Julius war sehr aufgeregt. Um ihn herum sangen und jubelten junge Hexen. Die von ihnen erwählten Zauberer sahen teils überglücklich teils stolz ihre Kameraden an. Selbst die, welche keinen Partner oder eine Partnerin abbekommen hatten waren irgendwie in sehr guter Stimmung. In einer Stunde würde Madame Maxime die Walpurgisnachtfeier eröffnen, für die jungen Zauberer ausreichend Zeit, sich fein zu machen.
Der ganze Palast war geschmückt mit sich ringelnden bunten Luftschlangen, tanzenden Feen und in allen Farben des Regenbogens brennenden Kerzen, die in den Leuchtern steckten. Die Hexen in den Gemälden trugen schillernde Kleider und hatten ihre Haare besonders sorgfältig frisiert. Aus magischer Quelle erklangen leise Hexenlieder, die er aus den Liederbüchern kannte, welche er zu verschiedenen Feiertagen geschenkt bekommen hatte.
"Na, Julius, aufgeregt?" Fragte sein Klassenkamerad Robert Deloire.
"Das ist irgendwie heftig hier. Ich hab's an Halloween nicht so umfangreich erlebt, als ich in Hogwarts war", antwortete Julius und fühlte sich von Minute zu Minute so, als würde immer ein Brausestäbchen mehr in seinem Bauch landen. Er fragte Robert:
"Das ist jetzt die dritte Walpurgisnacht bei dir?"
"Die ich mitkriege, Julius. Aber richtig feiern tu ich die erste, genau wie du. Ist doch was anderes, finde ich."
"Hmm, ist sehr interessant, wie sich das anfühlt. An und für sich ist es nur 'ne Party. Aber wieso bin ich jetzt gerade so in einer heftig tollen Stimmung?"
"Weil du eben weißt, daß du heute mit einer schönen Hexe den ganzen Abend zusammenbist und dich mit ihr und uns allen gut amüsieren darfst - solange wir dabei angezogen bleiben."
"Das wäre ja noch heftiger, wenn das eine gemeinschaftliche ... Aber lassen wir das! Bébé hat uns ja erzählt, wie gut gelitten die Walpurgisnacht bei den Muggeln ist", entgegnete Julius Andrews.
Zusammen mit seinen Klassenkameraden ging er durch die Zeitversetztgänge und Tricktreppenhäuser zum grünen Saal, wo nur junge Zauberer waren. Edmond Danton, der Saalsprecher, sah als einziger so aus, als würde er sich nicht freuen. Dabei wußten alle, daß er schon die fünfte Walpurgisnacht mit einer Partnerin verbringen würde, viermal davon war es die Saalsprecherin der Roten gewesen.
"Bin mal gespannt, welche Lehrerin mit welchem Lehrer zusammenkommt", sagte Hercules Moulin auf dem Weg zum Drittklässlerschlafsaal. "Letztes Mal mußte Professeur Paralax hinter Madame Maxime auf Calypso sitzen. Einen Tag drauf lief der so daher." Er ging breit- und steifbeinig daher, wie ein Westernheld nach einem langen anstrengenden Ritt. Robert und Julius lachten. "Ja, und unsere Saalkönigin hat Paximus abbekommen. Dem war aber irgendwie übel danach."
"Komm, Professeur Faucon kann sehr schön aussehen, habe ich in Millemerveilles schon oft gesehen", warf Julius ein. Die Jungen lachten.
"Unser Sternengucker ist kein Freund der schnellen Besen, Julius. Das war Königin Blanche irgendwie peinlich, daß der mitten im Flug sein Abendessen wieder hergegeben hat. Zum Glück ist der Matsch weder auf ihrem blauen Schillerschleier noch auf anderen Schülern gelandet. Aber zumindest hat er sich dann am Boden gut gehalten."
"Wie geht das noch mal, daß die Lehrerinnen ihre Partner finden?" Fragte Julius, der über Hercules' Kurzbericht etwas grinsen mußte.
"Hat dir das deine Ferienmammi nicht erzählt?" Fragte Robert Deloire gehässig, mußte dann aber lächeln. "Das erzählen die ja keinem, der das nicht selbst erlebt. Wen würde es interessieren, wie die Lehrerinnen hier ihre Partner auswählen. Wer hier ist kriegt das sowieso mit, wie mit dem Farbenteppich."
"Klar, Robert. Seh' ich ein", gab Julius zurück.
Als sie in ihren Schlafsälen ankamen, holten die Jungen ihre besonderen Festkostüme aus den Koffern. Julius prüfte, ob sein Walpurgisnachtumhang knitterfrei war und ob die Schuhe und Strümpfe, die er passend dazu gekauft hatte noch so glitzerten, wie an dem Tag, als er sich in der Rue de Camouflage damit eingedeckt hatte. Er betrachtete den blutroten Umhang mit den feuerroten Zierknöpfen, die bei verändertem Blickwinkel sogar flackerten und den korallenroten Kragen mit den vergoldeten Spitzen. Robert staunte nur. Er hatte gerade einen luftig fließenden Umhang aus himmelblauem Stoff auseinandergefaltet, der einen sonnengelben Kragen und vergoldete Knöpfe in Sonnenform besaß.
"Meine Fresse, dein Umhang ist ja Rattenscharf. Drachentänzer? War meiner Ma zu teuer. Aber wahrscheinlich haben die Faucon und ihre Tochter voll zusammengeschmissen, damit du den kriegst. Aber woher warst du dir sicher, daß Millie oder Belisama auch auf Rot stehen würden?"
"Weil Claire ihm verboten haben wird, die beiden nur anzusehen, bevor sie ihn nicht sicher hat, du Dummbatz. Céline hat dich ja schon voll sicher", warf Hercules ein, der einen leicht silbrig glitzernden Umhang entfaltete. Julius staunte, wie schön auch die anderen Umhänge aussahen.
Gérard hatte sich einen glitzernd grasgrünen Umhang mit goldenen Verzierungen besorgt, während Gaston und André in satten Blautönen auftraten. Er wußte, daß solche Festumhänge spezielle Lichteffekte erzeugen konnten und war schon gespannt darauf, wie das bei den anderen aussehen würde.
Er dachte zurück, wie es nach den Ferien losgegangen war. Sie hatten sich über ihre Erlebnisse unterhalten. Julius hatte sogar erzählt, was Goldschweif angestellt hatte und daß ihm das nicht sonderlich gefallen hatte. Er dachte an den ersten Morgen nach den Ferien zurück.
__________
Es war eigentlich wie jeder erste Morgen einer neuen Woche Schule. Julius hatte die Ferien förmlich wie ein Wochenende in seinem Gedächtnis abgelegt. Sie saßen beim Frühstück und unterhielten sich über die Hausaufgaben, die sie hatten machen müssen. Hercules Moulin fragte Julius:
"Denkst du, daß wir bei Trifolio schon mit den Drachentaugräsern anfangen, Julius? Die drei Rollen, die Bohnenstange haben wollte habe ich ja so nicht vollkriegen können."
"Ich denke, die sind erst Ende April fällig, Hercules. Die besonderen Eigenschaften der Drachentaugräser treten nämlich erst Mitte des Frühlings richtig hervor. Wenn er die uns zeigen will, muß er noch warten", beruhigte Julius seinen Klassenkameraden.
"Mir war dieser Bericht für Bellart über die Gefahren bei Gefühlsbeeinflussungszaubern wichtiger", sagte Robert. "Bin mir sicher, daß ich da alles hingekriegt habe."
"Werden wir ja in einer Woche wissen, Robbie", warf Hercules ein.
Sie verglichen, was sie für Professeur Faucon alles zusammengetragen hatten oder was Cognito im Bezug auf den Aufbewahrungsort von Kristallkugeln wissen wollte. Zwischendurch flogen die Posteulen herein. Dabei merkte Julius, wie viele Mädchen sich umsahen, wo Eulen hinflogen, die eindeutig von ihnen abgeschickt worden waren. So landete eine Sumpfohreule bei Hercules, die von Bernadette Lavalette stammte. Bei Robert setzten gleich zwei Eulen auf, während zu Julius vier Eulen kamen. Die dritte davon war Claires Waldohreule Viviane. Deren Besitzerin sah unangenehm überrascht zu ihrem Freund hinüber, der die Briefe von den Eulen entgegennahm, die dann zurück in ihre Eulereien flogen. Der Erste Brief, den eine schöne Schneeeule gebracht hatte, stammte von Belisama Lagrange. Er las:
Hallo, Julius,
ich hoffe, du hattest schöne Ferien. Meine Maman hat mir erzählt, daß du bei Tante Adele warst und Polonius, unseren Superspieler, auch getroffen hast. Ich hörte auch, daß dieses Knieselweibchen, Goldschweif, bei dir in Millemerveilles war.
Wahrscheinlich wirst du dir schon Gedanken gemacht haben, ob du gerne zu Walpurgis mit einer Hexe zusammen feiern möchtest. Ich weiß zwar, daß du dich wohl schon festgelegt hast und habe auch kein Problem damit. Ich möchte dir nur anbieten, daß du, falls du wider erwarten noch keine feste Verabredung getroffen hast, gerne zu mir kommen darfst, um mit mir zusammen diesen herrlichen Hexenabend zu verbringen.
Wir sehen uns ja dann bei Trifolio.
Einen Schönen Wochenanfang wünscht dir
Belisama Lagrange
Julius nickte. Das hatte er erwartet, daß Belisama ihn wohl einladen würde. Allerdings hatte sie sich wohl schon beim Schreiben auf ein Nein eingerichtet. Der zweite Brief war da schon selbstbewußter. Er war von einem jungen Steinkauz gebracht worden und teilte mit:
Hallo, Julius!
An und für sich solltest du den Brief schon vor zwei Tagen kriegen, damit sicher ist, daß du den als ersten kriegst. Aber Maman und Martine waren dagegen. Sie meinten, ich sollte dich erst hier richtig anschreiben.
Wie du weißt, haben wir ja vom 30. April zum 1. Mai die Walpurgisnacht, wo sich die Hexen Europas mit Zauberern ihrer Wahl eine herrliche Feier gönnen, mit Besenfliegen, Tanzen, Singen und Spielen zu zweit. Ich hörte, daß bei Erwachsenen letzteres noch wilder sein soll als es hier in Beauxbatons erlaubt ist.
Wahrscheinlich wirst du von der netten Dame Dusoleil schon gebucht worden sein. Aber solange du von der keine offizielle Einladung hast, bist du offiziell frei ansprechbar, und sie kann da nichts gegen sagen. Außerdem finde ich, daß es doch sehr schön aussähe, wenn du in deinem Drachentänzer-Umhang zusammen mit mir auf einem Besen sitzen würdest. Claire weiß, daß sie nicht dieSuperfliegerin ist. Wahrscheinlich dürfte sie mit dir oder wem auch immer hinten drauf nicht so tolle Manöver fliegen. Legst du also Wert darauf, den Abend mit jemanden zu verbringen, die dir fliegerisch näher kommt, dann schick mir am besten gleich deine Zustimmung.
Keine Sorgen, daß an deiner Beziehung zu Claire was kaputt geht! Viele Hexen erwählen sich Zauberer, die schon fest verplant sind. Man will ja schließlich auch mal was anderes ausprobieren dürfen, oder?
Hiermit lade ich dich also offiziell ein, bei Walpurgis mein Begleiter zu sein. Ich freue mich schon!
Mildrid Ursuline Latierre
Julius schmunzelte. Die ging voll ran, wenn sie was wollte, dachte er. Doch er legte den Brief schnell bei Seite, weil Claire ihn genau beobachtete und öffnete den Brief, den Viviane gebracht hatte.
Sehr geehrter Monsieur Julius Andrews,
ich wende mich an Sie, da in einigen Wochen das alljährliche Fest der Walpurgisnacht auf dem Gelände der Beauxbatons-Akademie begangen wird. Ich erfuhr, daß Sie ausgiebig über Zweck und Ablauf dieses hohen Feiertages informiert wurden, der vor allem für uns Hexen ein sehr willkommener und gern verlebter Anlass ist, uns den Zauberern erkenntnlich zu zeigen, die uns im verstrichenen Jahr oft und gerne Gesellschaft geleistet und uns sehr respektvoll und aufmerksam durch das Jahr begleitet haben.
Anlässlich dieses bevorstehenden Festabends möchte ich Sie recht herzlich einladen, diesen in meiner Gesellschaft zu verbringen, auf daß das gute Verhältnis, welches Sie mit mir pflegen noch besser werden möge. Ich gehe davon aus, diese Einladung findet Ihre Zustimmung, und Sie erweisen mir die Ehre und das große Vergnügen, diese Einladung anzunehmen.
Mit sehr herzlichen Grüßen
Mademoiselle Claire Dusoleil
Julius meinte zunächst, ein Schreiben von Belle Grandchapeau gelesen zu haben. Warum drückte sich Claire nicht so einfach wie Belisama aus? Gut, so wie Mildrid mußte sie ja auch nicht schreiben. Aber das war ja schon amtlich. Er nahm den vierten und letzten Brief, den ein Rauhfußkauz zu ihm getragen hatte. Er lautete:
Hallo, Julius!
Ich denke, du hast schon davon gehört, daß wir Hexen uns einen Begleiter zur Walpurgisnacht einladen dürfen. Wahrscheinlich hast du schon einige Einladungen bei dir liegen, wenn der Brief bei dir ankommt, weil meine Eule nicht so schnell fliegen kann.
Ich möchte dich fragen, ob du gerne mit mir zusammen an der Walpurgisnachtfeier teilnehmen möchtest. Ich kann mir sehr gut vorstellen, daß wir beide sehr gut zusammen fliegen, tanzen und an den Festtagsspielen teilnehmen werden. Also, wenn du möchtest oder schon eine andere Einladung angenommen hast, schreibe mir bitte zurück.
Eine schöne Zeit wünsche ich dir auf jeden Fall
Edith Messier
"Oh, vier Einladungen, Julius? Da mußt du aber dann eine auf jeden Fall annehmen. Sonst kriegst du es mit vier Hexen gleichzeitig zu tun", feixte Hercules. Julius erwiderte:
"Wohl dem, der nur eine kriegt. Die kann er dann ablehnen oder annehmen."
"Tja, und wie machst du's jetzt, Julius. Wer zu erst kommt?"
"Wenn er das macht, kriegt er Ärger, denke ich. Célines Brief war der zweite. Und bei Julius war Claires Brief der dritte. Da mußt du dich wohl festlegen, Julius", wandte Robert ein.
"Such dir am besten die aus, die am nachtragendsten und am stärksten ist, was Flüche angeht", warf Hercules Moulin ein. Gaston, der auch einen Eulenbrief bekommen hatte, schien die lockere Unterhaltung wohl nicht so toll zu finden. Er sah Hercules und dann Julius an.
"Ich habe hier auch 'ne Einladung gekriegt, obwohl ich wie André ja noch nicht verplant war. Ist das eigentlich wichtig, so'ne Einladung anzunehmen?"
"Gaston, du bist schon das dritte Jahr hier und weißt es noch nicht, daß die Hexen an diesem Tag die Väter ihrer Kinder aussuchen?" Flachste Hercules. Julius fand das nicht so zum verulken. Immerhin las sich Millies derbe Schreibe und Claires formvollendeter Brief für ihn so, daß es den betreffenden Junghexen schon wichtig war, ihn als Walpurgisnachtpartner zu haben. Daß Edith Messier ihn auch einlud, wunderte ihn ein wenig. Außer an den Vier tagen als Belles unverhoffte Zwillingsschwester hatte er mit der Violetten nur im Arithmantikunterricht zu tun. Sicher Ihre Cousine Estelle aus dem weißen Saal kannte er ja aus Millemerveilles, aber da auch nur flüchtig. Belisama hatte ihm gegenüber schon deutlich genug zu erkennen gegeben, daß sie ihn gerne hier in Beauxbatons hatte. Allerdings war dieses Mädchen mit dem honigfarbenem Haarschopf und den bergquellklaren Augen nicht böse auf Claire. Millie, die es zwischendurch immer wieder drauf anlegte, mit Julius zusammen zu sein, ging da schon heftiger ran. Aber eigentlich hatte er sich doch schon längst auf die Walpurgisnacht an Claires Seite gefreut. Dann dachte er daran, was Catherine ihm über die Veranstaltung erzählt hatte. Sogesehen war entweder Belisama oder Claire ihm lieber als Millie. Edith kannte er nicht gut genug, um sich da was drunter vorzustellen. Vielleicht wollte sie auch nur testen, welcher Junge mit ihr zusammen an dieser Feier teilnehmen würde.
"Wenn Céline die zweite war, Robbie, wer hat dir die erste Einladung zugeeult?" Wollte Hercules wissen.
"Was juckt dich das, Culie?" Fragte Robert leicht ungehalten zurück und verbarg die zwei Briefe sofort wieder.
"Vielleicht hat Madame Maxime ihm ja zur Strafe aufgegeben, mit ihr zu feiern", flötete Gérard, der gerade einen Brief fortpackte, den ihm ein weiblicher Uhu gebracht hatte.
"Nach dem Vogel da zu urteilen wärst das du, der diese Einladung dann gekriegt hätte", schickte es Robert postwendend zurück.
"Das war Theresia, Sandrines neue Eule, du Trollpopel", knurrte Gérard und lief rot an. Julius ließ die anderen Jungen flachsen und feixen und aß sein Frühstück weiter. Zwischendurch sah er zu Claire hinüber und nickte er lächelnd zu. Sie zwinkerte und lächelte warm zurück. Somit hatte er die einladung zumindest halb angenommen. Aber am Nachmittag schrieb er ihr noch eine formvollendete Antwort, die sie am nächsten Morgen kriegen sollte.
Sehr geehrte Mademoiselle Claire Dusoleil,
Gemäß den mir beigebrachten Anstandsregeln sind Sie berechtigt, auf Ihre Anfrage von diesem Montag eine offizielle Antwort zu erhalten, über die Sie sich hoffentlich freuen.
Ihre Vermutung, ich sei in die allgemeinen Abläufe des Festes Walpurgisnacht eingeweiht worden, trifft zu 100 % zu. Meine für Zaubereiangelegenheiten zuständige Ansprechpartnerin, Madame Catherine Brickston, hat mich im Verlauf der Osterferien damit vertraut gemacht, wozu es besagtes Fest gibt und wie es hierzulande gefeiert wird. Sie hat mir auch beschrieben, wie es in Beauxbatons geplant und veranstaltet wird.
Da Sie vielleicht mitbekommen haben, daß mir auch andere Einladungen zu diesem Fest zugegangen sind, mußte ich ein wenig darüber nachdenken, für wen und mit wem ich diesen speziellen Feiertag als männliche Begleitung zu Diensten stehen möchte. Am Ende dieser Überlegungen stand für mich fest, daß ich sehr gerne Ihre Einladung annehmen und Sie als meine Besenherrin für die Walpurgisnacht anerkennen möchte. Ich hoffe, Sie werden mit dem, was ich im Rahmen der hiesigen Regeln und Festveranstaltungsabläufe bieten kann zufrieden sein.
Noch herzlichere Grüße
Monsieur Julius Andrews, Beauxbatons-Drittklässler
Als Claire diesen Brief dann am nächsten Morgen von Francis zugestellt bekam freute sie sich sichtlich, obwohl sie ja an und für sich mit nichts anderem gerechnet hatte.
Vor der Arithmantikstunde begrüßte Belisama Julius mit den Worten:
"Hallo, Julius. Hast du dich schon entschieden?"
"Ja, habe ich, Belisama. Die, die mir geschrieben haben, kriegen Briefe von mir."
"Belisama, es ist doch einfach. Entweder ist er an Walpurgis mit Claire zusammen oder mit mir. Das sind die einzigen Möglichkeiten die er hat", klinkte sich Millie schroff in die kurze Unterhaltung ein. Belisama sah erst Mildrid ungehalten und dann Julius erwartungsvoll an. Dieser sah Millie mit festem Blick an und meinte:
"Millie, du kannst das demnächst lesen, mit wem ich fliege. Ich hoffe nur, du kommst damit klar."
"Frag doch dein neues Anstandsmädchen Goldschweif. Die wird dir wohl die richtige zuteilen", entgegnete Millie gehässig. Sie hatte erkannt, daß Julius wohl doch mit Claire zusammen auf dem Besen sitzen wollte. Dabei hätte sie ihm soviel Spaß an dem Abend bieten können. Doch sie wußte auch, daß sie nicht andauernd dazwischenfuhrwerken konnte. Sie glaubte ja, Julius sei nur mit Claire zusammen, weil ihn jemand dazu angeleitet habe. Dieses Knieselweibchen hatte ihm ja schon gezeigt, daß es zwischen ihm und der Dusoleil nichts geben sollte. Sie brauchte also nur zu warten. Für Walpurgis konnte sie in einer Stunde einen Neuen anschreiben, der mit ihr flog.
Für Belisama Lagrange war das Thema schnell vom Tisch, ebenso wie für Edith. Diese sprach Julius zwar einmal vor der nächsten Arithmantikstunde an, bedankte sich aber nur für die höfliche Absage. Andere Jungen, die sie auch angeschrieben hatte, hatten sie nur mündlich und noch dazu mit manch gehässiger Bemerkung zurückgewiesen.
"Man merkt doch, daß du aus einem anständigeren Elternhaus kommst, Julius. Trotzdem deine Eltern Muggel sind gilt bei denen wohl doch noch eine gewisse Form", hatte sie zu ihm gesagt.
Oft traf der englische Drittklässler auf den Gängen junge Mädchen an, die miteinander tuschelten, wer mit wem fliegen würde. Er hörte sie meistens kichern oder merkwürdig giggeln wie Zwerghühner. Hercules fragte ihn am Freitag vor den Nachmittagsstunden, ob das normal sei, wenn sechs Mädchen gleichzeitig aufs Klo müßten. Julius grinste darüber nur und sagte:
"Das ist der einzige Ort, wo sie sich sicher sein können, daß kein Junge ihre kleinen Geheimnisse mitkriegt."
"Du mußt es ja wissen", erwiderte Hercules, lächelte dabei aber ein Nicht-so-gemeint-Lächeln, das Julius selbst zum lächeln brachte.
Neben der Walpurgisnachtvorbereitung lief noch die Vorbereitung auf die letzte Runde im schuleigenen Quidditchturnier. Da die Grünen wußten, daß sie mit Sicherheit viele Punkte holen mußten, wenn sie den Pokal noch vor den Roten gewinnen wollten, und daß die Blauen sich im letzten Spiel bestimmt nicht scheuen würden, schmutzige Tricks anzuwenden, allein um noch mal jemanden von den Großen so richtig zu ärgern, wurden Schnatzfangvereitelungsmanöver geprobt wie auch Foulspielabwehr. Hierbei zeigte sich Julius als sehr kreativ, was Angriffe und Gegenangriffe anging. Professeur Dedalus mahnte einmal an, daß die Schüler sich bloß beherrschen sollten, um nicht willentlich Verletzungen hinzunehmen.
"Sie sind für Ihre Spieler und für sich selbst verantwortlich, Mademoiselle Dusoleil. Wenn Sie hier Spielzüge proben, die ein sehr hohes Verletzungsrisiko beinhalten, kommen Sie unter 100 Strafpunkten nicht weg, wenn hier bei den Übungsstunden was passiert", herrschte er Jeanne an.
Julius spielte sich mit Hercules als schlagkräftiges Angriffsvereitelungsduo ein. Nur einmal holte er Monique Lachaise fast vom Besen, als er im rasanten Sturzflug ihre Flugbahn schnitt.
"Eh, Julius, nicht so unüberlegt!" Rief sie ihm noch nach. Doch Julius hatte den Quaffel gerade von Virginie zugespielt bekommen und drosch diesen mit wucht gegen das von Barbara gehütete Tor. Diese war jedoch auf einen Direktschuß gefaßt und prällte den roten Ball ins Spielfeld zurück.
Nach der Übungsstunde vor dem Spiel Rot gegen Weiß versammelte Jeanne ihre Spielerkameraden noch einmal in der neutralen Besprechungskabine des Stadions und sagte:
"Also, wir wissen, daß die Blauen rüpelhaft spielen werden. Wir wissen auch, daß die Roten sich sicher mit vielen Punkten gegen die Weißen durchsetzen werden. Wir müssen also die Taktik so abstimmen, daß wir auf Fouls vorbereitet sind, aber gleichzeitig auch gute Torschußsituationen erzwingen. Der Sucher der Blauen ist im Vergleich zu Stomoxus Lesauvage leicht zu kontrollieren. Allerdings möchte ich gerne zwei Jäger haben, die sowohl Schnatzfangblocker als auch Abfangjäger für gegnerische Torschüsse sind. Julius, du hast gegen Colis Mannschaft beides gut gemeistert. Ich setze dich auf jeden Fall schon als Abfänger an. Allerdings gilt für dich, wenn du den Quaffel zu fassen kriegst, rück vor und versuch, ihn im gegnerischen Tor unterzubringen. Wer ähnliche Aufgaben kriegt, werden wir bei den nächsten beiden Übungsstunden ausloten. Jedenfalls müssen wir vor den Blauen keine Angst haben. Die sind zwar unberechenbar im Spiel, aber dafür miserable Taktiker. Wir müssen mit Technik und Organisation dagegenhalten. Gelingt das, wovon ich ausgehe, dann können wir den Pokal noch einmal für die Grünen sichern."
"Wir sollten aber auch schon einen neuen Hüter ausfindig machen, Jeanne", warf Virginie ein.
"Da die Übungseinheiten noch bis nach dem letzten Saisonspiel dauern, machen wir das, wenn wir unser letztes Spiel gemacht haben, Virginie", vertagte Jeanne dieses Problem. "Keine Sorge, wir kriegen schon einen Nachfolger für Barbara."
"Das sollte dann aber wer sein, der einen guten Besen hat", bemerkte Giscard Moureau, der zweite Stammtreiber der Grünen. Alle anderen nickten beipflichtend. Jeanne wiederholte:
"Nach unserem letzten Spiel werden wir das rauskriegen. Im Zweifelsfall werden im nächsten Jahr neue Spieler zu euch stoßen, und da könnte ein brauchbarer Hüter bei sein."
"Ja, wie Ron Weasley bei den Gryffindors", seufzte Julius Andrews. Er erinnerte sich zu gut, was Kevin ihm über das erste Quidditchspiel in Hogwarts erzählt hatte.
"Sollte das jetzt pessimistisch oder optimistisch sein, Julius?" Fragte Jeanne.
"Kein weiterer Kommentar", erwiderte Julius.
__________
Als die Jungen ihre Umhänge und Schuhe trugen, gingen sie in die Waschräume, um sich noch einmal im Spiegel zu betrachten. Julius holte eine glitzernde Schachtel, aus der er ein etwas größeres und acht kleine Fläschchen zog. Robert sah ihn fragend an.
"Das soll doch nicht dieser Glitzergesichtskrempel sein, von dem ich schon was gehört habe", meinte er. "Sollen wir uns etwa schminken?"
"Nein, das ist keine Schminke, Robert. Das ist Leuchthaarlotion für schrille Hexen- und Zaubererparties", sagte Julius und übersetzte, was Glorias Mutter, von der er diese Fläschchen einen Tag vor dem Quidditchspiel Rot gegen weiß bekommen hatte, dazu schrieb:
"Hallo, Julius, ich denke mir, dich könnte das faszinieren, mal zu Walpurgis etwas schrilles zu probieren. Ich hörte und las davon, daß selbstleuchtende Besenverzierungen oder Umhänge mit eingebauten Leuchtzaubern üblich sind. Aber hier hast du für die Haare noch was, das in den wilden Lichterreigen reinpasst. Das ist Leuchthaarlotion, die du nach der Haarwäsche einmassieren kannst. Wenn du das eine Stunde vor Festbeginn machst, können deine Haare in einer von sechzehn Farben schillern, je nachdem, wie du die beigefügten Farbgebungstropfen mischst. Vier verschiedene Rotstufen, ein Braunton, drei Gelbtöne, drei Blautöne, ein Rosaton und vier Grüntöne sind möglich. Näheres auf der Tabelle im Anhang. Wenn sie mögen, können deine Klassenkameraden oder -kameradinnen dies auch versuchen. Es ist harmlos und lässt sich mit einer Dosis des Basisstoffes im üblichen Haarwaschschaum wieder auswaschen. Andernfalls vergeht die Erscheinung nach einem vollen Tag von selbst.
Viel Spaß damit! Dione Porter"
"Das ist doch was für mädchen", warf Gaston Perignon verächtlich ein. "Warum meint diese Porter, dir so'n Zeug schicken zu müssen. Gib's Claire oder Céline oder sonst einer."
"Warum nicht, Gaston", warf Gérard ein. Ich würde das gerne ausprobieren. Mal sehen, ob ich die richtige Farbe hinkriege. Sind das nur sechzehn Farben, Julius?"
"Steht hier zumindest so. Vermute, daß sechzehn Farben sicher hinhauen. Aber ihr müßt euch dann genau an die Anweisung halten", sagte Julius, während er sich die Tabelle mit den Farbzusammenstellungen ansah. Er wählte eine Paarung aus, die ein flammendes Rot bewirkte, was in seinem blonden Schopf noch eine Spur feuriger rüberkam.
"Ich teste das Zeug, Julius. Geht Sonnengelb oder golden, oder müßte ich da rumprobieren?" Preschte Robert vor. Julius sah die Tabelle durch und stellte fest, daß ein Sonnengelbton dabei war, wie Bernsteinglimmen oder Schwefelschein. Robert nahm die passenden Fläschchen, während Gérard sich für Meeresleuchtengrün begeisterte, das einen smaragdartigen Leuchteffekt mit einem winzigen Stich Dunkelblau bewirkte. Hercules bevorzugte zu seinem Umhang ein sattes Himmelblau. Gaston nahm das passende Fläschchen für Rubinflimmer, mußte aber warten, bis Julius, der die Basis für die Rottöne hatte, mit seiner Mischung unter dem Wasserkran fertig war. André wählte sich einen der übrigen Blautöne aus, mußte nur auf Hercules warten, der das Blaufarbenbasisfläschchen hatte. Irgendwie gings aber soweit, daß alle sich genug von der merkwürdigen Mixtur in die Kopfhaut und Haare einmassierten.
"Und wehe, das Zeug macht was völlig bescheuertes mit uns", gab Gaston immer noch nicht so besonders begeistert von sich. Julius meinte dann nur, daß er sich ja auch was davon genommen hatte und im Zweifelsfall wohl eine Entschädigung von Mrs. Porter drin sei, wenn es nicht gelänge.
"Wieso leuchten die Haare nnicht?" Fragte Gaston, nachdem ihre Haare trocken waren.
"Eine Stunde lang muß das Zeug einwirken, bevor der Lichteffekt einsetzt, hat Julius' Kosmetiktante doch geschrieben", gab Robert verächtlich zur Antwort. "Kein Wunder, daß du nie so recht bei Zaubertränken mitkommst."
"Steck's dir", gab Gaston gehässig zur Antwort. Er traute der Sache nicht, und außer ihm waren alle voll begeistert, mal was verrücktes auszuprobieren.
"Sollen wir den Mädels was davon sagen, bevor die Sache wirkt?" Fragte Hercules. Robert und Gérard schüttelten die Köpfe. Auch Julius verneinte. Wenn es gelingen würde, wäre es eine große Überraschung für die Partnerinnen.
"Vielleicht hätten die sich aber auch gerne was in die Haare getan", warf Hercules unsicher ein.
"Die drehen sich Glitzerbänder und Mondscheinfunkelperlen in die Haare. Da käme so'ne Leuchtfarbe wohl nicht gut", vermutete Robert Deloire. "Céline hat mir ja vorher gesagt, daß sie sich bunte Leuchtperlen marke Feenstaub in die Hare reinknoten will. Auf Tiefschwarz kommt das vielleicht besser als auf Rot oder Blau."
"Hoffentlich haut das hin, Julius. Sonst sind wir voll blamiert", unkte Gérard, nachdem er sich noch mal im Spiegel angesehen hatte.
"Glotz nicht so überängstlich in den Spigel, Robert! Du bist doch kein Mädchen", blaffte Gaston den Mitschüler an. Julius sah ihn genau an und sagte:
"Niemand hat dich gezwungen, dich auf diesen Versuch einzulassen, Gaston. Ich hätte dir oder sonstwem nicht übelgenommen, wenn er gesagt hätte, das nicht auszuprobieren."
"Ja, und ihr hättet dann voll gut angegeben oder wäret dann über mich hergefallen, weil ich der einzige gewesen wäre, der es besser gewußt hätte, wenn's in die Hose gegangen wäre. Neh, dann will ich zumindest wissen, was ich hätte besser wissen können", entgegnete Gaston, während die anderen Jungen ihn blöd angrinsten.
"Ich glaube, sowas heißt Gruppenzwang", flötete Hercules. "Wenn du mit anderen zusammen bist, mußt du schon mitziehen, was immer die machen."
"Herdentrieb heißt das, du Einhornkötel", knurrte André.
"Öi, bloß nicht frech werden, klar?!" Drohte Hercules und ballte die rechte Hand zur Faust.
Edmond Danton trat in den Waschraum für Erst- bis Drittklässler und besah sich die sechs Jungen. Er selbst trug einen zinoberroten Umhang mit Angorapelzkragen.
"Sind Sie langsam mit dem Ankleiden fertig, Messieurs. Ich würde gerne alle Herren des grünen Saales noch mal inspizieren, bevor wir hinuntergehen, wo unsere Damen uns erwarten", sagte der Saalsprecher und betrachtete Kleidung und Frisuren der Jungen. Dann wandte er sich an Julius, der die Leuchthaarlotionsfläschchen wieder in die Glitzerschachtel gesteckt hatte, was er da habe. Er zeigte es ihm und meinte:
"Das ist der letzte Schrei in der englischen Zaubererwelt. Damit sind die an Halloween schon groß rausgekommen, und Hecate Leviata hat bereits mehrere Paletten davon für ihre nächste Tournee gebucht."
"Und Sie meinen, das wäre an Walpurgis angebracht?" Fragte Edmond Danton und begutachtete die Schachtel.
"Nein, die wollte Julius uns eigentlich zum Schulabschlußball ausleihen", warf Robert Deloire gehässig ein. Alle anderen lachten, außer Julius und Edmond.
"O nein, das wäre skandalös. Dann besser zur Walpurgisnacht. Aber wenn Sie das Mißfallen der Lehrer und Ihrer Besenherrinnen erregen, Messieurs, kriegt jeder von Ihnen von mir persönlich zweihundert Strafpunkte, und Monsieur Andrews erhält dann noch einhundert dazu, wegen mutwilliger Verunstaltung und Störung des allgemeinen Erscheinungsbildes", warf Edmond eine Drohung in den Raum. Julius grinste jedoch nur.
"Das wird sich zeigen, Monsieur Danton", sagte er zuversichtlich. Dann ging er mit seinen Klassenkameraden aus dem Waschraum, brachte die Leuchthaarlotion zurück in den Schlafsaal und ging hinunter in den grünen Saal, wo ein Schillern und Glimmen aller Regenbogenfarben und ihrer Zwischenstufen vorherrschte. Die Lichterfeen an den Wänden tanzten und zwitscherten beschwingt, als die Hexen und Zauberer sich versammelten. Barbara Lumière ordnete noch einige Haarbänder bei den Erstklässlerinnen, die zwar selbst nicht fliegen würden, aber doch schillernd herausgeputzt waren. Die Jungen aus der ersten und zweiten Klasse wirkten irgendwie gezwungen feierlich, aber nicht so bunt. Sie trugen feine Umhänge in verschiedenen Farben und dazu passende Hüte ohne Verzierung.
"In einem Jahr sind die dann fällig. Am besten suchen die sich jetzt schon wen aus, mit dem sie fliegen wollen", warf Robert ein. Dann deutete er auf Laurentine, die in ihrem Sonntagsumhang herumlief und sich widerwillig von Claire und Céline einige Glitzerperlenhaarbänder durch den blonden Schopf wirken ließ. Dabei sah Claire sehr entschlossen drein.
"Eh, lasst das!" Maulte Laurentine. Céline und Claire ließen sie jedoch nicht.
"Du mußt dich dran gewöhnen, Bébé. Wenn du nächstes Jahr selbst mitfliegst, willst du doch sicher was hermachen", gab Claire leicht gehässig zur Antwort.
"Papa hat gesagt, daß ich bestimmt nicht auf einem Hexenbesen zur Walpurgisnacht mitfliege, bevor ich nicht älter als einhundertsiebenundzwanzig Jahre bin", versetzte Laurentine gereizt und versuchte, einen ihr im Haar ziependen Perlenstrang wieder herauszufummeln.
"Häh?! Wieso ausgerechnet so alt? In dem Alter fahren die Hexen nur noch im fliegenden Festwagen auf", wunderte sich Claire.
"Vergiss es, Claire! Nimm mir diesen blöden Glitzerklunker da wieder weg!" Knurrte Laurentine. Céline wandte sich Julius zu und fragte ihn, ob er das gehört hatte, was Bébé eben gesagt hatte. Er nickte. Dann meinte er:
"Will sagen, über deines Vaters Leiche fliegst du mal auf einem Besen, Bébé?"
"Ach, Julius, halt dich doch da raus. Die beiden hier sind doch total verrückt wegen dieser Feier", nölte Laurentine. Dann zog sie schnell die Perlen wieder aus den Haaren und warf sie einfach weit weg, bevor Claire und Céline sie ihr wegnehmen konnten.
"Also, wenn Eddi uns zweihundert Strafpunkte auflädt, dann kriegt Bébé aber auch so viele", wandte Robert ein. Julius sah sie an und dann Robert.
"Du weißt, wie sich ihre Mutter aufgespult hat, als sie bei Céline war. Die hätte doch für Laurentine kein Walpurgisnachtkostüm gekauft. Wir haben es ja gehört, was sie in ihrem Vortrag gesagt hat."
Beide Jungen erinnerten sich an den Freitag vor diesem nun angebrochenen Feiertag. Sie hatten Zaubereigeschichte in der zweiten Stunde, in der Laurentine einen Vortrag über diesen bald zu begehenden Feiertag gehalten hatte.
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Der letzte Freitag vor der Walpurgisnacht war leicht verregnet. Schon morgens herrschte eine getrübte Stimmung, weil auf dem Weg zu Kräuterkunde die Jungen und Mädchen leicht durchnässt wurden. Dann hatten sie noch mit Regenluft liebenden Luftfächern zu tun bekommen, Pflanzen, die weit ausladende schwammartige Strünke durch die Luft schwangen, um möglichst viel Feuchtigkeit aufzunehmen. Professeur Trifolio hatte ihnen die besonderen Eigenschaften wetterempfindlicher Zauberpflanzen erklärt, und Claire und Julius hatten für zehn Bonuspunkte Himmelstrinker und Faltkelchblumen bestimmt und beschrieben, wie gut man mit ihnen das Wetter der nächsten Tage voraussagen konnte.
In der zweiten Stunde, Geschichte der Zauberei, war eine für einen solchen Morgen unnatürlich muntere Professeur Pallas erschienen, hatte die Jungen und Mädchen eingelassen und nach dem üblichen Begrüßungsritual und dem Aufstellen der Sanduhr verkündet:
"Heute hören wir Mademoiselle Hellersdorf mit einem Vortrag über die Ursprünge der Walpurgisnacht unter Berücksichtigung dessen, was die nichtmagische Welt darüber zu berichten weiß. Da du deine Chance ja nicht genutzt hast, diesen Vortrag nicht zu halten, Laurentine, möchte ich dich bitten, nun zu mir an die Tafel zu kommen und deinen Vortrag zu beginnen. Ich bin mir sicher, daß hier alle hören wollen, was in der Welt deiner und Julius' Eltern über diesen Feiertag bekannt ist."
Laurentine grummelte zwar erst, weil sie jetzt vor allen dieses Referat halten sollte. Doch weil ihr Claire und Céline ins Gewissen geredet hatten, lieber einfache Bonuspunkte zu kassieren als unnötige Strafpunkte zu riskieren, hatte sie in der Bibliothek einige Bücher gewälzt und in den Osterferien heimlich alles wesentliche aus dem Internet geholt. So lagen einige Papierbögen zwischen den üblichen Pergamenten. Sie trat an die Tafel und schrieb Stichwörter auf wie "Ursprünge der Walpurgisnacht" "Bedeutung für die christlichen Muggel" und "Sinn und Unsinn im Umgang mit der Walpurgisnacht". Als alle sie erwartungsvoll ansahen holte sie noch einmal tief Luft und begann:
"Der Tag, der heutzutage als Walpurgisnacht gefeiert wird, hat seinen Ursprung in der keltischen Religion und Jahreszeitenbestimmung. Wie Samhain, also Halloween, worüber Julius Andrews ja vor diesem Feiertag hier was erzählt hat, galt die Walpurgisnacht, die damals noch Beltane hieß, als Wendepunkt der Jahreszeiten. Die Kelten feierten den Sommerbeginn und entzündeten Freudenfeuer, an denen sie ausgelassen feierten. Weil für die Kelten Hexen und Druiden die wichtigsten Amts- und Würdenträger waren, legten sie auch die Rituale fest. Irgendwann kam es sogar zu einer Arbeitsteilung. Während die Druiden Samhain zeremoniell abhielten, oblag es den Hexen, das Sommerbeginnsfest zu veranstalten. Allerdings gab es damals noch keine Besen, und diese Feier war von gewissen Ausschweifungen abgesehen harmlos.
Mit der Einführung des Christentums wurden alle nichtchristlichen Feiern entweder verboten und für Teufelswerk angesehen oder, wenn dies nicht funktionierte, zu kirchlichen Feiertagen erklärt. Daher hat die Walpurgisnacht auch ihren heutigen Namen, von einer Schutzheiligen der Bauern, Mägde und unverheirateten Landfrauen, der heiligen Walpurga. Diese Heilige soll jedoch gerade auch gegen Hexenwerk schützen, heißt es in der nichtmagischen Welt. Die Walpurgisnacht wird traditionell am letzten Aprilabend begonnen und in den Morgen des ersten Maitages hinein gefeiert", erläuterte Laurentine. Danach beschrieb sie die zunehmende Bedeutung des Fliegens in der Walpurgisnacht für die echten Hexen und erklärte auch, daß eine Hexe, die in dieser Nacht ein Kind empfangen würde, dieses unbeschwert und glücklich gebären würde und das Kind, wenn es ein Hexenmädchen wurde, irgendwann was besonderes erleben würde. Dann ging sie auf alles ein, was in der Muggelwelt über diese Feier im Umlauf war, vom Hexenwahn im Mittelalter, über angeblich wirksame Hexenabwehrmethoden, wie geweihtes Salz auf Türschwellen streuen oder Baldrianbündel an die Türen und Fenster zu hängen, über die Gerüchte, Hexen würden nicht nur auf Besenstielen, sondern auch auf großen Mistgabeln oder Ziegenböcken zu den Festplätzen reiten, von denen der Brocken im Harz in Deutschland ein sehr berühmter sei, sich dort mit dem Teufel, dem obersten Dämon der Christenheit verlustieren bis hin zu touristischem Firlefanz, der alljährlich an Orten wie dem Brocken betrieben wurde und beschrieb, was da so geboten wurde.
"Auch in den Erzählungen für Kinder wurde die Walpurgisnacht der nichtmagischen Welt bekannt. Was ich auf jeden Fall noch einwerfen möchte ist, daß der Glaube an Feste mit dem Teufel solche Leute, die sich für echte Hexen halten, entweder als verrückt oder gefährlich verdammen und deshalb auch in der Besprechung der internationalen Zaubereikonferenz von 1549 verfügt wurde, daß wirkliche Hexen sich von den sogenannten Hexentanzplätzen fernhalten sollten, um den Nichtmagiern keinen weiteren Anlaß für ihre Antihexereipropaganda zu bieten. Deshalb wird man am Brocken keine echte Hexe vorfinden, sofern es nicht eine Kundschafterin des deutschen Zaubereiministeriums ist, die die Schau für Touristen auf mögliche Informationen aus der Zaubererwelt überprüft. Das bild von der häßlichen Hexe mit Warzen und Buckel bedient dieses Vorurteil, daß wer die Zauberei betreibt grundsätzlich nur dem Bösen dient und daher mit der Zeit auch häßlich aussieht. Soviel zu dem, was ich in den Osterferien und hier über dieses Fest zusammenbringen konnte", beendete Laurentine den Vortrag nach zwanzig Minuten.
"Sehr schön, Laurentine! Ich gebe dir dafür sehr gerne fünfzig Bonuspunkte und eine Note von fünfzehn Punkten, zu berücksichtigen in der Jahresendnote. Du hast meine und deiner Mitschüler Erwartungen sicher mehr als gut erfüllt. Allerdings denke ich schon, daß einige noch was fragen wollen", ergriff Professeur Pallas das Wort. Céline und Jasmine fragten was zu dieser Touristenveranstaltung und dem, was verschiedene Dichter über diesen Feiertag geschrieben hatten. Robert fragte noch einmal, warum es für Hexen der höchste Feiertag sei. Laurentine konnte dies nur mit "Wird wohl wegen des Frühlings sein" beantworten.
"Nicht nur das, Laurentine", griff Professeur Pallas ein. "Es ist auch so, daß Frauen Grundsätzlich für den Neubeginn stehen, weil sie neues Leben zur Welt bringen können, während Männer für die Bewältigung der harten Zeiten stehen, die im hereinbrechenden Winter drohen, ja auch für das Ende des Lebens stehen. Wie du es erwähnt hast, wurden ja schon zu druidischen Zeiten die weiblichen Druiden, nicht zu verwechseln mit den Hexen, besonders hoch geschätzt, wenn es ums Frühlingsfest ging. Die Hexen, die also eher weltübliche Zauberei betrieben ohne göttlichen Auftrag, erhielten an diesem Feiertag einen höheren Stellenwert. Du hast ja auch erwähnt, wie im matriarchialischen Imperium Sardonias, das wir ja vor kurzem noch besprochen haben, Hexentage wie Walpurgis gerne als Entscheidungstage für gesellschaftsformende Prozesse herangezogen wurden. Die Hexenwerbung, die zwar schon vor Sardonias Zeiten aufkam aber durch sie an Einfluß gewann, galt als unabweisbar, wenn sie zu Walpurgis ausgeübt wurde. Nach Sardonias Entmachtung durch die Kreaturen der Düsternis und Kälte, die wir heute als Dementoren kennen, wurde lediglich der Status der Hexenwerbung beibehalten, während andere Dinge, wie die Hexenacht und die Zaubererkastration sofort wieder abgeschafft wurden. Aber das ist ja hier ausreichend besprochen worden und sollte bis zur Jahresendprüfung und bestimmt auch bis zur ZAG-Prüfung in eurem Gedächtnis bleiben können. Es irritiert ja heute noch Zauberer, wenn sie zu uns kommen und eine gewisse Dominanz der Hexen im Alltag vorfinden, wo anderswo entweder Gleichberechtigung oder Unterordnung der Hexen in der Zaubererwelt an der Tagesordnung ist. Insofern ist die Walpurgisnacht hierzulande immer noch ein besonders wichtiger Feiertag, wie drüben in Deutschland auch. Ob Beltane noch gefeiert wird, weiß ich leider nicht.""
Julius bat ums Wort und warf ein, daß er von seinem früheren Klassenkameraden Kevin Malone nur gehört hatte, daß es in einigen Zaubererfamilien noch gefeiert würde, aber nicht genau in der Nacht zum ersten Mai.
Auf jeden Fall war Laurentine froh, als die Stunde vorbei war und sie ihren Vortrag mit einer Aufbesserung ihres stark strafpunktelastigen Bonuskontos beendet hatte.
Claire hatte danach Julius noch zugeflüstert, daß er nun wisse, weshalb das schon so in Ordnung ging, wie es nun bald laufen würde. Er hatte dazu nur gemeint:
"Tja, weil diese Diktatorin Sardonia die französischen Hexen weit weit vor der Frauenbewegung der Muggel hochgejubelt hat."
"Eh, nicht frech werden, Juju!" Hatte Claire darauf zurückgefaucht. "Immerhin haben wir nur die besseren Traditionen aus ihrer Zeit übernommen. Oder meinst du, wir hätten alles wieder umschmeißen müssen, was sie angeleiert hat, nur weil sie mehr Unterdrückung als Befreiung in ihrer Herrschaft ausgeübt hat?"
"Das mit der Hexenwerbung wäre zum Beispiel was, wo es doch besser gewesen wäre, wenn die betreffenden Zauberer sich länger Zeit nehmen könnten, um sich zu entscheiden. Du weißt doch, daß Männer, denen man die Entscheidung aus der Hand nimmt nicht so voll dahinterstehen können, was sie tun müssen", war Julius' Antwort darauf.
"Bei Maman und Papa hält es aber immer noch vor und hat nur bestätigt, wie gut es ist, solche Dinge klar und deutlich zu bestimmen", kam Claires Antwort zurück. Julius verzichtete auf eine Antwort darauf.
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Im grünen Saal warteten alle darauf, daß die große Glocke im Palast läuten würde. Das, so wußte es Julius von Catherine, bedeutete, daß die Lehrerinnen und Lehrer sich draußen auf dem großen Hof vor dem Hauptportal versammelt hatten und die Saalsprecherinnen und Saalsprecher ihre Leute hinausführen sollten. Barbara nahm mit allen Mädchen aufstellung an der Wand, die sich nach dem Passwort auflösen und einen durchgang formen würde, um die Schülerinnen und Schüler hinaus zu lassen. Edmond trieb vorwitzige Schüler zurück, die sich zu den Hexen geschummelt hatten. Er war wie ein Schäferhund in einer Freilandherde auf der Hut, alle aus den Reihen tanzenden Schüler sofort anzuhalten, sich ordentlich einzusortieren. Vereinzelte Mädchen kamen noch hinunter und wurden von Virginie, die sie empfing, eingeteilt. Julius studierte die Umhänge der jungen Hexen. Die Saalsprecherin Barbara trug ein orangerot-goldenes Kostüm und hatte sich mindestens drei Schnüre mit Glitzersteinen ins Haar geflochten, was bestimmt eine Heidenarbeit gewesen sein mußte. Virginie, ihre Stellvertreterin, trug ein himmelblaues Kostüm mit sonnengelben Verzierungen und hatte ihr Haar mit einer Goldglanzspiegellösung bearbeitet, das es aussah wie gesponnenes Gold, das zu einem eleganten Knoten hinter dem Nacken gewunden war. Céline hatte sich ein luftig fließendes Gewand aus himmelblauer Seide angezogen, das mit silbernen und weißen Stickerein verziert war und am Kragen und den Ärmelsäumen silbernes Band wie Lametta besaß. In den Haaren steckten ihr die von den Jungen schon erwähnten Mondscheinfunkelperlen, die wie winzige Vollmondkugeln silbernweiß blitzten. Jasmine, die sich mit einem Klassenkameraden aus dem violetten Saal verabredet hatte, trug dunkelviolette Kleidung mit weißgoldenen Verzierungen. Claire hatte sich einen ebenfalls schön fließenden Umhang besorgt, der aus einer rubinroten Seide war, die im Licht jedoch leicht golden glitzerte und mit roten und goldenen Ziersteinen besetzt war. Julius bewunderte den goldenen Haarreif, der wie eine dreifach gegliederte Kette durch das lange, schwarze Haar seiner Freundin geschlungen war. Die Ketten sahen so zerbrechlich aus, als wären sie aus vergoldetem Haar geschmiedet worden.
"Königin der Sonne", so hatte Mademoiselle Marinera ihm dieses Kostüm beschrieben. Wenn es dunkel war, würde eine durchsichtige weiß-goldene Aura aus warmem Licht um sie und ihren Sozius erstrahlen, und wenn die Besenfarbe passte, wovon Julius nun stark ausging, würde es ein schönes regenbogenartiges Leuchtspektakel geben. Sein Kostüm "Drachentänzer", passte dazu gut, wenn es hitzelose Flammenschleppen in wechselnden Farben auslegte, sobald Flugrichtungsänderungen stattfanden.
Claire spürte wohl, daß Julius sie betrachtete und begutachtete ihn ihrerseits. Sie lächelte und nickte ihm zustimmend zu.
Laut und vernehmlich erklangen genau um sieben Uhr drei tiefe Glockenschläge. Alle sahen zum Ausgang, auf den Barbara nun zuschritt und das Passwort sprach. Rauschend wie ein Schauer niedergehender Kieselsteine öffnete sich ein bogenartiger Durchgang in der Wand. Barbara nickte den Mädchen zu, sagte "Auf dann, Hexen! Hinein in die Walpurgisnacht!"
Schnell aber geordnet folgten ihr alle Mädchen durch den Ausgang. Virginie, die stellvertretende Saalsprecherin, machte den Abschluß. Edmond trat hinter ihr an den Eingang und rief:
"Messieurs, mögen wir den Damen ein kurzweiliges Fest schenken! Folgen Sie mir!"
Julius trat zusammen mit Robert und Gérard aus dem Saal hinaus und marschierte durch die fein herausgeputzten Gänge und Treppenhäuser. Leise Musik wie von unsichtbaren Geigen schwebte in der Luft. Julius hatte zwar mal etwas über Schallversetzungszauber gelesen und auch erfahren, daß man Worte oder Musik aus magischen Quellen ertönen lassen konnte. Aber es faszinierte ihn immer wieder, wie das hier in Beauxbatons ging. In Hogwarts gab es das nur zu Weihnachten, wußte er. Aber er hatte ja sonst nur die Halloweentage dort verbracht. Womöglich gab es ja in den Ostertagen ähnliche magische Musik.
"Wo sind eigentlich die ganzen Besen?" Fragte Julius Robert.
"Die sind von den Hauselfen runtergetragen worden, als die Hexen sie geschmückt haben. Runtermarschiert wird immer ohne Besen. Madame Maxime gibt sie zusammen mit den anderen Lehrerinnen, Madame D'argent und Schwester Florence den Hexen, die selbst fliegen in die Hände, wenn die Auswahl ihres eigenen Flugpartners abgeschlossen wurde", wußte Robert. Julius erinnerte sich. Catherine hatte ihm erklärt, daß die Besen erst auf dem Hof an die entsprechenden Hexen verteilt wurden, nachdem sie das Abendessen eingenommen hatten, was bereits mit den angemeldeten Paaren abgehalten wurde, an kleinen Tischen, wie am Elternsprechtag.
Auf dem großen Hof vor dem Portal trafen sie alle ein, die Bewohner der Säle. Julius fiel sofort die große weiß- und golden schimmernde Konstruktion auf, die in der Mitte des Hofes stand. Offenbar war er nicht der einzige, dem Dieses kreisrunde Etwas auffiel, das wie ein überdimensionales Zahnrad auf einer baumdicken Mittelachse hing. Bei genauer Betrachtung fiel auf, das über dem zwölfzähnigen Rad, das gut zwanzig Meter durchmessen mochte, noch ein etwas kleineres Rad montiert war. Hinzu kamen Sitze, die jeder für sich auf einer Drehachse auf eines der abgerundeten Zähne montiert waren und sehr stark wie Sessel in einem Flugzeug aussahen, mit samtbraunem Stoff gepolstert und hoch genug, um sich bequem mit Rücken und Kopf anzulehnen, ohne sich darin hängen lassen zu müssen. Auf dem oberen Rad erkannte Julius einen extragroßen Sitz mit Fußstützen und breiten Armlehnen.
"Was soll denn das sein, ein Karussell?" Fragte Julius Robert.
"Sieht so aus wie eins, Julius. Das ist aber kein eigentliches Karussell, wie du's wohl auch in der Muggelwelt findest, sondern das Wählrad für Walpurgis. Wenn es hier keine Lehrerehepaare gibt setzen sich die Lehrer und Lehrerinnen auf dieses Rad und lassen sich für eine vom Zufall bestimmte Zeit schnell herumgondeln. Da die Räder unterschiedlich schnell laufen sortieren sich beim Anhalten ... Aber ich will dir die Überraschung nicht verderben", sagte Robert noch. Julius kapierte es auch so. Das Gerät da vorne war ein mechanischer Zufallsgenerator. Er ließ Lehrerinnen und Lehrer so gegeneinander drehen, daß beim Anhalten verschiedene Paarungen herauskamen. Das sollte dann wohl verbindlich sein. Zumindest galt das dann für die Walpurgisnacht.
Unter dem Doppelzahnrad standen große Truhen, in denen bestimmt die Besen der Teilnehmerinnen verstaut waren. Beim Näherkommen sah Julius, daß das untere Auswahlrad zwei Meter über dem Boden angebracht war. Er konnte an jedem der großen Zähne zusammengelegte Strickleitern erkennen. Vom unteren zum oberen Zahnrad war es dann nur ein Meter. Doch auch hier lagen kurze Strickleitern bereit.
"Sieht ja ziemlich abenteuerlich aus, wenn die da hochklettern müssen", meinte er zu Robert. Dann fiel ihm auf, daß die Leute aus dem roten Saal gerade aus dem Portal traten. Die Hexen kamen auch hier als erste raus, angeführt von Martine Latierre im goldenen Kostüm mit Goldbändern im rotblonden Haar. Dahinter traten die Montferres heraus, die Julius im Moment nicht auseinanderhalten konnte, weil sie gleich frisiert waren und in den gleichen grün-goldenen Umhängen nicht zu unterscheiden waren. Er rief sich in Erinnerung, wie sie vor einer Woche noch gegen die Weißen Quidditch gespielt hatten.
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Der Tag, an dem die Roten gegen die weißen spielten, begann freundlich, aber kalt. Julius hatte sich zusammen mit Barbara, Jeanne und Virginie in eine Reihe gesetzt, links flankiert von den Spielern des violetten Saales. Suzanne Didier, die Jägerin der Violetten, saß genau neben ihm. Sie wartete, bis alle übrigen Zuschauer Platz genommen hatten und fragte Julius:
"Nah, wie ist das, wenn man heute rausfindet, ob sich das miese Spiel gegen uns gelohnt hat oder nicht?"
"Ach, bist du nachtragend, Suzanne", sagte Julius nur verächtlich. "Ich denke eher, daß es egal, wie's ausgeht, immer noch bei uns liegt, ob die Roten den Pokal kriegen oder nicht. Außerdem habt ihr gerade gegen die ja auch sehr schlecht ausgesehen. Lag also nicht an unserer Spielweise, die noch dazu keine Regelverletzung drin hatte."
"An und für sich hätte ich diesen Pokal gerne noch in der Hand gehabt, bevor ich zu den Pelikanen gehe. Jetzt ist fraglich, ob die mich überhaupt nehmen", warf Suzanne mürrisch ein.
"Och, hatten die den Vertrag schon klar?" Fragte Julius belustigt. Suzanne schüttelte den Kopf. "Dachte ich mir's. Wäre ja merkwürdig, jemanden gleich vor dem UTZ anzuwerben. Aber ich denke, du möchtest wohl nicht nur Quidditch spielen, bei dem, was ich in den Unterrichtsstunden mitbekommen habe."
"Wäre zumindest mal was gewesen, um in der Welt herumzukommen", sagte Suzanne nur.
"Suzanne, wie ich deine Tante kenne hat die dir schon mehrere Scheunentore aufgetan, damit du nach den UTZs gut unterkommst", warf Barbara ein. "Also häng dich nicht an Julius' Spielweise auf, nur weil der dich so gekonnt kontrolliert hat! Oder wolltest du ihm sagen, daß er besser deine Cousine geblieben wäre? Dann hättet ihr ja in derselben Mannschaft spielen können."
"Haha, Mademoiselle Lumière. Ich wollte nur wissen, ob dein Mitbewohner sich freut oder ärgert, je nachdem, wie die Roten heute gewinnen."
"Tja, Suzanne, das wird sich noch herausstellen. Seraphine und Gustav müssen heute das letztemal ran, wie Bruno und César. Ich denke nicht, daß die sich so'n Spiel aus der Hand nehmen lassen wollen", erwiderte Barbara kess.
"Wir werden's sehen", knurrte Suzanne und wandte sich ihrer Mitspielerin Nadine Pommerouge zu.
"Lass dich nicht von der ärgern, Julius. Die hat nur Probleme, weil sie das einzige, was sie besser als Belle kann, nicht so überzeugend rüberbringen konnte", flüsterte Barbara Julius zu. Dieser nickte schwerfällig.
"Mesdames, Messieurs und Mesdemoiselles!" Rief Ferdinand Brassu, der Junge aus dem violetten Saal, der in dieser Saison bis auf eine kurze Auszeit den Stadionsprecher gemacht hatte mit magisch verstärkter Stimme. "Heute beginnt die letzte Runde im diesjährigen Schulquidditchturnier zu Beauxbatons. Es treten an: Kapitänin Seraphine Lagrange mit ihrer Mannschaft aus dem weißen Saal gegen Kapitän Bruno Chevallier und dessen Mannschaft aus dem roten Saal. Für diese Beiden, wie auch für die Spieler Janine Dupont und César Rocher aus der roten Mannschaft, sowie Gustav van Heldern aus der weißen Mannschaft, wird dieses Spiel heute das letzte Quidditchspiel sein, was sie in den Mauern unserer altehrwürdigen Akademie bestreiten dürfen."
"Wenn sie die UTZs nicht versauen!" Rief ein halbwüchsiger Junge aus dem Block der Blauen dazwischen. Die Blauen lachten laut. Madame Maxime gebot Ferdinand für einen Moment Schweigen und rief ohne einen Stimmverstärkungszauber zu brauchen:
"Das bringt Ihnen zwanzig Strafpunkte wegen Beleidigung ein, Monsieur Nenttier und für jeden Lacher weitere fünf. Da ich hier niemanden gesondert herauspicken konnte, entfallen auf den blauen Saal damit zwei Punkte pro Mitglied! Fahren Sie fort, Monsieur Brassu!"
"Also, diese fünf Spielerinnen und Spieler werden heute das letzte Spiel in dieser Arena bestreiten und sicherlich mit dem bestmöglichen Engagement und Spielwitz in die Partie gehen. Es wird also spannend!" Rief der Stadionsprecher. Dann rief er die einzelnen Mannschaften auf das Feld.
"Professeur Dedalus hat die Begrüßung der Kapitäne abgehandelt und gibt gleich das Kommando zum Spielbeginn", erläuterte Brassu das Geschehen auf dem Platz. Dann ging es auch schon los.
"Heidenreich kann sich den Quaffel von Lagrange erkämpfen und startet durch zum Tor von Camus. Ui, da wäre sie fast in einen Klatscher reingerast und - Ja, schön gekontert von Montferre, welche von den beiden das auch war! Der Quaffel fliegt hinüber zu Platini. Der wird von van Heldern bedrängt, hält sich ran, kann vorbei, hat aber keinen zum bedienen, muß wohl selber ... Ui! Klatscher von links, gut pariert aber den Quaffel verloren an Lagrange. Die ist unterwegs zum Tor von Rocher, macht es wohl sehr schnell, weicht einem Klatscher aus und wirft zum rechten ... Ou, nein zum linken Ring hinüber. Rocher hat aber aufgepasst. Macht ja heute sein letztes Spiel hier und will bestimmt die Ringe sauberhalten. Er schlägt ab zu Platini, dieser verlängert zu Chevallier, der greift frontal Camus an! Tooooor!! Zehn Punkte zu null für die Roten!!"
Die Anhänger der Roten jubelten. Auch die Blauen jubelten. Denn sie wußten, daß die Grünen es dann sehr schwer haben würden, den Pokal zu kriegen, wenn die Roten ein sattes Punktepolster vorlegten. Dann wären sie nämlich die Meistermacher der Saison.
"Da hat Chevallier Camus ganz schön blaß aussehen lassen, sehr geehrte Zuschauer. Aber die Antwort kommt in Gestalt von Lagrange, die heute noch einmal ihr ganzes Können in die Waagschale werfen will und die schon vor dem Tor ist, antäuscht, rückwärts fliegt, noch mal angreift, noch mal antäuscht, einen von Montferre gespielten Klatscher locker austanzt und wirft! Toor! Rocher hat den Klatscher durchlassen müssen und konnte den rechten Ring nicht schützen. Exzellent ausgenutzt von Lagrange, die wieder zurück auf eine sichere Warteposition geht. Tja, César, da nützt dir auch die Wut nichts, mit der du den Quaffel ins Feld zurückwirfst! Die rote Kugel landet bei Heidenreich! Die wird gleich von zwei weißen Jägern bedrängt, passt zurück zu Platini! Der baut neu auf, beschützt von der zweiten Montferre-Schwester, die souverän einen Klatscher zu dessen Absender zurückdrischt. Platini! Platini! Toooooor! Zwanzig zu zehn!!" Rief Brassu. Julius wußte nun, daß der Stadionsprecher wohl zu den Roten hielt, weil er deren Tore wesentlich freudiger ausrief als die der Weißen. Diese schafften es jetzt nicht mehr so schnell, in den gegnerischen Torraum einzudringen, weil die Montferre-Zwillinge die Klatscher so geschickt hin- und herspielten, daß die Gegner kaum die Feldmitte überschreiten konnten. Erst als Camus zum dritten Mal hinter sich greifen mußte, drehten die Weißen voll auf, spielten auf volles Risiko, was sehr heftig danebenging, als Pauline Rousseau, die für Constance Dornier in die Stammauswahl nachgerückt war, den Klatscher in den Bauch bekam. Taumelnd sank ihr Besen zu Boden. Dedalus pfiff eine Auszeit, bevor Seraphine darum bitten mußte. Schwester Florence eilte aufs Spielfeld und untersuchte Pauline. Sie befand, daß diese weiterspielen konnte, nachdem sie einen Schnellheilzauber und einen Magenberuhigungstrank verabreicht hatte. Eine Minute später war Pauline schon wieder munter und mit ihren Kameraden in der Luft.
"Ja, die Sache läuft mit rasender Geschwindigkeit, werte Quidditch-Fans. Da geht jetzt alles mit hoher Geschwindigkeit zur Sache. Rousseau wird von Lagrange bedient, passt noch einmal zu van Heldern. Tor! Dreißig zu zwanzig für Saal Rot!"
"Weiß ist nur Käse! Weiß ist nur Käse!" Riefen die Blauen hämisch nach oben. Doch die Weißen ließen sich nicht davon aus dem Tritt bringen. Sie erzwangen von César eine Glanzparade, die ihn fast vom Besen warf.
"Die wollen es wirklich wissen", stellte Julius Barbara zugewandt fest. Als er dann sah, mit welcher Wucht Gustav César den Quaffel einmal zielgenau an den Kopf warf und dieser nur durch einen Reflex den Aufprall abfedern konnte, fragte er sich, ob er jemals Hüter werden wollte. Doch als kleiner Junge hatte er auch schon mal einen Ball, der ein Direktschuß aufs Tor war, gegen den Kopf bekommen und einen kurzen Sternentanz gesehen. Doch geschadet hatte ihm das nicht.
Nach einer halben Stunde stand es 100 zu 40 für die Roten, deren Hüter und Treiber den großen Vorsprung ermöglicht hatten. Julius wußte, wenn die weißen jetzt den Schnatz holten, waren die Grünen Pokalsieger. Denn für einen Punktegleichstand fehlten den Roten noch 40 Punkte.
Janine hielt Miro jedoch gut in Schach. Zwar schaffte keiner von beiden den Schnatzfang, bevor die Roten mit einem Ferntor von Brunhilde Heidenreich das 150 zu 40 Markierten und damit nun zehn Punkte vor den Grünen lagen, doch sie umschwirrten sich immer wie lauernde Raubvögel. Einmal versuchte es Miro mit einem Wronsky-Bluff, einem abrupten Sturzflug, der den gegnerischen Sucher hinter sich herlocken sollte. Doch Janine lachte nur, weil sie gerade auf einen goldenen Punkt über dem mittleren Ring des weißen Torraums zuraste. Miro erkannte fast zu spät, wie dumm er sich verhalten hatte. Doch Seraphine hatte Janine schon den Quaffel entgegengeworfen, der sie gekonnt aus der Bahn drängte, bevor ein Klatscher der weißen sie fast voll traf. Miro flog derweil dem Schnatz nach, der jedoch schnell davonschwirrte. Miro kam nicht nach, weil gerade beide Klatscher auf ihn losstürzten. So dauerte es noch eine Minute, bis Janine von unten nach oben stoßend wie ein Hai auf Robbenjagd an ihrer Kameradin Brunhilde vorbeiraste und mit der linken Hand einen glitzernden Gegenstand packte und triumphierend hochhielt. Dedalus langer Trillerpfeifenstoß markierte das Ende einer schnellen und teilweise lebensgefährlich riskanten Partie. Weiß hatte im letzten Spiel nur 40 Punkte erzielen können, während die Roten nun mit 160 Punkten vor den Grünen lagen. So sangen die Anhänger der Roten laut:
"Rot ist der Pokal! Rot ist der Pokal, danke, danke, danke noch einmal!"
"Einhundertsechzig Punkte, Julius. Das liegt jetzt auch bei Agnes. Aber ein Tor sollten wir gegen die Blauen schon machen", sagte Barbara zu Julius.
"Na, gratulierst du deinen Spielkameraden aus Millemerveilles heute noch, Julius?" Fragte Suzanne. Dieser lachte.
"Zu dem Sieg auf jeden Fall. Vor allem will ich César und Janine gratulieren. Die haben denen ja diesen Erfolg eingebracht. Immerhin lohnt es sich noch für uns, gegen die Blauen zu gewinnen, auch wenn die da hinten so blöde lachen. Bis irgendwann dann, Suzanne", sagte Julius noch und verließ mit Barbara und Jeanne die Ränge der Grünen, um fair zu gratulieren.
Unterwegs trafen sie Martine Latierre und ihre Schwester, die loszogen, um der siegreichen Mannschaft zu gratulieren.
"Einhundertsechzig Punkte. Die müßt ihr erst einmal holen", lachte Martine Jeanne an. Diese nickte nur und lachte zurück:
"Gegen den Reservespieler der Blauen kommt Agnes locker zum Schnatzfang. Und das eine Tor, was wir brauchen, können wir locker angehen. Wenn die Blauen auf Randale machen, wir können warten."
"Einhundertsechzig ist ja auch nicht gerade ein so großes Polster. Höchstens gegen die Gelben", erwiderte Mildrid. Julius grinste darüber nur.
Seraphine gratulierte zwar fair und artig Brunos Mannschaft. Doch in ihren Augen standen kleine Tränen. Sicher, für ihre Mannschaft war der Zug zum Pokal schon abgefahren. Doch ihr letztes Schulspiel hätte sie sicher gerne noch einmal gewonnen. Miro trottete wie ein begossener Pudel hinter den anderen Mannschaftskameraden her. Hätte er nicht im ungünstigsten Moment einen ohnehin gefährlichen Wronsky-Bluff ausprobiert, hätte er den Schnatz vielleicht noch kriegen können.
"Heh, Julius! Nett, daß du uns gratulierst. Bleibt also noch spannend, die Saison!" Rief Sabine Montferre Julius an. Dieser steuerte daraufhin erst die Montferres an und gratulierte diesen zum so gut abgestimmten Klatscherspiel.
"Die Rossignols sind brutaler als wir, Julius. Pass bloß auf, wenn ihr gegen die ran müßt!" Warnte Sabine den Drittklässler. Dieser nickte.
"Die werden sich jetzt darin wälzen, daß sie euch zum Pokal verhelfen dürfen, Sabine. Vorfreude macht aber so leicht benebelt. Wir wissen, wie die drauf sind. Nur wir haben den besseren Sucher. Uns würde ein Tor und der Schnatzfang reichen. Aber ich denke mal, so einfach wird es nicht kommen."
"Marc und Serge haben schon auf uns keine Rücksicht nehmen wollen. Die werden sich jetzt, wo sie sich freuen, doch noch was im Pokalstreit anschieben zu können, noch weniger zurückhalten", warf Sandra noch ein, bevor Bruno Julius sah und ihm zuwinkte. Er lief zu ihm, nachdem Jeanne ihn gerade herzlich umarmt und ihm gratuliert hatte.
"Tja, sieht gut aus für uns", meinte Bruno lächelnd.
"Stimmt, ihr müßt jetzt nur noch zugucken", warf Julius mit hintergründigem Lächeln ein. Dann gratulierte er Bruno zum letzten Sieg seiner Beauxbatons-Quidditchlaufbahn. "Man ist immer groß, wenn man dann geht, wenn man ganz oben steht", zitierte Julius eine Sportlerweisheit, die er vor Jahren mal im Fernsehen aufgeschnappt hatte, als ein hochbezahlter Fußball-Profi seinen Rücktritt erklärt hatte, nachdem sein Verein den Meistertitel geholt hatte.
"Unabhängig davon, ob wir den supergroßen Trinkkelch nun kriegen oder ihr, die Mercurios freuen sich bestimmt schon auf César und mich."
"Suzanne Didier wollte auch schon zu einer Profi-Mannschaft", warf Julius ein. Bruno lachte.
"In ihren Träumen vielleicht, Julius. Du glaubst doch nicht, daß die Didiers die weiter Quidditch spielen lassen, nur damit sie ihrer Cousine was voraushat. Aber was die Didier macht juckt mich ja nicht, solange die mich nicht auf den Besen holt", tönte Bruno.
"Soweit kommt's noch", mischte sich Jeanne ein. "Du noch ein angeheirateter Cousin von Mademoiselle Grandchapeau. Du baust mir in Millemerveilles ein schönes Haus und da ziehen wir dann zusammen ein!"
"Was für'n Haus?" Tat Bruno verwundert. Jeanne feuerte einen vernichtenden Blick auf ihn ab. Er trollte sich dann.
Julius gratulierte Janine und César, die ja heute auch ihr letztes Spiel der Schulzeit abgeliefert hatten und ging dann zu Seraphine, die ihre Tränen wieder getrocknet hatte. Barbara tröstete derweil ihren Freund Gustav, der sehr geknickt dreinschaute.
"Hallo, Julius! Möchtest du mir sagen, daß ihr den Pokal holt? Ich gönne es euch", sagte Seraphine leise.
"Hmm, wir werden es versuchen. Aber mein Leben werde ich nicht dafür hinschmeißen, Seraphine. Ich bin dann noch einige Jahre hier, sollte der Pott uns dieses Jahr nicht zufallen."
"Ich glaube aber nicht, daß Jeanne das so einfach hinnimmt", meinte Seraphine. Die erwähnte kam gerade an und gratulierte Seraphine zu einer schönen schnellen Partie.
"Ich habe das eben gehört. Natürlich werde ich niemanden verheizen, Seraphine. Ich habe den vor zwei Jahren mit meiner Mannschaft geholt. Ich muß den nicht noch mal haben, wenn es hieße, sich gegen eine Randaletruppe wie den Blauen mit Gewalt durcharbeiten zu müssen. Wie geht es deinem Cousin Polonius?"
"Haha, wie nett, Jeannette. Nach dem Reinfall gegen die Wölfe ist der als Verräter beschimpft worden, und den Zehner hat der noch nicht voll im Griff. Der ist dem zu überzogen", sagte Seraphine.
"Muß er eben langsamer damit fliegen", warf Jeanne ein und zwinkerte kurz Julius zu. Dieser zwang sich, sich nicht ertappt zu fühlen und sagte nur:
"Die meisten Spieler motzen rum, wenn die mit neuen Spielgeräten Probleme kriegen. Das geht vorbei, Seraphine."
"Aber wo wir's von dem haben, Julius, der wollte wissen, ob du wirklich so gute Drähte in die australische Liga hast. Maman hat ihm erzählt, daß du die Sucherin Lighthouse kennst. Polonius hätte gerne von den Nationalspielern Autogramme mit Fotos."
"Hmm, Pamela Lighthouse hat gerade Babypause, Seraphine. Aber ich denke, die wird gerne ein Autogramm rüberschicken, wenn sie weiß, daß Polonius Lagrange in der Nationalmannschaft spielt. Vielleicht wollen Ja Kollegen von ihr auch französische Profi-Autogramme oder Trikots", sagte Julius, der schon daran dachte, der gemalten Aurora Dawn über seinem Bett den Auftrag zu geben, bei ihrem Original um diese Autogramme zu bitten.
"Ach, da gibt's also noch wen, den so'n Balg die Karriere versaut hat", knurrte Constance Dornier von hinten und schob sich an Julius vorbei zu Seraphine.
"Erstens ist die glücklich verheiratet und zweitens wollte die das Kind", fuhr Julius die hochschwangere Mitschülerin an. Diese zuckte nur mit den Achseln und ging zu ihren früheren Mannschaftskameraden.
Belisama Lagrange kam zusammen mit Estelle herunter und gratulierte ihrer Cousine zu einem sehr tollen Spiel. Dann kam sie zu Julius herüber und lächelte.
"Die Roten und die Blauen meinen schon, der Pokal wäre vergeben. Aber die sollen besser aufpassen. Ihr macht das in zwei Wochen mit den Blauen. Die können doch nur Randale."
"Wadenbeißer sind nicht zu unterschätzen, Belisama. Selbst wenn die noch so klein sind, können sie jemandem die Beine wegziehen. Aber nett, daß du uns Glück für den Pokalendkampf wünschst", erwiderte Julius. Danach kehrte er zu seinen Kameraden zurück und verbrachte einen herrlichen Tag im freien.
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Ja, und das war jetzt eine Woche und einen Tag her, erinnerte sich Julius. Die Zeit danach war geprägt von noch heftigerem Training und gewolltem Foulspiel, um Jäger und Sucher gegen die Radautechnik der Blauen zu wappnen. Doch jetzt war nichts mit Quidditch. Hier und heute würden junge Hexen mit von ihnen ausgewählten Partnern auf ihren Besen herumfliegen. Manche Hexen würden auch einzeln fliegen, wenn sie partout keinen Partner bekommen hatten. Eins stand jedoch fest. Im Moment würden zumindest die Lehrerinnen alle Partner kriegen. Denn neben den Lehrern betraten auch die Schulbediensteten Madame Cyra D'argent aus der Bibliothek, Schwester Florence Rossignol, die Heilerin und Schuldiener Gergovian Bertillon die beiden übergroßen Drehräder. Die Hexen nahmen auf dem oberen Rad Platz, die Zauberer auf dem unteren. Julius staunte, wie wendig Professeur Faucon oder die kugelrunde Professeur Bellart, sowie Schwester Florence die Strickleitern hochturnten und sich dann auf die bequemen Sitze setzten.
Madame Maxime trat noch einmal vor die Schülerschar und sah allen in die Augen. Schweigen breitete sich aus.
"Also dann, Mesdames, Mesdemoiselles et Messieurs. Wie jedes Jahr wird das Walpurgisnacht-Auswahlroulette bestimmen, wer von meinen Kolleginnen mit wem von meinen Kollegen zusammen den obligatorischen Besenritt mitmacht. Wenn dieses Roulette uns einander zugeteilt hat, dürfen die Damen die Herren zu sich bitten, die ihre Einladungen angenommen haben. In den so gebildeten Gruppen werden wir uns dann auf der großen Wiese zum Abendessen niederlassen, das anderthalb Stunden dauern wird. Danach wird das große Feuer entzündet, und die Besen werden an ihre Besitzerinnen ausgegeben. Wenn alle ihre Besen und Besenpartner bei sammen haben, werden wir wie jedes Jahr eine Stunde lang über dem Gelände herumfliegen, wobei verschiedene Manöver angewandt werden dürfen, sofern die betreffenden Damen sich an ihre Grenzen halten. Bonuspunkte für das beste Manöver gibt es nicht. Allerdings können Strafpunkte für übertrieben gefährliche Flugdarbietungen vergeben werden. Das sage ich nicht nur den Debütantinnen, sondern auch denen, die immer noch nicht wissen, wie weit sie besser nicht gehen sollten.
Nach dem Flug kommen wir zu den Spielen des Abends und zum gemeinsamen Tanz. Also dann, auf zur Walpurgisnacht!"
"Auf zur Walpurgisnacht!" Riefen alle Hexen von Beauxbatons außer Laurentine Hellersdorf, die sich vorsichtig aus der Nähe von Claire und Céline zurückzuziehen begann.
Madame Maxime turnte für ihre außerordentliche Größe sehr geschwind die beiden Strickleitern zum oberen Rad hoch. Sie klopfte mit ihrem Zauberstab, als sie sicher saß. Sofort rollten sich die Strickleitern wieder ein und klemmten sich von Zauberhand in stabile Halterungen ein. Dann sagte die Schulleiterin noch:
"Die älteste Hexe unter Ihnen, Mesdemoiselles Schülerinnen mag nun mit dem Zauberstab das Roulette in Gang bringen. Wenn es ihr beliebt, mag sie es wieder anhalten!"
Barbara Lumière trat vor. Sie war hier tatsächlich die älteste Schülerin, mußte Julius nun erkennen. Sie hob ihren Zauberstab und schickte einen dünnen silbernen Lichtstrahl zur Drehachse des Roulettes, das darauf langsam in Schwung kam. Das obere Rad drehte sich nach links, während das untere Rad sich nach rechts drehte. Die Lehrerinnen und lehrer hielten sich gut fest, während das merkwürdige Hexenkarussell immer schneller wurde. Alle Passagiere saßen mit den Gesichtern zur jeweiligen Fahrtrichtung. Die Schülerinnen und Schüler blieben ehrfürchtig schweigend stehen, während die beiden Räder sich nun mit einer hohen Geschwindigkeit in gegenläufige Richtungen drehten. Eine Minute ließ Barbara dieses riesige Zaubergerät rotieren, dann schickte sie einen goldenen Lichtstrahl aus, der die Drehachse traf. Langsam verlor das Roulette seine hohe Drehgeschwindigkeit und kam eine Minute später zur völligen Ruhe, was mit einem lauten Klack und den sich von selbst umwendenden Sitzen markiert wurde. Lehrer und Lehrerinnen blickten sich nun direkt an. Einige Schüler lachten, als sie sahen, wer mit wem den restlichen Abend verbringen sollte. So hatte Professeur Faucon Professeur Paralax erwischt, Professeur Bellart hatte Schuldiener Bertillon erwischt, und Professeur Pallas sollte mit Professeur Armadillus zusammen den Abend bestreiten. Trifolio war als Partner für Madame D'argent ausgelost worden, währhrend Schwester Florence mit Chariot zusammenkam, einem Lehrer, den Julius nur flüchtig kannte. Heftig fand er, daß Professeur Fixus mit Professeur Paximus zusammen war. Madame Maxime hatte mit dem Julius' ebenfalls flüchtig bekannten Professeur Cognito zu tun, der selbst für reinrassige Menschen ein Winzling war und schütteres graues Haar besaß und hier in Beauxbatons die Wahrsagerei unterrichtete.
"Also, wenn Paximus der Fixus heute den Umhang vollkübelt wird's lustig", feixte Robert leise, während alle anderen raunten und tuschelten. Julius grinste.
"Bleibt ihm zumindest das Pferd erspart. Wie gut ist dieser Cognito im fliegen?"
"Der geht lieber zu Fuß oder appariert. Mit dem Fliegen hatte er es nie so, heißt es", erwiderte Robert Deloire. Dann sah er, wie Madame Maxime Barbara ein Zeichen machte, die dann ihr Gesicht zu Gustav wandte, der zwischen seinen Klassenkameraden aus dem weißen Saal stand. Rasselnd fielen die Strickleitern herunter, sodaß Lehrerinnen und Lehrer das Hexenkarussell wieder verlassen konnten. Während sie mit dem Bewegungszauber die schweren Truhen unter der Apparatur hervorkommen und hinter sich herfliegen ließen, trat Barbara auf Gustav zu und forderte ihn auf, wie beim Tanzen. Diszipliniert kamen nun sämtliche Hexen auf die jungen Zauberer zu, die auf ihre Besenherrinnen warteten.
"Hoffentlich war das kein Fehlgriff mit diesem Leuchthaarding", flüsterte Robert, als Céline und Claire auf ihn und Julius zuschritten, lächelnd und beschwingt.
"Monsieur Deloire, geben Sie mir nun die Ehre, mich durch diesen Abend zu geleiten?" Fragte Céline. Robert nickte nur. Claire kam auf Julius zu und fragte ihn:
"Monsieur Andrews, geben Sie mir nun die Ehre, mich durch diesen Abend zu begleiten?"
"Aber gewiss doch", erwiderte Julius lächelnd und ließ Claire bei sich unterhaken.
"Du weißt genau, was so alles bei uns üblich ist, hat Maman mir geschrieben. Nervös?" Wandte sich Claire nun wieder kameradschaftlich klingend an ihren Begleiter. Dieser nickte.
"Nun, Catherine hat mir dieses und jenes erzählt. Aber das mit dem Auswahlroulette hat sie mir verschwiegen. Allerdings hat sie mir was anderes erzählt, was mich etwas stutzig gemacht hat. Aber mal sehen", erwiderte Julius. Claire grinste ihn an, während sie mit Julius wie die anderen sich bildenden Paare auf Madame Maxime zuschritt, die rechts neben sich Professeur Cognito stehen hatte. In der linken Hand hielt sie etwas wie zwei sehr dünne Metallringe. Einer davon war so gewaltig, daß Julius meinte, da locker hindurchspringen zu können. Doch wußte er genau, was damit los war. Er dachte noch einmal zurück, was Catherine ihm in den Osterferien über die Walpurgisnacht in Beauxbatons erzählt hatte.
"Julius, wenn du dich auf eine junge Hexe als sogenannte Besenherrin einlässt, dann wirst du was interessantes, aber vielleicht auch merkwürdiges erleben", hatte sie begonnen. "Du wirst dann, wenn sie dich offiziell für den Abend zum Begleiter erwählt hat, von ihr zur höchsten Hexe in der Schule gebracht, in eurem Fall also Madame Maxime. Diese wird vorher die Reife der Zweisamkeit mit sich und ihrem Besengetreuen verbinden. Das sind magische Metallringe, die durch einen Verbindungszauber so behext sind, daß sich damit verbundene Leute, sofern sie sich geschlechtlich unterscheiden, auf gerade einmal anderthalb Schritte zusammenhalten. Versucht der eine oder die andere, diesen Abstand zu überwinden, zieht ihn der Verbindungszauber wie an einer Kette zurück in die erlaubte Entfernung. Ich denke, das kennst du von irgendwoher."
"Ist ja heftiger als das mit Belle", hatte er darauf geantwortet.
"Allerdings, du kannst nämlich solange nicht von deiner Besenherrin weg, bis du alle Aufgaben erfüllt hast, die ihr von der Ältesten aufgetragen bekommt. Wenn einer von euch zwischendurch mal muß, dann müßt ihr Abwechselnd in einer der aufgebauten Kabinen verschwinden, die am Festplatz errichtet werden. Wer dann aber draußen steht, klebt förmlich an der Tür. Ich habe das mit meinen drei Besengetreuen erlebt. Das war anstrengend, sich korrekt zu erleichtern, ohne von ihm zur Tür zurückgezogen zu werden. Also tu es derjenigen bloß nicht an, die dich zum Begleiter erwählt!"
"Müssen die Lehrer das auch durchhalten?" War Julius' Frage darauf gewesen.
"Natürlich. In einer Einrichtung wie Beauxbatons müssen alle Hexen und Zauberer an diesem Abend gleichermaßen ihre Rollen spielen. Das ist auch in Millemerveilles so."
"Und was für Aufgaben müssen die alle erfüllen?" Hatte Julius dann wissen wollen.
"Nun, das sind Gewandtheits- und Geschicklichkeitsübungen, die außer den üblichen Tänzen stattfinden. Du weißt vorher nie, wieviele Aufgaben du erfüllen mußt. Das weiß die Herrin der Nacht, so heißt die älteste Hexe für diesen Abend. Sie belegt die Reife der Zweisamkeit mit den Zaubern, die erst erlöschen, wenn wirklich alle Aufgaben korrekt erfüllt wurden. Wer schummelt oder nicht vor Mitternacht alles erledigt hat, muß den ihm oder ihr angelegten Metallreif einen vollen Tag mit sich herumschleppen. Glaub mir, das möchtest du bestimmt nicht. Zwar ist die magische Kopplung um Punkt Mitternacht um, aber danach wird das Ding von Stunde zu Stunde immer schwerer. Du meinst, einen immer schwereren Bleigürtel um zu haben, den du auch nicht losmachen kannst. Zwar kannst du den Umhang wohl darunter wegziehen, aber loskriegen kannst du ihn nicht. Wenn alle aufgetragenen Aufgaben erfüllt sind, bevor es Mitternacht ist, leuchtet der Reif weißgolden. Daran kann man genau sehen, wer wie gut zusammen die gestellten Aufgaben erfüllt hat. Um Mitternacht lösen sich die Metallreife aus der magischen Bindung. Aber von dir oder deiner Besenherrin lösen sie sich nur, wenn ihr beide dann zu der Herrin der Nacht hingeht und sie die euch wieder abnimmt."
"Hmm, dann sollte ich vielleicht überlegen, ob ich mir das wirklich antun soll", hatte Julius darauf geantwortet. Catherine hatte darauf nur gelächelt und erwidert:
"Ich fürchte, daß würden dir sämtliche Mädchen, die gerne mit dir den Abend verbringen wollten, für den Rest deiner Schulzeit übelnehmen. Du hast es ja gelernt, daß eine wütende oder enttäuschte Hexe schlimmer als die Hölle sein kann. Wenn du dir was unter der Hölle vorstellen kannst, denk dir das doppelt oder dreifach schlimmere!"
"Anderthalb Schritte, Catherine?"
"In Beauxbatons, Julius. Anderswo sind sogar schon Verbindungszauber benutzt worden, die Besenpartner auf weniger als einen Schritt zusammenhalten."
"Anderthalb Schritte der Dame oder des Herren?"
"Hmm, ich glaube, es ist genau die Mittellänge zwischen beiden. Die Verzauberung stellt sich irgendwie darauf ein, wie weit wer von euch ausschreiten kann. Madame Maximes Partner hat also etwas mehr Freiheit als Professeur Fixus' Partner, falls er nicht mehrere Köpfe größer als sie ist."
"Ich habe ja schon gewisse Übungen im Einhalten von Entfernungsgrenzen", wußte Julius darauf zu antworten, obwohl es bei der verunglückten Körpertauschverwandlung an Halloween zehn Schritte gewesen waren.
Tja, und nun standen Sie in Zweierreihen, links die Zauberer, rechts die Hexen, vor Madame Maxime, die erst sich und dann Professeur Cognito je einen goldenen Metallreifen um die Taille legte. Die Ringe schlossen sich wie zusammengeschweißt und nahtlos. Dann trat Barbara auf Madame Maxime zu. Gustav van Heldern im seegrünen Umhang mit spiegelnden blauen Verzierungen, stand knapp einen Schritt von ihr entfernt. Ohne Klicken oder Schnappgeräusch schloss sich der Metallring um Barbara, dann um Gustav. Dann kamen andere Hexen und Zauberer dran. Julius sah, daß jedesmal ein neues Paar dieser Verbindungsringe aus einer großen Truhe herbeiflog. Robert, der das Spiel schon kannte, zwinkerte Julius zu. Dieser sah ihn ruhig an und murmelte: "Anderthalb Schritt, was Robert?"
"Du hast dich wirklich gut vorbereitet", mußte Claire eingestehen, als sie zügig auf die älteste Hexe, Madame Maxime zugingen, die einen sonnengelben Satinumhang mit großen glänzenden Schmucksteinen trug und sich den gleichen Kopfschmuck wie Claire durchs Haar geflochten hatte.
Erst kamen Céline und Robert an die Reihe. Als sie jeder einen dieser goldenen, sehr zerbrechlich wirkenden Metallringe um den Leib trugen, gingen sie erst vorsichtig dann immer sicherer weiter, den breiten mit Marmorplatten ausgelegten Weg folgend, in die richtung zur Westseite des Palastes, wo eine Wiese groß wie fünf Fußballfelder angelegt war.
"Mademoiselle, ich verbinde Sie nun mit Ihrem Besengetreuen, auf daß er und Sie für diesen Abend in Eintracht feiern mögt", sagte Madame Maxime, sah dabei erst Claire und dann Julius an. Dieser hielt dem Blick ihrer großen Augen stand und ließ es über sich ergehen, wie sie mit ihren mächtigen Händen einen der Goldringe um seine Taille legte und vorsichtig zusammendrückte. Wieder hörte Julius kein Schließgeräusch oder ähnliches. Er fühlte jedoch ein sanftes Vibrieren, als sich der Metallreif um seinen Leib fest geschlossen hatte. Er ging mit Claire weiter, wobei er fühlte, wie ihre Bewegungen in seinem Metallring nachschwangen, als wären sie wirklich durch eine Kette miteinander verbunden.
"Und wenn ich mir jetzt doch was anderes überlege?" Fragte Julius Claire.
"Dann wirst du sehen, was du davon hast, Julius. Jedenfalls kannst du jetzt nicht weiter als anderthalb Schrittlängen von mir weggehen, egal in welche Richtung."
"Na toll, aber dann halt mir bloß nicht vor, daß ich dir zu anhänglich sei", erwiderte Julius. Er dachte daran, daß Goldschweif, die Knieselin, die ihn als ihren Vertrauten auserwählt hatte, von Professeur Armadillus mit einem Zwölf-Stunden-Schlafelixier behandelt worden war, sodaß sie die ganze Nacht verschlafen würde. Er hoffte, daß der Zaubertierlehrer die Schlaflösung auch gut untergebracht hatte. Doch bis jetzt war kein silbriggraues Tier mit goldenem Schweif herangesprungen und hatte ihn begrüßt. Also mußte es wohl funktioniert haben.
Julius probierte es aus, wie sich das anfühlte, wenn er die Magische Entfernungsbeschränkung nicht beachten würde und ging mit zwei schnellen Schritten zur Seite. Unvermittelt packte etwas ihn, hob ihn kurz vom Boden und setzte ihn direkt neben Claire wieder ab.
"Eh, du weißt doch, daß du mir jetzt nicht einfach weglaufen kannst", fauchte Claire.
"Wollte nur wissen, was passiert", erwiderte Julius und ging nun brav neben seiner Besenherrin her, die sich schnell unterhakte und wisperte:
"Bis Mitternacht bleibst du bei mir, was immer auch passiert."
Über der großen Wiese schwebte eine gleißende Lichtkugel, wie eine künstliche Sonne. Julius staunte, mit wievielen kleineren Lichtern bunt und warm der Festplatz umgeben war. Tische, an denen je sechs Leute sitzen konnten, standen knapp zehn Meter von den magischen Lichtquellen fort. Das magische Licht von oben malte Schattenbilder der vorbeigehenden Paare und Einzelleute auf den Boden. Julius sah Mildrid Latierre, die zusammen mit einem Kameraden aus dem roten Saal an einem der vielen Tische saß und sich mit ihm unterhielt. Er sah Barbara und ihren Begleiter an einem Tisch mit Jeanne, Bruno, Virginie und Aron sitzen. Belisama saß mit einem Fünftklässler aus ihrem Saal zusammen, der wohl nicht recht wußte, wie ihm geschah. Seraphine hatte sich einen Jungen aus dem Violetten Saal eingeladen, und Deborah Flaubert und Sixtus Darodi, die beiden Pflegehelfer aus dem weißen Saal, saßen auch direkt zusammen am Tisch mit Seraphine. Argon Odin, Claires Cousin, saß mit Celeste Brigardier aus der dritten Klasse zusammen. Entweder war das seine Freundin, oder er war von einer anderen Hexe eingeladen worden, die selbst keinen Freund hatte. Die Montferres hatten sich mit Martine und Edmond mit ihren Freunden, den Rossignol-Zwillingen an einen Tisch auf der anderen Seite des Kreises gesetzt.
"Oh, da wird Edmond aber heute was zu grübeln kriegen, wenn die Montferres und die Rossignols ihm so nahe auf der Pelle hocken", sagte Julius zu Claire.
"Tut ihm vielleicht mal gut, die wahre Welt zu erleben und nicht die merkwürdige Welt, in der er zu leben meint. Martine wird ihn wohl häufig genug verblüffen", sagte Claire zu Julius. Sie winkte Jeanne zu, die zurückwinkte und nickte.
"Hat Laurentine wen eingeladen, auch wenn sie nicht fliegt?" Fragte Julius.
"Nein, die hat keinen eingeladen. Dann wird die an einem der Mädchentische sitzen, zusammen mit Leuten wie Bérenice Tourrecandide, die Belles Nachfolgerin bei den Violetten werden wird."
"Ach ja, das hat mir Catherine, also Madame Brickston auch erzählt, daß dann, wenn keine Paare für den Abend zusammenkommen, getrennte Jungen- und Mädchentische besetzt werden. Ich weiß zwar nicht, ob das so gut sein soll, so heftig rüberzubringen, wer niemanden abgekriegt hat, aber im Moment wüßte ich nicht, was ich dagegen sagen könnte", erwiderte Julius.
"Auf jeden Fall sitzt du heute nicht alleine. Was meinst du, was alle anderen Mädchen über dich gesagt hätten, wenn du keine Einladung angenommen hättest?"
"Ich denke doch mal, daß ich da weniger probleme gekriegt hätte", entgegnete Julius schnell, während er mit Claire am rechten Arm auf einen freien Tisch zusteuerte. Auf dem Tisch stand ein silberner Leuchter mit sechs weißen Kerzen, die ein warmes orangegelbes Licht über den weiß gedeckten runden Tisch ergossen. Sicher, die Sonnenkugel verströmte ein sehr helles Licht. Doch Julius dachte sich, daß dieses magische Licht da nicht für den ganzen Abend leuchten würde. Der Artisolis-Zauber, der von mindestens fünf Zauberkundigen gleichzeitig aufgerufen werden mußte, konnte eine solche Sonnenlichtkugel für vier Stunden in den Himmel beschwören, die einen Bereich wie diese Wiese voll beleuchten konnte. Doch er mußte danach immer neu aufgefrischt werden.
"Wieso haben die nicht den Raumerhellungszauber Amplumina gewirkt?" Fragte sich Julius halblaut. Claire deutete das jedoch als an sie gehende Frage und antwortete:
"Du weißt doch, daß der Amplumina-Zauber nur einhundert mal einhundert Meter umfassen kann. Kuck dir doch den Platz hier an! Selbst diese Sonnenkugel schafft den gerade so hell genug zu beleuchten."
"Hast recht, Claire. Ich hätte daran denken sollen", erwiderte Julius und setzte sich links von Claire. Sandrine Dumas kam mit Gérard herüber, nickte Claire zu, die zurücknickte und bugsierte ihren Begleiter an den Tisch links von sich, nahm dann genau zwischen ihm und Julius platz. Als dann noch Céline und Robert ankamen, nickte Claire erneut. Das genügte ebenfalls, damit Céline Robert an diesen Tisch führte und sich mit ihm auf die freien Stühle setzte.
"Na, und wie fühlt man sich so verbunden?" Fragte Robert Julius. Dieser lächelte und sagte nur:
"Fast wie an Halloween, nur nicht so schmerzhaft wie da."
"Da konntest du ja auch noch einige Schritte weitergehen", stellte Gérard fest. Claire räusperte sich und erwiderte:
"Er wußte das vorher schon, was ihn erwartet, Robert und Gérard. Ihr habt das ja wohl erst heute Abend mitbekommen, oder?"
"Stimmt, Claire", mußte Gérard eingestehen, als sie ihn sehr eindringlich ansah. Sandrine beugte sich zu Julius und flüsterte ihm die Frage zu:
"Hat deine Hexenbekannte aus Paris dir alles erklärt? Ich mach das heute ja das erste mal so mit."
"Ich auch, Sandrine", flüsterte Julius zurück und mußte grinsen. Claire zupfte ihm am Ärmel und fragte:
"Was hast du denn mit deinen Haaren angestellt? Sieht ja interessant aus."
Julius erschrak ein wenig, mußte dann aber grinsen. Er hob den linken Arm mit der Weltzeitarmbanduhr und versuchte, sein Spiegelbild darin zu sehen. Tatsächlich schimmerte sein Haar immer heller werdend in einem flammenden Rotton, wie er es sich ausgesucht hatte. Er sah sich um und entdeckte, daß die Leuchthaarzauberei nun auch bei Gérard und Robert einsetzte, nicht schlagartig wie eingeschaltet, sondern bedächtig wie vorsichtig verstärktes Licht.
"Öhm, ich hatte da was neues zum Ausprobieren", sagte Julius. Die Jungen sahen ihn an, dann blickten sie sich gegenseitig an. Bei Robert leuchtete das Haar wie eine schwache gelbe Sonne. Bei Gérard schimmerte es grün, mit einem winzigen Blaustich.
"Das Zeug geht wirklich", meinte Robert zu Julius. Céline fragte ihn:
"Ist das von Dione Porter? Warum hast du uns das nicht auch gegeben?"
"Weil ich meinte, daß du mit deinen Mondscheinfunkelperlen besser aussiehst als mit irgendwelchen Haarleuchtfarben", wandte Robert ein, bevor Julius was sagen konnte. Céline kniff ihm schnell aber energisch in die Seite knapp über dem Verbindungsring.
"Sag mir bitte, wann du das gekriegt hast, Julius und hör nicht auf meinen Nachbarn hier!"
"Das kam vor einer Woche, einen Tag vor dem Spiel Rot gegen Weiß, Céline. Ich wollte das nicht durch die ganze Schule rumgehen lassen und hab's erst einmal weggesteckt bis heute abend."
"Wieviel Farben gibt das her?" Fragte Sandrine und streichelte Julius vorsichtig durchs Haar, was Claire dazu brachte, leicht entrüstet zurückzuglotzen.
"Also sechzehn Farben sind wohl getestet und in der Gebrauchsanweisung erwähnt. Ich denke aber, daß die noch mehr Farbtöne hinkriegen."
"Auf jeden Fall ein sehr intensives Rot, Julius. Passt herrlich zu deinem und meinem Umhang und geht auch gut mit dem Besenschmuck, den ich mir ausgesucht habe", erwiderte Claire. Dann sagte sie zu Céline: "Robert hat aber recht, obwohl er eigentlich keine Ahnung davon haben kann. Dein Haar sieht mit den Perlen allein besser aus. Aber für's nächste Jahr hole ich mir das auch, oder besser, lass es dir von Madame Porter zuschicken!"
"Wie eure Ladyschaft wünschen", erwiderte Julius frech.
"Es wäre ja auch wieder zu langweilig, wenn jeder oder jede das Mittel benutzt hätte", stellte Sandrine fest. "Mir gefällt mein Kopfschmuck auch so."
"Ja, nette Bänder hast du dir ausgesucht, Sanni", warf Robert leicht gehässig ein und deutete auf die regenbogenfarbigen Haarbänder.
"Nicht ärgern lassen, Sandrine!" Munterte Claire ihre Schulfreundin auf, die leicht rot angelaufen war.
"Da bin ich ja mal gespannt, was die Lehrer sagen, wenn die uns mit diesem Haarleuchtzeug sehen", warf Gérard ein.
"Wieso? Ist doch passend für heute", erwiderte seine Freundin.
"Edmond hat uns schon Strafpunkte angedroht, wenn Madame Maxime unseretwegen das Abendessen nicht bei sich behalten kann", feixte Robert Deloire. Claire lachte nur, wie auch Céline.
"Die Strafpunkte kriegt ja dann wohl Bébé, weil sie fast nichts besonderes anziehen wollte. War nicht einfach, was für die aus den üblichen Kleidern zu holen und herzurichten", sagte Céline.
"Heh, da hinten kommen Mademoiselle Grandchapeau und Adrian Colbert. Offenbar haben die sich ganz hinten einsortiert, um die Zweisamkeitsringe zu holen", wies Céline auf Belle hin, die in einem meergrünen Umhang mit bunten Glitzersteinen herankam, begleitet von Adrian, der im rotgoldenen Umhang daherkam. Die beiden sahen sich um, wo sie noch freie Tische fanden und setzten sich weit weg von den Drittklässlern an einen ganz leeren Tisch, von denen es gerade noch zwei gab.
"Dann sind ja doch alle da, die hier schon zusammen unterwegs waren", bemerkte Gérard. Dann sah er Céline an und fragte verschmitzt grinsend: "Wo ist denn dein lieb Schwesterlein. Die wird ja wohl mit dem Gepäck nicht fliegen wollen?"
"Gérard, benimm dich ja anständig", sagte Céline, während Sandrine ihren Begleiter verdutzt ansah. "Constance wird sich an einen der Mädchentische setzen, wohl zu denen, die nicht so'n dummes Zeug daherreden. Könnte sein, daß sie mit Bébé zusammensitzt. Fliegen wird die bestimmt nicht. Könnte sogar sein, daß sie nach dem offiziellen Auftakt schon wieder reingeht."
"Ja, weil sie bestimmt nicht dumm dabeisitzt und sich von jemanden, der nicht alleine atmen kann in den Bauch treten zu lassen und dabei andere auf Besen herumfliegen sehen will", gab Gérard gehässig zurück, wofür Céline ihn sehr energisch am Ohr zog.
"Das war nicht nett, Gérard", warf Sandrine ein. Claire und Céline sahen den Jungen, dessen Haar gerade grün leuchtete, sehr vorwurfsvoll an.
"Wieso, recht hat er doch", erwiderte Robert, der wohl gleich darauf einen kräftig gedrückten Schuhabsatz auf die Zehen bekommen haben mußte, wie er zusammenschrak.
"Auch wenn das jetzt altklug rüberkommt, Leute: Wir waren uns doch alle darüber einig, daß wir uns nicht so das Maul darüber zerreißen, was Constance gerade mitmacht, oder?" Wandte sich Julius an seine Tischgenossen. Claire legte ihm sacht den Arm um die Taille, was den goldenen Ring darum leicht vibrieren ließ. Céline nickte heftig, Sandrine nickte kurz, Robert lief rot an und Gérard starrte kurz zu Julius hinüber, als habe der ihm einen Heidenspaß verdorben. Dann mußte er auch nicken.
"Wir wollen uns hier nicht rumzanken", sagte Sandrine Dumas noch, um Gérard zu beschwichtigen. "Das hier ist ein sehr schöner Abend, und ich will den nicht mit irgendwas kaputtmachen, solange du mit mir verbunden bist."
"Ui, Sandrine, seit wann denn so entschlossen?" Wunderte sich Robert.
"Ach, hast du das nicht mitbekommen, wie der Farbenteppich nachher zwischen Gelb und Rot gehangen hat, bis dann nur das Gelbe durchkam?" Fragte Sandrine. Julius mußte grinsen. Offenbar war es doch wichtig, was für Farben kurz vor der endgültigen Zuteilung auf dem Teppich der Farben übrigblieben.
"Öhm, habe ich nicht mehr in Erinnerung, Sandrine", sagte Robert kleinlaut. Für ihn schien die Frage damit beantwortet zu sein. Julius wunderte sich nur, daß die angeblich so widersprüchlichen Eigenschaften des roten und des gelben Saales in Sandrine vorhanden waren. Aber dann bedachte er, daß ja die überwiegenden Eigenschaften zum Schluß den Ausschlag gaben, auch wenn andere Grundeigenschaften drin waren. Außerdem hatte er Sandrine in Millemerveilles ja auch schon wesentlich entschlossener und auch gegen andere Meinungen eingestellt erlebt, wo die Gelben doch eher schüchtern und leicht umzustimmen sein sollten. Aber wie weit konnten solche Grundeigenschaften endgültig sein? Würde nicht die eigene Entwicklung viel ändern?
"Leute, da kommen die hohen Herrschaften. Alle brav winken!" Wies Céline ihre Kameraden auf die Paare aus Lehrerinnen und Lehrern hin. Madame Maxime schritt sehr langsam, während Professeur Cognito neben ihr normal schnell ging. Sie umrundeten den großen Kreis aus Tischen und gingen dann in die Mitte, wo ein sehr großer runder Tisch auf sie wartete, auf dem sofort Kerzen aufleuchteten. Kaum saß Madame Maxime auf einer hochbeinigen Bank, den Wahrsagenlehrer neben sich, erlosch die magische Sonnenkugel übergangslos.
"A ja, die war also an diese Sitzbank gekoppelt", dachte Julius.
Große Tabletts, silberne Terinen und Berge von Geschirr und Besteck flogen erhaben heran und verteilten sich auf die Tische.
Als sich alles ordentlich sortiert hatte, erhob sich Madame Maxime noch einmal. Alle sprangen sofort auf. Sie wandten sich ihrer Schulleiterin zu und warteten, was sie sagen würde. Mit ihrer raumfüllenden Stimme rief sie:
"Mesdemoiselles et Messieurs, Sie dürfen nun essen. Genießen Sie, was unsere dienstbaren Geister für diesen erhabenen Feiertag zubereitet haben! Guten Appetit!"
"Vielen Dank, Madame Maxime, und auch Ihnen einen guten Appetit!" Wünschten Schülerinnen und Schüler im Chor, was jedoch wegen der großen Entfernung der Tische merkwürdig echohaft klang. Dann aßen alle.
Julius fand es gekonnt, wie man mit einfachen Speisen verschiedene Geschmäcker erfreuen konnte. Pfannekuchen mit herzhafter Füllung, Aufläufe mit frischen Gewürzkräutern verfeinert, dazu scharf gewürztes Zwiebelbrot und verschiedene Soßen. Dazu wurde in silbernen Kelchen Quellwasser, verschiedene Fruchtsäfte oder Wein angeboten. Allerdings schien es den Kelchen irgendwer beigebracht zu haben, daß Leute unter der fünften Klasse keinen puren Wein kriegen durften. Die Getränke wurden wie beim trimagischen Weihnachtsball per Bestellung in die Kelche gezaubert. Julius, der das schnell raushatte, durfte noch einmal erzählen, wie es in Hogwarts bei Halloween oder dem trimagischen Weihnachtsball zugegangen war. Claire achtete darauf, daß Julius zwischendurch auch was aß, indem sie ihm ohne Vorankündigung eine volle Gabel mit Auflauf oder Pfannekuchen in den Mund schob, wenn er ihn zum Weitererzählen öffnete.
"Füttere ihn gut ab, damit der dir alles nachher ins haar .. Mmmmmpf" Tönte Gérard, wurde jedoch von Sandrine zum schweigen gebracht, die ihm wortwörtlich den Mund stopfte.
"Im Gegensatz zu dir hält Julius sehr viel auf einem Flugbesen durch", fauchte Claire dem an einem etwas größeren Stück Auflauf herummmampfenden Gérard zu.
"Mmm, ich wollte nur noch erzählen, wie das beim Neujahrsfest in Hogwarts war", setzte Julius an und griff mit der linken Hand nach seiner Gabel, um Claire davon abzuhalten, ihn noch mal zu füttern. Doch Claire fischte einfach nach seinem löffel, tunkte diesen in die Kräutersoße am rechten Tellerrand ein und nahm ein zurechtgeschnittenes Pfannekuchenstück auf, bereit, es Julius in den Mund zu schieben, wenn er länger redete als es dauerte, zwei Gabeln oder Löffel leerzuessen.
"Gehört das auch zu diesen Geschicklichkeitsdingern, sich gegenseitig zu füttern, Claire?" Fragte Robert.
"Sollte man einführen. Aber dann sollten wir alle Lätzchen anziehen, weil wohl nicht jeder das richtig kann."
"Außer Sandrine und Julius hat das ja auch keiner professionell lernen müssen", sagte Gérard, bevor Sandrine ihm noch eine volle Gabel schnell und geschickt in den Mund schob und freischüttelte. Als sie die Gabel jedoch zurückziehen wollte, hielt Gérard sie mit den Zähnen fest.
"Tja, das kommt davon, wenn jemand meint, andere wie'n Baby behandeln zu müssen", flachste Robert mit Sandrine.
Julius erzählte schnell noch das wichtigste vom Neujahrsfest, wo Sandrine ja auch mit ihm kurz getanzt hatte. Dann aß er schnell und reichlich, bis Claire ihm zunickte, er habe von ihrer Seite her genug.
Nach dem Abendessen standen alle wieder auf und warteten. Wie auf ein geheimes Komando lösten sich die Stühle und Tische einfach in Nichts auf. Die Abdrücke im Gras verschwanden eine Sekunde später.
"Ich werde nun allen Damen, die geprüfte Einzel- oder Soziusfliegerinnen sind, ihre Besen überreichen lassen, damit sie mit ihren Besengetreuen Aufstellung für den Flug ums große Frühlingsfeuer nehmen können", verkündete Madame Maxime. Dann ging sie mit Professeur Cognito und den anderen Lehrern los. Nur Professeur Faucon und Professeur Paralax blieben zurück und beaufsichtigten die Schülerinnen und Schüler. Julius sah, wie Professeur Faucon ihn, dann Robert und etwas weiter Links noch Hercules ansah, dann aber nickte. Offenbar hatte sie die leuchtenden Haare bemerkt und überlegt, ob das ihr gefallen sollte.
Es dauerte eine Minute, da erklang laut donnernder Hufschlag von der Menagerie her. Alle wandten sich um. Mit weit ausgreifenden Schritten betrat eine der Stuten aus der Herde geflügelter Riesenpferde die Wiese. Julius sah sofort, daß es eine der beiden Leitstuten sein mußte.
"Das ist Cleopatra, Julius. Offenbar hat Pyrois Calypso in andere Umstände versetzt", sagte Claire.
"Ja, aber hat der nicht auch mit Cleopatra -?" Fragte Julius.
"Das muß nicht bei jeder was geben, Juju", flüsterte Claire, während das mächtige, aber schöne Tier, das mit glitzernden Bändern in Mähne und Schweif, sowie selbstleuchtendem Zaumzeug geschmückt war und einen wuchtigen Sattel trug, in dem man sich als normalgroßer Mensch wohl verloren vorkommen mochte, herankam. Am Sattel war eine schwere Eisenkette befestigt, die mit einem vierräderigen Karren verbunden war, auf dem alle möglichen Besen gebündelt herumlagen. Professeur Armadillus steuerte den Karren zusammen mit seiner Besenherrin, während Madame Maxime hoch zu Flügelpferd voranritt, Professeur Cognito hinter sich, der in Extraschlaufen seine Beine eingefädelt hatte und sich gerade mit einem breiten Gurt am Sattel festschnallte. Denn nur Madame Maxime konnte ihre zu ihrer Größe verhältnismäßig langen und schlanken Beine problemlos um den Leib der mächtigen Stute legen und hatte ihre Füße in großen Steigbügeln fest und sicher untergebracht.
"Ihre Besen, Mesdemoiselles!" Rief Professeur Pallas vom Karren her. Claire und Julius gingen mit den anderen Hexen zu dem Karren, während Madame Maxime die silbrig-rot glitzernden Zügel fest in den Händen hielt. Die übrigen Lehrerinnen und Lehrer verteilten die Besen. Claire bekam ihren Ganymed 8, der mit roten, orangen und goldenen Bändern verziert war, so fünf Minuten später von Professeur Faucon. Diese sah Julius noch mal an und meinte:
"Extraordinäre Mixtur, die Sie sich da ins Haar gerieben haben, Monsieur Andrews. Ein Werbegeschenk Madame Porters?"
"Geschenk ja, ob es gute Werbung ist, weiß ich nicht, Professeur Faucon", erwiderte Julius, bevor seine Saallehrerin mit Professeur Paralax weiterging und die restlichen Besen verteilte. Julius sah sich um, was mit den Schülerinnen und Schülern war, die nicht am Flug teilnahmen. Er konnte Laurentine Hellersdorf erkennen, die neben Constance Dornier stand und nicht so recht wußte, ob sie besser wieder in den Palast gehen oder sich diesen Flug noch ansehen sollte.
"Achtung, Mesdemoiselles! Besteigen Sie ihre Besen!" Befahl Madame Maxime. Cleopatra wieherte laut und margerschütternd. Claire brachte den Ganymed in die Startstellung, schwang sich auf. Es ruckelte in Julius Metallring.
"Messieurs, sitzen Sie hinter Ihren Besenherrinnen auf!" Befahl die Schulleiterin. "Wenn wir aufsteigen, gebe ich die Flugfiguren vor, die wir zunächst beschreiben. Danach wird Professeur Faucon die schwierigeren Besenflugfiguren vorgeben. Die Debütantinnen unter Ihnen mögen dann bitte meinen Flugfiguren ohne größere Anweisung folgen! Ich bitte mir Rücksichtnahme auf die unerfahrenen Fliegerinnen aus! Wer sich mehr zutraut, hält sich in der Höhe von Professeur Faucon auf. Ich selbst werde mit Cleopatra auf fünfzig Metern Höhe bleiben."
Sie zog ihren Zauberstab aus der rechten Satteltasche, schwang ihn durch die Luft und ließ damit einen gewaltigen Holzstoß wie Regen vom Himmel fallen. Als sich das Holz zu einem mehr als vier Meter hohen Berg aufgeschichtet hatte rief sie "Incendio!" und steckte den großen Stoß in Brand. Dann rief sie ihrem gigantischen Reittier was zu, das seine mächtigen Flügel ausspannte und laut rauschend durchschwang, sich kräftig vom Boden abstieß und die Beine, die schlank und dick wie junge Bäume waren nach hinten umklappte wie ein Flugzeug sein Fahrwerk einzog. Alle Besenreiterinnen stießen sich ab, ob allein oder mit Sozius. Julius hatte mit Claire schon in den Osterferien geübt und war durch die vielen Male als Sozius hinter Jeanne, Barbara oder Virginie ein erfahrener Mitflieger geworden.
Claire empfand die größte Freude nach dem Gewinn des goldenen Tanzschuhs im letzten Sommer. Endlich durfte sie bei der Walpurgisnacht mitfeiern. Endlich durfte sie selbst fliegen. Ja, und sie flog mit Julius, dem Jungen, den sie mehr mochte als alle anderen bisher.
Julius empfand etwas merkwürdiges, wie ein Schwindelgefühl. Er fühlte sich irgendwie berauscht, als habe er doch was von dem Wein getrunken. Vor ihm saß sie, nicht zu dünn, warm und weich an ihn geschmiegt. Ihre schwarzen Haare mit den goldenen Schmuckketten wehten im Flugwind, der ihre und seine Wangen und Hände mit kaltem aber erfrischenden Hauch streichelte und immer stärker wurde. Er drückte sich noch enger an Claire, die sich das ohne weiteres Gefallen ließ, ja sich beim Steigflug sicher und entschlossen an ihn lehnte. Er atmete den Duft ihrer Haare, ihrer Haut. Er spürte, daß sie hier oben näher zusammengerückt waren als jemals zuvor. Er genoss es, mit dem Mädchen zusammen auf einem Besen zu sitzen, für das er mehr empfand als nur freundschaftliche Gefühle. Wenn er mit großen Worten wie Liebe oder Verbundenheit nicht herumspielen wollte. Innerlich wußte er nun, daß er im Moment niemanden anderen so mochte wie Claire.
Madame Maxime ritt auf Cleopatra vor ihnen her und begann laut und schön, ein Lied zu singen, das Julius sofort wiedererkannte. Es war das Walpurgisnachtlied, das die Hexen auf Claires Kalenderbild sangen. Freudig stimmte er in den Gesang mit ein. Claire sang mit. Sie fühlten jeden Ton in ihren Körpern und dem Besenstiel sanft mitschwingen, während sie mit immer mehr Hexen und Zauberern zusammen sangen und dabei weiter aufstiegen.
Das Feuer prasselte in zwanzig Metern unter ihnen. Der Wind fegte durch Umhänge und Haare, und die eingearbeiteten Leuchtzauber traten nun in Kraft. Der Besen sprühte wilde Funken um sich, während um Claires und Julius' Körper eine weißgoldene Lichterscheinung entstand, die weit in die Dunkelheit hinausstrahlte. Madame Maxime gab Flugmanöver vor, bei denen es scharf nach links unten, steil nach oben oder im schnellen Wellenflug um das Feuer herumging. Bei jeder Richtungsänderung schoss aus Julius Umhangsrückenteil eine breite Flammenfontäne und wehte wie eine Schleppe aus Feuer hinter ihm her, rot, orange, silbern, blau, gelb, golden, rosarot, blaßlila, giftgrün, türkis oder goldbraun. Er bewunderte das Farbenspiel seines Umhangs und die hellen Leuchtmuster in Claires Haarschmuck, der nun mit dem Umhang um die Wette strahlte und zwischendurch orangerote Lichtbahnen in die Nacht schickte. Er wagte es, die anderen Hexen zu beobachten. Celine und Robert waren in einer himmelblauen, zwischendurch grün und violett funkelnden Leuchtsphäre eingeschlossen, wobei aus Célines Har weiße und rote Blitze herauszuckten, während Roberts Umhang einen Mantel aus himbeerfarbenen Feuerzungen ausgebreitet hatte. Mildrid fegte in einem Schauer aus Grün, Gold und Purpur an Claire und Julius vorbei. Ihr Begleiter klammerte sich krampfhaft an ihr fest.
"Na, schneller geht's nicht, Claire?!" Rief Millie herüber. Claire knurrte nur, antwortete aber nicht, sondern beschleunigte den Flug und legte sich wild in jede Kurve, die die Flugvorgabe forderte.
"Millie, das ist zu schnell", hörte Julius Mildrids Begleiter noch wehklagen, bevor die aus dem roten Saal schon zu weit fort war.
"Du hältst es aber aus, nicht wahr, Juju?!" Rief Claire, bevor Barbara und Gustav im Hui rechts an ihnen vorbeisausten, Kaskaden aus Licht und nichtbrennenden Flammen verbreitend.
"Ich kann noch gut mithalten, Claire. Aber überzieh es nicht, nur weil Millie meint, dich dummquatschen zu müssen!"
"Achtung, Rosselini für die Fortgeschrittenen!" Rief Professeur FAucon und warf sich mit ihrem Begleiter nach hinten, um im Rosselini-Raketenaufstieg steil nach oben zu fahren.
Claire riss den Besen fast in die Senkrechte, verlor dabei fast die Balance. Julius reagierte schnell und warf den Besen von hinten aus in eine beherrschbare Steigungslage.
"Ui, allein habe ich den jetzt raus. Aber im Tandem -", seufzte Claire. Julius erwiderte:
"Wir müssen heute nicht alles machen, wofür die Angeberinnen da vorne Jahrelang üben mußten, Claire." Er deutete auf Millie, Martine und die Montferres, die in wilden Rollen und Schrauben die vorgeflogenen Manöver übertrieben. Claire nickte und ging mit dem Besen auf die Flughöhe von Cleopatra zurück. Zwar machte Claire mehr Kunststücke als beispielsweise Deborah Flaubert, die mit Sixtus hinten drauf mehr zag- als schwunghaft flog, hielt sich aber im wesentlichen hinter der Schulleiterin.
"Mesdemoiselles, Übers Feuer Richtungswechsel!" Kommandierte Madame Maxime und zog am rechten Zügel. Schnaubend warf sich das geflügelte Riesenross in die geforderte Richtung und überquerte das Feuer.
"Richtungswechsel? Wie soll das gehen?" Fragte Claire nach hinten. Julius kannte das Manöver aus den Tagen, wo er mit seiner Grundschulkameradin Moira ein Paar Reitstunden mitgemacht hatte. Er wisperte, wie Claire sich so drehen mußte, um eine Richtungsänderung ohne große Drehung hinzubekommen, und sie schaffte diese Flugänderung sehr geschmeidig, während Deborah eine Viertelrunde allen anderen entgegenflog. Der Richtungswechsel hatte die geübteren oder glücklicheren Fliegerinnen an Cleopatra wie auf einer kräftigen Welle herangespült. Claire flog fast zwei Beinlängen des Pferdewesens hinter diesem und holte fast auf.
"Nicht so ungestüm, Mademoiselle Dusoleil!" Rief die Schulleiterin. Dann sah sie Julius noch einmal an und meinte:
"Ich werde mir für die nächste Walpurgisnacht auch diese Leuchthaarmixtur kommen lassen, Monsieur. Oder soll dies nur für Herren gedacht sein?!"
"Nein, unisex, Madame, also für Herren und Damen!" Rief Julius zurück, bevor Claire sich wieder zurückfallen ließ. Er sah nach oben und entdeckte Jeanne, die im wilden Wettflug mit Barbara herumtobte, wohl schon frei ohne irgendwelche Vorgaben. Jeanne bemerkte wohl, daß er sie sah und stieß wilde Blitze sprühend im Steilflug herab auf Claires Höhe.
"Du mußt nicht hier unten herumzuckeln, Schwester. Etwas mehr kannst du doch schon. Ich gebe dir mal was vor!" Rief Jeanne und stieg mit Bruno, der laut Johlte nach oben. Claire folgte Jeanne und vollführte mit dem Ganymed 8 geschmeidige Manöver, wobei Julius sie unauffällig unterstützte, was ihr nicht mißfiel. Sandrine rauschte in einer Orgie aus grünen Funken und Flammen heran und beglückwünschte Claire zu ihrer tollen Fliegerei. Gérard, der wohl gemeint hatte, einer sanften, besser übervorsichtigen Partnerin anvertraut worden zu sein, sah leicht blaß aus.
"Gérard ist kein Schnellflieger. Der hat sich lieber einen Ganni 4 für zwei Galleonen nachwerfen lassen als von seinen Onkeln den Ganni 8 angenommen", erwähnte Claire.
"Huch, aber Sandrine fegt ja auf dem Sechser dahin wie Deborah auf dem Cyrano-Express der letzten Generation."
"Sandrine will in die Mannschaft der Gelben nachrücken, wenn Clementine Laroche mit Beauxbatons fertig ist."
"Stimmt, die hat mal sowas erzählt daß sie ... Achtung!"
Martine Latierre raste in Gegenrichtung steil auf sie zu. Claire rollte sich mit Julius zur Seite ab. Als sie wieder in gewohnter Fluglage waren, flog die Saalsprecherin der Roten von hinten heran. Ihr goldenes Kostüm schien dabei ständig zu zerschmelzen und einen ununterbrochenen Schauer aus goldenen Sternschnuppen abzuregnen. Edmonds Umhang hatte eine flirrende Aura aus glutrotem Licht erzeugt, die mit jeder Richtungsänderung kurz pulsierte und dann scharf umrissen seinen Körper umgab.
"Hätte euch fast umgeworfen, Claire. Wollte ich nicht!" Rief Martine. Dann sah sie Julius noch einmal an. Dieser hörte es schon, bevor sie es laut aussprach:
"Das zaubermittel für rot leuchtendes Haar hättest du mir ruhig ausleihen können. Ich denke, bei Mädchenhaaren wirkt es noch besser. Heh, Jeanne, nicht so langsam!"
"Lass das mal Madame Maxime nicht hören", unkte Edmond Danton, während Martine wieder fahrt aufnahm und auf Jeannes Besen zuraste.
"Wo sie recht hat, hat sie recht, Juju. Du hättest uns das Zaubermittel ruhig mal vorstellen können. Oder war da zu wenig drin?" Bemerkte Claire zu Martines Feststellung
"Das waren nur acht kleine Fläschchen. Ich hatte ja mit den Jungs schon fast alles aufgebraucht. Mrs. Porter schrieb mir zwar, ich könnte nachfordern ... Nein!"
Die Montferres brausten heran, wild und offenbar nicht auf den Weg achtend. Claire drückte den Ganymed waagerecht runter und warf sich flach auf den Besenstiel. Julius lag eher aus Reflex als aus Berechnung auf ihrem Rücken und hielt sich gut fest, während die Montferre-Mädchen knapp über ihnen aneinander vorbeirasten. Laut schnaubend und mit rauschenden Schwingen preschte Cleeopatra heran. Madame Maxime sah das Paar auf Claires Besen, das sich jetzt erst wieder in die richtige Sitzhaltung zurücklehnte.
"Ich wies die Damen der höheren Klassen ausdrücklich darauf hin, auf die Debütantinnen Rücksicht zu nehmen", knurrte die Schulleiterin. "Entweder sortieren Sie sich beide bei den besseren Fliegerinnen ein oder kommen auf meine Flughöhe zurück, Mademoiselle Dusoleil."
"Wie Sie wünschen, Madame Maxime", erwiderte Claire und wippte kurz mit dem Besen vor und zurück. Dann stieg sie weiter auf. Offenbar hatte die Beinahekollision mit den Montferres ihren Trotz wachgekitzelt. Sie stieg mit Julius weiter auf und sortierte sich bei Janine und Seraphine ein, die gute Vorgaben lieferten. Zwar machte Claire nicht jedes Manöver glatt mit, wollte aber auch nicht mehr nach unten zurück.
"Ihr seid echt ein geniales Gespann", lobte Janine Dupont Claire und ihren Partner. "Aber ihr trainiert ja auch schon lange genug."
"Wie meinst du denn das?" Fragte Julius.
"Ja, hast du denn geglaubt, wir älteren hätten das nicht zur Kenntnis genommen, wie du und deine Besenherrin Soziusfliegen trainiert habt?" Fragte Seraphine.
"Und ich kriege dich doch wieder ein!" Rief Martine Latierre. Julius warf einen Blick zurück.
"Latierres aus Sechs Uhr, Höhenwinkel fünf Grad!" Rief er gehetzt nach vorne. Claire verstand nicht so ganz, was das heißen sollte. Doch als Millie Latierre mit wilden Zickzackmanövern rechts vorbeizischte, knapp gefolgt von ihrer großen Schwester, keinen Meter über ihrer augenblicklichen Flughöhe, verstand sie wohl.
""Gut, daß Madame Maxime das jetzt nicht gesehen hat", meinte Seraphine. "Mildrid nimmt sich zuviel raus. Aber wenn ihre Schwester sie auch noch provoziert?"
"Das ging noch. Als die Montferres gerade mal über uns weggeschossen sind wie wilde Feuerwerksraketen ...", setzte Julius an, als die genannten schon wieder auf ihn zuschwirrten.
"Hat die Maxime endlich erkannt, wo du hingehörst, Claire?" Fragte Sabine Montferre und ging für einen Moment auf einen Parallelkurs. "Tut uns leid, dich fast runtergeschossen zu haben. Aber du hast ja doch die Erbanlagen deiner Mutter mitbekommen."
"Irgendwann wohl schon", raunzte Claire die wenige Minuten ältere Montferre-Schwester an. Sandra zirkelte keck um Janine herum, die nicht so recht manövrieren konnte. Seraphine hatte sich schnell zurückfallen lassen, um nicht in überheftige Manöver hineinzusteuern.
"Sieht eigentlich noch wer, was Professeur Faucon macht?" Fragte Julius die Montferres.
"Solange ich sehe, was Sie hier oben veranstalten, Monsieur Andrews", kam Professeur Faucons Stimme von hinten. Die Lehrerin flog geschmeidig um Claires Besen herum. Professeur Paralax sah aus, als würde er bald herunterfallen.
"Ui, die Aufsicht!" Rief Sabine nach vorne, wo die Latierres immer noch Fangen spielten.
"Das habe ich gehört, Mademoiselle Montferre, Sabine! Ja, ich kann Sie sehr gut unterscheiden, Die Demoisellen!" Erwiderte die Lehrerin und preschte vor, um den Latierre-Geschwistern die Leviten zu lesen.
"Gibt das Strafpunkte?" Fragte Julius.
"Wohl zwanzig für die Montferre und wohl fünfzig für die Latierres", vermutete Claire kalt und hielt sich hinter Janine, die sich offenbar sehr interessant vorkam, ihr Flugmanöver vorzugeben. Professeur Faucon kam nach einer Minute zurückgerast. Ihr rosaroter Umhang stieß orangerote Glutwolken aus und leuchtete aus sich selbst heraus.
"Sie, Mademoiselle Dusoleil, sortieren sich bei uns und ihrer Schwester ein. Sie sind bereits über das Grundstadium zu weit hinaus, um mit den anderen Debütantinnen da unten zu glänzen. Aber ich möchte sicherstellen, daß Sie ihre noch nicht so häufig geprüften Flugkünste wegen solcher Verwegenheiten anderer Schülerinnen nicht überfordern. Folgen Sie mir!"
Claire hielt gut mit Professeur Faucon mit, die trotz Alter oder Stellung sehr schnelle Manöver flog. Professeur Paralax schien mit jeder Minute heftiger gegen eine Übelkeit ankämpfen zu müssen, und auch Professeur Fixus' Sozius, der Muggelkundelehrer Paximus, rang wohl mit einer aufsteigenden Übelkeit. Die kleine Zaubertranklehrerin, die ihre bekannte Goldrandbrille in weiser Voraussicht gegen eine fest im Haar verknotete und unter der Nase fest anliegenden Sportlerbrille getauscht hatte, sah Julius an.
"Ich fürchte, meine Kollegin und ich müssen notlanden, weil unsere Besengetreuen vor einem Würganfall stehen", sagte die Zaubertranklehrerin mit ihrer kalten Stimme, aus der Julius eine Spur Enttäuschung heraushörte. Wie auf Stichwort würgte Professeur Paximus und konnte sich gerade so drehen, daß er seiner Partnerin nicht in die rotbraunen Locken spie, als sein halbes Abendessen auf dem unerwünschten Weg von ihm ging. Julius sah dem Auswurf nach, besorgt, ob jemand weiter unten es abbekam. Madame Maxime flog gerade langsamer als die über ihr fliegenden vorbei und entging knapp dem ungewollten Bombardement von Professeur Paximus.
"Deshalb haben die Muggel in ihren Flugzeugen Spucktüten", sagte Julius schnell und unbedacht. Doch Professeur Fixus mußte nur grinsen. Dann ging sie in einen Sinkflug über. Für sie war wohl der Besenausritt beendet.
"Ich lande auch, um Professeur Paralax eine Erholung zu gewähren", verkündete Professeur Faucon und winkte Professeur Pallas, die für sie die Flugaufsicht übernehmen sollte. Doch als es sich herumgesprochen hatte, daß die strengen Hexen Faucon und Fixus hatten landen müssen, drehten die erfahrenen Flieger wieder auf und tobten herum. Julius wagte es nicht, Claire zu raten, wieder auf die Einsteigerhöhe runterzugehen, zumal er auch nicht von sich übergebenden Leuten getroffen werden wollte.
"Ich geh auf hundert Meter. Die werden mir hier oben zu ..." Frech hatte Claire wohl noch sagen wollen, als ein wilder Schwarm aus den Latierres, gefolgt von den Montferres, Suzanne Didier, Nicole L'eauvite und Brunhilde Heidenreich angeschossen kam und sie in ein irritierendes Lichterspektakel eintauchte. Hätte Julius nicht mit Claire in den Osterferien gegen Jeanne antreten müssen, wären sie mit Sicherheit aus der Flugbahn geraten. So wackelte der Besen kurz, flog dann aber ruhig weiter, während die sich jagenden Hexen laut kreischten und lachten.
"Heia, Walpurgisnacht!" Rief Julius ihnen nach. Claire lachte nur. "Genauso haben deine gemalten Hexen herumgeschrien und gelacht."
"Ich denke mal, du hast die Feiertagsseite sichtbar hingehängt. Dann tun die im Augenblick genau das. Ich weiß, daß sie gemalten Hexen in Beauxbatons auch durch alle Bilder fliegen und feiern, aber ohne Zweisamkeitsring. Deine Aurora Dawn wird da wohl kräftig mitfeiern."
"Hmm, könnte sogar sein, daß sie ihr Bild-Ich aus Hogwarts eingeladen hat, herüberzukommen, um mitzufeiern!" Rief Julius, während Jeanne und Barbara mit Flugpartnern heranflogen.
"Ist euch das zu wild hier? Die Furien kommen gleich wieder. Da Professeur Faucon dich hier oben gelassen hat, brauchst du nicht runterzugehen, Claire. Wir nehmen dich mit uns nach oben und fliegen ausreichend gute Manöver", sagte Barbara und flog voran. Claire stieg aufwärts. In einer Höhe von einhundert metern wirkte die Festwiese wie ein dunkelgrünes Blatt Pergament vor dem eingeschrumpften Beauxbatons-Palast. Sie flogen über das Feuer und machten schnelle Wenden. Claire fand immer besser in die Flugmanöver hinein, die Barbara oder Jeanne ihr vorgaben. Allerdings verdankte sie Julius, daß er so geschmeidig die Lageänderungen mitmachte.
Julius' Pflegehelferarmband zitterte. Doch er konnte nicht so leicht den weißen Schmuckstein berühren, um die magische Sprechverbindung mit Schwester Florence herzustellen. Er rief Jeanne zu, was los war. Diese antwortete, daß sie das auch spürte und ging in einen langsamen Kreisflug über. Julius konnte vom Besen loslassen, als Claire ihrer Schwester gemütlich folgte und kurz das Armband mit dem linken Zeigefinger berühren. Vor ihnen in der Luft erschien erst zweimal und sich dann zu einem Bild zwischen Jeanne und Julius verschmelzend die räumliche Abbildung der Schulheilerin.
"Einer oder eine von euch da oben soll sofort landen und sich um die Lehrer Paximus und Paralax kümmern! Ich kann hier nicht so einfach runter. Am besten möchtest du, Julius, deine Besenherrin bitten, zu landen."
"Geht klar, Schwester Florence!" Rief Claire unaufgefordert und ging in einen schnellen Sinkflug über, während Schwester Florences Abbild erlosch.
Durch die Linien der wilden und der zögerlichen Fliegerinnen ging es auf den Boden zum Feuer, wo Professeur Faucon mit rote Funken sprühendem Zauberstab den Landepunkt anzeigte.
"Ach, hat Madame Rossignol Sie gebeten, Monsieur Andrews? Ist vielleicht besser so. Professeur Paximus ist mit seinem Kreislauf und seinem Verdauungssystem am Rande des Zusammenbruchs. Ich fürchte, er hat sich sogar ... nun ja, auf höchst unangenehme Weise ..."
"Seinen Umhang ruiniert, Blanche", fuhr Professeur Fixus schroff dazwischen. Julius sah und roch es, daß der Muggelkundelehrer sich nicht nur übergeben haben mußte. Er rümpfte die Nase und sah Claire an.
"Kriegt man das mit Ratzeputz weg?" Fragte er Professeur Faucon. Diese nickte verhalten, während Professeur Fixus ihren Zauberstab herausholte. Mit hochrotem Kopf und zerzaustem Bart stand der Lehrer für Muggelkunde und alte Runen da und starrte auf den Boden, während sein Umhang schwer verunreinigt herunterhing.
"Den sollten Sie besser ausziehen", sagte Julius zu dem Lehrer. Er griff unter seinen Umhang, wo er eine für Flieger praktische Gürteltasche trug, aus der er seinen Zauberstab holte.
"Wo sind hier die besagten Kabinen?" Fragte Julius und folgte den Lehrerinnen mit Claire zu einer Reihe von grünen Toilettenhäuschen. Er ging mit dem Lehrer für Muggelkunde hinein und schaffte es noch, die Tür zu schließen, ohne die von den Verbindungsringen erlaubte Entfernung zu überschreiten. Allerdings hörte er, wie sich Claire und Professeur Fixus gegen die Tür lehnten. Julius wandte sich um, als der Muggelkundelehrer seinen völlig besudelten Umhang ablegte und ihn hochhielt. Julius wirkte mit "Ratzeputz" einen gründlichen Säuberungszauber, der den Umhang nahezu wie neu machte. Um sicherzustellen, daß der gute Walpurgisnachtumhang wirklich sauber wurde, wirkte er den bei Madame Dusoleil abgeschauten Lavarivestis-Zauber, der speziell verunreinigte Kleidung säubern half. Der Lehrer übergab sich derweil lautstark in die Toilettenschüssel und hantierte mit dem Klopapier herum, um die Spuren der Magen-Darm-Rebellion von seinem Körper zu wischen. Irgendwann war Julius mit dem Ergebnis seiner Sauberzauberei zufrieden und wusch sich die Hände und den wasserabweisend polierten Zauberstab gründlich sauber. Danach holte er aus dem Practicus-Brustbeutel ein Fläschchen mit Magentrosttropfen, die er sich in der Vorahnung, sie selbst vielleicht zu brauchen, eingesteckt hatte. Davon ließ er Professeur Paximus trinken. Er stubste ihn dabei zurück, was draußen Professeur Fixus erschrocken aufschreiend gegen die Tür poltern ließ.
"Entschuldigung, die Damen! War nicht meine Absicht!" Rief Julius nach draußen. Dann half er dem Lehrer zurück in den Umhang. Dieser war immer noch Rot vom Hals bis unter die spärlichen Haarspitzen.
"Also ich darf ja keine Verordnungen erteilen ohne Rücksprache mit Schwester Florence. Aber ich würde Ihnen empfehlen, nicht mehr so wild zu fliegen, Professeur Paximus."
"Das erzählen Sie besser Boragine", stöhnte der Muggelkundelehrer. "Die wollte unbedingt mit ihren Saalschülerinnen mithalten."
"Oh, der darf ich ja auch keine Anweisungen geben", sagte Julius halblaut. Dann öffnete er die Tür und steckte seinen Zauberstab zurück in die Gürteltasche.
"Ich habe es mitbekommen, nur einfache Flugmanöver", empfing Professeur Fixus den Pflegehelfer und seinen Patienten vor dem Toilettenhäuschen. "Dann übernehme ich mit Madame Maxime die Debütantinnen. Ich weiß, daß Sie mir bestimmt keine Anordnungen zu geben wagen würden, Monsieur Andrews. Aber ich erkenne an, daß Ihr Einwand völlig berechtigt ist." Sie hakte sich bei ihrem Besengetreuen unter. Julius fragte, ob der Besen auch gelitten hätte.
"Diesen haben Blanche und ich nach zwei gemeinsamen Durchgängen reinigen können. Menschliche Ausscheidungen sind doch hartnäckigerere Verunreinigungen als nichtmenschliche Stoffe", erwiderte die Zaubertranklehrerin. Dann stieg sie mit ihrem Besenpartner wieder auf, sanft und ohne wildes Spektakel.
"Wie geht es Ihnen, Professeur Paralax?" Fragte Julius den zweiten Lehrer. Dieser sagte, das er sich etwas unwohl fühlte und bekam Von Julius aus seinem Brustbeutel eine Dosis Magentrost und Schwindelschwindetropfen. Er wußte, daß sich die beiden Tränke nicht gegenseitig verfälschten, da ja daran gedacht worden war, sie gleichzeitig anwenden zu müssen. Nach einer Minute war Professeur Paralax wieder fit.
"Wir steigen zusammen wieder auf die zu Letzt von Ihnen beflogene Höhe!" Bestimmte die Vorsteherin des grünen Saales. Sie saß vor Paralax auf, wartete, bis Claire und Julius auch den Besen bestiegen hatten und gab das Startzeichen.
Zunächst flogen die zwei Besentandems in den Reihen der Einsteigerinnen mit, wobei sie Céline und Belisama trafen.
"Bernadette mußte landen, weil sie zu wild geflogen ist, Julius. Sie hat eine Woche Flugverbot aufgeladen bekommen", sagte Céline.
"Das werde ich einigen Damen dort oben wohl auch androhen müssen", schnaubte Professeur Faucon. "Ich frage mich im ernst, was Mademoiselle Latierre derartig verantwortungslos macht."
"Ihre Schwester vielleicht?" Fragte Belisama voreilig. Professeur Faucon sah sie kritisch an und räusperte sich vernehmlich. Doch dann mußte sie nicken. Sie wollte gerade aufsteigen, als Martine mit Edmond von oben herabsank. Julius vermeinte, sie verärgert sagen zu hören:
"Da wirst du dich mit abfinden müssen, wenn du bei mir bleiben willst, Edmond." Dann jedoch waren sie in bester Hörweite der Verwandlungslehrerin und gaben keinen Ton von sich. Sie landeten schweigend und überließen die Luft denen, die noch fliegen wollten und konnten. Unterwegs nach oben kam Mildrid Latierre kurz zu Claire und Julius, zog aber sofort ab, als sie sah, daß Professeur Faucon noch in der Nähe war.
"Hat sie gedacht, mir davonfliegen zu können?" Fauchte die Stellvertreterin Madame Maximes und preschte Millie nach, die mit großer Beschleunigung davonraste.
"Wie bescheuert muß ein Mädchen sein, sich derartig offensichtlich mit schlechtem Gewissen noch von einer Lehrerin jagen lassen zu müssen", Gab Claire einen spöttischen Kommentar zu dieser Verfolgungsjagd ab. Dann stieg sie schnell nach oben zu Jeanne und Belle, die mit ihren Besenpartnern grazile Figuren flogen, nicht schnell, aber kunstvoll. Claire hielt respektvollen Abstand, während sie mit Julius leichte Rollen und Wellen probte, bis Schwester Florence auf einem goldenen Cyrano-Familienbesen heranglitt.
"Ich wollte dir gerne deine fünfzig Bonuspunkte für die schnelle, korrekte und disziplinierte Behandlung von Professeur Paximus und Paralax mitteilen, Julius. Außerdem möchte ich die Gunst der Stunde nutzen, dir, Claire zu deinen großartigen Flugfortschritten zu gratulieren. Du hast es dir verdient, zumindest auf dieser Flughöhe mitzufliegen. Halte dich weiterhin so gut an deine Grenzen! Dann kannst du sie auch erfolgreich erweitern! Aber sei dir bitte bewußt, daß du einen meiner Pflegehelfer transportierst. Ich lege Wert darauf, ihn nach diesem Abend noch in guter Verfassung zu wissen", sagte die Schulheilerin mit der Betonung einer strengen aber wohlwollenden Großmutter. Dann flog sie zu Jeanne und lobte sie für ihr diszipliniertes Fliegen und flog weiter.
"Kannst du mal bitte in eine Warteschleife gehen? Ich möchte kurz von Martine wissen, ob die gleich wieder aufsteigt. Falls nicht, mußt du mich wohl nicht mehr runterbringen, bevor die Schau offiziell um ist."
"Was ist eine Warteschleife, Juju. Ich weiß, bei den Muggeln gibt es viele Wörter, die sich mit dem Fliegen befassen, aber das Wort kenne ich noch nicht", sagte Claire und hüpfte keck mit dem Besen auf und ab.
"Das heißt nur, daß du in einem großen Kreis über einer bestimmten Stelle herumfliegen möchtest, wo wir keinen stören können. Bei Flugzeugen ist das so üblich, wenn sie warten müssen, bevor sie auf einem Flugplatz landen dürfen", antwortete Julius. Claire nickte und flog aus dem allgemeinen Kreis der Fliegerinnen und ihrer Sozii heraus und ging in eine Warteschleife etwa zweihundert Meter über dem Grund. Julius nahm beide Hände vom Besen und berührte sein Pflegehelferarmband:
"Martine, ich rufe dich!"
Keine Sekunde später erschien Martines räumliches Abbild auf Claires Besenspitze. Sie wirkte nicht gerade fröhlich, aber ganz bestimmt nicht traurig.
"Ja, Julius! Ist noch was mit den beiden Lehrern?"
"Nein, Martine, ich wollte nur fragen, ob du noch einmal fliegst oder unten bleiben wirst?"
"Hat mich Schwester Florence auch schon gefragt, Julius. Ich bleib hier unten. Auf Debütantinnenhöhe sieht mich jetzt keiner mehr."
"Öhm, hat das jemand von dir verlangt?" Fragte Julius irritiert.
"Ja, ich", warf Edmond Danton sehr gereizt ein. Martine schüttelte den Kopf und sagte schnell:
"Ich wollte heute noch einmal richtig gut fliegen, bevor die Schule aus ist. Mit Quidditch habe ich's ja nicht, wie du weißt. Aber fliegen tu ich doch sehr gerne. Offenbar hatte ich da etwas übersehen. Mehr mußt du nicht wissen. Wenn ihr aber schon da oben herumgondelt, dann nicht so langweilig. Claires Sonnenköniginnenkostüm scheint da oben gut zu uns herunter. Ich wünsche dir aber alles Vergnügen, was du mit deinem Besengetreuen haben kannst, Claire!"
"Danke, Martine!" Grüßte Claire zurück, bevor Julius die magische Bild-Sprechverbindung trennte.
"Offenbar hat Edmond sich verkalkuliert, was die Flugmuffeligkeit von Martine Latierre angeht", bemerkte Claire amüsiert, bevor sie aus der Warteschleife ausbrach und im Hui übers Feuer zu Jeanne und Barbara zurückflog. Jeanne lud Claire ein, in Dreierformation synchron zu fliegen. So bildeten sie Pyramiden, die langsam nach vorne überkippten, sich in sich drehten und danach wieder zur Ausgangslage zurückkehrten. Barbara lobte Claire und Julius für dieses gute Mithalten, als sie nach mehreren Minuten nebeneinander herflogen. Die Montferres brausten heran, verfolgt von Suzanne Didier.
"Suzanne, nicht so wild!" Rief Suzannes Partner. Die Rossignols auf den Besen der Montferres lachten und riefen "Schlotterich!"
Professeur Faucon raste an ihnen vorbei und verfolgte die Montferres und Suzanne. Dicht hinter ihr brausten Belle und ihr Freund Adrian heran. Belle verzögerte mit einer halben Schraube und kam noch mal zu Claire und Julius zurück.
"Haben Sie Mademoiselle Didier vorbeifliegen gesehen, Mademoiselle Dusoleil und Monsieur Andrews?" Fragte sie.
"Ja, die ist den Montferre-Schwestern und ihren Partnern nach", erwiderte Claire. Belle bedankte sich und raste voll los.
"Eh, das war ja ein Ganymed zehn", stellte Claire fest. Julius, der nun auch sah, mit welcher Beschleunigung der Besen davonschoss, mußte ihr zustimmen.
"Rang und Familie haben ihre Vorteile", sagte sie neidvoll. Dann ließ sie sich noch einmal zurückfallen und flüsterte Julius zu:
"Ich weiß das, daß du auch diesen Wunderbesen hast und wohl dazu verdonnert wurdest, ihn unter seinem Wert zu fliegen. Passt zwar zu dir, aber ich denke mal, in den Sommerferien wirst du den auch richtig als das nehmen dürfen, was er ist, Juju."
"Wer erzählt dir denn, daß ich einen Ganymed 10 habe?" Tat Julius unschuldsvoll.
"Céline erzählt das und Jeanne hat's wohl auch schon rausgekriegt. Wundere mich nur, daß sie dich damit so langsam herumfliegen lässt. Na ja, wird wohl wer von oben so beschlossen haben. Aber daß du mir sowas nicht sagst ist eigentlich fies von dir. Aber ich muß wohl annehmen, daß du deine Anweisungen hast."
"Wir haben von allen hier unsere Anweisungen, Claire", überspielte Julius das Gefühl der Ertapptheit. Er wollte diesen Abend mit Claire feiern, nicht neben oder hinter einer schmollenden Junghexe sitzen, die meinen mochte, er würde ihr nicht trauen. Wie erleichtert war er, als sie sagte:
"Wenn ich nicht sowas denken würde, hätte dich Millie oder Belisama haben sollen, Juju. Aber ich habe ja selbst Eltern, die manche Sachen nicht rauslassen. Du warst ja auch mit meinem Papa in der Werkstatt für ganz geheime Geheimsachen. Das darf ja auch nicht jeder wissen, was er da so hat. Ich denke mal, Professeur Faucon wollte nicht haben, daß dich alle für einen verwöhnten Neuankömmling halten, dem hinten und vorne alles hineingestopft wird, was ihn gut aussehen lässt. Deshalb verstehe ich das."
"Claire, die Furiengeschwister aus sieben Uhr! Sind aber hoch genug über uns!" Rief Julius, der vom Johlen der Rossignols alarmiert nach hinten geblickt hatte. Claire sah zurück und grinste. Offenbar hatte sie jetzt kapiert, was da sieben Uhr sein sollte, denn die Montferres kamen von leicht schräg links hinten angeflogen, schwirrten über sie weg, riefen "Huhu!" hinunter und jagten über das wie eine flackernde Kerzenflamme wirkende Feuer hinweg.
"Du kannst also den Himmel wie eine große Uhr einteilen und sagen, auf wieviel Uhr ein wegfliegendes oder ankommendes fliegendes Ziel zu sehen ist. Aber das mit dem Höhenwinkel, was du vorhin mal gerufen hast, möchte ich noch wissen."
Julius erklärte ihr, wie das mit dem Höhenunterschied und dem Neigungswinkel gemeint war. Claire fragte ihn, woher er das wußte. Er erzählte ihr von seinen Büchern über Flugzeuge und Raumschiffe und das er das an seinem Computer schon ausprobiert hatte, wie das aussah, wenn ein Flugzeug mit einem Steigungs- oder Neigungswinkel von x Grad anflog.
"Na ja, bei uns hier braucht man so genaue Angaben nicht. Oder spielst du auch so Quidditch?"
"Nein, natürlich nicht. Da verlasse ich mich auf das, was ich sehen und fühlen kann und auf das, was ich durchs Training gelernt habe. Allerdings das mit den Uhrzeitrichtungsangaben habe ich mit Jeanne und Hercules schon mal durchgezogen", antwortete Julius. Claire gliederte sich wieder in eine Formation mit Jeanne und Barbara ein. Einmal kam Barbara mit ihrem Besen von hinten so dicht auf, daß Julius meinte, sie wolle ihn Claire vom Besen pflücken.
"Was wird denn das jetzt, Barbara?" Fragte Julius besorgt.
"Hochzeitsflug- oder Huckepackformation, Julius. Das machen bei den Profis die Jäger manchmal, um eine schmale Linie zu bilden und den Quaffel ungestört hin- und herzupassen. Wollte euch nur zeigen, das das geht", sagte Barbara.
"Hochzeitsflug?! Dich will ich bestimmt nicht heiraten, Barbara!" Rief Claire und zog den Besen aus der bisherigen Flugbahn und jagte los, Barbara jedoch dicht hinter sich.
"Claire, du kannst einen Neuner nicht abhängen", wandte Julius ein. Claire ging in einen Sturzflug über. Julius fühlte, daß sie leicht zitterte. Offenbar war ihr das Auffahr- oder Auffliegemanöver Barbaras zu sehr an die Nerven gegangen. Sie floh förmlich vor Barbara, die nun auch abließ und wieder Höhe nahm. Julius beruhigte Claire und übernahm für zwei Sekunden den Flug, um den Besen wieder auszubalancieren.
"Ich sage das keinem", sagte Julius, als Claire ihn ängstlich fragend anblickte.
"Gut, weil nur die Hexen den Flug steuern sollen, Juju", seufzte sie erleichtert und stieg mit ihrem Sozius wieder auf die größte Höhe auf, auf der sich Hexen und ihre Partner tummelten. Sie sahen Madame Maxime auf Cleopatra schnelle Manöver fliegen. Doch das geflügelte Riesenpferd wollte wohl nicht mehr so wie am Anfang. Es bockte und ließ für einige Sekunden die Flügel hängen.
"Häh, die sieht so aus, als ginge ihr schon die Kondition flöten", meinte Julius und deutete auf das prächtige und mächtige Tier.
"Wird vielleicht doch trächtig sein, Julius", meinte Jeanne, die gerade in unmittelbare Hörweite gekommen war. "Bei manchen Abraxarieten liegen die eingebrachten Samen wochenlang in einem Auffangbehälter herum, bis eine keimfähige Eizelle gereift ist. Wird wohl etwas verspätet empfangen haben, die gute Tante Cleo."
"Ich kenne mich mit denen nicht so aus, Jeanne. Ich dachte, die sind wie normale Pferde zu bestimmten Zeiten fruchtbar", meinte Julius.
"Frag Amélie, das Flügelpferdelexikon. Die kann dir alles über diese Tiere auswendig runterleiern", meinte Bruno. Julius schmunzelte. Natürlich wußte er das. Am Valentinstag hatte er sich ja lange mit Amélie Dujardin unterhalten. Erst beim Spaziergang durch die Menagerie, wo sie sich bei den gerade in Paarungsstimmung tummelnden Riesenpferden getroffen hatten, und am Abend hatte er noch gegen sie Schach gespielt und sich nach der Partie mit ihr unterhalten.
"Ach ja, du hast sie ja an Valentin getroffen", sprach Bruno die Erinnerung von Julius laut aus, als habe er sie aus seinem Geist herauslegilimentiert.
"Amélie, die aus dem gelben Saal? Stimmt, die will ja diese Biester noch genauer erforschen", wußte Claire.
"Jedenfalls ist Madame Maxime wohl etwas ungehalten. Sie treibt Cleo sehr doll an", bemerkte Bruno amüsiert schmunzelnd.
"Dann muß da wohl was dran sein. Ich hörte aber mal von meiner ehemaligen Schulkameradin aus Muggeltagen, die sehr für gewöhnliche Pferde schwärmte, daß ein Hengst, der erfolgreich ein Fohlen auf den Weg gebracht hat, sehr genau auf seine Auserwählte aufpasst und sie beschützt."
"Nicht immer, aber meistens", wußte Barbara. "Als wir zu euch nach Hogwarts kamen hat uns Madame Maxime einen langen Vortrag über unsere Tiere gehalten, damit wir sie zwischendurch füttern oder striegeln konnten. Wenn Jeanne recht hat - und ich muß ihr wohl recht geben -, dann hat es bei Cleopatra länger gedauert. Pyrois wird sich dann wohl auf Calypso zuerst konzentriert haben. Aber wenn die in den nächsten Wochen wirklich was kleines austrägt, dann sehen wir die vor der übernächsten Walpurgisnacht nicht als Paradestute. Dann muß sich Madame Maxime wohl doch eine der jüngeren Stuten zureiten."
Ja, sie landet. Oh, und sie fuchtelt wild mit dem Zauberstab herum. Was schreibt sie? "PROF. ARMADILLUS, SOFORT ZU MIR!"" Schilderte Julius, was er auf dem Boden ausmachen konnte. Die Botschaft für den Zauberwesenlehrer war in blutroter Großdruckschrift aus Madame Maximes Zauberstab gestiegen und hing wie eine Neonleuchtreklame mit sehr dünnen Buchstaben über der Wiese, gerade so, daß die Debütantinnen nicht aus Versehen dagegenflogen.
"Bin mal gespannt, wann wir ..." Setzte Barbara an. Doch von unten erscholl nun Professeur Faucons magisch verstärkte Stimme:
"Mesdemoiselles, brinngen Sie ihre Besen zu Boden!"
Claire setzte übergangslos zur Landung an, Barbara und Jeanne links und rechts auf gleicher Höhe und Flugbahn. Nach einer halben Minute setzten sie mit ihren Füßen auf der Wiese auf, nahe bei dem Feuer. Sie saßen von den Besen ab und versammelten sich wie alle anderen um die Schulleiterin, die in einen kurzen aber heftigen Wortwechsel mit Professeur Armadillus verwickelt war. Julius konnte einen Blick auf Cleopatra werfen, die schweißgebadet schnaubte. Er suchte und fand Amélie, die mit ihrem Freund Henri in der Nähe des großen Tieres stand und es besorgt ansah. Madame Maxime sah nun, daß alle gelandet waren und verkündete:
"Da die alte Tradition gebietet, daß der Besenflug der Hexen nur solange dauern darf, wie die ranghöchste Hexe auf einer Abraxarietenstute daran teilnimmt, muß ich Ihnen bedauerlicherweise mitteilen, daß wir heute früher als gewöhnlich schluß machen mußten. Offenkundig hat mein Kollege, Professeur Armadillus, die Konzeptionsdillatation bei Abraxarieten falsch oder unzureichend bewertet. Wie Sie alle sehen können, hat sich mein braves Ross offenbar sehr stark erschöpft, was unter allgemeinen Umständen nicht passieren konnte, da diese Tiere für Flüge über zwölf Stunden ausgebildet sind. Ich muß also davon ausgehen, daß auch die rangzweite Stute erfolgreich aber wesentlich später empfangen hat und vermutlich durch die körperliche Umstellung die gewohnte Ausdauer verloren hat. Ich werde sie jetzt auf ihre Koppel zurückführen. Meine Kollegin Faucon wird Sie gleich über die folgenden Aktivitäten instruieren. Ich erwarte, daß Sie Verständnis für diese Ausnahmesituation haben!" Erklärte Madame Maxime und ging mit einem sichtlich verlegenen Professeur Armadillus, dessen Besenherrin Pallas, sowie Professeur Cognito mit Cleopatra, die widerwillig mit den Flügeln schlackerte, von der Festwiese herunter. Julius konnte zwei fußballgroße Pferdeäpfel erkennen, die noch qualmten und dabei eine Mischung aus Landluft und vergorenem Getreide verströmten. Hauselfen holten den Pferdedreck sofort von der Wiese und verschwanden sogleich wieder wie disappariert.
"So, Monsieur Julius Andrews. Nun kommt die Stunde der Wahrheit", raunte Claire im allgemeinen Getuschel der Schülerinnen und Schüler. Julius konnte nur zustimmend nicken.
Professeur Faucon klatschte einige Male in die Hände, was natürlich nicht so beeindruckend laut herüberkam, wie bei ihrer Chefin. Doch sie hatte damit denselben Erfolg. Alle wurden schlagartig still und sahen sie aufmerksam an.
"Mesdemoiselles, Mesdames et Messieurs! Da nun die alljährliche Flugdarbietung, die an und für sich immer vor Mitternacht vollzogen wird, aber hier in Beauxbatons aus Rücksicht auf das höhere Schlafbedürfnis jüngerer Schüler früher stattfindet, nun beendet ist, erfolgt der zweite und nach einigen Meinungen wichtigere Teil des Abends, die Spiele der Partnerschaft. Hierbei, um dies noch einmal zu betonen, in der vagen Hoffnung, endlich mal richtig verstanden zu werden, handelt es sich keinesfalls um Prüfungen, wer mit wem in Zukunft zusammenleben soll, sondern dient der Fähigkeit, sich aufeinander einzustimmen, einzuwirken und sich gegenseitig zu vertrauen. Diese Eigenschaften, die natürlich über diesen Abend hinaus gelten sollten, sind nicht nur für die Wahl der Lebenspartner wichtig, sondern fördern auch das Geschick im Umgang mit den Mitgliedern der restlichen Zaubererwelt. Deshalb, und vordringlich deshalb, haben wir vor fünfhundert Jahren die Tradition der magischen Zweisamkeitsreifen begründet und pflegen sie seither sowohl innerhalb des Lehrkörpers als auch bei den uns anvertrauten Schülerinnen und Schülern. Sicher darf ich nicht verschweigen, daß sich von den Walpurgisnachtfeierlichkeiten ausgehend etliche Paare für das weitere Leben gefunden haben und immer noch finden können. Doch sollte hier niemand mit der übergroßen Hoffnung an dieser Feier teilnehmen, heute schon die Frau oder den Mann fürs Leben zu finden. Solche Prozesse lassen sich auch in der Zaubererwelt nicht an einem Abend forcieren. Was wir nun machen werden, ist eben die eigene Geschicklichkeit mit der unserer Partner zu kombinieren, die eigenen Stärken und Schwächen mit denen der Partner zu verbinden, um Gemeinsamkeiten zu ergründen oder die gemeinsamen Grenzen auszuloten. Es werden nun fünf Aufgaben an Sie herangetragen, die es zu bewältigen gilt. Dazwischen wird uns das magicomechanische Tanzorchester von Beauxbatons mit heiteren Rhythmen zum Tanz laden. Allerdings dürfte ein Partnertausch bei diesen Tänzen schwerfallen, falls Sie nicht andere Paare finden, die mit ihnen in enger Formation tanzen wollen, was auch als willkommene Bewältigung von Sonderaufgaben verstanden werden kann. Sicher, hier sehe ich genug einzelne Hexen und Zauberer, die wohl lächelnd an diesen Abend herangehen, nachdem sie entweder alleine oder überhaupt nicht an der Flugdarbietung teilnehmen konnten. Aber ich bin mir sicher, sie, die sie im Moment noch oder schon seit geraumer Zeit dieses Fest alleine zubringen, Sie werden auch ihre Beiträge für das Gelingen des Abends leisten. Immerhin haben Sie hier alle Tanzunterricht genossen, ob Sie ihn nach der ersten Klasse wieder abwählten oder nicht, ist mir egal. Mademoiselle Nurieve und einige Kolegen von mir werden denen, die nicht durch vorabgetroffene Partnerwahlen zusammenfinden, sehr genau zusehen und sie auch bewerten. Allerdings gibt es hier nur Strafpunkte, wenn ungebührliches Verhalten beanstandet werden muß. Die Peinlichkeit, schlecht zu tanzen, sollte für die Meisten von Ihnen schon Strafe genug sein."
Einige Schüler kicherten verhalten. Dann erklärte Professeur Faucon die fünf Aufgaben:
"Die erste Aufgabe lautet: Vollbringen Sie im Laufschritt aus zwanzig bereitstehenden Eimern so viele Schöpfkellen Wasser in einen mitgegebenen Behälter zu füllen, bis der eigene Behälter ohne überzuschwappen gefüllt ist. Wer damit zuerst fertig ist, kommt zu der Bühne hier." Schlagartig tauchte eine große Bühne auf, und rund um die Festwiese erglühten weitere Lichter. Auf der Bühne standen bereits mechanische Musiker mit echten Musikinstrumenten bereit. "Allerdings wird jede Schummelei vereitelt, beispielsweise Zaubern, um Wasser zu schöpfen oder den Behälter mit Wasser aus dem Zauberstab anzufüllen. Es liegt nämlich bei Ihnen, ob sie die Ringe der Zweisamkeit noch über die Mitternachtsstunde hinaus tragen müssen.
Die zweite Aufgabe ist, mehrere Dutzend unterschiedlich schwere Objekte auf einer Balkenwaage so zu platzieren, daß die Waage für eine volle Minute im Gleichgewicht bleibt. Gelingt dies, so ertönt ein Glockenzeichen. Auch hier ist jeder magische Ausweg verboten.
Die dritte Aufgabe lautet: Umtanzen Sie zehn Runden lang Zylinder von anderthalb Metern Höhe! Wer am schnellsten damit fertig ist, bringt seinen Zylinder damit ohne eigenes Zutun zum leuchten. Jede Manipulation führt dazu, daß die Aufgabe unerfüllbar wird. Um hier nicht in ein Konkurrenzdenken zu verfallen sind diese Zylinder weit genug auseinander, um böswilligen Bezauberungen von anderen Paaren zu entgehen.
Zur vierten Aufgabe: Wenn Sie es schaffen, einen Ball, doppelt so groß wie ein Quaffel Rücken an Rücken zweihundert Schritte weit zu bugsieren, ohne ihn zwischen sich einzuklemmen und ohne daß er Ihnen herunterfällt, ist die Aufgabe erledigt. Der Ball ist gegen jede Art von Bewegungszaubern und angeborener Telekinese abgesichert worden. Wenn er herunterfällt, müssen Sie von vorne anfangen.
Zum Schluss unserer kleinen aber bestimmt nicht kinderleichten Spielerunden müssen Sie zehn drei Meter lange aber unterschiedlich dicke Stangen in die passenden Röhren schieben, die auf Gerüsten montiert sind, die zweieinhalb Meter hoch sind. Die Stangen sind gegen Bewegungszauber sicher, wie alle anderen beweglichen Objekte der vorhergehenden Runden. Für jedes gemeldete paar gibt es ein Gerüst mit Röhren, in die die Stangen ohne zu locker zu sitzen passen müssen.
Wer meint, ihm und ihr seien diese Aufgaben zu schwer, ist nicht verpflichtet, sie zu lösen. Die Zweisamkeitsreife fallen dann um Mitternacht von alleine von Ihnen ab. Wer jedoch möchte, daß diese Metallringe vorher erleuchten, sollte alle fünf Aufgaben erledigt haben. Zwischen jeder Aufgabe ist eine Pause von drei kurzen Musikstücken, die auch für die Verrichtung natürlicher Bedürfnisse genutzt werden können, sofern niemand unter natürlichen Bedürfnissen irgendwelche zwischengeschlechtlichen Vereinigungsrituale versteht. Paare, die das probiert haben, waren danach für einen vollen Tag mit ihren Metallringen zusammengeschlossen. Da sie diese Zeit im Karzer absaßen, fiel das nicht sonderlich auf. Also verzichten Sie auf hier verbotene Tätigkeiten!"
Die Schülerinnen und Schüler sahen einander an. Julius sah Claire an, die ihn zuversichtlich anblickte.
"Ich kann vielleicht nicht so schnell laufen oder so gut springen wie du, aber ich denke, wir machen das."
"Ist auf jeden Fall eine Herausforderung", erwiderte Julius.
"In Ordnung, dann machen wir da mit", bestimmte Claire. Sie dreehte sich zu Professeur Faucon und ging los. Julius fühlte, wie sein Metallring um die Taille vibrierte und lief schnell hinterher, um nicht die nichtstoffliche magische Kette strammzuziehen. Claire meldete sich und ihn für die Aufgaben an, wie es auch die Montferres, die Latierres und Céline Dornier, Belisama, Sandrine und Bernadette taten. Jeanne und Barbara kamen mit den übrigen älteren Schülern zum Schluß dran. Bruno, der Jeanne fast von Professeur Faucon fortzog, weil er Julius was sagen wollte, rief schnell:
"Ich weiß, daß du sehr schnell bist. Das bringt dir aber wohl nicht viel."
"Im Zweifelsfall muß ich mal was weit werfen können", erwiderte Julius. Jeanne, die ihre Teilnahme an den fünf Aufgaben angemeldet hatte, wandte sich um und sagte zu Bruno:
"Claire mag vielleicht nicht die Langstreckenläuferin sein, aber sie ist sehr geschickt. Wenn sie sich mit Julius gut abstimmt, weil es ja auch darum geht, kriegen die das hin. Wir machen hier keinen Wettkampf gegeneinander, Claire und Julius. Hauptsache beim Tanz in die Mitternacht leuchten eure Körperringe."
"Das wirst du erleben", sagte Claire entschlossen. Julius sagte dazu nichts. Er überlegte schon, wie sie bei den Aufgaben zwei und fünf vorgehen mußten, um sich nicht durch die Entfernungsbeschränkung zu behindern.
Die mechanischen Musiker spielten einen Tusch, als Madame Maxime mit ihrem Besenpartner zurückkam. Einer der partnerlosen Jungzauberer fragte, ob die Lehrer sich auch an den Aufgaben beteiligen würden. Doch wie zu erwarten stand wollten diese nur die Aufsicht spielen. Julius fragte Belisama, die mit ihrem Partner an ihm vorbeiging, ob diese Aufgaben immer dieselben waren. Belisama lachte nur.
"Nein, das wird jedes Jahr neu ausgearbeitet. Ich denke, die suchen sich aus den bekanntesten Partyspielen solche heraus, die sie hier gut anwenden können. Viel Glück euch beiden!" Claire und Julius bedankten sich.
Die partnerlosen Mädchen und Jungen wurden an getrennte Tische gesetzt. Wenn Tanzmusik gespielt würde, galt immer Damenwahl. Einige Jungen seufzten. Offenbar fürchteten sie, von irgendwelchen unansehnlichen oder uninteressanten Mädchen aufgefordert zu werden. Denn die meisten Mädchen hier tanzten zu gerne, um nur dumm rumzuhocken. Sicher, von denen waren viele mit eigenen Partnern zusammen und konnten nicht so einfach andere auffordern. Aber die Aussicht, nicht über die Tänzer oder die Leute, die sich an den Aufgaben versuchten ablästern zu können, war nicht berauschend. Außerdem waren da einige Jungen bei, die schlicht weg alle Einladungen zurückgewiesen hatten, die sie bekommen hatten. Das würden sich die dadurch partnerlosen Junghexen nicht nehmen lassen, sie zumindest auf die Tanzfläche zu holen.
Das große Feuer brannte noch. Julius vermutete, daß in dem Holz etwas war, das es länger brennen ließ als gewöhnliches Holz. Doch es war ihm auch egal, denn gerade rief Madame Maxime die gebildeten Paare zur ersten Aufgabe auf.
Ein Parcours aus im Zickzack angeordneten Eimern die unterschiedlich voll waren, wartete in zwanzigfacher Ausführung auf die Teilnehmer dieser Spielerunde. Die Eimer standen etwas mehr als die anderthalb üblichen Schrittlängen auseinander. Claire und Julius bekamen je eine Schöpfkelle und eine große Tonne mit zwei Griffen, in die sie das Wasser so weit einschöpfen mußten, bis sie ohne beim laufen überzuschwappen gefüllt war. Sie durften nur einmal durch den Parcours laufen, um Wasser zu schöpfen. Dabei durfte jeder von ihnen nur einmal aus dem angesteuerten Eimer schöpfen. Gelang es nicht, die Tonne voll genug zu bekommen, war die Aufgabe nicht erfüllt. Das würde dann schon bedeuten, daß die Metallringe des betreffenden Paares nicht leuchten würden, egal, welche Aufgaben sie danach schafften. Hinzu kam noch eine Zeitobergrenze von nur einer Minute. Schafften sie es nicht in dieser Zeit, verschlossen sich alle Eimer von selbst.
"Die stehen im Zickzack. Das heißt, jeder kann theoretisch nur den Eimer auf der Seite nehmen, auf der er oder sie die Schöpfkelle hält. Da die Tonne nicht abgesetzt werden darf muß es im ersten Versuch klappen, genug Wasser aus dem Eimer umzufüllen", dachte Julius und sah sich die flache Schöpfkelle an.
"Julius, wie schnell kannst du rückwärts laufen?" Fragte Claire.
"Hmm, für zehn Meter in vier Sekunden dürfte das reichen", erwiderte Julius. Claire nickte und lächelte ihn siegesgewiß an. Da fiel auch bei ihm der Groschen. So ging es!
Paarweise standen Lehrerinnen und Lehrer bereit, die gebildeten Walpurgisnachtpaare durch den Parcours zu schicken. Claire und Julius standen nebeneinander und sahen sich an. Sie lächelte. Er fühlte sich richtig wach und tatendurstig.
"Hier ist Ihre Wassertonne. Sie dürfen Sie nicht unterwegs absetzen. Wenn Sie aus dem ersten Eimer Wasser schöpfen, läuft die Zeit für Sie. Also dann", sagte Professeur Bellart, die Claire und Julius auf eine der zwanzig Bahnen schickte.
"Du weißt, was ich vorhabe?" Fragte Claire. Julius nickte.
"Wir drehen uns bei jedem Eimer so, daß jeder von uns eine Kelle voll rausholen und umfüllen kann", flüsterte Julius, während sie auf den ersten großen Eimer zuliefen, die rote Wassertonne mit den silbernen Griffen zwischen sich tragend.
Der Eimer stand links. Dort war Julius. Er tunkte die flache Schöpfkelle ein, holte sie heraus, wobei er nur drei Tropfen Wasser verlor und schüttete den Inhalt in die Tonne. Da diese so viel wie zwei volle Eimer fassen konnte, wurde mal gerade der Boden nass. Rückwärts lief er schnell einen Halbkreis, Claire auf der anderen Seite schloss damit den Kreis zum Eimer. Sie tunkte den Schöpfer ein, zog ihn heraus, ohne was zu verschütten und ließ mit lautem Platsch den Inhalt der silbernen Kelle in die Tonne, auf deren Grund nun schon eine kleine Pfütze zu sehen war. Schnell drehte sich Claire mit Julius wider so, daß beide weiter vorwärts laufen konnten. Keine zwei Sekunden später waren sie beim zweiten Eimer. Julius mußte warten, weil dieser Eimer rechts stand. Claire füllte eine Schöpfkelle wasser in die Tonne und flog fast in einem Bogen Rückwärts. Julius sprang, hob im Schwung die Kelle, ließ sie in den Eimer tauchen, zog sie voll wieder heraus und leerte sie mit sicherem Schwung in den Eimer. Nun stand das Wasser schon einen halben Zentimeter hoch in der Tonne. Weiter gings. Platsch! Platsch! verlief die vereinte Schöpferei beim zweiten Eimer. Plitsch, Platsch! Wurden zwei Schöpfkellen Wasser aus dem dritten Eimer übernommen. Die tanzartige Rangierbewegung, mit der Claire und Julius sich zu dem gerade angesteuerten Eimer ausrichteten, floss immer besser. Keiner mußte die Tonne loslassen oder stolperte. So ging es im ständigen Dreh- und Zurückdrehmanöver von Eimer zu Eimer, von links nach rechts und wieder nach links. Die Wege zwischen den Eimern dauerten nun nur noch eine Sekunde, weil die beiden ohne sich abgesprochen zu haben sprangen. Sie waren beim fünfzehnten Eimer, als Professeur Pallas, die am anderen Ende der Bahn stand "Noch zwanzig Sekunden!" rief. Doch Der Rhythmus war sicher und wurde nicht geändert. Sechzehnter Eimer: Plitsch, Platsch! Siebzehnter Eimer - Achtzehnter Eimer! "Noch zehn Sekunden!" Neunzehnter Eimer: Plitsch, Platsch! "Noch fünf Sekunden!" Gerade als sie beide den zwanzigsten Eimer verlassen hatten und der Wasserstand in der Tonne schon bedrohlich nahe am überschwappen war, schlug Professeur Pallas den Gong für die abgelaufene Zeit. Doch Julius war schon mit beiden Beinen über die Ziellinie gesprungen. Claires Füße setzten keine Zehntelsekunde später auf. Geschafft!
"Logik gepaart mit Praxis und Gewandtheit", bemerkte Professeur Pallas und füllte die Tonne in einen gläsernen Messzylinder und schrieb den Füllstand auf.
"Das ist die wirksamste Methode, so viel wie möglich zu nehmen. Gut gelöst", bemerkte die Geschichtslehrerin. Julius blickte sich um. Er fühlte, daß er gut ins Schwitzen gekommen war. Am Ende war es doch eine sehr anstrengende Sache geworden. Barbara und Gustav machten es anders. Sie liefen von Eimer zu Eimer. Barbara fülte mit ihrer Kelle eine Ladung ein. Beim nächsten Eimer tat es Gustav. Dann wieder Barbara. Doch es zeigte sich, daß Gustav nicht so geschickt beim einfüllen war wie Barbara. Durch die Hektik ging immer wieder die Hälfte daneben. Sie rannten zum nächsten Eimer und machten weiter.
Viele Paare gingen wirklich nur einmal an jeden Eimer und rannten schnell weiter. Sie waren dann zwar sehr früh über die Bahn weg, hatten aber meistens nur eine Viertelmenge Wasser in der Tonne. Mildrids Partner hatte wohl noch nie mit einem Schöpfer hantiert. Er kippte ständig das Wasser zurück in den Eimer. Millie bugsierte ihn darauf hin mit der Tonne herum, um selbst Wasser zu schöpfen. Sie schafften ganz knapp wie Claire und Julius den Durchlauf, hatten aber auch nur eine halbe Tonne voll. Martine und Edmond machten es wie Claire und Julius. Ebenso verhielt es sich bei den Montferres, Belle und ihrem Partner und Jeanne mit Bruno. Sie hatten die einzig anwendbare Methode benutzt, um viel Wasser mitzunehmen, wenngleich sie dafür jedoch viel Zeit brauchten. Doch die erfahrenen Sportler hatten damit keine Probleme. So kamen noch mehr Paare mit randvollen Tonnen an, manche sogar zwanzig Sekunden früher als Claire und Julius.
Am Ende begutachtete Madame Maxime zusammen mit ihrem Besengetreuen, der breitbeinig daherging, wie ein Westernheld nach langem Ritt alle angelieferten Wassermengen. Zum schluss sagte sie:
"Alle Paare haben die Aufgabe gelöst. Einige haben dabei die Vorgabe, daß jeder nur einmal aus dem gerade angesteuerten Eimer schöpfen darf, optimal umgesetzt. Wunderbar. Nun eine Pause zum tanzen und erholen.
Das Magicomechanische Tanzorchester spielte einen Musettewalzer. Da Claire und Julius wie die übrigen Paare, die sich durch gewandte Drehmanöver zu den Eimern hinbugsiert hatten, schon vorgewärmt waren, lief der schnelle Dreivierteltakt beschwingt und anregend über die Tanzfläche.
"Echter Tanzboden wäre doch besser. Der schluckt hier ja alle Absprungenergien", meinte Julius zu Claire, als er versuchte, mit ihr hochzuspringen und dabei eine Mulde in die Wiese trat.
"Ach, das geht doch auch ohne springen, Juju. Einmal links rum!" Julius drehte sich in die angegebene Richtung. Dann ging es rechts herum.
Während des Tanzes konnte der Begleiter Claires alle bestehenden Paare sehen, die tanzten. Dabei sah er Jeanne und Bruno, die noch wilder tanzten als die anderen. Martine versuchte, Edmond zu etwas schnelleren Schrittfolgen anzuleiten. Doch dieser schien leicht neben der Spur zu sein.
Das zweite Stück war ein langsamer Viervierteltakt, zu dem Claire und Julius eine Rumba tanzten. Dabei kamen Jeanne und Bruno, sowie Barbara und Gustav so nahe, daß Jeanne herüberwinkte und leise genug, um die Musik nicht zu sehr zu übertönen fragte:
"Wollen wir beim nächsten Tanz eine Sechserformation mit durchwechselnden Partnern machen, Claire?"
"Weißt du denn schon was kommt?" Fragte Claire zurück.
"Noch was langsames. Claire und Barbara sagten zu. Auch die Jungen waren einverstanden. So konnten sie doch ausloten, wie weit sie im Moment von ihren magisch verkoppelten Partnerinnen weg konnten.
Tatsächlich war der dritte Musiktitel ein langsames Tanzstück. So wechselten die Partner sich ab. Als Julius mit Barbara zusammentanzte, während Jeanne gerade mit Gustav und Claire mit Bruno tanzte, sagte diese:
"Das war eben gut, wie ihr euch durch den Parcours geschwungen habt, Julius. Gustav und ich haben es zunächst auch probiert, hätten dabei aber fast die Tonne fallen gelassen. Das wäre es dann gewesen. Hauptsache, die Aufgabe wurde gelöst. Die bauen dahinten schon die Waagen auf, hinter einem Wandschirm, weil keiner sehen soll, wie's geht. Fünf Paare gleichzeitig sollen das ausprobieren."
"Das einzige Problem, was ich dabei sehe ist die Länge der Balken. Wenn das eine echte Wippe ist, kann die länger sein als ..." Julius wurde von einer unsichtbaren Kraft herumgerissen. Claire war gerade von Bruno so weit weggedreht worden, daß die magische Verbindung dagegenhielt.
"Eh, Bruno!" Rief Barbara. Dann wechselte sie zu Bruno, während Julius wieder mit Claire tanzte.
"Rohling", zischte sie und beugte ihren Kopf kurz in Brunos Richtung. "Warum hat Jeanne nicht sofort reagiert."
"Heh, Jeanne, was zu weit!" Hörten Claire und Julius Barbara ausrufen. Offenbar war das mit der Sechserformation nicht so gut.
Nach der Pause mit Musik und Tanz ging es an die zweite Aufgabe: Eine Balkenwaage sollte mit zehn verschiedenschweren Objekten ausbalanciert werden. Julius hatte sich schon überlegt, wie lang die Seiten der Waage sein mochten und ob man Gewichte gegeneinander verteilen konnte. Als er mit Claire hinter einen drei Meter hohen Wandschirm trat, stand vor ihnen eine aus sich selbst rötlich leuchtende Waage, deren Drehachse auf Julius' Brusthöhe befestigt war. Die beiden Balken maßen zusammen vier Meter. Von der Drehachse aus schlängelte sich ein silberner Lichtfaden zu einer golden schimmernden Glocke am Wandschirm. Julius verstand, daß die Glocke tatsächlich dann geläutet wurde, wenn die Waage eine volle Minute lang im Gleichgewicht gehalten wurde. Sicher, im Moment war sie wohl ausgependelt wie eine Wippe auf dem Spielplatz. Zehn runde Gewichte unterschiedlicher Größe lagen in einer Kiste vor der Waage. Jedoch stand keine Gewichtseinheit auf ihnen.
"Oh, habe ich befürchtet, daß die uns unbeschriftete Gewichte hinlegen", seufzte Julius. Professeur Bellart, die für Claire und ihn zuständig war, deutete auf die Versuchsanordnung und erklärte noch einmal, was sie genau tun sollten. Julius fragte, ob er was fragen durfte.
"Nein, Zauberer dürfen nicht fragen. Wenn jemand von euch eine Frage hat, möchte die Hexe sie stellen. Aber ich darf nur eine Frage beantworten, die mit "Ja" oder "Nein" zu beantworten ist", sagte Professeur Bellart lächelnd. Schuldiener Bertillon, der bis Mitternacht magisch an sie gekettet war, grinste unverhohlen teuflisch.
"Ja, hier muß man denken können, allein um eine Frage richtig zu stellen", meinte er. Julius beachtete ihn nicht. Er zeigte Claire alle zehn Finger, drehte die Hände so, daß seine Finger senkrecht übereinanderlagen und machte dann einen Finger nach dem anderen krumm. Claire sah ihn verdutzt an. Dann huschte ein verstehendes Lächeln über ihr Gesicht. Sie wandte sich an Professeur Bellart.
"Sind alle Gewichte so ausgewogen, das es zehn Unterschiedliche Gewichte von schweer bis ein Zehntel so schwer gibt?"
"Ja, sind sie", sagte Professeur Bellart und warf Julius einen tadelnden Blick zu, weil er Claire mit seinem Fingerspiel die Frage vorformuliert hatte. Doch er nahm diesen tadelnden Blick gelassen hin.
"Sie dürfen keinen Zauber verwenden, um die Balance zu erzwingen oder Gewichte beliebig verhexen, damit Sie eine Balance herstellen. Jeder ansatzweise Versuch wird sofort erkannt und macht die Aufgabe unerfüllt. Der oder die, welcher oder welche den Zauber versucht hat, darf dann mit dem Zweisamkeitsreif um seine oder ihre Taille einen vollen Tag zubringen, wobei der dann immer schwerer lastet. Also bloß nicht schummeln!"
"Ihr habt fünf volle Minuten Zeit, wobei die Minute, die die Waage im Gleichgewicht ruhen muß mitzählt", gab Bertillon feist grinsend zum besten. Professeur Bellart nickte. Dann trat sie zurück und stellte eine Sanduhr auf, deren Kolben in dreihundert Teilstriche unterteilt waren. Sie pflanzte die Sanduhr mit der leeren Seite nach unten auf den Boden und sagte "Zeit läuft, Mademoiselle und Monsieur!" Dann trat sie zurück und zog eine papierartige Trennwand zwischen sich und die Waage für Claire und Julius. Claire flüsterte:
"Danke für den Tip, Juju. Hast du dir überlegt, wie wir die Gewichte unterbringen müssen, damit zehn unterschiedliche Gewichte die Waage da auspendeln, obwohl wir nur anderthalb Schritte auseinandergehen können?"
"Wir müssen erst die Gewichte rausfinden, was das schwerste und das leichteste ist. Das schwerste hängen wir ganz nahe beim Drehpunkt hin, das leichteste ans Ende des anderen Balkens. Hast du mal etwas von den Hebelgesetzen gehört?"
"Hmm, das heißt doch, daß du ohne Zauberkraft etwas bewegen kannst, wenn du es mit einer langen Stange drücken oder hochstemmen kannst, oder?"
"Richtig, Claire. Gewicht und Hebellänge werden malgenommen. Um eine Waage auszubalancieren muß das Ergebnis aus Balkenlänge vom Drehpunkt zum Gewicht mit dem Gewicht malgenommen auf beiden Seiten gleich sein. Probieren wir aus, was das leichteste und das schwerste ist!"
Claire ließ sich von Julius gerne erklären, was sie tun sollten. Mit Sachen, die ohne Magie gemacht werden mußten, hatte er, der Muggelstämmige eher Erfahrung als sie. Sie sortierten die Gewichte aus, wobei sich herausstellte, daß nicht das größte Gewicht auch das schwerste und das kleinste nicht das leichteste Gewicht war. Ein hohler Aluminiumblechzylinder, beinahe eine Einweggetränkedose ohne Verschlusslasche und Aufschrift erwies sich als leichtestes Gewicht. Julius hängte es einen Meter vom Drehpunkt entfernt. Das schwerste Gewicht, wohl ein in Eisen eingegossener Goldklumpen, hängten sie zehn Zentimeter vom Drehpunkt entfernt an den Anderen Balken. Zum Glück waren zumindest die Längen markiert, erkannte Julius. Also so schwer wollte man es den Paaren nicht machen. Tatsächlich pendelte sich die Waage nach wenigen leichten Wippbewegungen wieder aus. Claire strahlte Julius freudig an. Dieser schüttelte bedächtig den Kopf. Sie waren ja erst mit den am leichtesten zu bestimmenden Gewichten fertig. die beiden weiteren Gewichte, das Zweitschwerste und Zweitleichteste, waren ja noch gut auseinanderzuhalten, obwohl mal wieder das schwerste nicht das größte war, aber auch nicht das kleinste.
"Wenn ich den oder die kriege, der oder die sich diesen Gag ausgedacht hat", setzte Julius halblaut an, und Claire sah ihn bange an, "- Dann gratuliere ich diesem Menschen für seine guten Physikkenntnisse."
Sie sortierten die am weitesten voneinander entfernten Gewichte wieder so, daß Julius' Hebelkraftberechnung auf beiden Seiten aufs gleiche hinauslief. Bei der dritten Paarung war es schon wieder schwieriger, weil der Gewichtsunterschied nicht mehr so heftig fühlbar war. Es dauerte zwei Versuche, um tatsächlich das richtige Paar hinzuhängen und auch im genau abgestimmten Abstand. Es dauerte wohl zwei Minuten, bis sie bei der vierten Paarung anlangten, die sie noch genau ausmessen mußten, um tatsächlich ein Gleichgewicht zu bekommen. anderthalb Minuten vor Ablauf der Frist hängten sie die letzten beiden Gewichte hin. Sie waren immer so nahe wie es ging an der Waage entlanggelaufen, um die magische Entfernungsbeschränkung nicht zu belasten. Julius sah bange hin, ob sich die Waage noch einmal zu einer Seite neigen würde. Doch sie wippte immer ruhiger, dann ruhte sie genau waagerecht zur Drehachse. Julius sah auf seine Armbanduhr und warf einen Blick auf die Sanduhr. Sie hatten noch genau achtzig Sekunden zeit. Bis jetzt hatte er nirgendwo eine Glocke anschlagen gehört. Sie warteten. Dann lief die Zeit ab.
Dong! Ihre Glocke schlug zuerst an. Zwei Sekunden später läutete eine Glocke weiter rechts, dann läuteten zwei Glocken fast gleichzeitig links. Julius vermutete, daß man zehn Waagen aufgebaut hatte, wo Zehn Lehrerinnen und Lehrer Aufsicht machen konnten. Die restlichen Lehrerinnen und Lehrer wachten über die Schüler, die nicht an den Aufgaben teilnahmen oder noch drankommen mußten.
"Exzellent", sagte Professeur Bellart, als sie die Anordnung der Gewichte begutachtete. Mit einem Zauberstabwink ließ sie grünlich leuchtend die genauen Einheiten aufleuchten.
"Ach, das hätten wir ja dann auch machen können", meinte Claire.
"Nein nein, Mademoiselle Dusoleil. Da Sie und Monsieur Andrews zu den besten Schülern in der dritten Klasse Ihres Saales gehören, sollten Sie den Conditiototus-Zauber schon mal von mir erwähnt gehört haben. Der wirkt nur, wenn vorher genau bestimmte und eingerichtete Bedingungen erfüllt werden. Sie hätten die Maßeinheiten niemals vor der angesetzten Minute vollkommener Balance erscheinen lassen können. Außerdem, Monsieur Andrews, ich habe zusammen mit Professeur Paximus dieses kleine aber nicht allzu schwere Rätsel entworfen", sagte die Zauberkunstlehrerin lächelnd, während Bertillon verdutzt auf die Anordnung der Gewichte starrte, als habe er noch nie eine ausbalancierte Waage gesehen.
"Oh, dann möchte ich Ihnen und Ihrem Kollegen Paximus recht herzlich zu dieser interessanten Aufgabe gratulieren. Ich meinte, hier würde sich niemand mehr für Muggelnaturwissenschaften interessieren", gestand Julius.
"Das wir sie nicht so nötig brauchen heißt ja nicht, daß wir uns nicht damit befassen, Monsieur Andrews. Aber nun darf ich bitten! Die nächsten zehn Paare möchten sich beweisen. Und bitte erzählen Sie niemandem, wie Sie das angestellt haben, bevor nicht alle gemeldeten Paare die Aufgaben geschafft haben."
"Ist geritzt, Professeur Bellart", grinste Julius jungenhaft zurück. Claire zog ihren Freund mit sich. Er sah noch, wie die Lehrerin eines der Gewichte fortnahm, worauf die glimmenden Maßeinheiten wieder verschwanden.
Laurentine Hellersdorf und Constance Dornier warteten außerhalb der Wandschirmbegrenzung auf Claire und Julius. Laurentine sah Julius an und fragte leise:
"Na, hat das sogenannte Muggelwissen mal über die Hexerei triumphiert?"
"Na klar", raunte Julius so leise, daß nur Laurentine ihn verstand und grinste. Constances bald erwartetes Kind schien den Abend nicht so toll zu finden. Julius konnte einmal sehen, wie sich Constances Umhang an einer Stelle kurz beulte.
"Dieses Balg würde wohl auch lieber fliegen als eingezwängt in mir herumstrampeln", seufzte Célines große Schwester. Julius fragte, ob sie irgendwelche Beschwerden hätte. Sie schüttelte den Kopf.
"Nur, daß ich auch gerne geflogen wäre. Außerdem fordere ich mit dem Bauchladen hier bestimmt keinen mehr zum Tanz auf. Ich hoffe nur, ich kriege den ganzen Speck wieder runter, wenn die da drinnen selber atmen und essen kann."
"Falls was ist, kann ich Schwester Florence rufen. Am besten bleibst du in der Nähe der Pflegehelfer!" Schlug Julius vorsichtig vor. Doch Constance knurrte ihn an:
"Junge, ich habe mittlerweile mehr Ahnung davon, in diesem Zustand rumzuwatscheln wie du. Also gib mir bloß keine Ratschläge, die nicht von oben angeordnet sind!" Laurentine sah sie gehässig an und sagte dann zu Claire:
"Hoffentlich bereust du das nicht doch noch, diesen Walpurgisnachtzirkus mitgemacht zu haben."
"Inwiefern, Bébé?" Fauchte Claire verstimmt zurück. "Ich habe es nicht bereut, mir einen Partner gesucht zu haben und bin froh, daß ich mit ihm auch vorher schon gut klarkam und es nachher bestimmt auch noch tue. Wenn du dieses Jahr die Einzelflugprüfung machst, wirst du nächstes Mal auch fliegen. Falls Virginie dich nicht zur Soziusflugprüfung verdonnert, damit du auch einen Partner mitnehmen kannst."
"Haha, Claire. Die kann mir nicht imponieren. Wenn die Saalsprecherin wird ...", tönte Laurentine.
"Dürft ihr Mädels euch alle warm anziehen", wandte Julius ein. "Wenn die auf ihre Mutter rauskommt, zumindest verhaltensmäßig, dann fegt die nächstes Schuljahr mit eisernem Besen durch den grünen Saal."
"Möchtest du darauf eine Wette abschließen, Engländer?" Fragte Constance amüsiert, weil sie sich mit den Angelegenheiten der Grünen nicht befassen mußte.
"Bei so sicheren Sachen wette ich nicht, weil da ja der Reiz des Risikos fehlt", gab Julius schlagfertig zurück. Claire nickte und ergänzte:
"Julius hat recht, Bébé. Barbara hat dich zum Fliegen gezwungen, damit sie gut aussieht. Virginie hat eine Mutter, die da noch mehr Wert drauf legt als Madame Lumière. Am Besten kommst du in den Sommerferien zu uns, damit wir schon einmal üben können."
"Kleine Claire, Bébés Maman mag das doch nicht, wenn ihr zartes Töchterchen böse Hexensachen lernt, hast du doch genau mitgekriegt, als ihr bei uns wart", höhnte Constance Dornier. Laurentine sprang auf sie zu. Julius ging dazwischen.
"Eh, Bébé. Du prügelst dich hier bestimmt nicht mit 'ner werdenden Mutter rum. Nachher dürfen wir zwei im Mäusekäfig rumlaufen, weil Barbara oder Schwester Florence uns das übelnehmen."
"Mit der im Käfig, wäre doch richtig produktiv. Mäuse können vier Wochen nach der Geburt schon Kinder kriegen", warf Constance ein. Dann zog sie sich lachend zurück.
"Bébé, lass sie. Die freut sich doch, wenn sie dich so richtig ärgern kann", sagte Claire und hielt ihre Kameradin am schlichten Sonntagsumhang fest. "Die braucht wen, auf den sie ihr ganzes selbstgemachtes Elend abwälzen kann. Julius hat recht. Wenn du sie schlagen würdest, wäre keine Minute später wer von den Lehrern hier und würde dich bestrafen. Die ist das nicht wert, Bébé."
"Nur weil die 'n Braten in der Röhre hat meint die, sie könne allen dumm kommen, Claire. Aber in zwei oder drei Wochen hat die das blöde Balg und kann sehen, ob sie mit dem besser klarkommt. Maman hat mich nämlich nach dem Besuch bei Céline sehr heftig vollgetextet mit Schwangerschafts- und Säuglingspflegezeug, weil sie meint, daß in Beauxbatons wohl wie in anderen Schulen auch ein Wettbewerb um die am schnellsten verschenkte Unschuld läuft."
"Sowas ähnliches hat uns Madame Maxime vorgebetet, daß das in Muggelschulen so läuft. Manchmal glaube ich, das stimmt. Wenn ich auch denke, daß sie gerne mehr tadelt als nötig ist", sagte Julius.
Dong! Wieder ging eine Glocke, gefolgt von einem Jubelschrei von Barbara und Gustav. Es dauerte dann noch zwanzig Sekunden, bis die nächste Glocke anschlug. Einige Glocken schienen nach Ablauf der Frist zu klingen, denn sie wurden nicht von Jubelschreien begleitet. Konnte aber auch sein, daß einige eine Minute später angefangen hatten.
"Da soll man noch mal sagen, daß Frauen keinen Dunst vom Rechnen haben", sagte Gustav, als Barbara und er in den freien Bereich auf der Festwiese zurückkehrten. Madame Maxime trieb gerade vier Blaue und vier Rote auseinander, die sich wegen irgendwas gekloppt hatten.
"Hallo, Julius. Ihr wart ja auch sehr fix dabei, habe ich mitbekommen. Hast du den alten Archimedes gut gebrauchen können?" Fragte Barbara leise. Julius nickte.
"Archimedes Moonstruck, den wilden Zaubersachenerfinder aus den Staaten?" Fragte Gustav. Claire und Laurentine lachten.
"Der dürfte wohl nach dem Typen benannt sein, den Barbara meinte, Gustav", sagte Julius und verwies darauf, nichts weiter darüber zu reden, bis alle mit ihren Aufgaben durch waren.
"Joh, das ist schon klar, Julius. Hallo, Laurentine! Langeweile?"
"Nöh, Mademoiselle Lumière. Ich bin froh, daß keiner was von mir will", erwiderte Bébé Hellersdorf gehässig. "Ich bin froh, daß die mich alle schön in Ruhe lassen, außer dieser Ballonhexe aus dem weißen Saal."
"Wer?" Fragte Barbara mit durchdringendem Blick auf die leicht untersetzte Drittklässlerin.
"Maman Constance", antwortete Laurentine und zog sich sofort zurück, bevor Barbara sie noch etwas fragen konnte. Sie wußte genau, daß Barbara mit ihrem Partner im Moment nicht hinter ihr herlaufen konnte.
"Was war mit Mademoiselle Dornier, Julius?"
"Öhm, habe ich nicht ganz mitgekriegt, weil Claire und ich erst später dazugekommen sind", schwindelte Julius. Claire nickte. Barbara räusperte sich.
"Dann frage ich mal so: Was habt ihr beiden mitbekommen? Aber bitte die Wahrheit!"
"Constance hat Bébé, also Laurentine vorgehalten, die dürfte doch gar nicht fliegen lernen, weil ihre Mutter das nicht will. Mehr haben wir nicht mitbekommen", sagte Claire. Julius nickte beipflichtend.
"Gut, da zu fragen, wer da angefangen hat wäre Zeitverschwendung. Ich kriege das noch raus, ihr beiden. Oder ich delegier das an Virginie, damit die sich schon mal einarbeiten kann", sagte Barbara. Dann ging sie mit ihrem Partner weiter. Julius wartete, bis Claire ihm zunickte und ihn zu einem der Toilettenhäuschen mitnahm.
"Und das du dich unterstehst, von der Tür wegzugehen!" Sagte Claire und schloss zwischen sich und Julius die Tür. Sabine Montferre kam mit ihrem Freund und Walpurgisnachtpartner Serge Rossignol heran und parkte ihn vor einer ähnlichen Tür.
"Joh, Goldtänzer! Bis jetzt alles im Lot?"
"Volle Kanne!" Gab Julius zurück, der aufpasste, nicht von der Tür wegzutreten.
"Diese Türsteherei ist bescheuert. Hätten die die verdammten Verbindungszauber nicht dreimal so lang machen können?" Fragte Serge.
"Da fragst du den falschen!" Rief Julius zurück. Claire rief von drinnen:
"Eh, Julius, nicht so laut, daß jeder mitkriegt, daß ich hier drin bin!" Julius errötete schlagartig. Serge grinste belustigt und sprang keck nach vorne. Was von seiner Tür ein empörtes Ausrufen auslöste. Dann zog ihn etwas mit Wucht zurück an die Tür und hielt ihn dort wie festgenagelt. Eine halbe Minute später kam Sabine wieder heraus, mit etwas verwischtem Make-Up und ungehalten.
"Du gehst da jetzt rein und machst das weg, was du mich hast danebengehen lassen, Bürschchen!" Kommandierte sie Serge. Dieser zuckte mit den Schultern. Doch ein lauter Klaps der stämmigen Junghexe auf seinen Rücken warf ihn förmlich in den Toilettenraum.
"Ii, das ist ja echt", kam eine angeekelt klingende Bemerkung von Serge aus der Kabine.
"Was er nicht sagt", versetzte Sabine. Sie wartete, bis Serge wieder herauskam und sah nach, ob alles ordentlich hinterlassen worden war. Dann zog sie ihr Make-Up nach und winkte Julius zu:
"Schönen Abend noch!"
Als Claire wieder herauskam, mit etwas rosigeren Wangen und wesentlich beschwingter, bat Julius um seine Gelegenheit, die Bedürfniseinrichtung zu benutzen und zog die Tür zwischen sich und Claire zu. Nach einer Minute kam er wieder zum Vorschein und ging mit Claire zum Tanzplatz. Martine Latierre hatte wohl gerade mit Edmond die Aufgabe mit der Waage beendet. Sie sah nicht sonderlich begeistert aus. Sie sah Julius an und winkte ihm zu. Claire fragte ihn, was die ganzen Mädchen nun von ihm wollten, obwohl sie ja sehen konnten, daß sie mit ihm zusammen war.
"Die will wohl nur wissen, ob wir das mit der Waage gut hinbekommen haben, Claire. Du siehst ja, daß sie ihren Partner noch an der unsichtbaren Leine hat."
Martine zog Julius sacht zu sich und fragte:
"Gab es einen Muggeltrick, mit dem wir das hätten lösen können. Edmond hat rumprobiert und immer wieder neu ausgewogen. Aber bis vor den Schluß gab es immer zu einer Seite einen Überhang."
"Hmm, Claire und ich haben die Hebelformel benutzt, Martine. Die Kraft, die an einer Seite des Hebels zieht muß so groß sein, wie die Kraft auf der anderen Seite, um ein Gleichgewicht zu kriegen. Dabei gilt: Kraftarm mal Kraft oder Gewicht gleich Lastarm mal Gewicht der Last."
"Unfug, sowas vorauszusetzen", grummelte Edmond. "Die Gewichte waren nicht nummeriert. Wie soll das denn gehen, sie mit der Länge eines Balkens malzunehmen. Da kannst du doch nur rumprobieren."
"Das ist wohl nicht richtig, Edmond, wie du uns ja gerade eindrucksvoll bewiesen hast. Also das mit den leuchtenden Ringen ist wohl für uns dieses Jahr vom Tisch", blaffte Martine ungehalten zurück. "Julius ist mit Sachen ohne Magie groß geworden. Warum sollen die Muggel da keine Gesetze rausbekommen haben, wie man schwere Sachen hochdrückt oder eine lange Waage richtig ausbalanciert, wenn man zehn unterschiedliche Gewichte dranhängt? Immerhin können sie fliegen und mit Eisenwagen ohne Zauberkraft fahren, ja sogar große Raketen mit künstlichen Monden an der Spitze in den Weltraum hochschicken. Wäre nur schön gewesen, wenn wir über diese nichtmagischen Funktionsprinzipien auch was gelernt hätten."
"Kannst du mal sehen, Tinchen, daß Muggelstudien nichts bringen", knurrte Edmond verbittert dreinschauend zurück.
"Professeur Bellart sieht das nicht so, wie du, Edmond", wagte Claire, dem Sprecher ihres Saales zu widersprechen. "Und Barbara hat das auch so gesehen, daß mit den Muggeltricks mehr zu machen war, wenn keiner zaubern durfte."
"Unfug", wiederholte Edmond eine Bemerkung von eben. "Haben wir halt diese Aufgabe nicht erfüllt. Das müssen die uns nachsehen, Tinchen."
"Edmond Danton, Sie wissen genau, daß diese Metallringe um unsre Körper nur aus sich selbst heraus leuchten, wenn alle fünf gestellten Aufgaben erfüllt werden. Das ist die vierte Walpurgisnacht, die du mit einer Hexe zusammen verbringst. Langsam solltest du es wissen", sagte Martine. Halb zog ihn Claire am Ärmel mit sich, halb stürzte Julius wild entschlossen mit seiner Freundin davon. Von diesem Gezänk wollte er genauso wenig mitkriegen wie Claire.
Nachdem alle Paare die zweite Aufgabe durchlaufen hatten, gab es noch einmal Tanzmusik. Belisama bat Claire darum, mit Julius tanzen zu dürfen. Diese nickte schwerfällig und nahm Belisamas Partner für einen Tanz, den sie immer hübsch in der aufgezwungenen Nähe zubrachten. Dann tanzte Julius mit Claire einen Samba und sah, wie die Montferres mit den Rossignols herumwirbelten.
"Hoffentlich habe ich mein Maul nicht zu weit aufgerissen", unkte Julius. "Wenn Edmond meint, er sei nun blamiert, weil er die Hebelgesetze nicht kannte, was durchaus kein Problem ist, könnte der mich herumschikanieren, um mich blöden Muggelstämmigen vorzuführen."
"Ich denke, da wird Yves schon aufpassen und Barbara und Virginie. Immerhin hat Martine dich gefragt, ob es einen Trick oder ein Mittel gibt, um das mit der Waage zu lösen, ohne Magie anzuwenden, Juju. Du hast ihr das erklärt und fertig. Immerhin bist du mit ihr in der Pflegehelfertruppe und daher besser dran, dich mit ihr gut zu stellen. Wenn Edmond dir mehr Strafpunkte reinwürgt als er darf, kriegt Professeur Faucon das sowieso mit und fragt dich dann und dann ihn, was passiert ist", beruhigte ihn Claire.
Nach der neuen Tanzrunde kam die dritte Aufgabe, die mit dem Umtanzen der Zylinder. Diese war relativ leicht zu lösen, wenn sich die Paare beim Umrunden in je eine unterschiedliche Stellung zueinander drehten. Claire und Julius waren dabei am schnellsten fertig. Ein lauter künstlicher Aufschrei: "Autsch, Schummler!" Kam von einem der anderthalb Meter hohen und einen Meter durchmessenden Zylinder in großer Entfernung. Julius achtete nicht sonderlich darauf, bis er hinter Claire die zehnte Runde geschafft hatte.
Jemand lachte. Einige Jungen sangen: "Der Eddi hat gemogelt! Der Eddie hat's versaut!"
"Och nein, der wird doch nicht so hirnamputiert gewesen sein ..." stöhnte Julius, als er mit Claire von ihrem Zylinder fortging.
"Kriege ich jetzt auch nicht in den Kopf, daß ausgerechnet unser Saalsprecher das gewesen sein soll. Aber mir fällt hier kein anderer Eddie ein, Juju. Ausgerechnet bei der einfachen Aufgabe!"
Tatsächlich hatte Edmond Danton versucht, den großen Zylinder mit einem Erhellungszauber aufglühen zu lassen. Doch dieser hatte das wohl abgewehrt und lauthals gepetzt. Martine und Edmond hatten sich damit automatisch aus der Fortführung der Paarspiele gekegelt, was der Saalsprecherin der Roten sichtlich sauer aufstieß.
"Wieviele Wochen müssen die Siebtklässler noch?" Fragte Julius Claire.
"Solange wie wir, du Scherzkeks, bis zum zweiten Freitag im Juli. Aber der wird hoffentlich kapieren, wie dumm es wäre, sich jetzt an anderen auszulassen."
"Claire, ich wette mit dir um eine Tüte Fruchtschaumschnecken, daß der uns jetzt schon mindestens hundert Strafpunkte wegen unsittlicher Annäherung aufgebrummt hat, bevor wir was in der Richtung bringen", seufzte Julius. "Das wird er bei Céline und anderen rein grünen Pärchen auch so machen."
"Dann kriegt er aber Ärger mit Barbara", sagte Claire entschlossen. "Aber die Wette nehme ich an. Allerdings will ich keine Fruchtschaumschnecken. Wenn er uns keine Strafpunkte aufhalst, obwohl wir was machen, was er bestrafen könnte, besorgst du mir bei Madame Porter Mitternachtmondglanzschaum für dunkles Haar. Ich hörte, daß sei hier in Frankreich noch zu selten im Angebot."
"In Ordnung, Claire. Falls ich recht habe - und ich will lieber dieses Mondnachtzeug besorgen - hätte ich gerne diese Fruchtschaumschnecken."
"Wie du meinst, Juju. Ich hätte dir sonst angeboten, dir was schönes zum geburtstag zu backen oder zu kochen. Aber wenn du lieber diesen Süßkram haben möchtest, bitte sehr!"
Die vierte Runde war wieder etwas komplizierter. Der Laufparcours, durch den sie Rücken an Rücken einen Ball ohne ihn mit den Händen zu halten oder zwischen sich festzuklemmen transportieren mußten, machte mehrere Kurven und besaß gewisse Höhenunterschiede. Claire ging vorne weg, Julius folgte ihr rückwärts und behielt den großen blauen Ball im Auge, der durch Rücken-, Schulter- oder Kopfstöße zwischen ihnen hin- und hergespielt wurde. Doch mit der nötigen Geschwindigkeit und Abstimmung gelang es, nach nur einem Fehlversuch den Ball sicher durch den Parcours zu bringen, ohne daß er den Boden berührte.
"Sah einfacher aus als es war", mußte Julius zugeben, als sie es geschafft hatten und zu den anderen zurückgingen.
Die letzte Aufgabe hatte es in sich. Es war sehr schwer, ohne Zauberei zehn verschieden dicke Stangen in die passenden Röhren zu stecken, ohne sich weiter voneinander zu entfernen als die magischen Verbindungsringe es zuließen. Hier mußten die Paare sich durch springen und Hangeln behelfen und konnten nicht so leicht herausfinden, wo welche Stange unterzubringen war. Es war eine Heidenarbeit, bis nach einer Viertelstunde alle zehn Stangen über das zweieinhalb Meter hohe Gerüst verteilt waren. Zwischendurch hatte Julius Claire huckepack genommen, um ihr von unten her die Stangen anzureichen, die sie dann weiter oben unterbrachte. Seine Beine fingen langsam an zu zittern, als endlich die letzte Stange korrekt saß.
"Uh, ich sollte mehr Gewichthebeübungen machen oder besser springen trainieren", sagte Julius und wollte Claire absetzen. Doch diese klammerte sich mit den Beinen an ihm fest und rief von oben herunter:
"Du bist genau der richtige gewesen, Julius! Dreh dich einmal um, damit die uns sehen können! Erst dann darfst du mich wieder runterlassen."
Julius ging beinahe in die Knie, als er sich langsam umdrehte. Dabei fiel ihm auf, daß sein Metallring hell erstrahlte. Sie hatten es wirklich geschafft.
"In Ordnung, Monsieur Andrews. Die Dame kann nun wohl wieder auf ihre eigenen Füße", sagte Professeur Laplace, die ihnen das Gerüst zugewiesen hatte und lachte laut und ungeniert. Julius bückte sich, daß Claire bequem von seinen Schultern herabgleiten konnte. Sie tätschelte ihm die rechte Wange und zog ihn kurz an sich.
"Danke für diesen schönen kurzweiligen Abend. Ich hoffe, dir hat das bisher auch gefallen."
"Zumindest weiß ich jetzt mit sicherheit, daß du kein leichtes Mädchen bist", sagte Julius frech und fühlte keinen Augenblick später Claires Fingernägel durch den Stoff seines rechten Ärmels in sein Fleisch eindrücken.
"Leichtes Mädchen? Ich weiß von Laurentine, welche Mädchen oder Frauen so genannt werden. Machst du noch 'ne solche Anspielung, trägst du mich demnächst zum Unterricht, bis du stark genug bist. Aber im Moment bist du schon stark genug, um mit mir den Mitternachtswalzer zu tanzen. Komm, bevor Millie Latierre meint, dich in eine Formation reinholen zu dürfen!"
"Wie ihr befehlt, Gebieterin", sagte Julius und lief vor Claire her, die ihn erst auf der Höhe der Tanzwiese überholte und dann stolz vor ihm herging, wie es alle Hexen taten, die mit ihren Partnern leuchtende Metallringe um ihren leib trugen. Julius sah, daß außer Martine und Edmond jedes gebildete Paar leuchtende Metallringe trug. Gérard winkte Julius zu, der zurückwinkte. Céline grinste Claire an, die zurücklächelte. Sie hatten es geschafft. Die fünf Sonderaufgaben waren erledigt.
"Ich freue mich, daß Sie alle, die sie diese kurzweiligen Spiele mitmachten, gut durch die ihnen gestellten Aufgaben kamen", sagte Madame Maxime. "Ich wundere mich jedoch, daß Sie, Monsieur Danton, es nötig hatten, in der dritten, wahrlich sehr einfachen Runde, einen Erhellungszauber gegen den Ihnen zugeteilten Zylinder anzuwenden. Nun, Sie wissen ja, daß Sie dafür einen vollen Tag den Ihnen angelegten Reif der Zweisamkeit weitertragen müssen. Was für alle anderen gilt, gilt besonders für die mit der Funktion des Saalsprechers versehenen Damen und Herren."
Martine sah Edmond mit einer Mischung aus Tadel und Bedauern an. Dieser blickte trotzig umher, weil alle ihn schadenfroh anglubschten und spöttische Grimassen schnitten. "Erholen Sie sich nun von den Spielen und genießen Sie den Rest dieses Abends, bevor wir um fünf Minuten vor Zwölf mit dem Mitternachtswalzer beginnen, der volle zehn Minuten lang getanzt wird!" Sagte die Schulleiterin noch und zog sich dann mit ihrem Besengetreuen zurück.
"Das war am Schluß ziemlich knapp, die Stangen richtig zu sortieren", meinte Julius zu Claire. Diese nickte und sagte dann:
"Immerhin haben diese Hebelgesetze, von denen du mir erzählt hast, hier ja auch geholfen. Wollen wir noch ein wenig zu den Anderen, bevor der Tanz um Mitternacht beginnt?"
"Na klar!" Stimmte Julius zu und folgte seiner Freundin zu den Kameraden der dritten Klasse, die sich paarweise oder ohne Partner zusammengestellt hatten.
Als dann nach einer langen Unterhaltung der Tanz um Mitternacht ausgerufen wurde, versammelten sich erst die gebildeten Paare mit den weißgolden leuchtenden Metallringen. Dann formierten sich spontane Paare und tanzten zu einem langsamen Walzer. Doch mit jeder Minute wurde der Walzer immer schneller gespielt, bis dann ein lauter Glockenschlag erklang und die Tanzenden wild auf der Wiese herumsprangen. Das große Hexennachtfeuer schlug purpurn und golden himmelhoch. Zehn Sekunden lang tosten die Flammen in diesem zauberischen Farbenspiel. Mitternacht war gekommen. Nun war der erste Mai.
Eine Minute nach dem Glockenschlag verlangsamte sich das Tempo der Musik wieder, bis fünf Minuten nach Mitternacht der gemütliche Takt wie zu Beginn erreicht war. Nicht wenige waren bei der immer flotteren Tanzerei ins Schwitzen geraten und sahen mit rotgetönten Gesichtern auf die nun wieder über ihnen erstrahlende Sonnenkugel, die von den Lehrern in Windeseile heraufbeschworen war. Madame Maxime verschaffte sich durch dreifaches Händeklatschen die totale Aufmerksamkeit ihrer Schülerschaft und sprach:
"Mesdames, Mesdemoiselles et Messieurs, willkommen im neuen Hexenjahr! Ich freue mich, Ihnen allen aus tiefster Seele danken zu können, daß Sie den Übergang mit mir zusammen gefeiert haben und diese Nacht erneut zu einem vollen Erfolg gemacht haben. Die Hauselfen bauen gerade das Mitternachtsbuffet für kleine Speisen und Getränke auf. Unser magicomechanisches Orchester wird noch eine Dreiviertelstunde lang spielen, bevor wir uns alle in den Palast zurückbegeben. Die Damen und Herren unter Ihnen, die den Reif der Zweisamkeit ablegen möchten, können jederzeit zu mir kommen. Bis auf Monsieur Danton, der ja aus bekannten Gründen seinen Metallring noch zu tragen hat. Aber Sie dürfen natürlich bis kurz vor dem Rückzug in den Palast diesen Reif tragen, wenn Sie befinden, daß Sie mit Ihrem Partner oder ihrer Partnerin zufrieden waren. Dies wollte ich nur noch ankündigen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!"
Natürlich wollten nur die Hexen und Zauberer ihre immer noch leuchtenden Ringe loswerden, die nicht so zufrieden mit ihren Partnern oder Partnerinnen waren. So standen am Ende immer noch fünfzig Paare auf der Tanzfläche. Millie Latierre hatte ihren Ring jedoch als eine der ersten abgelegt. Sie kam zwischendurch einmal zu Claire und Julius, sah ihnen beim tanzen zu und forderte einen aus dem roten Saal auf, der ohne Ring herumlief. Das Mitternachtsbuffet hielt belegte Brötchen oder Crèpes mit herzhafter Füllung bereit. Zwischen der Tanzfläche und dem Buffet wechselten ständig Schülerinnen und Schüler. Professeur Pallas und Professeur Laplace bedienten am Buffet, während Professeur Faucon mit Professeur Fixus am immer noch brennenden Walpurgisnachtfeuer stand. Julius war froh, Claire nicht noch einmal zum Toilettenhaus begleiten zu müssen. Er stand am Buffet und ließ sich einen Becher Traubensaft mit einem Spritzer Zitrone geben. Martine kam zu ihm und gratulierte ihm. Er wunderte sich.
"Wozu gratulierst du mir denn?"
"Das du einen sehr ordentlichen Einstand in unsere Gesellschaft hinbekommen hast, Julius. Ich habe dich, sofern das möglich war, beobachtet, und meine Schwester auch. Wenn sie vorher glaubte, du und Claire seid nur gezwungenermaßen zusammen, weiß sie es jetzt besser. Ich fand es schön, wie du dich mit ihr arrangiert hast. Das konnte ich beim Fliegen sehen oder auch beim Lösen der Aufgaben. Zumindest hast du uns allen gezeigt, daß du hier hingehörst. Das wird dich vielleicht jetzt nicht groß interessieren. Aber Walpurgis war und ist immer das Fest, an dem sich herausstellt, wer für wen am besten geeignet ist. Insofern wirst du bestimmt im nächsten Jahr an diesen Abend zurückdenken und dich freuen, wenn du so eine gut zu dir passende Partnerin hast wie heute.
"Danke, Martine. Du hast recht, daß ich das wohl jetzt nicht so blicke, wie wichtig oder unwichtig dieser Tag ist. Aber schön fand ich es auch, daß ich dabei sein durfte", erwiderte Julius.
"Dann noch einen schönen Ausklang!" Wünschte die Saalsprecherin der Roten, hieb Julius kräftig auf die Schultern und verschwand in der Menge.
"Ach du meine güte, war das jetzt eine Heiligsprechung oder sowas?" Fragte Julius halblaut. Professeur Laplace, die gerade ihm gegenüber am Buffet auftauchte, fragte ihn, ob er sie was gefragt hätte. Er lief rot an und schüttelte den Kopf. Doch dann fragte er, ob das stimme, was Martine ihm gerade erzählt hatte.
"Nun, die Walpurgisnacht ist schon wichtig, wenn sich junge Paare finden. Zumindest ist sie in allen Zauberergemeinden ein guter Anlaß, heiratswillige Söhne und Töchter einander vorzustellen. Das heißt aber nicht, daß die Partnerin, die Sie heute hatten, das restliche Leben mit Ihnen verbringen muß. Aber in vielen Fällen fanden sich gute Ehepaare hier in Frankreich in einer Walpurgisnacht."
"Hmm, dann bleibt mir ja nur, abzuwarten", sagte Julius, der ins Grübeln kam, ob an dieser Behauptung wirklich was dran war.
"Warten alleine wird nicht ausreichen, Monsieur Andrews. Eine gute Partnerschaft ist wie ein Feuer, das immer unterhalten werden muß, will man es lange und kräftig brennen lassen. Zumindest kann ich das aus der Perspektive einer verheirateten Hexe behaupten. Ich darf Sie nicht im Einzelnen beraten, mit wem Sie gut zusammenpassen, weil dies auch ein Lernziel von Beauxbatons ist, eine eigene Einschätzung für derlei Dinge zu erlangen. Aber ich denke mal, wenn Ihnen Mademoiselle Martine Latierre derartig frei eingestand, daß sie davon überzeugt sei, Sie hätten wohl eine mit Ihnen harmonierende Partnerin gefunden, liegt die Wahrscheinlichkeit ziemlich hoch. In meinem Unterricht werden Sie, falls Sie ihn weiterbesuchen möchten, auch Methoden zur Ermittlung partnerschaftlicher Harmonien erlernen, um Erfolge, Krisen oder Mißerfolge mit einer relativ hohen Wahrscheinlichkeit bestimmen zu können. Das heißt aber nicht, wie Sie es ja schon bei mir gelernt haben, daß Sie Ihr Leben nur auf numerologische Faktoren aufbauen dürfen, sondern immer eigene Gedanken und Erfahrungen berücksichtigen sollen."
"Hmm, das stimmt wohl, Professeur Laplace. Meine Mutter sagte das auch, daß es für Zwischenmenschlichkeit keine mathematische Formel gebe, um sie genau zu bestimmen oder vorzuplanen."
"Das stimmt auch", sagte die Arithmantiklehrerin und lächelte dabei. Dann ging sie weiter, um andere Schüler und Schülerinnen mit kleinen Speisen oder Getränken zu versorgen. Claire kam zurück und trank wie Julius Traubensaft mit ein paar Tropfen Zitronensaft darin. Sie tanzte noch mit Julius, bevor sie mit ihm kurz vor dem Einrücken zu Madame Maxime ging, die die leuchtenden Metallreifen von ihnen löste. Dann Sangen die Schülerinnen und Schüler zusammen mit ihren Lehrerinnen und Lehrern noch ein Lied zum Abschied und kehrten geordnet in den Palast zurück.
Als alle Bewohner des grünen Saales durch die wiederverschließbare Wandöffnung hindurchgestiegen waren, sammelte Barbara noch einmal die Mädchen um sich. Edmond, der den Metallring immer noch trug, sah sichtlich enttäuscht drein. Er sagte zu den Jungen:
"Keine Abschiedsszenen! Sie kehren sofort in die Schlafsäle zurück und legen sich hin. Um ein Uhr werde ich kontrollieren, ob Sie alle im Bett sind. Das gilt auch für meine werten Klassenkameraden."
"Zu Befehl, Chef", warf ein Sechstklässler gehässig ein und löste allgemeines Gelächter aus. Edmond verhängte dafür fünfzig Strafpunkte.
"Nacht zusammen!" Rief Robert den Mädchen zugewandt. "Unser Sprecher will, daß wir jetzt sofort in die Schlafsäle gehen."
"Joh, Nacht, Robert!" Rief Céline. Dann winkten alle Mädchen den Jungen zu, mit denen sie zusammen die Walpurgisnacht gefeiert hatten und sahen ihnen nach, wie Edmond sie in den Trakt für Jungen führte.
Das Kalenderbild von Claire über seinem Bett war mit laut lachenden und singenden Hexen auf Funken sprühenden Besen angefüllt. Die Jungen seiner Klasse staunten über diese Farbigen Bildergestalten, die wild auf ihren Besen herumsausten und zwischendurch aus Zauberstäben bunte Blitze und Funken verschossen. Zwischen den von Claire gemalten Hexen kurvte sogar eine im blauen Ravenclaw-Quidditchumhang herum, die Julius gut kannte. Es war die erwachsene Aurora Dawn, deren Vollportrait zurzeit völlig leer war, aber auf dem Besen ihres jüngeren Ichs aus Hogwarts. und wohl auch in dessen Umhang.
"Juhu, Julius! Herrlich ist das!" Rief Aurora Dawn auf Französisch aus dem Bild heraus, bevor sie im Steilflug von oben nach unten stieß und fast aus dem Bild verschwand. Alle Jungen im Schlafsaal lachten und johlten noch einmal. Dann zogen sie sich schnell um und stiegen in die Betten, bevor der Saalsprecher die Runde machen würde.
Julius fragte sich, nachdem Edmond die angekündigte Bettfertigkeitskontrolle durchgezogen hatte, ob er wirklich nur und ausschließlich mit Claire zusammen sein würde. Doch je länger er sich darüber Gedanken machte und sich vorstellte, wie er in vier oder fünf Jahren leben würde, tauchte Claire immer wieder in seinen Vorstellungen auf, die so aussah wie Jeanne. Doch er wußte, daß die Zukunft keine feststehende Größe war. Aber für Claire schien die Sache schon sicher zu sein. Sie wollte mit ihm zusammen sein und zeigte das ihm und allen, die es was anging sehr deutlich. Hatte er da wirklich was gegen?
"Ich bin froh, daß ich dieses Schweineglück hatte", dachte Julius. "Was wäre gewesen, wenn ich ohne Bekannte aus Millemerveilles hier in diese Zaubererzuchtanstalt gekommen wäre?" Fragte er sich noch und schlief ein.
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Am nächsten Tag zeigte sich, wie heftig Edmond die Schmach der verpatzten Aufgaben getroffen hatte. Es begann damit, daß er Yves zum Aufwecken herumschickte. Julius erfuhr das aber erst später, weil er mit Barbara wieder zum Frühsport rausgelaufen war. Da der erste Mai als schulfreier Tag gehandhabt wurde, verlief das Frühstück sehr ruhig und ohne Blick auf die Uhr. Die Eulen brachten die Morgenpost herein. Julius bekam von Mrs. Porter einen Brief. Sie schrieb ihm, daß sie hoffte, er würde sich bei der Walpurgisnacht gut amüsieren und sich mit Claire gut vertragen. Geraldine, ihre Schwägerin, die ja als Austauschschülerin in Beauxbatons gewesen war, hatte ihr wohl berichtet, was an diesem Abend alles so ablief.
Nach dem Frühstück traf er sich mit Claire im grünen Saal. Sie umarmte ihn leidenschaftlich. Edmond sah das und kam heran, wobei der Metallring um seine Taille ihm wohl wie ein dicker Eisenring anlag.
"Julius, Claire, ich habe euch schon sooft gemaßregelt. Legt ihr es wirklich darauf an, daß ich euch beiden hundert Strafpunkte und eine vorübergehende Trennung auferlege?" Keuchte er. Claire ließ von Julius ab und sah Edmond verdutzt an.
"Entschuldigung, Edmond, aber außer dir hat kein Saalsprecher hier was dagegen gehabt, wenn zwei gute Freunde sich umarmen. Wenn du uns hundert Strafpunkte reindrücken willst, mach das! Aber wenn du uns vorschreiben willst, mit wem wir zusammen sind, gehe ich sofort zu Barbara und frage die, ob das so in Ordnung geht."
"Denk dran, daß ich dich auch ..." Sagte Edmond und zog seinen Zauberstab. Doch Julius griff bereits nach seinem.
"Wenn du jetzt hier willkürlich wirst, Edmond, kann ich dich nicht hindern. Aber du machst hier nichts mit dem Zauberstab, nur weil Claire fragt, ob das in Ordnung ist!" Versetzte der Drittklässler. Alle mußten ihm wohl zugesehen haben. Denn alle wurden schlagartig ruhig.
"Du mißachtest meinen Rang, Julius Andrews?" Fragte Edmond mit drohendem Unterton und deutete mit dem Zauberstab auf den früheren Hogwarts-Schüler.
"Nein, ich verstehe nur nicht, daß Sie jetzt so überreagieren, Monsieur Danton. Claire hat mich nur begrüßt, wie Freundinnen das mit ihren Freunden machen. Aber das kennen Sie ja selbst. Wenn Sie uns wieder Strafpunkte dafür verhängen wollen, dann tun Sie sich keinen Zwang an. Aber Strafzauber für sowas halte ich für den Rang, den Sie haben für unwürdig."
"Wegen Beleidigung könnte ich dich in eine Maus verwandeln, wie Barbara das mit Laurentine gemacht hat", knurrte Edmond.
"In Ordnung, wenn Sie sich beleidigt fühlen, weil ich Sie frage, ob Sie Ihre Kompetenzen richtig einschätzen, dann entschuldige ich mich dafür natürlich", sagte Julius und straffte sich immer mehr. Alle Jungen sahen ihn bange an. Dann trat Yves zu ihnen.
"Gib den beiden die üblichen zwanzig Strafpunkte, Eddie und lass sie in Ruhe! Die können nichts dafür, das du Mademoiselle Latierre nicht so ein brauchbarer Gesellschafter warst."
"Jetzt fällst du mir auch noch in den Rücken?" Polterte Edmond. Yves grinste nur.
"Ich falle dir nicht in den Rücken, sondern stehe klar und deutlich vor dir. Zick jetzt nicht so rum wie eine beleidigte Zweitkläsllerin!"
"Edmond, ich frage mich wirklich, was das jetzt hier soll", mischte sich nun auch Barbara ein, hinter der sich alle Mädchen aufgebaut hatten. "Bei Céline und Robert hast du heute morgen auch schon so überheftig reagiert. Mißfällt es dir etwa, daß deine Verlobte sich nicht im grünen Saal aufhält? Macht dich der Neid so wütend oder die Enttäuschung, gestern nicht so geglänzt zu haben? Mit unangebrachten Strafzaubern kriegst du aber keinen besseren Respekt zurück, sondern nur Angst und Verachtung. Wenn du schon mich ins Spiel bringst, Mademoiselle Hellersdorf hat mich einmal sehr rüde beleidigt. Das durfte ich mir nicht gefallen lassen. Aber wenn du schon eine simple Frage als Beleidigung auffaßt, solltest du dich ernsthaft mit dem Gedanken tragen, auf die Ablegung der UTZ-Prüfungen zu verzichten. Denn da werden dir nur schwierige Fragen gestellt."
Alle lachten laut. Edmond lief rot an und schwang den Zauberstab. Dabei schossen goldene Funken heraus. Barbara, die ihren schlanken Zauberstab in der Hand hielt, fegte die Funken mit einem warmen Windstoß fort.
"Wie ihr meint!" Stieß der Saalsprecher aus. "Dann seien es eben fünfzig Strafpunkte für Mademoiselle Dusoleil, Claire und Monsieur Andrews wegen unsittlicher Annäherung. Soll doch Professeur Faucon befinden, ob die beiden sich noch weiter treffen dürfen." Er steckte seinen Zauberstab fort und ging mit schwerem Watschelgang zur Wand, in der die Eingangsöffnung auftauchen konnte. Er verließ den grünen Saal und ging fort.
"Darf man sich nicht mehr in die Arme nehmen, Barbara? Ich habe Julius nur begrüßt", wandte sich Claire an die Saalsprecherin. Julius steckte derweil seinen Zauberstab wieder fort.
"Nein, das ist nicht verboten, Claire. Edmond ist heute eindeutig mit dem falschen Bein zuerst aufgestanden. Er hat sich wohl eher einen Grund gesucht, jemanden herunterputzen zu können, muß ich wohl zugeben", flüsterte Barbara. Dann wandte sie sich an Julius.
"Falls Professeur Faucon dich zum Raport befiehlt, weil du einen Zauberstab gegen deinen Saalsprecher gezogen hast, verweise Sie bitte an Yves und mich! Du hast ja nicht gezaubert und nur einem Reflex gehorcht, der dir im Duelltraining beigebracht wurde."
"Ich mußte mich ja an vieles gewöhnen, Barbara. Aber ich habe nicht vergessen, ungerechte Sachen abzulehnen, noch nicht", flüsterte Julius. Barbara nickte ihm zu und zog sich mit Yves und den anderen zurück.
Tatsächlich wurde Julius von Edmond Danton eine Viertelstunde später zu Professeur Faucon geschickt. Er sah sehr befriedigt aus, als habe er einen unerwarteten Sieg errungen. Julius ging unbeeindruckt an ihm vorbei, stieg durch die Eingangsöffnung und begab sich danach durch das Wandschlüpfsystem zum Büro von Professeur Blanche Faucon. Er sah drei Fünftklässler aus dem violetten Saal vor der Tür warten und fragte, ob sie gerade angekommen waren oder schon eine Zeit hier warteten. Einer von ihnen meinte:
"Wir wollten die Gunst des freien Tages nutzen und uns mit deiner Saalvorsteherin noch über einige Dinge für die ZAG-Prüfungen unterhalten. Hast'n Termin bei ihr?"
"Keinen Festen. Sie hat mich nur einbestellt, weil sie mir wohl 'ne Strafpredigt halten will", sagte Julius locker und überspielte das gewisse Unbehagen in ihm. Würde die Lehrerin sich voll auf Edmonds Seite stellen und ihn hart bestrafen, weil er es gewagt hatte, diesem zu widersprechen?
Die Tür ging auf und Suzanne Didier verließ das Sprechzimmer sichtlich erleichtert dreinschauend. Sie winkte ihren Saalkameraden und Julius zu und ging dann fort. Professeur Faucon steckte den Kopf durch die Tür. Sie sah nun wieder ganz so aus wie an jedem anderen Tag.
"Monsieur Andrews zuerst!" Bestimmte sie unumstößlich. Julius ging hocherhobenen Hauptes auf das Büro zu und ging hinein. Er zog die Tür hinter sich zu und wartete, bis die Lehrerin ihm einen Platz anbot. Er setzte sich, während sie ihn sehr genau ansah. Er wich ihrem Blick zwar aus, jedoch nicht, weil er sich schämte, sondern weil er ihr keine Gelegenheit geben wollte, ihn legilimentisch zu durchforschen.
"Ich bekam vor einigen Minuten von Ihrem Saalsprecher die Mitteilung, daß Sie sich ihm gegenüber sehr ungehorsam verhalten haben sollen, Monsieur Andrews. Stimmt es, daß Sie eine von ihm ausgesprochene Strafe zurückwiesen?"
"Die Strafe als solches nicht, sondern nur das Strafmaß, Professeur Faucon", sagte Julius merkwürdig gelassen klingend.
"Sehen Sie mich bitte an, wenn Sie mit mir sprechen! Ich weiß, Sie wähnen bei jedem Blickkontakt eine legilimentische Ausforschung. Aber erstens haben Sie derselben Quelle, aus der Sie von dieser Zauberkunst erfuhren auch entnehmen können, daß diese Form der Zauberei weithin unerwünscht ist. Ich werde Sie also nicht wie einer Ihrer Lügendetektoren überwachen. Aber es zeugt nicht gerade von Unbescholtenheit, wenn man sich bei einer Aussprache nicht direkt ansehen kann", erwiderte die Saalvorsteherin mit strengem Tonfall.
Julius sah ihr genau in die Augen, blieb dabei ruhig. Er dachte an seine Geistberuhigungsformel, die ihm half, seine inneren Vorgänge zu beherrschen. Dabei sagte er jedoch:
"Nun, offenbar wollte Monsieur Danton meine Freundin Claire und mich besonders hart abstrafen, weil er fand, daß wir uns zu innig umarmt haben. Wir sahen zwar ein, daß er die Strafe verhängen müsse, aber fanden das Strafmaß zu hoch. Darauf bedrohte er Claire mit dem Zauberstab. Ich habe erst mitbekommen, daß ich meinen Zauberstab in der Hand hatte, als Monsieur Danton seinen auf mich richtete. Ich sagte noch einmal, daß wir eine gewisse Anzahl Strafpunkte hinnehmen würden. Aber das war ihm offenbar zu wenig. Er drohte mir, mich zu verwandeln, weil ich ihn beleidigt hätte. Darauf traten Barbara und Yves zu uns. Monsieur Danton hat dann gesagt, sich mit Ihnen zu unterhalten. Tja, und jetzt bin ich hier."
"So, Sie wollten ihm also Widerstand leisten, wenn er einen Zauber gegen Sie versucht hätte?"
"Ich hätte mich wohl gewehrt, Professeur Faucon", gab Julius zu. Die Lehrerin sah ihn sehr genau an und fragte mit einer sehr bedrohlich klingenden leisen Stimme:
"Wollen Sie ernsthaft nach all den Monaten, die Sie hier bei uns sehr gut aufgefallen sind von jetzt auf Nachher rebellieren, Monsieur Andrews?"
"Nein, Professeur Faucon. Ich wollte damit nur sagen, daß ich das Urteil von Monsieur Danton für ungerechtfertigt halte und mir sowas nicht hätte bieten lassen."
"Wo kämen wir hin, wenn die Funktion der Saalsprecher derartig unterminiert würde, daß jeder Schüler sich eindeutigen Anordnungen und Strafen widersetzt."
Julius fühlte sich erst im Boden versinken. Diese Frau da vor ihm hielt mit Edmond. Doch dann, als wäre er auf einem besonders gut gefederten Trampolin gelandet, sprang seine Stimmung wieder nach oben. Offenbar konnte er sich gut rausreden.
"Funktion, die; Bezeichnet die Tätigkeit oder Arbeit eines Beamten oder einer Maschine. Das dazugehörige Verb ist "Funktionieren".Darf ich dem entnehmen, daß es Ihnen also nicht um mich oder Monsieur Danton geht, sondern nur um die Ordnung in Beauxbatons?"
"Wie meinen Sie das jetzt?" Fauchte Professeur Faucon, die jedoch bestimmt wußte, was Julius meinte.
"Nun, ich erinnere mich an das, was Sie meiner Mutter und Madame Brickston am Elternsprechtag gesagt haben und was von Madame Maxime noch mal bestätigt wurde, daß wir Schüler hier nicht zu reinen Funktionseinheiten geformt sondern zur Eigenverantwortung und Selbständigkeit erzogen werden sollen. Wenn jemand in dieser Schule eine gewisse Funktion hat, heißt das doch, er trägt sehr große Verantwortung. Oder heißt das, er bildet einen kleinen Teil eines größeren Gefüges?"
"Ah, ich weiß jetzt, womit Sie mir kommen möchten, Monsieur Andrews. Selbstverständlich gilt, was ich Ihrer Mutter am Elternsprechtag mitgeteilt habe. Sie hier sollen lernen, in Eigenverantwortung zu leben und dabei abzuwägen, was Ihnen dienlich und was Ihnen undienlich ist. Insofern wird hier niemand zum Roboter degradiert, der tut, was ihm per Programm vorgegeben wurde. Allerdings kann dieser von Ihnen korrekt rezitierte Standpunkt von mir und der Direktrice nur umgesetzt werden, wenn es gelingt, eine gewisse Hierarchie in dieser Anstalt zu errichten und zu wahren, damit Sie und Ihre Mitschüler nicht wie im Dschungel leben müssen und sich gegenseitig belauern, wer wann einen entscheidenden Fehler macht oder Sie bedroht, oder sich als Opfer anbietet. Um diese so lebenswichtige Hierarchie zu erhalten müssen ältere Schüler, die wir vom Kollegium im Einklang mit dem Elternbeirat für geeignet erachten, gewisse Maßnahmen durchführen können, um in unserer Abwesenheit das geregelte Miteinander zu sichern. Aufsässigkeiten stören diese Ordnung und können dem betreffenden Schüler und seinem Umfeld Schaden zufügen, wenn sie nicht schnellstmöglich unterbunden werden. Insofern hat der Saalsprecher, in Ihrem Fall Monsieur Danton, unsere Erlaubnis, im Rahmen seiner Aufgaben gewisse Strafmaßnahmen zu beschließen und zu vollstrecken. Aber das können Sie selbst in den Ihnen zugänglichen Büchern über unsere Akademie nachlesen", hielt Professeur Faucon einen kurzen Vortrag. Dann schwieg sie für drei Sekunden. Offenbar wollte sie Julius dazu herausfordern, was dazu zu sagen. Doch dieser schwieg, hielt dabei jedoch seinen Kopf erhoben und seinen Körper gestrafft. Nach dieser kurzen Pause fuhr die Saalvorsteherin der Grünen fort: "Monsieur Danton hat angeregt, das freundschaftliche Verhältnis zwischen Ihnen und Mademoiselle Claire Dusoleil einstweilen zu beenden, Sie beide per Verfügung und per Zaubermittel auf mindestens drei Schritt Abstand zu halten, sodaß Sie sich nicht mehr berühren oder sich was zuflüstern können. Widrigenfalls bat er mich um die Erlaubnis, Ihnen für die nächste Woche Arrest oder Dasein in Tiergestalt als Strafe aufzuerlegen. Jetzt frage ich Sie noch mal: Was genau haben Sie und Mademoiselle Claire Dusoleil getan?"
Julius erzählte noch einmal, was er ohne verlegen zu wirken erzählen konnte und hielt sich dabei sogar an die Wahrheit. Er berichtete auch, daß Barbara und Yves ebenfalls mit dem Strafmaß nicht einverstanden waren. Dann wartete er, was Professeur Faucon sagte. Diese wiegte den Kopf und erwiderte dann ruhig und nicht mehr so furchteinflößend klingend:
"Die von Monsieur Danton verhängten Strafpunkte bleiben bestehen. Wegen der Angelegenheit mit dem Zauberstab werde ich nochmals Rücksprache mit den drei anderen Saalsprechern nehmen. Es ist schon üblich, daß sich gute Freunde begrüßen und verabschieden dürfen, ohne daß etwas dabei ist. Sofern Sie wissen, wo die Grenze liegt, werde ich dem auch nicht widersprechen. Allerdings muß ich genau befinden, was passiert ist und wie ich als hauptverantwortliche Lehrerin darauf reagieren muß, um die hier geltende Ordnung nicht in Frage zu stellen, was eine zu geringe oder zu heftige Reaktion durchaus bewirken kann. Also Monsieur Andrews, Sie kehren jetzt in Ihren Saal zurück und werden allen Saalsprechern den Schriftlichen Auftrag mitgeben, sich bei mir einzufinden, bevor es Mittagessenszeit ist. Bis dahin sollten Sie keine weiteren provokativen Handlungen ausüben."
"Provokative Handlungen? Sie meinen das so, daß ich mich nicht mit Claire treffen darf? Wie Sie meinen", sagte Julius schroff. Er wartete, bis ihm die Lehrerin vier Pergamente in Umschlägen mitgab und verabschiedete sich höflich. Er wandte sich nur einmal um und sagte noch:
"Ich hoffe, ich habe jetzt nicht aus einer Mücke einen Elefanten gemacht."
"Bitte was?! Achso, ja Dieser Ausdruck war mir nicht so geläufig. Aber ich verstehe, was damit gemeint ist. Auf Wiedersehen, Monsieur Andrews!"
Julius verließ das Büro, vor dem die Fünftklässler noch saßen. Einer mußte wohl an der Tür gelauscht haben. Er grinste feist und flüsterte:
"Hat der Mogeleddie sich zu weit aus dem Fenster gelehnt? Soll ihm recht geschehen."
Julius trat auf ein Wandstück zu, das in das schulweite magische Wegesystem eingebaut war. Er wollte gerade sein Pflegehelferarmband dagegendrücken, als Martine Latierre aus der Wand herausgetragen wurde.
"Ach, hat er dich wirklich bei Professeur Faucon angeschwärzt, Julius? Dann habe ich das richtig mitbekommen, als Mademoiselle Grandchapeau gerade hier unten war, bevor sie zur Bibliothek ist."
"Ich sage dazu nichts mehr, Martine. Soll man doch machen, was die hier für richtig halten. Bis zum Sonntag!"
"Moment, Monsieur. So einfach gehst du mir hier nicht weg", zischte Martine und griff Julius am rechten Arm. "Stimmt es denn wirklich, daß er Claire und dich verhexen wollte, nur weil ihr euch umarmt hat? Sage mir bloß die Wahrheit, Jungchen!"
"Er wollte, daß wir für eine gewisse Zeit getrennt bleiben sollen, Mademoiselle Latierre", sagte Julius. "Weil wir das nicht für angemessen hielten, hat er uns mit Strafzaubern gedroht. Weiteres muß Professeur Faucon befinden."
"Gut, verstehe", erwiderte Martine und ließ Julius los. Er nickte ihr noch einmal zu und schlüpfte dann durch die Wand, um im grünen Saal zu landen.
Claire saß bei Céline und Laurentine und starrte Edmond Danton an, der seinerseits sehr zufrieden mit sich dreinschaute. Doch als Julius lächelnd auf Barbara Lumière zuging, die mit Jeanne und Yves zusammenstand, blickte er irgendwie irritirt drein.
"Unsere Königin wünscht euch zu sprechen", sagte Julius und übergab Barbara die beiden rosa Umschläge. Dann gab er Yves die beiden Blauen Umschläge für die männlichen Saalsprecher und ging zu den Jungen seiner Klasse.
"Siehst so aus, als hättest du die Schlacht gewonnen und nicht der Träger des Mogelordens erster Klasse", grinste Robert Deloire schadenfroh. Julius nickte verhalten und setzte sich zu den Jungen. Er beobachtete, wie Yves zu Edmond ging und diesem den für ihn bestimmten Umschlag übergab. Dann gingen er, Barbara und Virginie demonstrativ hinaus. Edmond las den Inhalt des Umschlags, sprang auf und stürzte, so gut es der immer schwerere Metallring um seine Taille zuließ, hinaus aus dem Aufenthaltssaal.
"Was läuft da jetzt?" Fragte Hercules.
"Professeur Faucon will alle Saalsprecher und Stellvertreter fragen, was gelaufen ist. Wenn die Edmonds Version bestätigen, Sehe ich Claire nur noch aus drei Schritt entfernung oder mache ein Probesitzen im Schulkarzer. Wenn die aber sagen, daß Edmond übers Ziel hinausgeschossen ist, kriegen Claire und ich nur fünfzig Strafpunkte wegen angeblich sittenwidriger Berührungen."
"Scheint dich nicht sonderlich zu jucken", stellte Robert fest. Julius schüttelte den Kopf.
"Professeur Faucon hat mir einen Vortrag über die Wichtigkeit anerkannter Saalsprecher gehalten, weil ich sie gefragt habe, ob wir hier nur alle funktionieren wie irgendwelche Geräte. Dann hat sie sich angehört, was ich dazu zu sagen hatte, was hier passiert ist und will nun die Aussagen prüfen, damit nicht der Eindruck entsteht, sie hätte irgendwas verkehrtes gemacht. Wenn Edmond sich durchsetzen kann, wovon er ja überzeugt ist, dann hat er allen gezeigt, wie stark er ist, auf Claires und meine Kosten."
"Das hat er Céline und mir auch angedroht, das mit der Trennung. Monsieur Perfekt wird langsam größenwahnsinnig. Muß der Abstand zwischen ihm und Martine sein. Ich denke mal, der zieht sich daran hoch, wenn er andren Leuten per Befehl das wegnehmen kann, was er selbst nicht hat", sagte Robert Deloire. "Ich hoffe mal, der nächste Saalsprecher ist nicht so geltungssüchtig."
"Wahrscheinlich kriegt jeder die Krankheit, der diesen Quatsch macht. Ich lege es auf jeden Fall nicht darauf an, mich zum Idioten für Lehrer und Schüler zu machen", sagte Hercules. "Außerdem hat das doch Vorteile, wenn man nicht immer zusammenhängt. Man kann sich die Treffpunkte so wählen, daß einem keiner drauf kommt, was man macht und hat keine Zeit, sich zu verkrachen. Ich habe doch selbst eine in einem anderen Saal. Der soll sich nicht so aufspielen."
"Sag das nicht zu laut, Hercules, oder mir hängen sie es an, euch gegen ihn aufgehetzt zu haben", flüsterte Julius. Die Jungen lachten.
"Eh, Julius, für wen hältst du dich? Du bist erst ein Jahr hier und denkst ernsthaft, wir bräuchten dich dafür, um uns was zu Edmond Danton auszudenken?" Fragte Robert Deloire grinsend. Dann meinte er noch: "Lass dir sowas nicht von denen einreden! Sicher, Danton möchte nach dem Schlamassel mit der Walpurgisnacht zeigen, daß er immer noch groß und mächtig ist. Daß er euch, das neue Vorzeigepaar des grünen Saales auf die Hörner nimmt, ist zwar klar, aber auch blöd."
"Vorzeigepaar? Wer setzt denn sowas in die Welt?" Fragte Julius verdutzt dreinschauend.
"Céline, Sandrine, Belisama, Mildrid Latierre, ihre große Schwester, sowie alle, die euch gestern zugesehen haben und durch bloßes Kucken und Grimassenschneiden angezeigt haben, daß ihr beide wirklich toll füreinander gemacht seid. Muß nicht stimmen, Julius. Aber zumindest habt ihr gestern und davor nichts gemacht, um das anders rüberzubringen", sagte Robert.
"Goldschweif ist da zwar nicht von überzeugt. Aber wenn ihr das meint, dann werde ich jetzt nicht mit Gewalt dagegenhalten."
"Nöh, das macht Mogeleddie für dich", feixte Robert Deloire. Alle Jungen um ihn herum lachten.
Eine warme schlanke Hand legte sich von hinten auf Julius Schulter. Er wandte den Kopf und sah Jeannes Gesicht. Sie lächelte.
"Julius, ich darf als amtierende Pflegehelferin und Schwester verfügen, was für die Gesundheit der hier wohnenden Leute richtig ist, sofern nicht Schwester Florence was einzuwenden hat. Deshalb möchte ich jetzt, daß du mit mir zu Claire zurückgehst und dich mit ihr und mir über das unterhältst, was da passiert ist. Ich denke nämlich, daß Barbara und Virginie dich schon gut da rausreißen können. - Robert, grins nicht so doof! - Wahrscheinlich ist Edmond in einer schweren Entscheidungsphase und hat seine Emotionen nicht so gut unter Kontrolle wie du oder Sandrine.""
"Ich habe meine Emotionen unter Kontrolle?" Fragte Julius verächtlich. "Weswegen sind die denn dann bei Professeur Faucon?"
"Weil Edmond Claire bedroht hat, Julius. Es ist nur recht und billig, daß ein Freund einem anderen Freund oder seiner Freundin beisteht, wenn ihm oder ihr was passieren soll, was ungerecht oder ungesetzlich ist. So und jetzt komm mit, bevor hier wirklich noch wer meint, dich als Aufrührer anzuprangern!"
Die Jungen lachten. Dann fragte Robert:
"Céline sagt, ihre Schwester sei wegen der Schwangerschaft nicht mehr im Gleichgewicht. Hat Martine Edmond etwa jetzt auch geschwängert?"
"Gut, daß ich Barbaras Amt nicht habe, sonst hättest du für diese völlig blöde Bemerkung, die du als Frage verkleidet hast, hundert Strafpunkte kassiert. Aber du hast ja Glück. Dieser Kelch ist ja an mir vorbeigegangen", sagte Jeanne und zog Julius entschlossen am Kragen, daß er ihr folgte.
"War das jetzt verkehrt, was ich gemacht habe, Jeanne?" Fragte Julius unterwegs zu Claire.
"Nein, finde ich nicht. Wir haben es ja alle mitgekriegt. Ich denke mal, Barbara und Virginie werden das auch so erzählen. Wenn Edmond meinte, ein Exempel zu statuieren, denke ich sehr stark, daß er sich damit ein klassisches Eigentor geschossen hat, obwohl er schon im gegnerischen Torraum war."
Claire stand auf und gab Julius die Hand. Sie sagte:
"Barbara und Virginie haben gemeint, ich sollte dich erst einmal nicht ansprechen, wenn du wiederkommst, weil Edmond wohl irgendwas gedeichselt hat, daß wir uns erst einmal nicht mehr sprechen dürfen. Hat sich das denn wieder geklärt?"
"Richterin Blanche hat den Staatsanwalt gehört, dann den Angeklagten, jetzt kommen die Zeugen dran. Entweder dürfen wir dann im Laufrad herumlaufen oder im Schulbunker brummen", erwiderte Julius, nun völlig lässig wirkend, als sei ihm eine mögliche Strafe im Moment egal oder so weit von ihm fort wie der Mond von der Erde.
"Ich habe ihm gesagt, er soll zu dir kommen, Schwester. Ich sehe mir das nicht an, wie er sich an euch vergreift", knurrte Jeanne und tätschelte die rechte Seite ihres Sonntagsumhangs, wo sie ihren Zauberstab trug. Julius sah sie verwirrt an. Sie nickte und flüsterte leise genug, daß Claire und er es gerade noch hören konnten:
"Ich hatte meinen Stab auch in der Hand, Julius. Edmond war ja laut genug, und alle anderen ja sofort total aufmerksam. Der hätte keine vollständige Zauberformel mehr sprechen können. Aber das muß außer euch keiner wissen, klar?!"
"Versteht sich", sagte Julius sehr leise. Claire nickte ihrer Schwester nur zu.
"Was ist mit Edmond eigentlich los, Jeanne? Gestern ist der so mißmutig gewesen, obwohl er an und für sich mit Martine den Spaß seines Lebens hätte haben sollen. Ich hörte doch, wie sie zu ihm sagte, daß er sich an etwas gewöhnen müsse, wenn er mit ihr zusammen bleiben wollte", wisperte Claire. "Dann baut der noch diesen völlig unnötigen Drachenmist mit dem Leuchtzylinder."
"Das muß dich nicht kümmern, Claire", sagte Jeanne entschlossen und beendete damit das Thema.
Julius sprach mit Claire über das Gespräch mit Professeur Faucon. Diese sah ihre Schwester an und dann ihren Freund.
"Ich denke, Jeanne, du hast recht. Professeur Faucon möchte sichergehen, daß sie Julius zurecht hergeholt hat und nicht einen Fehler begangen hat. Deshalb hat sie dich wohl am Anfang auch zusammengestaucht, um zu sehen, ob du dich elend fühlst. Oder, Jeanne?"
"Mag was dran sein, Claire. Julius, du erinnerst dich doch wohl noch sehr gut dran, was Madame Delamontagne und Professeur Faucon mit dir besprochen hatten, als Madame Unittamo bei uns war", sagte Jeanne, Julius genau ansehend.
"Uh, hätte ich damals gewußt, daß ich tatsächlich danach hier landen würde, hätte ich bestimmt nicht so gelassen darüber gedacht", sagte Julius. Claire sah ihren Freund an und meinte:
"Du bist hier, weil Professeur Faucon und Madame Delamontagne wollten, daß du hier bist. Das wir beide jetzt zusammen sind nehmen die wohl gerne hin, wenn wir uns nicht voll danebenbenehmen, wie Elise und Dorian oder dieser Lépin und Connie Dornier. Sollte das Jahr umgehen, und du hättest dich hier irgendwie unbeliebt gemacht oder würdest überall durchrasseln, würde Virginies Mutter bestimmt sehr böse. Darauf legst du es wohl nicht an, oder?"
"Öhm, todsicher nicht, Claire", brach es aus Julius heraus. Jeanne sah ihre Schwester vorwurfsvoll an, die leicht verlegen ihr Gesicht in den Händen vergrub. Dann blickte sie Julius wieder an.
"Folgendes, abgesehen davon, daß nicht nur Madame Delamontagne böse würde, sondern auch Maman, bist du nicht hier, um zu lernen, nur weil andere nicht böse auf dich sein sollen, sondern weil du hier für dein Leben, dein eigenes Leben lernen sollst und dabei alles mitnehmen sollst, was du hier lernen kannst, Julius. Was die beiden Damen dir in Millemerveilles sagen wollten ist, daß sie wollen, daß du dich so entwickelst, daß du gut zurechtkommst. Barbara und Virginie haben mir das mit dem Besuch bei euch in den Osterferien erzählt und das Babettes Vater wohl gerne derbe Ausdrücke gebraucht und du früher einmal sogenannten Rap-Musikern zugehört hast, die das noch heftiger mit derben Ausdrücken trieben. Was Barbara dir dazu gesagt hat, nachdem dich Virginies Mutter zurechtgewiesen hat, kann ich so nur unterschreiben. Wie auch immer du das angestellt hast: Du hast Madame Delamontagnes Respekt und Zuneigung gewonnen. Respekt, den man gewinnt, muß man immer rechtfertigen, weiß ich. Zuneigung hält solange vor, wie jemand nicht enttäuscht ist. Ich denke aber mal, wenn du hier aus irgendeinem total unsinnigen Grund überall durchfällst, dann solltest du dich am meisten von dir enttäuscht fühlen. Vielleicht weißt du nicht, was du tun mußt, um das zu sein und zu tun, was dich ausmacht. Aber das ist auch egal, wenn du wegen jemanden wie Edmond Danton aus der Bahn fliegst. Glaubst du, Laurentine ist so ungenießbar, weil ihr das Spaß macht?"
"Jeanne, lass Bébé da raus!" Forderte Claire.
"Nein, das tu ich jetzt nicht, Claire. Ich habe es mitbekommen, wie sie zu uns kam und das sie sich in dem Jahr, wo ich in Hogwarts war, so gut wie nicht geändert hat. Ich möchte Julius damit sagen, daß in dem Moment, wo er sich irgendwie verkehrt und falsch abgelegt vorkommt, das nicht weggeht, wenn er sich da reinfallen lässt. Ich bin ja auch nur noch ein paar Monate hier, wenn ich nicht durch die UTZs rassel. Deshalb sage ich dir das besser hier und jetzt, wo die Stimmung dich dafür empfänglich macht: Was immer da bei Professeur Faucon jetzt abläuft, Julius, sie wird nicht zulassen, daß du dich hier grundlos herumgeschubst fühlst. Jeder hier wird mal herumgeschubst, das ist ja bekannt. Aber ich bin mir sicher, daß du hier hingehörst, sowie du in Ravenclaw hingehört hast, wie Gloria oder Pina. Dein Freund Kevin, tut mir leid das so krass sagen zu müssen, wäre besser in Hufflepuff oder Gryffindor untergekommen. Aber du hast dort hingehört und gehörst jetzt hier in den grünen Saal."
"Führt euch gut, dann ist die Legion gut zu euch", grummelte Julius, der diese Parolen schon oft gehört hatte.
"Welche Legion?" Fragte Jeanne leicht ungehalten, weil ihre Worte offenbar doch nicht da angekommen waren, wo sie hinsollten.
"Nur ein Spruch über die französische Fremdenlegion der Muggelarmee, wo Leute aus dem Ausland als Soldaten für Frankreich kämpfen und sterben sollen", sagte Julius. Dann fügte er schnell hinzu: "Ich meine nicht, daß du nicht recht hast, Jeanne, sondern daß mir das schon viele Leute so gesagt haben oder zumindest irgendwie beigebracht haben. Ich habe auch nicht vor, mich jetzt hier unbeliebt zu machen. Hogwarts ist ja offenbar total verrückt geworden, wenn ich das mit Dumbledore aus den Zeitungen richtig verstehe und das von Glorias Eltern richtig gelesen habe."
"Das wird sich schon wieder einränken, Julius. Abgesehen davon, daß du mit deiner Mutter zusammenleben kannst und nun genug Bekannte in der Zaubererwelt hast, die auch deine Mutter akzeptieren", sagte Jeanne, und ihre Schwester nickte beipflichtend.
"Also, ich warte jetzt, was da beschlossen wird. Vielleicht muß ich ja noch einmal dahin, um mir das urteil anzuhören", sagte Julius gefaßt und wechselte vorsichtig das Tehma, indem er noch einmal von der Walpurgisnachtfeier sprach.
Es dauerte eine halbe Stunde, da traten die Saalsprecher und ihre Stellvertreter wieder in den grünen Saal ein. Als habe jemand mit einem Schalter alle Schüler auf Stumm und reglos umgeschaltet, fiel Stille und gespannte Erwartung über den grünen Saal. Julius sah, daß Edmond Danton offenbar eine unerwartete Niederlage kassiert hatte, denn von der immer noch schwerer werdenden Last des Metallrings abgesehen war er total verbittert und bleich, als habe ein Vampir ihm alles Blut ausgesaugt. Barbara und Yves wirkten dagegen mit sich zufrieden, während Virginie lächelte. Edmond sah, wo Julius saß und funkelte ihn und Claire kurz an. Doch dann kam er mit dem heftig um seinen Leib liegenden Zauberreif ringend angewatschelt wie ein überfütterter Pinguin und drückte Julius wortlos zwei Umschläge in die Hand. Dann zog er sich sofort zurück, mied Julius' Blick und ging in den Trakt für Jungen.
"Heh, der will doch nicht etwa in meinen Schlafsaal", dachte Julius. Er wollte schon aufstehen, um hinter ihm herzulaufen. Doch Yves kam schnell herbei und legte ihm die Hand auf die Schulter.
"Das ist ihm noch nie passiert, daß Professeur Faucon ihn derartig rundgemacht hat, Julius. Der ist für heute erledigt. Ich geh zu ihm, bevor er irgendwas dummes anstellt."
"Dann ist aber hier kein Junge mehr, der die Funktion ausfüllt", wandte Jeanne ein. Yves grinste.
"Im Moment kann hier nichts mehr passieren, was Eddies oder meine Anwesenheit braucht. Außerdem passt Barbara auf euch alle auf. Habe die Ehre!"
"Lies, was Professeur Faucon verfügt hat!" Wies Barbara den Jungen an. Dieser stellte fest, daß ein Umschlag mit seinem Namen beschriftet war. Der andere war für Claire. Diesen gab er ihr und öffnete den für sich. Er las:
Sehr geehrter Monsieur Andrews,
nach ausführlicher Beratung mit allen die Funktion des Saalsprechers innehabenden Schülern meines Saales bin ich zu folgendem Entschluß gekommen:
Erstens werden Ihnen und Mademoiselle Dusoleil, Claire, für eine mehr als ausreichende Umarmung zwanzig Strafpunkte auferlegt.
Zweitens wird Ihnen beiden empfohlen, bei Begrüßungs- und Abschiedsberührungen nur die hierzulande gestattete Umarmung anzuwenden, ohne auffällige Betonung inniger Verbundenheit. Sollten Sie dieser Empfehlung nicht folgen, ist der Sie bei dieser Nichtfolgeleistung ertappende Saalsprecher ermächtigt, Ihnen pro Verstoß 100 Strafpunkte aufzuerlegen.
Drittens habe ich nach den mir zu Gehör gebrachten Aussagen der Saalsprecherinnen und Saalsprecher befinden müssen, daß sich Monsieur Danton Ihnen und Mademoiselle Claire Dusoleil gegenüber übereifrig bis unverantwortlich gebärdet hat. Alle von ihm empfohlenen Strafen konnte ich daher als gegenstandslos und unnötig erachten. Jedoch möchte ich, um jeden Eindruck der Ihrerseits begangenen Insubordination zu zerstreuen, folgendes anweisen:
Sie, Monsieur Andrews, werden den heutigen Tag in Gesellschaft von Schwester Florence Rossignol zubringen und ihr bei der Auswahl heilkräftiger Kräuter und der Zubereitung einfacher Zaubertränke zur Hand zu gehen. Dies so weiß ich, kommt nicht nur einer Verdeutlichung ihrer Arbeitssamkeit und Folgsamkeit zu gute, sondern erfüllt auch fundamentale Interessen, die ich im Verlauf unserer bisherigen Bekanntschaft bei Ihnen ausgelotet habe.
Sie müssen diese Arbeit nicht ausführen. Allerdings weiß ich nicht, ob Schwester Florence nicht enttäuscht sein wird, daß Sie nicht antreten möchten. Sie erwartet Sie, falls Sie möchten, ab zwei Uhr Nachmittags und wird mit Ihnen bis nach dem Abendessen zusammenarbeiten, bis zum Saalschluß.
In der berechtigten Gewißheit, daß Sie sich weiterhin als höchst willkommene Bereicherung unserer altehrwürdigen Akademie erweisen verbleibe ich
mit freundlichen Grüßen
Prof. Blanche Faucon
"Na wunderbar", sagte Julius nur. Doch dann wirkte er merklich aufgeregt, freudig erregt um genau zu sein. Er sah Claire an, die gerade ihren Brief gelesen hatte und merkwürdig dreinschaute.
"Professeur Faucon empfiehlt mir, mich heute nach dem Mittagessen mit ihr zusammen die Jahrbücher über zeitgenössische Verwandlungszauber durchzugehen, was wir in den nächsten Wochen noch im Unterricht drannehmen können, da sie meint, ich könne das besser beurteilen als jemand anderes aus meiner Klasse."
"Hups, mir hat sie empfohlen, Schwester Florence bei der Kräutersuche und beim Zaubertrankmachen zu helfen. Könnte es sein, daß sie uns hier eine ziemlich goldene Brücke bauen will?" Flüsterte Julius. Jeanne grinste.
"Hmm, ich kann mir zwar was besseres vorstellen als irgendwelche Bücher zu durchsuchen, ob wir was daraus im Unterricht machen können. Aber wenn sie schreibt, daß ich dadurch Bonuspunkte gewinnen kann, wäre ich schön blöd, nach dem Ding von Edmond darauf zu verzichten. Hätte ja auch Madame Maximes Schuhe putzen können", erwiderte Claire.
"Ja, oder den Reisewagen", warf Julius ein. Jeanne lachte. Sie erinnerte sich noch gut, wie Julius am Vortag der dritten Runde des trimagischen Turniers von Madame Maxime in Absprache mit Professor Flitwick aufgehalst bekommen hatte, die große Beauxbatons-Kutsche von der Deichsel bis zum Dach gründlich zu waschen und zu polieren.
"Gehst du zu Schwester Florence?" Fragte Claire. Julius nickte. Er hatte den Brief ja so verstanden, daß die Heilerin ihn bestrafen könnte, wenn er es nicht täte. Doch das sagte er Claire nicht. Immerhin würde er wohl einige interessante Zauberpflanzen zu sehen bekommen, die erst in der fünften Klasse drankamen. Claire nickte. Wenn Julius ging, so wollte sie sich nicht allein hier aufhalten.
"Also, zeigen wir,daß wir hier hingehören", sagte Julius aufmunternd zu Claire. Diese sah ihn erst verdutzt an, mußte dann aber lächeln
Nach dem Mittagessen schlüpfte Julius, nachdem er seine wichtigsten Zaubersachen und den Walpurgisnachtumhang in der diebstahlsicheren Reisetasche verstaut hatte, zu Schwester Florence. Das kam ihm insofern gelegen, weil er Edmond Danton nicht über den Weg laufen mußte. Er hatte seinen Außenarbeitsumhang angezogen, seinen Kessel und seine Drachenhauthandschuhe eingepackt. Seine tragbare Bibliothek mit allen Büchern, die er im Moment besaß, hatte er ja ständig mit.
Er war überrascht, im Büro der Heilerin auch Martine Latierre und Sandrine Dumas anzutreffen. Er blickte die beiden Mädchen an und dann die Heilhexe, die mit Stricknadeln hantierte. Diese sah Julius an und sagte:
"Schön, daß du auch zu mir gekommen bist. Ich habe schon gedacht, ich müßte mit den beiden alleine auskommen."
"Häh?" Machte Julius.
"du meinst "Wie bitte?", Julius. Also ich habe heute morgen, als alle soweit auf waren eine Anfrage von den beiden Damen hier bekommen, ob wir nun, wo wir heute doch den freien Tag ohne Konferenz haben, einige Zaubertrankrezepturen anrühren können, die im regulären Unterricht erst in den Klassen sechs und sieben drankommen. Professeur Faucon hat mir dann im späteren Verlauf des Morgens erzählt, dich würde das auch interessieren und daß sie dich fragen würde. Offenbar tut es dies."
Julius sah leicht verdutzt drein. Also hatte die Saalvorsteherin der Grünen ihm wirklich eine goldene Brücke gebaut, indem sie eine wohl ihr schon längst bekannte Anfrage zweier Pflegehelferinnen nutzte, um es so zu drehen, daß er aus völlig freien Stücken herkam. Nun, außer Claire und Jeanne wußte das wohl keiner, und Barbara würde es wohl auch nicht so mitbekommen haben, und sie würde es dann auch nicht anders weitererzählen. Er merkte, daß sie ihn nun selber verdutzt ansahen und sagte:
"Nun, ich hörte nur von ihr, daß ich zu ihnen kommen könnte, weil sie heute mit Heilkräutern zu tun hätten, wo mich das interessiere. Ich wußte nicht, daß andere Schülerinnen gefragt haben. Deshalb war ich jetzt so irritiert."
"Das sieht Blanche ähnlich, etwas so zu formulieren, daß sich jemand wie beauftragt fühlen muß. Aber schön, daß du hier bist. Deinen Arbeitsumhang hast du auch schon an. Dann können wir gleich in den Zaubergarten", sagte die Schulheilerin, zog ihren Zauberstab und ließ eine grüne derbe Schürze zu sich kommen. Dann deutete sie auf die Eingangstür zu ihrem Sprechzimmer und rief: "Alertus!" Zwischen der Tür und ihrem Pflegehelferschlüssel sprangen drei rote und dann drei grüne Funken über. Dann nickte sie und winkte ihrem Strickzeug, sich selbst weiter zu beschäftigen.
"Was war das für ein Zauber?" Fragte Sandrine und deutete auf die Tür.
"Ein einfacher interobjekt-Meldezauber, Sandrine", sagte Martine. Julius nickte. Er kannte ihn auch schon aus "Zauberkunst in Handwerk und Alltag" und "Schutz und Trutz", das er zu seinem zwölften Geburtstag von Professeur Faucon bekommen und eben wie alle bisher zu ihm gekommenen Bücher dabei hatte.
"Damit kannst du zwischen zwei Objekten eine Verbindung herstellen. Wenn ein Objekt berührt oder bewegt wird, vibriert, leuchtet oder klingt das zweite Objekt", sagte er dann auch schnell. Schwester Florence sah ihn an und lächelte.
"Ich dachte, du frisst nur Zaubertrank- und Kräuterkundebücher", amüsierte sich Martine. Dann sagte sie noch erfreut:
"Aber du bist ja auch in der Zauberkunst-AG."
"Mesdemoiselles, Monsieur, wir wollen!" Trieb Schwester Florence ihre drei Helfer an. Sie schlüpfte durch die Wand zum Schulgarten. Julius folgte ihr sofort. Zehn Sekunden später standen auch Sandrine und Martine am Rande des Zaubergartens.
Sie verbrachten eine volle Stunde damit, aus den Gewächshäusern oder den Beeten wichtige Kräuter zu besorgen. Einmal gab ihnen Professeur Trifolio eine große Palette mit Bubotubler-Eiter und Grünwurzextrakt mit. Julius konnte die schwarzen, häßlichen Röhrengewächse der Bubotubler mit zum platzen vollen Blasen sehen und erinnerte sich an die gemeine Briefbombe, die Hermine Granger bekommen hatte, nachdem dieser Artikel von Rita Kimmkorn in der Hexenwoche gebracht worden war, wo drinstand, daß sie eine kaltherzige Person sei, die die Nähe zu berühmten Jungen suchte.
Nach der für Julius interessanten Exkursion in den Zaubergarten setzten sich die drei Hexen und der Zauberer mit ihren Kesseln in ein zum Krankenflügel gehörendes Labor und begannen, Zaubertränke anzurühren. Julius saß dabei mit Martine zusammen, während Schwester Florence Sandrine half, mit schwierigen Rezepturen klarzukommen. Martine flüsterte einmal, wo die Kessel besonders laut brodelten:
"Ich habe Professeur Faucon gesteckt, daß wir heute nachmittag hier herkommen, weil ich mir dachte, daß Edmond dich bestimmt nicht in Ruhe lassen würde, wenn deine Lehrerin ihm allen Wind aus den Segeln nimmt. Liegt wohl auch an mir, was im Moment mit ihm los ist. Aber pssst! Muß er nicht von dir wissen, daß ich das denke."
"Ich habe erst gedacht, eine Abbitteaktion mitmachen zu sollen", flüsterte Julius zurück und zerlegte mit einem feinen silbernen Messer eine vom Haus befreite Weinbergschnecke. "Na, so ist es jedenfalls besser. Aber hat Professeur Faucon nicht gefragt, wieso du ihr sowas erzählst?"
"Sie hat mich nur gefragt, was zwischen Edmond und mir vorgefallen sei, weil Professeur Fixus ihr da wohl was zugetragen hat. Deshalb war ich da, und weil ich über Umwege von der Sache Wind bekam, daß er den Liebestöter spielt", flüsterte Martine und warf zwei Gramm Silberdistel in das angesetzte Gebräu.
"Ich habe heute morgen in der Bibliothek nach den Ursprüngen der Hebelgesetze gesucht, weil mich das gestern nicht mehr los ließ, Julius", sagte Sandrine lauter, als sowohl bei ihrem Trank als auch dem von Martine und Julius eine Ruhepause vorgesehen war. "Ich habe aber nichts dazu gefunden. Madame D'argent sagte, daß übliche Naturkundebücher nur in den Grundschulen ausgegeben würden. Kannst du mir das noch mal erklären, Julius?"
"Hmm, könnte ich dir sogar vorlesen. Aber in fünf Minuten ist bei unserem Trank die nächste Arbeitsphase fällig. Aber ich denke, ich kriege das auch so hin", sagte Julius und beschrieb Sandrine, was er mit Claire gestern gemacht hatte. Sandrine holte ein Notizbuch aus ihrem Umhang und wollte sich das Aufschreiben. Julius holte schnell sein Notizbuch und die Flotte-Schreibe-Feder heraus und diktierte der magischen Feder, was er Sandrine gerade erklärt hatte. Dann gab er ihr das vorsichtig herausgelöste Seidenpapierblatt und sah auf seine Uhr.
"Na, wann muß der blaue Dampf kommen, Julius?" Fragte Martine.
"Wenn wir alles richtig gemacht haben in fünf - vier - drei - zwei - eins - Bingo!" Bläulich-weißer Dampf quoll auf die Sekunde genau aus dem Kessel. Sofort nahm Martine einen Glassturz mit eingesetztem Ventil, stülpte diesen über den Kessel und befestigte einen langen Gummischlauch daran. Julius hatte bereits den gläsernen Destillationsapparat bereitgestellt und schloss das andere Ende des Schlauches daran an. Dann bugsierte er einen großen Glaskolben darunter, hielt seinen Zauberstab an die gläserne Konstruktion und sagte "Frigidus". Sofort danach wirkte er einen Zauber, der jedes Objekt auf derselben Temperatur hielt, die es vor der Bezauberung besessen hatte. Kaum war das passiert, tröpfelte eine bläuliche, glasklare Flüssigkeit aus dem Destillationsapparat. Julius wartete, bis an einer dritten Öffnung feine bläuliche Schwaden herauswaberten und verschloss diese mit einem gummierten Stopfen. Nun wurden es mehr bläuliche Tropfen, die aus dem unteren Auslass des Apparates fielen und den Boden des Glaskolbens bedeckten.
"Man merkt schon, was du bei deinem Vater gelernt haben mußt", stellte Martine fest. "Anderen hätte ich erst einmal erklären müssen, wozu so'n Destillator da ist."
"Was wird das, was ihr denn da macht?" Fragte Sandrine.
"Das ist die Basis für den Trank gegen Sonnenstich", sagte Julius. martine ergänzte:
"Der Dampf ist die eigentlich benötigte Essenz. Die fangen wir jetzt auf, indem wir den Dampf durch einen Destillator wieder abkühlen und die dabei entstehenden Tropfen sammeln. Ab jetzt kann das Zeug eine Stunde blubbern, solange der Dampfdruck nicht kritisch wird."
"Die Tropfrate ist auf jeden Fall ziemlich beachtlich", stellte Julius fest.
"Weil du den Apparat aequicalorisiert hast, nehme ich an. So kann man das natürlich auch auf tiefer Temperatur halten. Immerhin ist der Druck nun im annehmbaren Bereich", sagte Martine und prüfte eine kleine Messvorrichtung in der aufgepflanzten Auffangglocke.
"Das wird eine gewisse Menge Verlust geben. Aber wenn das so weiterläuft können wir mindestens 80 Prozent aus dem Kessel rausdestillieren."
"Ich kapiere so gut wie gar nichts, was ihr da erzählt", maulte Sandrine. Schwester Florence tröstete sie mit den Worten:
"Weil die in der Zaubertrank-AG sind und Professeur Fixus die ganz schön auf Trab hält." Das war für Sandrine offenbar wirklich ein Trost.
Weil der Trank, dessen Dampf man eigentlich auffangen wollte außer Dampfen nichts mehr zu tun brauchte, wechselten sich Martine und Julius bei der Überwachung des Druckes ab, tauschten in Windeseile die vollen Kolben gegen Leere aus und füllten das Destillat in genormte Flaschen ab, die sie routinemäßig etikettierten. Zwischendurch half der eine oder die andere Sandrine bei heiklen Vorgängen bei ihrem Muskelentspannungsgebräu.
"Machen wir den eigentlichen Trank auch noch?" Fragte Julius mit Blick auf den Destillator.
"Nach dem Abendessen. Die zweite Basis habe ich vor drei Tagen schon gebraut und zum Setzen hingestellt. Wir machen nachher noch die Durchmischungsemulsion und fügen die beiden Basen damit zum Endprodukt zusammen", sagte Schwester Florence und erzählte noch etwas über leichtere Tränke die sie wohl in den nächsten beiden Wochen noch brauen würden. Dann begutachtete sie die bereits fertigen Gebräue und gebot dann, daß sich alle die Hände wuschen. Denn bald würde es Abendessen geben. Julius sah kurz auf das große Bild, daß an der einzigen nicht zum Wandschlüpfsystem gehörenden Wand hing. Serena Delourdes, die Gründungsmutter des gelben Saales, lächelte ihn an. Neben ihr saßen Aurora Dawn und Viviane Eauvive, wie am Elternsprechtag.
Beim Abendessen erzählte Julius nur, daß sie viele Kräuter gesammelt und zwei ziemlich langwierige Zaubertränke zubereitet hatten. Hercules fragte ihn, ob er in der Zaubertrank-Arbeitsgruppe nicht schon genug blubbernde Kessel zu sehen bekäme. Julius lachte nur und sagte:
"Ja, das ist schon richtig. Aber irgendwie ist das 'ne andere Atmosphäre, wenn man das in Ruhe machen kann und nicht nur in zwei Stunden."
"Sandrine wollte das auch unbedingt machen. Sie hat sich wohl schon vor einer Woche mit Schwester Florence darüber unterhalten. Aber an und für sich kriegen wir morgen schon wieder genug Zaubertränke zu sehen."
"Was ja nicht das verkehrteste ist", warf Hercules ein. "Wenn du einen guten Zaubertrank brauen kannst bist du immer gut auf leichtere Krankheiten vorbereitet."
"Ich kenne den Advoco-Medicum-Zauber. Das reicht mir", sagte Gérard abfällig. Julius hielt sich da ganz still zurück.
Nach dem Abendessen traf er sich mit Schwester Florence, Martine und Sandrine wieder im Zaubertranklabor und vervollständigte den am Nachmittag angesetzten Zaubertrank. Als er um kurz vor zehn mit allem soweit fertig war, gab ihm Schwester Florence fünfzig Bonuspunkte für die gute und erfolgreiche Arbeit mit. Sie bot den Pflegehelfern an, an den Sonntagnachmittagen gerne weitere Intensivstunden zu geben. Julius überlegte sich, wie er das Claire beibringen sollte. Dann schlüpfte er durch die Wand zum grünen Saal.
"Mogeleddie geht jetzt wirklich wie ein total besoffener Drache daher", lästerten drei Jungs aus der sechsten Klasse, als Julius an ihrem Tisch vorbeilief und den Waschraum für Drittklässler stürmte, wo er sich noch einmal gründlich Gesicht und Hände wusch, die Zähne putzte und dann im Geschwindschritt in den Schlafsaal eilte, wo er sich umzog und ins Bett warf. Aurora Dawns Portrait war noch leer. Doch als er lag, kehrte dessen Bewohnerin zurück.
"Gloria Porter lässt dir ausrichten, daß sie sich freut, daß du eine so abwechslungsreiche Walpurgisnacht hattest und bestellt dir, daß die Weasley-Zwillinge abgehauen sind. Die hatten die Nase voll von Hogwarts und der Umbridge."
"Häh?" Fragten Robert und Hercules, die Auroras englische Mitteilung nicht verstanden. Julius sagte nur:
"War nur für mich von Auroras Original in Sydney, Jungs", sagte er.
"Konkurrenz für Claire!" Flöteten Gaston und André.
"Ihr Habt das gerade nötig", knurrte Robert verächtlich. "Keine Freundin aber über die von anderen ablästern."
Julius wartete unter seiner Bettdecke, bis Edmond Danton schwer keuchend und wankend in den Schlafsaal kam, sich an jedem Bettpfosten abstützte und sich verbiestert umsah. Als er Aurora Dawns Bild sah schnaubte er:
"Bist du dafür nicht doch etwas zu jung, dir Frauenbilder übers Bett zu nageln?"
Julius schmunzelte, weil er die Falle witterte. Wenn er widersprach, würde Edmond ihm gerne noch ein paar Gute-Nacht-Strafpunkte unters Kissen jubeln. So sagte er nur:
"Stimmt, für gewisse Frauenbilder bin ich bestimmt noch zu jung, Monsieur Danton."
"Schlaft gut, ihr Rabauken!"
"Gute Nacht", wünschten die Jungen der dritten Klasse. Als Edmond die Tür von außen schloss, kicherten Robert und Hercules: "Gute nacht, Mogeleddie. Möge dieser hübsche Metallring dich noch schön herumschwanken lassen, bevor Madame Maxime ihn dir wieder abnimmt."
"Der wird morgen nicht mehr wissen, wie man normal geht", kicherte Gérard. Der wird denken, daß er an einem Tag Drillinge ausgetragen und geworfen hat."
"Nacht Leute, der Tag war doch ziemlich lang", sagte Julius und zog den Vorhang so zu, daß kein Laut von dahinter in den Saal entweichen konnte. Dann fragte er Aurora Dawn leise, was mit den Weasley-Zwillingen los war und grinste. Natürlich konnte Gloria im Moment nicht mit dem Zweiwegspiegel zu ihm durchrufen, weil die große Umbridge nun alles und jeden ständig durchsuchte, ob nicht jemand im Angedenken der wilden Weasleys kleine Gemeinheiten parat hatte. Mit dem Gefühl, daß die beiden rothaarigen Rabauken der Großinquisitorin das Ei der Saison gelegt hatten, fiel er in einen erfrischenden, langen Schlaf.