FanFic-Archive
Deutsche Fanfiktion

Julius Andrews - Auf seinem Weg in die Zaubererwelt von Thorsten Oberbossel

[Reviews - 1]   Inhaltsverzeichnis
Drucker Kapitel oder Geschichte


- Schriftgröße +

Leise kicherten die drei Jungen, die sich weit nach Mitternacht durch die unterirdischen Kerker schlichen, die ein düsteres Labyrinth unter dem alten Schloss von Hogwarts bildeten. Zwei der ohne Erlaubnis herumwandernden waren groß und klobig. Da sie keine Fackeln benutzen durften warfen sie im dünnen Licht ihrer Zauberstäbe breite und unförmige Schatten auf Boden oder Wände.

"Hier noch, ihr beiden!" Zischte der kleinere der drei, der jedoch ihr unumstrittener Anführer war. Der klobige Junge hinter ihm hob kurz den Zauberstab und tauchte das silberblonde Haar des Jungen vor sich handbreit in helles Licht.

"Mann, Goyle, halt den niedriger!" Zischte der angeleuchtete Junge verärgert. "Oder willst du uns Sackgesicht Filch auf den Hals holen?"

"Äh, 'tschuldigung", grummelte der angeherrschte Junge unterwürfig und senkte seinen Stab wieder, daß der dünne Lichtstrahl auf den Boden traf.

"Wo is'n der Kerker?" Fragte der zweite klobige Junge hinter dem silberblonden Anführer.

"Gleich links. Daddy sagte mir, daß sie den nie gefunden haben. Irgendwie hat er das Passwort rausgekriegt. Nur dann kann man den Kerker betreten", zischte der Anführer. Er bog in einen stumpfgrauen Gang ab, an deren Wänden nicht brennende Fackeln in den Haltern hingen. Vor einem kahlen Stück Mauerwerk blieb er stehen, legte die rechte Hand auf Kniehöhe auf, ging in die Hocke und dann auf die Knie. Die beiden übergroßen Jungen standen dümmlich glotzend dahinter. Der kniende Junge fauchte sie an:

"Mann, ihr Trantüten, kniet euch hin! Er wird nur Leute reinlassen, die knien."

"Ööhm, gut", grummelten die beiden und fielen wie nasse Säcke so plump auf ihre wülstigen Knie.

"Magister vere, tuus servus te adorat!" Flüsterte der Anführer. Die beiden hinter ihm warteten. Unvermittelt tat sich ein gerade einmal einen halben Meter hoher Schlund wie das steinerne Maul einer Schlange auf. Bevor sie sich's versahen, schnellte eine giftgrüne gespaltene Zunge aus dem Steinmaul, wickelte sich um den Anführer und zog ihn blitzschnell hinein. Die beiden Jungen hörten noch, wie er erschrocken aufschrie, während er im Steinschlund verschwand. Sie wollten aufspringen, doch eine unsichtbare Gewalt hielt sie auf den Knien. Dann schoss die glühende Zunge wieder hervor, streckte sich meterlang aus und umschlang den ersten der beiden Nachtwanderer. Eine Sekunde später verschwand er im Schlund des steinernen Schlangenmauls. Der Zweite zitterte unvermittelt. Was lief hier ab? Hatten sie was falsches gemacht? Dann kam die giftgrüne Zunge zu ihm, packte ihn und zerrte ihn mit Urgewalt in das Steinmaul. Er konnte gerade noch sehen, wie es hinter ihm zuklappte, während er auf der langen Zunge in einen engen langen Tunnel wie der Hals der Schlange hinunterrutschte, um dann neben seinen Kumpanen auf einem schimmeligen Strohballen zu landen.

"Mann, Malfoy, das hättest du uns doch mal sagen können", schnaubte der, welcher nach ihrem Anführer verschlungen worden war.

"Eh, Goyle, beherrsch dich gefälligst. Ich wußte davon nix. Aber wir sind wohl da, wo wir hinwollten. Also aufpassen jetzt!" Fauchte der blonde Junge, Draco Malfoy, der hoffnungsvolle Sohn des mächtigen Lucius Malfoy, der bei Zaubereiminister Fudge ein- und ausging.

"Da vorne leuchtet was", sagte der zweite Junge, Vincent Crabbe.

"Na klar leuchtet da was, du Erbsenhirn", erwiderte Malfoy gehässig. "Da leuchtet die ewige Fackel der dunklen Quellen, damit wir uns nicht vertun können. Wo die Fackel ist ist auch die Truhe. Also hat der Lord tatsächlich das Geheimversteck rausgekriegt. Also vorwärts!"

 

Eine bläulich leuchtende Fackel, deren Flamme eisige Kälte verströmte, hing in einem rußgeschwärzten Halter, der wie eine zusammengerollte Schlange aussah. Neben der Fackel stand eine pechschwarze Truhe, ungefähr einen Meter hoch und zwei Meter breit mit drei Riegeln, keinem Schloss. Malfoy trat vor und ergriff den ersten Riegel. Er zuckte zusammen, als ihn irgendwas heftig traf und ihn für eine volle Sekunde in verkrampfter Haltung stehen ließ. Dann klickte es metallisch, und der Riegel sprang beiseite. Malfoy kam frei und hielt sich die rechte Hand. Offenbar hatte er nicht damit gerechnet, daß die Truhe ihm einen Schock verpassen würde. Er blieb fünf volle Sekunden stoßweise atmend stehen. Dann griff er übervorsichtig nach dem zweiten Riegel. Schlagartig prallte er zurück wie von einer unsichtbaren Riesenhand zurückgerissen. Er versuchte erneut, auf die Truhe zuzugehen, doch die unsichtbare Gewalt warf ihn sofort zurück.

"Crabbe, du zuerst", sagte Malfoy nicht so selbstsicher wie sonst. Crabbe sah ihn total verdutzt an. Warum sollte er auf die verfluchte Truhe zugehen. Doch Malfoy zog seinen Zauberstab und richtete ihn gegen seinen Kumpanen.

"Wenn du deinen fetten Arsch da jetzt nicht hinkriegst und den zweiten Riegel anfasst schrumpf ich deinen hohlen Kopf ein!" Drohte Malfoy. Crabbe hob und senkte die Schultern. Jeder andere Junge hätte jetzt mindestens eine reingehauen bekommen. Doch Malfoy war der Chef. Er war es immer schon gewesen. Also ging Crabbe vorwärts und packte schnell den zweiten Riegel an. Er stöhnte, als auch er für eine volle Sekunde in einer verkrampften Haltung dastand. Doch dann sprang der Riegel zur Seite. Goyle ging als dritter vorwärts, nachdem Crabbe es nicht schaffte, den letzten Riegel zu berühren. Als dann der dritte Riegel aufsprang erlosch die blaue Fackel. Zwei Lidschläge später strahlte weißes Licht durch den Raum, das alles so ausleuchtete, daß die drei Nachtwanderer keinen Schatten warfen. Die Truhe tat sich knarrend auf. Dunkelroter Qualm entwich dem inneren und hüllte die drei ein. Sie fühlten eisige Kälte in sich einströmen und meinten, von innen her von schweren Händen durchgeknetet zu werden. Dann löste sich der Qualm auf, und sie konnten in die Truhe hineinsehen. Fünf große Rollen Leinwand lagen darin. Mehr nicht.

"Oh Mann, was soll'n das jetzt?" Fragte Goyle, der das absolut nicht lustig fand, was der rote Qualm mit ihm angestellt hatte.

"Halt's Maul!" Fauchte Malfoy, dem die Enttäuschung ins blasse Gesicht gemeißelt stand. Er bückte sich und fischte vorsichtig in die Truhe hinein. Nichts passierte ihm. Er konnte die vorderste Rolle Leinwand fassen und herausholen. Sie sah wie neu aus, völlig staubfrei und glatt. Er rollte sie vorsichtig auseinander. Crabbe und Goyle sahen, wie sich der schlangenförmige Fackelhalter bewegte. Der Kopf der verrußten Metallschlange bog sich ihnen zu, und aus dem Maul klang ein Zischen wie verdampfendes Wasser auf einem heißen Blech. Malfoy hörte es und stutzte. Die Schlange entrollte eine silberne Zunge und deutete damit auf das Stück Leinwand, welches Malfoys Sohn in seinen Händen hielt. Sie winkte ihm zu. Er rollte das Leinwandstück weiter ab. Er brachte so ein gemaltes Bild zum Vorschein, das in tiefroten Tönen gehalten war. Er rollte es nun völlig auseinander und enthüllte eine blutrote Landschaft unter einem violetten Himmel. Im Vordergrund der ungastlich erscheinenden Gebirgslandschaft stand ein Mann in einem blutroten Umhang und einem schwarzen Spitzhut auf dem Kopf. Sein Gesicht wirkte mit dem Spitzbart wie das Gesicht eines großen Affen. Er bewegte sich und blinzelte mit wachen Augen umher. Er sah den Schlangenkopf des Fackelhalters. Der Kopf zischte etwas. Vom Bild her zischte und fauchte es zurück. Dann rolte sich der Fackelhalter wieder zu seiner Ausgangsform zusammen.

"Bevor ich euch künde, wie ihr mit meinem Schatz verfahren möget, Knaben, saget an, welch Jahr wir schreiben!" Sagte der gemalte Zauberer mit dem Affengesicht. Die drei Jungen erstarrten in Ehrfurcht. Denn das war niemand anderes als Salazar Slytherin, ihr wahres großes Vorbild, der Gründer eines der vier Häuser von Hogwarts, jenes Hauses, das nach ihm benannt war und in dem sie wohnten.

"Magister Slytherin, wir schreiben neunzehnhundertsechsundneunzig der christlichen Zeitrechnung", brachte Draco Malfoy schwerfällig sprechend heraus. Seine Hände, die das Bild hielten, zitterten.

"Knabe, halte er mein Bild still!" Knurrte das Vollportrait Slytherins. Sofort zwang sich Draco Malfoy, das Bild ruhigzuhalten.

"Soso, solange ist es also schon her, daß mein natürliches Selbst mich in diesem Gewölbe einschloss. Er mußte weichen, weil die drei anderen, die altkluge Ravenclaw, diese dumme Hufflepuff und dieser widerliche Gryffindor ihn arg bedrängten und die Ehre der magischen Welt mit Schmutzblütern verhöhnten, welche sie in Hogwarts einließen. Aber wer zuletzt lacht ...", schnarrte Slytherins Stimme verächtlich aus dem Bild.

"Magister Slytherin, sagen Sie uns, was wir machen sollen. Hogwarts ist immer noch von zuvielen Schlammblütern verseucht, und wenn unser neuer Meister hier einzieht, wollen wir ihm eine reinblütige Schule schenken", tönte Malfoy, dem jedoch die gewisse Furcht in der Stimme mitschwang, die ein Sklave seinem Herren gegenüber hat, wenn er diesem was mitzuteilen hat, von dem er nicht wußte, wie der Herr es aufnehmen würde.

"Ach ja? Wer ist denn der neue Meister, dem ihr jetzt Verehrung zollt?" Fragte Slytherins Bild-Ich.

"Sein Name ist - sein Name lautet - Lord - Voldemort", antwortete Draco Malfoy sichtlich verängstigt. Selbst wenn er diesen dunklen Magier so verehrte, hatte er doch auch Angst davor, seinen Namen zu nennen, wie alle anderen, die seine erklärten Feinde waren.

"Wie theatralisch dieser Name doch gewählt ist", lachte Slytherin überaus hämisch dreinschauend. "Doch wenn er mein Erbe weiterführt, so soll er sich bennennen, wie es ihn beliebt. Aber ich gebe dir Recht, Sohn einer ehrenwerten Linie, daß dieses Dreckvolk hier nicht erwünschet ist und in den Staub getreten gehört, aus dem es kroch, um unsere hohe Gemeinschaft zu verseuchen. Ihr alle, die ihr die Prüfung der Purheit und den Rauch der Reinheit unbeschadet überstandet, befolget nun alle Weisungen, die ich euch künden will,auf daß die Endschlacht um die Reinigung unserer Welt von hier aus beginne", sprach Slytherins gemaltes Ich. ...

 

__________

 

Julius war froh, daß Constance nun ihr Kind hatte und er sich nicht so dumm angestellt hatte, wie er anfangs befürchtet hatte. Céline, die ihre Schwester jeden Tag besuchte, berichtete, daß die kleine Cythera ihre Mutter langsam von sich begeisterte. Sicher, sie schrie und quängelte zu unmöglichen Zeiten oder verlangte alle drei Stunden nach Milch oder frischen Windeln, doch irgendwie hatte Julius den Eindruck, daß Constance sich doch mit ihrer neuen Rolle anfreundete. Es konnte aber auch sein, daß sie nur das notwendige Übel ertrug, solange sie dazu gezwungen wurde. Ob sie das kleine Mädchen mit dem schwarzen Flaum auf dem großen runden Kopf wirklich anerkannt hatte, wußte er nicht. Er hatte auch nicht die Zeit, darüber nachzudenken, denn die Schule war gerade in diesem Monat besonders hart, weil die Jahresendprüfungen anstanden und die Professoren Faucon, Fixus und Trifolio ihm direkt oder indirekt mitgeteilt hatten, daß jede Endnote unter einer Zwei von ihnen als persönliche Beleidigung empfunden würde. Sicher, Claire hatte das von Trifolio auch so rüberbekommen, doch irgendwie dachte Julius an die Zeiten vor Hogwarts zurück, wo er gerade sowas gut vermieden hatte, weil er sich in der Schule nicht mehr als unbedingt nötig rangehalten hatte. Doch hier ging das einfach nicht. Die wußten, was er konnte, ja wollten das sogar noch stärker fördern.

 

__________

 

Das zwischen Julius und Claire ist nicht weniger geworden. Ich kann es nicht vertragen, wie die beiden sich immer wieder umstreichen. Merken die denn nicht, daß sie Geschwister sind? Wieso können diese Menschen nicht erkennen, wer gut oder schlecht für sie ist? Immer wieder führe ich dieses junge Weibchen mit den rötlichen Haaren zu ihm hin. Doch er weist sie immer wieder zurück, obwohl sie ihn durchaus will. Merkt er nicht, daß er mit ihr besser zurechtkommt?

Ich habe mitbekommen, daß in dem Steinbau was passiert ist, was hier bis jetzt noch nicht passiert ist. Offenbar hat das junge Weibchen ihr Junges bekommen. Ich höre immer wieder laute Schreie, Rufe nach Nahrung oder Schreie der Einsamkeit. Julius ist vorher sehr aufgeregt gewesen. Jetzt ist er wieder ruhig. Sicher, er ist genauso bedrückt wie alle anderen hier, weil die jede Warmzeit wohl mehr tun müssen als sonst. Aber so ist er wieder ruhiger. War das etwa sein Junges, das das Weibchen Constance bekommen hat? Das kann doch nicht sein!

Weißohr quängelt immer wieder, wenn es in der Dunkelheit rausgeht. Ihre Jungen sind nun so schwer, daß sie keucht, wenn sie sie weiter herumträgt. Aber ich kenne das ja von mir, daß es dann bald so weit ist. Sie hat auf jeden Fall schon ein Nest gebaut. Aries hat trockenes Gras und Stücke aus totem Fell zu uns gebracht, damit sie ihr Nest bauen konnte. Zwischendurch trägt sie kleine Ballen aus diesen Sachen rum. Die Schwarzbäuche werden immer dicker und langsamer. Sie kämpfen nicht mehr um Futter oder jagen viel. Wenn die mal eine Maus kriegen, ist das schon was. Sie lassen sich füttern. Sie jagen nicht mehr so gerne. Weißohr frißt zwar auch von dem, was Aries ihnen hinstellt, aber die darf das ja auch.

Ich gehe heute in der Dunkelheit noch mal zu Julius und bleibe ein wenig bei ihm. Ich weiß, daß er das gutfindet, daß ich bei ihm bin. Er wird dann immer so ruhig.

 

__________

 

Professeur Faucon winkte ihren Teilnehmern am Verwandlungskurs für Fortgeschrittene zu. Sie sah mit ernster Miene zu, wie die bewährten Arbeitsgruppen zusammenfanden und an ihren Tischen platznahmen. Keiner sagte ein Wort. Die Lehrerin sah alle einzeln an und sagte dann:

"Mesdemoiselles et Messieurs, ich weiß, Sie alle müssen ab dem ersten Juni sehr viel leisten, um die Prüfungen zu bestehen. Da Sie sich bisher sowohl im regulären Unterricht, als auch in diesem Kurs sehr fleißig beteiligt haben, möchte ich Ihnen heute etwas außer der Reihe gönnen, was Ihre bisherigen Leistungen belohnt, Sie aber auch weiterhin fördert", begann sie zu sprechen. "Es ergab sich, daß eine ursprüngliche Verabredung aus Gründen, die ich nicht näher ausführen möchte, nicht eingehalten werden konnte und wir hier in Beauxbatons heute die Gelegenheit haben, uns mit einer wichtigen Person zu unterhalten, die Sie alle kennen."

Alle Kursteilnehmer sahen die Lehrerin an. Was meinte sie damit, sich mit einer ihnen bekannten Person zu unterhalten?

Julius blickte gespannt zu Professeur Faucon, die sich der Tür zuwendete. Doch die Tür blieb geschlossen. Er sah, daß sie sich im Raum umblickte und dann ihren Zauberstab zog. Sie hob ihn und wollte gerade ansetzen, etwas zu rufen, als vom achtarmigen Leuchter an der Decke ein Admiralsfalter herabflatterte, sich auf einen freien Stuhl niderließ und dann schlagartig zu einem in schnellen Farbwechseln schillernden Nebelwirbel wurde, der sich keine Sekunde später zu einer kleinen zierlichen Frau wohl fortgeschrittenen Alters verdichtete, deren weißblondes Haar ähnlich wie Professeur Faucons Haar zu einem Knoten im Nacken gebunden war. Sie stand auf, drehte sich um und sah allen Schülern durch ihre goldene Brille mit zehneckigen Gläsern in die Augen. Alle kannten sie, die da in einem blütenweißen Satinkleid vor ihnen stand. Julius sank fast durch seinen Stuhl. Er hatte nicht damit gerechnet, diese Hexe so schnell wiederzusehen. Es war Maya Unittamo, die Schreiberin von "Wege zur Verwandlung", die Nachbarin von Jane Porter, eine Meisterin in allen Arten der Verwandlung, die sich selbst so leicht in alle möglichen Daseinsformen verwandeln konnte, daß man glauben mochte, es sei sehr einfach.

"Öhm, es war zu erwarten, daß Sie es wieder einmal auf einen spektakulären Auftritt anlegten, Madame Unittamo", sagte Professeur Faucon leicht verstimmt. Dann lächelte die Lehrerin jedoch und sagte laut und mit Stolz in jedem Ausdruck von Körper und Stimme: "Mesdemoiselles et Messieurs, ich freue mich, Ihnen die Autorin unseres Standardwerkes zum Verwandlungsunterricht, Professor Maya Unittamo aus den vereinigten Staaten von Amerika hier und heute persönlich vorstellen zu dürfen. Sie hat sich kurzentschlossen bereiterklärt, uns für den Rest dieser Woche als Ansprechpartnerin zur Verfügung zu stehen und Ihnen gerne Proben ihrer Kunst beizubringen, sofern Sie bereit sind, von ihr zu lernen. Daß sie die Autotransfiguration in meisterhafter Stärke beherrscht, hat sie uns ja bereits vorgeführt."

Die Schülerinnen und Schüler applaudierten. Maya Unittamo verbeugte sich und lächelte dann die Kursteilnehmer an.

"Na, dann siehst du sie ja doch wieder, Julius", flüsterte Jeanne, die neben ihrem jüngeren Mitschüler stand und grinste. Dieser erwiderte leise:

"Ich dachte, die wollte nach Hogwarts. Aber im Moment will ich da ja auch nicht sein."

"Wahrscheinlich wurde sie von jemanden dort ausgeladen", entgegnete Barbara Lumière, die links von Julius stand. Julius verstand. Prof. McGonagall dürfte ihr irgendwann mal geschrieben haben, daß es wohl besser sei, erst einmal nicht nach Hogwarts zu kommen, wie sie es ursprünglich geplant hatte. Tja, jetzt war die humorvolle Hexe, die stolze 97 Jahre zählen mochte, in dieser Schule und konnte sich ansehen, wie hier unterrichtet wurde.

"Madame Unittamo wird bis zum nächsten Donnerstag hier sein und in den Klassen fünf bis sieben meinem Unterricht zusehen. Ich freue mich, mich mit einer so kompetenten Kollegin austauschen zu können. Sie wird gleich noch zu Ihnen sprechen und dann von einer Arbeitsgruppe zur nächsten gehen, um sich im Einzelnen anzusehen, wie Sie die von ihr vermittelten und von mir an sie weitergegebenen Künste verinnerlicht haben. Ich bitte mir aus, ganz in Ruhe und mit der bisherigen Herangehensweise die heutigen Aufgaben zu erledigen und sich nicht durch die Anwesenheit meiner Fachkollegin in unnötige Nervosität treiben zu lassen! Ich übergebe nun das Wort an Madame Unittamo."

"Recht herzlichen Dank, Professeur Faucon, daß Sie mir gestatten, Ihnen und Ihren Schülern zusehen zu dürfen, wie die Sachen, die ich in den sieben Büchern "Wege zur Verwandlung" zusammengefaßt habe umgesetzt werden. Ich weiß natürlich, daß ihr hier alle sehr gut in diesem Fach seid und deshalb bestimmt keine Angst haben müßt, weil ich euch mal über die Schultern sehe. Fehler mögen lästig sein, aber sie fördern immer den Fortschritt. Ich weiß aber, daß ihr hier ja weitestgehend ohne Fehler arbeitet, was ich als bestes Kompliment für eine Lehrerin ansehe, von der ich weiß, daß sie möglichst beste Leistungen von ihren Schülern erwartet. Wenn ich heute nachmittag bei euch vorbeischaue, gibt es nichts, das anders läuft als sonst. Ich bin nicht hier, um jemanden fertigzumachen. Als aktive Lehrerin bin ich schon seit mehr als zehn Jahren raus aus dem Job. Ich möchte nur sehen, wie ihr so arbeitet und jedem oder jeder, der oder die möchte, einige brauchbare Tips geben, wie schwierigere Verwandlungen ablaufen. Ihr könnt euch auch gerne mit mir unterhalten, sofern andere Arbeitsgruppen nicht gestört werden. Jedenfalls bedanke ich mich sehr herzlich bei Madame Maxime und Professeur Faucon, daß ich heute hier sein darf", sagte die zierliche Hexe mit dem weißblonden Haar. Alle applaudierten. Professeur Faucon verbeugte sich kurz und bedankte sich bei der Verwandlungsmeisterin.

"Jeder von Ihnen erhält wie üblich eine Liste mit zu vollbringenden Aufgaben. Wenn jemand die persönlichen Aufgaben anstandslos vollendet hat, gebe ich ihm oder ihr eine weitere Liste mit zu erbringenden Leistungen", sagte Professeur Faucon, nachdem der Applaus verklungen und die übliche aufmerksame Stille wieder eingekehrt war. So ging sie mit einem großen Stapel Pergamentzetteln herum und verteilte flink und ohne Verzögerung die Einzellisten. Als sie bei Julius' Arbeitsgruppe ankam, gab sie ihm seine Liste und raunte ihm zu:

"Madame Unittamo kennt Sie schon und weiß, was Sie können, Monsieur Andrews. Sie müssen hier also keine Bedenken haben, Ihr bestes zu zeigen. Aber das beste von Ihnen erwarte ich dann auch von Ihnen. Sie haben es ja gehört, daß Madame Unittamo davon überzeugt ist, daß ich hervorragende Arbeit verlange. Sie werden also weder Sie noch mich in Verlegenheit bringen."

Julius erblaßte. Dann sagte er schüchtern:

"Wenn Sie meinen, daß ich das alles so kann, wie Sie meinen, dann werde ich das so gut machen wie's geht, Professeur Faucon."

Die Lehrerin nickte ihm zu und ging weiter. Julius sah auf seine Liste. Er sollte mehrere Tier-zu-Tier-Verwandlungen ausführen und zehn größere Gegenstände und fünf kleinere Tiere verschwinden lassen.

"Verwandeln Sie einen Hamster in ein Hausschwein!" Lautete eine Anweisung. Das hatte er bisher nur einmal in diesem Kurs gemacht und erst im zweiten Ansatz so hinbekommen wie es sein sollte. Deshalb wollte Julius diese Aufgabe erst dann erledigen, wenn die anderen Sachen geschafft waren. So ging er es an, ganz ruhig Mäuse in Wellensittiche zu verwandeln oder eine Holzkommode vollständig verschwinden zu lassen. Barbara löste sich zwischenzeitlich in weißen Nebel auf und blieb eine volle Minute in dieser gasförmigen Gestalt, während Jeanne sich selbst umgestaltete und zwischenzeitlich zu einem Ebenbild ihrer Mutter und dann zu einem Mädchen mit strohblondem Zopf wurde, bevor sie sich unter gewissen Anstrengungen wieder ihre übliche Gestalt gab. Maya Unittamo ging an den Arbeitsgruppen vorbei und unterhielt sich mit den Schülerinnen und Schülern, die aufgeregt waren, mit dieser überragenden Expertin sprechen zu dürfen. Auch Professeur Faucon machte ihre üblichen Runden, um die Leistungsproben zu begutachten. Irgendwann trafen sich die beiden Hexen bei Julius' Arbeitsgruppe. Maya sah zu, wie Barbara sich einen dunklen Hautton verpaßte und dann auf einen halben Meter einschrumpfte. Jeanne zerfloss derweil zu einer großen Wasserpfütze. Julius hatte soeben eine kreischende Meerkatze in einen quakenden Laubfrosch verwandelt.

"Huh, das lief aber schon sehr flüssig ab, wie du dich liquifizieren kannst, Jeanne", bemerkte Maya Unittamo. Jeannes Stimme klang merkwürdig schwingend zurück:

"Bin aber immer froh, wenn ich mich wieder zusammenkriege, Madame Unittamo." Dann wuchs sie zunächst zu einer Wassersäule auf und nahm wieder feste Gestalt an.

"Du hast dich noch nicht auf solche Abenteuer eingelassen, Julius, denke ich", sagte Madame Unittamo lächelnd und nahm wie im Vorbeigehen seine Liste und überflog sie.

"Hmm, die Kommode ist wohl schon weg. Aber ich sehe hier noch kein Hausschwein herumlaufen. Hast du da Probleme mit?"

Julius errötete. Er überlegte, was er sagen sollte. Schließlich rang er sich die Worte ab: "Ja, habe ich. Kleinere in ggrößere Tiere zu verwandeln ist heftig schwer."

"Schwer? Nicht für dich", sagte Maya Unittamo. Julius wollte ihr widersprechen, doch Professeur Faucon legte ihren Zeigefinger auf ihre Lippen und blickte ihn warnend an. Dann sagte sie:

"Ich gehe davon aus, daß er uns dieses Verwandlungsstück vorführen wollte, um sicherzustellen, daß wir ihm dazu noch einen entscheidenden Hinweis geben können. Zu schwer ist es nicht, weil er es schon in diesem Kurs gezeigt hat, Madame Unittamo."

"Dann mal los!" Spornte Maya Unittamo Julius an. Dieser dachte eine Viertelminute die Formel, mit der er störende Gedanken verjagen konnte, konzentrierte sich auf die Formel und Bewegungsfolge für die Verwandlung eines Nagers in einen Paarhufer und baute an die entsprechenden Stellen die gedachten Bilder eines Hamsters und eines rosaroten Hausschweins ein. Maya Unittamo sah ihm mit ihren goldbraunen Augen durch die zehneckigen Brillengläser zu, wie er seinen Zauberstab nahm und ihn so fließend wie möglich bewegte und dabei die dreistufige Verwandlungsformel sprach. Der Hamster wollte fortspringen, als der Stab genau auf ihn deutete, doch da knallte es schon, und der Hamster blähte sich zu einer erst unförmigen, dann eindeutig schweineartigen Gestalt auf, die rosarot wurde und dann endgültig als aufgeregt quiekendes Hausschwein in dem großen Käfig herumlief.

"Sehr gut, Monsieur Andrews. Sie haben die Balance zwischen Gedanken und Bewegungen gut abgestimmt. Daß Sie diese Verwandlung nicht in einem Sekundenbruchteil schaffen, muß Sie noch nicht kümmern. Sie sind ja deshalb hier, um es zu lernen", sagte Professeur Faucon. Maya Unittamo blickte das Schwein an und grinste.

"Öhm, er hat es sogar übertrieben, Professeur Faucon. Könnte es nicht sein, daß dieses Exemplar eines Hausschweins etwas mehr hat als der Hamster vorher. Ich weiß nicht, ob die Hamsterdame so gerne ein Eber sein wollte, Julius."

Julius errötete. An und für sich war der Geschlechtswechsel bei Tieren etwas anderes als die reine Artenänderung. Eigentlich berührte eine Verwandlung in eine andere Tierart das angeborene Geschlecht nicht. Er hatte wohl daran gedacht, daß der Hamster ein Männchen war. Offenbar mußte das in die Verwandlung eingeflossen sein und aus dem Weibchen ein Männchen gemacht haben.

"Haben Sie es nicht gesehen, daß ihr Exemplar weiblich war, Monsieur Andrews?" Fragte Professeur Faucon ernst. Dann mußte sie jedoch anerkennend lächeln. "Offenbar haben Sie gedacht, ihr Versuchstier sei bereits ein Männchen. Wenn dem so ist, ist dieser Zauber übers Ziel hinausgeschossen, aber immerhin gelungen. Zehn Bonuspunkte dafür und fünf Strafpunkte wegen Unaufmerksamkeit bei der Begutachtung des Versuchstieres, Monsieur Andrews."

"Hier steht nicht, daß er das Schwein zurückverwandeln soll, Professeur Faucon", sagte Maya Unittamo grinsend. Die Beauxbatons-Lehrerin nickte und sagte, daß ihr eine Verwandlung genügen würde. Maya Unittamo bat um die Erlaubnis, den Eber wieder in das Hamsterweibchen zurückzuverwandeln. Professeur Faucon fragte, wozu das nötig sei.

"Nun, Professeur Faucon, Sie wissen, daß trächtige Tiere nach einem Verwandlungsexperiment in ihre Ausgangsform zurückgeführt werden müssen. Wenn hier auch noch ein Geschlechtswandel passiert ist, leben die ungeborenen Jungen nicht mehr lange."

"Oh, das war mir nicht bewußt", sagte Professeur Faucon und zupfte sich an ihrem Umhangsärmel. Julius wußte, daß sie so die aufkommende Verlegenheit zu unterdrücken versuchte. Maya Unittamo wendete den Reverso-Mutatus-Zauber an, und mit einem Knall und einem veilchenblauen Blitz verschwand das Schwein und der Hamster lief aufgeregt durch den Käfig. Maya sah das Tier genau an und nickte dann.

"Der nächste Wurf Hamster ist sicher, Julius. Du hast die Jungen wohl in eine Art Warteposition geschickt, als du die Verwandlung durchgeführt hast."

"Wie kann die sehen, ob's den Jungen gut geht?" fragte sich Julius. "Hat die Brille Röntgenfunktion?"

"Nun, da die Verwandlung des Hamsters die letzte war, die Sie von dieser Liste abhandeln mußten, kann ich Ihnen die neue Liste geben", sagte Professeur Faucon und zog aus ihrem Umhang einen neuen Pergamentzettel. Julius nahm ihn und ging sofort daran, die Aufgaben zu lösen, zu denen Tier-Pflanzen-Verwandlungen gehörten.

Als er etwas Ruhe hatte und sah, daß seine älteren Mitschüler auch erst genug getan hatten, fragte er Jeanne, woher Maya Unittamo das mit den Jungen wußte.

"Offenbar ist ihre Brille mit nützlichen Erkennungszaubern versehen, Julius. Ich vermute, der Umbroriginis-Zauber ist da ebenso drin wie ein Vivideo-Zauber. Als Lehrerin brauchte sie das bestimmt oft, um verpatzte Verwandlungen zu erkennen", sagte Jeanne.

"Und um Leute wie mich zu finden, bevor ich auf ihren Schabernack reinfallen konnte, Mademoiselle Jeanne", kam Maya Unittamos Stimme erheitert von Hinten. Julius fuhr herum. Jeanne errötete schlagartig und schlug die Augen nieder. Maya Unittamo hatte sich wohl von hinten angeschlichen.

"Oh, wir wollten nicht über Sie herziehen, Madame. Ich habe mich nur gefragt, wie das gehen konnte", meinte Julius verlegen.

"Hätte mich auch enttäuscht, wenn ihr euch darüber nicht Gedanken gemacht hättet. Es ist zwar richtig, hinzunehmen, was ein Lehrer sagt. Aber ab einem gewissen Alter muß man auch hinterfragen, warum er oder sie das sagt. Eure Einschätzung stimmt. Als ich mir ein Sehwerkzeug zulegen mußte, habe ich gleich einige Extras einbauen lassen, um meine Arbeit noch besser durchführen zu können. Die Brille ist auf meine Gedanken abgestimmt und kann mir die Originalauren eines verwandelten Wesens oder Gegenstandes zeigen wie auch dessen Lebensauren. Es ist schon faszinierend, wie bei einer Invivo-ad-Vivo-Verwandlung die Lebensaura langsam stärker wird, bis sie so erscheint, wie die der natürlichen Vorlage. Ihr habt eure zweiten Runden durch? Professeur Faucon teilt gerade an einige Leute was aus. Habt ihr vielleicht irgendwelche Fragen, die ich euch noch beantworten kann?"

Natürlich hatten die UTZ-Schüler Fragen. Julius hielt sich im Hintergrund und hörte nur halb hin. Im Moment mußte er sich ja auf andere Sachen konzentrieren und nahm Rücksicht darauf, daß die älteren Schüler Vorrechte hatten, weil sie ja bald die entscheidenden Prüfungen ablegen mußten.

"Ihr müßt euch bei der partiellen Selbstverwandlung immer überlegen, wie sehr das Ergebnis von der Ausgangsform abweicht. Ich zeige euch noch einige nützliche Zauberstabtricks, um den Fluß der Magie zu verbessern", sagte die amerikanische Verwandlungsexpertin und führte die entsprechenden Bewegungen aus. Julius sah sich um. Professeur Faucon kam gerade wieder zu ihm. Sie sah, daß die UTZ-Schüler beschäftigt waren und nahm ihn bei Seite.

"Damit Sie sich nicht langweilen werden Sie fünf bereits verwandelte Geschöpfe in ihre Ausgangsform zurückführen. Ich weiß, daß Sie den Umbroriginis-Zauber kennen und schon in Aktion erlebt haben. Ab dann können Sie den Reverso-Mutatus verwenden, den Madame Unittamo vorgeführt hat. Er ist nur so schwierig wie die Verwandlung selbst. Will sagen, je einfacher die Ausgangsverwandlung war, desto einfacher ist die Rückverwandlung. Kommen Sie bitte an einen Einzeltisch, damit die Mitglieder Ihrer Arbeitsgruppe in Ruhe wichtige Dinge lernen können!"

Julius hatte nach zehn Minuten heraus, wie der Rückverwandlungszauber ging. Zwar wurde zuerst eine in eine Maus verwandelte Spinne zum Meerschweinchen und dann zur Tarantel, bevor sie einschrumpfte und als harmlose Hausspinne fertig zu sein, doch bald klappte der übergangslose Rückverwandlungsprozess. Er bekam für die korrekten Versuche zehn Bonuspunkte, für die holperer nur einen Anerkennungspunkt.

"Talent ist die Quelle, Übung das Potential", sagte Professeur Faucon. Dann ging sie weiter und kümmerte sich um die anderen Arbeitsgruppen. Barbara holte Julius wieder ab, als Maya Unittamo sich anderen Arbeitsgruppen zuwandte.

"Entschuldigung, daß du den Eindruck bekommen hast, irgendwie außen vor zu stehen. Doch wenn man diese Gelegenheit hat sollte man sie nutzen."

"Klar, Barbara. Hätte ich an eurer Stelle ja auch gemacht", gestand Julius der älteren Mitschülerin zu.

Nach dem Kurs bedankten sich alle bei Maya Unittamo. Julius wurde von Jeanne angestachelt, sich von ihr ein Autogramm für Claire geben zu lassen. Er errötete, als er schüchtern flüsterte:

"Entschuldigung, Madame, aber ich denke, Sie erinnern sich noch an Claire Dusoleil? Da Sie ja nur in den oberen Klassen als Gastlehrerin dabei sind, kann Claire Sie vielleicht nicht fragen, ob Sie ..."

"Aber sicher erinnere ich mich an Mademoiselle Claire Dusoleil. Möchtest du ihr ein Autogramm von mir geben, Julius?"

"Öhm, wenn es Ihnen nichts ausmacht", erwiderte Julius verlegen. Die Meisterin der Metamorphose lächelte tiefgründig und holte Pergament und eine vergoldete Adlerfeder aus ihrer kleinen Handtasche. Sie schrieb mit königsblauer Tinte ihren Namen und die Widmung: "Für Claire Dusoleil in Anerkennung ihrer Wertschätzung."

"Das gibst du ihr mit freundlichen Grüßen. Ich werde beim Abendessen am Lehrertisch sitzen. Ich gehe davon aus, daß Madame Maxime nicht gestatten wird, daß ihr alle auf mich arme alte Hexe losstürmt, um euch mit mir zu unterhalten. Alleine die Einschränkung, daß ich nur in höheren Klassen hospitieren soll ist ja schon heftig. Aber in Hogwarts hätte ich das ja auch nicht anders halten können. Weißt du eigentlich genaueres, warum der alte Tausendsasser Dumbledore so kampflos das Feld geräumt hat? Es ist doch wohl sonnenklar, daß er diese Gruppe von Schülern nicht zusammengetrommelt hat, deretwegen er des Verrats an der Zaubererwelt angeklagt werden soll. Solche Sachen hat er nicht nötig."

"Ich weiß nicht, was mit Professor Dumbledore ist. Ich kann nur das widergeben, was ich aus der Zeitung habe", sagte Julius. Das war eine glatte Lüge. Aber er durfte ja nicht verraten, was in der Sub-Rosa-Gruppe über Hogwarts und Dumbledore besprochen wurde.

"Soso, du kannst nur sagen, was in der Zeitung steht, was heißt, daß du nichts sagen kannst - oder sagen darfst. Das akzeptiere ich", sagte Maya Unittamo und lächelte ihr tiefgründiges Lächeln. Julius fragte sich, ob Glorias Oma nicht bei einem Kaffeeklatsch geplaudert hatte. Aber er wollte keine schlafenden Hunde wecken und Maya Unittamo danach fragen. So verabschiedete er sich höflich und ging mit den übrigen Schülern aus dem Kursraum. Er stellte fest, daß er nicht der einzige war, der sich ein Autogramm hatte geben lassen. Auch Martine hatte sich für ihre Schwester ein Autogramm geben lassen, und Belle Grandchapeau trug ihres stolz vor sich her.

Im grünen Saal gab Julius Claire den Pergamentzettel. Die Folge war, daß Claire ihn an sich drückte und ungeniert einen Schmatzer auf jede Wange setzte, weshalb sie von Barbara und Edmond je zehn Strafpunkte kassierte. Julius erklärte ihr, daß die Verwandlungsexpertin, deren Fan Claire war, die ganze Woche in Beauxbatons sein würde, um in den Klassen ab der fünften zuzusehen. Claire nickte schwerfällig und meinte:

"Warum kommt die nicht auch zu uns? Wir haben doch im Moment nicht diesen Stress wie die ZAG-ler und UTZ-ler."

"Befehl von der großen Chefin hier, Claire. Offenbar möchte Madame Maxime nicht, daß Madame Unittamo uns irgendwelchen Unsinn beibringt", sagte Julius.

"Ja, aber du darfst ihr zusehen, wenn du im Fortgeschrittenenkurs bist. Das ist nicht gerade fair", maulte Claire.

"Ich habe mir den nicht ... Mmmmpf!" Julius wollte wohl sagen, daß er das überhaupt nicht wollte, in einem Kurs voller älterer Mitschüler zu sein. Doch Barbara, die wegen der Bestrafung Claires noch in der Nähe gelauert hatte, hielt ihm einfach den Mund zu.

"Du wirst doch nichts sagen wollen, was die Entscheidung unserer Saalvorsteherin kritisiert, Julius? Du möchtest dir den DQ doch nicht verderben, wo wir alle wieder ans Meer können? Immerhin steht noch eine Einheit Schwimmtraining mit dem Schwermacher aus. Das werde ich dir nicht erlauben, dich durch DQ-erniedrigung drum herumzumogeln", sagte sie.

"Ich dachte, du hättest genug Stress mit dem UTZ", wandte Julius irritiert dreinschauend ein. Barbara lächelte und sah ihn sehr genau an.

"Eben deshalb werde ich gute Ablenkungsmöglichkeiten nicht auslassen. Also, Claire, daß Madame Unittamo nicht zu euch kommt, ist zwar bedauerlich für euch, aber Julius dafür ein schlechtes Gewissen einzureden, weil er sie nächste Woche noch mal in unserem Kurs sehen kann ist unkameradschaftlich und könnte ihn behindern, seine Leistungen zu bringen. Zwanzig Strafpunkte für dich, weil es sein muß, Claire."

"Ich will Julius nichts, Barbara", schnaubte Claire, die innerhalb einer Sekunde von verdutzt über verlegen zu verärgert dreinschauend wechselte. "Ich sagte nur, daß es unfair sei ..."

"Uneinsichtigkeit macht noch mal zehn Strafpunkte und Widerspruch gegen eine verhängte Strafe noch mal zwanzig. Sei froh, daß ich dir nicht noch wegen Respektlosigkeit mir gegenüber welche anhänge", schnaubte Barbara sichtlich verärgert dreinschauend. "Sonst hätte ich dir Strafarbeiten aufgeben müssen, Mademoiselle." Dann zog sie sich zurück. Julius vermutete, daß sie Claire nicht bei weiteren Widerworten erwischen wollte.

"Na toll, sechzig in einer Minute", knurrte Claire und zog Julius sanft mit sich, immer darauf achtend, was Barbara und Edmond gerade machten.

"Macht einen pro Sekunde. Autsch!" Julius bereute seinen Kommentar sofort, weil Claire ihm sehr heftig in den Arm kniff, an dem sie sich festhielt.

"Komm mir bloß nicht mit Rechnen, Julius! Am besten erwähnst du Mademoiselle Lumière auch nicht mehr bis nächste Woche!" Schnaubte Claire. Doch als sie weit ab von den Tischen im grünen Saal standen, hellte sich ihr Gesicht wieder auf. Sie lächelte Julius an und hauchte ihm zu: "Aber nett, daß du an mich gedacht hast, Juju."

Beim Abendessen begrüßte Madame Maxime Maya Unittamo noch einmal offiziell und verkündete, daß die Expertin aus den Staaten in der nächsten Woche die Klassen ab der fünften besuchen würde, um ohne groß aufzufallen mitzubekommen, wie der Unterricht ablief. Es zeigte sich, daß nicht nur Claire ungehalten war, daß die Expertin sich nur mit den älteren Schülern befassen sollte. Mißgestimmtes Raunen klang auf. Madame Maxime klatschte in ihre übergroßen Hände und wollte gerade was sagen. Doch Maya Unittamo bedeutete ihr, daß sie gerne was mit der Schulleiterin besprechen wollte. Nach einer Viertelminute sagte die Schulleiterin:

"Madame Unittamo schlägt vor, daß jeder oder jede, die an einer Diskussion mit ihr über ihre Bücher oder Erlebnisse interessiert ist, nach dem letzten Quidditchspiel der Saison und der Überreichung des Pokals in der Aula bereitstehen könne, falls ich das erlaube. Nun, ich erkenne an, daß es berechtigtes Interesse gibt, diese seltene Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen zu lassen. Deshalb erlaube ich es, daß Schülerinnen und Schüler der Klassen eins bis vier am Nachmittag des kommenden Samstages in der Aula für drei Stunden mit Madame Unittamo diskutieren mögen. Meine Kollegin Professeur Faucon wird diese Diskussion moderieren. Ich hoffe damit jeglicher unnötiger Unbeherrschtheit Ihrerseits alle Grundlage zu entziehen, Mesdemoiselles et Messieurs."

Erneutes Raunen klang auf, aber wesentlich fröhlicher als vorher.

Nach dem Abendessen gingen alle bis zehn Uhr ihren üblichen Freizeittätigkeiten nach. Nach dem langen Tag waren alle rechtschaffen müde und zogen sich in ihre Schlafsäle zurück.

Julius erwachte am nächsten Morgen um fünf Uhr. Er nahm aus seinem Brustbeutel die Centinimus-Bibliothek, porkelte mit der dazugehörigen Pincette mit aufgesetzter Lupe das Buch über Bilderwelten heraus, das sofort zur Normalgröße anwuchs, als er den winzigen Bücherschrank wieder schloss. Er hatte da vor zwei Tagen etwas gelesen, was ihn sehr interessierte. Es ging darum, daß die gemalten Welten, sofern sie für andere Gemälde offenstanden, nicht nur gemalten Wesen zugänglich waren. Er hatte bis dahin geglaubt, daß Bilder nur Bilder waren, ob bezaubert oder nicht. Doch als er nun las, daß die gemalten Welten künstliche Wirklichkeiten waren, die nicht auf sich selbst beschränkt waren, hatte es ihn fasziniert, mehr darüber zu lesen. So schmökerte er eine volle Stunde und wurde regelrecht aufgeregt. Wenn das stimmte, was da stand, - und er hatte bei echten Zauberbüchern bis her noch nie unwahre Behauptungen gefunden - dann war es einem lebenden Menschen möglich, sich einen mächtigen Zaubergegenstand anzufertigen, mit dem man in ein Zauberrerbild eindringen konnte, wie durch ein Dimensionstor in eine andere Welt. Er las, daß man die Metalle Silber und Gold im Verhältnis sieben zu fünf zusammenschmelzen, eine etwa sechs Zentimeter durchmessende Scheibe daraus formen und diese dann auf einer Seite mit acht verschiedenen Edelsteinen versehen mußte, solange das Metall noch warm genug war, um etwas einzuschweißen. Die acht Steine, die jeder für sich für einen der sechs vor dreihundert Jahren bekannten Planeten, sowie die Sonne und den Mond standen, mußten nach vollständiger Abkühlung mit einem glutheißen Eisenstift mit Zauberrunen umschrieben werden, die die Gestirne bezeichneten. Diese Zauberrunen wiederrum mußten durch Verbindungsrunen aneinandergebunden werden, die das Verhältnis von Raum und Zeit beschrieben. Danach mußten von allen außen angebrachtenSteinen noch gerade Verbindungslinien zum Mittelpunkt gezogen werden. War diese komplizierte Arbeit beendet, mußte auf die andere Seite eine Spirale von außen nach innen eingebrannt werden. War dies auch erledigt, mußte zehn Wochen lang gezaubert werden. In der ersten Woche wurde die Metalllegierung mit einem Kraftaufnahmezauber behandelt, der eine volle Erddrehung alleine wirken mußte. Dann kam für jede weitere Woche ein Zauber, der jeden Stein mit seinem Planeten koppelte, und zwar so, daß der betreffende Himmelskörper frei zu sehen sein mußte und der entsprechende Stein genau unter ihm auszurichten war. War auch diese schwere Aufgabe erledigt, galt es noch, ein Zaubererbild dessen auf die mit der Spirale versehenen Seite anzubringen, der oder die damit in die gemalten Welten vordringen wollte. Dieses Zaubererbild mußte dann durch einen alles beendenden Zauberspruch in den Gegenstand eingeschlossen werden. War dies alles fehlerlos erledigt, konnte der Besitzer eines solchen Gegenstandes in die gemalte Welt hinüber und auch wieder zurück in die natürliche Wirklichkeit.

"Der kybernetische Raum ist da aber schwieriger", dachte Julius, der über virtuelle Welten, die in einem Computer erzeugt und über Datenhelme und -handschuhe für die Sinne eines Menschen wahrnehmbar gemacht werden konnten einiges gehört und gelesen hatte. In einer Zukunft würden Menschen sich so neue Lebensräume schaffen, ohne aus ihrem Haus gehen zu müssen. Tja, und in der Zaubererwelt kannte man das also schon länger als Newtons Gesetze der Schwerkraft. Dennoch erschien es kompliziert, sich ein solches Artefakt zu schaffen, zumal in diesem Buch drinstand, daß die Fertigung, der Besitz und die Verwendung eines solchen Gegenstandes erbeten und genehmigt werden mußte. Außerdem konnte ein Fehler im langen Fertigungsprozess dazu führen, auf dem Weg in die Bilderwelt zu sterben oder unrettbar in den gemalten Wirklichkeiten festzusitzen und wie alle anderen gemalten Wesen solange zu existieren, wie das Bild, in dem sich jemand gerade aufhielt.

"Interessante Idee, aber doch im Moment nichts für mich", dachte Julius.

Der Trompeter von Claires letztem Geburtstagsgeschenk an ihn schmetterte seinen Morgengruß in den Schlafsaal. Gleichzeitig stand Edmond Danton in der Tür und rief:

"Es ist sechs Uhr, Messieurs! Raus aus den Federn, waschen und anziehen!" Er zog jeden Vorhang auf und wunderte sich, daß Julius noch im Bett lag. Dieser hatte gerade noch die Zeit gehabt, das Buch wieder in seine Bibliothek zu packen und diese schnell im Brustbeutel verschwinden zu lassen.

"Ich ging davon aus, du würdest wieder mit meiner Kameradin Barbara trainieren", flüsterte Edmond Danton. Julius nickte und lief rot an. Hatte er durch dieses interessante Buch doch glatt vergessen, sich für das Morgentraining bereitzumachen. Das roch nach Ärger. Doch nein, er konnte sich locker darauf berufen, für die Jahresendprüfung was nachgelesen und darüber die Zeit vertrödelt zu haben. Vielleicht war Barbara ja auch nicht losgezogen.

Vor dem Frühstück kam Barbara noch mal zu Julius herüber. Sie sah ihn leicht verärgert an. Julius wollte schon ansetzen, ihr seine Ausrede aufzutischen. Doch Barbara schnitt ihm das Wort ab, bevor es seinen Mund verließ.

"Jungchen, ich schätze es nicht sonderlich, wenn mir niemand sagt, daß du keine Zeit oder Lust hast, zum Morgentraining zu kommen. Bis her ging ich davon aus, daß du das immer einhältst. Die Montferres und Latierres haben schon gefragt, ob du krank wärst. Beim nächsten Mal sagst du mir bitte vorher, daß ich alleine gehen soll!"

"Barbara, ich hatte ...", setzte Julius an.

"Keine Zeit, mir das rechtzeitig zu sagen, verschlafen oder sonst was. Julius. Will ich jetzt nicht wissen. Dafür trainieren wir morgen länger, weil ja erst um acht Uhr Frühstück ist. Mehr ist nicht", erwiderte Barbara Lumière und zog sich zurück.

Nach dem Frühstück ging es mit den Weißen zusammen zur Kräuterkunde, wo sie mit Professeur Trifolio die Schneckenfangschoten besprachen, die als Schutz für Salatbeete genial geeignet waren, aber leicht einen Finger einsaugen konnten, wenn man nicht aufpaßte. Da die Pflanze an sich jedoch auf langsame Beute ausgerichtet war, konnten solche Zwischenfälle leicht behoben werden. Der restliche Schultag verlief wie üblich anstrengend, weil die Lehrer nun wissen wollten, wie gut sich ihre Schüler vorbereiteten.

Nach dem Duellkurs und dem Astronomieunterricht war es Julius ein großes Bedürfnis, ins Bett zu gehen. Er legte sich hin, zog sorgfältig den Vorhang um sein Bett und drehte sich in seine bevorzugte Schlafstellung.

"Julius, hörst du mich? Wach auf, Julius!" Drang in einen Ozean aus Schlaf eine aufgeregt wispernde Stimme hinein. Julius kam mühsam zu sich, während die Stimme ihn immer wieder anrief. Er erkannte mit trägen Gedanken, daß es Aurora Dawn war, die da was wollte. Er setzte sich auf, gähnte laut und sah das große Vollportrait der australischen Heilhexe an, das über seinem Bett hing. Er sah auf seine Armbanduhr. Es war gerade zwei Uhr nachts. In England war es erst eine Stunde nach Mitternacht.

"Wieso bist du so aufgeregt, Aurora?" Fragte Julius müde.

"Gefahr, Julius. Ich weiß nicht genau, wie das passiert ist. Aber ich fürchte, es greift um sich und wird bald alle gemalten Personen erwischen."

"Was?!" Rief Julius und sah sofort, ob der Schnarchfängervorhang noch richtig zu war. Er atmete schnell ein und aus. Der Vorhang hing sicher um das Bett.

"Mein Bild-Ich aus Hogwarts ist eines von wenigen, die noch nicht davon befallen sind, Julius. Selbst ich als erwachsene Erscheinung meines natürlichen Selbst kenne das nicht, was da passiert ist. Ich weiß nur, es muß was mit den dunklen Schätzen Slytherins zu tun haben."

"Moment, Aurora. Dein junges Bild hat dich wohl aus dem Tritt gebracht. Also, was soll denn in Hogwarts passiert sein? Wann ist es aufgetreten? Wer ist wie befallen? Warum ist das gefährlich?"

"Na klar, Julius. Hast recht. Wie sollst du das begreifen, wenn du nicht weißt, was genau passiert ist. Also: Vor genau einer Nacht flog ich, also mein jüngeres Ich durch die Gemälde von Hogwarts. Dabei traf ich zwei Hexen, die in Hufflepuff herumhängen. Sie waren merkwürdig langsam, wie Schlafwandler. Sie sahen zu mir hoch und deuteten auf mich, als wäre ich für sie was fremdes oder feindliches. Sie winkten mir hölzern zu, ich solle landen. Ich landete. Ich fragte, was los sei. Eine von denen sagte mir mit einer schleppenden Stimme, daß ich ihnen zu Fuß zu folgen hätte, weil sie mir was wichtiges zeigen müßten. Ich wollte natürlich wissen, was das war. Sie sagten nur, es sei wichtig für mich. So ging ich einige Schritte. Dabei fiel mir was merkwürdiges auf. Die beiden Hexen hatten um ihren Hals etwas wie giftgrüne Halsbänder, die irgendwie unter ihren Haaren festgemacht waren. Sie liefen wie in diesen Zeitlupenaufnahmen herum, die mein natürliches Ich sich mal in einem der Muggelfernseher angesehen und mir das mal vorgeführt hat. Wir kamen gerade bis zum Ausgang aus dem Bild, der zu einem Gemälde in der Nähe von Gryffindor führte, als ich den Schatten von jemanden sah, der von hinten kam. Ich drehte mich um und sah einen buckligen Zwerg in rotem Umhang, der zwischen seinen kleinen Händen was fadendünnes, giftgrünes hielt, das sich bewegte. Ich erschrak erst als ich sah, daß es ein übergroßer geringelter Wurm war, ähnlich wie ein Regenwurm. Der Zwerg wollte mir dieses Tier um den Hals legen. Ich weiß nicht, wieso ich dachte, daß das gefährlich sei. Ich trat ihm in den Bauch und bin schnell weggerannt. Der Zwerg keuchte mir nach. Ich konnte noch auf meinen Nimbus 1500 und abheben, bevor mich dieses widerliche Wurmtier traf, was der Zwerg mir einfach nachgeworfen hat.

Ich habe erst geglaubt, daß es ein Scherz war. Doch nach zwei Stunden fand ich weitere gemalte Wesen, die wie schlafwandler herumliefen. Alle trugen sie diese giftgrünen Halsbänder. Als ich näher ging, um mir die Sache genauer anzusehen, merkte ich, daß diese Bänder leicht pulsieren. Du kannst nicht ahnen, welchen Höllenschreck ich gekriegt habe, als ich erkannte, daß es keine Halsbänder waren, sondern diese grünen Würmer, fadendünn aber geringelt. ihre beiden Enden hatten sich unter den Haaren am Hinterkopf der Leute festgesaugt. Einer von diesen Leuten wandte sich um und sah mich glasig an, wie ein betäubter, kurz vor dem Umfallen. Ich fragte nicht nach, was los war, sondern machte, das ich weiterkam. Mehrmals konnte ich den Zwerg in Rot sehen, der immer mit einem dieser Alptraumwürmer in den Händen herumlief. Ich konnte ihn sehen, wie er Leute von uns jagte und ihnen einfach diese schleimigen Biester um den Hals wickelte. Dann dauerte es keine zehn Sekunden, und die Leute liefen genauso tranig herum wie die anderen, die ich vorher schon mitbekommen hatte. Da war mir klar, daß diese Würmer bösartig sein mußten. Einmal hat der Zwerg versucht, mir so ein Teufelstier nachzuwerfen und mich knapp verfehlt. Wenn diese Biester auf dem Boden landen erstarren die sofort, als würden sie festfrieren.

Ich habe natürlich alle Spieler unserer Mannschaften gewarnt. Die haben alle gesagt, daß ich spinne und dann besser in meinem Bild bleiben solle. Nun, Im verlauf des Tages bekam ich mit, daß diese grünen Würmer immer mehr Leute befallen haben. Dieser Zwerg läuft herum und hängt sie anderen an. Aber mittlerweile laufen auch gute Bekannte von mir herum, die solche Biester verteilen. Ich habe als gemaltes Ich in Hogwarts keinen Zauberstab und weiß nicht, wielange ich diesen Leuten noch ausweichen kann. Denn es fängt nun auch bei uns in den Quidditchbildern an. Das einzige Glück, das ich habe ist, daß befallene Leute nicht mehr sehr schnell sind. Sie können nur halb so schnell laufen oder fliegen wie sonst. Aber gerade fliegende Leute könnten diese Biester aus der Luft verteilen. Einmal konnte ich einen fragen, was mit ihm sei. Er sagte mit schleppender Stimme, daß ich dies schon erfahren würde, wenn ich auch zu "Magister Slytherins Gefolgschaft" gehörte.

Julius, nicht jeder in Hogwarts weiß davon. Aber es gehen Legenden um, das die Kammer des Schreckens nicht die einzige dunkle Hinterlassenschaft Slytherins sei und der Irre damals vor seinem Abgang noch einige faule Eier in Hogwarts versteckt hätte. Aber anders als die Kammer des Schreckens, von der ja lange niemand glaubte, daß es sie wirklich gab, gibt es über die anderen Hinterlassenschaften Slytherins keine brauchbaren Geschichten. Es wird nur von einem dunklen Schatz gesprochen, den Slytherin nicht mitnehmen konnte oder extra in Hogwarts versteckt hat, weil er gehen mußte. Niemand hat das so richtig ernst genommen, weil es ja von jedem Gründer ein Werk gibt, das in den entsprechenden Häusern irgendwo versteckt ist, um dann hervorgeholt zu werden, wenn Hogwarts geschlossen werden müßte. Aber jetzt ist es wohl klar, daß es da was gibt.

Julius, mein natürliches Ich kennt manches schreckliche. Aber das mit diesen Würmern ist ihr und damit mir völlig unbekannt. Mein Ich aus Hogwarts will nicht mehr zurück. Es hat Angst, Todesangst. Du hättest diese Leute sehen sollen. Sie laufen daher wie Zombies."

"Hui, Aurora, das ist ja heftig. Das ist tatsächlich passiert oder was?"

"Julius, ich würde dich nicht anlügen und bestimmt auch nicht veralbern. Seitdem diese Umbridge die Direktorin ist und viele Slytherins ihre Erfüllungsgehilfen sind, ist es in Hogwarts nicht mehr geheuer. Gloria und Pina wären fast erwischt worden, wie Gloria ihr einige Abwehrzauber beigebracht hat. Sie konnte von Glück reden, daß sie im ausreichenden Abstand Alarmzauber aufgerufen hat, um rechtzeitig in Deckung zu gehen. Die Schüler da werden ausspioniert, manchmal auch von ihren bis dahin besten Freunden oder eigenen Verwandten. Wenn das jetzt noch in unserer Welt anfängt, dann dauert es nicht mehr lange, bis Hogwarts fällt und für jeden schwarzen Magier als leichte Beute zu haben ist. Fudge hat Geister beschworen, die er so schnell nicht los wird. Und wenn die Leute, die diese grünen Würmer um den Hals haben mit Portraits von ihnen in anderen Häusern in Verbindung stehen könnten die die Würmer anderswo hinbringen und da noch wem anhängen. Ich weiß ja nicht, wo die herkommen. Diesen Zwerg, der sie verteilt, kenne ich auch nicht. Der muß neu sein oder aus einem uralten Bild, das wieder aufgetaucht ist."

"Ah, und du bist jetzt hier, um mich zu warnen, damit ich den Leuten hier sage, was los ist?" Fragte Julius sichtlich beklommen.

"Richtig, Julius. Du bist wie mein natürliches Ich und meine Mutter die einzige Anlaufstelle. Ich werde meine Mutter gleich informieren. Zu dir kam ich deshalb, weil du diesen nützlichen Bettvorhang hast und deshalb jetzt schon geweckt werden konntest. mein Ich aus Hogwarts will dann bei meinem natürlichen Ich in Sydney bleiben. Ich weiß, das ist feige. Aber es hat Angst, von diesen Leuten zu einem der ihren gemacht zu werden."

"Vorsicht ist meistens keine Feigheit, Aurora. Wenn das stimmt, was du da erzählst, dann weiß ich, was da bei euch abgeht. Muggel haben viele Horrorgeschichten aus der Zukunft in ihren Büchern und Kinofilmen und im Fernsehen, wo genau sowas abgeht. Die drehen sich um Lebewesen, die künstlich erschaffen werden oder von ganz fremden Planeten kommen und den Willen von Wirtskörpern unterwerfen können, um sie zu kontrollieren, entweder aus eigenem Antrieb oder als lebendige Kontrollmechanismen einer weit entfernten Befehlsstelle. In einigen Geschichten werden diese Biester blödsinnigerweise Symbionten genannt, obwohl das natürlich total verkehrt ist. Parasiten müßten die überall heißen."

"Oh, das ist ja schlimmer als ich gedacht habe, wenn das wirklich so zutrifft", erschrak Aurora Dawns gemaltes Vollportrait. Julius nickte. An sowas hatte er nie gedacht, als er in Hogwarts eingeschult worden war. Er ging davon aus, daß nur direkte Zauber Menschen versklaven konnten. Alles andere hielt er für weiterhin unsinnig und unmöglich.

"Dann droht der gesamten Bilderwelt Gefahr", stellte Aurora Dawn mit angstgeweiteten Augen fest.

"Das ist eben die Frage, ob diese Würmer tatsächlich solche Wesen sind, die andere Leute versklaven können. Aber nach dem, was du gesagt hast, muß ich das voll annehmen", seufzte Julius, dem nun ziemlich unwohl wurde. Sicher, die gemalten Welten konnten der natürlichen Welt nichts anhaben, während natürliche Personen Bilder einfach abhängen und verbrennen konnten. Aber wie eine Flutwelle durchfuhr es seinen Verstand, daß gemalte Personen sehr leicht für eine natürliche Person spionieren und Botschaften weitergeben konnten. Er selbst machte ja hier und jetzt nichts anderes als das. Falls also eine Hinterlassenschaft Slytherins, von der niemand vorher was gewußt hatte, wie eine Langzeitbombe losgegangen war, dann konnten alle, die diesem Reinblütigkeitswahnwitzigen hinterherliefen, unbescholtene Hexen und Zauberer überwachen oder gezielt einschüchtern, für sie irgendwas zu tun. Mit einem Netz aus versklavten Bild-Menschen hatte der dunkle Lord ein Überwachungsnetz, hinter dem sich der unheimliche "große Bruder" aus Orwells düsterer Zukunftsvision wie ein Mensch mit verbundenen Augen und verstopften Ohren ausmachte. Ja, die Gefahr für die gemalten Welten wirkte sich irgendwann auch auf die natürliche Welt aus. Mit Schrecken fiel ihm auf, wie achtlos er selbst mit gemalten Personen umging, wenn er durch Zaubererhäuser lief. Wenn sie ihn nicht ansprachen oder er gezielt nach ihnen suchte, fielen sie ihm nicht mehr auf. Dasselbe galt auch für andere Hexen und Zauberer. Wie einfach mochten da gemalte Spione ein- und ausgehen, Sachen mithören, die streng geheim waren und es denen mitteilen, die garantiert nichts gutes damit anfangen würden. Portraits wie das Aurora Dawns waren nicht selten. So könnte auch eine blitzschnelle Verständigung zwischen Zauberern stattfinden, die Portraits ihnen willfähriger Personen in mehrfacher Ausführung besaßen.

"Das ist ja ein Alptraum", sagte Julius und kniff sich in einen Arm, um schmerzhaft zu erkennen, daß das kein Traum war.

"Das trifft nicht ganz zu, Julius. Das ist die Hölle, wenn sich diese grünen Würmer weiterverbreiten. Was glaubst du, wie bald die ersten Personen in Bildern außerhalb von Hogwarts diese Dinger umhaben? Das kann bereits passieren oder morgen schon losgehen. Aber wenn die Würmer solche Kontrollwesen sind, warum können dann die Befallenen sich nicht normal bewegen? Der wille müßte doch dann total ausgetauscht werden", wandte Aurora Dawn ein.

"Hmm, dann sind das diese Art, die von einer fernen Befehlsstelle Anweisungen kriegen. Die können dann nur das weitergeben, was anderswo beschlossen wurde. Umgekehrt müssen die Befallenen über ihre Parasiten mit der Befehlsstelle Kontakt aufnehmen, wenn sie neue Anweisungen kriegen sollen oder unerwartete Sachen passieren. Das könnte zu einer Verzögerung führen. Dann läuft bei denen im Gehirn oder im Geist ein ständiges hin- und Herrufen von Parasit und Befehlsstelle ab, bis das gemacht wird, was befohlen wurde. Das eröffnet gewisse Möglichkeiten."

"Welche Möglichkeiten, Julius", erwiderte Aurora Dawn, die nicht übersah, daß Julius nicht mehr so ängstlich war.

"Das mit der Zerstörung der Befehlsstelle der ganze Spuk vorbei ist. Aber wahrscheinlich liege ich total daneben, und diese Würmer denken halt nur so langsam", erwiderte der Drittklässler und verfiel wieder in beklommene Nachdenklichkeit.

"Mein natürliches Ich hat von solchen Wesen nie was gehört, Julius. Sie kennt alle bekannten Formen dunkler Kreaturen und wie man ihre Angriffe oder Auswirkungen bekämpft. Ich wüßte jetzt auch niemanden, zu dem ich hingehen und fragen könnte."

"Wenn es diese Viecher gibt, dann gab es die auch in der natürlichen Welt. Wenn davon keiner was weiß, dann sind alle Sachen darüber vor Jahren verschwunden oder vernichtet worden. Aber ich werde versuchen, mich zu erkundigen, Aurora. Du kannst ja nicht jedes dir bekannte Portrait fragen: "Entschuldigen Sie, bei uns in Hogwarts krabbeln eklige grüne Würmer herum, die andere Leute zu lebenden Marionetten machen. Wissen Sie was von denen?" Dein natürliches Ich möchte sich erkundigen, ob jemand was darüber weiß, wenn es nicht gerade ein schwarzer Magier ist."

"Julius, wenn das stimmt, was du vermutest, dann ist das schwarze Magie mit lebenden Kreaturen. Da kann mein natürliches Ich nicht einfach rumfragen. wenn die dabei auf Leute von Du-weißt-schon-wen trifft, ist uns nicht geholfen. Aber du hast recht, wir sollten unsere Vertrauten fragen. Nachher müßten wir uns vorwerfen, eine wichtige Möglichkeit nicht genutzt zu haben, wenn die ganze Welt von diesen Biestern befallen ist."

"Gut, geh zu deinem natürlichen Ich! Ich werde zunächst mit Mrs. Porter sprechen und dann die Leute hier in Beauxbatons informieren", entschied Julius. In dieser Sekunde hatte er weniger Angst als vorher. Der Drang, irgendwas zu tun, war stark geworden.

Aurora Dawns Gemälde-Ich tauchte durch den östlichen Rand ihres Bildes und verschwand. Julius konnte gerade noch einen Schatten auf einem Besen erkennen. Das mußte ihr Hogwarts-Ich sein, das, wie er wußte, bei Ankunft in einem anderen Portrait seiner Vorlage unsichtbar und unangreifbar in der Nähe des Portraits blieb, bis dieses verschwand und das zweite Selbst als Schatten hinter sich herzog.

"Da habe ich echt gedacht, in der Magie sei doch nicht alles möglich und muß es wiedermal erkennen, daß eben doch alles möglich ist, wenn jemand nur gemein genug ist, um es auszuprobieren", dachte Julius und spürte, wie die bedrückende Stimmung in ihm vollends zur Angst wurde. Die Gefahr für die gemalten Welten würde bald auf die natürliche Welt überspringen. Sicher, die Leute dort mußten nicht auch von solchen Würmern befallen werden ... Er erschrak fast zu tode. Wenn die gemalten Leute, die diese Würmer verteilten mit natürlichen Schwarzmagiern wie Voldemort in Verbindung treten konnten, konnten sie denen das Geheimnis verraten, wie diese Parasiten gezüchtet werden mußten, und dann hatten sie in der natürlichen Welt diese fadendünnen Monster auch am Hals.

Julius hatte geglaubt, nach dem Angriff der Wespen in Sandersons verlassenem Haus nicht wieder solche Todesangst zu verspüren. Doch jetzt hatte eben diese Todesangst ihn voll gepackt. Sie ließ ihn zittern, ihm den kalten Schweiß aus seinen ganzen Körper überziehender Gänsehaut ausbrechen, ihm Tränen in die Augen steigen, sein Herz mit der Gewalt einer Dampflokomotive schlagen, daß ihm das Blut laut in den Ohren rauschte.

"Was - mich - stört - verschwindet", holperten seine Gedanken durch das Meer aus blanker Furcht. "Mein Geist ... Mein - Geist herrscht - über - meine - Gefühle."

Er zwang sich, diese Gedankenformel immer und immer wieder zu denken. Ja, er sprach sie sogar laut aus, um sie über seine Ohren zurück ins Gehirn zu bekommen. Es dauerte lange zeit, wohl zehn Minuten, bis er seinen Verstand so klar bekommen hatte, daß er die Angst, die noch in ihm lauerte wie die Restglut eines Feuers, niederhalten konnte. Er mußte nun handeln. Angst war eine Waffe gegen die, die sie bekamen. Er war kein kleiner Junge in einem alten Haus mehr, der vor wilden Wespen davonrennen mußte. Er war bald vierzehn Jahre alt und ein Zauberer. Ja, er konnte was, was anderen Angst machte. Er mußte sich beherrschen, um nicht am Ende Angst vor sich selbst zu krigen. Also mußte er jetzt auch die Ruhe wiederfinden, um zu tun, was er tun konnte. Doch was genau konnte er tun?

"Glorias Oma anrufen", dachte er zuerst. Das hatte er ja auch Aurora gesagt. "Die Sub-Rosa-Gruppe informieren", war der nächste klare Gedanke, den er fassen konnte. Doch würden sie ihm das abnehmen, was er von Aurora Dawns Bild-Ich gehört hatte? Würden Sie ihm nicht eine blühende Phantasie vorwerfen oder meinen, er wolle sich hervortun? Doch er mußte es jemanden sagen. Glorias Oma würde es sich zumindest anhören. Wenn sie dann sagte, daß es sowas nicht geben könne, würde er sich überlegen, was er machen konnte. Eigentlich müßte er sofort Madame Maxime und Professeur Faucon wecken. Doch wenn an der Sache nichts dran war und Aurora Dawn einem schlechten Scherz aufgesessen war, würden sie ihn unter zweihundert Strafpunkten nicht davonkommen lassen. Es war sogar möglich, daß sie ihn rauswarfen, weil er irrsinnig wurde. Doch zunächst wollte er mit Jane Porter sprechen. In New Orleans war es nun acht Uhr durch. Sie schlief gewiß nicht. Aber wenn sie den Spiegel nicht griffbereit hatte?

Er griff nach seinem Brustbeutel und holte die beiden Zweiwegspiegel heraus. Er betrachtete sie und legte den mit dem Sonnensymbol zurück in das kleine Practicus-Täschchen. Den mit dem Mondsymbol hielt er vor sein Gesicht und sprach "Mrs. Jane Porter" hinein. Er fürchtete schon, er würde sie nicht erreichen, als nach einer Minute das freundliche Gesicht der untersetzten Hexe mit den graublonden Locken auftauchte. Julius zögerte nicht lange und erzählte, was Aurora Dawn berichtet hatte. Jane Porter hörte es sich in Ruhe an. Dann sagte sie:

"Dann stimmt das doch, daß dieser uralte Bastard Slytherin außer der Kammer noch was in Hogwarts zurückgelassen hat. Ich glaube alles, was Aurora Dawn dir da erzählt hat. Ich hörte mal davon, daß es in grauer Vorzeit einen Zweig der Zauberwesenkunde gab, der Zoonekromantik genannt wurde und sich ausschließlich mit der magischen Erschaffung bösartiger oder willfähriger Geschöpfe befaßte. Was da genau möglich war, weiß ich nicht. Ich weiß nur, daß es blühender Unsinn ist, wenn die Zaubereiminister der ganzen Welt behaupten, daß diese dunkle Kunst vergessen worden ist. Ich bin mir sicher, daß einige irregeleitete Magierfamilien noch Folianten mit zoonekromantischem Wissen in ihren Giftschränken haben, sich aber nicht trauen was damit anzufangen, weil solche Geschöpfe nicht grundsätzlich beherrschbar sind. Die Chimäre zum Beispiel soll aus solch einem diabolischen Versuch hervorgegangen sein, einen Krieger mit einem Greifvogel und einer großen Schlange zu verbinden. Das Ergebnis kennt man ja. Auch Basilisken sind Produkte der Zoonekromantik, und die sind ja wohl noch irgendwo unterwegs auf diesem Planeten."

"Nekromantik heißt doch an und für sich Totenbeschwörung, oder?" Fragte Julius, der den Begriff aus seiner Kerker- und-Drachenzeit kannte. Doch sogleich fiel ihm ein, daß Totenbeschwörung ein Teil davon war und aus der Totenbeschwörung auch andere dunkle Künste erwuchsen, wie Flüche, um Menschen zu versklaven. Zumindest kam das aus diesen Rollenspielsystemen so bei ihm an.

"Ja, zum Teil, Julius. Durch die Erforschung von Leben und Tod kamen mehrere Unterzweige der Magie auf. Der Begriff stimmt ja insofern, das aus dem Tod mindestens eines Lebewesens neue Kreaturen erwachsen können. Ich bin mir sicher, daß Slytherin damals genausogut über Zoonekromantik bescheid wußte, wie die nette Sardonia aus Frankreich oder Khali Khinshar aus dem alten Indien. Du mußt sofort zu Bläänch und ihr das erzählen. Die weiß, daß es sowas gibt und wird auch die richtigen Leute kennen, die damit umgehen können. Wenn dieses Wissen aus der gemalten Welt herüber in unsere Welt kommt, dann gnade uns jeder Gott, der in irgendeiner Religion der Welt für das Gute steht."

"Diese Horrorvorstellung habe ich auch schon gehabt, Mrs. Porter", gab Julius voller Unbehagen zur Antwort. Das Gesicht seiner Gesprächspartnerin im Spiegel wippte einmal vor und zurück.

"Na logisch, wo in der Muggelwelt jeder Horror marktfähig ist, wo böse Aliens oder eben solche Parasiten in zukünftigen Welten vorkommen können. Geh zu Professeur Faucon und sage ihr das."

"Selbst wenn die glaubt, was ich da gehört habe, ich kann nicht aus dem grünen Saal raus, ohne gegen eine wichtige Regel zu verstoßen. Nachher werde ich schon im ersten Ansatz von ihr verhext, bevor ich irgendwas sagen kann. Ich muß bis sechs Uhr morgens warten, um ihr ... Moment, die Eulen! Wir haben doch in jedem Saal eine Eulerei. Francis ist vor einem Tag von Madame Dusoleil wiedergekommen. Den schicke ich zu Professeur Faucon."

"Mach's so, daß sie dir glaubt und dich zum persönlichen Gespräch bittet, Julius! Außerdem tust du ihr unrecht. Sie würde dich nie sofort verhexen, wenn sie nicht weiß, weshalb du nachts aus deinem Schlafsaal verschwunden bist. Also mach hin, Honey! Ich gebe Alarm für unsere Firma. Wenn diese Wurmträger anfangen sollten, ausländische Portraits heimzusuchen, sollten wir drauf gefaßt sein. Danke für deinen Bericht, Honey."

An und für sich sollte Julius sich nun freier fühlen. Immerhin hatte Mrs. Porter ihm die Geschichte anstandslos abgenommen, ja schien sogar mit etwas ähnlichem gerechnet zu haben. Doch er hatte die Angst wieder, die er vorhin niederringen mußte. So dachte er ständig die Selbstbeherrschungsformel, bis er sich sicher genug fühlte, um leise aufzustehen, sich seinen Umhang über den Pyjama zu ziehen und auf Zehenspitzen aus dem Schlafsaal für Drittklässler zu schleichen.

Natürlich waren die Eulen fast alle unterwegs in der Nacht. Nur zwei alte Uhus waren noch in der Eulerei des grünen Saales. Julius ärgerte sich, daß er nicht daran gedacht hatte, daß in der Nacht die Eulen alle ausflogen. Er kannte die beiden Vögel nur flüchtig. Sie gehörten zum Schulinventar und dienten muggelstämmigen Schülern als Posteulen, bis man diesen Jungen und Mädchen eigene Eulen erlaubte. Er winkte einen der großen Nachtjäger herunter. Er vermied es, daß der Uhu seine dolchartigen Krallen in seinen Arm grub. Die anderen kleineren Eulen waren ja trainiert, nicht die Krallen zu krümmen, wenn sie auf Armen oder Schultern landeten. Aber vor den großen Vögeln hatte er doch einen gewissen Respekt. Er schrieb schnell auf einen Pergamentzettel:

"Sehr geehrte Professeur Faucon, Aurora Dawns Bild-Ich meldet den Befall in Hogwarts gemalter Personen von grünen fadendünnen Würmern. Sehr richtig, grünen fadenartigen Würmern. Sie machen, daß die Befallenen wie Marionetten herumlaufen, womöglich von ihnen kontrolliert werden. Weiß nicht, was ich damit anfangen soll. Sehr rasche Antwort erbeten.
                    Julius Andrews"

Der Uhu guckte ihn merkwürdig an, als er ihm sagte: "Bring das zu Professeur Faucon! Jetzt!" Doch dann erhob sich der Vogel mit dem Zettel im Schnabel und strich für Menschen unhörbar aus einem der hohen scheibenlosen Fenster. Mehr konnte Julius jetzt nicht tun. Immerhin hatte er mit "Sehr richtig" und "sehr rasch" Schlüsselbegriffe benutzt, die zeigten, daß er es so ernst meinte, daß es für die Sub-Rosa-Gruppe wichtig war. Hoffentlich nahm sie ihm das nicht übel!

Er kehrte in seinen Schlafsaal zurück und legte sich ins Bett zurück. Er konnte eine volle Stunde nicht schlafen, verfiel dann aber in einen Schlaf mit wilden Angstträumen, von denen er jedoch nie einen konkret in Erinnerung behielt. Er wußte nur, daß er einmal von einem lauten Summen und Surren aufschreckte, beim anderen Mal in einen bodenlosen Abgrund stürzte und beim dritten Mal seine eigene Stimme "Weg, sie kommen! rufen hören konnte. Als er wach wurde war es fünf Uhr am Morgen. Er setzte sich auf und sah nach dem Portrait Aurora Dawns. Es war leer. Ob es immer noch leer war oder schon wieder, das wußte Julius Andrews nicht. Er wußte nur, daß das, was in der Nacht passiert war, keiner dieser Alpträume war, die seinen Schlaf gestört hatten. Eher waren diese Träume die Folge dessen, was Aurora Dawns gemaltes Ich erzählt und Mrs. Porter geglaubt hatte. Er holte seine winzigkleine Reisebibliothek hervor und nahm noch mal das Buch über die gemalten Welten heraus. Er las sich das Kapitel über die zauberei durch, die einen natürlichen Menschen in eine gemalte Umgebung versetzen konnten. Zehn Wochen würde es dauern, jenen Gegenstand, der in diesem Buch als Intrakulum bezeichnet wurde, Herzustellen. Außerdem hatte er weder Diamanten noch Rubine, um die Planetensteine zu bilden. Aber wozu denn auch? - Der Gedanke, der ihm als Antwort kam, war wahnwitzig. Vielleicht ging sowas, und kein Zaubereiminister ließ es zu, daß das jeder wußte. Aber das ging nicht. Dafür war er noch nicht ausgebildet. Dennoch bereitete die Vorstellung, er selbst sollte in die gemalte Welt hinüberwechseln und versuchen, was zu unternehmen eine merkwürdige Hoffnung. Aber dafür waren bestimmt andere Leute besser geeignet, wenn überhaupt jemand auf eine solche Idee kommen mochte. Andererseits war es ja unsinnig, in ein Bild in Beauxbatons einzusteigen und dann nach Hogwarts zu gelangen. Er hatte ja schließlich kein Portrait dort - wie Aurora Dawn! Ging sowas? Er mußte sofort nachlesen.

Obwohl er das Kapitel über Bild-Ichs und ihre Bewegungsarten fand, konnte er es nicht schnell zu Ende lesen. Denn ihm fiel ein, daß er Barbara gestern versetzt hatte. Das durfte er nicht noch mal machen. Immerhin hatte sie ihn beim Tandemrennen mitgenommen, und überhaupt hatte sie wie Jeanne viel für ihn getan, daß er sich in Beauxbatons nicht verloren oder eingesperrt fühlte. Er mußte mit ihr trainieren. So nahm er sein Sportzeug, verließ um Viertel vor sechs den Schlafsaal und ging hinunter in den grünen Saal.

Barbara war nicht die einzige, die unten auf ihn wartete. professeur Faucon saß auf einem der bequemen Stühle und las in einem dicken Buch. Sie sah hoch und stand auf, als Julius aus dem Jungentrakt trat.

"Ihre morgentlichen Leibesübungen sind für heute abgesagt, junger Mann. Ich erwarte Sie und Mademoiselle Lumière umgehend in meinem Sprechzimmer. Ich hoffe für Sie, daß das, was mir der Uhu zutrug, kein übler Scherz ist, Monsieur", schnaubte Professeur Faucon sehr ungehalten. Julius vermeinte aber, daß sie nicht direkt auf ihn böse war, sondern verärgert über das, was er von Aurora Dawn gehört hatte.

"Komm schon, Julius! Was immer du Professeur Faucon erzählt hast, es interessiert mich", sagte Barbara, die wie Julius im Trainingszeug steckte.

Durch die Korridore ging es zu Professeur Faucons Büro. Dort angekommen errichtete die Lehrerin für Verwandlung und Verteidigung gegen die dunklen Künste einen zeitweiligen Klangkerker, dessen ockergelbes durchsichtiges Leuchten, Boden, Wände und Decke überzog. Er sah eine langstielige weiße Rose mit dem Blütenkelch vom Deckenleuchter hängen und begriff, daß was hier besprochen wurde unter die Sub-Rosa-Vereinbarung fiel und niemandem außerhalb des Raumes weitererzählt werden durfte.

"So, Monsieur, Sie erzählen mir jetzt umgehend, wann Aurora Dawns gemaltes Selbst Ihnen was erzählt hat, und zwar detailgenau. Sehen Sie mich dabei bitte an!"

Julius vermutete, daß die Lehrerin zwischendurch legilimentisch in seinen Geist hineinforschte, als er berichtete, was Aurora Dawn erzählt hatte. Am Ende nickte sie und meinte:

"Dann ist an dieser düsteren Legende doch mehr dran als man immer gedacht hat. Es gibt neben der Kammer des Schreckens mindestens eine weitere Hinterlassenschaft, die Slytherin-Anhänger nutzen können, um Hogwarts zu terrorisieren. An und für sich ein kluger Schachzug, nicht in der natürlichen Welt zuzuschlagen, sondern sich zunächst über die Bilder eine gewisse Ausgangsposition zu verschaffen. Was Sie Aurora Dawn an Vermutungen mitteilten, kommt dem nahe, was mir unter dem Begriff Zoonekromantik bekannt ist. Dabei handelt es sich um einen Zweig der Zauberwesenkunde, der ausschließlich zur Schaffung und Nutzung gefährlicher Zauberwesen begründet und vor vierhundert Jahren letztmalig angewandt wurde, als Sardonia vom Bitterwald 1634 aus dem aus dem Mutterleib herausgelösten Embryo einer abtrünnigen Mitschwester und einer Bienenkönigin die Entomanthropen schuf, widernatürliche Kreuzungen zwischen Menschen und Insekten. Sie hielt sich eine Abteilung dieser Monster, die Frankreich lange Zeit terrorisierte. Doch mit dem Tod Sardonias verschwanden diese Wesen, weil sie Sardonia als lenkende und fördernde Kraft verloren hatten. Es wird gemunkelt, daß es in der Provence eine magisch versiegelte Höhle gibt, wo hundert Entomanthropen in einem künstlichen Tiefschlaf ruhen, bis jemand sie erweckt, der Sardonias Erbe weiterführt. Wollen wir hoffen, daß wir nie den Tag erleben, an dem diese Wesen freikommen."

"Dann glauben Sie, ein von Slytherin-Anhängern gemaltes Bild produziert diese Würmer?" Fragte Julius schnell.

"Mindestens eines, junger Mann", sagte die Lehrerin sehr nachdrücklich. "Nach allem was ich über den dunklen Mitgründer Ihrer früheren Schule weiß, sieht es ihm ähnlich, eine ganze Gemäldegalerie zu malen, die ihm genehme Szenen und Personen beinhaltet. Ich habe mich vor Ihrem Eintreffen im grünen Saal in der Bibliothek umgesehen und da tatsächlich ein Werk über zoonekromantische Experimente gefunden, natürlich in der verbotenen Abteilung. Diese grünen Würmer, wie Aurora Dawn sie Ihnen beschrieb, werden tatsächlich erwähnt. Sie gehörten zu einem Experiment, das der dunkle Magier Sodom Corvolas im Jahre 777 ausgeführt hat. Diese Tiere, die er aus Drachenblut, Schweinebandwürmern und gewöhnlichen Regenwürmern zusammenkreuzte, nannte er Strangulator voluntatis, was aus dem Lateinischen als Willenswürger oder Willenswickler zu übersetzen ist. Tatsächlich wirken diese Untiere so, daß sie sich um den Hals eines Wirts schlingen und mit beiden Enden dessen Hinterkopf zu berühren, an dem sie sich dann festsaugen. Dadurch stören sie den Energiefluß zwischen Gehirn und Körper und dringen in den Verstand ein, über den sie dann den Geist unterjochen. Die Symptome, die ein derartig befallener Mensch dann äußert, entsprechen haargenau den von Ihnen aus Auroras Bericht übernommenen Beschreibungen. Sie haben ja auch vermutet, weshalb die Befallenen nicht mehr so schnell wie üblich reagieren. Es trifft tatsächlich zu. Die Willenswickler sind instinktiv an ihre Brutmutter, ihre Königin gebunden. Sie können nur das tun, was diese ihnen übermittelt. Die Königin derweil muß ihrerseits von einem Magier unter geistige Versklavung genommen werden, um den Opfern ihrer Brut intelligente Befehle zu übermitteln. Imperius ist schon seit Begründung der hermetischen Magie geläufig und daher das einfachste Mittel, diese Königin zu kontrollieren. Mit einem anderen Zauber, wie Exosenso, kann der Meister der Willenswickler einzelne Opfer beobachten und gezielte Befehle an dieses weitergeben, ohne es persönlich sehen zu müssen. Diese grausame Barbarei muß Slytherin fasziniert haben. Merkwürdigerweise ist nach der Gründung von Hogwarts nie wieder etwas über diese Zucht dieser Ungeheuer erwähnt worden. Mag sein, daß jemand alle betreffenden Unterlagen gefunden und zum Segen für die Menschheit vernichtet hat. Wir wissen halt nur, daß es diese Kreuzungen gab. Aber, und das sollten Sie bereits jetzt schon gelernt haben, Kreuzungen mittels Magie erzielen längst nicht immer gewünschte Erfolge. Wer klug ist, würde nicht versuchen, gefährliche Kreaturen neu zu erschaffen, wenn er keine konkreten Unterlagen hat."

Barbara hob die Hand und bat ums Wort. Sie sagte: "Nun, Professeur Faucon. Wenn Slytherin eine gemalte Szene geschaffen hat, wo diese Willenswickler quicklebendig sind, dann kennt dieses Bild wohl auch die verbotenen Methoden, sie herzustellen. Wer also dieses Bild findet, könnte uns wieder mit diesen Untieren heimsuchen."

"Eben, und das ist meine größte Sorge, Mademoiselle Lumière. Deshalb nenne ich diesen Vorgang auch einen genialen Schachzug. Wer immer diese Wesen kontrolliert, will zunächst aus der gemalten Welt heraus herrschen. Dann wäre der zweite Schritt, daß das Wissen um die Züchtung der Willenswickler in die natürliche Welt gebracht wird. Ich mag mir nicht ausdenken, daß nicht nur Voldemort daran interessiert ist, es zu besitzen, sondern auch andere schwarze Magier, sogar Leute aus seinen Reihen. Dann ginge eine jahrhunderte alte Rache Slytherins auf, und in der Welt gebe es nur seinem Ideal entsprechende Zauberer und Hexen, die noch mit einem eigenen Willen herumlaufen dürften", antwortete Professeur Faucon. Julius war etwas hoffnungsvoller geworden. Er bat ums Wort.

"Nachdem, was Sie mir jetzt erzählt haben wäre der Spuk in Hogwarts vorbei, wenn die Königin der Willenswickler getötet würde."

"So ist es. Aber ich bezweifel, daß Slytherin einen so augenfälligen Schwachpunkt in seinen Plänen außer Acht gelassen hat. Die Königin wird sicherlich von Zaubern und anderen Ungeheuern bewacht, um ihren Fortbestand zu sichern. Aber Grundsätzlich stimmt es schon."

"Für einen Idioten habe ich Slytherin auch nicht gehalten, Professeur Faucon", mußte Julius resignierend einräumen.

"Dies auf keinen Fall. Die Kammer des Schreckens bewies, daß er sehr weit vorausdachte und darauf gefaßt war, daß seine rassistischen Ansichten in Hogwarts keine Früchte tragen würden. Sie kennen sicherlich das Münzengleichnis, wonach Wahnsinn und Genie die beiden Seiten derselben Münze sind", sagte die Lehrerin. "Hinzu kommt noch die Vorstellung, eine gute Sache voranzubringen, und dann sind gute Absichten nicht die Pflastersteine auf dem Weg zur Hölle, sondern die Mauersteine für die Hölle auf Erden. Man verzeihe mir diese Metaphorik. Aber ich halte Sie, Monsieur Andrews, für intelligent genug, zu verstehen, was ich damit ausdrücken möchte." Julius nickte, ebenso Barbara. "Von Ihnen habe ich das grundsätzlich angenommen, Mademoiselle Lumière", fügte Professeur Faucon dann noch hinzu.

"Ja, aber die Frage ist doch jetzt, was dagegen gemacht werden kann? Brachte Julius die Besprechung wieder auf den wahren Grund zurück.

"Ich werde Madame Maxime über das unterrichten, was Sie mir gerade eröffnet haben. Ich werde die gemalten Personen in Beauxbatons nach Aurora Dawn suchen lassen, um eventuell noch mal den direkten Augenzeugenbericht zu bekommen. Außerdem werde ich Minister Grandchapeau informieren, sowie die Liga zur Abwehr der dunklen Kräfte. Allerdings bitte ich mir von Ihnen beiden strengste Verschwiegenheit aus, wie dieses Symbol", wobei sie auf die herabhängende Rose deutete, "sie untermauert. Heute findet das letzte Quidditchspiel der Saison statt. Danach ist die Pokalübergabe an Ihren Saal. Bewahren Sie genug Disziplin und innere Ruhe, sich und Ihren Kameraden diesen Tag so schön wie möglich zu machen! Sollte es im Verlaufe des Tages neue Nachrichten oder Beschlüsse geben, wird Madame Maxime Sie informieren. Ich moderiere ja heute nachmittag die Diskussion in der Aula. Falls Sie nicht anderweitige Weisung erhalten, Monsieur Andrews, sollten Sie dieser Diskussion auf jeden Fall beiwohnen! Ich bedanke mich für Ihren prompten Bericht, auch wenn das, was Sie zu berichten hatten, keine angenehme Sache ist, Monsieur Andrews. Sie dürfen nun gehen."

Barbara und Julius verließen schweigend das Sprechzimmer Professeur Faucons. Sie waren froh, daß sie unterwegs niemanden antrafen, der oder die sie gefragt hätte, wo sie denn gerade herkamen. Wie es die Sub-Rosa-Vereinbarung gebot verloren sie auch kein weiteres Wort mehr über die Besprechung. Stattdessen schlug Barbara vor, mindestens noch eine halbe Stunde zu trainieren. Julius fügte sich diesem Wunsch.

 

__________

 

Irgendwas stimmt hier nicht. Julius hatte Angst. Ich konnte es an seiner Ausstrahlung spüren, daß er sich sehr gefürchtet hat. Doch hier in meinem kleinen Wohnbau, aus dem ich vor der nächsten Dunkelheit nicht mehr rauskann, kann ich ihm nicht helfen. Was hat er nur, daß er hier so viel Angst kriegt?

 

__________

 

Der Wind des nahenden Sommers strich über die üppigen Beete voller Kräuter und Gemüsepflanzen. Obstbäume standen noch in voller Blüte. Bienen summten über die Gärten hinweg. Von hier aus betrachtet sah alles wie ein üblicher großer Garten in einem Land der gemäßigten Breiten aus, vielleicht England. Doch wer sich nach Osten wandte, konnte neben der Morgensonne noch ein riesiges viereckiges Fenster sehen, das vom Boden bis in den Himmel reichte und den gesamten Osten beherrschte. Im Westen lag ein Landhaus, aus dessen Schornsteinen weißer Rauch wölkte. Der Geruch frischen Brotes und gebratener Eier und Speck hing neben den würzigen Düften der Blüten in der Luft.

Unvermittelt flirrte ein zwei meter großer farbiger Ring im Nordosten, ganz oben. Er wuchs sich zu einer Röhre aus farbigem Licht aus und berührte für einen Sekundenbruchteil den Boden. Dann verschwand das Licht, und ein junges Mädchen in himmelblauer Kleidung mit weißem Kopftuch stand dort. Es lief über die kiesbestreuten Wege zum Haus und zog den goldenen Türklopfer in Form eines Einhornschädels. Dumpf polterte der Klopfer gegen das grün gestrichene Eichenholz der Tür. Pong! Pong! Pong! Nach dem dritten Pong tat sich die Tür auf, und eine Frau in einem langen dunkelroten Kleid trat heraus. Ihr langes schwarzes Haar war zerzaust, und ihre graublauen Augen verrieten Verärgerung.

"Belinda, Kind, was ficht dich an, daß du derart derb an meine Tür klopfst?" Fragte die Frau in Rot. Das Mädchen fiel auf die Knie und neigte kurz ihren Kopf. Dann sprach sie von unten her:

"Mylady, das Grauen ist erwacht. Ich traf bereits sieben Nachbarn von euch, die den Wurm der Unterwerfung trugen. Ich konnte einem buckligen Zwerg entrinnen, der mir eines dieser Ungeheuer anhaften wollte. Mylady, ich habe Angst."

"Dann stimmt es doch, daß der purblütige Wahnsinnige endlich wieder Knechte in unserem Haus fand, die seine Hinterlassenschaften finden und gebrauchen konnten. Nun, Jungfer Belinda. Ihr steht nach wie vor unter meinem Schutz. Keiner dieser grünen Teufelswürmer wird dicch oder eure zwei Schwestern heimsuchen. Wo sind Adora und Cara?"

"Sie verstecken sich im Bild von Sir Cadogan. Der verrückte Ritter scheint im Moment der einzige zu sein, den die grünen Würmer nicht erreichen können. Er bleibt mit geschlossenem Visier und hält sein Schwert bereit", sagte Belinda.

"Das ist Unfug, sich der Sicherheit dieses Cretins zu versichern. Er ist ein schlechter Kämpfer und ein noch schlechterer Menschenkenner. Alles wonach ihm verlangt ist lächerliches Schwertgefuchtel. Ich werde sie holen und in meinem Haus beschirmen. Komm erst einmal herein!" Verlangte die Frau in Rot und ließ das junge Mädchen eintreten. Drinnen holte die Bewohnerin vier rosiggoldene Metallketten aus einem geheimen Gelas, in das nur sie hineinkonnte.

"Es wird Zeit, uns zu wappnen", stellte die in Rot gekleidete Fest und hängte sich die erste der vier Ketten um. Dann hängte sie Belinda die zweite um.

"Orichalk, das Himmelserz?" Fragte Belinda ehrfürchtig mit den Fingern der linken Hand über die Kette streichend.

"So ist es, Jungfer. Mir und Meister Kallergosist es vergönnt, Schmuck der alten Götter zu haben. Kallergos kann ja das Himmelserz selbst anfertigen. Es duldet keine Magie, die den Körper oder Geist des Trägers heimsucht. Die Würmer Slytherins werden dir nun nichts mehr anhaben können, solange du diese Kette trägst, die nur ich dir wieder abnehmen kann."

"Habt Dank, Mylady Medea", sagte Belinda unterwürfig und küßte den Saum des roten Kleides. Zusammen gingen sie aus dem Haus und traten durch eine unsichtbare Pforte hinaus aus dem Garten, hinein in einen farbigen Tunnel wie aus metallischem Kristall. Mehrere Schritte vorwärts, dann knickte der Gang nach unten. Sie stießen gegen eine watteweiche unsichtbare Wand und standen keine halbe Sekunde später in einer Waldlandschaft. Lady Medea griff mit den Händen nach oben und schien etwas anzustoßen. Sie flog nach oben durch den Morgenhimmel. Belinda folgte ihr in den nächsten farbigen Tunnel. So ging es durch verschiedene Landschaften und Stadtteile, die nur eines gemeinsam hatten, eine riesige, eine ganze Richtung beherrschende Fensteröffnung. Jenseits davon liefen gerade zwei Mädchen mit kastanienbraunen Haaren. Ihre Köpfe waren riesenhaft aber eben nur als Köpfe zu erkennen. Dann verschwanden sie wieder.

Bald erreichten Lady Medea und Belinda eine Wiese, wo ein graues Pony graste und ein Ritter in schwerer Rüstung mit viel zu langem Schwert auf sie zuschepperte.

"Die Damen rastet hier. Jedwede Gefahr werde ich in ihre Schranken weisen, auf daß ihr gut behütet bleibet", tönte der Ritter durch das geschlossene Helmvisier.

"Wenn Ihr mir lästig fallt, Sir Cadogan, wird es mir ein leichtes Stück sein, Euch und Euer kümmerliches Reittier hinwegzufegen. Vorerst frage ich euch, wo die beiden Jungfrauen Adora und Cara sich befinden", sagte Lady Medea sehr laut und machtbewußt. Zwei junge Mädchen, eine in hellgrün mit rotem Kopftuch und eines in violetter Kleidung mit gelbem Kopftuch erhoben sich von der Wiese. Lady Medea schritt schnell und stolz auf sie zu und sprach kurz mit ihnen. Dann hängte sie den beiden die verbliebenen Orichalkketten um. Kaum hatte sie das getan, tauchte hinter dem Ritter ein kleiner Mann mit einem großen Buckel auf und grinste teuflisch. Er hielt in den Händen ein etwa einen halben Meter langes grünes Etwas, das leicht zitterte und sich wand.

"Mit besten Empfehlungen von Magister Slytherin", lachte der Zwerg, als er Cadogan einfach das grüne Ding unter den Helm schob und sah, wie es sich darunter entlangschlängelte, bis Cadogan nach einem kurzen erschrockenen Schrei taumelte und beinahe in sein Schwert stürzte.

"Oh, die große Medea selbst ist zugegen", sagte der Zwerg. Dann will ich euch nicht warten lassen und euch die Gabe des Magisters darbringen."

"Zwerg, wer immer er ist, der Reinblütigkeitsbesessene wird weder an meinen noch eines von mir beschirmten Geist seine Maden nähren. Was will Slytherins erstes Selbst?"

"Oh, das werdet Ihr wissen, sobald seine Gabe euren noblen Hals verziert", lachte der Zwerg und warf das lange grüne Geschöpf. Lady Medea stand ruhig da, während Belinda und das Mädchen mit dem gelben Kopftuch erschrocken schrien. Doch als der fadendünne Wurm den Hals Medeas berührte, schleuderte ihn eine unsichtbare gewalt so heftig davon, daß er durch einen unsichtbaren Ausgang aus Cadogans Wiesenlandschaft verschwand.

"Vermaledeit seid Ihr, Lady Medea", fluchte der Zwerg und rannte vor, um zu sehen, wieso sein Geschöpf ihr nichts hatte anhaben können.

Er berührte die Kette und flog unter einem grellen goldenen Blitz und einem Donnerschlag zurück. Vor Schmerz und Schrecken schrie er schrill auf.

"Hat er denn wirklich gehofft, mir beikommen zu können?!" Rief Lady Medea sehr erheitert. "Knecht Salazars, höer! Künde deinem Meister, daß meine Schwestern und ich ihm nie Gefolgschaft zollen werden. Fahre er hin und künde er ihm das!"

Der Zwerg schäumte vor Wut. Er sprang vor und wollte Belinda angreifen. Dabei berührte er deren Halskette. Das Ergebnis war dasselbe wie bei Lady Medea. Goldener Blitz, Donnerschlag und eine ihn zurückschleudernde Kraft. Heulend vor Wut und Schmerz sprang der Zwerg auf und rannte davon. Schwupp, verschwand er aus Cadogans Wiesenlandschaft.

"Obacht, Mylady!" Rief Adora, die mit dem roten Kopftuch. Lady Medea sah Cadogan auf sie zukommen und sein Schwert schwingen.

"Ihr wißt, Ritter Prahlhans, daß Ihr mir nicht den tödlichen Schlag versetzen dürft. Aber möglicherweise ertränkt Salazars Brut euren Verstand zu arg. Expelliarmus!"

Das Schwert flog Cadogan aus der Hand und schleifte am Boden entlang. Cadogan selbst polterte scheppernd zu Boden.

"Jungfern, es drängt mich, euch in meine Obhut zu verbringen", sagte die rotgekleidete Hexenlady und winkte den drei Mädchen zu, die ihre magischen Orichalkketten trugen. Cadogan stand auf. Der grüne Wurm um seinen Hals übermittelte ihm, sein Schwert zu nehmen und auf neue Anweisungen zu warten. Langsam tat der Ritter, was ihm befohlen wurde.

 

__________

 

"Zum krönenden Abschluß kriegen wir heute die Galavorstellung der gelben Kreativität gegen die violette Beharrlichkeit. Sicher, der Pokal ist vergeben, Messieursdames et Mesdemoiselles. Aber das heißt nicht, daß dies ein langweiliges Spiel sein wird. Und da geht auch schon Suzanne Didier mit vollem Einsatz auf Torhüter Midi los, öhm, verliert den Quaffel wegen Klatschereinsatzes und muß zurück, weil Saal Gelb die rote Kugel sicher hat", kommentierte Ferdinand Brassu aus dem violetten Saal das letzte Saisonspiel. Für die beiden Mannschaften ging es wirklich um nichts mehr. Dennoch wollten gerade die, die das letzte Jahr hier waren, so gut wie möglich das Turnier beenden. So dauerte es tatsächlich eine volle Stunde, während der erstklassige Technik vorgeführt wurde, bis Maurice Dujardin durch ein mit seinen Mannschaftskollegen eingefädeltes Ablenkungsmanöver den Sucher der Violetten austrickste und sich den Schnatz holte. Zwar kamen die Gelben dadurch nur auf zehn Punkte an die violette Mannschaft heran, doch diese 150 Punkte Schub ließ die Gelben nicht so schlecht dastehen. Mit dem Schlußpfiff von Professeur Dedalus endete auch die Saison des laufenden Schuljahres. Heftiger Applaus brandete von allen Reihen auf. Gelb und Violett hatten noch mal ein schönes Spiel gezeigt, das anzusehen sich gelohnt hatte. Julius, der links von Barbara saß, konnte zwei kleine Tränen sehen, die aus den Augen der Saalsprecherin kullerten. Er hatte sich nie so recht gefragt, was Quidditch für diese sowohl kräftige als auch willensstarke junge Hexe bedeutete. Für sie war vor zwei Wochen das letzte Spiel gelaufen. Sie hatten es durch eine gute Schlag-zu-und-hau-ab-Strategie und Agnes' Schnatzfang gewonnen, aber damit war für Jeanne, Yves und Barbara auch das Quidditch in Beauxbatons zu Ende. Falls sie nicht den UTZ vermasselten, womit keiner rechnete, würden sie hier kein Quidditch mehr spielen und sehen, ob und wo sie spielen konnten. Da sie beide ihre Freunde auf die Besen geholt hatten war das fraglich, denn laut der alten Tradition mußte zwei Monate nach der Bräutigamwerbung auf dem Besen Hochzeit gefeiert werden, also knapp nach dem Schuljahresende.

"Sehr geehrte Lehrerinnen und Lehrer, liebe Mitschülerinnen und Mitschüler. Erheben Sie sich nun bitte zur feierlichen Überreichung des diesjährigen Schulquidditchpokals durch unsere Direktrice, Madame Olympe Maxime!" Forderte Ferdinand Brassu. Hunderte von Zauberstäben streckten sich zum Himmel hoch und feuerten goldene und grüne Funken. Die Anhänger der Grünen sangen laut: "Grün so grün ist unser Saal, und für Grün ist der Pokal."

"Komm, Julius, es wird Zeit, daß du mal was für deine Arbeit bekommst", sagte Jeanne und verdrückte sich ein Tränchen. Auch ihr mußte das Schulquidditch sehr gefallen haben. Es war zwar schon gesichert, daß Virginie nicht nur Barbaras Nachfolgerin als Saalsprecherin wurde, sondern auch Jeannes Nachfolgerin als Kapitänin der grünen Mannschaft. Sie hatten zwar noch immer keinen neuen Hüter, aber das konnte man ja auch im nächsten Jahr klären.

Madame Maxime ordnete an, daß das Schullied gesungen wurde. Aus unsichtbarer Quelle schmetterte eine Fanfare über die Tribünen. Dann sangen alle ohne Instrumente das Lied "Bienvenu dans Beauxbatons", unter dessen Klängen die Mannschaft des grünen Saales auf das Quidditchfeld hinunterging, wo die beiden Mannschaften des letzten Spieles noch warteten. Madame Maxime stieg erhaben von der Ehrenloge hinunter und übernahm von Schuldiener Bertillon den etwa einen halben Meter hohen Silberpokal, auf dem das Wappen von Beauxbatons prangte. Wie mit einem unsichtbaren Laserstrahl eingeschweißt formte sich der Schriftzug: "ERFOLGREICHSTE QUIDDITCHMANNSCHAFT DES SCHULJAHRES 1995 / 1996: SAAL GRÜN!"

"Jetzt sind sie da unten, auf dem Feld des Ruhmes und der Schmach", begleitete Ferdinand Brassu den Zug der grünen Mannschaft. Unten auf dem Feld gratulierten Professeur Faucon und Professeur Dedalus noch mal der Mannschaft, während Ferdinand sich in Erinnerungen an die nun beendete Saison verlor. Dann kamen sie am Podest an, wo Madame Maxime stand und den Pokal hielt. Sie winkte ihnen zu und deutete nach oben.

"Und hier, Mesdames, Messieurs et Mesdemoiselles, kommt die zweitplatzierte Mannschaft der Saison, Saal Rot!"

Unter Applaus und roten Funken kamen die Spieler und Spielerinnen des roten Saales herunter und stiegen zum Podest hinauf. Dort bekamen sie je eine kleine Silbermedaille, während Brassu schon verkündete, daß Brunhilde Heidenreich die neue Kapitänin sein würde. Nach zwei Minuten Warten durften endlich die Sieger der Saison nach oben. Jeanne berührte den Pokal, den zweiten, den sie mit der Mannschaft geholt hatte. Sofort trötete eine neue Fanfare durch das Stadion, und schillernde Funkenwirbel schossen aus dem Podest. Dann hob Jeanne den Pokal an. Julius sah, das er mit Schaumwein gefüllt war. Er fragte sich, ob es so gut war, wenn Hercules und er so heftigen Alkohol trinken sollten. Jeanne nahm den ersten Schluck aus dem schweren Silberpokal. Dann reichte sie das gute Stück an Barbara Lumière weiter, während Ferdinand Brassu verkündete, daß die beiden Hexen doch noch einen Pokal geschafft hätten, als krönenden Abschluß. Er erging sich sogar in Vermutungen, daß Violett den Pokal im nächsten Jahr holen würde.

Professeur Faucon hängte jedem Spieler eine Goldmedaille um. Als Der Pokal von Hand zu Hand bis Julius Andrews gewandert war, sagte die Saalvorsteherin:

"Sie dürfen ruhig davon kosten, Monsieur Andrews. Guten Champagner kriegen Sie nicht so häufig dargeboten."

Julius nahm die massiven Henkel des Pokals fest in die Hände und setzte kurz an. Ferdinand Brassu meinte:

"Tja, der Bursche hat was in den Armen, Leute. Und Schluck und Schluck und weg!"

Julius trank vorsichtig von dem prickelnden Getränk. Sein Fall war es zwar nicht. Aber die Show mußte schließlich ordentlich über die Bühne. Dabei kam ihm der irrsinnige Gedanke, daß das hier vielleicht der letzte schöne Moment in seinem Leben sein konnte. Was, wenn das mit diesen Würmern überhand nahm, bevor man was dagegen hätte tun können.

"Vortreten zur persönlichen Gratulation", zischte Agnes Collier, die Sucherin und schob Julius vorsichtig vorwärts. Der Pokal war inzwischen bei Hercules Moulin angekommen. Julius trat vor und sah zu der Halbriesin hoch, die ihre rechte Hand, die dreimal so groß wie seine eigene sein mochte, ausstreckte und Julius' Hand sanft ergriff und schüttelte.

"Herzlichen Glückwunsch zum Erfolg in dieser Saison. Schön, daß Sie sich so gut eingebracht haben", sagte die Schulleiterin. Julius bedankte sich artig und verbeugte sich. Als er auf der anderen Seite des Podestes herunterkletterte, sah er die Montferre-Mädchen, die gerade Jeanne hochhoben und an Bruno und Brunhilde weiterreichten. Dann griffen Sie Barbara und wuchteten sie hoch.

"O nein, das läuft hier nicht", dachte Julius und wollte schon einen dezenten Abgang proben, als die Montferres ihn ansahen und auf ihn zuliefen.

"Eins, zwei, hopp!" Julius verlor den Boden unter den Füßen und hing eine Sekunde über Sabines Schulter, bis die Montferres ihn bei Bruno und Brunhilde ablieferten, die ihn dann weiterreichten an Hannibal und César. Julius spannte sich so an, daß er nicht wie ein nasser Sack in der Luft hing. Unter Johlen und Klatschen wechselte er bis zum letzten Ersatzspieler der roten Mannschaft. Dann durfte er wieder auf die Beine kommen, nur um von Claire, Céline, Laurentine und Jasmine umarmt zu werden. Dann kamen auch Caro, Millie und Bernadette, wobei Bernadette zielgenau auf Hercules zustürzte.

"Na also, da isser ja", lachte Martine Latierre, die hinter den jüngeren Mädchen herangekommen war. Ihr folgte Francine Delourdes, sowie Nicole L'eauvite zusammen mit Seraphine und Belle. Julius wurde von einer Umarmung zur nächsten gereicht, bis er bei Belle Grandchapeau ankam.

"Ich freue mich, dich dein erstes Mal auf dem Pokaltreppchen gesehen zu haben. Vielleicht kommst du ja noch einmal in den Genuß, dieses edle Stück Silber zu küssen. Alles Gute für die Zukunft, nicht nur im Quidditch!" Sie drückte Julius zwei sachte Küsse auf jede Wange und gab ihn dann frei.

Nach einer Ewigkeit, wie es schien, konnte Julius endlich wieder frei atmen. Er sah sich um und warf einen Blick hinauf zur Tribüne. Er vermeinte, in der Ehrenloge einen großen hageren Mann mit hellem silbrigweißem Haar zu sehen, der ihn anstrahlte und ihm durch im Sonnenlicht glitzernde Brillengläser zuzwinkerte. Doch Julius war sich nicht sicher, ob er den großen Mann wirklich gesehen hatte oder es sich nur einbildete. Ja, es konnte doch nur eine Einbildung sein. Denn was sollte er ausgerechnet jetzt ausgerechnet hier?

 

"Bernadette führt Hercules hoch, Gustav ist von Barbara gefunden worden und Jeanne ist gleich bei Bruno geblieben. Also gehen wir beide auch zusammen hoch", bestimmte Claire Dusoleil einfach. Julius war viel zu froh, um sich jetzt auf einen Zank mit seiner Freundin einzulassen. So folgte er den anderen Paaren zum Portal des weißen Palastes von Beauxbatons. Unterwegs fragte Claire leise:

 

"Hast du auch einen großen Mann mit silbernen Haaren und dieser Brille gesehen, Julius? Der war für eine Sekunde sichtbar und ist dann wieder verschwunden."

"Du hast den auch gesehen?" Fragte Julius verwirrt. Claire nickte.

"Dann ist er wirklich hier. Er hat sich nur gezeigt, um mich direkt anzusehen, Claire. Danach war er wieder weg. Aber das erzähl bitte keinem, der ihn nicht gesehen hat."

"Wieso, Julius. Wer war denn das?"

"Jemand ganz wichtiges, Claire", sagte Julius geheimnisvoll.

"Irgendwie kam der mir auch bekannt vor. Aber wenn du mir nicht sagen willst, wer das war, dann bitte. ... Moment, das kann doch nicht sein", erwiderte Claire. Julius zuckte zusammen. Claire sah ihn an und meinte:

"Dann ist er also hier untergekommen. Dabei hieß es doch, der wäre immer noch in England."

"Ich hoffe, er ist nur wegen der Siegerehrung hier, Claire. Ich denke nicht, daß es für Beauxbatons' Ruf gut ist, wenn er sich offen hier zeigt, solange er in England noch gejagt wird."

"In Ordnung, Julius! Ich verrate nichts. Wahrscheinlich ist er auch nur für wenige Minuten hier gewesen, um sich mit Madame Maxime zu unterhalten. Vielleicht kam er aber auch wegen Maya Unittamo. Die saß ja auch die ganze Zeit da oben", meinte Claire.

 

Besagte Maya Unittamo eilte vom Portal her heran und beglückwünschte die Quidditchmannschaften. Julius fragte sich, wie sie so schnell von der Tribüne zum Portal gewechselt sein konnte, wo Apparition in Beauxbatons nicht funktionierte.

"Das Spiel hat sich gelohnt", sagte die Verwandlungslehrerin zu Julius und Claire. "Ich habe selten so ausgeklügelte Techniker gesehen wie die von den Gelben. Die Violetten waren ja offenbar nur auf schnelle Tore aus."

"Ja, das stimmt", sagte Julius. Er wollte die amerikanische Verwandlungsexpertin nicht fragen, ob sie tatsächlich auch jemanden getroffen hatte, der wie sie aus dem Ausland kam.

Im Palast gab es Mittagessen. Alle waren in heiterer Stimmung. Die Gelben hatten noch mal einen Schnatzfang hingelegt, die Violetten waren mit nicht ganz so wenigen Punkten herausgekommen, und Rot und Grün feierten sich gegenseitig. Zwar waren sie Erzrivalen, aber faire Sportsleute. Anders als die Blauen, die zwischendurch sangen:

"Nächstes Jahr sieht Grün schwarz. Nächstes Jahr sieht Grün schwarz."

"Oder ihr erlebt euer blaues Wunder", knurrte Hercules Moulin. Julius riet ihm, nicht hinzuhören.

"Die ärgern sich doch nur, weil die bei ihrem Rambockspiel über ihre eigenen Besen geflogen sind und wir uns die zweihundertzehn nötigen Punkte abgeholt haben. Das kommt im Fußball auch vor, wenn ein Verein alles versiebt hat und die Fans davon über die anderen Vereine herziehen."

"Mag sein, Julius, aber diese Großschnauzen da hinten am blauen Tisch haben's echt nicht nötig, dumm über uns abzulästern."

"Es sind ja nicht alle von denen, Hercules. Nur die Mistrals und Rossignols mit ihren Kumpels", beruhigte Julius Hercules.

Nach dem Essen erklärte Madame Maxime noch mal, wo die Diskussion mit Maya Unittamo stattfinden würde und nur Schülerinnen und Schüler der ersten vier Klassen dort zugelassen waren.

Barbara Lumière wurde von Professeur Faucon aufgesucht. Offenbar war etwas saalsprecherwichtiges zu erledigen. Barbara stand auf und folgte der Lehrerin. Julius erhob sich nach dem Essen auch und verließ mit seinen neuen Schulfreunden den Speisesaal.

Als Julius sich umzog, um mit den anderen zur Aula zu gehen, trat Aurora Dawns gemaltes Ich an seinen Platz über Julius' Bett. Sie sah sich um, entdeckte keinen anderen und sagte nur:

"Diese Barbara wartet am Bild mit dem Königspaar auf dich, Julius. Offenbar will Madame Maxime euch sprechen."

"Wo warst du denn nach deinem Besuch diese Nacht?" Fragte Julius.

"In Sydney, bei den Eltern meines natürlichen Ichs und in Hogwarts. Es ist da immer schlimmer geworden. Außer den Türstehern und den Quidditchmannschaften gibt es nur noch wenige freie Leute in den Bildern. Ich fürchte, die alten Schulleiter könnten auch noch befallen werden. Ich soll bei Madame Maxime im Sprechzimmer sein, wenn Barbara und du dort eintrefft. Also dann, Julius", sagte Aurora Dawn wehmütig, als verabschiedete sie sich für immer von Julius. Dieser nickte ihr zu und ging hinunter in den grünen Saal. Claire winkte ihm zu. Julius sagte nur schnell:

"'tschuldigung, Claire, aber Professeur Faucon hat gesagt, daß ich nicht gleich zur Diskussionsrunde kommen soll, damit ihr mit unserem Gast über die üblichen Verwandlungsstunden sprechen könnt."

"Wie sie meint", knurrte Claire, die sicher gerne mit ihm zusammen in die Aula gegangen wäre, um allen zu zeigen, daß sie zueinandergehörten.

Julius schlüpfte durch die Wand direkt zum Stockwerk hinauf, wo das Bild mit dem König und der Königin hing, durch das man direkt in Madame Maximes Reich gelangen konnte. Barbara wartete schon.

"Gut, daß du sofort gekommen bist. Madame Maxime will dich alleine sprechen. Ich soll dich nur durch das Tor bringen."

"Wieso will die nur mit mir reden und nicht mit der ganzen Gruppe?" Flüsterte Julius.

"Weiß ich nicht, Julius. Stell dich an das Bild! Halt dir solange die Ohren zu, bis ich das Passwort gesagt habe!"

Julius befolgte brav die Anweisung. Als Barbara ihm dann zunickte, ging er vor und streckte eine Hand nach der des Königs aus, während Barbara die Hand der Königin berührte. Sogleich wurden beide hinübergezogen in den Strudel aus Farben und Lichtern. Wenige Sekunden später flogen sie über die große Wiesenlandschaft unter der Frühlingssonne hinweg und fielen aus einer verträglichen Höhe auf einen Teppich.

Julius blickte sich noch mal um. Die Instrumente im sechseckigen Empfangsraum der Schulleiterin tickten und surrten wie eh und jeh. Die Statuen der sechs Gründer standen still und unbeweglich auf ihrer Brüstung über zwei Meter über dem Boden.

Julius folgte Barbara zum Sprechzimmer Madame Maximes. Dort ließ sie ihn alleine an die Tür treten und anklopfen. Die Schulleiterin rief "Herein!"

Julius öffnete die Tür und trat schüchtern in das geräumige Zimmer. Barbara schloss die Tür hinter ihm wieder. Er sah sofort, daß außer Madame Maxime noch zwei Leute da waren. Außerdem fiel ihm Aurora Dawns gemaltes Vollportrait auf, das in einem Bild mit drei altehrwürdigen Hexen auf einem Stuhl saß.

Julius wankte. Was war hier los? Da saß Madame Maxime. Über ihr am großen Leuchter baumelte die langstielige Rose. Madame Maxime zur rechten saß Armand Grandchapeau, der französische Zaubereiminister. Seinen schwarzen Zylinder hatte er neben sich auf einen freien Stuhl gelegt. Links von Madame Maxime Saß ein großer hagerer Mann in einem dunkelblauen Umhang. Sein silbernes Haar reichte wie sein gleichfalls silberner Bart bis zu seinem Gürtel. Er wandte sich Julius zu und zwinkerte ihm mit stahlblauen Augen durch zwei halbmondförmige Brillengläser zu.

"Hallo, Julius! Schön, dich in so guter Verfassung anzutreffen", begrüßte der Besucher den Drittklässler. "Ich habe dir heute mittag bei der Siegerehrung zugesehen und freue mich, daß du hier einen guten Einstieg gefunden hast. Es ist bedauerlich, daß der Grund für mein Hiersein kein angenehmer ist, aber immerhin ist es gut, daß überhaupt jemand davon weiß, dem ich vertrauen kann." Er blinzelte Madame Maxime schalkhaft zu, die leicht errötete.

"Nach Ihrer - strategischen Absetzbewegung aus Hogwarts waren wir uns nicht sicher, ob Sie jemals irgendwo auftauchen, Professor Dumbledore", erwiderte Julius schüchtern und grüßte seinen früheren Schulleiter ordentlich. Dann gebot ihm Madame Maxime, sich hinzusetzen. Er nahm ihr gegenüber platz.

"Zunächst weise ich noch mal auf die Rose dort oben hin", sagte die Schulleiterin und deutete auf die hängende Rose. "Das hier besprochene und beschlossene bleibt also einstweilen in diesem Raum, wobei ich mir vorbehalte, Professeur Faucon noch zu informieren. Doch sie ist ja gerade in der Aula."

"Das ist äußerst bedauerlich, daß ich nicht gleichfalls dort anwesend sein kann. Aber offiziell bin ich ja nicht hier", wandte Dumbledore ein. Madame Maxime deutete auf Aurora Dawns Bild-Ich und erklärte:

"Diese Nacht kam jene portraitierte Mademoiselle aus Hogwarts herüber und berichtete Monsieur Andrews, daß es in Ihrer Lehranstalt zu einer höchst alarmierenden Unregelmäßigkeit gekommen sei, Dumblydor. Zunächst erschien unserem jungen Schüler diese Geschichte sehr abenteuerlich. Doch wir fanden heraus, daß es tatsächlich angehen konnte. Offenbar muß irgendwas oder irgendwer ein altes Bild oder eine ganze Galerie von Bildern frei verfügbar aufgehangen haben, die aus der Werkstatt und dem Besitz von Salazar Slyserin stammen und außerordentlich bösartige Kreaturen beinhaltet. Es handelt sich dabei um die parasitären grünen Willenswickler-Würmer, die den Geist vernunftbegabter Wesen unterjochen können. Eine kurze aber gründliche Nachforschung meiner Kollegin Professeur Faucon ergab, daß Slyserin von dieser Art dunkler Kreaturen gewußt haben dürfte, um sie von eigener Hand auf ein gemaltes Bild zu übertragen. Sicher ist, daß wenn diese Parasiten sich in Hogwarts ausbreiten, können sie in nicht allzu ferner Zeit wichtige Knotenpunkte unserer Welt befallen und damit die Grundlage für ein Netzwerk wider unsere humane Ordnung bilden. Außerdem muß die Gefahr bedacht werden, daß das Wissen um die Schöpfung solcher Kreaturen auch in die natürliche Welt hinübergebracht werden kann. Geschieht dies, ist es zu spät, um noch schnelle Schritte dagegen zu unternehmen. Somit stehen wir vor einer schweren und gefährlichen Situation. Ich informierte unseren Zaubereiminister. Sie, Professor Dumblydor, wurden ja von ihren Kontakten in England informiert, die wohl auch Zugang zu gemalten Personen haben. Sie erwähnten in diesem Zusammenhang auch, daß Sie ungefähr wüßten, was dort in Hogwarts vor sich geht. Bitte erklären Sie uns, was Sie erklären möchten!"

"Nun", setzte Dumbledore an und zupfte sich den Bart zurecht, "Es wird seit der Gründung von Hogwarts gemunkelt, daß der Mitgründer Salazar Slytherin mehrere Vorkehrungen getroffen hat, um seine Ansichten von einer nur reinblütigen Zauberern vorbehaltenen Schule durchzusetzen. Er baute die Kammer des Schreckens, in der er einen Basilisken unterbrachte, der auf seinen Ruf hin alle die töten sollte, die seinen Vorstellungen nicht entsprachen. Er mußte jedoch zu früh verschwinden, ohne die Kammer zu öffnen. Dies blieb jemanden anderem vorbehalten. Außer der Kammer des Schreckens soll er jedoch mindestens noch in einem nur für Leute seiner Wunschvorstellungen zugänglichen Kerker einen Schatz hinterlassen haben, der helfen soll, Hogwarts von allen mischblütigen und muggelstämmigen Hexen und Zauberern freizuräumen, wenn sie die Zeit für günstig hielten. Ich persönlich habe jahre lang nach diesem Unterschlupf gesucht. Aber irgendwann mußte ich mich mit dem Gedanken anfreunden, daß es sich nur um eine Drohlegende von Slytherin-Anhängern handelte. Hier muß ich mich wohl gründlich geirrt haben. Die Vermutungen, denen ich nachspürte, gingen davon aus, daß Slytherin mehrere Bücher oder Bilder geschaffen hat, die sein dunkles Wissen bargen und für den, der sich ihrer würdig erweist zur Verfügung stellen. Nun, und zu diesem dunklen Wissen gehörten auch Kenntnisse der Zoonekromantik, der Zauberkunde, aus mehreren toten Lebewesen eine magische Kreuzung zu züchten. Außerdem war Slytherin ein sehr versierter Kenner der Golemfertigung. Ich gehe davon aus, daß du von diesen künstlichen Wesen schon gehört hast, Julius." Der angesprochene nickte heftig. "Natürlich war er auch in Flüchen überragend. Ein Gerücht besagte, daß er ein Selbstportrait mit Farben gemalt hat, in denen sein eigenes Blut verrührt war, um so seine wahre Seele auf das Gemälde zu übertragen. Er war zu seiner Zeit einer der mächtigsten Zauberer. Doch irgendwann verfiel er dem Größenwahn und der Vorstellung, nur reinblütige Zauberer dürften in Hogwarts oder anderswo die Handhabung der Magie erlernen. Nur mit vereinten Kräften gelang es den drei übrigen Gründern von Hogwarts, ihn zu überwinden und ihn aus Hogwarts zu vertreiben. Doch wenn er dies vorhergeahnt hat, so könnte neben der Kammer des Schreckens ein weiteres dunkles Geheimnis existieren. Nun, aus den Vermutungen ist nun grausame Wirklichkeit geworden. Denn bei den Berichten der portraitierten Aurora Dawn handelt es sich wohl doch um einen Beweis für die Existenz des dunklen Schatzes. Genaueres weiß ich nicht, ob es wirklich ein Bild oder mehrere Bilder gibt, die Slytherin gemalt und bereitgelegt hat. Sicher ist für mich nur, daß meine - wie nanntest du es, Julius? - strategische Absetzbewegung einigen Leuten merkwürdige Ideen eingegeben hat, die Zeit der Rache sei nun wieder günstig, nachdem die Kammer des Schreckens vor drei Jahren endgültig unwirksam gemacht werden konnte. Gegen einen Angriff durch die gemalten Welten haben wir wenig aufzubieten. Solange wir nicht wissen, wo in Hogwarts die betreffenden Bilder hängen, können wir sie nicht zerstören. Außerdem wissen wir nicht, wieviele Bilder es sind. Es steht nur fest, daß das Gemälde mit der Brutstätte der Willenswickler in jenem verborgenen Kerker hängen muß, den nur die Slytherin und seinen Nacheiferern folgsamen und reinblütigen Leute öffnen können. So bedauerlich es ist, es kommen für diese Tat nur Schüler in Frage. Jedoch möchte ich mich nicht auf Verdächtigungen einlassen. Die Gefahr, die von diesen Toren heraufbeschworen wurde, ist zu groß, um ignoriert zu werden. Es ist schon schlimm genug, daß die Bewohner von Hogwarts im Moment einander argwöhnisch belauern. Wenn es nur um Hogwarts gegangen wäre, wäre ich nicht übereilt abgereist, Julius", sagte der zurzeit abgesetzte Schulleiter von Hogwarts, weil Julius ihn vorwurfsvoll ansah. "Es gilt für mich, größere Gefahren zu bannen, bevor sie zum Verlust unschuldiger Leben führen. Aber glaube mir, Julius, daß ich sofort in Hogwarts bin, wenn man mich dort braucht und auch will. Ich sehe die Amtszeit von Professor Umbridge als eine bedauerliche Episode, von der ich jedoch nicht weiß, zu welchen Folgen sie führen wird. Die jetzt aufgetauchte Gefahr übertrifft jedoch meine bisherigen Vermutungen. Deshalb wollten wir von dir und von Aurora noch mal alles hören, was sich dort zugetragen hat."

Aurora Dawn und Julius berichteten abwechselnd, was in Hogwarts passierte. Aurora vermutete, daß es am Ende wenigstens fünf Personen geben würde, die nicht befallen würden, die vier Gründer, von denen der gemalte Slytherin eine entkräftete Neuauflage eines früheren Portraits war, sowie Lady Medea von Rainbowlawn, deren Gemälde ja seit 1492 in Hogwarts hinge. Julius meinte nach seinem Bericht:

"Sie dürfen natürlich keinen verdächtigen, Professor Dumbledore. Aber mir fallen als Leute, die keine Probleme mit Slytherin-Hinterlassenschaften haben nur drei Leute ein, von denen zwei eher Nachläufer sind. Natürlich käme jeder Schüler in Frage, dessen Elternteile im Klitterer-Artikel nach Valentin als Todesser bezeichnet wurden. Denn, soviel haben Sie ja wohl auch schon rausgekriegt, wie man an diese Hinterlassenschaften rankommt, konnte nur ein mächtiger Schwarzer Magier wissen. Da fällt mir für England nur Lord Voldemort ein."

Minister Grandchapeau, Madame Maxime und die gemalte Aurora Dawn schraken heftig zusammen. Dumbledore jedoch blieb ruhig und nickte Julius zu, weiterzuerzählen.

"Wie ich sagte kommen drei Leute sehr in Frage. Denn bei dem einen bin ich mir sicher, daß er gerne seines Vaters Platz bei den Todessern einnehmen möchte. Die anderen beiden sind Mitläufer, die tun, was man ihnen sagt."

Dumbledore nickte kurz, räusperte sich und sagte:

"Ja, aber das Problem ist, denen zu beweisen, was sie angerichtet haben. Das eben wird so oder so nicht gelingen. Also kann niemand die drei, deren Namen mir natürlich jetzt klar sind, belangen. Deshalb, Julius, wollte ich keinen Verdacht äußern, weil es eben unwahrscheinlich ist, denen etwas nachzuweisen", sagte Dumbledore. Madame Maxime fuhr nun dazwischen:

"Aber wir verlieren uns in Gerede. Was wir wissen wollten, wissen wir nun von Ihnen, Monsieur Andrews. Das weitere möchten wir drei gerne allein besprechen."

Julius nickte und stand auf. Doch als er stand meinte die Schulleiterin noch:

"Bitte händigen Sie uns für kurze Zeit Ihre Centinimus-Bibliothek aus, die Sie mit sich führen, wenn ich richtig orientiert bin!"

"Wozu?" Wagte Julius eine Frage. Madame Maxime sah ihn durchdringend an.

"Werden Sie wohl gehorchen, Monsieur Andrews?! Möchten Sie mich hier blamieren? Gewiss nicht! Also übergeben Sie mir jenen praktischen Bücherschrank!"

Julius holte den Centinimus-Bücherschrank hervor und gab ihn Madame Maxime. Jetzt hatte er keine Bücher mehr, wenn er dieses kleine praktische Zauberding nicht mehr wiederbekam. Eine Handbewegung Madame Maximes wies ihm die Tür. Er verabschiedete sich von Professor Dumbledore und Minister Grandchapeau und verließ das Sprechzimmer. Er ging durch den hufeisenförmigen Korridor zurück zum Empfangsraum.

Niemand war hier außer den Statuen. Offenbar hatte man Barbara fortgeschickt, nachdem sie ihn hier abgeliefert hatte. Aber wenn er nun gehen sollte, wie konnte er hier heraus? Ging es einfach, daß er das Wiesenbild berührte? Dann lauschte er. Er hörte nichts von den anderen. Das lag daran, daß das Sprechzimmer ein permanenter Klangkerker war. Doch vielleicht konnte man den doch austricksen. Er prüfte mit seinem Zauberstab, ob zwischen ihm und der Tür zum Sprechzimmer Spür- oder Sperrzauber lagen. Doch nichts dergleichen war da. Er griff zu seinem Practicus-Brustbeutel und zog etwas heraus, das wie eine Rolle hauchdünnen fleischfarbenen Garns aussah. Seit den Osterferien hatte er sie doch ständig mitgenommen, die Langziehohren aus dem Hause Weasleys Zauberhafte Zauberscherze. Jetzt wollte er sie zum ersten Mal einsetzen.

"Vorwärts!" Flüsterte er auf Englisch, als er das Ende der Schnur in sein rechtes Ohr gesteckt hatte. Leise spulte sich die dünne Schnur ab und schlängelte sich unter der Tür hindurch. Überlaut krachte und quietschte es. Julius hatte die Hand am Langziehohr, um es herauszureißen. Doch der Lärm klang nach einer Sekunde ab. Es zirpte und zischte laut in seinem Ohr, wie ein total überlastetes Funkgerät, doch dann, erst leise und dann deutlich, verstand Julius alles, was drinnen gesagt wurde.

"... wird ihn Mademoiselle Lumière gleich abholen", sagte Madame Maxime gerade. Darauf sagte Minister Grandchapeau:

"Wieso haben Sie seine praktische Bibliothek beschlagnahmt, Olympe? Das entzieht sich mir irgendwie."

"Das werde ich Ihnen sogleich beweisen", kam Madame Maximes Stimme als Antwort. Julius hörte, wie sie aufstand und durch den Raum ging. Er war darauf gefaßt, den Lauschangriff sofort abzubrechen, wenn sie dem ausgerollten Langziehohr zu nahe kam. Doch sie schien sich anderswo im großen Zimmer hinzubewegen. Dann hörte Julius, wie die Centinimus-Bibliothek offenbar auf Normalgröße angewachsen war und Madame Maxime die darin gereihten Bücher untersuchte. Dann hörte er sie eins herausziehen und zum Tisch zurückgehen.

"Ich muß Ihnen sagen, Dumblydor, daß Sie einen hochintelligenten Schüler an uns verloren haben. Das ist für uns natürlich ein Vorteil, sofern er seine Intelligenz nicht zum Schaden anderer oder seinem eigenen verschwendet. Sehen Sie hier, dieses Buch über Zaubermalerei. Meine Kollegin Faucon hat mich darauf hingewiesen, daß er dieses Werk von einer Fachkollegin von ihr bekommen hat. Sie kennen es sicherlich, Messieurs."

"Natürlich, dieses Buch ist ein erweitertes Buch zur Zaubermalerei. - Ah, Madame", sagte Dumbledore. Julius vermeinte eine große Belustigung aus seiner Stimme zu hören. Es raschelte so, wie ein Buch beim Durchblättern raschelt. Dann klopfte Madame Maxime auf dieses Buch und sagte:

"Das war genau das, was ich meinte. Hier steht etwas über das Intrakulum. Warum hat er ein Lesezeichen an dieser Stelle zwischen die Seiten geschoben?"

"Wissen Sie denn auch, wann er das gemacht hat?" Fragte Dumbledore erheitert.

"Nein, das weiß ich nicht, Dumblydor. Ich weiß nur, daß er sich vvor nicht allzulanger Zeit mit dem Prinzip des Intrakulums befaßt hat. Nach der Meinung, die sowohl Ihre Kollegen in Hogwarts äußerten, wie auch unserer eigenen Erfahrung mit dem Jungen gehe ich stark davon aus, daß er alles, was er für möglich und unschädlich hält auch ausprobiert. Immerhin ist er in zwei wesentlichen Freizeitarbeitsgruppen Mitglit: Zauberkunst und praktische Alchemie. Wahrscheinlich hat er nur deshalb noch kein Intrakulum, weil er nicht an die benötigten Materialien kommt."

"Und was hätte er von einem solchen Artefakt, Olympe?" Fragte der Minister sichtlich aufgeregt.

"Nun, wenn er liest, wie gemalte Personen zwischen offenen Bildern überwechseln kann er auf die Idee kommen, weite Reisen zu unternehmen", sagte die Schulleiterin. Julius erbleichte. Diese Halbriesin hatte doch nicht etwa seine Gedanken gelesen? Dumbledore erwiderte:

"Ein Intrakulum von einem Amateur, selbst wenn er sehr gute Zauberkräfte besitzt, ist sehr gefährlich für den, der es auf sich abstimmt. Sie Sagten, und da will ich Ihnen bloß nicht widersprechen, daß Sie Julius für sehr intelligent halten. Dann wird er auch wissen, daß ein ungeübter Zauberer damit nichts erreichen kann. Überhaupt sind Intrakula sehr rare Gegenstände, die nur von wenigen Spezialisten geschaffen werden können. Er würde es nicht wagen, sowas alleine herzustellen. Da neigt er doch eher zur Untertreibung und unterbewertet seine Fähigkeiten, falls Sie diese Charakterhaltung nicht grundverändert haben, Madame."

"In der Tat haben wir das, allerdings nur dahingehend, daß er bei allen aufgetragenen Dingen volle Leistung erbringt. Doch worauf ich hinausmöchte, Dumblydor: Sollten wir das Problem nicht innerhalb der nächsten zehn Wochen lösen, könnte uns Julius Andrews aus reiner Verzweiflung mit einem zusammengeschusterten Intrakulum einen Heidenschrecken einjagen. So schwierig ist das hier nicht, an die benötigten Steine zu gelangen, Dumblydor. Viele unserer jungen Damen haben exquisiten Schmuck mit Steinen, die zusammengenommen genau die richtigen ergeben können."

"Sie meinen, daß wir hier und heute beschließen sollen, wie wir gegen die Bedrohung in Hogwarts vorgehen sollen, bevor uns Julius Andrews vor vollendete Tatsachen stellt?" Wandte Minister Grandchapeau ein. Er machte eine Pause und sprach dann weiter. "Nachdem, was meine Belle über ihn erzählt, hätte er hier locker eine Klasse überspringen können, Olympe. Und das will hier was heißen. Ich möchte gerne noch mit seiner Saalvorsteherin sprechen."

"Die Diskussion mit Madame Unittamo ist auf drei Stunden angesetzt. Ich kann sie dort jetzt nicht herausholen, es sei denn, es ist was wirklich wichtiges", sagte die Schulleiterin. Der Minister erwiderte:

"Unter Umständen was überlebenswichtiges, Madame. Da Sie Ihre Autorität nicht ausreizen möchten, werde ich mich in die Aula begeben und ..."

"Schon gut, Minister Grandchapeau", entgegnete Madame Maxime und erhob sich. Sie klappte das Buch wohl wieder zu, ging zu der Bibliothek hinüber und verstaute es dort. Dann klackte ein Zauberstab gegen Holz, und danach war die Bibliothek offenbar wieder auf Transportgröße eingeschrumpft.

"Zurück!" Zischte Julius auf Englisch und nahm das Ende des Langziehohrs aus dem rechten Ohr. Die Spule wickelte sich in Windeseile wieder auf. Er wandte sich dem Wiesenbild zu und berührte es. Doch er kam dadurch nicht aus dem Raum. Die Tür zum Sprechzimmer ging auf, und Madame Maxime trat in den Korridor. Sie erreichte den Empfangsraum und sah Julius von oben her an.

"Sie sind immer noch hier? Mademoiselle Lumière sollte sie doch wieder abholen."

"Die kam bis jetzt nicht vorbei, Madame", sagte Julius nur.

"Nun, dann muß ich Sie eben auf die Etage zurückbringen. Treten Sie zurück!"

Madame Maxime sprach leise ein Passwort und gebot Julius, die Wiesenlandschaft zu berühren. Sofort zog es ihn fort, über die gemalte Wiese hinweg durch das Gewirr von Farben, um ihn dann am König vorbei aus dem Bild des Königspaares zu werfen. Madame Maxime stand vor ihm und sah ihn kurz an. Dann gab sie ihm seine Centinimus-Bibliothek wieder und entfernte sich mit weiten Schritten. Julius konnte ihr ansehen, daß sie sehr mürrisch dreinschaute. Er machte, das er fortkam, zurück zum grünen Saal, wo Barbara Lumière in einer hitzigen Debatte mit einer Fünftklässlerin verwickelt war. Er ging zunächst in den Schlafsaal für Drittklässler. Dort setzte er sich auf sein Bett und überlegte, was er von allem zu halten hatte. Je länger er darüber nachdachte erschien es ihm die einzige Möglichkeit zu sein, jemanden von außen in die gemalte Welt zu schicken, um mit Slytherins Willenswicklern aufzuräumen. Er müßte ja zehn Wochen an einem Intrakulum arbeiten, und alle hatten recht, daß das gewaltig ins Auge gehen konnte. Er holte sich das Buch noch mal hervor, welches Madame Maxime so zielsicher ausgewählt hatte und las den betreffenden Abschnitt. Nein, dafür war er doch nicht mutig genug, sowas auszuprobieren. Die Laterna Magica für Claire war was anderes gewesen als ein Zaubergerät, mit dem man förmlich in eine andere Welt hinüberspringen konnte. Nachher blieb er auf dem Weg hängen oder wurde brutal verändert. Das wollte er sich nicht antun. Sicher, in Hogwarts würden diese Würmer neue Opfer finden und Slytherin Sklaven zuführen. Aber er war nicht derjenige, der dagegen was machen konnte. Schließlich hatte der sprechende Hut von Hogwarts ihn nach Ravenclaw gesteckt und nicht nach Gryffindor. Als er dann hier eingeschult wurde hatte ihn der Teppich der Farben in den grünen Saal geschickt und nicht zu den Roten, den Draufgängern, die gerne zeigten, was sie draufhatten.

Er las noch etwas in dem Buch, bis die Tür aufging und Professeur Faucon hereinkam.

"Ich ging davon aus, daß Sie unten im Saal sind, Monsieur Andrews. Mademoiselle Lumière hat mir und Madame Maxime erklärt, daß sie eine schwerwiegende Meinungsverschiedenheit mit einer ZAG-Schülerin zu klären hatte. Aber ich wollte zu Ihnen, beziehungsweise, ich möchte Sie bitten, mich erneut zum Sprechzimmer der Direktrice zu begleiten", sagte die Lehrerin. Julius nickte. Er packte das Buch wieder fort. Professeur Faucon sah jedoch, welches es war und rümpfte die Nase. Dann meinte sie:

"Ich hoffe, Sie sind sich darüber im klaren, welche Versuchung ein solches Buch beinhaltet. Aber ich weiß auch, daß Sie die Konsequenzen abwägen, zumindest meistens. Folgen Sie mir bitte!"

"Ist Madame Maximes Besucher noch da?" Fragte Julius, bevor er seine Schlafsaaltür schloss.

"Wenn Sie Minister Grandchapeau meinen, der ist wieder da. Ein anderer Besucher ist nicht bei Madame Maxime." Julius verstand. Dumbledore war ja nicht offiziell hier. Warum sollte er auch gezielt nach ihm fragen?

Doch Dumbledore war tatsächlich nicht mehr da. Nur ein sichtlich angespannt dreinschauender Minister Grandchapeau saß bei Madame Maxime, als sie das Sprechzimmer wieder erreichten.

Der Minister hatte eine schwarze Aktentasche auf den Tisch gelegt und klappte gerade den Deckel auf. Innen schimmerte etwas in einem Julius fremden Glanz. Der Minister fischte in die Tasche und holte eine kleine flache Scheibe heraus und legte sie auf den Tisch. Julius meinte, das Ding steche ihm in die Augen. Sein Gehirn hatte sofort geschaltet und erkannt, was es war.

"Du kennst einen solchen Gegenstand, Julius?" Fragte der Minister.

"Ja, Monsieur Grandchapeau. Das ist ein Intrakulum, wie es in "Bilderwelten" eingehend beschrieben wird. Ich gehe mal davon aus, daß Sie mir dieses Artefakt aus einem bestimmten Grund zeigen, sofern es überhaupt funktioniert."

"Bis auf die Kleinigkeit der Bildkalibrierung ist dieses Intrakulum vollständig funktionsfähig. Alle Steine, die du hier siehst, stehen in direkter Verbindung mit den sechs innersten Planeten des Sonnensystems, wie auch mit der Sonne und dem Mond. Die Runenlinien verbinden die Planetensteine und verstärken die Wirkung. Du hast dich also schon mit dem Problem der Bilderwelten befaßt."

"Soweit es mir ging, Herr Minister. Ich kann natürlich kein Intrakulum herstellen. Da wird sooft vor gewarnt, daß ich bestimmt nicht versuche, selbst eines zu machen. Aber wieso haben Sie sowas?"

"In unserer Abteilung für experimentelle Magie gibt es Dinge, die deine Vorstellung sicherlich überschreiten, Julius. Dieses hier ist eines mehrerer Intrakula, die angefertigt wurden, um Experimente mit gemalten Wesen zu machen. Ich beabsichtige, jemanden nach Hogwarts zu schicken, um die Situation zu erkunden und nach möglichkeit ohne eigenes Risiko einen Weg zu finden, die Brutstätte der Willenswickler zu neutralisieren. Dieser Beauftragte ist jedoch vorher zu befragen und zu informieren, ob er sich darauf einläßt."

Professeur Faucon verzog das Gesicht. Julius sah verdutzt auf die kreisförmige Scheibe mit den acht Steinen an der Oberfläche.

"Ja, warum kommen Sie dann zu mir und fragen keinen Ihrer Desumbratoren, wie die Schwarzmagierjäger hier heißen?"

"Weil ich jemanden benötige, der sich in Hogwarts gut auskennt, notfalls zwischendurch aus der gemalten Welt aussteigt und an einer bestimmten Stelle wieder einsteigt. Du ahnst schon, worauf ich hinaus will."

"Minister, bei allem Respekt, das ist unverantwortlich", wandte Professeur Faucon ein. Julius erblaßte. Doch dann gewann etwas in ihm an Fahrt, das immer dann aufwachte, wenn er sich vor einer großen Sache nicht sicher war, ob er es überstehen würde. Irgendwie hatte er das dann, wenn er vor einer Schwierigkeit stand und sie bewältigen mußte.

"Halten Sie mich nicht dafür für zu unausgebildet, Minister Grandchapeau?" Fragte Julius und legte nun alle Karten offen, die im Spiel waren.

"Für das, was ich beabsichtige nicht, Julius. Dumbledore hat sich zwar angeboten, in die gemalte Welt hinüberzugehen und in Hogwarts nach dem rechten zu sehen, doch konnten Madame Maxime und ich ihm glaubhaft versichern, daß seine Anwesenheit an anderen Orten notwendiger ist. Er mußte mir zustimmen. Er ist bereits wieder fort, um die Dinge zu regeln, die er aufgeschoben hat. Außerdem gilt es, möglichst wenige Leute einzuweihen. Ich kann zwar meinen Desumbratoren vertrauen, was Ausführung und Einsatzmöglichkeiten angeht, doch viele von denen sprechen kein Englisch und kennen sich in Hogwarts naturgemäß nicht aus, um zwischenzeitlich außerhalb der Bilder zu sein. Denn noch was ist wichtig: Niemand darf erkennen, daß jemand von außerhalb Englands eingegriffen hat."

"Ja, aber ich bin doch erst in der dritten Klasse, sagte Julius.

"Ihre Saalvorsteherin räumte auf insistierende Nachfragen ein, daß Sie von ihrer Seite aus bereits das Potential und die Charakterfestigkeit eines Fünftklässlers haben, Monsieur Andrews", wandte Madame Maxime ein. "Allerdings ist die Sache immer noch gefährlich. Sie müßten sich vor den vom Willenswickler befallenen vorsehen und auf der Hut vor möglichen Zauberfallen sein."

"Hinzu kommen die drei Fundamentalgesetze der Bilderwelten, Monsieur Andrews", schaltete sich Professeur Faucon ein. "Erstens: In der gemalten Welt können Sie nur über größere Entfernungen reisen, wenn Sie Körperkontakt mit einer gemalten Person aufnehmen, die ein eigenes Portrait am Zielpunkt unterhält. Zweitens sind Sie in einem Bild so lange am Leben, wie das Bild hängt, und zwar auf dem körperlichen Entwicklungsniveau, daß Sie beim Eintritt erreicht haben, also relativ unsterblich. Drittens: Sie dürfen niemanden in der gemalten Welt töten. Absolut niemanden, was vernunftbegabte Personen angeht."

"Oh, das heißt dann aber, daß man dort getötet werden kann", erkannte Julius sofort und sah sehr betrübt drein.

"ja, die Gefahr ist vorhanden", sagte der Minister. "Allerdings wird dich niemand töten, der oder die davon ausgeht, daß du nur von einem anderen Portrait kommst. Denn mit dem Tod eines gemalten Wesens zerfällt das auf ihn bezogene Universum, und alle miteinander verknüpften Bilderwelten geraten in Aufruhr."

"Verstehe", sagte Julius.

"Ich habe, um dies ganz klar zu verdeutlichen, keinesfalls gesagt, daß Sie für diese Art von Auftrag die beste Wahl sind, Monsieur Andrews", machte Professeur Faucon mit fest auf ihn geheftetem Blick unzweifelhaft deutlich. "Ich gab nur zu verstehen, daß ich Ihre bisherigen Leistungen und die erworbenen Kenntnisse auf dem Niveau eines Fünftklässlers ansetze. Von jenen gibt es jedoch auch solche, die sich nicht beherrschen können oder gestellte Aufgaben unzureichend bis gar nicht erledigen. Nur ich erkenne, daß die Zeit drängt und besser jetzt als gar nicht gehandelt werden muß. Sollten Sie also einräumen, diese Art von Auftrag nicht erledigen zu können, dann ist die Unterhaltung beendet."

"Ich denke nicht, daß ich gegen Leute wie Slytherin eine Chance habe. Die können Imperius, Cruciatus und alles andere. Dann können die noch die Legilimentie. Slytherin erkennt doch sofort, daß ich kein gemalter Bursche bin", sagte Julius. Professeur Faucon nickte anerkennend. Doch der Minister ließ nicht locker:

"Gegen gewisse Dinge kann man dich zeitweilig abschirmen. Im Fundus geheimer Artefakte befindet sich etwas, daß bis heute kein Legiliment geknackt hat und als bisher einziges Artefakt sogar dem Imperius widersteht. Aber es ist das einzige seiner Art und Pläne und Formeln zu seiner Herstellung sind nicht vorhanden. Außerdem hast du etwas, das dir einen Vorteil vor allen anderen einräumen wird: Goldschweif!"

Nachdem der Minister den Namen der Knieselin hingeworfen hatte, als Trumpf-Ass sozusagen, kehrte erst einmal Stille ein. Dann sagte Madame Maxime:

"Natürlich ist das möglich. Sicher geht das. Herr Minister, verfügen Sie über genug Drachenhautkörperpanzer?"

"Ich habe mehrere hundert davon im Fundus für magische Sondereinsätze gegen gefährliche Kreaturen wie Trolle oder Drachen. Ich könnte einen in der richtigen Größe beschaffen, wenn ich jenes Artefakt beibringe, von dem ich sprach", sagte der Zaubereiminister.

"Dann besteht zumindest die Möglichkeit, Monsieur Andrews gegen körperliche Gewalt unangreifbar zu machen. Magische Angriffe müßte er jedoch meiden", sagte die Schulleiterin.

"Ich habe Goldblütenhonig in einer Phiole. Die kann mittelstufige Flüche abfangen oder Schildzauber verstärken", sagte Julius. Professeur Faucon nickte schwerfällig. Doch dann schien sie etwas gefunden zu haben, das ihr Mut gab.

"Wenn ich richtig orientiert bin besitzt Ihr Fundus für besondere Einsätze auch mehrere Incantivakuum-Kristalle. Wieviele können Sie davon erübrigen, denn ich sehe ihm an, das Monsieur Andrews nun, wo Sie ihm so voreilig einen Auftrag angedient haben, nach Verminderung aller Risiken den Gang nach Hogwarts wagen wird."

"Ich habe im Moment zehn stück vorrätig. Um auch nur eine freizugeben müßte ich einen äußerst dringenden Grund anführen", antwortete der Minister. Dann erhellte sich sein Gesicht.

"Vor zwei Tagen wurde in der Bretagne das Hünengrab eines dunklen Druiden gefunden. Um seinen Fluch zu brechen brauchen wir mindestens drei Incantivakuum-Kristalle."

"Incantivakuum? Sind das Dinger, die Magie aufsaugen, einen magischen Leerraum machen?" Fragte Julius.

"Exakt", erwiderte Professeur Faucon. "Mit solchen Kristallen ist es wie mit jenen Sprengkörpern der Muggel, die Handgranaten heißen. Man wirft sie von sich, nachdem man sie mit dem Zauberstab berührt und damit aktiviert hat. Ist man in der verfügbaren Zeit nicht aus der Reichweite heraus, entzieht es allem am Körper die volle Zauberkraft. Wenn Sie kein Artefakt besitzen, das sich aus anderen Energiequellen nachlädt, werden viele Zaubermittel wirkungslos. Magische Kreaturen werden betäubt oder fallen sogar tot um. Drachen verlieren für eine volle Minute ihre Stärke. Aber diese Kristalle sind noch schwieriger anzufertigen als ein Intrakulum, Monsieur Andrews. Sie werden aus Kristallen gefertigt, die in tiefen Bergmassiven vorkommen und müssen zwei volle Monate jeden Tag mit aufeinander aufbauenden Zaubern belegt werden. Der kleinste Fehler zerstört den Kristall sofort. Auf dem Markt sind Incantivakuum-Kristalle nicht erhältlich. Sie werden nur in Frankreich, Großbritannien, Deutschland und den vereinigten Staaten von Amerika hergestellt."

"Ach das ist ja dann sehr teuer", wandte Julius ein.

"Ja, in manchen Fällen jedoch die letzte Rettung", sagte der Zaubereiminister darauf.

"Hmm, irgendwie fühle ich mich immer noch nicht fähig genug, da was zu machen. Aber andererseits wäre morgen alles noch schlimmer. Wissen wir denn nicht, ob Leute von Voldemort schon was über Hogwarts wissen?"

"Im Moment wird man in Hogwarts selbst nicht wissen, was geschieht. Ich denke, Slytherins Werk will erst die Kontrolle über die vier Häuser erlangen, bevor die Ausbreitung der Macht weitergeht. Insofern ist Eile tatsächlich geboten", sagte der Minister. Madame Maxime erwiderte:

"Ich würde auch selber gehen und sehen, was dort zu richten ist. meine Konstitution gibt mir sogar mehr körperliche Vorteile als Monsieur Andrews."

"Nun, das mag sein. Aber Monsieur Andrews kann sich bei Gefahr besser verstecken. Außerdem kennt er Aurora Dawns Ich, ob gemalt oder natürlich, ist hier nebensächlich. Die Möglichkeit zur Gemeinschaftsarbeit ist ein weiterer Vorteil", stellte Grandchapeau fest. Julius nickte. Dann sagte er:

"Wenn ich den Auftrag annehme, was soll ich dann ganz genau tun?"

"Du sollst die Brutstätte der Willenswickler finden und nach Möglichkeit ausschalten. Für niedere Tiere gilt das Tötungstabu nicht, weil Tiere erst ab einer bestimmten Entwicklungsstufe ein eigenes Universum beanspruchen können, Julius."

"Und wenn ich bei dieser Sache gefangengenommen oder getötet werde streiten Sie alles ab, Herr Minister?" Fragte Julius, dem die ständig wiederkehrenden Sätze von aufgezeichneten Geheimbotschaften einfielen.

"O, die Frage habe ich mir noch nicht vorgelegt. Ich fürchte, die Antwort müßte ">Ja" lauten."

 

"Da bleibt eine Hürde, Herr Minister. Julius Andrews ist minderjährig. Selbst wenn Sie ihn jetzt so sehr angeheizt haben ist er gar nicht berechtigt, selbst zu entscheiden, was er macht, besonders nicht im Bezug auf unbekannte Gefahren", spielte Professeur Faucon ihr letztes und wichtigstes Argument aus. Julius nickte. Dann würde das mit diesem Einsatz sowieso nichts werden. Er mußte nicht auf Superheld machen, der die Welt retten mußte, weil kein anderer da war.

"Dann frage ich Sie, Professeur Faucon und gebe Ihnen die nötige Bedenkzeit: Welche Risiken und Chancen erwartet Julius Andrews bei einem solchen Einsatz, und welche Gefahr erwächst aus der Untätigkeit?" Fragte der Minister.

"Sie haben recht, ich brauche Bedenkzeit", sagte Professeur Faucon verärgert. Offenbar hatte Grandchapeau sie an ihrem gewissen zu fassen bekommen. Julius setzte sich aufrecht hin. Ihm fielen Dinge ein, die schief gehen konnten. Doch andererseits war er zumindest beschlagen mit Wissen über diese Fernsteuerungsparasiten.

Nach zehn Minuten sagte Professeur Faucon:

"Ich gestatte einen rein kundschafterlichen Einsatz zur Aufspürung der Quelle der Willenswickler. Allerdings möchte ich mit Monsieur Andrews eine volle Stunde allein sein."

"Wozu?" Fragte Monsieur Grandchapeau.

"Um ihm noch etwas wichtiges an Abwehrzaubern beizubringen, Minister", sagte Professeur Faucon. Julius nickte. Wissen war immer besser als grobes handeln allein. Madame Maxime nickte. Monsieur Grandchapeau nickte. Dann sagte er:

"In einer vollen Stunde bin ich mit allen benötigten Dingen wieder hier. Ich bitte mir jedoch aus, daß dieses Gespräch und alles anschließende außerhalb dieses Raumes nie stattgefunden hat." Julius nickte. Er wollte es auch keinem auf die Nase binden, was für ein Himmelfahrtskommando er da mitmachen wollte.

Professeur Faucon brachte ihn nach dem Ersten Abschied vom Minister in ein Labor, daß außer ihr nur Professeur Fixus und Professeur Bellart benutzten. Dort stand eines jener Tonschalen mit verschnörkelten Runen, ein Denkarium.

"So, Julius, da ich weiß, daß ich dich nicht ganz daran hindern kann, diesen Unsinn mitzumachen, werde ich dir jetzt wichtige Abwehrzauber beibringen, die unter Umständen gebraucht werden. Da eine volle Stunde nicht ausreicht, sie dir in direkter Übung beizubringen, werde ich sie dir auf dem Wege der Memorextraktion und Reimplantation beibringen. Das wird dich etwas schwindelig machen, aber allemal besser vorbereiten."

So bekam Julius über Professeur Faucon per Memorextraktion die Eingebungen, wie er mächtige Zauberfallen erkennen und überwinden konnte, wie der Infanticorpore-Fluch genau ging oder wie ein Golem vernichtet wurde. Professeur Faucon sagte am Ende einer langen Sitzung, als Julius mit sich wild im Kreis drehenden Gedanken dasaß:

"Solltest du, worauf ich sehr hoffe, diesen Wahnsinnseinsatz überstehen, muß ich dir jedoch einiges von dem Wissen wieder wegnehmen. Einiges davon verlangt nach Wachstum im Geiste. Ich gebe dir das nur mit, weil du möglichst gut gegen die Handlanger Slytherins bestehen mußt. Und jetzt komm wieder zum Minister und Madame Maxime hinauf."

"Jawohl, Professeur Faucon", sagte Julius.

Als der Minister wiederkam, hatte er ein Lederbeutelchen mit Incantivakuum-Kristallen, einen Drachenhautanzug, der alle körperlichen Angriffe zurückschlagen konnte, sowie etwas, das wie ein Kettenhelm aussah. Es glänzte rosiggold und war in merkwürdige Knoten eingeteilt, die sich trafen, durchdrangen oder einzelne Kettenglieder auf Abstand hielten.

"Ich riskiere dieses und meinen Beruf nur, weil ich weiß, wie brisant die Lage ist und daß du, Julius, damit fertig werden kannst. Dieses Schmuckstück ist Darxandrias Haube. Darxandria war, soweit wir das herausfinden konnten, eine magische Kaiserin des alten Reiches, welches selbst den Muggeln in zahllosen Legenden bekannt ist. Es ist einzigartig und so wertvoll wie dein Leben, Julius. Es besteht aus einer Kombination aus Platin, Gold und dem geheimnisvollen Erz Orichalk, welches die Kräfte des Himmels in sich bergen soll. Wenn du es trägst, bist du für ganz genau fünf Stunden immun gegen jede Form magischer Geistesbeeinflussung oder Legilimentie. Aber sei gewarnt! Wenn diese fünf Stunden verstrichen sind, wird jede Minute länger deinen Geist mehr und mehr verwirren. Wir hatten schon Fälle, wo jemand nach nur zehn Minuten über der Zeit unrettbar wahnsinnig war. Wenn du die Haube vor der Frist abnimmst, mußt du sie einen vollen Tag lang unter dem Licht der Sonne und des Mondes neu aufladen lassen. Benutze sie also erst, wenn du wirklich in Hogwarts ankommst. Damit hast du auch eine Zeitgrenze. Bist du in fünf Stunden nach Abreise nicht wieder hier, giltst du als verloren, so oder so. Ich werde dann deiner Mutter schonend beibringen, daß du bei einem nicht beaufsichtigten Zaubertrankversuch restlos verschwunden bist", sagte der Minister.

"Ich denke, meine Mutter würde keine Version glauben. Die würde sich fragen, ob man mich nicht umgebracht hätte. Und für den Fall hätte sie ja sogar recht. Aber ich möchte noch eine Weile leben und noch genug von der Welt sehen", sagte Julius.

 

"Noch was. Es empfiehlt sich, wenn Sie während der Nachtstunden unterwegs sind. Ich möchte unnötiges Aufsehen vermeiden", sagte Madame Maxime. Julius nickte. So einigte man sich darauf, daß er nach zwölf Uhr abreisen sollte. Professeur Faucon würde ihn im Grünen Saal abholen. Von ihrem Sprechzimmer aus sollte er in die gemalte Welt eintauchen und dann mit Aurora Dawn zusammen nach Hogwarts reisen.

"Nun dann, Monsieur Julius Andrews! Wir hoffen alle, daß Sie wohlbehalten wieder zu uns zurückkehren", sagte der Minister zum Abschluß noch. Ihm war die Anspannung deutlich anzusehen. Denn er würde jemanden in eine unbekannte Gefahr schicken, der noch einiges in Zauberei zu lernen hatte. Doch welche Wahl hatte er noch? Er hätte keinen seiner eigenen Leute losschicken können, allein schon wegen der Sprachbarriere.

Professeur Faucon sah während des Abendessens öfter zu Julius hinüber. Doch dieser spielte den Normaltrott vor. Er sagte lediglich, daß es wegen seiner Mutter noch einiges gäbe, was geklärt werden mußte.

Nach dem Saalschluß kontrollierte Edmond Danton die Schlafsäle. Julius trug seinen Schlafanzug und lag im Bett. Doch um elf Uhr wurde er wieder munterer. Er packte ganz leise alle magischen Gegenstände, die er bisher bekommen hatte in die Taschen seines tannengrünen Umhangs, den er über den Drachenhautpanzer ziehen wollte. Bis auf das Omniglas, den Mondglobus, die Regenbogenlampe, den Schwermacher und seinen Besen hatte er alles eingepackt. Um halb zwölf stand er so leise auf, daß er fast über sein eigenes Atemgeräusch erschrak. Darauf achtend, keine klappernden Geräusche zu machen, verließ er den Schlafsaal der Drittklässler. Bevor er endgültig aufbrach, besuchte er das Jungenklo des grünen Saales. Er ging kurz an einem Fenster vorbei, das auf halber Höhe zur Treppe lag und rief ganz leise: "Goldi!" dreimal rief er so deutlich aber leise wie es ging. Dann kam Goldschweif angelaufen.

Im grünen Saal war bereits alles ruhig. Keiner saß noch herum. Professeur Faucon kam gerade durch die sich auflösende und dann wieder verschließende Wand herein. Julius erklärte ihr, was er alles eingepackt hatte. Sie führte ihn zu ihrem Sprechzimmer. Dort schlüpfte er in die Drachenhautrüstung und zog sich den Umhang über. Anschließend steckte er die magische Kettenhaube ein, die federleicht und hauchzart gearbeitet war. Dann nahm er das Intrakulum, auf das am Abend noch sein Foto aufgebracht und eingebrannt worden war.

"Nimm dieses Bild, Julius. Auf dem Weizenfeld wirst du Aurora Dawn treffen. Ich wünsche dir alles liebe und gute, das dich in dieser Lage beschützen kann. Ich weiß, daß du immer sehr besonnen warst und auch brav alles gelernt hast, was ich dich lehrte. Lass dich nicht auf tollkühne Heldenstücke ein! Gehe jeder vermeidbaren Gefahr aus dem Weg! Du kennst die Zeitbeschränkung. Fünf Stunden, nachdem du diese Haube aufgesetzt hast, mußt du sie wieder abnehmen, egal, wo du gerade bist. Ich hoffe nur, daß du dann schon wieder bei uns bist. Bevor du aufbrichst, trink dies noch", sagte Professeur Faucon und reichte Julius einen Kelch mit einer gelben sirupartigen Flüssigkeit. Julius erkannte dies als Wachhaltetrank. Er schätzte, daß der Inhalt reichte, um ihn vierundzwanzig Stunden munter zu halten. In einem Zug trank er den Kelch leer. Er ließ keinen Tropfen übrig.

"Auf Wiedersehen, mein Junge!" Wünschte Professeur Faucon und umarmte Julius wie einen Enkelsohn. Sie küßte ihm auf die linke und die rechte Wange und deutete dann auf das Bild, durch das er diese Welt für eine Reise ins Ungewisse verlassen sollte.

Er stelte sich mit dem Knieselweibchen auf dem Rücken vor das Bild, auf dem ein wogendes Weizenfeld bei Nacht dargestellt war, hielt das Intrakulum direkt an die Leinwand gepresst, den Zauberstab genau auf das Zentrum der sich treffenden Planetenrunenbahnen und sagte laut: "Per Intraculum transcedo."

 

Er hatte gelesen, wie das laufen würde, wenn er diesen Zauber machte. Und so lief es auch ab. Aus dem Mittelpunkt der mit Runen und Steinen verzierten Seite glomm ein Punkt, der sich immer schneller werdend zu einer Lichtspirale auswuchs. Diese glühte rot auf, dann drehte sie sich und wechselte die Farbe zu Grün, dann Gelb, dann Blau. Es dauerte fünf Sekunden, bis Julius eine körperliche Wirkung spürte. Er fühlte sich schwerelos, dann erstrahlte die Spirale vor ihm wie ein großer Tunnel, in den er hineingesaugt wurde. Goldschweif schrie erschrocken, als sie mit ihm in den Wirbel zwischen den Welten hinübergerissen wurde. Eine rasende Fahrt durch unterschiedlichste Farben lief genau vier Sekunden lang. Dann stand Julius auf einer weiten Fläche unter sternenklarem Nachthimmel, die er jedoch wiedererkannte. Es war jenes Weizenfeld, das in Professeur Faucons Sprechzimmer hing. Er stand auf dem wogenden Weizenfeld und fühlte kalten Wind, fühlte die Ackererde unter seinen Schuhen, hörte das leise Rauschen, wenn der Wind die Halme wiegte. Er roch die klare Nachtluft, als sei er nur auf ein verlassenes Feld hinausgegangen und nicht in ein Gemälde eingetaucht. Dann drehte er sich um und sah etwas wie ein riesiges Fenster, das sich von Horizont zu Horizont zu strecken schien, beim Näherkommen aber als kleine Öffnung zusammenschrumpfte. Julius prallte gegen ein unsichtbares Hindernis, hart wie Beton. Das war die unsichtbare Trennlinie, die die Welt vor der Leinwand von der dahinter abgrenzte. Er atmete keuchend ein und aus. Er hatte es wirklich gewagt, auf diese Wahnsinnsreise zu gehen. Er war jetzt in einem Zaubergemälde, das für ihn jedoch mit allen Sinnen wirklich wahrnehmbar war. Er sah Professeur Faucon von unten her zu ihm hinaufblicken.

"Ich wünsche euch alles Glück, daß ihr braucht, und das ihr euch durch euren Fleiß verdient habt. Kommt beide gesund wieder!" Sagte sie, und Julius konnte Tränen in den saphirblauen Augen sehen.

"Was soll das jetzt?" Fragte eine mittelhohe Frauenstimme von Julius Schultern her. Er zuckte zusammen. Goldschweif hielt sich mit den Vorderkrallen in seinem Umhang fest.

"Wer hat das gerade gesagt?" Fragte Julius.

"Wie, du kannst mich endlich einmal verstehen? Ich habe gefragt, was das jetzt soll, Julius?" Kam die mittelhohe Frauenstimme zur Antwort. Julius erstarrte. Das hatte man ihm nicht gesagt. Das konnte doch nicht wahr sein.

"Hat man dir das nicht erzählt, das alle intelligenten Wesen, die gemeinsam in ein Bild eintreten, eine gemeinsame Sprache finden?" Lachte Aurora Dawn, die gerade aus der der Bildgrenze entgegengesetzten Richtung angelaufen kam. Julius starrte sie an wie ein Auto.

"Du kannst mich verstehen? Du hörst endlich, was ich dir sage? Aber wozu das jetzt?" Fragte Goldschweif mit ihrer nun für Julius klar verständlichen Stimme.

"Wir müssen böse Leute finden, die gemeine Sachen machen, Goldi. Ich hoffe, wir kriegen das hin, bevor wir entweder wahnsinnig werden oder für alle Ewigkeit in diesem Bild festhängen."

"Du bist noch ein Junges. Böse Menschen werden böses mit dir machen", quängelte die Knieselin. Julius war immer noch hin und weg von allem hier, dem Weizenfeld, dem Wind, Aurora Dawn, die nun als leibhaftige Frau vor ihm stand, das große Fenster in die Wirklichkeit vor der Leinwand und daß Goldschweif hier drinnen menschliche Sprache konnte.

"Ich denke, wir müssen los, Julius. Ich zeige dir erst einmal, wie wir uns durch die Bilder bewegen. Dann gehen wir zu mir und ich bringe euch beiden dann nach Hogwarts. Allerdings wirst du dort dann mit meinem jungen Ich zu tun haben. Ich war als junges Mädchen nicht immer so vernünftig wie als erwachsene Frau", scherzte Aurora Dawn. Julius hörte einfach nur zu und folgte ihr.

Er schaffte es nach einigen Fehlversuchen, in benachbarte Bilder hinüberzuschlüpfen. Nach einer Viertelstunde war er jedoch so gut mit den farbigen Glastunneln zwischen den Bildern vertraut und wußte, wie man nach oben, unten oder sonstwo hin wandern konnte. So ging er hinter Aurora Dawn her in ihr großes Portrait über seinem Bett. Er warf einen neugierigen Blick hinaus in die natürliche Welt und sah sein Bett normalgroß unter sich ausgebreitet. Dann holte er noch mal tief Luft, drehte sich zu Aurora Dawn und flüsterte:

"Auf dann, die Wahnsinnstour beginnt."

Aurora Dawn umarmte Julius wie einen langersehnten Geliebten. Doch er wußte, daß sie ihn gleich mit hinüber nach Hogwarts nehmen würde. Sie machte einen großen Schritt zu einer Seite des geräumigen möbellosen Zimmers, als das sich für Julius dieses Bild nun darstellte. Dann ging es in einen Strudel aus Farben hinüber, der sie mit sich riss, fort von Beauxbatons, hinüber nach Hogwarts.

Die rasante Fahrt durch das Zwischengefüge der gemalten Welten dauerte nur vier Sekunden. Dann fühlte Julius, wie Aurora Dawn etwas einschrumpfte und fand sich hinter ihr auf einem Besen sitzen, der in großer Höhe über einem Quidditchfeld dahinflog. Er hatte die erste Etappe geschafft. Er war nun in Hogwarts.

Schnell setzte er sich die Kettenhaube jener alten Magierkaiserin Darxandria auf und stülpte seinen Zaubererhut auch noch darüber. Er blickte auf seine Armbanduhr. Der rote Standortstundenzeiger sprang gerade eine stunde zurück zu dem schwarzen Heimatortstundenzeiger. Sie funktionierte also auch hier noch so wie sie sollte, staunte Julius. Es war nun eine Minute nach halb zwölf und fünf Sekunden. Bis halb fünf britischer Zeit hatte er nun Zeit, die Brutstätte der Willenswickler zu finden und möglicherweise auszuschalten. Jetzt erst wurde ihm klar, daß er womöglich gerade auf dem besten Weg in den Tod war, ohne daß er seiner Mutter, Catherine und Claire irgendwas davon hätte sagen können.

Du musst dich anmelden (anmelden) um ein Review abzugeben.
Disclaimer: All publicly recognizable characters, settings, etc. are the property of their respective owners. The original characters and plot are the property of the author. No money is being made from this work. No copyright infringement is intended.

Bad Behaviour hat in den letzten 7 Tagen 95 Zugriffe blockiert.