und Kevins Spruch gebracht, daß sie dann ja gleich bei ihrer Maman im Bauch hätte bleiben können, wenn sie zu viel Angst hat, ihr eigenes Ding zu machen."

"Ihr was?" Fragte Céline.

"Na ja, das zu tun, was nur sie für richtig hält und was zu machen, was nur von ihr ist und wovon sie dann sagen kann, daß das nur von ihr ist und nicht von ihren Eltern."

"Gut, ich rede da noch mal mit deiner Frau drüber, ob wir da was zusammen hinkriegen. Jedenfalls bin ich froh, daß Denise mit den Klassenkameradinnen gut klarkommt, wo die in dem vollen Saal schlafen." Julius konnte dem nur beipflichten.

Am Abend durften die Teilnehmer des Zauberwesenseminars zwei von den Huldren aus der naturbelassenen Region von Island kennenlernen, die bei der Quidditchweltmeisterschaft ihre Nationalmannschaft begleitet hatten. Dabei lernten die Schüler auch, daß in der schwedisch-norwegisch-dänischen Zauberschule Vargeberg eine Huldrenfrau die Geschichte der nordeuropäischen Zauberwesen unterrichtete.

 

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Sehr geehrter Monsieur Latierre,

ein wenig später zwar als üblich, aber hoffentlich noch rechtzeitig möchte ich mich auch im Namen meines Ehemannes Adrian für Ihren Glückwunsch zur Geburt unseres Sohnes Midas Lothaire bedanken. Ich bin über die Maßen froh, daß ich dieses Ereignis annähernd handlungsfähig überstanden habe. Denn aus irgendeinem Grund wollte unser Sohn den entscheidenden Schritt in die Welt nicht vollenden. Die von mir beauftragte Heilerin hätte ihn fast mit einem Eingriff meiner körperlichen Obhut entwinden müssen. Aber am Ende kam er doch auf natürliche Weise zu uns, wenngleich er seinen Unmut, womöglich auch seine Angst vor der Welt, lautstark hinausgeschrien hat. Durch die Strapazen sichtlich entkräftet verbringe ich gerade die Wochenbettphase in der Delourdesklinik, da mein Mann durch die schwere Geburt sichtlich verängstigt ist und ich hier auch die nötige heilmagische Versorgung in Griffweite habe. Ich hoffe, Ihre Frau Mutter, die uns nach ihrer Rückkehr aus den vereinigten Staaten viele interessante Bilder gezeigt und Reiseerlebnisse berichtet hat, kommt mit der durch meine Mutterschaftspause einhergehenden Mehrbelastung gut zurecht, auch wenn ich die hohen Leistungsanforderungen ihrer und meiner Vorgesetzten gut genug kenne, um zu wissen, daß es anstrengend sein kann. Von erwähnter Vorgesetzten soll ich Sie und Ihre Frau Mildrid ebenfalls recht herzlich grüßen.

Ich wünsche Ihrer Frau, daß sie mit dem Kind, das sie derzeit unter dem Herzen trägt, weiterhin mehr angenehmes als unangenehmes erfährt und übersende ihr meine besten Wünsche für eine beschwernisarme Vollendung der Schwangerschaft und eine ebenso beschwernisarme Niederkunft. Diese steht ja im Mai an, soweit ich orientiert bin. Deshalb denke ich, Sie werden ihr zu Weihnachten die Ehre machen, sie zum trimagischen Weihnachtsball zu begleiten. Ich beneide Sie sogar darum. Denn als ich mit der trimagischen Delegation aus Beauxbatons damals bei Ihnen weilte konnte ich überwiegend gute Erinnerungen an dieses Ereignis zusammentragen.

Weiterhin allen Mut, alle Geduld und alle Entschlossenheit, die Sie beide in den kommenden Wochen und Monaten benötigen, um die bevorstehende Familiengründung mit den ausstehenden Anforderungen des UTZ-Jahres zu vereinen.

Mit freundlichen Grüßen

Belle Grandchapeau

 

Diesem Brief beigefügt sind die offiziellen Geburtsdaten und die erste magische Photographie von Midas Lothaire Grandchapeau

Julius betrachtete das Bild, auf dem ein gerade zwei Tage altes Baby in blauem Strampelanzug in einem Tragekorb saß und leicht verdrossen mit hellblauen Augen zu seinem Betrachter hinaufstarrte. Julius mußte daran denken, daß beim "Ausliefern" vielleicht doch nicht alles auf Null zurückgesetzt worden sein mochte. Denn so ähnlich wie der kleine Midas Lothaire hatte auch Lysithea Greensporn dreingeschaut, von der er nun sicher dachte, daß es die durch magische Verkettungen zum Säugling gewordene Daianira Hemlock gewesen war. Dann schüttelte er den Kopf. Der Kleine hatte es einfach nur satt, daß alle um ihn herumsprangen und ihn anquatschten. Sicher trauerte der der Zeit ohne Sorgen und Hunger nach. Mehr war das nicht.

Millie schmolz fast dahin, als sie das Foto des kleinen Ministerenkels sah. Sie strahlte den Kleinen an, der dann, weil es ja ein magisches Bild war, ein Lächeln auf dem runden Gesicht zeigte.

"Wie lange hat sie jetzt gebraucht, ihn hier an die Luft zu schupsen?" Fragte sie Julius. Dieser konnte ihr darauf keine Antwort geben. Millie flüsterte dann: "Womöglich wollte der nicht als zukünftiger Zaubereiminister in den Zeitungen herumgereicht werden. Manchmal sind wir Franzosen komische Leute. Da wollen wir und haben wir eine Republik, und dann machen die Leute ein Gewese um Neugeborene von wichtigen Leuten, als seien das Königskinder. Gut, Belle hat sich ja bis zu diesen vier Tagen im November vor vier Jahren immer als Prinzesschen aufgeführt und danach ja um der Saalsprecherinnenrolle wegen noch bis zum Schulabschluß durchgehalten. Aber die meisten Zaubereiminister kamen nicht als Söhne oder Enkel amtierender Zaubereiminister zur Welt. Sonst könnte Baudouin Delamontagne ja auch schon als künftiger Zaubereiminister gehandelt werden."

"Na ja, für den Promi-Rummel haben die Briten ja noch ihr Königshaus, auch wenn da genausoviel Regenwetter herrscht wie im Land selbst", erwiderte Julius. "Irgendwas brauchen viele Leute, um ihr eigenes Leben zu überspielen, und sei es, sich über berühmte oder wichtige Leute zu freuen oder zu ärgern und zu meinen, in deren Familienangelegenheiten reinschnüffeln zu dürfen." Millie konnte dem nicht widersprechen. Sie bekamen es beide ja selbst mit, wie gierig die Presse nach ganz privaten Einzelheiten war.

Julius verbarg den Brief Belles und das Babyfoto in der diebstahlsicheren Reisetasche. Sie hatte ihm zwar nichts dergleichen abverlangt. Dennoch war er sich sicher, daß das Foto des Kleinen Midas Lothaire Grandchapeau nicht in der Schule rumgereicht werden sollte.

 

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"Ui, ob ich tanzen kann weiß ich im Moment nicht", seufzte Millie, als sie von ihrem Gang ins Bad zurückkehrte. "Irgendwie werden meine Beine immer wieder bleischwer. Na ja, meine Mutter konnte mit Tine und mir unter dem Umhang noch Tango tanzen, als sie im sechsten Monat war. Dann kann ich das auch."

Babette Brickston strahlte Julius nach dem Mittagessen an. Weil er neugierig war fragte er sie, was sie so schönes erlebt habe:

"Henri Saunier hat mich zum Weihnachtsball eingeladen", sagte sie sehr zufrieden. Julius dachte kurz an die Auswahl vor drei Jahren und einigen Monaten zurück. Henri Saunier war Klassen- und Saalkamerad von Callie, Pennie, Patricia Latierre und Marc Armand. Soweit er wußte, hatte er eine Hexe zur Mutter und einen Forstbeamten der Muggel zum Vater.

"Was hast du gemacht, daß er dich einläd?" Fragte er argwöhnisch. Babette bedachte ihn erst mit einem verbitterten Blick ihrer saphirblauen Augen. Dann sprudelte es aus ihr heraus:

"Tja, mit superguten Beziehungen geht doch ganz viel, Julius. Denn Henri ist der Freund von Marc, der ja mit deiner Tante Pattie geht. Der findet aber offenbar keine, mit der er tanzen gehen kann. Er wollte, um mit Marc und Pattie zwei gute Paare zu bilden, Mayette einladen. Aber die wurde schon von dem langen Babar Camus eingeladen, schriftlich wie das sein soll, obwohl die imselben Saal wohnen. Weil er nicht als Volltroll dastehen wollte, der keine zum Tanzen mitnehmen kann, haben Pattie und Mayette dem vorgeschlagen, mich zu fragen, alleine schon um vor seinen Jungs damit anzugeben, daß er keine Angst vor ... ähm ... Madame Faucon hat. Tja, dann hat der mir heute einen Brief geschrieben. Sieht ja auch nicht schlecht aus, der Junge, und die zwei Jahre Unterschied sind ja kein Thema, wo Jeanne dich damals eingeladen hat."

"Mission erfüllt", grinste Julius seine frühere Hausmitbewohnerin an. "Aber du mußt das deinen Eltern schreiben. Hoffe dann drauf, daß deine Maman deinen Papa bekniet, daß du da mittanzen darfst."

"Echt, muß ich denen das schreiben?" Fragte Babette.

"Geh mal davon aus, daß wenn nicht du dann Madame Faucon jedes Elternpaar anschreibt, warum ihre minderjährigen Kinder die Weihnachtstage in der Schule bleiben wollen. Dein möglicher Tanzabendgesellschafter ist zwar bei uns nie in der SSK erwähnt worden, was ich mal als für ihn sprechend stehenlasse. Aber Madame Faucon dürfte sich sehr dafür interessieren, wie du mit deinen Eltern klarkommst."

"Haha, wie lustig!" Schnarrte Babette. "Spaßbremse!" Feuerte sie noch hinterher. Julius ließ das kalt.

"Hätte ich sagen sollen, viel Spaß, gut gemacht"?" Fragte Julius. Babette wandte sich um und zog ab.

"Huch, ist die auch schwanger?" Fragte Gérard, der bis dahin gewartet hatte, bis Julius wieder alleine dastand.

"neh, Babette hat nur gemeint, einen Jungen um den Finger gewickelt zu haben, daß der sie mit zum Ball nimmt. Ich habe ihr nur gesagt, daß sie das ihren Eltern schreiben soll, wo die Weihnachten immer auf Familie machen und sie im letzten Jahr auch zu Hause war. Weil sie meinte, daß sie das nicht müßte habe ich nur gesagt, daß Madame Faucon sich immer noch dafür interessiert, wie Babette mit ihren Eltern auskommt. Mehr war nicht. Aber es hat gereicht, sie mal eben von supergut gelaunt auf total angenervt umzuschalten, wobei ich das überhaupt nicht wollte."

"Ja, aber du hast sie angesprochen, nicht umgekehrt", stellte Gérard fest. Julius nickte und stellte klar, daß sie ihn am Mittagstisch so überlegen und glücklich angestrahlt habe und er ja doch mal wissen dürfe, warum. Das sah Gérard ein. Er hätte ja auch wissen wollen, weshalb ein fünf Klassen weiter unten lernendes Mädchen ihn so überglücklich anstrahlte.

Louis Vignier hatte von zwanzig Mitschülerinnen Anfragen erhalten, ob er mit einer von denen nicht zum Ball gehen würde. Darunter waren auch die Latierre-Zwillinge und Endora Bellart, die Tochter der Zauberkunstlehrerin, die im weißen Saal untergekommen war.

"Mann, was mach ich denn jetzt?" Fragte Louis Julius.

"Das ist nicht wie bei Walpurgis, wo du eine Einladung annehmen mußt, Louis. Aber bei der Auswahl würde ich mir das vielleicht doch noch mal überlegen."

"Klar, ich mach das so, daß da, wo ich herkomme es üblich ist, daß der Herr die Dame fragt, ob sie ihn begleitet. Ganz einfach. Danke, Julius!"

"Ey, Moment, habe ich so nicht gesagt, Louis. Abgesehen davon kriegst du im Leben nur einen trimagischen Weihnachtsball mit. Das einundzwanzigste Jahrhundert fängt ja eigentlich auch erst mit dem Jahr 2001 an."

"Hat mir Professeur Bellarts jüngste Tochter auch so geschrieben. Hast du der den Brief diktiert oder was? Sie meinte, ich hätte eine geniale Gelegenheit, mit Leuten aus England und Deutschland zu reden, die mal in der Zaubererwelt wichtig werden könnten und wir ja als Viertklässler nur dieses eine Turnier mitbekommen könnten, wenn die sich an die fünf Jahre hielten. Außerdem schrieb sie, daß wir an Walpurgis ja auch genial zusammen gefeiert hätten und sie im Moment keinen Grund wissen würde, warum ich auf sie sauer zu sein hätte oder sie auf mich. Das alles in dieser hochgestochenen Art, wie ihre Mutter im Unterricht redet. Da waren die Briefe von den Kraftzwillingen schon richtig lustig, wenn auch ziemlich dreist. Die meinten, als toller Quidditchspieler hätte ich gutes Wetter zu machen, wenn die im nächsten Jahr wieder spielen dürften. Da könnte ich das am besten, wenn ich mit einer von den beiden zum Ball gehe."

"Was ich dir deshalb nicht empfehlen würde, weil die andere dann angenervt ist, egal mit welcher du gehen würdest. Aber hat Mademoiselle Bellart echt geschrieben, daß sie bisher keinen Grund hatte, warum du auf sie oder sie auf dich sauer sein sollte?" Hakte Julius nach. Louis nickte heftig. "Oha, dann geh mal auf Alarmstufe Gelb, Louis. Denn mit dieser Formulierung ist nichts anderes gemeint, daß dann, wenn du ihr einen Korb gibst, ein Grund da sein würde, daß sie auf dich sauer wäre. Aber ich habe von meinem Vater gelernt, daß ein Mann sich dadurch auszeichnet, daß er die Folgen von dem trägt, was er tut, ohne sich bei anderen auszuheulen oder zu beschweren. Insofern hast du jetzt eine Geniale Chance, rauszufinden, ob du noch ein Junge oder schon ein Mann bist. Entweder bringst du deinen Eltern bei, daß du hier tanzen willst und sie den freien Platz auf dem Schiff vergeben dürfen oder servierst alle dich fragenden Mädchen damit ab, daß du was viel besseres um Weihnachten vorhast, statt beim trimagischen Weihnachtsball mitzutanzen."

"Ich schreibe denen, das meine Eltern das klargestellt haben, daß ich über die Feiertage nach Hause zu kommen habe, eben wegen der Reise, die ja schweineteuer genug war. Das haben die zu kapieren, wenn die sich schon für Damen halten, die geschraubt schreiben oder meinen, jemand müßte bei ihnen gutes Wetter machen. Du kannst deiner Frau und der Mutter deines Kindes gerne ausrichten, daß allein die Art, wie die zwei mich angetextet haben reicht, daß ich mich total angenervt fühle. Dann kann die das an ihre Krawallcousinen weiterreichen."

"Du meinst dann, die ließen dich in Ruhe?" Fragte Julius.

"Die sollen dieses Großmaul Lumière von den Blauen weiter umschwirren. Ich brauche keine von denen."

"Genau, schreib denen das so und hoffe drauf, daß die nichts finden, um dich in den nächsten drei Jahren, wenn Millie und ich nicht mehr hier sind, richtig doll fertig machen können, auch ohne Quidditch."

"Hast du nicht gerade gesagt, ein Mann müsse mit dem klarkommen, was er tut, Julius?"

"Habe ich gesagt, und ich denke auch, daß ich mir nicht widersprochen habe. Du hast es in der Hand, was du in den nächsten Jahren von wem kriegen kannst oder nicht."

"Neh, ich mach das so, wie gerade vorher erwähnt. Ich texte die zurück, daß da, wo ich herkomme, die Herren die Damen fragen, ob sie sie begleiten wollen und nicht umgekehrt. Vielleicht habe ich dann auch Ruhe bei Walpurgis."

"Das willst du sicher nicht wirklich, wo die meisten hier mitbekommen haben, wie Endora und du so gut zusammen geflogen seid.

"Du erinnerst dich aber sicher auch dran, was meine Eltern für einen Aufstand gemacht haben, als der letzte Elternsprechtag war. Da hat sich bis heute nix dran geändert", erwiderte Louis. "Also mach ich das so. Sollen die Gänse schnattern was sie wollen. Danke für's zuhören!" Julius kam nicht mehr dazu "Bitte" oder was ähnliches zu antworten, weil Louis schon unterwegs zu seinen Klassenkameraden war. Das sollte ihm auch recht sein. So konnte er sich auf was wesentlicheres konzentrieren: Geschenke aussuchen und beim Eulenversandtdienst in Auftrag geben.

 

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Belisama war vor der kommenden Pflegehelferkonferenz sichtlich genervt, als sie Louis im Sprechzimmer Madame Rossignols antraf. "Ich wurde von Mademoiselle Endora Bellart darum gebeten, dir auszurichten, daß ihr deine Antwort nicht gefallen hat, Louis. Sie hat gesagt, daß sie dich eigentlich für einen großen Jungen gehalten hat und nicht für ein Kleinkind, das nur an der Hand von Maman und Papa laufen darf. Das ist ihre Ansicht. Wie ich das finde ist hier nicht wichtig. Ich mußte das nur weitergeben."

"Ja, hast du gemacht, Belisama. Dann mußt du jetzt auch nicht mehr so angenervt gucken. Dann weiß ich jetzt, daß die Antwort auch angekommen ist und sie sich nicht drauf rausreden kann, ich hätte ihr nichts gesagt oder geschrieben", entgegnete Louis ganz ruhig. "Meine Eltern haben lange gespart und ein Jahr im Voraus bestellen müssen, um eine richtige Dreierkabine zu kriegen und keine mit einem Sofa als Schlafmöbel drin. Ich muß mit denen besser klarkommen als mit jeder von euch. Das ist mir klargeworden. Ob Prinzessin Endora jetzt meint, ich hätte ihr den großen Auftritt versaut, wo ihre Mutter zugucken kann, interessiert mich nur an zweiter Stelle. Das darfst du wissen, weil du von ihr als Botenmädchen losgeschickt worden bist. Ansonsten, wenn sie meinte, mit mir wie zwischen großen Leuten was klären zu müssen, hätten wir das gerne übermorgen vor der Herbo-Stunde machen können. Mehr ist nicht."

"Moment, bevor das hier eure Kameradschaft vergiftet, Belisama und Louis: Louis hat insofern recht, daß er mit seinen Eltern zurechtkommen muß. Er hat leider auch recht, weil seine Eltern so oder so sagen dürfen, was er privat macht. Daß er bei uns ist mögen sie auch nicht, dürfen es aber nicht ablehnen. Und es ist auch richtig, daß jemand klarstellen darf, wenn er oder sie sich lange auf etwas vorbereitet hat oder viel dafür zu zahlen hatte, daß das nicht mal eben über den Haufen geworfen werden darf. Louis, dein Verhältnis zu den Mädchen soltest du jedoch auch nicht als unwichtig abtun. Ich kriege es doch mit, daß es genug junge Hexen gibt, die gerne mit dir befreundet sein möchten. Wenn du auch als Pflegehelfer Respekt von ihnen erwarten möchtest, mußt du im Gegenzug auch Respekt zeigen und dich anständig mit ihnen besprechen, egal worum es geht."

"Ich habe Endora geschrieben, daß ich lieber auf ihre Einladung verzichte, als mir von meinen Eltern mal wieder vorbeten zu lassen, daß ich hier nur zum lernen sei und nicht, um mich abschleppen zu lassen oder eine abzuschleppen. Das sollte die mit ihrer wichtigen Mutter kapieren, wie wichtig das ist, mit den eigenen Eltern gut auszukommen."

"Mütter und Töchter sind ein Kapitel für sich", warf die Heilerin ein. "Das zwischen meiner Mutter und mir war auch kein dauernder Sonnenschein, und meine einzige Tochter hält mir heute immer noch Sachen vor, die ich bei ihr angeblich verkehrt gemacht habe."

"Ja, aber bei Vätern und Söhnen ist doch ein Meinungsunterschied auch immer wieder drin", erwiderte Julius. "Aber ich verstehe zumindest, daß Louis seinen eigenen Weg finden möchte und sich nicht von allen möglichen Leuten rumschupsen lassen will." Millie mußte darüber lachen. Deshalb ergänzte er: "Ja, gerade weil ich einer bin, dem alle möglichen Leute vorbeten, was er zu tun und zu lassen hat muß ich das respektieren, wenn sich jemand klar für eine Sache entscheidet."

"Dürfen wir alle so zur Kenntnis nehmen", setzte Madame Rossignol den Schlußpunkt und begann nun mit den Themen der Pflegehelferkonferenz. Es ging neben der weiteren Schwangerenbetreuung von Sandrine und Millie um die Sachen, die in den letzten beiden Wochen gelaufen waren, eben auch die Einladungen. Louis sagte dann noch einmal für alle, daß er sich nicht mehr für ein Kleinkind hielt, aber ihm das immer noch wichtig sei, daß er mit seinen Eltern klarkäme.

"Gérard und ich haben übrigens beschlossen, daß wir das noch vor Weihnachten bekanntgeben, daß ich zwillinge trage", eröffnete Sandrine. "Irgendwann müßten wir es ja doch mal mitteilen. Und ich merke trotz dem, was mir auf Martinique die beiden beschert hat, daß ich mit den beiden wohl in den nächsten Monaten mehr aufgeladen bekam als Millie mit ihrer einen Tochter. Millie lächelte überlegen. Zwar ging es ihr an manchen Tagen schlecht, und sie mußte für das Kind unschädliche Tränke in kleinen Dosen einnehmen, um für die Schule in Form zu sein. Aber ansonsten ging es ihr gut.

"Wie schon am Schuljahresanfang gesagt ist das ganz alleine deine und Gérards Sache, wie viele Leute es wissen dürfen", sagte die Heilerin von Beauxbatons. Sandrine nickte. Das würde sowieso noch einmal Getuschel geben, egal ob es erst bei der Geburt der beiden rumging oder jetzt schon. Jetzt, wo die Pflegehelfer wußten, daß sie wirklich ein Mädchen und einen Jungen erwartete, konnte Sandrine offenbar mit der für sie neuen Situation besser klarkommen. Patrice Duisenberg fragte noch einmal, ob es für die Pflegehelfer, die zum Ball einen Partner oder eine Partnerin hatten, besondere Verhaltensregeln gebe. Madame Rossignol antwortete darauf:

"Wie bei Walpurgis müßt ihr immer darauf achten, daß eure Mitschüler sich nicht überanstrengen oder Dinge tun, die sie oder andere verletzen können. Ich selbst werde den Ball besuchen und mich wohl auch ein wenig auf der Tanzfläche bewegen. Ich habe dabei aber ständig Bereitschaft. Der letzte trimagische Weihnachtsball in Beauxbatons ist zwar schon einige Jahrhunderte her. Ich besitze jedoch noch die Aufzeichnung der damaligen Heilerin, Mademoiselle Hellebore Vendredi. Sie berichtete von Duellen zwischen rivalisierenden Jungen, die die Gunst desselben Mädchens erringen wollten und Erschöpfungen, weil einige Schüler nicht auf die Warnrufe ihrer Körper hören wollten und sich auf der Tanzfläche verausgabt hatten. Jedenfalls hoffe ich doch sehr, daß ihr euch nicht überanstrengt und es auch nicht von anderen verlangt, sich zu überanstrengen. Duellieren ist in Beauxbatons ja nur im Unterricht erlaubt. Denkt also bitte daran, bevor ihr meint, eure Ehre mit dem Zauberstab in der Hand erstreiten oder verteidigen zu müssen. Mehr muß ich nicht an Verhaltensregeln aufstellen, die über die sowieso noch geltenden Schulregeln hinausreichen."

"Hat das denn jetzt geklappt mit der Einladung von Eugène Cherbourgh?" Fragte Madame Rossignol Nadine. Diese errötete leicht an den Ohren, nickte aber. Sandrine hatte Julius erzählt, daß Nadine auch gerne mittanzen würde, aber sich nicht traue, jemanden zu fragen. Sandrine hatte dann für sie einige aussichtsreiche Kandidaten ausgesucht. Der ZAG-Kandidat Eugène Cherbourgh, der in den letzten beiden Jahren enorm nach oben geschossen war, hatte Nadine schließlich eingeladen, nicht aus Mitleid, sondern weil seine eigentlich umschwärmte sich mit Arno Roland aus dem Violetten saal verabredet hatte. Offenbar stand Monique Matis nicht auf zwei Meter große Halbwüchsige, und Nadine hatte immer so elfengleich beim Abschlußball getanzt, hatte Sandrine ihrem Mann und den Latierres erzählt. Somit waren fast alle Pflegehelfer über Weihnachten in Beauxbatons. Nur eben Louis Vignier nicht.

Nach dem Mittagessen bekam Julius mit, wie einige Mädchen hinter Hubert Rauhfels herliefen. Offenbar hatte der Greifennest-Champion keine aus seiner Schule zum Ball einladen wollen. Plato Cousteau, der Saal- und Jahrgangskamerad von Belisama, wandelte durch den westlichen Park, als schwebe er auf einer Wolke dahin. Offenbar war ihm heute etwas sehr schönes begegnet, oder der sich hauptsächlich mit Zauberkunst auskennende hatte einen Erfolg erzielt, dem ihn niemand zugetraut hatte.

Als er in die Nähe der gigantischen, blütenweißen Asgardschwäne kam traf er Waltraud Eschenwurz, die gerade einen Leiterwagen mit Honigmelonen per Zauberkraft hinter sich herrollen ließ. Sie sah ihn und lud ihn ein, ihr bei der Fütterung der Riesenvögel zuzusehen. Er fragte, wie nahe er an diese majestätischen Zaubertiere herantreten dürfe und erhielt die Antwort, daß er, wenn er keine überschnellen Bewegungen mache, bis auf doppelte Halslänge an die Schwäne herantreten durfte. Da sie die Riesenschwäne erst in der letzten Magizoologiestunde vor den Ferien drannehmen wollten nutzte Julius die Chance, sein bereits Theoretisches Wissen in die Praxis zu setzen. "Das ist ein Lebensvierer, richtig?" Fragte er Waltraud.

"Genau, Julius. ein Männchen und drei Weibchen. Das Männchen heißt Donar, und die Weibchen Sygen, Fulla und Eira. Hast dich natürlich schon schlaugemacht, richtig?"

"Schuldig im Sinne der Anklage", bestätigte Julius. Dann fragte er, woher die Namen kämen und erfuhr, daß das stattliche Männchen nach dem germanischen Wettergott Donar und die Weibchen nach Dienerinnen oder Zofen der germanischen Göttermutter Fria benannt waren. Das sei die Tradition bei Benennung der Asgardschwäne, nach den Göttern und Götterdienern der germanischen und nordischen Mythologie benannt zu werden. Julius kannte sich mit den alten Göttern nur begrenzt aus, sofern ihm welche in seinen weit zurückliegenden Rollenspielertagen als Vorbilder für die Gottheiten in der gerade gespielten Welt dienten. Eigentlich fraßen die Asgardschwäne Fische und Krebstiere, nahmen aber auch gerne Gemüse zu sich. Merh brauchte Julius im Moment nicht zu wissen.

"Wir wollen Hubert und der Gräfin ja nicht den Spaß verderben, euch was im Unterricht drüber zu erzählen", scherzte Waltraud. Dann durfte Julius zusehen, wie die Riesenschwäne aus dem Leiterwagen die Melonen pickten und mit ihren langen, feuerroten Schnäbeln zermalmten und die Früchte samt zerstückelter Schalen mit einer anmutigen Kopfbewegung nach hinten schluckten. Das Männchen gab einen fast in den Ohren schmerzenden, weit hallenden Laut wie von drei um einen Viertelton versetzt gestimmte Trompeten von sich, der das Revier markierte und gleichzeitig die Weibchen in seiner Nähe hielt. Julius mußte zugeben, daß die gewaltigen Wasservögel ähnlich beeindruckende Geschöpfe wie die Latierre-Kühe oder die Abraxas-Pferde waren, die er ja gut bis überragend gut kennengelernt hatte.

"Einzeltiere können nur für einen Tag gehalten werden, bevor sie nach Artgenossen suchen und sich durch nichts davon abbringen lassen, korrekt?" Hakte Julius nach.

"Wenn es ein Weibchen ist auf jeden Fall. Männchen können noch drei Tage als Einzeltiere gehalten werden. Dann suchen sie jedoch mindestens ein Weibchen und ... Ähm, das wäre wieder zu viel Vorgriff", erwiderte Waltraud und lächelte Julius an. sie waren beide in Waltrauds Austauschjahr gut miteinander ausgekommen, auch wenn Waltraud übermäßig lernbegierig war und sich geschlechtlich schon für weiter entwickelt hielt als ihre Altersgenossinnen.

"Nur soviel, kann Millie sich die dann im Unterricht auch angucken, oder kriegt die dann auch ein Mitmachverbot wie bei den Drachen?"

"Also, wenn sie nicht gerade meint, ein Weibchen streicheln zu müssen und damit den Beschützerinstinkt von Donar wachkitzelt kann sie wohl die Tiere aus der Nähe sehen, hat die Gräfin mit Professeur Fourmier abgeklärt. Aber nur, wenn es deiner Frau auch körperlich gut genug geht, weil wir sicher auch eine Runde in Formation reiten wollen. Ah, da ist Gräfin Greifennest."

"Ah, der junge Monsieur Latierre", grüßte die Schulleiterin von Greifennest den Saalsprecher der Grünen. "Fräulein Eschenwurz hat schon nach Beendigung ihres Austauschjahres erwähnt, daß sie keine Hemmungen haben, alles zu lernen, was man Ihnen beibringen möchte. Unsere Zugtiere sind natürlich hochinteressant für Sie, richtig?"

"Eindeutig, Gräfin", erwiderte Julius. "sind das die einzigen Zugtiere der deutschsprachigen Zaubererwelt?"

"Nun, wir haben auch geflügelte Schweine und eine Herde von Abraxas-Pferden. Aber die Asgardschwäne sind wegen ihrer unfehlbaren Orientierungsfähigkeit, Ausdauer und Belastbarkeit die bevorzugten Zugtiere. Fräulein Eschenwurz hat Ihnen sicher erzählt, daß auf ihrer Heimatinsel Feensand alljährliche Rennen stattfinden, die in den Disziplinen Kurzstreckenreiten, Kurzstreckenziehen, Langstreckenreiten und Langstreckenziehen verlaufen."

"Ich kenne die Ausdauer von Latierre-Kühen und Abraxas-Pferden. Was ist bei den Schwänen als Kurz- und was als Langstrecke gemeint?"

"Die Kurzstrecke liegt zwischen einem Kilometer und fünf Kilometern. Die Langstrecke bei fünfhundert bis zweitausend Kilometern. Mehr dazu dann in der mit Ihrer Fachlehrerin Professeur Fourmier vereinbarten Unterrichtsstunde."

"Auf jeden Fall sehr schöne, aber auch furchteinflößende Tiere", bekannte Julius. Die Gräfin bejahte das.

Nach einer Stunde bei den Riesenschwänen setzte Julius sein selbst verordnetes Speck-weg-Training fort. Dabei kam er auch auf die Wiese, wo das vierfarbige Rundzelt der Hogwarts-Abordnung auf seinen Landestelzen ruhte. William Deering und Kevin Malone meinten, mit Julius mithalten zu können. Doch dieser hängte sie nach nur fünfzig Metern Lauf ab. Als er die beiden nach einem anstrengenden aber auch wohltuenden Lauf über zwanzig Runden über die Wiese nach dem Auslaufen in Hörweite hatte sagte William auf Französisch: "Hui, der irische Kleeblattzähler hatte echt recht. Die müssen dir Riesenblut eingepumpt haben, daß du so locker rennen kannst."

"Halbriesenblut, Bill. Aber das ist ein Kapitel, das ich auch gerne aus meinem Leben gestrichen hätte. Glaub's mir, wenn du Riesen- oder Halbriesenblut in den Adern hast weißt du nie, ob du nicht im nächsten Moment mit der häßlichsten Hexe der Welt Liebe machen und sie danach sofort erwürgen willst und dann vor Scham oder schlechten Gewissen in einen stundenlangen Weinkrampf fällst."

"War bei meiner Mutter so, als ich unterwegs war", lachte William. Julius grinste und sagte, daß seine Frau jetzt nachempfinden könne, wie ihm damals, wo das Blut in ihm das Schlangenmenschengift abgebaut hatte, zu Mute war. Er verschwieg William, daß er über die Herzanhängerverbindung mit seiner Frau verbunden war und jeden Tag aufpassen mußte, daß ihre Gefühlslawinen seinen Verstand nicht begruben.

"Na, Jungs, habt ihr euch richtig müde gelaufen?" Klang Lea Drakes Stimme aus dem Zelteingang. Kevin sah Lea verdrossen an. Julius erwiederte locker und ohne zu keuchen, daß die beiden nur wissen wollten, wie schnell er laufen konnte.

"Schon praktisch, wenn einer vor so vielen Hexen weglaufen muß wie Billy D.", feixte Lea.

"mein Angebot, dir alle Löcher zuzustopfen gilt immer noch, Drake", knurrte William Deering.

"Kommt auf die Art an, wie du das machen möchtest, Süßer", schnurrte Lea. Dann sah sie Julius noch einmal genau an. Sie deutete auf seinen Bauch und fragte, ob er für seine Frau mitessen müsse.

"Nein, für unser Kind", konterte Julius. Daß Lea Millie heimlich darum beneidete, sein Kind zu tragen wußte er. Da war sie aber nicht alleine, wußte er auch. Deshalb nahm er ihr verknirschtes Gesicht als Antwort auf seine Erwiderung gerne zur Kenntnis.

"Jedenfalls wissen wir jetzt, daß Julius nicht nur gut zaubern kann", meinte Kevin. William konnte das nicht bestätigen, weil er Julius nicht mehr richtig im Unterricht mitbekommen hatte.

Julius unterhielt sich mit den nun aus dem Zelt heraustretenden Hogwarts-Schülern über die letzten Vorbereitungen auf den Weihnachtsball und bekam auf die Weise auch mit, daß sie mit Plato Cousteau zum Ball gehen würde, was Pina wunderte. Sie selbst wußte zwar nicht, warum Hubert Rauhfels sie eingeladen hatte. Aber sie hatte auch nicht nein gesagt. So würden Gloria und Pina am Tisch der Champions zusammen mit den fünf Richtern sitzen. Julius sagte, daß er das außer Millie keinem erzählen würde, bevor der Ball war. Kevin winkte seinem früheren Haus- und Klassenkameraden noch einmal, mit ihm einige Dutzend Meter von den anderen wegzugehen, als diese sich über die ausgewählten Begleiter unterhielten.

"Sag das den anderen nicht, wie es wirklich war. Aber ich wußte erst nicht, wen ich fragen sollte, weil Gloria sich unbedingt mit einem von euch zusammensetzen wollte und Pina von diesem deutschen Schwanenbändiger hat fragen lassen. Da ist mir dann Patrice Duisenberg aus eurer Silberarmbandtruppe über den Weg gelaufen, hat mich erst in eine Unterhaltung über Beaux und Hoggy verwickelt und dann gefragt, ob ich nicht Lust hätte, mit ihr zum Ball zu gehen. Um bei den Jungs nicht als Volltroll dazustehen habe ich zugesagt. Aber denen habe ich erzählt, ich hätte eine von euch gefragt, die ich von deinen Geburtstagsfeiern her kenne. Gloria und Pina wissen das schon. Die anderen müssen das erst mitkriegen, wenn wir bei euch anrücken." Julius gab Kevin das Versprechen, das nicht in der Schule rumgehen zu lassen. Er deutete jedoch die Möglichkeit an, daß Patrice es von sich aus rumgehen ließ.

"Stimmt, hast recht. Warum soll Beaux nicht auch so'n Dorf von Tratschern sein wie Hogwarts?" Grummelte Kevin. Doch einen Rückzieher würde er nicht machen. Das wäre noch peinlicher als die Sache, daß er sich von einem Mädchen hatte einladen lassen, statt auf eine zuzugehen und sie zu fragen. Julius begriff es nicht, warum daß so unheimlich wichtig sein sollte, wer wen ansprach und fragte. Er wußte zwar, daß manche Männer gerne damit angaben, immer und überall zu bestimmen, was sie mit wem taten. Er hatte sich nie zu dieser Gruppe gezählt. ritterlichkeit den Damen gegenüber ja, aber keine Machomanieren. Deshalb war das wohl auch möglich, daß Millie ihn über die Brücke der Mondburg hatte tragen können und nun etwas von ihm in sich weitertrug.

"Okay, vielleicht ist Patrice auch einfühlsam genug, daß sie das keiner ihrer Freundinnen aufs Butterbrot schmiert, bis ihr zusammen in die Aula geht. Ich denke, du hast einen guten Festumhang mit und hältst mindestens fünf Tänze durch."

"Da darfst du aber einen drauf lassen, Julius. Ich habe mich schon das ganze bis jetzt gelaufene Schuljahr drauf gefreut, da mitzutanzen, wenn ich auch sehr gerne am Championstisch gesessen hätte. Dann will ich auf jeden Fall mittanzen." Julius nickte dem irischen Schulkameraden aufmunternd zu.

"Och joh, Plato darf mit Gloria tanzen. Kein wunder, daß der so gestrahlt hat, als hätte man ihm die UTZs ohne Prüfung geschenkt. Könnte nur sein, daß Estelle da eifersüchtig wird, weil Plato ihr heimlicher Schwarm ist", sagte Millie. "Hubert und Pina wird bestimmt auch ein interessantes Paar. Daß Patrice sich deinen ehemaligen Schlafsaalkameraden als Tanzpartner an Land zieht habe ich irgendwie schon vermutet. Die steht offenbar voll auf ihn und poliert vielleicht schon den Besen, auf den sie ihn heben möchte."

"Hm, nur wegen der paar Gelegenheiten, wo die beiden sich getroffen haben?" Fragte Julius. Millie grinste überlegen.

"Die steht auf ihn, weil er sowohl frech sein kann, aber auch Angst um geliebte Leute gezeigt hat. Da sie die erste Blaue war, die das rausbekommen hat, hat sie einen Vorsprung vor den anderen Mädchen, die auch solche Typen haben wollen. Könnte Kevin glatt passieren, daß er im kommenden Mai erst hinter ihr und eine Woche später vor ihr auf dem Besen sitzt, ohne zu wissen, wie ihm geschieht."

"Ich denke doch, daß Kevin lieber ungebunden sein möchte. Und was die Besenwerbung ist weiß er zu gut, um sich drauf einzulassen, wenn er es nicht ganz bewußt will."

"Behalte mal gut, was du jetzt gesagt hast, Monju. Am Jahresende, wenn Aurore uns beiden in die Augen gucken kann, wissen wir wer recht hat." Julius hätte fast gefragt, ob sie mit ihm wetten würde. Doch Wetten auf das Verhalten von Schülern waren hier in Beauxbatons seit Bernadettes, Gastons und Cyrils unrühmlichem Abgang streng verboten.

 

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Als wenn jemand einen Zauber gesprochen hätte, der die Zeit wie ein Gummiband erst dehnte und dann wieder zusammenschnellen ließ gab es Tage, die nicht enden wollten und solche, die förmlich vorbeiflogen. Zumindest empfand Julius die letzten zwei Wochen vor Weihnachten so. Millies Gefühlschaos hatte sich etwas beruhigt. Dafür aß sie nun noch mehr, und er, der ihren Hunger nicht durch seine Selbstbeherrschungsformel unterdrücken wollte, weil er nicht wußte, wie viel sie für Aurore brauchte, aß aus Sympathie mit. Er glich das bisher mit guten Übungen aus. Doch ob das auf Dauer funktionierte, um keine überflüssigen Fettreserven anzufuttern wußte er nicht.

Bei der Unterrichtsstunde über die Asgardschwäne hielt Hubert Rauhfels ein umfassendes Referat über die ersten Züchtungen im dritten Jahrhundert nach Christus, erwähnte die Vierergemeinschaften aus einem Männchen und drei Weibchen, von denen es in Greifenberg, dem Zaubererdorf in der Nähe von Greifennest, drei Stück gab, beschrieb Wachstum und Fortpflanzungsverhalten und legte die Zahlen für die Belastbarkeit, tägliche Futtermenge und das Lebensalter vor. Die Schüler staunten, daß diese Tiere zweihundert Jahre alt werden konnten, dafür aber nur alle zehn Jahre je ein Ei pro Weibchen ausgebrütet wurde. "Sie sind gegen alle Bewegungszauber und fast alle Flüche gefeit, weil ihr Federkleid mit Magie aller vier alten Elemente angefüllt ist. Als Material für Zaubergegenstände sind die Daunen erwachsener Asgardschwäne für wasserdichte und warmhaltende Kleidung im gebrauch. Ansonsten wird nichts von ihnen verwendet." erwähnte Hubert noch. Als er mit seinem Vortrag durch war konnten sie alle die erörterten Tiere aus der empfohlenen Nähe betrachten. alle notierten sich eifrig, was sie über Asgardschwäne erfahren und an den Tieren selbst beobachtet hatten.

Sandrine und Gérard gaben einen Tag vor Ferienbeginn bekannt, daß sie Zwillinge erwarteten. Wie zu befürchten stand löste das bei den Jungen Reaktionen zwischen Bemitleidung Gérards bis offenen Spott aus. "Augen auf bei der Urlaubsplanung, sonst bringt man mehr zurück als man mitgenommen hat", war eine von Jacques Lumière herumgereichte Bemerkung dazu. Die Mädchen, die zumindest damit zu leben gelernt hatten, daß Sandrine und Millie vor ihnen Mutter werden würden, reagierten mit großem Mitleid für Sandrine bis offen zur Schau gestelltem Neid, weil Sandrine damit bereits die Wunschträume vieler Mädchen nach mindestens zwei Kindern noch vor Schulabschluß an sich selbst erfüllen konnte. Daß Millie "nur" ein Kind erwartete griffen Caroline und Leonie auf, um sie zu fragen, ob Julius nicht fleißig genug mit ihr nach dem Regenbogenvogel gerufen hatte. Millie hatte darauf nur geantwortet, daß der Vogel erst einmal sicherstellen wollte, daß sie beide ihn auch später noch rufen würden und ihnen deshalb erst nur ein Kind bewilligt habe.

Am Abreisetag verabschiedete die Mehrheit der Schüler die zu ihren Eltern heimreisenden am Ausgangskreis für die Sphäre. Julius konnte es einigen Mädchen aus der dritten Klasse ansehen, daß sie sauer waren, weil kein Junge aus den höheren Klassen sie eingeladen hatte. Als Louis Vignier mit als einziger Viertklässler in die Schar der Mitschüler aus seiner Heimatregion trat konnte Julius Endora Bellart sehen, die ihm sehr finster nachblickte. Louis sollte bloß nicht behaupten, er sei nicht gewarnt worden. In der Zaubererwelt galt der Spruch, daß eine wütende Hexe schlimmer als zehn Drachen sein konnte. Wie sehr das zutraf hatte Bernadette Lavalette höchst einprägsam bewiesen. Julius ertappte sich dabei, daß er sich fragte, wie es Bernadette und Cyril Southerland nun ging, wo sie von ihr zum Zusammenleben gezwungen worden war. Ihr gemeinsames Kind mußte wohl im Januar oder februar zur Welt kommen. Durch dieses war Cyril an Bernadette gekettet und durfte nichts tun, was dem Kind oder seiner Mutter Schmerzen zufügte, weil er diese dann selbst erleiden mußte. Louis wußte das wie alle anderen Jungen und Mädchen, die im Letzten Schuljahr schon in Beauxbatons waren. Doch er hatte sich dem Wunsch, womöglich auch der klaren Anweisung seiner Eltern gefügt. Hoffentlich würde er eine abwechslungsreiche Reise erleben!

Als nur noch diejenigen in Beauxbatons waren, die von der Klassenstufe oder einer Einladung her am Weihnachtsball teilnehmen durften in den Palast zurückkehrten kündigte Madame Faucon an, daß sie morgen beim Frühstück eine Mitteilung für alle zu machen habe. Natürlich waren die Schüler und Schülerinnen der trimagischen Teilnehmerschulen gespannt, was für eine Ankündigung dies sein mochte.

"Hast du Endoras Gesicht gesehen. Die überlegt sich jetzt schon was, was sie mit Louis anstellen kann", sagte Millie. Julius wandte ein:

"Na ja, ihr dürfte Bernies unrühmlicher Abgang noch zu gut im Gedächtnis sein. Und wenn nicht, wird ihre Mutter ihr schon früh genug sagen, daß sie keinem Jungen nachlaufen soll, der nichts mit ihr zu tun haben will. Denn sonst wäre er ja hiergeblieben. Abgesehen davon hatte der zwanzig weitere Anfragen von Hexen aus den Klassen eins bis fünf. Da müßte sich Endora Bellart in eine lange Schlange stellen und/oder hätte genug Gegnerinnen, wenn sie Louis was antäte. Die ist halt nur sauer, weil er sie so vor allen anderen Mädchen hat abblitzen lassen, wo er mit ihr bei Walpurgis dabei war."

"Hoffentlich stimmt das, Julius. Wäre sie eine Rote wie Bernie, könnte sich Louis schon mal warm anziehen, weil sie sicher was findet, um ihn fertigzumachen. Aber als Weiße und Tochter einer Lehrerin wird sie wohl doch noch mal nachdenken, ob der Typ es wert ist, dafür den Rauswurf zu riskieren. Das wäre nämlich noch peinlicher. Aber wir Mädels ticken nicht nach den Regeln der Vernunft, wie du wissen solltest. Und ihr Jungs tut das auch längst nicht immer, weißt du besser als ich. Wollen wir hoffen, daß Belisama das mit Endora klarkriegt."

 

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"Ich habe zwei Ankündigungen zu machen", begann Madame Faucon nach dem Frühstück. "Zum einen möchte ich den Schülerinnen und Schülern dieser Lehranstalt mitteilen, daß wir wegen des trimagischen Turniers von der üblichen Tradition, in die Weihnacht hineinzufeiern, dieses Jahr absehen, weil wir ja den großen Ball geben." Das verursachte bei einigen, die schon mal die Weihnachtsferien hier verbracht hatten, ein leises Getuschel. Mehr aber nicht. Als wieder Ruhe einkehrte fuhr Madame Faucon fort: "Des weiteren haben meine Kolleginnen Professor McGonagall und Gräfin Greifennest einem Vorschlag von mir zugestimmt, dessen durchführung von Madame Delamontagne aus Millemerveilles mittlerweile bestätigt wurde. Jeder von Ihnen, der oder die vor den Ferien einen Disziplinarquotienten von fünf erreichte ist hiermit herzlich eingeladen, mit den Bürgerinnen und Bürggern von Millemerveilles, dem südfranzösischen Zaubererdorf, das Jahreswendfest zu feiern. Für Unterbringung über die Neujahrsnacht wird gesorgt." Nun setzte lauteres Raunen ein, das in einzelnen Jubelrufen ausuferte. Madame Faucon mußte sich durch lautes "Bitte noch einmal zuhören, die Herrschaften!" die volle Aufmerksamkeit zurückholen. "Wie erwähnt gilt diese Einladung für alle Schülerinnen und Schüler, die in der letzten Woche vor den Ferien einen Disziplinarquotienten von fünf erreichten oder hielten. Da in den Ferien Strafpunkte nur für gravierende Verstöße ausgesprochen werden, aber wegen des ausbleibenden Unterrichtes keine Bonuspunkte vergeben werden, ist es natürlich so, daß der gerade von jedem erreichte DQ bis zum Ferienende verbleibt, sofern niemand jemand anderen tätlich angreift, die Lehrer oder in wichtigen Rangstellungen tätigen Mitschüler beleidigt oder das Eigentum anderer entwendet oder mutwillig beschädigt. Daher habe ich diese Einladung erst jetzt ausgesprochen. Wer den von mir in Absprache mit den Kolleginnen Gräfin Greifennest und Professor McGonagall festgelegten Quotienten nicht erreicht hat verbleibt hier. Ich werde zusammen mit den beiden anderen Schulleiterinnen und Professeur Fixus die Aufsicht über die hier verbleibenden Schülerinnen und Schüler führen, sofern es aus den Abordnungen von Hogwarts und Greifennest wen gibt, der die Grundanforderung nicht erfüllt." Kevin grinste schadenfroh zu Elrick Cobbley und William Deering hinüber. Doch diese glubschten abfällig zurück. "Ansonsten steht es jedem und jeder frei, auf diesen Ausflug zu verzichten. Ich weise nur darauf hin, daß auch wir in der Zaubererwelt den bevorstehenden Jahreswechsel besonders feiern, da wir alle, die wir gerade hier sitzen, ein Jahr mit drei Nullen nie wieder erleben werden und deshalb den Ausklang des zwanzigsten nachchristlichen Jahrhunderts besonders begehen werden. Das gilt natürlich auch für jene, die in Beauxbatons verbleiben wollen oder müssen. Das ist vorerst alles. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit!"

"Wie ging dieser DQ-Kram noch mal, Julius?" Fragte Kevin.

"Der ist das Rechenergebnis, wenn du die Zahl aller in einer Woche bekommenen Bonuspunkte durch die Zahl aller in einer Woche bekommenen Strafpunkte teilst, Kevin", erinnerte Julius den irischen Gastschüler an das, was dieser bei der Ankunft sicher mitbekommen hatte. "Mit einem DQ ab fünf aufwärts dürfen wir an den Strand gehen."

"Moment", sagte Kevin und strahlte dann. "Dann bin ich da sowas von weit drüber, daß ich da kein Problem habe. In der letzten Woche habe ich bei Fourmier zwar zwanzig Strafpunkte abgeräumt, weil die meinte, ich sollte nicht zu schnell was sagen, auch wenn es richtig sei. Aber dafür habe ich bei allen anderen zusammen zweihundert Bonuspunkte abbekommen, was ja dann wohl einen DQ von zehn gibt. Aber echt fies, daß fünf Strafpunkte mehr einem diese Zahl versauen können." Julius konnte dem nur zustimmen.

Es stellte sich heraus, daß außer Elrick Cobbley und William Deering, die sich abends ein unerlaubtes Duell vor dem Reisezelt geliefert hatten, alle Hogwarts- und Greifennest-Schüler einen DQ über fünf erreicht hatten. Selbst Jacques Lumière, der sonst keine Gelegenheit ausließ, Strafpunkte zu sammeln, war mit einem DQ von acht zum Jahreswendfest zugelassen. Allerdings, so Patrice Duisenberg, wußte er wohl nicht, ob er dahingehen sollte. Denn seine Eltern würden ihn sicher mit Beschlag belegen. Dann würden seine Schwester Barbara mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern herüberkommen. Da schien er hier in Beauxbatons weniger kontrolliert zu sein.

Julius fragte bei Madame Faucon an, wie das mit der Unterbringung geregelt sei, da ja einige Schüler von hier in Millemerveilles wohnten oder Verwandte dort hatten.

"Alle Familien haben angeboten, bis zu sechs Schüler unterhalb der siebten Klasse zu beherbergen. Alle volljährigen dürfen auf Kosten von Beauxbatons und der Gemeinde von Millemerveilles in der Herberge oder den darum aufgestellten Reisehäusern unterkommen. Die bei der Quidditchweltmeisterschaft erprobte Organisation bietet den nicht nur aus unserer Schule eintreffenden Gästen Lagerplätze zum Zelten an. Wer zusätzlich noch Freunde und Verwandte in Millemerveilles hat kann auch dort unterkommen. sie werden sicher mit Ihrer Gattin in Ihrem Haus wohnen, richtig?" Julius bestätigte das und erwähnte, daß sie auch Gästezimmer hätten. Madame Faucon schien damit gerechnet zu haben und sagte, daß er wie alle anderen bis zu sechs Gäste aufnehmen dürfe, aber für Minderjährige dann die entsprechende Aufsichtspflicht einginge.

"Sie können sich denken, daß ich da vor allem an Gloria Porter,die Hollingsworth-Schwestern, Pina Watermelon und Kevin Malone denke. Dann sind das ja schon fünf. Da ich nicht weiß, ob meine Mutter auch zum Jahresfest rüberkommt halte ich den sechsten Platz besser frei."

"Gut, da dies dann ausshließlich Hogwarts-Schüler betrifft bitte ich Sie darum, Ihren Vorschlag mit Professor McGonagall zu besprechen", sagte Madame Faucon. Julius willigte ein. Zusammen mit Millie suchte er die Schulleiterin von Hogwarts auf. Diese betrachtete Millie und fragte, ob sie beide sich da nicht mehr aufluden als so schon.

"Was Pina und Gloria angeht haben die schon bei uns mehr als eine Woche geschlafen, Professor McGonagall", sagte Millie. "Eine Nacht ist da ja kein Problem. bis zu sechs Gäste kriegen wir locker unter, solange ich unser gemeinsames Kind noch überall dahintrage, wo ich hingehe."

"Falls Sie das erlauben kann ich meinen früheren Schulkameraden das gerne anbieten", sagte Julius. Professor McGonagall schien überlegen zu müssen. Dann stimmte sie zu. "Alle sind volljährig. Dennoch möchte ich Sie bitten, Mr. Malone ein eigenes Zimmer zur Verfügung zu stellen, damit weder Sie noch die von mir vertretene Schule ins Gerede kommen." Julius hatte mit sowas gerechnet und stimmte dem vorbehaltlos zu. Millie mußte nachher nur grinsen, als sie wieder im Palast von Beauxbatons waren.

"Hat die echt gedacht, wir suchen Kevin eine Bettgenossin aus oder sowas?"

"Sagen wir so, als Oberaufsicht von Hogwarts muß sie das zumindest für möglich halten, auch wenn sie weiß, daß wir selbst keinen Vorteil davon hätten, sowas zu machen. Stell dir vor, Kevin nutzt die Gelegenheit aus und treibt es mit Pina, Betty, Jenna oder auch Gloria und die haben keinen blauen Sündentilger mit. Dann bekämen wir zwar keinen Ärger mit deren Eltern, aber mit mehreren Ministerien, weil wir Schülern gestattet haben, sich gegen die in Beauxbatons gültigen Regeln zu vergehen."

"Dann wollen wir zusehen, daß wir gut über die Weihnachtstage kommen. Nachher muß Onkel Otto oder Onkel Florymont die Treppe gegen einen Transportkorb tauschen, damit mir beim Auf- und Absteigen nicht zu schwindelig wird."

"O Mann, da habe ich nicht dran gedacht", grummelte Julius. Millie wies ihn darauf hin, daß sie ja längst hätte sagen können, daß ihr das zu riskant oder anstrengend werden könnte. "Ich will das jetzt wissen, ob ich mit schon fünf oder sechs herumlaufenden Kindern noch mit dickem Bauch Treppen steigen kann, Monju. Insofern schon eine gute Übung." Dem wollte Julius nicht widersprechen.

 

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Das Oktett der von Claire Dusoleil gemalten Weihnachtsengel spielte am Morgen des fünfundzwanzigsten Dezembers zum Wecken auf. Julius dachte erst, er bekäme keine Geschenke. Doch als Madame Rossignol bei den Dumas' und dann bei Millie und ihm an die Tür klopfte und mit munterer Stimme "Fröhliche Weihnachten!" wünschte, sah er die beiden großen Stapel, die vor dem Ehebett aufgetürmt waren. Er prüfte, ob an seiner Seite auch nur für ihn bestimmte Pakete lagen. Millie arbeitete sich derweil aus dem Bett heraus. Sie schaffte es, ohne Schwindelanfall hochzukommen. Nur ihre Beine schienen noch nicht ganz wach zu sein. >

"Lustig, die Säuglingssachen liegen bei mir auf dem Stapel", amüsierte sich Millie und zeigte Julius einen rosaroten Strampelanzug. Er hatte gerade ein Paket von den Brocklehursts ausgepackt. Darin lagen ein Buch und eine große Spieluhr, die wie ein verkleinertes Quodpot-Stadion aussah, über dessen Feld winzige Figuren auf Besen schwebten, die in den blauen Umhängen der Viento del Sol Windrider gehüllt waren. Das buch war in englischer Sprache und hieß "Vom ersten Stupser bis zum letzten Milchzahn- leicht eingängiger Leitfaden für junge Eltern von der Schwangerschaft bis zur Pubertät" und zeigte auf dem Deckel eine Hexe mit silbernem Haar und goldener Brille, die Julius als Eileithyia Greensporn erkannte. Millie grinste.

"Jetzt können wir uns darüber zanken, wer von den beiden bessere Tips auf Lager hat, die alte Hebamme da auf dem Buchdeckel oder Oma Line."

"Hat sich Britt sicher auch schon in die Bibliothek gestellt", vermutete Julius. "Und die Spieluhr hier steht sicher auch ohne Kind schon bei ihr im Wohnzimmer." Er stupste das gemalte Aufziehrad an dem ovalen Gerät mit seinem Zauberstab an. Kristallklar und fünfstimmig erklang das wie auf kleinen Glocken gespielte Stadionlied der Windriders. Laut kurzer Anleitung gab die Spieluhr bis zu zwanzig verschiedene Melodien von sich, alle Lieder, die den Ruhm und die Ehre der Windriders und ihres Dorfes Viento del Sol besangen. Die Texte dieser Lieder lagen ebenfalls bei. "Da sind ein paar amerikanische Wiegenlieder. Moment, da muß ich drauftippen", kommentierte Julius und berührte mit dem Zauberstab eine stilisierte weiße Wiege, aus der ein rundes, rotes Mondgesicht hervorlugte. Sofort spielte die magische Musikvorrichtung ein langsames, eingängiges Stück.

"Mach die besser wieder aus, sonst wird Sandrine noch eifersüchtig", zischte Millie ihrem Mann zu. Dieser tippte noch einmal das gemalte Aufziehrad an. Die Musik verhallte wie in einer Kathedrale. Jetzt sah er auch, daß die unter der dünnen aber sicher unzerbrechlichen Glaskuppel schwebenden Quodpotspieler alle auf dem Spielfeld lagen, die Besen neben sich. Er mußte grinsen.

Von den Dusoleils bekam er Camilles neustes Buch über die Pflege von Obstbäumen und Ziergehölzen und ein von Florymont gebautes Etwas, das im Ausgangszustand wie eine einfache Teleskopstange aussah, aber durch Berührung der entsprechenden Symbole mit dem Zauberstab zu einem Spaten, einer Harke, einer oszillierenden Säge und einer Wassersprühvorrichtung wurde, die unabhängig von Gartenschläuchen und Gießkannen Wasser dorthin brachte, wo es gerade gebraucht wurde. Millie hatte von Camille ein kleines aber wohl seltenes Kochbuch erhalten, in dem sie alle Rezepte zusammengetragen hatte, die ihre Großmutter, ihre Mutter und sie im Verlauf von Schwangerschaften ausprobiert hatten. Von Florymont hatte sie einen wie ein jadegrüner Schmuckgürtel aussehendes Etwas bekommen, das er als "Leviportgürtel" bezeichnete. Millie pfiff durch die Zähne, als sie den dabeiliegenden Zettel las. "Ey, damit kann ich entweder bei stufenlos verringertem Eigengewicht herumlaufen oder mich sogar mit einem Zehntel Gegenschwerkraft nach oben tragen lassen. Hat der geahnt, daß mir die Wendeltreppe im Apfelhaus zu schaffen machen könnte?" Sie legte den Gürtel zwischen Bauchnabel und Brustkorbunterkante um den Körper und wisperte "Ascendo!" Sofort stieg sie senkrecht und sanft nach oben. Kurz vor der Decke hielt sie automatisch an. "Geht also auch ungesagt, wenn es nicht mehr weitergeht", sagte Millie. Dann sank sie wie eine Feder zurück auf den Boden. "Ich glaube, Camille will mit ihm auch noch mal nach dem Regenbogenvogel rufen", vermutete Millie.

"Ich denke eher, daß Jeanne was haben wollte, was ihr das Treppensteigen erleichterte", vermutete Julius.

Aurora Dawn hatte ihnen beiden noch eine Flasche mit dem Antidot 999, sowie eine umfangreiche Apotheke mit Salben und Tränken für werdende Mütter und frühkindliche Erkrankungen zukommen lassen. Ansonsten bekam er noch einiges an Büchern, darunter das in Runen verfaßte Buch "Die Märchen von Beedle dem Barden", daß Catherine Brickston ihm verehrt hatte, damit er "seinem Kind" auch Märchen aus der Zaubererwelt vorlesen konnte und dabei in Übung blieb, was die Runenschrift anging. Millie bekam eine Komplettausstattung für einen Säugling von null bis einem Lebensjahr inklusive Schnullerkette und Wetterschutzjacke mit Kapuze.

Als sie alle ihre Geschenke begutachtet und verstaut hatten suchten sie nacheinander das Bad auf. Sandrine erwähnte, daß auch sie diesen Leviportgürtel von Florymont Dusoleil bekommen hatte.

Überall in Beauxbatons klang leise Weihnachtsmusik aus unsichtbarer Quelle, als sich die hiergebliebenen Schüler zum Speisesaal begaben. Nach dem Frühstück war Freizeit nach eigenem Ermessen. Für die UTZ-Ler hieß das, die für die Ferien aufgegebenen Hausaufgaben zu machen. Madame Rossignol versammelte um elf Uhr ihre Pflegehelfer im Krankenflügel, in dessen Schlafsaal ein majestätischer Weihnachtsbaum stand. Sie bedankte sich bei den acht Pflegehelfern für die bisher so reibungslose Zusammenarbeit und gewährte ihnen, über ihren Kaminanschluß mit ihren Eltern kontaktzufeuern, um ihnen fröhliche Weihnachten zu wünschen. Nadine Albert blickte etwas traurig drein, weil ihre Eltern nun mal keinen Flohnetzanschluß besaßen. Doch die Heilerin hatte das bedacht und überraschte sie mit einem Miniaturportrait von Serena Delourdes, der Gründungsmutter des gelben Saales und ersten Heilerin von Beauxbatons. Das Bild bewegte sich. Dann verschwamm es und wurde zu einer Art kleinem Fenster. Unvermittelt konnte Nadine das Gesicht ihrer Mutter darin erkennen. Dann hörte sie ihre Stimme wie aus dem Lautsprecher einer Stereoanlage:

"Hallo, Liebes, fröhliche Weihnachten." Nadine wußte nicht, ob das nur ein magischer Gag war oder eine echte Verbindung. Sie antwortete unsicher. Dann erfuhr sie, daß Madame Rossignol es bei Madame Eauvive durchgedrückt hatte, Nadine und ihren Eltern diese Kombination aus Zaubererbild und Zweiwegespiegel auszuborgen, um ihre Eltern zu sprechen. Als Nadine mit ihren Eltern mehr als zwanzig Minuten gesprochen hatte mußte sie weinen. Damit hatte sie jetzt überhaupt nicht gerechnet. Zwar hatte sie es darauf angelegt, den Weihnachtsball mitmachen zu dürfen. Doch als die Ferien begannen hatte sie doch ein gewisses Heimweh ergriffen, weil es nun einmal das zweite Weihnachten war, daß sie ohne ihre Eltern erlebte. Das erste war unfreiwillig gewesen, als alle Schüler in Beauxbatons eingeschlossen gewesen waren.

Außer der kleinen Zusammenkunft hatte die Heilerin für jede und jeden noch ein selbstgestricktes Kleidungsstück oder eine Decke parat. Da sie sehr gerne strickte, wenn sie nicht von einem Patienten benötigt wurde, hatte sie in der Zeit einiges an Wolle verarbeiten können. Millie und Sandrine bekamen sogar aus feiner Wolle gestrickte Babytragetücher, die mit einem Gewichtserleichterungszauber versehen waren, so daß sie die drei erwarteten Kinder über größere Strecken tragen konnten.

Beim Mittagessen bedankte sich Kevin bei Julius für das Buch über eurasische Zauberwesen, daß Professeur Delamontagne ihm vorgeschlagen hatte.

Der Nachmittag war dann wieder Freizeit bis um sieben Uhr. Da sollten sich alle Schülerinnen und Schüler in der großen Eingangshalle treffen, wo sich die für diesen Abend gebildeten Paare zusammenstellen konnten.

 

Leonie Poissonier hatte die Oberaufsicht über die Schülerinnen im roten Saal. So konnte Millie das Bad zum Zurechtmachen nutzen, in dem sie und Julius jeden morgen und Abend ihreVerrichtungen ausführten.

Millie hantierte mit einer klaren Flüssigkeit an ihrem jadegrünen Festkleid. Julius hatte überlegen müssen, ob er den grün-goldenen Festumhang nicht anziehen sollte, den sie ihm zum letzten Weihnachtsfest geschenkt hatte. Doch der erschien ihm für einen Schulball zu protzig. Deshalb schlüpfte er in seinen himmelblauen Festumhang mit sonnengelben Säumen. Der Umhang spannte jedoch am Bauch. Millie lachte und träufelte dann etwas von der Imprägnierlösung auf Julius Umhang. Sofort fühlte der sich besser an.

"Bei dem Material hält das Gebräu nur eine Woche, Julius. Aber du willst den ja nur heute abend tragen, richtig?"

"Und vielleicht zum Schulabschlußball", sagte Julius. Doch Millie bedachte ihn mit einem sehr kritischen Blick. "Immer noch Angst, zu zeigen, was bei dir möglich ist, wie? Ich verstehe, daß du den grün-goldenen Umhang nicht vor deinen ganzen Saalbewohnern zeigen möchtest, weil sie dich vielleicht als Goldschleuderer oder Angeber beschimpfen können. Aber ich bitte dich jetzt schon mal darum, daß wenn wir zwei nach Aurores Geburt den Schulabschluß feiern, du diesen grün-goldenen Umhang anziehst, um zu zeigen, daß wir zwei wirklich zusammengehören und du dich nicht dafür schämen mußt, von deinen und meinen Eltern her was hermachen zu können." Julius sagte zu, den wertvolleren Umhang beim Abschlußball zu tragen. Er wollte seine Frau nicht unnötig aufregen, zumal er fühlte, wie ihre Verärgerung auf ihn übersprang und sich das zu leicht aufschaukeln konnte.

Sandrine trug zur Feier des Tages ein roséfarbenes Kleid, daß ihre durch die Schwangerschaft geformten Rundungen klar hervorbrachte, statt sie weit wallend zu verhüllen. "Meine Mutter hat mir geschrieben, daß eine verheiratete Hexe, die von ihrem Mann ein Kind trägt, das ruhig in der Öffentlichkeit zeigen darf, solange sie sich nicht komplett ausziehen muß." Julius sah seine Frau an, deren jadegrünes Kleid ebenfalls die sichtbare Wölbung nachzeichnete. Julius merkte es den beiden Hexen an, daß sie sich darin sonnen wollten, als einzige werdende Mütter bei diesem Ball mitzutanzen. Als Millie den Sitz ihres Kleides noch einmal im Spiegel bewundert hatte zwengte sie ihre rotblonde Mähne auf Nackenhöhe in eine dünne, ebenfalls jadegrüne Spange.

Madame Rossignol trug an Stelle ihrer blütenweißen Schwesterntracht eine Kombination aus pflaumenblauem Rock und weißer Bluse und hatte sich eine silberne Spange in ihr dunkelbraunes Haar gesteckt. Sie sah Sandrine und Mildrid noch einmal an, prüfte, ob die Kleider nicht zu sehr auf die Bäuche drückten und sagte dann: "Ich hoffe sehr, ihr beide seid so vernünftig, keine schnellen Tänze zu tanzen oder beim Tanzen hohe oder ausladende Sprünge zu vollführen. Am besten tanzt ihr alle Sachen mit, wo Walzer oder Rumba zu getanzt werden können. Wie erwähnt setze ich auf eure Vernunft, Sandrine und Mildrid. Ich möchte keine strickten Heileranweisungen aussprechen müssen." Millie und Sandrine verzogen zwar ihre Gesichter, bestätigten dann aber diesen Vorschlag der Heilerin. Dann schickte sie die vier Bewohner des Ehepaartraktes in die eigentlich zugeteilten Wohnsäle, wobei Julius Gérard am Arm mit durch die Wandverbindung zog.

" du hast echt ein wenig mehr zugelegt", meinte Robert zu Julius, als er ihn in seinem Festumhang sah. "Kriegt eure Kleine denn was davon mit, was du ißt?"

"Wirst du mitkriegen, wenn es fix und fertig ausgewachsen aus Millies Bauch hüpft und dir ohne sich strecken zu müssen auf die Schultern klopft", konterte Julius Roberts leicht spöttische Bemerkung. Dazu fiel Robert gerade nichts ein.

Julius fühlte eine Woge aus Überlegenheit, Stolz und Freude in sich einströmen. Offenbar erntete Millie gerade alle ihr zustehende Bewunderung von den Mädchen im roten Saal. Er mußte aufpassen, nicht im Rausch ihrer Euphorie in die Luft zu springen und etwas zu singen. Doch der Schauer der Glückseligkeit verging rasch wieder, weil Millie offenbar wieder Grund zum Ärgern hatte.

Babette Brickston, die neben Jacqueline Richelieu einzige hiergebliebene Zweitklässlerin, winkte Julius vom Eingang zum Mädchenschlaftrakt her. Sie trug ein bis zu den Waden reichendes saphirblaues Kleid, das keine Spur heller oder dunkler war als der Farbton ihrer Augen. sie hatte sich bunte Armbänder umgelegt und eine Schnur mit bunten Steinen durch das schwarze Haar gewirkt. Jacqueline trug einen rosaroten Festumhang mit weißem Saum. Je acht silberne Armbänder zierten jeden Arm.

"Doch was in Rosarot gefunden, Jacqueline?" Fragte Julius das Mädchen im rosanen Kleid.

"Bißchen zu dunkel. Aber Schweinchenrosa hatten die bei Gladrags nicht im Angebot. Ist von Tante Lou, muß meine Mutter nicht wissen."

"Sag das Professeur Delamontagne und Madame Faucon!" Lachte Julius. Dann sah er Babette an. Das Kleid wallte nur um Hüfte und Beine. Das Oberteil lag fast hauteng an. Jetzt konnte er sehen, daß Babette kein kleines Mädchen mehr war. Babette merkte das und meinte: "An Millie oder die Montferre komme ich noch nicht ran. Aber schön, daß dir auffällt, daß ich keine sechs Jahre mehr bin", grinste sie.

"Ob du Millie nicht irgendwann doch einholst weißt du sicher erst in fünf Jahren", ging Julius auf Babettes kockette bemerkung ein.

"Hallo, Laurentine", grüßte Julius die amtierende Championette von Beauxbatons. Sie trug ein wallendes, zinoberrotes Kleid mit roséfarbenen Spitzen an Kragen, Ärmeln und Saum. Dazu hatte sie eine feine, ganz aus Silber geschmiedete Gliederkette und ebensolche Armbänder angelegt. Julius fragte sich jetzt doch, warum er nicht im mit Goldfäden durchwirktem Umhang auftreten wollte? Die Kette und die Armbänder hatte Laurentine von Céline und Belisama zum achtzehnten Geburtstag bekommen. Die wußten da ja schon, daß sie demnächst einen Ball besuchen würde.

"Jau, das ist die Kette?" Fragte Julius. Laurentine nickte.

"Wenn meine Eltern wüßten, daß ich jetzt sowas tragen kann, wo die mir das letzte Jahr nicht mehr bezahlen wollten..." Sie tippte Julius dezent an den Bauch und meinte: "Mußtest du lange essen, bis du in diesen Umhang reingepaßt hast?" Er lachte darüber. Laurentine, die vor drei Jahren noch rundlicher ausgesehen hatte als jetzt, nachdem ihr Wachstum sie schneller in die Höhe hatte schießen lassen, als sie dem Körper Nahrung zugeführt hatte, wußte ja, wovon sie sprach. Er erwiderte nur, daß er wohl aus Sympathie für seine runder werdende Frau mehr essen würde und zusah, das meiste davon abzutrainieren.

"Hallo, noch mal auf Kontrollgang?" Fragte Robert Deloire. Er trug einen mitternachtsblauen Festumhang mit Stehkragen.

"Wollte doch mit euch zusammen in die Halle, wo wir unsere Partnerinnen treffen", sagte Julius dazu.

"Hab ich nicht nötig", erwiderte Robert. Er legte seinen rechten Arm um Célines Taille. Diese legte ihren linken um seine. Beide strahlten ihre Zuschauer an.

"Hat deine Mutter dir das Kleid ausgesucht?" Fragte Julius Babette.

"Ja, hat sie. Eigentlich wollte Tante Madeleine mir ein Kleid schicken. Aber Maman wollte das nicht haben. Nachher hätte ich so ein tolles buntes Regenbogenkleid gehabt. Ob Henri auf sowas steht weiß ich ja nicht."

"Der würde vielleicht denken, du wolltest den Regenbogenvogel rufen", meinte Jacqueline dazu. Babette lachte lauthals.

"Wenn einer aus dem roten Saal noch mit vierzehn Jahren an den glaubt kann mir nichts passieren", sagte Babette. Julius nickte halbherzig und erwiderte, daß der Vogel auch zu denen hinfände, die nicht mehr an ihn glaubten, wenn sie nur wüßten, wie sie ihn rufen konnten. Davon sollte ein Roter durchaus was wissen.

"Ein Gelber auch?" Fragte Jacqueline. Julius wußte darauf keine Antwort. Wie Jacqueline es hinbekommen hatte, das Alfonse Pontblanc sie eingeladen hatte wußte Julius nicht. Feststand nur, daß Madame Faucon und die Hauslehrer Paximus und Delamontagne keine Einwände erhoben hatten.

"Dann ist ja gut, daß ich ein einfarbiges Kleid angezogen habe", erwiderte Babette darauf.

"André verpaßt echt was", meinte Robert, als er allein die jungen Hexen im grünen Saal anblickte. "Der hätte doch auch ohne Partnerin zum Ball gehen können."

"Du weißt aber, was er mir gesagt hat, Robert: Er wollte kein Pärchenfest mitfeiern", erwiderte Céline Dornier.

"Der hätte nur Armgard fragen müssen, ob sie mitgehen möchte", scherzte Jacqueline, die sich in der Gesellschaft der Größeren wohl sehr wohl fühlte. Doch es reagierte niemand darauf.

Als die Bewohner des grünen Saales in der großen Halle hinter dem Eingangsportal eintrafen tauchten sie in ein großes, wogendes Farbenmeer ein. Die meisten Jungen trugen einfarbige Umhänge in allen Rot-, Grün-, Blau- und Brauntönen. Einige hatten sich sogar in schwarze oder silbergraue Umhänge gehüllt. Die Mädchen trugen überwiegend Kleider in ein oder zwei Farben. Er konnte glitzernde Ziersteine und schimmernden Hals, Arm-, und Kopfschmuck sehen und hörte die gespannte Vorfreude aus dem Gewirr von über fünfhundert Stimmen. Er suchte die Gastschüler aus Hogwarts und Greifennest. Waltraud und Bärbel fielen unter den Mädchen durch ihre Körperlänge und die blonden Hare auf, die offenbar mit Glitzerzeug aufgepeppt waren. Er suchte und fand Gloria, die ein smaragdgrünes Festkleid und goldenen Hals- und Armschmuck trug und ihre hellblonden Locken durch Tricks aus der Verschönerungskiste ihrer Mutter größer aber auch elastischer frisiert hatte. Plato Cousteau begrüßte sie gerade. Er trug einen eichbraunen Samtumhang mit Stehkragen und einen gleichgefärbten Zaubererhut. Pina Watermelon hatte sich für diesen Abend ähnlich wie Babette ein langes Kleid in der wasserblauen Farbe ihrer Augen besorgt und einen Silbernen Schmuckgürtel um ihre schlanke Taille geschnallt. Ihr strohblondes Haar wehte bis auf eine kleine Silberspange auf Hinterkopfhöhe frei und ungebändigt. Pinas Begleiter Hubert Rauhfels trug einen Umhang aus grünem Loden, als wäre er Forstbeamter des deutschen Zaubereiministeriums.

Lea Drake kockettierte offenbar mit dem schlechten Ruf der Slytherins. Denn sie erschien in einem weiten Umhang aus nachtschwarzer Seide und trug darunter ein blutrotes, Figurbetontes Kurzkleid. Ihr Haar hatte sie so frisiert, daß es wie ein Kranz aus herabhängenden braunen Schlangen mit giftgrünen Querstreifen wirkte. Tatsächlich hatte sie die unteren Enden der Zöpfe zu ovalen, flachen Knoten gedreht, die wie die Köpfe von Schlangen wirkten. von einem zu ihr gehörenden Tanzpartner sah er im Moment nichts.

Kevin trug Grün, und zwar das von der Farbe des irischen Klees. Tatsächlich zierten kleine, grüne Kleeblätter die Schließen seines Festumhanges, und auf dem Kopf ritt ein grüner Zaubererhut mit einem vierblättrigen Kleeblatt auf der Spitze. irgendwie dazu passend schritt eine junge Hexe im grasgrünen Kleid mit gelben Dotterblumen auf ihn zu und umarmte ihn nach hiesiger Landessitte. Das war Patrice Duisenberg. In ihren Haaren steckten künstliche Blumen in allen Farben, so das sie wie eine Blumenwiese auf Beinen wirkte.

Endlich sah Julius eine hochgewachsene Gestalt in Jadegrün, die bis auf Bärbel Weizengold alle hier versammelten Hexen überragte. Stolz trug sie einen schon sichtbar gerundeten Bauch vor sich her, der in den nächsten Monaten noch einiges an Umfang zulegen würde. Der Blick der rehbraunen Augen fing seinen ein. Sie lächelte. Er fühlte die unbändige Freude, die sie gerade durchströmte, über das kleine, rubinrote Schmuckstück, das mit leicht erhöhtem Tempo unter dem Unterhemd auf seiner Brust pulsierte. Er löste sich aus dem Tross der anderen Jungzauberer und ging auf sie zu.

"War noch viel los?" Fragte Julius, nachdem er seine Frau durch eine kurze aber innige Umarmung begrüßt hatte.

"Hätte fast noch Krach zwischen Caro und Pattie gegeben, weil Pattie nicht so bescheiden ist wie du, Mon Cher. Guck mal hin, wie sie angezogen ist!" Julius blickte sich um und erkannte seine drei Schulklassen unter ihm lernende Schwiegertante, die einen himmelblauen Umhang mit goldenen Sonnensymbolen trug. Die Verzierungen glitzerten wie echtes Gold. Hatte Ursuline ihrer viertjüngsten Tochter echt sowas zugestanden? marc Armand hatte sich dagegen einen marineblauen Festumhang mit Stehkragen zugelegt. Er konnte auch ohne Gold wie die Sonne strahlen, weil er mit seiner festen Freundin zusammen sein durfte. Caroline Renard trug dagegen nur einen blattgrünen Festumhang und hatte sich gerade mal mit einem silbernen Haarband geschmückt. Ihr Abendbegleiter war Xavier Holzmann aus dem violetten Saal, der im taubenblauen Umhang zum Ball ging.

"Achso, und weil Caro nicht die Eltern hat, die ihr die Galleonen für ein Tanzkleid geben wollten ist sie jetzt sauer auf Pattie?" Fragte Julius. Insofern fühlte er sich jetzt doch bestätigt, den nobleren Umhang im Koffer gelassen zu haben.

"Sie sagte sowas von wegen, daß Oma Line und Opa Ferdinand sich wie die Kaninchen vermehrten und dabei offenbar noch gold aus ihrem Hintern rauswerfen könnten. Pattie hat das kalt gelassen. Aber mir kam das fast hoch. Ich mußte deine Formel denken, um ruhig zu bleiben. Caro kann froh sein, daß Callie und Pennie mit ihren Erwerbungen zu sehr beschäftigt waren, als ihr zuzuhören.

"Na ja, ich hatte auch nicht den Eindruck, daß es deiner Familie wichtig ist, mit Reichtum anzugeben, wo Oma Line ja viel mehr wert auf Kindersegen legt."

"Ich denke eher, daß mit Patties Umhang ist um der zu zeigen, daß überteuertes Zeug nur Ärger bringt. Uroma Barbara hat das mit Großtante Cynthia mal gemacht, die unbedingt meinte, den teuersten Schmuck und das nobelste Kleid beim Abschlußball tragen zu müssen. Das hat wohl dazu geführt, daß Tante Cynthia von den Mädchen feindselig und von den Jungen verängstigt angeglubscht wurde", sagte Millie und deutete auf Calypso und Penthisilea, die mit zwei Sechstklässlern aus ihrem Saal zusammengingen. Callie trug einen mintgrünen, Pennie einen türkisfarbenen Festumhang. Die Kleidung war nicht schlicht, aber auch nicht so fein verarbeitet wie Millies Jadekleid.

Die Mademoiselle Drake winkt. Moment, gilt nicht uns, sondern Monsieur Berlios", sagte Millie und blickte schnell zu Reinier Berlios, einem fünftklässler im rubinroten Festumhang, dessen nachtschwarzes Haar kurz und glatt an seinem Kugelkopf anlag.

Jetzt erst fand Julius die Gelegenheit zu sehen, wen Laurentine als Begleiter an den Champions-Tisch hatte. Er staunte fast Bauklötze, als er Keneth Halligan aus der Hogwarts-Abordnung erkannte, dbei dem sich Laurentine unterhakte. Wie Kevin trug er das Kleeblattgrün und vierblättrige Kleeblätter am Hut, nur das sein Haar eine spur röter war als das Kevins.

"Doch jetzt ein wenig traurig, daß wir nicht auch am Championstisch sitzen dürfen?" Fragte Julius.

"Wenn die hier sowas haben, Julius. Wenn das hier so abläuft wie bei den anderen Bällen hier, essen wir ja erst mal was", erwiderte Millie. "Aber wenn du nicht traurig bist, daß du nicht mit meiner Mutter am selben Tisch sitzen mußt, warum soll ich es dann sein?" Darauf konnte Julius ihr keine gescheite Antwort geben.

Madame Faucon erschien in einem langen, graublauen Kleid mit einem silbergrauen Schmuckgürtel. Ihr sonst so streng hinter dem Nacken geknotetes Haar hing bis auf ihren Rücken herab. Auf Nackenhöhe hielt nur ein dezentes silbernes Band die schwarze Pracht im Zaum. Neben ihr trat die Gräfin im purpurfarbenen Kleid mit weißem Fellbesatz und Professor McGonagall in einem Kleid in den Mustern ihres schottischen Clans vor die Schüler. Die Leiterin der Gastgeberschule blickte sich um. Dann gebot sie Ruhe. Es war wie eine Welle aus gespantem Schweigen, die sich von der Schulleiterin fort kreisförmig ausbreitete, bis die Stille jeden erfaßt hatte. "Ich bitte nun die drei Champions und ihre Begleiter zu mir!" Rief sie. Sofort wurden Gassen gebildet. Hubert führte Pina an der rechten seite, Gloria führte Plato an der rechten Seite und Laurentine ging vor Keneth her zu der Beauxbatons-Schulleiterin. Diese winkte ihren beiden Koleginnen McGonagall und Greifennest zu. Dann erschienen auch noch Hippolyte Latierre in einem smaragdgrünen Festkleid und Monsieur Gustave Chaudchamp in seinem blauen Nadelstreifenumhang. Madame Faucon übernahm die Führung. Ihr folgten die beiden Leiterinnen der Gastschulen, danach die Ministeriumsmitarbeiter und diesen die drei Champions mit ihren Begleitern. Erst dann setzte sich die gesamte Zahl der Schüler in Bewegung. Es ging nicht in Richtung Speisesaal, sondern gleich zur Aula, erkannte Julius, der darauf achtete, nicht zu schnell zu gehen.

"Öfter mal was neues", sagte Millie.

Leise tuschelnd schob sich die Masse der Schülerinnen und Schüler durch die breiten Gänge und über die Treppen hinweg. Als sie dann auf die weit offene Tür zur Aula zuhielten, kam der Marsch ins Stocken. Erst als Hippolyte Latierre ihren breitgebauten Kollegen vor sich in den Festsaal bugsiert und aus ihrer für die meisten hohen warte zuwinkte, weiterzugehen, gelang es, in Viererreihen einzutreten.

Julius hatte echt damit gerechnet, daß sie erst im Speisesaal sitzen würden. Doch als er die vielen kleinen Tische an den Wänden der gerade nicht mit Bildillusionen angefüllten Aula sah, erkannte er, daß Essen, das aus der Küche oder einem anderen Ort auf den Tischen materialisiert wurde, durchaus auch in einem anderen Saal hingezaubert werden konnte.

Nicht nur die Gastschüler staunten über die Dekoration. Hoch über ihnen schwebten kopfgroße Kristallkugeln, aus denen ein warmes, goldgelbes Licht erstrahlte. An den Wänden glitzerten gewaltige Gebilde aus Eis, vielleicht sogar Diamant, die wie gläserne Bäume, gewaltige Pilze oder gewaltige Schneeflocken aussahen. Julius dachte einen winzigen Moment an das gefährliche Kristallwesen, das in der Star-Trek-Serie um das neue Raumschiff Enterprise erwähnt worden war. In der Mitte der Aula stand ein bronzener Springbrunnen, auf dessen Rand die sechs Gründer von Beauxbatons als lebensgroße Statuen aufgereiht waren. Als die ersten Gäste in die Aula eintraten, stieg eine beindicke Fontäne aus der Brunnenmitte und rauschte bis knapp untr die Decke. Das Wasser schimmerte in bunten Farben, wie von innen erleuchtet. Wo es wieder in den Brunnen zurückfiel wirkte es wie ein Regen aus vielen bunten Sternen.

Erst als alle Schülerinnen und Schüler, von Madame Rossignol und Schuldiener Bertillon von hinten beaufsichtigt, in der großen Aula waren, schloß sich die Tür. Über ihnen verschwand die Decke, und ein strahlendheller Komet unter einem wolkenlosen Sternenhimmel erschien. Auf den vielen kleinen Tischen, die zwischen den mächtigen Dauereisskulpturen angeordnet standen, flammten vierarmige Kerzenleuchter auf. An jedem Tisch konnten sich bis zu acht Personen setzen. Die Stühle erkannte Julius als jene bequemen Stühle, die Besucher der Schulkonzerte zum Elternsprechtag benutzen durften. Die Tische standen in leicht einander versetzten zweierreihen um eine die Hälfte der Aula ausfüllenden rechteckigen Fläche, die mit dunklem Parkett bedeckt war. Julius suchte den Championstisch. Erst als Madame Faucon fast am hinteren Ende des Raumes ankam konnte er die hohe Bühne sehen. Auf ihr stand, noch einmal auf einem Podest, ein ovaler Tisch mit blütenweißer Decke, auf dem mehrere Kerzenleuchter standen, deren Flammen in hellem Licht brannten. Goldene Teller standen bereit. Silbernes Besteck spiegelte das Licht der Kristallsphären und Kerzenflammen. Madame Faucon winkte den Champions, mit ihr auf die Bühne zu steigen und das Podest zu besteigen. Auch die trimagischen Richter kletterten auf die Bühne. Hier konnte Julius nicht ohne innere Schadenfreude sehen, daß Hippolyte Latierre von allen die gelenkigste war. Offenbar machte sie immer noch jeden Morgenihre Gymnastikübungen. Chaudchamp brauchte fast drei Anläufe, um das Podest zu erklimmen und seinen Platz bei Madame Faucon einzunehmen. Julius fing Glorias und Pinas Blicke auf. Die beiden Junghexen strahlten mit den Leuchtkristallen hier um die Wette. Sicher hatten die beiden davon geträumt, am Championstisch zu sitzen, nur daß es eben Gloria war, die für Hogwarts am Turnier teilnahm.

"dürfen wir bei euch sitzen?" Fragte Julius Sandrine und Gérard. Sandrine blickte ihn verdutzt an. Doch dann verstand sie, daß er ja höflich fragen mußte. Sie sah Gérard an. Dieser nickte. So kam Julius Sandrine gegenüber zum sittzen, während Millie Gérard gegenübersaß. Julius sah sich um, wer noch an diesem Tisch sitzen mochte. Babette und ihr Tanzpartner Henri Saunier gingen zusammen mit Patricia Latierre, ihrem Freund Marc zusammen mit Callie, Pennie und Jacqueline an einen Tisch. Kevin Malone sah zu Julius hinüber. dieser fragte seine Tischgenossen, ob die beiden auch bei ihnen sitzen durften. Sandrine sagte dazu:

"Nur wenn er langsam kapiert, daß er sich nicht andauernd abfällig über uns auslassen soll, Julius." Gérard hatte nichts dagegen, daß Kevin und Patrice dazukamen. Céline und Robert wollten offenbar nicht bei den werdenden Müttern sitzen. Sie gingen an einen Tisch mit Belisama und ihrem Tanzpartner für den Abend.

Die Tische wurden besetzt, die Festgäste kamen miteinander ins Gespräch. Es ging um die Dekoration und den Unterschied zu der Zeit vor fünf Jahren. Als alle saßen erschienen speisekarten auf den Tischen. Julius wartete ab, bis Madame Faucon am Championstisch ihre Auswahl getroffen hatte. Als sie sich über ihren Teller beugte und was murmelte, wußte Julius, daß was damals in Hogwarts ging hier auch möglich war. Er bestellte sich aus der Speisekarte Indisches Lammcurry und dazu ein Glas Wasser. Millie ließ sich einen großen Fleisch-Gemüse-Auflauf auf den Teller teleportieren. Das nahm Sandrine auch, als sie sah, daß es wohl reichlich war. Kevin ließ sich ein Pfeffersteak auf den Teller legen und bestellte dazu ein großes Guinness.

"Ich wünsche Ihnen allen einen guten Appetit!" Rief Madame Faucon über das erste Besteckgeklapper hinweg. Alle anderen Beauxbatons bedankten sich und erwiederten den Wunsch. Millie langte schon zu. Sandrine hielt sich deshalb auch nicht zurück.

"Wie groß wird so ein Kind, bevor es zur Welt kommt?" Fragte Kevin. Julius sagte es ihm. "Und dann brauchen die beiden so viel zu essen?"

"Mnamtürmnich", mapfte Millie und sah zu, daß ihr Auflauf nicht kalt werden konnte.

"Ich sage dazu besser nichts mehr. Ich möchte heute keinenÄrger haben", zischte Kevin Julius ins Ohr.

Gefräßiges Schweigen breitete sich innerhalb einer Minute über die Tische aus. Nur das Besteckklappern verriet, daß hier hungrige Schüler und Lehrer daran gingen, von Hauselfen irgendwo im Palast bereitgehaltenes Essen zu vertilgen.

Eine Stunde lang aßen und tranken die Festbesucher. Dann erschienen um den Tisch der Champions herum Notenpulte, ein Klavier, ein Schlagzeug und ein Kontrabaß. Durch eine hintere Tür betraten vier Hexen und drei Zauberer in schwarz-weißen Anzügen oder Kostümen die Bühne und verneigten sich. Madame Faucon stellte die Musiker als "Les Heptaphones" vor. Die Schüler klatschten. Kevin fragte Julius, ob er diese Gruppe schon mal gehört hatte.

"Die sind häufig im Radio, spielen eine Mischung aus dem, was Muggel Jazz nennen und französische Chansons in etwas peppigererr Aufmachung. Der Akkordeonspieler muß zwanzig Finger haben, so schnell wie der spielen kann. Da hob auch schon ein vom Schlagzeug, Klavier und Kontrabaß eingespieltes Stück an, zu dem eine Hexe mit Geige ihr Instrument bearbeitete. Madame Faucon erhob sich zusammen mit Monsieur Chaudchamp, während Gloria und Laurentine ihre Tanzpartner unterhakten. Pina mußte Hubert offenbar auffordern, mit ihm zu tanzen. Doch dann waren alle drei Champions auf der Tanzfläche. Hippolyte Latierre peilte den Besensportlehrer Ariel Beaufort an, der ohne seine Frau zum Tanzabend gekommen war. Millie stupste Julius sacht an. Doch er stand bereits. Kevin schwebteförmlich mit Patrice auf die Tanzfläche.

"Ui, Aurore beschwert sich, daß sie wohl keinen Platz mehr hat", grummelte Millie und stieß mit geschlossenem Mund auf. "Fürchte, ich muß nach dem Tanz schon mal raus." Julius nickte ihr zu und führte sie behutsam auf das Parkett. Er wußte, daß Madame Rossignol irgendwo auf dem Posten war. Aber auch so wollte er seine gerade mit Essen randvolle Frau nicht beim ersten Tanz überanstrengen. Behutsam führte er sie. Jetzt kamen ihm die ganzen Tänze mit hoffnungsvollen Hexenmüttern zu Gute. Jetzt führte er die Hexe zum Tanz, die sein erstes Kind trug. Ein von ihm früher nicht für möglich gehaltenes Gefühl von großer Genugtuung und Freude erfüllte ihn. Es kam von ihm, nicht von seiner Frau. Doch diese bemerkte es wohl und lächelte ihrem Mann und Tanzpartner zu.

Jetzt setzte auch der Rest der sieben Musiker mit ihrem Spiel ein. Doch die Geschwindigkeit des Tanzes blieb gemächlich.

"Das ist genau das, wovon ich Jahrelang geträumt habe, Julius. Der Mann, den ich liebe, und dessen Kind in mir wächst, führt mich zum ersten Tanz eines wichtigen Festes. Hätte nicht gedacht, daß mir das doch schon in Beauxbatons möglich ist, nachdem wie Tine mich und die anderen Mädchen immer kurzhalten wollte."

"Sagen wir es so, Millie, ich bin mir sicher, daß sie nur Angst hatte, selbst zu viel zu riskieren."

"Da hinten laufen Leute aus dem Ministerium rum. Mit deinem Talent, was nicht zu sagen, ohne lügen zu müssen kannst du gleich bei denen einsteigen", scherzte Millie und mußte noch einmal aufstoßen.

"Aurore scheint im Moment satt zu sein", meinte Julius dazu.

"Das kam jetzt von mir. Das eben war von ihr", übernahm Millie den Scherz. Ihre Glückseligkeit war im Moment zu groß, als sich über mögliche Unverschämtheiten zu ärgern.

Nicht wenige junge Hexen beobachteten, wie Mildrid sich auf der Tanzfläche bewegte. Dabei kam es dann vor, daß sie ihren jeweiligen Tanzpartnern auf die Zehen traten. Millie und Julius kümmerte es nicht. Julius empfand eine unglaubliche Verbundenheit mit seiner Frau, als kreisten sie beide um einen gemeinsamen Mittelpunkt, ohne sich gegenseitig aus der Bahn zu werfen. Dann war der Tanz vorbei. Der Zauberer mit dem Akkordeon drückte die gerippten Backen seines Instrumentes fest zusammen. Der Schlagzeuger zählte mit leichten Schlägen auf den Rand der Kettentrommel vor. Es sah nach einem schnellen Stück aus. Dann stimmten die anderen sechs Musiker in das Stück ein, auf das sicher ein Foxtrott getanzt werden sollte. Julius fühlte die Enttäuschung seiner Frau, diesen Tanz nicht mittanzen zu dürfen. Doch sie beide wollten hier und jetzt nicht ausreizen, wie weit sie Millies Körper und die Gutmütigkeit Madame Rossignols ausreizen durften. So zogen sie sich schnell von der Tanzfläche zurück und sahen, wie Kevin unvermittelt von Patrice geführt und in einen schnellen, schwungvollen Kreiseltanz geworfen wurde. Gloria ließ sich weiterhin führen. Doch Plato hatte offenbar keinen rechten Sinn für schnelle Tänze. Seine und Glorias Füße drohten dauernd, sich ineinander zu verhaken. Lea und Reinier wurden zu einem rot-schwarzen Kreisel. Leas zu Schlangen gedrehte Zöpfe flogen als braun-grüne Schemen um ihren und seinen Kopf herum, wobei Julius nicht mehr überblicken konnte, wer da wen führte. Ein wenig traurig war er, daß er diesen schnellen Tanz nicht mittanzen konnte. Doch jetzt noch über das Parkett zu laufen und zuzusehen, ob er eine abklatschen konnte war nicht sein Stil.

Jacques flüchtete von der Tanzfläche, weil seine Partnerin Mésange Bernaud offenbar meinte, ihn in einer Abwandlung des Rock 'n Rolls über ihre Schulter kugeln zu wollen. Sie blickte ihm nach, als er zu den unverpaarten Kameraden aus seinem Saal hinüberflitzte, dabei fast in das Gespann Hippolyte Latierre und Ariel Beaufort hineinstürzend.

"Kuck dir das an, Julius. Da wird der Sucher zum Schnatz", bemerkte Millie über die Darbietung ihrer Mutter. Diese, mindestens zwei Köpfe größer als der Besenfluglehrer, wirbelte Beaufort so ungestüm herum, daß jemand anderem Hören und Sehen vergehen mochte. Doch der altehrwürdige Quidditchprofi ließ sich das nicht nur gefallen, weil seine Partnerin stärker war, sondern weil er das genau so wollte. Da sah Julius Bärbel Weizengold, deren Tanzpartner sie wegen einer Sechstklässlerin aus Beauxbatons auf der Tanzfläche hatte stehen lassen. Sie wirkte verdrossen, aber auch kämpferisch. Sie sah Julius, der noch neben seiner Frau am Tanzbodenrand stand. Sie sah ihm in die Augen. Der Blick war eine Frage. Julius wandte sich Millie zu: "Weißt du, wie lange das Stück noch ist?"

"Das kennst du nicht, das ist das Wirbelschnatzerlied. Geht mindestens noch drei Minuten. Wenn die mit dir will und du den Tanz mal ausprobieren willst. Du mußt nicht den Ganzen Abend nur mit mir tanzen." Sie schubste ihn fast auf die Tanzfläche. Da kam Bärbel an. Julius nickte ihr zu und enterte mit einem federnden Sprung die Tanzfläche. Dabei wischte eines von Leas Schlangenhaaren an seiner linken Wange vorbei. Doch das machte ihm nichts. Aus der schnellen Bewegung heraus umfaßte er die wie millie körpergrößenmäßig an ihn heranreichende Greifennest-Schülerin und fand sich keine Viertelsekunde darauf mit ihr in jener wilden Drehbewegung, aus der heraus alle hier ihre Tanzschritte ausführten. Julius fühlte, wie Bärbels offen getragenes Haar ihn wie ein Vorhang aus goldenen Seidenfäden umwehte. Er nahm mit ihr Blickkontakt auf. Sie lächelte ihn an und zog ihn enger an sich. Er nahm es hin und meinte einen winzigen Moment, daß sie beide gerade zu einem Körper mit vier flink herumwirbelnden Beinen geworden seien.

"Wußte doch, daß du den kannst", freute sich Bärbel und ließ sich von Julius herumwerfen, wobei er die Umklammerung nicht löste. Einmal sah er Millie, die gerade durch eine kleine Seitentür hinausstakste, wo die zur Aula gehörenden Toilettenräume lagen. Sandrine folgte ihr.

"Sehe ich häßlich aus, weil du nicht zu mir guckst, Julius?" Fragte Bärbel verschmitzt grinsend. Julius verneinte das. Er sah sie nun an und fühlte, daß sie und er gerade für diesen Tanz die bestmögliche Abstimmung hatten. Sie sprangen, drehten sich und tanzten mit kurzen, zielgenauen Schritten Figuren aus. Er fühlte sich überhaupt nicht angestrengt. Er bekam jedoch mit, daß ihn alle beobachteten, die am Rand der Tanzfläche standen oder sich wieder an die Tische gesetzt hatten. In einem Sekundenbruchteil konnte er das Gesicht seiner Schwiegermutter sehen. Ihr und sein Blick trafen sich. Sie verzog den Mund zu einem Lächeln. Dann vollführte sie eine aus der Drehung Auftrieb erzeugende Hebefigur mit Beaufort. Julius sah seine Tanzpartnerin wieder an. Sie strahlte. Er fühlte ihren schnell pulsierenden Oberkörper. Sein etwas umfangreicher gewordener Bauch schmiegte sich an den Bärbels. Einen Moment lang dachte er, daß sie es genau darauf angelegt habe, zu sehen, wie nahe sie ihm kommen konnte. Dann sah er Waltraud, die mit ihrem Tanzpartner Alfred Besenbinder genauso eng tanzte wie er mit Bärbel. Dann gewahrte er die Gräfin Greifennest, die zu seinem Erstaunen auch keine Hemmungen hatte, den Astronomielehrer Paralax eng an sich gezogen zu halten. Bärbel merkte wohl, wo er gerade hinsah. "Das ist die einzig brauchbare Art, zu dem Lied zu tanzen, Julius", sprach ihm Bärbel ins Ohr.

Die Musiker konnten noch einen Gang höher schalten. Der Schlagzeuger ließ seine Stöcke wirbeln. Der Akkordeonzauberer zog sein Instrument auseinander und schob es schnell zusammen, wobei seine Finger wie rosige Schemen über die Tasten wirbelten. Die Hexe an der Geige hatte den Bogen auf ihrem Pult liegen und zupfte die Saiten ihres Instrumentes wie ein Gitarrist. Die Hexe mit der Klarinette ließ einen Schwarm von Tönen aus ihrem Blasinstrument hinausfliegen, ebenso wie der Zauberer mit dem Tenorsaxophon.

Bärbel versuchte auf einen Akzent des Schlagzeugers, Julius aus der Drehbewegung anzuheben. Doch offenbar war der ihr zu lang oder zu schwer dafür. Sie verzog kurz das Gesicht. Dann schaffte Julius es, sie aus einer Linksdrehung heraus zwanzig Zentimeter hochzustemmen. Fast auf den Taktschlag genau ließ er sie wieder auf die Füße kommen.

"Hast du den Tanz als ZAG-Prüfung gehabt?" Fragte Julius seine feurige Tanzpartnerin.

"Wenn ich ja sagen würde, welche Note gäbst du mir dafür?" Fragte sie zurück.

"Ohne Gleichen mit Unterstreichung", lobte Julius die Ausdauer und Abstimmung Bärbels.

"Wird meine Mutter freuen. Die ist leidenschaftliche Turniertänzerin", erwiderte Bärbel. Dann nahmen die Musiker das Tempo langsam zurück. Die Violinistin schnappte ihren Geigenbogen und begleitete die letzten Takte des Stückes mit langgezogenen Tönen. Am Ende stand ein kräftiger Schlußakord. Der Schlagzeuger ließ den linken Stock dabei einmal auf das geöffnete Doppelbecken knallen. Dann war das Stück um. Julius fühlte jetzt erst, wie der wilde Wirbel seinen Gleichgewichtssinn beansprucht hatte. Er mußte zwei Sekunden still stehen, bevor er sich zu bewegen wagte. Bärbel und er lösten die Umarmung. Sie klopfte ihm auf die Shulter. Er bedankte sich herzlich bei ihr.

"Mein Begleiter hat schon am Einstieg erkannt, wie die Musik spielte. Dabei dachte ich, der wolle mit mir alles tanzen. Da ist er am Tanzmuffeltisch. Deine Frau ist noch nicht vom Klo zurück. Wenn noch mal was schnelles kommt, gönnst du mir den auch?"

"Könnenwir machen, bin gerade auf Betriebstemperatur", willigte Julius ein. Tatsächlich kam aber jetzt ein Stück, das eindeutig ein Bossa Nova war. Julius hatte den lange nicht mehr getanzt. Aber irgendwie fand er nach nur drei Takten in die Schrittfolge zurück. Er kannte das Stück:

"Huch, kennen die das auch?" Fragte er erstaunt.

"Girl fromIpanema heißt das doch, was aus Brasilien, richtig?" Fragte Bärbel zurück. Julius bestätigte es. Also war dieser unzählige male vertonte Ohrwurm und Fahrstuhlfahrtenbegleiter auch in der Zaubererwelt angekommen. Alt genug war das Stück ja. Hierzu sang die Geigerin, die für dieses Stück wohl keine Streichernoten hatte. Da kam Millie vom kurzen Ausflug zurück. Bärbel sah sie an. Sie kam ruhig mit leicht auslenkenden Hüftbewegungen herüber und klatschte Julius ab, nachdem sie Bärbel mit einem Blick um Erlaubnis gebeten hatte. Die blonde Meistertänzerin aus Deutschland machte noch eine Dankesgeste und vertraute sich dann Joseph Maininger an, der gerade frei war.

"Gut zu sehen, daß du nicht auf deinem Stuhl einschlafen mußtest, Monju. Das Stück ist nicht zu schnell und nicht zu langsam", hauchte ihm Millie zu. Er genoß es wieder, seine Frau und seine in ihr behütete Tochter zum Tanz zu führen. Sie lauschten auf den Gesang der Violinistin, die einmal auf Englisch, dann auf Französisch und dann in jener Sprachmelodie sang, die die Brasilianerin Claudia Torrinha und ihr Bruder benutzt hatten. Er fühlte jetzt eine andere Verbundenheit, nicht die leidenschaftlicher körperlicher Bewegung, sondern die Sicherheit, daß er mit der Frau tanzte, die gleichbedeutend mit seiner Mutter die wichtigste Frau seines Lebens war.

"Hast du das mitgekriegt, wie ich den Tanz eben empfunden habe?" Fragte Julius.

"ja, habe ich. Das war herrlich. Wenn ich nicht gewußt hätte, daß du von hunderten von Leuten beobachtet würdest hätte ich glatt gedacht, Bärbel und du würdet euch gerade richtig doll liebhaben. Hast du nichts von mir gefühlt?"

"Irgendwie komischerweise nicht. Warst du eifersüchtig oder traurig?"

"wir hatten es schon längst, Monju. Solange ich nur deshalb drauf verzichten will, deine Kinder zu kriegen, damit du mit keiner anderen Frau mehr tanzt, würde ich irgendwann vor Wut auf mich selbst die Wände hochgehen. Solange ich für Aurore mitatmen, essen, trinken und zum Klo laufen muß muß ich das eben hinnehmen, daß du mit anderen tanzt. Außerdem wußte ich ja eben, daß du von hunderten von anderen beobachtet würdest. So gut kenne ich dich ja doch: Du würdest dir nichts herausnehmen, selbst wenn dir keiner dabei zugucken würde. Wäre vielleicht anders gelaufen, wenn du gleich zu uns in den roten Saal gekommen wärest. Aber das wollte unser Teppich ja nicht." Julius wußte jetzt nicht, ob er Millies Äußerung als indirekten seelischen Kinnhaken werten oder eben als Anerkennung hinnehmen mußte, daß sie sich auf ihn verlassen konnte. Vielleicht dachte sie sogar, sie müsse ihn mit Gewalt dazu bringen, mit einer anderen Hexe Spaß zu haben, solange sie dieses oder jenes nicht mit ihm machen konnte.

Als das Lied vom sehnsüchtig der schönen Maid am Strand von Ipanema nachschmachtenden Mann verklungen war applaudierten die Festgäste der Sängerin.

"In Hogwarts damals war es geregelt, daß nur Schüler mit Schülern und Lehrer mit Lehrern tanzten, anders als beim Sommerball von Millemerveilles, wo die Erwachsenen problemlos mit den Jugendlichen tanzten, wenn diese den gerade gespielten Tanz konnten.

"Ist hier wohl auch üblich", sagte Millie, die gerade sah, wie Madame Faucon mit dem Besenfluglehrer Beaufort Aufstellung nahm. Wußte sie womöglich, welche Stücke gespielt wurden?

Ein Blues erklang, bei dem der Saxophonist, die Pianistin und der Bassist ein Trio spielten. Einen Moment dachte Julius an Jane Porter. Die kannte diese Musik sicher auch noch sehr gut. als hätte er durch den Gedanken an die untergetauchte Fluchabwehrexpertin ihre Enkeltochter angefunkt hörte er ihre Stimme von hinten: "Madame, darf ich Ihren Partner für diesen Tanz entführen?"

"Nur wenn er entführt werden will, Mademoiselle Porter", erwiderte Millie ruhig. Julius nickte. Millie setzte sich an den vorhin besetzten Tisch, wo Sandrine und Belisama saßen. Belisama wirkte verstimmt. Offenbar hatte ihr Begleiter nach dem ersten oder zweiten Tanz keine Lust mehr.

Julius mußte sich wieder umstellen. Gloria war zwar mit ihren 1,78 Metern größer als viele Hexen hier, aber immer noch fast zwanzig Zentimeter kleiner als Millie und er. Außerdem war sie schlanker, nicht durch eine Schwangerschaft in die Breite gegangen oder vom Körpertraining muskulös.

"Du hast die alle eifersüchtig gemacht, die ganzen Mädchen, die mit tanzunwilligen Burschen angetreten sind. Aber wenn die schon einen blues spielen, dann möchte ich dazu so tanzen, wie meine Oma Jane mir das mal gezeigt hat. Darf ich?" Julius erlaubte es, daß sie ihn führte, bis er es raushatte, wie er Gloria führen konnte. Da klang das von natur aus melancholisch klingende Stück aus dem Südosten der Staaten auch schon wieder aus.

"Die hätten echt ein richtig großes Tanzorchester aufspielen lassen sollen", brachte Julius eine Kritik an, von der er nicht wußte, ob er dazu berechtigt war.

"In Thorntails hätten die das gemacht. Mel und Myrna haben immer davon geschwärmt, alles, was in den Staaten und den Nachbarländern an Musik bekannt ist beim Seniorschülerball aufzuspielen. Danke für diese schöne Erinnerung", sagte Gloria und fischte schnell nach einem Taschentuch, um aufkommende Tränen abzutupfen. Julius wollte schon sagen, daß er das nicht gewollt hatte, daß sie vor allen zu weinen anfinge. Doch da hatte sie sich auch schon wieder gefangen und suchte Plato Cousteau, der gerade Belisama aufgefordert hatte. "Gönne ich ihm das. Er meinte zwar, ich würde alle Tänze mit ihm durchstehen. Aber beim Wilden Tanz, den du mit dem Fräulein Weizengold auf's Parkett gelegt hast hatte er Hemmungen, sich ganz an mich ranzudrücken. Und bei dem Bossa Nova konnte er die Schritte nicht und hat mitten im Lied abgebrochen. Hoffentlich tragen mir die anderen Mädchen das nicht bis zum Turnierende hinterher!"

"Du hast hier garantiert keine Probleme, jeden Tanz einen Partner zu finden, Gloria", sagte Julius aufmunternd. Gloria nickte.

"Ja, aber wenn einer erst so tut, als sei er der Idealpartner und dann schon beim zweiten Tanz Probleme macht ... Aber ich will dich nicht mit meinen Problemen beladen, nur weil eure Heilerin deiner Frau untersagt hat, schnelle Tänze zu tanzen. Oh, da kommt Pina." Sie deutete auf Pina, die gerade zu Millie hinüberging und sich zu ihr setzte, als diese ihr durch Nicken und eine Geste zum ihr gegenüberstehenden Stuhl die Erlaubnis gab.

"Häh, ich dachte, Hubert hätte sie gezielt eingeladen", wunderte sich Julius.

"Der ist mit dem kleinen runden, blonden Mädchen gerade auf die Tanzfläche gegangen, Astrid Kienspan heißt sie wohl, die bei Kevin mit im Tierwesenunterricht ist." Julius nickte. Jetzt folgte wieder ein schnellerer Tanz, nicht so wild wie der vorhin, aber doch schnell genug, um mittelschwangeren Hexen von ihm abzuraten. Gloria ließ sich von Julius führen, der es genoß, noch einen schnelleren Tanz mittanzen zu können. Er merkte, daß sein Körpertraining ihm die nötige Ausdauer und Kraft gab. Er fühlte einen kurzen Schauer von Verdrossenheit und Selbstvorwurf. Dann war da wieder dieses Gefühl, sich nicht unterkriegen lassen zu wollen. Das kam sicher von Millie, die ihn garantiert genauso beobachtete wie Pina. Vielleicht war sie auf Bärbel nicht so eifersüchtig wie auf Gloria. Womöglich hatte sie deshalb erlaubt, daß Pina sich zu ihr setzte, um noch eine Konkurrentin von ihm abzulenken.

"Hast du dich am Championstisch gut unterhalten?" Fragte Julius.

"Ich konnte genial mit deiner Schwiegermutter über Mums Kinderpflegeprodukte sprechen. Plato hat dann mit Chaudchamp noch über zeitgenössische Zauberkunst geredet, und Madame Faucon hat mich gefragt, wie es meiner Verwandtschaft in Übersee geht. Da habe ich auch heute erst Post von bekommen. Angeblich hatten die beiden zu viel mit der Arbeit oder mit Thorny zu tun. Aber ich habe von der anderen Gloria, die in Thorntails Vertrauensschülerin gewesen ist Briefe bekommen, daß diese Pabblenut, die sich mit Mum und Mel angelegt hat, eine Gruppe angeblich auf Anstand und Rechtschaffenheit ausgehender Hexen gegründet hat, bis sie durch irgendwas voll aus der Bahn geflogen ist und ein übles Ritual durchgeführt hat. Darüber habe ich dann mit Madame Faucon auch gesprochen. Sie meinte dann, daß meine werten Cousinen wohl deshalb nichts von sich haben hören lassen." Sie erzählte Julius, was sich nach ihrem Kenntnisstand im Oktober in den Staaten abgespielt hatte. Als sie die Geschichte beendet hatte seufzte Julius kurz. Dann sagte er:

"Und das Ministerium hat sich drum gekümmert. Wundert mich aber jetzt. Die Anthelianerinnen kannten dieses Ritual sicher auch und hätten da gleich gegengehalten."

"wissen wir, ob die nicht mittlerweile mit dem Ministerium zusammenarbeiten, Julius. Keiner weiß, was mit der Anführerin passiert ist. Sie ist auf jeden Fall körperlich verwandelt worden. Einige vermuten sogar eine Verschmelzung zweier Personen zu einer. Wissen wir, wer die zweite Person ist, die wohl diese seltene Animagus-Form beherrscht?" Julius hätte fast geantwortet: "Wir wissen das nicht. Aber ich weiß das zu gut, wer die andere ist und mit wem Anthelia jetzt als eine Hexe herumläuft." Doch er hütete sich davor und nickte nur. Denn im Grunde wußte er ja wirklich nicht, wie sich die Vereinigung von Anthelia und Naaneavargia auf die zu einer verschmolzenen Persönlichkeit auswirkte. Womöglich herrschte nun Ailanorars Schwester über die Erinnerungen Anthelias und verfolgte einen ganz anderen Weg als Sardonias Nichte. Vielleicht war das aber auch nur Wunschdenken, und es war Anthelia, die Naaneavargias durch die Verwandlung zur Spinnenfrau geschwächte Seele in sich einverleibt und daraus alles nötige Wissen aus dem alten Reich geschöpft hatte. Er sagte dann noch:

"Kann sein, daß diese Hexenclique, die mich damals dieser Abgrundstochter gerade so noch aus den Klauen gezogen hat einen größeren Gegner hat und sich lieber keinen Ärger mit dem Zaubereiministerium einhandelt. Daß Wishbone nicht von ihr umgebracht wurde müßte eigentlich längst jeder kapiert haben. Damit ist er als Märtyrer wertlos geworden."

"Immerhin hat er es noch hingekriegt, seinen eigenen Cousin auf den Weg zu bringen." Julius horchte auf. Gloria gab ihm in kurzen Stichworten die entsprechenden Informationen über den Sohn von Wishbones Geliebter, die zugleich seine Tante mütterlicherseits gewesen sein sollte. Wieder kam ihm einer dieser unbegründeten Einfälle, daß das auch kein Zufall war, daß nur neuneinhalb Monate nach Wishbones angeblicher Ermordung sein Sohn und Vetter in Personalunion zur Welt gekommen war. Larissa Swann ließ grüßen. Doch wenn er keinen klaren Hinweis auf die Echtheit dieser Theorie bekam würde er sich nur Ärger einhandeln, wenn er sie laut aussprach. Deshalb ließ er es auch und sagte nur, daß in den Staaten wohl gerade mehr los war als in Europa, wenn man mal von den Vampiren Nocturnias absah.

"Julius, ich kann es nicht mit Bestimmtheit festlegen, wann, aber ich bin mir sicher, daß wir die Entomanthropen noch nicht los sind. Kann sein, daß diese Hexenlady irgendwann herausfindet, wie sie neue machen kann, die sie dann sicher heimlicher vorgehen läßt als diese Brutkönigin, die Linus' Vater auf dem Gewissen hat." Dem mußte Julius jetzt beipflichten. Wenn Anthelia oder Naaneavargia wieder meinte, einer Übermacht entgegenwirken zu müssen, mochten diese Insektenmonster wiederkommen. Er hoffte nur, daß das Problem mit Nocturnia ohne diese geflügelten Ungeheuer gelöst werden konnte. Aber irgendwie gehörte das jetzt nicht hier in diesen hell erleuchteten Tanzsaal, wo gerade mitreißende Musik erklang, erkannte Julius.

Um sich wieder in die richtige Stimmung zu bringen sprach er mit Gloria darüber, wie er unnötiges Körperfett loswerden konnte, ohne den Abspecktrank eins oder zwei zu trinken.

"Mum und Mel vertreiben einen Speckabsauger, der kann Körperfett durch heile Haut abziehen. Aber das macht dich ziemlich müde, hat Mel gesagt, die den an sich und Myrna getestet hat. Da haben die Dexters aber ein Patent drauf, und die Heiler in den Staten bestehen drauf, daß dieses Hilfsmittel die vollen zwanzig Jahre Außenhandelsbeschränkung abzuwarten hat."

"Irgendwie muß ich dann eben sehen, mit viel Sport und fettarmem Essen die Kilos in Grenzen zu halten", sagte Julius.

"Du brauchst doch nur das Zuneigungsherz abzulegen. Dann schlagen Millies Gefühle und Gelüste nicht mehr so bei dir durch, Julius."

"Ja, aber dann hat sie wohl im Unterricht Probleme, weil die Latierres ziemlich gefühlsbetont leben. Deshalb lege ich den erst ab, wenn es keine andere Möglichkeit mehr gibt, eigenständig weiterzuempfinden und ihre von meinen Gefühlen zu unterscheiden oder umgekehrt", stellte Julius klar.

"Es gibt auch viele Männer, die mit einem selbstwachsendem Bauchladen keine Probleme haben. Gut, mein Fall wäre das nicht. Aber ich muß dich ja nicht heiraten", erwiderte Gloria. Julius hörte überdeutlich, daß sie keine korpulenten Männer mochte. Auch hörte er, daß sie doch irgendwo noch eifersüchtig auf Millie war, selbst wenn sie nie ernsthaft auf eine geschlechtliche Beziehung mit Julius hingearbeitet hatte. Aber Millie behauptete ja immer, daß Gloria wohl schon ihre biologische Uhr ticken hörte und jetzt doch fand, ein Partner und ein Kind würden ihrem Leben mehr Sinn geben als nur zu lernen. Doch weil das eben Millies Meinung war und nicht seine, wollte er das Gloria nicht an den Kopf werfen. So sagte er nur, daß er eben mehr Schwermachertraining machen mußte, um überschüssige Nährstoffe zu verheizen oder in Muskelmasse umzuwandeln. Er wollte zwar nicht so aussehen wie der Filmschauspieler Arnold Schwarzenegger, aber er mußte ja auch das durch das Blut Madame Maximes gestärkte Muskelgewebe in Form halten.

Nach dem gerade verklingenden Stück legten die Musiker eine Pause von zwei Minuten ein, weil einer von ihnen austreten mußte. Die Gelegenheit nahmen auch Millie und Sandrine wahr. So kam Julius mit Pina ins Gespräch, während Gloria ihren offiziellen Tanzbegleiter suchte.

Sagen wir so

"Also, ob ich mir das jetzt schon angetan hätte, ein Baby zu kriegen weiß ich nicht, Julius. Aber Millie findet das richtig toll, deine Tochter im Bauch zu haben. Ich habe sie gefragt, ob sie schon was von ihr merkt, falls das nicht zu privat sei. Sie meinte, daß sie jetzt wisse, daß da noch jemand ist, für den sie mitessen müßte. Wißt ihr jetzt auch, ob das diese Leute waren, die in Brittanys Dorf immer diese Verkuppelfeste feiern, die das auf Martinique gemacht haben?"

"Sagen wir so, die Leute, die immer wieder junge Leute in VDS dazu kriegen, ohne Ansehen von Stand und Altersunterschied zum Liebemachen anstacheln, arbeiten sicher für die, die die Sauerei auf Martinique angestellt haben. Gérard, der gerade von Robert zu seinem Tisch zurückgebracht wurde bekam die letzten Wörter von Julius noch mit. Julius sagte schnell, daß Pina eben wissen wolle, wohin sie fahren könne, ohne ungewollt Mutter zu werden.

"Also, psst, kein Wort davon zu Sandrine. Aber wenn es nach mir ginge, würde ich tausend Galleonen dafür zahlen, noch mal zurückzureisen und vor dieser Party mit Sandrine verschwinden. Ich komme mir echt vor wie einer, der seine Pflicht und Schuldigkeit schon erledigt hat und nur noch geduldet wird, weil er sonst vor lauter Enttäuschung vom Palastdach springt. Aber wie gesagt, bitte bitte kein Wort davon zu Sandrine oder Madame Rossignol. Das ist im Moment nur ein dummes Gefühl von einem, der gerade mal erwachsen zu werden hat, wo andere Jungs erst ausprobieren, was sie alles anstellen können." Pina lief an den Ohren rot an. Das wollte sie nicht, daß Gérard sich ihr so auslieferte. Deshalb versprach sie es, keinem zu erzählen, was er gerade erzählt hatte.

Julius nutzte die verbleibende Pause, um auf die Schnelle noch was alkoholfreies zu trinken. An der Getränkebar traf er Millie wieder. Er fragte sie, ob sie trotz der Tanzbeschränkung genug Unterhaltung habe.

"Pina wollte wissen, wie es mir gerade geht, sofern ich ihr das erzählen wollte. Ich habe keinen Grund, ihr nicht zu erzählen, daß ich Aurore jeden Tag mehr spüre und trotz der ganzen Sachen, die mir im Moment nicht so gut gehen oder den ganzen Verboten gespannt bin, wer da im nächsten Jahr zu uns kommt. Gérard sieht aber so trübselig aus. Hat Sandrine ihm verboten, mit anderen zu tanzen?"

"Eher wohl er sich selbst", konnte Julius dazu sagen. Denn daß Sandrine ihrem Mann das Tanzen mit anderen Damen verboten haben sollte hätte er ihm und wohl auch Pina erzählt, so frustriert er im Moment war.

Der nächste Tanz war langsam genug, daß Sandrine und Millie wieder mittanzen durften. Julius schlug Gérard einen Partnertausch vor, als das Rumba-Stück halb um war. Sandrine ging darauf ein. Millie zog Gérard sofort an sich, ehe der sich davonmachen konnte. Julius führte Sandrine behutsam und nicht zu dicht an sich.

"Jetzt zahlt sich das aus, was du mit Barbaras Mutter, Catherine Brickston und deiner Schwiegergroßmutter schon geübt hast, nicht wahr?" Fragte sie schelmisch grinsend.

"Unbestreitbar", sagte Julius. Sandrine nutzte eine Bewegung aus, um Julius nahe genug zu kommen, um ihm was ins Ohr zu flüstern:

"Ich fürchte, Gérard fühlt sich von mir verschaukelt, weil ich Estelle und Roger trage und wir beide das eigentlich noch nicht wollten. Ich hoffe, der kriegt sich wieder ein. Ich will keinen Deckhengst, sondern einen Ehemann, der egal was ist bei mir ist." Julius mußte kurz nachdenken, ob er sich den Schuh anziehen sollte, den Sandrine ihm hinhielt. Dann sagte er:

"Millie will auch jemanden, der für sie da ist und für den sie da sein kann, Sandrine. Die sagt zwar, daß es ihr wichtig ist, Kinder zu kriegen. Aber sie will das nur von jemandem, für den sie auch irgendwie da sein kann. Ich denke, das kannst du Gérard auch irgendwie vermitteln, daß du nicht nur wegen zwei oder drei Kindern mit ihm zum Zeremonienmagier gegangen bist."

"Weil er es nicht kapiert, daß ich die beiden haben will, obwohl er und ich dieses Jahr noch ohne zusätzliche Anstrengung schaffen wollten. Aber das da drinnen sind meine Kinder, und ob er die jetzt noch nicht haben will, die leben, und die bringe ich auf die Welt. Und wenn er findet, das sei dem zu anstrengend, dann muß er mir das sagen, und dann können wir das klären, von Frau zu Mann."

"Ich denke, wenn die beiden auf der Welt sind verliebt er sich gleich in die und freut sich, daß du sie jetzt schon bekommen hast", versuchte Julius zu beschwichtigen.

"Noch habe ich sie nicht bekommen. Sicher, ich fühle die immer deutlicher. Jeder Tag ist anstrengend für mich. Aber noch sind die nicht auf der Welt. Und dann kommen die UTZs und dann muß ich mich entscheiden, ob ich als Haushexe in dem kleinen Haus wohne, das Gérard von seinem Opa geerbt haben soll oder ob ich mit zwei Kindern arbeiten gehen kann. Nachher lande ich noch in Mamans Schule. Apropos ..." Julius schwante schon, was sie sagen wollte. Doch er wartete höflich ab. "... Meine Mutter gibt deiner Mutter noch bis zum Sommer Zeit. Wenn dann das neue Schuljahr ansteht, und es finden sich von hier keine, die bei uns die Kleinen unterrichten wollen, will sie einen Ausbildungsgarantieerlaß geltend machen, demnach das Ministerium eigene Mitarbeiter freistellen muß, wenn es in einer magischen Lehranstalt zu Personalmangel kommt. Sowas gab's doch auch mal in Hogwarts, oder?"

"Meine Mutter ist aber nicht Dolores Jane Umbridge, Sandrine", schnaubte Julius. "Abgesehen davon mag meine Mutter ihre Arbeit, weil sie da wesentlich mehr Menschen was beibringen kann als in Millemerveilles. Wie gesagt, daß ist die Meinung meiner Mutter, die sie mir und wohl auch deiner Mutter geschrieben hat."

"Ich gebe das auch nur so weiter, weil deine Mutter keine Eulenpost mehr beantwortet, und Maman will noch keinen Heuler verschicken, solange sie noch genug andere Tricks im Umhang hat."

"Also, wenn du diese Beharrlichkeit von deiner Mutter mitbekommen hast, Sandrine, dann mache ich mir um deine Ehe mit Gérard keine Sorgen", wechselte Julius zum Ausgangsthema zurück. Das rang Sandrine ein zufriedenes Lächeln ab.

"Na, Sandrine getröstet?" Fragte Millie eher scherz- als boshaft, als sie zu einem Wiener Walzer auf die Tanzfläche gingen. Julius sagte ihr nur, daß Sandrine Angst habe, Gérard könnte sie nicht mehr mögen, weil sie jetzt schon zwei Kinder erwarte.

"Könnte hinkommen. Aber ich habe dem gesagt, daß Papa sich in Tine und mich und Miriam verliebt hat, als wir nicht mehr so eingedellte Köpfe hatten, weil Mamans kleines Tor zur großen Welt für uns ein wenig eng war. Er meinte dann, daß er aber nicht mein Vater sei, worauf ich ihm mitgab, daß er da auch froh drüber sein könnte, weil meine Mutter wesentlich direkter sagt, wenn ihr was nicht paßt, sie aber auch um alles kämpfen würde, was sie liebe und für wichtig genug hielte. So ganz toll fand er das zwar nicht, aber er hat mich dann in Ruhe gelassen und sich gefreut, daß er mit einer schwangeren Hexe unfallfrei tanzen kann."

"Das ist doch immerhin etwas", setzte Julius einen Schlußpunkt.

Als Millies Mann noch einmal von Bärbel Weizengold zu einem rasanten Tanz eingeladen wurde konnte Julius im Trubel Kevin und Patrice sehen, die so eng zusammentanzten, daß gerade noch die Festbekleidung dazwischenpaßte. Patrice genoß es regelrecht, ihn durch bereits eindeutige Bewegungen mit sich im Gleichtakt zu halten. Kevin hatte nur Augen für sie, wie sie ihn anlachte. Dann wirbelte das Paar aus seinem Blickfeld, und er sah wieder Bärbel an. Einen Moment fragte er sich, ob das seine Freundin und Geliebte geworden wäre, wenn er nicht nach Beauxbatons umgeschult worden wäre, sondern in diesem Jahr mit Kevin, Gloria und Pina aus Hogwarts hierhergereist wäre. Alles paßte, die Bewegungen, die Ausdauer, auch wie sie ihn anstrahlte. Doch sie machte nach dem Tanzen klar, daß sie ihn hier und jetzt eben nur als mit ihr wunderbar zusammenwirkenden Tanzpartner verehrte. Sie sagte nur zu Millie:

"Also, dein Mann ist gut in Form. Halte dir den ja sicher! Sonst ist der schneller bei 'ner anderen als du "Quidditch" sagen kannst."

"Das ist mir klar, Bärbel, die Konkurrenz ist auch sehr groß, weiß ich", hatte Millie darauf geantwortet.

"Monsieur Latierre, darf ich bitten?" Fragte ihn Hippolyte Latierre, als die Musiker zur Damenwahl aufriefen. Julius wußte erst nicht, ob er diese Bitte gewähren durfte, weil sie ja rein offiziell hier war. So sagte er:

"Ich kenne das für diesen Abend gültige Protokoll nicht, Madame Latierre. Daher weiß ich nicht, ob ich keinen Verstoß gegen die vereinbarten Richtlinien begehe, wenn ich Ihre Bitte gewähre."

"Ich kenne das Protokoll. Es schreibt vor, daß Schüler und Lehrer bei diesem Ball voneinander getrennt tanzen. von trimagischen Richtern steht nur drin, daß sie nicht mit einem andersgeschlechtlichen Champion alleine tanzen dürfen. Jetzt gibt es aber nur einen männlichen Turnierteilnehmer. Das trimagische Richter nicht mit anderen Schülern tanzen dürfen steht nicht im Protokoll. Trimagische Richterin ist meine offizielle Funktion hier."

"Dann möchte ich Sie nicht in Verlegenheit bringen, sich einen Korb abzuholen, Madame", erwiderte Julius. Millie, sowie Pina, Betty und Jenna, die mittlerweile auch an dem Tisch saßen, lachten darüber. Julius erhob sich und bot seiner Schwiegermutter den Arm an. Sie hakte sich unter und ließ sich auf die Tanzfläche führen. Dort begannen sie einen Samba zu tanzen.

"Beaufort hat genug. Der hat sich bei Madame Faucon die Erlaubnis geholt, zu seiner Familie nach Hause zu flohpulvern", begann Hippolyte. "Kann man nichts machen, wenn es mehr tanzwillige Damen als Herren gibt." Das kannte Julius schon und wertete es wortlos als Kompliment, daß sie sich ihn ausgesucht hatte.

"meine Frau hat gesagt, daß sie sich darüber im klaren war, daß sie durch eine Schwangerschaft von vielen Sachen abgehalten wird, die sie gerne tut oder die wichtig sind."

"Ja, und ich finde es sehr beruhigend, daß sie und du das akzeptiert, daß ihr nicht mehr für euch alleine lebt, auch wenn hier genug Leute rumlaufen, die immer wieder mitleidig oder eifersüchtig gucken und heimlich darauf warten, daß euch die ganze Last der Verantwortung auf den Kopf fällt."

"Na ja, meine frau fühlt sich trotz der körperlichen Umstellung immer noch sehr wohl in ihrer Rolle, und ich fange langsam an, mehr Freude als Angst zu empfinden."

"Das wird meine Mutter gerne hören. Die würde ja gerne auch tanzen gehen. Aber meine Schwester hat sie per Heileranweisung auf ihr Schlafzimmer beschränkt. Würde sie einen Schritt über eine rote Meldelinie machen müßte meine Schwester ihre und meine Halbgeschwister mit diesem Leibesfruchttausch-Zauber auf sich und womöglich noch auf Barbara und mich übertragen, damit wir die vier zu lebensfähigen Kindern ausreifen und wohl dann auch zur Welt bringen. Das wirkt zumindest auf meine Frau Mutter." Julius hörte zu und wartete einige Sekunden. Dann sagte er:

"Dann müßte sich Béatrice aber wohl einen Platz in der ersten bemannten Marsrakete sichern."

"Interessante Äußerung, Julius. Aber in gewisser Weise dürftest du recht haben. Wenn Trice das wirklich ausführt, ob als heilerin oder als besorgte Tochter, dürfte sie vielleicht gerade mal solange im Château wohnen, bis alle vier Kinder auf der Welt wären. Aber es wirkt trotzdem. Du darfst meiner Mutter ruhig wieder mehr Post schicken. Sie langweilt sich heftig und möchte wissen, was ihre Familie in aller Welt so macht. Immerhin hast du ja einen eigenen Pappostillon." Julius nickte. Ihnen beiden fiel nicht auf, daß sie einen wilden Tanz bestritten. Sie teilten sich die Atemluft ein und konnten dabei noch frei von Keuchen und Schnaufen sprechen. Er fragte dann noch, ob die Latierres sich morgen wieder träfen.

"Zu Neujahr, weil das eben diese Jahrtausendfeier werden soll. Da darf meine Mutter dann zumindest in den Festsaal, hat Béatrice gesagt. Und ihr dürft nach Millemerveilles?"

"Joh, dürfen wir. Das wird bestimmt lustig", sagte Julius. Seine Schwiegermutter lächelte.

"Dann können Millie und du wohl bei euch im Apfelhaus wohnen. Gebt uns dann bescheid, wann ihr einen der Kamine offen habt, damit Maman sehen kann, wie es Millie geht." Julius sagte zu, falls Millie sich für ihre Großmutter zur Verfügung halten wolle.

Als der Tanz um war konnte Julius Madame Rossignol sehen, die Kevin und Patrice zur Getränkebar schob. Das erinnerte Julius daran, daß er besser auch noch was trank.

Als er mit einem großen Schluck Kürbissaft gestärkt zurück zur Tanzfläche ging fragte Pina ihn, ob er mit ihr tanzen wolle. Da gerade wieder ein Foxtrott gespielt wurde hatte er kein schlechtes Gewissen wegen Millie, die wie Sandrine wieder beim Essen war. Nur dadurch, daß er sich auf Pina und den Tanz konzentrierte, verdrängte er das Hungergefühl, daß ihn heimsuchte. Er unterhielt sich mit Pina über den bisherigen Abend und hörte auch, daß Lea wohl eine gehässige Bemerkung zu ihm und Bärbel Weizengold gemacht hatte. Er meinte dazu nur, daß Lea keinen Grund hätte, eifersüchtig oder biestig zu sein. Pina stimmte dem zu. Denn mit Lea hätte Julius auch ohne Claire und Millie nichts angefangen, war sich Pina absolut sicher.

Zwischen zehn und halb elf gab es noch einmal eine längere Pause, in der die Musiker sich mit Essen und Trinken erfrischten. Julius erfuhr in dieser Pause auch, daß Patrice von Madame Rossignol zwanzig Strafpunkte abgeräumt hatte, weil sie als Pflegehelferin gesondert auf ihre und anderer Leute Gesundheit zu achten habe. Kevin fragte Julius, als Patrice für kleine Hexenmädchen unterwegs war:

"Ähm, Julius, wie verbindlich ist diese Besenwerbung? Ich meine, Patrice und ich haben nur drüber gesprochen, daß die hier in Frankreich üblich ist, wenn eine Hexe einem Zauberer zeigen will, daß sie ihn als Mann haben will."

"Wenn eine Hexe dich ruft, daß du dich von ihr auf den Besen heben läßt, gilt das hier als Heiratsversprechen, wenn du dich von ihr auf den Besen heben läßt. du kannst ihr natürlich zuvorkommen und ihr einen Antrag machen und dich mit ihr verloben, habe ich mittlerweile gelernt. Die Besenwerbung ist auch nur deshalb noch im Gebrauch, weil es Jungs geben soll, die nicht klar ansagen können, daß sie mit einem bestimmten Mädchen zusammenbleiben und alt werden wollen."

"Oha, schon krass", erwiderte Kevin. Julius dachte noch einmal daran, was er von den beiden mitbekommen hatte. Irgendwie fand er, knisterte es angenehm zwischen den beiden. Mochte sein, daß nur der Umstand, daß Kevin ein Jahr länger zur Schule mußte und sie in zwei verschiedenen Ländern wohnten was ausmachte. Aber waren das wirklich unüberwindliche Hindernisse? Er beschloß, keinen Kommentar dazu zu machen, um am Ende nicht als der Fiesling dazustehen, der entweder zu der einen oder der anderen Entscheidung getrieben hatte. Wenn Kevin in diesem Jahr eine Hexe finden mochte, die ihn so nahm wie er war, ein Großmaul, einer, der Regeln offen verabscheute, aber auch Angst und Trauer zeigen konnte, dann sollte die ihn eben auf den Besen heben. Kevin sollte dann nur nicht behaupten, ihm habe keiner gesagt, was das hieß.

Die Musiker spielten noch einmal schnelle Tänze, zu denen Julius mit wechselnden Partnerinnen tanzte, einmal sogar mit Belisama, die sich ihre Frustration, weil ihr Begleiter sich als Tanzmuffel offenbart und offenbar was zum angeben gesucht hatte, mit seinen Freunden schön weit von der Tanzfläche aufgehalten hatte. Die letzten vier Tänze waren langsame Tänze, die Millie und er genossen, bis Madame Faucon sich bei den Heptaphones bedankte. Damit endete der Weihnachtsball von Beauxbatons. Julius hatte es wieder einmal genossen, etwas gelernt zu haben, was er auf dem fast vollendeten Weg in die Zaubererwelt sehr gut gebrauchen konnte.

"Schlaft gut!" Wünschte Julius den Greifennestlern und vor allem Waltraud und Bärbel, mit denen er getanzt hatte. Dann wandschlüpften Millie, Sandrine, Gérard und Julius in den Krankenflügel zurück.

"Ich glaube, Patrice poliert schon einen schnuckeligen Besen, auf dem mit ihrem feuerroten Lippenstift KEVIN MALONE geschrieben steht", vermutete Millie, als sie und Julius hinter den nach außen schallschluckenden Bettvorhängen lagen.

"Das glaube ich auch. Offenbar hat sie Andeutungen gemacht, ob er wisse, was die Besenwerbung ist", sagte Julius verschmitzt grinsend. Millie meinte dann noch:

"Wundere mich, daß du das vorhin nicht gespürt hast, wo du mit Sandrine getanzt hast. Liegt wohl daran, daß ich deine tolle Selbstbeherrschungsformel gedacht und den Rest des Blödsinns von Gérard nicht mehr richtig gehört habe", grummelte Millie. Julius fühlte jetzt ihren Unnmut auflodern. "Der meinte, ohne die beiden Kinder hätten er und Sandrine sicher weniger Stress in der Schule und könnten in Ruhe auf die UTZs hinlernen und daß Sandrine die beiden nur kriegen will, weil dieser Regenbogentrank sie dazu zwingt oder ihr vormacht, daß es das tollste überhaupt ist, immer dicker zu werden und dann überheftige Schmerzen zu kriegen und dann gleich zwei Plärrdinger rauszuwerfen. Da hätte ich dem fast links und rechts eine runterhauen können. Ich hätte ihm fast gesagt, daß er überhaupt froh sein darf, daß überhaupt eine Hexe Kinder von ihm haben will und auch daß der ohne diesen Zaubertrank von diesen Mora-Vingate-Leuten niemals in der Lage gewesen wäre, überhaupt nur ein Kind anzuschieben. Aber die Selbstbeherrschungsformel hat mich lange genug zurückgehalten, daß ich wieder klar denken konnte. Ich habe dem dann eben das gesagt, was ich dir beim Tanzen schon weitererzählt habe."

"Vielleicht wirkt die Herzanhängerverbindung nur, wenn wir keinen anderen berühren", sagte Julius. Er hatte nicht darauf geachtet, ob das Pulsieren auf seinem Brustkorb schwächer geworden war oder nicht. Doch dann fiel ihm ein, daß das ja nicht stimmte. Millie brachte es auch sofort auf den Punkt:

"Dannhätte ich sicher nicht mitgekriegt, daß die wilde Bärbel dich so nahe an sich gedrückt hat, daß ihr euch durch die Klamotten hättet lieben können. Auf die könnte ich noch mal eifersüchtig werden, Monju. Oder hat die schon einen Freund?"

"Du weißt doch selbst, wie schwer es Mädchen haben, die größer sind als die meisten Jungen", erwiderte Julius darauf. "Zumindest hat sie keinen Freund erwähnt. Und gerade, wo wir so eng zusammen getanzt haben wollte ich sie garantiert nicht fragen."

"Sehe ich ein, Monju. Aber jetzt sollten wir schlafen. Aurore wurde heute lange genug herumgeschaukelt." Sie gähnte hörbar und drehte sich in ihre gerade bequemste Einschlafstellung.

Julius lag noch einige Minuten wach. Vor seinem geistigen Auge zogen noch einmal alle Bilder des Abends vorbei: Das Farbenmeer der Festumhänge, die Festbeleuchtung, die Musiker, die wilden Tänze mit Bärbel, Belisama, Waltraud und seiner Schwiegermutter, die langsamen Tänze mit Millie und Sandrine. Er hörte Kevins Frage nach der Besenwerbung und auch Gérards Geständnis, lieber in die Vergangenheit zurückzureisen, um die Zeugung von Estelle und Roger ungeschehen zu machen. Pina und er hatten versprochen, das keinem weiterzuerzählen. Denn wehe ihm, Sandrine bekäme das heraus. In einem Punkt hatte Gérard nämlich rechtt: Sandrine war darauf versessen, die zwei Kinder zu kriegen und jeden niederzufluchen, der sie davon abbringen wollte. Wußte Gérard, in welche Gefahr er sich mit seinem aus Frustration entsprungenem Geständnis gebracht hatte? Er konnte froh sein, daß Sandrine seine Kinder trug und nicht Millie, Belisama oder Céline.

Dann schlief er ein.

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