Es war noch eine Woche bis zum letzten Quidditchspiel vor Weihnachten, wo Weiß gegen Violett antreten würde. Der vierte Dezember brachte morgentlichen Nebel, der mit eisig feuchten Fingern alle streichelte, die in der vorwinterlichen Dunkelheit um das Quidditchfeld liefen. Julius fröstelte es etwas, obwohl die Temperatur weitaus höher war, als sie in England zu dieser Jahreszeit lag. Doch durch die Übungen mit dem Schwermacher und das Lauftraining konnte er sich etwas aufwärmen. Die Montferres, die sich gegenseitig hochstemmten, um die Wette liefen und viel Gymnastik trieben, blickten zwischendurch mal herüber. Als die von Barbara angesetzte Übung zu Ende war, kam die Saalsprecherin der Grünen zu Julius und sagte:
"Die Fünfundzwanzig-Minuten-Frist kannst du nun gut aushalten. Wahrscheinlich kriege ich das noch mit, daß du am Ende des Schuljahres bei dreißig Minuten Belastungszeit angekommen bist. Ab da solltest du aber nur diese Zeit durchhalten, eben wegen der Überbelastungsrisiken. Aber deine Schnellkraftübungen sind phänomenal. Leider haben die ja das Teleportal für fünf Monate zugemacht, sonst könnten wir wieder Wasserübungen machen. Was macht ihr heute im Kräuterkundekurs?"
"Himmelstrinker, Pluviamica bibiflora, auch Unwetterblumen genannt. Madame Dusoleil hat die in ihrem eigenen Garten. Die haben bei dem Gewitter vor dem Besuch von Madame Unittamo die Kelche geöffnet", erwiderte der ehemalige Hogwarts-Schüler. Barbara nickte. Dann fragte sie:
"Kannst du mir sagen, ob da was dran ist, daß man abgebrochene oder abgeschnittene Kirschbaumzweige tatsächlich noch mal zum blühen bringen kann, wenn man sie in einem warmen Raum in eine Vase mit Wasser stellt?"
"Hups! Hat dir wer das geschrieben?" Fragte Julius.
"Eine Großtante von mir, Philomena, die in Italien wohnt, hat mir gestern mit der Eulenpost drei Kirschbaumzweige geschickt und geschrieben, ich sollte die ab heute in einer Vase mit Wasser aufbewahren, dann würden die zu Weihnachten blühen und das ohne Zauberei."
"Hmm, das kann ich so nicht sagen. Könnte nur daran liegen, daß die Zweige nicht ganz tot sind und die Wärme und das Wasser sie austricksen, es wäre schon Frühling und ... Auua! Könnte es sein, daß deine Tante katholisch getauft und erzogen wurde? Die haben es da nämlich mit den Namenstagen", erwiderte der Drittklässler aus England.
"Könnte hinkommen. Ach, wußte nicht, daß ich heute Namenstag habe. Wir sind nämlich Gallokeltisch geweiht, nach uralter Druidensitte. Wir kennen zwar die christliche Lehre, halten es aber eher mit den Ritualen der alten Druiden."
"Ja, und ich wurde anglikanisch erzogen. Aber ich kenne von meiner Grundschulzeit einen Jungen, der aus Schottland rübergekommen ist und dessen Vater Bergmann ist, also einer, der unter der Erde nach Bodenschätzen sucht. Die verehren eine heilige Barbara als Schutzpatronin, und deren Tag ist ... heute."
"Soso", gab Barbara Lumière lächelnd von sich. "Dann werde ich das mal ausprobieren, ob das was gibt mit den Kirschbaumzweigen. Aber warum schreibt mir meine Großtante das dann nicht?"
"Weil das für die klar ist", sagte Julius.
"In Ordnung, Julius. Dann wollen wir mal wieder zurück in unseren Saal", legte Barbara fest und nahm Julius beim Arm. Sabine Montferre lief locker an ihnen vorbei und grüßte die beiden Schüler aus dem grünen Saal.
"Hallo, Barbara, hallo Julius! Herrliches Wetter heute! Hoffentlich kommt keiner auf die Idee, die Autonebulation auszuprobieren."
"Bloß nicht", sagte Barbara nur. "Da hat sich vor zwei Jahren doch einer von den Blauen total verheddert, weil er meinte, sich in diesem Dunst gut verstecken zu können und mußte von Schwester Florence wieder resolidiert werden, weil er in den Nebelschwaden total bewegungsunfähig war."
Autonebulation war die hohe Kunst der Selbstverwandlung, sich in eine bewegliche Nebelwolke aufzulösen. Julius hatte dies in den Tagen, wo er durch den üblen Scherz von Jasper van Minglern Belles Zwillingsschwester war im Unterricht der siebten Klasse mitbekommen dürfen. Deshalb grinste er, wenn er sich vorstellte, wie jemand diesen Zauber ausprobierte, um sich im natürlichen Frühnebel verstecken zu können.
"San und ich haben uns heute ziemlich gut drangsaliert", meinte Sabine noch. "Gut, daß wir nach dem Frühstück keinen Freizeitkurs haben."
"Tja, das kann passieren", erwiderte Barbara schnippisch. Dann kehrte sie mit Julius in den Palast zurück und suchte den grünen Saal auf.
Der Samstag verlief wie viele davor. Der Kräuterkundekurs war anstrengend aber interessant. Julius heimste 20 Bonuspunkte ein, weil er aus dem Kopf beschreiben konnte, wie schnell sich Himmelstrinker öffnen und schließen konnten. Jeanne bekam 20 Punkte, weil sie die genaue Wachstumsperiode dieser nützlichen Blumenpflanze erläutern konnte. Nachmittags nahmen Claire und Julius am Tanzkurs teil, wo sie Abwandlungen des Musettewalzers kennenlernten. Während eines Übungsliedes fragte Julius:
"Du fährst über Weihnachten auch nach Hause?" Seine Klassenkameradin und erste richtige Freundin nickte und erwiderte mit warmem Lächeln:
"Du kannst doch mal mit deiner Maman zu uns rüberkommen. Dieser Muggelbannhemmtrank, den sie bei ihrem Besuch zu deinem Geburtstag getrunken hat, ist ja nicht so teuer. Ich denke, Madame Brickston und Madame Delamontagne können das hinbiegen, daß sie mit dir nach Millemerveilles kann. Vielleicht kommt ihr ja alle, Madame Brickston, ihr Mann, Babette, deine Maman und du."
"Dann müßten wir ja bei Caros Eltern wohnen, wenn wir alle fünf rüberkommen", sagte Julius, ohne Takt und Schrittfolge zu vernachlässigen, während aus magischer Quelle ein beschwingter Walzer durch den Raum klang und Madame Nurieve die Teilnehmer mit aufmunternden oder tadelnden Worten bedachte.
"Du wirst doch wohl nicht glauben, Maman ließe euch in einem Gasthaus wohnen, wo sie Gästezimmer hat. Babette könnte ja bei Denise schlafen, Catherine Brickston und ihr Mann schlafen im Wiesenzimmer und deine Maman und du im Waldlandschaftszimmer. Klär das ruhig ab!" Sagte Claire Dusoleil sehr bestimmt. Julius nickte nur. Claire Dusoleil hatte manchmal eine Art drauf, einfach festzulegen, was er tun oder lassen sollte. Doch hier war nicht der richtige Platz, sich mit ihr darüber auszusprechen. So schluckte er diese vorbestimmende Anweisung und nahm sie hin. Wenn er nicht konnte, kam er eben nicht nach Millemerveilles. Außerdem wollte er mit seiner Mutter mal wieder richtige Muggelweihnachten feiern, mit Baum und Weihnachtsmusik aus der Stereoanlage. Vielleicht konnte er sogar seinen Vater und die übrigen Verwandten anrufen, um ihnen fröhliche Weihnachten zu wünschen, wie noch vor zwei Jahren. Ihn interessierte es viel mehr, wie seine Verwandten das hingenommen hatten, daß seine Mutter und er nicht mehr in London lebten als nur an seine Schulfreunde zu denken.
Nach dem Tanzkurs ging es zum Abendessen. Danach war Freizeit oder Hausaufgabenmachen angesagt. Im mit Tannenzweigen und Extrakerzen ausgeschmückten grünen Saal übten einige Schüler Musikstücke, so auch Julius, der mit Jeanne, Claire und Virginie ein Quartett spielte. Er beobachtete jedoch dabei, daß Céline und Laurentine in einer Ecke hockten und sich sehr leise miteinander unterhielten, dabei betrübte Gesichter machten, als wäre Weihnachten für sie kein Fest der Freude, sondern der Frustration. In einer Pause zwischen "Kleiner Weihnachtsmann" und "Maria durch ein Dornwald ging" fragte Julius Claire, ob was mit den beiden Klassenkameradinnen sei.
"Céline hatte doch vor zwei Tagen Streß mit ihrer großen Schwester, Julius. Die ist in letzter Zeit doch so merkwürdig drauf, total überempfindlich, mal wütend, mal total traurig, mal überglücklich. Vielleicht hat das was mit dem Körper zu tun."
"Normal ist das nicht, was Connie im Moment hat, Claire", wandte Jeanne leise ein. "Seraphine hat angedeutet, daß die sich wohl ziemlich unbeherrscht verhält und auch häufig irgendwelche Gleichgewichtsprobleme hat. Aber die hat wohl nichts ernstes, sonst wäre die schon längst bei Schwester Florence gewesen."
"Ja, und Seraphine, Deborah und Sixtus werden wohl aufpassen, daß keiner von denen was ausbrütet, wie ansteckende Krankheiten oder Essprobleme oder sowas. meine Mum hat mir schon mal erzählt, daß manche jungen Mädchen meinen, sich klapperdürr hungern zu müssen, um wie Models auszusehen, also Frauen, die neue Kleider vorführen."
"Mannequins, Julius. Du bist hier nicht in England", berichtigte Jeanne ihren jüngeren Saalkameraden und Gastbruder der letzten Sommerferien. "Hmm, das sollte Connie dann aber lassen, wenn die wirklich diese Sucht nach einem schlanken Körper hat. Das fällt nämlich irgendwann auf, und dann möchte ich nicht in Debbies oder Seraphines Haut stecken, wenn Schwester Florence das erst von Trifolio oder einem anderen Lehrer zugetragen kriegt. - Aber wir sollten uns nicht das Maul über Connie Dornier zerreißen. Das ist unfair."
"Ja klar", sagte Julius einsichtig nickend. Claire nickte auch, sagte aber nichts dazu.
"Zehn Minuten bis Saalschluß, Mesdemoiselles et Messieurs!" Rief Edmond Danton durch den Saal. "Die Drittklässler machen sich bettfertig!"
"Jawohl, Sergeant Sir!" Grummelte Julius nur und verabschiedete sich von Claire. Diese peilte, wo Edmond hinsah, stellte fest, daß sie mindestens zehn Sekunden unbeobachtet war und drückte Julius kurz an sich, schmiegte ihr Gesicht an seines und drückte ihm die üblichen Abschiedsküsse auf jede Wange. Auch Jeanne gab Julius zwei Wangenküsse, wie eine große Schwester und ließ ihn dann zu Hercules und Robert hinübergehen, die gerade ein Kartenspiel zusammenpackten, das Drachen, Feen, Nixen und Kobolde enthielt und Elementenreigen hieß. Julius hatte es nur zweimal ausprobiert, es aber für zu langweilig empfunden, weil es ja nur darum ging, möglichst viele Karten der vier Hauptelemente der Natur zu erobern, wobei Drachen Kobolde übertrumpfen oder Feen Nixen überflügeln konnten.
Um zehn Uhr abends lagen die Jungen der dritten Klasse in ihren Betten. Die gemalte Aurora Dawn, die in ihrem übergroßen Bilderrahmen saß, spielte noch ein Weihnachtslied auf einer warm klingenden Altflöte, bevor sie sich umwandte und nach rechts aus ihrem Bild trat.
__________
Weil Julius Andrews am Sonntag nichts zu tun hatte, vertrieb er sich seine Zeit nach dem Frühstück in der Bibliothek, wo er für die nächsten Unterrichtsstunden was las. Er war so mit einem Buch über natürliche Gegebenheiten in der Arithmantik befaßt, daß er nicht mitbekam, wie Deborah Flaubert durch die Tür der Bibliothek hereinkam und zielgenau auf ihn zusteuerte. Ihr folgte Seraphine Lagrange, die Saalsprecherin des weißen Saales, in dem Deborah wohnte. Julius' Pflegehelfergruppenkameradin sah den Drittklässler aus England und ging leise zu ihm hinüber. Seraphine folgte ihr. Erst als Julius die schmale Hand der zierlichen Fünftklässlerin auf seiner Schulter spürte, blickte er von seinem Buch auf.
"'tschuldigung, Julius, daß ich dich störe. - Ach, ihr habt es mit der Gewässersymbolik, sehe ich gerade. - Seraphine und ich möchten was mit dir besprechen, weil Seraphine wissen will, ob du zu demselben Schluß kommst, wie sie und ich. Können wir in den kleinen Leseraum?"
"Hmm, Debbie. Martine sitzt da mit ihrer Schwester. Offenbar hat die da was mit ihr zu klären. Ich weiß nicht, ob wir die stören dürfen."
"Hmm, wenn Martine dabei wäre, wäre das nicht so unpraktisch", meinte Deborah Flaubert leicht gehemmt klingend, als müsse sie ein sehr wichtiges Problem mit großer Anstrengung verschweigen, obwohl sie es doch so schnell wie möglich erklären wollte.
"Ich kläre das", bot Seraphine an und ging ohne weiteres Wort zu einer kleinen Holztür, hinter der sich ein Raum befand, in dem bis zu zehn Schüler sich um einen Tisch setzen konnten, um gemeinsam zu lesen und zu arbeiten. Sie kam nach einer Minute mit Mildrid Latierre zurück, die sichtlich froh wirkte, aus dem Raum kommen zu dürfen. Sie zwinkerte Julius zu, dann verließ sie die Bibliothek.
Seraphine winkte Debbie Flaubert und Julius, in den kleinen Leseraum zu kommen. Deborah wirkte leicht angespannt, als würde sich in wenigen Minuten ihr Schicksal entscheiden, vermutete Julius. Sie gingen schweigend in den Raum hinüber, der ein beidseitiger Klangkerker war. Also drangen weder Geräusche von drinnen nach draußen, noch von draußen nach drinnen. Dies war bei der Gründung von Beauxbatons extra so eingerichtet worden, wußte Julius aus den Bulletins de Beauxbatons, der Schulchronik. Als die Tür sich geschlossen hatte, begrüßte Julius die hochgewachsene Martine Latierre, die in ihrem eleganten Schulmädchenkostüm auf einem der bequemen Stühle saß und gerade zwei Pergamentrollen in ihre rote Drachenhauthandtasche steckte.
"Ihr habt Millie einen großen Gefallen getan, mich zu bitten, mit euch alleine zu reden. Ich hoffe für euch, daß es wichtig ist", sagte Martine mit leicht ungehaltener Stimme und blickte die beiden Junghexen und den Zauberschüler warnend an. Julius trug eine unschuldsvolle Miene zur Schau. Er hatte ja nicht um dieses Gespräch gebeten. Er setzte sich rechts neben Martine. Der Stuhl war noch warm. Millie mußte eben noch darauf gesessen haben.
"Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll", begann Deborah, nach dem eine halbe Minute ohne gesprochenes Wort verstrichen war. "Ich fürchte, mit Connie, ähm, Constance Dornier ist was nicht in Ordnung. Die ist in den letzten Wochen so merkwürdig geworden. Die ist leicht reizbar. Dann ist sie wieder unheimlich anhänglich, ja irgendwie Schutzbedürftig. Außerdem hat sie fast jeden Morgen irgendwelche Magenprobleme und Schwindelanfälle."
"Hups!" Machte Julius und verfiel in eine nachdenkliche Haltung. Martine sah die Fünftklässlerin lauernd an und fragte:
"Wie lange geht das genau?"
"Hmm, das ist seit den letzten Oktobertagen immer heftiger geworden. Sie hat mir aber erzählt, daß das wohl das Wachstum ist und die weiblichen Mitglieder ihrer Familie das alle im Herbst hätten. Ich wollte ja schon vor drei Wochen zu Schwester Florence gehen, sie zu mindest anrufen. Aber Connie hat mir gedroht, mich zu verfluchen, wenn ich ihr was sage. Sie will nicht, daß sie aus der Quidditchmannschaft ausgeschlossen wird, wo nächste Woche doch das Spiel gegen die Violetten ist. Sie meint, sie bekäme dann, wenn wir gewinnen den Ganymed 10 von ihrem Vater."
"Sag mal, hattest du Petersilie in den Ohren, als Schwester Florence uns instruiert hat? Wir sind dazu da, uns und auch die anderen gesund zu halten. Wenn was mit Constance Dornier ist ...", wetterte Martine Latierre los und sah Deborah sehr verbittert an.
"Mann, Martine, die wohnt mit mir im selben Schlafsaal und ist 'ne gute Freundin von mir", versetzte Deborah Flaubert gereizt wie eine getretene Katze.
"Mädchen, pass auf, mit wem du dich anlegst!" Drohte Martine und straffte sich über ihre ohnehin schon imponierende Größe. "Du hast mich genauso zu respektieren wie Seraphine", stellte sie dann noch klar und deutete auf die goldene Brosche, die über ihrer linken Brust an der Bluse befestigt war. Julius sah zu Seraphine, die nickte und ihn dann erwartungsvoll ansah, als müsse er nun was wichtiges sagen. Er fragte Deborah:
"Mal abgesehen von der Sache mit uns Pflegehelfern, Debbie: Ist da sonst noch was mit Constance Dornier? Ißt sie genug? Ißt sie weniger als üblich oder vielleicht sogar mehr?"
"Hmm, die futtert langsam immer mehr. Ich habe sie mal dabei erwischt, wie die einen kompletten Schokoladenkuchen in fünf Minuten verputzt hat. Sie meinte, das sollte ich bloß keinem sagen, weil sie den wohl heimlich organisiert hat."
"Von den Küchenelfen", wandte Martine leicht empört klingend ein. "Die rücken aber auch jedem was zusätzliches raus."
"Hmm, die ißt also mehr als üblich. Was ißt die denn sonst außer Schokoladenkuchen? Wurstbrot mit Marmelade, Eis mit Schinkenstückchen oder Gurken mit Schokoladenbröseln?" Fragte Julius, dem da was schwante. Seraphine nickte ihm zu. Deborah guckte verdutzt.
"Das gibt es doch nicht. Wie kommst du denn auf das? - Die hat vor einer Woche ein Stück Tunfischpastete mit Erdbeersoße gegessen. Ich fand das widerlich. Aber die meinte, ihr würde das schmecken."
"Ach du meine Güte", erwiderte Julius, der sich zu gut bestätigt fühlte. Seraphine sah Martine an, die den ehemaligen Hogwarts-Schüler ansah, sehr merkwürdig, aber irgendwie beeindruckt.
"Echt Gut gemacht, Mademoiselle Flaubert. Das erzählst du uns jetzt erst?" Fragte Martine.
"Nachdem ich Constance gestern nachmittag vom Quidditchfeld jagen mußte, weil sie sehr gefährlich auf ihrem Besen gewackelt hat und überdies sehr angeschlagen wirkte, total unter Form. Da habe ich die Mademoiselle hier bildlich gesprochen beim Kragen gepackt und ausgefragt, was sie mir dazu zu sagen hätte. Ich finde das ein starkes Stück, wie unverantwortlich Connie mit ihrem Körper umging und daß sie Debbie so gut einschüchtern konnte, daß sie nicht sofort zu mir kam", wandte Seraphine ein.
"Für Schuldzuweisungen dürfte das jetzt wohl zu spät sein", knurrte Martine. Dann sah sie Deborah sehr streng an, wie ihre Saalvorsteherin Professeur Fixus, musterte sie von oben bis unten und zischte zornig:
"Ich hoffe, dein Freundschaftsdienst wird dir noch gedankt, wenn Connies Enkelkinder in dich reinwässern, wenn Schwester Florence dich zum elften Prunkstück ihrer Sammlung macht. Zumindest dürfte bald wer neues in Beauxbatons ankommen."
Deborah weinte unvermittelt los. Martine ließ das kalt. Seraphine lief wutrot an und fauchte:
"Taktvoller ging's nicht, häh? Sie hat sich von Connie bequatschen lassen. Das kann passieren. Connie hat das zu verantworten, nicht Deborah. Aber ich muß Trifolio das melden. Julius, was denkst du also zu dieser Situation?"
"Wie ich es Céline beibringen soll, daß da demnächst wer "Tante" zu ihr sagt", gab Julius etwas zu platt von sich. Martine legte ihm die rechte Hand auf die Schulter, stark, zur Vorsicht oder zur Anerkennung.
"Das ist der Punkt", sagte die Saalsprecherin der Roten. Und zu Deborah gewandt, die immer noch in Tränen aufgelöst dasaß: "Mädel, hat dir deine Mutter denn nichts über die weiblichen Körperfunktionen erklärt? Das ist aber sehr unverantwortlich."
"Mann, hör doch auf!" Quängelte Deborah Flaubert.
"Seraphine, ich denke mal, du solltest deiner Superspielerin den dringenden Rat geben, sich sofort bei Schwester Florence einzufinden. Nicht, daß sie da noch was drehen könnte, wenn das schon solange geht. Aber das muß jetzt auf den Tisch. Wir drei werden uns vorher mit ihr unterhalten."
"Nein, bitte nicht", jammerte Deborah, jetzt mit Angst in Stimme und Gesichtsausdruck. "Ich möchte nicht, daß Schwester Florence mich verhext."
"Hättest ddu dir früher überlegen sollen", knurrte Martine. "Vielleicht läßt sie dich ja wählen, was du werden willst. In diesem Fall bietet sich ja viel an, was benötigt wird."
"Also jetzt reicht's, Martine! Ich kann dir keine Strafpunkte geben. Aber ich lasse es mir auch nicht bieten, daß du hier meine Saalbewohnerin tyrannisierst. Ich würde mir da nämlich besser erst an die eigene Nase packen", sagte Seraphine mit hintergründigem Blick auf Martine. Diese zuckte nur mit den Achseln und erwiderte:
"Ich bin mir meiner Verantwortung sehr gut bewußt, Seraphine. Mehr mußt du nicht wissen. Dann geh mal und sage deiner Starjägerin, daß sie in fünf Minuten bei Schwester Florence anzutanzen hat. Wenn nicht lasse ich mir die Erlaubnis geben, sie höchstpersönlich aus eurem Saal zu holen, falls Schwester Florence das nicht besorgt, was dann heftiger sein dürfte! Ja, ich weiß, ich kann dir keine Anweisungen geben. Die Privilegien der Saalsprecher. Aber ich kenne Schwester Florence gut genug, um zu wissen, daß sie genau das erwartet, was ich dir gesagt habe."
"Deborah, da mußt du durch", sprach Seraphine auf ihre zwei Klassen niedrigere Mitschülerin ein. Diese wand sich, als würde sie gleich geschlagen, blickte mit tränenüberfluteten Augen zu Martine, die eine steinerne Maske wilder Entschlossenheit zeigte und zu Julius, der sich hier irgendwie total hilflos fühlte. Zwar wußte er nun, warum man ausgerechnet ihn zu dieser Unterredung hinzugeholt hatte, aber was er nun damit anfangen sollte, wußte er nicht.
"Deborah, Komm! Wir müssen das jetzt durchziehen", sagte die Saalsprecherin der Weißen, griff den linken Blusenärmel der jüngeren Pflegehelferin und zog sie sanft vom Stuhl hoch. Wortlos, nur noch mit zwei strafenden Blicken an Martines Adresse, verließ Seraphine mit ihrer Saalgenossin den kleinen Leseraum. Julius wollte schon aufstehen, da er dachte, die Sache sei für ihn nun erledigt. Er wälzte bereits Gedanken, ob und wie er wem was davon erzählen sollte. Doch Martine ließ ihn nicht einfach abziehen.
"Wir rufen Schwester Florence sofort an und schlüpfen zu ihr hin. Seraphine hat dich in diese Frauenrunde geholt, weil du bei Madame Matine ausgebildet wurdest und Jeanne und sie wissen, was du bei ihr alles gelernt hast. Ich weiß, daß dir das jetzt peinlich sein muß. Aber wenn du nicht an dieser Sache Mitschuld hast ..."
"Um Himmels Willen, ich habe doch nichts mit Constance Dornier", wandte Julius total entgeistert ein.
"Habe ich dir auch nicht unterstellt, Bursche. Ich habe dich beobachtet. Schuldig sahst du nicht aus. Außerdem hättest du ja gewußt, wie du das hättest verhindern können, nicht wahr? Aber das mit dem Marmeladenwurstbrot, ist das wirklich mal passiert?"
"Mein Vater hat aus Sympathie mitgekübelt, als meine Mutter sowas mal für mich mitgegessen hat, fünf Monate vor meiner Veröffentlichung", verfiel Julius in einen künstlich lockeren Sprachstil. Martine lachte. Dann meinte sie:
"Als Millie unterwegs war, muß meine Mutter auch merkwürdiges Zeug gegessen haben. Ich weiß nur, daß sie mit ihr unterm Umhang noch Besenfliegen geübt hat, ohne Quidditchbälle. Da sie das mit mir wohl auch gemacht hat, weiß ich heute, warum ich nicht in unserer Saalmannschaft mitspiele. Was wir damals mitgemacht haben, hält wohl für lange Zeit vor", plauderte Martine, nun wesentlich gelöster dreinschauend und sprechend. Dann legte sie Julius den Arm um die Schulter, zog ihn für eine Sekunde an sich und sagte:
"Wir kucken, ob die A-Gruppe schon mit ihrem Pensum durch ist und erstatten dann Bericht. Du gehst nicht in euren Saal zurück, bevor Schwester Florence nicht beschlossen hat, wie wir damit umgehen sollen."
"Und da kann man nichts mehr regeln. Bei den Muggeln ... Mmmm!" Sprach Julius, konnte seinen Satz aber nicht mehr zu Ende bringen, weil Martine ihm die Hand auf den Mund legte.
"Du willst doch keine fünfzig Strafpunkte haben, weil du, ein Pflegehelfer, eine ungeheuerliche Verwerflichkeit auch nur gedacht hast. Bei den Muggeln werden unschuldige Kinder ermordet, wenn die Eltern sie nicht haben wollen. Das weiß ich. Aber sag sowas nie laut, am besten denk es auch nicht, wenn Schwester Florence in der Nähe ist! Du könntest sonst vielleicht mit Deborah zusammengestellt werden und das traurige Dutzend vollmachen."
"Dann wäre ich lieber ein Wickeltisch oder eine Wiege", erwiderte Julius angewidert. Dann kam ihm ein verrückter Gedanke: Konnten in tote Gegenstände verwandelte Hexen und Zauberer sich untereinander verständigen, vielleicht durch diesen Mentiloquismus, von dem Professeur Faucon Belles UTZ-Klasse erzählt hatte, wo er selbst Rock und Bluse getragen und mit geübt aufgetragener Schminke im Gesicht neben Belle gesessen hatte. Irgendwie weckte dieser Gedanke eine Mischung aus Unbehagen und Faszination in ihm.
"Das kannst du Schwester Florence ja vorschlagen, wenn sie ihren Zauberstab auf dich richtet, Bursche. Aber jetzt sollten wir sehen, daß wir sie informieren."
Martine rief über ihr Pflegehelfer-Armband die Schulheilerin und fragte sie, ob sie mit der anderen Gruppe schon fertig sei, weil es etwas wichtiges gäbe. Die Heilhexe in der weißen Schwesterntracht, die als nichtstoffliche räumliche Abbildung vor martine und Julius schwebte, erwiderte:
"Es handelt sich nicht zufällig um Constance Dornier. Monsieur Darodi druckste herum, daß da was wäre, was er mir erzählen müsse und es hätte was mit dieser Dame zu tun."
"Volltreffer", sagte Julius unbedacht laut. Martine räusperte sich und bestätigte korrekt, daß es eben um dieses Mädchen ginge. Dann bekamen sie beide den Auftrag, den nächsten Wandschlüpfdurchgang zu ihrem Büro zu benutzen. So verließen die Saalsprecherin der Roten und der frühere Hogwarts-Schüler die Bibliothek und schlüpften durch einen besonders bezauberten Abschnitt der Wand vor dem Eingang und landeten keine Sekunde später im Büro der Heilerin vom Dienst. Sie verabschiedete gerade die fünf Pflegehelfer, die heute ihren Formhaltungskurs gehabt hatten. Nur Sixtus und Jeanne behielt sie zurück, während Sandrine, Gerlinde und Josephine durch die ihrer Saalfarbe entsprechenden Mauerabschnitte verschwanden.
"Dann ist da doch was dran, daß Connie Dornier sich was eingehandelt hat?" Fragte Jeanne Julius leise, während Martine Madame Rossignol mitteilte, daß Deborah, Seraphine und Constance bald eintreffen würden. Julius nickte. Unvermittelt überkam ihn jenes achso gut vertrieben geglaubte Frechheitsteufelchen, daß ihn früher häufig zu gemeinen Sprüchen oder Streichen getrieben hatte. Er sagte mit verschmitztem Grinsen:
"Jau, hat sie, Jeanne. Oder sollte ich besser "jemanden" sagen, der sich von ihr rumtragen läßt und für den sie mitessen und -trinken muß."
"Wie? Das kann doch nicht dein Ernst ... Offenbar doch", knurrte Jeanne, als sie sah, daß Schwester Florence sehr verärgert dreinschaute, immer wieder die Hände rang und dann zu Julius sagte:
"Du und Jeanne hattet bei meiner werten Kollegin Hera Matine euren Ersthelferkurs. Wenn sich rausstellt, daß die beschriebenen Symptome tatsächlich eine unerlaubte Schwangerschaft zur Ursache haben, könnt ihr euch darauf einstellen, daß ich euch eventuell gesonderte Aufgaben zuteile, falls die törichte Mademoiselle nicht wegen grober Verletzung wichtiger Schulregeln der Akademie verwiesen wird. Aber dann wird auch der junge Mann mitgehen, der die andere Hälfte der Schuld auf sich geladen hat. Zumindest kann ich nicht behaupten, daß es in diesem Jahr langweilig hier ist."
"Wenn die nicht erzählt, wer das war, Schwester Florence", wagte Julius einen Einwand.
"Dann hole ich Professeur Fixus oder gebe ihr Veritaserum. Der Bursche kommt da nicht ungeschoren weg. Aber mit der Mademoiselle Flaubert werde ich mich noch mal ganz intensiv unterhalten müssen", knurrte die Heilerin. Ob absichtlich oder unabsichtlich, das wußte Julius nicht zu sagen. Doch kurz fiel der Blick der Heilerin auf das große Regal mit den zehn Reihen ineinandergestapelter Bettpfannen. Irgendwie kam das Julius wie eine angedeutete Hinrichtung vor.
Nach vier weiteren Minuten kamen Seraphine, sichtlich geladen, ein total entrüstet dreinschauender Professeur Trifolio, eine vollkommen verängstigte Deborah Flaubert und eine trotzig und gereizt wirkende Constance Dornier herein. Julius hatte die Quidditchspielerin der Weißen, Célines Schwester, bis her noch nicht aus solcher Nähe gesehen. Sie war bestimmt schon einen Meter siebzig hoch, genauso schmal wie Céline und besaß dieselben dunkelgrünen Augen und dasselbe nachtschwarze Haar wie ihre jüngere Schwester, die in Julius' Klasse war. Sie sah alle mit einer Mischung aus Schuld und Trotz an. Als sie Julius sah, grinste sie gehässig. Dann blickte sie Martine Latierre an, voller Verachtung, als sei sie diejenige, die ihr diese Sache eingebrockt hatte. Doch als sie der Blick von Schwester Florence traf, schien sie in sich zusammenzufallen.
"Was habe ich jedem und jeder von euch am Anfang eurer Schulzeit erzählt?" Fragte die Heilerin mit sehr strenger Stimme sprechend. Constance gab keinen Ton von sich. "Ich sagte euch allen, daß ihr gefälligst sofort zu mir kommen sollt, wenn ihr was habt. Ich habe für euch hier die Verantwortung, was die Gesundheit angeht, Mädchen! Ich stehe dafür gerade, daß hier niemand über Gebühr krank oder anderweitig körperlich beeinträchtigt ist! Was fällt dir ein, Wochen lang herumzulaufen, wo du genau gemerkt hast, daß mit dir irgendwas passiert ist? Antworte!"
"Das sage ich nicht", stieß Constance trotzig aus und sah wieder zu Julius. Professeur Trifolio blickte den aus Hogwarts übergewechselten Schüler fragend an und sah dann Schwester Florence an. Diese deutete auf Julius und machte einen beruhigenden Gesichtsausdruck. Der Sallvorsteher der Weißen nickte auch und setzte sich auf einen der freien Stühle. Auch die übrigen setzten sich hin, außer Connie Dornier, die stehen blieb. Deborah mied den Blickkontakt mit den übrigen Hexen und Zauberern.
"Gut, daß du stehst, Constance. Du darfst dich gleich auf den Untersuchungstisch legen, damit wir das sofort klären, was mit dir los ist", sagte die Heilerin. Constance grinste nur blöde, als wäre das doch dem dümmsten Idioten klar. "Bis auf die Mademoiselle Flaubert und die Mademoiselle Dusoleil verlassen bitte alle den Behandlungsraum, solange ich die Untersuchung vornehme. Aber keiner, Kei-ner, verläßt den Krankenflügel, ohne von mir entlassen zu werden!" Befahl die Heilerin und sah vor allem Julius und Sixtus an. Martine ergriff Julius' Hand, Seraphine ergriff Sixtus' Hand. Professeur Trifolio sah verstört auf die Heilerin, die Constance mit einer schnellen Bewegung beim Arm ergriff und zum Behandlungstisch hinüberzog. Dann verließen die nicht erwünschten aber zum warten angehaltenen Besucher den behandlungsraum und begaben sich zum Genesungsraum mit den Betten und Nachttischen. Julius fröstelte etwas, als er sich daran erinnerte, wie Belle Grandchapeau und er vier Nächte hier geschlafen hatten, als er zum vollkommenen Zwilling der Ministertochter verwunschen gewesen war.
"Sie mutmaßen, daß Mademoiselle Dornier verbotenen Geschlechtsverkehr mit einem anderen Schüler hatte und nun in anderen Umständen ist?" Fragte Professeur Trifolio peinlich berührt. Martine und Julius nickten. Sixtus bekam Augen groß wie Autoscheinwerfer, als das bei ihm ankam, was Trifolio gemeint hatte.
"Ich habe Julius extra gefragt, weil er bei Madame Matine, der Geburtshelferin, ausgebildet wurde, Professeur Trifolio. Sie hat ihm bestimmt genug von ihrem Fachwissen mitgegeben", sagte Seraphine. Martine grinste belustigt, bevor sie wieder ernst dreinschaute. Julius wußte nicht, was dieses Grinsen sollte. Ihm war im Moment nicht zum grinsen zu Mute.
"Nun, dies wäre ein sehr unerfreulicher Vorfall, ja geradezu ein Skandal, wenn dies sich bewahrheitet", seufzte der bohnenstangengleiche Kräuterkundelehrer, der einen leicht erdverkrusteten grünen Umhang trug. Dann berappelte er sich und fragte Julius aus, was genau er gelernt hatte. Julius, der im Moment meinte, hier nicht am richtigen Ort zu sein, mußte schlucken, bevor er die Frage beantwortete und auch erzählte, was seine Eltern ihm über die Zeit, wo er unterwegs war, berichtet hatten. Dann sagte Trifolio:
"O dies deckt sich dann doch mit meinen eigenen Beobachtungen. Allerdings, dies möchte ich nicht als Kritik an Mademoiselle Dornier verstehen, hat sie doch viel mehr rote Eigenschaften als weiße oder grüne, obwohl sie letztendlich in dem von mir betreuten Saal unterkam."
"Bei allem Respekt, Professeur Trifolio", wandte Martine ein, die sich offenbar zu einer Antwort berufen fühlte, "wir Bewohner des roten Saales wissen aber, wo Spaß aufhört und Ernst anfängt."
"Vielleicht wird's ja 'ne Ernestine", gab Julius einen leisen Kommentar zum Besten. Martine, die neben ihm saß, griff seinen Arm und sagte:
"Dafür muß ich dir zehn Strafpunkte geben, wegen ungehöriger Rede, Monsieur Andrews."
"Nehme ich an", sagte Julius. Der hoch aufgeschossene Zauberkräuterlehrer nickte Martine nur zu. Dann schwiegen sie. Von nebenan hörten sie zwischendurch Constances verbiestert klingende Stimme und mehrmals die Drohung, daß Deborah das noch bereuen würde. Dann hörten sie die Stimme Schwester Florences:
"V. I. Negativ, ungeborenes Kind, entwicklungsmäßig nach im dritten Monat in der Gebärmutter. Das muß ich der Schulleitung melden, Mademoiselle Dornier. Maneto!"
"Ach du großer Drachenmist", versetzte Sixtus. Trifolio und Seraphine räusperten sich. Der Lehrer kam Seraphine mit der Erteilung von Strafpunkten zuvor. Dann kam Jeanne Dusoleil aus dem Behandlungszimmer.
"Das ist tatsächlich so, wie ihr das schon vermutet habt", wandte sie sich kühl sprechend an Martine und Julius. "Wie bescheuert muß ein Mädel hier sein, sowas zu bringen?"
"Jeanne, du weißt doch noch, was meine Mutter und ich an meinem Geburtstag über Vernunft und Unvernunft gesagt haben", erinnerte Julius seine Sommerferiengastschwester an seine Feier, zu der zu seiner Überraschung auch seine Mutter gekommen war. Jeanne nickte. Dann sagte sie noch:
"Das ist eben, wenn Eltern ihre Kinder nicht früh genug aufklären Maman hat recht. Nur wer jung zur Oma werden will, verheimlicht ihren Kindern alles wichtige. Na, Julius, dann werden wir wohl nicht mehr gegen sie antreten dürfen."
"Das freut dich auch noch, wie, Jeanne", knurrte Seraphine. "Aber ich habe noch genug gute Jäger. Ich brauche keine Besenprinzessin, wenn die lieber vor den ZAGs Mutter werden wollte."
"Na die kann sie jetzt wohl vergessen, Seraphine", wandte Martine ein. Jeanne mußte nicken. Nur Trifolio schüttelte sanft den Kopf.
"Der Verweis von Beauxbatons wegen unerlaubten Beischlafs kann nur ausgesprochen werden, wenn ein Mädchen nicht dadurch in andere Umstände versetzt wurde. Der Mutterschutzparagraph des Familienfürsorgegesetzes verbietet nicht nur die nachträgliche Tötung ungeborener Kinder, sondern erzwingt die staatlich garantierte Betreuung der jungen Mutter, wenn sie nicht von ihrer Familie nachweislich korrekt betreut wird. Deshalb hat sich Mademoiselle Dornier wohl auch nicht so früh über ihren Zustand verbreitet, obwohl ihr das den Schulregeln nach auferlegt ist. Ich werde mit Madame Maxime darüber konferieren müssen. Allerdings muß noch geklärt werden, wer der Kindsvater ist. Diesen können wir nicht ungestraft durchkommen lassen."
"Öhm, in Beauxbatons kam doch schon einmal ein Kind zur Welt", erinnerte sich Julius an etwas, was Madame Matine ihm erzählt hatte. Professeur Trifolio schnaubte verärgert, mußte aber nicken.
"Der Kindsvater mußte gemäß den Schulregeln die Akademie verlassen und wurde aus der Zaubererwelt verbannt. Zum Glück war er ohne Zauberstab zauberunfähig. Die Mutter mußte aber ein volles Jahr wiederholen und konnte sich nur durch die Schulnoten Bonuspunkte erwerben. Sie kennen die Schulregel, die den Umgang zwischen Damen und Herren hier angeht, Monsieur Andrews?"
"Professeur Faucon hat es mir erzählt, und ich habe sie gelesen, Professeur Trifolio", bestätigte Julius.
"Sie und ihr dürfen und dürft jetzt wieder herüberkommen. Ich habe Madame maxime informiert. Sie wird in einer Minute hier erscheinen. In dieser Zeit werde ich Ihnen den Stand der Dinge darlegen", sagte die Schulheilerin.
Als sie alle wieder im Behandlungszimmer waren, sahen sie, wie Constance Dornier auf dem Behandlungstisch lag, jedoch vollständig bekleidet.
"Es ist der zweite Fall in diesem Jahrhundert, wo eine Schülerin dieser Akademie unerlaubterweise ein Kind empfangen hat", begann Schwester Florence. "Mademoiselle Dornier ist im dritten Monat schwanger. Offenbar meinte sie, ihren Zustand noch lange verbergen zu können. Wenn Madame Maxime hier ist, wird sie befinden, was zu geschehen hat. Da zur Zeugung eines Kindes zwei gehören, werde ich noch ergründen, wer der Vater dieses Kindes ist. Dieser wird wohl die Akademie verlassen müssen, so schlimm das auch ist."
"Hat er denn keinen Anspruch auf Mitbestimmung?" Fragte Julius, nachdem er sich durch Armheben Sprecherlaubnis erbeten hatte. Madame Rossignol schüttelte verhalten den Kopf.
"Wenn er minderjährig ist, hat er solange kein Mitbestimmungsrecht, bis er volljährig ist, sofern er dann noch als Mitglied der Zaubererwelt geführt wird. Merkt euch das wohl, Sixtus und Julius! Geschlechtliche Umtriebe sind hier nicht erwünscht und können sehr unangenehme Folgen haben."
"Das heißt, daß er sein Kind dann sehen darf, wenn er volljährig wird?" Fragte Julius schüchtern. Schwester Florence nickte und fügte hinzu:
"Sofern er durch sein Verhalten hier nicht die vollständige Ausweisung aus der Zaubererwelt erzwingt."
Als Madame Maxime hereinkam, überlebensgroß, erhaben, verärgert, berichtete Madame Rossignol, was sich zugetragen hatte. Nach fünf Minuten wurde Constance Dornier aus der magischen Starre gelöst, in die sie die Heilerin versetzt hatte. Dann wurde sie gefragt, von wem das Kind sei. Sie machte auf unbeugsam. Doch das nützte ihr nichts. Madame Maxime gab die ausdrückliche Anweisung, Veritaserum, das stärkste magische Wahrheitselixier, einzusetzen. Constance konnte sich nicht wehren. Sie mußte einige Tropfen schlucken. Dann sagte die Schulleiterin zu den Pflegehelfern:
"Sie verlassen unverzüglich den Krankenflügel! Was ich hier und jetzt erfahre, geht Sie nichts mehr an. Und noch etwas. Über diesen Vorfall werde ich und nur ich die Schülerschaft zu gegebener Zeit unterrichten. Gelangt irgendwas von diesem Vorkommnis früher zu Ihren Schulkameradinnen und -kameraden, wird jeder, den ich als Quelle der Indiskretion entlarve, unverzüglich der Akademie verwiesen. In Ihrem Sonderfall, Monsieur Andrews würde ich sogar dazu tendieren, Schwester Florence an Ihnen die Strafe für schweren Mißbrauch Ihres Pflegehelferstatusses zu vollziehen, da Sie bereits zu gut zaubern können, um in der Welt Ihrer nichtmagischen Verwandtschaft in magischer Abstinenz verbleiben zu können. Haben wir uns verstanden?"
"Zu gut, Madame Maxime", sagte Julius. Er verfluchte zum X-ten Mal seine Ruster-Simonowsky-Begabung. Damit konnte er nicht aus der Zaubererwelt verstoßen werden. Wenn sie ihn nicht töteten, würde er sein restliches Leben, besser Dasein, in einer für die Zaubererwelt risikolosen Form zubringen müssen.
"Noch etwas zu dir, deborah! Du bist um eine Bestrafung nach der von Madame Maxime erwähnten Regelung herumgekommen, weil du noch gebraucht wirst. Allerdings wirst du von heute an bis zum ersten Februar jeden Tag bei mir aushelfen, ohne Zauberkraft versteht sich. Freizeitangelegenheiten gibt es für dich nicht mehr, bis diese Strafzeit vorbei ist."
Madame Maxime nickte und fügte dem hinzu:
"Außerdem erhalten Sie dreihundert Strafpunkte wegen Vereitelung disziplinarischer, gesundheitserhaltender und unterrichtsbetreffender Maßnahmen. Die von Schwester Florence verhängte Strafarbeit ist von mir genehmigt."
Julius beeilte sich, mit den übrigen Pflegehelfern aus dem Krankenflügel zu kommen. Mit Jeanne schlüpfte er durch die Wand. Er ärgerte sich, daß er schon wieder ein Geheimnis aufgeladen bekommen hatte, nach dem Besen, dem Mimicrius-Zauber und der Sub-Rosa-Gruppe. Er hoffte nur, daß er Claire und Céline gegenüber nichts ausplaudern würde. Denn die Aussicht, auch noch von ihren Enkelkindern und Großcousins und -cousinnen als Bedürfnisgeschirr benutzt zu werden, trieb ihm alles Blut aus dem Gesicht.
Claire und Céline bekamen nichts davon mit, daß Julius nun etwas wußte, was Célines Schwester betraf. So konnte der ehemalige Hogwarts-Schüler die nächsten Tage in Ruhe verleben. Als dann am Mittwoch Madame Maxime beim Frühstück aufstand und um ungeteilte Aufmerksamkeit bat, plumpste ihm ein Stein vom Herzen.
"Mesdemoiselles et Messieurs! Zu meiner größten Verärgerung muß ich Ihnen heute drei Dinge verkünden:
Zum ersten hat es in dieser unseren Akademie eine gemäß den Schulregeln verbotene intime Begegnung zwischen einer Schülerin und einem Schüler gegeben. Die uns Lehrern und Lehrerinnen auferlegte Verantwortung verlangt, keine vorehelichen Aktivitäten der geschlechtlichen Art hinzunehmen oder gar zu fördern. Dies ist durch Schulregel 42 Abschnitt 1 folgende ausdrücklich geregelt. Bei den Missetätern handelt es sich um Mademoiselle Constance Dornier aus der ZAG-Klasse des weißen Saales, sowie Monsieur Malthus Lépin, Schüler aus der ZAG-Klasse des violetten Saales." Ein Raunen über alle Saaltische hinweg folgte dieser Offenbarung. Julius blickte sich um. Belle Grandchapeau, die Saalsprecherin der Violetten, sah auf einen stämmigen Schüler mit weizenblondem Haar und dunkelbraunen Augen, der von einem Moment zum anderen kreidebleich wurde. Offenbar hatte der bis zu diesem Zeitpunkt nicht damit gerechnet, daß sein Liebesspiel mit Connie Dornier aufflog. Der Saalsprecher der Violetten schoss einen vernichtenden Blick auf den Mitschüler ab. Céline Dornier warf einen angsterfüllten Blick zum weißen Tisch hinüber. Robert, der neben Julius saß, seufzte nur wortlos. Mit einem lauten Händeklatschen stellte die halbriesische Schulleiterin die totale Ruhe wieder her.
"Zweitens, Mesdemoiselles et Messieurs: Mademoiselle Dornier empfing aus dieser aus reinem Spaß am Unbekannten vollzogenen Handlung ein Kind. - Sie geht bereits im dritten Monat schwanger."
Wieder raunte es an allen Tischen. Robert wandte sich an Julius und flüsterte:
"Mist, dann hatte Céline doch recht, daß ihre Schwester nicht wie sonst ist."
"Ich hoffe, dich hat wer aufgeklärt, wie die kleinen Kinder zur Mammi in den Bauch kommen", versetzte Hercules Moulin mit verschmitztem Grinsen und sah von Robert zu Céline herüber.
"Pack dir an den eigenen Zinken, Dummdödel!" Raunzte Robert Hercules an, der ein dümmliches Grinsen nicht aus dem Gesicht kriegen konnte. Er sagte:
"Tja, die Roten sind da alle gut vorgebildet. Bernie hat mich sogar schon abgefragt, was Männchen und Weibchen unterscheidet."
"Ruhe, wenn ich nicht pauschal fünfhundert Strafpunkte für jeden Saal vergeben soll", schnitt Madame Maximes Stimme wie ein lauter Peitschenhieb in das Getuschel an den Tischen. Dann fuhr sie fort:
"Die Eltern von Mademoiselle Constance Dornier sind verständigt. Seitens der Akademie sind folgende Beschlüsse gefaßt worden:
Mademoiselle Constance Dornier wird in den Mauern dieser Lehranstalt verbleiben. Sie wird ihr Kind hier austragen, unter strenger Aufsicht von Schwester Florence und ihrem Stab von Pflegehelfern. Sie wird dieses Kind hier zur Welt bringen und außerhalb der Ferienzeit hier großziehen. Sie wird das gesamte fünfte Schuljahr wiederholen müssen, was bedeutet, daß sie ab heute dem Unterricht der vierten Klasse folgen wird. Zudem sind alle Kollegen des Lehrkörpers angewiesen, ihr bis auf Widerruf keine Bonuspunkte außerhalb der allgemeinen Notenregelung zu vergeben. Mademoiselle Constance Dornier erhält fünfhundert Strafpunkte und den Entzug aller verliehenen Vergünstigungen. Ihre Freizeit, sofern sie nicht zur schwangerschaftsbedingten Betreuung bei Schwester Florence vorstellig werden muß, wird sie als unbezahlte Schreibkraft in meinem Büro arbeiten, und ich verheiße Ihnen schon jetzt, daß dies kein einfaches Betätigungsfeld ist, Mademoiselle Dornier, Constance. Kontakte zu Ihren Mitschülern finden nur noch während des Unterrichtes und der Schulpausen statt. Einzige Ausnahme ist Ihre Schwester, Mademoiselle Céline Dornier.
Drittens verfüge ich in Übereinkunft mit dem Ministerium für Magie, daß Monsieur Malthus Lépin mit sofortiger Wirkung der Beauxbatons-Akademie verwiesen und seine Zaubereiausbildung für nichtig erklärt wird. Er darf vor Erreichen der Volljährigkeit keinen Kontakt mehr mit Mademoiselle Constance Dornier aufnehmen und ist gehalten, auf jede Art der Zauberei zu verzichten, da ihm sonst die totale Verbannung aus der magischen Menschheit auferlegt wird. Bitte, Messieursdames!"
Malthus Lépin sprang auf, zog seinen Zauberstab. Doch Belle hatte ihren Zauberstab schon in der Hand und bellte "Expelliarmus!" durch den Speisesaal. Malthus' Zauberstab wurde von einem scharlachroten Lichtblitz hinweggefegt. Aus dem Warteraum für neue Schüler traten fünf in blutrote Umhänge gekleidete Ministeriumszauberer und zwei in blutrote Kleider gehüllte Hexen ein. Sie eilten auf den dunkelvioletten Tisch zu und versuchten, malthus Lépin zu ergreifen. Dieser schlug mit seinen Fäusten um sich, trat nach den Schienbeinen der Ministerialzauberer. Erst ein Fesselungszauber stoppte seinen sinnlosen Kampf. Von einem Transportzauber hochgehoben und gelenkt schwebte er von Kopf bis Fuß verschnürt aus dem Speisesaal.
"Sei verflucht, Constance, du mieses Stück Drachendung! Mögest du an diesem Balg krepieren!" Brüllte er beinahe hysterisch, bevor ihn die Ministeriumszauberer aus dem Speisesaal geschafft hatten.
"Na logisch, die böse Frau hat den armen Mann reingelegt", kommentierte Julius diesen letzten Ausruf des soeben rausgeworfenen Violetten. Er sah zu Belle hinüber, die peinlich berührt ihren Zauberstab fortsteckte. Antoine Marat, der Saalsprecher der Violetten, fuchtelte nur mit seinen Fäusten in leerer Luft herum. Offenbar war er stinkwütend. Julius suchte wieder Céline, die sich unvermittelt zu ihm umwandte und ihn mit einer Mischung aus Enttäuschung, Wut und Mißtrauen ansah. Claire, die links neben ihr saß, fing Julius' Blick mit ihren dunkelbraunen Augen ein und nickte ihm zu, als müsse sie ihn trösten oder ihm beipflichten, wobei auch immer.
"Sie werden diesen letzten Ausruf dieses fehlgeleiteten Exschülers nicht beherzigen, Mademoiselle Constance Dornier. Ich verbiete es Ihnen", sprach Madame Maxime über das Raunen der Schülerschaft hinweg. Dann bat sie durch Händeklatschen noch mal um Ruhe.
"Damit, geschätzte Kolleginnen und Kollegen, Mesdemoiselles et Messieurs Beauxbatons-Absolventen, ist der peinlichen aber notwendigen Pflicht im vollen Umfang entsprochen. Setzen Sie nun Ihr Frühstück fort! In zwanzig Minuten müssen Sie sich für den Unterricht fertigmachen. Mademoiselle Constance Dornier erhält noch den neuen Stundenplan für das laufende Halbjahr."
Nach dem Frühstück verließen die Beauxbatons-Schüler immer noch aufgeregt tuschelnd den Speisesaal. Céline wollte noch mal zu ihrer Schwester hinüberlaufen, doch Professeur Faucon vertrat ihr den Weg und schob sie energisch aus dem großen erhabenen Saal hinaus.
Vor dem Unterrichtsraum für Verteidigung gegen die dunklen Künste nahmen Céline und Claire Julius in die Mitte. Céline fragte ihn:
"Seit wann weißt du es schon, Julius? Daß du das nicht erzählen durftest, sehe ich ja ein. Aber ich möchte das jetzt wissen, wann du das mitbekommen hast."
"Seit letztem Sonntag, Céline", sagte Julius mit rot angelaufenem Gesicht. Dann fragte er, wie sie darauf komme, daß er das schon längst gewußt hatte.
"Die Rossignol wird Jeanne, martine und dich zu sich zitiert haben, weil ihr im Kinderkriegen vorgebildet seid", sagte Céline kalt lächelnd. Claire nickte. "Wundere mich nur, daß Debbie Flaubert das nicht schon ganz früh gesagt hat. Ich weiß auch nicht, warum Connie mir das nicht erzählt hat. Ich hätte bei Papa und Maman was anleiern können, wenn sie schon zu stolz ist, ihnen das zu sagen."
"Eben, weil sie das nicht wollte, daß eure Eltern das wissen hat sie dir das nicht gesagt, Tante Céline", wandte Hercules ein, der hinter Julius stand.
"Du wirst gleich 'ne Tante, wenn du noch mal sowas unverschämtes abläßt, Monsieur Moulin", schnaubte Céline Dornier. Dann lächelte sie Julius an und nahm seine rechte Hand:
"Die Rossignol wird dich mit Jeanne zusammen einteilen, auf Connie aufzupassen. Versprich mir bitte, daß du nicht böse auf sie wirst, wenn sie dich beleidigt oder sogar angreift!"
"Man hat mir zwar immer gesagt, ich sei ja kein Junge, weil ich mehr denken als fühlen würde, Céline, aber ob ich dir das garantieren kann, kann ich nicht sagen. Aber ich werde versuchen, mit ihr klarzukommen, für deinen Vater und für dich. Deine Mutter kenne ich ja leider nicht, um das auch für sie zu tun."
"Das genügt mir schon", hauchte Céline ihm zu und schenkte ihm einen warmherzigen Blick. Claire ließ ihr das durchgehen. Offenbar wußte sie, daß ihre Schulfreundin nun einer schweren Zeit entgegenging. Aber als Céline Julius' Hand losließ, drehte sie ihn zu sich hin und flüsterte:
"Du bist ein ganz normaler Junge, Julius. Ich weiß das, Maman weiß das, Jeanne weiß das und Professeur Faucon weiß das auch. Du kannst sehr wohl etwas fühlen. Sonst käme ich mit dir gar nicht so schön ins Käbbeln und Kuscheln."
"Mit dem Kuscheln sollten wir uns wohl besser zurücknehmen, Claire. Die sind jetzt auf Alarmstufe Rot, was Jungs und Mädchen angeht", sagte Claires erster fester Freund und sah dem braunhäutigen Mädchen mit den langen, welligen schwarzen Haaren tief in die Augen.
"Was geht, machen wir weiter, Julius", flüsterte Claire und grinste ihn frech an. Dann trat sie von ihm zurück.
Die erste Doppelstunde verlief in gewöhnlichem Rahmen, wenngleich Professeur Faucon Laurentine Hellersdorf besonders hart rannahm. Doch Bébé strengte sich an und schaffte es, sich gegen die Angriffszauber zu verteidigen, mit denen Professeur Faucon sie drangsalierte. Julius holte sich zehn Bonuspunkte ab, weil er es schaffte, fünf schwere Flüche in schneller Folge zu kontern. Dann war die Stunde um, und Céline und Laurentine gingen mit dem Sohn eines Chemikers und einer Computerprogrammiererin zum Arithmantikraum. Belisama und Estelle aus dem weißen Saal waren die ersten dort.
"Professeur Pallas hat uns heute mal eine Minute früher rausgelassen. Wir haben uns über die Entstehung der Schulregeln unterhalten. Die fand das wohl korrekt, nach dem Ding mit Connie mal drüber zu reden, wieso das mit Lépin gemacht wurde und nicht mit ihr", sagte Belisama und blickte Céline verstohlen an. Diese sah zwar wütend auf die Drittklässlerin mit dem honigfarbenen Haar, sagte jedoch nichts. Estelle sagte noch:
"Debbie läßt dich schön grüßen, Julius. Sie ist froh, daß sie noch Kopf und Beine behalten darf."
"Was passiert denn jetzt mit Constance?" Fragte Bébé. "Bleibt die in ihrem Schlafsaal oder muß die nun umziehen?"
"Die muß umziehen", antwortete Belisama. Die Schulregeln sagen, daß Schüler derselben Klassenstufe im selben Schlafsaal untergebracht werden. ich gehe davon aus, daß die Hauselfen schon Connies Gepäck umräumen, solange sie im Unterricht ist."
"Was hat die denn jetzt?" Fragte Céline.
"Zaubertränke mit den Violetten. Hoffentlich steht sie das durch."
"In der Klasse ist doch Josephine Marat, die kleine Schwester von Antoine, dem Saalsprecher von denen", wußte Julius, der ja öfter im violetten Saal gewesen war, als er ein Vier-Tage-Mädchen an Belles Seite gewesen war.
"Gehört die nicht auch zu euch Pflegehelfern?" Fragte Belisama.
"Stimmt", sagte Julius. Dann fiel ihm ja noch ein, daß Sixtus Darodi auch in der vierten Klasse war. "Dann hat sie ja gleich zwei Pflegehelfer um sich herum", sagte er noch.
Mildrid Latierre kam mit fliegendem Rockschoß und wehendem rotblondem Haar heran. Sie grinste die beiden Mädchen aus dem weißen Saal an, dann suchte sie Céline Dornier.
"Na, da hat sich dein lieb Schwesterlein ja ganz schön blöd angestellt, Céline. Läßt die sich 'nen Quaffel durch den mittleren Torring schießen."
"Bei dir klemmt wohl was gewaltig, wie, Latierre!" Schnaubte Céline und schob Julius bestimmt bei Seite. Jetzt standen sich das schwarzhaarige dünne Mädchen und das rotblonde sportlich gebaute Hexenmädchen direkt gegenüber.
"Bei mir klemmt im Moment nichts, Tante Céline. Bei Connie klemmt es bald unterm Rock", feixte Mildrid mit Spott in der Stimme. Bébé wandte sich um und sah Mildrid verächtlich an.
"Das gefällt dir wohl, was, Latierre, über andere Leute dumm quatschen, weil du selbst ja nicht mit dem Hirn sondern mit deinem Unterleib denkst."
"Zumindest kommt da auch mal was bei raus, Céline", flötete Martine Latierres kleine Schwester. Céline sprang vor und wollte Mildrid ins Gesicht schlagen, doch diese federte locker zurück und klammerte die schlanken Arme der schwarzhaarigen Drittklässlerin spielerisch am Körper fest. Dann hob sie sie einfach vom Boden an.
"Was denn, Püppchen? Du willst doch nicht mit mir kämpfen", spöttelte Mildrid und hielt Céline fest umklammert. Diese versuchte, ihrer Gegnerin in einen Arm oder gar in die Nase zu beißen. Doch Mildrid hielt sie sicher an sich gedrückt, sodaß sie sich fast nicht rühren konnte und mit ihrem Gesicht zwischen den festen aber noch nicht ganz ausgeprägten Brüsten der Roten festhing.
"Wehe du beißt mir in meine Dutteln, Mademoiselle Dornier. Dann kriegst du aber bestimmt keine eigenen Kinder mehr", warnte Mildrid, als Céline immer noch versuchte, das ihr kraftmäßig weit überlegene Mädchen zu beißen. Julius sah, wie Bébé voranstürmte. Doch er hielt sie am Rockzipfel fest und flüsterte:
"Ich kriege das hin, Bébé." Laut rief er: "Millie, lass Céline bitte los. Das war nicht nett, was du ihr an den Kopf geknallt hast, und du weißt das auch."
"Ach, die will doch umarmt werden, Julius. Kuck mal, wie sie sich an mich kuschelt", lachte Mildrid und hielt Céline fest umklammert, die wohl schon dem Ersticken nahe war, weil ihr Gesicht zu fest gegen den Brustkorb der rotblonden Junghexe gepresst wurde.
"Mildrid, lass Céline sofort los, sonst muß ich wen rufen, der dir das befehlen kann und mit dir an der selben Mutterbrust gelegen hat!" Drohte Julius und straffte sich. Er war verärgert. Was Mildrid da abzog war absolut unfair und alles andere als damenhaft.
"Kannst du das nicht auch alleine erledigen, wenn du schon meinst, dich da reinzuhängen?" Fragte Mildrid und blickte Julius herausfordernd in die Augen.
"Ich schlage keine Mädchen, selbst wenn sie sich wie Gassenjungen aufführen", stieß er aus und schob den rechten Ärmel seines blaßblauen Umhangs zurück. Das silberne Pflegehelferarmband wurde sichtbar. Er führte die linke Hand zum weißen Schmuckstein, berührte ihn aber nicht vollständig. Dennoch rief er: "Martine Latierre ...!"
Millie ließ von Céline ab, die nach Luft ringend einen Meter zurücktaumelte. Millie Latierre breitete die Arme aus, wohl als Beschwichtigungsgeste. Julius zog die linke Hand vom Armband zurück. Er hatte den magischen Rufkontakt ja nicht vollendet. Dann schnellte Céline übergangslos vor und rammte Mildrid ihre rechte Faust mit voller Wucht auf Mund und Nase. Dabei stieß sie einen kurzen Schmerzensschrei aus und wich sofort zurück. Die Nase der Roten schwoll an, Blut tropfte ihr von den Lippen.
"Klapperdürres hinterhältiges Gespenst", presste Millie zwischen den aufgesprungenen Lippen hervor. Julius sprang vor und holte seinen Zauberstab.
"Läßt du mich das bitte behandeln, Mildrid?" Fragte er, während er auf der Hut vor einem Schlag oder Tritt auf Millie zuging. Das Blut aus den getroffenen Lippen und auch aus der Nase lief derweil als roter Rinnsal an den Mundwinkeln entlang zum Kinn hinunter.
"Mädels, ich weiß, das klingt jetzt vielleicht blöd, aber ist das richtig, daß immer wer von euch was gegen laufendes Blut mithat?"
"Das was ich mithabe, klemmt im Moment in Millies ganz privater Stube", quetschte die geschlagene Drittklässlerin hervor. Céline hörte das und setzte nach:
"Dann kannst du zumindest im Moment nicht geschwängert werden, rotes Luder."
"Huch, was ist denn hier los?" Fragte Edith Messier, die Schülerin aus dem violetten Saal. Sie besah sich den Fausttreffer Célines. Dann fischte sie aus ihrer Schultasche ein mit einer zitronig duftenden Lösung benetztes Tüchlein und reichte es Julius. Dieser bedankte sich durch Kopfnicken, säuberte damit Mildrids Nase und Mund, die sich das widerstandslos gefallen ließ und heilte dann mit einem Schluck vom Trank gegen Blutergüsse und dem Injuriclausa-Zauber die Verletzungen.
Céline hielt sich das rechte Handgelenk, das blau und rot anschwoll. Julius besah sich das, stellte fest, daß es kein Bruch war, gab auch ihr von dem Trank gegen Blutergüsse und tippte mit dem Zauberstab an das geschundene Gelenk. "Bandagio!" Rief er und ließ aus der Zauberstabspitze ein weißes weiches Stoffband um das Handgelenk herumlaufen und fest abschließen. Dann stellte er fest, daß Céline bei ihrem Schlag wohl von den Schneidezähnen ihrer Gegnerin geritzt worden war, träufelte von einem Wundreinigungselixier, das er von Aurora Dawn bekommen hatte ein paar Tropfen hinein. Dann wartete er, bis sich die Substanz rot rauchend verflüchtigt oder in der Wunde aufgelöst hatte und wendete erneut den Injuriclausa-Zauber an, um den Schnitt restlos verheilen zu lassen.
"Deine Zähne sitzen noch richtig?" fragte Julius Mildrid. Diese prüfte es nach und zischte Céline dann "Dein Glück" zu. Julius fragte dann, ob die Klopperei wirklich für Professeur Laplace wichtig genug sei, um erwähnt zu werden, bekam ein einhelliges Kopfschütteln zur Antwort und sagte dann, daß Céline zu schnell gelaufen und dabei unglücklich auf die rechte Hand gefallen sei. Da für die Verletzungen kein Experte mehr benötigt wurde, mußte auch Schwester Florence nichts davon wissen.
"Ihr wollt ja auch keine Strafpunkte mehr als nötig", bemerkte der ehemalige Hogwarts-Schüler. die Kameradinnen aus seiner Arithmantikklasse nickten. So fand Professeur Laplace zwar eine etwas zerknitterte Céline Dornier vor, konnte aber keinen Grund finden, weshalb sie die Geschichte nicht glauben sollte, die Céline erzählte.
Nach Arithmantik nahm Edith Messier Julius bei Seite:
"Mademoiselle Grandchapeau gab mir für dich mit, das ihre Eltern deine Mutter, deine Fürsorgerin und dich am vierten Adventssonntag besuchen möchten. Deine Maman habe bereits zugestimmt, sagte deine ehemalige Zwillingsschwester." Dabei lächelte sie. Julius nahm diesen Scherz gelassen hin. Immerhin waren die vier Tage als Belles Doppelgängerin ja auch sehr interessant verlaufen. Céline und Laurentine liefen fast ungebührlich schnell zum Pausenausgang, während Mildrid den einzigen Jungen ihrer Arithmantikklasse auch kurz bei Seite nahm, als Edith zu ihren Klassenkameraden lief.
"Weißt du eigentlich, wie toll das vorhin aussah, wie du dich richtig gestrafft hast. Wütend bist du richtig anziehend. Vor allem merkte ich dabei, daß du doch einer von uns bist, aus dem roten Saal. Aber es wird Claire freuen, daß du ihre Bettnachbarin verteidigt hast. Die halb verhungerte Mademoiselle muß aber lernen, daß kein Mädchen aus meinem Saal sich einfach so angreifen läßt."
"Millie, pass mal auf! Ich hoffe, ich verscherz es mir nicht grundsätzlich mit dir, aber toll war das wirklich nicht, wie du Céline angemacht hast. Die muß sich jetzt sechs Monate lang von Leuten wie dir, vielleicht sogar noch schlimmeren, anhören, was für'n lockeres Luder ihre große Schwester ist. Ich habe keine Geschwister, ich weiß nicht, ob mein Bruder oder meine Schwester das wert ist, daß ich mich dafür prügel. Aber du mußt doch da ganz hübsch aufpassen. Wenn deiner Schwester wer ein Kind angedreht hätte, würdest du das bestimmt auch bescheuert finden, wenn dich jeder damit aufzieht."
"Ach, du hast Angst, mit mir Krach zu kriegen", sagte Mildrid, aber mit keinem Hauch von Spott in der Stimme. Sie lächelte, was die von Julius geheilten Lippen problemlos hinbekamen. Dann umfing sie den Klassenkameraden aus dem grünen Saal mit ihrem linken Arm und hauchte ihm zu:
"Martine hätte zu gerne was kleines von Edmond, damit der endlich in ihrer Spur bleibt. Und dein Angebot an mich steht ja auch noch, oder?"
"Knick und knüll es, Millie. Ich schieße hier bestimmt keinem Mädchen - wie sagtest du es so fies? - 'nen Quaffel durch den mittleren Ring, bevor ich mit dem Laden hier fertig bin. Die Schau von Lépin heute morgen hat mir gereicht. Oder möchtest du dir von mir nachrufen lassen, an deinem "Balg zu krepieren"?"
"Nein, ich möchte dann doch eher hören, wie du ihn oder sie nennen möchtest und mit dir wo hinziehen, wo du den Nachwuchs auch ausgepackt sehen kannst. - Schöne Pause noch!"
"Céline hat recht. Du denkst vielleicht doch nur mit dem, was du deine ganz private Stube genannt hast", sagte Julius.
"Das lernst du ganz sicher auch noch. San und Sabine sagen, daß du schon klar bist, wenn dich eine anlächelt. Das wird nicht weniger, wenn du ein oder zwei Jahre weiter bist", lachte Mildrid und ließ Julius im Gang stehen.
"Monsieur Andrews", rief Professeur Laplace und winkte ihm zu. Er beeilte sich, an ihr vorbeizulaufen, ohne zu rennen.
"Sie wissen doch, daß die Pause draußen stattfindet. Aber ich werde Ihnen keine Strafpunkte geben, weil die Damen Messier und Latierre Sie aufhielten", sagte sie und folgte Julius, der schnell auf den Pausenhof ging.
Céline war es, als müsse sie an hochempfindlichen Landminen entlanglaufen, als sie durch die Reihen und Gruppen der Mitschüler ging. So kam es Julius zumindest vor. Sie ging zu ihrer Schwester und unterhielt sich mit ihr. Deborah und Josephine Marat standen bei ihr. Offenbar hatten die beiden Pflegehelferinnen den Auftrag von Schwester Florence, die hoffnungsvolle junge Mutter zu betreuen. Er unterhielt sich mit Claire und flüsterte ihr zu, was passiert war.
"Bébé hat mir das schon erzählt, Julius. Was fällt der Latierre denn ein, Céline so anzumachen. Die hat ihrer Schwester doch nicht das Kind in den Schoß gelegt."
"Vielleicht hat sie von ihrer großen Schwester einen Abriss wegen irgendwas bekommen und brauchte wen, an dem sie sich austoben konnte", vermutete Julius.
"Dir ist doch klar, daß Millie jetzt davon ausgeht, daß sie dich kriegen wird, nachdem du ihr in die Falle gegangen bist", sagte Claire verbittert.
"Welche Falle, Claire? Die hat sich mit Céline gerangelt, sodaß die bald an ihren Möp.., öhm, Milchvorräten erstickt wäre. Ich mußte doch was machen, sonst hätte die sich auch mit Bébé gekloppt."
"Sie hat dich wütend gemacht, entschlossen, kampflustig. Nur weil du ja kein Mädchen schlagen würdest hat sie von dir keine runtergehauen bekommen. Sie wollte wissen, wie weit du gehst. Es soll Frauen geben, die finden es toll, wenn Männer wütend werden."
"Ja, Claire, und manche wollen auch geschlagen werden. Aber ... Ach lassen wir das! Was sollen wir uns über Mildrid Latierre den Kopf zerbrechen?"
"Nein, so kommst du da nicht raus, Cherie. Die hat dich noch einmal angequatscht, hat Bébé gesagt. Also was war da?"
"Hmm, daß sie nun weiß, daß ich doch kein Gelber bin", sagte Julius ausweichend. "Ich weiß nicht was die von mir will. Im ganzen Dorf Beauxbatons ist rum, daß wir zusammen sind, zumindest gesellschaftlich. Mehr will ich mir im Moment lieber nicht leisten. Da bin ich dann doch ein Feigling. Caro hat sich wohl damit abgefunden. Die läßt mich ja jetzt in Ruhe und ..."
"Weil nach Bernadette, die schon wen hat, Mildrid die stärkste in dem roten Hühnerstall ist, Julius. Caro hat zwar getönt, sie würde sich das nicht bieten lassen, wenn jemand wie Millie dich zum Walpurgisnachtflug einläd, kann aber nichts machen, wenn Hippolyte Latierres jüngere Tochter auf dich zeigt und sagt: "Den nehme ich.""
"Na gut, ich bin noch nicht so lange in Beauxbatons, um das zu blicken. Wenn du sagst, daß Millie so drauf ist dann ..."
"Nix da, einfach rechtgeben, nur um da nicht mehr drüber nachzudenken! Ich will jetzt wissen, was genau sie dir gesagt hat und was du ihr darauf geantwortet hast."
"Ich verweigere die Aussage", sagte Julius im Stile eines Zeugen in einem Gerichtsfilm. Claire kniff ihm kurz aber spürbar in die Seite.
"Vielleicht bist du dir nicht so sicher, daß du mit mir zusammen sein willst. Vielleicht reizt es dich ja doch, mit einem wirklich kraftvollen Mädchen Spaß zu haben. Sonst wärest du ja in den Sommerferien ja nicht so häufig mit Barbara unterwegs gewesen."
"Eh, das ist aber jetzt absoluter Blödsinn, Claire", widersprach Julius. "Barbara ist vier Jahre, neh fünf Jahre älter als ich und im letzten Jahr. Da bringt es eine Beziehung nicht mehr. Außerdem hat die auch schon 'nen Freund. Ich weiß nicht, was Millie Latierre von mir will, aber ich wüßte nicht, was ich von ihr wollen sollte, was ich mit dir nicht schon habe."
"Ach, jetzt kommt die Komplimentnummer. Streichel die Katze, damit sie dich nicht kratzt! Aber ich lasse mich gerne streicheln, Julius", schnurrte Claire.
Nach der Pause verlief der Unterricht wieder in normalen Bahnen. Julius konnte Céline die Ruhebandage wieder abnehmen, sodaß sie nun ungehindert mitschreiben und vor allem zaubern konnte.
Nach dem Abendessen, vor dem Musikkurs für Holzblasinstrumente, kamen Céline und Laurentine zu Julius herüber, während sich Claire mit Jeanne über irgendwas unterhielt, leise, wohl nicht für alle bestimmt.
"Du hast doch Judo oder Karate gelernt, habe ich gehört", sagte Céline leise und ohne große Einleitung. Julius nickte. Dann schränkte er jedoch ein:
"Ich habe das aber nur vier Jahre gemacht, von sieben bis elf. Wenn ich nicht nach Hogwarts gegangen wäre, hätte ich die Ausbildung weitermachen und richtig zu Ende kriegen können."
"Macht nichts", sagte Laurentine leise. "Wenn du vier Jahre hattest, reicht das. Céline und ich möchten dich fragen, ob du uns das im nächsten Halbjahr beibringst."
"Öhm, wegen der Kiste von heute Morgen?" Fragte Julius, weil er vermutete, daß Céline an diesem Morgen wohl einen großen Schrecken bekommen hatte, wie leicht wer anderes sie kraftmäßig überwältigen konnte.
"Genau, Julius. Dieses rote Luder hat mich glatt ausgetrickst. Ich hätte vielleicht doch den Zauberstab nehmen sollen", erwiderte Céline verbittert und sah sich um, ob jemand sie zu gut beobachtete.
"Céline, Karate ist eine gefährliche Sportart. Da mußt du eher lernen, dich gut zu beherrschen, damit du nicht einfach auf jemanden loshaust. Außerdem ist es eine Verteidigungskampfart, die nicht zum Angriff gebraucht werden darf", wandte der ehemalige Schüler von Hogwarts ein. Céline Dornier nickte und sagte:
"Es geht mir auch nicht darum, anzugreifen, sondern mich zu verteidigen, wenn mir wieder jemand was will."
"O und ich dachte schon, du wolltest Millie oder sonstwem die Nase total platthauen. Ich bin ja kein Meister, kann also nicht unbedingt alles so rüberbringen, wie ich es gelernt habe. Aber ein paar nützliche Tricks, um sich aus einer Umklammerung oder unerwünschten Annäherung zu lösen, kann ich euch zeigen. Da muß ich aber mit eurer Saalsprecherin drüber sprechen. Nicht daß die mich nachher noch in eine Schabe verwandelt, weil ich Mädchen Kampftechniken zeige."
"Das machen wir dann", sagte Céline. "Schließlich wollen wir das ja lernen."
"Wenn ihr meint", sagte Julius und nickte dabei. Dann ging er mit Claire, Jeanne und einigen anderen aus dem grünen Saal zum Musikkurs.
Am nächsten Nachmittag, im Verwandlungskurs für fortgeschrittene, nahm Barbara ihn bei Seite, als er gerade die zehn aufgetragenen Verschwindezauberübungen vollendet hatte. Jeanne löste sich derweil in eine große Wasserpfütze auf und verfestigte sich nach zehn Sekunden wieder.
"Céline hat mich gefragt, ob du ihr und anderen Mädchen aus unserem Saal einige Tricks aus diesem Kampfsport zeigst, den du gelernt hast. Offenbar meint Céline, sich gegen andere Leute ohne Zauberstab wehren zu müssen. Sie wollte mir nur nicht erzählen, wieso sie das glaubt."
"Weil Leute sie wohl wegen Connie Dornier anpöbeln und vielleicht meinen, sie auch flachlegen, öhm, nehmen zu können. In der Muggelwelt ist das sehr weit verbreitet, daß Frauen Selbstverteidigungstechniken ohne Waffen lernen."
"Achso, hat sie das so gesagt? Hmm, ich denke im Moment nicht, daß nach dem Rauswurf von Malthus Lépin irgendein Junge noch mal mit einem Mädchen körperlich über einen Kuß hinausgehen will, bevor Connies Kind da ist. Aber da mich das auch interessiert, wie du wohl noch weißt, werde ich eure Übungseinheiten beaufsichtigen, allein um der Sittlichkeit willen, wenn du im Training jemanden hinwirfst. Wir brauchen dafür ja auch einen Übungsraum, damit das nicht jeder mitkriegt. Unter drei Bedingungen werde ich das also gestatten: Professeur Faucon erfährt davon und erlaubt das. Wir nehmen einen gepolsterten Übungsraum, wie den, wo das Zaubererduelltraining läuft. Du trainierst ausschließlich Leute aus unserem Saal, die Edmond und ich für charakterlich gefestigt halten, mit diesem Wissen keinen Unsinn zu machen. Verstanden?"
"Ist mir sehr recht, Barbara. Ich bin kein ausgebildeter Meister in diesem Kampfsport. Ich wollte den Mädels nur zeigen, wie man sich aus Bedrängnissituationen befreit. Könnte mal wichtig werden, wenn sie in der Muggelwelt sind und von so triebgesteuerten Kerlen angegrabscht werden."
"Ach ja, davon erfahren außer Edmond, Virginie, Yves und mir nur noch Professeur Faucon und Schwester Florence was, zumindest außerhalb des grünen Saales. Ich denke nämlich nicht, daß Madame Maxime das unbedingt für zauberische Grundlagen hält", fügte Barbara noch eine vierte Bedingung hinzu. Julius nickte bekräftigend. Dann übten sie weiter Verwandlungen. Barbara löste sich dabei einmal in eine große weiße Nebelwolke auf und umwehte Julius. Dieser atmete tief ein und mußte sofort niesen.
"Flegel", kam Barbaras wie umgekehrter Widerhall geisterhaft verzerrte Stimme zur Antwort. "Kannst doch nicht einfach meinen rechten Arm einsaugen. Gut, daß du mir nicht privatere Stellen wegzuatmen gewagt hast."
"O tat das weh?" Fragte Julius sichtlich betroffen.
"Neh, nicht so. Fühlte sich für mich nur an, als hätte ich auf einmal keinen rechten Arm mehr. Aber diese Kunst lernst du ja in der siebten Klasse, wenn du Verwandlung behältst", antwortete Barbara, die in dieser Zustandsform merkwürdigerweise zu ihm sprechen konnte und kehrte in ihre feste Gestalt zurück.
__________
Eine Woche später hatte sich die Aufregung um Constances frühe Schwangerschaft gelegt. Zwar sagten einige jüngere Schüler immer noch "Tante Céline" zu Céline, doch die hatte gelernt, das zu überhören. Claire passte schärfer auf, wenn Mildrid Latierre in Julius' Nähe war. Bei den Arithmantikstunden war dies jedoch nicht möglich. Doch Céline und Bébé übernahmen eine sehr ruhige und nicht allzu aufdringliche Betreuung von ihm. Im Pflegehelferkurs arbeitete Julius mit Deborah und Martine mit dem Einblickspiegel, jenem Wunderinstrument, mit dem man in den Körper eines lebendigen Menschen hineinsehen konnte. Julius erklärte Deborah, die offenbar nicht von ihrer Mutter in Geschlechtsfragen aufgeklärt war, was die inneren Geschlechtsorgane zu tun hatten und zeigte ihr an Martine, die sich das ruhig bieten ließ, wo im Unterleib ein ungeborenes Kind heranwuchs, wenn es denn vorhanden war. Nach dem Kurs sagte Martine:
"Die Frau die dich mal zum Vater ihrer Kinder kriegt, braucht sich keinen anderen Heiler mehr zu nehmen. Diese Madame Matine muß ja regelrecht mitreißend unterrichtet haben."
"Meine Eltern haben mir da sehr viel vorgestreckt an Wissen, eben um das nicht zu kriegen, was jetzt mit diesem Malthus Lépin passiert ist."
"Der wird sich nicht mehr daran erinnern, daß er Vater wird. Manche Rauswürfe sind so endgültig, daß das später keiner mehr genau weiß, was aus dem Rausgeworfenen wird. Connie hatte mit dieser Schwangerschaft sogar noch Glück, weil es eben streng verboten ist, Leben bewußt zu beenden. Ist der neue Erdenbürger erst einmal anständig im Mutterschoß drin, darf den keiner mehr da rausholen, bevor er alleine leben kann. Deshalb, und das kapieren weder die Weißen, noch die Blauen oder manche von den Violetten, kann man nur Spaß haben, wenn man auch weiß, wie man sich absichert. Ihr Grünen seid ja da wie wir Roten besser auf der Hut, und die Gelben machen ja eh nichts, was irgendwie wem unangenehm werden kann."
Francine Delourdes, Saalsprecherin der Gelben und Mitglied in Julius' und Martines Pflegehelfergruppe, blickte ihre Kollegin von den Roten an und fragte:
"Findet ihr das denn wirklich so schön, euch bis zum Hals in Ärger zu stürzen? Schon schlimm genug, daß Nicole bei der letzten Saalsprecherkonferenz eine Lockerung der Umgangsregeln verlangt hat, damit Jungen und Mädchen sich anständig und ohne überschnelle Handlungen kennenlernen können. Dann haben wir demnächst hier nur noch werdende Mütter herumlaufen."
"Oder auch nicht", wandte Martine ein. Julius sah Francine an, die aufmerksam wartete, was er zu sagen hatte:
"Mein Vater hat schon erzählt, daß ein Internat kein Ort ist, wo sich Jungen und Mädchen normal beschnuppern und kennenlernen können. Einige von seinen Kollegen, die mit ihm in Eton waren, haben sich verkuppeln lassen müssen, damit deren Eltern Enkelkinder in die Arme nehmen konnten. Also gegen gewisses Zeug, wie Schmusen, Kuscheln und Küssen habe ich wohl nichts, wenn ich vielleicht auch noch zu jung dafür bin und ..."
"Da geht es schon los. Ich bin zu jung dafür. Das möchte ich nicht, weil das ja dann doch unanständig ist und so weiter", warf Martine ein. Dann legte sie schnell nach: "Damit will ich nicht sagen, daß du jetzt mit Gewalt alles ausprobieren mußt, sobald wer bereit ist, mit dir zu spielen. Ich will nur sagen, daß wenn es dir passiert, du bestimmt nicht zu jung dafür bist, weil die große Erdmutter jedem ihrer Kinder alles richtig mitgegeben hat, damit sie nicht verderben. Ich bin weder deine Mutter oder deine Schwester, auch nicht Barbara, die dich in dieser Sache wohl an die Hand genommen hat. Aber als du mit Belle zusammen auf Zwillingsschwestern machen mußtest, habe ich schon sehen können, daß du dir über das körperliche Gedanken machst. Meine Schwester hat mit fünf Jahren noch nackt mit anderen nackten Jungen gespielt. Der war der Körper völlig egal. In dem Moment, wo du anfängst, dafür mehr zu empfinden, bist du immer im richtigen Alter, wann und wo es mit dir passiert."
"Wieso sagst du mir sowas?" Fragte Julius, der nicht wußte, wie ihm da geschah.
"Weil meine Schwester hinter dir her ist, weil Claire dich schon sicher für sich zu haben glaubt, weil Sandrine und Belisama dir nachsehen, wenn du über den Pausenhof gehst, während du Pflegehelferaufsicht hast. Das du nicht gleichgeschlechtlich ausgerichtet bist, haben wir alle schon mitbekommen, selbst wenn Claire und du oder du und sonst ein Mädchen bisher nicht irgendwas großes getan habt, um das zu zeigen. Also noch mal: Millie steht in den Startlöchern. Caro ist bereits abgeschlagen. Claire hält sich an dir fest und Sandrine, die das nie offen sagen würde, könnte sich auch was vorstellen, wenn Gérard sie nicht mehr ansieht. Ich bin jetzt nur noch das Jahr hier, wie Jeanne, Belle und Barbara. Von Edmond mal abgesehen, der dieses Gespräch eigentlich mit dir führen sollte. Jeanne hat 'ne Schwester hier, Barbara hat dich adoptiert, weil Jacques sie nicht respektiert und ich habe 'ne Schwester hier, die noch ein paar Jahre machen muß. Ob du oder sonstwer mit Mildrid zusammenfindet, der soll mir bloß nicht kommen, daß er ja nie darüber nachdachte, worauf er sich eingelassen hat. Deshalb rede ich mit dir, und weil du in diesem Kurs bist, wo du ja auch Verantwortung für andere übernehmen mußt. Da Jeanne ja nicht in unserem Kurs ist, kann sie das mit dir nicht durchspielen. Aber ich weiß aus zuverlässiger Quelle, daß sie dich schon korrekt angeleitet hat."
"Merkst du nicht, daß der Junge dafür noch nicht empfänglich ist, Martine?" Fragte Francine Delourdes vorsichtig.
"Vielleicht nicht für das, was wir schon erfahren haben, Francine. Aber für das, was ihm bevorsteht allemal", erwiderte Martine.
"Die Pflegehelfer die schon mehr als ein Jahr hier sind", begann Schwester Florence zu sprechen, "wissen ja, daß ich über Weihnachten und Ostern immer drei Freiwillige suche, die mit mir Wachen, wenn die hierbleibenden Schüler Gesundheitsprobleme kriegen. Aus der anderen Gruppe habe ich schon eine Freiwillige gefunden, Gerlinde van Drakens. Wer möchte bei Ihnen diese Aufgabe übernehmen außer Monsieur Andrews, der von mir angehalten ist, seine Ferien bei seiner Familie zu verbringen?"
Deborah Flaubert meldete sich sofort. Offenbar meinte sie, schönes Wetter bei Schwester Florence machen zu müssen, weil sie die Schwangerschaft Constance Dorniers nicht rechtzeitig gemeldet hatte. Dann meldete sich noch Felicité Deckers aus dem violetten Saal. Sie sagte: "Ich habe das mit meinen Eltern schon geklärt. Die wollen in die Schweiz zum Winterurlaub. Das liegt mir nicht so. Da möchte ich dann gerne hierbleiben."
"In Ordnung. Dann haben wir drei Freiwillige", stellte Schwester Florence lächelnd fest. Julius fragte sie:
"Wieso möchten Sie nicht haben, daß ich freiwillig hierbleibe?"
"Weil ich das zu diesem Zeitpunkt für wichtiger halte, daß du dein Familienleben wiederfindest und dich von den ganzen Schulwechselstrapazen erholst. Im nächsten Jahr vielleicht."
"Wie ist das dann mit den Schlüsseln? Muß ich meinen abgeben, wenn ich in die Ferien gehe?" Wollte der ehemalige Hogwarts-Schüler noch wissen. Schwester Florence lächelte wissentlich, während die vier Pflegehelferinnen ungeniert lachten.
"Den trägst du solange, bis du mit Beauxbatons fertig bist oder Beauxbatons mit dir fertig ist oder du meine Kollektion nützlicher Gebrauchsgegenstände vervollständigst. Immerhin möchte ich ja wissen, ob du auch wieder gut zurückkommst und nicht erst nach dir suchen, nur um dir den Schlüssel wieder anzulegen", sagte die Heilerin ruhig aber mit Entschlossenheit in der Stimme.
"In Ordnung", sagte Julius und sah die übrigen Mitglieder seiner Gruppe schuldbewußt an. Er wurde nicht dazu verpflichtet, in Beauxbatons zu bleiben. Doch niemand empfand es als Sonderleistung, daß der neue Mitschüler nicht auf der Liste zu fragender Pflegehelfer stand. Als dies dann auch noch geklärt war, verabschiedete die Schulheilerin ihre fünf Helfer.
Julius wirbelten die Gedanken im Kopf. Wieso kamen die älteren Mädchen, von Jeanne über Barbara und jetzt noch Martine, darauf, ihn "korrekt anzuleiten"? Sicher, wenn er sich für die Denkart von Frauen interessierte, sollte er das mit anderen Frauen bereden, wohl dann eher mit seiner Mutter. Aber was Martine gesagt hatte, wirkte in ihm lange nach. Offenbar hatte sie mehr mitbekommen, als er bislang einräumen wollte. Doch die Woche vor dem letzten Quidditchspiel vor den Ferien lenkte ihn von weiteren Gedankengängen in dieser Richtung ab. Denn vor den Weihnachtsferien wollten sämtliche Lehrer noch mal Zwischenprüfungen machen lassen. Insbesondere die Professoren Faucon, Fixus und Trifolio hielten Julius gut auf Trab. Dann kam das Quidditchspiel Weiß gegen Violett.
__________
"Didier holt sich den Quaffel von Lagrange, passt zu Odin. - Schön ausgetrickst hat sie van Heldern, der neben der neuen Jägerin Pauline Rousseau ein leicht verhaltenes Spiel macht. - Japp! Tor durch Argon Odin, den schnellsten Jäger der Violetten. Da konnte Camus nicht mehr ran. Ist ja klar!" Kommentierte Ferdinand Brassu, ein Schüler aus dem violetten Saal. Der war bestimmt nicht parteiisch, grinste Julius. Er saß zwischen Jeanne und Barbara, die ihrerseits von Brunhilde Heidenreich von der roten Mannschaft flankiert wurde. rechts neben Giscard Moureau, dem Treiber der Grünen, saß Horatio Lombardi, der Kapitän der gelben Mannschaft.
"Und wieder will die süße Seraphine unseren Jungs den Quaffel ... ist ja gut, Professeur Paralax, mehr Spielbezug! Also Lagrange paßt tatsächlich zu Rousseau, die zu van Heldern, der wieder zu Rousseau! Na wunderbar! Klatscher von Pommerouge hat dieses schleichende Formationsspiel beendet. Der Quaffel ist jetzt bei Didier, bei Odin ... und wieder im Tor der weißen Mannschaft. man merkt doch schon, daß Dornier fehlt. Aber die führt ja demnächst ihren eigenen Quaffel ..."
"Taceto!" Hörte Julius Madame Maxime von der oberen Loge her. Schlagartig erstarb Brassus Stimme. Alle lachten, wohl über diesen unachtsamen Spott, den der Stadionsprecher magisch verstärkt losgelassen und dafür den Sprechbann abbekommen hatte. Madame Maxime winkte zur Loge mit den Mannschaften und beorderte Sabine Montferre als neue Sprecherin, zumindest bis das Spiel vorbei war. Diese wirkte den Sonorus-Zauber und kommentierte spannend, gefühlsbetont aber unparteiisch.
"Lagrange verzettelt sich mit Odin in einer wilden Fliegerei, wer an wem vorbeikommt. Quaffelbesitz weiter für Weiß! Pass zu van Heldern, der doch nun ins Spiel findet und Rousseau schnell aber sicher bedient, die schon zum Tor unterwegs ist ... und trifft! Zwanzig zu zehn für Saal Violett! Weiter Abschlag vom Tor. Fliegt weit weit ins Feld, wo Lagrange schon bereit ist. Sie nimmt den Spielball an, kommt gerade unter einem Klatscher durch und greift wieder an, diesmal keine Formation, keine Staffetten. Odin! Quaffelbesitz für Violett! Odin wirft Schlangenlinienwurf zu Didier, die mit gutem Seitwärtspas den dritten Jäger bedient, von dem der Quaffel zunächst als Rettungsrückpass zum Tor befördert und von da weit abgeschlagen wird. - Moment! - Ja! Schnatzfang für Pierre. Weiß gewinnt mit 160 zu 20 Punkten!!!!!"
Das alte Classement kristallisiert sich wieder heraus", bemerkte Barbara dazu. "Das wird wohl zwischen den Roten, den Weißen und uns ausgefochten. Die Blauen haben sich ja schon aus dem Wettbewerb geprügelt, jetzt hat's auch die Violetten zu früh erledigt. Bleiben dann nur wir, Julius."
"Wenn die Gelben nicht gegen die Roten in der nächsten Runde noch mal so'n Ding bringen, wie gegen die Weißen", sagte Julius darauf nur.
"Möglich ist es. Dujardin ist zurzeit in Bestform. Der kriegt den Schnatz sogar noch, wenn er beide Klatscher gleichzeitig abkriegt", sagte Jeanne. Dann sahen sie, wie Gustav und Seraphine sich feiern ließen, obwohl der kleine Miro Pierre das Spiel gerettet hatte.
"Also auf die Violetten müssen wir aufpassen", stellte Julius fest. "Dein Cousin ist ein guter Störer, und Virginies Freund kann schnell wenden. Müssen wir nicht in der Nächsten Runde gegen die ran?"
"So ist es, Julius. Und ich stell dich auf, damit du es jetzt schon weißt. Gegen Argon ist Monique doch zu schwach, wenn ich das so sehe. Außerdem hast du die Finesse von Suzanne Didier. Das wird dann etwas länger dauern."
"Wir sollten uns auch mal Gedanken über einen neuen Hüter machen. Wäre eigentlich gut, wenn wir den noch in einem Spiel einführen", sagte Barbara. Aber sollten sie den gegen die Violetten, dann die Blauen und schließlich die Weißen einführen? Julius dachte sich schon, daß es ihm nicht egal war, ob er mal einen Quidditchpokal in Händen halten konnte. Schön wäre das allemal.
__________
Der Speisesaal von Beauxbatons war bereits weihnachtlich geschmückt. Am 18. Dezember würden die Ferien beginnen. Bis zum fünfzehnten konnten sich die Leute hier entscheiden, ob sie heimfuhren oder das Fest hier feierten. Julius hing zwischen den Stühlen. Einerseits reizte es ihn schon, das Fest in Beauxbatons einmal zu erleben. Doch mit seiner Mutter mal wieder richtig Weihnachten zu feiern, das war ihm dann auch wichtig. Jedenfalls bewunderte er die großen Tannenbäume, die silbernen Windspiele, die goldenen Glocken unter der Decke, die an und für sich immer dann läuten sollten, wenn ein neuer Schüler seinem Saal zugeordnet war. Wer Musik machen konnte, spielte vereinzelt oder mit anderen zusammen. Dabei kam es sogar zu saalübergreifenden Freiluftkonzerten. Künstlicher Schnee, der nicht tauen konnte, bedeckte die Festwiese hinter dem Palast.
Im Unterricht war aber von der Feierstimmung nichts zu merken, zumindest nicht bei Professeur Faucon. Als sie am letzten Montag vor den Ferien in Verwandlung kleine Knöpfe in Dachse verwandelt hatten, was für die meisten sehr schwierig war, da die Größenunterschiede doch sehr störten, schaffte es Laurentine Hellersdorf, ihren Knopf mit einem lauten Knall in eine giftgrüne Rauchwolke zu verwandeln, die widerlich süß stank, wie überschweres Parfüm. Professeur Faucon herrschte die Muggelstämmige an, sich gefälligst zu konzentrieren und verhieß ihr, sie nach der Stunde noch in der Klasse zu behalten. Als sie zum Schluß die Bonus- und Strafpunkte vergab, sagte sie laut:
"Ich weiß, viele von Ihnen sind schon zu Hause oder bei ihren Verwandten, die Sie gerne besuchen möchten. Aber die Woche müssen Sie noch vollenden, Mesdemoiselles et Messieurs. Wir sehen uns dann übermorgen in Protektion gegen die destruktiven Formen der Magie. Mademoiselle Hellersdorf, Sie bleiben noch einige Minuten hier!"
Alle Drittklässler aus dem grünen Saal gingen schweigend hinaus. Zumindest hatten sie bis zur nächsten Stunde Verwandlung keine Hausaufgaben bekommen. Claire und Céline blieben zurück. So ging Julius mit seinen männlichen Klassenkameraden und Jasmine Jolis zusammen durch den Palast. Er wollte sein Malzeug holen, um in Professeur Bellarts Zaubermalereikurs die Kaminfeuerszene fertig zu malen, die er den Delamontagnes schenken wollte. Claires Weihnachtsgeschenk war bereits verpackt. Er überlegte schon, ob er es ihr nach Millemerveilles schicken oder dort selbst abliefern sollte. Immerhin wollten Jeanne und Claire ja zu ihrer Familie, wie er auch ...
"Julius! Die haben das wirklich gemacht"!" Rief Claire, als er gerade in der Halle mit den sternförmig abzweigenden Gängen stand und den korrekten Gang zum grünen Saal ansteuern wollte. Er drehte sich um und erschrak. Laurentine war total bleich, völlig niedergeschlagen. Sie ging vorn übergebeugt, mit niedergeschlagenen Augen, aus denen je ein Strom dicker Tränen tropfte. Claire und Céline flankierten die Mitschülerin, die am Boden zerstört sein mußte, fand Julius.
"Was haben die wirklich gemacht?" Fragte er Claire und wartete, bis sie auf Normalsprechweite herangekommen waren.
"Professeur Faucon hat Bébé gerade einen Brief von der Ausbildungsabteilung gegeben. Die haben ihr verboten, daß sie zu ihren Eltern fährt", schnaubte Claire. Céline meinte nur:
"Wenn die was androhen, dann tun die es auch."
"Tut mir leid", sagte Julius zu Bébé. Diese hob ihren Kopf, blickte durch tränenüberflutete Augen zu ihrem neuen Mitschüler auf und schniefte:
"Die wollen mich nicht nach Hause lassen, weil die meinen, meine Eltern wollten mich umbringen! Da steht das drin, Julius."
Julius zögerte ein wenig, bevor er das Pergamentblatt nahm. Barbara kam aus dem grünen Saal und fand die kleine Gesellschaft dort vor dem Gang stehen.
"Was gibt's, ihr vier. Was ist mit dir los, Bébé?" Fragte sie. Julius warf Laurentine einen fragenden Blick zu, während er auf den Zettel und dann auf Barbara deutete. Sie nickte und vergoss weitere Tränenbäche.
"Sehr geehrte Mademoiselle Hellersdorf", las Julius nun mit belegter Stimme vor, "wir bedauern, Ihnen mitzuteilen, daß nach reiflicher Prüfung Ihrer Lernfortschritte zum einen und dem Verhältnis Ihrer Eltern zu unserer Abteilung und zur Beauxbatons-Akademie zum anderen eine Erlaubnis zur Verbringung Ihrer Weihnachtsferien im Hause Ihrer Eltern Renate und Simon Hellersdorf nicht gewährt werden kann, da Ihr in Beauxbatons angehäuftes Strafpunktekonto, sowie ernstzunehmende Drohungen Ihrer Eltern, Sie bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit außer Landes zu schaffen, womöglich sogar zu ermorden, ihre in den letzten Monaten verzeichneten Lernfortschritte, ja womöglich auch Ihr Leben massiv gefährden würden. Da wir in der Eile keine unserer Abteilung verbundene Familie finden konnten, die Sie für die Dauer der Ferien beherbergt, weisen wir Ihre Lehrer an, Sie in den Räumen der Beauxbatons-Akademie zu belassen. Wir hoffen, daß Sie diese unsere Maßnahme verstehen können und verbleiben ..." Die Freundlichen Grüße, sowie den Namen unter dem Brief las Julius nicht mehr laut vor. Er sagte nur: "Schreibtischtäter!"
"Wer hat das verfaßt?" Wollte Barbara wissen und nahm Julius das Schreiben aus der Hand. Sie las den Namen, verzog das Gesicht und nickte Julius zu.
"Du hast völlig recht. Dieser Zauberer ist ein Schreibtischtäter. Der ist seit zwanzig Jahren Witwer, alle Kinder aus dem Haus und in die weite Welt. Der hat das verlernt, wie man sich nach den Lieben sehnt. Meine Mutter hatte mit dem schon manchen Strauß auszufechten."
"Was soll'n der Mist, das die keine Familie gefunden haben, die Bébé für die Weihnachtsferien aufnehmen kann?" Fragte Céline Dornier. Claire nickte beipflichtend.
"Weil dieser nette Zeitgenosse nur mit Leuten sowas durchzieht, die mal Lehrer in Beauxbatons waren. Da aber die meisten, die das waren, entweder tot oder anderweitig tätig sind, bleiben da nur fünf oder sechs Familien übrig, und die haben sich wohl schon gut verplant zu Weihnachten. Vergiss es Claire, daß deine Familie Bébé mit euch beherbergen kann! Dieser Meister wird das nicht hinnehmen."
"Das ist doch 'ne Unverschämtheit! Ich meine, Bébé hat sich rangehalten, die verdaddelten Punkte wieder reingeholt, und dann kommen die einem so?" Regte sich Julius auf.
"Und wenn meine Eltern schreiben, daß wir sie eingeladen haben?" Fragte Claire.
"Dann wäre das zu spät", stellte Barbara fest. "Der Typ ist ein sturer Zauberer. Ich fürchte, der würde selbst seinem eigenen Tod die Tür vor der Nase zuknallen, wenn der sich nicht vorher angemeldet hat. Aber das war doch zu befürchten, Laurentine, daß Professeur Faucon diese Drohung wahrmacht", wandte Barbara ein. Bébé schnellte in ihre aufrechte Haltung zurück und funkelte Barbara an:
"Jetzt glaubst du auch, meine Eltern wollten mich umbringen!" Schrie sie. Barbara trat zu ihr und sah ihr fest in die verquollenen Augen.
"Weder ich noch Professeur Faucon hat behauptet, daß deine Eltern dich umbringen wollen. Dieser nette Bürokrat hat das wahrscheinlich überinterpretiert. Vielleicht haben seine Wasserträger mit deinen Eltern gesprochen, und einer von denen hat wohl was aufgeschnappt, was der dann so verstanden hat. Das wird sich alles klären. Vielleicht ... neh, das dürfte wohl vergeblich sein, den noch umzustimmen."
"Was soll ich dann hier? Warum habe ich diesen Unsinn gelernt, wenn die mich doch nicht mehr nach Hause lassen?" Schniefte Laurentine.
"Den soll doch der Geist der Zukünftigen Weihnacht über einen leeren Friedhof führen und ihm zeigen, wie einsam er gestorben ist", knurrte Julius. Barbara räusperte sich.
"Sprich hier keine Flüche aus, Julius! Bébé, ich gehe mit dir noch mal zu Professeur Faucon und frage an, was genau du falsch gemacht haben sollst. Ich kann mich nämlich nicht dran erinnern, daß du nach den ersten zwei Wochen hier noch so stur auf Unfähigkeit gemacht hättest. Bei der Saalsprecherkonferenz kamst du immer besser rüber. Also hätten die das abblasen können."
"Die Faucon hat gesagt, ich müßte das als wichtige Lektion hinnehmen, daß man genau überwacht, was ich hier mache", wimmerte Laurentine Hellersdorf.
"Wir gehen da noch mal hin. Du hast jetzt ja keinen Freizeitkurs. Aber ihr solltet machen, daß ihr zu euren Kursen kommt. Céline, die Handarbeitstruppe ist schon unterwegs, und für euch, Claire und Julius ist die Malstunde wohl auch in fünf Minuten fällig."
"Wie gesagt, Laurentine. Ich kann dir das nachempfinden. Mir ist das ja genauso passiert im letzten Jahr", sagte Julius nur. Dann holte er mit Claire Malzeug und begab sich zur Werkstatt. Unterwegs fragte ihn Claire, was denn bitte schön der Geist der zukünftigen Weihnacht sein soll, worauf Julius ihr die Weihnachtsgeschichte von Charles Dickens empfahl, wo ein geiziger, sehr bösartiger Mann von drei Geistern zum guten Menschen bekehrt wurde, die ihm seine trübe Vergangenheit, seine einsame Gegenwart und seine unrühmliche Zukunft aufzeigten.
"Der hat das nicht selbst erfunden, Julius. Die Geschichte stammt aus der keltischen Zeit, wo ein reicher König sein Volk verhungern ließ und der Erzdruide seiner Hauptstadt drei Schicksalsgötter angerufen hat, die ihm zeigten, wie elend er zu Grunde gehen würde", sagte Claire, die nun wieder ein winziges Lächeln zu Stande brachte.
Am nächsten Tag verkündeten Céline und Claire, daß sie über die Ferien auch in Beauxbatons bleiben wollten. Als Julius dann sagte: "Hmm, dann sollte ich vielleicht auch ..." empörte sich Claire und entgegnete:
"Julius, du fährst gefälligst zu deiner Mutter. Die hat sich seit deinem Geburtstag und dieser Begegnung in Paris darauf gefreut, mit dir zu feiern. Außerdem hat Maman mir geschrieben, sicherzustellen, daß du auf jeden Fall hier wegreist, weil sie deine große Freundin", das Wort betonte sie etwas verhalten "Aurora Dawn eingeladen hat. Außerdem haben die Delamontagnes und die Grandchapeaus bekräftigt, daß sie dich über die Ferientage gerne einladen würden. Jeanne fährt auch weg, weil sie ja letztes Jahr bei euch in Hogwarts war. Ich habe Maman über Viviane eine Expressnachricht geschickt, daß ich hierbleiben werde, wobei ich haarklein geschrieben habe, warum. Céline bleibt hier, weil sie auch mit Bébé zusammen sein will. Du kennst das doch, wie es in einem großen Schlafsaal ist, wenn außer dir keiner da ist, hast du doch mal erzählt. Hercules und die anderen Jungen fahren auch nach Hause. Verdirb es dir doch nicht! Dafür ist deine Mutter nicht zu Madame Brickston gezogen."
"Ja, ist ja gut, Claire! Ich werde nicht hierbleiben. Ich kann das nur besser als ihr beiden anderen nachvollziehen, wie das ist, wenn einem plötzlich gesagt wird: "Vergiss deine Eltern! Die wollen dich nur kaputtmachen.""
"Ja, doch hierbleiben und mit ihr Händchen halten hilft ihr auch nicht. Das ist wie bei deinen Eltern. Die müssen sich irgendwie damit abfinden. Gut, was dein Vater gemacht hat, ist kein tolles Beispiel dafür, wie sowas gehen soll. Aber du kannst nichts für Bébés Lage. Du hast selber gesagt, daß du nicht mit anderen Muggelstämmigen verglichen werden willst, beziehungsweise nicht für die als Vergleichsmaßstab benutzt werden willst. Jetzt halte dich gefälligst dran!"
"Zu Befehl, Gebieterin!" Erwiderte Julius, dem das nun doch langsam zu bunt wurde, wie Claire ihn abbürstete, wie einen kleinen Jungen. Claire funkelte ihn an, grinste dann teuflisch und sagte:
"Eines Tages nehme ich dich da auch beim Wort, von wegen Gebieterin. Also pass auf, wie du mit mir redest."
Am Tag vor den Ferien kamen noch drei Briefe an. Einer kam aus Paris von seiner Mutter, die sich freute, daß Julius zu ihr kommen durfte. Einer kam aus Millemerveilles und stammte von Madame Dusoleil. Sie schrieb, daß sie zwar bedauere, daß Claire nicht nach Hause kommen wolle, es aber verstehen könne, wenn jemand anderes dafür ohne festen Halt sein müsse. Sie forderte von Julius eindringlich, daß er zu seiner Mutter reisen sollte und wünschte ihm ein fröhliches Weihnachtsfest.
Julius überflog noch einmal, ob er alle Geschenke richtig zusammen hatte. Claire würde ihr Geschenk dann hier in Beauxbatons bekommen. Gloria schenkte er ein mittelteures Parfüm, wobei er damit rechnete, daß ihm Mrs. Dione Porter gehörig die Meinung sagen würde, wenn er mit einer festen Freundin einem anderen Mädchen mehr schenkte und dafür noch viel zu viel Geld ausgab. Für Kevin hatte er bei Forcas formidable Verrücktheiten mehrere Sachen bestellt: Drei Fontänenphiolen, eine Tüte Federleichtzuckerwatte und ein paar Tarantelzuckerwürfel, die in eine Flüssigkeit geworfen zu handtellergroßen Spinnen anwuchsen, die dann mehrere Meter laufen konnten, bevor sie sich in Rauch auflösten. Im Alchemiekurs hatte er eine Sonnenlichtkristallampe gebaut, die das Licht, was sie am Tag anleuchtete, nachts wieder zurückgab. Dieses selbsterstellte Wunderding schickte er Pina Watermelon. Für die Hollingsworths hatte er für einige Galleonen sogenannte Geschwisterketten aufgetrieben. Die Montferres hatten sie ihm empfohlen. Sie zeigten einem Geschwisterteil, ob der Bruder oder die Schwester glücklich, traurig, in Gefahr oder in guter Obhut war. Sicher, seit den Tagen als Belles Doppelgängerin wußte er, daß Zwillinge wohl natürliche Mentiloquisten, also Gedankenübermittler untereinander waren. Doch er hatte von den Montferres noch nichts dergleichen gehört oder von den Hollingsworths. Für seine Mutter hatte er bei Madame Esmeralda einen Gutschein für ein maßgeschneidertes Festkleid erworben. Doch eigentlich, so wußte er, würde sie sich freuen, ihn nach einem vollen Jahr wieder zur Weihnacht im Haus zu haben. Für Madame Dusoleil hatte er im Malunterricht weitere Naturbilder gemalt, und für Monsieur Dusoleil wollte er in Paris nach klassischen Zukunftsdichtungen suchen. Gewiss konnte ihm Catherine einige Francs auf Galleonen, Sickel und Knuts herausgeben. Doch dazu mußte er erst einmal in Paris sein.
Der achtzehnte Dezember kam und mit ihm ein wohlorganisierter Massenaufbruch. Alle Schülerinnen und Schüler, die über die zweieinhalb Wochen heimreisen wollten, traten nach dem Nachmittagsunterricht mit ihren gepackten Koffern und Taschen an. Aus einer magischen Quelle schwebten weihnachtliche Melodien und dazu passendes Glöckchenspiel durch alle Gänge, Hallen, Gemächer und über die Ländereien um den Palast. Julius sah im Vorübergehen, wie Lampions und frei schwebendes Lametta unter der Decke angebracht worden waren, erblickte die mehrere Meter hohen Tannen und Fichten, die vor dem Palast standen und auch die großen Kerzen, die einen weiten Kreis um den Palast bildeten. Madame Maxime, die ein blütenweißes Satinkleid mit Zierperlen trug und durch ihr dunkles Haar silberne Ketten mit vereinzelten Diamanten und Smaragden geflochten hatte, beaufsichtigte den Weihnachtsauszug ihrer Schützlinge. Die Saalvorsteher und -vorsteherinnen hatten sich ebenfalls festlich gekleidet. Er sah, wie Professeur Fixus in einem erdbeerroten Seidenkleid ihre Schüler zusammensuchte, wie Professeur Faucon in einem langen mauvefarbenen Kleid die Grünen begutachtete, die wie Julius nach Hause wollten und sah Professeur Paximus, der einen sonnengelben Samtumhang und einen weißen Zylinder anhatte zusammen mit Francine Delourdes und dem schlachsigen Octavian Leblanc, dem Saalsprecher der Gelben. Er konnte erkennen, wie Professeur Trifolio besonders Constance Dornier begutachtete, die von Deborah Flaubert begleitet wurde. Schwester Florence stand vor dem Hauptportal und blickte über den breiten gepflasterten Torweg hinunter, wo die Schülerinnen und Schüler sich schnell aber geordnet versammelten. Der Himmel war bis auf einige grauweiße Haufenwolken blau. Die Wintersonne schickte warme Strahlen zur Erde. Ein frischer, wohl nur fünf Grad warmer Wind bauschte Umhänge und Kleider auf, fuhr durch das Haar der Beauxbatons-Schülerinnen und -schüler, wiegte die großen Weihnachtsbäume. Besser konnte das Wetter nicht sein.
Nur wenige wollten hierbleiben. Darunter waren neben Céline und Claire noch sechs Jungen aus dem weißen Saal, fünf Mädchen von den Blauen, die wohl in der vierten Klasse waren und drei von den Violetten. Hinzu kamen noch die drei Pflegehelferinnen Deborah Flaubert, Felicité Deckers und Gerlinde van Drakens. Claire und Céline winkten Julius zum Abschied. Er winkte zurück und wünschte laut: "Fröhliche Weihnachten!" Als hätte er damit ein Startsignal gegeben, wünschten die heimfahrenden Schulkameraden denen, die in Beauxbatons blieben ebenfalls fröhliche Weihnachten. Madame Maxime ließ das geschehen. Als dann wohl jede und jeder einen Abschiedsgruß ausgerufen hatte, klatschte sie in ihre gepflegten übergroßen Hände, die wortlose Anweisung, absolut ruhig zu sein.
"Mesdemoiselles, Messieurs. Nun werde ich Sie in die für die meisten von Ihnen wohlverdienten Weihnachtsferien entlassen. Ich hoffe, Sie nutzen diese Zeit, sich gut zu erholen und neue Kraft für das Ende des ersten Halbjahres und den Beginn des nächsten Halbjahres zu sammeln. Wem von meinen Kollegen Hausaufgaben erteilt wurden, die mögen sie mit derselben gebotenen Disziplin, wie hier in Beauxbatons, verfertigen! Ich wünsche Ihnen allen eine friedliche, besinnliche und glückliche Weihnachtszeit und einen guten Jahreswechsel!"
Julius erhaschte noch einen Blick zu Claire, Céline und Laurentine, die zusammenstanden und teils wehmütig, teils ausdruckslos die Abreise beobachteten. Dann erfolgte der Aufruf der ersten Gruppe:
"Die Schülerinnen und Schüler aus dem Zielraum Paris zum Ausgangskreis!" Rief die Schulleiterin. Martine und Millie Latierre, sowie Belle Grandchapeau, Adrian Colbert und seine jüngere Schwester Charlotte, Constance Dornier und Edmond Danton begleiteten Julius zusammen mit mindestens zwölf Dutzend anderen Schülerinnen und Schüler in den roten voll ausgeprägten Startkreis für die magische Reisesphäre. Die Lehrer Paximus und Paralax stellten sich genau auf den Mittelpunkt der runden roten Fläche und beobachteten, wie Schüler und Gepäck ordentlich innerhalb der Abgrenzung zusammenfanden. Als feststand, daß niemand mit einem Bein außerhalb des Kreises stand, beschwor Professeur Paximus mit senkrecht über seinem Kopf hochgestrecktem Zauberstab jene geheimnisvolle rote Lichtsphäre, die ihn und alles, was im Kreis wartete einhüllte, in sich einschloß und dann irgendwie davontrug, ob durch die Luft oder zwischen den Dimensionen von Zeit und Raum, wußte Julius nicht. Er fühlte nur die völlige Schwerelosigkeit und hörte wie ferner Donner klingendes Grollen. Der Lehrer für Muggelkunde, dessen Unterricht Julius als Belles Doppelgängerin zweimal besucht hatte, verkündete mit ruhiger, wie in einem Gewölbekeller widerhallender Stimme:
"Noch vier Sekunden bis zur Ankunft!"
Als die gewohnte Schwerkraft wieder einsetzte, klaffte die rote Reisesphäre über den Schülern und Lehrern auf, versank blitzartig um sie herum im Boden und verschwand. Sie waren angekommen.
Der Zielkreis war grün und von einer etwa vier Meter hohen, hufeisenförmigen Mauer umgeben. Die große Öffnung des Walles wies auf einen mit hohen Bäumen umstandenen Platz. Julius war schon einmal in dieser Gegend gewesen. Mit Belles Klasse hatte er für wenige Sekunden in diesem Kreis gestanden, als er mal soeben für zwei Schulstunden in die algerische Sahara verreist war. Offenbar, so vermutete er, bildete der magische Kreis in Paris den wesentlichen Umsteigebahnhof für Fernreisen und war wohl auch mit allen anderen Ausgangskreisen im französischen Sprachraum verbunden. Ja, es gab sogar einen versteckten Ausgangskreis in New Orleans, wußte Julius von Jane Porter, die ihn mit ihrer Enkelin und Pina zusammen besucht hatte, als er Geburtstag in Millemerveilles gefeiert hatte.
"Komm, Julius, wir können nun zum Empfangsplatz an der Rue de Camouflage", sagte Martine und zog den in England geborenen Mitschüler locker hinter sich her. Millie folgte den Beiden. Belle Grandchapeau unterhielt sich mit Adrian Colbert, mit dem sie zusammengestanden hatte, als die Reisesphäre sie alle forttrug. Als Julius zusammen mit den Latierre-Schwestern an ihr vorüberkam, wandte sie sich ihm zu und sagte noch:
"Wir sehen uns dann bald."
"In Ordnung, Mademoiselle Grandchapeau", erwiderte Julius. Dann verließ er mit den Schülerinnen und Schülern den grünen Kreis und trat auf den großen gepflasterten Platz hinaus. Er roch den fast schon vergessenen Dunst einer riesigen Stadt und hörte das ferne Rumoren vieler vieler Autos und Busse. Der Himmel über dieser Millionenstadt war total mit gelblich-grauen Wolken verhüllt. Hier war es noch etwas kälter als in Beauxbatons, stellte der Sohn einer Computerprogrammiererin und eines Chemikers fest. Als sie dann auf dem freien Platz standen, eilten erwachsene Hexen, Zauberer und Nichtmagier von beiden Enden der an diesem Platz vorüberführenden mittelalterlich wirkenden Straße herbei. Julius erkannte sofort Monsieur Grandchapeau. Denn er war der einzige, der einen Zylinder trug und dem viele Zauberer und Hexen respektvoll auswichen, als er mit seiner Frau, die ein smaragdgrünes Seidenkleid trug, sowie drei unauffällig gekleideten Zauberern und einer Hexe herankam. Dann fiel ihm noch eine Frau in einem rot-goldenen Kostüm auf, die mindestens einen Meter und neunzig groß sein mochte, athletisch gebaut war, nicht dünn, aber auch nicht dick und schulterlanges rotblondes Haar trug. Sie sah Martine Latierre so ähnlich, daß sie bestimmt nur ihre Mutter sein konnte, fand Julius, als er die hochgewachsene Frau, wohl eine Hexe, für einen Moment ansah. Sie sah ihre Töchter neben Julius und blickte dann auch ihn an. Sie lächelte.
"Ist euer Vater nicht dabei?" Fragte Julius seine Pflegehelferkameradin. Diese grinste nur und erwiderte:
"Maman kann sich besser durch die Menge drängeln als er. Was bei Madame Maxime an Größe mehr vorhanden ist, hat die Erdmutter ihm nicht mitgeben können. Ich hörte, daß ihr in Hogwarts einen kleinwüchsigen Lehrer für Zauberkunst hattet. Nach dem, was Bruno und Barbara erzählt haben, ist Papa noch etwas kleiner als der."
"Bitte?" Fragte Julius erschrocken. Sicher kannte er kleinwüchsige Leute, auch unfein als Zwerge oder Lilliputaner bezeichnet. Professor Flitwick konnte wohl dazugerechnet werden. Aber jemand, der noch kleiner sein sollte, ein erwachsener Mann? Er kannte auch Laurin Lighthouse, den Mann von Pamela Lighthouse, deren Bild er vor genau zwei Jahren zu Silvester bekommen hatte. Aber noch kleiner? Dann fiel ihm ein, daß was für Madame Maxime und die Delacours galt, auch mit anderen Zauberwesen, Zwergen, Kobolden oder dergleichen gehen mochte. Er hatte zwar noch keinen echten Zwerg gesehen, aber geben sollte es sie, wußte er von Gloria Porter.
"Aha, da sind ja auch die Moulins und Dorniers", sagte Mildrid Latierre und deutete auf zwei Paare, die herbeikamen. Julius erkannte die Ähnlichkeit zu Hercules beziehungsweise Constance Dornier. Monsieur Agilius Dornier kannte er ja auch schon persönlich, weil dieser ihm den gerade in seinem Futteral am eleganten Reisekoffer ruhenden Ganymed 10 übergeben und ihm den Umgang damit beigebracht hatte. Dann sah er zwei Frauen, die er sehnlich erwartet hatte. Eine von ihnen trug einen mitternachtsblauen Umhang aus Samt über einem hellblauen Kostüm, besaß schwarzes Haar und saphirblaue Augen. Die andere war mittelblond, hatte dieselben Augen wie Julius und trug ein fliederfarbenes Seidenkostüm, darüber einen cremefarbenen Mantel. Sie winkten ihm zu. Er winkte zurück. Dann trafen die ersten Elternpaare ein.
Die Begrüßung der Ferienheimkehrer fiel herzlich und laut aus. Die Elternteile oder -paare umarmten ihre Kinder, küßten sie oder klopften ihnen auf die Schultern. Madame Latierre wurstelte sich lässig, ja spielerisch durch die Menge der ankommenden Erwachsenen und eilte auf ihre Töchter zu. Dabei näherte sie sich Julius Andrews. Er nahm den erfrischenden Duft eines zitronenartigen, mit irgendwelchen fremdländischen Kräutern durchsetzten Parfüms in seine Nase auf und sah an den Bewegungen, daß diese Frau sowohl stark als auch gewand war und irgendwas ausstrahlte, das dem Jungen als Überlegenheit und Kontrolle vorkam. Klar, wenn sie die Größte in der Familie war, mochte sie auch alles unter Kontrolle haben.
"Hallo, ihr beiden!" Grüßte sie ihre Töchter. Dann sah sie Julius an und strahlte ihn an, wie ein ganzer Weihnachtsbaum. "Hallo, Monsieur Andrews! Gut eingelebt in Beauxbatons?"
"Hallo", brachte Julius nur hervor. Irgendwie fühlte er sich im Moment klein und wehrlos. Das kannte er bislang nur von Madame Maxime und Professeur Faucon.
"Er fühlt sich wohl etwas überrumpelt, weil ich euch nicht korrekt einander vorgestellt habe, Mam. Julius, daß ist Hippolyte Latierre, meine Frau Mutter. Mam, das ist Monsieur Julius Andrews, der mit Millie in Zaubertränken, Magische Geschöpfe und Arithmantik zusammen ist", sagte Martine ganz höflich, ganz korrekt sprechend.
Julius hätte fast gegrinst, weil derVorname Madame Latierres im Französischen "ippoliet" ausgesprochen wurde, was für eine solche sportliche Hexe irgendwie niedlich rüberkam.
"O, Klar, Cherie. - Hallo, Monsieur Andrews! Hast du dich gut eingelebt in Madame Maximes Bildungseinrichtung?"
"Ich habe mich wohl besser eingelebt, als ich das ursprünglich gedacht habe, Madame Latierre", antwortete Julius nun vollständig auf die Frage, die ihm gestellt worden war.
"Julius hält sich zurück bei großen Mädchen, Mam", sagte Millie gehässig. Ihre Mutter sah Julius an und erwiderte:
"Zu viel Andrang, wie? Aber ich denke mal, daß legt sich im nächsten Halbjahr."
"Hallo, Hippolyte", sprach eine Julius' wohlbekannte Stimme von links her die großgewachsene Hexe an. Der ehemalige Hogwarts-Schüler wandte sich in die Richtung, wo diese Stimme hergekommen war und erkannte Catherine Brickston, die ihn warm anlächelte. Neben ihr stand seine Mutter, Martha Andrews, keine Hexe. Sie sah ihren Sohn an und strahlte über ihr ganzes Gesicht.
"Schön, dich wieder zu sehen, Julius. Das sah ja schon futuristisch aus, wie ihr in dieser roten Halbkugel aufgetaucht seid. Daß du gut zu essen bekommen hast, sehe ich auch durch den Umhang. Aber geht es dir auch sonst gut?"
"Ja, nach einigen merkwürdigen Sachen, die mir passiert sind, habe ich mich doch wieder gut erholt", sagte Julius. Dann umarmte er seine Mutter. Danach begrüßte er Catherine, die mit Madame Latierre einige Worte gewechselt hatte.
"Die Tasche ist gesichert oder frei beweglich, Julius?" Fragte sie nach der üblichen Begrüßung. Julius sagte, daß die Reisetasche im Moment frei beweglich war. Er hatte vor der Reise den Diebstahlschutz wieder aufgehoben. Das war irgendwie praktischer.
"Accio Julius' Reisetasche", sprach Catherine mit auf den Ausgangskreis gerichtetem Zauberstab. Die Practicus-Reisetasche flog über alle Köpfe hinweg und senkte sich vor Catherine Brickston auf den Boden. Dann holte sie auch den Reisekoffer herbei. Danach sahen sie alle zu, wie jedes Elternpaar die Gepäckstücke der Schüler mit Aufrufezaubern zusammensuchte und wie die Familien sich dann voneinander verabschiedeten. Julius sah noch, wie Madame Dornier sich intensiv mit ihrer älteren Tochter unterhielt. Offenbar wußte die Hexe nicht, ob sie nun wütend oder besorgt dreinschauen sollte, fand Julius.
"Man sieht sich dann am Vierten Januar wieder hier", sagte Millie Latierre. Ihre große Schwester nickte. Julius verabschiedete sich auch von den Latierres, von seinen mitgereisten Schulkameraden und von den Grandchapeaus, die mittlerweile zusammengefunden hatten. Dann beförderte Madame Brickston den prallen Koffer per Transportzauber zu einem vierräderigen Karren, auf den er bequem untergestellt werden konnte. Alle Zauberereltern und auch die der Muggelstämmigen, konnten sich solche Wagen leihen, die am Rande des großen Platzes zusammenstanden, wie Einkaufswagen im Supermarkt. Die holperige Straße entlang ging es zu einem imposanten Gebäude, dem Zauberkunstmuseum, das einen freien Ausgang in die nichtmagische Welt besaß. Einerseits konnte man von dort zu einer verlassenen Metrostation hinuntersteigen, andererseits wurde, so wußte Julius es von seinen neuen Mitschülern eine gewöhnliche Ausgangstür freigehalten, durch die man auf die Straßen von Paris hinaustreten konnte. Durch das weite Voyer mit seinen beiden Kaminen, durch die man mit Flohpulver an- und abreisen konnte, begaben sich Catherine, Martha Andrews und Julius zu eben diesem Ausgang, einer großen Flügeltür aus Kristall. Sie traten hinaus in die mit Abgasen und Rauch verpestete Großstadtluft.
Von außen wirkte das imposante Museum wie ein altes Lagerhaus, abweisend, ja irgendwie bedeutungslos. Mit dem Kofferkarren ging es zu einem großen Auto, einem neuen Renauld in seegrün, der noch wenige kleine Beulen im Blech hatte. Denn wer hier Auto fuhr, mußte kleinere Blechschäden hinnehmen, war dem ehemaligen Hogwarts-Schüler bekannt. Er sog alle Eindrücke einer Welt in sich auf, aus der er eigentlich herausgeholt worden war. Er sah die vielen Autos, die hupend und drängelnd auf den Straßen dahinglitten, die Leuchtreklamen an den Wänden weit entfernter Hochhäuser, deren Dachspitzen an die Unterseite der schmutziggelben Dunstglocke zu stoßen schienen. Hörte das vielstimmige Surren, Brummen und Schnattern von Fahrzeugen und Fußgängern. Als sie dann bei dem Auto angekommen waren, erkannte Julius, daß Joe Brickston, Catherines Mann und seiner Mutter früherer Studienkollege am Steuer saß. Babette saß auf dem Rücksitz und sah mit ihren großen saphirblauen Augen auf die kleine Gruppe, die da ankam. Catherine öffnete von Hand den Kofferraum und wuchtete mit Julius zusammen den Reisekoffer in das Auto. Dann stellte Julius noch seine Reisetasche hinein und schloß den Kofferraumdeckel wieder.
"Wer setzt sich vorne rein?" Fragte er. Seine Mutter nickte. So stieg sie zuerst ein. Julius begrüßte erst Joe Brickston, wobei er Englisch sprach und dann Babette, die wie auf heißen Kohlen darauf wartete, mit ihm zu reden. Als Catherine dann noch durch die Hintertür zur Fahrbahnseite in den Wagen geschlüpft war, fuhr Joe sofort los.
"Das mit dem Auto machen wir nur heute, Julius", sagte Catherine, wobei sie Französisch sprach. "Ich wollte deiner Mutter zeigen, wo und wie ihr ankommt. Für die Rückreise nehmen wir Flohpulver, wie die meisten hier. Der Bus für die Muggelstämmigen wird wohl gleich ankommen, um sie abzuholen. Ich habe es mit den Leuten von der Ausbildung abgeklärt, daß wir in die Nähe des Museums fahren durften. Denn normalerweise dürfen da keine Muggelautos parken, wegen der Auffälligkeit. Als gewöhnliche Politessen arbeitende Hexen passen auf, daß hier niemand parkt, der da nichts zu suchen hat."
"Dieses Unwort "Muggel" kannst du doch weglassen, Catherine. Oder fährt bei euch wer Auto? Fragte Joe leicht genervt.
"Ich, Joe", erwiderte Catherine schlagfertig. "Außerdem haben die Offiziellen des Zaubereiministeriums einige Autos und Chauffeure, und Martha wäre ja ohne diesen Möbelwagen von London her gar nicht so einfach zu uns gekommen."
"Ach, die Geschichte hast du mir ja noch gar nicht ganz erzählt, Mum", sagte Julius auf Französisch, bevor ihm auffiel, daß er ja an und für sich Englisch reden wollte. Seine Mutter lächelte und erwiderte in der hier üblichen Sprache, langsam aber akzentfrei:
"Das erzähl ich dir zu Hause."
Zuhause! Dieses Wort, egal in welcher Sprache, hatte etwas besonderes, etwas verheißungsvolles, sicheres und wichtiges. Julius erschauerte, als ihm jetzt erst klar wurde, daß er nach Hause fuhr, in ein Zuhause, in dem er sich erst zu Hause fühlen lernen mußte. Wie würde sein neues Zimmer aussehen? Was für eine Wohnung war das, die Catherine seiner Mutter und ihm eingerichtet hatte. Waren alle wichtigen Möbel und Gebrauchsgegenstände da untergekommen? Nun galt es. Das Phantom eines neuen Zuhauses, das sich bisher nur in Briefen von Seiner Mutter geäußert hatte, würde in einigen Minuten greifbar, wirklich, feststehend werden. Babette lenkte ihn von diesen abschweifenden Gedanken an sein neues Zuhause ab, indem sie fragte, wie es in Beauxbatons sei. Joe knurrte nur, daß sie das doch bei ihnen machen könne, weil er sich auf den Straßenverkehr konzentrieren müsse und Babette manchmal sehr Laut plärrte. Catherine nickte und sagte ihrer Tochter:
"Julius muß erst einmal sehen, wie sein Zimmer aussieht, wo er seine Sachen alle hintut und wie seine Maman und er nun untergebracht sind. Aber weil sie ja nachher zum Kaffeetrinken runterkommen, wird er dir bestimmt alles sagen, was du gerne wissen willst, Kleines."
"Wenn wir diesen Wust hier überleben", sagte Joe auf Englisch. Dann fragte er, ob Julius diese Sprache verlernt habe und meinte gehässig, daß seine werte Schwiegermutter ja zu sowas fähig sei.
"Wenn es nach ihr ginge hättest du deine Englischkenntnisse längst schon vergessen, Joe. Maman respektiert dich. Täte sie das nicht, weißt du genau, was du dann heute noch wärst", sagte Catherine schnell auf Französisch. Julius sah seine Mutter an. Sie hatte es wohl verstanden, denn sie sah etwas betreten drein, nicht unbeeindruckt oder verdutzt, wie wer, der einen Satz nicht verstanden hat. Er konnte sich zu gut denken, was Catherine meinte. Denn ohne es genau zu bezeichnen, hatte er von Jeanne mal was gehört, daß Professeur Faucon den Infanticorpore-Fluch auf jemanden aus ihrer Familie angewendet hatte. Das war, als sie letztes Weihnachten Henry Hardbrick in einem Korridor gefunden hatten, der von einer von ihm geärgerten Durmstrang-Schülerin durch diesen Fluch zum Baby zurückverwandelt worden war, allerdings, und das war ja das gemeine an diesem Fluch, nur körperlich.
"Klar, Catherine. Deine Mutter respektiert mich, wie eine Taube den Triumphbogen", raunzte Joe und bremste scharf, als ein Opel Kadett mit belgischer Autonummer nach links schlenkerte.
"Pommesfresser, wenn du nicht fahren kannst bleib mit deinem ...!" Setzte Joe an, wurde aber von Catherines empörtem "Nein" unterbrochen.
"Ich habe dir schon hundertmal gesagt, daß du mit deinen Ausdrücken aufpassen sollst, wenn du nicht willst, daß Babette das übernimmt", tadelte Professeur Faucons Tochter ganz wie die Frau Mutter ihren Mann.
"Pommes!" Rief Babette. "Krieg' ich heute welche?"
"Wenn deine Maman wieder arbeiten geht", flüsterte Joe ihr kurz zugewandt, weil er eh an einer Ampel hatte halten müssen. Babette grinste zufrieden. Catherine sagte:
"Wieso mußt du erst warten, bis ich wieder arbeiten gehe, Joe. Ich kann euch heute gerne welche machen. Die sind bestimmt gesünder als die Schnellfuttersachen, die du merkwürdigerweise immer noch nicht aufgegeben hast."
"Hast du wieder was von Paps gehört, Mum? Du hast ja geschrieben, daß er 'ne Zeit lang nicht in London war. Oder hat er sich nur stur gestellt?"
"Dein Vater ist nicht mehr in London, Julius. Der wurde in New York von einem Kopfjäger abgeworben und sitzt nun in Detroit in einer Autofabrik in der Materialkundeabteilung. Da soll er angeblich das doppelte von dem kriegen, das Goodwin und seine frühere Firma ihm bezahlt haben. Ich bekam das auch erst vor drei Tagen mit."
"Moment, dann ist er ja nicht mehr im Schutzbereich", warf Julius ein, der sich daran gewöhnt hatte, nun Französisch mit seiner Mutter zu reden, weil sie das ja auch tat.
"Das habe ich auch erst gedacht. Ich habe Goodwin nicht anrufen können. Der hat ja eine Geheimnummer. Und Donaldson wußte von nichts. Er hat nur erzählt, daß man ihn wohl demnächst zum Chef der Forschungsabteilung machen würde und mir fröhliche Weihnachten gewünscht."
"Der Schutzbann ist auch nicht nötig, solange er in den Staaten ist, Julius. Die Leute von ihm, den anständige Zauberer nicht beim Namen nennen wollen, haben drüben eine heftige Niederlage einstecken müssen. Außerdem, soviel weiß ich aus England, konzentriert er sich zurzeit nicht auf Muggelstämmige. Der sucht was, was ihm helfen soll, mehr Macht zu kriegen. Außerdem, daß weißt du sicher von Maman und der Oma deiner Schulfreundin Gloria, muß er sich ja zurückhalten, weil das Ministerium ja alles tut, um zu verheimlichen, daß er wieder da ist. Wahrscheinlich dürfen seine Stiefellecker nichts tun, was auffällt, bis er hat, was er sucht."
"Ja, aber das war doch nicht Sinn der Übung, daß Paps aus London fortzieht!" Rief Julius. "Was ist denn nun mit dem Haus?"
"Mrs. Summerbee betreut es. Mrs. Stalker, die kennst du ja wohl noch, hat mir das gestern erzählt, daß er es wohl zum Verkauf anbieten will. Allerdings habe sie das nicht von ihm, sondern von Mr. Jenkins vom Maklerbüro Jenkins, Porch & Peterson, der in Nummer einundzwanzig wohnt."
"Dann war der ganze Zauber wohl für die Miau?" Fragte Julius Catherine. Diese sah ihn erst entgeistert an, mußte dann aber nicken.
"Wenn sicher ist, daß er dort nicht mehr wohnen will, muß ich Glorias Oma anspitzen, daß er da, wo er dann wohnt, seinen neuen Schutzbereich kriegt. Der Zauber, den wir um euer Elternhaus aufgerufen haben, vergeht ja von alleine, wenn jemand fremdes, der aber nicht dem früheren Eigentümer böses will, länger als ein volles Sonnenjahr dort wohnt und seine eigenen Lebensschwingungen verteilt hat. Aber dieses Bewohnen muß dann ununterbrochen sein, also nicht so, daß du oder deine Maman da noch mal hinfahrt. Dann muß noch mal ein volles Jahr vergehen, bevor der Zauber sich verzehrt. Falls aber in der Zeit ein erklärter Feind deiner Eltern dort auftaucht, hält er diese natürlich weiterhin ab. Auch dieser Einfluß setzt die Vergänglichkeitsfrist wieder auf ein volles Jahr zurück. Aber das kannst du ja alles von Maman lernen. Könnte sogar eine ZAG-Prüfungsfrage sein."
"Dann wollen wir hoffen, daß Paps bald sicher unterkommt, damit Glorias Oma da was drehen kann, ohne daß er es merkt. - Aber eine Telefonnummer hast du von Paps noch nicht, oder geht sein Handy auch in Amerika?" Wandte Julius sich noch mal an seine Mutter. Diese schüttelte den Kopf.
"Er hat alles hingeworfen, was ihn mit uns verbindet. Ich habe ihn öfters auf seinem Handy zu erreichen versucht. Die Nummer existiert nicht mehr. Dein Vater hatte ja ein teures Handy, mit dem er rund um die Welt arbeiten konnte, wie ich ja auch eins habe."
"Moment, wenn der jetzt da arbeitet braucht der doch 'ne Aufenthalts- und eine Arbeitserlaubnis. Hat er die denn?" Martha Andrews nickte auf diese Frage ihres Sohnes. Julius hielt das Thema dann vorerst für beendet. An und für sich wollte er ja seinem Vater fröhliche Weihnachten wünschen, aber das ging dann wohl im Moment nicht.
Nach einer langen Fahrt durch das Kraftfahrzeug-Chaos von Paris erreichten die Brickstons und Andrews' die Rue de Liberation und fuhren in die Garage ein. Im Haus ließ Catherine den großen Koffer mit "Locomotor Reisekoffer" die Treppen hinaufgleiten, bis in das Obergeschoss, wo Julius sofort eine glatte Steinwand mit einer zimtroten Rauhfasertapete auffiel, wo früher der Gang zu den überzähligen Räumen war, die wohl als Kinderzimmer für Großfamilien genutzt werden sollten. Eine walnußbraune Eichenholztür mit einem silbern glitzerndem Knauf und einem Sicherheitsschloß war zwei Meter von der Treppe entfernt in die Wand eingebaut worden. Martha fischte in ihrer Manteltasche nach einem Schlüsselbund und steckte einen silbernen schmalen Schlüssel mit merkwürdigen Verzierungen in das Schloß. Dreimal rechts herum drehte sie den Schlüssel. Dreimal klackte es in der Tür. Offenbar wurde ein aufwändiger Sicherheitsriegel stück für Stück entsperrt, vermutete Julius. Dann klickte es zum dritten Mal, und die Tür ließ sich leicht nach innen öffnen, ohne zu quietschen oder zu sehr über den Boden zu schleifen oder gar zu weit über dem Boden zu schwingen.
"Die haben das hier alles in nur zwei Stunden hochgezogen, eingepaßt und verfestigt", sagte Mrs. Andrews und winkte ihrem Sohn, ihr zu folgen.
Das erste, was Julius von dem neuen Zuhause mitbekam, war der Dunst frisch aufgebrühten Tees, der ihm warm und duftend um die Nase wehte. Dann sah er den flauschigen Teppich, den er als einen der Teppiche wiedererkannte, die in seinem früheren Elternhaus gelegen hatten. Innen waren die Wände hell, aber nicht zu hell gestrichen, und viele Bilder von früher hingen daran. Es waren nicht nur die Drucke berühmter Gemälde, die in der londoner Winston-Churchill-Straße gehangen hatten, sondern auch Fotos von ihm und seinen Eltern, wie sie im Urlaub gewesen waren und wie er eingeschult worden war. Die neue Diele besaß neben der neuen Tür noch vier Zugänge zu anderen Zimmern. Ein Zimmer war das Badezimmer, wo eine große Wanne, ein Waschbecken und eine Toilette untergebracht waren. Links davon lag ein großes Zimmer, das Julius Kleiderschrank, Bett und Schreibtisch, seine Musikanlage und seinen Computer enthielt. Ein großes Fenster zeigte auf den ruhigen Hinterhof hinaus. Es besaß, das sah Julius sofort, ein Sicherheitsschloß. Er klopfte kurz an die Scheibe und hörte einen Ton, wie von Panzerglas. Er öffnete das Fenster mit einem Schlüssel, den seine Mutter ihm gab und stellte fest, daß die Scheibe so dünn wie gewöhnliche Fensterscheiben war. Er sah Catherine an und fragte leise:
"Die Scheibe, da habt ihr doch was dran gedreht, oder?"
"Klar. Wir wollten keine unnötigen Extraausgaben haben. Außerdem habe ich mir für das ganze eine Sondergenehmigung geben lassen. Da deine Mutter hier als wichtige Mitarbeiterin des Ministeriums arbeitet, fiel die Wohnung zu dem, daß sie in unserem Haus liegt, noch unter die Vergünstigungsregel sieben der allgemeinen Baubestimmungen. Wenn du das Fenster wieder zumachst, hörst du von draußen kein Geräusch."
Julius schloß das Fenster wieder. Die Scheibe war wohl unzerbrechlich gezaubert worden, sodaß sie gewöhnlicher Gewalt standhielt, ob Steinen, Knallkörpern, Glasschneidern oder Kugeln aus Pistolen oder Gewehren. Dann besah er sich die Vorhänge, die aus grasgrünem Stoff bestanden und seidigweich links und rechts neben dem Fenster herabhingen. Dann fiel ihm noch auf, daß unter dem Schreibtisch ein Telefonkabel angeschlossen war, daß mit dem Modem seines Personalcomputers verbunden war. Seine Mutter wollte also haben, daß er in den Ferien auch ins Internet schauen konnte und vielleicht E-Mails verschickte, wenn er jetzt auch nicht wußte, an wen.
"Mein Schlaf- und Arbeitszimmer ist gleich nebenan", verriet Martha Andrews und führte ihren Sohn in ihr Zimmer, wo auch ein Computer, jede Menge CD-ROMS und Disketten und ein bequemes Einzelbett standen. Dann ging es in das Wohnzimmer. Wohnzimmer? Julius meinte, unvermittelt in einen großen Saal mit Teppichboden hineinzustolpern. Was von der Bauweise des Hauses her unmöglich schien, lag doch vor ihm. Das Wohnzimmer war bestimmt zehn mal zwanzig Meter groß, mit weichen hellen Teppichen ausgelegt, mit vier verschiedenen Großbildtapeten an den Wänden geschmückt, die eine Waldwiese, einen Meeresstrand, ein beschauliches Dörfchen und das Stadtzentrum von London darstellten. An der Decke hing ein achtarmiger Leuchter mit großen Glühbirnen. Ansonsten befanden sich ein großer Esstisch, der aus dem londoner Haus stammte, die Couchgarnitur aus einem Gästezimmer, mindestens zwanzig Stühle und ein mindestens vier Meter breiter Bauernschrank in diesem Raum. Ein Fernseher, eine Stereoanlage mit großen Boxen, sowie ein Videorekorder und ein Telefon mit Fax und Anrufbeantworter vertraten die technische Welt in diesem bestimmt nicht auf Muggelweise geschaffenen Wohnsaal. Dann sah Julius noch eine Tür, die in eine Küche führte. Dort gab es neben Kühlschrank, vierflammigem Elektroherd mit Backofen, Kühltruhe und Mikrowellenherd noch eine Spülmaschine, ein Kofferradio auf einer der Anrichten, einen Tisch für vier Personen und eine Waschmaschine, die wohl auch einen Wäschetrockner enthielt.
"Du sagtest was von Vergünstigungen, Catherine", sprach Julius nach dieser Besichtigung erstmalig wieder, als sie im Wohnraum standen. Er wunderte sich, daß der Schall nicht wie in einer Bahnhofshalle widerhallte. "Womit hast du dieses Riesenwohnzimmer begründet. Das ist doch der Rauminhaltsvergrößerungszauber, oder?"
"Genau, Julius. Ich wollte sogar noch einen getarnten Balkon anbringen lassen, aber da haben meine guten Kontakte nicht mitziehen wollen. Innen was geht, aber nach außen unauffällig", erwiderte Catherine.
"Ja, aber wenn wir mal Besuch aus der Muggelwelt haben, was durchaus passieren kann, wenn wir hier "normal" leben wollen ...", setzte Julius an.
"Wird jeder Besucher, der nicht in diesem Haus wohnt den Eindruck haben, ein ganz gewöhnliches Wohnzimmer vorzufinden. In der Zauberkunst heißt das Contraspecialus-Zauber, die Verdrängung der Besonderheiten. Wird auch in der magischen Tier- und Pflanzenzucht oft benutzt, um echte Aufffälligkeiten zur Nebensächlichkeit, dem Normalen zu verklären. Außer Joe und deiner Mutter wird kein Nichtmagier meinen, dieses Wohnzimmer sei zu groß. Ich habe mir mal diese Fernsehserie über dieses Raumschiff Enterprise angesehen, das zweite, nicht das mit Spock und Scotty. Da machen die es genau andersherum. Sie täuschen mit Lichttechnik einen großen Raum, eine Stadt oder eine Landschaft vor, haben aber nur wenige Dutzend Meter echten Raum zur Verfügung. Hier läuft es eben so herum. Da deine Mutter das schon gefragt hat, antworte ich dir schon mal auf die Frage, ob man nicht durch Herumlaufen merkt, daß der Raum größer ist. Der Contraspecialus-Zauber vermittelt den Eindruck, weniger Schritte gegangen zu sein, als in Wirklichkeit getan wurden. Insofern wird jemand, der zehn Schritte geht, davon ausgehen, nur drei Schritte getan zu haben. Der Zauber mußte nur so eingerichtet werden, daß er allein auf Muggel wirkt, die nicht in diesem Haus wohnen."
"Wozu so'n Riesenraum?" Fragte Julius.
"Wegen der Feste hier. Du hast zu viele Bekannte in deiner neuen Welt wohnen, Julius", sagte seine Mutter grinsend. "Catherine ist wohl ein wenig eifersüchtig auf Madame Dusoleil, weil die einen ganzen Garten hat, wo sie alle Leute unterbringen kann."
"Ja, doch ich denke, Claires Eltern werden das übelnehmen, daß ihr hier so geschummelt habt", erwiderte Julius grinsend. "Dasselbe gilt ja dann auch für Madame Delamontagne oder deine Mutter, Catherine. Hier könnte man ja das Millemerveilles-Schachturnier stattfinden lassen."
"O wenn du meinst, Eleonore würde das als Ausrede hinnehmen, daß du nicht mehr da mitspielen möchtest, könnte sie in der Tat ungehalten werden", lachte Catherine. Dann sagte sie: "ich habe diesen Muggelabwehrbannhemmtrank mal probiert. Der ist für drei Mal gut. Aber man sollte ihn nicht dauernd schlucken müssen. Deshalb diese Wohnhalle."
"Subjektiv zweihundert Quadratmeter, ohne die Außenfassade zu verändern", stellte Martha Andrews kühl fest. Julius fragte dann noch:
"Beauxbatons und Hogwarts stören wegen der ganzen Magie alle elektrischen Geräte. Wie sieht das mit Computern und Fernsehern aus. Mußten die besonders behandelt werden?"
"Die Störung künstlicher Elektrizität und elektronischer Abläufe tritt auf, wo mehrere sich durchdringende und verstärkende Zauber wechselwirken. Der Wohnzimmerzauber ist statisch und wechselwirkt nicht mit dem Schutzzauber um das Haus und die Apparitionsmauer. Die elektrischen Geräte gehen hier alle. Ich habe das selbst ausprobiert und wohne ja auch schon lange genug in diesem Haus." Mit dieser Erläuterung gab sich Julius dann zufrieden, wie es wohl seine Mutter lange vorher schon getan hatte.
Nach dem Rundgang durch die Wohnung, in der Sachen aus der Zaubererwelt und der der Technik zusammengestellt waren, packte Julius erst einmal den Koffer unter sein Bett. Da er hier keine Schulumhänge brauchte, und zwei Gebrauchsumhänge und der Festumhang in der Reisetasche waren, mußte er den Koffer nicht mehr leerräumen. Denn sämtliche Bücher trug er in einem verkleinerbaren Bücherschrank ständig in seinem Practicus-Brustbeutel mit sich. Er untersuchte seinen Kleiderschrank und fand Hosen, Hemden, Pullover, T-Shirts, Schlafanzüge mit langen und kurzen Ärmeln, einige paar Schuhe und Unterzeug und Socken. Er fragte seine Mutter, ob er nicht aus den Sachen herausgewachsen sei. Sie sagte:
"Professeur Faucon hat deine neuen Maße an Catherine geschickt und die hat dann alles, was nicht zu alt aussah leicht angepaßt. Für die Kleine, so hat sie gesagt, hätte sie sogar Spezialsachen, die bis zu einem bestimmten Alter mitwachsen könnten. Ist schon unheimlich, was alles geht bei denen."
"Dabei hast du die heftigsten Sachen nicht mitbekommen, Mum", sagte Julius. Sie sprachen im Moment wieder Englisch miteinander.
"Dieser Körperverwandlungsfluch? Professeur Faucon hat es mir geschrieben, daß du und Mademoiselle Grandchapeau ganze vier Tage ... Zwillingsschwestern wart, weil einige Zaubersachen von dir einen Körpertausch an sich vereitelt haben sollen. Darfst du mir das erzählen, oder hat man dir das verboten?"
"Dir und Catherine darf ich das erzählen", sagte Julius, der leicht rot angelaufen war. Sonst fühlte er sich aber wohlauf. Der magische Eid, der ihn daran hinderte, anderen von seiner kurzen Mädchenzeit zu erzählen, galt nur für Leute, denen er nicht grundweg vertraute oder die nicht zur Familie gehörten. Das auch Aurora Dawn und Mrs. Jane Porter davon wußten und ihn dadurch von seinem Eid entbunden hatten, mußte seine Mutter nicht wissen. So erzählte er erst die Sache mit Belle und ihm, bevor er einen langen Bericht über die ersten Monate in Beauxbatons abgab. Natürlich wollte seine Mutter auch wissen, ob zwischen ihm und Claire noch was lief. Er sagte, daß er mit Claire gut befreundet sei, ja doch sowas wie eine Partnerschaft hätten, wenngleich er nicht von Liebe oder Sex oder dergleichen reden wolle, aber immerhin was anderes war, als das mit Moira Stuard oder Gloria. Als er seine Geschichte erzählt hatte, erfuhr er von seiner Mutter, daß Perseus, der Chauffeur des Zaubereiministeriums, ihr beim Umzug geholfen habe. Sie habe alle Möbel in einen Transit verladen können, der ähnlich verhext war, wie das neue Wohnzimmer. Richard, Julius Vater, habe nur dumm geschaut, als sie alle ihr zustehenden Möbel, Bilder, Teppiche und Elektrogeräte in einem Ansatz untergebracht hatte.
"Ist dieser Perseus bionisch, Julius? Der hat mit den schweren Schränken rumjongliert, als wenn es leere Pappkartons wären. Sicher, er hat immer so getan, als wenn es schwere Brocken wären, aber wenn er meinte, nicht beobachtet zu werden, hat der alles wie leere Eierkartons oder leichte Plastikteile bewegt."
"Sagen wir's so, Perseus ist sehr stark, Mum. Bionik, also eine Verbindung zwischen elektronischen Teilen und lebenden Körpern, gibt es in der Zaubererwelt nicht."
"Du weißt genau, daß ich weiß, daß es natürlich keine Elektronik im eigentlichen Sinne sein kann. Aber ist etwas entsprechendes in der Magie im Gebrauch?"
"Hmm, die Antwort ist ja", sagte Julius. Was sollte es. Perseus machte zwar kein großes Aufheben um seine beiden magischen Kunstarme, die er an Stelle der von einem Drachen abgebissenen Originalarme bekommen hatte. Wenn er aber mit der Superkraft dieser Arme locker umsprang, wo man ihm doch zusehen konnte, mußte er das nicht sonderlich geheimhalten. Aber er mußte es seiner Mutter auch nicht auf die Nase binden. So erzählte er ihr von Moody, seinem früheren Lehrer in Verteidigung gegen die dunklen Künste und dessen Wunderauge. Er verschwieg ihr dabei jedoch, daß es nicht der echte Moody war, sondern ein Spion und Handlanger Voldemorts. Das hatte ihm Professeur Faucon unter vier Augen erzählt und würde bestimmt nicht wollen, daß er das weitererzählte.
"Die Grandchapeaus wollten morgen kommen. Hat Mademoiselle Grandchapeau dir das noch mitgeteilt?" Fragte Martha ihren Sohn. Dieser bejahte das.
Es klopfte an die Wohnungstür. Martha öffnete von innen. Catherine stand draußen.
"Wenn ihr soweit seid, könnt ihr jetzt runterkommen. Julius, du kannst deinen Beauxbatons-Umhang mir geben. Deine Stadtsachen passen dir alle."
"Habe ich ihm schon erzählt", sagte Martha Andrews lächelnd. Julius lief rot an. Er hatte vergessen, den blaßblauen Schulumhang abzulegen. So holte er das schnell nach und schlüpfte in Jeans und Pullover. Die Hose war zwar etwas ungewohnt für ihn, aber sie paßte tatsächlich genau, wie auch der Pullover.
"Babette will alles wissen, was in Beauxbatons gelaufen ist, Julius. Erzähl ihr und Joe aber bloß nichts von deiner Zwillingsschwester auf Zeit!" Riet Catherine ihrem neuen Nachbarn und Schutzbefohlenen in Zaubererangelegenheiten. Dieser lief noch mal rot an und schüttelte den Kopf.
"Bloß nicht, Catherine. Nachher denkt die noch, daß wäre da ein toller Spaß oder kriegt noch mehr Angst vor ihrer Oma, weil die einem ja sowas beibringen kann. Ich werde auch nichts von Bébé erzählen. Du kennst ja die Geschichte schon, nehme ich an."
"Maman war so frei, mir von deinem ersten Schultag zu schreiben. Willensstärke ist eine schöne Sache. Aber Vernunft ist immer besser als Sturheit", sprach Catherine Brickston. Dann gingen sie hinunter zum Kaffeetrinken.
"... Wie ist Oma Blanche denn so als Lehrerin?" Fragte Babette einmal, als Julius von seiner Ankunft erzählt hatte, daß ihn etwas, was er nicht erzählen durfte, in den grünen Saal geschickt hatte und er da mit den Leuten aus seiner Klasse wohnte. Er antwortete auf die Frage:
"Hmm, wie sonst auch, nur gründlicher, Babette. Wenn du machst, was sie von dir will, ist sie nett und hilfsbereit. Wenn du aber nicht machst, was sie sagt, wird sie böse."
"Was?" Fragte Babette erschrocken. Ihre Mutter sagte ernst zu Julius blickend:
"Ich habe Babette erklärt, daß jemand dann böse heißt, wenn er anderen Leuten was tut oder ihnen was wegnimmt oder kaputtmacht, ohne daß jemand das will. Wenn du meinst, daß Maman es nicht mag, wenn jemand ihr nicht gehorcht, benutze doch einfach die Worte wütend, verärgert, ungehalten, unerbittlich oder streng. Aber du hast ja mitbekommen, daß junge Hexen und Zauberer jemanden brauchen, der streng mit ihnen umgeht, damit sie nicht Sachen machen, die tatsächlich anderen wehtun können. Insofern glaube ich, daß du meine Mutter nicht beleidigen wolltest."
"Das bestimmt nicht. Ich war zwar nicht begeistert, wie sie manche Sachen von mir verlangt hat, aber irgendwie hat sie das auch erklärt, wieso das so und nicht anders gehen konnte. Ich denke mal, die schreibt dir jede Woche einen Brief über mich."
"Davon darfst du ausgehen, Julius. Wo ist denn eigentlich deine Eule?"
"Die besorgt ein Geschenk für Pina. Ich habe da nämlich was gebastelt, daß eine Art Solarlampe ist. Das ding fängt tagsüber Licht von der Sonne auf und strahlt es nachts wieder ab, wenn man es nicht zudeckt. Professeur Fixus, unsere Alchemielehrerin, hat mir dafür sogar zwanzig Bonuspunkte gegeben", sagte Julius stolz.
"Fixus? Ist das diese Zwergin mit den rotbraunen Locken und der ovalen Brille, die eine so gräßliche Stimme hat, wie Zugluft in einem Kamin?" Fragte Joe Brickston.
"Professeur Fixus, Joe, ist seit bald vierzig Jahren anerkannte Lehrerin für angewandte Alchemie an toten Dingen und lebenden Wesen. Sie ist sehr kompetent und kann jedem, der dafür bereit ist, eine Menge beibringen. Wahrscheinlich wird Babette bei ihr auch noch Zaubertränke oder paraphysikalische Alchemie erlernen."
"Catherine, dieser ganze Zauberkrempel ist ja nicht mein Ding. Daß Babette in diese Schule muß, sehe ich ja mittlerweile ein, nachdem sie meine Autoschlüssel geschrumpft und meinen Computer zum X-ten Mal außer Gefecht gesetzt hat. Aber bitte verschone mich mit diesem ganzen Theater! Ich habe mit diesen Leuten von der Wetterfirma genug um die Ohren. Wenn Martha schon meint, daß Julius ausgerechnet bei Blanche in dieser Schule sein muß, dann ist das allein ihr Bier. Wenn du meinst, zwischen ihr und deiner achso lieben Maman zu vermitteln, geht mich das nichts an. Dies nur, Julius, um zu klären, was für eine Meinung ich zu diesem Thema habe."
"O, jetzt gibt's wieder Krach", stöhnte Babette leise, als Catherine ihren Mann sehr streng ansah. Julius meinte, Professeur Faucons Geist sei mal eben in den Körper ihrer Tochter gefahren, um ihren Schwiegersohn zu tadeln. Denn Catherine guckte genauso wütend, wie Professeur Faucon guckte, wenn Laurentine nicht gespurt hatte oder sie diesen Jasper van Minglern angesehen hatte, als Julius Belles Doppelgängerin geworden war.
"Joe, ich weiß und respektiere das, daß du von unserer Welt nicht mehr wissen willst als unbedingt nötig ist. Aber ich werde mich in dieser Wohnung mit Julius und Babette über Beauxbatons unterhalten, sooft dazu Interesse besteht. Ich kann und werde natürlich auch zu Martha und Julius hochgehen, wenn ich bestimmte Dinge bereden möchte oder klären muß. Aber wenn wir hier zusammensitzen, und Babette will wissen, wie Beauxbatons so ist, dann soll sie es wissen. Ich bin da seit bald fünfzehn Jahren raus. Julius ist jetzt dort und kann ihr schon gute Tipps geben. Maman macht da nämlich keine Ausnahme, ob ihre Enkeltochter oder sonstwer sie ärgert. Wenn die Kleine das jetzt schon weiß und immer wieder hört, kriegt sie später keinen Ärger mit Maman. Aber ich kann Babette nicht zu Martha und Julius hochschicken. Die beiden können sie nicht so gut beaufsichtigen wie wir."
"Wie du, meinst du wohl. Und wenn ich dieses Gequatsche richtig mitbekommen habe, soll Julius ja angeblich auch schon sehr gut hexen und zaubern können, sonst hätte deine Maman ihn ja nicht in ihren Wirkungsbereich geholt."
"Der ist nun dort, weil Martha von Richard aus dem Haus geworfen wurde und er eingesehen hat, daß sie gut untergebracht sein muß und er sich auch freut, wenn er zumindest sie öfter sieht", sprach Catherine mit der Tonlage einer gereizten Katze, ihren Mann immer noch sehr streng ansehend. Dieser straffte sich und sagte:
"Das habt ihr doch eingefädelt, deine Mutter und der Rest von euch. Ihr habt Richard doch dazu getrieben ..." Dann sackte er unweigerlich auf seinem Stuhl zusammen, schien um Worte zu ringen und sagte dann: "weil Richard und Martha das nicht hinnehmen wollten. Wer gibt auch schon zu, an Hexen und Zauberer zu glauben oder gar welche zu kennen?"
Mutter und Sohn Andrews saßen nur still auf ihren Stühlen und ließen das über sich ergehen. Dann sagte Catherine letztendlich:
"Wie gesagt, Joe, ich respektiere deinen Wunsch, nicht mehr über unser Leben mitzukriegen, als nötig ist. Aber dann respektier du bitte, daß Martha sich dafür interessiert, wie wir so leben. Ich werde sehen, daß ich zwischen ihrem und deinem Interesse vermitteln kann, ohne mich daran zu übernehmen. Aber deine Tochter hat ein Recht, über ihre Welt genauso viel zu wissen, wie über die Welt deiner Verwandten. Das mußt du ihr als Vater zugestehen. Mehr möchte ich nicht dazu sagen. Ich entschuldige mich bei euch, Martha und Julius, daß ihr vielleicht den Eindruck bekommen habt, daß ihr hier unerwünscht seid."
"Ja ja, jetzt bin ich wieder ein Sündenbock. Ich habe die nette Stimmung verhunzt", maulte Joe Brickston, schwieg danach aber.
Wegen der gereizten Stimmung hielten es Martha und Julius nicht lange unten aus und gingen bald nach oben. Julius probierte seinen Computer aus, stellte fest, daß offenbar ein neues Betriebssystem installiert worden war und ließ sich von seiner Mutter die Handhabung zeigen. Irgendwann sagte sie:
"Ich habe für heute abend nichts zu essen vorbereitet, weil ja morgen die Grandchapeaus kommen. Ich habe diesen Sommer ein nettes Lokal gezeigt bekommen, wo auch alleinstehende Frauen unbehelligt essen können. Aber vorher möchte ich, weil wir uns da ja nicht über Hogwarts oder Beauxbatons unterhalten dürfen, was über Joes Gemütszustand sagen. Du hast bestimmt den Eindruck, daß er genauso ist, wie dein Vater, oder?"
"Nicht so ganz. Aber in die Richtung ging's schon, denke ich", erwiderte Julius betreten dreinschauend.
"Ich denke eher, ihn wurmt es, daß wir nun über ihm wohnen, richtig wohnen, nicht nur Gäste sind. Er konnte da nichts gegen sagen, weil die Grandchapeaus und Catherine das über seinen Kopf hinweg entschieden haben. Ihm gehört zwar nicht das Haus im ganzen, aber du wirst sicher schon verstehen, wie dumm sich jemand fühlen muß, der in seinem Haus nichts mehr zu melden hat. So ähnlich haben dein Paps und ich uns ja schließlich auch gefühlt, als Professor McGonagall uns eingeredet hat, du müßtest nach Hogwarts. Jeder Tag, den ich nun hier lebe, zeigt Joe, daß er als selbständiger Mann nicht mehr zählt. ich denke sogar, der will sich auch von Catherine trennen. Er tut das nur nicht, weil er dann sein ganzes Leben wegwerfen würde. Was er da eben gesagt hat ist nur der Ausdruck seiner Hilflosigkeit, nach dem Motto: Ich schreie alles an, was mich stört", sagte Julius' Mutter. Ihr Sohn erwiderte nach zehn Sekunden Denkpause:
"Hmm, dann wäre es vielleicht besser gewesen, ich wäre weiter in Hogwarts zur Schule gegangen, auch wenn da gerade die Notdurft am qualmen ist."
"Wenn dieser Irre, Voldemort oder wie der heißt, wirklich hinter Leuten wie dir her ist, bin ich lieber in deiner Nähe, sofern du nicht in der Schule bist. Das war auf jeden Fall eine sehr große Sache von dir, in dieses Beauxbatons überzuwechseln. Ich habe erst gedacht, du würdest da verkümmern, weil deine Freunde dir fehlen und das Schulsystem komplett anders ist und die Lehrer da heftig streng sein sollen und so weiter. - Ich war froh, als ich nach der ersten Woche einen Brief von Professeur Faucon bekam, daß es dir gelungen sei, dich in Anbetracht der Ausgangssituation gut einzugewöhnen. Na ja, Freunde hattest du ja dann doch da, wenngleich Jeanne wohl eher wie eine Schwester ist und eine feste Freundin ja nicht den Kumpel an sich ersetzen kann, der Malcolm oder Lester für dich war. Sie schrieb mir, daß du deinen Veranlagungen nach die günstigsten Freizeitkurse gewählt und da schon die ersten Bonuspunkte bekommen hättest. Das mit dieser Laurentine, von der du mir erzählt hast, daß ihre Eltern sie auch nicht zaubern lernen lassen wollen, hat sie mir auch geschrieben. Immerhin kannst du dich da nicht langweilen." Die letzten Worte hatte Martha mit einem leichten Schmunzeln ausgesprochen.
"Ja, vor allem um Halloween herum", knurrte Julius, der sich noch gut erinnerte, wie schwermütig er geworden war, als Halloween bevorstand und das außer ihn keinen so recht interessierte. Dann sah er seine Mutter an, die wohl mit etwas rang, das sie entweder erzählen oder für immer verschweigen wollte. Er ließ ihr die Bedenkzeit, die sie brauchte, um sich zu entscheiden. Dann sagte sie:
"Bevor du's von Joe aus einem Wutanfall heraus erfährst möchte ich es dir lieber erklären, damit du deine von Professeur Faucon so hoch gelobte Selbstbeherrschung nicht verlierst. Ich denke, daß Joe nicht nur wegen der gewissen Bevormundung so ungehalten ist, sondern auch, weil er durch mich an alte Zeiten erinnert wird, wo er, Stephanie Talbot, Christian Roswell und ich ein schier unschlagbares Quartett gebildet haben. Damals, Joe war zum ersten mal richtig frei und ungebunden, hat er angefangen, mich zu umwerben. Da ich damals schon einen Exfreund hatte und keine Lust hatte, noch mal eine Beziehung zu versuchen, die Zeit kostet und doch danebengeht, habe ich nur so getan, als wäre ich interessiert. Irgendwann meinte er jedoch, es liefe schon was zwischen uns. Dann lernte ich deinen Vater kennen, und es imponierte mir, wie souverän und vorausschauend er alles anging. Er studierte in Oxford und würde bald seinen Doktor der Naturwissenschaften haben, während ich gerade erst auf Informatik umgesattelt hatte. Wir gefilen uns bald so sehr, daß ich Joe sagte, das da nichts liefe. Ich habe damals gegen meine Logik gehandelt. Ich hätte ihm von vorne herein sagen sollen, daß es nichts geben würde. Natürlich war Joe danach ziemlich geknickt. Richard hat ihm dann auch noch im jugendlichen Ungestüm vorgehalten, er könne ja nicht einmal einen Topf Wasser auf den Herd stellen, ohne daß es ihm anbrennen würde. Ich war wohl damals noch ein ziemlich dummes Mädchen und habe darüber gelacht. Er hat Richard danach entgegengehalten, daß es zwischen ihm und mir nichts werden würde, weil er eben nur für seine möglichen Arbeiten leben würde und mit einer Frau gar nichts anfangen könne. Da du deinen Vater gut kennst kannst du dir vorstellen, daß er gerade das, was man ihm nicht zutraut, auf jeden Fall machen muß. Tja, irgendwann waren er und ich uns dann einig. Ich habe mein Studium noch zu Ende gekriegt, er stieg als Laborchef bei Omniplast ein, wir heirateten und bekamen dich. Joe machte seinen Abschluß, wechselte nach Paris und lernte Catherine kennen. Ich fürchte, er ärgert sich heute darüber, daß er sich nicht gegen Richard hat durchsetzen können und das er nun in eine Familie eingeheiratet hat, die seine Ansichten nicht zu respektieren scheint. Und jetzt bin ich auch noch ganz in seiner Nähe."
"Uff! Das ist für'n Dreizehnjährigen aber schwer zu schlucken, Mum", sagte Julius nach einer Denkpause von einer halben Minute. "Du meinst also, er würde am liebsten die Zeit zurückdrehen, Catherine in den Wind schießen und dich doch noch umstimmen, weil er ja weiß, daß es irgendwann knallt?"
"So nicht, Julius. Der Zug ist wohl abgefahren. Selbst wenn ihr Zauberer die Zeit manipulieren könntet, das gäbe ein heilloses Chaos, wenn er die Vergangenheit noch mal ändern wollte. Was passiert ist ist passiert. Wir haben alle unsere Erfahrungen damit gemacht. Die Erfahrungen werden ja zum Teil unseres Lebens, wie ein Arm ja ein Teil des Körpers ist. Ich denke nicht, daß er es noch mal mit mir versuchen würde, selbst wenn Catherine ihn nicht mehr haben wollte. Der Zug ist wohl schon hinterm Horizont und fährt weiter fort."
"Dann ist es dieses miese Gefühl, damals was verbockt zu haben oder sich was nicht getraut zu haben?" Fragte Julius.
"Das wohl eher, mein Sohn", sagte Martha und warf ihrem Jungen einen bewundernden Blick zu. "Joe und ich sehen im jeweils anderen die Geister der Vergangenheit. Ich habe es mir nicht ausgesucht, einen echten Zauberer zum Sohn zu haben, muß es aber irgendwie verarbeiten. Er hat damals klein beigegeben, als Richard ins Spiel kam und ärgert sich vielleicht, weil er mich nicht umgestimmt hat. Aber ich bin mir sicher, der liebt seine Frau. Wenn er so drauf wäre, wie dein Vater, hätte er sich schon längst wen anderen gesucht, ohne mich."
"O damit sagst du aber jetzt, daß Paps dich nie so geliebt haben kann, weil er ja sonst mit dir zusammengeblieben wäre, ja diesen Trick mit dem Schallgerät, mit dem diese Geisterbotschaften geschickt wurden, gar nicht erst ausprobiert hätte."
"Das möchte ich ihm nicht unterstellen. Sicher hat er ein Problem damit, etwas nicht kontrollieren zu können. Mag sein, daß er deshalb nun in Amerika ist, wo er weit genug von seiner Vergangenheit entfernt zu sein meint. Aber ich hatte nie den Eindruck, er hätte mich ausschließlich aus Berechnung oder Gesellschaftsgründen geheiratet. Und er hat dir eine Menge von sich mitgegeben, Julius. Das darfst du nie vergessen. Dein Wissen, deine Auffassungsgabe, deine Beharrlichkeit und womöglich auch deine Fähigkeit, dich auf neue Situationen einzulassen und sie für dich gut auszunutzen, sind alles Sachen, die dein Vater auch besitzt. Von mir hast du die Selbstbeherrschung, die Phantasie, ja wohl auch die künstlerischen Anlagen, aber vor allem die Logik. Mit diesen Eigenschaften wirst du hoffentlich mal besser im Leben stehen, als dein Paps oder ich. Doch ich bin froh, dir das jetzt schon erzählt zu haben, wieso Joe so gereizt auf deine Zaubereiausbildung anspringt. Natürlich kann ich mich total irren. Die Wahrscheinlichkeitsrechnung läßt da hunderte von Möglichkeiten zu, warum er so gestimmt ist. Aber nach meiner Erfahrung und Einschätzung ist das, was ich vermute, sehr wahrscheinlich. Aber erzähl ihm das bitte nicht, daß ich dir von unserer Vergangenheit erzählt habe!"
"In Ordnung, Mum", sagte Julius, der sich im Moment total geknickt fühlte. Er war zu seiner Mutter zurückgekehrt, um mit ihr fröhliche Weihnachtstage zu verbringen. Gleich am ersten Nachmittag so unangenehme Stimmung zu erleben, enttäuschte ihn ein wenig. Doch das ließ er sich nicht anmerken.
Um die Stimmung wieder aufzulockern unterhielten sich Julius und seine Mutter über die Ereignisse in der nichtmagischen Welt. Er erfuhr, das der amerikanische Präsident den Krieg in den Teilrepubliken Jugoslawiens durch einen Friedensvertrag beendet hatte, daß ein amerikanischer Sportler wegen Mordes an seiner Frau fernsehwirksam vor Gericht stand. Sie gab ihm einige CDs mit den Tophits der letzten drei Monate zu hören und ließ ihn im Internet herumforschen. Zwischendurch stürzte zwar das Betriebssystem ab, Martha Andrews lud dann aber ein Programm, daß sie geschrieben hatte, um Datenverarbeitungsfehler abzufangen, die häufig für solche Ausfälle verantwortlich waren.
"Diese Firma wirft immer wieder unvollständige Programme und Betriebssysteme auf den Markt und muß jahrelang Verbesserungen abliefern. Gut daß ich die Maschinensprache beherrsche und rausgefunden habe, wie man dieses löcherige System analysieren kann. Moira hat übrigens mehrere Mails geschrieben. Ich habe mir die Freiheit genommen sie zu beantworten. Ich habe ihr geschrieben, daß du nun mit mir in Paris seist und dort in ein Internat gingst, weil dein Vater und ich mich zerstritten hätten und das Gericht mir das Sorgerecht zugesprochen hat. Sie schrieb dann zurück, daß sie der Meinung sei, du hättest doch nach Eton gehen sollen. Einer ihrer neuen Freunde habe einen Bruder dort. Das Mädchen wird auch immer eingebildeter in ihrer Ausdrucksweise."
"Moira halt, Mum! Der Vater ist Professor. Was soll die dann werden?"
"Stimmt schon. Aber ... na lassen wir das! Wahrscheinlich kommt sie nun besser damit klar, daß du sie nicht immer anschreiben kannst. Du kannst sie ja zu Weihnachten anrufen."
"Joh, kann ich machen, damit ich mal höre, wie sie nun redet", sagte Julius und las sich die elektronischen Mitteilungen durch.
Abends aßen Mutter und Sohn Andrews in besagtem Restaurant "Chez Petite Heure", wo Julius seiner Mutter einige auch für Engländer annehmbare Gerichte empfehlen konnte. Sie unterhielten sich über Schach, Computer und Musik, genossen die gemütliche Atmosphäre des kleinen Restaurants und vergaßen, daß Julius ein Zauberer war, der gerade in die Weihnachtsferien zu seiner Mutter heimgekehrt war.
__________
"Wolltest du dieses Jahr wieder einen Baum haben?" Fragte Julius, nachdem er mit seiner Mutter nach einer langen angenehmen Nachtruhe gefrühstückt hatte.
"Einen großen Baum müßte ich mir dann ja hinstellen. Weihnachtsbaumschmuck habe ich ja von London mitgenommen. Der gehörte noch Oma Gwendoline. Kannst du dich noch daran erinnern, wie wir vor sechs Jahren mit ihr gefeiert haben?"
"Joh, klar doch, Mum. Da war ja fast die ganze Mannschaft da. Alle deine Cousins, die beiden Onkels und deren Anhang. Die alle haben ja drauf gelauert, daß Oma Gwen in die ewigen Jagdgründe eingeht."
"Mmhmm, Julius. Zumindest haben einige von denen keinen Hehl drauß gemacht, daß sie schon sortieren wollten, was Oma Gwen nicht mehr benötigen würde. Tja, und den besonderen Baumschmuck habe ich dann gekriegt. Aber diese Erbschleicher, die meinten, ... aber lassen wir das! Vielleicht geht die Erinnerung mit mir durch, weil ich nun auch schon länger allein bin. Möchte nicht wissen, was dein Paps in dem großen Haus erlebt hat, als ich nicht mehr da war."
"Vielleicht hat er ja Stimmen gehört", sagte Julius gehässig. Seine Mutter konnte zwar nicht darüber lachen, hielt das aber irgendwie für möglich.
"Deshalb wollte er das Haus wohl auch weit hinter sich lassen und ..."
Diedldiedldiedied! Das Telefon dudelte die ersten Töne irgendeiner berühmten Melodie von ganz früher. Martha Andrews ging in das äußerst geräumige Wohnzimmer und nahm den Hörer vom Telefon.
"Hier spricht Andrews!" Meldete sie sich auf Französisch. Dann wechselte sie zum Englischen. "Na klar, Mrs. Porter. Er ist gestern zurückgekommen. - Ja, er hat mir viel erzählen können. - Nein, was in Hogwarts läuft hat er mir nur flüchtig erzählt, wohl aus einem Zeitungsartikel und was ihm Ihre Tochter und die anderen ... - Ach, Sie haben Pina und Kevin eingeladen, über Weihnachten bei Ihnen zu wohnen? - O das geht wohl nicht. Meine Wohnung hat ja keinen Kamin. - Ach mit den Besen? Ist das nicht zu weit? - Achso, nur vier Stunden von London. Wußte gar nicht daß paris so nahe bei London liegt. - Ja, ich gebe Ihnen den Jungen mal."
Sie reichte den Hörer an Julius weiter, der sich meldete.
"Hallo, Mrs. Porter. Interessant, daß Sie telefonieren und keine übliche Post schicken."
"Das geht schneller und ist für Zauberer auch nicht so einfach vorstellbar", sagte Mrs. Dione Porter am anderen Ende der Verbindung. "Meine Schwiegereltern sind da, zusammen mit meiner Schwägerin Geraldine und ihren zwei Töchtern Myrna und Melanie. Wir haben Kevin und Pina eingeladen, weil die Hollingsworths in Südspanien bei einer Großtante sind. Wir wollten ja erst Weihnachten anrufen, aber Gloria und Schwiegermama haben darauf bestanden, daß wir fragen, ob deine Mutter was dagegen hat, wenn Gloria, sie, Plinius und Kevin zu dir kommen können, weil ihr ja außer den wenigen Briefen nichts voneinander gehört habt. Wir könnten in der Rue de Camouflage schlafen. Geraldine kennt da eine ehemalige Schulkameradin aus dem Austauschjahr in Beauxbatons."
"O ich hätte nichts dagegen, wenn Gloria und Sie vorbeikämen. Aber ich weiß nicht, wie wir das mit dem Essen machen sollen. Aber wenn Mum sagt, daß sie kommen dürfen, dann klären Sie das mit ihr ab, wann und wie sie herkommen. Wir haben ja keinen Floh-Netz-Anschluß in unserer Wohnung, und bei Madame Brickston durch die Wohnung laufen wäre ja fies."
"Wir kommen auf Besen. Das dauert höchstens vier bis fünf Stunden. Auf den Nimbus 2001 kann man ja bis zu 200 Stundenkilometer für acht Stunden fliegen. Das müßte für die Luftlinie reichen, die zwischen London und Paris liegt. Aber wir klären das noch mal mit deiner Mutter. Kevin ist ja noch bei seiner Freundin Gilda. Die macht sich Sorgen, daß er ihr verlorengeht." Julius vermeinte, ein amüsiertes Grinsen von Mrs. Porter zu hören. Dann sagte sie noch: "Deine Mutter freut sich wohl, daß sie dich dieses Jahr wieder zu Weihnachten bei sich hat, wie? Schade, daß dein Vater das nicht hinnimmt und mitfeiern kann. Aber wer nicht will der hat schon. Aber du bleibst dann über die gesamten Ferien in Paris?"
"Ich habe zwar eine Einladung nach Millemerveilles, weil Aurora Dawn die Dusoleils besucht. Aber im Moment wüßte ich nicht, wie ich da hinkommen soll."
"Moment, Julius! Gloria und Pina möchten dich sprechen", sagte Mrs. Porter und hantierte mit dem Handy, über das sie telefonierte. Sie erklärte Pina, wo sie hineinsprechen mußte und gab ihr wohl das kleine Telefon.
"Hallo, Julius! Wie geht's dir?" Hörte Julius Pinas Stimme.
"Nach vier Monaten Beauxbatons ziemlich gut, Pina. War einiges los bei uns. Bei euch ja wohl auch, wie?"
"Zu viel, Julius. Olivia ist ja jetzt bei uns. Die wohnt ja auch in Ravenclaw. Die fragt mich dauernd, ob das im letzten Jahr schon so fies war. Ich weiß nicht, wie teuer dieses Fletelon ist, deshalb nur das: Sei froh, wenn du nur von Lehrern dazu aufgefordert wirst, sie im Chor zu begrüßen oder bloß pünktlich zu sein! Wenn deine Mum das erlaubt, können wir uns ja Weihnachten in Paris treffen. Gloria meint, die Stadt sei sehr groß, ähnlich wie London."
"Das muß ich noch klären, Pina", sagte Julius. Er durfte ja nicht erzählen, was er von Hogwarts alles wußte. Er konnte sich ja nur auf das beziehen, was in den Briefen geschrieben stand oder in der Zeitung zu lesen war. Gloria kam ans Telefon.
"Julius, ich bin froh, mal unter vernünftigen Leuten zu sein. Ich weiß ja nicht, ob ihr da eine Aktion gestartet habt, und Oma Jane meinte, "Bläännch" hätte da wohl was angeleiert. Auf jeden Fall haben Prudence Whitesand und einige Hufflepuffs mich angequatscht, ob ich wüßte, warum ihr aus Beauxbatons so interessiert an unserem Alltag seid. Die werte Professor Umbridge wird offenbar größenwahnsinnig. Sie hat alle Gruppen und Clubs verboten, die nicht die ausdrückliche Erlaubnis von ihr hätten, sich zu treffen. Prudy meint, Harry Potter hätte da wohl was angezettelt, was der guten Dame und ihrem schafsköpfigen Chef nicht schmeckt. Wie die Quidditchspiele ausgegangen sind, hast du ja von Kevin und mir lesen können. Der und Gilda sind ja im Moment etwas merkwürdig miteinander. - Und dir geht es soweit gut. Kommst du noch gut mit Claire aus, oder hat sich das durch die ständige Nähe schon wieder verflüchtigt?"
"Ich weiß nicht wieso, und da müßte ich mich wohl mal mit dir oder den Hollingsworths unterhalten, aber Claire hat Konkurrenz. Im Moment aber komme ich mit ihr am besten zurecht. Die wollte ja nicht nach Hause, weil 'ne Klassenkameradin von uns über Weihnachten in Beauxbatons bleibt und nicht allein im Schlafsaal bleiben soll."
"Schade. Ich stelle mir vor, daß die sich bestimmt für eure Wohnung interessiert. Habt ihr denn diese Geräte, Fernseher und dergleichen?"
"Ich dachte, deine Mutter hätte mit meiner häufig telefoniert, Gloria. Ja, wir haben einen Fernseher hier."
"Interessant. Kann ich mir ja dann mal angucken, wenn ich irgendwann zu Besuch komme. Aber ich möchte es Mum nicht zu teuer machen. bis vielleicht zu Weihnachten. Falls nicht, wünsche ich dir und deinen Freunden in Beauxbatons schöne Feiertage und einen besseren Übergang ins neue Jahr, als wir ihn hier erwarten dürfen."
"Danke, Gloria. Möchte deine Mum noch mal mit meiner sprechen?"
"Oma Jane will noch mit dir reden", sagte Gloria und reichte übergangslos das Handy weiter, was Julius als leichtes Schaben und Klappern hören konnte.
"Hi, Honey! Darfst du dich jetzt erholen. Geri fragte schon, ob du nicht zu uns kommen könntest. Also hier nach England, wo die halbe Portersippe gerade zu Gast ist. Aber ich denke mal, deine Mom freut sich, wenn du mal wieder mit ihr feierst. Ich habe aber gelesen, daß du dich noch gut mit Bläänch verstehst, wenngleich sie mir schrieb, daß du immer noch unter deinen Fähigkeiten arbeiten würdest. Typisch Lehrerin halt. Und wie geht es Mademoiselle Claire?"
"Der geht es wohl nicht so gut. Die wollte an und für sich zu ihren Eltern. Aber weil 'ne Klassenkameradin von uns in Beauxbatons bleibt, weil da wohl was nicht so gelaufen ist, wie's geplant war, bleiben Claire und eine andere Schulkameradin auch dort."
"Glo hat mir die ganze leidige Sache mit Professor U. erzählt. Ich fürchte, mit der bekommen die Kids im nächsten Halbjahr noch gut zu tun. Was macht dein Dad?"
"Der ist jetzt bei Ihnen drüben in den Staaten in Detroit, wo die meisten Autos gebaut werden. Madame Brickston und ich wissen noch nicht, wie wir das mit dem Sanctuafugium einrichten sollen. Der will das ganze Haus verkaufen. Ist ihm dann wohl doch zu groß geworden."
"Ich fürchte, das alleine wird es nicht sein. Der wird wohl nicht mehr zurückkehren wollen, weil er gemerkt hat, was er aus der Hand gegeben hat. In den Staaten läuft das häufig so ab. Wir Hexen und Zauberer sagen dazu: "Mach dir den Phönix!" Du legst alles ab, was du früher gemacht hast und startest was ganz neues. Aber ich kümmere mich drum, daß der gut untergebracht ist. Wir haben im Moment einiges um die Ohren, von dem ich dir nicht alles erzählen darf. Nur soviel: Der Größenwahnsinnige verliert in Amerika an Boden. Seine Sympathisanten kommen auf merkwürdige Weise abhanden. Jedesmal, wenn die Strafverfolgung einen einfangen will, finden die meistens nur noch merkwürdige Überreste von denen. Einen echt heftigen Hexer hat es kurz vor Halloween tot in den Hudson-Fluß geworfen. Wahrscheinlich hat der sich mit den falschen Leuten angelegt. Aber mehr darf ich wie gesagt nicht rauslassen, Honey."
"Dann möchte ich Sie auch nicht dazu überreden", sagte Julius belustigt. Danach verabschiedete er sich von Glorias Großmutter und wartete, bis Mrs. Porter, Dione wieder am Apparat war. Er gab den Hörer seiner Mutter und ging in sein Zimmer, um noch in die neueren CDs reinzuhören, die seine Mutter ihm besorgt hatte. Aber so richtig gefiel ihm von der neueren Popmusik nichts. Alles zu stampfig und schnell, bis auf wenige Ausnahmen, die er genoß.
Nach dem Mittagessen, Martha Andrews hatte Apfelpfannekuchen gebacken, verkündete sie ihrem Sohn, daß die Porters tatsächlich herüberkommen würden. Julius fragte sich, ob das die armen Eulen nicht irritieren würde, die seine Geschenke für Gloria und Pina überbrachten. Doch er wußte aus eigener Erfahrung, daß Eulen selbst noch die Adressaten der zu überbringenden Post fanden, wenn diese innerhalb von Stunden über weite Strecken verreisten oder unfreiwillig den Körper verändert hatten. Bei diesem Gedanken kam er übergangslos auf den Besuch der Grandchapeaus, der am Nachmittag anstand.
"Du hast diesen Adventskranz im Wohnzimmer auf dem Tisch stehen. Wolltest du für den Besuch heute noch was besonderes rausstellen an Weihnachtsschmuck?"
"Den Mistelzweig über der Wohnzimmertür, ein paar andere Kerzen und die irische Leinendecke für den langen Tisch. Staubgesaugt habe ich gestern früh noch, bevor du mit dieser Reisesphäre angekommen bist. Aber ich möchte doch noch wissen, wie du und Mademoiselle Grandchapeau euch nach eurer viertägigen Zwangsgemeinschaft versteht. Nicht daß ich nachher was falsches sage oder mache."
"Mal abgesehen davon, daß sie als Saalsprecherin der Violetten ihre Verantwortung sehr ernst nimmt, hat sich an unserer von diesem Schweinepriester erzwungenen Beziehung, wenn man die so nennen darf, nichts geändert. Ich gehöre zu den wenigen, die sie beim Vornamen nennen dürfen."
"Hast du denn für sie was zu Weihnachten besorgt?" Fragte Martha Andrews. Julius errötete. Er hatte zwar angeleiert, daß über Mrs. Porter einige Kosmetiksachen zu ihr gelangen sollten, aber das konnte man ja nur als Ausgleich für die Schminkübungen sehen, die er mit ihr veranstaltet hatte. Er schüttelte den Kopf. Dann fiel ihm was ein.
"Sie hat mir einmal vor dem einschlafen erzählt, daß sie sich für moderne Muggelpolitik interessiert und für Geographie und Computer. Außerdem spielt sie Schach, was du sicherlich schon weißt, wenn Madame Grandchapeau öfter bei dir war."
"Aber sicher doch. Ich habe viele Stunden mit Nathalie gespielt. Dann war auch noch Eleonore Delamontagne hier, mit der ich auch manche Partie gespielt habe. Joe war das manchmal zu viel, wenn Nathalie oder Eleonore durch den Kamin kam. Man kann ja hier in dieses Haus nicht reinapparieren, hat Catherine gesagt."
"Das stimmt", bestätigte Julius.
"Da bin ich auch verdammt froh drüber, Junge. Als Catherine nach dem Streit mit deinem Vater zu mir kam, ist die einmal direkt vor meiner Zimmertür aufgetaucht und nicht selten direkt aus dem Zimmer verschwunden, disappariert. Wer sowas kann ist der perfekte Einbrecher."
"Und Ausbrecher, Mum. Dem könntest du mit nichtmagischen Mitteln nicht beikommen, wenn du ihn nicht sofort erschießen willst."
"Was auch nicht immer gehen muß. Dr. Riverside hat einen Schutzanzug, der den ganzen Körper in eine unsichtbare Schildaura einschließt, die alle mechanischen Angriffe zurückschlägt, auch Kugeln."
"Ach, der Anwalt, der dich aus der Klinik rausgeboxt hat", erinnerte sich Julius. Dann sagte er:
"Wenn die ganzen Bücher, die Professeur Faucon beschlagnahmt hat, bevor ich nach Beauxbatons ging, hier sind, kann ich ihr das eine Buch über Computer schenken und das Erdkundebuch, daß Paps für mich für Eton besorgt hat. Das müßte doch noch eingepackt sein, wenn du meine ganze Zimmereinrichtung mitgenommen hast."
"Aber sicher", sagte Julius' Mutter und zeigte ihm, wo seine nichtmagischen Bücher aufbewahrt wurden. Er nahm das eine Buch über Computer, durch das sich Gloria schon gelesen hatte, suchte sich das Erdkundebuch dazu und ließ alles von seiner Mutter in rosa Seidenpapier einwickeln. Dann half er ihr dabei, den Festraum herzurichten, brachte einige Tannenzweige und den Mistelzweig an und deckte den Tisch mit Oma Pollys Festtags-Teegeschirr.
"An und für sich wollte ich Catherine und Joe fragen, ob sie auch zum Tee kommen. Aber Catherine hat mir geraten, ihn nicht dazu zu bewegen, sich mit dem amtierenden Zaubereiminister zu befassen. Ich weiß nur nicht, wie die herkommen wollen. Ich habe mit Catherine ausgemacht, nur in wenigen Fällen ihren magischen Kamin zu benutzen. Ich selbst kann ja damit nicht arbeiten.
"Hmm, soweit weg ist die Rue de Camouflage ja nicht. Die könnten zu Fuß herkommen. Aber wenn ich mir das gestern richtig angesehen habe, wäre das sehr stillos. Dann bleiben ja nur das Apparieren, der Kamin oder die Besen. Aber fliegen werden die zu der Tageszeit nicht, weil ja andere Leute die dann sehen könnten. Es sei denn, die kommen mit einem Auto."
"Achso, ja! Diese Autos, die Raumsprünge machen können. Habe ich völlig vergessen. Aber Nathalie hat nichts erwähnt, was das angeht."
"Dann werden wir uns mal überraschen lassen", sagte Julius dazu nur.
Bis fünf uhr nachmittags half er seiner Mutter bei der vorweihnachtlichen Dekoration der Wohnung. Er ging auch mit dem Turbostaubsauger, den sie hier in Paris angeschafft hatte, durch das riesige Wohnzimmer und sammelte verstreute Tannennadeln des Adventskranzes auf. Er half seiner Mutter dabei, den Tisch zu decken. Fünf Mann würden ja nicht so viel Platz brauchen. Seine Mutter hatte ein mehrgängiges, wenn auch nicht allzu kompliziertes Menü für den Abend vorbereitet, das sie bereits am Vortag gekocht und im Kühlschrank frischgehalten hatte. Wenn die Abendessenszeit anrücken würde, wollte sie auf dem Herd alles aufwärmen und das Eis aus der Tiefkühltruhe holen, das als Nachtisch vorgesehen war.
"Ich hoffe mal, die sehen mir das nach, daß ich nicht alles Tagesfrisch habe", sagte Martha Andrews zu ihrem Sohn. Dieser grinste und erzählte ihr was von dem Conservatempus-Zauber, der Sachen haltbar bis über Monate aufbewahren half. Er fragte, ob sie mit ihren neuen Vergünstigungen nicht einen solchen Aufbewahrungsschrank beantragen konnte. Sie erwiderte darauf nur:
"Das einzige, was ich haben darf, ist ein größeres Wohnzimmer. Alles andere muß die moderne Technik hergeben, Julius. Diese Privilegien haben ihre Grenzen. Catherine hat ja auch nicht alles, was die Zaubererwelt hergibt. Sie kann nur den Kamin als Fernsprech- oder Reisemittel nutzen und darf einfache Haushaltszauber benutzen. Mehr ist nicht drin."
"Stimmt, hast recht. Das hat sie mir ja erzählt, als sie mich bei ihrer Mutter besucht hat, nachdem sie mit Babette zurückkam", erzählte Julius. Beinahe hätte er ausgeplaudert, daß Catherine ja schon seit Ostern vor bald zwei Jahren wußte, daß er zaubern konnte. Da jedoch Professeur Faucon es so haben wollte, daß dies erst seit dem Sommer im Vorjahr bekannt war, hätte er fast eine wohl erdachte Schutzbehauptung zunichte gemacht.
Um fünf Uhr beobachteten die Andrews' die Straße vor dem Haus in der Rue de Liberation. Ein großer grasgrüner Peugeot glitt soeben in die Straße hinein und verzögerte so, daß er genau vor dem Haus zum Stillstand kam. Der Fahrer stellte den Motor aus und öffnete seine Tür. Martha Andrews sagte:
"Hätte ich mir denken sollen,daß die mit dem Auto da kommen. Das ist derselbe Wagen, mit dem die mich im Sommer zu dir gebracht haben. Ach, und der Fahrer ist auch derselbe."
Ein junger Mann, wohl ein Zauberer, mit kurzen kastanienbraunen Haaren, stahlblauen Augen, in einer nußbraunen Uniform, ging um das Fahrzeug herum und öffnete die Hintertüren. Links entstieg ein Herr, wohl etwas älter als MarthaAndrews mit braunen Haaren. Er trug einen schwarzen Samtanzug mit Krawatte und hielt einen Zylinderhut unter dem rechten Arm. Rechts entstieg zunächst eine Frau mit dunkelblonder Dauerwelle dem Wagen, die ein chartreusefarbenes Kleid trug. Dann schlüpfte Belle Grandchapeau aus dem Wagen. Sie trug ein tannengrünes Kleid und hatte ihr Haar seidenweich frisiert und mit einer Goldspange im Nacken zusammengesteckt.
"Der Minister sieht im dunklen Anzug ja auch nicht schlecht aus", fand Julius. "Hat wohl nur Probleme mit der Hose."
"Ich habe Nathalie schon oft zu Gast gehabt. Sie weiß, wie eine Türklingel funktioniert und wo die bei uns zu finden ist", sagte Julius' Mutter.
Dingdong! Ging da auch schon die Klingel. Mrs. Andrews sah ihren Sohn an. "Du kannst aufmachen. Immerhin kommen die ja alle auch wegen dir."
"Aber du bist die Hausherrin, zumindest für diese Wohnung", wandte Julius ein. Doch seine Mutter winkte in Richtung Wohnungstür, und Julius nickte. Er ging schnell zur Sprechanlage und nahm den Hörer ab, der die Verbindung zum Gegenstück neben der Tür bildete. Er fragte sich, wie schnell alles montiert worden war. Dann meldete er sich mit: "Ja, bitte?"
"Hallo, Julius. Maman hat mir gezeigt, wo dieser runde Knopf ist, der eure Klingel betätigt. Kannst du bitte die Tür öffnen?" Kam Belles Stimme durch die Hörmuschel. Julius erklärte ihr, daß sie die Tür aufdrücken konnte, wenn sie ein Summen hörte und drückte den Türöffner. Er lauschte, bis er das Klack der aufgehenden Tür hörte, wartete noch einen Moment bevor er den Türöffnungsknopf losließ und öffnete die Wohnungstür. Auf der Treppe erschien zunächst der Zaubereiminister. Dann folgte Belle und danach deren Mutter.
"Hallo, Julius!" Grüßte Monsieur Grandchapeau und erklomm die letzten Stufen zum ersten Stockwerk, auf dem die Wohnung lag. Julius grüßte zurück. Er sah nach unten und gewahrte Babette, die aus der Wohnung der Brickstons herauslugte, um zu sehen, wer da angekommen war. Belles Mutter grüßte die Kleine. Dann holte Joe seine Tochter in die eigene Wohnung zurück. Er schien was zu ihr zu sagen. Aber Julius verstand ihn nicht.
Als die Grandchapeaus erst Julius und dann dessen Mutter begrüßt hatten, legten sie Übermäntel und den Zylinderhut in einem Gaarderobenschrank im Flur ab. Dann besichtigten Vater und Tochter Grandchapeau das imposante Wohnzimmer. Madame Grandchapeau kannte diese Wohnung ja schon.
Nach der kurzen Besichtigung ließ man sich zum Nachmittagstee nieder. Aus der Stereoanlage erklang Weihnachtsmusik von CD, und alle vier Kerzen des Adventskranzes brannten warm und hell. Man unterhielt sich über die letzten vier Monate, die ja für alle Anwesenden entscheidende Veränderungen gebracht hatten. Julius fragte den Minister, ob er keine Leibwächter mitgenommen hatte, wie in die Rue de Camouflage. Dieser sagte:
"Erstens habe ich vorgegeben, in Monaco zu sein, um dort mit den dort lebenden Zauberern über Zuständigkeitsänderungen zu konferieren und zum anderen schützt mich der Sanctuafugium-Zauber um dieses Haus genauso vor Nachstellungen wie Ihre Frau mutter und Sie. Insofern konnte ich beruhigt auf die Begleitung durch Schutzzauberer verzichten. Aber wie gefällt Ihnen diese Wohnung?"
"Nun, ich muß mich daran gewöhnen, daß ich nicht mehr in London wohne. Außerdem war das mit dem Wohnzimmer hier ein Hammer, also ziemlich unerwartet heftig, Herr Minister."
"Monsieur Grandchapeau reicht. Ich bin ja privat hier", berichtigte der oberste Zauberer Frankreichs den Beauxbatons-Drittklässler. Julius nickte zustimmend.
"Nathalie und Madame Brickston haben glaubhaft versichert, daß es für Ihr gesellschaftliches Umfeld wichtig sei, einen Raum für die Unterbringung einer größeren Personenzahl zur Verfügung zu haben. Unser Archiv hat lange suchen müssen, bis wir das entsprechende Gesetz und dessen Ausnahmeregelungen im ganzen studieren konnten, um nicht unerlaubte Vergünstigungen zu erteilen. Sicher kann ich Ausnahmeentscheidungen treffen. Aber die muß ich vielleicht später einmal rechtfertigen. Ein Wohnungsbau mit Zauberkraft für eine alleinstehende Muggelfrau warf da gewisse Probleme auf, zumal dafür ja Zauberkunsthandwerker herangezogen wurden, die ja an und für sich nicht für Muggel arbeiten durften. Das ist ähnlich wie mit den Baugenehmigungen in der Welt ihrer Mutter, Julius. Wenn die Bauvorschriften nicht eingehalten werden, darf kein Stein vermauert werden. Ich hörte von meiner Tochter, daß Sie sich über unser gesellschaftspolitisches System erkundigt haben. Daher wissen Sie ja, daß wir alle zehn Jahre über eine Wiederernennung oder Absetzung der amtierenden Zaubereiministerin oder des Zaubereiministers entscheiden. Ich mache das schon seit zwei Amtsperioden und habe zumindest von den Meisten eine positive Rückmeldung, die mich ermutigt, auch eine dritte Amtszeit anzugehen. Da möchte ich mir keine unnötigen Konflikte mit den Gesetzen erlauben."
"Verstehe", sagte Julius.
Nach dem Tee unterhielten sich die Grandchapeaus und Andrews' über den üblen Streich Jasper van Minglerns. Julius fragte, was dem aus Beauxbatons entlassenen passieren würde. Nathalie Grandchapeau räusperte sich und erklärte, daß der Junge nach einer erfolgten Gedächtniskorrektur und einer Inhibitus-Therapie aus der Zaubererwelt verbannt worden sei. Seine Eltern hätten zwar protestiert, nach Kenntnis der Sachlage jedoch zugestimmt, denn die andere Möglichkeit wäre eine längere Haft im Zauberergefängnis Tourressulatant gewesen.
"Hups, ich dachte, die europäischen Zaubererverbrecher kämen alle nach Askaban", wunderte sich Julius.
"Seit dem ersten Oktober gilt wieder die Regionalitätsregel, Monsieur Andrews. Ich habe verfügt, daß französische Straftäter wieder nach Tourresulatant verbracht werden, da ich Gründe habe, den Dementoren von Askaban nicht mehr zu trauen. Mein britischer Kollege ist darüber zwar sehr irritiert, kann mir jedoch nicht vorschreiben, inwieweit ich die Strafgesetze im Bezug auf Frankreich auszulegen habe, wie ich ihm ja auch nicht vorschreiben kann, welche Politik er in Großbritannien zu betreiben hat. Zumindest haben wir im vor fünfhundert Jahren eingerichteten Strafbezirk Tourresulatant keine Dementoren, sondern magische Lichtbarrieren mit mehrfacher Absicherung, Zermürbungslabyrinthe für Fluchtversuche und mehrere hundert Wächtergolems, Sphinxen und Sicherheitstrolle. Dort saßen bis zum ersten Oktober dieses Jahres die französischsprachigen Untäter ein, die sich geringerer Vergehen schuldig machten. Aber jetzt gelten dort wieder die Sicherheitsvorkehrungen, die vor zweihundert Jahren galten, wo die gesamteuropäische Strafvollzugsordnung noch nicht galt. Aber ich möchte Ihre Mutter nicht mit derartigen Unerfreulichkeiten und für sie unwichtigen Dinge langweilen", erklärte der Minister. Julius hatte mit einer derartigen Entwicklung gerechnet. Er durfte ja nichts über die Sub-Rosa-Besprechung verraten, wie der Minister und dessen Familie. Aber was bereits in den Zeitungen stand, konnte er ja ruhig erwähnen.
"Golems sind doch magisch belebte künstliche Menschenwesen", wandte Mrs. Andrews ein. Alle nickten. "Also wird dieses Gefängnis von etwas bewacht, daß keinen eigenen Willen besitzt. Aber den Leuten dort werden die Zauberstäbe fortgenommen, gehe ich stark von aus."
"Nicht nur dies. Sie erhalten eine befristete Inhibitus-Therapie, tägliche Gaben eines Magieunterdrückungsgebräus, um nicht auch ohne Zauberstab zu zaubern. Es geht also auch ohne diese Dementoren", wandte Minister Grandchapeau ein.
"Nun, ich hoffe, Jasper kommt in seinem neuen Leben gut klar", sagte Julius. Damit war das Thema für ihn abgehandelt.
Nach dem Abendessen ließen sich die Grandchapeaus die technischen Geräte genau vorführen. Belle ließ sich von Julius seinen Computer erklären und durfte auch im Internet herumsuchen. So vertrieben sie sich die Zeit bis elf Uhr abends. Dann holte sie der Chauffeur des Ministeriums mit dem Peugeot ab.
"Vielen Dank für diesen interessanten Abend", sagte Minister Grandchapeau. Seine Tochter sagte zu Julius:
"Danke für die praktische Vorführung. Jetzt kann ich mit den Notizen aus der Stunde, wo du uns das erklärt hast, mehr anfangen. Könnte mal wichtig für mich sein. Aber dazu müßte ich öfter praktische Übungen mit dieser Vorrichtung machen. Können wir das für die Ferienzeit verbindlich vereinbaren?"
"Hmm, müßte gehen. Wenn ich keine Zeit habe, weil ich von irgendwem irgendwo hin eingeladen werde, sage ich dann früh genug bescheid."
"Ich bleibe ja jetzt länger in der Stadt, Mademoiselle Grandchapeau. Falls sie dies wünschen kann ich Ihnen auch die von Ihnen erwünschten Unterrichtsstunden geben", bot Mrs. Andrews an. Belle lächelte dankbar und erwiderte, daß sie gerne darauf zurückkommen würde, wenn ihre übrigen Tätigkeiten dies erlaubten. Dann verließen die Grandchapeaus das Haus in der Rue de Liberation.
"Und was hältst du von der Familie Grandchapeau?" Fragte Julius seine Mutter, als er ihr half, das Geschirr vom Abendessen abzuwaschen.
"Das Mädchen wirkt auf mich sehr kultiviert, ja fast aristokratisch. Er ist offenbar sehr auf seine Pflichterfüllung bedacht. Seine Frau gefällt mir immer noch am besten. Sie ist irgendwie der ruhige Pol der Familie, kann ich nach diesem Treffen sagen. Auf jeden Fall muß dieser Vorfall am Halloweentag eine sehr günstige Einstellung zu dir bewirkt haben. Nathalie erzählte mir nämlich schon vor einigen Wochen, daß ihre Tochter sehr auf ihre Umgangsformen bedacht sei und jeden mit "Sie" und Nachnamen anspreche, aber bei dir wohl eine Ausnahme mache."
"So läuft das unter Schwestern. Claire nennt Jeanne ja auch nicht Mademoiselle Dusoleil. Falls doch, dann nur, wenn sie sich heftig in der Wolle haben", erwiderte Julius verschmitzt lächelnd.
"Als ich das hörte, daß du durch einen bösen Zauber zum Mädchen geworden bist, habe ich ziemlich heftig schlucken müssen. Ich habe tatsächlich überlegt, ob ich nicht einen schweren Fehler gemacht habe und dann überlegt, wie ich mit dieser Lage umgehen würde. Ich habe einen Sohn und keine Tochter aufgezogen. Ich hätte mich ja komplett umstellen müssen, zumal du ja körperlich dann voll zur Frau entwickelt gewesen wärest. Aber Professeur Faucon hat mir durch dieses Kontaktfeuer beruhigend zugesprochen, daß dieser Zustand nicht einmal eine Woche andauern würde. Aber froh bin ich erst gewesen, als Catherine mir erzählte, daß alles funktioniert habe, wie es sollte."
"Ich bin auch froh, Mum. Es hätte mich ja auch dauerhaft in diesem Körper lassen können. Ja ich hätte ja auch als Kind eines Geschwisterpaares neu zur Welt kommen können. Da gibt es ein Buch über verheerende Fehlschläge in der Zauberei, das ..."
"will ich nicht wissen, Julius. Was dir passiert ist, hat mir gereicht", sagte seine Mutter sehr energisch. Julius nahm dies hin und respektierte das. Ja, man mußte nicht alles wissen, fand auch er.
__________
Die Woche hin zum Weihnachtsabend verlief fast so wie früher in London. Außer daß Julius' Vater nicht zu Hause war, und außer dem Umstand, daß sie nun in Paris lebten, lief alles so ab, wie sonst auch in der Familie. Verwandte riefen zwischenzeitlich an oder schickten Weihnachtskarten. Die Verwandten von Martha Andrews' Seite schickten Karten und drückten ihre Hoffnung aus, daß nach dem Streit mit Richard ein neuer besserer Lebensabschnitt beginnen würde. Einige meckerten darüber, daß sie ja extra nach Frankreich reisen müßten, wenn sie Martha und Julius besuchen wollten. Doch die meisten hatten bekundet, daß sie zu ihr und Julius hielten. Die Verwandten von Richard Andrews' Seite hielten Marthas Umzug natürlich für eine Fehlentscheidung, da sie dadurch "dem Jungen" seinen Vater entziehen würde, unterstellten ihr sogar Undank, weil sie es ja wohl nur auf sein Geld angelegt habe. Julius fand seine Mutter am dreiundzwanzigsten Dezember nachmittags weinend in der Küche vor. Das traf ihn hart. Denn er kannte seine Mutter eher als besonnen, über alle schweren Dinge erhaben. Vor ihr auf dem Küchentisch lag eine Karte von Onkel Claude, einem Bruder seines Vaters. Er nahm die Karte und las:
Hallo, martha,
Weihnachten sollte zwar nicht die Zeit sein, um ernste Worte an Familienangehörige zu richten, ist jedoch für mich die einzige bisherige Gelegenheit, die Sachen zu schreiben, die ich dir unbedingt schreiben muß.
Ich verstand es nicht und will es nicht verstehen, daß du Richard derartig brüsk erpresst hast, dir einen Teil seines Hauses abzukaufen, nur weil deine Einstellung zu Julius' Erziehung und möglicherweise Probleme mit ihm dir eine angebliche Rechtfertigung dazu boten. Ich weiß genau, daß mein Bruder nur deshalb auf dieses tolldreiste Ding eingegangen ist, weil er es satt hat, sowas wie dich ständig zur ordnung zu rufen, wenn du seinen berechtigten Ansprüchen entgegenhandelst. Ich ging davon aus, daß ihr euch im Bezug auf Julius' Erziehung abgestimmt hättet. Er sagte mir jedoch vor einem Monat, wo er mich anrief, daß nach dem Fehlschlag mit Eton du dieses Unsinnsinternat ausgesucht hättest, weil Julius dort angeblich mehr lernen könne. Dem sei ja wohl nicht so. Er führte auch an, daß wohl dort merkwürdige Leute das Sagen hätten und er dir das auch oft gesagt hatte. Wie kannst du dem Jungen sowas antun, ihn aus England mitzunehmen und in diesem überdrehten Land unterzubringen, wo sie Amphibien und Weichtiere essen und eine überhebliche Einstellung zu ihrer Sprache haben. Ich war mal in Paris und wäre da fast verhungert, weil die mich nicht verstehen wollten. Ich hoffe inständig, daß du diese Zeilen noch liest und der Junge nicht auch schon verhungert ist.
Ich überlege mir ernsthaft, ob ich Richard nicht dazu raten soll, das Sorgerecht neu entscheiden zu lassen, damit der Junge schlußendlich doch eine anständige Ausbildung kriegt und du in deiner Computerwelt weiterleben kannst. Ich halte es nämlich für unverantwortlich, den Jungen deinen merkwürdigen Ideen von reiner Logik und Vorherberechenbarkeit zu unterwerfen, die ja wohl nur auf materiellen Zugewinn abzielen. Ich trage mich mit Alison sogar mit dem Gedanken, Julius zu uns zu holen, damit er ein geordnetes Familienleben führen kann. Eine alleinerziehende Mutter ist kein korrekter Grundstock für spätere Beziehungen. Ich bin auch bereit, deine bisherige Arbeit für den Jungen finanziell zu honorieren, aber nur, wenn Julius zu uns kommt. Dann magst du deinen Weg alleine fortsetzen, und ich wünsche dir dazu alles Glück daß du brauchst.
Habe ich noch was vergessen? Ach ja, fröhliche Weihnachten noch!
Claude Andrews
"Schweinehund!" Schimpfte Julius, als er die Karte noch mal gelesen hatte. Dann nahm er sie einfach mit. Seine Mutter fragte schluchzend:
"Was willst du mit der Karte? Du willst doch etwa keinen Voodoo-Zauber drüber sprechen."
"Ach, kann man das?" Fragte Julius. "Nein, ich will damit zu Catherine, damit die uns sagt, wie wir antworten sollen. Dir setzt das ja heftig zu."
"Das geht Catherine nichts an, Junge. Das ist Familiensache."
"Der Typ will haben, daß ich zu ihm ziehe. Da das nicht geht, geht Catherine das sehr wohl etwas an, Mum", widersprach Julius und lief schnell mit der Weihnachtskarte aus der Küche. Seine Mutter folgte ihm und holte ihn noch vor der Wohnungstür ein. Sie pflückte ihm die Karte aus der Hand und sagte mit nun ernstem Gesicht:
"Das muß Catherine nicht wissen. Außerdem kann ich Riverside, den Anwalt anrufen, daß er sich für diesen Fall bereithält. Das Claude derartig ausfällig über mich herzieht, hat mich zunächst heftig getroffen. Aber ich werde mich davon nicht beirren lassen."
"Wie du meinst, Mum. Wie gesagt, der weiß nicht, was mit mir los ist. Der kann da nicht einfach herkommen und sagen, daß er besser weiß, was für mich gut ist. Außerdem hat der mit Paul und Greg genug um die Ohren."
"Das schreib ihm doch", sagte Martha Andrews nun trotzig.
"Neh, der kriegt von mir keine Antwort. Du schreibst dem am besten auch nicht zurück. Dann denkt er, die Karte wäre nicht angekommen. Wenn er dann was drehen will, läßt du den auflaufen."
"Gute Idee, Junge", sagte Martha Andrews. "Was bildet der Kerl sich ein, nur weil Tante Alison das brave Hausweibchen spielt und keinen eigenen Beruf ergriffen hat, trotz Fairmaid-Schule und Lady-Cordelia-College. Der würde uns ja nicht glauben, was dein Vater gemacht hat."
"Ob der mit ihm noch in Verbindung steht?" Fragte Julius. "Das wäre für Mrs. Jane Porter möglicherweise wichtig.
"Das kriegen wir früh genug mit", wandte Martha Andrews ein. Dann beruhigte sie sich, steckte die Karte in eine Schublade, ganz weit unten. Die anderen Weihnachtsgrüße lehnten fein säuberlich aufgereiht am großen Wohnzimmerschrank.
Der letzte Tag vor Weihnachten verging mit den letzten Weihnachtsvorbereitungen. Zwischendurch kam Catherine Brickston mal hoch zu den Andrews' und unterhielt sich mit Julius über Beauxbatons, den Zwischenfall mit Belle Grandchapeau, sowie über die Jungen und Mädchen aus Julius Umgebung. Joe Brickston mied die Andrews'. Er grüßte nur, wenn er ihnen im Treppenhaus begegnete. Julius fragte Catherine einmal, ob sie Besucher zu Weihnachten erwarteten, was sie verneinte.
"Joe will nicht haben, daß seine Verwandten mit meinen zusammentreffen, auf welche Weise auch immer. Deshalb belassen wir es bei Grüßen übers Telefon. Ist zwar schade, daß seine Eltern unsere Wohnung bisher nur einmal besucht haben, muß ich aber zur Kenntnis nehmen", sagte sie mit echtem Bedauern in Stimme und Gesichtszügen. Julius konnte es nachempfinden. Nach dieser netten Weihnachtskarte seines Onkels Claude fragte er sich tatsächlich, ob er manche Verwandten nie wieder zu sehen bekommen würde. Sicher, die Zaubererwelt hatte ihn gut und vollständig aufgenommen, von der Schule her und im Privaten. Aber irgendwie dafür die alten Bekannten und Verwandten aufgeben zu müssen war doch ein hoher Preis. Doch immerhin hatten seine Mutter und er einen Weihnachtsbaum im Wohnzimmer. Seine Mutter wollte zwar einen kleinen Baum haben, hatte sich dann aber von Julius und Catherine breitschlagen lassen, eine zwei Meter hohe finnische Nordmannstanne zu kaufen. Julius hatte in Paris in den üblichen Läden zehn Bücher gekauft, von "Die Zeitmaschine" bis "Von der Erde zum Mond", die er Monsieur Dusoleil von der Rue de Camouflage aus zuschickte, wo sich wie in Millemerveilles ein Postamt befand. Dabei trafen Catherine, die Julius begleitete und der neue Beauxbatons-Schüler auch die Latierres. Julius mußte Martine rechtgeben. Monsieur Albericus Latierre war höchstens drei englische Fuß, knapp einen Meter groß. Daß er ein erwachsener Mann war, betonte er durch einen gut gepflegten Spitzbart, der dieselbe rotbraune Färbung besaß, wie das wellige Harr, das bereits Geheimratsecken baldigen Haarausfalls aufwies. Er trug einen apfelgrünen Umhang und einen moosgrünen Spitzhut, an dessen Ende eine Bussardfeder steckte und ihm mit dem Hut einen Größenzuwachs um stolze fünfzig Zentimeter erlaubte. Daneben wirkte Hippolyte Latierre, die in einem feuerroten Umhang mit Rotfuchsbesatz an Kragen und Ärmelsäumen ausging, wie Madame Maxime neben Julius bei der Einschulung in Beauxbatons. Millie und Martine trugen elegante Kleider mit weiten rubinroten Umhängen.
"In den Klamotten siehst du ja zerbrechlich aus, Julius", mußte Millie zu Julius Muggelkleidung loslassen. Ihre Schwester räusperte sich. Dann sagte sie:
"Ich hoffe, dir gefällt es in unserer Hauptstadt. Ich habe von Belle gehört, wie interessant es bei euch war. Sie schrieb was von diesem Computer, der Nachrichtengerät und Bibliothek in einem ist. Was macht ihr denn zu Weihnachten?"
"Wir bleiben zu Hause und feiern, daß wir uns nach über einem Jahr wieder ruhig und ohne Hektik zusammensetzen konnten", erwiederte Julius.
"Na klar, diesmal ist ja keine besondere Festveranstaltung in Beauxbatons", sagte Martine Latierre. Dann verabschiedeten sich Catherine und Julius von den Latierres und kehrten aus dem Zauberkunstmuseum per Flohpulver in die Rue de Liberation zurück.
__________
Die Glocken läuteten von den Kirchtürmen der Umgebung. Aus dem Radio erklang weihnachtsmusik. Julius und seine Mutter, die nie so überzeugte Kirchgänger gewesen waren und eigentlich die Mitternachtsmessen nur besucht hatten, um gesehen zu werden, verzichteten auf den Besuch einer der umliegenden Kirchen. Sie saßen vielmehr gemütlich im rauminhaltsvergrößerten Wohnzimmer und schwelgten in guten Erinnerungen der letzten zwei Jahre. Irgendwann so um ein Uhr herum, schaltete Mrs. Andrews die Stereoanlage aus, wünschte ihrem Sohn eine geruhsame Nacht und machte sich bettfertig. Julius lag noch eine weile wach und fragte sich, wie das wohl dieses Jahr ablaufen würde? Als er noch kein Zauberschüler war, hatte er einen großen Strumpf aufgehangen, in dem sich am Weihnachtsmorgen kleinere Geschenke wie Spielzeugautos oder Spielkarten gefunden hatten. Hatte der Weihnachtsmann größere Geschenke angeliefert, waren diese immer auf dem festlich dekorierten Tisch im Wohnzimmer zu finden gewesen. Als Julius in Hogwarts das erste Jahr verbrachte, hatten seine Freundinnen und Freunde ihm per Eule Weihnachtsgeschenke geschickt. Im zweiten Jahr hatte er beim Aufwachen am Weihnachtsmorgen Geschenkpakete am Fußende seines Bettes vorgefunden. Doch was würde nun passieren? Die Fenster waren zu, weil es nachts doch nun empfindlich kalt wurde. Hinzu kam, daß durch die kalte Luft auch der in ihr gelöste Dreck in ein Zimmer hineinkriechen konnte, die Kehrseite einer glitzernden Großstadt. Würde Julius überhaupt was bekommen? Darauf sollte es ihm nicht ankommen. Denn bei seiner Mutter zu sein, war das größte Weihnachtsgeschenk, das man ihm hatte machen können.
Am nächsten Morgen zeigte ihm Catherine einen Raum unter dem Dach, wo in der Nacht kleinere Pakete angekommen waren. Seine Mutter bekam sogar was von den Hexen und Zauberern. Von den Delamontagnes bekam sie ein neues Schachspiel mit nichtlebendigen Figuren und von den Dusoleils einen aufwändigen Bildband über Frankreichs Natursehenswürdigkeiten. Von den Grandchapeaus war ein Paket mit einer etwa 20 Zentimeter hohen Bronzesphinx und drei dicke Rätselbücher eingetroffen. Julius hingegen bekam von Claire eine Regenbogenleuchte, eine Lampe, die wie seine Sonnenkristallleuchte für Pina Licht sammelte, es aber nicht gleichermaßen zurückstrahlte, sondern je nach vorherrschender Atmosphäre. Daran, so schrieb Claire in einem Begleitbrief, könne man erkennen, ob eine Wohnung gerade von schlechter Stimmung oder Freude durchdrungen sei. Von den Porters war ein Miniaturglobus unter Glas mit einem winzigen Mond auf einer Kreisbahn gekommen. Julius faszinierte es, wie astronomische Modellbauten sich selbst ohne sichtbare Mechanismen in der Waage hielten und drehen konnten. So drehte sich der kleine Mond ohne sichtbare Mechanik um die Erde, ließ sich noch nicht mal durch eine Verlagerung der Glaskuppel, unter der das Erde-Mond-Modell kreiste, ablenken. Er sah, daß der Globus der aus dem All sichtbaren Erde entsprach und konnte sogar sehen, daß Europa tatsächlich im Vormittagsbereich zur Sonne stand. Sonne, das war in diesem Fall ein Licht, das irgendwie aus dem Globus selbst leuchtete, aber perfekt den Widerschein der Sonnenstrahlen von der Erdoberfläche nachahmte. Dazu gab es noch ein umfangreiches Begleitbuch über die astronomischen und magischen Wechselwirkungen zwischen Erde und Mond.
Die Hollingsworths hatten Julius eine Flasche mit Scotopsin geschenkt, jenes von der Prazap-Kompanie hergestellte Elixier, das man entweder schlucken oder auf Sehhilfen oder bei Nacht zu betrachtende Objekte aufbringen mußte, um bei völliger Dunkelheit wie bei Vollmond unter wolkenlosem Himmel sehen zu können. Pina hatte einen Entflackerer besorgt, einen anpassungsfähigen Filteraufsatz für sein Teleskop, der das typische Funkeln und Flackern der Sterne, hervorgerufen durch die Lufthülle und den Staub, komplett aufheben konnte, sodaß die Sterne so scharf zu erkennen waren, wie von einer Plattform im luftleeren Raum aus. Kevin hatte ihm ein etwas größeres Paket geschickt mit einem Zettel dran, nicht jedem zu zeigen, was drin war. Es enthielt verschiedene Gemeinheiten, die die Zwillinge Fred und George Weasley erfunden hatten, von Würgzungendrops, Juxzauberstäben, Schluckaufbonbons bis hin zu den Nasch-und-Schwänz-Leckereien, Süßigkeiten mit zwei Seiten. Aß man von der einen Seite, bekam man Nasenbluten, Magenkrämpfe oder sonst was heftiges. Wenn man dann auf dem Weg in den Krankenflügel war, konnte man von der anderen Seite des entsprechenden Naschwerks essen und fühlte sich danach wieder gesund und konnte die so geschwänzte Stunde anderweitig umbringen. Dazu hatte Kevin noch einige Feuerwerkskörper gelegt und zwei zusammengerollte fleischfarbene Schnüre, die als Langziehohren bezeichnet wurden, weil sie sich von selbst abrollen und unter Türen und über Treppen durchreichten, um andere Leute zu belauschen, wenn man die Enden der Schnüre in den Ohren stecken hatte.
"Das ist ja ein richtiger Scherzbold, dein werter Schulfreund", meinte Martha Andrews, als sie wie zufällig einige der kleinen Gemeinheiten in der Hand hielt.
"Der weiß nicht, wie das in Beauxbatons läuft. Wenn da einer krank wird, muß er direkt zu Schwester Florence. Kommt er aber nicht an, gibt das Ärger. Und ich darf mir derartiges Zeug schon gar nicht leisten, weil die Pflegehelfer besonders gut auf sich aufzupassen haben. Da könnte ich mir nicht einmal aussuchen, bei wem ich weniger Ärger bekäme. Mal abgesehen von einer Lehrerin, die erkennt, wenn jemand ihr was vormacht."
"Dann wirf das Zeug in den Müll!" Schlug Mrs. Andrews vor. Julius schüttelte den Kopf. "Die haben da alles mögliche mit angestellt. Wäre interessant, die einzelnen Gemeinheiten zu analysieren."
"Das mußt du wissen. Wenn du dabei erwischt wirst, wenn du sowas mithast, weiß ich ja nicht, was die dann mit dir machen."
"Wenn wir die Dinger in der Alchemiegruppe oder bei den Pflegehelferkursen durchchecken, kriege ich keinen Ärger. Im Gegenteil."
"Na ja, das mußt du dann mit Professeur Faucon klären", grinste Mrs. Andrews.
Gilda hatte Julius noch ein Buch über die berühmtesten Hexen und Zauberer Europas geschenkt, von den Gründern von Hogwarts, Durmstrang und Beauxbatons bis zu den gegenwärtigen Amts- und Würdenträgern.
Von den erwachsenen Dusoleils bekam er je etwas, was dem Beruf der einzelnen Familienangehörigen entsprach. Madame Dusoleil schenkte Julius eine magische Gartenschere und ein Buch über magische Pflanzen in europäischen Wäldern. Mademoiselle Uranie Dusoleil schenkte Julius eine Kiste Mondsteine und Sonnenquarze, die er gut für den Alchemiekurs gebrauchen konnte. Monsieur Dusoleil schenkte Julius ein Endlosseil, das wie ein höchstens zwei Meter langes Stück Tau aussah, aber mehr als das tausendfache abgerollt werden konnte. Jeanne hingegen hatte im Zauberkunstkurs einen bretonischen Blauen, einen in Frankreich heimischen Drachen, als Bronzefigur nachgebaut und mit einem Animierzauber so hinbekommen, daß er sich selbst bewegen konnte. Einige Meter konnte dieses Modell laufen, sich aufrichten, zusammenrollen, das mit spitzen Zähnen bewehrte Maul aufreißen oder mit dem gefährlich gespickten Schwanz Bewegungen ausführen.
"Der einzige Drache, den du halten darfst", stand auf einem Pergamentzettel, den Jeanne der Bronzefigur beigefügt hatte. Julius grinste. Genau so ein Geschenk hatte er im Vorjahr Kevin Malone gemacht. Genau diese Notiz, halt nur auf Englisch, hatte er ihm dabeigelegt.
Aurora Dawn sandte Julius das größte Paket. Darin waren das zweibändige Buch "höchstseltene Zauberpflanzen" von Silvana Verdant, sowie das dicke Buch "Magische Kunde vom Körper des Menschen", von Antoinette Eauvive und Arnico Barbaferra, sowie "Umgang mit unliebsamen Zauberpflanzen und -pilzen" von Prof. Herbamicus Blackvine. Dazu war wieder allerlei an Fläschchen mit Heilelixieren dabei, darunter eines gegen Erkältung, Brandwunden und Entzündungen, sowie armlange Drachenhauthandschuhe, eine Schutzmaske aus demselben Material mit zwei selbstkorrigierenden Linsen, die sich auf die übliche Sehschärfe des Maskenträgers einstellten, der durch sie hindurchsah, wie auch eine Kappe aus einem Material, das wie Baumwolle beschaffen war, dem mitgeschickten Brief Auroras nach aus den schier unverwüstlichen Fäden der Riesenspinne Acromantula bestanden, die noch vor Drachenhaut die reißfestesten, feuerbeständigsten und dabei leichtesten tierischen Textilfasern waren. Allerdings, so betonte Aurora Dawn, sei ein Quadratfuß dieser Fäden derartig Teuer, weil ja schwer an das Material heranzukommen sei, daß dafür fünfzig Galleonen bezahlt werden müßten. Julius fragte sich, wieso seine australische Brieffreundin so viel Geld ausgab, um ihm eine derartige Mütze zu schenken, die ihrer Beschreibung nach zehnmal so fest aber dabei nur ein Fünfzigstel so schwer wie Stahldraht war. Zu alle dem hatte sie ihm noch eine weitere Practicus-Tasche extra für Heiltränke und Zaubersalben zukommen lassen.
"Die legt dich schon fest, Julius", bemerkte Martha Andrews, während Julius die umfangreichen Bücher in seiner Centinimus-Bibliothek unterbrachte. "Die hat dich schon voll auf diese Hexenheilkunst vorgeplant. Mit dieser Ausrüstung sollst du wohl in deiner neuen Stellung mehr machen, als nur erste Hilfe leisten."
"Habe ich auch den Eindruck, Mum", pflichtete Julius seiner Mutter bei. Dann half er ihr bei der Weihnachtsdekoration. Die Porters wollten ja um vier Uhr nachmittags eintrudeln, hatte Mrs. Andrews ihrem Sohn erzählt.
Während sie am Morgen alle eingetroffenen Geschenke unterbrachten und die Wohnung noch mal prüften, ob sie so dekoriert bleiben konnte, wie sie war, vibrierte Julius' Pflegehelferarmband. Er erschrak erst, weil er an und für sich gedacht hatte, daß es außerhalb von Beauxbatons nicht funktionierte. Doch dann legte er seinen linken Zeigefinger auf den weißen Schmuckstein. Schwester Florences räumliches Abbild erschien frei in der Luft schwebend. Julius' Mutter wunderte sich nicht schlecht, als die Schulkrankenschwester von Beauxbatons zu Julius sprach. Ihre Stimme kam dabei aus dem Armband, breitete sich wellenartig im Raum aus.
"Hallo, Julius! Ich freue mich, daß ich dich nun auch grüßen und dir und deiner Mutter ein ruhiges, fröhliches und harmonisches Weihnachtsfest wünschen kann. Ich hoffe, dir geht es soweit gut."
"Ja, tut es", sagte Julius leicht irritiert klingend. Dann fragte er noch, wieso der Pflegehelferschlüssel auf diese Entfernung noch funktioniere. Schwester Florence lächelte geheimnisvoll und sagte mit großmütterlicher Betonung:
"Junge, es gibt Dinge, die darf ich keinem erzählen. Wieso das geht, gehört leider dazu, selbst wenn du natürlich sehr neugierig bist und wissen möchtest, wie solche Dinge funktionieren. Wichtig dürfte für dich nur sein, daß ich dich und jeden anderen erreichen kann, der zu meiner Pflegehelfertruppe gehört. Dasselbe gilt für dich, wenn du mich anrufen möchtest. Allerdings geht das nur zwischen einem Pflegehelfer und dem amtierenden Schulheiler von Beauxbatons. Untereinander könnt ihr euch nur in Beauxbatons erreichen, eben wegen diverser Geheimsachen."
"Achso, dann könnte mich Jeanne nicht erreichen, wenn sie das möchte?" Fragte Julius.
"Nur dann, wenn ich als Verbindungsglied fungiere. Sonst nicht. Aber das ist eben jetzt der Fall. Wenn ich euch einzeln angesprochen habe, ist das bei uns Tradition, daß ihr alle euch kurz grüßt, falls ihr möchtet. Du möchtest also zunächst mit Jeanne Dusoleil sprechen?"
"Öhm, wenn das erlaubt ist, bitte. Dann noch mit Deborah oder Felicité, um zu fragen, was gerade in Beauxbatons läuft", sagte Julius schnell. Die Schulkrankenschwester nickte wohlwollend, wünschte Julius und seiner Mutter noch mal fröhliche Weihnachten und verschwand, als Julius sich von ihr verabschiedet hatte. Eine Minute später vibrierte das Armband erneut. Julius legte den Finger auf den Schmuckstein, und Jeanne Dusoleils Abbild schwebte im Raum. Hinter ihr konnte Julius ihre Mutter Camille sehen, etwas verschwommen zwar, aber doch erkennbar.
"Hallo, Julius! Fröhliche Weihnachten wünschen wir dir alle zusammen. Maman steht wie du siehst hinter mir, Papa, Tante Uranie und Denise stehen um mich herum und freuen sich, daß du dich meldest. Schwester Florence hat mich vor einer halben Stunde angerufen und meinte, ich könne dann mit dir sprechen, wenn sie mit dir gesprochen habe. Weil ich aber die erste war, die sie anrief, dauerte das natürlich etwas. Wie geht es euch in der neuen Wohnung?"
"Ist wohl noch gewöhnungsbedürftig, Jeanne", sagte Julius. "Irgendwie hängen wir jetzt genau zwischen den Welten. Es ist fast so wie früher, wo wir in London gefeiert haben. Nur da war mein Vater mit dabei und diverse Verwandte. Die können oder wollen dieses Jahr nicht mitfeiern. Klar, weil wir ja jetzt eine Flugstunde von London fort wohnen."
"Hmm, ist wohl schwer für Sie, Madame Andrews", kam Madame Dusoleils Stimme wie aus einem weit entfernten Raum hallend aus dem Armband. Julius konnte noch soeben erkennen, wie sich die Lippen der verschwommen abgebildeten Hausherrin bewegten. Mrs. Andrews stellte sich dicht hinter Julius. Sie sagte:
"Ich habe es mir ja so ausgesucht, Madame. Dafür habe ich Julius wieder. Manche Verwandten muß ich wirklich nicht um mich herumhaben, selbst nicht am Weihnachtstag. Aber Sie, Sie müssen doch auch traurig sein, daß Ihre mittlere Tochter nicht bei Ihnen ist, oder?"
"Traurig schon, aber nicht so sehr, weil ich weiß, warum Claire das macht und sie meine volle Unterstützung hat", erwiderte Madame Dusoleil, die etwas deutlicher zu sehen und auch zu hören war als kurz vorher. "An und für sich wollte Ihr Sohn ja auch in Beauxbatons bleiben. - Das habe ich ihm jedoch strickt untersagt."
Julius errötete schlagartig. Jeanne grinste nur. Martha, die sich schon auf die Schultern ihres Sohnes stützen mußte, nur um noch näher am Pflegehelferarmband zu stehen, fragte irritiert:
"Sie haben ihm das untersagt? Könnte es nicht eher sein, daß ihm Professeur Faucon und diese Heilhexe das untersagt haben, in Beauxbatons zu bleiben?"
Ein leises Räuspern wie aus dem Nichts war zu hören. Es war Schwester Florences Stimme. Offenbar hörte sie mit, erkannte Julius.
"Die auch. Aber ich habe auch darauf bestanden, daß Sie mit Ihrem Sohn zusammen sind. Ich weiß genau, wie hart das sein muß, die eigenen Kinder über Weihnachten nicht bei sich zu haben. Jeanne war letztes Jahr in Hogwarts. Das hat mir auch schon zugesetzt, obwohl ich ihr alles Glück und Beste für das Turnier gewünscht habe", erwiderte Madame Dusoleil. Jeanne errötete nun.
"Mütter halt, Madame", lachte Martha Andrews. Dann verabschiedete sie sich von Camille Dusoleil. Diese winkte ihr noch mal zu und sagte:
"Ihr Sohn hat Ihnen sicher erzählt, daß Aurora Dawn über die Tage bis Neujahr zu uns kommen wird. Hätten Sie Lust, mit Julius zu uns zu kommen. Ich garantiere Ihnen auch, daß der Muggelabwehrbannhemmtrank diesmal wohlschmeckender ist. Madame Matine hat eine Geschmacksverfeinerung hinbekommen, um nichtmagische Besucher auch als Gäste und nicht wie schnell wieder abzuwimmelnde Störenfriede zu behandeln."
"Haben Sie denn so viele Zimmer frei? Ich denke doch mal, daß auch von Ihrer Seite Verwandte zu Besuch kommen", warf Martha ein.
"Ja, die kommen heute zu uns. Morgen reisen meine Familie und ich zu meinen Eltern, wo mein Bruder und seine Familie hinkommen. Aber am siebenundzwanzigsten bis Neujahr haben wir freie Gästezimmer. Ich kann Ihnen das Zimmer zusammen mit Julius geben, in dem er im Sommer gewohnt hat und für Aurora das andere Gästezimmer herrichten. Macht mir überhaupt nichts aus. Also?"
"Julius, möchtest du da gerne wieder hin?"
"Ja, Mum", sagte Julius sofort. Silvester in einem Zaubererdorf, das mußte einfach genial sein. Außerdem hatten sie ja außer Catherine ja keinen, mit dem sie Neujahr feiern konnten. Joe war ja im Moment sehr merkwürdig drauf. So sagte Mrs. Andrews auch ja. Madame Dusoleil sagte ihr zu, sich um die Anreise zu kümmern, zusammen mit Madame Delamontagne. Dann lobte sie noch Martha Andrews' Französischkenntnisse, bevor Julius die Sprechverbindung beenden konnte.
Danach sprach der Pflegehelfer aus dem grünen Saal von Beauxbatons noch mit Deborah Flaubert und erfuhr, daß sie in Beauxbatons am Weihnachtsabend ein Fest feiern würden, zu dem die üblichen Saaltische aus dem Speisesaal geschafft würden, da ja nur neunzehn Schülerinnen und Schüler in der Schule geblieben waren.
"Constance redet nicht mehr mit mir, Julius. Sie meint, wir hätten es Schwester Florence nicht auf die Nase binden sollen. Das ist schon ziemlich heftig. Ich dachte, ich könnte noch ihre Freundin bleiben. Aber offenbar gibt sie mir die Schuld an der Lage."
"Ich hoffe, das kriegt sich wieder ein, Debbie. Könnten die Hormone sein. Es war auf jeden Fall richtig und wichtig, daß du das gemeldet hast", sagte Julius. Schwester Florence warf unsichtbar für die beiden Pflegehelfer ein:
"Sehr richtig, Monsieur Andrews. Sie hat sich das schließlich zum gewissen Teil selbst zuzuschreiben." Deborah Flaubert errötete. Offenbar wußte sie nicht, daß die Heilerin von Beauxbatons mithören konnte. Deshalb verabschiedete sie sich sehr rasch und wartete unruhig darauf, daß Julius sich verabschiedete.
"Grüß mir die drei Mädchen aus dem grünen Saal, vor allem Claire und Laurentine! Bis dann nach Neujahr!"
"Bis dann, Julius", sagte Deborah und verschwand.
"Du hast mir gar nicht erzählt, daß eine eurer Mitschülerinnen schwanger ist. Ich dachte, in Beauxbatons mögen sie keinen sexuellen Verkehr zwischen Schülern", warf Martha Andrews ein. Julius errötete erneut. Dann fragte er:
"Wie kommst du darauf, daß eine Mitschülerin ..."
"Jungchen, wenn eure Schulheilerin sagt, sie habe sich das zum Teil selbst zuzuschreiben und du was von Hormonen erzählst und diese Deborah sagt, daß ihre Freundin wohl sauer sei, weil ihr über sie was gemeldet habt, zähle ich eins, eins und eins zusammen und komme darauf, daß eins und eins eben auch mal drei ergibt. Was ist denn mit dem Kindsvater?"
"Der wurde wegen Verstoß gegen verschiedene Regeln von der Schule verwiesen. Der darf das Kind erst dann sehen, wenn er volljährig ist. Allerdings kann er die Ausbildung nicht zu Ende bringen. Heftig."
"Allerdings", stellte Martha Andrews klar. Dann ließ sie sich erzählen, was mit Constance los war.
Martine Latierre wünschte wohl noch eine kurze Unterhaltung mit Julius. Denn als das Armband zum vierten Mal an diesem Morgen zitterte, stand die Saalsprecherin der Roten deutlich im Raum. Hinter ihr stand ihre Schwester Mildrid, halb verdeckt von ihrer Mutter.
"Schwester Florence hat mir erlaubt, deiner Maman und dir auch noch fröhliche Weihnachten zu wünschen", rief Martine freudestrahlend. Millie, die zwar leicht verschwommen aber noch erkennbar hinter ihrer großen Schwester stand, grinste mädchenhaft. "Wußtest du das denn nicht, daß Schwester Florence uns miteinander sprechen lassen kann? Ich dachte, die große Dusoleil hätte dir sowas erzählt."
"Manche Sachen erzählt man mir nicht. Das muß ich dann selbst rausfinden oder mich von wem drauf stoßen lassen, Martine", lachte Julius. Millie fragte wie aus einem Nebenraum klingend:
"Und war Papa Weihnachten schon bei euch? Oder warst du nicht brav genug?"
"Dann wäre Santa Claus gekommen und hätte mir die Lieb-und-Ungezogen-Liste um die Ohren gehauen", lachte Julius erheitert.
"Sag deiner Maman, wir wünschen ihr alles gute und schöne zu diesen Tagen", warf die hünenhafte Hexe Hippolyte Latierre noch ein. Auch ihre Stimme klang wie aus einem Nebenraum, war aber dafür laut und deutlich genug zu verstehen. Mrs. Andrews bedankte sich, und Julius verabschiedete sich von dem Hexentrio Latierre. Dann verschwand dieses wieder.
"So, ich hoffe, wir haben jetzt Ruhe", sagte Julius. Seine Mutter bewunderte die Verständigungsmagie, die dieses Armband vollbringen konnte. Julius, der ihr das mit dem Wandschlüpfsystem erklärt hatte, fügte nur hinzu:
"Möchte nicht wissen, was dieses Ding noch alles kann. Das war nur die einfachere Funktion dieses Armbandes. Immerhin hat es den kompletten Körpertausch ja abgefangen. Gut, nicht alleine, aber immerhin."
"Vielleicht enthält es auch einen Schutzschild gegen normale Angriffszauber oder einen Notfallsender, wenn du dich verletzt hast", vermutete Martha Andrews. Julius konnte das nicht grundsätzlich ausschließen.
Am Nachmittag war es dann so weit. Martha und Julius Andrews blickten zu dem Fenster hinaus, das auf den Vordereingang des Hauses Rue de Liberation 15 hinaussah. Wie würden die Porters anreisen? Vor allem, wieviele Porters würden ankommen? Diese Fragen beschäftigten Julius derartig, daß er das leise Klopfen an der Wohnungstür fast nicht gehört hätte. Er ging zur Tür und öffnete. Joe stand leicht verärgert dreinschauend vor der Tür und sah ihn an, als wolle er ihm gleich eine reinhauen. Unbewußt ging Julius in Karate-Verteidigungsstellung.
"Ich hab's Catherine gesagt und auch mit deiner Mutter abgeklärt, daß die Bande nicht andauernd durch unseren Partyraum muß. Und was haben wir? So'n rotblonder Rotzbengel ist mit so'nem blondzöpfigen Hexenpüppchen durch unseren Kamin geflutscht und unterhält sich gerade mit Catherine, als sei das einfach normal, unangemeldet in fremder Leute Häuser zu fauchen."
"Hups, ich dachte ...", setzte Julius an und wollte schon sagen, daß er das ja nicht so gewollt hatte, als die Türglocke ging. Julius nahm schnell den Hörer der Sprechanlage und fragte, wer da sei. Die ihm wohlvertraute Stimme von Gloria Porter meldete sich. Julius fragte gleich, wieso Kevin und Pina, um die es sich zweifelsohne handelte, nicht mit den Porters zusammen angekommen waren. Gloria lachte nur und sagte:
"Kevin ist mit Pina los, als wir uns noch dieses Museum angeguckt haben. Wir wollten an und für sich zusammen mit dem Auto kommen, daß Oma Jane organisiert hat. Aber die beiden ... Aber müssen wir das durch dieses Blechding besprechen?"
"Neh, bestimmt nicht", erwiderte Julius. Er und Gloria hatten sich auf Englisch unterhalten. Er drückte den Türöffner, wartete, bis die Haustür aufgedrückt worden war und wandte sich dann wieder an Joe Brickston.
"Unsere Gäste sind da. Möchtest du ihnen fröhliche Weihnachten wünschen?"
"Bloß nicht, Julius", schnaubte Joe und wirbelte herum und eilte die Treppe hinunter, auf der gerade Catherine mit Pina Watermelon und Kevin Malone heraufkam. Dann eilte noch Mrs. Jane Porter zusammen mit einer Hexe, die ihr ähnelte, wenngleich sie wesentlich jünger aussah, ihrer Schwiegertochter Dione, ihrem Sohn Plinius, sowie drei Mädchen herauf, von denen eines hellblonde Locken und graugrrüne Augen hatte, wie Dione Porter. Die anderen beiden wirkten irgendwie pummelig, hatten mittelblondes glattes Haar und graublaue Augen.
"Fröhliche Weihnachten, Mr. Brickston", wünschte Mr. Porter beschwingt. Joe ging an ihm vorbei, als sei er nur ein Garderobenständer ohne Mantel. Jane Porter sagte laut genug, daß er es hören mußte:
"Wenn jemand Ihnen zu diesem Datum fröhliche Weihnachten wünscht, sollten Sie das auch tun, Sir. Aber es heißt ja nicht umsonst, sich auf französisch zu verabschieden."
Joe ließ diese Maßregelung kalt. Er kehrte ohne weiteres Wort in seine Wohnung zurück, gefolgt von der tadelnd dreinschauenden Catherine. Jetzt erst erkannte Julius, daß die Porters noch kleine Pakete dabei hatten. Mr. Porter trug sogar einen bunten Blumenstrauß in der rechten Hand.
"Ich wünsche Ihnen und dir recht fröhliche Weihnachten", begrüßte Plinius Porter Martha und ihren Sohn. Die Wohnungsinhaberin bedankte sich artig für die Blumen und zeigte den Gästen, wo sie ihre Übermäntel, ganz gewöhnliche Übermäntel aufhängen konnten. Darunter trugen die Frauen und Mädchen Festtagskleider, die auch Muggelmode hätten sein können, und Mr. Porter trug einen hellblauen Anzug mit Krawatte. Kevin Malone hatte sich wohl nur mit einer guten Tweethose und einem Flanellhemd begnügt, um muggelmäßig festlich gekleidet zu sein.
"Nett habt ihr es hier, Ma'am", sagte Jane Porter zu Mrs. Andrews. Die Hexe, die Julius bis dahin noch nicht persönlich getroffen hatte, begrüßte den neuen Beauxbatons-Schüler in akzentfreiem französisch.
"Recht schönen guten Tag, Monsieur Andrews. Ich freue mich, Sie nun persönlich kennenzulernen. Gehört haben Sie sicherlich schon von mir, wenn ich Mummy richtig einschätze."
"Hmm, könnte es sein? Dann heißen Sie wohl Geraldine mit Vornamen", sagte Julius leicht verschmitzt grinsend.
"Dies trifft zu, Julius. Geraldine Redlief geborene Porter."
"Eh, Julius, ich denke, du wärst schon verbandelt", kam es auf Englisch mit irischem Akzent von der Gruppe der Jugendlichen her. Julius räusperte sich und wandte sich dann an Kevin.
"Du irischer Dudelsack, wie bist du denn hergekommen?" Fragte er erfreut.
"Gloria hat mich vor einer Woche angequatscht, daß sie mit ihrer Familie zu dir wollte. Sie hat mich gefragt, ob ich mich irgendwie freimachen könnte, um auf einen Floh-Sprung zu dir zu kommen", erwiderte Julius' ehemaliger Schlafsaalgenosse aus Hogwarts und grinste verhalten, als müsse er genau überlegen, wie er was sagen oder tun solle. "Meine Eltern haben's mir erlaubt, für einen Tag mitzukommen. Morgen wollen sie mich wieder zurückhaben, weil Tante Siobhan aus New Grange zu Besuch kommt und wir natürlich voll die Familienparty steigen lassen."
"Toll, daß du da bist!" Sagte Julius ehrlich begeistert und schüttelte dem rotblonden Jungen die Hand. Leise sagte Kevin:
"Der Muggel, der mit dieser Catherine Brickston verheiratet ist, ist aber irgendwie schräg drauf, Julius. Habt ihr den nicht um Erlaubnis gebeten, durch den Kamin von Mrs. Brickston zu rauschen?"
"Hmm, da habe ich keine Ahnung von, Kevin", flüsterte Julius. Er ließ Kevins Hand los. Dabei fiel ihm auf, daß die rechte Hand des irischen Schulfreundes aus Hogwarts verletzt war. Kevin bemerkte das, lief rot an und verbarg seine Hand schnell in seiner Hosentasche.
"Was hast du denn da gemacht, Kevin?" Fragte der ehemalige Hogwarts-Schüler besorgt. Kevin errötete noch mehr und presste hervor:
"Das ist 'ne lange Geschichte, Julius. Möchte ich nicht gern drüber reden. Hat was mit unserer tollen neuen Lehrerin zu tun. Mehr sage ich dazu mal nicht, solange hier alle herumstehen und uns ansehen."
"Geht klar, Kevin", erwiderte Julius betroffen dreinschauend. Was mochte dem sonst so lebenslustigen, ja übermutigen Jungen in Hogwarts passiert sein? Er merkte jedoch, daß jede Frage in diese Richtung Kevin in die Enge treiben konnte und wollte ihn nicht unter Druck setzen. Er war froh, daß er da war, und das wollte er ihm nicht vermiesen.
Dann begrüßte er die übrigen Gäste, während sich seine Mutter mit den erwachsenen Porters unterhielt.
"Hi, ich bin Mel Redlief, die Cousine deiner Kameradin Gloria", grüßte ihn die ältere der beiden Töchter von Mrs. Redlief geborene Porter, die wohl fünfzehn oder sechzehn Jahre alt sein mochte.
"Huch, noch 'ne Melanie? Oder steht "Mel" für Melissa?" Erwiderte Julius.
"Mel-anie, Julius", lachte das Mädchen und warf ihm einen belustigten Blick aus ihren blaugrauen Augen zu. "Ich weiß, der Name ist wohl sehr selten in der Welt, wie?" Fügte sie noch hinzu.
"Die Cousine von meiner Freundin in Beauxbatons heißt auch Melanie. Wußte nicht, daß Gloria auch eine Cousine mit dem Namen hat", erwähnte Julius. Pina, die dabei stand, grinste geheimnisvoll. dann sagte sie:
"Meine auch, Julius. Aber die wirst du wohl nicht kennen. Außerdem ist die schon etwas älter als ich."
"Was du nicht sagst", dachte Julius leise und legte eine Miene der Unbeeindrucktheit auf. Natürlich wußte er schon lange, daß Pina eine Cousine namens Melanie hatte. Er hatte ja erst Letzte Osterferien mit ihr getanzt, beim Fest ihres Onkels, Doktor Ryan Sterling, einem Studienkollegen seines Vaters und Muggelbruder von Hortensia Watermelon, Pinas Mutter. Doch das mußte er Pina nicht auf die Nase binden, da sie selbst ja nie darüber gesprochen hatte, daß sie eine muggelstämmige Mutter hatte.
"Und ich bin Myrna, Mels kleine Schwester", sagte das andere Mädchen, das wohl Geraldine Redliefs Tochter war. Julius nickte ihr zu und unterhielt sich eine Weile mit ihr und Mel über Thorntails, Hogwarts und Beauxbatons. Er erfuhr, daß es wie in Hogwarts und Beauxbatons Schulhäuser in Thorntails gab, die Schüler bestimmter Veranlagungen beherbergten, fünf an der Zahl. Dann wandte er sich an Mrs. Jane Porter, die sich mit seiner Mutter spaßeshalber auf Französisch, Spanisch und Englisch unterhalten hatte.
"Ich denke, deine Momma freut sich, daß du wieder zu Hause bist, auch weit weg von London", sagte sie auf Englisch. "Bläänch hat mir oft geschrieben und mich informiert, daß du dich gut ranhältst, besser als Geri. Ich glaube, die hätte dich glatt adoptiert, wenn deine Mutter sie gelassen hätte." Den letzten Satz flüsterte sie mit einem gehässigen Grinsen im Gesicht. Julius räusperte sich leicht, dann erwiderte er leise sprechend:
"Ich fürchte, da hätte sie dann Krach mit einigen anderen Hexenfamilien bekommen, wie den Dusoleils oder Madame Delamontagne. Aber ich bin froh, daß Catherine, Madame Brickston, die Zaubererweltsachen für mich erledigt und nicht Professeur Faucon."
"Och, da tust du der guten Bläänch aber unrecht, Honey. Sie ist zwar sehr heftig und auch unerbittlich. Aber sie wußte schon immer, wann es richtig war, jemanden zu trietzen und wann nicht. Geri kennt das gut genug. Jetzt, wo sie selbst zwei Töchter in Thorntails hat, schätzt sie meine französische Fachkollegin doch höher ein als vor fünfundzwanzig Jahren, wo sie bei ihr das Austauschjahr abgeleistet hat."
"Kann sein. Vielleicht bin ich auch nur zu feige, um mich mit Ihrer Brieffreundin anzulegen", erwiderte Julius.
"Feige ist, wer Dinge, die er tun muß, nicht erledigt, weil er Angst vor Unannehmlichkeiten hat. Wer dagegen unnötige Konflikte vermeidet, ist besonnen, Honey. Wenn du keinen Grund hast, dich mit dem alten Mädchen zu verkrachen, wäre es doch Blödsinn, es darauf anzulegen. Aber ich freue mich, daß du wieder ein junger Mann bist. Ich freue mich für deine Mutter und dich. Sie hätte sonst einen unverzeihlichen Schaden genommen, wenn das nicht wieder umzukehren gewesen wäre", flüsterte Jane Porter sehr leise, sodaß es im allgemeinen Gemurmel unterging, weil sich Kevin mit den Redlief-Schwestern über den Unterschied zwischen Hogwarts und Thorntails hatte. Dabei konnte Julius trotz der auf Jane Porter konzentrierten Aufmerksamkeit heraushören, daß er mit der jetzigen Lage in Hogwarts nicht klarkam. Mrs. Porter merkte das auch und wandte sich an ihre Enkeltöchter aus der Redlief-Familie.
"In Hogwarts ist derzeit was nicht ganz so, wie es sein sollte, Mädchen. Lasst euch von dem, was der junge Mr. Malone erzählt, nicht zu sehr beirren. Ich denke schon, daß sich das wieder einränkt."
"Wovon träumen sie Nachts, Madame?" Fragte Kevin leicht verbittert zurück und bemühte sich, seine leicht verletzte Hand so unauffällig wie möglich vor den Blicken der anderen zu verbergen.
Martha Andrews bat alle an den weihnachtlich gedeckten Esstisch, wobei sie Julius vor Kopf hinsetzte, flankiert von Mrs. Jane Porter rechts und Kevin Malone links. Gloria saß links von Kevin, Geraldine rechts ihrer Mutter. Dann folgten Glorias Cousinen, die sich gegenübersaßen, dann Pina und Glorias Mutter, sowie Mr. Porter, der rechts von Mrs. Andrews saß, die am Fuß der Tafel ihren Platz eingenommen hatte. Während einer typisch britischen Teestunde unterhielten sich Bewohner und Gäste dieser Wohnung über die Umstellung auf Beauxbatons, wie Martha hier hingezogen war und über Julius' Alltag. Es herrschte eine gute Gesprächsdisziplin, sodaß es egal war, wer wo saß. Jeder hörte zu, was jemand, der oder die gerade was sagen wollte, zu sagen hatte. So verflog die Zeit mit angenehmer Unterhaltung, untermalt von leiser Weihnachtsmusik aus England, die von der auf dezente Lautstärke gestellten Stereoanlage abgespielt wurde.
Nach dem Tee führte Martha Andrews den Erwachsenen die technischen Geräte im Wohnzimmer vor, während Julius seinen ehemaligen Schulkameraden und den Redlief-Geschwistern sein Zimmer zeigte, in dem ja ebenfalls eine Musikanlage und ein Computer standen. Melanie Redlief erwies sich als für eine Hexe überaus kundige Computerbenutzerin. Sie konnte ihrer Cousine, die von Julius ja vor zwei Jahren schon gut unterrichtet worden war, noch ein paar Neuerungen zeigen, während Kevin sich mit den Musik-CDs beschäftigte.
"Soll man kaum glauben, daß in diesen Silberscheiben Musik eingelagert werden kann", sagte er mit großem Erstaunen. Pina meinte dazu:
"Ja, aber wenn man die Musiker direkt hört, ist das immer noch besser, Kevin. Das kommt irgendwie anders rüber."
"Will ich ja nichts gegen sagen, Pina. Doch toll ist das schon, Musik irgendwie einzufrieren und immer wieder neu aufspielen zu lassen. Dann können auch längst tote Leute, die Musik gemacht haben, immer wieder angehört werden, oder Julius?" Wandte Kevin ein. Julius nickte.
"Ich habe mal was von einem Opernsänger namens Caruso gehört. Der ist schon gestorben, wo meine Eltern noch nicht gelebt haben. Oder dieser Elvis Pressley, der fünf Jahre vor meiner Geburt gestorben ist und damals sehr toll bei Jungs und Mädels ankam, weil er den Rock'n Roll richtig rausgelassen hat", bestätigte er.
"Was hast du eigentlich mit deiner rechten Hand angestellt, Kevin?" Fragte Melanie Redlief und zog Kevins Hand, die er so gut es ging vor direkten Blicken verborgen halten wollte, vor ihr Gesicht. Kevin wollte schon mit der linken Hand nach der drei Jahre älteren Hexe schlagen, vermied es aber gerade noch. Mädchen zu hauen war auch für ihn Schwachheit, wußte Julius. Melanie besah sich die Verletzung, errötete, dann ließ sie die Hand wieder los.
"Hat diese Umbridge dich dazu gezwungen, dir das reinzuritzen?" Fragte sie verhalten. Kevin errötete auch, holte tief Luft und nickte schwerfällig, bevor er sagte:
"Diese kröte hat mich dazu getrieben, mit 'ner verhexten Schreibfeder zu schreiben. Blödes Weib, nur weil ich in ihrer Stunde mal rausgelassen habe, daß sie ja keine Ahnung von ihrem Job hat und ... Aber lassen wir's, Miss Melanie!"
"'tschuldigung, ich wollte dir nichts, Kevin. Aber ich habe das mitgekriegt, was da los war. Glo schreibt Oma Jane ja Briefe und hat da mal erwähnt, daß Connie Fudges neue Aushilfe in Hogwarts wohl drastische Dinger drauf hat. Aber das die sowas macht, ist schon heftig."
"Zeig mal her, Kevin, bitte!" Wandte sich Julius vorsichtig an seinen Freund aus Hogwarts-Tagen. Dieser streckte verlegen dreinschauend die rechte Hand vor ...
"Julius! Kommst du mit den anderen bitte! Wir wollen noch eine kleine Bescherung abhalten!" Rief Mrs. Andrews. Julius rief zurück, daß sie alle kommen würden. Kevin zog seine Hand zurück, aufatmend und leicht verlegen dreinschauend. Auch Julius schaute verlegen drein. Denn seine Weihnachtsgeschenke für Kevin, Pina und Gloria waren ja schon vor Tagen abgeschickt worden.
Im Wohnzimmer stapelten sich noch mal einige Pakete. Immer noch sah der ehemalige Hogwarts-Schüler sehr verlegen aus. Mrs. Dione Porter verstand diese geäußerte Verlegenheit offenbar auf Anhieb, winkte Julius kurz zu sich und flüsterte: "Deine Sachen sind alle bei uns gelandet. Wir haben sie in Schwiegermutters Vielraumkoffer mitgebracht. Unsere Sachen sind ja fast alle bei dir angekommen. Aber wir haben da noch einiges mit, da wir ja wußten, was Sache ist."
"O.K., Mrs. Porter", sagte Julius leise und ging dann zu seiner Mutter hinüber, die den Stapel Geschenke auf dem Tisch ausgebreitet hatte. Wieder meinte Julius, Weihnachten so wie früher zu feiern, wo um sechs Uhr die allgemeine Bescherung der Familienangehörigen stattfand. Zumindest war es fast so wie früher. Für jeden war was auf dem Tisch. Keiner war davon ausgeschlossen, konnte Julius sofort feststellen, als er sämtliche Namen der Anwesenden auf den Geschenkpaketen lesen konnte. Für ihn gab es zu dem, was die Porters ihm schon zugeschickt hatten, drei weitere Pakete und ein Päckchen. Er griff erst nach dem Päckchen. Jane Porter, die das wohl erwartet hatte, sagte leise zu ihm:
"Das packen wir gleich aus. Mach erst mal die anderen Geschenke auf, Honey!"
Julius fragte sich zwar, was in dem Päckchen so geheimnisvolles oder wichtiges war, daß er es mit Glorias Oma zusammen aufmachen mußte, aber er folgte dem Ratschlag und öffnete erst das kleinste der größeren Pakete. Zum Vorschein kamen zwei Bücher und ein handgeschriebener Brief seiner Mutter. Diesen las er leise:
Hallo, Julius!
Ich möchte dir gerne auf diesem Weg noch mal fröhliche Weihnachten wünschen und mich bedanken, daß du dich dazu entschlossen hast, mit mir weiterhin zusammenzuleben. Ich weiß, daß du in Hogwarts sehr gute Freundinnen und Freunde gefunden hast und da bestimmt gerne geblieben wärest. Um so mehr freut es mich, daß du in dieser neuen Schule gut hineingefunden und auch noch Freundschaften dort geschlossen hast.
Ich habe von Catherine erfahren, daß du für deine Zauberformeln vieles aus der lateinischen Sprache einbeziehen mußt. Daher habe ich mit ihrer großen Begeisterung beschlossen, dir ein Schulbuch der lateinischen Sprache zu schenken, damit du auch weißt, wieso du gerade diese Wörter benutzt und wie. Dazu habe ich dir noch ein Buch über Shakespeare, unseren größten Dramatiker besorgt, wo fünf seiner berühmten Theaterstücke in voller Länge drinstehen: "Romeo und Julia", "Hamlet, Prinz von Dänemark", "McBeth", wo auch drei Hexenschwestern mitspielen, "Julius Cäsar", ein Stück über deinen altrömischen Namensvetter und "Der Sturm", wo sogar ein Zauberer mitspielt, wenn ich das aus meiner Mädchenschulzeit noch richtig im Gedächtnis habe. Ich hoffe, du kannst mal irgendwann was damit anfangen, auch wenn das bei euch jungen Leuten vielleicht noch nicht so gut ankommt, sich für sowas zu interessieren. Aber da du ja keine "Muggelschule" besuchst und wir in Frankreich leben, wollte ich zumindest etwas von unserer guten Kultur an dich weitergeben. Wie geschrieben hoffe ich, daß dir die Stücke irgendwann mal vielleicht was bringen können.
Ansonsten freue ich mich, daß wir beide nach bald zwei Jahren wieder öfter zusammen sind und danke dir dafür, daß du deinen Weg weiterhin mit mir zusammen fortsetzt.
deine dich liebende Mutter Martha Andrews
Julius nahm die dicken Bücher aus dem Paket und betrachtete sie. Gloria, die gerade ein Kosmetiktäschchen von ihrer Mutter ausgewickelt hatte, betrachtete die beiden großen Bücher und nickte.
"Ich habe mal gehört, daß manche Hexen sehr viel von Zauberern halten, die Gedichte oder Theaterstücke kennen. Shakespeare ist auch bei uns Hexen und Zauberern ein gern gelesener oder gesehener Dramatiker, gerade dann, wenn es um die Frage des Miteinanders zwischen Zauberern und Muggeln, mächtigen und untertänigen Leuten geht."
Aus dem zweiten Paket holte er ein Zaubererbild, das zwei mollige Hexen und einen spindeldürren Zauberer zeigte. Die Hexen trugen schrille, die Farben wechselnde Kleider, während der Zauberer einen Zaubererhut trug, auf dessen Spitze ein bunter Vogel saß, der unvermittelt zu trällern anfing, als das Bild zum Vorschein kam. Dann fing das Trio an, mit einer Klarinette, einer Trompete und einem Saxophon zu musizieren. Zu diesem Bild gab es noch ein Notenbuch, das mit tanzender Schrift verkündete:
"Die Bayoo-Blues-Bläser! Ihre größten Erfolge für jeden Musikfreund!"
"Diese Zauberbilder sind immer noch was unheimliches für mich", bemerkte Martha Andrews, als sie den schnellen New-Orleans-Jazz von den drei gemalten Musikern hörte.
"Danke, Mrs. Redlief!" Sagte Julius, der schnell nachgeschaut hatte, wer ihm dieses Geschenk gemacht hatte. Die Redliefs nickten und bedankten sich ihrerseits bei Martha Andrews für die Kristallvase, die sie wohl irgendwoher besorgt hatte. Kevin, der die Vase ansah, freute sich richtig, denn sie stammte wohl aus Waterfort, der berühmten irischen Kristallkunstwerkstatt.
Das dritte Paket enthielt ein Buch von Mrs. Jane Porter, das "Bilderwelten und ihre Gesetze" hieß und sich mit erweiterter Zaubermalerei befaßte. Die übrigen Geschenke waren ja bereits am Morgen bei den Andrews' angekommen.
Kevin probierte einfach was von der Federleichtzuckerwatte, die Julius ihm zugeschickt hatte. Sofort stieg er wie ein Freiballon zur Decke auf, total verdutzt, dann erfreut dreinschauend.
"Das ist ja megastark!" Rief er von oben herunter, gar nicht erschrocken oder irritiert.
"Da bleibst du aber nun 'ne Stunde hängen, wenn dich keiner runterholt", warf Julius ein. Kevin grinste nur:
"Dann kann ich zumindest alles überblicken. Danke Julius. Bin schon gespannt, wie die blöden Slytherins gucken, wenn ich denen sowas unterjubel. Das Crabbe und Goyle von denen ja als Treiber angeheuert wurden, weißt du ja."
"papa Malfoy hat's wahrscheinlich wieder einmal gedreht", sagte Julius dazu nur.
"Was machen eigentlich die anderen Sachen, die da im Paket waren?" Fragte der irische Hogwarts-Schüler, immer noch nicht müde vom Schweben.
"Die Phiolen lösen heftige Wasserfontänen aus, wenn du sie irgendwo hinwirfst. Dabei solltest du dich aber bestimmt nicht sehen lassen. Ja, und die Zuckerwürfel machen, wie sie heißen, Kevin. Das müssen wir aber jetzt nicht austesten", erwiderte Julius.
"Jau, danke. Da haben wir uns ja gegenseitig was lustiges zugeschustert."
Mrs. Jane Porter kam zu Julius herüber, nahm ihn mit dem kleinen Päckchen in der Hand bei Seite und ließ es ihn öffnen. Zum Vorschein kamen zwei kleine quadratische Spiegel mit einer versilberten Rückseite, in die merkwürdige Symbole eingraviert waren. Sie sagte leise zu Julius:
"Das sind Zweiwegspiegel. Einer, der wo das Sonnensymbol auf der Rückseite ist, kann dich mit einem Spiegel verbinden, den Glo hat. Der mit dem Mondsymbol gehört zu einem Paar, von dem ich den zweiten Spiegel habe. Wenn du den Einen Spiegel nimmst und "Gloria" hineinflüsterst, merkt Gloria das, sofern sie den Spiegel zur Hand hat. Dasselbe gilt für den anderen Spiegel, wenn du "Jane" oder "Jane Porter" hineinsprichst. Wenn eine von uns mit dir sprechen will, spürst du das wie diesen Pflegehelferschlüssel an deinem Arm vibrieren, wenn du ihn so bei dir trägst, daß du was spürst. Ist so wie diese Muggeltelefone, diese Handies."
"Ja, aber geht denn das in Hogwarts?" Fragte Julius.
"Hogwarts ist gegen einiges abgesichert. Aber diese Magie ist wegen der gemeinsamen Verbindung der Spiegel auch in Hogwarts wirksam. Bläänch muß davon aber nichts wissen."
"Höhö, guter Witz, wenn Professeur Fixus in Beauxbatons unterrichtet und Ihre Brieffreundin ..."
"Ach, das vergaß ich", sagte Jane Porter. Sie holte aus ihrem Kleid einen linsenförmigen Edelstein, einen Topas.
"Was immer dir das alte Mädchen erzählt hat, wo du die Zwillingsschwester von Mademoiselle Belle warst, ist nicht alles, was sie weiß. Denn Divitiae Mentis, der Schatz des Geistes, kann auch partiell für bestimmte Dinge auf Edelsteine übertragen werden. Ich pflege meine Hausaufgaben zu machen, Honey. Nicht selten kann ein Leben davon abhängen", flüsterte sie und drückte Julius den besonders geformten Stein für eine volle Sekunde an den Kopf. Julius sah zu Kevin hoch, der sich mit den Mädchen kabbelte, weil die meinten, er müsse doch mal wieder runterkommen. Mrs. Dione Porter sprach mit Martha Andrews, während Mr. Porter mit seiner Schwester, Pina und Gloria über Beauxbatons und die dortigen Säle sprach. Dann fühlte der ehemalige Hogwarts-Schüler, wie eine merkwürdige Kraft, wie leichter elektrischer Strom, durch seine Schläfen pulsierte und hörte eine Stimme:
"Berge wohl, Zweiwegespiegel und deren Endpunkte! Berge wohl Zweiwegespiegel und deren Endpunkte!" Dann ließen das merkwürdige Gefühl und die innere Stimme nach. Julius fühlte sich für einen Moment schwindelig, als stehe er auf den Planken eines Schiffs im Sturmwind. Doch nach einer Viertelminute war auch dieses Gefühl verflogen.
"In Ordnung. Dein Geist hat den Verbergezauber gut und rasch absorbiert", sagte Jane Porter lächelnd. Julius fragte, wo sie den merkwürdigen Stein habe. Sie sagte:
"Der Stein war konzentrierte Magie. In dem Moment, wo sie mit deinem Kopf und damit mit deinem Gehirn in Verbindung trat, wurde er aufgelöst. Dieser Zauber ist den schamanistischen Steinen nachempfunden, die mit fremden Gedanken versehen oder mit ganzen Seelen aufgefüllt werden können. Dieser Zauber verbirgt alles, was den Zweiwegspiegel angeht, vor jeder Form legilimentischer Erforschung. Ein Legilimentor wird dort, wo dieses Wissen in deinem Gedächtnis enthalten ist, belanglose Gedankenverknüpfungen vorfinden. Nur du kannst dieses Wissen nutzen. Der Zauber hält solange vor, bis du von dir aus jemandem aus freien Stücken verrätst, was es mit den Spiegeln auf sich hat."
"Und das Veritaserum?" Fragte Julius.
"Also, wenn Bläänch so weit geht, dich damit auszufragen, wirst du in dem Moment eine Gedächtnisblockade erfahren. Ich bin schon länger in dem Geschäft. Sie zwar auch. Aber sie ist in der Unterrichtsmühle und kann sich nicht auf die Forschungsarbeit konzentrieren. Aber auch das sage ihr besser nicht."
"Und alles, was wir nun besprechen ist in diesem Verbergezauber konzentriert?" Fragte Julius.
"Alles, was mit den Spiegeln zu tun hat, also auch alles, was damit gedanklich und erinnerungsmäßig verbunden ist, wird durch diesen Zauber verborgen."
"Und wozu das?" Fragte Julius endlich nach dem Grund für den Zauber.
"Weil ich möchte, daß du in Hogwarts weitere Kontakte hältst. Die Sache mit Aurora Dawns Bild ist zwar gut, sollte jedoch nicht die einzige Verbindung sein. Die Spiegel sind von der räumlichen Entfernung unabhängig."
Dingdong! Ging die Türglocke. Julius steckte die beiden Spiegel schnell in seinen Brustbeutel, nachdem Mrs. Jane Porter ihm bestätigt hatte, daß deren Magie dadurch nicht verginge. Dann fragte er seine Mutter, ob sie wen aus der nichtmagischen Welt erwartete, bekam ein Kopfschütteln zur Antwort und ging an die Tür.
"Guten Abend, Julius! Fröhliche Weihnachten!" Begrüßte eine in himmelblaues Satin gekleidete Professeur Faucon den neuen Schützling ihrer Tochter. Julius errötete. Mit ihr hatte er überhaupt nicht gerechnet. Sie trug unter jedem Arm ein Paket. Eines sah aus, wie eine eingepackte Tischdecke oder Bettwäsche, während das andere quaderförmig war.
"O, Professeur Faucon! Mit Ihnen ..."
"Hast du nicht gerechnet", vollendete die Beauxbatons-Lehrerin den Satz. Julius errötete. Er hätte doch damit rechnen müssen, daß die Mutter Catherines über Weihnachten aus der Schule zu besuch kam.
"Möchtest du mich jetzt hier zwischen Tür und Angeln stehenlassen, Julius?" Fragte Professeur Blanche Faucon leicht ungeduldig klingend. Julius schüttelte sofort den Kopf und trat zurück, damit die Besucherin eintreten konnte. Er wartete, bis sie in der Diele stand und schloß die Wohnungstür. Dann ging er voran, um sie zum Wohnzimmer zu geleiten. Als er eintrat verkündete er:
"Darf ich denen, die sie noch nicht kennen Professeur Blanche Faucon von der Beauxbatons-Akademie für französischsprachige Hexen und Zauberer vorstellen?!"
"Oh, Bläänch! Schön daß du auch kommen konntest", begrüßte Mrs. Jane Porter die Besucherin auf Französisch. Diese rümpfte zwar etwas die Nase, nickte jedoch zustimmend. Dann stellte Julius alle Gäste vor, von denen die meisten sie ja schon kannten, inklusive Geraldine Redlief.
"Und das sind also Ihre Töchter, Madame, ähm, wie heißen Sie nun?"
"Redlief, Professeur Faucon", erwiderte Glorias Tante Väterlicherseits, wobei sie einen sehr gezwungen wirkenden Gesichtsausdruck zur Schau trug und ihre wohl leicht eingerosteten Französischkenntnisse heftig strapazieren mußte, vermeinte Julius. Er hatte ja davon gehört, daß Geraldine Redlief mit Professeur Faucon wohl nicht so grün gewesen war.
"Hups, was macht die denn hier?" Fragte Kevin von oben. Professeur Faucon sah hoch und verzog ihr Gesicht.
"Fragen Sie diesen jungen Mann, ob es in seiner Heimat Sitte ist, ankommende Gäste von der Decke her anzusprechen und überhaupt, ob er nicht gelernt hat, etwas zurückhaltender mit magischen Unverschämtheiten zu hantieren, Madame Redlief?"
"Öhm, wieso ...? Natürlich", erwiderte Glorias Tante. Julius meinte, daß sie innerhalb einer Sekunde zum kleinen Mädchen vor einer gestrengen Großmutter zurückverwandelt worden war. Offenbar wollte Mrs. Redlief sagen, daß die Lehrerin diese Frage doch selber hätte stellen können. Ihre Mutter nickte ihr zu und deutete dann nach oben. So fragte Glorias Tante Kevin. Dieser fragte lässig zurück:
"Wieso möchte die das wissen? Ist die etwa jetzt als Lehrerin hier?"
"Ich bin als Privatperson hier, als Gast der Familie Andrews", entgegnete Professeur Faucon, nachdem ihr Geraldine Redlief überflüssigerweise übersetzt hatte, was Kevin sagte. Dann zog sie ihren Zauberstab, deutete auf den immer noch schwebenden Hogwarts-Schüler und rief: "Terra firma!"
Kevin sank wie eine Feder zu Boden und landete weich und sicher neben dem Esstisch. Er sah die Beauxbatons-Lehrerin verdutzt an und fing sich einen sehr strengen Blick ein. Wie aus heiterem Himmel packte ihn ein heftiges Aufstoßen, das erste in einer Reihe, die den irischen Hogwarts-Schüler eine volle Minute nicht losließ. Überaus strafend betrachtete Professeur Faucon Julius' früheren Schlafsaalgenossen. Unvermittelt wich dieser zurück, wobei er fast in den großen Farbfernseher stolperte. Julius warnte ihn noch rechtzeitig.
"Ist ja nett, daß du kommen konntest, Bläänch", sprang Jane Porter Kevin bei, um ihm aus der unangenehmen Situation herauszuhelfen. Doch Professeur Faucon sah Kevin an, ging auf ihn zu. Er wich zur Seite aus und schlüpfte schnell zwischen Gloria und Pina auf einen Stuhl am Esstisch. Die Redlief-Schwestern kicherten amüsiert, während ihre Mutter seufzte und die restlichen Gäste schwiegen.
Eine halbe Minute fixierte die Lehrerin den irischen Hogwarts-Schüler und wandte sich dann Mrs. Andrews zu. Sie begrüßte sie auf Französisch, was Mrs. Andrews gut geübt erwiderte. Einige höfliche Begrüßungsworte wurden ausgetauscht, dann ging die Lehrerin reihum und ließ sich begrüßen. Wer nicht französisch konnte, nickte ihr nur zu. Dann langte sie wieder bei Julius an.
"Ich habe mich für drei Stunden freistellen lassen, um meine Familie und ihre Nachbarn zu besuchen. Mein werter Schwiegersohn verriet mir, daß ihr im Moment Gäste zu Besuch habt. Ich freue mich, daß ihr hier so gut eingerichtet seid."
"Ich ging davon aus, daß Sie in Beauxbatons am Weihnachtsfest teilnehmen würden und ..."
"Werde ich auch. Allerdings erst um neun Uhr abends, wenn der Weihnachtszaubertanz beginnt. Insofern komme ich dort nicht zu spät an."
"Aha", sagte Julius nur. Dann fragte er, ob Catherine und ihre Familie auch noch hochkommen würden. Sie bestätigte das.
Als die Lehrerin sah, daß gerade Bescherung war, legte sie die beiden Pakete noch auf den Tisch. Das große, wie ein großes Wäschestück aussehende Paket, war in der Tat für Julius' Mutter. Das quaderförmige war für den neuen Beauxbatons-Schüler. Mit Andacht öffneten Martha und Julius die Pakete. Martha fand eine sehr große Leinentischdecke mit brüsseler Spitze vor, die gut über den Esszimmertisch gelegt werden konnte. Sie strahlte über das ganze Gesicht, als sie sich bei Professeur Faucon bedankte. Julius wußte nicht, was in dem quaderförmigen Paket drinsteckte. Er wickelte das blaue Seidenpapier ab und fand eine weitere Farbpallette und einen Satz Pinsel für Zauberbilder vor. Darunter waren Farben wie Mondlichtsilbern, Weißgold und Lavarot.
"O das ist aber interessant", sagte Pina, als sie die Farbpalette ansah.
"Sage der Mademoiselle Watermelon bitte, daß du dir das verdient hast, weil ich weiß, daß es gut angelegtes Gold ist", sagte Professeur Faucon auf Französisch zu Julius, der es Pina übersetzte.
Die Lehrerin besah sich die Bücher, die Julius vor sich auf den Tisch gelegt hatte und nickte, als wenn sie ihm erlauben müßte, sie zu behalten.
Zum Abendessen kamen dann noch die Brickstons herauf. Professeur Faucon saß nun rechts neben Julius, flankiert von ihrer amerikanischen Fachkollegin Jane Porter. Geraldine Redlief hatte sich ihrem Bruder gegenüber hingesetzt, der von Joe Brickston zur linken und Mrs. Dione Porter zur rechten flankiert wurde. Die Redlief-Schwestern saßen einander wieder gegenüber, wobei rechts von Melanie Catherine und rechts von Myrna Gloria saß. Links von Julius saßen Kevin und Pina. Man aß das viergängige Weihnachtsmenü, das aus einer champignoncremesuppe, Rinderbraten in Rotweinsoße mit Kartoffeln und Salat, einer Käseplatte mit verschiedenen Sorten und einem von Mrs. Andrews langwierig vorbereiteten Weihnachtspudding bestand. Während des Essen fiel Julius auf, daß Professeur Faucon immer wieder auf Kevins rechte Hand blickte, kurz aber aufmerksam. Kevin schien das ebenfalls zu bemerken, denn er bemühte sich, nicht so sehr mit dieser Hand zu arbeiten, um sie nicht den Blicken der Beauxbatons-Lehrerin auszusetzen. Diese führte mit ihrer Sitznachbarin zur Rechten ein längeres Gespräch über die Zaubererweltpolitik. Geraldine übte ihr Französisch mit Catherine und Martha Andrews, obwohl ja alle drei Englisch hätten sprechen können. Joe hockte neben Mr. Porter, vielleicht darum bangend, von diesem angesprochen zu werden. Babette, die neben ihrer Mutter saß, sah immer wieder zu ihrer Oma Blanche herüber, die immer mal wieder zu ihr zurückblickte. Julius unterhielt sich mit Kevin und Pina über Hogwarts, was da in den letzten Monaten gelaufen war. Kevin erzählte ihm noch mal, wobei er sehr zerknirscht dreinschaute, daß er nicht im Ravenclaw-Quidditchaufgebot mitspielen durfte, weil die "nette" Professor Umbridge ihn wie einige andere auch, als unberechenbaren Charakter eingestuft hatte. Pina erzählte, daß Olivia, ihre Schwester, sich nur schwer an Hogwarts gewöhnt habe. Mit den Lehrern käme sie bis auf zwei gewisse Ausnahmen sehr gut klar, habe auch schon viele Punkte für Ravenclaw geholt, würde aber vor den Slytherins Angst haben. Julius konnte sich denken, wieso. Er fragte noch, wie es Lea Drake ginge, die ja mit ihren Slytherin-Klassenkameraden zusammen mit den Ravenclaws Kräuterkunde hatte.
"Ach, die tut so, als könne ihr keiner was. Aber Gloria und ich meinen, die hat sich eine harte Schale zugelegt, um mit dem Blödsinn der anderen Slytherins klarzukommen. Gloria sagte sogar, die würde selbst immer hinterhältiger. Jedenfalls ist es so, daß sie wohl einigen Respekt von den jüngeren Slytherins bekommt und dieser Draco Malfoy, der übrigens mit seiner Freundin Parkinson ein neues Vertrauensschülerpaar bildet, lässt die auch in Ruhe. Komisch."
"Hmm, die wird wohl bessere Beziehungen haben als Mr. Mein-Daddy-ist-der-Größte oder weiß was von dem, was den Drecksack etwas vorsichtiger mit ihr umspringen läßt", vermutete Julius.
"Die Ashton hat mal bei Sprout getönt, ob Lea nicht besser zu ihrer Blutschändlichen Mutter zurückgehen sollte. Was könnte das heißen?"
"Das seine Mutter mit einem Muggel was angefangen hat, wo die Slytherins doch alle einen reinblütigen Zaubererstammbaum bis zur Steinzeit haben wollen", sagte Julius trocken. Jane Porter, die das Gespräch halbwegs mitgehört hatte und ja auch offiziell der englischen Sprache mächtig war, sagte was zu Professeur Faucon, die nickte. Dann sagte Glorias Großmutter:
"Kinder, dieses Mädchen, Lea Drake heißt sie ja wohl, hat wirklich gute Beziehungen, die jemand, der klug ist, nicht verärgern darf. Es gibt Leute, die schon länger im Geschäft als die Burschen des Unnennbaren sind und sich überall gut eingearbeitet haben, ganz unten und ganz oben. Dieser Malfoy, über den ich auch etwas mehr weiß als dem lieb sein dürfte, wird wohl gesagt bekommen haben, sich nicht all zu dumm anzustellen, damit alles, was an dem dranhängt, nicht mit Hui in die Luft fliegt. Das wollte ich nur dazu sagen, damit ihr in Hogwarts nicht irgendwann Probleme bekommt, weil ihr euch mit den falschen Leuten angelegt habt."
Alle schwiegen betreten für eine Minute. Dann wandte sich Catherines Mutter an Julius und trug ihm auf, Kevin zu fragen, was er mit seiner Hand angestellt habe. Julius warf flüsternd ein, sie könne ihn doch selber fragen. Doch die Lehrerin, die heute als Privatperson zu Besuch war, sah ihn sehr warnend an. So übersetzte er ihre Frage. Kevin lief zunächst knallrot an, verzog dann das Gesicht zu einer mißmutigen Grimasse und fragte gehässig und mit einem irritierten Blick auf die Lehrerin für Verwandlung und Abwehr dunkler Kräfte:
"Wieso will die das wissen? Die hat schon die ganze Zeit auf meine Hand gestarrt, als hätte ich mir wie Harry Potter 'ne Fluchnarbe eingehandelt. Ich denke schon, daß die weiß, woher das kommt, oder habt ihr das in Bobadong nicht?"
"Sag dem Jungen, ich will ihm nichts böses. Aber Respekt hat er gefälligst vor mir zu haben. Außerdem heißt die Schule Beaux-ba-tons. Auch das sollte er wissen, weil immerhin genug Schülerinnen und Schüler von dort im letzten Schuljahr bei euch waren. Wie kommt er darauf, wir müßten das kennen?"
"Weil ihr doch da mit Stock und Führstrick gehalten werdet", erwiderte Kevin barsch, als Julius ihm das übersetzte. Dieser zögerte zwar, übersetzte dann aber sinngemäß, weil er ja wußte, daß die Lehrerin das eh verstanden hatte.
"Hast du ihm das so geschrieben, Julius?" Fragte sie nur und bekam ein heftiges Kopfschütteln von Julius zur Antwort. Dann gab sie ihm auf, folgendes zu übersetzen:
"Wir in Beauxbatons halten zwar strenge Verhaltensregeln ein und ahnden Verstöße dagegen, doch was dir passiert ist, Kevin, ist bei uns nicht gebräuchlich. Ich gehe davon aus, daß du mit der dunklen Feder des bösen Blutes Zeilen zur Strafarbeit aufschreiben mußtest." Julius hielt inne, als er das hörte. Dann übersetzte er es schnell, bevor er Professeur Faucon fragen wollte, was sie damit meinte. Kevin grinste bösartig und meinte, daß sie das dann wohl auch kennen würden, wenn Madame Faucon das so genau erraten hätte. Diese zog Kevins Hand ohne Vorankündigung zu sich heran, betrachtete die Verletzung, die Julius jetzt genauer begutachten konnte. Es handelte sich um in die Haut eingeritzte und schwer verheilende Buchstaben. Er las:
"Ich darf nicht meine Lehrer für Unfähig halten. Ich bin selbst nur ein kleiner Junge."
"Quod erat expectandum", sagte Professeur Faucon dazu nur. Julius, der diesen Spruch von ihr einmal gehört hatte, als er einen "netten" Brief von Dolores Umbridge bekommen hatte, fragte, was damit gemeint war.
"Das heißt in der Sprache des römischen Imperiums: "Was zu erwarten war", Julius. Es ist also jenes Artefakt, das bis 1945 auch in Beauxbatons bei besonders schweren Fällen von Aufsässigkeit im Unterricht zur Anwendung kam, bis herauskam, daß damit nicht nur körperliche, sondern auch seelische Verletzungen zugefügt werden, wenn es zu häufig zur Anwendung kommt. Es ist eine Rabenfeder, die mit einem Tropfen aus dem Blut einer jungfräulichen Einhornstute getränkt wurde und mit einem Zauberspruch dazu befähigt wird, alles, was mit ihr auf Pergament gebracht wird, auch in die sie führende Hand einzugravieren. Derartig abgestempelte Missetäter können tagelang von ihren Mitschülern erkannt werden. Das ist eine Unverschämtheit erster Ordnung, daß eine Lehrerin sich gegen die Konvention von Toledo, die den Einsatz dieser Feder als Strafmittel an Zaubererschulen strickt untersagt, derartig offen vergeht. Sie muß entweder unter starken Minderwertigkeitskomplexen oder dem Gegenteil, dem Größenwahn, leiden, daß sie meint, dieses Mittel einsetzen zu dürfen. Hast du nicht von Madame Matine eine Hautheilungssalbe erhalten, um Verletzungen zu beheben?"
"Ja, habe ich", erwiderte Julius und verstand. Er suchte mit seinem Blick seine Mutter, fragte sie, ob er mal eben aufstehen könne und verließ, als sie ihm einwilligend zunickte, den Weihnachtsfesttisch und holte aus seinem Zimmer die kleine silberne Cremedose, in der eine besondere Salbe gegen Hautverletzungen aufbewahrt wurde. Er hörte dabei, wie Jane Porter Kevin erklärte, was Professeur Faucon gesagt hatte, allerdings nicht, daß dieses Mittel längst verboten war. Offenbar wollte die Lehrerin aus Beauxbatons nicht haben, daß Kevin sich heftig mit Professor Umbridge anlegte. Julius verstand. Wenn Kevin mit Wissen über diese Feder Streit mit Professor Umbridge suchte, würde sie ihn noch heftiger drangsalieren. Offenbar hatte Madame Maxime ihrer Stellvertreterin erzählt, mit wem Julius guten Kontakt hatte und wie sie Kevin kennengelernt hatte.
"Das macht das hoffentlich weg, Kevin", sagte der Beauxbatons-Schüler zu seinem ehemaligen Schulkameraden und rieb etwas von der blaßrosa Salbe, die leicht nach Margarine mit Kamillentee duftete, auf die verletzte Stelle auf seiner Hand. Kevin sah ihn sehr unbehagt an. Dann sagte er:
"O das Zeug wirkt ja wirklich." Tatsächlich heilten die eingeritzten Buchstaben innerhalb von nur einer Minute völlig ab, ohne Krusten und Narben. Eine weitere Minute später war die Haut auf Kevins rechtem Handrücken so unversehrt, wie sie nur sein konnte.
"Das habe ich von einer Heilerin aus Millemerveilles bekommen. Wenn du nicht zaubern darfst, ist sie ideal für leichtere Verletzungen gut", sagte Julius und schloß den Deckel der Cremedose wieder.
"Danke, Julius", sagte Kevin. Dann fragte er, ob er davon was kaufen könne. Der Beauxbatons-Schüler erwiderte, daß er sich da erst einmal erkundigen müsse, ob das frei zu kaufen war, versprach jedoch, das in der nächsten Woche zu klären.
Catherine und ihr Mann hatten für die Andrews' auch kleine Weihnachtsgeschenke besorgt. Catherine hatte für Martha einige französische Kriminalromane gekauft, während Joe für sie ein Sprachlernprogramm auf CD-ROM angeschafft hatte. Für Julius gab es von Catherine ein Buch "Die elementaren Zauber der Elemente" in französischer Sprache, auf dessen Klappe ein Zauberer ein blaues Feuer mit seinem Stab dirigierte, eine Hexe eine Wassersäule aus einem Kessel beschwor und ein Zauberer sich ständig verformende Felsbrocken zauberte, sowie das Buch "Sardonia, Aufstieg und Fall der dunklen Matriarchin" von professeur FidéliePallas, Belenus Chevallier, Catherine Brickston und Scipio Lumière, auf dessen Klappe eine sehr siegessicher dreinschauende Hexe in schwarzen Seidengewändern mit einer nachtschwarzen Haube mit unzähligen Rabenfedern auf dem langen dunkelbraunen Haar den Betrachter aus tiefgrünen Augen ansah und von Joe eine CD-ROM mit einem umfangreichen Astronomieprogramm, mit dem er alle bekannten Sterne der Galaxis, sowie die nichtstellaren Objekte aus verschiedenen Blickwinkeln darstellen konnte.
"Damit kannst du wie in einem futuristischen Überlichtraumschiff von Stern zu Stern fliegen und die sich dabei verändernden Sternbilder ansehen. Ich denke, das dürfte dir immer noch gefallen."
"Jau, tut es, Joe", erwiderte Julius ehrlich begeistert. Seine Mutter erlaubte ihm, dieses Programm sofort zu testen. Catherine sagte ihm noch:
"Das Zauberbuch ist in fünf Hauptteile untergliedert, die jeder für sich ein alchemistisches Element behandeln. Die Hauptteile sind wiederum in aufeinander aufbauende Stufen untergliedert. Das Buch über Sardonia habe ich dir deshalb besorgt, damit du mehr von der Geschichte unserer hiesigen Zauberer und Hexen lernst. Sag das aber besser deiner Geschichtslehrerin nicht, daß du es hast, sonst läßt sie dich womöglich jeden Monat daraus einen Vortrag halten!"
Da Catherine englisch mit Julius gesprochen hatte, was Professeur Faucon angeblich nicht verstehen konnte, konnte diese auch nichts dazu sagen. Aber Julius befürchtete, daß die Lehrerin das ihrer Kollegin in Beauxbatons auf irgendeine Weise stecken würde, daß er das Buch hatte, an dem sie ja wohl mitgeschrieben hatte. Er ging mit Gloria, Pina, den Redlief-Schwestern und Kevin in sein Zimmer und probierte das Astronomieprogramm sogleich aus. Tatsächlich konnte er damit simulierte Reisen zu anderen Sternen machen, um beispielsweise die Sonne aus unmittelbarer Nähe der Wega oder des Sirius heraus am neuen Sternenhimmel zu suchen, was nicht so einfach war und oft nur dann ging, wenn der gesuchte Stern Sol, also die irdische Heimatsonne, mit einem eingeblendeten Markierungspunkt aus grünem Licht angezeigt wurde.
"Die Muggel haben echt was drauf, was die Weltraumforschung angeht", staunte Mel Redlief. "Aber ich hörte, in Beauxbatons hättet ihr 'ne tolle Astronomiekuppel, mit der ihr sowas auch machen könnt. Mom sagte mal sowas."
"Yep", erwiderte Julius und erklärte, was diese große Kuppel in Beauxbatons konnte. Sie war ja in dem Sinne kein Geheimnis, wenn man mal davon absah, wie sie funktionierte, was Julius ja nicht wußte und daher auch nicht verraten konnte. Danach ließ er einige alte Computerspiele auf dem Rechner ablaufen, darunter das Spiel für olympische Sommerspiele, wo man mit einem Steurknüppel die Bewegungen seines kleinen Sportlers auf dem Bildschirm dirigierte. Über die Spiele und das Astronomieprogramm verflog die Zeit so rasch, daß die jugendlichen Hexen und Zauberer staunten, als es schon halb neun abends war. Es klopfte an die Tür, und Professeur Faucon trat ein. Sie betrachtete den laufenden Computer, wo Kevin gerade einen Weitspringer in den richtigen Laufrhythmus für einen guten Sprung einsteuerte. Dann wandte sie sich an Julius und sagte in ihrer Muttersprache:
"Ich reise nun zurück nach Beauxbatons. Soll ich jemanden von dir grüßen?"
"Ja bitte! Grüßen Sie mir die drei Mädchen, Claire, Céline und Laurentine!" Bat Julius die Lehrerin. Diese lächelte kurz aber erkennbar. Dann verabschiedete sie sich von ihrem neuen Schüler und verließ das Zimmer. Als sie fort war, unterhielten sie sich über Julius' Freundin und dessen Schulkameraden in Beauxbatons. Kevin räumte ein, daß er mit Gilda im Moment wohl nicht so gut auskam, weil diese ihm immer noch böse war, daß er angeblich mit Mirella was angefangen hatte. Julius sagte ihm:
"Wenn die dir das nicht glaubt, daß du mit dieser Mirella nichts hattest, lohnt sich das auch nicht, das immer wieder zu sagen, Kevin. Vielleicht will Gilda ja nur zusehen, daß du ihr wie ein Hund hinterherläufst. Claire meint auch, ich dürfte keine andere ansehen. Und die anderen Mädels können sie damit sehr gut ärgern."
"O dann ist sie sich ihrer Sache wohl nicht so sicher", warf Pina ein. Gloria fügte dem hinzu:
"Du mußt dich mit ihr darüber unterhalten, wenn es dir zu viel wird, Julius. Aber pass dabei auf, daß du nicht den Eindruck erweckst, es könnte dich dazu treiben, wen anderen zu suchen, wenn dir an Claire was liegt! Falls nicht, dann sag ihr deutlich, daß du mit dieser Art, dich zu vereinnahmen, nichts mehr zu tun haben willst, um jede falsche Hoffnung zu beenden. Versuch dabei aber so ruhig wie möglich zu bleiben, damit sie nicht denkt, du wolltest sie wie ein Stück Abfall wegwerfen! Ich weiß ja nicht, wie sie so drauf ist und was sie sich von dir wünscht. Vielleicht verrät sie dir das auch nicht, um sich nicht zu sehr auszuliefern, solange nicht sicher ist, ob ihr echt zueinander passt. Wenn ich das bei deiner Geburtstagsfeier richtig mitbekommen habe, ist sie ja eher auf dich ausgegangen. Verstehen kann ich sie da schon, ihr Jungs müßt ja oft mit der Nase auf was gestoßen werden, was für Mädchen und Frauen schon im kurzen Hinschauen völlig klar ist, nicht wahr, Pina?"
"Gloria, das ist jetzt blöd von dir", versetzte Pina Watermelon und warf der Schulkameradin einen bitterbösen Blick aus ihren wasserblauen Augen zu. Diese lächelte nur tiefgründig. Kevin sagte zu Julius:
"Wenn es das nicht bringt, lass sie laufen, Julius. Ich denke, wenn Gilda mich nicht in Ruhe läßt, mach ich der Kiste ein Ende und sag ihr, daß sie sich ja wen neuen suchen soll, wenn sie derartig schräg drauf ist."
"Ach, du glaubst, sie würde das dann auch hinnehmen, wenn du sie derartig platt abfertigst?" Fragte Gloria leicht ungehalten. "Die macht sich doch nur Gedanken, weil du ihr was bedeutest. Aber das müßt ihr klären, Kevin. Da habe ich nichts reinzureden."
"Ach, und bei Julius ist das anders? Dem hast du doch gerade angesagt, was er zu tun und zu lassen hat, Gloria. Du kennst dieses Mädel doch nicht gut genug, um zu wissen, was die macht oder will. Nachher rastet die noch aus, weil sie meint, daß Julius sich traut, ihr was direkt ins Gesicht zu sagen", raunzte Kevin Gloria an. Mel Redlief wandte sich an Julius:
"Ich hab' da ja überhaupt keinen Dunst von, was du mit wem hast, Julius. Ich kann nur sagen, daß gerade die jungen Hexen sehr früh klären, auf wen sie sich einlassen. Wenn dieses Mädchen, Claire heißt sie ja wohl, durch Sachen, die sie dir sagt, schenkt oder mit dir anstellt zeigt, daß sie mit dir zusammen sein will, solltest du bloß nicht hingehen und dich darüber lustig machen oder sie wie Dreck behandeln. Insofern gebe ich Glo recht. Und Sie, Mr. Malone, brauchen sich nicht so aufzuregen. Glo sieht Julius nicht mehr so häufig wie dich oder diese Gilda. Außerdem kenne ich diese Mirella. Die ist sehr auf Konkurrenzkampf aus. Wer nicht von einer anderen umgarnt wird, ist auch nicht wert, von ihr nur angeguckt zu werden. So viel dazu."
"Da gibt's in Beauxbatons auch genug Ladies, die so drauf sind, Mel", sagte Julius. Er dachte dabei an Millie Latierre und Caro Renard aus dem roten Saal.
So besprachen die Junghexen und -zauberer die geheimnisvollen Eigenschaften von Jungen und Mädchen in der Zaubererwelt, bis Glorias Oma an die Tür klopfte.
"Leute, wir wollen los. Packt bitte eure Sachen zusammen!" Sagte sie. Dann wandte sie sich an Julius:
"Mach's gut, Honey! Schön, daß wir bei euch mitfeiern durften. Ich weiß ja nicht, was mit deinem Daddy ist. Aber ich kümmere mich drum, daß er da, wo er nun wohnt, keinen Ärger mit bösen Hexen und Zauberern kriegt. Bye!"
"Der hat nicht einmal angerufen", seufzte Julius nur und sah betrübt auf die ältere Hexe aus New Orleans. Dann verabschiedete er sich richtig von ihr, folgte ihr und den Freundinnen und Freunden aus Hogwarts zusammen mit den Redlief-Mädchen ins Wohnzimmer, wo sich dann alle voneinander verabschiedeten. Die Gäste packten ihre Geschenke zusammen und verließen leise die Wohnung im ersten Stock des Hauses in der Rue de Liberation. Catherine und Joe sahen aus dem Fenster, das zur Straße hinabblickte, wie die neun Besucher in eine langestreckte Limousine einstiegen, offenbar von Gringotts, vermutete Julius Andrews. Als die Besucher dann fort waren sagte Joe nur:
"Endlich ist die Schau vorbei. Ich hoffe, daß wird jetzt nicht zur Gewohnheit, daß wir immer mit der Nase dabei sein müssen."
"Beherrsch dich!" Zischte Catherine ihrem Mann zu. Dann verabschiedete sie sich auch von den Andrews' und verließ mit Mann und Kind die Wohnung.
"O, das hat Joe aber ziemlich gut zugesetzt, wie?" Wandte Julius ein. Seine Mutter räusperte sich und sagte nur:
"Das ist das, was ich dir erzählt habe. Er fühlt sich von den Hexen und Zauberern überrannt. Er glaubt, in seinem eigenen Haus nichts mehr zu sagen zu haben. Das kann einem Mann schon auf die Nerven gehen."
"Mag sein, Mum. Ich hoffe auch, ihm hat das nicht zu heftig zugesetzt. Wenn ihm dadurch Weihnachten verdorben wurde, tut's mir leid."
"Wir müssen das ja nicht jedes Jahr wiederholen, Julius. Ich denke auch, die Porters wollten einfach nur sehen, wie wir nun untergekommen sind. Mir wäre es im Grunde auch lieber gewesen, Gloria wäre mit ihren Eltern alleine hier zu Besuch gewesen. Diese ganze Vorbereiterei ist für eine allein, die nicht zaubern kann doch etwas heftig."
"Stimmt. Wenn du für zwölf Mann was auf den Tisch stellen mußt, ist das schon viel. Ich darf ja leider nichts machen, um das mal eben ganz schnell aufzuräumen. Dann müssen wir das eben so erledigen", sagte Julius und begann, seiner Mutter beim Abräumen zu helfen.
__________
Der grasgrüne Peugeot holte Martha und Julius Andrews am Morgen des siebenundzwanzigsten Dezembers um neun Uhr ab. Die Andrews' hatten Julius' Practicus-Reisetasche mit notwendigen Dingen vollgepackt. Julius hatte alles, was in der Tasche war, gut in seinem Kleiderschrank verstaut. Bevor es nach Beauxbatons zurückgehen sollte, würde er alles wieder dort hineinpacken. Was er an Zaubersachen mitgenommen hatte, war der Practicus-Brustbeutel, in dem nun seine bis jetzt schon angewachsene Bibliothek aller Bücher im Centinimus-Bücherschrank, die Flasche mit dem Breitbandgegengift von Aurora Dawn, sein neuer Gringotts-Verliesschlüssel und die Unterlagen über sein Patent an der Laterna Magica, sowie beide Zweiwegspiegel geborgen waren. Die Spiegel hatte er noch am Vortag ausprobiert, um kurz mit Gloria und ihrer Großmutter zu sprechen. Es war schon interessant, wie Glorias Gesicht wie auf einem Bildschirm im Spiegelglas auftauchte und bei Beendigung des Gespräches wieder verschwand. Jane Porter war mit ihrer Tochter und ihren Enkelinnen von Paris aus direkt nach New Orleans zurückgekehrt, per Reisesphäre von der Rue de Camouflage aus, wie sie sie auch zu seinem Geburtstag benutzt hatte.
Der Wagen brachte die Andrews zunächst gewöhnlich fahrend aus Paris heraus, um dann auf einem ruhigen Teilstück der nach Avignon führenden Autobahn einen magischen Raumsprung zu vollführen, der es um etliche hundert Kilometer näher an das Zaubererdorf herantrug. Nach einer weiteren halben Stunde Fahrt sprang der Wagen erneut mit seinem magischen Transitionsturbo und landete auf einem von hohen Bäumen gesäumten Kiesweg. Dort rollte er noch einige Minuten, bis er schließlich zum Stehen kam. Der Chauffeur, der Martha Andrews und die Grandchapeaus bereits befördert hatte, meldete dienstbeflissen:
"Madame und Monsieur, wir sind am Treffpunkt. Madame Delamontagne wird die Ihnen, Madame, bekannte Reisekutsche entsenden, wenn ich ihr eine Eule mit der Ankunftsnachricht übersandt habe." Er stieg aus, öffnete den Kofferraum, in dem ein Käfig mit einer Waldohreule stand, gab dem Postvogel einen Pergamentzettel mit und ließ ihn auf, sodaß er mit hoher Geschwindigkeit zwischen den hohen Bäumen dahinflog, mit dem Haus der Delamontagnes als Ziel.
Wenige Minuten später kam eine kleinbusgroße Kutsche, gezogen von einer schneeweißen Stute mit großen gefiederten Schwingen, durch die Luft angerauscht und landete keine zwanzig Meter vor der Motorhaube des Peugeots.
"Ich muß wohl wieder dieses merkwürdige Gebräu nehmen", seufzte Julius' Mutter. Dann lächelte sie, als gelte es, ihren Sohn zu beruhigen.
Der Kutsche entstiegen acht Personen, sechs erwachsene und zwei junge Mädchen. Julius staunte nur noch. Da standen nun Madame Matine, die Heilerin und Hebamme, Madame Delamontagne, Madame Lumière, Madame Dusoleil, Aurora Dawn und Monsieur Dusoleil, sowie die Junghexen Barbara Lumière und Jeanne Dusoleil. Alle trugen helle Umhänge, wobei die Frauen und Mädchen welche trugen, die zu ihren Augen passten, Barbara einen himmelblauen und die weiblichen Mitglieder der Dusoleil-Familie sandfarbene. Madame Delamontagne hatte sich einen veilchenblauen Umhang angezogen, während Aurora Dawn in einem grasgrünen Umhang ausgegangen war.
"Willkommen in Millemerveilles!" Begrüßte Madame Delamontagne die Besucher auf Französisch. Offenbar wußte sie gut genug, daß Mrs. Andrews ihrer Sprache mächtig genug war, um sich zufriedenstellend zu verständigen. Die Andrews erwiederten den Gruß, und Julius stellte seiner Mutter Madame Matine vor. Die Heilerin begrüßte Martha Andrews mit großer Freude und sprach einige Worte Englisch mit ihr. Eleonore Delamontagne wies sie wie beiläufig darauf hin, daß Julius' Mutter mittlerweile so gut die französische Sprache sprechen konnte, daß es kein Problem sein würde, sich in der Sprache der großen Nation zu unterhalten. Martha Andrews sah die stattliche Dorfrätin für Gesellschaftsangelegenheiten irritiert an. Diese nickte jedoch zuversichtlich und bekräftigte, daß es sicher keine Verständigungsprobleme geben würde.
"Und ihr seid extra mitgekommen, um uns abzuholen, Barbara und Jeanne?" Fragte Julius die beiden älteren Mitbewohnerinnen seines Saales in Beauxbatons. Jeanne grinste nur. Barbara sagte:
"Es bot sich an, nachdem Maman und ich die Feierlichkeiten für Weihnachten gestern so gut abgeschlossen haben und im Moment nichts für den Jahreswechsel vorzubereiten ist. Unsere Saalvorsteherin war auch bei euch, habe ich mitbekommen?"
"Öhm, ja, war sie", sagte Julius verlegen dreinschauend zu Barbara. Diese nickte nur.
"Das wollte sie sich wohl nicht entgehen lassen, deine Mutter und deine Schulkameraden von Hogwarts noch mal zu sehen. Habt ihr euch gut vertragen?" Erkundigte sich die Saalsprecherin der Grünen.
"Bis auf Kevin, der auch da war, kamen wir alle mit ihr klar. Die sind in Hogwarts echt merkwürdig drauf. Aber ich möchte dich nicht mit für dich unwichtigem Zeug langweilen."
"Würde ich nicht so sagen", meinte Barbara nur. Mehr wollte oder durfte sie nicht dazu äußern. Sie, Jeanne und Julius gehörten zu Madame Maximes und Professeur Faucons Sub-Rosa-Gesprächsgruppe, die zusammengetrommelt worden war, um sich mit der Lage in Hogwarts zu befassen. Aber davon durfte außerhalb des Besprechungszimmers, in dem diese Gruppe sich getroffen hatte, keiner was wissen.
"Ich habe den Muggelabwehrbannhemmtrank geschmacklich verfeinern können, Madame Andrews", sagte Madame Matine, als sie alle über die kleine Ausklapptreppe in die fliegende Kutsche stiegen. "Sie werden diesmal keine Probleme damit haben. Immerhin müssen Sie davon ja sechsmal trinken, bis zum Neujahrstag."
"Dann machen wir das am besten gleich", sagte Mrs. Andrews nicht sonderlich begeistert klingend. So geschah es dann, daß sie aus einem Trinkkelch ein merkwürdiges Gebräu trank, das den durch Zauber erzeugten Drang, möglichst von Millemerveilles fort zu bleiben, für einen vollen Tag unterdrückte. Während des für Martha so notwendigen Begrüßungstrunks flog die Kutsche zurück nach Millemerveilles, wobei Martha so innerhalb des kleinen Zaubergefährtes saß, daß sie nicht aus den Fenstern sehen konnte, wie der Weg verlief. Keiner spürte etwas von dem kurzen Flug, weil die Kutsche mit dem Innerttralisatus-Zauber behandelt war, der die Kräfte von Beschleunigungen und Bewegungsänderungen für Insassen und lose Gegenstände unwirksam machte. Während der kurzen Luftreise unterhielten sich die zehn Insassen über die Weihnachtstage, wie Martha mit der neuen Wohnung klarkäme, daß Besucher aus England gekommen seien und über die Gespräche zwischen Schwester Florence, Jeanne, Deborah, Martine und Julius. Als sie dann in der Dorfmitte landeten, wo ein großer Zierteich von großen Zauberwesen aus Bronze umstanden wurde, schlug den Besuchern aus Paris relativ warme und würzige Luft entgegen.
"Wir hatten hier vor drei Tagen einen starken Regenguß", sagte Madame Dusoleil. Aber im Moment ist das Wetter schön. Die Himmelstrinker haben sich gestern geschlossen. Das tun sie ja nur, wenn für mehrere Tage kein neuer Regen zu erwarten ist."
Martha ließ sich erklären, daß Himmelstrinker Zauberblumen waren, die sich dann öffneten, wenn Regen bevorstand und sich so ausrichteten, daß sie so gut wie möglich das herabregnende Wasser auffangen konnten.
"Deinen Schwermacher hast du nicht zufällig mit?" Fragte Barbara Lumière. Julius deutete auf seine Tasche.
"Ich habe ein Schachspiel und den Schwermacher mit. Nur keinen Besen. Den habe ich in seinem Futteral am Koffer gelassen."
"Spielen wollten wir auch nicht, obwohl fast alle da sind. Aber zwischen den Jahren haben viele Besuch oder sind bei Verwandten. Jeanne war ja gestern bei ihren Großeltern mütterlicherseits. Aber trainieren können wir ja dann weiter, damit du nicht die Form verlierst."
"Soll mir recht sein, Barbara. In Paris kann ich nicht so gut laufen, obwohl wir ganz nahe bei einem Sportplatz wohnen. Aber die Luft da ..."
"... Sollte dringend ausgetauscht werden. Ich weiß", sagte Barbara schnell.
"Jeanne hat mir das mit eurer Mitschülerin erzählt", sagte Aurora Dawn zu Julius. "Da kommt ja einiges auf sie und dich zu."
"Wieso auf uns?" Fragte Julius.
"Weil Jeanne und du von meiner Kollegin hier besser ausgebildet worden seid als die übrigen Pflegehelferinnen und Pflegehelfer. Sicher, Schwester Florence wird euch alle auf einen gemeinsamen Stand bringen wollen, aber im wesentlichen wird sie Jeanne und dich heranziehen, wenn es schnell gehen muß. Mach dich also auf was gefaßt."
"Ich denke nicht, daß es nur an Jeanne und mir hängenbleibt, Aurora", sagte Julius zuversichtlich. "Schwester Florence wird das schon zum großen Teil erledigen, und was für uns anfällt, können dann alle mitmachen."
"Das glaube ich aber nicht, Julius. Sicher, Martine, Francine und die übrigen werden einiges dazulernen. Aber Schwester Florence hat ja nicht so häufig mit werdenden Müttern zu tun, daß sie selbst genug Kompetenz hätte."
"Ich aber auch nicht", warf der Beauxbatons-Schüler ein. Jeanne mischte sich ein.
"Geh mal davon aus, daß Schwester Florence hauptsächlich uns ruft, wenn was mit Connie Dornier los ist. Mir hat sie zumindest gesagt, daß wir beide im nächsten Halbjahr häufiger mit Connie zusammenarbeiten werden."
"Tja, aber wie heißt es doch: Bei deiner Geburt sollten nur Frauen helfen", wandte Julius ein. Jeanne nickte. Madame Matine, die nach dem Aussteigen in der Nähe der beiden Pflegehelfer geblieben war sprach zu Julius:
"Ich habe dir ja erklärt, daß es eben Ausnahmen gibt. Das Mutterschutzstatut für Hexen gebietet, einer werdenden Mutter die möglichst beste Hilfe zu gewährleisten, die vor Ort verfügbar ist. Sicher kann die törichte Mademoiselle noch vor der Niederkunft in ein magisches Heilzentrum wie das Delurdes-Krankenhaus gebracht werden. Dabei darf aber nicht der Schulbetrieb gestört werden. Könnte dir also passieren, daß du wie Jeanne Geburtshilfe geben mußt. Aber keine Sorge! Ich habe dich im Grundkurs gerade in diesem, ja meinem Spezialgebiet ausreichend vorgebildet und werde dir wie Jeanne auch in den nächsten Monaten wichtige Hinweise zum korrekten Umgang mit der jungen Hexenmutter in Spe zukommen lassen. Bei der Gelegenheit darf ich dir schöne Grüße von meiner Nichte Nicolette überbringen. Felice kam am sechsten September um drei Uhr früh zur Welt."
"Dann möchte ich der jungen Mutter gerne gratulieren", sagte Julius. Er erinnerte sich so, als wenn es erst gestern gewesen wäre, wie er die werdende Hexenmutter hatte ansehen dürfen, wie er durch einen Einblickspiegel ihr ungeborenes Kind wie durch ein Fenster in ihrem Leib von außen betrachten konnte und dann durch magische Gegenstände kurzzeitig die Empfindungswelt des im Mutterleib ruhenden Mädchens erleben durfte.
"Du hast keinen Besen mit, habe ich mitbekommen. Dann hole ich dich morgen früh nach dem Frühstück ab. Nicolette darf zwar auch wieder fliegen und apparieren, das wäre aber unpassend, wenn sie zu dir kommen müßte", sagte die Heilerin.
"In Ordnung", sagte Julius.
Im Haus der Dusoleils angekommen richteten sich Mutter und Sohn Andrews im Waldlandschaftsgästezimmer ein. Ein weiteres Bett war hineingestellt worden, und als Julius den geräumigen Schrank hinter der magischen Tapete freigelegt hatte, staunte seine Mutter nur noch.
Während des zweiten Frühstücks unterhielten sich die Dusoleils über die ersten Monate in Julius' neuer Schule. Martha Andrews kam mit dem hier gepflegten Dialekt der französischen Sprache immer besser klar. Sie unterhielt sich mit den Dusoleils darüber, daß stets vor den Osterferien ein allgemeiner Elternsprechtag abgehalten wurde. So würde sich für Julius' Mutter die Gelegenheit bieten, alle Lehrerinnen und Lehrer von Beauxbatons zu sprechen, die für Julius wichtig waren.
"Bei Jeanne war das seit ihrer Einberufung als Pflegehelferin auch so, daß Schwester Florence sich mit den Eltern unterhalten wollte", sagte Monsieur Dusoleil noch zu Mrs. Andrews. Diese nickte. Es war ja durchaus logisch, wenn jemand, der einem Schüler einen verantwortungsvollen Posten zugewiesen hatte, mit dessen Eltern sprechen wollte, zumindest deshalb, um sie kennenlernen zu können.
Jeanne und Barbara unterhielten sich mit Aurora Dawn und Julius über die gemalten Personen in Beauxbatons und Hogwarts. Aurora erzählte den Mädchen und Julius, daß sie durch ihr gemaltes Ebenbild ständig auf dem laufenden gehalten wurde. Die Zeitverschiebung zwischen Europa und Australien spielte ihr da gut in die Hände.
"Wenn dein gemaltes Ich zwischen Beauxbatons und Australien wechselt, wie schnell geht das?"
"Das hängt von der Richtung ab, in der das andere Portrait hängt, ob es in Erddrehungsrichtung oder gegen die Erddrehungsrichtung zu erreichen ist, ob am Ziel gerade Tag oder Nacht herrscht und ob es die einzige Verbindung zwischen diesen beiden Bildern ist. Wenn zwischen Beauxbatons und Sydney jemand noch ein Portrait von mir hätte, in direkter Linie wohlgemerkt, müßte mein gemaltes Ich erst dort hinein, um dann weiterzureisen. Das ist höherer Stoff der Zaubermalerei, Julius. Aber um auf deine eigentliche Frage zu kommen: Für einen direkten Wechsel braucht sie nur zehn Sekunden von Europa nach Australien, wenn sie in Ostrichtung, also mit der Erddrehung wechselt. Da Australien ja auf dem Erdball Europa förmlich gegenüberliegt, kann sie von dort nach Beauxbatons ebenfalls in Ostrichtung reisen und ist in zehn Sekunden da. In die andere Richtung bräuchte sie dreißig Sekunden. Warum genau das so und nicht anders ist, weiß ich nicht. Ich habe mich mit Zaubermalerei nicht so beschäftigt, wie meine Mutter oder meine Schulkameradin Miriam, die in Hogsmeade wohnt."
"Die kosmische Trägheit, Julius. Das ist ein Gesetz der Zauberei, das auf die Wechselwirkung zwischen Magie und Planetenbewegungen beruht", wußte Jeanne. "Wenn du gegen die Richtung eines Planeten eine Bewegungsmagie aufrufst, die ihn zu einem Großteil umfaßt, stört seine Eigenbewegung den Zauber. Das gilt ja auch für's Apparieren, wenngleich da der Zeitraum zwischen Disapparition und Apparition gleichbleibt, aber der Aufwand an Zauberkraft größer wird, wenn du in Westrichtung disapparierst."
"Ach, das ist dann so ähnlich, wie die Corioliskraft, die auf Luftmassen und Wasserströmungen auf der Erde einwirkt, sodaß ein Objekt vom Äquator weg nach osten abgelenkt wird und zum Äquator hin nach Westen", sagte Julius.
"Nicht so ganz, Julius. Die Physik spielt hierbei nur die Rolle, daß sie die Drehrichtung des Planeten bestimmt. Alles andere ist eben eine Wechselwirkung auf magischer Ebene", sagte Jeanne. Barbara fragte, was es mit dieser Corioliskraft auf sich habe und ließ es sich von Julius erklären, wieso beispielsweise Strudel oder Wirbelstürme sich auf der Nordhalbkugel gegen den Uhrzeigersinn drehten und auf der Südhalbkugel, also in Südafrika, Chile oder eben Australien, im Uhrzeigersinn drehten. Er veranschaulichte das damit, das die Erde am Äquator eben den größten Durchmesser und Umfang hätte und eben in Nord- und Südrichtung vom Äquator fort einen immer kleineren Umfang hätte. Barbara, Jeanne und auch Aurora Dawn schrieben sich das auf.
"Es gibt also tatsächlich Leute, die das einem erklären können", sagte die australische Heil- und Kräuterhexe. Martha, die der nicht nur magischen Diskussion zugehört hatte, nickte.
"Wenn ein Wissenschaftler und eine Rechenkünstlerin dazu verdonnert sind, einem schön neugierigen Kind alles erklären zu müssen, aber dabei keine Fachausdrücke benutzen dürfen, die es nicht kennen kann, lernen sie selbst, sich einfach auszudrücken. Tja, und Julius hat das eben von uns gelernt, was zu erklären, was eigentlich kompliziert aussieht, aber doch einfach beschrieben werden kann."
"Das ist es auch, was Bébé gemeint hat, als Céline sie gefragt hat, warum diese Weltraumraketen unbedingt von Französisch-Guyana aus hochgeschossen werden", erinnerte sich Jeanne an etwas, was wohl vor Julius' Zeit in Beauxbatons abgelaufen war.
"Genau, Jeanne. Weil sich die Erde eben am Äquator am schnellsten dreht, räumlich bedingt, weil sie im ganzen ja eben nur einen Tag braucht und nicht im Norden zwölf und im Süden vierundzwanzig Stunden, bekommt ein Weltraumgeschoß der Muggel dort mehr Grundgeschwindigkeit mit", schloß Martha Andrews das Thema ab, zu dem sie ja auch was sagen konnte, was sie trotz all ihrer sonstigen Gefühlsbeherrschung sichtbar mit Stolz erfüllte. Dann fragte sie, wo sie Aurora Dawn gerade auf sich aufmerksam gemacht hatte:
"Könnte es angehen, daß Sie Julius gezielt auf den Beruf des magischen Heilkundlers einstimmen möchten, Ms. Dawn?"
"Nicht so, daß ich ihm das unbedingt vorschreibe, Mrs. Andrews. - Ach, Sie dürfen mich auch gerne mit Vornamen ansprechen, wie ihr Sohn. - Ich möchte eben nur dabei helfen, daß Julius so gut wie möglich in dieser Nebentätigkeit als Pflegehelfer bestehen kann. Ich habe meine Fachkollegin Florence Rossignol oft genug auf internationalen Tagungen angetroffen und weiß, daß sie jeden, den oder die sie in ihren Stab von Pflegehelfern beruft, sehr intensiv beobachtet und fordert. Julius wird durch meine bescheidenen Wissensgrundlagen nur dazu befähigt, diesen hohen Anforderungen zu genügen, um für seine sonstigen Sachen in Beauxbatons mehr Zeit und Aufmerksamkeit frei zu haben. Falls er irgendwann einmal selbst diesen Beruf ergreifen und sich der dreijährigen Vollausbildung unterziehen möchte, werde ich ihm natürlich weiterhelfen, falls er das in Anspruch nehmen möchte. Aber ich halte ihn nicht dazu an, meinen Weg nachzugehen. Wenn ich Zauberkunsthandwerkerin wäre, wie Florymont Dusoleil, würde ich ihm in Zauberkunstfragen helfen. Das gleiche würde für Verwandlung gelten, wenngleich außer Strafverfolgungszauberern und Lehrern niemand diese Kunst so intensiv praktiziert. Aber dies erzählen Sie besser nicht Professeur Faucon!"
"Ich wollte nur sicherstellen, daß mein Sohn noch eine eigene Entscheidungsfreiheit hat. Mein Mann hätte ihn gerne auf seinem Weg gesehen, als graduierter Chemiker, möglicherweise Professor in Oxford oder Cambridge. Ich hingegen war und bin davon überzeugt, daß wir nicht eine Kopie von uns herangezogen haben, die alles nachmachen muß, was wir vorgemacht haben. Zumindest gilt das in beruflicher Hinsicht."
"Ein respektabler Vorsatz", bemerkte Madame Delamontagne, die nun sehr interessiert zugehört hatte und die Gelegenheit nutzte, selbst etwas zu sagen. "Ihr Sohn ist in sehr vielen Bereichen begabt, die jeder für sich ausgebaut und ausgeschöpft werden können. Zu diesem Zeitpunkt eine verbindliche Berufsvorgabe zu beschließen und auf ihn anzuwenden wäre grundverkehrt."
"Also, die Damen, Mum eingeschlossen", setzte Julius schnell an, um nicht wie ein Kleinkind Erwachsene über sich reden zu lassen, wo er dabeisaß, "Zauberkräuter sind wie Zaubertränke sehr interessant für mich. Auch Verwandlung und Zauberkunst gefallen mir sehr und interessieren mich in allem, was damit geht. Da weiß ich bestimmt noch nicht, was ich damit anfangen kann. Ich habe von Mademoiselle Grandchapeau gelernt, daß man sich auch erst im ZAG-Schuljahr überlegen soll, was man später mal werden und machen will. Das sind noch zwei ganze und das laufende halbe Jahr. Da kann bei mir noch einiges interessantes passieren."
"So ist es", stellte Madame Matine fest, die gerade mit Madame Dusoleil zusammensaß. "Es wäre egoistisch, wenn Camille, Florymont oder ich jetzt schon bestimmen würden, was du mal machst, Julius. Aber was wir machen können und müssen, das ist dir zu zeigen, was du bereits kannst und was du von uns lernen kannst. Nichts ist so sicher, daß eine einseitige Ausbildung jemandem für den Rest des Lebens eine gesicherte Grundlage bietet. Ich habe meinen Beruf auch erst nach Beauxbatons sicher gewählt, nachdem ich erkannt habe, daß ich mit meinem Wissen und Können in Verwandlung und Zauberkunst alleine meine Interessen nicht befriedigen konnte, nämlich die, möglichst viel für meine Mithexen und -zauberer zu tun. Du bist ja eher ein Experimentator, ein Beobachter und Forscher, Julius. In dieser Richtung wirst du nach Beauxbatons weitermachen, was genau du auch als Berufsziel auswählst. Ich sehe dich zumindest nicht hinter einem verstaubten Schreibtisch oder als Verkäufer oder Gastwirt." Alle nickten Julius beipflichtend zu. Dann unterhielten sich die Erwachsenen und die Schüler über das anstehende Jahreswechselfest. Sie tauschten aus, welche Traditionen und Bräuche es in Frankreich und England, bei Muggeln und Zauberern gäbe und wie das in Millemerveilles abliefe.
Am Nachmittag besuchten Mutter und Sohn Andrews die Sehenswürdigkeiten des Dorfes, den Teich in der Dorfmitte, den Musikpark, wo der Sommerball immer abgehalten wurde, das Postamt, wo Julius eine Eule an Claire abschickte, das Haus des Dorfrates, wo sie das Ehepaar Pierre trafen, das Julius seiner Mutter vorstellte, um dann zum Nachmittagskaffee im Chapeau du Magicien, der Dorfschenke mit Übernachtungsmöglichkeiten, einzukehren, wo sie Caroline Renards Eltern antrafen. Caro, die mit einigen anderen Mädchen aus ihrem Saal, die in höheren oder niedrigeren Klassen waren sprach, kam mal eben herüber, begutachtete Mrs. Andrews, was dieser fast unangenehm war und sagte für sie ungewöhnlich höflich:
"Madame Andrews, ich muß meine Meinung über die Kleider der Muggelwelt ändern. Dort kann man auch sehr ansehnliche Bekleidung herstellen."
"Danke sehr, Mademoiselle ... Renard?"
"Ja, das stimmt. Aber Sie dürfen mich ruhig Caro oder Caroline nennen. Das tun hier ja alle", erwiderte die brünette Drittklässlerin aus Beauxbatons. Dann wandte sie sich an Julius und sagte:
"Millie hat mir geschrieben, daß du mit ihrer großen Schwester geplaudert hast. Schon praktisch dieses Silberarmband."
"Ja, besser als Telefon, Caro."
"Kann sein. Ich habe noch keins gesehen", sagte das Hexenmädchen, daß im Sommer mit Claire um Julius' Gunst gewetteifert hatte. Dann verabschiedete sie sich von ihrem Schulkameraden und kehrte zu ihren Freundinnen zurück.
"Es stimmt also doch, daß hier in Frankreich zur gepflegten Umgangsform erzogen wird", flüsterte Martha Andrews auf Englisch. "Die Mademoiselle saß ja auch bei deiner Geburtstagsfeier an einem der Tische, richtig? Richtig."
Am Abend saßen die Dusoleils und Andrews' nach einem sehr ausgiebigen Essen im Salon und erzählten sich Geschichten ihres Lebens. Irgendwann kam die Hausherrin auf die Idee, ob nicht alle miteinander Musik machen könnten. Martha Andrews willigte ein und ließ sich eine Gitarre geben, die zu ihrer Freude korrekt gestimmt war. So trafen sich alle im Musikzimmer des Dusoleil-Hauses und spielten sich gegenseitig ihre Lieblingsstücke vor oder musizierten zusammen. So um elf Uhr waren alle müde genug, um sich zu Bett zu legen.
"Und morgen willst du mit dieser Barbara Leichtathletik machen?" Fragte Mrs. Andrews ihren Sohn, als sie beide in den Gästebetten lagen und das leise Rauschen des gemalten Waldes von der Tapete her wie einschläfernde Musik auf sie zu wirken begann.
"Joh, Mum. Aber ich sehe zu, daß du nicht aufgeweckt wirst. Claire ist ja im Moment nicht hier, sodaß du auch keinen Hahnenwecker hören wirst. Jetzt fällt mir auch ein, daß ich ihr Kalenderbild nicht mitgenommen habe. Das hätte dir gefallen, die Weihnachtsengel spielen zu hören", wisperte Julius. Dann löschte er mit dem Schlüsselwort die magische Lampe an der Decke und drehte sich in seine bevorzugte Schlafhaltung.
Wie er es seiner Mutter versprochen hatte, schaffte es Julius, am nächsten Morgen sehr früh aber leise aus dem Zimmer zu schleichen, sich im Badezimmer seinen Trainingsanzug und seine neuen Laufschuhe anzuziehen und das Haus zu verlassen. Madame Dusoleil, die damit gerechnet hatte, daß Julius schon sehr früh unterwegs sein würde, öffnete ihm die Tür und ließ ihn hinaus.
Am Dorfteich trafen Barbara und er sich und liefen erst so einige Runden um das Ziergewässer mit den großen und kleinen Bronzestatuen. Dann legten sie die Schwermacherkristalle an ihren Ketten um den Hals und übten verschiedene Bewegungsabläufe mit Armen und Beinen. Als sie dies zwanzig Minuten lang getan hatten, wobei es ihnen immer schwerer fiel, Körper und Glieder zu bewegen, erklärte Barbara die Übungseinheit für beendet. Sie wollten im leichten Trab zum Dusoleil-Haus zurücklaufen, um die angestrengten Muskeln zu lockern, als mit lautem Plopp Jeanne Dusoleil auf der Höhe des bronzenen Einhorns apparierte, welches mit seinem Horn die Westrichtung anzeigte.
"Gut, daß ich euch hier noch erwische. Im Moment sind ja nicht so viele Leute auf den Beinen. Ich möchte nämlich mit dir noch was besprechen, Julius. Barbara weiß davon."
"Häh?" Machte Julius, der glaubte, irgendwas dummes angestellt zu haben, weil Jeanne so ernst sprach und dreinschaute. Barbara nickte.
"Ist was mit Claire oder habe ich sonst was verkehrt gemacht?" Fragte Julius Jeanne. Diese schüttelte den Kopf. Sie mußte sogar grinsen.
"Interessant, daß du sofort dran denkst, ich als Claires große Schwester müßte dich zurechtweisen, weil du irgendwas gemacht hättest, was ihr nicht gefallen hat. Aber es hat nichts mit Claire zu tun, sondern mit der Quidditchmannschaft, besser mit deinem Besen. Hast du dir wirklich eingebildet, wir bekämen das nicht mit, daß dein "Ganymed 9" ein verkleideter Ganymed 10 ist?"
"Höh, wie kommst du denn darauf?" Fragte Julius, der schnell gegen das aufkommende Gefühl der Ertapptheit ankämpfte und so gelassen wie möglich dastand.
"Junge, wir haben selber die Neuner", sagte Barbara amüsiert. "Du hast gegen die Gelben ein Manöver gezeigt, das zwar mit dem Neuner geht, aber etwas schwerfälliger aussieht. Jeanne und ich haben das in der letzten Woche mal nachgestellt und siehe da, wenn dein Besen nur eine verbesserte Version sein soll, dürfte der nicht so gut reagiert haben. Wir haben ja die neuste Version des Neuners, Bursche. Das wolltest du doch sagen, Jeanne."
"Genau, Barbara. Also wer kam auf die glorreiche Idee, dir einen tiefstapelnden Besen zu geben? War's Professeur Faucon oder Madame Maxime? Und lüg uns jetzt bloß nicht an, daß das ein Ganymed 9 sei! Denn warum hätte Professeur Faucon ihn sonst nur für dich erlaubt oder ihn sofort eingezogen, als du Belles Schwester geworden bist?"
"Kein Kommentar", erwiderte Julius, der wußte, daß er hier und jetzt mit dem Rücken zur Wand stand. Wenn die beiden Mädchen das wußten, konnte es bald jeder in Beauxbatons wissen.
"Das ist für deine bisherigen Geistesleistungen eine verdammt dumme Antwort, Julius", tadelte Barbara den Mitschüler. "Wir haben nämlich nicht vor, das in den Miroir Magique zu setzen oder in Beauxbatons ans Gemeinschaftsnotizbrett zu hängen, daß dir wer den Besen gegeben hat. Wir können nämlich denken", sagte die Saalsprecherin der Grünen noch.
"So, und was habt ihr alles überlegt?" Fragte Julius, der auf Zeit spielen wollte.
"Heh, Jeanne hat dir eine Frage gestellt und auch außerhalb von Beauxbatons könnte ich dir den Befehl geben, sie zu beantworten", Hielt Barbara entgegen. Julius überlegte, was er sagen sollte. denn an und für sich durfte er niemandem erzählen, daß er den derzeit besten Ganymed-Besen flog. Dann sagte er:
"Ich habe Anweisungen, die deine Weisungsbefugnis außer Kraft setzen, Barbara."
"Aha, also die werte Professeur Faucon. Madame Maxime würde sich nicht sonderlich dafür interessieren, ob jemand einen schlechten oder superguten Besen zum Quidditch mitbringt, solange der aus Frankreich stammt. Dann will ich dir mal sagen, was wir, Jeanne und ich, überlegt haben", antwortete Barbara. "Erstens würde Monsieur Dornier sich bestimmt nicht die Zeit nehmen, dir sehr ausführlich den Besen zu erklären, wenn er dich schon hat fliegen sehen können, es sei denn, er hätte den Auftrag bekommen, dir beizubringen, ihn nicht zu gut aussehen zu lassen. Zweitens hätte der werte Vater von Constance und Céline nie von sich aus die Idee gehabt, einen Paradebesen zu verkleiden, damit er wie sein überholter Vorläufer aussieht. Da hat also wer dran gedreht, daß er es doch gemacht hat. Zum dritten hätte Professeur Faucon wie Jeanne sagte nicht sofort den Besen eingezogen, als Belle und Du unfreiwillige Zwillingsschwestern wurdet, weil ein Besen für Jungen genauso gut zu handhaben ist wie für Mädchen. Das hätte keine halbe Minute gedauert, dich dem neuen Körper anzupassen. Aber wir können das ja gerne wiederholen, um dir zu demonstrieren, wie einfach es mit einem gewohnten Besen ist, sich anzupassen, allerdings dann mit Jeanne als Zwillingsschwester. Da deine Mutter und du immer behauptet haben, Logik als wichtige Handlungsgrundlage zu benutzen, wirst du uns wohl kaum noch einzureden versuchen, daß du einen Ganymed 9 hast."
"Falls dem so wäre, Barbara, was brächte euch das?"
"Mir als Kapitänin brächte es insofern was, daß ich dich beim Spiel gegen die Violetten gut als Bewachung für Suzanne Didier einsetzen kann, die schon seit über einem Jahr den Neuner fliegt. Wenn du den Befehl hast, den Besen als Neuner weiterzufliegen, warhscheinlich damit dich nicht alle dumm anquatschen, was für Extrawürste du gebraten bekämst, bist du auf jeden Fall Suzanne ebenbürtig", antwortete Jeanne.
"Mir als Saalsprecherin ist wichtig, daß ich weiß, welche Möglichkeiten jemand mit seinem oder ihrem Besen hat, Julius. Ich sehe jedoch ein, daß die Anweisung von Professeur Faucon verbindlich ist, aus demselben Grund, den Jeanne schon erwähnt hat. Ich möchte das deshalb klarstellen, weil Céline oder Claire das irgendwann auch mitkriegen können. Wenn ich weiß, wo ich einhaken muß, kann ich das verhindern, daß jeder was davon mitkriegt, ohne zu heftigen Wind machen zu müssen. Also ist das also wahr? Du kannst auch nicken, wenn du die Weisung hast, nichts zu sagen."
Julius atmete tief durch und nickte dann bestätigend. Barbara und Jeanne nickten auch.
"Gut, das mußten wir jetzt klären", sagte Jeanne. "Ich bin dann wieder bei uns. Maman ist schon mit dem Frühstückmachen fertig. Deine Mutter schläft wohl gerne lange, wie?"
"Nur wenn sie Urlaub hat, Jeanne. Sonst ist sie schon früh auf, weil manchmal die besten Ideen am Morgen kommen", sagte Julius grinsend.
"Soll Maman sie dann schlafen lassen?"
"Besser ist es, wenn jemand sie sanft weckt, Jeanne. Hier kann man zwar nicht so viel machen, was meine Mutter gerne macht, außer spazierengehen, aber ich denke schon, daß sie sich eurem Tagesrhythmus unterordnen möchte."
"Geht klar, Julius", sagte Jeanne, verabschiedete sich und disapparierte.
"Hoffentlich hat das jetzt kein anderer mitbekommen", flüsterte Julius. Barbara grinste.
"Du hast doch nichts gesagt", erwiderte sie nur.
Nach dem Frühstück hatten die Dusoleils noch eine Überraschung parat. Sie gaben Julius einen Zettel auf dem stand, daß er zwischen halb zehn und zehn Uhr den Kamin im grünen Saal als Kontaktfeuerendpunkt benutzen durfte, um mit Claire und den beiden anderen Mädchen zu sprechen. Seine Mutter sah ihn bange an. Sie hatte das mehrmals sehen dürfen, wie Catherine Kontaktfeuer benutzt hatte, um mit ihrer Mutter zu sprechen oder wie sich Professeur Faucon oder Madame Delamontagne auf diesem magischen Verständigungsweg mit Catherine und ihr unterhalten hatten. Julius hingegen war hellauf begeistert. Er trat an den Kamin in der Küche heran, als die Uhr fünf Minuten nach halb zehn zeigte, wartete, bis Madame Dusoleil ein munteres kleines Feuer entzündet hatte, nahm eine Prise des wundersamen Flohpulvers aus einer kleinen Tonvase und warf sie in die kleinen tanzenden Flammen. Er kniete sich hin, wie er es bei Catherine schon einmal beobachtet hatte. Fauchend fuhr eine smaragdgrüne Feuerwand im Kamin empor. Er steckte den Kopf in die magische Flammenwand, die sich wie eine warme Brise anfühlte und rief hinein: "Grüner Saal, Beauxbatons!" Wie ihm Madame Dusoleil es erklärt hatte.
Julius hatte sowas noch nie erlebt. Sein Kopf schien sich wild zu drehen, rund herum. Er schloß die Augen, als er meinte, fortzufliegen, ohne daß seine Knie sich vom Boden lösten. Als habe etwas seinen Kopf vom Körper getrennt, ohne die Verbindung dazu zu lösen, wirbelte sein Kopf durch einen Strudel, bis das merkwürdige Gefühl abklang. Er öffnete die Augen und sah, daß er aus dem brennenden Kamin im grasgrünen Saal von Beauxbatons blickte, wo drei Schülerinnen und die Saalvorsteherin im Halbkreis vor dem Kamin hockten.
"Ach, da ist er ja wirklich", flötete Claire Dusoleil, die zu ihrer Beauxbatons-Schulmädchenkleidung noch einige Glitzersteine an Ärmeln und Taille angebracht hatte. Links neben ihr saß Laurentine Hellersdorf, die etwas betreten dreinschaute, aber dann doch ein erfreutes Lächeln hinbekam, als Julius sie anstrahlte. Rechts von Claire saß Céline Dornier und winkte Julius zu.
"Hallo, Mädels! Hallo, Professeur Faucon!"
"Monsieur Andrews, Sie sind unhöflich. Erst müssen Sie die ranghöchste Person in einem Raum grüßen, bevor Sie andere Personen grüßen", wies Professeur Faucon den Kopf des englischen Beauxbatons-Schülers zurecht. Dieser nickte nur. Das Gesicht färbte sich rot. Dann wiederholte er die Begrüßung korrekt.
"Bist du allein bei Claires Eltern?" Fragte Laurentine Hellersdorf. Julius schüttelte den Kopf, was nun, wo nur sein Kopf im brennenden Kamin des grünen Saales saß, so wirkte, als rolle er hin und her. Doch sollte er nun sagen, daß seine Mutter mit ihm in Millemerveilles war. Er blickte fragend die Lehrerin an. Diese nickte ihm aufmunternd zu. Offenbar hielt sie das für eine gute Idee, Bébé zu beweisen, daß Muggeleltern auch mit Zauberern klarkommen konnten. So sagte er, daß er mit seiner Mutter in Millemerveilles sei. Bébé Hellersdorf war erwarteterweise etwas geknickt über diese Antwort. Sie sah Julius betreten an und fragte mit belegter Stimme, ob sie das vorher so vereinbart hatten. Julius nickte. Danach unterhielt er sich mit den drei Mädchen und der Lehrerin über das Weihnachtsfest von Beauxbatons. Céline sagte:
"Ist schon schön, wie das alles hier geschmückt wurde, die singenden Waldnymphen und der nie tauende Schnee auf der Wiese, wie auch die kristallklaren Eisgebilde, die im Speisesaal stehen. Aber dieser Saal ist für drei alleine ziemlich öde."
"Kann ich mir vorstellen", sagte Julius mitfühlend. "In den anderen Sälen sind aber mehr als nur drei Leute, oder?"
"Ja, einige aus dem Violetten, einige Gelbe, Weiße, Blaue und wohl einige Rote", sagte Claire. Dann fragte sie, wie ihm ihr neues bild gefallen habe und bedankte sich für die tanzenden Figuren, die er ihr gebaut hatte. Einige Minuten zog sich das Gespräch hin, wobei Professeur Faucon schön weit zurückgetreten war, um den Schülern etwas mehr Privatsphäre zu gewähren. Doch als die Standuhr im Grünen Saal die zehnte Tagesstunde schlug, klatschte sie in die Hände und sagte:
"Die gewährte Zeit ist nun um, Mesdemoiselles et Messieurs! Monsieur Andrews, beenden sie den Kontakt!"
"Bis dann denn, zusammen!" Rief Julius, wartete, bis die Mädchen und die Lehrerin einen Abschiedsgruß gerufen hatten und zog den Kopf einfach zurück. Unvermittelt wirbelte der durch eine wilde Ansammlung vorbeirasender Kamine, bis er mit einem Ruck außerhalb des Kamins in der Küche der Dusoleils verhielt, fest auf dem Körper, wie es sein sollte.
"Also gruselig ist das schon, wenn jemand seinen Kopf verschwinden läßt", bemerkte Martha Andrews.
"Ja, aber praktisch", stellte Julius fest. Danach bedankte er sich bei den Dusoleils und erzählte allen, was er so mit den Mädchen besprochen hatte. Martha Andrews sagte nur:
"Das ist schon ein Problem, wenn Eltern mit ihren Kindern so wie sie sind nicht zurechtkommen wollen. Aber irgendwie muß das doch zu regeln sein. Ich meine, zwischen Richard, mir und Julius wäre es doch irgendwie gegangen."
"In dem Fall geht es wohl nicht so einfach", sagte Madame Dusoleil. "Claire hat mir geschrieben, daß Laurentine, so heißt das Mädchen, sich immer von ihren Eltern einreden läßt, sie könne nicht zaubern und erst in Beauxbatons harte Strafen hinnehmen müßte, um das wieder zu lernen. Die Lehrer da sind unerbittlich. Aber sie kennen doch Möglichkeiten, das wieder einzurenken. Sie werden wohl, wie Sie, Martha, eine Einladung zum Elternsprechtag erhalten. Ob sie sie annehmen, ist dann ihre Sache. Leider, so muß ich Ihnen eingestehen, sind solche Fälle nicht gerade förderlich, um das Verhältnis zwischen den muggelstämmigen Schülern und den aus Zaubererfamilien stammenden Schülern zu verbessern. Deshalb freue ich mich, daß Sie Ihrem Sohn beistehen möchten, auch wenn er vielleicht nicht das werden kann, was in Ihrer Welt üblich ist."
Martha Andrews sah ihre Gastgeberin etwas verwirrt an, mußte jedoch nicken. Offenbar hatte Madame Dusoleil etwas gesagt, was Julius' Mutter tief getroffen hatte. Aber, so vermutete der Beauxbatons-Schüler, es mußte wohl stimmen.
Um die Stimmung wieder aufzulockern fragte Julius, ob die Dusoleils schon einmal Weihnachten in Beauxbatons gefeiert hatten. Außer Jeanne, die immer über die Feiertage zu ihren Eltern gekommen war, hatten alle Familienangehörigen dort schon einmal Weihnachten und Neujahr gefeiert. So entspann sich eine lange Erzählung, wie es in Beauxbatons zuging. Julius überlegte, ob er das nicht einmal auch miterleben wollte. Doch wenn er seine Mutter ansah und sich vorstellte, daß sie dann alleine in der neuen Wohnung sein mußte, verflog dieser Gedanke schnell wieder.
Wie am Vortag verabredet holte Madame Matine Julius ab, um ihn zu ihrer Nichte, Nicolette Clavier zu bringen. So verbrachte Julius eine volle Stunde bei der jungen Hexenmutter und durfte ein gerade drei Monate altes Baby auf den Arm nehmen. Er erkundigte sich, soweit es nicht all zu privat war, ob Madame Clavier durch das dritte Kind eingeschränkter sei oder sehr gut zurechtkam. Diese lächelte ihn an und sagte:
"Es soll Leute geben, die sich Kinder nur anschaffen, wenn sie es sich leisten können. Gut, wir können das. Aber das sollte nicht der einzige Grund sein."
"Ich wollte auch nicht meinen, daß Sie sich da übernommen hätten, Madame", wandte Julius sofort ein. Die junge Mutter nickte. Dann erzählte sie ihm, was an Felices Geburtstag alles passiert sei. Ihre Tante saß dabei und ergänzte einiges, was erzählt wurde.
Zur Mittagessenszeit verabschiedete sich Julius höflich von Madame Clavier und ließ sich von ihrer Tante zum Dusoleil-Haus zurückbringen.
Nach dem Mittagessen, was wegen der hellen Wintersonne im Freien eingenommen wurde, in einer kühlen, aber nicht all zu kalten Südwinterluft, eingemummelt in warme Kleidung, spielten Monsieur Dusoleil und Martha Andrews Schach. Da Julius ein Spiel mit nicht sich selbst bewegenden Figuren mitgenommen hatte, kam seine Mutter ohne Probleme klar. Er hingegen spielte mit Jeanne mit deren Zauberschachmenschen und schaffte es nach einer Stunde, sie zu besiegen. Danach flog er zusammen mit Madame Dusoleil in die grüne Gasse, um die im winter blühenden und knospenden Zauberpflanzen zu besichtigen. Auf einer Ruhebank, von der es in der weitläufigen Gartenanlage viele gab, befragte die Mutter Claires Julius nach seinen Erfahrungen mit dem neuen Besen, von dem sie natürlich wußte, was es für einer war. Julius steckte ihr, daß Jeanne und Barbara ihm auf die Schliche gekommen waren.
"Hätte mich jetzt auch gewundert, daß gerade die beiden den Braten nicht riechen. Aber sei dir sicher, daß die dich nicht verpetzen werden, zumal du das ja nicht von dir aus geplant hast. Aber wie kommst du mit Claire zurecht? Nur um die typische Mutterfrage unter vier Augen abzuhandeln."
Julius erzählte ihr, was er mit Claire alles erlebt hatte. Nachdem Madame Dusoleil ihm sagte, daß sie natürlich auch wußte, daß er für vier Tage Belle Grandchapeaus ohne Geburt entstandene Zwillingsschwester gewesen war, konnte er frei von Auswirkungen durch die Magie des Eidessteines sprechen und erzählen, was er da so erlebt hatte.
"Ja, du hast recht. Um eine Frau zu verstehen, reicht es nicht aus, nur vier Tage lang eine zu sein. Da müßtest du wie Belle oder Jeanne dein ganzes Leben in so einem Körper herangewachsen sein. Doch denke ich, daß es für dich mal ein Erlebnis war, daß nicht jeder haben wird."
"Das ist allerdings wahr, wenngleich ich froh bin, nicht mit Constance Dornier zusammen erwischt worden zu sein."
"o, diesen Fall möchte ich mir dann doch nicht vorstellen. Es ist auf jeden Fall gut, daß du wieder du selbst bist. Aurora meinte schon, daß du einen falschen Eindruck von Beauxbatons bekommen könntest. Aber immerhin hast du dich von dieser unangenehmen Sache ja schnell erholt."
"Öhm, ja, kann man so sagen", erwiderte Julius nur. Madame Dusoleil nickte.
Als die beiden wieder im Haus der Dusoleils waren, spielte Martha Andrews gegen Uranie Dusoleil, Jeannes, Claires und Denises Tante mit den starren Schachfiguren. Jeanne tobte mit ihrer kleinen Schwester über die Wiese.
"Ich habe mir die Bücher kurz angesehen, die du mir zu Weihnachten geschickt hast, Julius. Höchst interessante Ideen, die darin beschrieben sind. Einiges davon geht tatsächlich schon in der Zauberei. Aber ich muß mir die Geschichten noch mal genauer durchlesen", sagte Florymont Dusoleil. So entspann sich eine Unterhaltung über die Zukunftsvorstellungen der nichtmagischen Menschen und die Diskussion, was in der Magie noch nicht gründlich genug erforscht und ausprobiert war, sofern es dabei nicht zu schädlichen Auswirkungen kommen konnte. Diese Unterhaltung fand in Monsieur Dusoleils Werkstatt statt, wo sie vor unliebsamen Zuhörern sicher sein konnten. Zum Abendessen rief Madame Dusoleil ihren Mann und den jugendlichen Gast ins Haus zurück.
Nach dem Abendessen sprachen alle, Gastgeber und Gäste, über die nichtmagische und magische Heilkunst, weil Aurora Dawn Mrs. Andrews fragte, wie bei den Nichtmagiern die Krankheitserkennung und -behandlung funktionierte. Da in Beauxbatons gerade eine Schülerin ein Kind erwartete, bot sich das für Julius' Mutter an, zu fragen, was eine werdende Hexenmutter so alles für Betreuungsmöglichkeiten erwarten konnte und welche Untersuchungstechniken es gab.
"Also ich bereite mich derzeit darauf vor, einer Bekannten bei der Geburt zu helfen", sagte Aurora. "Deshalb mußte ich mir noch mal alles durchlesen, was in unserer Welt damit zu tun hat. Ich bin auch froh, mit Madame Matine, die ja wesentlich mehr Berufspraxis hat, ausführlich darüber diskutieren zu können. Die ganzen Maschinen, die Sie erwähnt haben, brauchen wir nicht, weil wir noch viel Naturheilmittel anwenden. Aber gewisse Spielereien kennen und benutzen wir doch", begann Aurora Dawn und legte lang aber für Mrs. Andrews verständlich dar, wie in der Zaubererwelt werdende Mütter betreut wurden.Zwischendurch sah sie Jeanne und Julius an, die zustimmend nickten, wenn sie was erwähnte, was die beiden kannten.
"Moment, dann wollen Sie sagen, es ist möglich, sich zeitweilig in die Empfindung eines Ungeborenen hineinzuversetzen?" Fragte Mrs. Andrews. Julius errötete. Er hatte das ja selbst schon ausprobiert. Aurora Dawn nickte nur. Jeanne erklärte, wie das ging und sah belustigt, wie Martha Andrews ihren Sohn und dann Aurora Dawn ansah. Dann mußte sie jedoch grinsen. Offenbar war ihr ein belustigender Gedanke gekommen. Glücklicherweise erzählte niemand ihr, daß ihr Sohn sich auch schon durch einen anderen Zauber in seine Säuglingsform zurückverwandeln lassen hatte.
So verflogen die Stunden mit dieser langen Unterhaltung, bis alle müde waren und zu Bett gingen.
"Das hätte deinem Vater bestimmt mehr beeindruckt, wenn er das mal hätte ausprobieren können", flüsterte Martha Andrews noch, bevor sie ihrem Sohn eine gute Nacht wünschte.
Die nächsten Tage bis Neujahr verliefen mit Spielen und Plaudereien. Martha Andrews besichtigte die Sternwarte von Uranie Dusoleil, besuchte Madame Delamontagne zum Schach und streifte mit Julius durch den Tierpark, wo sie einige der interessanten Tiere ansehen konnte. Jeden Morgen nach dem ersten Frühstück trank sie von dem Zaubertrank, der sie befähigte, dem Drang, aus Millemerveilles fortzurennen, zu widerstehen. Madame Lumière kam mal herüber, um sich mit Julius' Mutter zu unterhalten. Offenbar, so mußte der muggelstämmige Beauxbatons-Schüler erkennen, war seine Mutter dadurch, daß sie Französisch gelernt hatte, eine interessante Gesprächspartnerin für die Mütter in Millemerveilles. Denn auch die Renards luden die Computerprogrammiererin aus London ein. Julius unterhielt sich derweil mit Sandrine Dumas, der gleichaltrigen Pflegehelferin, sowie Béatrice, ihrer Klassenkameradin. Es ging dabei nicht selten um den Unterschied im Leben von Jungen oder Mädchen. Julius ließ sich gefallen, zu Einzelheiten seiner Zeit im Körper Belles befragt zu werden, solange er keine persönlichen Sachen der Ministertochter ausplaudern mußte. Zum Schluß wurde er gefragt, wie die Partie zwischen den Roten und den Gelben ausgehen würde.
"Wenn euer Sucher schneller ist als Janine, könnt ihr das in den ersten Minuten klarmachen. Aber sonst geht ihr baden. Brunhilde und Hannibal sind scharf auf einen hohen Sieg nach dem Krach mit den Blauen. Aber für uns ist das ja schon gelaufen."
"Ihr müßt gegen Jeannes Cousin und Belles Cousine ran?" Fragte Béatrice. Julius nickte, mußte dann aber fragen, wer denn Belles Cousine war.
"Die hat die ganzen vier Tage neben dir gesessen, Julius", lachte Sandrine. "Es ist Suzanne Didier."
"Öhm, die? Da hat mir aber keiner was von gesagt", entfuhr es Claires Freund.
"Belle bestimmt nicht, und Suzanne tritt das auch nicht breit, daß sie so'ne tolle Cousine hat, die sie nicht einmal beim Vornamen nennen darf. Hängt wohl irgendwie in der Familie", sagte Béatrice schüchtern, weil sie vielleicht was ausgeplaudert hatten, das nicht jeder wissen mußte. Julius nickte. Er konnte sich das vorstellen, daß Suzanne das nicht jedem erzählen würde. Aber das erklärte auch, weshalb sie, Suzanne, ihn, wo er Belles Doppelgängerin war, immer so gefoppt hatte, vonwegen, ob er nicht lieber eine "Sie" bleiben wollte und ähnliches. Er war das, was ihre Cousine nicht für sie sein konnte, jemand, mit dem man sich mal käbbeln konnte, wie eben bei Schulmädchen üblich. Er grinste.
"Na ja, aber nur weil ich beinahe eine Cousine mehr gehabt hätte, werde ich sie nicht drauflos spielen lassen. Ich weiß zwar nicht, ob Argons Mutter mir das verzeiht, wenn ich gegen ihren Sohn spiele, aber da muß ich dann durch."
"Und Estelles Kameraden müssen gegen diese Schlägertypen ran", seufzte Sandrine. Béatrice berichtigte ihre Klassenkameradin, daß sie selbst ja nicht mitspielen mußte.
"Ja, aber ich darf die mit Francine nachher vom Feld kratzen", warf Sandrine ein. "Das ist dann wie bei dem Spiel zwischen denen und den Violetten."
"Oha, ja, einen Tag vor Halloween. Ist mir zu gut in Erinnerung", wußte Julius einzuwerfen.
Jeanne apparierte bei Sandrine zu Hause und holte Julius wieder ab. Auf ihrem Ganymed 9 ging's im Hui zurück zum Dusoleil-Haus.
__________
Der einunddreißigste Dezember begann mit einem festlichen Umzug bunt gekleideter Hexen und Zauberer auf fliegenden Besen, die große Glocken und Trommeln benutzten. Julius fragte Roseanne Lumière, die mit ihren Töchtern Barbara und den Babys Étée und Lunette kam, um die Andrews einzuladen, den Umzug von der Dorfmitte aus zu beobachten, was das Treiben sollte, wo er doch wußte, daß auch in der Zaubererwelt das alte Jahr mit Krach und Feuerwerk zur Mitternacht verabschiedet wurde.
"Das wird hier seit der Zeit der Druiden so gemacht. Wo Millemerveilles noch nicht bestand, haben hier Zauberer und Hexen zu Samhain, das ihr in England ja noch als Halloween feiert, die guten Geister durch Musik angelockt und die bösen Geister durch heftiges Getrommel verjagt. In Beauxbatons ist das durch den blechernen Lindwurm, allen in der Schule verbliebenen Posaunisten, Trompetern und Tubaspielern am Jahresende beibehalten. Wenn nicht genug Blechbläser die Ferien dort verbringen, kommt die Musik aus magischen Quellen, wie die Weihnachtsmusik, die ihr ja noch vor der Heimreise gehört habt", sagte Barbaras Mutter.
"Schade, daß nur volljährige Hexen und Zauberer mitfliegen dürfen, ob alleine oder als Sozius. Sonst hätte ich Maman gefragt, ob wir da mal mitfliegen können, wo du schon einmal hier bist", wandte Barbara noch ein, als eine schrill kostümierte Hexe, die eher wie ein Windvogel aus Julius Vorschultagen aussah, mit einem lauten Glockenspiel über sie hinwegflog.
"Natürlich kriegen wir heute um Mitternacht das Feuerwerk. Gut, daß auch die Muggel dann Feuerwerk abbrennen, sodaß die Flugmaschinen nicht über uns hinwegfliegen. Ach ja, du hast deinen Festumhang mit?"
"Madame Dusoleil hat mir durch einen Blumenstrauß verraten, daß vor dem Feuerwerk eine große Musikparty stattfindet, wo getanzt, gegessen und getrunken wird. Da habe ich den Festumhang noch eingepackt."
"Das wird wohl eine der letzten Gelegenheiten sein, wo du den noch anziehen kannst. Oder wächst du nicht da raus?" Fragte Barbara. Julius erzählte ihr, wo er den Umhang herhatte und daß er den wohl zwei bis vier Jahre lang tragen könne.
"Im Zweifelsfall wissen wir ja dann, was wir ihm zum nächsten Geburtstag schenken dürfen", sagte Madame Lumière und hob die kleine Lunette aus dem bequemen ausgepolsterten Tragekorb, weil sie gerade zu quängeln begann.
Der Festzug durch die Luft dauerte zwei volle Stunden. Danach kehrten die Andrews' und Aurora Dawn zum Haus ihrer Gastgeber zurück, wo sie zu Mittag aßen. Madame Dusoleil hatte einen würzigen Fleisch- und Gemüseeintopf gekocht, an dem sich alle lange bedienten, bis sie endlich satt waren. Nach einem ausgedehnten Verdauungsspaziergang und einer Runde Springball im Garten, wo Monsieur Dusoleil zusammen mit Julius gegen Jeanne und Denise spielte, während sich Madame Dusoleil mit Aurora Dawn und Martha Andrews über nichtmagische Gartengestaltung unterhielt, gab es eine Kleinigkeit zum Abendessen, denn nachher sollte es ja noch mehr geben.
Um acht Uhr abends zogen sich alle um. Mrs. Andrews zog ein sonnengelbes Satinkleid an, das sie in Paris gekauft hatte, legte ein rosiges Make-Up mit scharlachrotem Lippenstift auf und benetzte sich mit einigen Tropfen eines dezenten Parfüms. Julius duschte noch mal kurz, zog dann warmes Unterzeug und darüber den weinroten Festumhang an, in dem er hier in Millemerveilles und auch in Hogwarts schon wichtige Feste besucht hatte. Seine Mutter fragte ihn zwar, warum er nicht einen englischen Anzug anziehen wollte, wurde jedoch daran erinnert, daß das hier eben nicht die erwünschte Kleidung für Zauberer war.
"Du kannst froh sein, daß die echten Hexen hier wie nichtmagische Frauen gekleidet sein dürfen", sagte Julius, als seine Mutter ihn begutachtete. Sie hatte ihn bis zu dieser Minute auch noch nie direkt in diesem Umhang gesehen. Er durfte ihr nicht erzählen, daß Catherine ihm diesen besorgt hatte.
"Aber irgendwie sieht das erhaben aus, dafür daß du erst dreizehn Jahre alt bist", befand Mrs. Andrews wohlwollend lächelnd. "War der teuer?"
"Der war ein Geschenk von Professeur Faucon, als sie mich hier beherbergt hat", sagte Julius die halbe Wahrheit. Denn einmal wußte er, wie teuer der Umhang war und dann war der ja eben von Catherine, weil diese ja gelesen hatte, daß er in seinem zweiten Schuljahr in Hogwarts einen benötigte.
"Das muß man der Dame lassen, sie weiß zumindest, wie man wen anzieht", mußte Martha Andrews anerkennen.
Aurora Dawn trug einen Festumhang, der rosig-golden schimmerte, wie das Morgenrot, dem die australische Heilerin ihren Vornamen verdankte. Jeanne trug einen lavendelfarbenen Rüschenumhang aus fließendem Stoff mit einem weißen Kaninchenfellkragen und hatte sich wie Aurora mit mehreren Halsketten und Armbändern geschmückt. Madame Dusoleil trug natürlich ein fließendes meergrünes Ballkleid und hatte sich grüne Glasperlen durchs Haar geflochten und zwei Halsketten aus Jade und dazu passende Armbänder angelegt. Ihr Mann trug einen smaragdgrünen Samtumhang und dazu einen dunkelbraunen Zaubererhut. Mademoiselle Dusoleil hatte sich in eine himmelblaue Ballrobe gehüllt, deren Kragen und Ärmel mit sonnengelbem Samt besetzt war. Denise trug ein rosa Kleidchen und hatte eine Kette aus bunten Holzkugeln um den Hals hängen.
"Früh übt sich ...", flüsterte Mrs. Andrews und bereute, daß sie keinen Schmuck mitgenommen hatte. Dann ließ sie sich von ihrem Sohn aus dem Haus führen, wo sie sich mit den Nachbarn der Dusoleils trafen. Mit der fliegenden Kutsche, vor die das mit goldenen und bunten Gehängen geschmückte weiße Flügelpferd gespannt war, reisten Martha und ihr Sohn zum Musikpark, wo sie von Madame Lumière und Madame Delamontagne erwartet wurden. Die Tanzfläche war ein wenig kleiner als im Sommer, aber dafür war ein Aufgebot an bunten Lichtern, die bis in den Himmel strahlten, um die großen Tische herum entzündet worden. Eine Tanzkapelle spielte leise langsame Klänge, als die Dusoleils mit ihren Gästen an einen Langen Tisch traten und sich niederließen. Diesmal waren es weniger Gäste, als noch zum Sommerball, weil hier nur die Dorfbewohner und einige Besucher zusammenkamen. Als dann alle, die an der Neujahrsfeier teilnehmen wollten, eingetroffen waren, an den Tischen saßen, trat Madame Lumière auf die Bühne zu dem Tanzorchester. Ein Tusch schmetterte kraftvoll über den Festplatz. Dann sprach Madame Lumière:
"Sehr geehrte Festgäste, wieder einmal ist ein Jahr kurz vor dem Ende. Wieder einmal wird in wenigen Stunden ein großes Feuerwerk das Ungemach des alten Jahres vertreiben und das neue Jahr einladen, uns mit besseren Tagen zu beglücken. Ich möchte Ihnen und euch, die heute wieder zusammengekommen sind oder zum allerersten Mal mit uns feiern, viel Vergnügen für diesen Abend und alles alles gute für das kommende Jahr wünschen! Bleibt mir noch, euch und Sie daran zu erinnern, daß im Laufe des Abends drei warme und vier kalte Buffets für das leibliche Wohl zur Verfügung stehen. Der Ausschank alkoholhaltiger Getränke ist nur für Gäste über fünfzehn Jahren gestattet. Und nun lassen wir uns die guten Tage des verrinnenden Jahres feiern und die schlechten Tage einstweilen vergessen!"
Applaus erklang nach dieser kurzen Rede der Dorfrätin für Kunst und Kulturveranstaltungen. Diese kehrte dann an den Tisch zurück, an dem ihr Mann, ihre älteren Kinder, Barbara und Jacques, die Delamontagnes und die Dusoleils mit ihren Gästen saßen. Dann ging das Fest mit Musik los.
nach einer ausgedehnten Essenszeit mit vielen leckeren Gerichten aus Fisch, Fleisch, Gemüse und Meeresfrüchten, wurde zum Tanz aufgespielt. Da zunächst die Damen unter den Herren wählen durften, nahm Barbara ihren jüngeren Bruder auf die Tanzfläche mit. Martha Andrews sah sich um, ob ihr jemand zusehen würde. Tatsächlich sahen ihr viele Festgäste zu, was sie nun machen würde. Sie gab sich einen Ruck und stand auf.
"Darf ich bitten, Monsieur?" Fragte sie ihren Sohn. Der ließ sich nicht lange bitten und begleitete seine Mutter auf die Tanzfläche, wo er mit ihr einen langsamen Walzer tanzte, fast so, als hätten sie zusammen die Tanzschule besucht. Jeanne, die mit Bruno Chevallier tanzte, näherte sich einmal vorsichtig und lächelte Julius' Mutter zu.
Alle, die Mutter und Sohn Andrews zusahen, waren sichtlich beeindruckt. Nur Jacques nicht. Der schien das irgendwie blödsinnig zu finden, bis ihn seine eigene Mutter auf die Tanzfläche holte.
So verflog die Zeit, die letzten Stunden des alten Jahres, während derer die Andrews' häufig auf der Tanzfläche anzutreffen waren. Julius tanzte flotte Stücke mit Jeanne, Barbara oder Seraphine Lagrange, die mal sagte, daß es schade sei, daß Claire nicht in Millemerveilles sein konnte. Er tanzte auch mit Caro, Sandrine und Elisa, Seraphines Schwester, während seine Mutter mit Monsieur Dusoleil, Monsieur Lumière, Monsieur Delamontagne oder Dorian Dimanche tanzte. Dann kam die letzte Viertelstunde des alten Jahres. Alle setzten sich an ihre Tische
"Nun werden unsere Feuerwerksspezialisten die Probleme und Mißgeschicke des verstreichenden Jahres einsammeln und an ihre Wunderwerke binden, um sie damit in den Wind zu schießen, wenn der letzte Glockenschlag um Mitternacht erklungen ist", verkündete Madame Lumière. Barbara, die zur linken von Julius saß, gab ihrem Mitschüler aus dem grünen Saal ein unbeschriebenes Pergament und flüsterte, daß er das an seine Mutter weitergeben mochte. Sie bräuchte dann nur mit der bereitliegenden Feder ihre größten Unannehmlichkeiten des Jahres niederzuschreiben. Er, Julius, sollte dies auch tun. "Die Notizen bleiben nur eine Minute lang sichtbar und verschwinden dann im Pergament. Wenn unsere Feuerwerker die gesammelten Notizen abfeuern, werden sie zu roten und giftgrünen Leuchtsternen. Wir glauben, daß man zunächst den Ballast des alten Jahres abwerfen muß, bevor man die Hoffnungen für das kommende Jahr mit lautem Krach in die Nacht schrillen läßt."
Mrs. Andrews nickte, als ihr das Pergamentstück gereicht wurde und schrieb sich tatsächlich was auf. Julius fragte Barbara, ob man darüber sprechen dürfe, was jemand aufschrieb. Sie schüttelte den Kopf.
"Nein, das darf man nicht sagen, bis der Neujahrstag verstrichen ist, weil die Abfeuerung dann keinen Sinn macht, Julius. Viele sagen das dann auch nicht, wenn das Nächste Jahr schon wieder zu Ende geht. Ist vielleicht auch besser so."
"In manchen Fällen vielleicht. Aber man kann ja einiges nicht einfach so wegpulvern, was wichtig ist, obwohl es unangenehm ist", sagte Julius. Seine Mutter, die gerade das beschriebene Pergament zusammenfaltete, nickte.
"Aber die Idee als solches ist mal interessant. Wenn einiges auch nicht mit dem letzten Glockenschlag des Jahres verschwinden kann, Mademoiselle Lumière", sagte sie und legte ihr Pergamentstück zu dem von Julius. Dieser hatte aufgeschrieben, daß er seinen Vater vermißte und sich nicht sicher sei, ob Beauxbatons wirklich die richtige Schule für ihn war, daß er Kevin und Gloria bedauerte, weil in Hogwarts derzeitig eine bösartige Handlangerin eines offenbar überängstlich unterdrückenden Zaubereiministers Lehrer und Schüler drangsalierte. Dann faltete er das Pergament zusammen und legte es zu dem großen Stapel beschriebener Pergamente. Zu denen, die für das Feuerwerk zuständig waren, gehörte auch Monsieur Dusoleil. Er sammelte an seinem Tisch die Pergamente ein und ging zu einigen Hexen und Zauberern, die ihrerseits Pergamentstücke eingesammelt hatten. Dann spielte die Tanzkapelle beschwingte Musik, die vorhielt, bis es nur noch fünf Minuten bis zur Jahreswende waren. Alle erhoben sich von ihren Plätzen. Die Feuerwerker hantierten mit ihren Zauberstäben und kehrten dann zu ihren Familien und Freunden zurück. Julius wollte schon fragen, ob jenes schottische Lied gespielt würde, mit dem in Großbritannien die letzten Minuten des Jahres ausgespielt und -gesungen wurden. Da legte die Gruppe von Musikern auch schon los, ein stimmungsvolles Lied zu spielen, das alle mitsangen, die es kannten. Julius erkannte es als eines, das in einem Liederbuch von Professeur Faucon stand und sang den Kehrreim mit. Dabei merkte er, daß er nicht mehr die hohen Töne traf, die er vor anderthalb Jahren noch locker hatte trällern können.
"O ich glaube, meine Stimme will nicht mehr so hoch", sagte er belustigt zu seiner Mutter. Diese lächelte, während sie zuhörte, wie alle sangen. Sie vermißte das übliche Lied überhaupt nicht. Sie fühlte sich einfach nur wohl, unter so vielen Leuten zu stehen und ihren Sohn und dessen gute Bekannte an seiner Seite zu wissen.
"Die letzte Minute läuft!" Rief Madame Lumière mit magisch verstärkter Stimme. Ein Ring aus sechzig bunten Lampions, der bis dahin nicht entzündet worden war, flammte sich über alle Tische spannend auf. Dann erlosch pro Sekunde ein Licht nach dem anderen. Alle zählten mit, wie es nur noch fünfzig, vierzig, dreißig und zwanzig lichter waren. Bei zehn leuchtenden Lampions erschienen volle Sektgläser vor den Erwachsenen und Orangensaftgläser vor den Kindern auf den Tischen. Alle legten die rechte Hand an das Glas und hoben es an, während sie laut die letzten zehn Sekunden herunterzählten.
"Zehn! - Neun! - Acht! - Sieben! - Sechs! - Fünf! - Vier! - Drei! - Zwei! - Eins! - Prosit Neujahr!!!!" Erklang es aus fast allen Kehlen der anwesenden Gäste. Gleichzeitig erklang eine silberhell läutende Glocke, die mit zwölf lauten Schlägen die Mitternacht und die Jahreswende 1995 / 1996 verkündete. Während des Läutens prosteten sich die Festgäste gegenseitig zu, wobei Mrs. Andrews erst mit ihrem Sohn und dann mit Aurora Dawn anstieß. Julius stieß mit Barbara an, als diese mit ihrer Mutter und ihrem jüngeren Bruder angestoßen hatte. Jeanne stieß mit Julius an, nachdem sie mit ihren Eltern das neue Jahr begrüßt hatte und sagte fröhlich:
"Auf das nächste, hoffentlich schöne Jahr, Julius! Schön, daß du bei uns bist!"
Als der zwölfte Glockenschlag ertönte, schnellten mit lautem Zischen und Heulen rote und grüne Raketen in den Himmel, zerbarsten mehrere hundert Meter über dem Festplatz in Schauer aus roten und grünen Sternen. Über zwanzig schnelle Salven der ersten Feuerwerksraketen fuhren fauchend empor, zerstreuten im Lichterregen die notierten Unannehmlichkeiten der Feiernden. Während dieser Zeit prosteten sich die Neujahrsfestgäste weiter gegenseitig zu. Julius ging zu Aurora Dawn, danach zu Madame Dusoleil, die ihm strahlend zuwisperte:
"Das letzte Jahr war wohl schwierig für dich. Aber das neue wird dafür sehr viel besser für dich, Julius."
Die Reihe der sich ein frohes neues Jahr wünschenden Gäste wurde fortgesetzt. Julius stieß mit Madame Delamontagne an, die ihm zusprach, daß er nun endlich einen festen Platz gefunden habe und zuversichtlich in die Zukunft blicken mochte, egal, was das Jahr bringe. Er prostete Sandrine und Caro zu, traf die Lagranges und wünschte auch den Quidditchspielern der verschiedenen Hausmannschaften ein schönes neues Jahr.
Nachdem er fast allen in Millemerveilles lebenden Beauxbatons-Schülern ein frohes Neues gewünscht hatte und zu seiner Mutter zurückkehrte, stand diese mit Madame Delamontagne zusammen und unterhielt sich auf Englisch über Pläne, wie das nächste Jahr angegangen werden konnte. Eine halbe Stunde verflog, während der Feuerwerk unterschiedlichster Form, Farbe und Wirkungsweise abgebrannt wurde. Julius durfte wie Jacques und Dorian auch einige kleinere Lichtdrachen loslassen, die silbrig, goldrot oder giftgrün über die Köpfe der Festgemeinde aufstiegen und dort zischend und fauchend große Kreise zogen, dabei Funken und Rauchkringel ausbliesen, bis sie mit scharfem Knall in reinen Rauch aufgingen.
Als das neue Jahr schon eine Stunde alt war, nahm ihn Madame Dusoleil bei Seite und verkündete ihm, daß sie nun wieder in ihr Haus zurückkehren würden. Denise schlief bereits. Ihr Vater trug sie in seinen Armen. Die einspännige Kutsche ging um kurz nach eins auf dem Vorplatz der Tanzfläche nieder und nahm die Gäste der Dusoleils auf. Um halb zwei betraten Gastgeber und Gäste wieder das große Wohnhaus im Zentrum einer wohlgeordneten Gartenanlage und machten sich bettfertig. Totmüde fielen die Andrews' in die Betten, nachdem sie allen eine gute Nacht gewünscht hatten.
__________
Der erste Januar brachte strahlenden Sonnenschein bei einer Temperatur von fünf Grad Celsius. Ein ausgedehnter Spaziergang rund um das Dorf war für alle, die daran teilnahmen, ein herrlicher Einstand in das noch nicht ganz einen Tag alte Jahr. Am Nachmittag verabschiedeten sich die Andrews von den Dusoleils, Lumières und Delamontagnes. Julius ging auch noch mal bei Madame Matine vorbei, die noch was zu ihm sagte:
"Du bekommst von mir in nächster Zeit ein kleines Buch für Frühgeburtsersthilfe. Ich habe das zwar mit dir durchgenommen, aber wenn man was nicht ständig übt, rostet es ein. Ich weiß zwar, daß Schwester Florence damit klarkommen wird, bin jedoch beruhigt, daß neben Martine Latierre und Jeanne noch jemand aus ihrem Pflegehelfertrupp mit vorgeburtlichen Maßnahmen vertraut ist. Halt dich wacker und beflissen! Wahrscheinlich sehen wir uns im Sommer wieder."
"Denke ich auch, Madame Matine. Alles gute noch für Sie!" Sagte Julius und kehrte zum Haus der Dusoleils zurück, wo bereits die kleine Kutsche mit der geflügelten Schimmelstute wartete. Martha und Julius Andrews reisten damit zurück bis vor die Abgrenzung, mehr als zehn Kilometer vom Teich in der Dorfmitte entfernt. Dort erwartete sie schon der grüne Peugeot mit seinem Fahrer, der sie ohne großes Aufheben in nur einer Stunde und zehn Minuten zurück nach Paris brachte, wo sie den Brickstons ebenfalls ein schönes neues Jahr wünschten.
Auf dem Anrufbeantworter in der neuen Wohnung der Andrews' waren drei Nachrichten abgespeichert worden, blinkte ihnen der Apparat gleich entgegen, als sie das Wohnzimmer betraten. Die erste Nachricht stammte von Onkel Claude:
"Hallo, Martha und Julius. Ich dachte zwar, daß ihr über den Jahreswechsel in dieser Wohnung anzutreffen seid, muß es aber zur Kenntnis nehmen, daß ihr nicht da seid. Martha, ich hoffe, du hast meine Karte gekriegt. Ich werde mich dies bezüglich noch mal an dich wenden, wenn näheres geklärt ist. Ein frohes Neues euch beiden."
"Dann muß ich doch Riverside anrufen und mit Catherine reden, was ich da machen soll", seufzte Martha Andrews.
Die zweite Nachricht stammte von Ryan Sterling. Woher hatte der bloß die Nummer von den Andrews'?
"Hallo, Martha und Julius. Ich habe eure neue Adresse und Telefonnummer vor einer Woche erhalten. Ich möchte euch nur sagen, daß es mir leid tut, daß ihr mit Richard nicht mehr zusammenlebt. Aber offenbar wollte er das so haben, wie ich jetzt weiß. Ich wollte euch nur schöne Weihnachten gehabt zu haben wünschen und wünsche euch einen guten und erfolgreichen Übergang ins neue Jahr! Julius, meine Patentante hat mich gebeten, dir von ihr noch schöne Grüße auszurichten. Sie sei, so sagte sie mir, sehr beruhigt zu wissen, daß du dich wohlbefindest. Vielleicht lassen Claudia und ich ja noch mal von uns hören. Bis dann!"
"vom 29. Dezember ist die Nachricht", wunderte sich Martha. Dann stutzte sie.
"Kennst du die Patentante von Dr. Sterling, Julius?"
"Ja, ich habe die letzten Ostern kennengelernt, wo du in San Francisco warst und ich mit Paps die Party von den Sterlings besucht habe. Das ist eine echte englische Lady, Mum. Kein Witz."
"Wußte nicht, daß es auch Hexen in der britischen Aristokratie gibt", murmelte Mrs. Andrews und wurde sich wohl da erst bewußt, was sie da ausgesprochen hatte.
"Moment, soll das heißen, Dr. Sterling ist ..."
"Nein, Mum, der ist und bleibt ein ganz gewöhnlicher bodenständiger Chemiker. Der hat nur 'ne Hexe als Patentante, wie Cinderella 'ne Fee als Patentante hatte", sagte Julius und verschwieg dabei, daß seine Mutter vor einer Woche Dr. Sterlings Nichte Pina in dieser Wohnung zu Gast gehabt hatte.
"Und ich dachte schon, Ryan wäre auch einer."
"Nein, Mum. So häufig kommen wir nun nicht vor", lachte Julius belustigt. Dann erzählte er, wie sich Lady Genevra von Hidewoods ihm offenbart hatte, weil sie von einer guten Bekannten gehört hatte, daß er, Julius, ein vollwertiger Zauberer sei. Das genügte seiner Mutter. Sie fragte nicht nach, weshalb diese Hexe sich um Ryan kümmerte. Ihr war nur wichtig, das jemand aus dem Dunstkreis von Richard nicht der Meinung war, sie habe ihn schnöde abserviert.
Die dritte Nachricht stammte von den Porters. Sie wünschten auch noch mal ein schönes neues Jahr. Gloria sagte Julius, daß sie um elf Uhr mitteleuropäischer Zeit an ihn denken würde, und er wisse schon, was damit gemeint sei. Auf die Frage seiner Mutter, was sie meinte, zeigte ihr Julius die Zweiwegspiegel und sagte, daß dies niemand in Beauxbatons wissen solle. Mrs. Jane Porter habe ihm die beiden magischen Gegenstände gegeben, um sich und ihn auf dem laufenden zu halten, was ihn Hogwarts vorgehe. Sie nickte verstehend.
Am Abend kam Catherine kurz herauf um sich bei einer Flasche Bordeauxwein, beziehungsweise frischem Fruchtsaft erzählen zu lassen, wie es in Millemerveilles gewesen sei. So verging die Zeit bis zwölf Uhr Mitternacht. Der erste Tag von den letzten Tagen des Jahres 1996 ging damit zu Ende.
__________
Nach dem Weihnachts- und Neujahrstrubel dauerte es nicht lange, bis das Ende der Schulferien nahte. Julius hatte in der Zeit zwischen dem ersten Januar und dem Wiederbeginn der Schule oft und viel über die Familie gesprochen, sich überlegt, wie man mit den übrigen Verwandten in gutem Kontakt bleiben konnte. Doch in Beauxbatons konnte Julius seiner Mutter nicht großartig helfen. Doch sie würde schon Wege finden, mit Onkel Claude ins Reine zu kommen, notfalls über den Anwalt, der ein muggelstämmiger Zauberer war.
Als die Schülerinnen und Schüler von Beauxbatons im grünen Ausgangskreis standen, war Catherine die einzige, die Julius verabschiedete. Er hatte sich eine Viertelstunde vorher von seiner Mutter verabschiedet, die ihn bat, er möge ihr öfter Briefe schicken, wenn es sich einrichten ließ. Als dann die Professoren Paximus und Paralax ihre Schüler um sich versammelt hatten, trat Catherine zurück und sah zu, wie sich nach dem Aufruf einer mächtigen Zauberformel die sonnenuntergangsrote Reisesphäre über die Schüler entfaltete, sie komplett umschloß und davontrug. Wenige Sekunden später kamen sie auch schon in Beauxbatons an.
Die dort zurückgebliebenen grüßten ihre Freunde und Klassenkameraden aus Paris. Martine Latierre, die während des Übergangs neben Julius gestanden hatte, deutete auf drei Mädchen, von denen eines leicht untersetzt war und eines hager und hochgewachsen.
"Dein Begrüßungskommitee, Julius. Willkommen zu Hause in Beauxbatons!"
Julius grinste zwar, aber nicht aus freiem Herzen. Erst als er Claire, Céline und Bébé direkt ansehen und begrüßen konnte, fand er sein Lachen wieder. Professeur Faucon bedeutete den Bewohnern des grünen Saales, zu warten, bis alle Schüler zurück waren, bevor sie in den weißen Palast von Beauxbatons zurückkehren sollten, um dort zum Abendessen in den Speisesaal zu gehen. Der Alltag holte Julius wieder ein. Beauxbatons, die Akademie, in der alles geregelt war, zumindest fast alles, forderte sofort wieder die üblichen Abläufe von ihren Schülerinnen und Schülern. Das war doch etwas anderes, als die gemächliche Anreise im Zug, mußte der Drittklässler aus dem grünen Saal feststellen. Aber sonst war Weihnachten doch fast so wie früher verlaufen. Er hatte mit seiner Mutter feiern können, Musik aus einer Stereoanlage gehört und neue Computerspiele ausprobiert. Fast so wie früher. Ob sein Vater nun nicht dabei war, weil er in der Firma war oder weil er in Übersee, weit von seiner Vergangenheit, ein neues Leben angefangen hatte, war zu vernachlässigen. Und das Neujahrsfest war einfach schön gewesen. Er hatte den Eindruck gewonnen, daß seine Mutter von den Hexen und Zauberern als gleichwertiger Mensch und nicht nur als Muggel angenommen worden war, zumal ihre Französischkenntnisse überraschend gut gediehen waren. Doch sonst war es fast so wie früher gewesen, fand Julius Andrews, der aus England herübergekommene Schüler der dritten Klasse in Beauxbatons.