FanFic-Archive
Deutsche Fanfiktion

Julius Andrews - Auf seinem Weg in die Zaubererwelt von Thorsten Oberbossel

[Reviews - 1]   Inhaltsverzeichnis
Drucker Kapitel oder Geschichte


- Schriftgröße +
Kapitel Bemerkung:

Julius Andrews steht erneut vor einem Umbruch in seinem Leben, nachdem sich die Lage in England und für seine Eltern derartig verändert hat, daß er letztendlich zustimmt, doch nach Beauxbatons, der französischen Zaubererschule, zu wechseln. So trifft er Vorbereitungen, um dort keine Einstiegsprobleme zu haben und reist am Sonntag, dem 22. August mit den Schülerinnen und Schülern aus Millemerveilles zusammen ab.

Kaum hatte Professeur Faucon das letzte Zauberwort gerufen, fuhr aus ihrem Zauberstab eine goldene Lichtsäule empor, die weit über den um sie versammelten Zauberschülern zu einer roten Lichtkuppel auseinanderfloß, welche im Farbton der auf- oder untergehenden Sonne glich. Sie stülpte sich innerhalb von Sekunden über die im blauen Kreis versammelten Zauberschüler und die Lehrerin im Mittelpunkt und berührte den Boden. Unvermittelt, wie schon einmal, verspürte Julius einen Übergang von festem Boden zur völligen Schwerelosigkeit, während sich alle unvermittelt im Inneren einer roten Kugel fanden. Um sie herum grummelte es, wie ein in weiter Ferne rollender Donner. Der nun wohl nicht mehr als Hogwarts-Schüler zu bezeichnende Junge Julius Andrews hielt die mit Diebstahlschutzzauber versehene Reisetasche gut fest, während sein großer neuer Schulkoffer wie die Gepäckstücke der übrigen fünfzig Mitreisenden frei in dieser Kugel aus magischer Kraft schwebte.

Barbara, Jeanne, Claire, Seraphine, Virginie, Bruno und César hielten sich in Julius' Nähe, als wollten sie ihn behüten, ihm einen sicheren Halt geben. Julius sah noch mal genau auf Barbara, Virginie und Bruno. Er prägte sich die vergoldeten Broschen am Umhangkragen sowohl Barbaras und Brunos, sowie die versilberte Brosche Virginies ein, Symbole für die Saalsprecher und ihre Stellvertreter in Beauxbatons. Der nun bald in Beauxbatons weiterlernende Zauberschüler mußte kurz grinsen, wenn er daran dachte, daß die Junghexen und -zauberer sich um ihn sorgten. Sicher, Claire hatte nach dem erhellenden Gespräch mit ihm und ihrer Mutter ein gewisses Anrecht angemeldet, sich zu sorgen und Jeanne damit in gewisser Weise auch verpflichtet. Doch Julius dachte nur daran, das er nun einen weiteren Neubeginn vor sich hatte, nachdem er vor zwei Jahren erfahren hatte, daß er ein Zauberer sei und damit in einer anderen Welt aufwachsen müsse. Nun wechselte er in eine andere Zauberschule, weil Erwachsene befunden hatten, daß er dort besser und sicherer lernen könne, nachdem was in seiner Heimat passiert war. So bekam Madame Faucon doch noch ihren Willen, ihn weiterhin auszubilden. Nicht nur das, weil er bei Catherine Brickston wohnen würde, hatte sie noch einen gewissen Einfluß auf sein Privatleben. Er erinnerte sich zu gut an Catherines Worte, daß es im Schatten ihrer Mutter kalt sei.

"Achtung, wir treffen gleich im Zielkreis ein!" Rief Madame Faucon Julius und die Anderen zur Vorsicht auf. Ihre Stimme hallte von der inneren Schale der magischen Lichtkugel wider, wie von den Wänden eines großen Kellers. Wenige Sekunden später erfolgte der Übergang vom Schweben zum festen Boden. Julius federte die schlagartig wieder einsetzende Eigenschwere gut ab und stand sicher, als die fliegende Lichtkugel zu einer Kuppel wurde, die in ihrem Scheitelpunkt aufklaffte und um die Schüler und die Lehrerin herum im Boden versank, wobei das entstandene Loch immer größer wurde, bis die Kuppel komplett im Boden verschwunden war. Die Beauxbatons-Schüler standen in einem roten Vollkreis und spürten die nach Wald- und Gartenkräutern riechende Luft als laue Brise um die Nasen wehen. Sie waren in Beauxbatons angekommen.

"Laß deinen Koffer ruhig da stehen, Julius. Er wird dorthin gebracht, wo du wohnen wirst", sagte Barbara, bevor Madame Faucon dies übernehmen konnte. Diese nickte nur. Julius trug die Reisetasche aus dem großen Kreis und sah noch, wie eine Gruppe von Hauselfen die schweren Koffer mit Fernlenkzaubern hochsteigen und davonschweben ließ. Zwischen Bruno und Barbara ging Julius auf das mächtige Portal mit den beiden sieben Meter hohen Torflügeln zu, die sich lautlos vor den Ankömmlingen auftaten, als Professeur Faucon darauf zuschritt. Julius vernahm einen dumpfen Knall hinter sich und gewahrte einen roten Schimmer, der vom Ankunftskreis ausging. Gerade waren Schüler und Lehrer aus einer anderen Gegend des französischen Sprachraumes eingetroffen.

Hinter dem nun weit geöffneten Portal erwartete Madame Maxime, die Schulleiterin, die eintreffenden Schülerinnen und Schüler. Offenbar waren die aus Millemerveilles als erste angekommen, denn sonst wartete niemand dort. Selbst die imposante Erscheinung der Halbriesin nahm sich unter der hohen Decke der Eingangshalle winzig aus, erkannte Julius schmunzelnd. Als er bei seiner Reise von Hogwarts hier Zwischenstation gemacht hatte, war ihm das nicht so aufgefallen. Hogwarts! Dieser Name war nun noch der Oberbegriff für schöne Erinnerungen für Julius, der verstohlen an seinem neuen, blaßblauen Umhang aus hauchzartem Flachs hinuntersah.

"Du siehst in dem Umhang besser aus als ich", bemerkte César, dem das nicht entgangen war und hieb Julius aufmunternd auf die linke Schulter.

"Bitte aufstellen zur Begrüßung der Mitschüler!" Befahl Madame Maxime. Julius dachte mit gehässigem Grinsen, daß dies schon gut losging hier. Dann sah er, wie Madame Maxime ihn genau ansah, obwohl er nun genauso gekleidet war, wie die neunundvierzig anderen Zauberschüler.

"Monsieur Julius Andrews vortreten!" Bellte die überlebensgroße Frau und deutete energisch dreinschauend auf den Jungen aus England. Dieser gab sich einen Ruck, nahm Haltung an und ging nach vorne, wobei er den Gedanken verscheuchte, wie ein Soldat kerzengerade aufgerichtet zu marschieren. Ruhig und beherrscht trat er vor die Schulleiterin.

"Willkommen in Beauxbatons, Monsieur Andrews!" Begrüßte Madame Maxime den neuen Schüler ihrer Lehranstalt. Dieser erwiderte brav und mit fester Stimme den Gruß.

"Folgen Sie mir bitte in den Palast!" Befahl die Schulleiterin. Julius fröstelte. Wieso konnte er nicht mit den übrigen Schülern zusammen reingehen, einrücken? Doch er wußte, daß er hier nicht einfach fragen durfte, was er fragen wollte. So nickte er nur und folgte der Halbriesin, wobei er Barbara noch einmal für das gute Lauftraining dankte, daß ihm ermöglichte, ohne richtig zu rennen mit dem Tempo der Schulleiterin mitzuhalten. Diese wandte sich zwar zwischendurch um, ob er ihr noch folgte, nickte jedoch anerkennend, wenngleich Würde erheischend.

Schweigend führte Madame Maxime Julius durch ein Labyrinth aus Korridoren, durch Geheimtüren, ähnlich wie in Hogwarts und über eine Treppenflucht hinauf und hinunter, bis sie in einen mit schwarzen Marmorplatten ausgelegten Gang traten, von dem aus drei Eichentüren abzweigten. An einer Tür hing ein Zaubererbild, auf dem ein Mädchen in fliederfarbenem Rock und weißer Bluse stand. An der Tür zur rechten war ein grinsender Junge in einem blaßblauen Umhang abgemalt, der Julius zuzwinkerte. Die dritte Tür war tiefschwarz lackiert und besaß eine mächtige goldene Klinke und ein Schloß, so groß wie eine Faust. Julius dachte an die Beschreibungen des Himmelreiches, vor dem der bärtige Petrus die braven Seelen empfing und sie dort einließ, nachdem er ein ähnliches Tor mit solch einem großen Schloß aufsperrte.

"Falls Sie vorher noch ein gewisses Bedürfnis zu erleichtern haben, besuchen Sie den für Sie und Ihre Geschlechtsgenossen bereitstehenden Raum!" Wandte sich Madame Maxime an Julius. Dieser nahm den Ratschlag an und öffnete die Tür, auf der das Bild des Jungen in Blaßblau prangte. Nach weniger als zwei Minuten verließ er die dahinterliegenden Räumlichkeiten mit frisch gewaschenen Händen und glatt gestrichenen Haaren und stellte sich vor Madame Maxime, die ihn anblickte, als müsse sie ihm gleich etwas wichtiges mitteilen.

"Betreten wir den Einbestellungsraum!" Sagte sie und holte aus ihrem Umhang einen zum großen Schloß passenden Schlüssel aus Gold. Rasselnd drehte sich der Schlüssel, dreimal klackte es laut, bevor Madame Maxime die Klinke hinunterdrückte und die Tür nach außen zog, ohne das sie quietschte. Wie mit einem Schalter betätigt flammte innerhalb des Raumes Licht auf. Julius sah sofort, daß es in diesem Raum keine Fenster gab. Ohne weitere Anweisung folgte er der Schulleiterin in den Raum.

Der Raum war kreisrund und streckte sich etwa vier Meter in die Höhe. Dunkelrote Wandteppiche, sowie ein weißer flauschiger Teppich mit verschnörkelten Kreisen, Dreiecken und Sechsecken auf dem Boden. Der Schall wurde wohl sehr gut geschluckt, stellte Julius fest, als er einmal etwas lauter mit dem Fuß aufstampfte. Er fühlte sich wie im Inneren eines gigantischen Zylinderhutes, unter dessen Oberseite vier große Kronleuchter mit je zwölf Armen hingen, deren armdicke Kerzen ein gleichmäßiges weißes Licht verströmten. Julius schätzte, daß in diesem Raum hundert Leute stehen konnten. Madame Maxime zog die Tür wieder Zu und schloß von innen ab. Julius sah sich schnell um, ob ein weiterer Ausgang zu finden war, konnte jedoch außer den gewölbten Wänden nichts mehr ausmachen außer der Tür, über die sich gerade ein Stück Wandteppich senkte.

"Ich möchte Sie nun instruieren, was mit Ihnen geschieht, Monsieur Andrews. Ich bitte mir aus, daß Sie mir die volle Aufmerksamkeit schenken", forderte Madame Maxime von ihrem neuen Schüler. Dieser sah sie erwartungsvoll an, sagte jedoch kein Wort. Im Moment wollte er nichts tun, was das Mißfallen der hünenhaften Schulleiterin erregte.

"Sie wurden in einer mündlichen und schriftlichen Vorabprüfung seitens meiner Kollegin und Stellvertreterin Professeur Faucon dahingehend examiniert, ob Sie hier in der Beauxbatons-Akademie für französischsprachige Hexen und Zauberer die noch anstehenden Schuljahre im Rahmen des Ausbildungsgesetzes für mit Magie begabter Jungen und Mädchen problemlos dem Unterricht folgen können. Da Sie diese Prüfung zu 100 % erfolgreich absolvierten, steht dieser weiteren Ausbildung nichts im Wege. Sie sind zwar ein neuer Schüler, da Sie die restlichen Schuljahre hier zubringen werden, jedoch gehören Sie nicht zu den Erstklässlern und unterliegen bei der Zuteilung Ihrer Unterbringung dem Statut für Austauschschüler. Mir ist bekannt, daß Sie von Mademoiselle Geraldine Porter wissen, die hier einst ein Austauschschuljahr absolvierte. Sie wurde wie Sie heute vor den Beginnern zugeteilt. Ebenso werden wir mit Ihnen verfahren. Ich werde gleich durch den Zugang zum Speisesaal diesen Raum verlassen und Ihren Eintritt vorbereiten. Sie werden auf meinen Befehl hin durch den Zugang zum Speisesaal eintreten und sich unserem Zuteilungsartefakt stellen. Hierbei handelt es sich nicht um einen beseelten Zaubererhut, welcher Sie in Hogwarts begutachtete, sondern um einen Teppich aus verwobenem Einhornschweif, Zentaurenschweif und Feenhaar, der mit Zauberfarben eingefärbt und mit verschiedenen Zaubern belegt wurde, nachdem die Aufteilung in Knaben und Mädchenhäuser aufgehoben und bestimmte Charakteristika für jeden Saal festgelegt wurden. Ich weiß, daß die Schülerinnen und Schüler der meiner Verantwortung unterstellten Lehranstalt Sie schon aufgeklärt haben, welche Grundeigenschaften jedem Saal zuerkannt wurden. Falls Sie darauf ausgehen, einem bestimmten Saal zugewiesen zu werden, sei es aus Sympathie mit den erwähnten Grundeigenschaften oder aus Sympathie mit bestimmten Schülerinnen und Schülern, vergessen Sie dies! Der Teppich der Farben kann nicht auf bestimmte Wünsche dessen, der auf ihm wandelt abgestimmt werden und ermittelt die wahren Grundeigenschaften."

Julius horchte auf, als er von schräg links vor sich das leise Bimmeln von großen Glocken hörte. Madame Maxime bemerkte dies und sagte:

"Man bereitet die Auswahlartefakte vor. Wenn Sie gleich auf dem Teppich der Farben wandeln, wird mit jedem Schritt, den sie auf ihm tun, sobald er eine einzige Farbe zeigt, die Glocke über dem Tisch des Saales, dessen Farbe der Teppich angenommen hat, läuten, bis Sie alle Schritte getan haben. Bei manchen läutet die Glocke eines Saales erst vor dem letzten Schritt, bei einigen schon nach dem vierten. Was auch immer Sie über die Grundeigenschaften der sechs Säle erfahren haben, ich rate Ihnen gut, sich so gut wie möglich an die Schulordnung zu halten und sich tadellos im Unterricht zu betragen. Diese Schule ist kein Tummelplatz für Tunichtgute und Faulpelze, welche meinen, nach eigenem Gutdünken schalten und walten zu dürfen. Sie bekamen ja mit, wie ich gezwungen war, einige Schüler vor Antritt der Ferien zu maßregeln. Professeur Faucon deutete zwar an, daß Sie sich hier unwohl fühlen könnten. Aber ich sage es Ihnen hier und jetzt, daß Sie dazu keinen Grund haben werden, wenn Sie sich an die Regeln halten, die Sie in schriftlicher Form vom Vorstand des Saales erhalten werden, in dem Sie unterkommen werden. Ich hoffe, Sie werden weder sich noch Ihrem zukünftigen Saal Schande machen und freue mich, einen so talentierten Jungzauberer in diesen Mauern willkommen heißen zu dürfen. Weiteres erfahren Sie wie alle anderen auch in meiner Ansprache zum Schuljahresbeginn."

Als Madame Maxime diese Worte gesagt hatte, horchte sie noch mal auf das Treiben hinter der Wand schräg links. Julius rang darum, ob er noch etwas sagen sollte oder es besser unterbleiben ließ. Er entschloß sich, etwas zu sagen, damit die große Dame nicht glaubte, er habe nicht hingehört.

"Ich habe es mir nicht ausgesucht, hier weiterzulernen. Sie können darauf bauen, daß ich es mir hier nicht unnötig schwer mache. Immerhin weiß ich ja, was für Strafen Sie hier anwenden können und lege es nicht darauf an, andauernd etwas abzubüßen."

"Das freut mich, Monsieur Andrews", sagte Madame Maxime noch und tippte dann mit dem großen Schlüssel, den sie immer noch in der rechten Hand hielt, gegen den Wandteppich schräg links von der im Moment verdeckten Zugangstür, durch die sie hereingekommen waren. Das berührte Stück Teppich zog sich nach oben hin zurück, ohne eine Falte im übrigen Wandbehang zu werfen, lautlos und geschmeidig, bis eine große Tür mit zwei Flügeln aus weißem Eichenholz freigelegt war. Diese entsperrte Madame Maxime mit dem Schlüssel und verließ den zylinderförmigen Warteraum. Die Türflügel schwangen von selbst wieder zu und sperrten Julius vom dahinterliegenden Raum aus. Neugierig trat der in wenigen Minuten als ordentlicher Beauxbatons-Schüler angenommene Jungzauberer auf die Türflügel zu und stubste sie an. Sie waren fest verschlossen und besaßen auch keine Klinke. Julius holte seinen Zauberstab aus der Reisetasche und vollführte an dieser den Freigabezauber, der den Diebstahlschutz aufhob. Er hatte sich dazu entschlossen, die Tasche von Hauselfen oder sonstigem Personal tragen zu lassen, bis sie in dem Saal und Schlafraum war, wo er untergebracht werden sollte. Da er alle wichtigen Bücher in der einschrumpfbaren Bibliothek von Mrs. Unittamo verstaut hatte, war in der Tasche nicht viel wichtiges. Seine wertvollsten Dinge trug er in Aurora Dawns Practicus-Brustbeutel am Körper, eben auch den eingeschrumpften Bücherschrank. Seinen Chemiebaukasten hatte Madame Faucon ja ebenso vorab beschlagnahmt, wie die meisten Bücher seines Vaters. Nur wenige Werke hatte er behalten dürfen, die sich mit nichtmagischen Dingen beschäftigten, darunter das Physikbuch und den Wälzer über Navigation, den er von seiner Mutter bekommen hatte.

"Sie mögen eintreten!" Hörte Julius einen lauten Befehl der Schulleiterin an irgendwen. Er horchte an den Türflügeln und vernahm, wie hunderte von Schülern auf den Teppichen im Speisesaal herumliefen, wie Stühle gerückt wurden und allerlei getuschelt wurde. Er vermeinte, Barbaras, Seraphines, Brunos und Belles Stimmen herauszuhören, wie sie Anweisungen an ihre Mitschüler weitergaben. Julius fragte sich, wann die Erstklässler in diesen Warteraum eingelassen würden. Er sah auf seine Armbanduhr. Bei der Abreise aus Millemerveilles war es genau sechs Uhr abends gewesen. Nun waren genau zehn Minuten verstrichen. Er grinste, weil ihm Barbaras Worte in den Sinn kamen, daß er nach der Ankunft in Beauxbatons keine zwanzig Minuten später an ihrem Tisch, dem grasgrünen, sitzen würde. Er hatte nicht mit ihr gewettet, ob sie wirklich recht haben würde. Aber interessieren tat es ihn schon, ob er wirklich keine zwanzig Minuten auf das Ergebnis warten mußte.

Es dauerte noch zwei Minuten, bis wohl alle Schülerinnen und Schüler, die bereits mehr als ein Jahr hier zugebracht hatten, ihre Plätze eingenommen hatten. Laut klatschend verschaffte sich Madame Maxime absolute Ruhe. Zumindest war sich Julius sicher, daß nur sie so laut klatschen konnte, wie Gewehrfeuer aus nächster Nähe.

"Mesdemoiselles et Messieurs! Herzlich willkommen zu einem neuen Schuljahr in Beauxbatons, das für viele von Ihnen den Abschluß Ihrer Zaubereiausbildung bringen wird, für die Mehrheit von Ihnen ein weiteres wichtiges und arbeitsreiches Jahr sein wird. Heute werden wir wieder neue Schülerinnen und Schüler in unseren Reihen begrüßen dürfen und mit Ihnen zusammen das Fest des neuen Schuljahres begehen. Dieses Schuljahr findet eine der seltenen Ausnahmen im üblichen Ablauf der Eingliederungszeremonie statt. Jene, die in Millemerveilles wohnen wissen bereits, daß wir in diesem Jahr einen Schüler in unserer Lehranstalt begrüßen dürfen, der aus Gründen, die ich hier nicht vertiefen werde, die nächsten fünf Jahre seiner Zaubereiausbildung zubringen wird, nachdem er die ersten beiden Jahre in der englischen Schule Hogwarts zubrachte, zur vollsten Zufriedenheit des dortigen Lehrkörpers."

"So'n Streber!" Tönte es unerbeten aus dem Speisesaal. Julius ordnete die Stimme einem älteren Schüler zu. Einige lachten wohl über diesen Zwischenruf. Madame Maxime ließ dies jedoch nicht ungeahndet durchgehen.

"Fünfzehn Strafpunkte für Sie, Moreau und ein Sprechverbot bis zur ersten Unterrichtsstunde! Taceto!"

"War wohl 'n Blauer", dachte Julius und hoffte nun inständig, daß er nicht doch zu diesen Leuten mußte. Madame Maxime fuhr in ihrer Ansprache fort.

"Der erwähnte Schüler, der in diesem Jahr zu uns kommt, wird gleich durch die Zutrittstür hereinkommen und wie alle Neuen über den Teppich der Farben schreiten, dessen Bezauberung ergründen wird, wo dieser junge Mann den Rest seiner Zaubereiausbildung wohnen wird. Da er die beiden ersten Klassen zu Hogwarts erfolgreich vollendet hat, wird er mit den Schülerinnen und Schülern der dritten Klasse am unterrichtsgeschehen teilnehmen, zusammen mit jenen Schülerinnen und Schülern des Saales, in dem er wohnen wird. Dies zum allgemeinen Verständnis. Treten Sie nun ein, Monsieur Julius Andrews!"

Julius trat erst einen Schritt zurück, als sich die beiden Türflügel erhaben vor ihm auftaten, in den Speisesaal hinein. Dann trat er aus dem Warteraum in den festlich erleuchteten und durch die großen hohen Fenster mit dem Licht der Sommerabendsonne durchdrungenen Saal. Er blickte sich um und gewahrte, das er mit zwei Schritten am Tisch der Lehrer anlangen würde. Weitere zwei Schritte weiter lag ein etwa zwölf meter langer und vier Meter breiter Läufer aus einer wie aufgequollen wirkenden Wolle, der kreuz und quer in sechs verschiedene Farbfelder unterteilt war: Weiß, violett, himmelblau, kirschrot, grasgrün und gelb. Die dazugehörigen Tische standen im Sechseck angeordnet von Julius aus hinter dem langen Lehrertisch, der kerzengerade zur Eingangstür hindeutete. Der nun für Beauxbatons bestimmte Schüler stand erst einmal im Raum, ohne auch nur einen Schritt zu wagen. Die Schüler am blauen Tisch sahen ihn an, als wollten sie ihn gleich auslachen, weil er so tranig war, nicht einfach loszugehen. Er warf einen Rundblick über alle Tische und erkannte Leute, die daran saßen wieder, wie Seraphine und Belisama am weißen Tisch, Jacques Lumière, die Rossignol-Zwillinge und Adrian Colbert am blauen Tisch, Bruno Chevallier, César Rocher, Janine Dupont, die Montferre-Schwestern und Caro Renard am roten Tisch, Sandrine und Marlen am gelben Tisch und die Dusoleil-Schwestern, Barbara Lumière, Virginie Delamontagne und Edmond Danton am Tisch der Grünen, welche ihm bereits sehr erwartungsvoll zublickten, sowie Belle Grandchapeau, die am violetten Tisch saß. Dann fiel ihm etwas auf, daß bei seinem letzten Besuch noch nicht so war, wie es jetzt war. Über jedem der sechs Tische hing eine unterschiedlich große Bronzeglocke an einem silbernen Seil, das irgendwie in der Decke des Saales verschwand.

"Voran, Monsieur Andrews!" Trieb Madame Maxime den Neuling an. Dieser trat nun vor und passierte den Lehrertisch, an dem er durch ein Kopfnicken alle grüßte. Die Lehrer und Lehrerinnen erwiderten den Gruß. Dann ging er zum ausgelegten Teppich der Farben. Langsam hob er den rechten Fuß an, schob ihn vor und senkte ihn auf das erste, ein violettes Farbfeld hinab.

Julius wußte nicht, was er erwartet hatte. Sicherlich gehörte das was er fühlte nicht dazu. Unter seinem Fuß gab der Teppich etwas nach, wie dicker Schaum auf hartem Grund. Dann fühlte er einen federnden Widerstand, als trete er auf eine Federkernmatratze oder ein Trampolin. Er fühlte, daß sein rechter Fuß bis zum Spann in etwas eintauchte, das sich weich anschmiegte. Was für eine Magie war das? Fragte sich der nun angehende Beauxbatons-Schüler. Das verblüffendste war jedoch, daß im selben Moment, wo er den Teppich der Farben mit dem Fuß berührte, zwei der sechs Farben verschwanden. Der Teppich schien nun in größere Felder eingeteilt zu sein, allerdings nur noch in himmelblaue, grasgrüne, kirschrote und weiße. Violett und gelb waren bereits verschwunden. Nun hob ein leises rhythmisches Flüstern an, das von vier Tischen herüberdrang. Jeder Tisch flüsterte die Farbe des Saales, für den der jeweilige Tisch stand, außer denen, deren Farben schon beim ersten Schritt verschwunden waren.

"Rot! Rot!" Beschworen die Schüler am kirschroten Tisch. "Weiß! Weiß! Weiß!" Kam es von den Schülern am weiß gedeckten Tisch zu Julius herüber. "Komm doch zu den Blauen! Komm doch zu den Blauen!" Flüsterten die Blauen, wobei sie jedoch hämisch grinsten. "Grün, Julius! Grün!" Drangen die geflüsterten Beschwörungen von den Schülern am grasgrünen Tisch an die Ohren des neuen Schülers. Er hob den linken Fuß an und setzte ihn vor den rechten Fuß auf ein weißes Feld. Wieder meinte er, er würde in einen dicken Schaumteppich einsinken und dann auf federnden Widerstand treten. Kaum berührte der linke Fuß den Teppich, verschwanden zwei weitere Farben, Weiß und Blau.

"Ui!" Machten die Schüler am weißen und violetten Tisch. Die Blauen verzogen die Gesichter zu einem Schmunzeln und atmeten auf. Offenbar würden sie keinen Streber kriegen, der meinte, ihnen Anstand beizubringen. Die roten und Grünen sprachen nun etwas lauter. Madame Maxime ließ sie gewähren. Offenbar war das ein Teil des Rituals, dachte Julius und hob den rechten Fuß an. Ohne Probleme konnte er den Fuß aus dem weichen Widerstand ziehen, vorsetzen und absenken, wieder durch eine Art Schaumschicht dringend und dann auf den Teppich, auf ein rotes Feld absetzend.

Dong! Erscholl eine der Bronzeglocken, als Julius wieder mit beiden Beinen auf dem Teppich stand. Schlagartig verschwanden alle roten Felder, wurden förmlich von den grünen Bereichen verschluckt, bis diese in weniger als einer Sekunde verschmolzen waren. Julius hörte förmlich, wie alle Schüler schluckten. Nur die Grünen schienen das gelassen hinzunehmen. Julius schluckte auch. Er dachte wieder an Barbaras Worte:

"Freundchen, Jeanne und ich haben dir schon mal gesagt, daß du keine andere Chance hast als bei uns im grünen Saal zu landen. Falls was anderes rauskommt wäre das noch heftiger als das Ding mit Harry Potter und dem Feuerkelch."

Er setzte den linken Fuß vor. Dong! Wieder erscholl die Glocke, welche über dem grünen Tisch hing. Der Teppich blieb grasgrün. Dong! Erklang die Glocke beim fünften, beim sechsten, beim siebten bis zum zwölften Schritt. Jedesmal klatschten die Grünen in die Hände und forderten Julius auf, endlich herüberzukommen.

Als der neue Beauxbatons-Schüler den letzten Schritt auf dem Teppich tat, brandete vom grünen Tisch lauter Applaus auf. Die Roten klatschten mit, ebenso die Weißen. Offenbar gönnte man den Grünen den neuen Drittklässler. Nun setzte Julius den rechten Fuß vor, vom Teppich der Farben herunter. Er trat auf gewöhnlich weichen Teppichboden, wie er ihn seit frühester Kindheit her gewohnt war. Er zog den linken Fuß nach und verließ den magischen Teppich. Kaum hatte er den linken Fuß angehoben, breiteten sich die übrigen fünf Farben wieder kreuz und quer über den Teppich aus. Julius dachte daran, daß der Hut in Hogwarts vorher immer gesungen hatte, wer für welches Haus in Hogwarts bestimmt war. Hier galt das wohl nicht. Aber er hatte ja so schon gehört, welche Grundeigenschaften man welchem Saal in Beauxbatons zuordnete. Außerdem barg ja jeder Saal gute und schlechte Eigenschaften. Reine Zauberergeborenen hatten wohl auch von den Eltern gehört, wer wegen was in welchem Saal landete. Muggelstämmige wie er würden das wohl durch die Praxis rauskriegen, weshalb sie ausgerechnet im grünen, roten oder blauen Saal gelandet waren.

Professeur Faucon stand vom Lehrertisch auf, ging neben dem Teppich her zu Julius hin und begrüßte ihn noch mal.

"Willkommen im grünen Saal von Beauxbatons, Monsieur Andrews. Ich bin Ihre Hausvorsteherin und geleite Sie nun an den für Sie bestimmten Tisch", sagte sie und ergriff Julius' linken Arm und führte ihn zu jenem runden Tisch, der mit einer grasgrünen Leinendecke bezogen war und auf dem große grüne Blumenvasen standen. Julius erhaschte noch einen Blick auf den roten Tisch, wo eine etwas enttäuschte Caro sich mit ihren Klassenkameradinnen unterhielt und die Montferre-Schwestern ihm zunickten, er möge nun dahin gehen, wo der Teppich ihn hinbestimmt hatte. Edmond und Barbara standen vom grünen Tisch auf und stellten sich so, daß sie Julius begrüßen konnten. Als Professeur Faucon den neuen Grünen herangeführt hatte, erklärte sie, das sie hoffe, nur gutes von Julius hören zu werden. Edmond trat heran und reichte Julius die Hand zum Gruß. Julius ergriff die Hand und drückte sie fest. Der Saalsprecher der Grünen drückte seinerseits feste zu und schüttelte die Hand so kräftig, daß Julius meinte, er wolle sie ihm vom Arm abschütteln wie einen Apfel von einem Baum.

"Willkommen im grünen Saal, Julius!" Sagte Edmond. Dann grüßte er die Sallvorsteherin artig. Diese sagte noch zu allen, die an diesem Tisch saßen:

"Wie Sie sich denken werden, erwarte ich von Ihnen allen, daß Sie mit Monsieur Andrews, wie mit den übrigen, die noch zu Ihnen stoßen werden, kameradschaftlich und friedlich umgehen und ihm bei seiner Eingewöhnung behilflich sein werden. Im Gegenzug erwarte ich von Ihnen, Monsieur Andrews, daß Sie mir als Saalvorsteherin keinen Grund zu Tadel oder Bestrafung geben werden und sich mit Ihren neuen Mitbewohnern und Klassenkameraden sehr gut vertragen. Eine erbauliche Zeit noch in Beauxbatons!"

"Jetzt setz dich schon hin!" Zischte Barbara Julius zu, die neben Edmond gesessen hatte und nun einen freien Stuhl zwischen sich und dem Saalsprecher bereitstellte, auf dem Julius sich niederlassen sollte. Rechts neben Barbara saßen Virginie, Jeanne und Claire. Julius warf noch einen Blick auf seine Weltzeituhr und grinste:

"Genau sechzehn Minuten von der Ankunft bis hierher", sagte er. Barbara grinste ebenfalls. "Du solltest auf die Worte einer älteren Hexe hören, Bursche. Du konntest nur hier landen, habe ich gesagt und recht behalten. Dann kann ich ja Edmond das hier geben."

Barbara reichte hinter Julius' Rücken ein Stück Pergament zu Edmond hinüber, der es nahm, betrachtete und dann meinte: "Wenn Professeur Faucon zustimmt und Monsieur Dedalus das absegnet sehe ich da keine Probleme drin, nachdem, was Yves und Jeanne erzählt haben."

"Ach du meine Güte, laßt mich bitte erst einmal ankommen", stöhnte Julius, dem sonnenklar war, was die beiden Saalsprecher da ausgeheckt hatten.

"Sieht das nicht blöd aus, wenn ich hier zwischen euch herumhänge, Barbara und Edmond? Wäre es nicht besser, wenn ihr mich denen vorstellt, mit denen ich zusammen in die Klasse gehen soll", sagte Julius. Edmond nickte.

"Die freuen sich schon auf dich. Nachdem, was Claire und Gérard erzählt haben, möchten sie dich kennenlernen. Allerdings mußten wir erst einmal sicher sein, daß du nicht doch bei den Blauen landest. Das sah ja doch so aus, als könntest du zu denen gesteckt werden."

"Nur, wenn die was am Teppich verhext hätten, Edmond", widersprach Barbara, und Claire und Jeanne stimmten zu.

"Wir haben die ganzen Schulferien mit ihm zusammen gewohnt. Der hat sich nicht einmal daneben benommen, ja sich sofort entschuldigt, wenn ihm was peinliches passiert ist oder er was gesagt hat, was wem nicht geschmeckt hat. Aber ansonsten ist er schon selbstbewußt und begeisterungsfähig, Edmond", sagte Jeanne.

"Gut, dann bringe ich dich gerne ...", setzte Edmond an. Barbara räusperte sich.

"Nix, Edmond. Der kann nach dem Abendessen genug mit seinen neuen Klassenkameraden reden. Das sähe doch jetzt dumm aus, wenn der den Platz tauscht."

"Oh, Babsie, hat Gustav dich geärgert, daß du wen brauchst, mit dem du dich präsentieren kannst?" Fragte Edmond gehässig. Barbara drückte Julius sacht nach vorne und griff dann Edmond Danton kurz aber schmerzhaft ans rechte Ohr.

"Der Junge bleibt jetzt erst einmal hier", bestimmte Barbara. Julius fragte sich, ob er nicht im falschen Film war. Denn als er hier auf der Reise nach Millemerveilles gesessen hatte, war ihm alles so kühl und distanziert vorgekommen. Edmond sagte:

"Gut, wir haben ja erst um zehn Uhr Saalschluß. Bis dahin kann sich Julius mit allen unterhalten, die wichtig für ihn sind."

"Ich dachte, hier herrscht doch mehr Reserviertheit", flüsterte Julius nur für sich. Doch Barbara hörte das wohl.

"Wir haben unsere Verhaltensregeln, Julius. Wahrscheinlich wird Professeur Faucon sie dir noch geben, bevor die eigentliche Einberufung losgeht."

Tatsächlich brachte Professeur Faucon Julius noch ein kleines Buch in grasgrünem Einband und verließ dann den Speisesaal.

"Die wird jetzt die ganz neuen einweisen, daß sie gleich heraustreten und über den Teppich laufen sollen. Die warteten erst in einem anderen Warteraum. Wird wohl nur fünf Minuten dauern, bis die durch die Tür kommen", sagte Edmond. Julius hörte nur mit halbem Ohr zu. Er hatte das kleine Buch aufgeschlagen und las:

GRUNDSÄTZLICHE VERHALTENSREGELN

Willkommen in der Beauxbatons-Akademie für französischsprachige Hexen und Zauberer! Um Ihnen den Aufenthalt und die Arbeit hier so unbeschwerlich wie möglich zu machen, sind Ihnen hier die wichtigsten Verhaltensregeln und Unterrichtsbestimmungen niedergeschrieben. Wenn Sie sich an diese Regeln halten, werden Sie erfolgreich in unserer Akademie alles erlernen, was für Ihren späteren Lebensweg in der Welt der Zauberei wichtig ist. Wir weisen Sie darauf hin, daß diese Regeln nicht erstellt wurden, um sie zu ignorieren. Um die Harmonie innerhalb der Akademie sowie die disziplinierte und effiziente Durchführung des Unterrichts garantieren zu können, wurden für die Zuwiderhandlung der hier aufgeführten Regeln Strafmaßnahmen festgelegt, über die Sie hier ebenfalls Kunde erhalten. Führen Sie sich vernünftig, diszipliniert und fleißig, und Sie werden die Beauxbatons-Akademie mit Anerkennung und Lob Ihrer Ausbildung verlassen.

 

Grundregel 1

 

Allen von einem Mitglied des Lehrkörpers oder der Schulleitung gegebenen Anweisungen ist ohne Widerspruch zu gehorchen. Da die Leistungen eines Lehrers auch von der Mitarbeit der ihm anvertrauten Schüler abhängen, müssen sich alle Schüler den Anweisungen der Lehrer oder der Schulleitung fügen. Zuwiderhandlung kann nach Schwere der Verfehlung geahndet werden, siehe unten.

 

GRUNDREGEL 2

 

Jedem der sechs Säle von Beauxbatons stehen je zwei ältere Schüler und Schülerinnen als Saalsprecher vor. Ihre Aufgaben liegen darin, die Belange der Lehrer den Schülern überzeugend zu vermitteln. In Abwesenheit eines Lehrers dürfen diese Saalsprecher Leistungspunkte vergeben oder Strafpunkte verhängen, sofern diese Beschlüsse nicht durch den Lehrer, welcher als Saalvorstand tätig ist, widerrufen werden. In Abwesenheit von Lehrern haben Anweisungen der Saalsprecher von denen, die in ihrem Zuständigkeitsbereich unterkamen genauso befolgt zu werden, wie die Anweisungen von Lehrern. ...

Julius las sich weiter durch die Regeln, während Professeur Faucon von Jenseits der weißen Flügeltür zum Einberufungsraum zu dort versammelten Schülern sprach. Er erfuhr, daß es verboten war, sich am Eigentum seiner Mitschüler, schon gar nicht der Lehrer, zu vergreifen oder es zu beschädigen, daß man sich an die Unterrichtszeiten halten mußte, weil Strafpunkte pro angefangene Minute Verspätung bekam, wobei die erste Minute mit einem Strafpunkt, die zweite mit zwei und die dritte mit vier zusätzlichen Strafpunkten geahndet wurde, daß man sich große Anerkennung für zusätzliche Aufgaben einhandeln konnte, wohingegen Herumlungerei mit Strafpunkten bedacht wurde. Über die Punkteverteilung las er, daß nicht der Saal Strafpunkte bekam, in dem jemand wohnte, sondern der Schüler für sich. Das galt auch für die Leistungspunkte. Hierbei bekam jeder Schüler ein Bonuskonto, bei Schulbeginn 200, nach der Ersten Klasse zu Schuljahresbeginn die dreifache Summe aller Punkte, die sich durch die Endnoten jedes Faches ergaben, wobei die schlechteste Note mit 0 und die beste mit 15 Punkten umgerechnet wurde. Demzufolge konnte ein sehr fleißiger Schüler sich ein hohes Bonuspunktekonto für das nächste Schuljahr erwerben. Wurde dieses unterschritten, also verlor man nur Punkte, wurden schriftliche Strafarbeiten fällig, bei jedem Viertel des Einstiegskontos weniger kam eine körperliche Strafe, bis hin zu Freizeitentzug, Arrest oder gar befristete Verwandlung als Strafe in Betracht. Unterschritt das Konto gar die 0-Punkte-Schwelle, konnte nach gesonderter Betrachtung der sofortige Schulverweis oder die Aberkennung aller Freizeit beschlossen werden. Gruppenprojekte wurden gewertet und in die Saalwertung einbezogen. Punkte beim Quidditch wurden durch 10 geteiltund der Saalwertung hinzugefügt, bei Pokalgewinn kamen da noch mal 50 Punkte hinzu, beim Sieg eines Saalbewohners im schuleigenen Schachturnier kamen da auch noch 25 Punkte hinzu. Zum Schuljahresende wurden alle Bonuskonten zusammengezählt und durch dieAnzahl der Schüler eines Saales geteilt und der Gruppenarbeitswertung hinzugezählt. Somit trug jeder Schüler eigentlich für sich selbst viel mehr Verantwortung, erkannte Julius, war aber auch für das Gesamtbild des Saales verantwortlich, in dem eroder sie wohnte.

"Ist doch anders als Hogwarts", meinte Julius zu Barbara, als er diesen Abschnitt gelesen hatte. "Jetzt verstehe ich auch, was für Madame Maxime so fragwürdig daran war, daß wir Punkte für das ganze Haus verloren oder bekamen."

"Wenn du das jetzt schon einsiehst, werden wir keinen Ärger mit dir haben", bemerkte Barbara lächelnd. Dann flüsterte sie:

"Wenn du alle Regeln immer einhalten willst, wirst du irgendwann zusammenbrechen. Du wirst bestimmt auch Punkte verlieren, vielleicht sogar Sachen machen, die hier bestraft werden. Du kannst nur versuchen, so wenig Punkte wie möglich zu verlieren, natürlich auch Punkte gewinnen."

Edmond räusperte sich, weil Julius sich mit Barbara besprach, anstatt, wie es eine andere Regel in dem kleinen grünen Büchlein vorschrieb, den geschlechtsgleichen Saalsprecher oder dessen Stellvertreter zu bemühen. Julius entschuldigte sich sofort und erklärte Edmond, wie es in Hogwarts lief. Edmond meinte:

"Gut, dieses System mag der Kameradschaft dienlicher sein als das von Beauxbatons, fördert aber nicht gerade die Eigenverantwortung, weil man ja die Verfehlungen auf alle abwälzt und sich die erbrachten Leistungen auch mit Missetätern teilen muß, was hier nicht geht."

"Zumindest merke ich jetzt schon, daß hier ein scharfer Wind weht", sagte Julius.

"Ich bin jetzt in der siebten Klasse, wie Barbara. Glaub mir, daß ich schon aufpasse, was du hier tust, um uns nicht im allgemeinen und dich nicht im besonderen zu schädigen."

Julius horchte auf die Namen der Schüler, die wie in Hogwarts nach Nachnamen in alphabetischer Reihenfolge aufgerufen wurden und über den Teppich der Farben gehen mußten, etwas schneller, als Julius. Einige, die auf den Teppich traten, brauchten elf Schritte, bis dann eine Glocke anschlug und sie wußten, wo sie hingehörten. Jedesmal, wenn eine neue Saalentscheidung getroffen wurde, führte der Saalvorsteher oder die Saalvorsteherin den Neuling an den richtigen Tisch. So wußten die Erstklässler nicht nur, wo sie sitzen sollten, sondern auch, wer ihr Chef war. Edmond und Barbara begrüßten die neuen Grünen, sodaß Julius oft allein dasaß. Virginie, die stellvertretende Sprecherin der Mädchen im grünen Saal, schlüpfte für wenige Momente zu Julius herüber und flüsterte ihm zu:

"Werde hier bloß nicht paranoid und fürchte dich davor, auch mal Punkte zu verlieren. Dein Bonuskonto ist bestimmt schon ziemlich hoch, sodaß du sogar gewisse Privilegien beanspruchen kannst. Aber dazu wird dir unsere Saalvorsteherin sicher noch was sagen."

"Wenn ich dem hier glauben darf, könnte ich in vier Wochen wieder rausfliegen, Virginie. Aber ich habe den Dusoleils und Madame Faucon versprochen, mich ranzuhalten. Außerdem steht ja in der Schulchronik drin, daß nicht immer der beste Schüler wurde, wer sich stur an alle Regeln gehalten hat. Aber ehrlich gesagt bin ich froh, daß ich bei euch gelandet bin. Außer den Roten hätte ich wohl auch keinen gut abkönnen, nachdem, was man mir über die anderen erzählt hat."

"Claire hätte mit dir auch keinen Streit bekommen, wenn du bei den Roten oder Weißen gelandet wärest. Aber interessant, daß bei dir keine gelben oder violetten Eigenschaften schlummern."

Dong! Erklang die Glocke über dem blauen Tisch, als eine Schülerin mit dem vorletzten Schritt den Teppich dazu brachte, nur himmelblau zu erscheinen. Julius hatte ihren Namen gehört, aber nicht richtig ins Gedächtnis aufgenommen. Deshalb fragte er Virginie, wer das war, weil dieses Mädchen mit den langen rotblonden Haaren ihn irgendwie an Lady Genevra oder Lady Alexa von Hidewoods erinnerte.

"Schade, daß die bei den Blauen reinkommt. Ich dachte, die wäre bei den violetten oder roten besser untergebracht. Das ist Melissa Dulac, die Tochter einer Freundin von Maman", sagte Virginie, die etwas verdutzt war, daß dieses Mädchen zu den Blauen kommen sollte. Barbara bedeutete Virginie, sich wieder neben Jeanne zu setzen und nahm rechts von Julius Platz.

"Mit dir zusammen haben wir jetzt fünf neue Mitbewohner. Die anderen räumen heute mehr ab, besonders die Weißen und die Roten. Da kannst du mal sehen, daß wir sehr exklusiv sind."

Nachdem alle Schüler über den Teppich der Farben gegangen und ihren neuen Sälen zugewiesen waren, erhob sich Madame Maxime. Das Getuschel an den Tischen verebbte schlagartig. Alle schnellten hoch, außer den Neulingen, die jedoch kurz danach ebenfalls aufrecht standen.

"Mesdemoiselles, Messieurs! Nun ist es vollbracht. Wir konnten neue Schüler erfolgreich auf die sechs Säle verteilen und damit die wichtige Grundlage schaffen, ihnen hier eine gute Ausbildung zu bieten und ausgewogene Freizeitbetätigungen zu erschließen. Ich möchte nun, da wir alle nun dort versammelt sind, wo wir hingehören, einige wichtige Sätze kundtun.

Jene von Ihnen, die bereits Eltern, Geschwister und sonstige Anverwandte besitzen, die hier zur Schule gingen oder dies noch tun, wissen wohl, daß wir hier ein streng diszipliniertes Gefüge besitzen, welches keine übermäßigen Erschütterungen dulden wird. Jeder von Ihnen, welcher heute neu zu uns kam, hat ein Handbuch mit den wichtigsten Schulregeln erhalten, welches er oder sie tunlichst auswendig lernen und danach leben sollte, wenn ihm oder ihr kein Ungemach widerfahren soll. Darüber hinaus bitte ich mir aus, daß jederzeit, wenn ich oder ein Mitglied des Lehrkörpers zu Ihnen spricht, kein Getuschel oder Dazwischenreden erlaubt ist, um mögliche Anweisungen unverfälscht an alle dringen zu lassen. Diejenigen, die nicht aus einem Elternhaus stammen, indem bereits Hexen oder Zauberer leben, werden hier noch gewisse Umstellungsprobleme haben. Diese rechtfertigen jedoch nicht vorsätzliche Regelverstöße oder Anstiftungen zu regelwidrigem Betragen, um dies klar und deutlich festzuhalten. Hier unterscheiden wir nicht nach der Herkunft des Blutes, sondern nach Art und Umfang der Zusammenarbeit. Sie sind als Hexen oder Zauberer erkannt worden und werden sich wie diejenigen, die magische Verwandte haben, in unser diszipliniertes Gefüge einfügen, auch wenn Ihre Eltern Sie zu gegenteiligen Handlungen verleiten sollten. Hier sagen meine Kollegen und ich, was Sie zu tun und zu lassen, zu lernen und zu vergessen haben. Teilen Sie dies Ihren Eltern bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit mit, damit eine Ihnen zu gute kommende Mitarbeit gewährleistet wird.

Nun noch zum Ablauf des heutigen und morgigen Tages.

Wir werden zunächst ein umfangreiches Abendessen zu uns nehmen, bei dem sich die Gelegenheit ergibt, daß Sie sich einander kennenlernen, sofern Sie in einem Saal zusammenwohnen. Nach dem Abendessen werden die Saalsprecher und ihre Stellvertreter die Ihnen anvertrauten neuen Schüler im Palast herumführen, die wichtigsten Innen- und Außeneinrichtungen zeigen und mit Gegebenheiten vertraut machen, die für den hiesigen Alltag unerläßlich sind. Um zehn Uhr gilt allgemeiner Saalschluß. Das heißt, daß ab da jeder Schüler oder jede Schülerin im zugewisenen Saal zu sein und dort bis sechs Uhr in der früh zu verbleiben hat. Jedes Verlassen des zugewiesenen Saales gilt als Akt des Ungehorsams und wird bestraft. Die Saalsprecher und -sprecherinnen mögen darauf achten, daß dieser Teil der Hausordnung in diesem Jahr etwas strickter eingehalten wird als im letzten Jahr! Morgen früh erhalten Sie von ihren Saalvorständen die gültigen Stundenpläne für das erste Halbjahr. Unterrichtsbeginn ist für die Erstklässler am ersten Tag um neun Uhr. Ich bitte mir allgemein Pünktlichkeit aus, aber nicht nur bei den Erstklässlern. Also auf ein weiteres erquickliches Schuljahr!"

Bei ihren letzten Worten tauchten vor den Schülerinnen und Schülern halbvolle Weingläser mit goldrotem Wein auf. Die Schüler nahmen die Gläser und stießen miteinander an. Julius fragte sich, ob das wirklich so gut war, an Elfjährige schon Alkohol auszuschenken, bis er feststellte, daß der Wein mit Traubensaft verlängert worden war. Dann tauchten Speisen und Getränke vieler Arten auf, erst kleine Knabbereien wie Teigröllchen mit Gemüse- oder Fleischfüllung, Suppen verschiedener Sorten, von der Gulaschsuppe über die Bouillabaisse, zu Zwiebelsuppe, dann folgten Salate mit verschiedenen Soßen, dann Fleischgänge mit Braten oder Würsten, ein Weichtiergang, den Julius dankend ausließ, Fisch in verschiedener Zubereitung, ein Käsegang und Süßspeisen, Kuchen, Kekse oder Eis. Während des Essens unterhielten sich die Bewohner des grünen Saales mit den Neuzugängen. Dabei kam heraus, daß Marie van Bergen eine muggelstämmige Hexe war, die bis vor einem Vierteljahr nichts davon gewußt hatte, daß sie zaubern konnte. Julius konnte sich zwischen zwei Gängen zu den Drittklässlern aus dem grünen Saal setzen. Er machte die Bekanntschaft von Gérard Laplace, den er zwar schon auf dem Sommerball getroffen hatte, ihn aber jetzt, wo er wohl fünf Jahre mit ihm würde auskommen müssen, genauer betrachtete, so wie dieser ihn. Daneben lernte er Gaston Perignon kennen, einen hageren Jungen mit hellblondem Haar und dunkelblauen Augen, dessen Eltern mit magischen Geschöpfen zu tun hatten, wie den stämmigen Hercules Moulin, der einer der Treiber des Quidditchteams war. Mit ihm unterhielt sich Julius über die französische Profiliga, die er in den Ferien ja besser kennengelernt hatte, als die aktuellen Ergebnisse der englischen Fußballdivisionen.

"Du spielst auch Quidditch?" Fragte Hercules den neuen Mitschüler. Dieser nickte. "Solange ich nicht vom Besen falle kann ich schon ein wenig herumfliegen."

Nach dem reichhaltigen Festmahl kehrte Ruhe ein, fast augenblicklich, was Julius unheimlich und bedrückend empfand.

"Nun entlasse ich Sie zur Erkundung oder erholsamen Entspannung für die morgen beginnende Schulzeit! Die Saalsprecher und -sprecherinnen werden jenen, die heute neu zu uns kamen, gerne die Eulenställe ihrer Säle zeigen, wo die eigenen sowie die schuleigenen Eulen für Postsendungen bereitgehalten werden können. Erholen Sie sich gut von der Anreise, denn ab morgen wird es wieder ernst!"

Als die Schuldirektorin ihre Ansprache beendet hatte, wandte sich Edmond Danton an die beiden Jungen der ersten Klasse und dann noch an Julius.

"Ich werde euch nun die wichtigen Plätze und Räume zeigen. Wenn wir aus dem Speisesaal gegangen sind, haltet euch hinter mir! Ich habe mich vor der Ankunft hier mit den anderen Saalsprechern abgestimmt, daß wir nicht alle auf einmal einen Raum heimsuchen. Wir gehen zunächst zum Krankenflügel, danach werden wir die allgemeinen Toiletten- und Baderäume aufsuchen, danach die Bibliothek, danach die Unterrichtsräume. Da wir hier in Beauxbatons Kalendergänge und -türen besitzen, die zu bestimmten Tagen in völlig andere Richtungen führen, erhält jeder von euch einen Tageskalender mit den Abzweigungen für die wichtigsten Wege. Den müßt ihr bis zum nächsten Monat auswendig können, denn ab da brauche ich die wieder für die nächsten Neuzugänge. Ist das angekommen?"

"Ja", sagten die drei Jungs, die beiden Erstklässler und der Drittklässler aus England. Edmond klang nun wirklich wie ein Unteroffizier, der die von oben erhaltenen Befehle an seine Truppen weiterzugeben hatte. Julius empfand es so, daß der über 1,90 Meter große Junge mindestens zwei Gesichter besaß, ein Freizeit- und ein Dienstgesicht. Im Moment hatte er wohl das Dienstgesicht aufgelegt, denn mit zur steinernen Maske erstarrter Miene hielt er Blickkontakt zu den drei Anvertrauten. Hercules und Gaston fragten Edmond vorsichtig, ob nicht sie mit Julius die wichtigen Wege abgehen sollten. Doch Edmond schüttelte den Kopf.

"Ihr habt es doch gehört, daß Madame Maxime angeordnet hat, daß die Saalsprecher diese Führung machen. Wir fangen hier keine Ausnahmen an, nachdem Julius ordentlich aufgenommen wurde."

"Wie du meinst, Edmond", sagte Hercules leicht ungehalten. Dann gingen die Schüler und Schülerinnen in Dreierreihe hinaus aus dem Speisesaal, diesmal durch das goldgerahmte Glasportal. Außerhalb des Saales übernahmen die Stellvertreter der Saalsprecher die Kolonnen der einzelnen Schüler und führten sie in die vielen Korridore des erhabenen weißen Marmorpalastes. Das einzige, was Julius im Vergleich zu Hogwarts freundlicher vorkam, waren die vielen Kerzen, die die Wände Säumten, an großen Leuchtern von der Decke hingen und jeden Gang hell ausleuchteten, nicht zu hell, aber ohne Flackern und rußen, wie es bei den Fackeln in Hogwarts üblich war. Die vier Jungen gingen über Treppen, durch richtungsändernde Korridore und an großen Wandbildern vorbei, die von lebendigen Abbildern von berühmten Hexen und Zauberern bevölkert waren. Es dauerte wohl fünf Minuten, weil einige Türen wegen des geraden Tages im Monat versperrt blieben und man dafür einen Umweg machen mußte. Dann standen sie vor einer weißen Tür, auf der eine rote Äskulap-Schlange angebracht war, das Symbol der Heilkunst, nicht nur in der Zaubererwelt, wie Julius wußte. Edmond klopfte an die Türe. Eine raumfüllende, Stärke verheißende Frauenstimme befahl:

"Herein!"

Hinter der Tür konnte Julius einen gefließten Korridor mit mehreren Türen erkennen, dessen Endpunkt ein großes Behandlungszimmer mit Bett und Tischen darstellte. Eine ältere Hexe in weißer Schwesterntracht mit Haube über dem dunkelbraunen Haar saß auf einem bequemen Stuhl und strickte an etwas. Als sie Edmond sah, nickte sie ihm zu und stand auf. Die Stricknadeln beeindruckte es nicht, daß die Krankenschwester sie losließ. Sie klapperten einfach weiter und führten das Muster fort, daß bis dahin mit ihnen gestrickt worden war.

"Ihr seid die neuen Schüler? Ich bin Schwester Florence, auch Madame Rossignol ist gestattet. Dann stellt euch mal vor!" Sagte sie mit der Betonung einer strengen aber warmherzigen Großmutter.

"Nicolas Brassu", sagte einer der beiden Erstklässler, ein kleiner pummeliger Junge mit schwarzer Igelfrisur. "Archibald Lambert", sagte der zweite, ein schmächtiger Junge mit schwarzer Scheitelfrisur. "Julius Andrews", sagte Julius schüchtern, weil ihm unheimlich zu Mute war, wenn er daran dachte, daß diese Hexe wohl gleich schon etwas zu ihm sagen würde. Tatsächlich wandte sie sich zunächst an ihn.

"Schön, daß du gleich zu mir gekommen bist, Julius. Ich habe natürlich alles wesentliche über dich erfahren, sofern ich nicht unlängst Gelegenheit hatte, dich zumindest aus der Ferne zu beobachten. Richte es ein, daß du morgen zwischen der Mittagsmahlzeit und dem Nachmittagunterricht noch mal zu mir kommst, ja!"

"Wie Sie wünschen, Schwester Florence", sagte Julius ruhig. Offenbar wollte die Krankenschwester nicht vor anderen über seine Ferienausbildung diskutieren. Nicolas fragte nur:

"Was ist denn mit Julius los?"

"Nichts gesundheitliches", sagte Schwester Florence. Dann wandte sie sich an alle.

"Ich sage euch allen, die ihr heute noch zu mir kommt, um zu sehen, wo ich bin, daß ich hier bin, um eure Unversehrtheit zu erhalten oder wieder herzustellen, falls sie euch abhanden kommt. Das heißt, daß ihr gefälligst sofort zu mir kommt, wenn ihr euch verletzt habt, euch unwohl fühlt oder bei irgendwelchen Zaubereiversuchen unerwünschte Nebenwirkungen abbekommt. Es ist meine Pflicht, zu gewährleisten, daß alle so gesund wie sie herkamen bleiben und ihre Verpflichtungen im Schulalltag erfüllen können. Wie die Lehrer hier kann ich jedem Strafpunkte zuweisen, der oder die meint, mit körperlichen Problemen herumzulaufen, möglicherweise noch mit ansteckenden Krankheiten. Es kann mir auch einfallen, jemanden zu mir zu zitieren, wenn Lehrer oder Saalsprecher mir mitteilen, daß jemand sich nicht auf der Höhe seiner körperlichen Form befindet und kann dann sehr unangenehm werden, wenn jemand den starken Jungen oder das tapfere Mädchen spielen muß, nur um nicht irgendwelche Heiltränke schlucken oder sich von mir einer Therapie unterziehen lassen zu müssen. Ich kann auch Strafarbeiten vergeben, beispielsweise Bettpfannen säubern, Bettwäsche von Hand waschen oder Rezepturen von Heilmitteln auswendig lernen. Ich kann zwar diskret mit Zauberunfällen umgehen, aber dann haben diejenigen, die sie angerichtet haben, auch gefälligst zu sagen, was sie genau angestellt haben. Das gilt vor allem für Leute, die gerne mit Zaubertränken herumexperimentieren, wenn man sie läßt. Also richtet es ein, daß ihr euch gut haltet und nicht meiner Aufmerksamkeit oder Kunst bedürft!"

"Ich werde mich hüten", dachte Julius für sich. Die Jungen verabschiedeten sich von der Krankenschwester. Diese griff ihr Strickzeug und setzte sich wieder hin, um einige Maschen von Hand weiterzustricken.

Julius staunte, als er die Badezimmer und Toiletten sah, die ähnlich luxuriös waren, wie die während des Sommerballs. Die Bibliothek, die sich im unteren Bereich des Palastes befand, war nur dadurch ähnlich der in Hogwarts, weil hier abertausend Bücher untergebracht waren. Jedoch waren die Bücher in verschiedenfarbigen Sektionen eingeteilt und über mehrere mit Läufern überdeckte Treppchen und Stege in mehreren Stockwerken leicht zu begehen. Die Bibliothekarin, Madame Cyra D'argent, schärfte den neuen Schülern ein, pfleglich mit den hier ausgestellten Büchern umzugehen und sie nur dann aus der Bücherei mitzunehmen, wenn sie ein längeres Projekt damit voranbringen wollten, aber sie zeitig zurückzugeben. Sie hieß die Schüler dann noch mal willkommen und sprach ihre Hoffnung aus, ihnen bei ihrer Arbeit in der Schule gut helfen zu können.

Die nächsten Stationen waren die Klassenräume, die zum Glück für die Schüler nicht über zuviele Zeitversetztgänge zu erreichen waren. Schließlich führte Edmond die drei neuen Schüler noch zum Büro der Saalvorsteherin, Professeur Faucon. Diese wartete bereits auf ihre Schutzbefohlenen.

"Mademoiselle Lumière war bereits hier", sagte sie, nachdem sie alle neuen Schüler noch mal gegrüßt hatte. Dann mußte sie auch noch etwas gestrenges loswerden.

"Ich habe nichts dagegen, wenn Sie mich hier aufsuchen, um Probleme, die sich nicht einfach lösen lassen, zu besprechen. Sollte es jedoch zu häufig passieren, daß ich Sie zu mir zitieren muß, weil Sie sich irgendwelcher Verfehlungen schuldig gemacht haben, könnte es Ihnen widerfahren, daß Sie für eine bestimmte Zeit ziemlich unangenehme Erfahrungen machen. Ich bin vielleicht unerbittlich, aber ich möchte auch, daß die mir anvertrauten Schüler nach ihrer Ausbildung mit der Gewißheit von Beauxbatons abgehen, daß ich Sie optimal gefordert habe, sodaß Sie in Ihrer Zukunft mehr Möglichkeiten als Hindernisse zu erwarten haben. Gute Nacht zusammen!"

"Gute Nacht, Professeur Faucon", grüßten die vier Jungen im Chor zurück.

Zum guten Schluß besuchten die Neuen noch die Außenanlagen, die Gewächshäuser, die Lauf- und Leibesübungsanlage, die morgens und nachmittags benutzt werden konnte, sowie das Quidditchstadion, in dem ab Oktober die Spielsaison beginnen würde. Dann zeigte Edmond den Schülern noch ein magisches Tor, durch das sie direkt an einen Meeresstrand gelangen konnten, der vor sechshundert Jahren für Beauxbatons erschlossen wurde. Julius staunte, als er durch das Tor wie aus Glas und Licht hindurchging und unvermittelt an einem Sandstrand stand, auf den rauschend flache Brandungswellen rollten.

"Ich las es zwar in der Chronik von Beauxbatons, daß es hier einen eigenen Meeresstrand gibt, aber daß das so schön hier ist, habe ich nicht geglaubt", sagte Julius. Durch einen Zauberstabschwung öffnete sich das magische Tor erneut, die Schüler gingen hindurch, ohne irgendeine unangenehme Begleiterscheinung zu verspüren, wie sie Julius über Raumversetzungen oder Dimensionsreisen in Büchern und Comics nachgelesen hatte. Als sich das Zaubertor hinter ihnen wieder schloß und verschwand, war von der Meeresbrandung nichts mehr zu hören, als sei der Strand hunderte von Kilometern fort. Julius war sich sicher, daß dies durchaus so sein konnte.

"Ihr kriegt nachher noch eure Kalenderpläne, um die Wege für jeden Wochentag zu lernen", sagte Edmond Danton. Dann führte er die drei Schüler durch mit Teppichen und Wandtapeten ausgeschmückte Korridore, eine breite Treppenflucht hinauf zu einer runden Halle, von der aus sechzehn Gänge abzweigten, die aus Rundbögen zusammengefügt worden waren. Edmond sah, ob wer anderes noch kommen würde und führte seine Schützlinge in einen der Gänge hinein, der zwanzig Meter weiter nach rechts abknickte und auf weitere Korridore zulief, durch die es bis vor eine scheinbar feste Wand aus Granit ging. Edmond konzentrierte sich. Dann trat er an die Wand, berührte zwei Stellen, erst oben links, dann in der Mitte rechts und sagte: "Chrysalide." Unvermittelt schien die Wand wie ein auftauender Wasserfall zu zerfließen, löste sich auf und gab einen bequemen hohen Einstieg frei, eine Türöffnung ohne Tür. Edmond dirigierte die Erstklässler hindurch und schickte dann Julius hinein, bevor er selbst durch den Einstieg schlüpfte. Kaum war er hindurch, klang ein Geräusch, wie schnell hingeschüttete Kieselsteine, und keine vier Sekunden später war der Einstieg wieder in einer festen Wand verschwunden, die nicht den Eindruck machte, als könne man sie mit gewöhnlichem Werkzeug beeindrucken.

"Heh, starr doch die Wand nicht an, Julius! Hier warten genug nette Leute auf dich!" Rief Virginie Delamontagne. Julius fuhr herum und errötete. Das vielstimmige Kichern verschiedener Mädchen war die Antwort darauf.

"Entschuldigung, Leute! Die Stellvertreterin der Saalsprecherin hat sich wohl zu einem lockeren Scherz veranlaßt gefühlt, den ich ihr mal durchgehen lassen möchte", holte sich Edmond die Aufmerksamkeit seiner Schutzbefohlenen zurück. Dann sprach er mit erhabener Stimme:

"Willkommen im grünen Saal. Hier wohnt ihr von nun an bis zum hoffentlich ehrenvollen Schulabschluß. Hier gibt es ebenfalls Toiletten- und Duschräume, den Gemeinschaftsraum mit den Tischen und dem Kamin, sowie die Eulenställe im Obergeschoß. Wenn ihr möchtet, zeige ich euch das alles noch. Wenn nicht, zeige ich euch auch gerne schon die Schlafsäle.

Die Erstklässler ließen sich von Edmond ihren Schlafsaal zeigen, währen die Drittklässler dem Saalsprecher anboten, Julius nachher in den Schlafraum mitzunehmen. Edmond nickte. Offenbar hatte er dafür keinen Sonderbefehl, um Julius auch noch zu Bett zu bringen, dachte sich der neue Beauxbatons-Drittklässler.

Kaum war Edmond fort, fand Julius Zeit, sich genauer im grünen Saal umzusehen. Dabei bemerkte er, daß dieser nicht total in Grün gehalten war, wie er ursprünglich befürchtet hatte. Die hochlehnigen Holzstühle mit den Sitzkissen, gruppierten sich um große achteckige Tische, die ihrerseits in U-Form um einen großen Marmorkamin gruppiert waren. Große Flügelfenster ließen noch etwas blutrotes Sommerabendsonnenlicht herein, während im Kamin bereits ein kleines Feuer brannte, wohl eher zur Beleuchtung als zur Wärme. Die Dinge, die wohl dem Saal seine Farbe gaben, waren die grasgrünen Vorhänge neben den Fenstern, sowie die kleinen Porzellanvasen, die auf den Tischen standen und mit frischen Sommerblumen gefüllt waren. Flauschiger Teppichboden, gehalten in einem hellen Beige, bedeckte den gesamten Gemeinschaftsraum und dämpfte überflüssigen Widerhall auf angenehme Weise ab, anders als in Ravenclaw, wo der Boden kahl war. Auf dem Kaminsims standen kleine Statuetten von Hexen und Zauberern in eleganten Umhängen, mit kleinen Hüten oder hohen Zylindern, Häubchen oder Spitzhüten dargestellt. Dabei fiel ihm eine etwa einen halben Meter hohe Frauenstatuette in einem fließend wirkenden Kleid aus wasserblauem Material auf, die einen sonnengelben runden Hut trug, fast wie eine altehrwürdige Melone britischer Geschäftsleute, nur mit einer weißen Feder rechts. Sie besaß ein ebenmäßiges gesicht mit schmaler Nase und runden Augen. Julius erkannte das Standbild aus den Bulletins De Beauxbatons wieder. Es war Viviane Eauvive, die Begründerin des grünen Saales persönlich. Der Junge aus England sog diese Bilder in sich auf, denn irgendwann würde dies alles zu alltäglich sein, um noch richtig gewürdigt zu werden, dachte er. Das leise Raunen miteinander redender Jungen und Mädchen filterte sein Gehirn einstweilen weg, um die Bilder und Gerüche besser aufzunehmen. Ja, es roch hier nach den Blumen, dem warmen Duft sauber verbrennenden Holzes, echtem Bienenwachs von den Kerzen, die wohl bei Eintritt der Dunkelheit entzündet wurden und in kunstvoll gegossenen Silber- Bronze- und Goldleuchtern steckten. Der süße Duft von Backwerk hing ebenso in der Luft, wie die leichten Nebelschwaden raffinierter Parfüms. Julius stand nur da, wandte langsam Kopf und Oberkörper. Irgendwann war das wohl jemandem zu langweilig. Eine Hand legte sich vorsichtig auf Julius' Schulter. Er wandte sich um und nahm ein wohlvertrautes Parfüm in seine Nase auf, bevor er einen ebenso vertrauten schwarzen Haarschopf und ein braungetöntes Gesicht sah.

"Ich habe den Mädels gesagt, daß du erst einmal sehen möchtest, wo du untergebracht wurdest. Aber ich denke, zwei Minuten reichen doch aus", sagte Claire. Julius wandte sich vollends zu ihr hin und sah die mächtige Landhausstanduhr mit dem wagenradgroßen Zifferblatt und den armlangen vergoldeten Zeigern hinter einem stark nach außen gewölbten Glas. Die Zeiger standen auf der Viertel-nach-Neun-Stellung.

"Mal sehen, ob die überhaupt richtig geht", meinte Julius und verglich die angezeigte Zeit der Standuhr mit der seiner magischen Armbanduhr, die er von den Eltern der Hollingsworth-Zwillinge bekommen hatte. Sie stimmten genau überein.

"Die braucht keiner aufzuziehen. Ein magisches Uhrwerk hält die schon seit über zweihundert Jahren am laufen", sagte Claire und stubste Julius leicht an, sodaß er in eine bestimmte Richtung zurückstolperte. Leicht verunsichert wandte er sich wieder um und sah vier Mädchen in blaßblauen Kostümen, Rock und Bluse, wie es hier die Mädchen zu tragen pflegten. Zwei davon erkannte er sofort wieder, nicht, weil sie mit ihm am selben Tisch saßen, sondern weil er sie vorher schon gesehen hatte. Es waren Jasmine, wohl eine gute Freundin Claires, Sowie Irene, die er schon auf ihren beiden letzten Geburtstagsfeiern getroffen hatte. Sie lächelten ihn an. Dann sahen ihn die beiden, die er noch nicht richtig kennengelernt hatte an. Ein Mädchen mit hellblonder Dauerwelle und dunkelblauen Augen in einem pausbäckigen Gesicht mit Stubsnase. Mit ihrer leicht untersetzten Figur machte sie den Eindruck eines echten Wonneproppens, eines gut genährten Kleinkindes. Das andere Mädchen war der krasse Gegensatz, wenngleich auf ihre Art ansehnlich, fand Julius, als er das fast knochendürre Mädchen mit dem langen Gesicht und den hohen Wangenknochen betrachtete. Smaragdgrüne Augen, umrahmt von rabenschwarzem Haar, noch eine Spur dunkler als das von Claire, vervollständigten das Gesicht. Gerade kam Robert Deloire, einer von Julius neuen Klassenkameraden heran und ging auf das Mädchen zu.

"Céline, ich habe uns noch das Buch über die erweiterten Manipulationszauber besorgt", sagte er.

"Der junge Herr steht da rum, als hätte der noch nie ein Mädchen gesehen", sagte die mit Céline angesprochene Junghexe. Claire grinste nur darüber. Julius ließ es geschehen, daß Robert ihn mit dem Mädchen bekanntmachte.

"Julius, das ist Céline. Céline, das ist Julius."

"Céline Dion?" Fragte Julius scherzhaft, weil er dachte, daß die kanadische Sängerin hier wohl nicht bekannt war.

"Dornier", lachte Céline zurück. "So schnulzig singen tu ich nicht, wie die Muggelfrau, die du meinst."

"Dornier?" Fragte sich Julius und sah sie so an, als wundere er sich total. Das untersetzte Mädchen neben Céline sah es wohl und sagte:

"So heißt sie, Julius. Schade, daß die es immer noch nicht eingeführt haben, daß sich Klassenkameraden vom Geschlecht unabhängig zusammensetzen können. Ich bin Laurentine Hellersdorf."

"Andrews, Julius", erwiderte Julius schnell. Claire deutete auf zwei freie Stühle, die den vier Mädchen gegenüberstanden. Robert holte sich auch einen Stuhl, als Céline ihm durch Handzeichen bedeutete, sich ebenfalls zu ihnen zu setzen. Julius setzte sich Laurentine gegenüber hin, Claire setzte sich Jasmine gegenüber hin, die Julius anstrahlte.

"Hast du dich schon für den Tanzkurs eingetragen, Julius?" Fragte sie. Claire antwortete, obwohl sie nicht gefragt worden war:

"Wird er tun, wenn die Stundenpläne morgen rauskommen, Jasmine." Julius hielt es für wichtig, zu zeigen, daß er auch eine eigene Meinung besaß und fügte hinzu:

"Ich hörte, hier würden so viele Sachen in der Freizeit angeboten, von denen man sich was aussuchen soll. Ich weiß nicht, ob ich mir noch einen Tanzkurs geben werde, wenn hier interessantere Sachen geboten sind. Zauberkunstprojekte sollen hier laufen oder Pflanzenkunde. Dann hat mich Claires Schwester mit ihrer Klassenkameradin zum Quidditch verdonnert, und ich fürchte, unsere Saalvorsteherin würde mich mit hundert Strafpunkten belegen, wenn ich mich nicht für den Schachclub eintrage, den es hier geben soll."

"Oh, da hast du aber was vor", sagte Laurentine, froh, in das Gespräch hineinzufinden. "Jasmine und Claire sagten mir, du könntest gut tanzen. Stand ja auch in der Zeitung. Schade, daß meine Eltern nichts davon halten, mich in den Ferien zu Céline oder Belisama fahren zu lassen."

"Ignorante Muggel halt", sagte Céline und plauderte damit aus, daß Laurentines Eltern keine Zauberer waren. Julius verstand, daß das Mädchen dadurch bestimmt nicht gerade gut bedacht war, hielt sich aber mit Mitleid zurück, obwohl Mitleid in diesem Fall tatsächlich das Richtige Wort gewesen wäre. Er wußte nicht, ob Claire oder Jasmine, Barbara oder Jeanne das schon ausgeplaudert hatten, daß seine Eltern auch nur ignorante Muggel waren. Doch mit der Frage nach Céline Dion hatte er sich wohl schon genug verraten.

"Bist du deswegen hier, weil die in Hogwarts mit deinen Eltern nicht mehr klarkamen?" Flüsterte Laurentine, die ihrerseits aussah, als empfinde sie Mitleid für Julius. Dieser nickte zwar, sagte aber:

"Ich möchte mich nicht dazu äußern, Laurentine. Die Kiste ist schon zu heftig, um das noch herumzuerzählen. Die, die es wissen sollen, wissen es, und die übrigen würden es vielleicht nicht richtig verstehen, weil ich es nicht alles erklären kann."

"Andrews heißt du mit Nachnamen. Dann ist dein Vater wohl Richard Andrews, der in den Omniplastwerken die Forschungsabteilung führt. Ich hörte davon, daß dessen Sohn in irgendeine merkwürdige Privatschule geschickt worden sei, was meinen Eltern seltsam vorkam, weil sie selbst ein erfundenes Mädcheninternat in der Schweiz angeben, wo ich sein soll. Aber ich denke, wir haben ähnliches Zeug erlebt und müssen uns nicht gegenseitig bedauern oder trösten, nur weil wir eben nicht normal sind."

"Wie bitte?" Fragte Julius lauter. Laurentine lief leicht rot an. Dann sagte sie schnell:

"Wir hängen doch voll zwischen den Welten. Hier wirst du merkwürdig behandelt, weil deine Eltern nichts mit der Zauberei zu schaffen haben wollen, und zu Hause wirst du wie Frankensteins Monster angesehen."

"Du hast recht, deswegen bin ich jetzt hier", sagte Julius. "Weil ich mich eben für normal halte, normal für die Zaubererwelt." Er wußte nicht, ob es Enttäuschung oder Wut war, was ihn unvermittelt erregte, weil dieses Mädchen offenbar glaubte, eine Mißgeburt zu sein und sich wie eine Flipperkugel herumschubsen ließ, nur um in Ruhe gelassen zu werden. Offenbar wurden Muggelstämmige hier nicht so gefördert, wie in Hogwarts. Er sagte noch:

"Das hat mir schon wehgetan, als ich mich entscheiden mußte. Aber ich habe beschlossen, diesen Weg zu gehen, den meine Natur vorgesehen hat."

"Vielleicht hattest du in Hogwarts auch bessere Freunde und Lehrer, die dir geholfen haben", sagte Laurentine. Claire und Céline fühlten sich irgendwie angesprochen, ja angegriffen, als Laurentine das sagte. Céline wandte sich ihr zu und sagte:

"Moment, das lasse ich nicht auf mir sitzen, Bébé. Ich habe dir immer geholfen, egal bei was, egal gegen wen. Ich habe dir lang und breit erklärt, daß du eine echte Hexe bist, was keineswegs heißt, daß du ein Monster bist. Monster haben wir in Pflege magischer Geschöpfe und nicht im grünen Saal. Und Claire hat dir im letzten Jahr auch viel helfen können, was wohl daran liegt, weil sie jemanden kennenlernte, von dem sie lernen konnte, wie es richtig geht, ohne wen zu bedauern oder zu bevormunden."

"Du warst zu lange zu Hause, Bébé", sagte Claire sehr gereizt klingend. Julius wandte sich Robert zu, um zu sehen, wie der reagierte, weil er, Julius, ja auch ein Muggelkind war.

"Du kannst da nichts für. Bébé, also Laurentine, kriegt das nicht auf die Reihe, daß sie hier hergehört. Die Faucon hat ihr das hundertmal bewiesen, die Bellart und auch Madame Denk-nicht-dran. Aber das hat sie nur noch tiefer in den eigenen Sumpf getrieben, daß sie keine Hexe sei und bloß nicht zaubern können soll. Superflieger Dedalus hat sie mit Gewalt auf einen Besen gesetzt, und Schwester Florence mußte ihr danach alle vier Glieder wieder zusammenzaubern. Daß du Muggelstämmig bist, haben wir ja schon mitbekommen, weil die meisten Hexen und Zauberer in Frankreich miteinander bekannt sind, eben aus diesem Laden hier. Wenn du unsere Hauskönigin über deren Tochter kennenlerntest, dann wohl, weil die sich einen Rechenmaschinenbastler aus der Muggelwelt geholt hat. Aber du spielst Quidditch, du kannst wohl einigermaßen gut zaubern, weil die Faucon dich nicht hergeholt hätte, wenn du es erst noch lernen müßtest und interessierst dich für unsere Welt, sonst hättest du in Millemerveilles bestimmt nicht so viel Spaß gehabt. Immerhin stand das ja auch in der Zeitung, und die Chermot ist zwar neugierig, aber im Vergleich zu dieser Kimmkorn, die bei euch die Dinger über das trimagische Turnier verzapft hat, wahrheitsliebend. Wäre sie das nicht, bekäme die keine Interviews mehr."

"Ich habe auch ein ganzes Jahr damit rumgekämpft, bis es mir klar war, wohin ich gehöre, Robert. Jetzt bin ich so weit, daß es mir völlig egal ist, was meine Eltern und Anverwandten von mir erwarten."

Die Mädchen ergingen sich in einer immer lauter werdenden Streiterei, bis Virginie dazukam und um Ruhe bat, weil Barbara sich mit Jeanne über irgendwas unterhielt. Dann meinte Virginie noch:

"Um dies noch mal klarzustellen, Laurentine: Wir hier im grünen Saal überlassen niemanden seinem Schicksal und auch nicht seinen Selbstvorwürfen. Ich habe es mitbekommen, wie Claire und Céline dir beigestanden haben, dir zeigen wollten, wie schön das doch ist, zaubern zu können, und du hättest bestimmt noch mal mit Professeur Dedalus sprechen können, um ihn zu überzeugen, dich doch noch mal fliegen zu lassen. Also sage bitte nicht, daß du hier niemanden hättest, der dir nicht helfen würde!"

"Hilfe? Gehirnwäsche nennt ihr Hilfe, Virginie?" Fragte Laurentine erzürnt. Virginie, die ja durch den Ferienkurs und von Julius wußte, was damit gemeint war, lief rot vor Wut an.

"Gut, daß Barbara das jetzt nicht gehört hat. Ich habe auch keine Lust, von meinem Strafpunkterecht gebrauch zu machen. Aber nachdem, was ich in den Ferien darüber gehört habe, kommt das einem unverzeihlichen Fluch nahe, was die Muggel als Gehirnwäsche bezeichnen. Vergiss das also schnell wieder, bevor Madame Denk-nicht-dran oder unsere Vorsteherin das rauskriegen!"

"Da geht es doch schon wieder los. Wenn ich nicht fresse, was ihr mir vorwerft, kriege ich Strafen aufgehalst. Genau das ist es doch. Dann werde ich immer weiter vollgetextet, bekniet, benebelt oder mit sanfter Gewalt, manchmal auch grober Gewalt in eine wem immer gefällige Richtung geschubst. Dann soll mir die Faucon doch alle Bonuspunkte wegnehmen und mich nach Hause schicken. Maman und Papa freuen sich, mich dann endgültig wegschicken zu können", versetzte Laurentine. Céline sprang auf, nahm Robert am Arm und zog ihn sanft vom Stuhl hoch.

"Der kann im Moment keiner helfen", zischte sie und wandte sich Julius zu.

"Wollte dir nicht noch wer die Eulenställe zeigen und die Badezimmer?"

"Stimmt, ich muß ja noch wissen, wo mein Waschzeug unterkommen kann", sagte Julius, warf Claire einen schnellen Blick zu. Diese sah Laurentine vorwurfsvoll an, stand auf und sagte:

"Ich komme mit. Ich wollte Maman noch schreiben, daß du wirklich bei uns gelandet bist, Julius."

"Oh, das müßte ich ihr dann wohl auch schreiben. Machen wir das so, daß ich einen Brief beginne und du den beendest, weil ich Francis ja noch zu Catherine schicken wollte?"

"Können wir machen", sagte Claire und hakte sich ungeniert bei Julius ein. Robert schmunzelte. Offenbar, so dachte Julius, daß der sich nun ausmalte, daß Claire ihn hier schon fest gebucht hatte. Gut, nachdem, was er mit Claire und ihrer Mutter abgesprochen hatte, sollte es ihm recht sein, wenn er hier in Beauxbatons schon als verbandelt angesehen wurde. Nach den Spielchen, die Caro in den Ferien getrieben hatte, legte er es nicht darauf an, von Jungs albern angemacht zu werden, weil ihm irgendwelche anderen Mädchen nachstellten, um zu sehen, ob sie bei ihm landen konnten.

Innerhalb des grünen Saales, der ja doch eher ein eigenes Haus war, gab es keine Geheimtüren oder Zeitversetztgänge. So blieben die Korridore zu den zwei großen Eulenställen immer dieselben. Francis war bereits angekommen und schickte sich an, mit Viviane und der Eule von Jeanne aus einem der hochgelegenen Fenster auszufliegen. Doch als Claire und Julius hereinkamen, flogen die beiden Vögel zu ihren Besitzern und setzten sich auf niedrige Stangen, die gerade nicht besetzt waren. Julius, der immer etwas Schreibzeug dabei hatte, schrieb auf ein Stück Pergament:

Sehr geehrte Madame Dusoleil,

Wie versprochen schreibe ich Ihnen, daß ich gut angekommen bin. Sie hatten vollkommen recht. Dieser Farbenteppich hat mich tatsächlich zu Claire und Jeanne in den grünen Saal gesteckt. Ich habe mich schon ein wenig mit Claires und nun auch meinen Klassenkameraden bekanntgemacht. Ich habe immer noch ein mulmiges Gefühl, auch weil ich die Hausregeln hier gelesen habe. Hoffentlich haben Sie, Catherine und Jeanne recht, daß ich das ohne meine eigene Persönlichkeit zu sehr zu verbiegen verkraften werde.

Claire wollte Ihnen noch was schreiben, um es mit Viviane zu Ihnen zu schicken.

Vielen Dank noch mal für die schönen und abwechslungsreichen Ferien!

    Julius Andrews

Er gab Claire den Pergamentzettel. Sie las und nickte. Dann schrieb sie noch etwas darunter und reichte ihn Julius noch mal zurück, damit er auch wußte, was sie geschrieben hatte.

Hallo, maman!

Schön, daß Julius wirklich bei uns hingekommen ist. Barbara, Virginie, Jeanne und ich werden ihm nun helfen können, wenn er unsere Hilfe haben möchte. Aber ich freue mich natürlich sehr, daß er in meiner Klasse ist. Der Teppich hat ihn schon nach nur drei Schritten als einen von uns Grünen angezeigt. Das gab es glaube ich noch nie.

Mehr später. Morgen fangen wir ja erst richtig an.

Ich liebe dich,

          Claire

Viviane bekam diesen geteilten Brief mit. Francis wartete geduldig, bis Julius eine kurze Mitteilung an Catherine geschrieben hatte, in der er ihr auch verkündete, daß er im grünen Saal gelandet sei und nicht wüßte, ob das jetzt gut für ihn sei, weil er nun dasselbe Schicksal hätte, wie sie damals. Er endete mit dem Satz "Sage meiner Mutter alles liebe von mir!" Er schluckte die Tränen hinunter, die aufgestiegen waren. Seine Mutter wohnte nun mit Catherine und Joe zusammen, aber im geheimen, weil sein Vater es angestellt hatte, seine eigene Frau für verrückt erklären zu lassen, um das alleinige Sorgerecht für Julius zu kriegen, nachdem er von den Hardbricks erfahren hatte, daß sie ohne sein Einverständnis in Hogwarts gewesen war. Francis ließ sich den Brief ans Bein binden und flog zu einem anderen der Auslaßfenster hinaus. Claire bemerkte, daß Julius trübselig war und legte ihm vorsichtig den Arm um die Hüfte.

"Das was für Bébé gilt, gilt erst recht für dich, Julius. Denkst du, daß was ich Maman gesagt habe, war nur, um sie zu ärgern oder ihr das zu erzählen, was sie hören wollte? Wir sind da, Julius. Wenn du eine Hand ausstreckst, werden Jeanne, Barbara oder ich da sein. Du hast Glück, daß du bei uns im grünen Saal sein darfst. Aber das war ja Jeanne und Barbara schon immer klar", sagte Claire. Céline wunderte sich, daß Claire meinte, Julius wie einen kleinen Bruder trösten zu müssen. Doch Claire nickte ihr nur zu, das alles in Ordnung sei. Robert ging Mit Julius noch in den Schlaftrakt der Jungen, wo auch die Waschräume und Toiletten untergebracht waren. Julius wußte, daß es pro Geschlecht drei Wasch- und Duschräume gab. Toiletten waren davon getrennt angelegt worden. Da es in diesem Jahr nur zwei Jungen in der ersten Klasse gab, waren diese zusammen mit den Zweit- und Drittklässlern in einem Waschraum untergebracht worden. An einer Wand reihten sich fünf Waschbecken mit je zwei Handtuchhaltern rechts und links pro Becken. An der gegenüberliegenden Seite waren vier große Duschkabinen und ragte ein Regal für Badetücher auf, an dem sechzehn frische Badetücher hingen, die alle mit Namenskürzeln versehen waren. Offenbar hatten fleißige Hausgeister Julius mindestens ein frisches Badetuch reserviert.

"Hoffentlich kommen wir uns nicht alle ins Gehege", meinte Julius, als sie eben in den direkt danebenliegenden Schlafraum hinübergingen. Leise öffneten sie die Tür und traten ein. Doch hier schlief noch niemand. Frische Luft wehte durch eines von drei Spitzbogenfenstern herein, nicht kalt aber erfrischend, fand Julius. Der Raum maß gut sechs mal fünf Meter. Ein Fenster wies nach osten, eines nach westen und eines nach Norden. An jeder Wand, wo ein Fenster in etwa anderthalb Metern Höhe angebracht war, standen je zwei große Himmelbetten mit darunter angebrachtem Bettkasten. Vor den Bettkästen standen die Schulkoffer und Julius Practicus-Reisetasche. Julius sah, das sein Bett an der Ostseite stand, mit dem Fußende gerade so unter der hohen Fensterbank abschließend. Dahinter stand eine Nachtkommode mit drei Schubladen und einer Klapptür. Auf dem Nachtschränkchen stand eine Öllampe. Zwischen den Wänden und Betten lag ein großer weicher dunkler Teppich aus, der wohl fest mit dem Boden verbunden war. An den Wänden hingen verschiedene Bilder, alles bewegliche Gemälde. Julius sah sofort, daß er keine Probleme hatte, seine Zauberbilder aufzuhängen. Nur fragte er sich, was er mit dem winzigen Portrait von Rowena Ravenclaw machen sollte, daß er in der ersten Woche in Hogwarts geschenkt bekommen hatte? Er betrachtete sein Bett, schnupperte den Duft frisch gewaschenen Bettzeugs und bemerkte, daß die Decke sehr dünn und die zwei Kissen nicht mit Daunen sondern mit weichem Polstermaterial gefüllt waren. Er warf sich ungeniert mit dem Hinterteil aufs Bett und wunderte sich, wie gut es federte, aber nicht heftig nachschwang und auch nicht quietschte.

"Das ist ja genial!" Brachte Julius heraus.

"Es kommt noch besser", sagte Robert mit dem Grinsen des Jungen, der einem anderen Jungen was tolles zeigen will. Er Setzte sich auf ein Bett an der Westwand, vor dem ein Koffer mit dem Schriftzug "Robert Deloire" stand, streifte seine Schuhe ab, zog die Beine auf die Matratze hoch und zog den grasgrünen Samtvorhang zu. Dabei sagte er:

"Achtung! Eins! - Zwei! - Dr...!"

Julius glaubte es fast nicht. Als der Vorhang um das Bett herumgezogen wurde, wurde Roberts Stimme immer leiser, wie mit einem Lautstärkeregler runtergedreht. Fast wie Flüstern kam das Zahlwort Vier noch bei Julius an. Doch er konnte es sich auch eingebildet haben. Dann zog Robert den Vorhang wieder auf, wobei der neue Beauxbatons-Drittklässler hörte:

"..chs! - Sieben! - Acht!"

"Mein Papa hat gesagt, die Betten seien genial für Leute, die schnarchten, sich oft herumwälzten oder im Schlaf redeten. In die Vorhänge ist die Klangkerkermagie eingewebt worden, wie auch immer. Du selbst bist nach draußen unhörbar, aber von draußen hörst du alles. Wenn du also einen Wecker mithast, mußt du den nicht ins Bett mitnehmen. Die hätten das auch beidseitig machen können, aber dann hätten die Leute hier nur noch verschlafen", sagte Robert, nachdem er Julius erstauntes Gesicht gesehen hatte.

"Brauchen wir denn hier einen Wecker?" Fragte Julius, der schon gehört hatte, daß die Saalsprecher gerne den Weckdienst für die jüngeren Schüler gaben.

"Eigentlich nicht. Unser Wecker heißt Edmond Danton und geht morgens pünktlich um sechs Uhr los. Manche von uns sind frühaufsteher und rennen ein wenig um das Quidditchstadion. Wenn du dir, was nicht unmöglich ist, ein hohes Bonuspunktekonto verschaffst, kannst du auch einen Meerbesuchsbrief bekommen, um morgens zu schwimmen. Aber ich hörte, die Muggel hätten mittlerweile zu viel Giftzeug und Müll reingeworfen. Da muß man ja schon Gegengifttränke und Hautschutzsalben nehmen, um sich nichts böses einzufangen. Sonst wird Schwester Florence sehr ungehalten."

"Oh, ich kriege ja Angst", sagte Julius spöttisch. Dann fügte er hinzu: "Das mit dem Müll ist leider wahr, Robert. Du darfst nicht dran denken, was alles schon im Mittelmeer herumschwimmt, wenn du selber schwimmen gehst."

"Achso, und ich dachte schon, du hättest dich über Schwester Florence lustig gemacht."

"Bloß nicht", stritt Julius energisch ab, sich über die Schulkrankenschwester zu amüsieren. Die würde er ab morgen besser kennenlernen als Robert sich das ausmalte.

"Gelten hier Schlafzeiten?" Fragte Julius. Robert zählte auf, daß die Erstklässler um halb Zehn, die zweitklässler um viertel vor zehn und die drittklässler um zehn Uhr bettfertig zu sein hatten. Julius warf einen Blick auf seine Armbanduhr und stellte fest, daß er wohl noch eine Viertelstunde zeit hatte, sich bettfertig zu machen. Zumindest wollte er nicht heute ausprobieren, ob diese Zeitvorgabe strickt oder nur empfohlen war.

"Bist du einer von diesen Frühsportlern?" Fragte Robert. Julius nickte zögerlich.

"Kommt drauf an, was am Abend vorher gelaufen ist."

"Unter der Woche immer derselbe Trott, Julius. Königin Blanche die Überragende wird schon was finden, um dir genauso viel Freizeittätigkeiten zu verschaffen wie uns. Alle Schülerinnen und Schüler können sich was aussuchen. Nichts gehört jedoch nicht dazu, wenn du verstehst ... offenbar schon bekannt", sagte Robert und nickte auf Julius Nicken zur Antwort. "Ach ja, du hast sie ja in den Ferien gut genug kennengelernt. Ist die in den Ferien auch so, wie in der Schule?"

"Das darf ich nicht sagen, sagt sie. Sie hat mir angedroht, mich in einen Nachttopf zu verwandeln, wenn ich ihre Geheimnisse ausplaudere."

"Würg! - Dann ist die in den Ferien auch so drauf", seufzte Robert, nachdem er sich heftig über Julius eher übertriebene Bemerkung erschreckt hatte. Julius fiel wieder ein, daß hier Verwandlungen als Strafe durchaus vorkamen und überlegte schon, ob er Robert sagen sollte, daß es nur ein Scherz war. Doch im Grunde hatte er sich damit alle zukünftigen Fragen über Professeur Faucon und seinem Verhältnis zu ihr vom Hals geschafft, erkannte er. Eine so heftige Strafe würde wohl niemand in Beauxbatons riskieren.

Als es kurz vor zehn War, gingen Julius und Robert in den Waschraum hinüber und wuschen sich, zogen ihre kurzen Schlafanzüge an und die blaßblauen Bademäntel über, die auf den Tagesdecken ihrer Betten bereitgelegen hatten. Julius wunderte sich nicht mehr, daß man seinen Bademantel genau nach seinen Maßen geschneidert hatte.

Julius fragte die fünf Bettnachbarn Gérard, Robert, André, Gaston und Hercules, ob er auch Bilder aufhängen dürfe, wies jedoch darauf hin, daß die Musikzwerge auf Claires neuem Geburtstagsgeschenk morgens loslegen könnten, wenn jemand Licht machte. Gérard fragte, ob Claire ihm das geschenkt habe, was Julius bejahte. Claire könnte es ihm sowieso erzählen, wenn er nicht 'ne Freundin aus der Mädchenriege der dritten Klasse hätte, die das von Claire mitbekommen hätte. Man wünschte sich gegenseitig eine gute Nacht, nachdem die Fenster soweit geschlossen worden waren, das gerade noch etwas Nachtluft den Weg in den Schlafsaal fand und zog sich in die Betten zurück. Julius gönnte sich noch den Scherz und sagte:

"Hoffentlich schnarcht ihr nicht zu laut." Der Scherz kam bei den Jungen an. Sie lachten. Gérard fragte Robert, ob der Julius nicht erklärt habe, daß die Bettvorhänge keinen Schnarcher nach draußen durchließen. Robert grinste. "Deshalb hat der das ja gesagt."

Nachdem alle Bettvorhänge geschlossen waren, drang kein Mucks mehr von den Jungen in den Raum. Julius drehte sich in seine bevorzugte Schlaflage und glitt fast übergangslos hinüber in den ersten tiefen Schlaf innerhalb der Mauern von Beauxbatons.

 

__________

 

Wider seine Befürchtungen träumte Julius nichts unangenehmes. Er erwachte um halb sechs aus einem schönen Traum von Millemerveilles, wie er mit Madame Dusoleil durch die Gärten des Dorfes gezogen war und Lieder von Hecate Leviata gesungen hatte. Vorsichtig zog der nun ordentliche Beauxbatons-Schüler den Bettvorhang auf. Die grasgrünen Vorhänge vor den Fenstern ließen einen senkrechten Streifen Spätsommermorgenrot hereinsickern. Julius glitt lautlos aus dem Bett, holte sehr leise seinen Trainingsanzug und den blaßblauen Freizeitumhang aus dem Koffer, griff sich sein Unterzeug aus dem Nachtschränkchen und verließ mit den neuen Laufschuhen, die er sich auf Barbaras Rat hin besorgt hatte den Schlafsaal. Dann ging er hinüber in den Waschraum, wusch sich Gesicht und Hände, schlüpfte in die Sportsachen und kehrte in den Schlafsaal zurück, um noch einen Zettel für Edmond Danton zu schreiben, falls der um sechs auftauchte und Julius nicht mehr in seinem Bett vorfand. Er schrieb auf den Zettel:

Bin zum Laufen raus, Edmond.

Hoffentlich verlaufe ich mich nicht.

          Julius

Dann nahm er den Wegekalender, den er von Edmond bekommen hatte, suchte sich seinen Weg zum Laufplatz um das Quidditchstadion und verließ leise den schlafsall. Er sah auf seine Uhr. Sie zeigte zehn Minuten vor sechs. Er ging hinunter zum grünen Saal und traf dort Barbara, sowie zwei andere Mädchen aus den höheren Klassen und Yves, der in der Millemerveilles-Jungenmannschaft mitgespielt hatte.

"Die beste Möglichkeit, sich einer neuen Umgebung anzupassen, ist seinen Alltag in die Umgebung hinüberzuretten", sagte Yves. Barbara nickte Julius zu.

"Hast du die anderen aufgeweckt?" Fragte sie besorgt. Julius erwiderte:

"Ich hoffe nicht. Wenn doch, hat es mich keiner merken lassen. Habt ihr auch diese Schnarchfängervorhänge?"

"Aber hallo", sagte Yves. "Die sind Standard hier. Möchte nicht wissen, was Roger zusammensägt, wenn hinter ihm der Vorhang zu ist. Meine Cousine hat mal gesagt, ich würde nachts mehrere Romane erzählen. Gut, daß das hier auch keiner hört."

"Soso, du teilst dir mit deiner Cousine das Bett?" Fragte Julius übermütig. Yves wußte nicht, wie er die Frage verstehen sollte und meinte nur: "Ist doch nichts schlimmes dabei, wenn wir uns beide beim Umziehen nicht beobachten."

"Hast recht", antwortete Julius schnell. Barbara trat zu ihm und flüsterte:

"Ich hab's dir gesagt, daß die noch nicht alles wissen. Hast du den Schwermacher mit?"

"Nein, heute nicht", flüsterte Julius.

Um genau sechs Uhr krähte der Hahnenwecker von Claire aus dem rechten der beiden Abgänge zu den Schlaf- und Baderäumen. Julius fragte, ob Barbara nicht wecken gehen müsse. Diese meinte:

"Claires Wecker ist laut genug für alle Mädchen. Außerdem habe ich das an Virginie deligiert, die Kleinen zu wecken. Du kommst jetzt erst einmal mit raus!"

Durch die erst wegbröselnde und sich dann wieder zusammensetzende Wand verließen die drei Frühsportler den grünen Saal. Unterwegs zum Schloßportal trafen sie die Montferre-Schwestern, die Rossignol-Brüder und Bruno Chevallier aus den Sälen rot und blau. Julius wunderte sich, daß Yves und Bruno nie zu sehen gewesen waren, als er mit Barbara morgens um den Dorfteich gelaufen war. Doch es fiel ihm ein, daß die beiden ja auch länger schlafen konnten. Barbara hatte zwei hungrige Geschwisterchen, die morgens sehr früh um frische Muttermilch schrien und er war ja durch den Ferienkurs dazu angehalten gewesen, früh aus den Federn zu finden. Er fühlte sich doch etwas merkwürdig, wenn er die älteren Mitschüler um sich herum sah. Doch das Lauf- und Körpertraining mit Barbara hatte ihm doch eine gewisse Zuversicht gegeben, einiges mithalten zu können.

So begrüßte Julius seinen ersten richtigen Schultag in Beauxbatons mit einem Dauerlauf um das Quidditchstadion. Eine Viertelstunde wurde flott um das Stadion getrabt, dann wurden Erholungsrunden im leichten Tempo abgelaufen. Zum Schluß spurteten die Frühsportler noch einmal um das Oval des Stadions, wobei Julius die ersten hundert Meter locker einen Vorsprung vor Bruno und Yves herausholte. Die Rossignols fielen gar sehr weit zurück. Offenbar wollten sie nur ihre Ausdauer trainieren. Fast hätte Julius Sabine oder Sandra Montferre am wehenden Haarschopf berührt, als diese noch einen Zahn zulegte und hinter Barbara herlief, die die Herausforderung annahm und sich mit der einen Zwillingsschwester aus dem roten Saal ein Rennen lieferte. Die andere ließ sich zurückfallen und blieb auf gleicher Höhe mit Julius.

"Du hast wohl auch einen Schwermacher, wie? Mit dreizehn so loszuwetzen bedarf viel Übung unter harten Bedingungen. Hat die Fehlbesetzung dich ausgebildet?"

"Wen meinst du?" Presste Julius zwischen zwei schnellen und heftigen Atemzügen hervor.

"Barbara. Die wäre besser bei uns gelandet. Aber so wie ich das sehe, hätte sie dich gestern dann gleich mitbringen sollen."

"Dieser kuriose Teppich meinte das aber nicht so", keuchte Julius, der doch merkte, daß er an seine Grenzen stieß. Das Montferre-Mädchen ließ sich absichtlich weiter zurückfallen, für Julius eine wortlose Aufforderung, ebenfalls das Tempo zurückzunehmen.

"Nicht übertreiben! Du hast dich gut gehalten. Locker auslaufen! Am ersten Morgen so reinzuhauen wird dir kein Lehrer durchgehen lassen, auch nicht Schwester Florence", sprach sie immer noch ruhig atmend auf Julius ein. So ließen sich die beiden von Bruno, Yves und den Rossignols überholen und von Barbara und der ersten Montferre-Schwester überrunden. Die beiden verlangsamten ruhig den Lauf und ließen sich dann auch wieder zurückfallen. Dann fragte Barbara:

"Geht es dir noch gut, Julius?"

"Ich habe rechtzeitig den Bremshebel gefunden, bevor mir der Antrieb wegen Überlastung abgesoffen ist", sagte Julius, der nun wieder etwas besser atmen konnte.

"Du hast ihn zu hart rangenommen, Barbara. Der bildet sich ein, sich immer über alle Grenzen hinwegsetzen zu müssen", sagte die Montferre-Schwester, die neben Julius herlief. Barbara wandte sich kurz um, bedeutete dann, daß man auf der dem schloß zugewandten Kurve anhalten solle und blieb im lockeren Trab, bis die bezeichnete Stelle erreicht war. Gerade als sie anhielten, kamen Jeanne, Claire und Edmond aus dem Schloß und beobachteten die Läufer. Auch Schwester Florence trat heraus. Julius meinte, seine letzten Kraftreserven würden ihm auf einen Schlag aus dem Leib gesogen, als er die Schulkrankenschwester sah, die in voller Montur auf sie alle zuging.

"Ruhig stehenbleiben, Julius!" Sagte Schwester Florence und ging zu dem neuen Drittklässler hinüber. Sie holte ihren Zauberstab hervor und untersuchte damit, ob Julius' Körper irgendwie überbeansprucht worden war. Dann sagte sie:

"Ich habe es mir gedacht, nachdem Madame Matine mir schrieb, daß Mademoiselle Dawn ihr schrieb, du hättest einen Schwermacherkristall bekommen und man sollte auf der Hut sein, daß du dich nicht unbeabsichtigt überforderst. Aber dir ist nicht viel passiert. Das kriegst du durch ein gutes Frühstück wieder rein. Allerdings solltest du dich vorher duschen und die durchgeschwitzten Kleidungsstücke gegen frische tauschen. Verabreichen muß ich dir nichts, und Strafpunkte wegen mutwilliger Gefährdung deiner Gesundheit bekommst du auch nicht. Du hast dich gerade so in deinen Grenzen gehalten, junger Mann."

Julius wollte nicht sagen, daß er wohl weiter hinter der einen Montferre-Schwester hergerannt wäre, wenn diese nicht von sich aus langsamer gelaufen wäre. Er sagte nur: "Ich wollte nur wissen, ob ich mehrere Stadien laufen kann, ohne mich groß anzustrengen. Das weiß ich nun, Schwester Florence."

"Gut. Wir sehen uns dann heute nach dem Mittagessen", sagte die Beauxbatons-Heilerin und zog sich zurück.

"Dawn? Meinte sie etwa Aurora Dawn?" Wunderte sich das Montferre-Mädchen, welches die ganze Zeit neben Julius stand. Julius überlegte, ob er diese Bekanntschaft schulweit rumgehen lassen sollte. Aber das wußten sowieso schon viele aus verschiedenen Sälen, dachte Julius und nickte.

"Natürlich meint sie Aurora Dawn, San", sagte Bruno bestätigend und verriet Julius, daß er neben Sandra Montferre hergelaufen war. "Ich habe die selber gesehen, als die bei den Dusoleils war."

"Ich dachte, die wäre nur im englischen Sprachraum bekannt", wunderte sich Julius.

"Wer bei Professeur Trifolio was reißen will, sollte mindestens den kleinen Hexengarten haben. Da stehen zumindest die einfacheren Erklärungen drin", sagte Sandra Montferre. Ihre Schwester Sabine trat zu Julius hin und sagte:

"Wenn Barbara dich weiter so in Form bringt, laufen wir im nächsten Schuljahr bestimmt mal richtig gut um die Wette."

"Vielleicht", sagte Julius, der nicht wußte, wie er dieses Angebot verstehen sollte.

"Wenn wir mit ihm da weitermachen, wo wir in den Ferien aufgehört haben, siehst du ihn schneller wieder als dir lieb ist", sagte Jeanne Dusoleil kühl. Julius wußte, was sie damit meinte und schüttelte den Kopf.

"Ihr habt genug gute Leute, Jeanne", widersprach er.

"Das ist eben das schöne daran. Wer genug gute Leute hat, kann sich von denen die besten aussuchen", sagte Jeanne und nahm Julius beim Arm, bevor Claire dies tun konnte, die sich stillschweigend zurückzog. Edmond trat zu Julius und sagte:

"Ich habe deinen Zettel gefunden. Als ich die Tür zu eurem Schlafsaal auftat, kam von drinnen ein lauter Fanfarenstoß. Ich dachte schon, Hercules hätte sich einen Scherz erlaubt und einen Selbstspielzauber auf seine Trompete gelegt, bis ich dieses Bild über deinem Bett sah, wo ein rotgekleideter Zwerg kräftig in seine Trompete blies."

""Haben die anderen sich beschwert? Ich habe sie zumindest gewarnt", wandte Julius sich an den Saalsprecher.

"Nein, sie haben sich nicht beschwert. Hercules wundert sich nur, daß du dich mit den Überathleten zusammen auf den Lauf traust. Die jüngeren von uns laufen höchstens nachmittags, wenn die Stunden vorbei sind. Außerdem hättest du mir ruhig gestern schon sagen können, daß du Frühsport treibst. An und für sich muß ich dir für diese Unterlassung fünf Strafpunkte zuerkennen."

"Wenn ich sie verdient habe, nehme ich sie hin, Edmond", sagte Julius, dem es im Moment nicht wichtig war, Punkte für sowas lächerliches abgezogen zu bekommen, daß er sich darüber streiten mochte, ob das wirklich gerecht war. Doch Barbara sprang ihm bei.

"Edmond, du überschreitest deine Kompetenzen. Ich habe mit Julius über die ganzen Ferien hinweg Frühsport getrieben. Ich habe ihm auch erzählt, daß wir dies hier in Beauxbatons auch tun. Für ihn gehört das zur Eingliederung hier, das auch zu nutzen. Nur weil dir ein neuer Schüler nicht gleich seine Freizeitpläne detailliert darlegt, kannst du dich nicht anmaßen, beliebig Strafpunkte zu verteilen. Was soll denn das bringen? Julius wird den Eindruck haben, daß hier beliebig getadelt und bestraft wird. Du weißt, was uns Professeur Faucon bei der Einsetzung zum Saalsprecher gesagt hat: "Vermitteln Sie nie den Eindruck, das es nur um Sie persönlich geht und verhängen Sie nicht nach niederen Gründen Strafen, da diese den erzieherischen Wert einbüßen, den sie hier besitzen!" Also sind diese fünf Punkte hinfällig, oder?"

"Wir haben uns geeinigt, das jeder seine Leute führt, Barbara, du die Mädchen, ich die Jungen", widersprach Edmond Danton. Julius hörte jedoch nicht mehr hin, weil Jeanne ihn mit sich zog.

"Du gehst jetzt brav mit mir zurück, nimmst eine Dusche, ziehst dich um und kommst dann mit uns zum Frühstück in den Speisesaal!" Bestimmte sie im Stil der großen Schwester, die sie wohl für ihn zu sein vorgab.

Ohne Widerworte kehrte Julius mit Jeanne, Claire und Yves in den grünen Saal zurück, wo er sich schnell duschte und umzog. Im Schlafsaal der Drittklässler warteten Hercules Moulin und Gérard Laplace auf ihren neuen Klassenkameraden. Dieser begrüßte sie höflich und fragte:

"Hat euch der Trötenzwerg geweckt?"

"Besser der als Edmond. Der war irgendwie nicht gut drauf. Offenbar ist es ihm unangenehm, das seine Freundin Martine so weit weg im roten Saal wohnt und er alleine schlafen muß", spottete Hercules.

"Hoffentlich reagiert er seinen Frust nicht an einem von uns ab. Der hat deinen Zettel da gelesen und nur geschnaubt, daß du ihm das hättest sagen können und ist weitergelaufen, um die ganz kleinen aufzuwecken", warf Gérard ein.

"Zwei in so'nem großen Schlafsaal war bestimmt unheimlich für die, oder?"

"Oja, das kenne ich", sagte Hercules. "Schwester Florence hat mal unseren Schlafsaal komplett in ihr Reich befohlen, weil zwei von uns Masern gekriegt hatten. Ich durfte als einziger wieder entlassen werden, weil ich diese Krankheit schon gehabt habe. Bis die nämlich den Zaubertrank fertig hatte, dauerte es einen vollen Tag und eine Nacht."

"Willkommen im Club", dachte Julius für sich alleine, der sich noch lebhaft an einen Zaubertrankunfall im Unterricht von Snape erinnern konnte. Fast alle Hufflepuff- und Ravenclaw-Zweitklässler waren dabei zu irgendwelchen Vögeln geworden und mußten über Nacht bei Madame Pomfrey bleiben. Nur er war von den Ravenclaw-Jungen den verwandelnden Dampfschwaden entgangen und hatte den großen Schlafsaal für sich gehabt, wie auch über die letzten Weihnachtsferien, wo er von Jeanne zum Weihnachtsball eingeladen worden war.

"Wollen wir zusammen frühstücken?" Fragte Hercules. Julius nickte, denn der Frühsport hatte ihn rechtschaffen hungrig gemacht.

Fünf Minuten vor sieben Uhr versammelten sich im grünen Saal alle seine Bewohner zum Appell, wie Julius meinte. Denn die Saalsprecher zählten durch, wer alles da war und prüften den Sitz von Haartracht und Kleidung. Julius, der nach dem Duschen sein Haar ordentlich gekämmt hatte, mußte lediglich den Umhang etwas glätten, bevor Edmond zufrieden war.

Von den Sallsprechern geführt, die sich gegenseitig etwas mißmutiger ansahen als üblich, gingen die Bewohner des grünen Saales zusammen hinunter zum Speisesaal. Diesmal setzte sich Julius in voller Absicht mit den neuen Klassenkameraden zusammen an den grasgrün gedeckten Tisch. Eher zufällig saß Julius so, daß er die Montferre-Schwestern am roten Tisch direkt ansehen konnte. Diese grüßten ohne Worte herüber. Auch Caro versuchte, Julius Blick zu erhaschen, doch ein sehr stämmiges Mädchen, das wohl einen Meter und neunzig hoch und mit einer wallenden rotblonden Löwenmähne gesegnet war, hielt sie davon ab, sich zu verränken, um Julius zu begrüßen. Hercules sah, wo Julius hinsah und grinste.

"Das ist jene welche, Julius."

"Aha", machte Julius nur, der das aufkommende Grinsen unterdrücken mußte. Edmond, der sich diesmal weit ab von Barbara niedergelassen hatte, wartete, bis alle saßen und kam dann kurz noch einmal zu Julius herüber.

"Meine Saalsprecherkameradin hat mich überzeugt, daß wegen der kleinen Unterlassung heute morgen keine Strafpunkte ausgegeben werden, Julius. Ich werde meine Autorität doch nicht verspielen, nur weil ich mich habe hinreißen lassen, für eine derartige Nichtigkeit Strafpunkte zu vergeben", sagte er etwas ungehalten und zog sich auf seinen Platz zurück.

Julius war froh, daß Jeanne und Claire weit genug von ihm fortsaßen und ihn nicht direkt ansprechen konnten. Hercules und Gérard, die Julius flankierten, grinsten nur, weil Edmond offenbar gegen Barbara verloren hatte. Hercules fragte Julius, ob Edmond wirklich Strafpunkte an ihn verteilen wollte. Julius erzählte die Geschichte, während er aß und trank. Er hatte dankbar angenommen, daß zum Frühstück auch Tee gereicht wurde. Seine neuen Klassenkameraden lachten nur verhalten.

"Dann wärest du der erste Schüler in der Geschichte von Beauxbatons, der es schafft, fünf Strafpunkte zu kriegen, weil er früher aufgestanden ist als der für ihn zuständige Saalsprecher. Dabei hast du dem guten Edmond noch einen Zettel hinterlassen, wo draufstand, wo du hingegangen bist."

"das war vielleicht der Fehler. Ich hätte ihn nach mir suchen lassen sollen", dachte Julius nur für sich. Hier mußte er doch etwas mehr aufpassen, was er sagte, wußte er. Die Jungen hier benahmen sich zwar wie normale Jungen, solange kein Lehrer in der Nähe war. Aber er war neu hier und mußte zumindest in der ersten Zeit doppelt so korrekt sein wie die anderen. Seine Muggelstämmigkeit kam da noch hinzu.

Madame Maxime betrat um viertel nach sieben den Speisesaal. Alle Schüler ließen Besteck oder Tasse sinken und sprangen wie von der Feder geschnellt auf, auch Julius, der diese Prozedur in Hogwarts ja schon beobachten durfte und nun selbst ausführen mußte.

"Guten Morgen, Mesdemoiselles et Messieurs!" Grüßte die Schulleiterin. Im Chor grüßten die Schüler mit "Guten Morgen, Madame Maxime" zurück.

"Die Vorsteher Ihrer Säle werden gleich die Stundenpläne verteilen. Ich hoffe, daß Sie alle Ihre besten Leistungen erbringen. Setzen Sie sich wieder!"

Fünf Minuten später gingen die sechs Saalvorstände zu den jeweiligen Tischen. Julius betrachtete sich noch mal alle Lehrer, die für die einzelnen Tische verantwortlich waren. Der schwarzhaarige und vollbärtige Professeur Paximus, welcher den gelben Saal betreute, die kleine aber nicht zu unterschätzende Professeur Boragine Fixus, deren rotbraune Locken und ovalen Brillengläser die auffälligsten Merkmale waren. Der hochgewachsene Professeur Trifolio, welcher für den weißen Tisch verantwortlich war, gab hier in Beauxbatons Kräuterkunde. Dann war da noch der Astronomielehrer Parallax, dessen grüne Augen aus einem bleichen Gesicht blickten, welches wohl nie Sonne abbekommen hatte. Er ging zum violetten Tisch hinüber. Eine quirlig aussehende Hexe in einem wallenden Kleid aus limonenfarbener Seide besuchte den blauen Tisch, wo die Schüler schon fröhlich winkten, als gelte es, ihnen leckere Süßigkeiten zuzustecken. Dann war da natürlich Professeur Faucon, die in einem langen mauvefarbenen Umhang an den grünen Tisch herantrat und bei den vier Erstklässlern anfing, die so saßen, das rechts von Archibald die Gruppe der Jungen begann und links von Thalia, einem kleinen Mädchen mit schwarzen Locken die Gruppe der Mädchen begann. Professeur Faucon verteilte die vier Stundenpläne, verlor wohl noch einige Worte dabei und ging dann zu den Zweitklässlern. Offenbar arbeitete sie die Klassen nacheinander ab, was Julius einleuchtete. Als die vier Jungen und sechs Mädchen der zweiten Klasse ihre Stundenpläne hatten, kam Professeur Faucon zu den Jungen der dritten Klasse.

"Ich wünsche einen schönen guten Morgen zusammen. Unsere erste gemeinsame Stunde ist heute Nachmittag, Verwandlung. Ich hoffe, Sie haben Ihre Hausaufgaben vollständig erledigt, Messieurs", sagte sie und trat zu Julius.

"Wie Sie wissen, Monsieur Andrews, wurde bei der Verordnung Ihres Schulwechsels verfügt, daß sämtliche für Hogwarts zu verfertigende Hausarbeiten als für Beauxbatons verfertigt anzusehen sind. Ich gehe davon aus, daß Sie nichts nachteiliges zu befürchten haben, sofern Sie alle Hausaufgaben erledigt haben." Julius nickte zustimmend und nahm sein Exemplar des Stundenplans für Drittklässler des grünen Saales entgegen. Auch er bedankte sich artig dafür und wartete, bis die Lehrerin weiterging. Er war froh, nicht gleich in der ersten Stunde bei ihr zu haben. Er schlug das zusammengefaltete Pergamentblatt auf und las:

 

Stundenplan Klasse 3

 

 

Schüler Julius Andrews

 

 

MONTAG

 

08.00 - 09.30: Geschichte der Zauberei (Prof. Pallas)
09.40 - 11.10: Arithmantik (Prof. Laplace)
11.30 - 13.00: praktische Zauberkunst (Prof. Bellart)
13.00 - 14.00: Mittagspause (Täglich)
14.00 - 15.30 Transfiguration (Prof. Faucon)
ab 15.30 Freizeitgestaltung nach Auswahl
18.00: Abendessen (Täglich)
18.00 - 22.00: Freizeitgestaltung nach Auswahl

 

Dienstag

 

08.00 - 09.30: Alte Runen (Prof. Milet)
09.40 - 11.10: praktische Magizoologie (Prof. Armadillus) 
11.30 - 13.00: Magische Herbologie (Prof. Trifolio) mit Saal weiß
14.00 - 15.30: Magische Alchemie (Prof. Fixus) mit Saal rot
15.30 - 18.00: Freizeitgestaltung nach Auswahl
Nach Abendessen bis 22.00: Freizeitgestaltung nach Auswahl

Mittwoch

 

08.00 - 09.30: Protektion gegen die destruktiven Formen der Magie (Prof. Faucon)
09.40 - 11.10: Arithmantik (Prof. Laplace)
11.30 - 13.00: praktische Zauberkunst (Prof. Bellart)
14.00 - 15.30: Alte Runen (Prof. Milet)
15.30 - 18.00: Freizeitgestaltung nach Auswahl
Nach Abendessen bis 22.00: Freizeitgestaltung nach Auswahl

 

Donnerstag

 

08.00 - 09.30: Magische Herbologie (Prof. Trifolio) mit Saal weiß
09.40 - 11.10: Praktische Magizoologie (Prof. Armadillus) 
11.30 - 13.00: Transfiguration (Prof. Faucon)
14.00 - 15.30: Geschichte der Zauberei (Prof. Pallas)
15.30 - 18.00: Freizeitgestaltung nach Auswahl
23.00 - 00.00: Astronomie (Prof. Paralax)

 

Freitag

 

08.00 - 11.10: Magische Alchemie (Prof. Fixus) mit Saal rot
11.30 - 13.00: Protektion gegen destruktive Formen der Magie (Prof. Faucon)
14.00 - 15.30: Arithmantik (Prof. Laplace)
15.30 - 18.00: Freizeitgestaltung nach eigener Auswahl
Nach Abendessen bis 22.00: Freizeitgestaltung nach eigener Auswahl

Unterschrift:      Prof. Blanche Faucon

 

 

"Den Freitag kann ich schon mal voll vergessen", stöhnte Hercules. "Doppeldoppelstunde Zaubertränke und Alchemie bei Madame Denk-nicht-dran. Dann bin ich für Fluchabwehr nicht mehr zu gebrauchen."

"Sind Zaubertränke nicht dein Ding?" Fragte Julius. Hercules schüttelte leicht den Kopf.

"Ich komme mit der Lehrerin nicht klar. Vor allem wenn dann noch die Roten mit von der Partie sind."

"Immerhin haben wir Montags Geschichte der Zauberei.

 

"Auf jeden Fall geht heute schon was neues los", stellte Julius fest und tippte auf die zweite Doppelstunde des Vormittags, wo für Ihn Arithmantik angesetzt war. Er fragte: "Wer von euch hat noch Arithmantik heute?"

"Von den Jungs keiner", sagte Hercules Moulin. "wir haben uns wohl irgendwie auf Wahrsagen verständigt, obwohl viele behaupten, daß das 'n typisches Mädchenfach sei." Robert Deloire fügte hinzu:

"Die wollten, daß wir auf jeden Fall zwei neue Fächer nehmen. Ich sah nicht ein, mir was total schweres zu nehmen neben Studium der nichtmagischen Welt, also Muggelkunde."

Julius unterdrückte noch soeben einen Lachanfall, mußte jedoch grinsen, was er zwar auch zu unterdrücken versuchte, es aber nicht ganz gelang. Robert fragte ihn, was daran so lustig sei. Julius meinte nur:

"Ich habe gehört, daß Muggelkunde hier nicht so einfach sein soll. 'ne ältere Schülerin aus dem weißen Saal hat das auch gemacht und in den Ferien hammerharte Hausaufgaben machen müssen. Da es ja sowieso rum ist kann ich sagen, daß ich mir das bestimmt nicht gegeben hätte, auch wenn ich ein reinblütiger Zauberer wäre."

"Dann hast du das nicht genommen?" Staunte André Deckers. Julius schüttelte ruhig den Kopf.

"Aber Bébé hat das doch genommen", wandte Hercules ein. Julius sagte nur: "suum cuique."

"Oh, ein Altsprachler", flötete Gaston und fügte hinzu: "Jedem das seine. Stimmt, Julius. Wenn du das Fach nicht nötig hast, dafür zwei andere Fächer genommen hast, werden sie es dir nicht aufzwingen."

"Ich wollte was nehmen, wo alles richtig neu für mich ist", rechtfertigte Julius es nun doch, daß er Muggelkunde nicht genommen hatte. Das reichte den Jungen aus seiner neuen Klasse. Robert sagte halb flüsternd:

"Céline hat Arithmantik genommen, auch Bébé, die können dir ja helfen, zu dem Raum zu kommen, wo das stattfindet."

Julius nickte. Dann las er noch mal den Namen des Lehrers für Arithmantik und wandte sich an Gérard, der wohl beobachtet hatte, wie Julius den Namen las oder noch über Arithmantik nachdachte. "Professeur Laplace, ist der oder die mit dir verwandt, Gérard?"

"Ja, ist sie, Julius. Das ist der Grund, warum ich mir das nicht ausgesucht hab'", antwortete Gérard mit einem Gesicht, als verbitte er sich jede genaue Frage nach Professeur Laplace.

"Seine Maman, Julius", gab Hercules seinen Senf dazu, wohl ohne von Gérard darum gebeten worden zu sein.

"Keine weiteren Fragen", sagte Julius schnell, weil ihm Gérards langsam rot anlaufendes Gesicht nicht gefiel. Er konnte sich auch denken, daß der neue Klassenkamerad froh war, daß er sich von dem Unterricht seiner Mutter fernhalten durfte.

Es war fünf nach halb acht, als wie in Hogwarts ein großer Schwarm unterschiedlicher Eulen in den Speisesaal hineinflog, durch die Fenster und das Glasportal. Sie segelten, flatterten und schwirrten herein, nach denen Ausschau haltend, für die sie Post beförderten. Julius, der gestern erst seine Eule Francis nach Paris zu Catherine geschickt hatte, rechnete nicht mit einem Brief. Doch als Viviane und Francis aus dem Gewühl der vielen Eulen auftauchten, staunte er doch. Dann segelte noch eine Eule von Madame Dusoleil heran, dann noch eine von Madame Delamontagne und ein Waldkauz, den Julius auch kannte, nämlich Gulliver, der offizielle Postvogel von Hogwarts. Alle Eulen suchten ihn auf, wobei Viviane erst ihr linkes Bein vorstreckte, an dem ein Briefumschlag gebunden war, um dann, als Julius diesen abgenommen hatte, zu Claire hinüberzufliegen, für die wohl der Umschlag am rechten Bein war.

Die vier übrigen Eulen landeten so, daß sie Julius' Frühstücksteller umlagerten, wobei Gulliver eine kleine Feder verlor, die auf den Rest Marmelade auf dem Teller niederging. Julius nahm jeder Eule einen Briefumschlag ab. Francis tätschelte er kurz und vorsichtig und flüsterte ihm zu, er möge sich in den Eulenställen ausruhen. Die übrigen Eulen flogen mit ihm davon, wurden geführt, wie eine Flugzeugstaffel von ihrem Anführer. Hercules meinte:

"Das war doch eine Eule von Virginies Mutter, die da bei dir gelandet ist. Hast du die dicke Königin von Millemerveilles geärgert?"

"Falls dem so wäre, hätte ich jetzt einen scharlachroten Umschlag in der Hand und müßte um meine Ohren Fürchten. Wie läuft denn das hier ab. Lest ihr eure Post bei Tisch oder später?"

"Bei einem bei Tisch, wenn's mehrere sind ist es wohl gescheiter, die nach dem Unterricht zu lesen", sagte Hercules. Julius befolgte den Rat. Er klaubte die Briefe zusammen. Dann übermannte ihn die Neugier. Er öffnete den Brief von Hogwarts, weil er wissen wollte, was die jetzt noch von ihm wollten, daß sie ihm eine Eule hierherschicken mußten. Er las:

Sehr geehrter Mr. Andrews,

wir hoffen, Sie sind wohlbehalten in Beauxbatons eingetroffen und möchten Ihnen unseren Dank und unsere Wertschätzung aussprechen, daß Sie uns in den zurückliegenden beiden Jahren keine Schande gemacht und sich vorbildlich für Ihre Mitschüler betragen haben. Daher gehen wir davon aus, daß Sie diese positive Haltung auch an Ihrer neuen Schulstätte bewahren werden und dadurch Ihr Ansehen als vielversprechender Zauberer zu steigern vermögen.

Wir erfuhren per Expresseule von unseren hochgeschätzten Kolleginnen Madame Maxime und Professeur Faucon, daß Sie im grünen Saal von Beauxbatons unterkamen, was für Professeur Faucon, die jenen Wohnbereich von Beauxbatons als Hauslehrerin betreut, sichtlich angenehm ist. Wir bitten Sie daher nur der Form halber, ihre Wertschätzung für Sie nicht zu enttäuschen, sind uns jedoch sicher, daß sich dies von allein versteht.

Mit besten Wünschen für Ihre Zukunft und hochachtungsvoll

          Prof. McGonagall
          Prof. Flitwick

Julius mußte sich zusammennehmen, die durch den Brief aufgewallte Rührung zu verdrängen, um nicht doch noch zu weinen. Man hatte ihn in Hogwarts nicht abgehakt, sondern an ihn gedacht. Vielleicht war es auch nur ein formeller Abschiedsbrief, aber im Moment für ihn mehr als nur ein amtliches Pergament. Da er die Gefühlswallung nicht niederringen konnte, las er noch schnell den Brief von Madame Dusoleil, nachdem er das Schreiben aus Hogwarts fortgepackt hatte.

Hallo, Julius!

Schön, daß du bei Jeanne und Claire im grünen Saal wohnst. Sicher war mir das klar, daß du da und nicht woanders hinkommst. Aber dieser Teppich - jetzt dürfen wir ja drüber reden - hat schon manche Überraschung gebracht. Bei einigen kam erst beim letzten Schritt auf ihm die Farbe zur Geltung, für die er oder sie bestimmt war.

Aber jetzt bin ich beruhigt, weil ich weiß, daß du dich schnell und ohne dich seelisch zu verformen in Beauxbatons einleben wirst. Ich freue mich auch für Claire, daß ihr beide nun viel mehr Zeit miteinander verbringen könnt, ohne euch in der Bibliothek oder den Freizeitclubs treffen zu müssen. Dazu haben wir uns ja umfassend ausgesprochen, und ich denke, du freust dich auch, obwohl du mir und Barbara und sonstwem erzählt hast, du könntest ja auch woanders hinkommen.

Schreib mir ruhig längere Briefe, wenn du genug erlebt hast, was du jemandem mitteilen möchtest. Ich habe dir gesagt, daß ich für dich immer Zeit habe. Das bin ich dir schließlich schuldig, nachdem du mir abwechslungsreiche Wochen ohne Streit und Ärgernis beschert hast. Grüß mir auch deine Mutter, wenn du einen Brief von ihr kriegst.

Alles liebe

          Camille Dusoleil

Die restlichen Briefe wollte er erst nach dem Unterricht lesen, sofern man ihm Zeit ließ. Immerhin wollte ja Schwester Florence noch mit ihm reden, und mittagessen wollte er ja doch.

Pünktlich um viertel vor Acht erhob sich Madame Maxime. Diese Bewegung war wohl das Kommando für die älteren Mitschüler, sich ebenfalls schnell zu erheben. Julius schaffte es zwar nicht, zeitgleich mit seinen Klassenkameraden aufzustehen, bekam jedoch dafür keinen Tadel.

"Da Sie nun alle gefrühstückt haben, machen Sie sich nun bereit für den Unterricht. Die Erstklässler versammeln sich mit ihrem Lehrmaterial In der Eingangshalle, wo sie von den Lehrern abgeholt werden, mit denen sie die erste Unterrichtsstunde verbringen! Ich verbitte mir jeden überflüssigen Lärm!"

Wie im Chor grüßten die Schüler die Direktrice noch mal, bevor sie in geordneten Gruppen zügig den Speisesaal verließen und von ihren Saalsprechern zu den Eingängen geführt wurden, hinter denen die Gemeinschaftssäle und Schlafräume lagen. Julius holte sich aus seinem Koffer die für heute benötigten Schulbücher und Schreibzeug. Seinen Zauberstab hatte er sich schon vor dem Abrücken zum Speisesaal eingesteckt. Er besuchte noch mal die Toilette, prüfte sein Äußeres und ging dann mit seinen Klassenkameraden aus dem grünen Saal. Claire schaffte es mit Céline, Julius und Robert an der Bildung einer reinen Jungengruppe zu hindern und schritten neben ihnen her, wie Königinnen, die über das Geschick ihres Königs wachten.

"Sieh an, sie hat dich doch mit Beschlag belegt", flötete einer der Rossignol-Brüder aus dem Blauen Saal, als er mit seinem Tross an Julius vorbeilief. Claire feuerte einen verachtenden Blick gegen den ungehobelten Klotz, dem das jedoch nicht viel auszumachen schien. Julius schluckte diesen ungebetenen Kommentar hinunter. Der Typ war ja schließlich erst recht von einer Junghexe vereinnahmt worden und brauchte sich nicht über die Verhältnisse anderer auszulassen.

Kurz vor acht Uhr standen sie vor einer Tür, auf deren weißem Schild in blauer Schrift "Geschichte der Zauberei" zu lesen stand. Die elf Drittklässler stellten sich so, daß die Tür frei erreichbar blieb. Céline fragte Julius noch, ob es wahr sei, daß ein Geist Zaubereigeschichte gab. Julius nickte. Céline meinte, daß das doch wunderbar sei, wenn ein Jahrhunderte alter Geist, der wohl vieles noch selbst mitbekommen hatte, unterrichtete. Julius grinste nur. Dann sagte er:

"Glaub mir, Céline, daß jemand, der seinen eigenen Tod nicht mitbekommen hat, nicht gerade viel Spannung in seinen Unterricht bringt."

Um die Biegung des Korridors, der zum Unterrichtsraum führte, waren die Schritte von hochhackigen Schuhen zu hören und das Rascheln von Seide. Dann tauchte die kleine quirlige Hexe mit lockeren Bewegungen auf, die Julius die Stundenpläne für die Blauen hatte austeilen sehen können. Sie besaß walnußbraunes Haar, das zu einer Dauerwelle frisiert worden war und hielt einen großen Schlüssel in der rechten Hand und eine Aktenmappe unter dem linken Arm. Sofort standen sämtliche Schüler stramm außer Julius, der nicht daran dachte, sich hier wie ein Zinnsoldat gebärden zu müssen. Die Lehrerin schien ihm das nicht übelzunehmen und lächelte ihn an.

"Guten Morgen, zusammen!" Grüßte sie mit einer gute Laune verheißenden Betonung. Im Chor grüßten die Drittklässler: "Guten Morgen, Professeur Pallas." Dann trat sie an die Tür, schloß sie auf und öffnete sie weit. Sie ließ alle an sich vorbeigehen und schloß die Tür. Dann nahm sie ein großes Stundenglas, auf dessen runden sammelkolben feine Striche angebracht waren, die in unterschiedlichen Farben schimmerten, von weiß, über grün, gelb, orange, rot und schwarz.

"Immer die leidige Zeitnehmerei", stöhnte sie, als sei dies für sie eine Belastung, als sie die Sanduhr auf ihr Pult Stellte, worauf der feine weiße Sand aus dem oberen in den unteren Glaskolben zu rieseln begann.

"Vielleicht haben wir das heute auch nicht nötig", sagte sie und zog ein kleines Pergament aus ihrer Aktenmappe und verlas sämtliche Namen der Schüler, die aus dem Grünen Saal die dritte Klasse besuchten. Julius Andrews wurde erst zum Schluß erwähnt, als alle anderen Schüler durch Handzeichen und ein vernehmliches "Jawohl" ihre Anwesenheit bekundeten.

"Du bist also Julius Andrews, der von Hogwarts zu uns wechselte", stellte sie fest, als sie Julius genauer betrachtete. "Ich habe mir, wie alle anderen Saalvorsteher auch, deine letzten Zeugnisse und Beurteilungen von Hogwarts kommen lassen, weil wir ja nicht wußten, wer für dich verantwortlich sein würde. Alles in Ordnung. Die Noten sind ja ganz schön. Aber wieso magst du keine Zaubereigeschichte?"

"Öhm", machte Julius. Dann meinte die Lehrerin:

"Ach du meine Güte, warum setzt ihr euch nicht hin? Ihr seid doch alt genug, daß ihr euch ohne Befehl hinsetzen könnt, wenn ich weiß, daß alle da sind."

Die Schüler suchten sich Plätze. Julius war froh, erst einmal nicht auf die ihm gestellte Frage antworten zu müssen. Er wollte sich ganz hinten hinsetzen, doch die Lehrerin nagelte ihn mit ihrem Blick fest und zog ihn mit einer auf die vordere Reihe weisenden Armbewegung ohne Berührung und Zauberkraft nach vorne, wo er zwischen Jasmine, Gaston und Claire zu sitzen kam. Er sah sich schnell um und prägte sich den Raum gut ein, die ordentlich hintereinander aufgestellten Zweierreihen, die große Tafel, die die komplette Wand gegenüber der Tür beherrschte, die quadratischen Fenster, die Licht ins Zimmer einließen und die großen Schränke, wo wohl Bücher aufbewahrt wurden.

"Nimm es mir nicht übel, junger Mann, aber ich möchte mit neuen Schülern nicht über große Entfernungen reden, damit ich nicht schreien muß. Aber du hast dich um die Antwort meiner Frage gedrückt. Warum magst du keine Zaubereigeschichte? Zu schwer kann sie nicht sein, weil du in den anderen Fächern ja wesentlich bessere Noten bekommen hast und wohl keine Probleme mit reinen Lernfächern hast."

"Ach, Zaubertränke sind bei mir doch nicht besser als Geschichte", erwiderte Julius, der sich frei genug fühlte, etwas lockerer mit dieser Lehrerin zu sprechen.

"Boragine Fixus hat mir erzählt, wer das bei euch unterrichtet und daß dieser Zauberer ausschließlich seine Schützlinge wertschätzt. Hat mein Kollege etwa in seiner Motivation nachgelassen?"

Julius platzte fast, weil er den Lachanfall niederhalten wollte, der ihn überkommen wollte. Er schaffte es nicht ganz.

"Motivation? Kennen Sie Professor Binns?"

"Wir haben ab und an korrespondiert. Ich halte ihn für einen fähigen Gelehrten, was ja wohl auf sein langes Dasein zurückzuführen ist. Motiviert er dich etwa nicht?"

"Ich habe immer abgeliefert, was er an Hausaufgaben haben wollte, mehr war für mich nicht wichtig", erwiderte Julius an einer direkten Antwort vorbeiredend.

"Dann langweilt er dich? Hast du vielleicht das Gefühl, du bräuchtest dieses Fach nicht zu lernen, weil dir der Sinn dafür nicht beigebracht wurde? Dann ist es gut, daß du noch rechtzeitig zu uns gekommen bist", sagte die Lehrerin entschlossen. Die ganze Klasse grinste. Offenbar fiel den Jungen und Mädchen das schwer, einer Lehrerin gegenüber belustigt auszusehen, fand Julius.

"Vielleicht lag's ja an mir, daß ich das nicht begreifen konnte", sagte Julius schnell. Die Lehrerin sah ihn ruhig an und antwortete:

"Das werden wir erleben. Vielleicht hat mein Kollege Binns auch nur seinen alten Trott beibehalten, daß nur Zahlen und Ereignisse runtergerattert werden und dann am Jahresende gefragt wird, was davon hängengeblieben ist. - Das läuft hier bestimmt nicht, Julius. Langeweile ist in Beauxbatons verboten. Das haben dir deine neuen Mitschüler wohl irgendwie erklärt. Außerdem verfolge ich zwei Grundsätze: Geschichte heißt nicht einfach lernen, wann und wer was getan oder gesagt hat, sondern begreifen, notfalls nachempfinden, wie und warum das alles geschehen ist. Der zweite Grundsatz lautet: Die Vergangenheit, ihre Erfolge und Mißerfolge, sind die Grundlage unserer Gegenwart und Planungshilfe für die Zukunft. Fehler der Vergangenheit zu wiederholen, weil man die Vergangenheit nicht kennt, kann ziemlich peinlich, manchmal auch gefährlich werden." Den letzten Teilsatz hatte sie mit bedrohlichem, keineswegs gekünsteltem Unterton gesprochen, sodaß es Julius kalt den Rücken hinunterlief. "Du wirst mit den anderen hier auch lernen, Geschichte zu begreifen, zu atmen, zu verinnerlichen, als lebendige Substanz zu einem Teil von dir, deinem Erfahrungsschatz zu machen. Das mag dir theatralisch vorkommen, aber wenn ich mit dir die letzte Stunde deines Abschlußjahres hier beendet habe, wirst du mir längst rechtgegeben haben, daß ich das so ausgedrückt habe, wie ich es ausgedrückt habe. - Doch kommen wir nun endlich zum Unterricht. Ihr habt alle eure Hausaufgaben gemacht? Ich möchte nämlich nach dem Unterricht was zu lesen haben."

Die Schüler holten die Pergamente mit den Geschichtshausaufgaben heraus und gaben sie Professeur Pallas, die sie sortierte und in ihre Aktenmappe packte. Dann begann sie mit dem Unterricht.

Julius mußte sehr rasch feststellen, daß sie nicht Professor Binns war. Denn sie forderte alle auf, die Schulbücher herauszuholen und die Seiten aufzuschlagen, wo es um das Verhältnis der europäischen Zauberergemeinschaften des 17. Jahrhunderts ging. Sie las nicht selbst, sondern lies vorlesen, wobei sie bei Gérard anfing, dann über Céline, Jasmine und Gaston die Vorleserei fortsetzen lies und dann Laurentine Hellersdorf fragte, wieso Girolamo der Struppige sich derartig über Antonio den Kahlkopf ausgelassen hatte, welche über eine Vereinheitlichung des Handels mit magischen Essenzen zerstritten waren. Laurentine sagte nur:

"Ach, wahrscheinlich war Antonio nur eifersüchtig, weil Girolamo struppige Haare haben konnte. Betrifft mich nicht." Alle lachten, auch die Lehrerin. Dann fragte sie, wobei sie ihn ansah:

"Julius, wahrscheinlich hat der längst dahingeschiedene Professeur Binns euch nie nach dem Sinn oder Unsinn gefragt, aber ich möchte doch wissen, ob du eine andere Erklärung weißt."

"Ich kann auch nichts dazu sagen, außer daß die beiden eben wegen ihrer Landeszugehörigkeit oder eben des Aussehens zerstritten waren."

"Dann schlage ich vor, wir spielen das mal mit verteilten Rollen durch, was damals gelau´fen ist. Gaston und André lesen mit verteilten Rollen den Dialog, der protokolliert wurde. Vielleicht kommen wir dann ja darauf."

Julius hob die Hand. Gloria hätte jetzt ihre helle Freude an ihm gehabt, daß er sich in diesem Fach beteiligte. Er bekam die Sprecherlaubnis:

"Wodurch ist geklärt, daß die ganze Angelegenheit damals so abgelaufen ist? Könnte nicht der Protokollführer gemeint haben, ihm genehmere Sätze hinzuschreiben?"

Alle zuckten zusammen, weil Julius es in Frage stellte, was in diesem Geschichtsbuch stand. Doch die Lehrerin nickte nur und sagte:

"Du bist ja wirklich lernfähig, alle Achtung! Das hat keine zwanzig Minuten gebraucht. Das ist nämlich der Punkt, Leute. Praktische Zauberei, Zaubertränke oder direkte Zauber, können immer nachgeprüft und bestätigt werden. Aber wenn zwei Zauberer in einem Raum sitzen und einer sitzt dabei und muß niederschreiben, was sie sagen, womöglich noch aus dem Latein übersetzen, das wie bei den katholischen Christen noch sehr lange die Verkehrssprache der europäischen Zauberer war, dann ist die Versuchung groß, einige Sätze anders zu interpretieren. Wir haben dann was vorliegen, wo wir niemanden mehr fragen können, was wirklich geschehen ist. Deshalb müssen wir zu den Texten immer und jederzeit die Hintergründe nachforschen, möglichst aus unterschiedlichen Quellen. Geschichte ist immer im Fluß. Was wir heute lernen, bringt uns zwar gute Noten ein, was mich sehr freut, aber verbindlich ist das nur dann, wenn wir uns stets Gedanken machen, warum wir das so erfahren haben, wie wir es erfahren haben. Aber lesen wir erst einmal diesen kurzweiligen Wortwechsel zwischen den beiden Zauberern!"

Nachdem Gaston und André den Wortwechsel zwischen Girolamo und Antonio laut vorgelesen hatten, meldete sich Jasmine Jolis. Professeur Pallas erteilte ihr Sprecherlaubnis.

"So wie sich das anhörte, kannten die beiden sich von früher, bevor sie für ihre jeweiligen Zauberergemeinschaften unterhandelten. War Girolamo der Struppige nicht einmal Konkurrent von Antonio gewesen, wo es um eine magische Erfindung ging?"

Professeur Pallas fragte, wie sie darauf komme und erfuhr, daß der Struppige zeitgleich mit dem Kahlkopf eine Methode erarbeitet haben wollte, feuerlos leuchtende Lampen und Lichter zu schaffen. Sie bezog sich auf ein Buch über magische Erfindungen des Rennaissance-Zeitalters. Wer jetzt genau wann seine Methode vorgestellt hatte, ging daraus nicht hervor. Professeur Pallas nahm dies jedoch als eine Möglichkeit an und ließ die Szene von zwei anderen Jungen, Hercules und Gérard noch mal laut vorlesen, wobei die beiden so tun mußten, als seien sie wütend aufeinander. Danach fanden alle, daß die Möglichkeit zutreffen konnte.

In diesem Stil ging es weiter, bis die helle Schulglocke zur Pause um halb zehn läutete.

"Schönen Dank, daß ihr euch in den Ferien so gut erholt habt, daß ihr frisch und eifrig in meinen Unterricht zurückgekehrt seid. Hausaufgaben fallen heute mal weg, weil ich weiß, daß einige von euch heute noch ihre neuen Fächer haben und da bestimmt viel Gehirnschmalz für brauchen, um damit zurechtzukommen. Wir sehen uns dann am Donnerstag nachmittag wieder. Achso, jeder von euch bekommt zehn Bonuspunkte, Gaston, André, Gérard und Hercules bekommen dazu noch zehn für gutes Vorlesen und Jasmine und Julius bekommen noch mal zehn für gute Ideen zur Gestaltung der Stunde. Und jetzt raus mit euch!"

"Auf wiedersehen bis Donnerstag, Professeur Pallas!" Wünschten die Schüler einzeln.

Die Lehrerin folgte den Schülern und schloß die Tür wieder ab. Auf dem Flur traten Céline und Claire an Julius heran.

"Hoffentlich denkst du jetzt nicht, daß die alle so sind, wie Professeur Pallas. Manche können es nicht haben, wenn das, was sie beibringen wollen hinterfragt wird", sagte Céline. Claire hingegen sagte:

"Gut, daß du nicht gemeint hast, nur dumm rumsitzen zu müssen. Jeanne hat mir das geschrieben mit diesem Geisterlehrer. Der hat ja wirklich nichts von den Schülern abverlangt außer Hausaufgaben, wo sich jeder nur die entsprechenden Buchseiten abschreiben mußte."

"Hat eine von euch noch Arithmantik gewählt?" Fragte Julius. Céline nickte.

"Bébé und ich sind bei Arithmantik mit dabei. Ich habe mir gestern abend, wo du mit Edmond unterwegs warst schon angesehen, wo der Raum liegt. Komm einfach mit!"

"Mag Laurentine das, wenn du sie "Bébé" nennst?" Fragte Julius. Céline grinste.

"Von uns mag sie das schon. Sieht ja auch fast so aus wie ein Säugling. Aber wenn du sie nicht so nennen möchtest, benutz ihren Vornamen!"

Die beiden Mädchen, die offenbar gute Freundinnen waren, aber unterschiedlicher nicht sein konnten, führten Julius durch Korridore und Treppenhäuser zu einem verschlossenen Raum, vor dem eine Gruppe aus vier Mädchen zusammenstand. Zwei davon erkannte Julius sofort wieder, Estelle, die Freundin Claires aus Millemerveilles, sowie Belisama, das Mädchen, das für eine dreizehnjährige schon voll erblüht war und seidenweiches, honigfarbenes Haar besaß. Daneben stand noch ein Mädchen mit rotblondem Haar, dessen Gesicht Julius irgendwie an diesem Morgen schon gesehen zu haben glaubte und ein Mädchen, daß irgendwie mit Estelle verwant sein mochte, nur daß Estelle hellere Haare hatte. Julius war das unheimlich, daß bis jetzt nur Mädchen vor dieser Tür standen. Belisama drehte sich zu den drei Schülern aus dem grünen Saal um und sah Julius mit ihren großen, bergquellklaren Augen an. Sie lächelte freudig, den ehemaligen Hogwarts-Schüler hier und jetzt wieder in Sprechweite zu sehen. Julius wich dem Blick Belisamas aus und betrachtete konzentriert das Mädchen mit den rotblonden Haaren. Diese unterhielt sich mit Estelle über irgendwas. Kraft und Entschlossenheit strahlte sie aus, wie eine Spitzensportlerin, die sich sicher ist, ihren Wettkampf zu gewinnen. Das Mädchen, welches Estelle ähnelte, als wäre sie eine Cousine oder Halbschwester von ihr, wirkte erhaben, geduldig auf etwas wartend, das mit Sicherheit eintreten würde.

"Einen wunderschönen guten Morgen!" Wünschte Céline fröhlich und munter. Das rotblonde Mädchen grüßte lässig zurück, lächelte aber dabei. Estelle trat vor und begrüßte Julius.

"Hallo, Julius. Schade, daß du nicht zu uns gekommen bist. Aber der Teppich hat wohl nichts von unserer Gründlichkeit bei dir vorfinden können."

"Wie war das?" Fragte Céline. Julius fragte:

"Wohin wäre ich denn gekommen, wenn ich bei dir gelandet wäre?"

"Im weißen Saal natürlich", erwiderte Belisama statt Estelle und trat auf Julius zu. Flüchtig umarmte sie ihn, nur flüchtig als Begrüßungsgeste. "Es war doch besser für dich, zu uns zu kommen. In Hogwarts haben die so einen vielseitigen Jungzauberer doch gar nicht verdient. Außerdem wirst du jetzt mitkriegen, wie interessant und abwechslungsreich wir hier leben."

"Moment, woher willst du wissen, daß ich vielseitig bin, Belisama?" Wollte Julius wissen. Die Befragte lachte glockenhell.

"Weil der Teppich dich so eindeutig zu den Grünen hat laufen lassen, daß du mehrere Sachen können mußt. Ich habe damals sechs Schritte gebraucht, um zwischen Violett und Weiß zu stehen und noch mal drei, um endgültig zu den Weißen gezählt zu werden. Nach drei Schritten schon die endgültige Saalfarbe zu erwischen, das passiert wohl seltenst."

"Seid ihr die ersten hier? Ich meine, kommen noch welche?" Fragte Julius noch. Belisama deutete auf Estelle und sagte:

"Estelle und ich sind von den Weißen die einzigen, die Arithmantik gewählt haben. Die anderen haben Muggelkunde, alte Runen oder Wahrsagen und Pflege magischer Geschöpfe, aber keine Arithmantik."

"Woher kennst du denn Belisama so gut?" Fragte Céline Dornier. Julius lief leicht rot an, was bei den Mädchen ein Kichern auslöste. Dann erzählte er es kurz. Das rotblonde Mädchen trat vor und stellte sich vor, indem sie Julius' rechte Hand nahm und kraftvoll zudrückte, was Julius locker aushielt, ja sogar mithielt.

"Mildrid Latierre, Jägerin und Bewohnerin des roten Saales. Janine, Bruno und César haben ja nur gutes über dich berichtet, vom Quidditch, Schach und Tanzen. Warum hat dieser dumme Teppich nicht die roten Felder über sich ausbreiten lassen? Bruno und Martine waren sich sicher, daß du doch einer von uns wärst."

"Martine? Martine Latierre, die Saalsprecherin der Roten?" Fragte Julius, der sich auf ein lockeres, nicht ins Kräfte vergleichend ausuferndes Armdrücken mit der Drittklässlerin einließ.

"Martine Latierre. Hat der gute Eddie nicht erzählt, daß er sie gut kennt?"

"Neugier, dein Name ist Weib", erwiderte Julius darauf frech.

"Also nicht. Na ja, wenn sie ihn wirklich haben will, wird sie ihn dieses Jahr auf ihren Besen holen und dann weiß es eh jeder."

 

Julius erstaunte das wieder, wie direkt und frei heraus die Mädchen aus dem roten Saal redeten. Er kannte das zwar von Caro und auch von Janine, aber unheimlich war das für ihn, der zu höflicher Zurückhaltung erzogen worden war, immer noch, zumal ja gerade die Damen besonders zurückhaltend sein sollten.

"Kommt von euch Roten noch wer?" Wollte Julius wissen und überspielte damit die Bemerkung, die Mildrid über Martine Latierre, wohl ihre Schwester, gemacht hatte.

"Ich bin in dieser Gruppe die einzige. Da sind noch ein paar, die noch Wahrsagen und Muggelkunde zu dieser Stunde haben und Arithmantik zu einem anderen Zeitpunkt haben, aber ich bin hier die einzige."

"Am besten lassen wir die Spielerei jetzt bleiben", flüsterte der neue Schüler aus England und machte seine Hand von der Mildrids frei, wobei sie ihm kurz aus Versehen mit ihren Nägeln ritzte.

"Hups, das wollte ich nicht", meinte Mildrid. Julius schüttelte sachte den Kopf, holte seinen Zauberstab hervor und schaffte es mit im wahrsten Sinne mit links, den Injuriclausa-Zauber über die Verletzung zu legen, die sofort und rückstandslos verheilte.

"Ich habe in den Ferien viel lernen können", sagte Julius und steckte den Zauberstab wieder fort.

"Oh, das zeigst du besser nicht, wenn Schwester Florence zusehen kann!" Warnte Céline Julius, die ihn erstaunt und bewundernd ansah. Julius räusperte sich und sagte:

"Die hat's schon schriftlich. Ich fürchte, da müßte man einen Gedächtniszauber benutzen, um sie das wieder vergessen zu lassen, und das wäre verboten."

Feste Schritte erklangen im Flur. Sofort verstummten die Schülerinnen und der Schüler und stellten sich in Hab-Acht-Stellung, auch Julius. Die Stunden bei Professeur Pallas durfte er nicht als Maßstab für alle Lehrer anlegen, eher als Ausnahme der Regel.

Eine Hexe, groß, schlank, in ein elegantes Rüschenkleid aus taubenblauem Satin, von Gesicht und Haar Gérard sehr ähnlich, kam den Flur entlang, auch mit einem Schlüssel in der Hand, wie Professeur Pallas, ebenfalls eine Aktenmappe unter dem Arm.

"Guten Morgen, zusammen!" Grüßte sie, diesmal nicht fröhlich sondern gebieterisch klingend, wie eine Frau, die keine Widerworte duldete. Julius entspannte sich. Darauf war er hier in Beauxbatons gefaßt. So grüßte er mit den Mädchen im Chor sprechend zurück und wartete, bis die Lehrerin die Tür geöffnet hatte. Wie vorhin auch marschierten alle Schüler ein, bevor die Lehrerin die Tür hinter sich schloß. Auch in diesem Raum waren mehrere Schulbänke ordentlich aufgereiht, überdeckte eine Wandtafel die der Tür gegenüberliegende Wand und standen Bücherschränke bereit. Auch hier gab es die Sanduhr, die Julius in der ersten Stunde gesehen hatte. Professeur Laplace griff schnell nach dem Stundenglas und drehte es mit der leeren Hälfte nach unten, worauf auch hier der Sand zu rieseln begann. Die Schülerinnen und der Schüler standen still da. Die Lehrerin zog eine Liste aus der Aktenmappe und las die Namen vor und stellte fest, daß alle die anwesend waren, die auf der Liste gestanden hatten. Demnach gehörte Edith Messier, die Estelle ähnelte, zum violetten Saal. Die anderen kannte er ja schon. Was ihm aber unheimlich war, bevor die Stunde losging: Er war der einzige Junge, ja der einzige Zauberer in dieser Klasse. Das hatte er noch nie erlebt. Früher hätte es ihn wohl genervt, nur zwischen giggelnden Mädchen von einer alten Lehrerin herumkommandiert zu werden. Hier und heute bedrückte es ihn merkwürdigerweise.

"In Ordnung, es sind alle Da. Dann darf ich mich noch mal vorstellen. Ich bin Professeur Quintilia Laplace, Lehrerin für Arithmantik und Leiterin der Arbeitsgruppe Theoretische Magie, für deren Teilnahme Sie sich in diesem Jahr erstmalig entscheiden dürfen. Suchen Sie sich freie Plätze und setzen Sie sich! Merken Sie sich aber, wo und neben wem Sie sich niederlassen, weil das die Platzordnung für die nächsten Stunden, vielleicht für die nächsten fünf Jahre sein wird!" Sprach die Lehrerin ruhig aber bestimmt. Julius zog es vor, sich zu Céline Dornier zu setzen, die nichts dagegen hatte. Laurentine nahm neben Belisama in der Reihe vor Julius Platz. Mildrid saß ganz vorne, Estelle und Edith setzten sich hinter Julius.

Professeur Laplace besah sich die Sitzordnung, prägte sie sich wohl ein. Dann holte sie ihren Zauberstab hervor und schwang ihn in Richtung Tafel. Weiße und rote Linien tanzten für einige Sekunden darauf, dann stand da in weißer Schrift in rotem Rahmen:

"Punkt 1: Was wissen Sie von der Arithmantik? Was verstehen Sie darunter?

Punkt 2: Was hat Sie veranlaßt, diesen Zweig der theoretischen Magie zu erlernen?

"Da ich seit meiner ersten Stunde die Erfahrung gemacht habe, daß neue Schüler mit den unterschiedlichsten Grundlagen und Herangehensweisen in meinen Unterricht gekommen sind, möchte ich Sie bitten, in den nächsten zehn Minuten niederzuschreiben, was Sie unter Arithmantik verstehen und wozu das gut sein soll."

Rascheln von Pergament und Kratzen von Federn, sowie das leise Tippen von Federn an Tintenfaßrändern waren die einzigen Geräusche, die in den nächsten zehn Minuten zu hören waren. Julius schrieb:

"Zu Frage 1: Was verstehe ich unter Arithmantik?

Arithmantik ist meines Wissens nach die Lehre von der magischen Bedeutung von Zahlen und Zahlengruppen, sowie der Methoden, aus Zahlen oder Zahlengruppen Abläufe in Natur, Geist oder Gemüt zu ermitteln oder Möglichkeiten zur Ausdeutung zukünftiger Ereignisse zu liefern. Ich weiß nicht, ob hierbei auch die Gesetze der Mathematik wichtig sind, aber denke schon, daß Grundrechenarten nicht unpraktisch sein werden.

Zu Frage 2: Wozu habe ich dieses Unterrichtsfach gewählt?

Ich hörte, daß Arithmantik in sich logisch aufgebaut ist und möchte etwas lernen, was meiner Ansicht nach zu reproduzierbaren Ergebnissen führt, ohne meine Zauberkraft anwenden zu müssen. Ich hörte und las zwar, daß Arithmantik der Wahrsagekunst komplett entgegensteht, denke jedoch, daß die Deutung von zukünftigen Möglichkeiten nicht unwichtig ist. Deshalb habe ich mir das Fach ausgesucht.

Julius Andrews, Beauxbatons, Klasse 3"

Als die Lehrerin die beschriebenen Pergamentzettel eingesammelt hatte, verschwand die Schrift von der Tafel. Professeur Laplace las die Zettel gründlich durch, nickte zwischendurch oder wiegte den Kopf, als müsse sie über etwas nachdenken, was sich ihr nicht sofort erschloß oder verzog das Gesicht zu einem Anschein eines Lächelns. Dann legte sie die beschriebenen Zettel wieder auf ihr Pult und sagte:

"Diese Prozedur hat sich wieder als richtig erwiesen, Mesdemoiselles und Monsieur. Einige von Ihnen haben Arithmantik nur genommen, weil Sie neben Ihrem neuen Lieblingsfach was einfacheres haben wollten, andere haben schon mit Beispielen vorgestellt, was Sie darüber gelernt haben, wieder andere haben es gewählt, weil sie mit Wahrsagen nichts zu schaffen haben wollen und zwei von Ihnen wollten ein Fach haben, bei dem Sie nicht zaubern müssen. Letzteres wurde dann noch unterschiedlich begründet. Wieso behaupten Sie von sich, nicht zaubern zu können, Mademoiselle Hellersdorf? Sie sind doch schon im Dritten Jahr hier."

"Weil es eben so ist, Professeur Laplace", erwiderte Laurentine Hellersdorf, wofür sie sich einen kurzen bösen Blick von Céline einfing, der jedoch nicht beachtet wurde.

"Hmm, dann hat Ihre Hausvorsteherin offenbar versäumt, Ihnen die Grundlagen der Zauberei beizubringen? Das möchten Sie Professeur Faucon doch nicht unterstellen, oder?" Fragte Professeur Laplace lauernd. Laurentine schrak zusammen. Offenbar, so dachte Julius, könnte die Arithmantiklehrerin auf die Idee kommen, das bei Professeur Faucon so widerzugeben.

"Nein, natürlich hat Professeur Faucon mir die Grundlagen beigebracht. Aber ich bringe dies nicht auf die Reihe", sagte Laurentine total frustriert.

"Ich wollte schon sagen, Mademoiselle", bemerkte Professeur Laplace. Dann fragte sie Julius:

"Sie sind wie Mademoiselle Hellersdorf der Sohn zweier Nichtmagier. Sie schreiben jedoch, daß Sie nicht zaubern wollen. Ist das eine Last für Sie?"

"Als ich mir das Schulfach gewählt habe, hatte ich noch Bedenken, was meine Zauberei anging. Aber das hat sich mittlerweile erledigt. Aber Sie fragten ja nach dem Grund, und den habe ich angeben wollen", sagte Julius.

"Dann bin ich ja zufrieden. Und wo wir schon dabei sind, Mademoiselle Hellersdorf und Monsieur Andrews: Mathematik, also der rein rechnerische Umgang mit Zahlen ohne tiefere Verknüpfung mit magischen und natürlichen Vorgängen ist hier völlig fehl am Platze. Gut, wenn Sie zusammenzählen und malnehmen können, hilft Ihnen das bei der Zusammenstellung arithmantischer Prozesse, wie die Ereignisspiralen oder die Bedingungswechselwirkungen, aber die reine Rechnerei ist dabei nur eine Art, Bilder zu entwerfen, aber nimmt nicht die Entscheidung ab, wie das Bild auszusehen hat. Ich hörte von Professeur Faucon, daß Sie, Monsieur Andrews, einen sogenannten Naturwissenschaftler und eine Rechenmaschinenprogrammiererin als Eltern haben, aber deren Grundsätze, was Zahlen und ihre Aussagen betrifft, müssen Sie vergessen, wenn Sie hier die Leistung bringen wollen, die ich erwarte. Sie Mademoiselle Hellersdorf verschonen mich im weiteren Verlauf mit Ausreden, die auf Ihre Abstammung abzielen. Sie sind eine Hexe und haben hier gefälligst das zu lernen, was Hexen lernen und können müssen. Da dies ja nicht nur für mein Fach gilt, das Sie ja innerhalb des nächsten Jahres noch tauschen können, möchte ich weder Sie noch den Rest von uns mit wiederholten Ratschlägen langweilen", sagte Professeur Laplace etwas lauter als gewöhnlich, aber nicht so, als riefe sie Laurentine zur Ordnung. Die saß nur da, ließ das alles über sich ergehen, wie Regenwetter, wenn man keinen Schirm mitgenommen hat und weit und breit weder Unterschlupf noch eine Fahrgelegenheit zu finden ist.

"Die Mathematik, um dies noch mal zu verdeutlichen", begann Professeur Laplace, "ist in der Arithmantik das, was Hammer und Meißel in der Bildhauerei und der Pinsel in der Malerei ist, nur Mittel zur Darstellung. Und damit kommen wir schon zu den drei Grundpfeilern der Arithmantik, den beschreibenden Systemen." Auf der Tafel erschienen nach Wink mit dem Zauberstab drei Schriftzüge, einer grün, einer weiß, einer golden. In Grün stand "Natürliche Gegebenheiten" zu lesen, in Weiß "innere Gegebenheiten" und in Golden "übergeordnete Gegebenheiten. Professeur Laplace ließ diese drei Stich- und Schlagwörter auf ihre Schüler wirken und fragte dann, ob jemand mit den Begriffen auf der Tafel was anfangen könne. Céline, Belisama und Julius zeigten auf. Die Lehrerin nickte Belisama zu und fragte: "Was bedeutet "Natürliche Gegebenheiten, Mademoiselle Lagrange?"

"Natürliche Gegebenheiten heißen die Zahlen und Zahlenreihen, die sich durch Vorgänge in der Natur ergeben. So ist die Eins aus der Anzahl einer Welt zu ergründen, die Zwei als Sinnbild für Tag und Nacht, Wärme und Kälte, männlich und weiblich, Nord- und Südpol, Sonne und Mond als natürliche Gegebenheit gekennzeichnet, die Drei ergibt sich aus den Zuständen, Beginn, Bestand, Ende, was sowohl für Lebewesen als auch für tote Dinge verbindlich ist. Die Vier erhält ihre natürliche Gegebenheit durch die Jahreszeiten und Haupthimmelsrichtungen. Die Fünf steht für die Naturelemente Erde, Metall, Feuer, Luft und Wasser, die Sechs für die Richtungen im Raum. Das sind, wenn ich unser Schulbuch richtig gelesen habe, die sechs natürlichen Gegebenheiten."

"Sehr gut, Mademoiselle Lagrange. Das sind zwanzig Bonuspunkte für Sie. Monsieur Andrews, können Sie mir die inneren Gegebenheiten erklären?"

"Hmm, wenn ich das mal richtig gelesen habe, werden damit alle Vorgänge in Lebewesen und energetischen Prozessen bezeichnet. Hier findet die von den Indern erfundene und von den Arabern in die ganze Welt verbreitete Null ihre Anwendung, da sie zum einen die Nichtexistenz und zum anderen eine Vervielfältigung bezeichnet. Weil sie in der Natur nicht vorkommt, wird sie zu den inneren und übergeordneten Gegebenheiten gezählt. Dann kommt die Eins als Zahl für das selbsterfahrbare Universum wieder vor, weil jedes Lebewesen seine einzigartige Wahrnehmung hat. Die zwei steht für die Gegensätze zwischen Aktivität und Passivität, also selbständigem Handeln und Beeinflußbarkeit. Die drei in den inneren Gegebenheiten kennzeichnet die grundrichtungen oder -haltungen gut beziehungsweise förderlich, neutral beziehungsweise wirkungslos und böse also schädigend. Da man sich auf vier Grundwesenszüge geeinigt hat, steht sie eben für die vier Grundcharakteristika streitlustig, trübselig, lebenslustig und gleichgültig. Die fünf steht für die fünf stärksten Gefühle, Liebe, Angst, Haß, Traurigkeit und Freude. Ja, und als letzte Grundzahl der natürlichen Gegebenheiten gilt hier auch die sechs als für die sechs Stadien eines Wesens oder eines Energieprozesses, Vorbereitung, Entstehung, Reifung, Wirken, Niedergang und Vergehen, ähnlich wie bei den natürlichen Gegebenheiten, nur das hier die innere Beschaffenheit mit hineinspielt. Ja, und laut den Aussagen in einem Arithmantikbuch einer ehemaligen Hogwarts-Lehrerin gibt es sieben Arten der Wahrnehmung: Sehen, hören, riechen, fühlen, schmecken, Phantasie und Erinnerung, die einen inneren Zustand verändern können."

"Soweit auch richtig. Sie Haben sich doch gut vorbereitet, Monsieur Andrews", erkannte Professeur Laplace. "Dann nennen Sie uns für weitere zehn Bonuspunkte zu denen, die Sie jetzt bekommen noch die sechs Zustände eines Lebewesens!"

"Aussaat beziehungsweise Zeugung, Keimung beziehungsweise Heranwachsen in einem Ei oder Mutterleib, Wachstum, Durchbruch eines Schößlings durch die Erde, Schlüpfen, Geburt bis zum Erreichen der Endform, ja dann eben das aktive Leben bei bester Gesundheit, dann kommt die altersbedingte Schwächung eines Lebewesens und zum Schluß müssen wir alle sterben, ob Tiere oder Pflanzen." Julius hatte den letzten Teil dieser Erklärung etwas verhalten rübergebracht, weil er nicht wußte, wie er selbst damit umgehen sollte, locker über Alterung und Tod zu reden.

"Gut, dann bekommen Sie auch noch zehn Bonuspunkte dazu, Monsieur Andrews. Bleiben also noch die übergeordneten Gegebenheiten, Mademoiselle Dornier", wandte sich Professeur Laplace an Céline.

"Davon gibt es folgende: Das eine Universum, wie bei den natürlichen oder inneren Gegebenheiten, die beiden Zustände Raum und Zeit, gekennzeichnet durch die Zwei, die drei Daseinsformen Leben, Materie und Kraft, wobei Kraft sowohl durch die Naturelemente als auch durch Magie bestimmt ist. Ebenso gilt die Drei als Schicksalskonstante, weil die drei Zeitzustände Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft Ausschlag über alle Abläufe geben. Für die Vier steht nichts zu den übergeordneten Gegebenheiten. Die Fünf bezeichnet die Wechselwirkung zwischen Natur, Geist, Seele, Magie und Zeit. Die Zahlen sechs bis acht sind bei den übergeordneten Gegebenheiten nicht bedacht worden. Die Neun hingegen steht für die Grundkräfte des Universums, nämlich Bewegung und Beharrlichkeit, Fülle und Leere, Entstehen und Vergehen, Ordnung und Unordnung und Wechselseitigkeit."

"Gut, damit sind alle wesentlichen Dinge erklärt. Auch zwanzig Bonuspunkte für Sie, Mademoiselle Dornier", stellte Professeur Laplace fest. Dann fragte sie in die Runde, warum dann Zahlen größer als sieben in einigen Berichten und Alltäglichkeiten vorkämen und erfuhr von Laurentine, daß die Acht ja eine feinere Einteilung der Himmelsrichtungen bedeutete, die Neun bei den natürlichen Gegebenheiten die Maximale Zahl von Körperöffnungen eines Lebewesens bezeichnete und die Zehn von den Menschen wegen der Monatszyklen einer Frau, die eine Schwangerschaft dauerte so wichtig war. Dafür bekam sie auch zwanzig Bonuspunkte, wegen präziser Erklärung. Dann verschwanden die drei Schriftzüge von der Tafel und machten dem in Rot gehaltenen Schlagwort "Zahlensysteme" Platz.

"Wieviele Zahlensysteme gibt es in der Arithmantik?" Fragte Professeur Laplace.

Julius fielen neben dem üblichen Zehnersystem und dem in der Computerprogrammierung beliebten Zweier- und dem Sechzehnersystem keine Zahlensysteme ein, die für Arithmantik in Frage kommen könnten. Mildrid meldete sich neben Laurentine und Belisama zu wort. Sie durfte sprechen.

"Es gibt für jede Gegebenheit ein Zahlensystem. Für die natürlichen Gegebenheiten wurde das Zwölfersystem in der Arithmantik eingeführt, wobei dieses neben der Null noch zwei Symbole kennt, die einstellig die Zahlen Zehn und Elf bilden. Eine geschriebene Zehn entspricht der Zahl Zwölf, eine 20 steht demnach für 24 und eine 30 für 36. Für die inneren Gegebenheiten wurde das Zehnersystem beibehalten, daß, wenn ich richtig informiert bin, das wesentliche Zahlensystem in den abendländischen Kulturen der Muggel bildet." Laurentine und Julius nickten zustimmend aber schweigend. "Ja und für die übergeordneten Gegebenheiten wurde das Siebenersystem eingeführt, bei dem eine geschriebene Zehn eine Sieben ist, eine 20 steht für 14 und eine 30 für 21. Ja, und seit dem Jahre 1230 haben sich die Arithmantiker der bis dahin bekannten Zaubererwelt darauf geeinigt, Verquickende Zahlensysteme zu benutzen, also welche, die eine Verbindung aus den drei genannten Systemen bilden. So kommt es darauf an, was beschrieben werden soll und wie es dargestellt werden muß."

"Gut soweit. Machen wir einige Übungen mit den Zahlensystemen!" Beendete Professeur Laplace die Grundlagenbesprechung vorerst. Sie schrieb an die Tafel einige Zahlenreihen und gab auf, diese sowohl im Zwölfer- im Zehner und im Siebenersystem neuzuschreiben. Julius, der an und für sich gut rechnen konnte, wenngleich er das früher nie so gern getan hatte, um nicht als Super-Mathegenie aufzufallen, schaffte es schnell, die Aufgabe zu lösen. Als die Mädchen knapp unter der vorgegebenen Zeitgrenze von zehn Minuten fertig wurden, ging es darum, einfache Rechenaufgaben unter Berücksichtigung verschiedener Zahlensysteme zu lösen. So war das Ergebnis, wenn man eine 30 im Zwölfersystem mit einer 21 im Siebenersystem miteinander Malnahm nicht etwa 630, sondern 540 im Zehnersystem. Damit ließ sich schon eine ganze Doppelstunde rumschlagen. Julius merkte, daß er sich hier etwas hochanstrengendes aber auch durchweg logisches ausgesucht hatte, denn hier galt eine festgeschriebene Gesetzmäßigkeit ohne irgendeine Spur von Aberglauben, wie sogenannte Glückszahlen oder Unglückszahlen es bedeuteten. Nach dieser Rechenübung verriet Professeur Laplace noch, daß es in der Arithmantik möglich war, Bilder, Farben, Gerüche oder Lautäußerungen durch Zahlen zu beschreiben, was sie, wenn sie alle bis zur siebten Klasse dieses Fach fortführten, erlernen würden.

"Arithmantik ist im Grunde das Fach der theoretischen Magie, das gleichermaßen Kunst als auch Wissenschaft ist. Kreativität zählt hierbei genauso viel, wie logisches Denken, Verständnis von Zusammenhängen und Verbindung von bis dahin unabhängiger Dinge und Vorgänge zu einem Gesamtbild. Einige von Ihnen werden es jetzt wohl schon gemerkt haben, daß nicht immer gilt, was die Mathematik als verbindlich ansieht, weil man eben zwischendurch umdenken muß und zwei an und für sich unvereinbare Gesetzmäßigkeiten miteinander verknüpfen muß. Der Zweck dieser Kunstfertigkeit besteht darin, Abläufe in Natur, Wesen oder den Grundlagen des Universums zu beschreiben, zu deuten und vorauszusagen, ohne auf undeutliche Dinge wie Teeblätter, Kristallreflektionen oder Flammenformen angewiesen zu sein, wie es die Wahrsager sind. Hinzu kommt ja, daß es keine einzige Zukunft gibt, sondern nur sich aus Vergangenheit und Gegenwart ergebende Strömungen gibt, die zu einer gewissen Wahrscheinlichkeit zur neuen Gegenwart werden können. Wenn ich Ihnen heute voraussage, daß Sie sich morgen bei etwas schwer verletzen, würden Sie natürlich dieses Ereignis vermeiden, wodurch es sehr unwahrscheinlich wird und somit auch nicht so klar vorausgesagt werden kann. Deshalb ist die Arithmantik keine Zukunftsdeutung, sondern nur eine Zukunftswahrscheinlichkeitsermittlung, die immer von der Frage ausgeht: Was passiert, wenn ...? Dieses, Mesdemoiselles und Monsieur, sollte für heute reichen. Als Hausaufgabe gebe ich Ihnen auf, in den drei gängigen Zahlensystemen bis 500 zu zählen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!"

Die Schüler räumten ihre Pergamente und Bücher zusammen. Julius atmete erleichtert auf. Die erste Stunde in diesem neuen Fach war vorbei, und er hatte sich nicht blamiert. Doch unvermittelt fragte ihn die Lehrerin

"Wieso hatte ich den Eindruck, daß Sie zu Beginn nicht mehr wußten, ob Sie hier richtig sind?"

"Ich dachte, die Gruppen für die neuen Fächer würden nach Geschlechtern sortiert, als ich der einzige Schüler hier war", erwiderte Julius schüchtern. Die Mädchen schmunzelten. Professeur Laplace nickte ihm wohlwollend zu und lächelte.

"Wenn dem so gewesen wäre, hätte ich Sie sofort des Raumes verwiesen, Monsieur Andrews. Aber Sie können trotz der überragenden weiblichen Präsenz in dieser Klasse sicher sein, daß die Arithmantik geschlechtsunspezifisch ist und von Männern und Frauen auf dieselbe Weise ergründet und praktiziert werden muß, wie auch die Mathematik aus der Welt Ihrer Eltern."

"Dann bin ich beruhigt", sagte Julius erleichtert und erntete wieder ein Schmunzeln von allen Mädchen. Als die Pausenglocke bimmelte, klatschte die Lehrerin in die Hände und sagte aufmunternd aber bestimmt:

"So, Mesdemoiselles und Monsieur, die erste Stunde haben Sie hinter sich. Die Pause findet auf dem Schulhof statt, falls Sie keine natürlichen Bedürfnisse erledigen müssen."

Die Mädchen und Julius verließen gesittet den Klassenraum und begaben sich durch die Korridore zum Pausenhof neben dem Westflügel des weißen Palastes. Unterwegs fragte Mildrid Julius:

"Macht dir das wirklich was aus, daß du der einzige Junge in dieser Klasse bist? Ich wußte nicht, daß du Angst vor Mädchen hast."

"Angst ist das nicht, Mildrid. Ist nur so'n blödes Gefühl in eine Klasse zu gehen, wo nur Mädchen sitzen. Aber deshalb schmeiße ich das Fach nicht hin. Die Chance habt ihr verpaßt", sagte Julius. Mildrid schenkte ihm ein strahlendes Lächeln dafür. Céline, die sich mit ihrer Freundin Laurentine unterhielt, hatte vergessen zu fragen, ob Julius den Zauberkunstraum finden würde. Doch das erübrigte sich, weil Belisama noch in Julius' Nähe war und ihn fragte:

"Was hast du als nächstes?"

"Praktische Zauberkunst bei Professeur Bellart. Hoffentlich finde ich den Klassenraum dafür", sagte Julius.

"Ach der ist einfach zu finden. Der liegt vom Pausenhof aus im zweiten Stock, an geraden Kalendertagen zweiter Gang links, an ungeraden Tagen gerade aus durch bis zum Ende des Korridors von der Treppe. Wir sind da heute schon gewesen."

"Ach neh, wen haben wir denn da?" Flötete Claire, als Julius neben Belisama über den Pausenhof ging, der von hohen Bäumen umstellt war, die genug Licht durchließen, um eine rechteckige Fläche von 60 mal 80 Metern mit Sonnenlicht zu fluten. Die Sonne war auch schon fast im Zenit, erkannte Julius. Er war froh, daß sein Umhang schön leicht war, besser als die Hogwarts-Umhänge. Zumindest für dieses Klima.

"Hallo, Claire. Was hast du deinem Tanzpartner getan, daß der Angst vor jungen Hexen hat?" Trällerte Belisama, als Claire mit Jasmine zusammen auf Hörweite herangekommen war. Diese stutzte, dann sagte sie:

"Du willst doch nicht etwa sagen, daß du mit ihm in der Arithmantikklasse bist und er der einzige Junge da ist."

"Eigentlich nicht, auch wenn es stimmt, Claire", erwiderte Belisama fröhlich. Claire ging auf Julius zu und umarmte ihn flüchtig. Hier auf dem Pausenhof waren innige Umarmungen, wie die, als sie erfahren hatte, daß Julius doch mit ihr nach Beauxbatons zurückkehren würde, nicht so gern gesehen.

"Ach du armer Junge, hast wohl gedacht, in die Wahrsagen-Stunde reingerutscht zu sein", hauchte sie Julius zu. Dieser nickte nur und meinte:

"Offenbar gehöre ich nicht zu den Jungs, die davon träumen, überall der Hahn im Korb zu sein."

"Das möchte ich auch nicht haben", stellte Claire klar und sah Belisama an. "Das ist schon gut, wenn der Junge weiß, daß er sich nicht zu viel rausnehmen soll."

"Es war auf jeden Fall recht interessant. Aber mit der kleinen Dicken da bekommt ihr wohl noch viel Spaß mit", sagte Belisama.

"Unsere Sache, Belisama", fauchte Claire gereizt. Das rang dem Mädchen mit dem honigfarbenen Haar ein gehässiges Grinsen ab. Dann verabschiedete sie sich von Julius und kündigte an, daß man sich in der Kräuterkundestunde ja wieder sehen würde, was bei Claire ein kurzes Augenfunkeln verursachte.

"Die ist doch hinter dir her. Jeanne hat mich ja schon vorgewarnt", sagte Claire, als sie mit Julius allein war. Dieser schüttelte den Kopf und sagte:

"Die will dich wohl nur ärgern, wie Caro. Die denkt, du willst was mit mir anfangen oder hast es schon und will kucken, was dahintersteckt. Aber an unserer Beziehung, sofern wir davon sprechen dürfen, wird das so schnell nichts ändern."

"Solange du weißt, wo du hingehörst, bin ich sehr beruhigt. Aber ich habe nicht den Eindruck, als ob Belisama mich ärgern will. Ich bin nur lästige Konkurrenz für sie."

"Bestimmt nicht", widersprach Julius erneut. Dann schlenderte er mit Claire, Céline, Robert und Laurentine über den Schulhof. Unterwegs kam ihnen der erste Geist entgegen, den Julius in Beauxbatons zu Gesicht bekam. Es war ein hagerer Mann, dessen Arme hinter dem Rücken mit schweren Eisenketten gefesselt waren und dessen Füße mit langen Ketten verbunden waren, an denen schwer aussehende Eisenkugeln hingen. Ächtzend und mit den Ketten klirrend schwebte er vorüber und sah die Schüler an, die respektvoll vor ihm zurückwichen.

"Der ewige Gefangene", stellte Céline Julius das Gespenst vor. "Er muß immer diese Beinkugeln hinter sich herschleppen, weil er wohl damals auf der Flucht in diesen Ketten zwei Kinder erschlagen hat und danach vom Blitz getroffen wurde. Der ist einer von zehn Geistern, die es hier gibt."

"Spricht der auch mit einem?" Wollte Julius wissen.

"Wenn er Kinder in kleiner Zahl trifft flucht er. Sonst zeigt er sich nur in großen Pausen oder bei Freiluftfesten wie der Walpurgisnacht. Ach, habt ihr die eigentlich auch oder feiert ihr nur dieses Hell-oven-Fest?"

Julius mußte erst lachen. Doch dann fing er sich schnell und sagte:

"'tschuldigung, Céline. Aber wie du das ausgesprochen hast, heißt das Höllenofen auf Englisch. Aber das ist auch das einzige Fest, daß wir da gefeiert haben. Die Walpurgisnacht ist den britischen Hexen egal."

"Höllenofen? Oh, das war aber voll daneben", erwiderte Céline und errötete leicht. Dann lachte sie über diesen Versprecher.

"Dieses Jahr feierst du mit uns die Walpurgisnacht, Julius. Das ist spannender als Halloween", verhieß Claire dem neuen Schulkameraden. Dieser dachte wehmütig daran, daß ihm Halloween nun genommen worden war. Kein "Streich oder Süßes", keine Gruseldekoration, keine ausgehöhlten und von innen erleuchteten Kürbisse. Hoffentlich würde er gut über den 31. Oktober hinwegkommen!

"Dieser Hexenfeiertag ist mir völlig egal", warf Laurentine ein. "Ich setz mich auf keinen Besen mehr, bis der ganze Spuk mit Beauxbatons vorbei ist. Dann vergesse ich den ganzen Krempel und mach in einer Abendschule das Abitur nach, um was gescheites zu studieren, Flugzeugbau oder sowas."

"Ja, ja, ja, ja, ja, Bébé, ist ja klar", versetzte Céline genervt. Julius hielt sich dazu geschlossen. Er hatte im ersten Jahr in Hogwarts auch gedacht, besser gestern als morgen die ganze Zauberei aufzugeben, und dieses Ruster-Simonowsky-Phänomen hatte ihm diesen heeren Wunsch total vermasselt. Wenn Laurentine keine Ruster-Simonowsky-Hexe war, konnte sie sich vielleicht in dieser trüben Hat-doch-alles-keinen-Zweck-Stimmung halten. Offenbar tat Céline mit ihr das, was Gloria mit ihm angestellt hatte. Nur mit dem Unterschied, daß er es eingesehen und Gloria für ihre Geduld und Hartnäckigkeit gedankt hatte. Sicher, er wäre wohl nicht hier, wenn er seiner Mutter oder seinem Vater damals in den Osterferien gesteckt hätte, daß Catherine eine Hexe sei. Dann wäre er nach dem ersten Jahr in Hogwarts nicht nach Paris geschickt worden, sondern zu seinem Onkel nach Amerika, hätte sich dort die Fußball-Weltmeisterschaft zu ende ansehen können und wäre rein zufällig am ersten September nicht im Hogwarts-Express gewesen. Aber er war nun hier, in Beauxbatons. Wenn er überlegte, daß er sich hier nicht so recht wohlfühlte, tröstete ihn der Gedanke, daß er hier das richtige lernte und verhalf seiner Vernunft, die trüben Gedanken klein zu halten.

Auf dem Pausenhof trafen sich alle Schüler. Wer Geschwister oder Cousins in anderen Klassen oder Sälen hatte suchte diese auf und schwatzte ein wenig. Immerhin ging die Pause ja zwanzig Minuten lang. An einer kleinen Brotbar konnten sich hungrige Schülerinnen und Schüler kleine Brötchen oder Baguettestücke mit Belag holen, ohne bezahlen zu müssen. Julius wollte lieber auf das Mittagessen warten, ebenso Claire und Jeanne, die mit ihm den Hof abschritten. Als Pausenaufsicht lief Professeur Faucon herum, die darauf achtete, daß es zu keinen Rangeleien oder Verschmutzungen kam. Schüler aus dem Blauen Saal gaben es schnell auf, sie zu foppen, als einer von ihnen unvermittelt als Kaninchen über den Boden hoppelte.

"Das dürfte sie in Hogwarts nicht", sagte Julius beklommen. Jeanne legte ihm die rechte Hand auf die Schulter und meinte:

"Du und ich kennen in Hogwarts genug Leute, denen diese Behandlung nicht schlecht bekäme. Hast du dir eigentlich schon überlegt, welche Freizeitangebote du wahrnehmen willst, außer Quidditch?"

"Quidditch? Klingt komisch. Was ist das?" Erwiderte Julius und fühlte, wie Jeannes Hand sich kurz um seinen Hals zusammenkrampfte und sofort wieder losließ.

"Ich habe die Übungszeiten schon. Wir üben jeden Dienstag ab dem ersten Dienstag im September. Also lege deine Freizeitplanung so aus, daß du da bereit bist. Barbara und ich haben dich nicht mit in unser Ferientraining hineingeholt, damit du hier, wo es sich für dich auszahlen kann, nur auf der Zuschauertribüne hockst."

"Ich kuck mir mal an, was sich so ergibt. Wann sagtest du, soll dieses Training losgehen, Mittwochs?"

"Dienstags, du Lümmel", fauchte Jeanne und mußte dann lachen. Offenbar gefiel sich Julius in der Rolle des kleinen Bruders, dem man sagen mußte, was zu tun war, das er sich so frech benahm, wie einer.

"Zurück in den Palast! Die Pause endet in zwei Minuten!" Rief Professeur Faucon und klaubte den zum Kaninchendasein verdonnerten Schüler auf und trug ihn einfach fort, obwohl er versuchte, mit den Krallen zu kratzen oder der Lehrerin in einen Finger zu beißen. Wie der Wind verschwanden die Blauen im Palast. Gesitteter betraten die restlichen Schüler den Palast und suchten ihre Klassen auf. Claire, Céline, Robert, Laurentine und Hercules geleiteten Julius zum Zauberkunstraum.

Die rundliche Professeur Bellart, die ihr rotblondes Haar zu zwei Zöpfen frisiert und mit Goldspangen gebändigt hatte, trug einen veilchenblauen Umhang aus fließendem Stoff, feiner als die Umhänge der Lehrer in Hogwarts gewebt waren. Sie schloß das Klassenzimmer auf und ließ die Schüler an sich vorbei eintreten. Dann schloß sie die Tür und stellte die auch hier bereitstehende Sanduhr auf, die, wie Julius hatte sehen können, die volle Doppelschulstunde brauchte, um durchzulaufen. Er wußte nun auch, daß die Striche an den miteinander verbundenen Gläsern die Schwere einer Verspätung anzeigten. Wenn ein Schüler sich so verspätete, daß der Sand bereits auf Höhe der orangen Linie war, bekam er oder sie heftig viele Strafpunkte und eventuelle Strafarbeiten auf.

"Guten Morgen, zusammen!" Grüßte Professeur Bellart mit fester Stimme. Wie zu Beginn der vorigen Stunden grüßten die Schüler im Chor zurück, auch Julius, der sich vorgenommen hatte, jede eingeschliffene Zeremonie mitzumachen. Dann befahl die Lehrerin, daß sich die Schüler setzen sollten. Julius wartete, bis alle auf den Stühlen saßen und sah auf die hinterste Reihe, wo er sich einen Stuhl aussuchte. Doch die Lehrerin sah ihn an.

"Monsieur Andrews, kommen Sie bitte nach ganz vorne und setzen Sie sich neben Mademoiselle Pontier! Ich verbiete Ihnen, sich abzusondern."

Julius gehorchte und nahm neben Irene Platz. Claire, die mit Jasmine in einer Bank saß, sah kurz herüber, verkniff sich aber jede weitere Regung.

"Wir hatten im letzten Jahr die fortgeschrittenen Bezauberungen toter Materie. Dann nahmen wir auch die einfachen Spiegelungszauber durch und beschäftigten uns mit einfachen Geräusch- und Lichtveränderungszaubern. Dieses Jahr werden wir uns neben den Materiellen Zaubern auch den Grundlagen physischer und psychischer Bezauberung zuwenden, will sagen, die Zauber, die ohne schädliche Auswirkungen auf Pflanzen, Tiere und Menschen, auf Gemüt und Verstand gelegt werden können. Im Verlauf Ihrer Ausbildung werden Sie auch stärkere Zauber in diesem Bereich erlernen, diese dürften vielleicht aber erst ab der fünften Klasse zu bewältigen sein. Sie hatten zur Hausaufgabe, die Abstufungen der physikalischen Zauber auf Sicht zusammenzufassen und zu beschreiben. Geben Sie mir bitte Ihre Arbeiten! - Monsieur Andrews, die von Ihnen für meinen englischen Kollegen Flitwick verfertigte Arbeit gilt als entsprechung der von mir gestellten Aufgabe."

Julius händigte seine beschriebenen Pergamentrollen aus. Sie waren zwar alle auf Englisch, aber wenn die werte Dame sagte, daß alle Hausaufgaben von ihm gewertet wurden, mußten die eben damit fertig werden.

Als die Zauberkunstlehrerin die Aufgaben eingesammelt hatte, sah sie Julius genau an und fragte ihn, was sie denn in Hogwarts im zweiten Jahr gemacht hatten und mußte es praktisch vorführen. Die Schüler sahen ihm zu. Immerhin war dies die erste Stunde, wo die anderen ihm beim Zaubern zusehen konnten. Claire und Irene strahlten ihn an, als er die Standardzauber des zweiten Schuljahres spielerisch vorführte. Laurentine grummelte zwar, doch beherrschte sich mit Zwischenrufen. Dann meinte die Lehrerin:

"Gut, die Standardzauber aus dem Lehrbuch von Miranda Habicht haben Sie exzellent verinnerlicht. Nun las ich jedoch in einer Mitteilung meines Fachkollegen zu Hogwarts, daß er Sie auf Grund einer bei Ihnen ausgeprägten höheren Zauberkraft mit schwierigeren Zaubern betraut hat, wie den Aequicalorus-Zauber zur Wärmespeicherung in Behältern. Haben Sie den Aufrufezauber auch schon versucht?"

Julius ging davon aus, daß sie von Flitwick eine genaue Liste der von ihm zu schaffenden Zauber bekommen hatte und bejahte das. So mußte er zwei Lunaskope und eine volle Kiste mit Holzkugeln zu sich hinfliegen lassen, bis die Lehrerin sagte:

"Tatsächlich. Sie mögen mir das vielleicht verübeln, Sie derartig hier vorzuführen, aber ich prüfe immer gerne mit eigenem Augenschein, ob mir zugekommene Angaben den Tatsachen entsprechen. Haben Sie auch die verschiedenen Lichtzauber durchgenommen? Bei Habicht kommen die im vierten Band erst vor."

"Es gibt doch nur zwei", sagte Julius "Lumos und Amplumina."

"Was soll denn Amplumina sein?" Fragte Céline Dornier, die den wohl noch nicht kannte. Claire grinste, weil Julius den ja erst von ihrem Vater kennengelernt hatte.

"Damit kannst du einen bestimmten Bereich in magisches Licht tauchen ohne mehrere Lampen oder Kerzen zu benutzen."

"Richtig, wenn man den zu beleuchtenden Bereich vorher mit weißer Kreide abgrenzt, am Rand entlang geht und dabei den Zauberspruch vorwärts und Rückwärts aufsagt. Wenn man das auszuleuchtende Gebiet einmal umrundet hat, ob von innen oder außen ist unerheblich, tritt der Zauberkundige in die Mitte und winkt einmal von rechts nach links mit dem Stab, richtet ihn senkrecht nach oben und ruft das Zauberwort "Amplumina" erneut. Ein weißes Licht, gerade so hell, daß es für die Augen verträglich ist, füllt dann den vorbereiteten Bereich aus. Hierbei darf nur ein Zauberkundiger diesen Bereich vorbereiten und bezaubern. Mit "nox" wird das magische Licht gelöscht, kann aber von da an jederzeit erneut aufgerufen werden, bis ein Enthebungszauber auf der Grenzlinie den Bereich von diesem Beleuchtungszauber befreit", erläuterte Professeur Bellart. Dann sagte sie:

"Ich sprach von den verschiedenen Lichtern, die an der Spitze des Zauberstabs erzeugt werden können. Ich führe Ihnen das vor. Sehen Sie genau her!"

Die Zauberkunstlehrerin verdunkelte den Raum durch einen Lichtdämmungszauber so weit, daß sie alle noch genug sehen konnten und keine verwirrenden Schatten geworfen wurden. Dann deutete sie auf eine der weißen Wände und rief "Viridilumos!" in den Raum. Unvermittelt glomm ein hellgrünes Licht von ihrer Zauberstabspitze, wie das Grün einer Verkehrsampel, nur etwas heller. Mit "Nox" löschte sie das Licht wieder und wartete eine Sekunde. Dann sagte sie beschwörend: "Alberilumos." Ein weißes Licht glomm an der Zauberstabspitze, doppelt so hell, als bei dem einfachen Lichtzauber. Dann löschte sie dieses Licht auch wieder und rief mit "Laculilumos" ein hellblaues Licht auf, welches Julius von nichtbritischen Polizei- und Krankenwagen kannte. Sie löschte das blaue Licht. Julius schwante, daß hierbei die rhythmisch betonten Farbwörter aus dem Lateinischen hineinspielten. Er entsann sich, daß seine Mutter ihm mal alle lateinischen Farbenwörter erklärt hatte. Deshalb zeigte er auf.

"Ja, bitte!" Erteilte Professeur Bellart ihm Sprecherlaubnis.

"Das kommt mir so vor, als habe da jemand die Farbenwörter aus dem Lateinischen eingeflochten. Ist das so?"

 

"Ja, aber nicht immer so, wie sie ursprünglich benutzt wurden, sondern gemäßt der Lautformung und Rhythmik verändert. Kennen Sie die Wörter für die Grundfarben?"

"Denke schon", sagte Julius schnell, um seine Verlegenheit, weil er sich weiter vorgewagt hatte, als er eigentlich wollte, zu überspielen.

"Dann führen Sie das uns vor!" Verlangte die Lehrerin. Julius hob seinen Zauberstab und dachte kurz, wie er das richtig aussprechen mußte und sagte "Ruberilumos", wobei er sich das Rot einer Verkehrsampel vorstellte. Prompt erstrahlte ein helles, signalrotes Licht an seiner Zauberstabspitze.

"Mein Kollege hat recht. Auf Sie müssen wir aufpassen, Monsieur Andrews. Sie haben nicht nur ein extraordinäres Zauberpotential, sondern auch eine schnelle Auffassungsgabe, wenn Sie einen Zauber einmal in Aktion miterlebt haben. Können Sie auch gelbes Licht zaubern?"< Wandte sich die Zauberkunstlehrerin an Julius. Dieser nickte und löschte das rote Zauberlicht. Dann dachte er, wie er gelbes Licht zaubern mußte und stellte sich eine gelbe Verkehrsampel vor, wobei er "Luteilumos" sagte.

"Exzellent, Monsieur Andrews. Sie proben zur nächsten Stunde die Mischfarben, weil bei denen noch eine andere Regel gilt! Ich gebe Ihnen für diese schnell und korrekte Umsetzung je zehn Bonuspunkte für jeden gelungenen Zauber."

Julius löschte das gelbe Licht, das er zuletzt aus seinem Zauberstab hatte leuchten lassen und nahm wieder neben Irene Platz. Die Lehrerin ließ den Lichtdämmungszauber wieder abklingen und alles Tageslicht durch die Fenster einfallen, um mit dem Unterricht fortzufahren. Sie erwähnte, daß es Zauber gäbe, die den Zustand eines lebenden Körpers beeinflussen konnten, ohne dem Lebewesen zu schaden. So führte sie einen Kälteschutzzauber vor, der ihr ermöglichte, für fünf Minuten in eine Schüssel voll eiskalten Wassers zu greifen, ohne das ihr die Finger einfroren. Sie erzählte, daß dieser Zauber jedoch nur solange vorhalte, wie das damit belegte Lebewesen keinen Hunger oder Durst, keine Müdigkeit oder übermäßige Erschöpfung verspüre.

"Für zeitlich begrenzte Behandlungen sind diese Zauber gut. Aber bei bewußtlosen oder betäubten Tieren oder Menschen verfliegt er sofort wieder. Deshalb gibt es in der Heilkunst bessere Zaubertränke als diese Zauber. Wenn Sie jedoch einem Flammenmeer entrinnen müssen, können Sie sich dadurch gegen Hitze und Brand schützen, weil bei einem Großfeuer der Brandlöschzauber nur als Werkzeug für eine Bresche durch die Flammen zu gebrauchen ist", sprach Professeur Bellart. Sie diktierte unter Zuhilfenahme der Wandtafel, was sich die Schüler zu den Körperzustandsänderungszaubern notieren mußten. So verging ein Großteil der Stunde. Der Schluß war eine Vorführung der im letzten Jahr praktizierten Zauberkunststücke, um zu sehen, wer noch gut in Form war. Hierbei zeigten sich alle bis auf Laurentine, die sehr unbeholfen wirkte, noch gut bei der Sache. Als die Stunden vorbei waren, entließ Professeur Bellart ihre Schüler mit der Hausaufgabe, sich über Möglichkeiten und Einschränkungen von Körperzustandsänderungen zu informieren und den Inhalt der heutigen Stunden zusammenzufassen. Jasmine fragte:

"Entschuldigung, Professeur Bellart! Aber können wir anderen nicht auch diese verschiedenfarbigen Lichtzauber proben, die Sie von Julius verlangt haben?" Begeistertes Nicken aller bis auf Laurentine war die Reaktion der Mitschüler.

"Oh, das ist das erste Mal, daß Schüler mich um mehr Hausaufgaben bitten, Mademoiselle Jolis. Aber wenn Sie damit nicht mit den Arbeiten für meine Kollegen in Schwierigkeiten kommen, dürfen Sie dies gerne tun. Ich schreibe das dann auf das Notizblatt für Ihre Klasse, damit die Menge der Hausaufgaben nicht überhand nimmt. Guten Appetit beim Mittagessen!"

Die Schülerinnen und Schüler verließen den Zauberkunstraum und begaben sich zu den Waschräumen im allgemeinen Bereich, um sich Gesicht und Hände zu waschen. Hercules und Robert fragten Julius, ob er vielleicht ein Ruster-Simonowsky-Zauberer sei. Julius bestätigte das zwar, bat jedoch darum, daß das nicht unbedingt die ganze Schule wissen müsse. Er sei in Hogwarts schon wie ein bunter Hund aufgefallen. Dann entschuldigte er sich, daß er ihnen noch die Sonderaufgabe bei Professeur Bellart eingebrockt hatte. Doch die beiden Jungen lachten nur.

"Das ist besser, als wenn wir von unserer Saalkönigin noch Zusatzaufgaben aufgeladen kriegen. Wenn die Bellart das auf den Aufgabenplan unserer Klasse schreibt, kann die uns keine Zusatzsachen geben. Außer Bébé, die immer noch oder schon wieder mit dem Grundsatz rumläuft, bloß nichts zaubern zu sollen, wird dir deshalb keiner böse sein, schon gar nicht Jasmine und Claire. Die Mädels sind absolute Spitze in Zauberkunst. In Verwandlung ist es bislang nur Claire."

"Dann werde ich mich heute nachmittag mal zurücknehmen", kündigte Julius an. Doch Robert meinte dazu:

"Nachdem die weiß, was du kannst? Träum weiter! Wenn die will, daß du ihr alles zeigst, was du kannst, tust du das oder kriegst mit ihr heftigen Ärger."

"Mal sehen", sagte Julius nicht so sicher, ob Robert nicht recht hatte. Immerhin hatte ihm Professeur Faucon ja gesagt, daß er in Beauxbatons mehr lernen und tun müsse, als in Hogwarts, eben weil sie wußte, was er konnte. Jetzt, wo er auch noch in ihren Zuständigkeitsbereich geraten war, konnte sie ihre Ankündigung ernstmachen.

Das Mittagessen war zwar kein siebengängiges Menü, dafür jedoch vorzüglich zubereitet. Julius aß reichlich von der würzigen Gemüsesuppe, dem Rinderfilet mit Kartoffeln und Gemüse und das Früchteeis, welches es zum Nachtisch gab. Ihm fiel auf, daß alles ohne überflüssiges Fett gekocht worden war. Er trank Zitronenlimonade und unterhielt sich mit seinen männlichen Klassenkameraden über seine ersten Eindrücke von Beauxbatons. Julius verschwieg, daß er immer noch das Gefühl hatte, hier in einen strickt geführten Kasernenhof geraten zu sein, wenngleich die Kälte, die er bei seinem ersten Besuch verspürt zu haben glaubte, etwas gewichen war, nun, wo er mit seinen neuen Klassenkameraden zusammen war und merkte, daß sie trotz der Haltung und Benimmregeln noch Jungen waren, wie er.

Er war um halb zwei mit dem essen fertig. Er fragte sich, ob er jemanden bitten solle, ihn zu Schwester Florence zu begleiten, damit er nachher den Weg zum Verwandlungsunterricht nicht verfehlte. Doch er hatte den Wegekalender dabei, und er mußte ihn ja auswendig lernen und üben, ob alles zu erreichen war, wann immer er dies wollte. So meldete er sich bei Edmond ab, damit der wußte, daß Julius noch den Termin bei der Schulkrankenschwester einhalten mußte und lief durch die oft die Richtung ändernden Korridore zum Krankenflügel. Unterwegs begegnete ihm der zweite Geist, den er hier sah, der Geist eines Seemannes mit Akordeon, dessen Gesicht aufgedunsen war und von dem silbriggraue Algenstränge herabhingen. Julius gruselte sich schon längst nicht mehr vor Gespenstern. So sprach er den Geist kurz an, um ihn einen schönen Tag zu wünschen. Der Seemann, der wirkte, als sei er vor Jahren ertrunken, nickte ihm zu und grüßte zurück.

"Joh, Bursche! Wolang des Wegs?"

"Zur Krankenschwester", erwiderte Julius. Der Seemann lachte.

"Siehst nicht so aus, als hättest du die nötig."

 

"Sie wollte was von mir", erwiderte Julius locker. Der Seemannsgeist lachte schallend und drückte sein Akordeon zusammen, das es laut fauchte, wie ein Blasebalg beim Hufschmied.

"Hoffentlich ist sie dein Geschmack, Jung. Ich dachte, sie sei 'ne gediegene Dame. Aber immer das Leben genießen! Man ist ja so lange tot."

Julius lachte, weil er die derbe Zweideutigkeit des Gespenstes wohl erkannt hatte, aber nichts in dieser Richtung vorhatte. Er ging schnell weiter und erreichte um fünf nach halb zwei den Krankenflügel, wo Schwester Florence bereits auf ihn wartete.

"Komm rein, Julius!" Sagte sie und führte den neuen Beauxbatons-Schüler in ihr Büro. Dort ließ sie ihn auf einem bequemen Besucherstuhl platznehmen, während sie sich hinter ihren Schreibtisch setzte, ihm gegenüber.

"Du kannst dir denken, weshalb ich dich herzitiert habe?" Eröffnete sie das Gespräch. Julius nickte. Sicher ging es um den Ersthelferkurs, auf den er sich aus einer Dummheit heraus eingelassen hatte.

"Meine werte Kollegin Hera Matine sandte mir ein Zertifikat, daß du bei ihr erfolgreich den Kurs für magische Ersthilfe absolviert hast. Sie hat dir sicher erzählt, daß ein Heilkundler, egal wo, auf Grund eines solchen Zertifikates berechtigt ist, jeden, der es errungen hat, für kleinere Sanitätsaufgaben einzuspannen, ja eventuell zwischendurch Auffrischungsübungen ansetzen kann. Bei wem hast du heute noch?"

"Professeur Faucon, Schwester Florence", erwiderte Julius artig.

"Das trifft sich gut. Verwandlung oder Verteidigung gegen dunkle Kräfte?"

"Heute Verwandlung", erklärte Julius.

"Dann bringe ich dich nachher zu ihr. Ich möchte nämlich eine kleine Probe deiner Kenntnisse haben", sagte die Krankenschwester und fragte Julius ab, ließ sich von ihm einige der Ersthelferzauber zeigen und erklärte, welche Gesetze für Ersthelfer und Heiler verfaßt worden waren. Schwester Florence war mehr als begeistert. Dann sah sie auf ihre Uhr und stellte fest, daß es fünf Minuten vor zwei war. Sie holte aus einer verschlossenen Schublade ein silbernes Armband mit einem weißen runden Stein mit dem Heilkunstsymbol der Zaubererwelt und legte es Julius einfach um den rechten Arm.

"Das ist ein magischer Schlüssel, der dir Abkürzungen durch den Palast erschließt, die nur ich und die Pflegehelfer, die ich angeworben habe benutzen dürfen. Du hast ihn bei Mademoiselle Jeanne wohl nicht gesehen, weil sie ihn am Bein trägt, wenn sie hier ist, um die Arme frei für Schmuck zu haben. Aber Jungen sind da ja nicht so penibel. Ich bringe dich jetzt zum Verwandlungsraum und zeige dir, was ich meine."

Julius war es zwar etwas mulmig, weil er sich noch gut an das Verbindungsarmband erinnern konnte, welches ihm Professeur Faucon bei seinem ersten Ferienaufenthalt in Millemerveilles angelegt hatte. Er fragte, ob dieser Schlüssel ähnlich funktioniere.

"Sieh an, das kennst du also auch. Ja, der Schlüssel zeigt mir auch, wo du gerade bist, falls ich dich benötige. Jetzt hat der grüne Saal zwei Pflegehelfer. Gut, daß ein junger Mann dabei ist", sagte Schwester Florence lächelnd und legte ihren rechten Arm an die Hinterwand des Büros.

Wie eingesaugt verschwand die Krankenschwester in der Mauer. Julius war neugierig und legte seinen rechten Arm an dieselbe Stelle. Unvermittelt zog es ihn auch durch die Wand und setzte ihn sanft vor einer anderen Wand in einem anderen Korridor ab.

"Na wunderbar, du lernst sehr rasch. Du kannst mit dem Armband die für dich nutzbaren Schnellwege anzeigen lassen und auch mit mir Kontakt aufnehmen. Ein Zauber, ähnlich dem Kontaktfeuer-Zauber, ermöglicht dir, mit mir zu sprechen und umgekehrt. Keine Sorge, ich habe nicht vor, dich ständig zu überwachen. Das geht damit auch nicht, weil du erst deine freie Hand auf den magischen Stein im Armband legen mußt, um mit mir in Sprechverbindung zu treten. Das probieren wir aus, wenn dein Unterrichtstag vorbei ist. Wir sind übrigens im Hauptkorridor im Erdgeschoß. Zum Verwandlungsraum können wir in zehn Metern entfernung eine neue Abkürzung nehmen. Komm!"

Julius sah, wie die Heilhexe den Stein auf dem Armband berührte. Er tat dies auch und sah tatsächlich in zehn Metern ein rosa flimmerndes Stück Mauer. Er folgte der Krankenschwester und benutzte diesen bezauberten Wandabschnitt genauso, wie er aus dem Krankenflügel verschwunden war. Unvermittelt standen er und die Krankenschwester vor einem Raum, auf dessen Türschild "Transfigurationslehrraum" stand.

"Wau, daß ist ja fast wie Apparieren", staunte Julius, der übers ganze Gesicht strahlte.

"Fast auch nur. Die Schutzzauber von Beauxbatons machen das wahre Apparieren unmöglich. Aber die erste Heilerin an dieser Anstalt, die auch zu den Sechs Gründern gehörte, hat dieses Wegesystem durchgesetzt und mitgestaltet. Alle Unterrichtsräume, die Wohnsäle und die sonstigen wichtigen Bereiche sind damit aufzusuchen. Allerdings versteht sich, daß du dieses Wegesystem niemals mißbrauchen darfst, um dich ohne meine ausdrückliche Aufforderung in die anderen Säle einzuschleichen. Ich bekomme nämlich mit, wann jemand diese Wege benutzt und kann dich sofort orten. Also denk nicht einmal daran!"

"Sicher, die Versuchung ist schon da", gab Julius zu, während aus der Ferne Professeur Faucon anmarschierte. Julius sah schnell auf seine Uhr. Es waren noch knapp zwei Minuten bis zwei Uhr nachmittags.

"Aha, da kommt ja deine Saalvorsteherin", erkannte Florence Rossignol. Julius wandte sich der Tür zu.

"Haben Sie ihn wirklich in Ihre Dienste genommen, Florence?"

"Das ist meine Pflicht, Blanche. Sie erhalten natürlich die schriftliche Einberufungsbestätigung mit der Kopie seines Ersthelferzertifikates."

"Ich weiß nicht, ob mir das wirklich so genehm ist", grummelte Julius. Doch Professeur Faucon erwiderte:

"Hier wird jeder nach dem gefördert und eingesetzt, was er oder sie leisten kann, nicht nach dem, was einem genehm ist, Monsieur Andrews. Florence, Sie haben ihm doch sicher gemahnt, von seinen Privilegien keinen Mißbrauch zu machen."

"Selbstverständlich. Meine Sammlung von Bettpfannen ist schon groß genug."

"Sie meinen doch nicht, was ich da gerade verstanden habe", erschrak Julius. Schwester Florence nickte, und Professeur Faucon sah auch nicht so aus, als sei es ein Scherz gewesen.

"Denkst du denn, wir ließen derartig undankbare Reglbrecher noch raus aus Beauxbatons? Dieses Privileg, natürlich auch die damit verbundenen Pflichten sind zu wichtig, um durch Mißbrauch in Frage gestellt zu werden. Aber ich denke, gleich fängt dein Unterricht an. Dann verabschiede ich mich. Noch einen schönen Nachmittag, Blanche!"

"Ihnen einen ruhigen Nachmittag, Florence!" Erwiderte Professeur Faucon den Gruß.

Es fehlte noch eine Minute bis zur vollen Stunde, als die Schulkrankenschwester durch das Mauerstück verschwand, durch das sie und Julius vor den Verwandlungsraum gelangt waren.

"Bin ich zu früh hier?" Fragte Julius schüchtern. Er stand nun der Beauxbatons-Lehrerin allein gegenüber, die ihn nun da hatte, wo sie ihn hinhaben wollte, wofür sie im Grunde den Ferienunterricht mit ihm abgehalten hatte.

"Zu früh gibt es bei uns nur, wenn mehrere Termine abgehalten werden und sich Leute vor dem Büro zusammenrotten. Die nachmittagsstunden werden gerne benutzt, um etwas später zum Unterricht zu kommen. Aber da sind ja schon welche von Ihren Klassenkameraden", stellte die Lehrerin fest, als Claire mit Jasmine und Irene angelaufen kam. Weiter hinten im Gang konnte Julius auch die fünf Jungen erkennen, die mit ihm den Schlafsaal teilten.

"Oh, Julius ist doch schon hier, Jasmine", schnaufte Claire. Offenbar hatten sie sich heftig beeilt, um noch rechtzeitig anzukommen. Julius vermißte Laurentine und Céline. Wo waren die beiden anderen Mädchen?

Es ist zwei Uhr!" Rief Professeur Faucon und schloß die Tür auf. Die Klassenkameraden von Julius legten einen Zahn zu und schafften es, nahe genug an die Tür heranzukommen, um noch im langsamen, gesitteten Schrittempo an der Verwandlungslehrerin vorbeizugehen. Julius hatte seinen Umhangärmel über das silberne Armband gezogen. Das mußte noch niemand wissen, daß er zum Hilfskrankenpfleger ernannt worden war. Claire zog Julius sanft mit sich. Um nicht unnötig aufzufallen ließ er sich von ihr bis zur vorderen Bank führen, wo sie sich mit ihm aufstellte. Denn setzen durften sich Beauxbatons-Schüler nur, wenn der Lehrer oder die Lehrerin ihnen den Befehl dazu gab.

"Wo sind die jungen Damen Dornier und Hellersdorf? Jedesmal dasselbe Ungemach mit den beiden!" Schimpfte Professeur Faucon, als der letzte der Jungen eintrat. Dann schloß sie laut die Tür, ging schnell nach vorne zum Lehrerpult und stellte die in jedem Klassenraum bereite Sanduhr auf. Julius bedauerte die beiden Mädchen. Wer die Tür öffnen mußte, um zum unterricht zu kommen, kassierte Verspätungsstrafpunkte, je nachdem, wie weit der Sand durchgerieselt war.

"Monsieur Andrews, gehen Sie zu Monsieur Deloire hinüber! Mademoiselle Jolis, gehen sie zu Mademoiselle Dusoleil!" Sortierte Professeur Faucon die Schüler um und nahm dann hinter ihrem Pult Aufstellung, während sich die Jungen und Mädchen an die Sitzbänke stellten. Dann begrüßte sie die Drittklässler aus dem grünen Saal, ließ den Gruß erwidern und befahl dann, daß sie sich setzen sollten. Dann sammelte sie die Hausaufgaben ein. Einige hatten gerade eine Pergamentrolle vollschreiben können. Andre hatten vier, wie Claire und Julius abzuliefern. Professeur Faucon steckte die sortierten Hausaufgaben sorgfältig fort und stellte ihre Aktenmappe neben das Pult. Sie hob an:

"Erst einmal bin ich erfreut, daß Sie alle sich in den Ferien gut erholt haben. Dadurch ist einer Wiederaufnahme des Unterrichts in alter Frische nichts im Wege. Ich darf nun auch in meiner Eigenschaft als Fachlehrerin unseren neuen Schüler Julius Andrews in unserer Mitte begrüßen, der, wie einige von Ihnen vielleicht wissen, aus familiären Gründen beschlossen hat, seine bis dahin vorbildlich verlaufene Zaubereiausbildung in unserer Akademie fortzusetzen. Monsieur Andrews, ich bin wie alle Saalvorstände auch und noch dazu auf direktes Ersuchen bei meiner britischen Fachkollegin Professeur McGonagall über Ihre bisherigen Leistungen im Unterrichtsfach Transfiguration, beziehungsweise Verwandlung orientiert. Da Sie ja in den Ferien in meiner Heimat Millemerveilles waren, konnte ich Sie ja im Vorfeld schon in Praxi begutachten, also wie gut Sie diesen Zweig der Magie bislang zu bewältigen vermögen. Insofern können wir sofort mit dem Unterricht beginnen und ..."

Die Tür schwang auf, und Céline Dornier und Laurentine Hellersdorf traten ein. Céline wirkte wie eine getretene Hündin, Laurentine trug Trotz und Ablehnung zur Schau. Sie setzten sich unaufgefordert, als sie die Tür geschlossen hatten. Céline sah auf die Sanduhr und verzog das Gesicht, weil bereits zwei volle und eine angefangene Minute, welche durch grüne Striche markiert waren, verronnen waren. Das bedeutete, soweit Julius sich schlau gelesen hatte, daß die beiden Mädchen sieben Verspätungsstrafpunkte erhalten mußten, wenn es bei diesen blieb. Professeur Faucon sah die beiden Nachzüglerinnen sehr streng an. Dann wandte sie sich an Céline, die sich förmlich unter dem Blick der Lehrerin zusammenkrümmte, als bekomme sie gleich Schläge. Julius wußte nicht, ob das hierorts nicht tatsächlich praktiziert wurde.

"Können Sie mir freundlichst mal erklären, woher Sie gerade kommen, daß Sie es wieder nicht einrichten konnten, pünktlich zum Unterrichtsbeginn zu erscheinen?"

"Wir mußten ..., wir hatten ...", begann Céline fast weinerlich. Laurentine fuhr ihr ins Wort:

"Genau, wir mußten, Professeur. Manche Sachen brauchen Zeit."

"Da ich selbst dereinst ein junges Mädchen war weiß ich um die natürlichen Bedürfnisse und wieviel Zeit sie beanspruchen, Mademoiselle Hellersdorf. Ich saß am Lehrertisch bis zehn vor zwei. Sie waren jedoch schon um halb zwei aus dem Speisesaal verschwunden. Ohne auf ganz private Details einzugehen wollen Sie mir doch nicht einreden, daß ein körperliches Rühren Sie derartig lange aufhalten konnte! Wenn Sie Probleme haben, hätten Sie Schwester Florence aufsuchen müssen, wie es jedem Schüler bei seiner Einschulung verbindlich angewiesen wird. Das Sie nicht dort waren ist mir bekannt. Zu den sieben Strafpunkten für jede von Ihnen kommen dann noch zehn Strafpunkte wegen fadenscheiniger Ausflüchte für Sie, Mademoiselle Hellersdorf. - Wo waren wir stehengeblieben? - In diesem Jahr werden wir uns mit der Invivo-ad-Vivo-Verwandlung befassen. Dieser Bereich der Verwandlungskunst ist insofern heikel, weil hierbei eine gute Balance zwischen Magie und Materie gehalten werden muß. Das konnten die meisten von Ihnen im letzten Schuljahr bereits bei der Vivo-ad-Invivo-Verwandlung ergründen. Um wieder mit der Praxis vertraut zu werden, werden Sie Kaninchen in Blumenvasen verwandeln. Zwei Kaninchen haben zu weißen Blumenvasen zu werden. Dafür haben Sie eine halbe Zeitstunde zur Verfügung."

Professeur Faucon holte aus einem geräumigen Schrank elf Käfige, in denen je zwei schwarze Kaninchen saßen, die sich umblickten. Die Ohren wackelten hektisch, als wüßten die Tiere, das man an ihnen für sie böse Zauber verüben wollte, beziehungsweise mußte, was die Schüler betraf. Die Lehrerin ging durch die Klasse und stellte die Käfige vor die Schüler. Eisiges Schweigen herrschte vor. Niemand wagte, auch nur laut zu atmen. Laurentine sah betrübt auf die Kaninchen und verzog dann wieder das Gesicht zu einer trotzigen Grimasse. Professeur Faucon raunte ihr etwas zu, was Laurentine nur mit den Schultern zucken ließ. Dann ging sie zu ihrem Pult zurück und sagte:

"Die dreißig Minuten beginnen ab jetzt. Ich untersage jedem, der sein Übungstier nicht korrekt zu erfassen meint, unterrichtsfremde Zauber zu wirken, wie Erstarrungs-, Schlaf- oder Bewegungsbannzauber. Zuwiderhandlung wird mit fünfzig Strafpunkten geahndet." Dabei sah sie Céline Dornier, Hercules Moulin und Julius Andrews genau an.

Die Klasse tat sich etwas schwer, die Versuchstiere zu verwandeln. Nur Claire und Julius hatten nach weniger als einer Minute zwei große Blumenvasen vor sich stehen. Robert, neben dem Julius saß, schaffte es bei seinem ersten Kaninchen nicht, es mit der ausreichenden Zauberkraft zu treffen. So verformte es sich laut quiekend zu einem Gebilde, das wie ein Kaninchen mit angewachsenen Henkeln aussah, bevor es unvermittelt wie Porzellan zersprang und sich in Rauch auflöste, der nach verbranntem Fleisch roch.

"Verdammt!" Fluchte Robert, dem der Schreck über den verpatzten Zauber in alle Knochen gefahren war. Laurentine warf ihren Zauberstab hin, als sich ihr erstes Kaninchen zwar in Porzellan verwandelte, aber dabei immer noch in Kaninchenform und kohlrabenschwarz blieb. Professeur Faucon begutachtete die Fortschritte der anderen Schüler, nahm Julius die gezauberten Blumenvasen fort und stellte sie mit denen von Claire auf das Lehrerpult. Dann holte sie zwei weitere Kaninchen aus einem Käfig und trug die um sich kratzenden Tiere zu Claire und Julius hinüber. Claire gab sie wohl die Anweisung, noch eine Blumenvase zu zaubern, während sie Julius flüsternd befahl:

"Aus dem hier machen Sie eine Schildkröte!"

Julius gehorchte und hatte nach kaum zwanzig Sekunden eine Schildkröte vor sich herumkrabbeln. Robert, der gerade sein zweites Kaninchen aus Versehen in einen Hamster verwandelt hatte, allerdings einen mit weißem Fell, sah verdutzt die Schildkröte an. Julius flüsterte:

"Die wollte das so haben."

"Genau, die wollte das so haben", flüsterte Professeur Faucon von hinten. Julius fuhr ertappt zusammen und errötete.

Er bekam fünf Teetassen, die er in Kaninchen verwandelte, die so aussahen, wie die ursprünglichen, nur, daß sie weiß zu bleiben hatten.

"Das ist doch Tierquälerei!" Schnaubte Laurentine Hellersdorf, als Céline aus ihrem Kaninchen zwei halbe Kaninchen gemacht hatte, allerdings aus Porzellan.

"Nur, wenn Sie sich weigern, dies richtig zu lernen, Mademoiselle Hellersdorf", fauchte Professeur Faucon. Dann brachte sie jedem, der oder die die zwei ersten Kaninchen unrettbar mißgestaltet oder getötet hatte, zwei neue Kaninchen. Laurentine weigerte sich, ihren Zauberstab wieder in die Hand zu nehmen. Sie glotzte nur die Wand an, um nicht zu sehen, was um sie herum vorging. So verstrich die halbe Stunde, in der fünf von elf mindestens zwei Blumenvasen hinbekamen, vier der anderen wenigstens eine, Robert und Laurentine keine.

"So, da wir nun alle fertig sind und uns nicht mehr auf die Arbeit konzentrieren müssen vergebe ich die fälligen Bonus- und Strafpunkte. Jede gelungene Vase erbringt zehn Bonuspunkte, jede halbfertige Vase fünf, jede Ansatzweise Verwandlung, die auf Bemühung deutet noch zwei. Mademoiselle Dusoleil schaffte auf mein Betreiben neben den zwei Vasen noch vier weitere. Monsieur Andrews, der, wie viele von Ihnen sehen konnten schon als in diesen Belangen fortgeschrittener gelten muß, bekam für die Vasen je fünf Punkte und für die von mir für vollbringbar erachteten Aufgaben je fünfzehn Punkte für sein Bonuskonto.Monsieur Deloire hat sich zwar bemüht, jedoch keine brauchbare Verwandlung hinbekommen und bekommt deshalb nur fünf Bonuspunkte. Die restlichen Schüler, die etwas geleistet haben, können ihre Punkte ja ausrechnen.

Zu Ihnen, Mademoiselle Hellersdorf: Es war und ist mir ein großes Rätsel, weshalb Sie trotz bereits erwiesener Zauberkraft nicht versuchen, den Umgang damit zu lernen und immer erst dazu gezwungen werden müssen. Ich ging eigentlich davon aus, daß die Angelegenheit Claude Muller im letzten Jahr, sowie die Maßregelungen Ihre Person betreffend genug Anreiz zur Besserung geben mußten. Glauben Sie wirklich, Sie erwerben sich eine schnelle Entlassung aus Beauxbatons, wenn Sie derartig renitent sind?"

Laurentine schwieg eisig. Die Verwandlungslehrerin sah sie bitterböse an. Die Zornesröte stieg ihr ins Gesicht.

"Das war keine rhetorische Frage, sondern eine ernste Frage, auf die ich eine Antwort verlange, Mademoiselle."

"Ob Sie mich heute rauswerfen oder morgen ist mir doch egal, Professeur Faucon. Ich habe ein Angebot meiner Eltern, mit dem ich wesentlich besser leben kann als als Hexe."

Céline Dornier schluckte hörbar und stubste ihre Sitznachbarin an, die sich davon nicht beeindrucken ließ.

"So, Sie meinen also, weil Ihr Vater monströse und gefährliche Raketen zusammenschraubt, deren Lasten unseren schönen Sternenhimmel durcheinanderbringen und ihre Mutter darauf hofft, daß sie viel Geld erbt, das Ihr Großvater damit verdient, daß er Jugendlichen unausgegorene Musiker anbiedert, für deren konservierten Lärm sie Geld bezahlen müssen, hätten Sie gefälligst keine Hexe zu sein?! Oh ja, natürlich! Wenn ich nicht hexen will, dann kann ich auch nicht hexen. Vielleicht bekommt Ihnen die Ferienzeit doch nicht so gut, wie dem Rest Ihrer Klasse. Immerhin haben Sie es durch die Prüfungen geschafft. Wie verträgt sich das mit dem Grundsatz, nicht zaubern oder hexen zu können?"

"Wenn wer hinter mir steht und mir 'nen Zauberstab in den Rücken hält und sagt, daß mir was passiert, wenn ich nicht diesen Unsinn mache, muß ich ja diesen Krempel ..."

"Warum das? Weil Sie es können, Mademoiselle Hellersdorf", fuhr Professeur Faucon der Schülerin ins Wort.

"Aber nur dann. Wenn ich hier fertig bin, brauche ich das nicht mehr. Dann habe ich die besten Jahre meines Lebens vor mir und muß die damit zubringen, noch mal in eine normale Schule zu gehen, um was anständiges zu lernen. Wissen Sie überhaupt, was in der sogenannten Muggelwelt los ist? Ich hatte doch jetzt schon keine gescheiten Ferien, weil ich Computerkurse machen mußte. Meine Cousinen haben mich gefragt, ob ich auf eine Schule für Lernbehinderte ginge, weil sie außer in den Ferien nichts von mir hören oder sehen. Wenn ich hier rauskomme, bin ich doch total unten. Dafür haben meine Eltern kein Geld ausgegeben. Bei der Gelegenheit kann ich Ihnen als unsere Oberlehrerin auch sagen, daß meine Eltern diesen Hexentanz dieses Jahr nicht mehr bezahlen. Die lassen sich das nicht mehr bieten."

Julius spürte förmlich, wie jedes wütende Wort Laurentines ihn immer schwächer machte. Jedes Wort traf ihn, als sei es ein Schwerthieb in den Rücken. Zu gut konnte er sich daran erinnern, wie seine Eltern genau so mit Professor McGonagall geredet hatten. Das führte dazu, daß seine Mutter allein war und sein Vater jeden Zauberer und jede Hexe haßte. Aber auch er war nun allein. Doch sollte er das Laurentine erzählen? Er hatte es satt, als bekehrter Vorführmuggelstämmiger hingestellt zu werden und wollte auch nicht mehr den Missionar spielen, der Leute, die nicht so gute Zauberkräfte hatten, daß sie es einsehen mußten, auf den richtigen Weg zu bringen hatte.

"Derlei Angelegenheiten besprechen wir später, junge Dame. Hier und jetzt haben wir Unterricht, dem Sie gefälligst zu folgen haben, solange sie hier bei uns sind. Sie waren nicht die erste und werden wohl leider nicht die Letzte sein, die erst durch ein unbeabsichtigtes Hexenkunststück begreifen muß, daß die Magie keines von Ihren elektrischen Geräten ist, die man beliebig an- und abschalten kann. Und zu Ihrer und der restlichen Klasse Information: Ich kenne mich in der nichtmagischen Welt aus und habe bedauerlicherweise lernen müssen, daß sie zu einer menschenfeindlichen, umweltgefährdenden und ausschließlich auf materiellen Schein und Gewinn ausgerichteten Zivilisation geworden ist, der wir Hexen und Zauberer an und für sich Einhalt gebieten müßten, wenn wir nicht wüßten, daß auch wir nicht vollkommen sind und uns daher nicht in die Belange der Nichtmagier einmischen. Allein schon die Drohung mit Zahlungsverweigerung zeigt mir, wie tief dieses Gewinndenken schon in Ihnen verwurzelt ist. Wer nicht bezahlt wird stellt die Arbeit ein. Das entbindet jedoch keine Institution, die einen übergeordneten Fürsorge und Erziehungsauftrag besitzt, junge Damen wie Sie, die als Mitglieder der magischen Welt erkannt wurden, ordentlich auszubilden.

Ja, ich bin Ihre Oberlehrerin, wie sie es nennen. Warum? Weil Sie von unserem Zuordnungsartefakt den Bewohnern des grünen Saales zugeteilt wurden. Ihre Sturheit und Ihre fortgesetzte Renitenz, ja Insubordination sind jedoch keine Charakteristika für Bewohner des grünen Saales. Da wir, die Lehrer und Lehrerinnen zu Beauxbatons, davon ausgehen müssen, daß Ihre Zuordnung zum grünen Saal korrekt ist, bin ich für Ihre Belange zuständig und muß die von Ihnen nicht anders gewollten Maßregelungsmaßnahmen durchführen. Daher erlege ich Ihnen 90 Strafpunkte auf. Werden es im Verlaufe der nächsten Woche noch mehr, werden Madame Maxime und ich entscheiden, ob Sie Ihre Ferien demnächst noch bei Ihren Eltern verbringen dürfen. Haben Sie das verstanden?"

"Sie können mich mal", zischte Laurentine Hellersdorf. Alle anderen erschraken im selben Augenblick. Julius sah zu Claire hinüber, die trotz ihres dunklen Hauttons kreidebleich geworden war. Er fühlte, daß ihm das Blut wohl auch aus dem Gesicht gewichen sein mußte, denn er fühlte sich total matt.

"Monsieur Andrews, stehen Sie auf!" Befahl Professeur Faucon. Julius fühlte die Blicke der übrigen in seinem Rücken. Was wollte die Hexe von ihm?

Langsam erhob er sich und stellte sich so gerade hin, wie sein vom heftigen Schrecken erschlaffter Körper dies zuließ.

"Vollbringen Sie an Mademoiselle Hellersdorf den Centinimus-Zauber!" Befahl Professeur Faucon. Julius erschrak erneut. Dann sah er sich um. Alle starrten ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Er wandte sich der Lehrerin zu und sagte:

"Das dürfen Sie nicht von mir erwarten, Professeur Faucon. Wollen Sie mich mit Gewalt bei den Leuten hier unten durchrasseln lassen?"

 

"Führen Sie wohl meine Anweisung aus? Wird's bald!"

Julius zitterte. Hier und jetzt fühlte er sich wie in einem schlimmen Alptraum, aus dem er zu gerne erwachen wollte. Er kniff sich in den linken Arm und es schmerzte heftig. Er war wirklich wach.

"Tun Sie es nicht an Ihr, verbringen Sie die nächsten vier Monate als Goldfisch", drohte Professeur Faucon. Julius fühlte, wie ihm die Augen brannten, weil Tränen der Verzweiflung sich stauten. Keiner sagte auch nur ein Wort. Er sah sich um. Claire und Jasmine sahen ihn bedauernd an, die Jungen waren ebenfalls bleich. Er sah, wie Professeur Faucon ihren Zauberstab auf ihn richtete. Er wußte, daß diese Frau dafür gefürchtet war, daß sie tat, was sie ankündigte, wenn sie damit ihren Willen durchsetzen konnte. Er wußte auch, daß die hiesigen Schulregeln bei massiven Regelverletzungen Verwandlung in ein niederes Lebewesen als Strafe zuließn, anders als in Hogwarts. Deshalb zog er mit einem Ausdruck des tiefsten Bedauerns seinen Zauberstab, richtete ihn schnell auf Laurentine, die immer noch trotzig dasaß und sprach den Centinimus-Zauber aus, jenen Einschrumpfungszauber, der Dinge und Lebewesen genau auf ein Hundertstel ihrer Ausgangsgröße schrumpfte. Laurentine erschrak nicht und sah auch nicht wütend drein. Als sie der Zauber traf, schien ihr Körper wie ein Schneemann im Backofen zusamenzuschmelzen, jedoch ohne dabei zu zerfließen. Keine Sekunde später hockte ein winziges, kaum zwei Zentimeter großes Miniaturmädchen mit hellblonden Haaren auf dem Stuhl. Céline wollte danach greifen, doch Professeur Faucon machte eine warnende Geste.

"Da Sie alle wissen, daß Monsieur Andrews ebenfalls der Abkömmling reiner Muggeleltern ist, ist seine Situation ähnlich gelagert wie die von Mademoiselle Hellersdorf. Seine Eltern gingen darauf aus, ihn von seiner Zaubereiausbildung in Hogwarts abhalten zu können, zu seinem Nachteil. Zu seinem Glück fand er sowohl in Hogwarts als auch bei uns in Frankreich genügend Leute, die ihn ohne drastische Maßnahmen überzeugen konnten, daß er für ein Leben als Zauberer bestimmt ist. Wie Sie alle hier und jetzt mit erschreckender Überdeutlichkeit sehen können, besitzt er ein so hohes Grundtalent, daß das, was er nun auf meinen ausdrücklichen Befehl getan hat, er jederzeit aus Versehen hätte tun können, wäre das Vorhaben seiner Eltern gelungen. Es hätte auch schlimmer kommen können", sagte Professeur Faucon halblaut aber überdeutlich. Laurentine ruderte mit ihren nun winzigen Ärmchen in der Luft herum und hielt sich die winzigen Ohren zu, so laut mußte Professeur Faucons Stimme für sie sein. Julius wußte, daß die von ihm gegen seinen Willen eingeschrumpfte Junghexe nur eine Stunde leben konnte, weil die Luft für ihren eingeschrumpften Organismus beinahe flüssig war und nur wenig Sauerstoff, gerade ausreichend für eine miniaturisierte Gestalt, verarbeitet werden konnte. Die nackte Angst, was nun passieren mochte, stand ihm genauso im Gesicht, wie den übrigen Mitschülern. Nur die wußten nicht, daß Laurentines Lebensuhr abzulaufen drohte, wenn sie nicht vor der Stundenfrist auf ihre Ausgangsgröße zurückgeführt oder in etwas ursprünglich kleines verwandelt wurde, ein Insekt oder eine Spinne zum Beispiel.

"Kehren Sie den Zauber wieder um, Monsieur Andrews!" Kam nach zwei Minuten eisigen Schweigens der für Julius erlösende Befehl. Diesen führte er unverzüglich aus, in dem er zu Laurentine ging, die auf dem für sie wohl fußballfeldgroßen Stuhl herumlief, wohl wie in tiefem Wasser watend. Julius stellte sich vor den Stuhl hin, vollführte mit dem Zauberstab zwei Drehbewegungen über der eingeschrumpften Klassenkameradin und sagte laut: "Remagno!"

Laurentines Körper wuchs wieder an, blähte sich förmlich auf, als sei er nur eine Gummihülle, in die Preßluft hineingeblasen wurde. Julius sprang aus einem Antrieb, Laurentine könnte sich sofort an ihm rächen zurück. Das Mädchen stand keine zehn Sekunden später in seiner Ursprungsgröße auf dem Stuhl, stieg von ihm herunter und setzte sich hin. In ihrem Gesicht lag weder Trotz noch Wut, sondern tiefe Betroffenheit.

"Entschuldigung, Laurentine!" Rief Julius in einem Anflug von Schuldgefühlen. Das Mädchen saß auf dem Stuhl und sah ihn nur an, zeigte jedoch keine Regung, ob sie ihn nun fürchtete oder haßte.

"Sie haben sich nicht zu entschuldigen. Sie haben auf einen strickten Befehl von mir gehandelt, Monsieur Andrews. Niemand hier wird Ihnen unterstellen, es sei Ihnen ein Bedürfnis gewesen, mit Mademoiselle Hellersdorf derartig umzuspringen. Ich gab Ihnen einen Befehl und mußte diesen sogar mit einer ernsten Drohung unterstreichen, damit Sie zeigten, daß Sie ein starker Zauberer sind, der, wenn er nicht gelernt hätte, sich zu beherrschen, irgendwann sowas mit irgendwem angerichtet hätte, völlig ohne seinen Wunsch, wie jetzt. Niemand wird Sie dafür hassen, daß Sie unter Zwang etwas taten. Und damit niemand auf die Idee kommt, ich wäre eine sadistische Hexe, die es liebt, Leute zu quälen, möchte ich Ihnen erläutern, warum ich Sie derartig grausam geprüft habe, Monsieur Andrews. - Setzen Sie sich erst wieder hin!"

Julius fiel fast auf den Stuhl als sich ruhig hinzusetzen. Die Stimme Professeur Faucons klang nun etwas freundlicher, als sei es nun angeraten, die Atmosphäre von ohnmächtiger Angst und Verzweiflung möglichst schnell wieder zu zerstreuen.

"Als ich hier angefangen habe, als Lehrerin, da habe ich in jedem Saal einen Abkömmling von Nichtmagiern zu unterrichten gehabt. Unter denen war eine junge Hexe, die überhaupt nichts von ihrer Zauberbegabung wissen wollte. Die hat sich verweigert, unechte Zauberstäbe benutzt, nur aus Muggelbüchern gelesen und in der Freizeit Muggelsachen getragen. Irgendwann hat sie es geschafft, uns vorzugaukeln, so gut wie keine Magie im Körper zu besitzen. Da sie die restlichen Muggelstämmigen davon zu überzeugen trachtete, bei uns nichts zu suchen zu haben, entschied Madame Maxime auf Schulverweis, weil die Maßregelungen, ja auch eine Verwandlung in eine Hausratte, nichts daran ändern konnten. Das Mädchen verließ uns also und wurde von den überglücklichen Eltern in ein Internat in der Schweiz untergebracht. Drei Jahre später kam es dort zu einem Zwischenfall. Offenbar hat sie sich nicht mit einer Mitschülerin oder einem Lehrer nicht verstanden und geriet in Wut. Dabei kam es zu spontanen Bewegungseffekten. Stühle flogen durch die ganze Schule, Wände und Fenster zerbrachen. Durch eine Beschädigung des elektrischen Netzes brach noch Feuer aus, daß in die ungerichteten Kräfte einbezogen wurde. Die Schule brannte völlig nieder, fast alle Schüler und Lehrer kamen dabei um, auch das besagte Mädchen. Das war für die internationale Zauberergemeinschaft ein höchst alarmierender Vorgang, zumal Spuren, die auf einen übernatürlichen Ursprung hindeuteten, beseitigt werden mußten. Die Überlebenden des Unglücks mußten mit Gedächtniszaubern behandelt werden, um die herumfliegenden Gegenstände und springenden Flammenwände zu vergessen. Als dann später ein sogenannter Horror-Roman auf den Markt der Muggel kam, der eine ähnliche Handlung beinhaltete, mußte erst einmal recherchiert werden, ob der Dichter dies aus eigener Phantasie zu Papier gebracht hatte oder von Überbleibseln an Erinnerungen eines damaligen Augenzeugen geschöpft hatte. Es stellte sich zum Glück heraus, daß der Dichter tatsächlich aus eigener Phantasie seinen Roman komponiert hatte. Aber der Schreck, daß derlei passieren kann, zwang die internationale Zaubererkonferenz von 1968 dazu, mit allen Mitteln die korrekte und umfassende Unterweisung aller Jugendlichen, die sich als mit Magie begabt erweisen, durchzusetzen, notfalls gegen deren Willen und dem ihrer Angehörigen. Es hatte zwar früher schon Unfälle mit Magie gegeben, aber bis dahin nicht in diesem Ausmaß. Meine Kollegin Bellart erzählte mir am Mittagstisch, daß Monsieur Andrews ein sehr guter Telekinetiker ist, was sich mit meinen eigenen Beobachtungen deckt. Jetzt stellen Sie alle sich mal bitte vor, was passieren könnte, wenn er nicht rechtzeitig gelernt hätte, seine Zaubergaben zu beherrschen, bevor diese ihn Beherrschen konnten. Aus seiner Akte des englischen Zaubereiministeriums geht hervor, daß er sogar schon Erstarrungszauber angewandt hat, als er noch glaubte, Magie sei eine Erfindung von abergläubischen Zeitgenossen oder findigen Phantasten, die Welten jenseits ihrer Wirklichkeit erdachten. Sein Sie doch mal ehrlich: Können Sie und ich nicht alle besser schlafen, weil Sie wissen, daß junge Zauberer von unseren Behörden rechtzeitig erkannt und entsprechend unterrichtet werden? Sicher paßt dies nicht in eine Verwandlungsstunde, sondern eher in den Unterricht wider die dunklen Künste. Aber da Sie dieses Fach ja auch bei mir haben, wage ich den kurzen Exkurs und frage Sie, ob es nicht wesentlich grausamere magische Verbrecher gebe, wenn es keine Schulen wie Hogwarts oder Beauxbatons gäbe, wo Abkömmlinge nichtmagischer Eltern umfangreich und auch in dem Bewußtsein, für den Umgang mit ihren Kräften verantwortlich zu sein ausgebildet werden?"

Claire Dusoleil bat durch Handzeichen um Sprecherlaubnis. Professeur Faucon sah sie an und nickte ihr zu.

"War es nicht auch ein Grund für die Hexenverfolgung im Mittelalter, weil es muggelstämmige Zauberer gab, die ohne ihren Willen Dinge bewirkt haben, die dann nichtmagischen Frauen angelastet wurden?"

"So steht es in der Abhandlung "Herleitung des Hexenwahns" von Augusta der Dürren aus dem Jahre 1839. Aber das ist nur eine Herleitung, Mademoiselle Dusoleil."

Julius meldete sich. Wenn er was sagte konnte er das immer noch wallende Schuldgefühl vielleicht niederhalten.

"Ja, bitte, Monsieur Andrews!" Erteilte Professeur Faucon ihm das Wort.

"Das war auch damals so, daß sich eine neue christliche Strömung bildete. Die alteingesessene lehnte alles ab, was nicht von ihnen kam und schufen den Glauben an die bösen Hexen, die mit dem Teufel und anderen Dämonen gemeinsame Sache machten, um vor allem jene zum schweigen zu bringen, die nicht der vorgegebenen Meinung waren. Daß sich das so verselbständigt hat, war nicht direkt beabsichtigt, aber dann doch willentlich hingenommen worden."

"Huch, wieso steht das bei uns nicht in den Geschichtsbüchern?" Fragte Céline Dornier schüchtern.

"Selbstverständlich steht das in unseren Geschichtsbüchern, Céline", wandte Hercules Moulin ein, nachdem er sich das Wort erbeten hatte. "Im Abschnitt 7 der 20 meisten Vorwände der Muggel, sogenannte Hexen zu verfolgen steht drin, daß der Umgang mit der Welt und ob es einen Gott gab, zu Streit führte und dieser Streit mit hineinspielte."

"Oh, ich hoffe für Sie, daß Professeur Pallas dieses Versäumnis übersieht, wenn Sie Ihre Ferienhausarbeit prüft. Ihnen für diese Unterlassung Strafpunkte zu erteilen fällt nicht in meine Kompetenz, weil sie unterrichtsfachspezifischer Natur ist und meine Bereiche nicht berührt", bemerkte Professeur Faucon mit sachlichem Unterton.

"Auf jeden Fall wollte ich Ihnen allen verdeutlichen, daß es mir nicht darum geht, Ihnen zu zeigen, wie gut ich neue Mitschüler zu grausamen Taten zwingen kann, sondern wollte Ihnen beweisen, daß jeder Zweig der Magie, ob Zauberkunst oder Verwandlung, Heil- oder Schadenszauber, zu ernst ist, um es zu ignorieren oder wider besseres Wissen abzustreiten. Daß ich zu diesem Versuch zwei Muggelgeborene heranzog war nur deshalb nötig, um gerade diesen beiden zu verdeutlichen, weshalb sie hier sind, weshalb wir es nicht hinnehmen können, daß sie sich nicht ordentlich ausbilden lassen wollen und wie wir die unterstützen, welche bereit sind, zu lernen. Falls Sie tatsächlich Haßgefühle entwickeln sollten, Mademoiselle Hellersdorf, dann richten Sie diese bitte nur gegen den Umstand, daß niemand Ihnen vernünftig genug erklären konnte, wie wichtig Ihr Hiersein ist, aber nicht gegen Personen. Wenn Sie, wovon ich sehr überzeugt bin, klug genug sind, über diese Angelegenheit nachzudenken, werden Sie zu dem Schluß kommen, daß Sie eine großartige Gelegenheit geboten bekommen, Ihre wirklichen Talente zu erkunden und auszuschöpfen, Mademoiselle Hellersdorf."

Die restliche Unterrichtsstunde verlief mit Besprechungen, was denn so schwer an der Vivo-ad-Invivo-Verwandlung sei und wieso Julius bereits die Umkehrung, die Ding-zu-Tier-Verwandlung beherrschte, obwohl sie das ja jetzt erst lernen wollten. Zum Schluß sagte Professeur Faucon noch:

"Was Monsieur Andrews angeht, so wird er in den nächsten Stunden ausschließlich das praktizieren, was Sie alle praktizieren, eben nur mit mehreren Versuchsobjekten pro Durchgang. Da es einen Förderkurs Verwandlung für Fortgeschrittene gibt, habe ich als Ihre Saalvorsteherin verfügt, daß Sie, Monsieur Andrews daran teilnehmen. Ihr Kurs findet jeden Donnerstag zwischen 16.30 und 18.00 Uhr statt. Insofern werden Sie sich nicht langweilen. Schließlich sind Sie nun hier in Beauxbatons, Monsieur Andrews."

Als die Schulglocke das Ende der Stunde verkündete, gingen alle nach dem Abschiedsgruß schweigsam hinaus. Julius, der darauf gefaßt war, entweder von Professeur Faucon noch zurückgehalten zu werden oder doch noch der Vergeltung Laurentine Hellersdorfs und ihrer Schulfreundin Céline Dornier ausgesetzt zu sein, lief Deshalb verhalten hinter den meisten Schülern her und traute sich nicht, auch nur ein Wort zu sagen. Claire ließ sich zurückfallen und sprach ihn an:

"Fang jetzt bloß nicht an, dir Vorwürfe zu machen, daß du Bébé eingeschrumpft hast! Wir alle haben das mitbekommen, daß du gezwungen wurdest. Also versuch jetzt gar nicht, dich wie ein eingeschüchterter Gelber in eine Ecke zu verziehen!"

"Weißt du, Claire, was mir durch den Kopf ging, als Professeur Faucon mir den Befehl gab? Ich habe gedacht, ich höre nicht recht. Dann habe ich überlegt, was die von mir will. Dann wollte ich mich weigern, ihr sagen, daß ich kein Kampfroboter bin, also keiner von diesen Golems, die wir im Ferienunterricht besprochen haben und auch kein gefühlloser Zombie. Dann brachte ich nur heraus, daß sie das nicht von mir verlangen dürfe und ... mmm" Claire hielt Julius einfach den Mund zu. Dann zog sie ihn mit sich fort und führte ihn zunächst zu einem der Jungenklos.

"Du hast geweint, Julius. Du solltest deine Tränenspuren wegwaschen, bevor du dich unter mehrere Leute traust."

"Ja, Maman", stieß Julius trotzig aus. Doch so schlecht war der Vorschlag nicht. Er ging in den Waschraum, wo Argon Odin gerade mit einem Klassenkameraden vor den Waschbecken stand. Julius schlug sofort die Augen nieder. Das wollte er sich nun nicht jetzt antun, dem Sohn von Cassiopeia Odin mit leicht verheult aussehenden Augen entgegenzutreten. Doch Argon sah ihn bereits und kam mit noch nicht ganz getrockneten Händen auf ihn zu.

"Hallo, Julius! Haben dich die werte Professeur Faucon und ihre Bundesgenossen hierher geschickt. Ich habe es Maman gleich aufs Brot geschmiert, daß du nun noch näher an Claire herangekommen bist, als sie es gerne gehabt hätte. - Huch, was hattet ihr denn in der letzten Stunde, Brennpulverranken bei Trifolio?"

"Wie kommst du denn darauf, Argon?" Fragte Julius, der die Brennpulverranken bei Madame Dusoleil kennengelernt hatte und wußte, daß ihre obere Rinde wie Zwiebelsaft in den Augen brennen konnte.

"Weil du so aussiehst, als hättest du welche zu nahe vors Gesicht bekommen."

"Neh, wir hatten Verwandlung. Aber dazu sage ich nichts. Ob ich froh sein kann, hier zu sein, bin ich mir im Moment nicht sicher genug."

"Ach, hat die alte Hexenmeisterin dich drangsaliert. Ist jedem von uns mal passiert. Ach ja, ihr kennt das in Hogwarts ja nicht."

"Kein Kommentar", erwiderte Julius, der sich gerade noch beherrschen konnte, loszustürzen und dem älteren Jungen mit einem Karateschlag auf die Nase Manieren beizubringen.

"Ist auch gut", sagte Argon und verließ mit seinem Freund den Toilettenraum. Julius hörte noch, wie er Claire begrüßte und wohl mit ihr scherzte. Julius wusch sich das Gesicht und befand, daß er so wieder unter die Leute treten konnte. Er wollte in die Bibliothek, um sich hinter Büchern zu vergraben. Mit dieser Tätigkeit ersparte er sich weitere Diskussionen zumindest bis zum Abendessen. Als er mit frisch gewaschenem Gesicht und Händen den Toilettenraum verließ, hatte er den rechten Umhangärmel noch nicht wieder richtig langgezogen. So sah Claire, die alleine vor dem Raum ausharrte, das silberne Armband. Sie strahlte ihn an.

"Ach, hat Madame Matine recht behalten und Schwester Florence dich zu ihrem Helfer erklärt? Schön, dann hast du ja heute noch was vor."

"Ich hoffe mal nicht, daß Schwester Florence mich heute noch braucht und die Leute, die was haben, auf gesunden Beinen zu ihr hingehen können."

"Das meine ich nicht. Ich denke eher, daß Jeanne dich in dieses Wandschlüpfsystem einweisen wird. Immerhin sind ältere Pflegehelfer, so heißt du nämlich ab heute, dazu angehalten, jüngeren Pflegehelfern alles beizubringen, was Schwester Florence noch nicht unterrichtet hat. Also komm mit, damit wir Jeanne noch antreffen, bevor sie, Barbara und Eloise sich in ihre Hausaufgaben verbuddeln!"

"Gute Idee das mit den Hausaufgaben. Ich gehe am besten in die Bibliothek, um noch was für Arithmantik zu lesen. Außerdem wollte ich das mit den Mischfarblichtern für Zauberkunst nachlesen und ..."

"... und so weit wie möglich von Bébé und Céline wegbleiben, am besten wieder nach Hogwarts zurückreisen, weil da die Lehrer nicht so merkwürdige Unterrichtsmethoden haben", fuhr Claire ihm gereizt ins Wort. "Das mit den einfarbigen und mischfarbigen Lichtern machen wir beide zusammen. Professeur Faucon kann uns zwar im Unterricht auseinandersetzen, aber nicht verbieten, gemeinsame Hausaufgaben zu machen."

"Och, da habe ich aber von Elisa und Dorian andere Dinger gehört", wußte Julius schnell einzuwerfen.

"Die beiden mußten es auch übertreiben, oder glaubtest du, Dorian hätte dir erzählt, daß er und Elisa sich halbnackt in einer eigentlich unbesuchten Nische des Palastes aufgehalten haben? - Wußte ich's doch."

"Und wenn schon", sagte Julius. Claire ließ Julius aber nicht in Ruhe. Sie hakte sich bei ihm unter, genau an dem Arm, wo das silberne Schlüsselarmband befestigt war. Offenbar hatte Jeanne ihr erzählt, daß man damit die Durchgangsstellen in den Wänden sehen und dann auch benutzen konnte und wollte ihn nicht in Versuchung führen.

Sie suchten den grünen Saal auf. Julius durfte die bezauberte Wand berühren und das Passwort "Chrysalide" sprechen, um Claire zu zeigen, daß er auch alleine zurückfinden konnte. Die Wand zerfloß wie ein Wasserfall und ließ die beiden Drittklässler hinein. Drinnen suchte Julius schnell die Sitze und Tische ab, ob Laurentine oder Céline schon da waren. Er sah jedoch nur Leute, die aus der fünften und zweiten Klasse stammten. Dann tauchten Jeanne, Barbara und ihre Klassenkameradin Eloise auf, einem elegant wirkendem Mädchen mit dunkelbraunem Pferdeschwanz. Claire ließ Julius stehen und eilte zu ihrer Schwester. Sie deutete auf Julius und sagte was. Jeanne nickte und wandte sich an Barbara. Diese nickte auch, nachdem Jeanne ihr etwas erklärt hatte und kam herüber. Julius wollte sich schon zurückziehen, doch Jeanne sah ihn genau an.

"Warst du schon in Professeur Faucons Büro wegen der Auswahlliste für Kurse oder Kunstgruppen?"

"Ich bin froh, wenn ich die Frau erst einmal nicht zu sehen bekomme", stöhnte Julius. Jeanne, die schon lange genug hier war, lächelte schwesterlich.

"Ihr hattet Verwandlung, nicht wahr? Hat Sie dich vor der ganzen Klasse vorgeführt, um zu zeigen, daß du ein guter braver Schüler mit überragenden Fähigkeiten bist? Du kommst ihr gerade recht, um Bébé endlich zur Vernunft zu bringen."

"Jeanne, bitte nicht. Das war heftig, und ich möchte erst darüber nachdenken, bevor ich das mit Leuten, die nicht dabei waren, ohne große Probleme bequatschen kann", sagte Julius.

"Akzeptiert. Aber Claire sagte, daß du auch den Pflegehelferschlüssel bekommen hast. Sie sagte auch, daß Schwester Florence dich wohl noch nicht darin eingearbeitet hat. Dann mach ich das. Die Kräuterkundesachen, die ich Barbara und Eloise noch genauer erklären wollte, kann ich auch nach dem Abendessen noch mit denen klären. Immerhin dürfen wir Siebtklässler zwei Stunden länger aufbleiben als ihr. Also komm! Machen wir uns auf die Reise durch das Wandschlüpfsystem!"

Jeanne zeigte Julius, wie er mit dem silbernen Armband einen der magischen Durchlässe im Mauerwerk sichtbar machen konnte. Das kannte er ja schon. Sie verließen den grünen Saal durch einen solchen Durchlaß und landeten im Krankenflügel, genau im Büro von Schwester Florence. Diese wandte sich um und sah Julius an. Dann strahlte sie ihn und Jeanne an.

"Schön, daß du dich seiner annimmst, Jeanne. Ich wollte ihn gleich anrufen, um ihm zu zeigen, wie unsere Sprechverbindung geht. Aber das Wegesystem hätte ich ihm erst morgen beibringen können, und wer weiß, ob ich morgen Zeit finde. Dann viel Erfolg!"

"Danke, Schwester Florence!" Sagten Jeanne und Julius gleichzeitig.

"Also Julius: Wenn du von einem der sechs Wohnsäle aus in das Wegesystem einsteigst, landest du immer hier, im Büro von Schwester Florence. Wie du siehst kannst du jeden Saal von hier aus direkt ansteuern." Jeanne legte den Zeigefinger der linken Hand auf eine Stelle unter ihrem Knie und aktivierte erst nur für sich sichtbar die Durchlässe. Julius legte auch seinen linken Zeigefinger auf den weißen Stein des Armbands und sah sofort, daß die drei türlosen Wände Durchlässe bargen. An einer Wand flimmerte es rosa, was für Julius schon als neutraler Durchgang bekannt war. An der zweiten wand flimmerte es blau, violett und gelb, an der gegenüberliegenden Wand grün, rot und weiß. Jeanne erklärte ihm noch, daß man den neutralen Durchgang per Gedankenbefehl auf einen Ausgang in einem von zwanzig Oberbereichen einstellen konnte, bevor man durch den Kontakt zwischen Wand und dem Armband den Durchschlüpfzauber auslöste. Grundsätzlich landete man von hier aus immer im Korridor, wenn nicht ein anderer Bereich konzentriert gedacht wurde. Dann machten sie sich auf in den Hauptkorridor. Julius fand es richtig prickelnd, in eine Wand hineingezogen zu werden und sofort sanft aus einer anderen Wand herausgetragen zu werden. Jeanne bemerkte dies und riet Julius, nur auf Anfrage oder in Notfällen mehr als einmal am Tag davon gebrauch zu machen. Drohende Verspätung, so Jeanne, galt jedoch unter den Lehrern und der Krankenschwester als Notfall.

"Du kannst immer nur alleine durch dieses Wegesystem. Es sei denn, Schwester Florence gestattet es dir ausdrücklich.Wenn du also irgendwo bist, wo jemand schwerer verletzt ist, als deine Ersthelferkunst damit fertig wird, versorge erst einmal den Patienten und rufe Schwester Florence. Die kommt dann durch das Wegesystem direkt zu dir, aber nur bei echten Notfällen. Da du jedoch bei Madame Matine gelernt hast, weißt du ja, wann ein Fall als akuter Notfall gilt", sagte Jeanne. Dann erklärte sie Julius, daß er vom Hauptkorridor jedes wichtige Klassenzimmer ansteuern konnte, was er ja wohl getan hatte, weil er ja längst vor Claire und den anderen vor dem Verwandlungsraum angekommen sei. Sie beschrieb ihm, wie einfach er zu den Büros, der Bibliothek, dem Speisesaal oder den Gewächshäusern gelangen konnte. Zum Beweis benutzten sie einen der Durchlässe, um direkt aus einer Mauer vor einem der großen rechteckigen Gewächshäuser herauszukommen, wo sie fast mit Professeur Fixus zusammenprallten. Ausgerechnet die wollte Julius gerade jetzt am wenigsten treffen, und so schuf er sich schnell einen Schild gegen Gedankenleser, indem er eine schnelle Melodie von Hecate Leviata konzentriert immer und immer in seinem Bewußtsein ablaufen ließ. Die Zaubertranklehrerin wandte sich um und begrüßte Julius und Jeanne.

"Hat die Vernunft doch gesiegt und Sie sind zu uns gewechselt, Monsieur Andrews? Wir sehen uns ja dann morgen Nachmittag, nicht wahr?" Fragte Madame Fixus mit ihrer hohen Stimme, die wie Windgeheul durch Türritzen klang. Julius nickte nur. Wenn er ein Wort sagte, so fürchtete er, würde der Hecate-Leviata-Ohrwurm aus seinem Bewußtsein verschwinden.

"Komm weiter, Julius!" Trieb Jeanne den neuen Beauxbatons-Schüler an und führte ihn zu einem anderen magischen Durchlaß, den sie benutzten, um wieder in den Palast zu gelangen, diesmal vor die Bibliothek, wo gerade Laurentine und Céline ankamen. Julius verwünschte diesen Tag. Wieso traf er bei diesem Wegesystem ausgerechnet die Leute, denen er nicht begegnen wollte?

"Huch, wie kommst du denn hierher?" Wunderte sich Céline. Julius sagte, daß er nur durch das Schloß wandere, um das Gängesystem besser kennenzulernen.

"Mit dem Silberarmband? Jeanne hat uns das schon gezeigt, daß sie damit durch den Palast eilen kann, weil sie von Schwester Florence dazu angestellt wurde, ihr zu helfen. Julius erklärte schnell, daß er in Millemerveilles einen Kurs in erster Hilfe gemacht habe, freiwillig und deshalb wohl auch für fähig befunden wurde, sowas zu tragen.

"Das heißt, du gehst jetzt nicht mit uns in die Bibliothek. Wir wollten uns noch etwas über das Verhältnis der natürlichen zu den inneren Gegebenheiten erkundigen."

"Ich habe ja noch keinen Freizeitplan, wobei das an sich widersinnig klingt. Da werde ich mich nach diesem Durchlauf wohl erst mit dem auseinandersetzen. Wielange bleibt ihr in der Bibliothek?"

"Bis zum Abendessen. Anschließend wollen wir zum Schachclub. Trage dich doch am Besten auch da ein", sagte Céline. Julius schluckte. Ach ja! Am grünen tisch wußten ja eh alle, daß er Schach spielte, und in der Zeitung hatte es ja auch gestanden. Warum auch nicht? Genau so antwortete er den beiden Mädchen auch. Schach war für ihn das Parademittel, um jeden unerwünschten Gedanken zu verjagen. So verabschiedete er sich von den beiden Mädchen, jedoch mit dem schlechten Gewissen ins Gesicht geschrieben und wechselte mit Jeanne in die übrigen Bereiche des Palastes, die wichtig waren. Zum Schluß begaben er und sie sich zum Büro von Professeur Faucon. Von weitem hörten sie schon, daß die Saalvorsteherin nicht alleine war und blieben auf Abstand, um nicht zu unfreiwilligen Lauschern zu werden. Nach zehn Minuten kam Martine Latierre aus dem Büro und ging in eine andere Richtung davon, ohne Jeanne und Julius zu sehen. Jeanne brachte Julius zum Büro und wartete.

Julius hatte das Büro von Professeur Faucon gestern ja noch kurz besichtigt. Außerdem kannte er es von seinem ersten Besuch in Beauxbatons. Besuch? An und für sich war dieses Wort jetzt ein Hohn. Er klopfte an und wartete, bis er hereingebeten wurde.

"Wurde auch langsam Zeit, Monsieur Andrews. Sie haben sich nämlich noch nicht in die Freizeitlisten eingetragen. Heute fangen die neuen Kurse oder Clubtreffen an. Das ich Sie schon in Verwandlung eingetragen habe, habe ich Ihnen ja erzählt. - Mademoiselle Dusoleil, benötigt Monsieur Andrews noch Ihre Hilfe?"

"Nein, ich habe mit ihm alles geklärt, was mit dem Pflegehelferschlüssel zusammenhängt, da Schwester Florence ihm ja die Richtlinien für die Benutzung mitgegeben hat."

"Dann bedanke ich mich bei Ihnen, daß Sie Monsieur Andrews hergebracht haben", sagte Professeur Faucon. Jeanne verstand dies als Aufforderung, sich zurückzuziehen und schloß die Tür.

"Gut, hier sind die Listen. Suchen Sie sich das aus, was Ihnen förderlich und interessant erscheint, aber bedenken Sie dabei, daß Sie mindestens eine freie Stunde am Tag für Hausaufgaben zur Verfügung haben sollten!" Sagte die Lehrerin trocken. Julius nahm die Liste und las sie sich durch. Er fragte sich, ob er wirklich noch einen Tanzkurs machen wollte. Aber den Schachclub kreuzte er sofort an, ebenso wie die Projektgruppe Alchemie für Interessenten, die am Mittwoch zwischen 16.00 und 18.00 Uhr stattfand. Dafür nahm er sich den Abend nichts vor. Jeanne wollte ihn im Quidditchtraining haben, das Dienstags stattfinden würde. Dann las er noch, das es eine Projektgruppe theoretische Magie gab, wo er sich auch eintrug, ebenso wie bei praktischer Zauberkunst, wo als Erläuterung stand:

"In dieser Gruppe werden alltägliche Praktiken antrainiert, wie Reparaturen, Auffinden von gesuchten Sachen, Putz- und Polierzauber, Dekorationszauber und häusliche Fertigkeiten wie Nähen und Umändern durch Zauberkraft, Kochen und Backen mit Zauberkraft und Abfallbeseitigungszauber. Dort trug er sich auch ein. dann nahm er doch den Tanzkurs, der Samstag nachmittags stattfand und beurteilte sich als fortgeschritten 1, nachdem Professeur Faucon ihm dazu geraten hatte, bloß keinen Anfängerkurs zu nehmen. Da er am Donnerstag ja schon in der Verwandlungsfördergruppe eingetragen war, nahm er den erweiterten Kräuterkundekurs am Samstag morgen zwischen neun und elf. Dabei stand, daß dieser alle zwei Wochen durch das Quidditchturnier unterbrochen würde. Er staunte, daß dieses so früh (erster Samstag im Oktober) losging. Aber als er sich überlegte, daß Hogwarts ja schon sechs Spiele austragen mußte, um alle vier Häuser gegeneinander antreten zu lassen, war das bei sechs Häusern oder Sälen mehr. Er rechnete kurz durch, wie die Paarungen laufen mußten und kam auf fünfzehn auszutragende Spiele. Das konnte noch heiter werden! Irgendwie bekam er es hin, mit einem Zaubermalereikurs und einem Duellclub am Freitag Abend seine Freizeit total ausgeplant zu haben, aber so, daß er vor den Angeboten oder danach immer eine Stunde für Hausaufgaben hatte.

"Sind Sie auch in dem Schachclub, Professeur Faucon?" Traute sich Julius, eine Frage zu stellen, nachdem er die Liste unterschrieben hatte und an seine neue Hauslehrerin zurückreichte. Diese nickte.

"Ich bin zwar kein eingetragenes Mitglied hier, aber zwischendurch, wenn es meine Zeit erlaubt, nehme ich daran teil. Aber ich wundere mich nicht, daß Sie sich hier eingetragen haben. Sie haben sich als Mittelstufler angegeben? Das gestehe ich Ihnen nicht zu, Monsieur. Sie sind, wie beim Tanzen auch, mindestens Fortgeschrittener der Stufe 1, wenn nicht sogar 2. Ich korrigiere das für Sie."

"Mit dem Fortgeschrittenkurs Verwandlung, leiten Sie den?"

"Natürlich. Außer mir und Professeur Sebaldus Chariot gibt das hier ja keiner, und Chariot ist eher für die Klassen 1 bis 3 kompetent genug. Falls Sie mich jetzt fragen, wen außer meinen mir anvertrauten Schülern ich noch unterrichte: Die Bewohner des roten und des weißen Saales, aber eben nur die Klassen bis 3, danach alle Säle. Anders bekämen wir das Stundenaufkommen ja nicht in den Griff."

Julius erinnerte sich, mindestens 20, wenn nicht 30 Lehrer am langen Tisch gesehen zu haben. Er würde beim Abendessen genauer zählen. Er überlegte sich, ob er Professeur Faucon auf die Sache mit dem Einschrumpfungszauber ansprechen sollte, traute sich jedoch nicht so recht, weil er bangte, die Lehrerin könnte ihm das als Schwäche oder Aufbegeheren auslegen. Aber irgendwie merkte Professeur Faucon das, ohne genau zu erfassen, was Julius nicht aussprechen wollte. Sie sah ihn mit festem Blick an und sagte:

"Sie mögen vielleicht den Eindruck gewonnen haben, daß wir hier in Beauxbatons willkürlich Schüler zu drastischen Sachen anhalten, Monsieur Andrews, aber hinter diesen Maßnahmen steckt immer eine weitblickende Absicht. Nach dem Ferienunterricht, sowie im Privaten letztes Jahr, vermag ich Sie richtig einzuschätzen. Sie werden nicht unter der Ihnen aufgebürdeten Last zu Grunde gehen, sondern das Gewicht immer besser schultern. War es das, was Sie noch bedrückte?"

"Ungefähr", sagte Julius nur. Er wollte es nicht auf den Punkt bringen, daß er sich von Professeur Faucon derb mißbraucht gefühlt hatte.

"Dann wünsche ich Ihnen noch einen schönen Nachmittag!" Sagte die Lehrerin kühl. Julius nickte und verabschiedete sich. Er verließ das Büro und suchte sich über die allgemeinen Korridore und Treppen seinen Weg zur Bibliothek, wo er jedoch weit von Laurentine und Céline entfernt an einem Lesetisch arbeitete. Die beiden Mädchen sahen sich mehrmals nach ihm um und tuschelten. Julius verdrängte jeden Gedanken, sie würden über ihn reden und vertiefte sich in alle Hausaufgaben, für die er lesen mußte. Er lieh sich das Buch "Zauberkunst 4" aus, das Standardwerk hier, wo mehr praktische Beispiele enthalten waren und las sich das Kapitel über verschiedenfarbige Lichtzauber durch. Dabei grinste er, als er las, daß es auch den Spruch "Nigerilumos" gab, dessen Wirkung darin bestand, einen augenscheinlich schwarzen Lichtstrahl auszusenden, welcher jedoch alles, was er traf, im gegenteiligen Lichtverhältnis erscheinen ließ, wie das Negativ eines Fotos, erkannte Julius. Was rot erschien, erschien in diesem Schwarzlicht grün, was weiß war wurde schwarz abgebildet und schwarze Gegenstände erschienen strahlend weiß. Julius fragte sich, ob das sogenannte schwarze Licht nicht eher ein Licht- und Farbumkehrer war.

Mildrid Latierre kam mit ihrer Schwester in die Bibliothek, sah die beiden Drittklässlerinnen aus dem grünen saal am Tisch, dann Julius. Sie wandten sich um und kamen zu Julius.

"Dürfen wir uns zu dir setzen?" Fragte Mildrid. Julius sah die beiden Schwestern aus dem roten Saal an und wußte nicht, was er sagen sollte. So nickte er nur. Martine, die beinahe so groß war, wie der hoch aufgeschossene Edmond, setzte sich rechts von Julius hin und legte einen dicken Wälzer über Zaubertränke vor sich hin. Mildrid holte sich ein beschreibendes Buch für die Arithmantikaufgaben und setzte sich Julius gegenüber. Martine sah, daß Julius sich aus dem Zauberkunstbuch etwas notierte, wartete, bis er das Buch schloß und flüsterte:

"Wieso brauchtet Ihr für Zauberkunst den vierten Band? Ist Professeur Bellart plötzlich der Meinung, den für die dritte Klasse wegzulassen?"

"Nein, wir hatten es heute morgen nur von den einfarbigen Lichtzaubern, Mademoiselle Latierre", flüsterte Julius zurück.

"Du kannst mich beim Vornamen nennen, Julius. Außer Grandchapeaus Kronprinzessin nennt hier jeder jeden beim Vornamen, wenn er oder sie schon wem bekannt ist", sagte Martine. Dann fragte Mildrid im halblauten Ton:

"Wieso sitzt du nicht bei Céline und Mademoiselle Bin-keine-Hexe? Habt ihr euch verkracht? Das wäre aber heftig, gleich am ersten Tag."

"Unsere Sache", flüsterte Julius nur. Mildrid schien das zu genügen, zumal Martine warnend den Kopf schüttelte.

"Was immer es ist, ihr müßt das unter euch ausmachen", flüsterte die Saalsprecherin der Roten Julius zu. Dann schlug sie ihr Buch auf und vertiefte sich ins Lernen. Julius besprach leise mit Mildrid die Aufgaben und notierte sich dazu was. Dann brachte er das Zauberkunstbuch zurück und unterhielt sich mit Mildrid noch mal über den Teppich der Farben, weil über den in den Bulletins de Beauxbatons nichts drinstand. Mildrid verriet Julius, daß sie bei ihrer Auswahl fünf Schritte gebraucht hatte, um nur noch die roten, grünen und blauen Felder zu haben und dann nach dem sechsten Schritt eindeutig für den roten Saal zugeteilt wurde.

"Deine Freundin hat nur vier Schritte gebraucht, um zu den grünen zu kommen", flüsterte Mildrid noch. Julius fragte, wen sie meine.

"Komm, du willst mir doch jetzt nicht erzählen, daß du und Claire nicht schon zusammengefunden hättet."

"Millie, was soll das?" Mengte sich ihre Schwester ein. Julius erwiderte nur:

"Die Zukunft ist unerforschter Boden, weiter als alle Länder der Erde. Was jetzt ist, ist nur ein Augenblick, aus dem sich alles fügen kann und auch nichts."

"Ach du meine Güte! Ein Philosoph", bemerkte Martine, mußte jedoch anerkennend lächeln, weil Julius die Frage ihrer wohl neugierigen Schwester geschickt umgangen hatte.

"Was hast du außer Arithmantik noch genommen? Die Frage darfst du doch beantworten, oder?" Hakte Mildrid nach. Julius erzählte ihr, daß er alte Runen und Pflege magischer Geschöpfe genommen hatte.

"Ach dann haben wir wohl morgen früh zusammen, bei Professeur Armadillus. Der soll sehr kompetent sein. Er versteht sich vor allem auf magische Haus- und Nutztiere, hat aber auch viel über gefährliche Wesen zusammengetragen."

"Wenn der die riesigen Flügelpferde betreut, die eure Reisekutsche gezogen haben, muß das wohl stimmen", wandte Julius ein.

So vertrieben sich die beiden Drittklässler und die Saalsprecherin die Zeit bis zum Abendessen mit auflockernder Unterhaltung. Martine fand heraus, daß Julius sich für Zaubertränke begeisterte. Sie meinte nur:

"Unsere Saalvorsteherin hast du ja schon kennengelernt, habe ich erfahren. Hoffentlich lädt die dir nicht gleich zu viel auf, sodaß dir der Spaß vergeht", sagte Martine. Julius hoffte das auch.

Kurz vor sechs Uhr verließen alle Schüler die Bibliothek und wuschen sich die Hände in den allgemeinen Waschräumen. Auf dem Weg zum Speisesaal lief Julius Robert und Hercules über den Weg und geleitete die beiden zum Essen.

Wie am Abend zuvor mußten sich alle aufstellen, bis Madame Maxime um alle Tische herumgegangen war und sich an den Lehrertisch stellte. Sie begrüßte die Schüler, bekam im Chor eine Antwort von denen und gebot, daß sich alle setzen mögen.

Das Essen dauerte über eine Stunde, da wieder mehr als vier Gänge gereicht wurden. Julius ließ wieder den Gang mit den Schnecken aus, was Hercules zu der Frage trieb, ob er die schon probiert hätte, oder ob er grundsätzlich sowas ablehnte. Julius meinte dazu, daß er bei einer französischen Zaubererfamilie sowas schon probiert habe, aber sich nicht damit hatte anfreunden können.

"Was eßt ihr denn so abends?" Fragte Robert und ließ sich von Julius aufzählen, was es in England im allgemeinen und Hogwarts im besonderen zu essen gab. Robert verzog bei der Erwähnung halbroher Steaks das Gesicht und schüttelte auch den Kopf, als Julius das umfangreiche Frühstück erwähnte.

"Mit so viel im Magen, noch dazu ziemlich fettigem, kann doch keiner richtig lernen. Da lobe ich mir doch das Abendessen."

Als nach dem Essen alle von Madame Maxime mit dem Wunsch, noch einen erbaulichen Abend zu verbringen, entlassen worden waren, ging Julius mit den Jungen in den grünen Saal um seine Zauberschachfiguren zu holen. Der Club sollte um viertel vor acht beginnen. Außer ihm würde fast der ganze Saal, bis auf Virginie, Claire, Gaston und Hercules daran teilnehmen. So fügte es sich, daß um halb acht fast alle ihre Schachmenschen geholt hatten und etwas warteten, bis sie losgehen sollten. Céline, die sah, wie sich Julius weit ab postiert hatte, kam zu ihm herüber und sprach ihn an.

"Du hältst dich absichtlich von Bébé und mir fern. Das willst du doch nicht etwa die nächsten fünf Jahre durchhalten, oder?"

"Nur bis ich raushabe, wie ich mich hier anpassen soll und kann", sagte Julius. Céline zog ihn einfach von Claire fort, die Julius gerade verabschieden wollte, da der Club bis zehn ginge und die Drittklässler sehr sorgfältig zur Einhaltung der Bettzeiten angehalten wurden, was bedeutete, daß sie ihn wohl erst morgen Früh wiedersehen würde.

"Du klärst das heute noch mit ihr oder wirst immer auf der Flucht vor ihr sein", sagte Céline zu Julius. Dieser ging mit ihr mit, hinüber zu Laurentine. Diese nickte Julius zu und gebot ihm, sich noch mal hinzusetzen.

"Geht dir das immer noch im Kopf herum, daß die Faucon von dir verlangt hat, mich einzuschrumpfen?" Begann sie ohne Umschweife und Einleitungen. Julius nickte.

"Wenn du es nicht getan hättest, hätte die wen anderen angehalten oder es selbst gemacht. Du warst eben heute fällig, damit die dir und uns zeigte, daß du hier nicht besser oder schlechter bist, als wir anderen."

"Ach so siehst du das? Ich hatte er den Eindruck, die wollte mich vorführen, um dich einzuschüchtern. Ich kam mir ziemlich bescheuert vor, als sie mich anhielt, das mit dir anzustellen, Laurentine", sagte Julius.

"Magst du es nicht, vorgeführt zu werden?" Fragte Laurentine, und Julius hörte überhaupt keinen gehässigen oder vorwurfsvollen Unterton in dieser Frage.

"Nur dann, wenn ich selbst stolz auf das bin, was ich tuen kann. Ich wurde von meinen Eltern immer als der Sohn dargestellt, der mal so klug, so toll, so wichtig wie sein Vater würde. Dann kam ich nach Hogwarts, und damit war es vorbei. Ich habe gelernt, mich selbst zu suchen, nicht das, was andere von mir haben wollten. Im letzten Jahr jedoch kam ein Junge nach Hogwarts, der hat aus Angst vor seinen Eltern und aus eigener Ansicht alles verweigert, was er dort angeboten bekommen hat. Mich haben sie dann vorgeschickt, ihm zu zeigen, wie schön und wichtig das ist, wenn ein Muggelstämmiger Zaubern lernt. Der hat dann immer gemeint: "Widerstand ist zwecklos! Ihr werdet alle angepaßt!" Du kennst den Spruch vielleicht."

"Ja, kenne ich, Julius. So reden die Borg bei "Star Trek". Achso, und du wolltest nicht so aussehen, als hätten die dich angepaßt. Dann kamst du hierher und wurdest wieder vorgeführt, als der, den man bekehrt hat. Aber was ich mit meiner Zauberausbildung, falls man das so nennen darf mache, das kann dir doch völlig egal sein."

"Das ist ja der Punkt. Mir ist es völlig egal, ob jemand sagt, das es ihm oder ihr nichts bringt. Aber einige Lehrer meinen, mich hier auch noch vorführen zu müssen. Das, was Professeur Faucon heute mit mir gemacht hat, hat mich ziemlich heftig an diesen Spruch "Widerstand ist zwecklos" erinnert. Ich wollte das nicht tun, Laurentine. Ich hoffe, daß du das verstehen kannst."

"Das habe ich verstanden, als unsere werte Lehrerin dir gesagt hat, mich wieder zu vergrößern. Als sie dann erklärt hat, was los ist, habe ich zumindest begriffen, wieso du für dich das eingesehen hast. Ich persönlich sehe meine Zukunft nicht in der Zaubererwelt und lege es deshalb nicht darauf an, dafür was zu tun. Du kannst Tiere in andere Dinge verwandeln, was man erst ab einer bestimmten Entwicklungsphase schafft. Also hast du schon mehr Zaubertalent geerbt, als wir anderen sogenannten Muggelstämmigen. Doch für mich ist das unerheblich, ob die Faucon dich oder sonstwen dazu antreibt, mich zu verwandeln oder zu verfluchen oder sonstwas. Der und den anderen Lehrern sind wir völlig ausgeliefert, ihr und vor allem Professeur Fixus. Weder hasse ich dich dafür, daß du auch nur einer von uns anderen bist, noch mache ich dir Vorhaltungen, daß du dich hättest weigern sollen. Immerhin hast du ja Strafpunkte riskiert, daß du gezögert hast. Das wollte ich dir heute noch sagen. Aber du hast ja befürchtet, es dir mit mir verscherzt zu haben."

"Ich bin vielleicht nicht harmoniesüchtig oder lege es darauf an, mich mit allen gut zu stellen, Laurentine", begann Julius. "Aber wenn ich wider meinen Willen jemandem was tue und mir dessen Zorn oder Abscheu einhandele, dann trifft mich das schon heftig."

"Nachtragend darfst du hier absolut nicht sein", warf Céline ein. "Dann gehst du sicher zu Grunde."

"Also, um das noch mal zu klären, Julius: Weder ich, noch Céline, noch sonstwer macht dir wegen dieses Schrumpfzaubers noch irgendwelche Vorwürfe. Die Jungen haben sich doch ganz normal mit dir unterhalten. Wäre dem nicht so, dürftest du nur noch bei Edmond und Barbara sitzen, wie gestern abend. Ob ich hier alle Jahre durchstehe weiß ich nicht, aber du wirst hier wohl deinen Weg machen, Julius. Du bist einer von uns Grünen."

"Das beruhigt mich sehr, Laurentine", sagte Julius.

Das etwas untersetzte Mädchen stand auf, streckte Julius die Hand aus. Julius streckte seine Hand aus und ergriff die der muggelstämmigen Mitschülerin. Diese sagte:

"Du kannst mich auch Bébé nennen. Wenn die anderen das tun, darfst du das auch. Das wäre ja Blödsinn, wenn du in allem die Ausnahme sein solltest."

"In Ordnung, Laur..., ähm, Bébé", sagte Julius. Dann unterhielt er sich die verbleibenden Minuten, bis alle zum Schachclub gingen über seine und ihre Eltern.

"Stimmt das, daß dein Vater an Raketen baut?" Fragte Julius, froh, mal wieder über ein altes Lieblingsthema plaudern zu können. Laurentine erzählte ihm, daß ihr Vater bei der europäischen Weltraumbehörde angestellt war, um neue Raketentypen für den Satellitentransport zu testen und weiterzuentwickeln. Julius berichtete, daß er in den Ferien durch ein magisches Teleskop gestochen scharf einige Satelliten gesehen hatte und auch die russische Raumstation MIR. Laurentine, Bébé, fragte Julius, wie es denn so zuginge in einer echten Zaubererfamilie, womit sie die Kurve zurück zur Zaubererwelt bekam. Julius erzählte ihr nur in Auszügen, was er für belanglos genug hielt, daß es jeder wissen durfte. Céline nickte nur und meinte:

"Ich habe Bébé letztes Jahr eingeladen, mich mal zu besuchen und diesen Sommer auch, Julius. Aber ihre Eltern finden ja immer neue Ausreden, sie uns zu verderben." Laurentine grummelte nur, daß sie dafür nichts könne.

"Wohnt ihr auch in einem Zaubererdorf?" Fragte Julius. Céline sagte, daß sie in der Rue de Camouflage in Paris wohnten und wies darauf hin, daß er diese Straße sicher kennen müsse, wenn er sämtliche Zauberbücher für Beauxbatons bekommen konnte. Julius sagte dazu, daß er zwar wußte, daß dort auch Wohnhäuser waren, aber die nicht so sehr beachtet habe.

"Da geht es ja schon los", sagte Bébé. "Wir wohnen in Vorbach, an der französisch-deutschen Grenze, da wo die berühmte Sängerin Patricia Kaas herstammt, falls du die kennst, Julius. Von da nach Paris ist es ein gewisser Weg. Ich komme nur in die Zaubererstraße, wenn wir nach Straßburg fahren und uns anderen Zaubererfamilien anschließen, die mit uns in einer Fährensphäre reisen. Ich glaube sogar, daß es keinen mit gewöhnlichen Mitteln zugänglichen Weg dahin gibt."

"Leute, wir sollten los!" Rief Edmond. Barbara klatschte in die Hände. Dann sah sie sich um, sah die beiden Mädchen mit ihrem Klassenkameraden sprechen und sagte:

"Da er sein Schachspiel mithat, könnt ihr ihn gleich mitnehmen, Céline und Bébé. Mal sehen, gegen wen die ihn heute spielen lassen."

"Ach, da sehe ich keine Probleme, Barbara. Ich habe mich ja auf Mittelstufe eingetragen."

"Oh, dann kannst du gegen Millie Latierre oder Claude Muller spielen", sagte Laurentine. Barbara verzog jedoch das Gesicht.

"Wenn du dich getraut hast, dich niedriger einzustufen, als du spielen kannst, wirst du von Professeur Faucon noch was zu hören kriegen, Bursche. Die mag keine Tiefstapler, und dich kennt sie viel zu gut."

"Kühl runter, Barbara! Unsere Saalvorsteherin hat mich schon auf Fortgeschritten 1 oder so eingestuft."

"Na dann los", sagte Bébé und ging in Richtung ausgang. Claire wurstelte sich kurz noch einmal durch die Reihen, die zur magischen Tür drängten und wünschte Julius einen angenehmen Abend und eine gute Nacht. Julius erwiderte den Gruß inklusiv leichter Umarmung, was einige der älteren Jungen gehässig kichern ließ. Edmond räusperte sich zwar, schritt jedoch nicht ein. So ging die Mehrheit des grünen Saales hinunter zu einem großen Saal, wo viele kleine Tische standen, auf denen Schachbretter bereitstanden. Der vollbärtige Lehrer Paximus Betreute den Schachclub und begrüßte alle alten und neuen Mitglieder. Als er Julius namentlich erwähnte, glänzten seine Augen.

"Ich bin erfreut, den Sieger des diesjährigen Schachturniers zu Millemerveilles in diesen Räumlichkeiten begrüßen zu dürfen. Meine Kollegin Professeur Faucon wies mich darauf hin, Sie tunlichst nicht mit Spielern der Anfängerstufe spielen zu lassen. Wahrscheinlich hat man es Ihnen schon zugetragen, daß Langeweile in den altehrwürdigen Mauern von Beauxbatons nicht zulässig ist. Deshalb teile ich Ihnen heute als Gegnerin Mademoiselle Belle Grandchapeau zu. - Zur Allgemeinen Information: Heute Abend ist nur ein allgemeines Einspielen gedacht. Nächste Woche beginnt das über das ganze Jahr verlaufende Turnier, das in unsere sechs Spielstärkestufen untergliedert ist. Es wird interessant werden, wer dieses Jahr gewinnt, ein Mitglied der Schülerschaft oder ein Mitglied des Lehrkörpers."

Julius hörte nicht recht. Er sollte gegen Belle Grandchapeau spielen? Die war schon ziemlich gut, wußte der ehemalige Hogwarts-Schüler aus eigener Erfahrung. Doch Belle lächelte und trat zu Julius hin.

"Ich freue mich, Sie nun als Schüler unserer Lehranstalt begrüßen zu dürfen. Sehnlich habe ich eine Revanche unserer letzten Begegnung herbeigewünscht. So lassen Sie uns gleich anfangen, damit wir bis zum Saalschluß einen Gewinner ermitteln!" Sagte die Tochter des französischen Zaubereiministers, dessen Frau es ja gedeichselt hatte, daß Julius von Hogwarts nach Beauxbatons wechselte und daß seine Mutter bei Catherine wohnen konnte und wohl bald auch wieder Arbeit haben würde.

Das Spiel zog sich von acht Uhr bis kurz vor zehn. Julius verlor zwar, aber lieferte Belle einen guten Kampf. Sehr müde ging er mit den Jungen aus seiner Klasse zurück in den grünen Saal, wo er sich zur Nacht umzog und ins Bett legte. Es war genau zehn uhr, als Edmond prüfte, ob alle Drittklässler im Bett lagen. Als dem so war, wünschte er noch eine gute Nacht. Julius wies ihn darauf hin, daß er am nächsten Morgen vielleicht wieder am Frühsport teilnehmen würde, wenn er früh genug aus dem Schlaf fände. Edmond meinte:

"Jetzt bin ich darauf gefaßt. Nacht zusammen!"

Julius wartete einige Minuten, die er sich wach hielt und las dann im Schutze von zugezogenen Vorhängen unhörbar und unsichtbar im Licht seines Zauberstabes, was Catherine Brickston und Eleonore Delamontagne geschrieben hatten. Catherine schrieb:

Hallo, Julius!

Ich freue mich, daß du gut in Beauxbatons angekommen bist und war sehr froh, zu lesen, daß du im grünen Saal wohnen wirst. Sicher wirst du es nicht einfach mit meiner Mutter haben. Aber bedenke immer, daß du daraus mehr Vorteile als Nachteile ziehen wirst. Wenn sie dir Sachen aufgibt oder vor allen anderen abverlangt, die dir unangenehm, ja unmenschlich erscheinen mögen, so wird sie dies deshalb tun, weil sie davon überzeugt ist, daß du darunter nicht leiden wirst, zumindest keinen Folgeschaden erleiden wirst. Was mich anging, so war es allen offenkundig, daß ich mit Professeur Faucon verwandt war. Mich hatte der Teppich damals in den weißen Saal geschickt. Das habe ich dir ja nie erzählt, weil ich dachte, es würde für dich nicht wichtig sein.

Du bist nicht mit Maman verwandt. Auch wenn alle anderen wissen mögen, daß du einen Großteil der Ferien bei ihr gelernt hast und über mich mit ihr in Beziehung stehst, wirst du nicht in ihrem Schatten bleiben.

Nathalie hat mir heute geschrieben, daß deine Mutter demnächst in ihrer Abteilung anfangen kann, als nichtmagische Außenarbeitsbeauftragte, schwerpunktmäßig Fernverständigungsverfahren. Eine Computerexpertin ist für uns sehr wichtig, da in der Zaubererwelt sowas nicht gelehrt wird. Insofern werden sich Joe und deine Mutter nicht in die Quere kommen, wie Joe ursprünglich gemeint hat. Ich habe ihr ebenfalls das Sprachlernbuch von Babel und Polyglosse besorgt, da dies nach Absprache auch von Muggeln benutzt werden darf, sofern das Buch immer in einem Zaubererhaushalt bleibt.

Ich wünsche dir einen guten Einstieg in Beauxbatons!

          Catherine Brickston

 

Julius nahm den Brief von Madame Delamontagne und las:

Hallo, Julius!

Ich erfuhr gestern abend noch per Expresseule von Blanche, daß du in ihrem Saal gelandet bist, wo auch Virginie wohnt. Ich bin nun beruhigt, daß ein kultivierter und talentierter junger Zauberer wie du in einer seinen geistigen Anforderungen zuträglichen Umgebung untergekommen ist. Sicher weiß ich sehr wohl, daß du gerne wieder nach Hogwarts zurückgekehrt wärest, wo deine Schulfreunde auf dich gewartet hätten. Aber nicht immer kann man das tun, was einem Vergnügen bereitet, sondern muß die Anforderungen des Lebens, wichtige Grundlagen für die Zukunft, in Kauf nehmen. Da du ja, wie Camille mir nach eurer Abreise mitteilte, mit ihrem und Florymonts Segen deine Freundschaft mit Claire offenbart und ihre Freundschaft angenommen hast, bin ich auch davon überzeugt, daß du im grünen Saal immer jemanden haben wirst, der dir über die gewiß noch bestehenden Phasen des Heimwehs oder der Einsamkeit hinweghelfen wird. Wir, also Camille, Blanche und ich, ermutigen dich auch, mit deinen Freunden aus England weiterhin Kontakt zu halten und sie nicht zu vergessen. Denn Freunde, egal wo sie sind, sind wertvoller als Berge von Gold und Wissen.

Ich gehe stark davon aus, daß du ohne Zutun von Blanche im Beauxbatons-Schachclub mitmachen wirst und freue mich bereits auf eine erneute Partie. Deine Mutter hat übrigens signalisiert, daß sie auch gerne wieder gegen mich antreten möchte, sofern ich die Zeit finde, Catherine in Paris zu besuchen, da es umgekehrt ja etwas schwieriger ist, daß deine Mutter nach Millemerveilles kommt.

Ich wünsche dir für deine Zeit in Beauxbatons alles gute, nützliche und auch erfreuliche.

          Eleonore Delamontagne

Julius grinste, obwohl die Briefe ja nicht komisch oder belustigt geschrieben waren. Madame Delamontagne hatte ihren Willen bekommen, ihn doch nach Beauxbatons zu befördern, ohne ihn dazu zwingen zu müssen. Sie freute sich sichtlich darüber, selbst wenn der förmliche Schreibstil das nicht direkt verriet. Catherine half seiner Mutter. Offenbar hatte Madame Grandchapeau ihretwegen eine neue Arbeitsstelle geschaffen, vielleicht wegweisend für Muggel, die mit der Zaubererwelt in Kontakt kamen. Er steckte die Briefe fort und löschte das Zauberstablicht. Dann drehte er sich um und schlief ein.

Du musst dich anmelden (anmelden) um ein Review abzugeben.
Disclaimer: All publicly recognizable characters, settings, etc. are the property of their respective owners. The original characters and plot are the property of the author. No money is being made from this work. No copyright infringement is intended.

Bad Behaviour hat in den letzten 7 Tagen 95 Zugriffe blockiert.