Dieses laute Spielen, wo alle Weibchen von ihnen ausgesuchte Männchen mit runden Kraftdingern an sich dranhängen ist vorbei. Julius hat dafür eines von den Weibchen mit sich zusammenbinden lassen, das mit diesem fliegenden Vierfarbrundding angekommen ist, in dem eine schnell klopfende leise Kraft singt. Das junge Weibchen ist in Stimmung. Sie würde wohl gerne mit ihm Liebe machen, damit sie sein Junges kriegt. Aber Sie zeigt ihm das nicht. Sie hat wohl Angst vor Millie, weil die Julius' Junges trägt und nicht will, daß er einem anderen Weibchen eins macht. Ich verstehe das trotz allem, was Julius mir dazu gesagt hat nicht, warum die Zweifußläufer sich zum Jungekriegen immer nur mit einem Weibchen zusammentun und mit dem dann immer zusammenwohnen. Wenn dieses junge Sonnenhaarweibchen mit den blauen Augen ein Junges von ihm will, dann soll der doch froh sein. Die ist zwar nicht so stark wie Millie. Aber sie ist sehr beweglich und hat einen starken Willen, aber auch sehr starke Gefühle. Doch der Abend geht um, ohne, daß die in Stimmung befindlichen Weibchen mit den Männchen, die an ihnen drangehangen haben, die Stimmung ausgelebt haben.
Ich merke, daß Julius und seine starke Gefährtin etwas aufgeregt sind. Millie wartet auf ihr Junges. Es ist wohl schon zu groß, um noch in ihrem Bauch zu sein. Die starke Kraft, die zwischen den beiden singt, macht, daß das Junge wohl sehr lange bei ihr drinbleiben möchte.
Ich traue mich endlich wieder zu laufen, nachdem das große Feuer nicht mehr da ist. Alle liegen in ihren Schlafhöhlen. Meine letzten Jungen sind nun groß genug. Julius hat gesagt, daß er mich zusammen mit diesem starken neuen Männchen Dusty ganz von hier mitkommen läßt, wenn er dahingeht, wo er seine eigene Wohnhöhle und Jagdfläche hat. Ich merke zwar, daß ich bald wieder in Stimmung komme. Aber wenn er mich nur dann mit sich mitgehen läßt, darf ich keine Jungen mehr kriegen, bevor wir hier weg sind.
Die kleine Prinzessin spielt mit ihren ersten Jungen. Die sind auch schon groß genug, um selbst ihr Fressen zu jagen. Sicher wird dieses Weibchen mit den Armen und Beinen, in denen die Kraft singt, wieder sagen, wer dann anderswo wohnen soll.
Puh, bin ich satt! Dieses Warten, bis die alle mit ihren fliegenden Ästen wieder in ihrem großen Steinbau waren hat mir richtig viel Hunger gemacht. Ich liege jetzt in meiner eigenen Schlafhöhle. Meine Jungen zanken sich um eine tote Ratte. Sie schreien und fauchen sich an. Ich will nicht, daß die sich dabei weh tun oder tot machen. Ich renne aus der Wohnhöhle raus und schreie lauter als die, damit die wissen, daß die das sein lassen sollen. Die geben Ruhe und laufen wieder zu meiner Wohnhöhle zurück. Da ist schon bald kein Platz mehr für uns alle. Fliegenpilz riecht hinten an mir. Der merkt, daß ich bald in Stimmung komme. Aber wenn der mir neue Junge macht muß ich die hier kriegen. Oder ist bald schon die lange Zeit, wo die alle aus dem Steinbau rausgehen und dahin gehen, was sie Ferien nennen? Dann geht das vielleicht doch, weil die Jungen erst dann aus mir rauskommen, wenn ich mit Julius, seinem Weibchen Millie und diesem mondfarbenen Männchen Dusty in Julius' eigenem Bau sein kann. "Eh, ich will noch nicht!" fauche ich Fliegenpilz an, der meint, mich mal eben runterdrücken zu können. Ich haue ihn mit der rechten Vorderpfote auf die Nase. Der jault einen Moment. Dann läuft er weg. Der soll nicht jaulen. Ich habe den nicht mit den Krallen getroffen.
Die Sonne ist schon wieder auf dem Weg nach unten, wo sie in ihr eigenes großes Loch reinfällt. Nachmittag sagen die Zweifußläufer zu dieser Zeit. Ich höre Millie und Julius und fühle die richtig stark zwischen ihnen schwingende und singende Kraft. Ah, die Kraft ändert sich. Millie gibt einen Schmerzlaut von sich.
"Monju, ich denke, jetzt geht's los", sagt sie. Ich laufe zu dem Metallzaun. Aber die darin singende Kraft ist noch zu stark, um darüberzuklettern. Aber ich merke, daß sie jetzt in einer anderen Stimmung ist. Ja, ihr Junges will jetzt raus. Das wird jetzt auch Zeit.
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Julius wußte im ersten Moment nicht, was er jetzt machen sollte. Ging es wirklich los? Wollte Aurore jetzt schon zur Welt kommen? Er fühlte sich zum einen sehr erfreut, aber dann auch wieder verunsichert. Sie saßen im Ostpark, in dem Pavillon, wo er damals mit Claire den Corpores-Dedicata-Zauber durchgeführt hatte. Insofern ein würdiger Ort, um seinem Leben eine neue Richtung zu geben.
"Hast du noch Schmerzen, Mamille?" fragte Julius seine Frau. Diese schüttelte bedächtig den Kopf. "Nur so ein dumpfes Gefühl, als würde etwas da unten immer schwerer, Monju. Aber ich will lieber in den Krankenflügel rein, bevor Aurore wirklich raus will." Julius nickte. Er fragte, ob sie noch gehen könne.
"Du wirst mich nicht auf einer Trage dahinbringen. Monju", knurrte Millie. "Ich kann noch gehen.
"Wollte nur fragen", grummelte Julius. Millie hatte ihm zwar eingeschärft, sie nicht überzubehüten. Aber jetzt wollte er auch nichts riskieren, nicht nach dem langen Warten, Hoffen und Bangen. Zumindest bestand er darauf, daß Millie sich bei ihm festhielt, damit sie nicht unter der nächsten möglichen Kontraktion zusammenbrach und umfiel. Sie kam auch nur schwer auf die Beine. Doch sie blieb eisern. Wenn sie schon in das Geburtszimmer mußte, dann wollte sie auf eigenen Füßen dorthingehen. Julius wunderte sich nur, daß Madame Rossignol nicht über die Armbänder angerufen hatte, ob sie bald bei ihr waren. Vielleicht kam das, wenn Millie die Nächste Wehe fühlte.
Behutsam, um nicht über irgendeine Bodenunebenheit zu stolpern, gingen Millie und Julius durch den Park. Millies Gang war auslenkend und nicht mehr so sicher wie vor einem Tag noch. Womöglich hatte der entscheidene Kramf in ihrem Leib ihren Kreislauf angeknackst. Doch sie wollte gehen. Sie wollte ihre Tochter auf eigenen Beinen dorthin tragen, wo sie den schützenden Mutterschoß verlassen sollte.
"Fühlst du noch Schmerzen, Mamille?" fragte Julius besorgt. Zwar waren keine neuerlichen Empfindungen zu ihm übergeflossen, das mochte aber nichts heißen. Denn er bekam ja eben nur Millies Gefühlszustand mit, was er eigentlich als Glück ansah.
"Bring sie und mich nicht drauf, Monju! Nachher springt die mir noch durch das Unterzeug durch. Dann hast du aber ein Problem", grummelte Millie.
Madame Rossignol hatte es nicht nötig gehabt, über die Armbandverbindung durchzurufen. Sie kam den beiden werdenden Eltern schon entgegen. Auch andere Schülerinnen und Schüler liefen über die breiten Hauptwege auf den Park zu. Julius dachte erst, die Heilerin hätte eine Durchsage gemacht, daß es bei Millie nun losging. Aber dem war nicht so. Er sah Kevin und Keneth aus der Hogwartstruppe, die sich wohl über den gestrigen Abend unterhielten. Er konnte sogar Sylvie und Louis sehen, die gerade auf dem Weg in den Südpark waren. Doch das alles interessierte ihn nicht. Er sah nur die Heilerin, die mit schnellen Schritten auf Millie und ihn zuhielt.
"Schön, ihr seid vernünftig genug. Millie, kannst du noch laufen?" begrüßte die Heilerin die Latierres. Millie nickte wild. "Ist zwar ein bißchen schwerer als gestern, aber geht noch."
"Gut", erwiderte die Schulheilerin. "So heftig wie das eben ausgeschlagen hat könnte das die erste richtige Senkwehe gewesen sein. Hattest du gerade eben noch mal eine Kontraktion?"
"Nein, keine. Zumindest habe ich keine gespürt."
"Dann können wir wohl noch zu Fuß in den Palast. Nicht wandschlüpfen! Es sei denn, Millie, du möchtest von Julius und mir reingetragen werden."
"Ich will die letzten Meter, die ich für Aurore mitlaufen muß schaffen", knurrte Millie. Sie fühlte sich sichtlich genervt, konnte Julius nicht nur aus den ihn erreichenden Gefühlswellen aus dem Zuneigungsherzen erkennen.
"Hast du gehört, Julius, du wirst die Kleine dann alleine in den ersten Lebensmonaten mit dir herumtragen dürfen", erwiderte Madame Rossignol auf Millies Bemerkung. Julius nickte.
"Eh, so habe ich das nicht gemeint", maulte Millie, die erkannte, daß die Heilerin ihre Worte anders ausgelegt hatte, als sie das eigentlich gemeint hatte. "Ich habe nur gemeint, daß ich sie die letzten Meter, die sie ganz bei mir ist, auch noch zu Fuß tragen kann", stellte sie noch klar.
Kevin sah Millie und Julius in Begleitung der Heilerin. Er entschuldigte sich kurz bei seinem Schulkameraden und kam herüber. "Eh, Julius, wenn das Kleine heute noch kommt trinken wir aber noch drauf, ja?!" rief der Gastschüler aus Hogwarts.
"Morgen ist Sonntag, wenn du meinst, dir den größten Kater des Universums ansaufen zu müssen ordere ich gerne den Met, den wir bei der Neujahrsfeier hatten", reagierte Julius auf Kevins für ihn gerade belanglose Anfrage.
"Wenn das Kind aber doch erst am Sonntag abend kommt feiert ihr das garantiert nicht vor dem nächsten Samstag", mußte die Heilerin klarstellen. "So, und jetzt bitte aus dem Weg, der junge Monsieur Malone!"
"Geht auch, dann kann ich bis nächste Woche bei meinem Vater guten Whisky losmachen, weil die hier ja sowas gutes nicht kennen", erwiderte Kevin auf Madame Rossignols Einwand. Er gab jedoch schnell die Bahn frei. Zwar konnte Millie nicht schneller laufen, um nicht doch noch umzufallen. Aber die Heilerin bestand darauf, daß niemand ihr vor den Füßen herumlief.
"So, im Zirkuszelt von Hogwarts ist das in einer Minute rum", meinte Julius. "Und bis zum Abendessen ist das in ganz Beauxbatons schon rum."
"Soll ich dir sagen, daß mir das gerade sowas von egal ist, Julius?" schnaubte Millie. Ihr Mann schüttelte den Kopf. Ihm war es im Grunde auch total egal.
Da sie nicht durch das nächste Wandstück schlüpfen durften mußten sie die ganzen Gänge im Palast von Beauxbatons entlanglaufen. Da im Moment niemand bei diesem Wetter im Innneren war, hatten sie freie Bahn. Nur die gemalten Hexen und Zauberer in den an den Wänden hängenden Bildern verfolgten mit, wie die drei auf den Krankenflügel zuliefen.
Als sie das Sprech- und Behandlungszimmer der Heilerin betraten warteten Patrice Duisenbergund Aysha Karim bereits auf die drei.
"Wo ist Louis?" fragte Madame Rossignol und holte sich die Antwort über jenes Kontrollgerät, daß Zustand und Standort ihrer Pflegehelfer zeigte. "Ich habe ihm drei Signale gegeben. Der weiß, daß er dann hier anzutreten hat", grummelte sie und legte ihren linken Zeigefinger auf den weißen Zierstein ihres Armbandes: "Verbindung zu Louis Vignier!" bellte sie in Richtung Armband. Das Kontrollgerät klickte kurz. Dann baute sich Louis' Abbild vor ihr auf. Alle sahen, daß er in einer halben Umarmung von Sylvie Rocher lag.
"Oha", hörten sie Louis' Stimme aus Madame Rossignols Armband.
"Ist ein wenig dürftig, diese Bemerkung, junger Mann. Du hast von mir ein in der Heilerwelt höchstseltenes Privileg erhalten. Also mach mich nicht zornig! In einer Minute bist du hier im Krankenflügel, ohne Sylvie Rocher!"
"Geht klar, Madame Rossignol", erwiderte Louis mit reuevollem Gesicht.
"Die hat den offenbar gestern sehr gut auf ihrem Besen herumgeflogen", mußte Patrice Duisenberg dazu loswerden, als das Abbild von Louis sich wieder aufgelöst hatte.
"Das kann sie gerne wieder tun, wenn er mir mit euch zusammen hilft, wenn Millies Kind jetzt wirklich zu uns kommt. Ähm, ihr beiden Mädchen legt bitte drüben im Schlafsaal eure Umhänge ab und zieht die keimfrei behandelten Umhänge an. Die Keimfreilösung habe ich auch schon dahingestellt."
"Verstanden, Madame Rossignol.
Aysha wirkte nicht so glücklich, weil neben dem Kindsvater auch Louis Vignier bei der Geburt zusehen sollte. doch die Heilerin hatte das offenbar klargestellt, daß die mit Millie eingeteilte Übungsgruppe auch dabei war.
"Julius, wenn Louis es schafft, seine Besenherrin gesittet zu verabschieden und hier eintrudelt zieht ihr zwei euch auch um. Und noch was, du bist nicht in dieser Gruppe eingeteilt, Julius. Du siehst nur zu. Das wird für dich sowieso schon anstrengend genug. Aber laß mich mit den drei anderen das machen! Hast du gehört?"
"Ich soll nur zusehen, nicht selbst mithelfen", knurrte Julius verstimmt. "Aber das Protokoll darf ich hoffentlich schreiben lassen", fügte er hinzu.
"Da das deine Schreibefeder für dich macht habe ich nichts dagegen einzuwenden", erwiderte die Heilerin ruhig.
Louis fiel aus einer der mit dem Wegesystem verbundenen Wände heraus und präsentierte ein abbittendes Gesicht.
"Zehn Sekunden nach der geforderten Zeit, Jungchen. Fünf Strafpunkte wegen verspäteter Reaktion auf eine eindeutige Einbestellung", begrüßte Madame Rossignol Louis.
"Ähm, ich weiß nicht, ob ich mir das echt zumuten soll. Außerdem haben meine Eltern mir gesagt, ich dürfe mir sowas nicht angucken."
"Soweit ich mich kundig gemacht habe wurde dir bei deiner Geburt von einem Arzt auf die Welt geholfen. Ich halte zwar aus verständlichen Gründen nicht viel von den Fähigkeiten der magielosen Heiler und empfinde auch gewisse Vorbehalte gegen einige Verhaltensregeln von denen. Aber wenn magielose Menschen meinen, daß Geburten keine reine Frauensache sind, und Julius mir bei der Geburt von Cythera sehr erfolgreich helfen konnte, dann kannst und wirst du das auch. Deine Eltern haben es ja abgelehnt, mit mir über deine Mitgliedschaft in der Pflegehelfergruppe zu sprechen und auch jeden von mir abgeschickten Brief unbeantwortet gelassen. Aber jetzt bist du hier, und wenn es bei Millie wirklich heute endgültig losgeht bleibst du auch hier und hilfst mir und den beiden Mädchen dabei, die Kleine gesund auf die Welt zu holen! Hast du das verstanden?"
"Wenn ich das Kübeln kriege soll das nicht meine Schuld sein", grummelte Louis.
"Ja oder nein, Louis?"
"Ja, ich hab's verstanden. Ich soll mithelfen. Aber Julius ist doch da."
"Ja, als werdender Vater und Pflegehelfer darf er zusehen, aber nicht mithelfen, weil er in der Hinsicht befangen ist", stellte Madame Rossignol klar. Julius wollte zwar sagen, daß er sich wohl gut beherrschen könne. Doch wußte er das wirklich?
Ihr zwei zieht euch gleich drüben um. Bevor ihr die Kittel anzieht wascht euch noch mal gründlich mit der aufgestellten Keimfreilösung! Die Kittel selbst sind schon entsprechend behandelt worden", ordnete die Heilerin an. Louis und Julius nickten.
"Soll ich schon auf den Stuhl?" fragte Millie Madame Rossignol. Die Heilerin von Beauxbatons wiegte den Kopf. Dann deutete sie auf den höhenverstellbaren Behandlungstisch. "Ich prüfe erst nach, ob es schon Senkwehen sind. Wasser geht bei dir noch nicht ab. Insofern haben wir noch Zeit."
"Alles klar, Madame", erwiderte Millie. Julius fühlte wieder ein gewisses Unbehagen, sowohl über das pulsierende Schmuckstück als auch in sich selbst.
Millie legte sich auf den Tisch, damit die Heilerin sie mit dem Einblickspiegel untersuchen konnte. Julius machte inzwischen einen großen Notizblock bereit und legte seine Flotte-Schreibe-Feder daneben.
"Oja, die Kleine ist schon erheblich abgesunken. Wundere mich, daß die Fruchtblase noch intakt ist", sagte Madame Rossignol.
Aysha und Patrice kehrten in zwei blütenweißen Kitteln mit Kopftüchern aus dem Schlafsaal zurück. Julius winkte Louis, der Patrices spöttisches Grinsen mit einem leicht verächtlichen Blick beantwortete.
Im Schlafsaal lag im Moment niemand zum auskurieren. Dennoch hatte Madame Rossignol einen Wandschirm aufgestellt, hinter dem die Pflegehelfer sich unbeobachtet umziehen konnten. Zwei sauber gefaltete weiße Kittel mit Kapuzen lagen auf zwei der unbenutzten Betten bereit. Davor stand eine große Schüssel, aus der Dunstwolken entstiegen. "Erst die Umhänge runter, dann Gesicht und Hände gründlich waschen", zischte Julius seinem Pflegehelferkameraden zu. Er fühlte sich an den fünfzehnten Mai 1996 zurückversetzt, wo er zusammen mit Jeanne und Millies großer Schwester Constance bei Cytheras Geburt geholfen hatte. In der Routine sah er eine Möglichkeit, seine langsam aufkommende Nervosität zu zügeln. Madame Rossignol hatte klar angesagt, daß Aurore schon so tief im Becken ihrer Mutter lag, daß sie in den nächsten Stunden die warme, schützende Unterkunft für immer verlassen würde. Wie viele Stunden das waren, wußte niemand. Bei Constance hatte es von morgens bis kurz nach Mitternacht gedauert.
"Meine Eltern kriegen die Vollkrise. Meine Mutter sagte, daß ich da nicht zusehen soll, weil das nur Frauenangelegenheiten seien oder eben die von ausgebildeten Ärzten. Meine Omas haben das damals auch ziemlich daneben gefunden, daß meine Mutter von einem Arzt behandelt wurde, wo deren Frauenärztin in dem Krankenhaus auch bei sowas mithalf."
"Louis, deine Eltern sind, so bescheuert das gerade klingt, genausoweit von dir weg, wie Jupiter von der Erde weg ist. Sie hätten das mit Madame Rossignol absprechen können. Haben sie aber nicht. Also haben sie ihr zugestimmt. Wer schweigt stimmt zu, Louis. Das gilt leider nicht nur in der Muggelwelt", herrschte Julius den Jungen an. Ihm paßte es nicht, daß jemand sich derartig aufführte, als würde er gerade selbst erst auf die Welt kommen. Er hatte es damals als erhabenen Vorgang gesehen, Cythera und später auch Claudine auf die Welt kommen zu sehen. Wieso blickte Louis, der ja ein Jahr älter war als Julius damals, das nicht, daß er hier eine große Ehre erfuhr? So sagte er ihm noch was, um das Gemaule zu beenden: "Wenn du mit Sylvie mehr anfangen willst als mit Endora kehr kein Muttersöhnchen raus! Es sei denn, du hast dich jetzt entschieden, nix von Mädels wissen zu wollen." Offenbar traf das wirklich so heftig, wie Julius gehofft hatte. Denn Louis lief knallrot an. Dann nickte er zaghaft.
Als die beiden Jungen sich gewaschen und umgezogen hatten fanden sie Millie von den beiden Pflegehelferkolleginnen umstanden im Sprechzimmer. Aysha blickte gerade durch den Einblickspiegel, als bei Millie eine neue Wehe auftrat. "Ui, das sieht ja richtig unangenehm aus", grummelte die aus Algerien eingewanderte Mitschülerin.
"Tut auch gut weh", grummelte Millie. Sie stöhnte auf, weil der Schmerzanfall noch nicht ganz vorbei war.
"Oh, über eine halbe Stunde zwischen der ersten und dieser", stellte Madame Rossignol fest. "In Ordnung, dann setze ich dich erst auf den Stuhl, wenn die nächste Kontraktion auftritt."
"Ähm, Mit der Antibakterienbrause an den Händen dürfen wir sicher nix essen, oder?" fragte Louis.
"Ich habe noch ein paar Sättigungskekse von meiner Tante im Schlafzimmer, Julius", sagte Millie ihrem Mann zugewandt.
"Ihr kriegt anständiges Essen", erwiderte Madame Rossignol darauf. "Ich kläre das unverzüglich. Millie, du kannst leider nichts mehr essen, bis die Nachgeburt aus dir heraus ist und ich deinen Leib keimfrei gespült und versorgt habe", stellte die Heilerin klar.
"Im Moment könnte ich auch eher auf die Toilette als was essen. Die Kleine drückt mir wohl alles hinten raus."
"Was auf jeden Fall sehr gut ist, Millie. Gut, dann erleichtere dich hier in den Nachttopf!" ordnete die Heilerin an. Louis und die anderen Pflegehelfer wandten sich ab, während Millie ihre Notdurft in einen zuklappbaren Nachttopf mit Ausscheidungsbeseitigungszauber verrichtete. Damit hatte sie wohl fünf Minuten zu tun, bei denen die Heilerin darauf achtete, daß dabei nicht zu heftiger Preßdruck entstand, der das Kind durch einen noch nicht günstig eröffneten Geburtskanal zwengte.
In der Zeit bis zur nächsten starken Wehe sprach Madame Rossignol mit den Pflegehelferinnen Patricia Latierre und Belisama Lagrange. Die sollten bei den Hauselfen das Abendessen für die Kollegen abholen. Julius konnte sehen, daß nicht nur Serena Delourdes in ihrem Bild im Sprechzimmer saß, sondern auch Aurora Dawn und Viviane Eauvive auf dem Sofa saßen. Julius fragte Viviane respektvoll, ob sie das nicht als Zeitverschwendung sah, solange hier in diesem Bild zu warten.
"Erstens habe ich alle Zeit der Welt, junger Monsieur Latierre. Zweitens habe ich die Geburt von Chloé Dusoleil nicht mitverfolgen können, weil wichtigere Ereignisse meiner Anwesenheit in Beauxbatons bedurften."
"Der Kerl, der den roten Saal gegründet hat ist aber jetzt nicht da", meinte Patrice Duisenberg.
"Ihm war es stets zuwider, einer Frau bei Verrichtung der Niederkunft zuzusehen. Daher begrüßte er es auch immer, wenn sein Weib nur von der Vertrauten ihres Leibes umsorgt wurde", erwiderte Viviane Eauvive darauf. Julius hätte fast geantwortet, daß Orion sich ja auch nur dafür interessierte, wie ein Kind in den Leib seiner Mutter hineinkam. Doch er verzichtete darauf, weil er Ayshas Empfinden nicht belasten wollte. Außerdem mußte Louis das nicht wissen, was Julius über Orion den Wilden, den Gründer des roten Saales, schon alles mitbekommen hatte.
Louis hielt sich in den kommenden Stunden zurück, was freiwillige Begutachtungen anging. Die Wehen kamen im Moment in regelmäßigen Abständen von einer halben Stunde. Die Heilerin sah sich immer wieder die Lage des noch ungeborenen Kindes an. Offenbar wollte dieses nicht so rasch zum Ausgang hin, wie sie es gerne wollte.
Eine Minute vor dem vereinbarten Essenstermin wurde Millies Körper von der nächsten Wehenwelle gepeinigt. Als diese endlich abebbte setzte Madame Rossignol ihre Patientin im Nebenzimmer des Sprechzimmers auf jenen Stuhl, wo die Beine der Gebärenden seitlich einer großen Öffnung in der Sitzfläche gelagert werden konnten. Louis fragte, ob Millie sich dafür nicht besser hinlegen sollte.
"Ich bin mir eigentlich absolut sicher, daß wir das in den letzten Pflegehelferstunden eindeutig besprochen haben, warum diese und keine andere Gebärhaltung von uns Heilerinnen als die günstigste gesehen wird, Louis. Außerdem kannst du dich ja selbst fragen, ob es angenehmer ist, gegen die Erdschwerkraft durch einen engen Durchgang hindurchzugelangen als von der Erdschwere unterstützt", erwiderte die Heilerin darauf. Da hörten sie alle zwei Personen im Sprechzimmer. "Gut, Patrice und Julius, ihr geht zuerst zum essen hinüber!" bestimmte die Schulheilerin. Julius nickte und ging mit der schwarzhaarigen Pflegehelferkollegin hinüber. Dort warteten bereits Patricia und Belisama, die ein großes Tablett mit vier Geschirrsätzen, Bestecksätzen und mehreren großen Schüsseln und Platten unter Silberdeckeln auf einen freigeräumten Tisch gestellt hatten.
"Jamm, was haben wir heute?" fragte Patrice Pattie Latierre.
"Curry-Hühnersuppe, dann Frühlingssalat, danach Rinderragout in Rettich-Sahnesoße mit Reis und zum Nachtisch frische Erdbeeren mit oder ohne Schlagsahne. Ich habe den Elfen in der Küche gesagt, daß wir eine Muslimin mitversorgen möchten und die ja nichts mit Schweinefleisch essen möchte." wie zur Bestätigung hörten die drei Mädchen und der werdende Vater aus dem Schlafsaal arabische Gebetsformeln klingen. Aysha pries den Gott des Propheten Mohammed und bat ihn wohl auch um Beistand und Segen für die junge Mutter, auch wenn diese selbst nichts von den Eingottreligionen aus dem Osten hielt.
"Dann braucht die ihr Gewissen zumindest nicht noch damit zu belasten, dasselbe essen zu müssen wie wir", feixte Patrice leise.
"Die sollen sich nicht so haben, Patrice", wisperte Pattie, während Belisama sich an Julius wandte und ihm eine kleine Schüssel mit Suppe füllte. "Nervös?" fragte sie. Julius nickte. Er gab dann auch zu, daß er nicht wußte, ob er das durchstehen konnte, wo er ja auch Millies Gefühle miterleben würde. Millies ehemalige Konkurrentin um seine Gunst lächelte jedoch und erwiderte: "Du hast ihre Launen und Ängste bisher ausgehalten. Dann packst du das auch bis zur Ankunft von - Aurore?" Julius nickte, was die Antwort auf die Frage nach dem Namen anging und erwähnte auch, daß er eben nicht wußte, ob Millie jetzt, wo sie zwischen Freude, Stolz, aber auch Leid und Hilflosigkeit herumpendeln mochte, nicht doch noch ihre heftigsten Gefühle zeigen würde. Das würde was anderes sein als die Liebesakte mit ihr oder der Schulalltag seit der Ferienreise nach Viento del Sol, wo sie beide gerade erst wußten, daß sie füreinander bestimmt waren.
Während Julius aß, lauschte er auf alles, was nebenan geschah. Millie stöhnte einmal auf, weil sie offenbar wieder Wehen überkamen. Julius dachte seine Selbstbeherrschungsformel, um den Ansturm von Unbehagen und Hilflosigkeit aus dem eigenen Bewußtsein zu verbannen. Patrice unterhielt sich mit Patricia über Walpurgis und schwärmte von Kevin Malone. Weil Julius davon was mitbekam sagte sie zu ihm: "Der Bursche könnte glatt noch das UTZ-Jahr hier machen. Dann kann der eben zu den Blauen rein, wenn er meint, sich mit jedem immer mal wieder anlegen zu müssen. Hätte ich zumindest keine Probleme mit."
"Wo du dann nicht mehr hier bist?" fragte Pattie Latierre die Saalsprecherin der Blauen. "Der setzt sich sicher nicht bei dir vorne auf den Besen, wenn du den rufst. Dafür stinkt ihn das alles hier zu heftig an. Kriegen wir doch alle immer wieder mit, daß der nur hier ist, weil er dachte, beim Turnier mitmachen zu können und jetzt hier - wie hat Claudette aus der sechsten das genannt? - absitzen muß." Patrice und Julius reagierten mit belustigtem Lächeln darauf. Beide wußten wohl, daß Kevin sich in den letzten Wochen beruhigt hatte. Woran das liegen mochte behielten die beiden aber für sich.
Als Julius mit dem Essen fertig war und sich zur Sicherheit noch einmal mit einem Waschlappen mit Keimfreilösung Gesicht und Hände gereinigt hatte, wies ihm Madame Rossignol einen Platz auf einem bequemen Stuhl an, von dem aus er alles sehen konnte, was mit und um seine Frau herum passierte, aber keinem und keiner im Weg saß. Millie hatte inzwischen weitere Wehen überstehen müssen und keuchte nun, weil es sie doch schon gut anstrengte. Während Madame Rossignol nur mit Patrice den langsam voranschreitenden Vorgang überwachte, unterhielten sich Aysha und Louis mit Patricia und Belisama. Dabei konnte Julius mithören, wie Patricia zu Louis sagte:
"Wenn du das irgendwann mal klar hast, mit welcher du wirklich zusammen sein willst, dann bist du garantiert froh, wenn du weißt, wie das geht, ein Kind auf die Welt zu holen."
"Soll mich das jetzt wundern, daß du mir so kommst, wo du Marc ja schon seit der zweiten Woche hier in Beaux total für dich gesichert zu haben meinst?" fragte Louis zurück. "Der Typ hat doch voll die Probleme, weil der nich' weiß, in welcher Welt der jetzt eigentlich rumhängen soll. Oder war der auch nur einmal bei euch in dem Schloß, was ihr angeblich habt?"
"Frage Julius, Sandrine oder Madame Faucons Enkeltochter, ob wir ein Schloß haben oder nicht, Louis! Und ja, Marc war da noch nicht. Seine Eltern haben zu viel Angst, weil meine Mutter denen zu frei heraus ist und keine Probleme damit hat, über Sachen zu reden, die angeblich anständige Leute nicht besprechen können", antwortete Patricia. Millie, die gerade mal wieder sprichwörtliche Atempause hatte sah ihren Mann an und sagte:
"Du sitzt zu nahe an der Nebentür, Julius. Wenn's richtig losgeht möchte ich haben, daß du neben mir sitzt."
"Der sitzt da, wo er genug mitbekommt und uns freie Bahn gibt", erwiderte die Heilerin darauf mit einer Unerbittlichkeit, die schon an einen harten Tadel erinnerte. Deshalb konnte Julius auch nicht hören, was Louis gerade nebenan zu Pattie Latierre sagte. Er hörte nur Belisama sagen:
"Gut, deine Mutter ist eine Hexe für sich, Pattie. Aber wenn Louis' Eltern Angst vor der Zaubererwelt haben, dann bringt es das ja nicht, ihn damit fertigzumachen, daß er lieber zu ihnen hält. Immerhin darf Louis hier alles lernen, was ihr auch lernt. Da haben wir in unserem Jahrgang schon anderes mitbekommen." Julius wußte, wen Belisama meinte. Louis Antwort hörte er nicht, weil Millie wieder unter einer stärkeren Wehe aufschrie und stöhnte. Patrice Duisenberg zuckte ebenfalls zusammen, weil sie gerade durch den Einblickspiegel sah. "Das hat der Kleinen richtig die Beine entgegengedrückt", sagte sie.
"Habe ich gemerkt", keuchte Millie. "Die hat nämlich zurückgetreten. Zumindest ist sie wach." Julius mußte über diese Bemerkung grinsen.
"Neue Wehe um acht Uhr und zwölf Minuten Abends. Abstand zur letzten: zwanzig Minuten und zehn Sekunden!" diktierte Madame Rossignol der Flotte-Schreibe-Feder, die bereits über die erste großformatige Seite des Notizblocks huschte.
"Dann wird's wohl doch vor Mitternacht", vermutete Patrice. "Meine Mutter meinte, als das bei ihr so kurz hintereinander war hat es keine drei Stunden mehr gedauert, bis ich aus ihr raus war", bemerkte Patrice Duisenberg dazu.
"Du warst auch das zweite Kind, und deine Mutter da schon zwanzig Jahre älter als bei der Geburt deines Bruders", wußte die Schulheilerin von Beauxbatons die passende Antwort. Millie maulte, daß das jetzt auch egal sei, da Martine von der ersten echten Wehe bis zur Entbindung acht Stunden gebraucht habe.
"Alles ist möglich", sagte Madame Rossignol. "Aber wir sind alle hier, um dir zu helfen, egal wie lange das dauert."
"Ich will mich nicht mit euch rumzanken, Mädels. Aber ich lasse mir garantiert von keiner vorschreiben, daß ich das alles vergessen und nicht mehr tollfinden soll, was ich bis zu dem Brief von hier alles mitgekriegt und gelernt habe. Außerdem habe ich noch Freunde aus der Schulzeit vor Beaux. Die kucken mich eh schon verschnupft an, weil meine Eltern mich in ein Internat geschickt haben. Die meinen, ich sei jetzt in so einer Schnöselschmiede, die meine Eltern zu viel Geld kostet. Da ich denen nicht stecken darf, wo ich in echt hingehe, habe ich voll die Probs, da gescheit drauf zu antworten. Ihr habt da echt keinen Plan von, außer Julius. Aber dem seine Mutter hatte ja auch wen in der Zaubererwelt, die ihr da geholfen hat."
"Also, wenn Schnösel bei den Muggeln dieselben überdrehten Fachidioten und Goldwühler sind, wie bei uns, wundert mich aber, daß die denken, du wärest in so einer Schule, wenn du mit denen genauso locker redest wie mit uns", wandte Aysha dann ein. Louis mußte wohl darüber nachdenken. Madame Rossignol besah sich ihre Patientin noch einmal. Dann eilte sie an Julius vorbei in den allgemeinen Behandlungs- und Besprechungsraum und wandte sich an Louis:
"Ich begrüße es sehr, daß du dich mit deinen Kameradinnen gut unterhalten kannst, Louis. Aber du solltest langsam mal mit dem essen fertig werden."
"Bringt ja eh nichts. Wenn millie unten ganz aufgeht fliegt mir das ganze Zeug eh oben wieder raus", lamentierte Louis.
"Vorsicht, junger Mann! Du bist gerade auf dem besten Wege, dir meine Geduld und Nachsicht zu verderben. Ich kann dir verbindlich versichern, daß du das nicht erleben möchtest, wenn du meine Geduld endgültig überforderst. Also, iß anständig zu ende und komm dann ohne zu trödeln zu uns zurück!" Pattie Latierre lachte darüber. "Wüßte nicht, was daran so lustig ist, Pattie", schnaubte Madame Rossignol.
"Ich habe Sie nicht drum gebeten, mich in die Nummer mit einzuplanen. Meinetwegen kann Millie die Kleine auch ohne mich aus sich rausquetschen und alles mit Schleim und Blut vollsauen. Ich denke eben, daß mir dann auch alles wieder hochkommt. Das wollen Sie sicher nicht, daß ich Millie dabei voll zwischen ihre Beine kotze. ich frage mich eh, warum Sie Carmen nicht eingeteilt haben, wo das doch angeblich Frauenzeug bei den Heilern ist", maulte Louis.
"Das frage ich mich gerade auch. Ich wollte dir eigentlich eine große Ehre erweisen, Louis. Ich habe das mit Carmen besprochen, ob sie dabei mithelfen möchte. Sie wandte ein, daß vier auf einmal wohl einer oder eine zu viel seien. Ich konnte ihr da nur zustimmen und habe mich für dich entschieden. Aber wenn du wirklich meinst, die ganze Zeit nur darüber lamentieren zu müssen, daß dir das nicht bekommt, daß du das nicht mitmachen darfst und daß ich derartiges nicht von dir verlangen kann, dann sei es eben. Dann geh zurück in euren Saal und schicke Carmen Deleste zu mir hin! Dann bleibst du aber zwei Tage lang außerhalb der Essens- und Unterrichtszeiten in deinem Schlafsaal!
"Ach, Sie wollen mir Stubenarrest aufbrummen?" begehrte Louis nun nicht mehr so eingeschüchtert wirkend auf.
"Ich will das nicht nur, sondern ich habe dir soeben Schlafsaalarrest auferlegt, Louis Vignier. Zudem erhältst du noch fünfzig Strafpunkte wegen fortgesetzter Respektlosigkeit gegen mich und gegen Mildrid. Ich erlaube dir, zwischen deinem Schlafsaal und dem für Viertklässler zugeteilten Badezimmer zu wechseln. Aber ansonsten gilt: In fünf Minuten bist du in deinem Schlafsaal und verbleibst dort bis sieben Uhr morgens! So, Zieh dich wieder um und geh in deinen Wohnsaal zurück! Ich gestatte es dir, das Wegesystem dafür zu benutzen. Du schickst mir Carmen Deleste, egal wo sie ist. Ist sie in einer Minute nach deinem Weggehen nicht hier bei uns, fallen für jede angefangene Minute Verspätung fünf weitere Strafpunkte für dich an, Louis Vignier."
"Ob das so eine Tolle Idee war, das mit Utopia aufzudecken", wisperte Millie Patrice und ihrem Mann zu.
"Da käme der nur hin, wenn er dir bewußt was antun würde, beispielsweise versuchen könnte, die Kleine per Aufrufezauber aus deinem Bauch zu holen."
"Hallo, der ist gegen Menschen verboten und nur bei Menschen, die nur bis halb so schwer sind wie der, der den Zauber macht möglich", wisperte Patrice. Beide wußten aus dem Zauberkunstunterricht, daß es durchaus Zauberer gab, die gegen die Regeln des Angelsportes die Fische gleich aus dem Wasser acciierten, wenn sie wußten, welche Fische es dort gab. Millie verzog das Gesicht und meinte zu Julius:
"Im Moment könnte der mir vielleicht sogar einen Gefallen damit tun. - Nein, vergiß das, Julius! Die Kleine soll die Zeit haben, die sie braucht. Ich werde sie dafür nicht weniger liebhaben."
"Ich kläre das mit Professeur Delamontagne, ob Sie sowas anordnen dürfen", hörte Julius Louis noch. Er mußte seine Selbstbeherrschungsformel denken, weil er gerade eigene Wut empfand, die auf Millie sicher nicht förderlich wirken mochte.
"Nur, wenn du von ihm auch noch einmal zwanzig Strafpunkte wegen Mißachtung meiner Autorität erhalten möchtest, Louis. Eine meiner Vorgängerinnen hat sogar mal Karzerhaft für eine aufsässige Pflegehelferin ausgesprochen. Dafür hat sie aber pro Stunde einsitzen einhundert Strafpunkte bekommen. jetzt hinüber, umziehen und in den grünen Saal!"
"Soll ich dann nicht mehr aufessen?" fragte Louis noch trotzig.
"Gut, weil du ja bis zum Frühstück auskommen mußt gestatte ich es für deine körperliche Unversehrtheit. Aber dann will ich von dir kein Wort mehr hören, bis du dich umkleidest und in deinen Wohnsaal zurückkehrst. So, ich muß wieder hinüber. Sagt mir bittte bescheid, wenn ihr abräumen könnt, Belisama!"
"In Ordnung, Madame Rossignol", bestätigte Belisama Lagrange.
Madame Rossignol kehrte zurück. Ihr Gesicht zeigte Ärger und Enttäuschung. Doch sie sagte kein Wort, da sie wohl mitbekommen hatte, daß die anderen Pflegehelfer und ihre Patientin ja mithören konnten, was sie gerade machen mußte.
Zehn Minuten später vermeldete Belisama, daß Patricia und sie das Tablett jetzt wieder in die Küche zurückbringen konnten und daß Louis sich gerade seinen Sonntagsumhang anzog.
Eine Minute später bekamen sie mit, wie Louis im Nebenraum wohl das Wandschlüpfsystem in Gang setzte. Madame Rossignol ging hinüber und blieb für eine Minute dort. Dann hörten sie, wie jemand aus der Wand herauspurzelte und konnten Carmens leicht verunsicherte Stimme hören.
"Louis hat mich über das Armband gerufen und mir gesagt, ich solle ihn ablösen, weil Sie mit ihm Schwierigkeiten hätten. Ich sollte dann in nur einer Minute bei Ihnen eintreffen."
"Das ist korrekt, Carmen. Er hat sich grob undankbar gezeigt und Millie und mich andauernd respektlos angeredet. - Nein, ich habe ihn nicht nach Utopia geschickt. Aufsässigkeit ist noch kein Grund, jemanden derartig drastisch abzustrafen. Drüben habe ich einen frischen Keimfreikittel hingelegt. Von der Lösung steht auch noch was da. Bitte reinige dich damit, zieh dich um und komm herüber." Carmen bestätigte die Anweisung. Dann kehrte Madame Rossignol wieder zurück und begutachtete Millie. Dann las sie das bisher geschriebene und sagte der Feder: "Zwanzig Uhr neunundvierzig: Sah mich gezwungen, Pflegehelfer Louis Vignier durch Pflegehelferin Carmen Deleste ablösen zu lassen, weil Louis Vignier sich der Aufgabe nicht gewachsen fühlte und daher mit grober Aufsässigkeit reagierte." Julius verstand nun, warum die Heilerin nichts gesagt hatte, als sie von Louis zurückgekommen war. Die Feder schrieb alles mit, was sprachfähige Wesen im selben Raum laut genug von sich gaben.
Eine viertelstunde später begrüßte Millie die ein Jahr jüngere Pflegehelferin aus dem grünen Saal mit einem lauten Aufschrei. Sie wand sich unter drei heftigen Kontraktionen. Doch alle konnten sehen, daß noch immer kein Wasser abging. Aurore gewann wohl pro Wehe gerade einen halben Zentimeter Weg. "Abstand zur letzten Wehe: achtzehn Minuten und zehn Sekunden. Stärke: sechs ein halb", gab die Heilerin die Werte des Contractiometers an die Zauberfeder weiter. Das Gerät konnte bis zur Stärke zehn anzeigen, was für unmittelbare Eröffnungs- und Preßwehen stand. Doch dabei würde Millie wohl das Bauchband nicht mehr tragen, zumal in dem Raum auch eine Uhr hing, die die Heilerin gerade ablas, um später auch die Uhrzeiten in das Protokoll aufzunehmen, von dem Millie, Julius und Béatrice Latierre eine Kopie erhalten würden.
"Warum nimmt sie sich so viel Zeit. Das kann ihr doch unmöglich gefallen, wie sie jetzt ist", grummelte Millie. Carmen nickte, als sie kurz durch den Einblickspiegel sah.
Julius fragte sich, ob Millie womöglich einen vollen Tag brauchen würde und ob Aurore dabei Deformierungen abbekommen würde. Ihm wäre es lieber, wenn es jetzt tatsächlich losging. Doch er konnte durch den Einblickspiegel sehen, daß seine Tochter noch im Schutz der Fruchtblase ruhte, wenngleich ihr Kopf bereits halb in Millies Becken versunken war.
"Sei froh, daß du eine so starke und belastbare Gebärmutter hast, Millie. Vor zweihundert Jahren kam eine Hexe fast ums Leben, weil ihr erstes Kind innerhalb von einer Minute ihrem Leib entfiel und dabei eine heftige Nachblutung auslöste", sagte die Heilerin.
"Ja, und die längste Aktenkundige Niederkunft einer Hexe dauerte zwei Tage und eine Stunde", grummelte Millie. "Dafür hatte die keine Vorwehen und wußte bis zur Niederkunft nicht mal, daß sie schwanger war, weil sie schon so sehr breit gebaut war und auch schon früher viel aß."
"Das denke ich bei dir nicht, Millie. Dafür liegt dein Kind schon zu weit unten", erwiderte Madame Rossignol. Julius fühlte sich immer hibbeliger. Um seine Nervosität zu überspielen fragte er Madame Rossignol, wie das mit der Pflegehelferkonferenz sei.
"Viele von euch sind gerade hier. Louis muß den von mir verordneten Schlafsaalarrest absitzen. Nadine wäre dann die einzige, die bisher nicht daran beteiligt ist. Aber ich werde morgen keine Pflegehelferkonferenz und Übungsstunden stattfinden lassen", erwiderte die Heilerin.
"Haben Sie denn schon was gegessen?" fragte Carmen Deleste die Heilerin. Diese nickte und erwähnte, daß sie wie damals bei Constance und Cythera einen Sättigungskeks zu sich genommen habe, um ohne Nahrungsbedürfnis den Tag überstehen zu können. Sie schob jedoch sofort nach, daß die anderen ruhig ordentliches Essen zu sich nehmen konnten, weil es nicht nur auf die Nährstoffe, sondern das Gefühl, etwas schmackhaftes zu sich zu nehmen ankomme. Dem konnten die anderen nicht widersprechen.
Während sie alle auf die nächsten Wehen warteten sprachen sie über die Spiele bei Walpurgis und wie Julius es mitbekommen hatte und ob Julius etwas davon mitbekommen habe, wie außer seiner Besenpartnerin die anderen Schüler aus Hogwarts die Feier empfunden hätten. Er konnte dann noch erwähnen, daß Kevin ihm morgens beim Frühstück noch einmal gesagt hatte, daß es eine sehr schöne Feier gewesen sei und das Spiel mit den zwölf Kugeln auch mal bei anderen Festlichkeiten eingeplant werden könnte. Patrice meinte lächelnd dazu:
"Klar, weil er und ich da ja zu den ersten dreien gehörten, die es hinbekommen haben. Das Besenfliegen hat ihm aber am meisten Spaß gemacht."
"Louis ist vielleicht so biestig drauf, weil er nicht weiß, wie er damit klarkommen soll, daß mehrere Mädchen zugleich um ihn herumlaufen", bemerkte Carmen. Madame Rossignol konnte das nicht ausschließen. Sie stellte jedoch klar, daß sie sich trotzdem nicht beliebig auf der Nase herumtanzen oder sich etwas vorjammern lassen müsse. Das hätte sie schon in der Heilerausbildung sehr schnell verlernt, sich über unangenehme Sachen zu beschweren, weil sie da ja dann gleich die Ausbildung hätte abbrechen können."
"Könnte sein, daß Louis jetzt seine Eltern anschreibt, daß die Druck machen, daß er nicht mehr in der Pflegehelfertruppe sein soll", streute Julius ein.
"Das würde ich aber mitbekommen, wenn er dazu in die Eulerei geht. Ich habe den Schlüsselwächter entsprechend eingestimmt, daß er mir durch Klingelzeichen mitteilt, wenn Louis' Pflegehelferschlüssel anderswo als zwischen den beiden Räumen zu orten ist, die ich ihm zugestanden habe. Sollte er die von mir verhängte Bewegungsbeschränkung, die er Stubenarrest genannt hat, mißachten, dann kann ich bei Madame Faucon auf eine umfangreichere Strafe bestehen. Er kennt die Höchststrafe für Pflegehelfer, die sich schädigend gegen ihre Mitschüler verhalten. Soweit wird er garantiert nicht gehen, auch wenn er jetzt weiß, daß ihm keine Verwandlungs-, sondern Verbannungsstrafe droht. Ich habe es euch allen und auch ihm gesagt: Wer einmal in die Pflegehelfertruppe aufgenommen wurde, der oder die bleibt dort, bis er oder sie Beauxbatons auf die ehrenvolle oder unehrenvolle Weise verlassen muß."
"Ja, aber wo bleiben da noch die Rechte seiner Eltern?" Wollte Patrice wissen.
"Sie hatten das Recht, zu bestimmen, ob er den für die Pflegehelfertruppe nötigen Ersthelferkurs in den Ferien macht oder nicht. Sie haben es ihm gestattet. Daher haben sie zugestimmt, daß er in der Truppe ist. Ich hätte ja sehr gerne mit den Eheleuten Vignier darüber gesprochen, was ihr Sohn bei uns für Aufgaben hat und welche Rechte und Pflichten er damit übernommen hat. Aber die Herrschaften wollten ja nicht mit mir sprechen oder auf meine höflichen Anschreiben antworten. so bleibt mir nur, nach bestem Wissen und Gewissen, die ihm beigebrachten Kenntnisse zu unser aller Nutzen einzuplanen. Das ist das grundlegende Recht der amtierenden Schulheilerin, seitdem Magistra Delourdes mit den fünf anderen Gründern diese Schule eröffnet hat." Die gemalte Ausgabe der erwähnten Gründungsmutter machte eine Kopfbewegung, die in der natürlichen Welt als Nicken erkannt werden konnte.
"Sonst wäre mir auch nicht daran gelegen gewesen, an der Errichtung, Eröffnung und Führung dieser Lehranstalt mitzuwirken", sagte die gemalte Gründerin des gelben Saales und allererste Schulheilerin von Beauxbatons. Millie und Julius wußten das. Immerhin hatten sie gespeicherte Erinnerungen der Mitgründerin nacherleben dürfen.
Die nächsten Wehen überkamen Millie siebzehn Minuten nach den letzten. Diesmal schlug die Anzeige bis Stärke 6 6/8 aus. Julius schaffte es, die in ihm rumorende Nervosität mit Berichten über seine Zeit als Besucherbetreuer bei der Quidditch-WM im letzten Sommer zu überlagern. Da konnte Millie trotz der sichtlichen Anstrengung ihres Körpers auch noch einiges erzählen, was nicht unter ministerielle Diskretion fiel. Julius beschrieb für Patrice und Carmen den Ausflug ins Paris der Muggel und den Ausflug nach Burg Greifennest, wo er zusammen mit Millie, Laurentine, Belisama, Gloria und Pina die Vorführung von sonnenlichtabhängigen Tieren und Pflanzen und die Sonnenfinsternis beobachtet hatte.
Zwischen den Erzählungen wurde Millie von weiteren Wehen heimgesucht. Diesmal erreichten diese die Stärke sieben. Die Abstände verkürzten sich von mal zu mal um zwanzig bis dreißig Sekunden. Zwischendurch trudelten gemalte Würdenträger von Beauxbatons ein und überbrachten Botschaften an die beiden Gründungsmütter und nahmen Antworten mit.
Millies Ungeduld steigerte sich, als sie laut schreiend vier heftige Kontraktionen hintereinander überstehen mußte. "Wenn sie es wissen will, dann soll sie jetzt zusehen, da durchzukommen", maulte sie. Doch dann verfiel sie wieder in diese freudige, stolze Haltung, weil sie wohl heute noch ein wichtiges Ziel ihres Lebens erreichen würde.
Als es dann auf elf Uhr Abends zuging, lagen zwischen den Wehenwellen weniger als zwölf Minuten. Wenn die Abstände kürzer als zehn Minuten würden, so Madame Rossignol, mußte es zum Sprung der Fruchtblase kommen. Kindsbewegungen waren aber noch zu sehen. Auch fühlte Millie zwischen den schmerzhaften Krämpfen im Unterleib auch noch kurze Stubser.
Julius war jetzt richtig hibbelig, weil er eigentlich wollte, daß es schon hinter Millie und ihm lag, er aber auf Madame Rossignols Anweisung hin nur zusehen durfte, wenn er nicht, um die Zeit zu überbrücken, Dinge aus früheren Tagen erzählen durfte.
Es dauerte jedoch bis ein Uhr, bis es zum Aufplatzen der Fruchtblase kam und das Fruchtwasser abfloß. Jetzt traten die Wehen in Abständen unter zehn Minuten auf und kamen immer früher und heftiger. Millie hatte die von Julius damals erwähnte Methode übernommen, bei den schmerzhaften Wehen zu singen "Wenn es mir weh tut, dann freue ich mich. Denn da kommt mein Kind, mein liebes Kind." Aysha meinte, daß diese Art, die wohl ziemlich unerträglichenSchmerzen zu ertragen, ihrer Großmutter Salome mal hätte erzählt werden können, die immerhin sieben Kinder geboren hatte. Millie bestand darauf, daß Julius ihr die Hand hielt, während sie eine Wehe nach der anderen überstehen mußte. Madame Rossignol ging darauf ein, zumal sie nun Patrice links von Millie hinsetzte, um ihr eine Möglichkeit zu geben, sich abzustützen.
"So hat unsere Latierre-Kuh auch ihr Kalb bekommen und ..", quetschte Millie hervor, bevor sie erneut tief Luft holen mußte, um den nächsten Wehenschub versingen zu können. Julius fühlte, wie die Angst, aber auch die Entschlossenheit von ihr auf ihn überflossen. als Madame Rossignol die ersten entscheidenden Meßergebnisse an die Schreibefeder diktiert hatte, fühlte Julius dieses plötzliche Aufflackern von Trotz und Entschlossenheit, aber auch von Vorfreude in sich überfließen. Er fragte sich, ob er nach der Geburt wirklich den Anhänger wieder ablegen konnte, oder ob hier und jetzt ein Prozeß ablief, der ihn ein Leben lang gefühlsmäßig mit seiner Frau zusammenschmiedete, wie der Catena-Sanguinis-Fluch, den Bernadette mit Cyril Southerland durchgezogen hatte.
"Muttermund auf neun Zentimeter geöffnet", gab Madame Rossignol für das Protokoll weiter. Aysha war leichenblaß geworden. Carmen war als einzige direkt vor Millie. Die Mitschülerin aus Algerien mußte nach nebenan. Julius übertönte die Würge- und Spritzgeräusche mit aufmunternden Worten an seine Frau. Anweisungen durfte er ihr nicht erteilen, so Madame Rossignol. Als er dann kurz nachsehen durfte, wie sich der Leib seiner Frau weiter und weiter öffnete, verflog seltsamerweise alle Nervosität und das Unbehagen. Eher dachte er daran, daß er hier und jetzt dabei sein durfte, wie etwas von ihm in die Welt hinüberkam. Er fühlte Millies jetzt unverfälschte Entschlossenheit, jetzt, wo es endlich passierte. Als die nächste Wehe kam, überlagerte zwar Hilflosigkeit und Beklommenheit dieses aufmunternde Gefühl. Doch dann war Millie wieder ganz darauf versessen, dieses für sie so entscheidende Ereignis ohne Murren und ohne Angst zu erleben. Auch sie empfand es als erhaben, etwas lebendiges von sich in diese Welt zu bringen, wo vor zwei Jahren noch niemand gedacht hatte, daß diese Welt je wieder hell und warm sein würde. Sie befolgte die Anweisungen der Heilerin ohne jedes Murren. Julius ertappte sich dabei, wie er im selben Rhythmus mitpustete und hächelte. Aysha, die mittlerweile wieder zurückgekehrt war, lehnte das Angebot ab, in den Schlafsaal zu gehen und sich dort zu erholen. Sie wollte es jetzt überstehen, wissen, wie es ausging.
Madame Rossignol hatte Millies Unterleib mit einer Dehnbarkeitslösung eingerieben, da sich nun alles unterhalb ihres Bauchnabels weiter als elf Zentimeter auftat. Patrice und Carmen ließ das auch nicht kalt. Sie konnten sich nur deshalb zusammenreißen, weil sie genau auf die Anweisungen hörten, die Madame Rossignol erteilte.
Millie fand bei jeder neuen Wehe einen Rhythmus, wo sie beim Ausatmen die Zeilen singen konnte, die so ähnlich waren wie Julius Selbstbeherrschungsformel. Er sang unwillkürlich mit.
Gegen zwei Uhr stieß sie wieder kurze Schreie aus, weil nun die ersten heftigen Preßwehen einsetzten. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Aurore Beatrice Latierre mußte jetzt den schützenden Leib ihrer Mutter verlassen. Julius fühlte die Wogen der Anspannung, Entschlossenheit und auch eine Form von Glücksgefühl. Das konnten die Hormone sein, die bei großen Schmerzen, besonders unter der Geburt, ins Blut abgegeben wurden, um die schmerzen einigermaßen erträglich zu machen. Millies Bauchdecke spannte und entspannte sich immer wieder.
"Also, den ersten Mai hat sie verpaßt", stellte Julius mit einem Blick auf seine Weltzeitarmbanduhr fest. Millie drückte wieder seine Hand. Er dankte seinem Krafttraining und der durch das Blut der ehemaligen Schulleiterin errungenen Konstitution, daß Millie ihm nicht aus purer Qual heraus die Finger brach. So erlitt er auch in gewisser Weise Schmerzen. War das Millies Absicht gewesen? Er würde sie garantiert nicht danach fragen. Allein wichtig war für ihn, daß sie sich diese Strapaze auch für ihn antat. Er bedauerte seinen Vater, der es nicht miterlebt hatte, seinen eigenen Sohn ankommen zu sehen. Eigentlich, so dachte Julius, während Millie gerade mit ihm die Auswirkungen der letzten Wehen veratmete, war es doch der größte Beweis für die Liebe einer Frau zu ihrem Gefährten, sich für ihn im wahrsten Wortsinne etwas aufzureißen, um etwas lebendiges von ihm auf diesen Planeten zu entlassen. Julius lächelte, als er schon daran dachte, was aus Aurore mal werden würde. Sicher würde sie eine Hexe werden. Aber was würde sie nach Beauxbatons machen? Er lächelte, weil er diese Frage ja noch nicht mal für sich beantwortet hatte, also erst mal zusehen sollte, sein eigenständiges Leben zu beginnen.
"Der Kopf zeigt sich um zwei Uhr zwanzig!" rief die Heilerin der flotte-Schreibe-Feder von Julius zu. Millie nahm Julius Hand und führte sie, ohne Madame Rossignols Erlaubnis zu erbitten, in ihren unter großen Schmerzen geöffneten Leib. Er berührte etwas rundes, warmes, feuchtes, aber auch schon haariges. Er erinnerte sich daran, wie es bei Cythera Dornier war. So ähnlich hatte sie sich auch angefühlt. Doch es war sein Fleisch und Blut, das er gerade berührte. Jetzt mußte er es endgültig anerkennen, daß dort, aus den Tiefen von Millies Unterleib, sein erstes Kind ans Licht drängte. Madame Rossignol machte um die eigenmächtige Handreichung Millies kein Aufhebens. Sie bat nur darum, daß auch die ihr beistehenden Pflegehelferkolleginnen das ertasten konnten.
Julius keuchte. Die ihn überschwemmenden Gefühle und Erinnerungen strengten ihn genauso an wie ein Marathonlauf. Es würde ihn nicht wundern, wenn er wie Joe Brickston bei Claudines Geburt umfallen würde. Nein! Er hatte es zweimal gesehen und würde jetzt, wo es ihn unmittelbar anging, nicht aus den Schuhen fallen. Was für ein Vater wollte er werden, wenn er beim Anblick seiner Tochter ohnmächtig würde?
"Ich kann mir nicht vorstellen, daß ich sowas mal aushalten soll", quängelte Aysha. der Pflegehelferin wurde nun klar, was sie mit ihrem Körper für eine mögliche Belastung erhalten hatte. Patrice indes bewunderte es, wie entschlossen Millie alles über sich ergehen ließ. Madame Rossignol strahlte Julius an, der mit ähnlicher Entschlossenheit, aber auch Ruhe alles miterlebte, obwohl er nicht mithelfen durfte.
"Das machst du wohl nur einmal im Leben, Millie", seufzte Carmen, als die Gebärende weitere Austreibungswehen überstanden hatte.
"Alles eine Frage der Übung", versetzte Millie trotzig. Das verblüffte Carmen so heftig, daß sie fast hinten übergefallen wäre. Dann mußte Millie wieder pressen, und Carmen konnte sich von Aysha ablösen lassen, die nun links von Millie saß und sie abstützte.
Julius fühlte es wie einen Sturz in einen Schacht, als er kurz nach drei Uhr nachts den großen, mit hellblondem Flaum bedeckten, durch die enge Passage gut eingedellten Kopf sehen konnte, der nun ganz aus Millies Körper freigekommen war. Wenn der Rest von Aurore nicht in den nächsten Minuten an die Luft gelangte, konnte sie womöglich ersticken. Die Angst davor, daß in den letzten entscheidenden Minuten noch etwas schiefgehen konnte, hätte ihn fast übermannt. Doch Millies wilde Entschlossenheit fing ihn wieder ein. Auch wenn es ihr weh tat, wenn sie immer wieder aufschrie, weil es eben unerträglich war, wollte sie das jetzt zu Ende bringen. Es war anders als bei Constance, die erst kurz vor der Geburt Frieden mit ihrer Tochter geschlossen hatte.
"Komm, Kleine Aurore! komm zu uns!" rief Millie ihrer Tochter zu. Sie wußte ja längst, daß die Erinnerungen an die eigene Geburt im Gedächtnis blieben, wenn sie auch tief und beinahe ungreifbar verschüttet wurden.
Endlich kamen die Schultern und die Oberarme mit dem Brustkorb frei. Madame Rossignol kniete sich sicher genug hin, um dem kleinen Mädchen über die letzten Zentimeter Wegstrecke zu helfen. Als die Arme vollständig freiwaren, ruderten diese kraftlos aber eindeutig Lebendig durch die Luft. "Und nochmal, Millie!" rief die Heilerin ihrer Patientin zu. Millie holte tief luft und legte alle Kraft auf ihren Unterleib. Gleichzeitig zog Madame Rossignol mit einer hand unter der Achselhöhle und mit der anderen den Kopf des Kindes stützend.
Es gab einen Ruck, und Beine und Füße kamen frei. Julius sah die gerade noch pulsierende Nabelschnur. Doch in Dem Moment, wo der kleine, rote Körper mit dem hellen Haarflaum unumkehrbar dem sicheren Uterus entwunden war, röchelte sie auch schon, hickste einmal und plärrte dann mit einem langgezogenen Schrei allen Unmut und Wiederwillen gegen alles plötzlich über sie hereingebrochene aus sich heraus. Das helle Licht der Lampen im Zimmer, daß sie Luft holen mußte, um nicht zu ersticken, daß es im Vergleich zur warmen Behausung ihres bisherigen Werdens fast zwanzig Grad kälter war, und das sich ihr Körper auf einmal so schwer anfühlte. Carmen schob schnell einen mit feuchten Tüchern bedeckten Schemel unter den Körper des Kindes, das nun kürzere, aber durchdringend laute Schreie ausstieß.
"Schnell abbinden!" kommandierte die Heilerin, während das Kind, daß jetzt alle auch ohne Hilfsmittel als kleines Mädchen erkennen konnten, immer noch nicht müde wurde, seine ersten Sorgen aus sich herauszuschreien, obwohl es noch mit dem Kreislauf seiner Mutter verbunden war. Aysha hockte käsebleich in einer Ecke, während Patrice die pulsierende Nabelschnur am Bauchnabel des Babys und Madame Rossignol so weit sie konnte an Millies Unterleib abband. Julius bekam die silberne Schere in die Hand gedrückt. Er durfte nun, wo alles vorbei war, den erhabenen Akt der Entbindung vollenden. Behutsam schnitt er dort, wo es richtig war die Schnur durch, die Mutter und Kind miteinander verbunden hatte. Millie überflutete ihn mit einem Sturm aus Euphorie und Stolz. Vielleicht war aber auch etwas davon in ihm selbst entstanden. Er wußte nicht, ob es eine Halluzination war oder Einbildung oder wirklich passierte. Doch als er die Verbindung zwischen Millie und Aurore gekappt hatte, hüpfte der rubinrote Herzanhänger zweimal kräftig auf seiner Brust, bevor er wieder ruhig aber warm pulsierend anlag.
"Vollendung der Geburt am zweiten Mai zweitausend um drei Uhr einunddreißig und fünfzehn Sekunden", diktierte Madame Rossignol der Flotte-Schreibe-Feder. Dann nahm sie die Neugeborene so, daß ihr Kopf nicht herunterhing, zu jener Waage, auf der bereits Cytheras Geburtsgewicht ermittelt worden war. Sie legte das nun eher quängelnde Menschenwesen in die Waagschale und maß bei der gelegenheit auch Körperlänge und Kopfumfang. "Neugeborenes Mädchen. Gewicht: viertausendachthundertneunzig Gramm. Körperlänge vierundfünfzig Zentimeter. Kopfumfang: siebenunddreißig komma sechs acht Zentimeter. Welchen Namen soll es erhalten?" Millie, die von der heftigen Strapaze noch sichtlich benommen war, holte tief Luft und rief aus: "Der Name des Kindes ist Aurore Béatrice Latierre! Schön, daß du endlich bei uns bist!" Die Kleine quängelte nur. Doch als Madame Rossignol das kleine Mädchen in die Arme seiner Mutter legte beruhigte es sich wieder. Julius sang leise "Ecce dies vitam novam!" Millie und die Heilerin mußten grinsen. Millie erkannte die Melodie. Es war jetzt genau zwei Jahre her, wo sie diese Melodie gehört hatte.
"Ob Madame Faucon jetzt schon weiß, daß Aurore angekommen ist?" Fragte Millie, nachdem sie ihre kleine Tochter ein wenig getröstet hatte. Das Quängeln hatte aufgehört. Das kleine Mädchen schmiegte sich an die linke Brust seiner Mutter. Womöglich würde es in den nächsten Minuten die ersten Saugversuche machen.
"In dem Moment, wo der Name einer neugeborenen Hexe laut verkündet wird, erfolgt die Registrierung", wußte die Heilerin von Beauxbatons. Die Prophezeiung, die Millie vor zwei Jahren gemacht hatte, war jetzt erfüllt. "Das Dings", was im Büro der Schulleiterin unter dem Schreibtisch verborgen war, hatte gerade die Geburt einer neuen Hexe und die Namen der Eltern ausgespuckt.
Julius sah zum Bild Serena Delourdes hin. Außer der ordentlichen Bewohnerin des Bildes saß niemand mehr auf dem Sofa. Serena lächelte aus dem Rahmen ihres Bildes herunter. Dann winkte sie und trat aus dem Bild, wohl um anderswo zu vermelden, daß ein neuer Mensch zur Welt gekommen war.
Es klopfte an die Sprechzimmertür. Madame Rossignol sprang auf und lief hinüber. Julius sah nur das Gespann aus Mutter und Kind, die beide, nun ganz nackt, neben ihm vereint waren. Aurore hatte herausbekommen, wo sie ihre Nahrung herbekommen konnte. Millie entspannte sich. Er fühlte es selbst, wie viele Steine ihm vom Herzen fielen. Zwar mußte Millie den nicht mehr benötigten Mutterkuchen loswerden. Doch das konnte in den nächsten Minuten schon passieren.
"Ihr beide könnt euch die Kleine nach dem Mittagessen ansehen. Im Moment muß ich hier Keimfreiheit aufrechterhalten, bis das Mädchen seine erste Milch getrunken hat", sagte die Heilerin zu jemandem vor der Sprechzimmertür.
"wollte die echt sehen, was sie noch vor sich hat?" fragte Millie, während Aurore herausbekam, wie sie ihren Hunger stillen konnte.
"Wahrscheinlich. Aber sie hat es bei Constance ja einmal kurz sehen können."
"Die Größe ist heftig. Ich war nur neunundvierzig Zentimeter lang, als ich geboren wurde", sagte Patrice. Carmen wandte ein, daß sie nur siebenundvierzig Zentimeter lang gewesen sei. Aysha kannte ihre Geburtsmaße nicht. Ihre Mutter hatte damals keinen Wert auf so genaue Zahlen gelegt. Hauptsache, sie war lebend auf die Welt gekommen.
"Ui, ich glaube, da ist noch was, was raus will", sagte Millie und fühlte wohl einen kurzen Krampf. Madame Rossignol kam sofort und half ihr, die Placenta aus dem Leib zu bekommen. Es blutete noch nach. Doch Madame Rossignol konnte das mit saugstarken Reinigungstupfern und Keimfreilösung beheben.
"So, den Rest schaffen Millie, Julius und ich alleine", sagte die Heilerin, nachdem jeder die Nachgeburt einmal zu sehen bekommen hatte, da dies für Heilmagier auch dazugehörte. "Ihr drei geht bitte nach nebenan in den Schlafsaal, Patrice, Aysha und Carmen.
"Und Julius?" fragte Patrice.
"Der darf in sein angewiesenes Schlafzimmer hinüber. Millie bleibt hier und wird gleich von mir ins Wochenbett gelegt", erwiderte die Heilerin. Julius nickte seiner Frau und der kleinen Aurore zu. "Ich habe im Moment leider nichts, um es dir zu geben, damit ich dir zeigen kann, wie dankbar ich bin, daß du das überstanden und dieses kleine Wunder hinbekommen hast", sagte Julius. Er fühlte Tränen in die Augen steigen. Aller Gefühlswirrwarr der letzten Stunden forderte jetzt seinen Tribut. Er merkte, wie er weinte. Dabei fiel eine Träne auf Aurores Körper, und eine andere landete in Millies noch immer weit offenem Leib. Erst jetzt merkte Julius, daß es womöglich nicht so ganz in Ordnung war, wenn er weinte, wo er eigentlich die kleinere Arbeit mit der Entstehung dieses Kindes gehabt hatte.
"Du hast mir schon was gegeben, Monju", schnurrte Millie, während Aurore unbeeindruckt weiternuckelte. "Du hast mir einen wichtigen Teil von dir gegeben und mir geholfen, daraus ein eigenes Kind werden zu lassen. Das ist wichtiger als alles andere."
"Ja, aber du hast dich total verausgabt", wandte Julius ein.
"Sieh zu, daß du in dein Zimmer rüberkommst", knurrte Millie nun. "Du bist genauso geschafft wie ich. Aurore und ich packen das schon."
"Gut, Mamille. Ich komm dann nachher wieder."
"Ja, aber nicht vor elf Uhr morgens, Julius", bestand die Heilerin darauf, daß alle, die bis jetzt durchgehalten hatten, auch genug Schlaf bekamen. Dann fiel ihr noch was ein. "Kannst du das Herz jetzt abnehmen?" fragte sie leise. Julius stutzte. Dann griff er an die Kette und zog daran. Es gab keinen Widerstand. Auch Aurore reagierte nicht auf die Bewegung des Schmuckstückes. Er zog die Kette über den Kopf. Das Pulsieren des Anhängers hörte auf. Auf einmal war er mit seinen Gefühlen wieder alleine. Die Stimmung, etwas großartiges hinbekommen zu haben, wich ein wenig der Besorgnis, daß er jetzt alles was er tat, daran messen mußte, wie es sich auf seine Familie auswirkte. Er legte das rote Herz kurz auf den Tisch, auf dem das Protokoll geschrieben worden war. Der Anhänger war hart wie Stein. Doch Julius fühlte keine Angst, jetzt völlig allein zu sein oder gleich zu sterben. Es hatte tatsächlich funktioniert. Durch die Vollendung der Geburt war das mit Millie zu einem gemeinsamen Blutkreislauf vereinigte Stück seines Lebens freigekommen und hatte die Verbindung wieder auf das normale zurückgeführt.
"Am besten läßt du den Anhänger bei mir, bis du geschlafen hast", sagte Madame Rossignol. Julius stimmte zu. Dann verabschiedete er sich mit einem Gutenachtgruß von seiner Frau und seiner Tochter. Heute nacht würde er zum ersten Mal seid vielen Wochen wieder alleine in einem Bett schlafen. Doch ab heute war sowieso alles anders. Eine neue Welt war entstanden. Eine neue Morgenröte hatte sein Leben erreicht. Wie würde es sein, wenn Aurore ein Jahr alt wurde. Würde er mehr Freude oder doch mehr Streit mit ihr kriegen? Er wollte das besser nicht genauer durchdenken. Er verließ den Krankenflügel und suchte das Ehegattenschlafzimmer auf. er schaffte es noch, sich bettfertig umzuziehen und die Fenstervorhänge so gut zuzuziehen, daß kein störendes Licht ihn zu früh weckte. Dann fiel er in das für ihn alleine viel zu breite Bett. Dort merkte er endlich, daß er einen langen, anstrengenden, aber auch außergewöhnlichen Tag hinter sich gebracht hatte. Er zog den Bettvorhang zu und überließ sich dem Schlafbedürfnis.
In seinenTräumen durchlebte er seine eigene Geburt und die seiner Frau, die er in das Denkarium ausgelagert hatte. Er träumte von Constances Kind, wie es bereits zwei Jahre alt war und sah sich noch einmal in einer Zukunft, wo Aurore nach Beauxbatons ging und Catherine Brickston dort als Lehrerin arbeitete. Der intensivste Traum allerdings spielte in der Gegenwart.
Er stand hinter dem winzigen, weißhaarigen Professor Flitwick, der rothaarigen Professor Barley, der kugelrunden, grauhaarigen Professor Sprout und dem beleibten Professor Slughorn. Neben sich sah er die Astronomielehrerin Professor Sinistra und den Muggelkundelehrer Professor Fielding. Hunderte von Jungen und Mädchen in bunten Festumhängen und dazu passenden Spitzhüten auf den Köpfen standen nach Hauszugehörigkeit und Klassenstufe geordnet auf den Treppenstufen vor dem Portal. Dahinter ragte über drei Meter groß der in einem Umhang aus Maulwurfsfell gehüllte Halbriese Rubeus Hagrid auf, der nach dem Ende der Todesserherrschaft wieder als Wildhüter und Lehrer für die Pflege magischer Geschöpfe arbeitete. Der Koloss grinste von einem Ohr zum anderen. Doch irgendwer fehlte. Als Julius sich umsah merkte er, daß es Professor Craft sein mußte, die fehlte. Vorne sah er eine hufeisenförmige Tribüne, auf der hunderte von Erwachsenen saßen, die ebenfalls festlich gekleidet waren. Er erkannte darunter die Weasleys, die Porters und auch Sophia Whitesand mit ihrer Familie, zu der auch die Geschwister Mike und Melissa gehörten. Von vorne erklang laut schmetternd eine vierstimmige Fanfare und forderte seine ganze Aufmerksamkeit.
Da stand es, das gewaltige Rechteck aus dunkelblauen Samtvorhängen über einem in der gerade einsetzenden Morgenröte glühenden Metallgerüst. Ihm fiel ein, daß das Monument nicht nur fünf mal drei Meter, sondern zehn mal sechs Meter maß. Die Fotos im Tagespropheten waren aus dem doppelten Abstand gemacht worden, um die betreffenden Verantwortlichen besser im Vordergrund zu zeigen.
"Gleich, Ladies and Gentlemen, wird die Sonne aufgehen. Gleich wird die große erinnerungsstätte eröffnet, die uns alle hier und jetzt, so wie alle, die einst geboren werden mögen, daran erinnert, daß der Kampf für die Freiheit, die Ruhe und die Friedfertigkeit nicht umsonst war, auch wenn er viel zu viel Blut gekostet hat", hörten sie alle die magisch verstärkte Stimme des amtierenden Zaubereiministers von Großbritannien und Irland, Kingsley Shacklebolt. Der Zaubereiminister trug einen bis zu den in smaragdgrünen Stiefeln hinabfallenden, königsblauen Umhang. Sein dunkler, haarloser Kopf glänzte, und von jedem Ohr baumelte ein großer Goldring herab. "Professor Flitwick, bitte gewähren Sie mir die Ehre, mit mir gemeinsam das Monument der Helden von Hogwarts zu enthüllen!"
"Dies tue ich mit allergrößtem Vergnügen", piepste der Hauslehrer von Ravenclaw und ging mit weit ausgreifenden Schritten zu dem ihn weit mehr als zwei Köpfe überragenden Zaubereiminister hinüber.
Beide hoben sie ihre Zauberstäbe an. Professor Sinistra hielt einen Spiegel in die Luft, der genau nach Osten wies. Sie peilte die Richtung an, aus der die allerersten Sonnenstrahlen über den Horizont tasten würden. Als die Spiegelfläche dann auf einmal golden aufblitzte bliesen die vier nicht sichtbaren Trompeter ein über fünf lange Töne klingendes Zeichen. Die Zauberstäbe Shacklebolts und Flitwicks wischten synchron wie die Blätter eines Autoscheibenwischers von links nach rechts. Bevor der letzte Ton der vier Trompeter verklang glitten die blauen Vorhänge zur Seite. Das mächtige Gerüst erzitterte und klappte sich dann von allein zu mehreren leicht transportablen Gestängen zusammen. Nun konnten alle sehen, was die Vorhänge bis dahin sorgsam verhüllt hatten.
Es war kein großer Gedenkstein oder eine mächtige Gedenktafel. Es war auch kein Sockel, auf dem derlei aufgesetzt war. Das neue Monument zum Gedenken an die Helden der Endschlacht gegen die Todesser bestand aus einem Wald aus einen Meter breiten, vier Meter hohen Säulen. im Schnittpunkt der Diagonalen des Rechtecks stand eine sechs Meter hohe Säule. Zwischen den Säulen verliefen Gänge, und an den Rändern der Rechteckkonstruktion führten glasartig durchsichtige Leitern zu ebenso durchsichtigen Stegen, auf denen man auf zwei Etagen zwischen den Säulen umhergehen konnte. Ein gewaltiger Spigel, zehnmal so groß wie der Handspiegel Professor Sinistras, ruhte auf der mittleren Säule an der westlichen Schmalseite des Säulenwaldes. Seine Fläche warf gerade das Licht der gerade über dem Horizont emporgleitenden Sonne auf die Zentralsäule, die dadurch in einem goldenen Lichtkranz zu stehen schien. Alle klatschten, auch Julius. Dabei merkte er, daß er schmalere Hände besaß. doch das erschien ihm im Moment nicht so wichtig. Wichtiger war, daß nun auf allen Säulen in heller Schrift Namen und eingemeißelte Gesichter zu erkennen waren. Alle, die an diesem geschichtsträchtigen zweiten Mai 1998 den Sturz Voldemorts und das Ende seiner Verbrecherherrschaft miterkämpft hatten, waren auf den Säulen verewigt, die lebenden und die Toten. Julius setzte sich mit den Lehrern in Bewegung, um das neue Denkmal auf dem Boden von Hogwarts aus der Nähe zu betrachten. Das er statt eines Umhangs ein weit wallendes kirschrotes Kleid trug erschien ihm auch nicht sonderlich wichtig. Offenbar hatten sie nichts anderes in seiner gerade angefutterten Körpergröße da.
"Jeder und jede, die hier zur Schule geht und noch gehen wird, kann nun bei der Durchquerung dieses Säulenwaldes nachlesen, wer für das Recht, daß er oder sie hier lernen, ja überhaupt frei leben darf, gestritten, gelitten und das Leben gegeben hat", verkündete der Zaubereiminister, während er mit Flitwick als erster an den östlichen Abschnitt des Säulenwaldes ging. Von irgendwo weiter hinten tönte ein Junge im Stimmbruch:
"Klar, setzt euch selbst ein Denkmal und guckt zu, wie unsere magische Welt von Muggelbrütigen zersetzt wird." Julius wirbelte herum. Auch Professor Slughorn wandte sich so rasch um, daß sein grüner Samtumhang wild zur seite flog.
"Na, Mr. Burke, dieses Monument steht auch für Slytherins Ruhm und Ehre da", blökte der walrossbärtige Zaubertranklehrer. Julius stieß aus: "Und derartige Reden wünsche ich auch nicht zu hören, Mr. Burke. Zwanzig Punkte Abzug für Slytherin!" Vielleicht war es die Aufregung oder weil das hier ein sehr bedeutsamer Moment war, aber daß Julius mit der Stimme von Professor Grace Craft rief und der gerade dummes Zeug tönende Bursche, ein Zweitklässler mit struppigem rostrotem Haar, sichtlich eingeschüchtert zusammenfuhr, gab ihm nicht zu denken.
"Wieso nur zwanzig?" blaffte ein anderer Junge, der dem Muggelkundelehrer Fielding so ähnelte, daß es nur dessen Sohn Tom sein konnte. Der hatte sich in den letzten zweieinhalb Jahren ordentlich in Richtung junger Mann entwickelt. Dann sah Julius noch den blondhaarigen Jungen Adrian Moonriver, der über Tom Fieldings Einwurf erfreut grinsen mußte.
"Keinen Zank, die Herrschaften", stieß Julius mit der Stimme von Professor Craft aus. "Zwanzig Punkte erscheinen mir für eine schlichtweg dumme Bemerkung hoch genug."
"Aber meine Herrschaften!" flötete professor Flitwick. Doch in seiner hohen Stimme lag unverkennbare Entschlossenheit. "Streiten wir uns nicht in diesem so erhabenen Augenblick!" Alle Lehrerinnen und Lehrer nickten ihm zu. Julius wandte sich wieder um und ging mit den anderen Erwachsenen zuerst in den Säulenwald hinein. Er blickte auf die von einer goldenen Aura aus gespiegeltem Sonnenlicht umkleidete Zentralsäule. Dort, so war er sich sicher, waren sicher die Namen von Harry Potter, Ronald Weasley und Hermine Granger verewigt, vielleicht auch die von im Kamf gefallener Hauselfen und Zentauren. Der goldene Widerschein wurde immer heller, flutete um die anderen Säulen herum, erfaßte Julius und schloß ihn wie in einen goldenen Nebel ein, der ihn sanft davontrug.
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Die Sonne ist weg. Ich laufe zum Zaun. Schnell bin ich über den drüber. Ich muß wissen, ob Millie ihr und Julius' erstes Junges kriegt, was sie Baby nennen. Julius hat gesagt, er weiß, daß es ein kleines Weibchen sein wird, was die Zweifußläufer Mädchen nennen. So lassen sich auch die jungen Weibchen nennen, die noch nicht ganz groß sind, aber schon die Stimmung fühlen können.
Ich renne mit eingezogenen Krallen um den großen Steinbau herum. Ah, da ist Dusty. Er sitzt auf einem Baum und lauscht wie ich. Ich renne zu dem Baum. Ganz schnell springe ich hoch und kletter hoch. Ich komme auf einen dicken Ast, der mich sehr leicht aushält, nicht zu nahe bei Dusty. Wenn der auch riecht, daß ich bald in der Stimmung bin will der wohl auch versuchen, mich zu nehmen.
"Millie schreit. Ihr Junges", höre ich Dusty schnurren. Ich lausche und höre Millie wirklich laut schreien. So hat auch das nachthaarweibchen Constance geschrien, als es ihr Junges Cythera aus dem Bauch rausgedrückt hat. Also wird Julius jetzt Vater. Er sagt, er will dann aber bei Millie bleiben. "Zweifußläufer brauchen lange für ein Junges", höre ich Dusty. Ich verstehe das auch nicht. Sicher tut das weh, wenn die Jungen raus wollen. Aber in der Zeit, wo Millie das eine Junge noch nicht aus sich rausgedrückt hat, habe ich schon mal fünf Junge aus mir rausgedrückt. Ist es deshalb für die Zweifußläufer so wichtig, wer mit wem die Stimmung auslebt, weil das mehr kraft kostet und mehr weh tut, dabei Junge zu machen?
Ich fühle über die Kraft, die zwischen Millie und Julius schwingt, daß ihr das weh tut. Aber sie freut sich auf ihr Junges. Sie will es jetzt kriegen. Julius kriegt mit, was sie fühlt und spürt das auch, daß sie das will. Ich höre Florence, die aufpaßt, daß die ganzen jungen Zweifußläufer hier sich nicht zu sehr krank machen oder weh tun. Sie sagt Millie das, was sie damals auch zu Constance gesagt hat, als die ihr Junges gekriegt hat.
"Das wird ein starkes Junges, wenn das schon so groß ist, daß sie für es alleine mehr Kraft braucht, um es zu kriegen", schnurre ich Dusty an. Der hält seine Nase in meine Richtung.
"Riechst nach Liebe. Will dich haben", schnarrt Dusty in Stimmung. Ich fauche ihn an, daß ich das noch nicht will. Ich zeige dem meine Krallen. Er weiß, daß er die nicht auf der Nase oder in den Augen haben will und bleibt da, wo er sitzt.
Wieder höre ich Millie Schmerzlaute machen. Aber sie weiß, daß ihr Junges gleich draußen ist. Ja, jetzt lachen alle. Florence ruft irgendwas von wegen "Vollendung der Geburt". So nennen die Zweifußläufer das, wenn ein Junges aus seiner Mutter ganz raus ist. Ja, da höre ich auch den lauten Schrei eines Zweifußjungen. Ja, es ist auch ein Weibchen. Millie sagt ihm seinen Namen, damit es weiß, auf was es hören soll: "Aurore Béatrice Latierre". Julius hat mir mal erzählt, daß Aurore oder Aurora der Name für eine im Himmel wohnende Zweifußläuferin aus einer ganz weit zurückliegenden Zeit gewesen war, die morgens den Himmel rot gemacht hat und der Sonne den Ausgang aus ihrem Aufstiegsloch gezeigt hat. Also heißt das neue Mädchen wie diese Morgenlichtmacherin. Doch das Morgenlicht kommt noch nicht. Es ist noch ganz dunkel draußen. Aber irgendwann demnächst wird es grau, dann rötlich-gelb. Dann kommt die Sonne. Ich weiß bis heute nicht, wo der lange Gang ist, durch den die Sonne läuft, um aus einem Loch zu klettern, das in der ganz anderen Richtung ist. Aber wo die beiden Löcher sind weiß ich ja auch nicht.
"Millies Junges ist da", merkt Dusty. Der hat ja doch ein bißchen Ahnung. "Machen wir jetzt auch Junge!" Schnurrt der mich an. Aber ich fauche den noch mal an, daß ich gerade keine richtige Stimmung habe und der mir bloß nicht zu nahe kommen soll. Ich bleibe auf der Hut. Dusty guckt mich mit seinen Augen an, die wie kleine Monde aussehen. Er schnüffelt.
Julius macht was, daß die Kraft zwischen ihmund Millie aufhört zu schwingen. Warum macht der das? War das mit dieser Kraft nur, damit sie ein starkes Junges von ihm kriegt? Oder macht er das, weil er ihr Ruhe lassen muß, damit sie das Junge kennenlernt und als ihr Junges annimmt? Das kann sein. Denn Silbernase, eine, die vor zehn Sonnen mal hier gewohnt hat, wollte einen Wurf nicht annehmen, weil die Jungen wohl beim rauskommen anders gerochen haben und sie die nicht als ihre erkannt hat. Dann kann es sein, daß Julius das kleine, leise schwingende Teil auf seiner Brust deshalb nicht mehr weiterschwingen läßt, damit Millie nicht von ihm durcheinanderkommt und das gerade erst aus ihr gedrückte Junge nicht als ihres annimmt. Das wäre ganz schlimm, wenn die beiden ihr Junges nicht großfüttern wollen. Denn seine Stimme sagt mir, daß es sehr kräftig ist.
Ich höre, daß das neue Weibchen Aurore wohl gerade an Millies Trinkknubbeln saugt. Die sind wohl deshalb so groß, weil deren Junge beim Rauskommen schon so groß sind, daß die ganz viel Milch brauchen, um satt zu werden. Julius freut sich über sein Junges. Er sagt seiner Gefährtin, daß sie das gut gemacht hat. Das hat mir noch keiner gesagt, der mir Junge in den Bauch gelegt hat. Ist wohl so, weil ich den dann nie bei mir haben wollte, wenn die Jungen aus mir rauskamen. Aber die Männchen wie Dusty und Fliegenpilz haben dann so komische Sachen im Kopf. Nachher wollen die die Jungen fressen, damit ich die nicht an meinen Trinkknubbeln saugen lassen muß. Weil dann komme ich ja schneller wieder in Stimmung.
"Das kleine weibchen hat Hunger", merkt dieser Aufspringer und Jungemacher Dusty. Ich gebe da keine Antwort drauf. Ich höre nur, daß Julius von Florence in seine Schlafhöhle geschickt wird. Sie sagt dem, er hat sich auch angestrengt. Aber das geht doch nicht. Der eine Klopfer, den ich gehört habe, war in Millies Bauch unten drin. Der hat das Junge doch nicht rausgedrückt. Oder mußte er mit seiner Kraft über die schwingende, singende Verbindungskraft helfen, daß Millie genug Kraft hatte? Die Zweifußläufer sind schon ganz seltsame Wesen.
Ich bleibe auf meinem Ast. Dusty könnte sonst meinen, mir nachzurennen und mich von hinten anzuspringen und runterzudrücken. Wenn ich noch nicht in der Stimmung bin kann der mir keine Jungen machen. Dann tut das nur weh. Die ersten Vögeln fangen mit ihren Rufen und Zwitscherlauten an. Sie rufen nach Weibchen oder machen den anderen klar, daß sie da wohnen, wo sie sind und keiner da hinfliegen darf. Ich warte noch. Ja, jetzt gehen die kleinen Lichter langsam aus, weil es immer heller wird. Gleich kommt die Sonne. Ich klettere den Baum runter. Dusty findet, daß er mir jetzt nachlaufen muß. Ich laufe ganz schnell. Ja, jetzt bin ich da, wo die Kraft singt, die das runde Ding um seinen Hals trifft und macht, daß er nicht weiterlaufen kann. Er maunzt ganz wütend, weil er jetzt nicht mehr an mich rankommt. Ich laufe auf den Zaun zu. Die Kraft singt schon schwach darin. Ich fühle es Prickeln und zwicken, als ich drüberklettere. Gleich kommt die Sonne aus ihrem Loch. Dann kann keiner und keine von uns mehr von den Schlafhöhlen weg. Geschafft! Ich laufe zu meiner Schlafhöhle hin und lege mich rein. Ich sehe noch, wie die Sonne erst ganz rot und dann immer gelber nach oben geht.
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Auch wenn Schwester Florence wollte, daß sie alle mindestens sechs Stunden durchschliefen, wurde Julius doch schon um neun Uhr wach. Im ersten Moment fühlte er sich total verwirrt, weil er dieses sanfte warme Pulsieren nicht mehr fühlte, daß ihn seit mehr als zwei Jahren die meiste Zeit begleitet hatte. Doch dann erinnerte er sich daran, den Herzanhänger abgelegt zu haben, um Millies erste Stunden als Mutter als ihre ganz eigenen Gefühle und Erinnerungen erleben zu lassen. Er lauschte. Doch er hörte nichts aus dem Krankenflügel. schlief Aurore noch? Saugte sie gerade ihre Morgenmilch? Oder hatte Millie einen Klangkerker errichtet, um die anderen nicht zu wecken, wenn Aurore das erste Morgenrot ihres Lebens erblickte und womöglich noch Angst davor hatte, weil sie bis gestern in einer dunklen, warmen Schlummerhöhle geruht hatte? Sollte er jetzt aufstehen und nach den beiden sehen?
Er wartete, bis er auf dem Gang vor dem Ehegattenschlafzimmer leise Schritte hörte. An den Schrittgeräuschen erkannte er Sandrine Dumas, die wohl gerade in das Badezimmer ging, daß sie sich mit ihrem Mann teilte. Julius blieb noch einige Minuten liegen, bevor er einsah, daß er zu wach war, um noch zwei Stunden schlafen zu können. Er stand auf und zog seinen Bademantel an. Dann fiel ihm ein, daß ja heute Sonntag war und daß außer Aurore noch jemand anderes Geburtstag hatte.
"Na, hast du gut geschlafen, Julius?" sprach ihn die Stimme Aurora Dawns von der Wand her an, wo ihr Portrait hing. Julius wandte sich um und sagte, daß er gut geschlafen und intensiv geträumt hatte. Daß er die Denkmalsenthüllung von Hogwarts als Sinnesuntermieter von Grace Craft erlebt hatte wollte er nicht sagen, zumal er nicht wußte, ob das nur eine reine Traumphantasie war oder doch eine Form erneut aus der Ferne miterlebter Wirklichkeit. Er fragte, ob seine Frau schon wach sei.
"Ich habe sie nach der Niederkunft nicht mehr aus dem Zimmer kommen sehen. Aber Madame Rossignol sagt, daß sie alles wohl ohne heftige Nachblutung überstanden hat. die haben einen Klangkerker im Wöchnerinnenzimmer aufgebaut. Weil da kein für andere Gemälde frei zugängliches Bild hängt kann ich nicht nachsehen."
"Okay, Aurora, dann sehe ich gleich mal nach, wie es deiner französischen Namensvetterin geht. Mal sehen, vielleicht hat mein Postschmetterling ja schon was für mich", sagte er noch und blickte auf den bunten Schmetterling, der über einer großen Blüte hing und Nektar saugte. Er fragte ihn: "Nachrichten für mich?" Da zog das gemalte Insekt den Rüssel aus der Blume und entließ mehrere Zeilen Text daraus:
Von: Hippolyte Latierre
An: Julius Latierre
Betrifft: Herzlichen Glückwunsch euch dreien!Hallo, Millie und Julius!
Da ja im Moment nur du, Julius, unsere schnelle Nachrichtenverbindung benutzen kannst, gib folgendes bitte an deine Frau weiter!
Wir gratulieren dir, Millie, recht herzlich zur überstandenen Niederkunft!
Wir sind sehr stolz auf dich, daß du diese heftige Anstrengung überstanden hast.
Wir freuen uns sehr, daß euer beider Tochter gesund auf die Welt gekommen ist.
Julius, wir bedanken uns erneut bei dir für das, was du mit unserer Tochter durchgestanden hast.
Wir sprechen dir unsere besten Wünsche dafür aus, deine neue Rolle als Familienvater in Würde und Freude zu erleben.
Millie, wir hoffen sehr, unser erstes Enkelkind bald sehen zu dürfen.
Auch wenn du jetzt selbst Mutter bist, werden wir nicht aufhören, deine dich liebenden Eltern zu sein.
Du und Julius dürft also gerne zu uns kommen, wenn ihr etwas braucht oder wissen möchtet.
Noch einmal unsere besten Wünsche für euch drei, Millie, Julius und Aurore Béatrice!
Julius ging hinüber ins Bad und machte sich tagesfertig. Im blaßblauen Sonntagsumhang, glattrasiert und ordentlich gekämmt, trat er in den Korridor zurück. Gerade kam Sandrine aus dem Badezimmer. Sie winkte ihm lächelnd zu.
"Wolltest du Millie und die Kleine sehen? Madame Rossignol hat uns nach dem Frühstück kurz durch die geschlossene Tür sehen lassen. Die beiden schliefen da aber noch. Aber das Baby ist ziemlich groß geraten."
"Liegt wohl an Millies und meinen Erbanlagen, Sandrine. Du brauchst also keine Angst zu haben, daß eure zwei auch so groß werden."
"Vielleicht solltest du erst mal frühstücken", meinte Sandrine. "Ich könnte jetzt auch wieder was essen."
"Nur wenn ich da schon rein darf, wenn Aysha, Carmen und Patrice schon wach sind", sagte Julius.
Er klopfte leise an die Tür zum Sprechzimmer. Madame Rossignol machte auf und legte ihre Finger an die Lippen. Julius ließ Sandrine zuerst hinein, weil beide zugleich für die Tür zu breit gebaut waren. Als die Tür wieder zu war errichtete die Heilerin einen Klangkerker und deutete auf den freigeräumten Tisch, auf dem mehrere Frühstücksgedecke bereitstanden.
"Hast du Gérard in den herrlichen Sonntagmorgen entlassen?" Fragte die Heilerin.
"Ja, das mußte sein, zumal er ja für Julius als Saalsprecherstellvertreter genug zu tun hat", grummelte Sandrine, während sie ungeniert nach den Baguettestücken und der Butter langte, um sich und ihren beiden Ungeborenen ein zweites Frühstück zu gönnen. Julius fragte, ob Millie noch schliefe.
"Aurore hat um acht Uhr ihre erste Windel vollgemacht. Millie hat sie dann noch einmal gestillt. Jetzt liegen beide nebeneinander. Ich denke aber, sie wird richtig wach werden, wenn es auf Mittag zugeht. Aus dem Bett lasse ich sie aber nur zu nötigen Verrichtungen."
"Die anderen schlafen noch?" fragte Sandrine.
"Ich habe zumindest nichts gehört, seitdem sie hinter der Tür verschwunden sind und ...", sagte die Heilerin, wurde aber durch ein lautes Klopfen jäh unterbrochen. Sie eilte an die Tür und öffnete sie.
Herein kam Professeur Fixus, die zwei schülerinnen am Kragen gepackt hereinschob. Die beiden Mädchen wirkten so, als habe jemand ihre Gesichter mit grünem und rotem Teig vollgekleistert. Bei einer hingen die Haare als laut knisternde Halme vom Kopf. Die Andere hatte blau-grün gestreifte Eselsohren. Wer da wer war, war auf den ersten Blick nicht zu erkennen.
"Diese beiden Damen, Mademoiselle Endora Bellart und Mademoiselle Sylvie Rocher, hatten offenbar zu viel Langeweile auf grund des gestern und heute stattfindenden freien Tages", stieß Professeur Fixus mit ihrer Windgeheulstimme aus. "Mademoiselle Celestine Rocher vermißte ihre Schwester und fand diese in einem magischen Handgemenge mit Mademoiselle Bellart am Südrand des grünen Forstes. Vier Bäume wurden dabei in ihrem natürlichen Dasein beeinträchtigt. Bitte stellen Sie die ursprüngliche körperlich-seelische Zustandsform dieser beiden mißfälligen Damen her und geben Sie dann an mich und Professeur Trifolio bescheid, wann wir die beiden zu dieser höchst unerfreulichen Angelegenheit vernehmen können! Danke!" Mit diesen Worten schob sie die beiden offenbar von mehreren Flüchen gezeichneten Schülerinnen in das behandlungszimmer hinein. Dann sah sie Julius und schaffte es, für einige Sekunden zu lächeln: "Achso, Monsieur Latierre, wenn Sie Gelegenheit erhalten, Ihre Frau und ihre Tochter besuchen zu dürfen, richten Sie Madame Latierre bitte meinen Glückwunsch zur überstandenen Niederkunft aus und teilen Sie ihr bitte mit, daß ich mit Mademoiselle Poissonier darüber eingekommen bin, daß diese bis zum Beginn der Prüfungen die Pflichten einer hauptamtlichen Saalsprecherin wahrnehmen wird. Ihre Gattin möchte sich von den Strapazen der Geburt so gut erholen, wie sie es in der Obhut unserer kompetenten Heilerin vermag."
"ich werde ihr Ihre Glückwünsche und die Mitteilung ausrichten, Professeur Fixus", erwiderte Julius.
Die Zaubertranklehrerin und Vorsteherin des roten Saales verließ den Krankenflügel wieder.
"Was habt ihr zwei denn gemacht!" wandte sich die Heilerin an die beiden Schülerinnen, die bis jetzt kein Wort gesagt hatten. Da, wo wohl der Mund der einen war, drangen blubbernde Laute hervor, wobei große, rosarote Blasen hervortraten, durch den Raum schwebten und an der nächsten Wand mit leisem Plopp zerplatzten. Sandrine schüttelte sich vor Ekel. Madame Rossignol sah schnell durch die kleine Fensterscheibe in der Tür zum kleineren Ruheraum, wo wegen hochansteckender Krankheiten isolierte Schüler oder eben Wöchnerinnen untergebracht wurden. Millies rotblondes Haar tauchte gerade am Fenster auf. Sie öffnete die Tür von innen.
"Ist gut, Millie, zurück ins Bett mit dir! Julius kann zu dir und der Kleinen rein. Sandrine am besten auch", bestimmte die Heilerin.
"Ich hörte was, daß Professeur Fixus Sylvie Rocher und Endora Bellart hier abgeliefert hat", sagte Millie und griff sich an den auch nach der Entbindung noch gerundeten Bauch. "Haau, ziept immer noch."
"Genau aus dem Grund hast du nur dann aufzustehen, wenn du dich von irgendwas erleichtern mußt, junge Dame. Husch, zurück ins Bett. Sandrine und Julius, ihr könnt mit zu ihr. Euer Frühstück könnt ihr mitnehmen." Julius sah, wie Sandrine ein Tablett mit seinem und ihrem Frühstücksgedeck aufsteigen ließ und vollkommen lotrecht und wackelfrei auf das Wöchnerinnenzimmer zugleiten ließ, in dem sie wohl in den nächsten anderthalb bis drei Wochen auch liegen würde. Julius folgte der künftigen Zwillingsmutter, während Madame Rossignol die beiden Schülerinnen aufforderte, schon einmal die Umhänge abzulegen.
"Uää, wie kann sowas ekliges gehen, was die sich da angehext haben?" fragte Sandrine mit angewidert klingender Stimme. Millie hatte die Verunstaltungen nicht überblickt, sondern nur die rosaroten Blasen, die aus dem Mund der einen Schülerin herausgequollen waren.
"Frag mal lieber, warum die das gemacht haben", sagte Millie mit schadenfrohem Grinsen, nachdem sie einen Klangkerker aufgebaut hatte und den Vorhang vor das kleine Sichtfenster gezogen hatte. Julius fragte sie, ob Aurore nicht davon erwachte, wenn sie so laut sprachen. Millie grinste und deutete auf die Wiege, die gleich neben dem Bett ohne Himmel stand.
"Die hat vorhin nochmal kräftig an Millies Milchbar getrunken, daß sie mir glatt dabei eingeschlafen ist", sagte Millie halblaut. Sandrine sah in die Wiege, die für dieses Baby offenbar gerade so eben noch ausreichte. Julius sah seine Tochter nun zum ersten Mal nach der Geburt. Ihre haut war zwar immer noch etwas gerötet, ging aber an den bei der Durchquerung des Geburtskanals weniger belasteten Stellen schon in einen helleren Farbton über. Sie war in ein rosarotes Leibchen gehüllt, das dem Bauchnabel genug Ruhe gab, um zu verheilen. Die Augen waren geschlossen. Julius sah, daß der Flaum auf dem großen Kopf seiner Tochter nicht hellblond war. Eine winzige Spur Rot schimmerte im Licht der Sonne mit durch. Sandrine deutete auf die kleine Stubsnase. Sie lächelte, sagte aber nichts. Millie klappte einen Baldachin aus weißem Tuch über die Wiege. "Die filtert den Krach von außen auf ein Zehntel runter. Außerdem hat Madame Rossignol ein sogenantes Kardiophon-Kissen untergelegt. Das hat sie noch kurz vor meinem rechtschaffenen Ausflug ins Land der Träume auf meinen Herzschlag abgestimmt. Das hat ihr ihre Kollegin Laporte aus der DK empfohlen."
"Klar, weil sie deinen Herzschlag ja schon gewohnt ist", erfaßte Julius den Grund für diese Maßnahme.
"Genau. Das geht aber nur los, wenn sie schlafen will."
"Wo sie so groß ist, habt ihr da keine Angst, daß sie nicht genug Luft holen kann?" fragte Sandrine.
"Wer so einen Zug am Leib hat wie die Kleine kann auch richtig tief Luft holen, Sandrine", erwiderte Millie darauf. "Aber sie hat in dem Neugeborenenröckchen eine Vorrichtung, die Madame Rossignol alarmiert, wenn sie länger als dreißig Sekunden keinen Atemzug mehr macht, auch aus der DK. Deine zwei kriegen diese Dienstleistung wohl auch." Sandrine nickte. Dann zog sie den auf Briefumschlagsgröße zusammenfaltbaren Umstandsruhesessel aus ihrem Umhang und entfaltete diesen. Als er stabil und einladend dastand ließ sich Sandrine erleichtert hineinsinken.
"Im Moment sehe ich nur eine Stubsnase, die weder du noch ich haben", sagte Julius. "Der Kopf muß sich wohl noch ausbeulen, bevor wir sagen können, wem sie ähnlicher sieht."
"Ich habe meine eigenen Kinderbilder mal durchgesehen. Ma hat mich auch mit einem Tag fotografieren lassen. Da sah ich genauso aus wie Aurore. Sie hat hellblaue Augen, Julius. kann sein, daß sie die behält, weil du die auch hast. Kann auch sein, daß die noch braun werden wie meine oder die von Oma Line. Kann aber auch sein, daß sie die jadegrünen Augen von Opa Roland geerbt hat. Ich bin mal gespannt.
"Wie oft legst du sie an?" Fragte Sandrine.
"Ich habe sie gerade dreimal trinken lassen, Sandrine. Frage mich das ruhig in drei Tagen noch mal", erwiderte Millie auf diese typische Mutterfrage. Julius rechnete kurz durch. Von der Geburt an gerechnet hatte Aurore also alle neunzig Minuten saugen dürfen oder wollen. Doch laut sagte er das nicht.
Millie fragte Sandrine, was die anderen gesagt hatten, wo es noch keine Geburtsanzeige gab.
"Meine Mädchen haben sich drüber unterhalten, ob die sich echt solange auf so einem Stuhl hinsetzen wollen und ob das nicht auch anders zu machen ist. Aber die meisten von denen gönnen es dir. Kann sein, daß heute Nachmittag welche von denen herkommen möchten, um die Kleine anzusehen."
"Wie im Babyaquarium im Krankenhaus", grummelte Julius. Er mußte darauf erklären, daß es in Krankenhäusern einen großen Schlafsaal für die Neugeborenen gab und durch ein Fenster alle Eltern, vor allem die jungen Väter, ihren Kindern von außen zusehen konnten. Er hatte seinen Vater wohl auch zuerst durch so eine Glasscheibe kennengelernt.
"Das läuft hier wohl nicht, Julius. Madame Rossignol wird nachher, wenn Aurore mal wach ist, mit meiner Kamera vier Fotos von ihr machen und eines davon wohl vergrößern, um damit die Neugierigen zu bedienen, die die Kleine unbedingt sehen wollen. Ich soll aber eine Besucherliste machen, wen außer Julius, dir, Sandrine und Gérard ich in diesem Zimmer sehen möchte, solange ich nicht hier weg darf."
"Und, ist die schon fertig?" Fragte Julius. Millie deutete auf den Beistelltisch, auf dem eine Silberkanne mit Früchtetee und eine große Tasse stand. Daneben lag eine mit Bindfaden zusammengebundene Pergamentrolle. Julius nahm die Rolle und zog sie auseinander. Er entdeckte stolze dreißig Namen auf der Liste, wobei jeder Besucher außerhalb der Familie von Mutter und Kind nur fünf Minuten zugeteilt bekam.
- Julius Latierre
- Martine Barbara Latierre
- Hippolyte Latierre
- Albericus Latierre
- Béatrice Latierre
- Ursuline Latierre
- Patricia Latierre
- Barbara Hippolyte Latierre (Aurores Ururgroßmutter)
- Barbara Flavia Latierre (Aurores Großtante)
- Calypso Latierre
- Penthesilea Latierre
- Martha Eauvive
- Camille Dusooleil
- Jeanne Dusoleil
- Sandrine Dumas
- Gérard Dumas
- Pina Watermelon
- Gloria Porter
- Betty Hollingsworth
- Jenna Hollingsworth
- Leonie Poissonier
- Belisama Lagrange
- Patrice Duisenberg
- Aysha Karim
- Carmen Deleste
- Céline Dornier
- Laurentine Hellersdorf
- Madame La directrice Blanche Faucon
- Professeur Boragine Fixus
- Professeur Phoebus Delamontagne
"Interessant, Caroline ist nicht auf der Liste", stellte Julius fest.
"Die muß jetzt nicht so tun, als wenn sie das so toll findet, daß da ein kleines Kind ist, wo die mich die ganze Schwangerschaft lang immer wieder dumm angequatscht hat, daß sie sich sowas nicht antäte, ich doch total daneben sei, mein letztes Schuljahr wegen eines Kindes zu versauen und noch so was, was ich von ihr direkt oder von anderen über sie mitbekommen habe, Julius. Aus dem gleichen Grund habe ich deinen früheren Schulkameraden Kevin Malone auch nicht auf die Liste gesetzt. Wer nur daran denkt, wie heftig du angeblich von uns allen daran gehindert wirst, dein eigenes Ding zu machen, muß sich das Kind, das du mit mir hingekriegt hast, nicht ansehen. Den interessiert an der kleinen doch eh nur, daß du, Julius, jetzt eine Runde ausgeben möchtest, damit der sich zusaufen kann. Aber ich denke, Patrice holt den in zwei Wochen auf den Besen. Dann kann er seine dummen Sprüche alle wieder runterschlucken, die er im ganzen Jahr und in den Ferien davor abgesondert hat, wenn sie ihn klar hat."
"Millie, du glaubst doch nicht echt, daß dieser Rohling sich von Patrice auf den Besen rufen läßt. Das wäre ja ein wandelnder Widerspruch", meinte Sandrine.
"Das ist die Macht der Liebe, Sandrine. Sie bringt die größten Widersprüche unter einen Hut", sinnierte Julius und deutete von sich auf Millie. Sandrine verzog das Gesicht, während Millie nur: "Neh, is' klar" grummelte. Doch dann mußte sie lachen.
"Psst, die Kleine wird sonst wach!" zischte Sandrine mit Blick auf die überdachte Wiege.
"Die hat schon lauteres Lachen von mir ausgehalten, Sandrine", grinste Millie. Julius horchte eher darauf, was nebenan passierte. Doch von da war nichts zu hören. Offenbar hhatte die Heilerin auch einen Klangkerker aufgebaut. So bekam keiner mit, was nebenan vorging. Julius kam noch einmal auf Kevins Bemerkungen zurück.
"Gut, du mußt ihn nicht nachträglich auf die Liste setzen. Aber vom Anstand her sollte er zumindest die Gelegenheit haben, sich für den ganzen Unsinn zu entschuldigen, zumal ich die Willkommensfeier für die Kleine sicher nicht heute abhalten werde, wo morgen wieder Unterricht ist. Wenn dann überhaupt nächsten Samstag. Und ob da nicht schon die Besenwerbung gelaufen ist weiß ich nicht."
"Du meinst, weil die ganzen Mädels wegen mir jetzt klarstellen wollen, daß die, die mit ihnen zusammenbleiben wollen, keinen Rückzieher mehr machen können?" fragte Millie. Julius nickte. "Was Kevin angeht, hatte der bisher genug Gelegenheiten, sich zu entschuldigen. Wenn er jetzt meint, er müßte das tun, um sich auf deine und damit auch auf meine Kosten eine ganze Bergwerkstruppe Zwerge in den Kopf reinsaufen zu müssen, kann ich das so nicht für ehrlich halten. Gib ihm und den anderen Jungs einen aus, aber versuch nicht, den zu irgendwas zu bringen, was mir als pure Heuchelei hochkommt und die Milch sauer werden läßt, Julius!" Julius überlegte, ob und wie er darauf antworten sollte. Dann beließ er es nur bei einem Nicken.
Nach einer kurzen Pause erwähnte er dann, daß Pina ja heute Geburtstag habe und er zusehen wolle, sie zumindest noch vor dem Mittagessen sprechen zu können.
"Da sie auf der Liste draufsteht kannst du sie gerne herbringen, Julius", sagte Millie und deutete auf das immer noch entrollte Pergament. Julius nickte und rollte die Liste wieder zusammen.
"Solange meine Hebamme die zwei Feuerlöwinnen noch behandeln muß kommst du hier wohl nicht raus, Julius."
"Mal sehen", sagte Julius und ging an die Tür. Er zog den Vorhang vom kleinen Sichtfenster weg. Da er eindeutig schon verheiratet und zudem Pflegehelfer war konnte er es riskieren, eine andere Hexe über fünf Jahren unbekleidet zu sehen. Tatsächlich aber hatte Madame Rossignol wohl auch von ihrer Seite einen Vorhang vor die Tür gezogen. So hätte er sie öffnen und damit beide Klankerker auslöschen müssen. Dafür Strafpunkte zu riskieren hatte er am Geburtstag seiner Tochter nicht vor.
"Aber schon interessant, daß Aurore ausgerechnet an dem Tag geboren wurde, an dem vor zwei Jahren die Schlacht von Hogwarts war", sagte Millie. Julius nickte heftig. Er erwähnte auch, daß sie ja deshalb heute ein Monument für die ganzen Mitkämpfer enthüllen wollten. Er verschwieg jedoch den Traum, den er diesbezüglich hatte. Außerdem hätte er dann auch gleich erwähnen müssen, daß er dabei im Körper Glorias noch lebender Großmutter zu Gast gewesen war. Das wollte er vor allem vor Sandrine nicht wirklich breittreten.
Millie langte beim Frühstück auch noch mal zu. Auch wenn sie jetzt nicht mehr direkt für zwei essen mußte, wollte sie doch zumindest genug Vitamine zu sich nehmen, um genug für sich und Aurore zu haben.
Nach dem Frühstück verfaßten Julius und Millie die Geburtsanzeige. Ähnlich wie damals bei Cythera schrieben sie hinein, daß jetzt, wo Aurore auf der Welt sei, sie sicher in drei oder vier Wochen auch die Räumlichkeiten von Beauxbatons sehen könne, durch die sie bisher getragen wurde. Sie trugen noch die genauen Geburtsdaten ein, die aus dem mitgeschriebenen Verlauf der Geburt abzulesen waren und kopierten die Anzeige zehnmal. Eine Ausgabe sollte in jedem Saal, eine im Speisesaal und eine an jeder wichtigen Abzweigung angebracht werden.
Eine halbe Stunde nachdem Sandrine und Julius Millies Wöchnerinnenzimmer betreten hatten ging die Tür wieder auf. Die Heilerin nickte allen zu. Millie saß auf mehreren Kissen gestützt in ihrem Bett. "So, ihr dürft jetzt wieder rauskommen. Die beiden wilden Hexen sind von den fünf und sechs Flüchen kuriert. Die können froh sein, daß sie sich nicht noch den Wabbelbeinfluch angehext haben. Dann hätte ich die als Deskelettierte Fälle gleich in die Intensivbetreuungseinheit der Delourdesklinik überweisen müssen. Ich kann mich nicht erinnern, daß zu meiner Schulmädchenzeit so wilde Duelle zwischen Schülerinnen stattgefunden haben." Julius wollte schon sagen, daß er ja auch mal mitbekommen hatte, wie sich Callisto Montpelier mit Waltraut Eschenwurz duelliert hatte. Doch das wußte die Heilerin ja auch noch.
"Wo sind die zwei jetzt?" fragte Julius.
"Ich habe sie in Erholungsschlaf versenkt, damit ihre Körper sich regenerieren können. Dazu konnte ich sie in den Schlafsaal hinüberbringen. Die anderen Mädchen sind jetzt auch wach und möchten gleich frühstücken."
"In Ordnung, Madame Rossignol. Dann möchte ich den dreien nur einen guten Morgen wünschen und dann raus, um die Geburtsanzeige im grünen Saal aufzuhängen", sagte Julius.
"Was, die habt ihr schon fertig?" staunte die Heilerin. "Gut, Zeit hattet ihr ja jetzt genug. Wo willst du sie noch aushängen?"
"Hmm, Millie und ich wollten sie wie damals die von Cythie Dornier in allen Sälen, dem Speisesaal und den wichtigsten Abzweigungen aushängen."
"Gut, dann gib mir die für die Säle von Aysha und Patrice mit! Ich rufe Belisama und Patricia für ihre Säle her und lasse Sandrine die für den Gelben Saal aushängen. Die drei anderen und die für den grünen Saal kannst du ja selbst aushängen, falls Carmen dir nicht eine davon abnehmen möchte!" legte die Heilerin die Marschroute fest.
So kam es, daß nachdem die drei Hilfshebammen Aysha, Carmen und Patrice gefrühstückt hatten, auch noch Belisama und Pattie dazukamen. Sie hängten die Geburtsanzeigen schnell in die Wohnsäle, die im Moment nur von wenigen Leuten bevölkert waren, die unbedingt noch anstehende Hausaufgaben fertigschreiben mußten.
Julius suchte Pina. Dazu ging er erst in die Bibliothek. Dort war sie aber nicht. Nur Brandon McMerdow saß zusammen mit Romilda Vane über Büchern. Er fragte sie, ob Pina wieder im Hogwarts-Zelt sei oder irgendwo sonst. Romilda sah auf und sagte:
"Pina ist mit den Hollingsworths, Kevin und Gloria wohl wieder ins Zelt gegangen. Elrick hat heute auf das Frühstück verzichtet. Der wollte nicht heute von allen drauf angequatscht werden, daß viele Slytherins heute doch traurig zu sein haben, weil ja Jahrestag ist und in der Heimat gerade ein großes Fest gefeiert wird, wo den Helden von Hogwarts gedacht wird. Elricks Onkel war ja bei den Todessern und ist von einem aus dem Phönixorden im Kampf getötet worden."
"Solange der nicht meint, die selbe Dummheit wie Brutus Pane machen zu müssen kann er fröhlich oder traurig sein wie er will", erwiderte Julius. Also im Zelt war Pina. Falls er dort nicht hineindurfte würde er sie erst Mittags zu sehen krigen. Da fiel Rommy was ein:
"Hämm, ist euer Baby jetzt schon da oder kommt es noch?" Julius erwiderte leise aber stolz, daß seine Tochter um Drei Uhr einunddreißig und fünfzehn Sekunden vollständig auf die Welt gekommen sei.
"Joh, 'ne Babypinkelparty", tönte Brandon.
"Die kleine konnte auch schon ohne mich pullern", erwiderte Julius so leise er konnte. "Und am Sonntag schmeiße ich bestimmt keine Runde, wenn ich als Pflegehelfer drauf aufpassen muß, daß ihr morgen alle fit für den Unterricht seid, ich eingeschlossen."
"Immerhin ist die Kleine jetzt draußen", meinte Romilda. Brandon meinte zu Julius, er sei wohl ein Geizkragen.
"Wenn ich deinen Namen hätte womöglich, Mr. McMerdow", konterte Julius. Romilda mußte darüber lachen.
"Klar, Julius. wäre jetzt auch seltsam gewesen, wenn du als Urengländer das nicht angebracht hättest", grummelte Brandon. Julius nickte darüber nur.
"Grüß Pina. Wir Mädels haben ihr heute morgen schon gratuliert", gab ihm Romilda Vane mit. Er nickte und verließ die Bibliothek.
Unterwegs zum Zelt dachte er daran, daß er garantiert nicht Aurores Startgeld für's leben auf den Kopf hauen würde, um hunderte von trinklustigen Jungzauberern zu Kopfschmerzen zu verhelfen. Mit einigen würde er wohl feiern, womöglich auch mit denen aus dem grünen Saal, weil sie es ja lange mit ihm ausgehalten hatten. Aber bei anderen wußte er echt nicht, ob die den Korken wert waren, der in der Weinflasche steckte. Dann sah er das fliegende Zirkuszelt vor sich auf seinen achtzehn Landestützen ruhen. Er sah auch, daß um die Fahnenstange auf der Kuppel so wie um jedes lange Landebein eine goldene Schleife gewickelt war. Es war das erste Mal, daß er dem Flugzelt der Hogwarts-Gruppe näher als zehn Meter kam. Jetzt erreichte er die Treppe und setzte den rechten Fuß auf die unterste Stufe. Er wartete. Er kannte Meldezauber, die bei Annäherung oder Berührung anschlugen. Doch er hörte nichts. Er prüfte sein Pflegehelferarmband. Manchmal reagierte es auf Zauber, ob gut- oder bösartig. Doch es zeigte keine Reaktion. Er stieg nun die Treppe hinauf, vorsichtig, jederzeit darauf gefaßt, als Unbefugter wieder hinuntergestoßen zu werden. Doch als er vor der schwarzen Zugangstür stand war nichts passiert. In der Ferne hörte er das typische Revierbrülleln von Thestralen. Sie waren in der Nähe der Abraxas-Pferde auf einer Koppel, um nicht mit den im grünen Forst lebenden Thestralen durcheinanderzugeraten. Jetzt stand er vor der Tür und überlegte, ob er klopfen, rufen oder an einem noch nicht erkennbaren Glockenseil ziehen sollte. Da ging die Tür von alleine auf, und Professor McGonagall im smaragdgrünen Umhang erschien.
"Schönen guten Morgen, Professor McGonagall!" grüßte Julius höflich. "Ich wollte lediglich anfragen, ob ich Ms. Pina Watermelon zum Geburtstag gratulieren darf", brachte er dann noch den Grund seines Hierseins vor.
"Ms. Watermelon hält sich wohl in ihrem Zimmer auf. Möchten Sie warten, bis ich Sie informiert habe oder möchten Sie hereinkommen und im Aufenthaltsraum warten?" Julius überlegte, ob er dieses Angebot annehmen durfte. Wenn er die Erlaubnis bekam, durfte er sicher. So brachte er den bei Marineangehörigen und den Besatzungen des Star-Trek-Universums üblichen Antrag an:
"Bitte um Erlaubnis, an Bord kommen zu dürfen! Die Schulleiterin von Hogwarts sah erst perplex zu Julius hoch. Dann klickte es wohl in ihrem Kopf und sie nickte.
"Erlaubnis erteilt!" sprach sie die vorschriftsmäßige Genehmigungsformel. Sie machte ihm Platz. Da er im Moment sehr füllig war mußte er aufpassen, nicht an der Tür anzuecken. Er würde auf jeden fall noch nach dem Mittagessen einige Runden Ausdauertraining machen.
"Ich mußte erst überlegen, warum Sie so gefragt haben, Monsieur Latierre", sagte die Schulleiterin von Hogwarts nun auf Englisch, weil sie ja nun sozusagen auf exterritorialem Gebiet waren.
Julius betrat eine weite Halle, die von weißen Zeltbahnen eingefaßt wurde. Mit großem Erstaunen sah er in der Mitte der Halle vier kleine Stundengläser, die ihn sehr stark und garantiert nicht zufällig an die vier großen Stundengläser in der Eingangshalle von Hogwarts erinnerten. Da war eines mit Smaragden, eines mit Saphiren, eines mit Rubinen und eines mit Bernsteinen. Er sah, daß die unteren Kolben der Stundengläser mit den Rubinen, Smaragden und Saphiren schon sehr gut gefüllt waren. Also konnte die Schulleiterin die Punkte für die Häuser auch hier zuteilen oder gar ablesen, was in Hogwarts gerade der Stand war. Die Schulleiterin bemerkte sehr wohl, daß Julius die Punktegläser aufgefallen waren. So sagte sie:
"Vor vierhundert Jahren wurden die transportablen Punktevergleichsgläser im Maßstab eins zu acht für die Mitnahme zu trimagischen Reisen hergestellt und auf die Originale in Hogwarts abgestimmt. Daher kann ich die aktuellen Punktestände in Hogwarts hier ebenso ablesen, wie ich aus den Bonus- und Strafpunkten umrechenbare Punkte für die vier Häuser vergeben kann, ohne mir dauernd Notizen zu machen, welches Haus wegen wem Punkte zu- oder aberkannt bekommt. Soweit ich weiß führte Madame Maxime die Wertungsbücher der von ihr ausgewählten Teilnehmer mit, in die sie die aus unserem Punktesystem umgerechneten Bonus- und Strafpunkte eintragen konnte. Aber bitte, dort in den allgemeinen Aufenthaltsraum!"
Julius folgte der Schulleiterin durch eine Klappe in einer der Wände und stand in einem kleinen, aber für bis zu dreißig Personen nutzbarem Raum mit Tischen, Stühlen, einer Sitzgruppe aus zwei Sofas und drei Sesseln um einen ovalen Couchtisch und mehreren Regalen, in denen Bücher, sowie Brett- und Kartenspiele aufbewahrt wurden. Auf einem der Tische sah er eine angefangene und noch nicht zu Ende gespielte Schachpartie. Die Schachmenschen lagen auf den gerade besetzten Feldern und schnarchten. "Bitte warten Sie hier! Ich gebe Ms. Watermelon bescheid", sagte Professor McGonagall leise aber unüberhörbar entschieden. Dann schlüpfte sie durch eine andere Klappe in einer Wand und stieg wohl Stufen hinauf. Julius blickte durch die Bullaugen zwischen den Regalen. Sie wiesen auf den Fluß, wo die Asgardschwäne der Greifennest-Abordnung gerade ein Wettschwimmen veranstalteten, falls es kein Paarungsvorspiel war. Das wäre es noch, dachte Julius. Nachher mußten die noch hierbleiben, weil sie kurz vor der Eiablage standen.
Er hörte ein leises Klopfen über sich und dann die Stimme der Schulleiterin: "Ms. Watermelon, Monsieur Latierre möchte Ihnen seine Aufwartung machen. Er wartet im Aufenthaltsraum."
"Bin gleich unten", erklang Pinas Stimme. Sie klang höchst erfreut. Julius nahm seine Schultasche und machte sich bereit, die darin verstauten Geschenke für Pina hervorzuholen. Da klapperten Schritte eine Treppe hinunter. Erst tauchte Professor McGonagall wieder auf, die ihm zunickte. Dann hüpfte Pina durch die Zeltklappe. Sie trug die etwas feinere Sonntagsausgabe eines Hogwarts-Umhangs und strahlte Julius an. Sie flog förmlich auf ihn zu, so daß er gerade noch die Arme ausbreiten konnte, um sie landestypisch und freundschaftlich zu umarmen. "Alles gute zum Geburtstag, Pina", hauchte er ihr zu. Sie drückte sich so fest an ihn, daß die Hogwarts-Schulleiterin sich sehr energisch räusperte. Julius küßte Pina kurz auf jede Wange. Dann öffnete er seine Arme wieder.
"Ist die Kleine jetzt da? Die Mädchen bei euch sind ja ganz nervös, weil keiner was gesagt hat. Louis ist zum Frühstück aufgetaucht und hat erzählt, er hätte Schlafsaalarrest abbekommen, weil er da nicht zugucken konnte."
"Die kleine kam heute morgen nach einer mehr als neunstündigen Reise um halb vier zu uns, Pina. Die hat also mit dir zusammen Geburtstag", sagte Julius, jetzt auch die englische Sprache benutzend. Dann hörte er weiteres Schrittgeklapper auf Treppen. "Könnten die Hollingsworths, Gloria und Lea sein", sagte Pina. "Ich feiere aber erst heute Nachmittag draußen vor dem Zelt, nur mit unseren Leuten hier", sagte Pina. Julius nickte. Irgendwo mußte ja eine Grenze gezogen werden. Deshalb nahm er die Geschenke aus seiner Schultasche. "Dann möchte ich dir das hier von meiner nun überglücklichen Frau und von mir überreichen", verkündete er und übergab die von Millie sorgfältig verpackten Geburtstagsgaben.
"Darf man die Kleine mal sehen. Geht da was?" fragte Pina. Julius erwähnte die Besucherliste und daß sie, die Zwillinge und Gloria auch da draufstünden. In dem Moment ging die Klappe in Richtung Treppe auf und Lea, Gloria und die beiden Hollingsworth-Schwestern drängten sich leise aber eilig in den Aufenthaltsraum. Anstandshexe McGonagall gewährte den Eintritt.
"Hallo Julius. Ist der Sieg über deine Feinde nun vollendet?" Fragte Lea Drake direkt heraus. Julius mußte erst überlegen. Dann grinste er von einem Ohr zum anderen.
"Alle, die mich nicht auf dieser Welt haben wollten, haben in dieser Nacht eine weitere Niederlage hinnehmen müssen, Lea. Seit heute Morgen gibt es eine Latierre mehr auf dieser Welt."
"Also doch", erwiderte Gloria verhalten lächelnd. "Eure Mädchen am grünen Tisch und die vom roten haben sich ja regelrecht die Mäuler drüber zerrissen, ob euer Kind schon da ist oder sich nicht an die Luft wagt, weil es ja so vieles aufgeben muß."
"Da gratulieren wir doch auch sehr herzlich", sagte Betty Hollingsworth und umarmte Julius. Pina begutachtete gerade die Geschenke. "Die mach ich erst heute Nachmittag auf, Julius. Ist dir das recht?"
"Das kannst du gerne machen, Pina. Ich bin nur froh, sie dir noch rechtzeitig überreichen zu können", erwiderte Julius.
"Falls Sie dies möchten, Ms. Watermelon, dürfen Sie Monsieur Latierre gerne zu Ihrer Geburtstagsfeier einladen, zumal er ja auch mal zwei Jahre bei uns in Hogwarts zugebracht hat. Ich genehmige das", sagte Professor McGonagall freundlich.
"Danke, Professor McGonagall! Julius, möchtest du auch kommen. Millie wird ja wohl heute noch ausschlafen wollen, wenn das über neun Stunden gedauert hat. Und das hat ihr garantiert heftig weh getan."
"Es ist noch Zeit bis zum Mittagessen. Madame Rossignol hat im Moment wohl keine Patienten. Falls ich darf, kann ich dich gerne zu ihr hinbringen", sagte Julius. Dann fiel ihm ein, daß er noch auf die Einladung zu antworten hatte. "Achso, sehr gerne nehme ich deine Einladung an, Pina." Sie strahlte ihn an. Dann sah sie Professor McGonagall an und fragte sie, ob sie in den Palast von Beauxbatons dürfe.
"Soweit ich weiß ist die Bewegungsfreiheit für Sie und alle anderen Turniergäste aus Hogwarts nicht aufgehoben worden, Ms. Watermelon. Sofern die für Madame Latierre zuständige Heilerin genehmigt, ihrer Patientin Ihre Aufwartung machen zu dürfen, müssen Sie mich nicht um Erlaubnis bitten, während der hier geltenden Ausgangszeiten das Reisezelt zu verlassen."
"Ich muß nur noch einmal kurz aufs Zimmer", sagte Pina und nahm die überreichten Geschenke schon mit.
"Die hat's aber eilig, sich ein neugeborenes Baby anzusehen", grummelte Lea, die ahnte, daß sie wohl nicht zu denen gehören würde, die es sich vorher schon einmal ansehen durften. gloria nickte ihr verhalten zu. Die Zwillinge wußten offenbar nicht, was sie sagen oder wie sie gucken sollten. Da kam Pina auch schon wieder. Sie trug ein großes Paket unter dem Arm.
"Da ich nicht wußte, ob ihr einen Jungen oder ein Mädchen kriegen werdet haben Mum, Mel, Prue und Mike mit mir zusammengeschmissen und für beide was angeschafft. Können wir?"
"Ich muß erst mal raus und fragen, ob wir hindürfen, Pina", erwiderte Julius erheitert, als hätte Pina noch nie ein Baby gesehen. Dabei hatte sie erzählt, daß sie bei der Geburt eines Jungen im geheimen Versteck zugesehen hatte. Aber mit dem anderen Kind verband sie ja nichts, mit Aurore Béatrice verband sie, daß sie die Tochter von Julius Latierre geboren als Julius Andrews war.
Durch die verkleinerte Ausgabe der Hogwarts-Eingangshalle ging es wieder hinaus über die Treppe und über die Wiese. Erst hier rief Julius Madame Rossignol über das Armband. Diese sah auch Pina und sagte, daß Millie im Moment zeit habe. So benutzten die beiden den üblichen Weg über die allen erlaubten Zugänge zum Krankenflügel, da das Wandschlüpfen mit Nicht-Pflegehelfern nur in Ausnahmefällen erlaubt wurde, und der Besuch bei einer jungen Mutter und ihrem Kind war keine solche Ausnahme.
Pina bedankte sich bei Madame Rossignol für die Erlaubnis. Die Heilerin fragte, was in den Paketen sei, da sie sicherstellen müsse, daß keine Dinge in das Mutter-Kind-Zimmer gelangen durften, die für die beiden problematisch sein mochten. Pina flüsterte es ihr leise zu, weil sie nicht wollte, daß Millie das vor dem Auspacken mitbekam. "Gut, du kannst damit in das Zimmer. Die Kleine schläft noch. Aber sie könnte demnächst wieder etwas benötigen", wisperte die Heilerin. Dann führte sie den jungen Kindesvater und seine ehemalige Schulkameradin in das kleine Nebenzimmer.
"Ah, Pina. Das ging aber schnell. Ich habe schon befürchtet, ich müßte dir nachträglich zum Geburtstag gratulieren", begrüßte Millie ihre wohl frühere, heimliche Konkurrentin. Pina strahlte und sah auf die Wiege. Madame Rossignol reichte ihr und Julius eine kleine schüssel mit Keimfreilösung und Handtücher. Dann schob sie jedem einen Stuhl sitzgerecht hin.
"Julius hat mir schon eure Geschenke gegeben. Macht's dir was aus, wenn er heute Nachmittag mit mir, Gloria, den Zwillingen und Kevin feiert?"
"Ich wäre wohl seltenfies, wenn ich "nein" sagen würde", grinste Millie. Pina starrte die junge Mutter an. Offenbar ging es ihr jetzt, wo Millie im Nachthemd vor ihr im Bett saß auf, welche körperlichen Veränderungen die Mutterschaft bedeutete. Doch dann erinnerte sie sich an die Geburt, der sie im Versteck des dunklen Jahres hatte zusehen dürfen und was Janine Powder ihnen allen über die ganzen Umstände und Umstellungen während einer Schwangerschaft und der Säuglingspflege erzählt hatte. Julius sah seine kleine Tochter, wie sie sich unter dem Baldachin zu regen begann. Sie öffnete ihre Augen. Jetzt konnte er sehen, daß sie hellblaue Augen hatte. Das gerade einen Tag frei atmende Mädchen wand sich und brachte die Wiege zum schaukeln. Dann bewegte es seine kurzen Arme und Beine. Pina bemerkte das jetzt auch und sah unter den Baldachin. Millie klappte die Abdeckung zurück und grinste die kleine An. "Ja, hallo, da bist du ja wieder wach, Kleines. Maman ist da und Papa auch, und da ist noch eine gute Freundin von Papa. Hunger?" Aurore quängelte erst. Doch die künstlich erhöhte Stimmlage ihrer Mutter erzeugte ein zufriedenes Glucksen. Millie hob ihre und Julius' Tochter aus der Wiege. Pina bekam sehr große Augen. Doch ihr Gesicht blieb sehr freundlich. "uuiii, da is' sie", säuselte Millie und drehte Aurore so, daß ihr alle ins Gesicht sehen konnten. Das kleine Mädchen sah Julius, der sie anstrahlte wie die Sonne die Erde und Grimassen zog, um zu sehen, ob er seiner Tochter das erste Lächeln oder sogar ein Lachen abringen konnte. Natürlich wußte er, daß sie nicht weiter als fünfundzwanzig Zentimeter sehen konnte. Für sie war er nur ein Gesicht in grauem Nebel. Deshalb beugte er sich behutsam vor und sprach die Kleine mit ebenfalls leicht erhöhter Stimme an. In dem Moment durchflutete ihn die Erkenntnis, daß dieses Wesen in Millies Armen seine Tochter war, mit voller Endgültigkeit. Für dieses Wesen würde er nun leben. Er würde miterleben, wie sie groß wurde und würde ihr all das beibringen, was er für sie für richtig hielt und hoffen, daß er auch immer die Zeit fand, um für sie da zu sein. Pina merkte das wohl auch und sagte kein Wort, um dieses erste richtige Kennenlernen zwischen Vater und Tochter nicht zu verderben. Millie hielt Julius das kleine Bündel Menschenleben entgegen. Er nahm Aurore so behutsam er konnte entgegen und pfiff ihr leise ein flottes Kinderlied aus seiner eigenen Kleinkindzeit vor. Die Kleine merkte nun, daß es noch andere Leute gab als ihre Maman. Doch wer sie da hielt tat ihr nichts böses. Womöglich konnte sie sich an den gewöhnen. Eine Minute dauerte dieses so wichtige Zusammentreffen zwischen Vater und Tochter, bevor Aurore merkte, daß sie wohl wieder Hunger hatte. Sie quängelte erst. Dann schrie sie laut und fordernd. Julius legte sie in die Arme ihrer Mutter zurück.
"Julius, gibst du mir bitte mal die Schürze da?!" wandte sich Millie an ihren Mann. Dieser nickte und gab ihr die lange, bis zu den Oberschenkeln herabfallende Schürze. Millie band sie um und neestelte dann an ihrem Nachthemd. Sie schob Aurore unter die Schürze und legte sie sich zurecht, das sie finden konnte, was sie jetzt so dringend suchte.
"Meine Verwandten und ich haben nicht wissen können, was ihr bekommt", sagte Millie, als Aurore leise glucksend und schmatzend saugte. "Daher haben wir einen Traumlanddrachen, eine Planschnixe, eine bunte Kette mit weißem Schnuller und einen unverschluckbaren Klingelmuff besorgt. Anziehsachen und Windeln und sowas habt ihr ja sicher schon längst."
"Bei meiner Verwandtschaft wäre das auch seltsam, wenn nicht", erwiderte Millie, bevor sie wieder in den Atemrhythmus verfiel, der ihr half, Aurore unbeschwert stillen zu können. Julius durfte die Pakete auspacken. "Den Traumlanddrachen nehme ich besser solange zu mir ins Bett mit, solange Millie hier übernachten muß", scherzte Julius, als er den knapp vierzig Zentimeter langen, blau-gelb-grün-orange-rot-violett gepunkteten Drachen mit den lustig klimpernden Augen in der Hand wog. Das magische Spielzeug gab sogar wohlklingende Summtöne von sich.
"Dann läßt du mir aber den Klingelmuff hier", nahm Millie den Scherz auf und deutete auf den beige-braun gemusterten Plüschball, der, sobald man ihn anfaßte, ein fröhliches Glockenspiel erklingen ließ. Pina meinte dazu, daß das wohl ziemlich laut sei, worauf aus dem Plüschball eine quäkige Stimme klang: "Eh, war nicht nett."
"War das ein Ding, als Olivia unbedingt eines dieser Tamagotschis haben wollte und Mum ihr erklären mußte, daß die in Hogwarts nicht gehen würden", meinte Pina.
"Feine Musik! Bimbam!" Quäkte der Klingelmuff und ließ einen naturgetreuen Stundenschlag ertönen. Julius wunderte sich, daß das kleine Flauschebällchen Französisch konnte.
"Der kann mit fünf Sprachen geliefert werden. Wir haben dann gleich die französische Version genommen.
"Huch, woher weiß dieses Ding, daß jetzt zzwölf Uhr ist", wunderte sich Julius.
"Wohl Zufall, weil die schon mit Musik- und Plapperzaubern vollgestopft sind und kein Uhrwerk eingebaut ist. Prudence hat sich für ihren Persy auch so'n Teil zugelegt", erwiderte Pina darauf. Julius faßte den Klingelmuff noch einmal an und löste damit ein dreistimmiges Flötenspiel aus "Kleines Kind, was bist du müd'" Irgendwie, so meinte Julius, verfolgte ihn dieses Lied, seitdem er zum ersten Mal in die französische Zaubererwelt eingetreten war. Julius las die Gebrauchsanweisungen für die drei Spielsachen durch, während Millie zwischen den einzelnen Stillphasen erzählte, daß sie auch so eine Planschnixe gehabt habe und deshalb gerne in die Badewanne gestiegen sei, um ihr beim Singen zuhören zu können. Pina erwähnte, daß sie eine singende Schildkröte für die Badewanne gehabt habe und zum besser einschlafen einen Nickerchenniffler, der gähnen und die Augen zumachen konnte aber auch über eine eingebaute Uhr mit Weckzauber verfügte, der wahlweise auf Trompetensignal, lautes Glockenläuten oder Wachrufen eingestellt werden konnte. Das ging aber nur mit Zauberstab. Deshalb hätte sie dafür immer ihren Vater oder ihre Mutter gebraucht. Bei Erwähnung ihres Vaters verzog sich das bisher so fröhliche Gesicht der Hogwarts-Schülerin zu einer traurigen Miene. Doch dann schüttelte sie den Kopf und lächelte wieder. "Mein Vater wäre sehr froh, daß ich so viele Freunde und Freundinnen habe und daß ich das dunkle Jahr überstanden habe und nächstes Schuljahr die UTZs machen kann."
"Vielleicht hätte sich mein Vater auch drüber gefreut, daß ich meinen Weg mache", sagte Julius. Dann merkte er, daß es wohl nicht angebracht war, über verstorbene Verwandte zu trauern, wo heute zwei Menschen den Tag ihrer Geburt feiern durften.
So sprachen die drei über die ganzen Spielsachen für Babys und Kleinkinder. Julius erwähnte den Teddybären Mr. Balley und den Roboter Eddy Epsilon, die noch irgendwo in den Tiefen seiner Spielzeugkiste in Paris ruhten. So schwälgten die drei in Kindheitserinnerungen, während Aurore langsam aber sicher ihr Mittagessen zu sich nahm, bis sie absetzte und Millie sie behutsam beklopfte, bis sie hörbar aufstieß.
"Später dürfen Mädchen sowas nicht mehr", lachte Pina lauthals. Sie schien gerade in einem Rausch von Glück und Zufriedenheit zu schweben. Erst als Madame Rossignol ihren Kopf hereinsteckte und lächelnd sagte, daß es wohl auch für große Mädchen und Jungen Zeit zum essen sei wußten sie, daß sie nicht mehr kleine, unschuldige Kinder ohne böse Erlebnisse waren. die Heilerin lächelte und sagte noch: "Ich gehe davon aus, Pina, du möchtest mit deinen Freundinnen und Freunden aus Hogwarts zum Essen gehen, richtig?"
"Vielleicht besser, damit sich nicht die halbe Schule das Maul drüber zerfleddert, warum ich mit Julius alleine zum grünen Tisch gehe und die aus Hogwarts erst später hinkommen", sagte Pina. Madame Rossignol nickte ihr zu. Dann sagte sie ruhig zu Pina: "Ich habe Julius erlaubt, dich herzuholen, weil ich gemerkt habe, daß er dir sehr wichtig ist und du gerne Anteil daran haben möchtest, daß es ihm gut geht. Millie und ich haben uns darauf festgelegt, Besucher, die nicht aus ihrer oder Julius' Familie kommen, fünf Minuten Zeit zu lassen, weil es ja doch einige sind, die die kleine Aurore gerne mal in Natur sehen möchten. Aber Julius sagte, du hättest heute auch Geburtstag. Deshalb habe ich bei dir eine Ausnahme gemacht. Aber den anderen Freundinnen von Julius sagst du bitte, daß sie nur fünf Minuten zu ihr und der kleinen hindürfen, ja?" Pina nickte. Dann fragte sie, ob Kevin auf dieser Besucherliste stehe. Millie schüttelte den Kopf. Pina verstand ohne Nachfrage und nickte. "Hat der sich auch nicht verdient, dieser Meckerkopf", grummelte sie. Madame Rossignol brachte Pina per Wandschlüpfsystem zu dem Ausgang, von dem aus sie das Reisezelt der Hogwarts-Abordnung erreichen konnte.
Als Julius selbst zum Essen ging wurde ihm am grasgrünen Tisch applaudiert. Aber auch von den Roten kam Beifall herüber. Alle konnten die Geburtsanzeige hinter dem Lehrertisch lesen, die in ständig wechselnden Farben die Ankunft von Aurore Béatrice Latierre verkündete. Die Gelben schienen wohl darüber nachzudenken, daß Sandrine demnächst ebenfalls Mutter wurde. Die Weißen interessierten sich nur mäßig für die Latierres, und die Blauen hatten eh nur Spott für Julius und Millie übrig. Die Violetten, zu denen sich gerade die Greifennest-Abordnung hinsetzte, nahmen die Meldung als zu erwarten und für ihre Belange untergeordnet zur Kenntnis. Zumindest konnte Julius es so an den Gesichtern der Mitschüler ablesen.
Nach dem Mittagessen, bei dem Julius nur erzählte, daß es lange gedauert habe, bis Aurore ganz auf der Welt war, aber nicht was genau dabei so alles passiert war, eilte Gabrielle Delacour auf ihn zu. Sie strahlte.
"Meine Nichte Victoire hat heute auch geburtstag. Sie kam heute morgen um acht Uhr unserer Zeit an. Fleur hat die ganze Nacht geschimpft, hat Maman mir zugesungen. Aber jetzt ist sie froh, daß die Kleine ausgerechnet an dem Tag aus meiner Schwester rausgekrabellt ist, als vor zwei Jahren die Todesser verloren haben."
"Oh, dann sing deiner Maman und deiner großen Schwester bitte meine allerherzlichsten Glückwünsche zu und daß ich der kleinen Victoire alles alles gute in ihrem Leben wünsche", erwiderte Julius erfreut. Warum sollte nur er ein neues Leben in der Welt begrüßen dürfen? Sicher hatte der Neotokograph Madame Faucons gleich nach der Namensfestlegung geklingelt. Deshalb lächelte sie wohl, als sie auf Julius zukam und ihm persönlich zur erffolgreichen Familiengründung gratulierte. Dann beglückwünschte sie auch Gabrielle.
Am Nachmittag versammelte sich fast die ganze Abordnung von Hogwarts auf der Wiese vor dem Reisezelt und feierte Pinas achtzehnten Geburtstag. Madame Faucon hatte es hinbekommen, außerhalb ihrer Dienstzeiten eine große Schokoladentorte zu backen und mit achtzehn schlanken, weißen Kerzen zu bestücken, die Pina in einem Zug ausblies. Elrick Cobbley hatte es vorgezogen, in seinem Zimmer zu bleiben, daß er sich mit Brandon McMerdow teilte, der über die miesepetrige Stimmung des Zimmerkameraden nicht sonderlich begeistert war. Aber sie freuten sich über Pinas Jubeltag und auch darüber, daß Julius ab heute als erwachsener Mann leben mußte, auch wenn er noch keine achtzehn Jahre alt war. Lea meinte dazu, daß man es ihm aber nicht ansehe. Das ließ Gloria verschnupft dreinschauen. Immerhin sah lea auch vier Jahre älter aus, als sie in Wirklichkeit war. Kevin hatte sich trotz der klaren Abseitsstellung nicht davon abhalten lassen, bei Pinas Geburtstag mitzufeiern. Das Fernrohr, daß Julius ihr besorgt hatte, wurde gleich nach dem Auspacken ausprobiert und in die Sonne gehalten. Die Allwetterbrosche wollte sie erst in England ausprobieren, wenn es dort wieder richtig regnerisch war.
Die einzige, die nicht so überglücklich aussah war Romilda Vane. Als Pina sie fragte, was sie habe, sagte diese nur: "Sie hat ihn wieder, diese Giftspritze. Als wenn ich das nicht geahnt hätte." Kevin wollte nun in seiner direkten und neugierigen Art wissen, ob sie Fredo und Glenda meine:
"Neh, ich meine Merlin und Morgana, du irisches Großmaul", zischte Romilda. Doch dann gewann ein Ausdruck von Trotz ihre Gesichtszüge. "Na ja, wie gesagt hätte ich ja damit rechnen müssen, daß der nur mit mir gegangen ist, um dieser Pute zu zeigen, daß er nicht ihr Eigentum ist. vielleicht hat sie ihm was geboten, daß seine Meinung geändert hat. sollte mir jetzt auch egal sein. Aber ich denke, ich brauche doch einen Tag, um das zu verdauen und mit allem anderen, was ich nicht mehr verwerten kann in die Toilette spüle." Julius verstand. Romildas Abwesenheit hatte Fredo gelangweilt. Der, der mit einer der schöneren Jahrgangskameradinnen gegangen war, hatte wieder Anschluß bei seiner früheren Freundin Glenda Honeydrop gefunden. Offenbar hatte irgendwer aus Romildas Jahrgangsstufe ihr das brühwarm zugetragen, womöglich sogar mit Beweisfoto. Oder Fredo hatte entsprechendes geschrieben. Das war zwar nicht gerade mutig, eine Beziehung per Brief zu beenden. Aber was Fredo Gillers in Hogwarts mit Glenda Honeydrop anstellte ging ihn ja schon seit fast fünf Jahren nichts mehr an. So nahm er Romildas neue Lage nur zur Kenntnis. Er feierte Pinas Geburtstag und damit indirekt auch den seiner Tochter.
Als Abendessenszeit war nahm Julius den Weg durch das Wandschlüpfsystem und traf seine Saalkameraden.
Nach dem Abendessen verbrachte er noch einige Zeit bei seiner Frau und der kleinen Aurore, bevor die beiden zu müde waren, um noch irgendwas zu unternehmen. Julius ging noch einmal in den grünen Saal, um dort seinen Pflichten nachzukommen. Einige der jüngeren meinten, er wolle wohl an ihnen üben, wie er sich gegenüber frechen Kindern durchsetzen müsse. Darauf sagte er lächelnd:
"Bei euch kann ich noch mit Strafpunkten klarmachen, wo es lang geht. Bei Aurore muß ich mir was anderes, gewaltloses ausdenken."
Er sah um zehn Uhr kurz bei seiner Frau und seiner Tochter vorbei. Millie war noch wach. Sie flüsterte: "Schade, daß du deine Hälfte vom Zuneigungsherzen im Moment nicht umhängen darfst. Aber sei sicher, daß ich immer noch bei dir bin, auch wenn ich jetzt auch für Aurore mitdenken und mitfühlen muß. Gute Nacht, Monju!"
"Gute Nacht, Mamille! Ich seh noch zu, daß ich dir was schönes besorgen kann, um mich richtig für das zu bedanken, was du für mich getan hast", flüsterte Julius.
"Dafür nicht, Julius. Das wollte ich haben, und ich bin froh, daß wir drei jetzt zusammen großwerden können. Dagegen stinkt jeder Ring und jede Kette ab." Dagegen konnte Julius wohl nichts sagen. Er umarmte seine Frau kurz und winkte seiner schlafenden Tochter in ihrer Wiege zu. Dann zog er sich in das nun nur von ihm bewohnte Ehepaarschlafzimmer zurück. Sandrine und Gérard waren noch nicht aus ihren Sälen zurück. Für die beiden würde in wenigen Tagen auch ein neues Leben anfangen und dann gleich mit zwei Kindern, von jedem Geschlecht eines. Ob Gérard das durchstand? Würde er, Julius, es mit einer Tochter durchstehen? Außerdem wollte Millie ja noch weitere Kinder. Er dachte an den Scherz, den er damals mit ihr getrieben hatte, als sie ihm sagte, daß ein Mann seine ungeborenen Kinder in den Augen der Frau sehen könne, die er liebe. Tja, eins war draußen, sechs wohl noch drin, wenn der Scherz zum Ernst wurde. Aber vielleicht konnte er Millie auf zwei Kinder runterhandeln, jezt, wo sie gemerkt hatte, wie schmerzhaft und anstrengend es war, auch nur eines zu kriegen. Er sah einen kleinen Schatten vor seinem Fenster. Er blickte hinaus und sah goldschweif, seine vierbeinige Vertraute. Sie wandelte mit senkrecht gestelltem Schwanz auf der Fensterbank entlang. Sie sah ihn mit ihren bei Tag smaragdgrünen Augen an, die jetzt, wo der Mond schien, seinen Schein widerspiegelten. Er hatte Goldschweif lange nicht mehr in sein Zimmer hineingelassen. Millie hatte es zwar einigemale angeboten. Doch er wollte lieber, daß sie früh genug schlief, um die nötige Erholung zu bekommen. Jetzt konnte er das Fenster einmal öffnen und Goldschweif kurz ansprechen.
"Na, Goldie! Hast du meine kleine Tochter schreien gehört?"
"Du hast die Kraft nicht mehr an dir, die so schön friedlich schwingt", hörte Julius von Goldschweif her eine Frauenstimme, die aber nur er als solche zu hören meinte.
"Ich habe den kleinen Anhänger erst einmal weggelegt, damit Millie und Aurore ganz für sich alleine fühlen, wie sie miteinander klarkommen. Aber wenn Millie wieder in dieses Zimmer zurückkommen darf, dann hänge ich mir das wieder um", sagte Julius. In Gedanken fügte er noch hinzu, daß er bis dahin hoffentlich zehn Kilo Übergewicht runtergestrampelt und mit Barbara Latierres Abspeckmischung ausgeschieden hatte. Goldschweif wollte nun in ihrer einfachen Sprechweise wissen, wie groß "das junge Weibchen" sei. Er erzählte es ihr. Dann sagte die doch glatt, daß er auch mit dem jungen Weibchen Pina gute Junge hätte machen können. Sie hatte es also immer noch nicht verstanden, daß Menschen eine andere Lebensweise hatten. Er hörte, wie Sandrine und Gérard in den Korridor eintraten, der die beiden Ehegattenzimmer verband, die bald als Sonderschlafräume für junge Familien herhalten würden. "Ich komme irgendwann mal wieder zu euch, um mir deine drei Junge anzusehen", versprach Julius Goldschweif. Diese verstand und lief dann los, um von der einen Fensterbank zu einer tiefergelegenen Fensterbank zu springen. Er bewunderte, wie geschmeidig und zielgenau sie sich bewegte. Daß sie sehr schnell und sehr stark sein konnte kannte er ja auch schon von ihr. Im Sommer würde er sie, vorausgesetzt, er packte die Prüfungen, mit nach Millemerveilles nehmen. Hoffentlich gefiel es ihr da, wo sie dann nur Millies Knieselkater Stardust zur Auswahl haben würde.
Julius schloß das Fenster wieder und machte sich bettfertig. Er dachte noch einmal an den Tag zurück. Er hatte seine kleine Tochter zur Welt kommen gesehen. Sie schlief jetzt bei Millie in einem kleinen Extraraum. Er hatte Pinas Geburtstag mitgefeiert und absolut kein schlechtes Gewissen empfunden, weil Kevin ihn immer wieder mißmutig und auch enttäuscht angesehen hatte, weil Millie ihm den Zutritt zu ihrem Kind verweigert hatte. Kevin sollte es eben lernen, daß bestimmte Sachen nicht so schnell vergessen wurden. Abgesehen davon konnte es ihm blühen, daß Patrice Duisenberg ihn auf den Besen rief. Ging er darauf ein, willigte er ein, sie in den nächsten drei Monaten zu heiraten. Ging er nicht drauf ein, war von Patrices Seite her wohl Eiszeit angesagt, wenn sie nicht wie ein brodelnder Vulkan versuchte, Kevin seine Verweigerung heimzuzahlen. Doch sie würde es dann akzeptieren müssen, wenn er sich nicht darauf einlassen wollte.
Das Bett war für ihn alleine viel zu breit. Er schnüffelte und sog gierig die Reste von Millies Duft von dem Kissen in die Nase ein. Dann dachte er an Gabrielle Delacour. Die war sehr stolz, daß sie jetzt schon eine Tante sein durfte. vielleicht begegneten sich Aurore Latierre und Victoire Weasley irgendwann mal. Aber Fleur und Bill Weasleys tochter hatte sicher die Entsprechung des Neotokographen in Hogwarts gekitzelt, was hieß, daß sie da eingeschult werden würde. Madame Faucon hatte mit keinem Wort erwähnt, wann sie die Nachricht über Aurores Ankunft erhalten hatte. sie hielten es beide so, daß die Sachen, die er bei Madame Maxime gesehen und miterlebt hatte, nicht offen besprachen. Er nahm sich aber vor, sie in Millemerveilles zu fragen, wenn er - hoffentlich - ein ehrenvoll abgegangener Beauxbatons-Schüler sein würde.
Bevor er einschlief dachte er noch an Hogwarts. Die hatten jetzt ein Denkmal mit den Namen der lebenden und ehrenvoll gestorbenen Mitstreiter bei der Schlacht von Hogwarts. Ob das wirklich ein Rechteck aus aufragenden Säulen mit gläsernen Stegen war? Falls ja, dann war da die große Frage, warum er die Enthüllungszeremonie im Körper von Glorias offiziell einzig überlebender Großmutter miterlebt hatte. Mit der verband ihn doch nichts. Wenn er von Geburten geträumt hatte, dann von Kindern, mit deren Eltern oder Verwandten er gefühlsmäßig oder durch magische Rituale verbunden war. Aber mit Grace Craft verband ihn nichts. Also mochte es echt nur ein abgedrehter Traum gewesen sein. Denn daß er in den Körper einer erwachsenen, wachen Hexe eindringen konnte, ohne daß die davon was mitbekam, das glaubte er nicht. Dann fiel ihm ein, daß er auch solche Szenen im Traum mit- oder nacherlebte, die unmittelbar mit den vier alten Zaubern aus Altaxarroi zu tun hatten. So hatte er den Sturm auf die Elfenbeininsel und das Verschwinden Professeur Tourrecandides miterlebt, und ja, wohl auch die Wiedergeburt Austère Tourrecandides als Selene Hemlock. Die angebliche Enkeltochter Daianiras war am gleichen Tag im Jahr zur Welt gekommen wie er, genau am dreißigsten Jahrestag der ersten bemannten Mondlandung, daher ja ihr Name. Die fing wohl schon an, ihre Milchzähne zu kriegen. Falls es wirklich der in diesem Kind gebannte Geist der ehemaligen Lehrerin von Blanche Faucon war, dann haderte sie sicher mit dem Schicksal, klein und Unbeholfen zu sein, bis ihre Sprechorgane weit genug entwickelt waren, um sich bemerkbar machen zu können. Da hörte er Ammayamirias ruhige aber bedingungslose Anweisung, daß er sein Leben leben müsse und sie ihres. Ja, und sein Leben hatte heute eine Bereicherung, aber unabstreitbar auch eine Verpflichtung erhalten, deren Name Aurore Béatrice Latierre lautete. Mit dieser Erkenntnis überließ er sich dem Schlaf. Morgen war ja wieder Unterricht, der sogenannte Ernst des Lebens.
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Um halb sechs in der Frühe zogen die fröhlichen Musikanten aus Mexiko durch die Bilder, die Julius und Millie in ihrem gemeinsamen Schlafzimmer aufgehängt hatten. Dann setzten auch noch die von Claire gemalten Musikzwerge mit ihrem fröhlichen Spiel ein. Es war ein Morgenlied, daß in einem seiner Liederbücher stand. Die Sombreroträger hörten kurz mit ihrem temperamentvollen Stück auf und lauschten. Dann setzten die mit den Fideln an, das Stück nachzuspielen. So entstand eine wundersamerweise auf Anhieb gelingende Improvisationsrunde. Oder kannten die Musiker aus dem Bild der Latierre-Zwillinge das Stück. Julius erinnerte sich, daß Claire ihm mal erzählt hatte, daß das Stück früher von Zaubererwelteltern beim ersten Morgenrot ihren kleinen Kindern vorgesungen wurde, um sie aufzuwecken. Jetzt sangen die gemalten Musiker sogar dazu. Julius verstand zwar nur sehr sehr wenig Spanisch, hörte aber die Freude aus dem Text heraus.
"Hijita mia, mira al Día!
La aurora bella termina la noche fria.
Mira al cielo, aves al vuelo!
Asi levantate de nuevo Niña mia! ..."
Julius lauschte dem Lied der Mariachis, das sie zusammen mit den Musikzwergen von Claires Bild zum Besten gaben. Dann zogen sie weiter, wobei sie ein klassisches mexikanisches Volkslied intonierten. Die Musikzwerge blickten aus ihrem Bild erstaunt herab. Der Trompetenzwerg sagte:
"Wußte nicht, daß es das auch auf ausländisch gibt."
Julius sah es ein, daß er jetzt schon aufstehen konnte. Um sechs war Weckdienst, und er hatte mit Gérard ausgemacht, daß er heute wieder dran war. Dann wollte er zum Frühsport runter.
Bevor er durch die Wand in Madame Rossignols Sprechzimmer in den grünen Saal schlüpfte besuchte er seine Frau und seine Tochter. Millie strahlte ihn an. Aurore frühstückte bereits.
"Haben die Mexis das Lied für unsere kleine gespielt? Klang vom Text her so. Laut genug war es ja." Julius fragte sie, ob sie alles verstanden hatte. "ja, habe ich. Jetzt wissen wir auch, daß in der spanischen Fassung eine kleine Tochter besungen wird. Meine kleine Tochter, sieh den Tag an. Die schöne Morgenröte beendet die kalte Nacht. Guck den Himmel und die darunter fliegenden Vögel an! Steh wieder auf, mein kleines Mädchen! So ist die erste Strophe grob zu übersetzen", sagte Millie und zuckte kurz zusammen. "Kleines, alles auf einmal kriegst du nicht in einem Schluck runter", grummelte sie. "Wenn die so weitermacht kann ich mir Knoten in die Nippel machen. Immerhin kriegt sie jetzt eine Menge zu trinken."
"Schade, daß ich zum Wecken muß, sonst würde ich sie halten, damit du deine Arme entlasten kannst", sagte Julius.
"Solange ich mehr liege als sitze stütze ich sie mit dem Bauch ab, Monju. Aber ich komme garantiert drauf zurück, wenn wir zwei aus diesem kleinen Schlafzimmer hier rausdürfen. Aber du darfst mir von dem Vitamintee was einschenken, den Madame Rossignol in die große Kanne gefüllt hat. Wenn sie trinkt werde ich durstig", antwortete Millie. Julius lächelte und kam der Bitte seiner Frau nach. Dann zog er los, seine Saalsprecheraufgaben zu erledigen.
"Die quatschen mich jetzt alle als "Onkel Pierre" an", meinte Pierre Marceau, als Julius ihn wecken kam. Er meinte dazu nur:
"Ich kenne Gabrielles Schwester ein wenig und auch ihre Mutter und ihre Oma mütterlicherseits. Wenn die Leute hier alle meinen, daß du mal bei denen in die Familie reinheiratest, dann sei doch froh. Oder will Gabrielle jetzt nichts mehr von dir wissen, nachdem sie mit dir auf dem Walpurgisnachtbesen gesessen hat.
"Weiß ich nicht so genau. Sie meinte mal, vor ihr würde ich wohl auch gut aussehen. Aber das wollte sie dann erst klären, wenn sie und ich die ZAGs durchhätten. Ähm, stimmt, die Mädels aus den Oberklassen machen doch im Mai immer dieses Rufspiel, daß sie die Typen, die sie auch als Ehemänner haben wollen, vorne auf die Besen gabeln und dann mit denen rumfliegen. O ha, das weiß ich aber nicht, ob ich mit siebzehn oder achtzehn schon heiraten will."
"Das Heiraten tut nicht so weh. Kinderkriegen tut mehr weh, ist aber auch sehr herrlich, wenn das Kleine da ist", hat meine Frau mir gestern erzählt."
"Uh, da muß ich aber aufpassen, daß Gabie nicht meint, schon mit siebzehn diese Besennummer zu bringen", seufzte Pierre.
"Tja, das kannst und mußt du alleine klarkriegen", sagte Julius zu Pierre.
"Sage der Dame, die mir dieses Silberding um den Arm gemacht hat, daß ich nach dem Frühstück eine Eule an meine Eltern schicke, die sollen das mit Faucon und Delamontagne klären, ob die mich echt den ganzen Tag hier im Schlafsaal abhängen lassen kann. Die anderen Jungs quatschen mich ja schon blöd an, daß ich eben nix abkönne und deshalb von der hier hinkommandiert wurde", knurrte Louis Vignier.
"Louis, es ist nur dieser eine Tag. Außerdem haben weder Endora noch Sylvie Zeit gehabt, sich zu langweilen. Die meinten nämlich, sich zu duellieren und mußten aus mehreren Flüchen rausgefriemelt werden. Könnte sein, daß du der einen oder der anderen irgendwas erzählt hast, daß die meinte, dafür mit 'ner anderen zu kämpfen?"
"Öhm, Sylvie hat sich mit Endora duelliert? Wer hat gewonnen?" fragte Louis. Julius fragte zurück, ob das für ihn wichtig sei, um zu wissen, wer ihn gewonnen habe. Das mußte Louis erst einmal verdauen. Dann erklärte Julius noch, daß er nicht mitbekommen habe, wer gewonnen habe, weil beide gleichermaßen vermurkst ausgesehen hätten. Dann mußte er auch schon weiter.
"Na, hat deine Angetraute jetzt die ganze Last mit eurer kleinen?" wollte André Deckers wissen, als Julius den Siebtklässlerschlafsaal betrat.
"Solange sie von Madame Rossignol zur Bettruhe verdonnert ist ja. Aber wenn sie wieder zu mir ins Zimmer umziehen darf helfe ich ihr sicher bei allem, was ansteht.""
"Ach, dann hast du dir jetzt auch zwei Dutteln wachsen lassen? Sieht man ja gar nicht", meinte André, bevor er merkte, daß er da genau einen Schritt zu weit gegangen war.
"Du hast es ja mitgekriegt, daß Louis wegen Unverschämtheiten von Madame Rossignol zum Schlafsaalarrest verdonnert wurde. Zwanzig schnuckelige Strafpunkte für dich, André, wegen Respektlosigkeit gegenüber einem Saalsprecher. Sei froh, daß ich zu gut gelaunt bin, um mich dran zu erinnern, was Gérard, Sandrine, Millie und ich ausgehandelt haben!" André erstarrte kurz, während Robert grinste. André meinte dazu:
"Grins mich nicht so blöd an, Robert. In zwei Wochen steht fest, ob Céline im nächsten Jahr auch ein Brötchen von dir durchbackt oder du ihr bloß nicht mehr vor die Augen kommen darfst, weil du sie mit ihrem Besen einfach so hast herumfliegen lassen."
"So spricht der blanke Neid", konnte Robert darauf nur sagen.
"Jungs, macht das unter euch klar, ob ihr noch im Kindergarten seid oder schon für erwachsene Männer gehalten werden wollt! Ich will noch ein paar Gramm Überspeck runterlaufen, jetzt wo ich nicht mehr für Millie und die Kleine mitessen muß. Und Tschüs!" Julius hörte nicht mehr hin, was die beiden noch im Schlafsaal verbleibenen Jungen darauf antworteten. Er zog los und machte mehrere Übungseinheiten mit dem Schwermacher, bevor er locker um das Quidditchstadion herumlief.
kevin sagte beim Frühstück nicht mehr als unbedingt notwendig war. Offenbar hatte Professor McGonagall ihm die gelbe Karte gezeigt oder Pina und Gloria ihm klargemacht, daß er mit seinen früheren Bemerkungen haarscharf am vorzeitigen Heimflug entlangschrammte. Julius erwähnte jedoch, daß er am nächsten Samstag eine kleine Willkommensfeier geben würde. Er müsse das aber noch mit Professeur Delamontagne ausmachen, wo. Sicher sei nur, daß er die nur bis zehn Uhr abends veranstalten konnte, wenn auch Leute außerhalb des grünen Saales daran teilnehmen durften. kevin strahlte ihn an. Gérard bemerkte das und meinte:
"Ob das echt was bringt, Leute mit Met oder Wein abzufüllen, die nur um des Saufens willen mitfeiern?" Kevin machte ein grimmiges Gesicht. Er vermied jedoch eine Antwort. Julius sagte:
"Sagen wir es so, daß ich mich freue, eine gesunde Tochter bekommen zu haben, sollte mir ein kleines Faß Met wert sein. Aber eben nur ein kleines, und nur dann, wenn Madame Faucon oder Professeur Delamontagne das erlaubt."
"tja, wenn du da mitsaufen willst mußt du dich jetzt ganz brav verhalten und nichts ablassen, was Julius dazu bringt, dich nicht einladen zu müssen", meinte André dazu. Der erwähnte sah ihn an und erwiderte:
"André, den Spruch kannst du auch gerne auf dich selbst beziehen. Gérard und ich erinnern uns wohl auch noch dran, daß du manchen nicht so angebrachten Spruch von dir gegeben hast. Aber mit der Feier, das sind ja noch ungelegte Eier."
"Genau", erwiderte Gérard dazu. Damit war das Thema nun durch.
Als das allgemeine Posteulengeschwader in den Speisesaal einflog blickte Julius hoch, um zu sehen, ob er noch Glückwünsche oder sonstige Briefe bekam. Gleich sieben Eulen segelten über seinem Kopf herunter und gingen in eine Warteschleife, während eine Eule nach der anderen landete. Julius nahm die von den Postvögeln überbrachten Umschläge entgegen. Die davon befreiten Eulen starteten wider und sortierten sich in den Schwarm wieder hinausfliegender Eulen ein.
Beide in Millemerveilles lebenden Familien Dusoleil hatten geschrieben. Dazu kam noch ein Brief von Ursuline Latierre, die ihm mehr Lust als Last mit der kleinen Aurore und ihren noch ungezeugten Geschwistern wünschte. Ebenso war ein Brief von den Porters dabei, die zu ihrem Glückwunsch auch den Abendpropheten vom zweiten Mai mitgeschickt hatten, in dem von der feierlichen Enthüllung des Denkmals in Hogwarts berichtet wurde. Julius erstarrte fast, als er das Foto eines Säulenwaldes auf einer rechteckigen Grundfläche sah. Das war exakt die Anordnung, wie er sie im Traum gesehen hatte. Aurora Dawn hatte einen Uhu als Expresseule geschickt. Der große Eulenvogel hatte ein kleines Päckchen mit einem Practicus-Brustbeutel geschickt. Darin, so ihr begleitbrief, befände sich eine Halbliterflasche mit dem Antidot 999 für ihre kleine Namensvetterin. Darüber hinaus gratulierte auch seine zeitweilige magische Fürsorgerin June Priestley zur glücklichen Geburt seines ersten Kindes. Der siebte Brief kam von seiner Mutter. Sie schrieb, daß sie sich sehr freue, daß es Millie und der kleinen Aurore gut gehe und sie wohl in einigen Tagen genug Freiraum habe, außer der Reihe nach Beauxgatons zu reisen, wenn alle anderen Unterricht hatten, um sich ihr frühes Enkelkind anzusehen. Julius steckte die Briefe sorgfältig fort und verstaute auch den neuen Practicus-Brustbeutel sicher genug. Den wollte er nach dem Mittagessen zu Millie hinbringen. Wann Aurore Béatrice Latierre den Brustbeutel und die darin aufbewahrte Entgifterflasche bekam, wollten sie dann gemeinsam klären.
als der Unterricht begann, konzentrierte sich Julius nur auf das, was die Lehrer von ihm verlangten. Mittags aß er weniger als vor drei Tagen noch. Er fühlte sich auch schnell wieder satt und war froh, wenn er es hinbekam, den dicken Bauch wieder loszuwerden, bevor die Schulferien anfingen.
Da er am Nachmittag keinen Freizeitkurs hatte besuchte er seine Frau. doch diese war nicht alleine. Madame Faucon war bei Millie und Aurore.
"Sie können ruhig hereinkommen, Monsieur Latierre. Meine mir als Nicht-Familienmitglied zugestandenen fünf Minuten sind eh gleich verstrichen", sagte die Schulleiterin lächelnd. Dann hörte er sie noch zu Millie sagen: "Machen Sie sich also keine Sorgen um die theoretischen Prüfungen, Madame Latierre! Wenn Sie die bisher gezeigten Leistungen beibehalten dürften diese kein unüberwindliches Hindernis für sie sein."
"Da bin ich auch sehr zuversichtlich, Madame Faucon", antwortete Millie.
"Gut, dann verbleibt mir nur, Ihnen auch weiterhin alles gute und vor allem gute Erholung zu wünschen", sagte die Schulleiterin von Beauxbatons. Sie stand von dem Besucherstuhl auf. Dann wandte sie sich noch einmal Julius zu: "Da Sie morgen ja auch einen freien Nachmittag haben habe ich mit Professeur Delamontagne vereinbart, Sie noch einmal zu der Angelegenheit Luis Vignier zu befragen, wie Sie diesen Vorfall miterlebt haben, Monsieur Latierre. Wenngleich ich sicher gleich einen wesentlich schwerwiegenderen Vorfall zu erörtern habe." Julius nickte zustimmend. Danach verließ die ranghöchste Hexe von Beauxbatons das Wöchnerinnenzimmer wieder.
"Und, wer war heute schon alles bei euch?" Fragte Julius, während er seine kleine Tochter in den Armen wiegte.
"Ma und Pa haben heute zwischen zehn und zwölf bei mir gesessen. Ma wollte unbedingt sehen, wie ich die Kleine anlege. Erst dann war sie beruhigt. Bevor Madame Faucon reinkam war Professeur Fixus hier. Die wird gleich mit ihr und Professeur Trifolio die beiden Zankhexen Sylvie und Endora verhören. Apropos, hat Professeur Bellart Aufgaben aufgegeben?" Julius holte eine Kopie der Mitschrift der zu machenden Hausaufgaben aus seinem Umhang und gab ihn seiner Frau. Diese las, daß es in Zauberkunst noch um die schwierigkeitsgrade bei simultaner Zauberei ging.
Zwischendurch besuchte auch Gloria Porter die junge Mutter und übergab ihr ein Sortiment mit Cremes und Ölen, die zur Hautpflege von Mutter und Kind gedacht waren.
"Kevin hat von Professor McGonagall eine Verwarnung kassiert, weil er sich gestern abend noch ziemlich abfällig über diese Besucherliste geäußert hat. Sein Pech, daß Professor McGonagall das mitbekommen hat. Sie sagte ihm dann, daß er nur noch solange in Beauxbatons geduldet werde, wie er in der Woche nicht mehr als hundert Strafpunkte erhalte, unabhängig von der Anzahl der ihm zugestandenen Bonuspunkte. Fiele er noch einmal unangenehm auf, müßte sie ihn wohl weit vor der dritten Runde nach Irland zurückschicken. Sie sagte Irland, nicht Hogwarts." Julius verstand. Millie sagte dazu nur, daß Kevin wohl begreifen würde, daß er hier nur noch solange geduldet wird, wie er sich an die Regeln hält. Gloria bestätigte das.
Bevor Julius zum Abendessen ging sagte er noch: "Ich sehe zu, eine kleine Willkommensfeier für Aurore zu veranstalten. Die richtig Große machen wir dann in Millemerveilles."
"Wenn du meinst, die Jungs aus dem grünen Saal und die aus Hogwarts würden vorher verdursten", grummelte Millie. Doch Julius blieb eisern. Wo die ihn alle dumm angeredet hatten, wollte er jetzt beweisen, daß er über diesem Geschwätz stand und sich einfach nur freute. "Gut, ich muß ja nicht dabei sein, wenn die Jungs sich über mich auslassen. Vielleicht ist das echt wichtig, denen zu zeigen, daß wir uns von denen nicht haben runtermachen lassen." Julius nickte. Dann verabschiedete er sich von seiner Frau und ging zum Abendessen.
Am Abend spielte er noch gegen Patricia Latierre Schach. Diese steckte ihm, daß Sylvie und Endora aufgebrummt bekommen hatten, die Wochen bis zur Prüfung ohne Zauberkraft alle anfallenden Putzarbeiten im Palast und in den Parks zu erledigen. Sie flüsterte Julius zu: "Ob euer Quidditchjunior das echt wert ist, daß die zwei sich wegen dem so heftig beharkt haben?" Julius grinste nur. er antwortete, daß sich das wohl erst später zeigen würde.
Wieder in seinem Bett alleine fragte er sich erneut, wieso er die Gedenkstättenenthüllung in Hogwarts mitgeträumt hatte? Bestand außer zu den Latierres und Dusoleils auch zu Glorias Verwandtschaft eine Verbindung? Er wußte, daß er diese Frage nicht beantworten konnte. So schlief er dem nächsten Tag entgegen.
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Am Nachmittag des folgenden Tages betrat Julius das Sprechzimmer der Schulleiterin im achten Stock. Professeur Delamontagne war auch da. Julius sollte erzählen, was er von der Strafmaßnahme gegen Louis Vignier mitbekommen hatte und wurde gefragt, was er davon hielt:
"Es ist schon richtig, daß die Pflegehelfer die Patienten respektieren und sich nicht abfällig über sie äußern. Sicher denke ich auch, daß Louis aus der Sache gelernt hat und in Zukunft genauer überlegt, warum er sich mit wem anlegt. Aber Streit habe ich mit ihm deswegen nicht."
"Gut, das wäre es dann", beschloß Madame Faucon diese Anhörung. Julius kehrte wieder in die allgemein zugänglichen Bereiche des Palastes zurück.
Im Zauberwesenseminar am Abend ging es um Waldschrate, von den Alpen bis zur Tundra vorkommende Waldgeister, die wahlweise in Gestalt alter Männer und Frauen in grünen Gewändern auftreten konnten, aber auch als übergroße Raubtiere wie sieben Meter großen Bären oder pferdehohen Wölfen in Erscheinung treten konnten. Ähnlich wie die Dryaden beherrschten sie die Bewegungsarten der Pflanzen, kontrollierten aber auch alle von Pflanzen lebenden Wildtiere von der wilden Biene bis zum Hirsch oder Elch. sie verabscheuten unnatürliche Lärmquellen und Feuer. Dem mußten sie immer ausweichen. Menschen, die sich gegen die von einem Waldschrat beschützten Bäume oder Tiere vergingen, konnten von diesem mit dem "Fluch der Waldgemeinschaft" belegt werden, der sie für ein Jahr in das dem Menschen am nächsten kommende Tier oder einen von diesem Menschen aus purer Habgier gefällten Baum verwandelte. Starb der so verwandelte Mensch innerhalb dieses Jahres, so irrte seine Seele als unsichtbarer Geist durch den Wald.
"Hierbei ist zu beachten, daß ein Waldschrat dazu neigen kann, einen Menschen durch den Fluch der Waldgemeinschaft in ein andersgeschlechtliches Tier zu verwandeln. Dem Fluch kann man nur entgehen, wenn man entweder magielosen Lärm mit Glocken oder Hämmern auf Ambossen macht, oder ein Schmuckstück oder Kleidungsbestandteil aus mit Schutzzaubern gegen Geisterrache bezaubertem Gold bei sich führt", sagte Professeur Delamontagne. Waltraut Eschenwurz bat ums Wort und ergänzte ihren Beitrag zu den Waldschraten damit, daß ihr Verwandter Friedebold immer eine goldene Gürtelschnalle mit den Schutzzaubern vor Geisterrache trug. Allerdings habe ein erboster Waldschrat ihm schon einmal einen magisch beeinflußten Bienenschwarm auf den Hals gejagt, den er nur mit einer Aura aus Zauberfeuer um sich herum abwehren konnte.
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Die weiteren Tage vergingen. Julius fand einmal Zeit, Aurores Geburt und ihren ersten Tag auf der Welt in das gemeinsame Denkarium einzufüllen. Er fügte auch den Traum hinzu, den er von der Denkmalsenthüllung in Hogwarts geträumt hatte. Außerdem war er wieder voll im Unterrichtstrott. Welcher Unterschied nun zu den Tagen vor dem zweiten Mai 2000 bestand erschloß sich ihm nur dadurch, daß er abends alleine in seinem Bett schlief und er wo es ging im Krankenflügel bei seiner Frau und seiner Tochter saß. Madame Faucon hatte die kleine Willkommensfeier unter der Bedingung erlaubt, daß sie auf der Walpurgisnachtwiese stattfand und um zehn Uhr beendet zu werden hatte. Da Julius neben vielen Bewohnern des grünen Saales, darunter auch die Dreierbande Babette, Armgard und Jacqueline, auch Millies Klassenkameraden außer Caroline sowie die Abordnungen aus Hogwarts und Greifennest eingeladen hatte, war es mit einem kleinen Metfaß nicht getan. Er hatte ein mittelgroßes faß anliefern lassen, dazu aber auch jede Menge Fruchtsaft bestellt, weil Madame Faucon darauf bestanden hatte, daß die unter fünfzehn Jahre alten Schüler und Schülerinnen nur einen winzigen Schluck zum Anstoßen trinken durften. Kevin meinte, Apollo Arbrenoir und Joseph maininger locker unter den Tisch trinken zu können. Doch als es zehn Uhr war und alle ohne Lärm und Gerenne die Tische und Bänke sauberwischten, mußte Julius Kevin zusammen mit Keneth Halligan zum Reisezelt der Hogwarts-Abordnung tragen, während Apollo Arbrenoir sichtlich wie ein Baum im Sturm schwankend aber siegesgewiß grinsend mit den anderen Beauxbatons-Schülern den Heimweg antrat. Joseph flüsterte noch was zu Waltraut, die übersetzte:
"Kevin hätte sich nicht mit einem Juniorchampion im Bockbiertrinken anlegen sollen. Offenbar ist sein Mund größer als seine Leber." Dem wollte Julius im Moment nicht widersprechen.
"Konnten oder wollten Sie ihn nicht zum Maßhalten auffordern, Monsieur Latierre", fauchte Professor McGonagall wie eine gereizte Katze, als Julius Kevin vor den Zelteingang trug.
"Wir sind hier, um zu lernen, Professor McGonagall. Kevin ist volljährig. Also wollte ich ihm nicht dreinreden, was ein volljähriger Mann alles vertragen kann. Jetzt wird er es wissen. Der kann ja morgen ausschlafen."
"Ja, aber dann auch ohne Frühstück auskommen", zischte die Hogwarts-Schulleiterin.
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Am Mitwoch der folgenden Woche passierte es wie jedes jahr, daß heiratswillige Hexen, die bereits siebzehn Jahre alt waren oder in spätestens drei Monaten Volljährig sein würden, auf ihren eigenen Besen über dem Gelände von Beauxbatons herumflogen. Julius und Gérard hörten die Rufe der Mädchen und liefen hinaus, um zu sehen, wer da wen auf den Besen rief. Sie beide waren ja bereits vom Markt, wie Julius sich ausdrückte.
"Ob Robert heute schon auf den Besen gerufen wird?" fragte Gérard.
"Céline hatte doch sowas angedroht", erwiderte Julius. Doch zunächst hörten sie Célines Stimme nicht. Sylvie Rocher kam gerade mit Besen und Schaufel des Weges, um im westlichen Park die Zwischenwege freizufegen und in die frisch eingesäten Wiesenstücke noch frische Erde zu füllen. Sie sah Julius und Gérard und grinste.
"Na, Julius, ob dein ehemaliger Mitschüler heute auch auf den Besen gehoben wird?"
"Welchen, Sylvie? Es sind sechs."
"Den, der mehr tönt als trinken kann", sagte Sylvie.
"Du meinst Kevin? tja, der sitzt im Reisezelt der Hogwarts-Abordnung. Wenn den eine rufen sollte, dann müßte sie über dem Zelt herumfliegen."
"Von wegen zelt, da kommt er doch angelaufen", sagte Sylvie und deutete mit der erdverkrusteten Schaufel auf Kevin Malone, der von Brandon und William vorangetrieben wurde.
"Huch, sind die zwei hinter dir her?!" rief Julius auf Französisch.
"Die Vollidioten meinen, ich würde mich nicht nach draußen trauen, wo eure Rumschwirrenden Hexen gerade ihre Bräutigame aufgabeln wollen", sagte kevin. Brandon meinte dazu:
"Das weiß doch außer McGonagall jeder und jede, daß Julius Silberarmbandkollegin von dem blauen Tisch dich schon ziemlich sicher am Haken hat. Wenn das stimt, daß die Blauen keine Probs damit haben, ihre Ideen umzusetzen, dann könnte sie dich heute noch aufgabeln und einsacken."
"Sei du mal besser ganz ruhig, schottischer Muskeltroll", knurrte Kevin.
"Das muß ich mir von einem aus dem Land der Butterstampfer und Whiskyverwässerer nicht sagen lassen", knurrte Brandon und ballte die Fäuste. Julius stellte sich in seiner ganzen Größe und noch besessenen Breite dazwischen. "Jungs, keinen Streit! Ich will euch nicht als Puzzelspiel bei Professor McGonagall abliefern", sagte er. Kevin schüttelte die Fäuste. Brandon ließ seine Oberarmmuskeln anschwellen. Er tippelte vor und zurück und wieder vor und noch mal zurück, weil er wußte, daß Julius nicht nur zwanzig Kilo mehr auf die Waage brachte und knapp zehn Zentimeter länger war als er, sondern wegen der goldenen Brosche leicht die Heimflugkarte nach Hogwarts darstellen mochte. So nahm der rothaarige Hufflepuff-siebtklässler seine Hände wieder herunter. Kevin durfte sich eh keinen überflüssigen Strafpunkt einfangen und entspannte sich auch.
"Brandon McMerdow!!" Rief eine Mädchenstimme aus dem Osten. Der Träger des gerufenen Namens zuckte heftig zusammen und schaute sich um. Kevin grinste und deutete auf einen Sauberwisch 11, auf dem ein Mädchen in schwarzem Umhang mit verwegen wehendem schwarzen Haar heranritt.
"Oh, Mann, das meint die doch nicht ernst", grummelte Brandon. Doch da erklang noch einmal der Ruf: "Brandon McMerdow!!" "Die meint das voll ernst", quängelte Brandon. Kevin grinste nun noch breiter.
"Tja, wer hier lernt darf die hier möglichen Sachen machen, solange er - oder sie - sich an die festgelegten Spielregeln hält", sagte Julius. Gérard grinste, als er die Ruferin erkannte. Das war diese Romilda Vane, die bei der Willkommensfeier für Aurore auch einmal mit ihm getanzt hatte, weil Sandrine ja keine schnellen Tänze mehr tanzen durfte.
"Du mußt ja nicht drauf hören, Brandon", sagte der stellvertretende Saalsprecher der Grünen.
"Muß ich nicht?" fragte Brandon Julius. Dieser bestätigte es. "Wer darauf hört will auf den Besen gehoben werden und heiraten. hast du sie nach ihrem Verlust so schnell so gründlich von dir überzeugt?" wollte Julius wissen.
"Die hat sicher 'ne Wette mit wem laufen, daß die diesen Flug machen soll und gucken soll, ob ich ihr auf den Besen hüpfe. Aber ich bin doch nicht so blöd, mich durch sowas komplett einspannen zu lassen. Neh, Leute!"
"Robert Deloire!!" Hörte Julius nun Célines Stimme über die Ländereien von Beauxbatons schallen. Also wollte sie es jetzt auch wissen. Julius sah sich um. Er konnte Robert aber nicht entdecken. Vielleicht war der im Palast geblieben oder hatte sich weiter weg hingesetzt, um es nicht zu einfach zu machen, ihn zu finden.
"Brandon McMerdow!!" versuchte es Romilda Vane weiter. Der Gerufene peilte in alle Richtungen, wo er hinlaufen konnte, ohne von Romilda gesehen zu werden. Dann lief er los.
"Das sind die richtigen, mir einen erzählen, ich sei schon gesichert und dann den Schwanz einkneifen!" rief Kevin dem schottischen Mitschüler nach. Doch dieser war bereits zwischen den Bäumen verschwunden. Julius dachte an Edmond Danton, als Martine Latierre diesen auf ihren Besen rufen wollte. Er hatte es vorgezogen, nicht darauf einzugehen und sich sehr schnell sehr gut versteckt. Heute sah Julius das als Glücksfall. Sonst wäre Edmond noch sein Schwippschwager geworden.
"Robert Deloire!!" rief Céline mit sich fast überschlagender Stimme. Jetzt konnte Julius sie über dem Südpark dahinbrausen sehen. Romilda rief ebenfalls wieder nach Brandon. Auch andere Mädchen riefen nach den Jungen, von denen sie sicher waren, daß es ihre Ehemänner werden wollten. Er hörte sogar Leonie Poissonier nach Apollo Arbrenoir rufen.
"die gibt nicht auf", grinste kevin auf Romilda deutend, die immer noch dem muskulösen Rotschopf aus Glasgow nachrief. Dann erklang aus nicht einmal hundert Metern Entfernung der Ruf: "Kevin Malone!!" Kevin schrak zusammen. William grinste nun breiter als der Kühlergrilll eines Lastwagens.
"Zumindest hatte Brandon recht. Sie will es jetzt wissen, Kevin. Na, hast du Angst vor einer fliegenden Hexe?"
"bill, halt die Klappe! Ich muß nachdenken", grummelte Kevin gereizt.
"Kevin malone!!" hörten sie Patrices Stimme über die Ländereien schallen.
"Die können das bis zum Abendessen versuchen, Kevin. Aber dann haben mindestens alle von Hogwarts und alle von Greifennest gehört, daß du gesucht wurdest", sagte Gérard, der die Situation sichtlich genoß.
"Mann, ist das dann echt ernst, daß ich die Hexe heiraten muß, von der ich mich auf den Besen laden lasse, Julius?!"
"Kevin, das hatten wir doch echt schon häufiger", grummelte Julius. "Du kannst ihr auf den Besen gehen oder nicht. Wenn du dich von ihr aufladen läßt müßt ihr in drei Monaten heiraten, so die bis heute gültige Tradition. Wenn du dich nicht mit ihr einlassen möchtest, hör nicht hin. Aber dann beschwer dich auch nicht bei mir, wenn sie nichts mehr von dir wissen will!" Julius hätte fast noch gesagt "... und dich für einen Feigling und Maulhelden hält ..." Doch dann hätte er Kevins Entscheidung beeinflußt und konnte dann, wenn doch rauskam, daß es nicht die richtige Wahl war, dumm angemacht werden. Nein! Diese Entscheidung konnte nur Kevin treffen. Patrice hatte ihren Zug gemacht. Jetzt mußte es sich zeigen, ob sie damit einen künftigen Ehemann oder nur eine zeitweilige Schülerbeziehung gezogen hatte. Kevin hörte seinen Namen wieder. er sah Patrice, wie sie gerade über die Walpurgisnachtwiese flog. Dann ruckte es in seinem Körper. Er kratzte sich am Kopf und lauschte. Ja, sie rief wieder nach ihm. Dann sprang er vor und lief los, auf Patrices Ruf zu.
"Ist ihm doch zu wichtig, das mit der kleinen Duisenberg", feixte William Deering.
"Bist du sicher, daß dich keine ruft?" fragte Gérard überlegen grinsend.
"Die dafür in Frage käme konnte nicht mit", erwiderte William Deering.
"Hubert Rauhfels!!" erklang die Stimme einer anderen Hexe vom Fluß her. Julius nahm es zur Kenntnis, blickte aber zu Kevin hin, der gerade auf dem Weg zur Wiese war und laut "Hierher, Patrice!" rief. Er wollte es offenbar schnell hinter sich bringen.
"Guck, Céline hat ihren Gerufenen aufgeladen", vermeldete Gérard und deutete auf ein bereits vollständiges Besengespann.
"Kevin ist gleich auch fällig", bemerkte Julius, der nur Augen für seinen früheren Schulkameraden Kevin Malone hatte. Patrice sprach ihn schon von oben her an. Kevin wandte sich mit dem Rücken dem anfliegenden Besen zu. Patrice flog im schnellen Sinkflug heran. Dann machte sie eine kurze Schlinger- und Vorwärtsbewegung - und saß nicht mehr alleine auf ihrem Besen. Vor ihr, ein Gesicht wie einer, der sich mit einem unabwendbaren Schicksal abgefunden hatte, hockte Kevin Malone. Patrice griff mit den Armen um ihn und übernahm den Besen korrekt. Dann ging es im Hui nach oben. Jetzt durfte sie mit ihrem Besengerufenen so oft über dem Gelände herumfliegen wie beide wollten. Es galt, daß sie beide gesehen wurden.
"Laurentines Konkurrent ist gerade von seiner Kameradin Astrid Kienspan aufgeladen worden. ER grinst. Das wird sicher noch lustig, wenn die Schulleiterinnen die Besenwerbung nicht anerkennen wollen. Hätte nicht gedacht, daß die kleine runde Kienspan den Hubert Rauhfels so sicher am Haken hat."
"Du meinst, weil kleine, runde Mädchen sonst keinen abkriegen?" wollte Julius wissen.
"Äh ja, ähm, joh!" konnte Gérard dazu nur sagen. Julius mußte darüber nur lächeln.
"Ui, Romilda Vane jagt hinter dem roten Schottenrock her", feixte William Deering, der sich sicher war, daß keine ihn hier auf ihren Besen rufen wollte. Tatsächlich spurtete Brandon gerade vor dem hinter ihm niedergleitenden Besen von Romilda Vane her. Patrice und Kevin zogen derweil über die Köpfe der unten stehenden hinweg.
"Wenn er sich nicht hinstellt und sich freiwillig aufladen läßt ist das ungültig, wenn sie ihn so nimmt", bemerkte Julius zu William.
"Scheint ihr trollpopelegal zu sein, daß er vor ihr wegrennt", meinte William dazu.
"Ich kapiere es auch nicht. Denkt die, der spielt mit ihr, bis sie ihn sicher zu fassen kriegt?"
"Weiß ich, was in dem Mädchen vorgeht?" fragte Julius zurück.
"Seitdem die Rommy im Frisiersalon Carrrow Kundin war hat die wohl beschlossen, sich nichts mehr gefallen oder nichts mehr von der Gabel nehmen zu lassen", grummelte William. "Jetzt hat ihr Freund aus eurem Eierkopfladen auch wieder mit seiner Ex-Ex zusammengefunden. Da will die jetzt unbedingt einen Erfolg einfahren."
"Hast du Dunst von Gefülsabläufen oder dem Krempel, den die Heiler als Psychomologie bezeichnen?" fragte Gérard.
"Mir reicht, was ich mitgekriegt habe und was ich g'rade zu sehen kriege, Monsieur Dumas", erwiderte William lässig. Julius dachte daran, daß es nicht ganz von der Hand zu weisen war. Romilda war mehrmals in ihrem Leben schwer gedemütigt worden. Es mochte also sein, daß sie jetzt auf Biegen und Brechen einen Erfolg einbringen wollte, auch wenn der Auserwählte gerade vor ihrem Besen davonlief. William meinte dann noch: "Brandon hat die nach Pinas Geburtstag lange mit durch einen eurer Parks geführt. Gloria mußte die suchen, weil unsere große Chefin um zehn die Treppe einklappen wollte, weil das bei euch in Beaux ja auch so läuft. Sie hat die beiden gefunden, irgendwo im Südpark. Keiner von denen hat dazu was gesagt."
"Wann war das genau?" wollte Julius wissen, auch wenn es ihn eigentlich nichts anging oder betraf.
"Am fünften, also drei Tage nach Pinas Geburtstag", sagte William. Julius hätte fast eine Frage gestellt. Doch zum einen war die Frage selbst schon sehr indiskret. Zum zweiten war William sicher der letzte, der die Antwort kannte. Er beschloß jedoch, Gloria zu bitten, Romilda mal zu Madame Rossignol zu bringen, falls herauskam, daß sie Brandon nun als unbedingt zu kriegenden Partner verfolgte, bis er nicht mehr laufen konnte.
"Hoffentlich versucht er nicht, zu disapparieren", unkte Julius, als er sah, daß Brandon langsam die Puste ausging. Immerhin, tausend Meter Sprintlauf, das war beachtenswert, fand der sich durch viel Sport in Form haltende Julius.
"Die jagt den immer noch. Julius, kannst du der mal zurufen, daß das nicht gilt, was sie da macht?" wandte sich Gérard an Julius. Dieser überlegte. Er hatte den Vocijectus-Zauber erlernt, der gerufene Worte wie durch ein enges Rohr über eine weite Strecke an die Ohren des zu rufenden klingen ließ. Da sah er, wie Brandon kurzentschlossen in den Fluß sprang und untertauchte. So bekam Romilda ihn auf keinen Fall mehr auf den Besen. Sie drehte ab, bevor sie selbst im Wasser landete und nahm Höhe. Da tauchte Brandon wieder auf. Doch er blieb im Wasser und schwamm auf das Flugschiff der Greifennest-Abordnung zu. Julius hielt sich den Zauberstab an den Kehlkopf und dachte "Inito vocijectus!" Dann rief er: "Romilda, lass es! Du darfst ihn nicht zwingen. Dann gilt es nicht. William, Gérard und ich haben es gesehen, daß er vor dir weggelaufen ist." Es war schon ein komisches Gefühl, wie in einen schmalen, mit mehreren Lagen Watte außen gepolsterten Gummischlauch zu rufen. Doch nur so konnte seine Stimme hundert bis tausendmal weiter klingen, als er bei gewöhnlichen Rufen geschafft hätte. Romilda sah es wohl ein und drehte verknirscht ab.
"Hoffentlich hat der mit der nichts gemacht, was unsere Schulregeln verbieten", unkte Gérard.
"Die war einfach scharf auf den und hat diesen Ringelpietz von euren Mädels ausgenutzt, um den klarzumachen", lieferte William eine einfache, hinnehmbare Erklärung. Romilda flog wie eine aufgescheuchte Krähe davon. Brandon stieg aus dem Wasser und trocknete seine Sachen mit einem Trocknungszauber. Dann lief er leicht angeschlagen wirkend Richtung Hogwarts-Reisezelt davon. Gérard meinte, daß sie jetzt wohl aus der Nummer heraus wären. Julius nickte.
Sie beobachteten noch, wie Mésange Jacques auf ihren Besen lud. Auch Leonie schaffte es, ihren Auserwählten für alle sichtbar zu verpflichten. Doch von dreißig Mädchen, die nach jemanden gerufen hatten, kehrten zehn auch wieder alleine zurück.
Wie jeden Mittwoch war die Alchemie-AG. Julius hatte es da mit seiner Gruppe aus jüngeren Schülern zu tun und verlor kein Wort über die Besenwerbungen des Nachmittags.
Beim Abendessen saß kevin ganz ruhig da, wie einer, der sich klar entschieden hatte und jetzt damit leben mußte. Patrice zwinkerte ihm einmal vom blauen Tisch her zu.
Als der Nachtisch verspeist war winkten Madame Faucon und Professor McGonagall Kevin und Julius an den Lehrertisch. Professeur Pallas ging an den blauen Tisch und bat Patrice, ihr zu folgen.
"Alle zusammen bitte in mein Sprechzimmer!" befahl die Schulleiterin von Beauxbatons.
Durch die Korridore ging es in den achten Stock. Dort stieß Madame Faucon leise das Passwort aus. Das gemalte, streitbare Königspaar unterbrach den alltäglichen Zank und ließ erst sie, dann Julius, dann Patrice, dann Kevin, dann Professor McGonagall und zum Schluß Professeur Pallas durch das transpictorale Tor schlüpfen.
Kevin hätte am liebsten Stunden im sechseckigen Empfangsraum des Schulleitertrakts zugebracht. Doch die hier residierende Hexe trieb ihn, ihre beiden Kolleginnen und Julius zusammen mit Patrice an,ihr in das große Sprechzimmer zu folgen.
Als alle saßen überprüfte Madame Faucon erst einmal die Uhrzeit. Dann fragte sie: "Monsieur Malone, wurden Sie über Zweck und Auswirkungen dessen unterrichtet, was Sie und Mademoiselle Duisenberg an diesem Nachmittag ausgeführt haben?" fragte sie.
"Die Kiste mit der Besenwerbung haben mir Julius, seine Klassenkameraden und die aus dem Jahrgang, in dem ich hier mitlerne schon erzählt", erwiderte Kevin, nun doch etwas verunsichert.
"Dann ist Ihnen auch bekannt, daß ein Zauberer, der auf den weithin hallenden Anruf einer auf dem Besen fliegenden Hexe Aufstellung nimmt, und sich vorne auf ihren Besen heben läßt, ein Heiratsversprechen ablegt?" wollte die Schulleiterin noch einmal wissen. Kevin nickte. "Ihnen ist bekannt, daß sie von heute an in spätestens drei Monaten mit Mademoiselle Duisenberg vor einem hiesigen Zeremoniemagier anzutreten, und einander das Jawort zu geben haben?" Kevin verzog kurz das Gesicht und wandte ein, daß diese Regel ja wohl nur in Frankreich gelte. Patrice funkelte ihn dafür verärgert an.
"Ich fürchte, durch Ihre Staatsangehörigkeit und eine rasche Rückkehr in Ihre Heimat kommen Sie nicht so unbescholten aus dieser Situation frei, Monsieur", schnarrte Madame Faucon. "Wer die Hexenwerbung annimmt verpflichtet sich, sofern er keinen nachprüfbaren oder aus ehrlicher Überzeugung glaubhaft dargebrachten Grund vorweisen kann, die Hexe, deren Werbung er annahm, zu heiraten. Verweigert er die Einlösung des Versprechens, zieht er sich nicht nur den Unmut der Familie des Mädchens zu, sondern kann von diesem finanziell belangt werden. Insofern sollten Sie hier und jetzt anerkennen, daß Sie sich Mademoiselle Duisenberg gegenüber verpflichtet haben. Da sie gerade aussagten, von Zweck und Auswirkungen der Hexenwerbung frühzeitig Kenntnis erhalten zu haben, haben Sie sich die letzte Möglichkeit verdorben, von Ihrer Verpflichtung zurücktreten zu können." Patrice funkelte die Schulleiterin zornig an, die jedoch nicht minder zurückstarrte. Dann fragte Madame Faucon, ob sie, Patrice, sich nur einen Spaß machen wollte. Sie schüttelte den Kopf und erzählte vor den hier anwesenden Zeugen, daß sie und Kevin über die ganze Zeit in Beauxbatons sehr freundschaftliche Beziehungen geknüpft hatten und er ihr gegenüber mehrmals geäußert hatte, daß er sich ein Leben mit ihr vorstellen könne. Sie habe ihn sogar vorgewarnt, daß sie ihn auf ihren Besen rufen könne. Kevin sei jedoch darauf eingegangen.
"Gut, so müssen wir wohl festhalten, daß Sie, Monsieur Malone, ebenso wie Mademoiselle Kienspan und Monsieur Rauhfels, den hiesigen Traditionen gemäß einander versprochen sind und daher mit ihren Familien das weitere Vorgehen abstimmen möchten. Sollten Ihre Eltern, Monsieur Malone, diesbezügliche Anfragen haben, dürfen Sie sie gerne an mich verweisen. Ähnliches gilt zwar dann auch für Mademoiselle Duisenberg, ist aber durch meine Kollegin Professeur Pallas ordnungsgemäß betreut. allerdings möchte ich Ihre Schulleiterin, Professor McGonagall, noch zu diesem Punkt zu Wort kommen lassen." Die erwähnte nickte dankend und wandte sich dann an Kevin:
"Sie haben es gehört, Malone, daß Sie heute etwas sehr ernstes ausgeführt haben, das Ihr weiteres Leben verändern wird. Ich möchte Sie jetzt hier vor meiner Amtskollegin und dem für den Tisch, an dem Sie derzeit Ihre Mahlzeiten einnehmen zuständigen Monsieur Latierre fragen: Was haben Sie sich dabei eigentlich gedacht, Mr. Malone?"
"Patrice hat das doch gerade lang und breit erzählt. Wir kamen nach der Ankunft hier langsam zusammen und haben das immer besser gefunden, wie es lief. Weil ja jemand, der wen hier nackig zu sehen kriegt den gleich zu heiraten hat, hätten wir ja nicht mehr miteinander anstellen können als Schmusen und Küssen." Professor McGonagall sah ihren Schüler sehr verstört an. Doch der sprach unbeirrt weiter.
"Julius hier, der ja die Sitten von hier so gut kennt, daß der jetzt schon ein Daddy sein darf, bevor er die UTZs im Sack hat, hat mich oft genug drauf hingewiesen. Andere haben das auch gemacht. Was ich mir dabei gedacht habe? Ich habe langsam die Schnauze sowas von voll ..." Die beiden Schulleiterinnen und Professeur Pallas räusperten sich höchst ungehalten. "Okay, dann eben geschraubt: Mir mißfiel es in zunehmendem Maße, andauernd für unfähig befunden zu werden, eine einmal angefangene Sache nicht bis zum Ende, ob bitter oder süß, durchzuführen und die daraus erwachsenden Folgen zu akzeptieren. Gefällt das Ihren Ohren besser, die Damen?"
"Das sind mal eben fünfzig Strafpunkte wegen Respektlosigkeit gegen meine Person, Monsieur Malone, die ich sehr gerne verdoppeln werde, sollte meine Amtskollegin sich ebenfalls in Ihrer Rangstellung in Frage gestellt betrachten. Sie wissen, was das für Sie heißt." Professor McGonagall wiegte den Kopf und schüttelte ihn dann. "So obliegt es dann wohl auch mir, eine angemessene Bußleistung zu fordern. Da sie, wie ich von meiner respektablen Vorgängerin erfuhr, damals Zeuge wurden, wie Monsieur Latierre, der damals noch Andrews mit Nachnamen hieß, wegen ähnlicher Respektlosigkeit erwähnter Vorgängerin von mir gegenüber zur magielosen Reinigung der Reisekutsche verurteilt wurde und dieses Urteil ohne Widerspruch hinnahm, ist es nun an Ihnen, dieselbe Bußleistung zu erbringen und vor demBeginn der dritten Runde des trimagischen Turnieres die Reisekutsche von Beauxbatons von den Rädern bis zum Dach von außen zu reinigen. Daß Sie hierbei keinen Funken Magie einbringen dürfen dürfte Ihnen sicher klar sein." Professor McGonagall stimmte dem Strafmaß durch Nicken zu. Kevin mußte tief Luft holen. Dann sagte er:
"Wozu soll das gut sein, wo Sie die Kutsche nicht brauchen?"
"Weil sie eben trotz der Verwahrung zum Zwecke einer irgendwann damit anzutretenden Reise im vorzeigbaren Zustand erhalten werden muß, Monsieur Malone. Da Sie sich hier auf dem Grund und Boden von Beauxbatons befinden bin ich nicht verpflichtet, Sie zu fragen, ob Sie die aufgetragene Bußleistung erbringen, sondern setze dies unumstößlich voraus."
"Klar, ich mach das", grummelte Kevin verdrossen.
"Zudem, Mr. Malone, sollten Sie sich darüber im klaren sein, daß eine weitere mit Strafpunkten über zwanzig zu Buche schlagende Verfehlung ihre vorzeitige Heimreise nach Irland zur Folge hat", fügte Professor McGonagall hinzu. Kevin nickte und atmete durch.
"Gut, dann sind wir mit dieser heiklen Angelegenheit fertig. Sie beide bemühen sich um eine einvernehmliche Absprache mit dem Amt für magischen Familienstand, um einen Ihnen genehmen Termin innerhalb der nächsten zwei Monate zu finden. Ich werde mich bei besagter Behörde in zwei Wochen erkundigen und hoffe, da bereits näheres zu erfahren. Sie dürfen sich jetzt entfernen. Mademoiselle Duisenberg und Monsieur Latierre werden Sie, Monsieur Malone, hinausgeleiten."
"Das war jetzt irgendwie der falsche Zeitpunkt, dir eine Putzstrafe einzuhandeln", tadelte Patrice Kevin, als sie wieder auf den allgemein zugänglichen Fluren liefen. "Aber das bestätigt nur die Vermutung, daß du bei uns Blauen sehr gut reingepaßt hättest."
"Das klären wir, wo Julius dabei ist gleich, Patrice: Ich bring meine Schulzeit in Hogwarts zu Ende. Das halbe Jahr hier hat mir klar gezeigt, daß die Schule hier nix für mich ist. Auch das gerade mit der Putzstrafe sagt mir, daß ich hier nicht mit den UTZ-Zeugnissen rausstiefeln werde."
"Das klären wir besser unter uns", sagte Patrice dazu nur. Julius sah auf seine Uhr. Er hatte gleich einen Termin mit Mademoiselle Nurieve und zwanzig Freiwilligen aus allen Sälen, um den Bunten Abend am Abschlußtag vorzubereiten. Patrice hatte sich auch dazu bereitgefunden. Doch sie ließ sich entschuldigen, da das, was sie mit Kevin zu besprechen habe, in Ruhe besprochen werden mußte.
Julius wandschlüpfte zur Aula. Da er sich für die Aufführung vor dem Schuljahresabschlußball gemeldet hatte, war er von allen sonstigen künstlerischen und sprachlichen Freizeitgruppen freigestellt worden.
Die Ballettmeisterin, Tanzlehrerin und auch Theaterregisseurin von Beauxbatons lächelte ihn an. Céline Dornier, Laurentine Hellersdorf, Belisama Lagrange, Leonie und einige andere Siebtklässler aus den sechs Sälen versammelten sich auf der großen Bühne. Im Moment wirkte keine Umweltillusion in der Aula.
Die nächsten anderthalb Stunden vergingen damit, Ideen zu sammeln, die Erinnerungen um die letzten sieben Jahre zu sammeln und zu sortieren. Danach stand eine Rahmenhandlung. Demnach sollte es um zwei Schüler gehen, die in der Zukunft von Beauxbatons eine große Truhe fanden, in der die Erinnerungen an die Jahre um das dunkle Jahr herum verstaut waren. Da Julius gerne ein wenig Muggelweltmusik mit einbauen wollte würden Laurentine und er die beiden fraglichen Schüler spielen, im Verlauf der Handlung selbst aber auch sich selbst spielen. Céline, auf Grund ihres schwarzen Haares dazu gut geeignet, würde Madame Faucon als Lehrerin und neue Schulleiterin geben. Zwischen den Szenen sollten kurze Musikstücke, mal instrumental und mal gesungen dazwischengeschoben werden. Julius übernahm es, die Musikstücke zu texten, wo es um Rap ging. Auch wenn er wußte, daß diese Form der Unterhaltungsmusik von den Lehrern nicht besonders hoch geschätzt wurde, würde er das gerade sehr gerne machen. So verging die Zeit. Die Rahmenhandlung wurde aufgeschrieben und dann der nächste Termin am Samstag Nachmittag vereinbart.
Als Julius im Krankenflügel ankam saß Madame Rossignol wieder an einer Strickerei. Sie wünschte den beiden eine gute Nacht. Julius sagte zu Gérard, daß er noch einmal nach seiner Frau und seinem Kind sehen wolle. Milie war noch wach. aurore schrie gerade, weil sie wohl was nötig hatte. Julius half seiner Frau, Aurore zu baden und frisch zu wickeln.
"Eigentlich kann ich jetzt schon wieder locker aufstehen, Monju. Aber Madame Rossignol hat ganz klar angesagt, daß ich erst eine Woche vor den Prüfungen in den gewohnten Trott zurückdarf."
"Immerhin müßtest du die kleine immer mitnehmen, falls du für Madame Rossignol nichts für sie hierlassen möchtest", sagte Julius.
"Das ist der einzige Grund, warum ich mich noch hier abgelegt liegen lasse", erwiderte Millie. "Die Jungen bei uns könnten auf dumme Ideen kommen, auch wenn ich die Schürze überziehe. Und die Mädels würden abgelenkt. Neh, ich genieße die Zeit mit ihr, wenn ich sonst nichts außer Hausaufgaben machen kann. Aber erzähl mal, ob es echt stimmt, daß Kevin auf Patrices Besen gelandet ist!" Julius kam dieser Aufforderung all zu gern nach. Millie nickte dabei jedoch immer mehr ein. So wünschte er ihr noch eine gute Nacht und verließ ihr kleines Zimmer.
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Die nächsten Tage verstrichen mit Unterricht und Freizeitaufgaben. Goldschweif kam wieder in Stimmung, wie sie sagte. Dusty und andere Kater stellten ihr nach. Doch sie wollte sich diesmal nicht mit neuen Jungen belegen lassen. Robert war nach der anfänglichen Glückstimmung, bald heiraten zu dürfen, nicht so besonders begeistert. Der Grund dafür lag darin, daß er seinen Familiennamen ändern mußte. Denn der überlieferten Tradition nach war es üblich, dass die erste Hexe aus einer reinen Gruppe Töchtern, ihren Familiennamen in die Ehe brachte, wenn sie heiratete. Das, so Robert, habe er bei Célines Rufen zunächst nicht mehr bedacht. Zurücktreten konnte und wollte er jedoch nicht.
In der Nacht vom achtzehnten auf den neunzehnten Mai weckte ein langer Schrei Julius aus dem Schlaf. Er war sofort hellwach. Dann hörte er neben an Sandrine stöhnen und Gérard sehr hektisch reden: "Verdammt, Sandrine. Wie kriege ich dich jetzt da rüber?"
Julius eilte aus seinem Zimmer hinüber ins Badezimmer und stellte sich unter die Dusche. Er wusch sich so gründlich es in einer bis zwei Minuten gelang. In der Zeit hörte er, wie Madame Rossignol Sandrine in den Krankenflügel hinüberholte. "Julius, mach dich bitte fertig! Ich habe die anderen Mitglieder aus Sandrines und deiner Teilgruppe schon angerufen", klang Madame Rossignols Stimme durch die Badezimmertür. Julius bestätigte es. Er trocknete sich ab, zog sich mit Hilfe des Schnellankleidezaubers an und eilte hinaus aus dem von Dampfschwaden erfüllten Bad und hinüber in das Behandlungszimmer der Schulheilerin, wo Sandrine gerade untersucht wurde. "Eindeutige Senkwehen. Die Geburt steht bevor", stellte die Heilerin fest. Gérard hockte in einer Ecke und machte ein ganz verstörtes Gesicht. "Hoffentlich geht das alles gut. Vielleicht sollten wir sie doch in die DK rüberbringen."
"Bei der Wehenlage ist ein Transport auch in der Innerttralisatus-Trage nur bei akutem Notfall erlaubt", sagte die Heilerin, während sie Julius anwies, mit Gérard nach nebenan zu gehen und sich dort keimfrei anzukleiden. Er kannte das schon. Nur daß er dieses Mal wieder mit in den Vorgang eingreifen sollte.
"Oh mann, ich weiß nicht, ob ich das überstehe. Sandrine hat noch neben mir geschlafen und fing dann auf einmal an zu schreien. Blut kam aus ihr raus. Ich dachte, die Babys fallen ihr raus", redete sich Gérard die Ereignisse der letzten Minuten von der Seele.
"Wir kriegen das, Gérard. Madame Rossignol hat Cythera und Aurore auf die Welt geholt. Belisama, Patrice und ich haben bei ihr alles gelernt, was wir machen müssen. Ganz ruhig, Gérard! Versuch mal folgendes zu denken! ..." Julius sagte ihm seine Selbstbeherrschungsformel vor. Doch Gérard war von der so plötzlich einsetzenden Geburt zu sehr aus dem Tritt. Dabei konnte es noch Stunden dauern, bis die beiden Kinder Sandrines schützenden Schoß verließen.
"Vielleicht solltet ihr doch diese Glucke Hera Matine rüberholen", sagte Gérard.
"Tu, die hat mich und Joe bei Claudines Geburt zugucken lassen", sagte Julius. "Aber ob sie das hier auch macht. Ich weiß das, es ist sehr unheimlich und macht Angst, Gérard. Aber Sandrine kriegt das hin!" versuchte Julius, seinen Schlafsaalkameraden zu beruhigen.
Nachdem sie beide es irgendwie geschafft hatten, sich keimfrei zu machen und anzuziehen bekamen sie beide noch einen Wachhaltetrank.
"Magistra Delourdes, bitte eine Nachricht an Madame Faucon, daß folgende Schülerinnen und Schüler auf Grund der bevorstehenden Niederkunft von Madame Dumas entschuldigt werden mögen!" Wandte sich die Heilerin an die gemalte Ausgabe von Serena Delourdes. Sandrine saß bereits auf dem Gebärstuhl. Doch im Moment suchte sie keine Wehe mehr heim. Sie lächelte ihren Mann an. Ihr Gesicht war bleich, aber strahlte Zuversicht aus.
"Die beiden liegen richtig?" Fragte Julius.
"Wenn du meinst, daß sie noch in mir drinstecken auf jeden Fall, Julius. Wenn du meinst, daß sie schon umgedreht sind, das auch, das hat Hera ja gemacht." Julius entschuldigte sich. Das hätte er ja wirklich noch wissen können.
"Morgen zusammen", gähnte Patricia. "Hätte fast meine zwei Nichten noch am Rockzipfel hängen gehabt, weil die wissen wollten, ob es bei Sandrine jetzt auch losgeht."
"Oha, hoffentlich fall ich nicht gleich wieder in Schlaf", seufzte Belisama, die ebenfalls gerade durch die Wand hereingeschlüpft kam. Sie winkte Julius und Patricia zu.
"Nebenan im Schlafsaal Keimfreilösung benutzen, dann Umhänge überziehen!" befahl die Heilerin im Telegrammstil. Offenbar hatte sie es eilig. Sie postierte Julius rechts von Sandrine und prüfte noch einmal, ob sie richtig gelagert war.
Als die beiden anderen Pflegehelferinnen herüberkamen teilte die Heilerin die Arbeitsabschnitte ein. Julius durfte wieder die Feder zum Mitschreiben klarmachen. Belisama und Patricia sollten, wenn die beiden Kinder ganz freigekommen waren, jeweils eines entbinden, sofern Gérard das nicht übernehmen wollte. Julius sollte mit Madame Rossignol den Ablauf der Geburt überwachen.
Um halb sechs erfolgten weitere Wehen. Sandrine schrie dieses mal nicht so laut wie vorher. Sie stöhnte und quängelte. Dann hatte sie diesen Schub auch schon überstanden. "Das wird diesmal nicht so lange dauern wie bei Millie", sagte die Heilerin zu Julius, der gerade durch den Einblickspiegel in Sandrines Unterleib blickte und sah, wie die beiden Föten Stück für Stück in Sandrines Becken hineinsanken.
Punkt sieben Uhr - Die Wehen kamen bereits im Abstand von unter fünfzehn Minuten, platzte die Fruchtblase. Sandrine wälzte sich in heftigen Wehen. Doch sie unterdrückte jeden überlauten Schrei. Gérard zeterte heftig, weil er sah, wie es aus Sandrines Körper heraustroff. Sie herrschte ihn an, sich endlich einmal zusammenzureißen. Denn sie bekäme seine Kinder, und die sollten ihren Vater nicht für einen nervösen Truthahn halten. Dann überkam sie die nächste Wehe, die bereits als Eröffnungswehe erkennbar war.
Um zwanzig vor Acht war Sandrines Gebärmuttermund bereits so weit geöffnet, daß ihre Geburtshelfer bequem ertasten konnten, wie weit die beiden schon waren. Julius traute sich erst nicht, wo Gérard zusah. Der würgte aber gerade, weil er den Anblick nicht aushalten konnte.
"Da reinspucken!" Zischte die Heilerin, die im Moment nicht wußte, für wen sie mehr zu sorgen hatte, für die Mutter oder den Vater. Gérard nutzte das Angebot. Julius hatte derweil den untersten Kopf ertasten können und zog seine Hand vorsichtig wieder zurück.
"Hoffentlich war dir das nicht zu unangenehm", sagte Julius zu Sandrine, während Madame Rossignol Gérard auf einen bequemen Stuhl setzte und einen Spucknapf mit Verschwindefunktion vor ihm befestigte.
"Ob ich jetzt vier oder fünf Hände da drin hatte tut jetzt auch nichts mehr zur Sache", rang sich Sandrine eine lässige Bemerkung ab. Julius gab unwillkürlich die geburtshilflichen Anweisungen, wenn er sicher war, wann welche Zwischenphase anstand. Madame Rossignol sah ihm und Patricia zu, griff aber nicht ein. Erst als der erste Kopf auch von außen zu erkennen war übernahm sie wieder das Kommando.
Um viertel nach Acht ruckte es in Sandrines Leib, und das kleine Mädchen Estelle war auf der Welt. Belisama und Julius banden die Nabelschnur ab und durchtrennten sie. Gérard hatte inzwischen sein Abendessen und das letzte Mittagessen wohl mit ausgespuckt. Wäre der Wachhaltetrank nicht gewesen, wäre er wohl auch ohnmächtig geworden. Julius fragte sich, warum Frauen das so gut überstanden, bei soetwas zuzusehen und warum er das jetzt schon das vierte Mal aushielt.
"Leg sie dahin, Belisama", stieß Sandrine unter den Erschütterungen einer aufkommenden Preßwehe aus. Madame Rossignol versetzte dem kleinen Mädchen einen Klaps auf das nackte Hinterteil. Es röchete erst. Dann stieß es seinen ersten Schrei im Leben aus. Das spornte offenbar den noch auf dem Weg befindlichen Bruder an, sich etwas zu beeilen. "Vollendung der Geburt eines Jungen um genau acht Uhr zweiundzwanzig Minuten und zehn Sekunden!" rief die Heilerin der Flotte-Schreibe-Feder zu. Patricia hielt ihn sicher, während Belisama und Julius die Nabelschnur sorgfältig abbanden und durchschnitten. Julius sollte das Kind zum Schreien bringen. Er legte den kleinen Jungen sicher auf einen Tisch mit Handtüchern und gab ihm einen kurzen Klaps. Das reichte aus, um den kleinen Jungen zum ersten Laut seines Lebens zu treiben.
"Maße des neugeborenen Mädchens: Gewicht: dreitausendzwanzig Gramm, Länge: vierundvierzig ein halb Zentimeter, Kopfumfang dreiunddreißig Zentimeter!" Rief Madame Rossignol gegen das nun ungehemmte Plärren und Schreien der wenige Minuten alten Zwillinge an. "Körpermaße des neugeborenen Jungen: Gewicht: dreitausendfünfzig Gramm. Körperlänge: fünfundvierzig Zentimeter. Kopfumfang: zweiunddreißig Zentimeter!"
"Wo sind die beiden?" fragte Sandrine mit einem leicht ungehaltenen Unterton. Belisama und Patricia legten ihr die Beiden in die Arme, wo sie erst einmal zur Ruhe kamen.
"War es das oder kommt da nicht noch was nach?" fragte Gérard, der gerade wie ein Vampir ohne Fangzähne aussah.
"Stimmt, die Nachgeburt", erklärte Patricia. Gérard wandte sich schnell wieder ab. Da Sandrine ihn auch sehr mißmutig anstarrte, wollte er das nicht auch noch sehen.
Es erfolgte nun die Namensvergabe. Sandrine nannte ihre Tochter "Estelle Geneviève Fantine Dumas. Gérard, der erst einmal Luft holen mußte, nannte seinen Sohn Roger Brian". Damit war der Neotokograph in Madame Faucons Räumlichkeiten wohl gerade in Aktion getreten. Julius sang leise "Ecce dies vitam novam!"
Der komplette Geburtsakt endete dann um genau neun Uhr morgens. Madame Rossignol entsorgte den nicht mehr benötigten Mutterkuchen in einem Verschwindeeimer. Das sie das nicht mehr benötigte Hilfsorgan nicht komplett verschwinden ließ, sondern in der Art eines Verschwindeschrankes von hier in die Delourdesklinik beförderte, erzählte sie keinem. Aber sie hatte den Auftrag von Madame Eauvive, genug Material zu sammeln, um den im Blut aufgekeimten Antrieb der skrupellosen Vereinigung Vita Magicae zu untersuchen. Sandrine hielt ihre beiden Kinder fast wie eine Stahlklammer fest an sich gedrückt. Madame Rossignol hatte keine andere Wahl, als sie mit den beiden Neugeborenen erst auf eine Trage und dann nach nebenan zu schaffen, wo Millie gerade an einer ausstehenden Hausaufgabe arbeitete. Aurore erwachte, weil viel Betrieb um ihrer Wiege herum entstand. Sie schrie laut. Millie legte ihre Schreibarbeit zur Seite und holte ihre Tochter heraus.
"Ihr fünf vertragt euch hoffentlich gut", sagte Madame Rossignol zu Sandrine und Millie. Sandrine sah Millies und Julius Tochter und verglich diese mit ihren beiden. Madame Rossignol sagte deshalb: "Zum einen hast du Zwillinge getragen, die nicht so groß werden, bevor sie geboren werden. Die holen das aber wieder auf. Zum anderen hat Aurore die Erbanlagen von Millie und Julius. Sei froh, daß es bei deinen nicht so lange gedauert hat!" Das war Sandrine auch. Der Lange Weg der Ungewißheit war vorbei. Sie hatte ihre beiden Kinder und damit erfüllt, was ihr und Gérard auf Martinique eingeflößt worden war. julius fragte sich, ob die Zwillinge jemals frei zu atmen und zu spielen lernen durften? Doch da er ja selbst eine gerade erst zwei Wochen alte Tochter hatte, sollte er sich besser erst an die eigene Nase packen.
Patricia, Belisama und Julius schrieben mit Sandrines Hilfe eine Geburtsanzeige. Gérard hatte von Madame Rossignol erst einen Aufhebungstrank gegen den Wachhaltetrank erhalten und war dann gleich im großen Schlafsaal bettfertig hingelegt und in Zauberschlaf versenkt worden.
Während sonst überall im Palast Unterricht erteilt wurde, verteilten die Geburtshelfer die neue Bekanntmachung in den Sälen, dem Speisesaal und den drei wichtigsten Abzweigungen. Dann frühstückten sie erst einmal in Ruhe. Julius fühlte sich sehr erhaben. Er hatte wieder zwei neue Leben beginnen sehen dürfen. Doch er wußte, daß der Beruf des Heilers trotzdem nicht der seine werden würde. Denn mit so übernervösen Angehörigen wie Gérard umzugehen, dazu fehlte ihm dann doch die Ruhe. Durchsetzungskraft hatte er wohl. Aber es war ihm nicht gelungen, Gérard zu beruhigen. Madame Rossignol nahm ihn kurz bei Seite, als die beiden Mädchen sich umzogen.
"Du denkst sicher, daß du Gérard nicht richtig geholfen hast und daß das jetzt der letzte Beweis dafür ist, daß du bei uns in der Heilzunft nichts verloren hast, wenn du sowas nicht hinbekommen kannst, richtig?" Julius wollte sie schon fragen, ob sie seine Gedanken gelesen hatte. Doch offenbar las sie es von seinem Gesicht ab. Er nickte. Dann antwortete er:
"Das gehört ja wohl auch dazu, wenn bei einem Familienmitglied ein schwerer Eingriff oder körperlicher Vorgang ansteht. Vielleicht lag es einfach daran, daß ich Gérard zu gut kenne und nicht distanziert genug an ihn herangehen konnte."
"Distanziert an jemanden herangehen klingt an und für sich widersinnig oder gar unlogisch", lachte die Heilerin großmütterlich. "Aber Gérard hat es noch nicht richtig in sich aufgenommen. Er wurde diese Nacht und heute Morgen mit Urgewalt darauf gestoßen, daß sein Leben sich ab heute komplett anders ausrichtet, Julius. Das und wohl dieAversion gegen die bei Sandrine sichtbaren Ausflüsse und die Dehnung haben ihn angeekelt und geängstigt. Ich muß dir sagen, daß du da wesentlich stabiler mit umgehen kannst. Allein schon, daß du genau gewußt hast, wann du Sandrine welche Anweisungen geben mußtest zeigt, daß du gewillt bist, auch mit unangenehmen Dingen das bestmögliche an Erfahrung und Wissen zu sammeln. Na ja, in zwei Wochen sind eure Prüfungen. Spätestens dann gelten deine bisherigen Schutzbehauptungen nicht mehr. Denn wenn die Ergebnisse vorliegen, werden sich mehrere Stellen um deine Fähigkeiten und deine Interessen bemühen. Es wäre uns gegenüber auch ein wenig undankbar, wenn du das, was du von Hera, Aurora und mir gelernt hast, so ungenutzt und unverfügbar bei Seite legen würdest. Aber wir können und wir wollen niemanden dazu zwingen, unseren Weg zu gehen. Nur wer aus freien Stücken mit offenen Herzen auf unseren Weg geht, der wird auch das bestmögliche aus sich und dem erlernten machen können."
Julius war sich zwar sicher, nicht in der Delourdesklinik anzufangen. Aber irgendwas, wo er die hier erworbenen Fähigkeiten einbringen konnte, würde er auf jeden Fall suchen und hoffentlich finden. Mit dieser Überzeugung und diesem Vorsatz ging Julius den rest des für ihn bis zum Nachmittag freien Tages an.