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Julius Andrews - Auf seinem Weg in die Zaubererwelt von Thorsten Oberbossel

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Der gemalte Zwerg mit der Trompete war diesmal schneller als das Sonnenlicht. Ein laut geschmetterter Morgengruß weckte Julius aus tiefem Schlaf. Er schlug die Augen auf, gähnte herzhaft, reckte und streckte sich und sah dann den goldenen Schimmer, den die Morgensonne durch das Dachfenster schickte. Er stand auf, sagte dem Zwerg, er könne jetzt aufhören und klaubte seine Sachen zusammen, um sich für den Tag, der sicherlich sehr lang werden würde, bereitzumachen.

Madame Faucon begrüßte Julius, als er in Jeans und T-Shirt herunterkam. Sie verzog zwar erst das Gesicht, nickte dann aber. Babette, die bereits am Frühstückstisch saß, machte ein mißmutiges Gesicht, weil ihre Oma dem Jungen keine Predigt hielt, daß er in Muggelsachen runtergekommen war. Außerdem ärgerte es sie wohl, daß sie nun noch knapp eine Woche mit ihrer gestrengen Oma alleine sein mußte, und daß Melanie Odin bereits gestern mit ihren Eltern und ihrem Bruder abgereist war, ziemlich übereilt, ohne sich von ihr zu verabschieden, obwohl Babette gerne mit jemanden ihren Alters über den Alptraum sprechen wollte, den sie vor zwei Tagen erst erlebt hatten.

"Hallo, Julius. Aufgeregt?" Fragte Madame Faucon mit warmem Lächeln.

"Eigentlich schon, Madame. Ich war ewig nicht mehr in Amerika, und von New Orleans kenne ich nur Louis Armstrong und den Dixie", sagte Julius. Dann umspielte seine Mundwinkel ein sehr gehässiges Grinsen als er hinzufügte: "Eigentlich wollte ich ja vor zwei Jahren dahin, wo die Fußball-Weltmeisterschaft war. Aber meine Eltern haben mich ja stattdessen nach Paris geschickt."

"Klar, weil die keine Ahnung hatten, daß Maman auch 'ne Hexe is'", grinste Babette. Madame Faucon räusperte sich zwar, sagte jedoch nichts darauf. Sie meinte zu Julius nur:

"Catherine hat übrigens diese Facsimile-Anschrift in Paris bemüht. Heute Nacht kam eine Eule. ihr und Joe geht es gut. Allerdings haben die dort drüben wohl ein Problem mit einem Angriff auf unschuldige Zuschauer dieser Sportzirkusveranstaltung, und es war fraglich, ob sie die Veranstaltungen fortsetzen. Aber sie werden diese Spiele bis zum Ende ablaufen lassen."

"Angreifer? Was ist denn da passiert?" Wollte Julius wissen. Madame Faucon erzählte, daß es wohl einen Sprengstoffanschlag in einem der für die Spiele hergerichteten Parks gegeben habe, bei dem zwei Menschen getötet worden seien und über hundert verletzt wurden. Julius erblaßte, und Babette bekam vor Entsetzen große Augen.

"Deine Eltern sind beide weit weg davon gewesen, Kleines. Das war vor zwei Nächten ... hmm, nach Jeannes und Brunos Hochzeit", sagte Madame Faucon sichtlich betroffen. Dann meinte sie noch: "Wie bei der Quidditch-Weltmeisterschaft. Ein Menschen verachtender Verbrecher hat die öffentliche Aufmerksamkeit für diese Spiele für seine Zwecke ausgenutzt und Angst und Zerstörung unter arglosen Zuschauern verbreitet. Dabei hörte ich doch, daß gerade der Ablauf dieser Veranstaltung besonders gut abgesichert sein soll."

"Weiß man denn schon, wer es war?" Fragte Julius.

"Catherine schreibt, sie suchten noch nach dem oder den Täter oder Tätern", wußte Madame Faucon.

Martha Andrews trat ein. Sie hatte die letzten Sätze der Unterhaltung mitbekommen und meinte:

"Man weiß bei den Amerikanern nicht, ob solche Sachen von inneren oder äußeren Feinden verübt werden, Blanche. Ich hoffe nur, wir werden in den Staaten keine Probleme haben. Manchmal ist mir dieses Land nicht geheuer." Als sie merkte, daß Julius das wohl in eine schlechte Stimmung versetzen mochte fügte sie rasch hinzu: "Aber Mrs. Porter hat uns beiden ja versichert, daß wir keine Probleme kriegen werden."

"Was meinst du mit inneren Feinden, Mum?" Fragte Julius seine Mutter irritiert dreinschauend.

"Leute, die was gegen Freiheit und Gleichberechtigung haben, die ihre eigenen Überzeugungen als einzig richtig ansehen, Rassisten, religiöse Fanatiker, frauenfeindliche Kerle und Männer mordende Frauen. Das ist das faszinierende aber auch erschreckende an den Staaten, daß dort wirklich alles möglich ist und vorkommen kann."

"Ja gut, in England haben wir sowas auch, Nazis und irgendwelche Sektenleute", sagte Julius überzeugt. "Sonst hätte Joe den Brief von Paps damals ja nicht so ernst genommen, daß wir heute hier sitzen können."

"Das mag zutreffen und beweist, daß es eigentlich keinen weiteren Unterschied zwischen der nichtmagischen und magischen Welt gibt, außer dem Bewußtsein und dem Gebrauch der Magie in der einen und der Nutzung von Maschinen in der anderen Welt", erwähnte Madame Faucon und bestätigte damit, daß sie durchaus bereit war, die Welt der sogenannten Muggel als gleichberechtigt zu sehen, wenn die sich nicht gerade wieder einmal völlig abgedreht benahmen.

"Du hast deine Tasche schon fertig gepackt, Julius?" Fragte Martha. Julius nickte nur. Babette machte ein miesepetriges Gesicht, als habe ihr gerade wer ihr Lieblingsspielzeug weggenommen. Die Angst um ihre Eltern war verflogen und der Grimm darüber, daß Julius mit seiner Mutter nach Amerika reisen würde, wo ihre Eltern waren und sie bei ihrer Oma bleiben sollte, herrschte wieder vor. So sprach sie kein Wort, schob sich nur ein Stück Brot nach dem nächsten Croissant in den Mund, nur um bloß nicht reden zu müssen und wich den Andrews' immer aus, wenn sie sie ansahen.

Nach dem Frühstück holten die Andrews' ihr Gepäck herunter. Sie würden um zwölf Uhr mittags abgeholt, dann mit der Reisesphäre nach Paris gebracht, wo sie noch Sachen für zwei Wochen aus der Wohnung in der Rue de Liberation holen sollten, um dann mit Jane Porter nach New Orleans, genauer in das kleine Viertel Saint-Michel überzuwechseln.

Julius nutzte die Stunden bis zur Abreise noch, um sich bei seinen Bekannten und Schulfreunden zu verabschieden. Als er zum Schluß noch einmal bei Madame Delamontagne vorbeiging, wünschte er ihr noch, daß sie jetzt, wo es im Dorf herum war, daß sie im nächsten Jahr ihr zweites Kind bekommen würde, genug Ruhe und Ausdauer hatte, alles richtig hinzukriegen. Sie zog Julius kurz an sich und meinte:

"Ich denke, ich muß sehr aufpassen, mich nicht zu irgendwelchen Gefühlswallungen hinreißen zu lassen. Aber dir und deiner Mutter wünsche ich einen friedlichen und abwechslungsreichen Aufenthalt in unserer ehemaligen Kolonie."

"Mrs. Porter wollte mit mir wohl auch nach New York und Kalifornien, wo es ein Dorf ähnlich wie Millemerveilles geben soll."

"Ich weiß, Viento del Sol. Eine entfernte Tante von mir kennt da eine Familie, die da seit zwanzig Jahren lebt. Sie heißen Silverspoon, Abigail und Orlando. Falls du ihnen begegnest, richte ihnen bitte meine herzlichsten Grüße aus. aber bitte verschweige ihnen, daß ich erneuten Mutterfreuden entgegensehe. Abigail könnte es zum Anlaß nehmen, auf Biegen und Brechen auch noch auf Nachwuchs hinzuarbeiten." Sie lächelte etwas verunsichert. Doch Julius lächelte amüsiert und meinte, daß er keinem was erzählen würde, wenn sie das nicht wolle."

"Ich werde wohl in zwei Monaten nicht darum herumkommen, die frohe Kunde öffentlich zu machen, da meine Stellung hier eine sehr öffentlichkeitsintensive Position ist. Gute Reise, mein Junge! Ich wünsche dir und deiner Mutter alles gute, was du dort vorfinden kannst!" Sie küßte Julius zärtlich auf die rechte und die linke Wange und brachte ihn noch vor die Tür ihres Hauses. Virginie, die gerade im Garten mit Laurentine die Hausaufgaben besprach, grinste Julius noch einmal an.

"Hätte nicht geglaubt, daß ausgerechnet meine Mutter sich noch mal sowas wie mich zulegen will. Andererseits weiß ich jetzt auch, daß ich zusehe, nach Beauxbatons anderswo gut unterzukommen, damit Maman nicht das Gästezimmer umfunktionieren muß. Mach's gut!"

"Von mir auch, Julius", knurrte Laurentine. Wie Babette wirkte sie etwas verärgert, weil Julius und seine Mutter einfach von hier weggehen konnten und sie mußte dableiben. Doch Julius lächelte nur und wünschte Bébé Hellersdorf noch eine schöne Zeit hier.

Als er mit seiner Mutter wieder im Haus Madame Faucons angelangt war, wartete dort schon Jane Porter zusammen mit Gloria und zwei pummelig wirkenden Mädchen mit mittelblondem, glatten Haar und graublauen Augen.

"Ah, da seid ihr ja wieder", sagte Madame Faucon und winkte Julius und seine Mutter heran. "Meine geschätzte Fachkollegin ist bereits eine halbe Stunde vor der Zeit eingetroffen, weil sie wohl nicht hatte schlafen können."

"Hallo, Mrs. Porter!" Grüßte Julius Jane Porter auf Englisch. Dann begrüßte er Gloria und die beiden Mädchen, Glorias Cousinen Melanie und Myrna Redlief. Melanie, die drei Jahre ältere von den beiden, meinte zu Julius:

"Wir wollten mal wissen, wie die Reisesphäre geht. Ist schon ganz lustig, damit glatt über den großen Teich zu rauschen, ohne wie im Kamin rumgewirbelt zu werden oder durch die Disapparierpresse gequetscht zu werden. Oh, sollte ich vielleicht nicht erwähnen, weil Gran Jane meinte, du würdest drauf stehen, bald zu apparieren."

"Ich weiß schon, wie sich das anfühlt, Melanie. Vor'n paar Tagen hat mich mal jemand auf zwei Abstecher mitgenommen", sagte Julius verschmitzt grinsend. "Das beste daran ist, daß es schnell vorbeigeht."

"Ich mache in einer Woche Prüfung und hoffe, meinen Hintern nicht dabei rumliegen zu lassen", gab Melanie verschmitzt grinsend zurück.

"Mel, da brauchst du dir keine Gedanken drum zu machen. Glenny trägt den dir bestimmt hinterher", feixte Myrna, die gerade ein Jahr älter als Julius und Gloria war.

"Mädchen, keinen derben Zank hier. Bläänch ist eine sehr auf gutes Benehmen erpichte Dame", warf Mrs. Porter ein. Dann sagte sie noch auf französisch: "Ich fand es auf jeden Fall sehr nett von dir, den Jungen und seine Mom bei dir wohnen zu lassen, Bläänch. Hier hatten sie doch bestimmt was besseres zu erleben als in der Muggelstadt."

"Kann man so sagen, Jane, wenn man von den Dementoren absieht", raunzte Madame Faucon. Glloria hörte das wohl und erbleichte. Sie winkte Julius zu sich und fragte ihn in einem ängstlichen Flüsterton:

"Dann stimmt das, daß hier bei euch Dementoren eingefallen sind? Weiß man, was die hier wollten?"

"Ärger machen und die Leute einschüchtern, Gloria, denke ich", sagte Julius. Dann klatschte Mrs. Porter in die Hände.

"Mädchen, wir müssen, wenn wir noch durch die Muggelstraßen von Paris wollen, da ja Martha nicht floh-pulvern kann und darf. Also, aufgehts!"

Babette zog sich wortlos zurück. Sie schmollte, weil Julius jetzt mit seiner Mutter und einer wohl lustigeren Oma einfach weggehen durfte und sie nicht mitnahm. Julius rief ihr noch nach:

"Mach's gut, Babette! Wir sehen uns dann in zwei oder drei Wochen wieder.

Madame Faucon winkte Martha und Julius andrews zu sich und verabschiedete sich von ihnen.

"Es war sehr angenehm, daß Sie mich besucht haben, Martha. Ich hoffe, trotz der Sache mit Eleonore und den Dementoren haben Sie von Millemerveilles einen positiven Eindruck bekommen."

"Für Eleonores ausbruch gibt es ja eine für mich ausreichende Erklärung, und diese Monster haben ja nicht Sie oder andere Leute von hier gerufen. Also kann ich ja nur positives mitnehmen, vor allem, daß ich sehen durfte, daß mein Sohn in guter Obhut ist und trotz seiner Herkunft keine nennenswerten Probleme bekommen hat. Nach den Besuchen in Hogwarts und dem, was sich in England wohl gerade abspielt war das ja nicht selbstverständlich für mich."

"Julius, dir danke ich noch einmal für die Tage angenehmer Kurzweil. Benimm dich weiterhin anständig, behalte aber deine Freude an neuen Dingen!" Wünschte Madame Faucon Julius und gab ihm die üblichen Abschiedsküsse. "Bis in vier Wochen in Beauxbatons", sagte sie noch. Dann gab sie Julius aus der zärtlichen Umarmung frei und sah ihm und seiner Mutter nach, als sie zusammen mit den drei Mädchen das Haus verließen. Madame Faucon hielt Jane noch einmal zurück.

"Jane, ich hoffe, du weißt, wie wichtig mir das Wohlergehen des Jungen ist. Ich hörte da so merkwürdige Andeutungen ohne tiefere Bedeutung, sein Vater könne verschwunden sein. Sei bitte ehrlich, weißt du etwas, daß für den Jungen wichtig wäre, es bald zu wissen?"

"Bläänch, was Julius' Daddy angeht, ist jetzt wohl alles geklärt, soweit ich weiß. Ob es was gibt, was der Junge bald wissen müßte, weiß ich nicht. Falls doch, dann werde ich aufpassen, daß dem Jungen nichts zustößt. Du weißt ja, daß wir in den Staaten noch relativ ruhig leben können."

"Jane, ich weiß nicht warum, aber irgendwie kommt mir diese Einladung von dir zu diesem Zeitpunkt merkwürdig vor. In deinem eigensten Interesse hoffe ich, du hast mit dem Jungen nichts vor, was ihn in irgendeiner Weise gefährdet. Falls doch, sage es mir besser jetzt, bevor ich es später auf Umwegen erfahren muß!"

"Bläänch, ich werde den Jungen nicht mit Dingen konfrontieren, die gefährlich für ihn werden. Ich werde mit ihm unsere Zauberersiedlungen besuchen, New York, San Francisco und meine Heimatstadt aus der Muggelperspektive besuchen und die letzten beiden Quodpot-Spiele der laufenden Saison ansehen. Livius hat uns Karten für die Spiele besorgt, und die beiden Mädchen kabbeln sich schon, weil Mel den Bestechungsskandal mit den Rossfield Ravens noch nicht ganz weggesteckt hat und Myrna ihre Hoffnung für die Viento Windriders noch nicht aufgegeben hat. Öhm, könnte sein, daß Mels Freundin Brit mal rüberkommt. Sie spielt ja in Mels Hausmannschaft."

"Und?" Fragte Madame Faucon. Dann schien ihr die Erkenntnis zu kommen, was Jane damit sagen wollte. "Da Catherine im Moment in Atlanta ist und es trotz der größeren Nähe zu ihr dort schwieriger sein dürfte, sie zu kontaktieren, gebe ich dir in ihrer Abwesenheit die Erlaubnis, daß der Junge praktische Erfahrungen mit eurer Auffassung von Besenflugsport macht. Aber kläre das bitte auch mit seiner Mutter ab, da sie immer noch die eigentliche Erziehungsberechtigte und Hauptverantwortliche ist, Jane!"

"Es läge mir fern, den Jungen zu was zu verleiten, was seine Mutter nicht will", sagte Jane Porter ruhig, aber hinterhältig grinsend.

"Jane, wie gesagt ist mir das Wohlergehen des Jungen sehr wichtig. Bedenke dies immer, wenn du den Eindruck hast, es könnte ihm etwas zustoßen oder ihm eine Gefahr drohen!"

"Werde ich, Bläänch", sagte Jane Porter. Sie sahen sich tief in die Augen. Dabei wirkte Madame Faucon irgendwie angespannt. Dann nickte sie nur noch. Jane Porter meinte:

"Ich bin immer noch gut in Form, Bläänch. So long!"

"Au revoir!!" Fauchte Madame Faucon, die den amerikanischen Abschiedsgruß nicht mochte.

Jane Porter verließ das Haus. Das letzte, was Blanche Faucon sah, war der saum des bunt geblümten Baumwollkleides, das Jane Porter gerade anhatte. Dann schloß sich die Tür.

Leise schwatzend gingen die zwei Frauen, die drei Mädchen und der Junge durch die ruhigen Straßen von Millemerveilles, bis sie zu jenem Platz kamen, wo die drei Meter hohen Schirmblatthecken mit ihren tellergroßen Blättern eine blaue, kreisrunde Fläche umstanden. Dies war der Ausgangspunkt oder das Ziel für Reisen in magischen Lichtsphären. Mrs. Porter trat hinein und winkte ihren Begleitern. Dann hob sie ihren Zauberstab und ließ ihn mehrmals über ihrem Kopf kreisen, wobei sie merkwürdige Worte wisperte. Dann schoss ein goldenroter Strahl aus dem Stab, blühte über ihnen zu einer sonnenuntergangsroten Lichtkuppel auf, die sich ausdehnte und innerhalb einer Sekunde bis zum äußeren Rand des Kreises hinabreichte. Dann hingen sie alle in einer Kugelschale aus diesem sonnenuntergangsroten Licht, völlig schwerelos wie Staubkörner im Weltraum. Julius' Mutter, die diese Art der schnellen Reise schon einige Male ausprobieren durfte, nebenbei die einzige rein magische Ortsversetzung, die sie benutzen durfte, sah entspannt auf Jane Porter, die wohl mitbekam, wann sie ankamen. Als dann alle wieder ihr eigenes Gewicht spürten und die Lichtsphäre zu einer um sie herum im Boden einsinkenden Kuppel wurde, wehte ihnen leichter Abgasdunst aus mehreren Auspufftöpfen um die Nasen, und sie hörten das ferne Brummen, Rauschen und Tuten des Straßenverkehrs von Paris. Sie verließen den hier grün gefärbten Vollkreis und gingen zu einem Tor hinaus aus der Rue de Camouflage, der versteckten Zaubererstraße von Paris. Dort winkte ihnen ein Mann in einer Chauffeursuniform.

"Madame Porter?!" Fragte er die leicht untersetzte Hexe im geblümten Kleid, die ihr Markenzeichen, den Strohhut, leicht nach hinten geschoben hatte. Sie nickte. Martha erkannte den Mann. Er war Chauffeurszauberer des französischen Zaubereiministeriums.

"Seine Exzellenz, Zaubereiminister Grandchapeau beauftragte mich, Sie hier zu erwarten und Sie zur Rue de Liberation zu fahren, um dann, wenn Madame und Monsieur Andrews ihr Gepäck für die Weiterreise zusammengestellt haben, mit Ihnen hierher zurückzukehren", gab der Zauberer Auskunft. Jane Porter lächelte sehr erfreut und nickte. Dann suchten sie den Ministeriumswagen auf, einen grasgrünen Peugeot. Martha Andrews schlüpfte auf den Beifahrersitz, während sich Julius, die drei Mädchen und deren Großmutter ganz bequem auf dem Rücksitz niederließen. Es wirkte so, als würde das Auto extra in die Breite gezogen, ohne dabei ausgebeult oder zusammengedrückt zu werden. Als die Hintertüren zugeklappt waren, ließ der Chauffeur den Motor an, der leise brummend seine Arbeit aufnahm und den Wagen durch das alltägliche Verkehrsgewühl der Weltstadt an der Seine bewegte.

"Das ist aber nett von dem Minister, daß der euch einen auf Muggeltech getrimmten Wagen geschickt hat", flüsterte Melanie, die rechts neben Julius saß. Gloria, die ihn links flankierte grinste nur. Sie wußte ja schließlich was, daß Melanie nicht wußte und daß auch sie, Gloria, eigentlich nicht wissen durfte.

"Meine Mum spielt häufig Schach mit Madame Grandchapeau und hat Mademoiselle Grandchapeau angeboten, ihr Unterricht im Umgang mit Computern zu geben. Er möchte zeigen, daß er das hoch anrechnet", sagte Julius. Doch eigentlich konnte er sich noch denken, daß der Minister sicherstellen wollte, daß Julius nicht im Paris der Muggel verlorenging.

In der Rue de Liberation 13 packten Martha und Julius je einen großen Koffer mit Kleidung. Martha nahm zu dem noch ihre Festtagsbekleidung und einen Steckdosenadapter mit, da sie ja in einem herkömmlichen Muggel-Wohnhaus unterkommen würden. Aus Julius' Zimmer entlieh sie sich die Mehrfachsteckdose, an der sonst Fernseher, Computer und Drucker angeschlossen waren und steckte ihr Ladegerät für das Mobiltelefon und ihren neuen Laptop-Computer ein.

Als sie ihre Sachen zusammengestellt hatten, nahm Julius noch den Eulenkäfig mit dem darin dösenden Francis mit, den er unbedingt auf den großen Sprung über den Atlantik dabeihaben wollte. Er hatte sich zwar überlegt, ob er das Schleiereulenmännchen nicht bei Claire lassen sollte, dann aber befunden, daß er in den Staaten vielleicht mit anderen Hexen und Zauberern Briefe austauschen müßte und nicht erst Mrs. Porter oder diesen mysteriösen FBI-Zauberer um eine Leiheule bitten wollte.

Mit allem, was sie für wichtig hielten, inklusive Julius' Ganymed in seinem Futteral, ging es zurück zum Ausgangskreis. Dann beschwor Jane Porter wieder eine rote Leuchtsphäre um sie alle herum.

Dieses Mal war es etwas anders, fand Julius. Das wie fernes Gewittergrollen klingende Geräusch wurde kurz nach dem Entstehen der Sphäre zu einem vielstimmigen Klang, der wie ein ferner Chor von andauernd angeblasenen Baßflöten klang. Außerdem meinte er, irgendetwas würde sich in seinem Kopf umdrehen, langsam aber spürbar. Ja, und die Reise war nach zehn Sekunden noch nicht zu Ende. Er fragte Jane Porter, was passierte, weil er die Begleiterscheinungen einer Sphärenreise doch anders kennengelernt hatte.

"Das liegt an der größeren Distanz, die die Sphäre überwinden muß, Julius. Deshalb hörst du auch dieses Sphärensingen. Wir sind bald tausendmal schneller als der Schall in der Luft. Deshalb hast du wohl dieses Drehgefühl im Kopf. Wir sind übrigens gleich da", sagte Jane Porter.

"Unheimlich, eine Strecke von mehreren tausend Kilometern in wenigen Sekunden zu überwinden", sagte Martha Andrews, und ihre Stimme hallte von der Kugelschale wider wie aus der weiten Halle einer Kathedrale. Als habe sie eine Zauberformel ausgesprochen wurden sie und die anderen unmittelbar niedergezogen. Julius sah, wie die Kuppel über ihnen aufklaffte und innerhalb weniger Sekunden im Boden verschwand.

Sie standen nun in einem dunkelgrünen Kreis, der von einer zwei Meter hohen Backsteinmauer umschlossen wurde, die nur an einer Stelle unterbrochen war. Dort war ein silbrig glänzendes Gittertor eingelassen, hinter dem zwei Personen in unterschiedlicher Bekleidung standen. Feuchte Luft umwehte die Angereisten und trug ihnen die fernen Geräusche einer langsam erwachenden Großstadt zu.

Julius blickte auf seine Armbanduhr und las ab, daß es in England, wo er sie in Gang gesetzt hatte, gerade elf Uhr war. Der Standortstundenzeiger wies auf die Sechs. Sie waren in Nordamerika, in New Orleans angekommen.

Das Tor glitt bogenförmig zur Seite, und die beiden Männer traten ein. Der eine trug einen wasserblau gefärbten Umhang, über den rote Querstreifen liefen und der mit weißen Sternen bestickt war und so eine tragbare Version der US-amerikanischen Flagge darstellte. Auf dem Kopf trug dieser Zauberer einen dunkelblauen Zylinder und blickte aus grauen Augen sehr wichtig auf die Ankömmlinge. Der zweite, der hinter dem Tor gewartet hatte war hochgewachsen, wohl an die 1,90 Meter und ttrug dunkelblaue Jeanshosen und ein knallbuntes Hawaiihemd, ähnlich wie der Privatdetektiv Magnum, vermutete Julius. Er besaß einen oben flachen Kopf, von dem eine dunkelblonde Igelfrisur bürstenartig abstand, sowie graublaue Augen und eine Himmelfahrtsnase in einem ansonsten durchschnittlich geformten Gesicht. Er lächelte freundlich.

"Mrs. Martha und Julius Andrews?" Fragte der Mann im Sternenbanner-Umhang. Martha und Julius nickten. "Sind Sie im Besitz von Reisepässen, wie sie in der nichtmagischen Welt erforderlich sind?" Fuhr der würdevoll auftretende Zauberer fort. Martha nickte und förderte zwei kleine Mäppchen aus ihrer Tasche. Der Mann im Umhang nickte und deutete auf seinen Begleiter. Dieser trat vor und sagte freundlich:

"Guten Morgen, Mrs. Andrews! Guten Morgen Julius! Ich bin Zachary Marchand, Ihr Gastgeber für die nächsten Wochen. Darf ich die Pässe haben, um sie mit dem üblichen Einreisestempel zu versehen, damit wir in der Muggelwelt keine Scherereien kriegen?"

"Bitte sehr", sagte Martha, nachdem Jane Porter zustimmend genickt hatte. Melanie lugte auf die Dokumente und schien nicht recht zu wissen, was es damit auf sich hatte.

Mit geübten Handgriffen verpasste Marchand den Reisepässen den Einreisestempel der USA. Julius besah es sich kurz, weil er wissen wollte, wo sie denn eingereist waren und stellte fest, daß sie gestern wohl am Flughafen von Atlanta in die USA eingereist waren. Als er fragte, ob man das irgendwie so hingebogen hatte, daß eine Überprüfung den Schwindel nicht platzen ließ, lächelte Marchand.

"Ja, das wurde so programmiert, nachdem klar war, daß ihr mit der alten Reisesphäre herkommen würdet."

"Ist das hier schon der Weißrosenweg?" Wollte Julius wissen.

"Das ist korrekt", sagte der Zauberer im Sternenbanner-Umhang, der sich bei der Gelegenheit als Peter Bruckner aus der Abteilung für magischen Personenverkehr vorstellte. Er übernahm auch die Registrierung von Julius als vollwertigen Zauberer, womit auch die zaubererweltlichen Einreiseformalitäten erfüllt waren.

"So, nachdem wir nun alle wohlbehalten den großen Wassergraben übersprungen haben", begann Mrs. Porter lächelnd, während Bruckner sie aus dem Kreis hinausführte, "könnt ihr es euch nun aussuchen, was wir zuerst machen. Wir können das Gepäck in Zachs Automobil verladen und uns den Weißrosenweg schon mal ansehen, oder erst zu Zach in das N. O. der Muggel hinüberfahren, um das Gepäck unterzubringen."

"Ich möchte erst unsere Unterbringung aufsuchen", sagte Martha. Julius nickte. Sicher wollte er jetzt, wo er hier war, gleich alles besichtigen, was der Weißrosenweg hergab. Doch es war immer schon besser gewesen, erst das Gepäck einzuräumen und dann den Urlaubsort zu stürmen. Dabei fiel ihm noch etwas ein:

"Wie ist das mit dem Zeitzonenwechseltrank? Kriegen wir den beide oder nur ich?"

"Dieser Trank ist eigentlich nur für vollwertige Hexen und Zauberer zugelassen", sagte Peter Bruckner. "Doch in seltenen Fällen gestatten wir die Ausgabe an nichtmagische Personen, sofern sie als befugte Begleiter vollwertiger, aber noch minderjähriger Hexen und Zauberer registriert wurden. Da dies gerade geschehen ist, werden du und deine Mutter den Ortszeitanpassungstrank erhalten, ob jetzt bei Mrs. Porter oder Mr. Marchand", sagte der Beamte des Zaubereiministeriums.

"Dann besser bei Ihnen", sagte Julius' Mutter Jane Porter zugewandt. Mr. Marchand sah sie erst verdutzt an, nickte dann aber. Natürlich kannte Martha Andrews Jane Porter besser als ihn und schenkte ihr daher bestimmt mehr Vertrauen als ihm.

"Es ist noch so ruhig hier", flüsterte Julius, als sie die kopfsteingepflasterte Straße mit den unterschiedlichen Häusern und Wohngebäuden entlanggingen.

"Die die arbeiten müssen sind schon weg, und die anderen schlafen noch", erwiderte Jane Porter belustigt grinsend. "Aber wenn ihr schnell wiederkommt, erwischen wir bestimmt noch welche in ihrem gemeinsamen zweiten Wohnzimmer hier."

"Im Drachen sind schon welche gewesen, Gran", sagte Melanie leise. "Die werden da wohl noch eine Stunde rumhängen."

"Im Drachen?" Fragte Julius Glorias ältere Cousine. Diese schmunzelte und antwortete:

"Der betrunkene Drache, die beliebteste Bar für reisende Zauberer und Hexen."

"Wie die drei Besen oder der tropfende Kessel, Julius", sagte Gloria. Zwar kannte Julius die drei Besen in Hogsmeade nicht, aber der tropfende Kessel, der Pub zwischen einer Einkaufsstraße der nichtmagischen Welt und der Winkelgasse war ihm vertraut.

"Da drüben steht mein wagen", sagte Zach Marchand, der beide schweren Koffer trug, während Julius seine Reisetasche mit dem Besen und eine große Tasche seiner Mutter trug. Doch wo er mit seinem Kopf hindeutete war nur eine rote Backsteinmauer, die an die drei Meter nach oben ragte. Julius konnte sich denken, daß hier wohl der Durchgang zur Muggelwelt lag. Seine Mutter hingegen blickte nur auf die Mauer und meinte:

"Haben Sie den Wagen etwa unsichtbar gemacht?"

"Nein, der steht hinter der Mauer", sagte Mr. Marchand und ging voran. Er berührte die Mauer mit dem linken Ellenbogen, worauf sie irgendwie unscharf wurde, als habe sich feiner Nebel vor ihr gebildet. Dann trat er mit den Koffern durch die Mauer hindurch, als wäre sie Luft. Martha blieb jedoch vor der Mauer stehen. Julius trat zu ihr hin und sagte ihr:

"Das ist so ähnlich wie bei Gleis 9 3/4, Mum. Du mußt denken, da ist keine Mauer und einfach losgehen, ohne Angst, dagegenzuprallen."

"So einfach geht das für deine Momma nicht, Julius", sagte Mrs. Porter und trat zu Martha Andrews. Sie stubste sie kurz mit dem Zauberstab an, worauf um Martha eine bläulich-grüne Dunstwolke entstand. "Gehen Sie jetzt durch, Ma'am. Ich habe Ihre eigene Aura mit einem vorübergehenden Magiekonzentrat aufgeladen, damit der Sperrzauber der Trennmauer Sie durchläßt."

Martha Andrews nickte und schritt voran. Um sie herum vibrierte der bläulich-grüne Nebelschleier, als sie die Mauer berührte und unangefochten hindurchgelangte. Dann trat Julius hindurch. sein magisches Eigenpotential reichte völlig aus, ihn anstandslos passieren zu lassen, ja er fühlte überhaupt nichts, als er durch die scheinbar so solide Backsteinwand trat. Von einer Sekunde zur anderen stand er in einer Einfahrt, die wohl zu den beiden Holzhäusern links und rechts gehören mochte und für alle anderen wohl an dieser Mauer endete. Dort parkte ein metallikblauer Ford mit vier Türen. Julius sah sich um. Jane Porter war auch durch die Mauer getreten.

"Ich habe die Mädchen zu meinem Haus zurückgeschickt, Honey, weil ich euch beiden ja versprochen habe, euch sicher unterzubringen", sagte sie.

"Wie weit ist das denn von hier?" Fragte Julius, als Mr. Marchand gerade das Gepäck in den geräumigen Kofferraum wuchtete.

"Kommt auf den Stadtverkehr an", sagte Marchand und griff nach Julius' Reisetasche. Doch er schaffte es nicht, sie um einen Millimeter zu bewegen.

"Mihisolum-Zauber?" Fragte er. Julius nickte grinsend. "Tja, dann mußt du die selbst in den Kofferraum tragen", sagte Zachary Marchand kühl. Julius nickte und brachte seine Reisetasche mit den größeren Zauberweltsachen wie die Trophäen und die Umhänge in den Wagen.

Unterwegs in den Straßen von New Orleeans hörten sie Musik aus dem Autoradio und die neusten Nachrichten aus Atlanta. Martha Andrews, die mit Julius im Fond des Wagens saß, flüsterte ihm zu, daß sie nachher noch einmal mit Joe telefonieren wolle.

"Was haben Sie von den Nachrichten aus der Mugg..., ähm, nichtmagischen Welt mitbekommen?" Fragte Marchand seine europäischen Gäste. Martha und Julius erzählten, daß sie wußten, daß es in Atlanta einen Bombenanschlag gegeben habe und daß die Spiele dort trotzdem weitergingen.

"Was hätten sie auch anderes machen können", meinte Jane Porter. "Wenn ein solcher Anschlag passiert, und man bricht dann alles ab, was gerade stattfindet, könnte jeder kleine Verbrecher die ganze Öffentlichkeit terrorisieren. Abgesehen davon verdienen die mit diesem Zirkus doch auch eine ganze Menge Geld, auf das die nicht verzichten wollen."

"Das sowieso, Jane", sagte Zachary Marchand. Dann wechselte er das Thema und beschrieb die Sehenswürdigkeiten von New Orleans, an denen sie gerade vorbei fuhren, wie die Saint-Louis-Kathedrale oder die Häuserfronten des französischen Viertels mit ihren Balkons, die erst vor wenigen Monaten im alten Stil wieder angebaut worden waren, nachdem sie Jahrzehnte lang aus dem Stadtbild verschwunden waren.

"Wenn Sie es möchten gehen wir da auch noch einmal richtig rein", sagte Mr. Marchand. "Wir müssen nur die üblichen Sicherheitsregeln einhalten, die für Großstadttouristen gelten. Ansonsten lohnt sich ein Bummel durch die alten Straßen immer wieder."

Entlang der Kanal Street, einer langen und verkehrsreichen Hauptstraße, ging es in ein anderes Viertel, das zwar nicht vor Villen oder anderen Prachthaäusern strotzte, aber auch nicht den ärmsten Leuten als Wohnraum diente, wie Julius an der Größe der Häuser erkannte. Hier, in einer ruhigen Nebenstraße, hatte Zach Marchand ein Einfamilienhaus, für das er der Stadt jeden Monat eine beachtliche Miete zahlte, so sagte er, ohne genau zu erwähnen, wie hoch diese war. Der Wagen glitt in eine Garage, deren Tore per Fernsteuerung auf- und zuschwangen, wie Julius es von seinem Elternhaus und dem Haus der Brickstons her kannte. Durch eine mit Holz verschalte Stahltür, die mit mehreren Schlössern gesichert war, ging es hinüber in das Wohnhaus.

Julius hatte sich immer gefragt, wie ein Agent der legendären amerikanischen Bundespolizei FBI wohnen würde. Offenbar kam die Einrichtung dem nicht nahe, erkannte er sofort, als sie durch einen Flur gingen, der wie eine Diele in jedem Mittelklassehaus eingerichtet war. Weiße Rauhfasertapeten, ein beige-brauner Teppich auf dem Boden und eine Deckenlampe mit kleinem, weißem Schirm kleideten den Korridor aus, von dem aus fünf Türen abgingen. Jane Porter, die wohl schon einmal hiergewesen war, folgte ohne ein Wort dem Hausherrn und den Gästen zu einer Treppe, die in den Keller oder in das Dachgeschoss führte. Er brachte Mutter und Sohn Andrews hinauf und zeigte ihnen die beiden Gästezimmer und das Bad, das mit den üblichen Alltagsgegenständen der nichtmagischen Welt eingerichtet war. Im größeren Zimmer, wo Martha Andrews unterkommen sollte, stand sogar ein großer Fernseher mit Videorekorder.

"Falls es Ihnen und dir mal echt langweilig werden könnte", sagte Marchand schmunzelnd. "Aber ich denke, Jane hat da was gegen, daß hier Langeweile aufkommt."

"Das dürfen Sie annehmen, Zachary", sagte Jane Porter entschlossen.

Da in der Muggelwelt nicht so hemmungslos herumgezaubert werden durfte, dauerte das Auspacken der Koffer und Einräumen von Wäsche und Waschzeug etwa zehn Minuten. Julius nutzte die Zeit, um einen Blick aus dem Fenster zu werfen. In der Ferne konnte er die Kuppel des Superdomes, einem gigantischen Sportstadion, im Licht der Morgensonne schimmern sehen und auf den monoton rauschenden Autoverkehr lauschen. Zwar mußten seine Lungen sich wieder an Abgase gewöhnen, doch ein drohender Erstickungsanfall wie in Paris zu Beginn der Weihnachtsferien suchte ihn nicht heim. Das einzige was ihn wirklich störte war die feuchte Luft, die wie ein nasses Handtuch auf seiner Haut wirkte. Das mochte noch was geben, wenn die Temperaturen hier erst wieder angeheizt wurden. Dann dachte er noch daran, daß der ganze Bundesstaat Louisiana im Einzugsgebiet verheerender Wirbelstürme lag und er dankbar sein mußte, wenn er nur schönes Wetter erleben durfte.

"Julius, hast du deine Sachen alle untergebracht?!" Rief seine Mutter aus dem kleinen Verbindungskorridor zwischen den Zimmern und dem Gästebad.

"Yep, Mum", erwiderte Julius und schloß den geräumigen Schrank, in dem er problemlos alles untergebracht hatte, was er an Normalstadt- und Zaubererweltkleidung mitgenommen hatte.

"In Ordnung, dann gehen wir erst einmal frühstücken", sagte Jane Porter. Julius dachte daran, daß er jetzt eigentlich Hunger auf das Mittagessen hatte. Doch hier hatte man ja sechs Stunden früher als in Paris.

"Frühstücken wir hier?" Fragte Julius, nachdem er das Gästezimmer wieder verlassen hatte.

"Wir frühstücken bei mir", sagte Mrs. Jane Porter.

"Dann ziehe ich mich besser um", sagte Julius und schlüpfte in das Zimmer zurück. Mrs. Andrews wollte zwar was sagen, doch nickte dann verstehend und ging auch noch einmal in das ihr zugewiesene Zimmer. Mrs. Porter ging ihr nach und redete wohl mit ihr, während Julius einen tannengrünen Umhang aus dem Schrank nahm. Als er dann wieder zurück auf den Flur kam trug seine Mutter einen hellblauen Rock und eine weiße Bluse.

"Ich habe deiner Mutter geraten, sie möchte nicht in zu modischen Muggelsachen herumlaufen", sagte Mrs. Porter zu Julius. Dann verließen sie das Haus wieder durch die direkte Verbindungstür zur Garage.

Mit dem Wagen ging es wieder zurück zur roten Mauer. Hier lud Jane Porter Martha Andrews erneut mit dem Magiekonzentrat auf, das sie in diese dunstige bläulich-grüne Aura einhüllte, die Julius vorher schon gesehen hatte. Tatsächlich hielt dieser Zauber nur zwanzig Sekunden vor, bevor der schimmernde Dunst sich in Nichts auflöste.

Der Weißrosenweg war mindestens zwei Kilometer lang, stellte Julius fest, als sie an unterschiedlichen Häusern vorbeigingen und dabei verschiedene Leute trafen, die gerade herauskamen oder unbefangen mitten auf der Straße apparierten oder von dort disapparierten. Julius' Mutter zuckte zwar immer wieder zusammen, weil es mal hinter und mal vor ihr knallte, verlor aber nie ein Wort darüber. Auch als eine Horde jauchzender Junghexen auf Besen über sie hinwegzischte blieb sie völlig gelassen. Immerhin hatte sie in Millemerveilles ja nichts anderes kennengelernt.

Da vorne ist der betrunkene Drache", sagte Mrs. Porter und wies auf ein großes dreistöckiges Fachwerkhaus mit einem plattierten Vorplatz, der von mehreren großen Blumenkübeln begrenzt wurde. Über der grasgrünen Flügeltür war ein Bronzeschild angebracht, auf dem ein Drache abgebildet war, der heftige Schlagseite hatte und dessen Augen irgendwie ungerichtet umherblickten. Darunter stand in großen, runden Buchstaben:

"Gasthaus zum betrunkenen Drachen
geöffnet von 5 Uhr morgens bis 1 Uhr nachts
Eigentümer: Mr. Bachus und Mrs. Philomena Vineyard
Alkoholausschank nur an volljährige Gäste
Frühstück von 5 bis 11, Mittagessen von 12 bis 3, Kaffee und Kuchen ab 4 bis 6 und warmes Abendessen von 6 Uhr bis 11 Uhr abends, danach nur noch Getränke und kalte Speisen bis zur angegebenen Schlußzeit."

"Wie sind denn die Preise da?" Fragte Julius, als sie an dem Vorplatz vorbeigingen, auf dem runde Tische und hochlehnige Gartenstühle standen.

 

"Fünf Sickel für das Komplettfrühstück, Julius. Aber das kriegst du bei mir heute kostenlos", sagte Jane Porter freundlich lächelnd. Dann meinte sie noch: "Wenn wir schon mal dabei sind, was Ernährung und Unterbringung angeht brauchen Sie, Martha und du Julius nichts zu bezahlen. Das sage ich nur einmal und nicht immer wieder."

"Huch, wieso jetzt so ärgerlich, Jane?" Fragte Mr. Marchand irritiert.

"Weil mein werter Filius und meine Filia der Meinung huldigten, mir für die Unterbringung ihrer Töchter Geld anbieten zu müssen und ich ziemlich lange mit denen diskutieren mußte, um ihnen zu vermitteln, daß mein Mann und ich die Mädchen aus reiner Freude an unseren Enkelkindern bei uns wohnen haben."

"Ihr Mann arbeitet schon?" Fragte Martha Andrews.

"Der ist schon in der Redaktion. Der frühe Vogel fängt die dicksten Würmer", sagt er immer. Aber das werden Sie wohl von ihm selbst noch zu hören kriegen", erwiderte Jane Porter, nun wieder freundlich und gelöst.

Sie gingen weiter, bis sie zu den Häusern mit den Vierzigernummern kamen. Dann erreichten sie die Häuser Nummer 49 und 51.

Haus Nummer neunundvierzig war ein gemütliches kleines Fachwerkhaus mit rotem Ziegeldach und zwei großen Kaminen, das einen Vorgarten mit grünem Jägerzaun und Gartentor besaß. Hinter dem Haus mochte noch ein größerer Garten angelegt worden sein. Die Häuser standen weit genug auseinander, um bequem zwischen ihnen hindurchsehen zu können.

Haus einundfünfzig war ein etwas größeres, wohl vier Stockwerke hohes Ziegelhaus mit einem kuppelartigen Dach, dessen Scheitelpunkt ein zwei Meter hoher Schornstein bildete. Anstatt eines Zaunes friedeten hohe Hecken den vorderen Bereich ein. Nur ein extra zurechtgeschnittener Durchlaß zwischen zwei Hecken erlaubte den Zugang zum Haus.

Beide Häuser besaßen große kristallklar geputzte Fenster mit roten Läden am Haus neunundvierzig und weißen am Haus einundfünfzig. Die Türen waren wohl eher verkleinerte Portale, weil sie zweiflügelig gearbeitet waren und unter einem rundbogenartigen Vordach lagen, das von je zwei schlanken Holzfeilern gestützt wurde.

"Folgen Sie mir bitte!" Sagte Jane Porter sehr betont und öffnete das Gartentor im jägergrünen Zaun. Die Andrews' und Mr. Marchand folgten der untersetzten Hexe zur Eingangstür, die sich unter Janes Händedruck von selbst öffnete. Julius fiel das mit den Individualabtastern ein, die in Zukunftsgeschichten auf die körperlichen Merkmale oder -Energieausstrahlungsfrequenzen eingestellt werden konnten und so den Bewohner eines Hauses oder Zimmers selbst zum Haustürschlüssel machten. Wahrscheinlich war hier etwas vergleichbares eingerichtet worden. Sicher, Schlüssel konnten verlorengehen oder gestohlen werden. Körperliche oder ausstrahlungsbedingte Merkmale zu kopieren war dagegen schier unmöglich.

Durch einen holzgetäfelten Flur mit dicken Teppichen ging es in ein geräumiges Wohn- und Esszimmer. Große Gemälde hingen an den Wänden, Zaubererbilder mit lebendig wirkenden Tiermotiven. Da war ein Froschteich, Büffel in der Prärie, fliegende Vögel unter einem Himmel, der wohl an den natürlichen Himmel angekoppelt war, Pferde, Kühe und Bewohner der gemäßigten Wälder wie Hirsche, Wildschweine oder Füchse. Ja, sogar einen majestätischen Grizzlybären konnte Julius sehen. Der Raum selbst war mit einer gemütlichen Sitzecke mit achteckigem Couchtisch und einem langen Esstisch mit hochlehnigen Stühlen eingerichtet. Dann war da noch ein großer Schrank mit vier Türen, in die kleine gewölbte Sichtfenster eingelassen waren. Im Kamin des Zimmers prasselte ein munteres Feuer und verströmte wohlige Wärme und ein flackerndes orangerotes Licht. Auf dem großen Sofa lümmelten sich die drei Enkeltöchter von Jane Porter herum, die keine Anstalten machten, sich aufrecht hinzusetzen, nur weil ihre Oma mit den Gästen hereinkam.

"So, das ist unser Wohnzimmer", stellte Mrs. Porter den Raum vor. "Hier werden wir frühstücken. Mädchen, kommt bitte an den Tisch!" Sie deutete mit einer energischen Handbewegung auf das Sofa.

"Mit diesen Muggelwagen dauert das aber lange", meinte die jüngere von Glorias Cousinen. Ihre Schwester Melanie nickte zustimmend.

"Tja, das liegt einfach daran, daß so viele Muggelwagen unterwegs sind", gab Mr. Marchand leicht ungehalten zur Antwort.

"Ich wollte Ihnen nichts böses", sagte Myrna verlegen dreinschauend. "Ich habe das nur mitgekriegt, wie lange das jetzt gedauert hat.

"Ich bin dir auch nicht böse, Mädel. Mich ärgert das nur, wie umständlich ich hier anreisen muß, wenn ich Gäste habe. Ich würde auch lieber auf einem Besen herkommen oder apparieren. Aber mit zwei Mann auf dem Besen, noch dazu mit Gepäck, ist nicht möglich. Vom Apparieren ganz zu schweigen", sagte Mr. Marchand beschwichtigend. Julius grinste in sich hinein. Daß er nicht mit Muggeln fliegen oder apparieren durfte erwähnte der FBI-Mann nicht. Dann kam Julius die Erkenntnis, daß der Zauberer mit dem flachen Kopf wohl eine Übung in Diplomatie gemacht hatte, damit Martha Andrews sich nicht wie ein Klotz am Bein von jemandem vorkam und bewunderte diese Begründung.

"Hast du heute deine Windbeutel-Schokocrememuffins gemacht, Oma Jane?" Fragte Gloria ihre Großmutter. Diese nickte und lächelte warmherzig.

"Unter anderem", sagte sie und zog ihren Zauberstab. Mit einer Winkbewegung ließ sie eine blütenweiße Leinendecke über der Tischplatte herabsinken. Als diese lag genügten drei schnelle Gesten der erwachsenen Hexe, Frühstücksgeschirr mit silbernem Besteck, Porzellangeschirr und drei großen Kannen, eine Karaffe Orangensaft und fünf große Tabletts mit Pfannkuchen, Brot, rundlichen Gebäckstücken und einer Tonschale mit Erdnusbutter auf den Tisch zu bringen, so rasch, daß Martha vor Staunen erstarrte. Sicher, sie hatte in Millemerveilles so viele Zauberein gesehen. Aber aus dem Nichts innerhalb von nur fünf Sekunden ein komplettes Frühstück auf einen vorher nicht gedeckten Tisch zu bringen imponierte ihr.

Bevor sie mit dem Frühstück anfingen bekamen Martha und Julius Andrews ein Glas aus einer goldenen Flasche mit einem Etikett, das das Zifferblatt einer Uhr darstellte. Sie tranken beide schnell die wie eine Mischung aus Fleischbrühe und Zitronensprudel schmeckende Flüssigkeit. Julius fühlte erst nur ein Prickeln im Magen. Dann schien etwas in alle Fasern seines Körpers zu explodieren und kurz daran zu rütteln. Dann war es auch schon vorbei. Julius fühlte sich nun so, als sei er gerade erst aufgestanden, als wäre er nicht schon über sechs Stunden auf den Beinen und habe sein Gepäck geschleppt. Er hatte den Ortszeitanpassungstrank getrunken, der einen Reisenden in einem einzigen Moment auf die am Zielort vorherrschende Tageszeit einstimmte, woher er auch immer gerade gekommen sein mochte. Seine Mutter schien von der blitzartigen Umstellung der inneren Uhr etwas heftiger gebeutelt worden zu sein. Sie wirkte bleich und schwindelig, als habe sie gerade eine wilde Karussellfahrt überstanden. Doch dann kehrte die Farbe wieder in ihr Gesicht zurück.

"Oh, bei Muggeln macht der Trank etwas schwurbelig, weil der Körper die freisetzung magischer Ströme nicht gewöhnt ist. Aber glauben Sie mir, jetzt haben Sie keine Probleme mit dem Zeitunterschied, Mrs. Andrews", sagte Mrs. Porter.

"Wie Sie meinen, Madame", sagte Martha Andrews nur. Dann griff sie zum Frühstücksbesteck und wartete, bis Mrs. Porter ihr und den anderen einen guten Appetit gewünscht hatte.

Julius genoss das Frühstück, zu dem es Kaffee, Tee oder Kakao gab. Ein Milchkännchen auf vier zerbrechlichen Beinchen flitzte über den Tisch, wenn jemand nach Milch fragte, und ein bauchiger Zuckerspender aus Holz, der wie ein Gartenzwerg aussah, trippelte zu jedem, der Zucker in Tee oder Kaffee haben wollte, um einen Zuckerwürfel aus dem aufklappbaren Kugelbauch herauszufischen und ohne Spritzer in die Tasse fallen zu lassen. Die runden Gebäckstücke, die Muffins, waren so gebacken, daß in ihnen viele Dutzend Luftkammern waren, die mit etwas Schokoladencreme ausgekleidet waren. Deshalb hießen die wohl Windbeutel-Schokomuffins, erkannte er. Als er festgestellt hatte, daß die Erdnusbutter hier nicht viel anders schmeckte als er sie einmal kennengelernt hatte, ließ er davon ab. Das war nicht sein Fall. Stattdessen langte er bei den Pfannkuchen zu, die mit Speck, Pflaumenmuß, oder Hackfleischstückchen gefüllt waren.

Sie unterhielten sich über Millemerveilles, wie Martha die Zaubererhochzeiten gefallen hatten, hörten sich an, was Julius über die geflügelte Kuh erzählte und besprachen kurz den Überfall der Dementoren nach dem Sommerball.

"Dementoren sind die einzigen Kreaturen, die unangefochten in das Dorf reinkönnen, Mrs. Andrews, Julius. Sardonia wollte sie damals bekämpfen und wurde von ihnen getötet. Deshalb haben diese Monster diese Immunität gegen die ansonsten wirksamen Abwehrzauber entwickelt", erklärte Mrs. Porter. Gloria fragte, ob die in Millemerveilles nun davon ausgingen, daß sie nun jede Nacht heimgesucht würden. Julius meinte dazu, daß Madame Faucon angeregt habe, die Dementorenvernichtungszauber zu benutzen, die ein gewisser Balder erwähnt habe.

"Ja, das geht", bestätigte Mrs. Porter. "Allerdings müssen dazu vier voll ausgebildete Hexen oder Zauberer pro Dementor zusammenarbeiten. Wenn hundert dieser Scheusale auf einmal einfallen, wird es schwierig. Doch mehr möchte ich dazu nicht sagen, weil es zu gefährlich ist, damit herumzuwerkeln, wenn man noch nicht korrekt ausgebildet wurde." Sie lächelte Julius vielsagend an, der wohl darauf gehofft hatte, den Dementorenauslöschungszauber im Vorbeigehen von ihr erklärt zu kriegen.

"Nun, wir dürften im Moment sicher sein, solange Sie-wissen-schon-wer sich auf Britannien und Europa konzentrieren muß", sagte Marchand. Dabei wirkte er so, als müsse er das jetzt sagen, obwohl er selbst es nicht so recht glaubte.

"Minister Pole und Strafverfolgungsleiter Swift haben vor drei Wochen den Dementoren-Destruktions-Erlass ausgegeben", sagte Mrs. Porter. Wenn irgendwo welche aufgespürt werden, sind die Inobskuratoren, so heißen die Spezialisten gegen die Dunklen Künste bei uns, dazu berechtigt, sie zu vernichten. Daß in England ja jetzt ein Jäger schwarzer Magier und dunkler Kreaturen zum Minister berufen wurde wißt ihr ja. Der muß seine Truppen jetzt auf Balders Methoden vorbereiten, um den marodierenden Monstern beizukommen. Das kann aber noch dauern", gab Mrs. Porter verbittert zurück.

"Mir hat es einen heftigen Schrecken eingejagt, plötzlich von einer solchen Flut von Angst und Verzweiflung überrollt zu werden, daß ich erst dachte, ich würde wahnsinnig, weil ich diese Dämonen ja auch nicht gesehen habe und es kalt und dunkel war", sagte Martha Andrews beklommen dreinschauend. "Tja, und diese Alptraumvisionen, die sie verbreiten machen das ganze noch unerträglicher."

"Vor allem dann, wenn man weiß, daß die Alpträume ... Autsch, Gloria!" Myrna wollte wohl gerade sagen, daß die von den Dementoren erzeugten Schreckens- und Trauerbilder im Kopf die Erinnerungen an schlimme Ereignisse waren. Doch Gloria wollte das wohl nicht, daß Julius' Mutter das wußte. Diese sah Gloria tadelnd an und meinte:

"Du hättest deiner Cousine nicht auf den Fuß treten müssen, Gloria. Man hat mir in der Delourdes-Klinik erzählt, diese Höllengeschöpfe ziehen einem die glücklichen Erinnerungen aus dem Kopf und verstärken die unangenehmen und schrecklichen so heftig, daß man sich wie auf einem Alptraumkarussell vorkommt, das durch die schlimmsten Bilder des Lebens kreist. Ich bin kein kleines Mädchen mehr, daß man mir sowas nicht erklären darf."

"Da hast du's, Gloria", triumphierte Myrna und knuffte ihrer Cousine energisch in die Seite. Diese verzog erst das Gesicht vor Schmerzen, um dann knallrot anzulaufen, vom Hals bis zu den Ohrren. Sie nickte schwerfällig und sagte total verlegen:

"Ja, ist wahr, Mrs. Andrews. 'tschuldigung. Aber ich dachte, es würde nur schlimmer, wenn man das weiß und wollte nicht, daß Sie noch mehr Angst vor diesen Monstern kriegen. Wahrscheinlich wissen Sie, daß Julius und ich auf der allerersten Fahrt nach Hogwarts schon mit diesen Kreaturen zu tun bekamen."

"Ja, das weiß ich mittlerweile. Im Nachhinein noch erschreckender, was man vorher nicht mitbekommen hat und es einen doch angeht", sagte Martha.

"Am besten reden wir nicht weiter über diese Bestien", seufzte Marchand. "Ich wage mir nicht vorzustellen, was für ein Chaos das gibt, wenn die in größere Städte reingehen ... wie New York." Irgendwie war Julius, als müsse der FBI-Agent unter den Zauberern sich überlegen, ob er das jetzt sagen sollte. Mochte es sein, daß vielleicht schon einmal Dementoren in den Staaten herumgespukt hatten?

"Wann waren die letzten Dementoren in Amerika?" Fragte Julius rasch, bevor er es sich anders überlegen konnte.

"Das ist schon eine Weile her", sagte Jane Porter sehr rasch. "Es waren nur zwei und die kehrten wohl schnell zurück, als sie nicht fanden, was sie suchten. Es ging damals um den Versuch des bösen Hexers Voldemort, Verbündete in den Staaten zu werben. Mag sein, daß er das erneut versucht. Aber im Moment denke ich, daß er hier einstweilen niemanden für seine Sache findet, will er nicht auffallen."

"Das kann dem doch jetzt total egal sein", sagte Julius. Jane Porter sah ihn sehr ernst an, fast so ernst wie Madame Faucon, wenn sie ihn tadeln wollte.

"Honey, es gibt Sachen, über die sollten sich nur die Leute die Köpfe zerbrechen, die dafür bezahlt werden und die nötige Erfahrung haben. Meine Kollegen und die Inobskuratoren aus dem Zaubereiministerium müssen sich damit rumschlagen. Glaube es mir, Julius, daß du besser schlafen kannst, wenn du dich nicht mit diesen Dingen beschäftigen mußt."

"Will sagen, ich soll mich da raushalten", knurrte Julius verärgert. Jane Porter nickte bestätigend. Dann straffte sich Julius und fragte frei heraus: "Wissen Sie eigentlich mittlerweile, was mit meinem Vater ist? Mum sagte mir, der sei seit März umgezogen und seit Mai nicht mehr übers Telefon zu erreichen. Sie wollten ihn doch suchen."

"Wir wissen nicht wo er ist", sagte Jane Porter auf einmal alles andere als streng klingend. "Seit Mai ist er nirgendwo mehr aufgetaucht. Minister Pole hat meine Anfrage, ihn von unseren Leuten suchen zu lassen abgelehnt."

"Vielleicht können Sie ihn finden", sagte Julius zu Zachary Marchand.

Der Zauberer sah Julius sehr genau an und meinte dann: "Nun, wenn keiner ihn bisher vermißt hat, wird ihn keinr gesucht haben. Aber ich kann mich mal umhören, ob er eine neue Adresse hat. Aber sei nicht enttäuscht, wenn ich die dir nicht verraten darf, falls er es vorgezogen hat, unter einer geheimen Anschrift weiterzuleben, Julius. Es gibt in den Staaten Leute, die müssen Feinde fürchten und bleiben lieber in Deckung. Wenn ich das von Mrs. Porter richtig mitbekommen habe ist dein Vater ein Experte für Chemie. Kann sein, daß er nun für jemanden arbeitet, der seine Mitarbeiter nicht allgemein auffindbar lassen möchte. Die detroiter Firma, wo er wohl gearbeitet hat, gibt es nicht mehr. Das kann in Amerika von heute auf morgen passieren. Ein großer Schwarm Geschäftsleute verdient sich damit dumm und dämlich, Betriebe zu kaufen und zu verkaufen."

"Okay, wenn Sie ihn finden und es mir nicht sagen dürfen, sagen Sie mir bitte nur, daß er gefunden wurde und noch lebt", sagte Julius. Seine Mutter nickte schwerfällig. Irgendwie bedrückte sie dieses Thema mehr als das Gespräch über die Dementoren. Julius sah sie fragend an, und sie wich seinem Blick aus. Wußte sie vielleicht mehr als sie ihm bisher hatte sagen wollen? Er nahm sich vor, sie noch einmal zu fragen, wenn sie beide alleine waren.

Es ploppte im Kamin, und der Kopf einer fast erwachsenen Hexe mit weizenblonder Löwenmähne, einem blaßrosa Gesicht mit hohen Wangen und roten Lippen saß zwischen den prasselnden Flammen. Sie blickte mit dunkelbraunen Augen umher und sah zuerst Melanie Redlief an, die sich gerade dem Kamin zuwandte und dann Mrs. Porter.

"Hi, Mrs. Porter. Meine Mom sagt, sie müsse wegen eines in der Nähe von Barstow aufgetauchten Donnervogels los, den einzufangen und in die Berge zurückzubringen. Wenn es Ihnen nichts ausmache, sagt sie, könne ich fragen, ob ich jetzt schon rüberkommen könne. Darf ich?" Sprach das Mädchen mit einer ziemlich tiefen Stimme, die Julius einen erregenden warmen Schauer durch den Leib jagte.

"Hi, Brit. Mel hat mir das schon gesagt, daß du kommen wolltest. Hast Glück, daß wir schon wieder in New Orleans sind. Wir haben unsere Feriengäste abgeholt", sagte Jane Porter lächelnd und ddeutete auf Martha und Julius Andrews. Der Mädchenkopf im Kamin lächelte erfreut und nickte Martha Andrews und dann Julius zu.

"Ah, das ist Glos ehemaliger Schulkamerad, den die Franzen in ihre Hochleistungsburg geholt haben", sagte sie. Julius grinste. Wer war dieses Mädchen? "Mom sagte, Sie hätten eine Ganzkörpersperre im Kamin. Darf ich zu ihnen reinflohen oder möchten Sie, daß ich mit meinem Millie rüberkomme? Würde dann halt acht Stunden dauern."

"Willst du mich ärgern, Brittany Forester? Dann müßtest du schon was wirklich heftiges sagen. Natürlich kommst du durch den Kamin rein", lachte Mrs. Porter. Der Kopf im Kamin ruckte einmal vor und zurück. Dann fragte er:

"Okay, in einer Minute?"

"In einer Minute", bestätigte Mrs. Porter. Mit einem leisen Plopp verschwand der Kopf wieder aus dem Kamin.

"Bitte was ist denn ein Millie?" Fragte Julius, den der Name zu heftig an Millie Latierre denken machte.

"Das ist der Bronco Millennium, der bisher schnellste Besen Amerikas. Der ist schneller als der Feuerblitz und extra für die weiten Strecken über den Staaten gebaut", sagte Mel Redlief stolz. Dann meinte sie mit etwas neidischem Gesichtsausdruck: "Deshalb können den sich auch nur die Kids von echt reichen oder wichtigen Leuten zulegen. Brits Mom ist unsere Lehrerin für magische Geschöpfe, Professor Lorena Forester. Deshalb hat die den Millie, während wir anderen gerade mal den Centie haben."

"Der völlig ausreicht, Honey", sagte Mrs. Porter aufmunternd zu Melanie. "Außerdem hat Lorenas Nesthäckchen ja nie damit angegeben, was sie so alles kriegen kann oder schon hat oder?"

"Hmm, mir kam das nich' so vor, Oma", sagte Mel. "Aber andere könnten das meinen, die nicht so wichtige Eltern oder Großeltern haben."

"Ich mache mal eben die Sperre raus", sagte Mrs. Porter und stand auf. Sie trat an den Kamin heran, machte mit dem Zauberstab sehr schnelle Bewegungen davor, die Julius fast nicht verfolgen konnte. Er kannte das von den Priestleys und Madame Faucon, wenn eine magische Sperre im Kamin für Flohpulver-Benutzer aufgehoben wurde. Dann löschte sie das Feuer und ließ das Holz auf einen Steintisch neben der Feuerstelle fliegen. Kaum war eine Minute vorbei, fauchte ein smaragdgrüner Flammen- und Funkenwirbel im Kamin, aus dem sich erst schemenhaft und dann erst wild rotierend und dann rasch langsamer werdend eine menschliche Gestalt schälte, die in den Kamin hineinfiel und dann als Mädchen im sonnengelben Umhang auf dem Kaminrost zu landen. Wie beiläufig hüpfte die junge Hexe aus dem Kamin heraus und schüttelte mit einer raschen Bewegung die Asche aus dem schulterlangen Haar. Julius sah sie an wie ein Weltwunder. Denn sie war mindestens so groß wie Martine Latierre oder ihre erwachsenen Verwandten.

"Joh, was machen wir dann gleich. Gehen wir erst durch den Weißrosenweg oder machen wir das französische Viertel unsicher?" Fragte Julius seine Mutter. Diese grinste.

"Als wenn das uns bräuchte, um unsicher zu werden." Dann schlug sie vor, erst durch den Weißrosenweg zu bummeln, wenn sie schon einmal hier waren. So zogen sie nach dem Frühstück los, um die breite Kopfsteinpflasterstraße zu besichtigen. Julius fielen dabei die silbrigen Jalousien auf, die aufgerollt über den Kellerfenstern angebracht waren. Sie fanden sich an jedem Haus, das einen eigenen Keller besaß, auch an dem der Porters. Sie liefen an den Läden für Pergament und Zaubertrankzutaten vorbei, bewunderten feine Umhänge im Schaufenster eines Bekleidungsgeschäftes und schnupperten den Duft frischer Backwaren. Eine rundliche Hexe vor einer Bäckerei lächelte die Besucher an und fragte, ob sie Hunger auf magische Mufalettas hätten. Jane Porter kaufte für ihre Gäste, auch für Brittany, je eines dieser großen Sandwiches. Julius wunderte sich einwenig, weil es eher wie ein kleiner Laib Brot aussah. Doch als er hineinbiss und Curryhuhn mit Reis darin fand, sein Lieblingsessen, wunderte er sich nicht schlecht. Vor allem tropfte von der Currysoße nichts heraus oder entfiel dem Gebäckstück ein einziges Reiskorn. Er aß genüßlich von der magischen Muffaletta, bis nichts mehr davon übrig war.

"Woher wußte die, was ich so gerne esse?" Fragte Julius Mrs. Porter.

"Die wußte das nicht. Aber die Sandwiches werden mit Zauberingredentien verbacken, die beim Zubeißen Geschmack und Bißfestigkeit dessen annehmen, was der Esser am liebsten isst. Die Muffalettas sind patentgeschützt und werden nur hier verkauft."

"Genial. Obwohl ja bestimmte Tränke auch für jeden einzelnen anders duften können wie Amortentia. Aber den haben die da bestimmt nicht reingebacken, oder?"

"Wirst du merken, wenn du gleich zu Mrs. Goldflour zurückkehrst und ihr deine unendliche Liebe eingestehst", flüsterte Mrs. Porter belustigt. Julius grinste. Natürlich würde man hier auf offener Straße keinen so heftigen Liebestrank als Basis für ein bezaubertes Brötchen verwenden. Das flog ja sofort auf.

Sie statteten dem Geschäft von Sam und Ruby Dexter einen Besuch ab. Dabei stellte es sich heraus, daß Sam ausgeschrieben Samantha und Ruby ausgeschrieben Ruben hieß. Das hatte Julius zwar erst irritiert, doch dann amüsiert, weil er Ruby doch eher als Mädchennamen kannte und Sam doch häufiger auch ein Samuel sein mochte. Er erfuhr auch, daß die Dexters die Verwandten des zauberkunstbeamten Habilius Dexter waren, der Julius' Laterna Magica patentiert hatte. Daran erinnerten die sich sogar. Sam Dexter, eine Hexe mit kupferfarbenen Ringellöckchen und hellgrauen Augen, fragte ihn herausfordernd lächelnd, ob er auf Geschäftsreise in den Staaten sei, um weitere Lizenznehmer für sein Patent zu werben.

"Nöh, ich wurde eingeladen, hier meine Ferien zu verbringen", erwiderte Julius grinsend. Ruby Dexter, ein athletisch gebauter Zauberer mit derselben Haartracht und Augenfarbe wie seine Schwester meinte dann:

"Dann möchten Sie das auch nicht in den Kristallherold oder die Stimme des Westwindes setzen, daß Sie gerade in Amerika sind und jeder Zauberkunsthandwerker mit Manufaktur Sie aufsuchen kann, um eine Lizenz für Nordamerika zu erwerben?"

"Ich lege keinen Wert darauf, in der Zeitung zu stehen", sagte Julius schnell, bevor er sich zu heftig ärgern würde.

"Verstehe, Urlaub", sagte Ruby Dexter amüsiert. Dann fragte er Brittany, ob ihr Zauberstab noch gut gehen würde und bot an, die Zauberstäbe der anderen mal zu wiegen, also auf ihre Beschaffenheit und Brauchbarkeit zu prüfen. Da der Spaß nur fünf Sickel pro Stab kostete und Jane Porter nichts dagegen hatte, allen diese Dienstleistung zu spendieren, holte Sam eine silberne Waage und etwas, das wie ein runder, goldener Bleistifthalter aussah, an dessen Rand Ziffern von 1 bis 100 eingraviert waren. Dann wurden die Zauberstäbe der Mädchen gewogen. Julius sah die Pergamentstreifen, die aus einem Schlitz unter der Waage herausquollen. Darauf stand wohl, wie lang der Stab war, woraus er gemacht war und wieviele Jahre er bereits verwendet wurde. Danach wurden die Stäbe mit der Spitze in den goldenen Halter gesteckt, worauf eine der eingravierten Ziffern grün aufleuchtete. Bei den Mädchen waren es Zahlen zwischen 50 und 63. Brit und Melanie hatten die höchsten Werte. Bei Glorias Zauberstab bekam Ruby Dexter einen interessierten Blick.

"Ollivander, richtig? Lange keinen mehr von ihm zur Ansicht gehabt." Dann wlegte er den Stab auf die Waage, nahm den Pergamentstreifen mit den Messwerten und steckte den Stab in den goldenen Halter. Die 65 leuchtete grün auf. Melanie und Brit starrten auf die Zahl, bis Mr. Dexter den Stab wieder herauszog.

"Tja, offenbar unterrichtet man in Hogwarts schon in der dritten Klasse hochwertige Zauber", kommentierte er diesen Messwert.

"Was mißt dieses goldene Gerät?" Fragte Julius.

"Das ist ein Zauberkraftmaximum-Anzeiger. Er zeigt an, wie stark der mächtigste Zauber war, der damit bewirkt wurde.

Julius verstand. Damit konnte also gemessen werden, wenn man starke zauber aufgerufen hatte, wenn auch nicht genau, welche. Julius fragte sich, welchen Wert ein Patronus-Zauber auf dieser Anzeige auslösen würde. Er gab dem Zauberstabfachmann seinen Stab.

"Ja, Ollivander macht schon hochwertige Stäbe. Gut daß er nicht in den Staaten verkauft, sonst hätten wir eine unüberwindliche Konkurrenz", sagte Ruby Dexter und legte den Stab auf die Waage. Dann nahm er den Pergamentstreifen und las:

"Eichenholz mit Phönixschwanzfeder, dreizehn Zoll lang, drei Jahre im Gebrauch. Soweit so gut." Er nahm den Stab, steckte ihn in den goldenen Halter und staunte wie alle anderen, als die 92 grün aufleuchtete.

"Hui, haben Sie den mal verliehen?"

"Eigentlich nicht", sagte Julius überrascht. So heftig war also der Patronus-Zauber? Schnell sagte er: "Ich mußte vor zwei Tagen den Patronus-Zauber aufrufen. Kann sein, daß der so heftig wirkt."

"Den Patronus? Oh, dann wurden Sie von Dementoren belästigt?" Erkundigte sich Ruby. Er und seine Schwester waren erbleicht, als Julius den Patronus erwähnte.

"Kann man so sagen", knurrte er. Dann meinte Jane Porter:

"Ein Patronus, auch ein vollgestaltlicher bringt auf dieser Skala nur die Sechsundsiebzig zum leuchten, Honey. Kann sein, daß meine Kollegin Faucon ihn mal ausprobiert hat?" Julius verstand, daß er hier besser mit Ja antworten sollte. Denn ihm fiel ein, daß er im Mai sehr wirksame Zauber und Flüche gelernt und damit auch schon aufgerufen hatte. Wenn einige davon mehr hergaben als der Patronus, sollte er das besser keinem auf die Nase binden.

"Ja, sie hat ihn mal getestet, als ich für die Umschulung geprüft wurde, weil sie nicht wollte, daß ich mich auf den Zauberstab rausreden könnte, wenn ich in Beauxbatons nicht richtig mitkam. Sie hat was damit gemacht, von dem ich aber nicht mitbekommen habe was."

"Aha, damit erklärt sich das", sagte Jane Porter tiefgründig lächelnd. Julius hatte den von ihr zugespielten Ball gekonnt aufgenommen und ins Ziel gebracht. Zumindest vermutete er das.

"Nun, in Ihrem Alter und dem Stand der bisherigen Ausbildung wäre dieser Wert wohl auch überaus erschreckend", sagte Mr. Dexter. Seine Schwester Sam nickte beipflichtend. Als dann noch Mrs. Porter ihren Zauberstab überprüfen ließ, leuchtete die 100 auf dem goldenen Halter grün auf.

"Sie halten den Zauberstab unseres Vaters noch immer gut in Schuß, Mrs. Porter", sagte Ruby Dexter und reichte Jane Porter ihren Stab zurück. Sie nickte. Dann wandte sich Ms. Dexter an Martha Andrews:

"Möchten Sie Ihren Zauberstab auch prüfen lassen, Ma'am?"

Julius blieb starr auf einem Punkt stehen und wußte nicht, was er jetzt tun oder sagen sollte. Doch seine Mutter lächelte nur und meinte:

"Ich habe keinen Zauberstab mit."

"Haben Sie nicht? Nun, sind ja genug um Sie herum, die einen Stab griffbereit haben", sagte Ms. Dexter lächelnd. Dann verabschiedeten sich Jane Porter und ihre Gäste und zogen weiter.

"Souverän gemacht",lobte Julius seine Mutter. Diese nickte und meinte:

"Solange man es mir nicht ansieht, muß ich es keinem auf die Nase binden. Ist mir zwar etwas widerwärtig, meine Herkunft und Natur zu verheimlichen, aber ich habe gelernt, daß man einer Diskriminierung auch dadurch begegnen kann, indem man jemandem keinen Grund dazu läßt. In dem Fall halt durch solche Antworten."

"Nun, Sam Dexter kennt sich in der Zaubererwelt aus. Kann möglich sein, daß sie Sie auf die Probe stellen wollte", sagte Jane Porter. "Andererseits haben Sie schon recht, daß man Vorbehalte nicht von einem auf den anderen Tag ändern kann. Aber besser ist es schon, sich zu dem bekennen zu können, was die eigene Natur ist. Aber in solchen Fällen wie eben gerade ist das nicht so dringend erforderlich."

"Ich war mit meinen Eltern so oft in dieser Straße, Mrs. Andrews, daß die irgendwann keinen Mucks mehr von sich gegeben haben, wenn Dad oder Mom was einkaufen sollten und keine Ahnung hatten, wozu was jetzt gebraucht wurde", sagte Mr. Marchand. Brit Forester fragte Julius' Mutter, ob sie denn schon heftig runtergemacht worden sei. Mrs. Andrews fragte, ob das das Mädchen was anginge, aber nicht in einem abwehrenden, sondern eher interessierten Tonfall. Brit meinte darauf leise:

"Meine Mom hat jedes Jahr neue Schüler aus nichtmagischen Familien. Manche drehen so heftig auf, weil sie beweisen wollen, daß sie nach Thorntails gehören. Andere sind mißmutig, weil ihre Eltern von einigen Zauberern und Hexen nicht für voll genommen werden. Ich wollte Sie ganz bestimmt nicht blöd anmachen. Aber ich treffe so selten Muggel, die mit unserer Welt was zu tun haben und dies auch ohne Scheu und Verlegenheit bewältigen."

"Dann sage deiner Mutter bitte, daß es keine Probleme mit den nichtmagischen Eltern gibt, wenn die Hexen und Zauberer zum einen nicht zu überlegen auftreten und zum anderen auch Rücksicht auf die Bedürfnisse der sogenannten Muggeleltern nehmen, was das Wohl ihrer Kinder angeht. Damit du nicht denkst, ich würde mich wie ein von allen seiten angegriffenes Tier fühlen möchte ich deine Frage so beantworten: Es gab in der Zeit, die Julius jetzt in einer Zaubererschule lernt, nur einen Zauberer, der ihn und uns deswegen runterputzen wollte, weil Julius' Vater und ich sogenannte Muggel sind. Aber von dem erfuhr ich, daß er einer Clique engstirniger, intoleranter Leute angehört, die durchaus rassistisch und gegen andersartige Menschen eingestellt sind."

"Du meinst Paps' speziellen Freund, Mr. Snape, Mum?"

"Nur den, Julius", versetzte Martha Andrews kalt. Dann fügte sie noch hinzu: "Alle anderen, die mit meiner Herkunft vertraut wurden, haben sich erfolgreich bemüht, ihre Vorurteile, wenn sie welche hatten, abzubauen. Sonst wäre ich wohl kaum in Millemerveilles gewesen."

"Alles klar, mehr muß ich nicht wissen, Ma'am", sagte Brittany Forester.

Julius bestaunte die Besen in einem Laden für Quodpot- und Quidditchzubehör. Brit fragte ihn, ob er mal austesten wolle, wie Quodpot im Vergleich zu Quidditch ginge. Er sah seine Mutter an, die ihn erst sorgenvoll musterte, dann jedoch verhalten nickte.

"Ob ich dir das erlaube und weiß, daß du es machst oder es dir verbiete und du es auf Drängen von anderen ohne mein Wissen ausprobierst käme aufs selbe heraus. Dir und mir ist aber bestimmt wohler, wenn du das Spiel ausprobierst, weil ich es dir erlaube. Ja, du darfst es ausprobieren. Allerdings sei bitte vorsichtig!"

"Wir trainieren mit der Übungsausrüstung. Ich habe welche zu Hause in VDS", sagte Brit erfreut, als Julius ihr zulächelte. Melanie Redlief und ihre Schwester Myrna sahen ihn herausfordernd an und nickten dann. So wurde verabredet, nach dem Stadtbummel durch New Orleans die Besen zu besteigen und im Bayoo-Stadion zu trainieren. Julius nahm an.

Zum Mittagessen verabschiedeten sich die Andrews und Mr. Marchand von den Porters, Redliefs und Brit Forester und verließen den Weißrosenweg durch die rote Mauer.

Im Auto legten Julius und Zachary Marchand ihre Umhänge ab und lifen nun wie die anderen Muggel in New Orleans herumliefen. Dann brachen sie auf, sich die große Stadt am Mississippi anzusehen.

Die Stadrundfahrt in Mr. Marchands Wagen war ausgiebig und für Julius sehr interessant. Er erfuhr dabei, daß die meisten Stadtviertel von New Orleans mehr als zwei Meter unter dem Meeresspiegel lagen, weshalb starke Deiche errichtet worden waren, um bei den hier aufkommenden Hurrikans größere Schäden zu vermeiden.

"Das hat leider nicht immer geklappt. 1965 ist Betsy über die Stadt hergefallen und hat sie unter Wasser gesetzt", erklärte Mr. Marchand mit einer Spur Unbehagen in der Stimme. "Ich kann mich noch dran erinnern, wie das Meerwasser durch die Straßen gerauscht ist und höre in manchen Nächten noch das laute Brausen des Sturms. Aber irgendwie haben wir es überstanden. Doch ich fürchte, irgendwann kriegen wir so einen Monstersturm noch einmal, und dann?"

"Ja, was ist dann?" Wollte Julius wissen, der mit kreidebleichem Gesicht daran dachte, was dann im Weißrosenweg los war.

"Es mag unfair klingen, aber die Muggelstadt wäre dann wohl ziemlich arm dran, während der Weißrosenweg durch die Entwässerungstore und -jalousien das meiste Unheil abhalten könnte. du hast dir die silbernen Rolläden angesehen, habe ich mitbekommen. Das sind diese Entwässerungsjalousien. Sie lösen anströmende Wassermassen in Nichts auf. Allerdings müssen die Häuser gegen Sturm und Trümmer durch eigene Zauber gesichert werden. Eigentlich hoffen wir, daß wir das nie erleben, daß die ganze Stadt einmal so heftig erwischt wird. Deshalb reden hier auch selten Leute davon, nur, um euch beiden eine peinliche Situation zu ersparen."

"Klar, das Übel will man nicht im Haus haben und nennt es daher nicht beim Namen", sagte Mrs. Andrews. "In Kalifornien leben sie auf wackelndem Boden, in den südlicheren Staaten könnte eine verheerende Dürre eintreten und hier eben andere Naturgewalten."

Sie wechselten das Thema und unterhielten sich über die roten Straßenbahnen der Riverfront-Linie, die westlich des Flusses Mississippi verlief. Julius' Mutter gönnte sich einen ausgiebigen Bummel entlang der Einkaufsstraße Riverwalk, wo viele Läden mit ausgelegten Kleidungsstücken, Schuhen oder Taschen schau- und kauflustige Touristen von nah und fern anlockten. Einmal meinte Julius einen kleinwüchsigen Mann herüberblicken zu sehen, irgendwie lauernd. Er stand neben einem Jungen, der nicht viel älter als Julius war. Zachary bemerkte ihn wohl auch und starrte die beiden so durchdringend an, daß sie davon eingeschüchtert das Weite suchten.

"Sie und du müßt höllisch gut aufpassen. Hier lungern auch Taschendiebe herum, die Touristen regelrecht abstauben, ohne daß die das merken. Die beiden kannte ich sogar. Meine Kollegen von der Stadtpolizei hatten die mal zwischen, weil sie verdächtigt wurden, zu einer Bande professioneller Ladendiebe zu gehören."

Julius dachte daran, daß er das Geld, daß Zachary marchand ihm im Austausch von zwanzig Galleonen gegeben hatte, in seinem Practicus-Beutel hatte und nur fünf Dollar frei verfügbar in der Jacke trug. Doch was, wenn ein Taschendieb versuchte, ihm was wegzunehmen? Nun gut, diese Kleinganoven gab es leider auch in London und Paris, besonders da, wo viele Leute unterwegs waren, die ihre Augen überall hatten, nur nicht da, wo sie selbst entlangliefen. Trotzdem sah er nicht nur auf mögliche Kleinkriminelle, die sich an ihren Sachen vergreifen wollten, sondern auch auf die herrschaftlichen Villen, die wohl noch aus der französischen Vorherrschaft, die in der St.-Charles-Avenue standen.

"Da rechts ist der Campus der Loyola-Universität, Martha. Da hat mein Onkel seinen Doktor der Rechtswissenschaften gemacht", erklärte Zachary Marchand und wies auf einen stattlichen Gebäudekomplex, der hinter einer mannshohen Mauer mit Eisentor lag. Gestutzte Rasenflächen und beschnittene Bäume begrünten das Gelände und verliehen ihm den Eindruck gewisser Geborgenheit. Julius sah vier junge Männer, die fröhlich über eines der Rasenstücke liefen und kurz zu einer jungen Frau in moderner Kleidung herübergrüßten. Dann zogen die Andrews mit ihrem ganz persönlichen Stadtführer weiter, fuhren sogar mit einer der "Damen in Rot", wie Zachary die Straßenbahnen nannte und besuchten das französische Viertel mit seinen bunten Häusern aus der Gründungszeit um 1762. Aus vielen Bars und Cafés klang unterschiedliche Musik. Julius hörte einen Blues hier, da schnelle Rockmusik, anderswo getragenen Jazz. Er dachte an seinen Vater. Für den wäre es die Erfüllung eines Traumes, in der Geburtsstadt seiner Lieblingsmusik zu flanieren. Wo mochte er jetzt sein? Konnte er vielleicht sogar um die nächste Ecke kommen? Das war doch unsinnig, dachte Julius mürrisch dreinschauend. Wenn sein Vater jetzt hier wäre, hätte Jane Porter das sicher gewußt und ihm auch gesagt, ja möglicherweise sogar versucht, Vater und Sohn zusammenzubringen.

"Heh, was ist?" Fragte seine Mutter besorgt.

"Mir ist nur gerade ein blöder Gedanke durch den Kopf gegangen, daß Paps vielleicht mal hier war, ohne daß wir das mitkriegen konnten und ich habe für einen Moment gedacht, der könnte gleich um eine Ecke kommen und uns begrüßen."

Zachary Marchand blickte Julius etwas verlegen an, fing sich dann aber und sagte ruhig:

"Falls er hier wäre, wüßte Mrs. Porter das bestimmt und hätte dann auch was dazu gesagt."

"Das ist ja das, warum ich den Gedanken für abgedreht halte, Mr. Marchand", sagte Julius verbittert. "Deshalb ist mir das ja so blöd vorgekommen. Der ist ein Fan von New-Orleans-Jazz."

"Ich verstehe. Das wäre natürlich wie eine Pilgerfahrt für ihn, mal hierher zu kommen", sagte Mr. Marchand etwas nachdenklich. Dann sprach er entschlossen weiter: "Ich höre mich um, wo er ist und fühle mal vor, ob du mit ihm sprechen kannst und natürlich auch Sie, Mrs. Andrews."

"Ich habe im Mai schon mit ihm gesprochen", sagte Martha Andrews leicht unterkühlt wirkend. "Ich sollte Julius nur schöne Grüße ausrichten und daß er jetzt anderswo wohnen würde, uns das aber nicht mehr zu betreffen habe. Seit dem weiß ich halt nicht, wo er ist."

"Nun, wie Sie meinen", sagte Zachary Marchand.

"eh, Platz da!" Rief ein Junge auf Rollschuhen, deren Rollen unter einer Mittelkufe in einer Linie verliefen. Julius staunte, wie heftig der Bursche geschützt war, Ellenbogen, Knie und Unterleib waren mit dicken Polstern vor Sturzverletzungen abgesichert worden. Der Junge machte ordentlich Tempo, als er angefahren kam.

Julius sprang zur Seite, als der halbwüchsige Rollschuhläufer genau auf ihn zuhielt und beinahe lautlos an ihm vorbeiglitt.

"Also das lernen die nicht, daß ein Bürgersteig zum gehen und nicht zum Fahren da ist", knurrte Mr. Marchand. Dann beruhigte er sich wieder und führte seine Gäste in ein Straßencafé, aus dem heraus aktuelle Popmusik ertönte.

"Wer hier wohnt, ist den ewigen Jazz- und Blueskrempel zwischendurch über", sagte er, als Julius ihn fragend ansah. "Gut, die amerikanische Popmusik ist ja aus dieser Musik entstanden aber doch was anderes geworden. Aber nicht nur deshalb habe ich euch hergeführt. Hier gibt's echt italienische Eiscreme."

So aßen sie drei bunt dekorierte Eisportionen und schwatzten über die Stadt, über London und Paris. Über Millemerveilles hatten sie sich ja am Morgen schon lange und ausgiebig unterhalten, und hier mußte das nun auch keiner mitkriegen, wo die Andrews' vor einem Tag noch gewesen waren. Julius meinte, bereits zwei Tage hier verbracht zu haben, so reibungslos hatte er sich in den hier gesprochenen Dialekt eingehört und so vieles neues gesehen. Als er dann auf seine Uhr sah und feststellte, daß es bereits nachmittags um vier hiesiger Zeit war, wo es in London schon neun Uhr abends war, fiel ihm wieder ein, daß sie ja einen Anpassungstrank getrunken hatten. Deshalb waren sie noch wach genug.

Nach dem Eis besichtigten die Andrews die Kathedrale, wofür sie sich eine volle Stunde Zeit gönnten. Dann brachte Mr. Marchand seine Gäste zu seinem Haus zurück, wo Julius seinen Besen holte und dann, nachdem Mrs. Porter von Mr. Marchand gefragt worden war, ob sie die Kaminsperre lösen könne, von seiner Mutter Abschied zu nehmen. Sie sagte ihm:

"Pass auf dich auf, Julius! Mach keine unnötigen Kunststücke!"

"Was macht ihr eigentlich, solange ich gegen die blonde Brittany Knallball spiele?"

 

"Ich fahre mit ihr ins Umland, die kleineren Vororte besuchen und überlege mir mit ihr, was wir beide morgen machen, wenn du zum großen Spiel der Bugbears gegen die Ravens gehst. Wir werden nachher zum Essen ausgehen. Ich denke, so um elf Uhr möchte dich Jane besser wieder bei mir abliefern", sagte Mr. Marchand im Stil eines Herbergsvaters. Julius nickte und warf eine Prise Flohpulver in den Kamin. Dann trat er in die smaragdgrüne Feuerwand und rief:

"Weißrosenweg neunundvierzig! Es rauschte wie ein vorbeirasender Expresszug, und in einem wilden Wirbel verschwand Julius.

"Sie haben dem Jungen nicht erzählt, was mit seinem Vater passiert ist, Mrs. Andrews?" Fragte Mr. Marchand, kaum das Julius vollends aus seinem Haus verschwunden war.

"Er stand vor den ersten Prüfungen in Beauxbatons, und das Schulklima ist da sehr streng und leistungsbezogen, Mr. Marchand. Deshalb habe ich ihm nichts erzählen wollen. Ich bin froh, daß er das alles nicht mitbekommen hat", sagte Martha Andrews. Sie konnte sich ja denken, daß der FBI-Agent aus der Zaubererwelt alles wußte, was seine Kollegen in Detroit und anderswo auf Trab gebracht hatte.

"Seinetwegen, besser wegen dem, der so wie er aussah, hat es hier in der Gegend sehr heftig gekracht, Mrs. Andrews. Deshalb bin ich jetzt dopppeltwachsam, ob nicht doch jemand meint, Sie und den Jungen belästigen zu wollen, um über ihn oder Sie den Aufenthaltsort Ihres Ex-Mannes zu erfahren. Ich weiß ehrlich gesagt auch nicht, wie Sie ihm das beibringen könnten, ohne daß für ihn eine Welt zusammenbricht."

"Weiß Mrs. Porter davon, was mit Richard passiert ist. Ich hatte den Eindruck, ihr ist das sehr unangenehm, den Jungen jetzt hier zu haben, obwohl sie uns ausdrücklich eingeladen hat und obwohl sie immer sehr freundlich zu ihm und mir ist."

"Nein, Jane Porter weiß nicht, wo Richard Andrews jetzt ist", sagte Mr. Marchand kurz und knapp. Ja, das war noch nicht einmal gelogen, stellte er fest. Wo Richard Andrews steckte wußte sie in der Tat nicht.

 

__________

 

"Ah, so sieht also der Ganymed-Besen aus", sagte Brittany Forester und betrachtete mit ehrlichem Interesse den glatt polierten Stiel aus Rotbuchenholz und den ordentlich ausgerichteten Schweif aus dünnen aber biegsamen Olivenzweigen von Julius' Ganymed 10. "Wie schnell ist der?" Wollte sie wissen, als sie den Rennbesen behutsam in die Hände nahm und ihn sacht durch die Finger gleiten ließ, wobei sie prüfte, wie er ausbalanciert war.

"Im Sprint innerhalb von zwanzig Sekunden auf dreihundert Stundenkilometern, wobei er eine Katapultbeschleunigung besitzt, die ihn beim Start in einer Zehntelsekunde auf fünfzig Stundenkilometer beschleunigt, bei Alarmstartsituationen sogar auf zweihundert Stundenkilometer", sagte Julius stolz. "Tja, und der kann zwölf Stunden am Stück fliegen, mit zweihundertfünfzig Stundenkilometern Durchschnittsgeschwindigkeit."

Brittany sah leicht bedauernd auf den Besen und erwiderte: "Hmm, da ist meiner doch etwas schneller. Der kann zwar nur acht Stunden am Stück fliegen und muß dann einen halben Tag in Ruhe gelassen werden, aber dafür macht der mit vierhundert Meilen die Stunde, also sechshundertvierzig Stundenkilometer ganz schön Tempo. Im Sprint kann der in zehn Sekunden auf fünfhundert Meilen die Stunde, also achthundert Stundenkilometer." Julius sah mit einer Mischung aus Faszination und Betretenheit seinen eigenen Besen an, bevor er Brits Ausführungen weiterverfolgte. " Aber das ist dann doch zu schnell für Quodpot. Außerdem mag er das nicht, andauernd so schnell zu fliegen. Dann wird der müde und ruckelt." Julius konnte ein leicht schadenfrohes Grinsen nicht unterdrücken. " Die Hersteller schreiben es dick unterstrichen in dem Handbuch, daß man bei einem solchen Superspurt nur eine Meile fliegen sollte, bevor der Besen anfängt, rumzubocken. Vierhundert Meilen die Stunde sind da auch das äußerste, was du ihm über die acht Flugstunden abverlangen kannst. Die arbeiten noch daran, die selbsttätige Landung bei andauernder Überbelastung rauszukriegen. Aber bisher ging's nicht." Sie sah Melanie an, die einen schlanken Besen mit fünf breiten, rotgoldenen Querstreifen aus dem Wohnzimmer holte, dessen Schweif etwas länger war als der des Ganymed 10. Julius begutachtete nun diesen amerikanischen Besen.

"Der Polsterungszauber ist super. Da sitzt du drauf wie auf einer Wolke", sagte Melanie. Ihre Schulkameradin nickte bestätigend. Julius mußte zur Ehrenrettung seines Besens einwerfen, daß der einen Körperbergezauber besaß und selbst fliegen konnte, solange die angesetzte Flugzeit noch nicht erreicht war. Dann betrachtete er Brittanys Besen und nickte beeindruckt. Melanies Besen besaß nur vier etwas schmalere Querstreifen. Ansonsten unterschied er sich von Brits Besen durch einen etwas breiteren Schweif und einen etwas kürzeren Stiel.

"Oma Jane hat uns erlaubt, mit dir zum Bugbears-Stadion zu fliegen. Sie hat uns schon per Feuer angemeldet. Von hier aus ist das eine halbe Stunde, weil wir einen Umweg fliegen müssen, um nicht von Muggeln gesehen zu werden", sagte Melanie.

"Was ist mit Gloria?" Fragte Julius.

"Die hat keinen Rennbesen mitgebracht", sagte Melanie leicht belustigt. "So wollten ihre Eltern sie wohl davon abhalten, mit uns Quodpot zu spielen."

"Kids, wir können!" Rief Jane Porter aus dem Flur. Die drei Mädchen und der Junge folgten Mrs. Porter zunächst aus dem Haus heraus. Dann saßen sie auf, Mrs. Porter und die Redlief-Schwestern auf den Bronco Centennials, Brittany auf ihrem Wunderbesen und Julius auf seinem Ganymed 10. Dann ging es auch schon los.

Zunächst stieg Mrs. Porter sehr weit nach oben. Ihre Gäste folgten ihr ohne Probleme. Danach sausten sie mit mehr als zweihundert Stundenkilometern dahin, flogen viermal sehr weite Bögen aus, um kleinere Siedlungen oder Straßen zu umfliegen, hielten sich weit genug vom Mississippi fern, der unter ihnen wie ein glitzerndes, graues Band dahinfloss. Julius testete den Flugwindabweisezauber und empfand diese Magie, die den bei längeren Flügen so lästigen Wind wirklich wie in einer geschlossenen Kabine abhielt. Die rasende Besenpartie führte ins Sumpfland, das unter ihnen zu weit ausgedehnten grünen, braunen und grauen Schemen zu verschwimmen schien. Mrs. Porter meinte auf eine Frage von Julius, daß die hohe Geschwindigkeit diesen Eindruck vortäuschte, da immer wieder kleinere Waldstücke und Bodennebel die Sicht irritierten.

"Irgendwo hier im Sumpfland liegt mein Institut", sagte Mrs. Porter einmal, als sie weit ab von allen verstreuten Muggel-Häusern unterwegs waren. Julius dachte zwar, er könne ja mal fragen, wo genau. Doch irgendwie schien Jane Porter das mitbekommen zu haben, ohne ihn anzusehen. Sie sagte schnell: "Wo genau das liegt dürfen nur Institutsmitarbeiter wissen, zumal es unortbar und mit verschiedenen Abwehrzaubern gesichert ist."

"Wollen wir mal kucken, wie gut du mithalten kannst, Julius?" Fragte Brittany herausfordernd grinsend. Julius nickte. Mrs. Porter rief zwar noch hinterher, daß sie das nicht haben wollte, doch da waren die beiden auch schon losgespurtet. Julius hatte die Katapultbeschleunigung des Ganymed durch eine Bestimmte Streichelbewegung am Besenstiel und das gedachte Kommando "Salta" ausgelöst. Damit kriegte er Brittany tatsächlich in der ersten Sekunde ein. Doch dann zog sie uneinholbar davon, obwohl Julius dem Besen alles abverlangte, was dieser hergab. Schon nach einer Viertelminute war Brittanys Vorsprung so groß, daß er sie nur noch als winzige Gestalt auf einem hauchdünnen, Zweigartigen Stück Holz sehen konnte. Er beschleunigte weiter und hörte das leise Summen des vom Flugwindablenker abgehaltenen um ihn herum strömenden Windes. Irgendwann, so nach einer Minute, war Brittany nicht mehr als Besenreiterin zu unterscheiden. Offenbar wußte sie nun, was sie wissen wollte und drehte bei, um Julius mühelos aufschließen zu lassen.

"Melanie kriegt mich mit dem Centie nicht einmal beim Start eingeholt", strahlte Brit Forester stolz. Dann ließ sie ihren Besen wieder Normaltempo fliegen, während Jane Porter sehr ungehalten dreinschauend herankam.

"Julius, auch wenn es harmloser ist als das Spiel selbst solltest du nicht einfach so losschießen!" Wandte sie sich mit hochrotem Gesicht und sehr tadelnd blickenden Augen an ihren Gast aus Frankreich. Dieser errötete etwas. "Ich habe für dich die Verantwortung, Honey. Muggel könnten dich sehen oder jemand von denen nimmt dich sogar mit einem Fotoapparat oder diesen Laufbildaufzeichnern auf", sprach sie auf den Jungen ein.

"Hier?" Fragte Brittany verwundert, während Julius' Wangen die Farbe reifer Tomaten angenommen hatten.

"Die Sümpfe gehören nicht uns alleine, Ms. Brittany. Wir wissen nie, wo gerade ein Muggel herumwandert oder mit einem Boot fährt, das wir nicht sehen können, wenn wir meinen, wie ein wilder Sturm über das Land zu jagen", schimpfte Mrs. Porter, blieb dabei aber gerade so laut, daß nur Brittany und Julius sie gut verstehen konnten.

"Ich wollte nur wissen, wie gut der französische Besen mithält, Mrs. Porter", sagte Brittany völlig unbeeindruckt. Dann deutete sie mit der linken Hand auf einen Hügel wohl noch acht Kilometer voraus. Julius blickte in die Richtung und erkannte auf dem Hügel einen dunkelgrünen Fleck. Brittany sagte:

"Da ist das Bugbears-Stadion. Morgen früh hängen sie die fünf Besucherkamine wieder ans Netz, dann können wir direkt reinrauschen."

"Das Stadion ist in einem Wald versteckt?" Wunderte sich Julius.

"Der Wald ist eine Illusion, die für magisch begabte Leute verschwindet, wenn sie näher als eine Meile an das Stadion herangekommen sind", sagte Melanie. Mrs. Porter, schon wieder sanftmütig gestimmt, fügte hinzu:

"Hinzu kommt, daß jeder Muggel, der sich dem getarnten Stadion nähert, seinen oder ihren Richtungssinn verliert und immer um den Wald herumläuft, bis eer oder sie sich aus freien Stücken davon entfernt. Für jemanden, der lange auf den Wald zugehen will bleibt dann der Eindruck im Gedächtnis, daß er oder sie lange am Rande eines Waldes entlanggegangen ist. Hinzu kommen die üblichen Abwehrzauber, die auch bei der Quidditch-Weltmeisterschaft benutzt wurden."

"Verstehe", sagte Julius. Dann wartete er geduldig, bis Mrs. Porter wieder die Führung übernahm und glitt auf den großen Hügel zu. Tatsächlich entstand zunächst die dunkelgrüne Pracht eines dichten Mischwaldes von mehr als einem Kilometer Länge. Dann, bei weniger als einer Meile Entfernung, schienen die majestätischen Bäume zu verschwimmen, wurden durchsichtig und verschwanden vollends. Zum Vorschein kam ein ovales Stadion mit umstehenden Tribünen, die auf schlanken Säulen bis zwanzig Meter emporragten, zwei Steinbauten, die wohl paßgenau unter den Zuschauerrängen verbaut worden waren und zwei Toren mit Wachhäuschen wie mittelalterliche Stadttore, nur daß diese hier nicht aus eisenbeschlagenen Balken sondern vergoldeten Längs- und Quergittern bestanden, die aus der Entfernung wie vergoldete Fliegengitter wirkten, aber beim Näherkommen zu nicht gerade zerbrechlich erscheinenden Verstrebungen wurden.

"Wo landen wir?" Fragte Brit Mrs. Porter. Diese deutete auf das ihnen am nächsten liegende Tor und begann den Landeanflug.

Julius hätte zuerst geglaubt, ein Quidditch-Stadion zu sehen. Doch hier fehlten die je drei goldenen Torstangen mit den großen Ringen an den oberen Enden. Stattdessen erkannte er an jeder Schmalseite des golfplatzgleich gemähten Rasenplatzes einen Feuerroten Kreis, dessen Mittelpunkt kupferfarben glänzte. Hier wurden wohl die umkämpften Pots auf Spielhöhe hochgefahren oder zum schweben gebracht. Wie genau das ging wußte er nicht. Dann landeten sie. Brit holte aus einer großen Tasche an ihrem Besen vier Kapuzenumhänge, die aus sonnengelber Wolle zu bestehen schienen, sowie gleichfarbige Handschuhe.

"Die brauchen wir, wenn wir mit den Aufwärmquods spielen", sagte Brittany. Julius zog den ihm hingereichten Umhang über, der sich merkwürdig straff an seine Körperformen anpaßte, zog die Kapuze über und meinte, einen Motorradhelm zu tragen. Dann glitten seine Hände in die Handschuhe, die sich sofort hauteng um seine Finger legten, für einen winzigen Moment vibrierten und dann nicht mehr zu spüren waren. Er starrte verwundert auf seine Hände, die nun wie sonnengelbe Pelzpfoten ohne Krallen wirkten. Er dachte an Goldschweif, wenn sie mit eingezogenen Krallen an ihm hochkletterte.

"Das ist die übliche Trainingsausrüstung, Julius. Die Profis haben dazu noch entsprechende Stiefel an, und die Handschuhe sind fleischfarben und nicht so pelzig, dafür feuer- und reißfest", erklärte Brittany. Julius fragte, ob das Drachenhaut sei. Melanie verzog das Gesicht, auch Myrna schien über diese Frage nicht sonderlich froh zu sein.

"Das Material von Umhang und Handschuhen ist aus der abgeworfenen Haut des Wüstenwollwurms Lanaluteaferus crescentis arensentiae, der in allen bekannten Neuweltwüsten wie der Mojave, der Atakama oder dem Llano Estacado heimisch ist", begann Brittany ohne Vorwarnung eine magizoologische Schnellvorlesung. "Er schlüpft aus sandkorngroßen Eiern, die bis zu elf Jahre lang im Sand begraben sein können, bis ein Maximum an auf der Sonne beobachtbaren Flecken erreicht ist. Sie sind dann leichte Beute für ordinäre Spinnentiere und Insekten, bis sie zwei Zoll messen. Sie ernähren sich von winzigen Sandkörnern, bis sie fünf Zoll messen. Dann ernähren sie sich herbivor, insbesondere von im Sand ruhenden Samenkörnern oder spährlichem Wüstengras. Messen sie nach zehn Wochen zehn Zoll, durchleben die bereits in der Endform geschlüpften Würmer eine kannibalische Phase, wo jeder jeden frißt, der kürzer und dünner ist. Dadurch beschleunigt sich ihr Wachstum auf das zehnfache. Sind sie dann fünfzig Zoll groß, jagen sie ordinäre oder magisch entstandene Bodenbewohner, können aber auch nistende Vögel erbeuten. Da sie ständig weiterwachsen fällt ab einer Länge von vier Fuß alle zwei Wochen ihre wollige Haut ab, die von anderen Artgenossen gefressen werden kann, sofern der Wüstenwollwurm nicht alle Artgenossen der Umgebung gefressen hat. Die Wüstenwollwürmer sind Anschleichjäger. Sie verlassen sich dabei auf ihre Fähigkeit der Farbanpassung. Dem Größenwachstum sind keine Grenzen außer im Nahrungsangebot gesetzt. Manche Muggel und Zauberer sind von umherkriechenden Lanaluteaferi gefressen worden. Daher gelten sie als Tierwesen der Stufe XXXX."

"Ja, Brit, wissen wir doch schon", knurrte Mel Redlief genervt. Julius vermeinte, sich an einen kurzen Eintrag in einem Tierwesenbuch über Wesen aus Amerika zu erinnern und nickte. "Klar, Mel, wir schon. Aber Julius kennt die Tiere noch nicht, was ich ja auch keinem von uns empfehle. Die schleichen sich an, stülpen ihr offenes, zahnloses Maul über dich und einverleiben dich durch Muskelbewegungen innerhalb einer halben Minute. Das einzige, was dagegen hilft ist ein Schockgefrierzauber. Dann speien sie einen wieder aus. Außerdem mögen sie keine künstliche Elektrizität oder Edelmetalle", fuhr Brittany mit ihrer Erläuterung fort. Julius entsann sich von einer selbstmörderischen Fortpflanzung gelesen zu haben und sagte schnell:

"Ach, das sind die, wo die doppelt so schnell wachsenden Weibchen befruchtungsfähige Männchen lebendig hinunterschlucken, die dann im Todeskampf ihren Samen ausstoßen, der von Filtern in der Magenschleimhaut zu den außen liegenden Eivorräten gepumpt wird. Sind die Eier befruchtet, werden sie steinhart und zerstören das Fleisch der Muttertiere, die dann wohl das letzte Mal ihre Haut abwerfen und dann selbst verenden."

"Der frißt auch Zaubertierbücher", stöhnte Myrna. "Glo sagte immer, du wärst ein Grünzeug- und Zaubertrankfan, Julius." Brittany indes lächelte Julius an und nickte.

"Daraus bestehen Umhänge und Handschuhe. Manche Weibchen sind an die zwanzig Meter lang. Mit der Größe nimmt ihre Beweglichkeit ab. So konnte der Zaubertierforscher Hern Wagtail an die zehn Paarungen beobachten und machte mit der letzten abgestreiften Haut der dabei gestorbenen Weibchen eine Menge Geld."

"Ja, aber die Klamotten passen sich uns an. Ist das noch von diesen Würmern?" Wollte Julius wissen, der sich in der übergestreiften Haut einer bei Erfüllung ihrer Mutterfreuden verstorbenen Wüstenwollwürmin im Moment nicht so wohlfühlte.

"Anpassungszauber, die die Grundeigenschaften noch verstärken", sagte Brittany. Dann sah sie sich um. Wo war Mrs. Porter abgeblieben? Als Julius sich umblickte erkannte er die Hexe mit den graublonden Locken, die gerade wieder ihren Strohhut aufsetzte und am Torhäuschen mit einem Zauberer in grünem Umhang sprach. Dann winkte sie den vier Jugendlichen, sie möchten doch auch herüberkommen.

"Ich habe für euch zwei Übungsstunden bezahlt, Kids", sagte Mrs. Porter, als die Mädchen und Julius vor dem Gittertor standen. Dieses schwang gerade geräuschlos nach außen.

"Dann viel spaß! Ich habe einen Sack mit zehn Aufwärmquods hingelegt. Die sollten reichen", sagte der Zauberer am Tor mit freundlichem Lächeln. Dann erkannte er, daß Julius einen anderen Besen hatte. Er besah sich das Fluggerät und meinte dann: "Oh, Ganymed 10 Marathon. Hätte nie geglaubt, mal einen hier zu sehen zu kriegen. Hoffentlich ist der so wendig wie's in den Beschreibungen heißt."

"Damit habe ich schon ... Supererfahrungen gemacht, Sir", sagte Julius. Beinahe wäre ihm herausgerutscht, daß er mit diesem Besen das Quidditchturnier im letzten Schuljahr gewonnen hatte. Doch das sollte ja keiner wissen.

"Na dann", munterte der Zauberer am Tor den Jungen auf. Dieser bedankte sich höflich und ging hinüber in das Stadion, wo er seinen Besen bestieg, während Brittany ihre schmale Tragetasche abschnallte, in eine kleine Kabine brachte und nur mit dem Besen zurückkam. Mrs. Porter holte einen großen Sack aus roter Drachenhaut und fischte einen strahlendblauen Ball heraus, der nur halb so groß wie ein Quaffel beim Quidditch war.

"So, Julius. Jetzt lernst du mal echten Sport kennen", sagte Brittany Forester in einer überlegenen Pose. "Der Ball hier sieht exakt wie der übliche Quod aus und ist auch so hart. Das Ding ist bei dem, daß er sich bei jedem Stoß oder Abwurf ein bißchen mehr erwärmt, bis er anfängt, violett zu schimmern, was eigentlich daher kommt, daß er rot glüht. Irgendwann leuchtet er giftgrün und ganz zum Schluß, genau eine Sekunde vor seinem Ende, strahlt er weißblau, was eigentlich weißglühend ist. Spätestens dann solltest du ihn entweder wegwerfen oder in einen der Übungspots mit Dauereiswasser gelegt haben", erläuterte Brit mit ausladenden Gesten. Dann hörte sie ein leises Klicken auf jeder Seite des Feldes und sah rasch zu einer Schmalseite, wo sich im Mittelpunkt des roten Kreises ein Metalldeckel aufgeklappt hatte. Ein stahlblauer, waschkesselgroßer, bauchiger Behälter ohne Henkel stieg kerzengerade nach oben auf zwanzig Meter. Da blieb er wie festzementiert in der Luft stehen, während aus dem Loch, dem er entschwebt war ein warmes, orangenes Licht glomm.

"Ohne Torstangen?" Fragte Julius.

"Ein Positionierzauber, der zwischen Pot und Potlager wirkt. Du könntest mit deinem ganzen Gewicht von allen Seiten gegen den anprallen und der würde keinen Millimeter verrückt oder zum Wackeln gebracht, sagte Melanie Redlief. Dann winkte sie Julius zu sich heran und verkündete ihm, seine Mannschaftskameradin zu sein, während Myrna zu Brit ging.

"Zwei gegen zwei, Julius. Rückhalter und Vorblocker in einem und Vorgeber und Eintopfer im anderen. Glo sagt, du spielst beim Schnarchballspiel den Torschützen. Dann topfst du bei uns ein", legte Melanie einfach so die Mannschaftsaufstellung fest. Julius nickte. Ein guter Hüter war er nie gewesen. Zum Glück gab es hier keine herumfliegenden Klatscher.

Ein weiterer Zauberer im grünen Umhang trat auf das Feld, sowie eine hochgewachsene, dunkelhaarige Hexe mit Silberrandbrille, die in einer grünen Tracht steckte, die Julius an einen Chirurgenkittel denken machte.

"Bob macht den Schiedsrichter", sagte Mrs. Porter, auf den zweiten Zauberer deutend. Dieser nickte bestätigend. "Tilia Verdant bleibt hier, falls euch trotz der Schutzkleidung was ernsteres passiert." Die Hexe in Grün nickte und schenkte den vier Jugendlichen ein warmes Lächeln. Julius hatte mal von einer Professor Verdant in Thorntails gehört. War diese Tilia Verdant mit der verwandt? Doch das hatte zu warten, weil Schiedsrichter Bob seine Trillerpfeife und den Aufwärmquod nahm.

"Alles klar, Leute. Berny füllt gerade Dauereiswasser in die Pots. Dann geht das ab hier", sagte er locker. Julius sah den Zauberer an. Er besaß krauses Haar wie ein afrikanischer Ureinwohner, hatte auch ein ähnlich geformtes Gesicht, jedoch eine kaffeebraune Haut.

"Bob, das Wasser ist in den Pots. Viel Spaß!" Rief der Zauberer, der eben noch am Eingang gewesen war. Julius sah ihn, wie er auf einem Besen herabschwebte, an dem ein großes, rotlackiertes Holzfass hing. Julius verglich die beiden Zauberer. Es waren zwei Brüder, aber entweder von zwei verschiedenen Vätern oder zwei verschiedenen Müttern. Denn Berny war hellhäutig und sein Kraushaar weizenblond. Er verließ das Spielfeld und winkte Bob, der eine Trillerpfeife nahm. Mel machte sich startklar. Julius wartete, bis Bob pfiff und dabei den Quod hoch in die Luft warf. Dann preschte er los, spielte diesmal die wirklichen Stärken des Besens aus, den er fast ein Jahr schon flog und stürzte sich auf den Quod, der von Myrna angesteuert wurde. Er wußte, daß hier Rammen und Wegstoßen keine Fouls waren und bot sich Myrna an, die ihn anflog und wohl aus der Flugbahn des blauen Balls drängen wollte. Dann, im allerletzten Moment, hüpfte er mit waagerecht ausgerichtetem Besen nach oben und ließ Myrna unter sich ins leere stoßen. Er zögerte keine Sekunde und erflog den Quod. Seltsamerweise fühlte er das harte lederartige Material, als hätte er keine Handschuhe an. Offenbar wirkte in denen ein Zauber, der seinen Fingern das gewohnte Tastgefühl ließ. Doch Julius hatte weder Zeit noch Ruhe, darüber nachzudenken. Denn da vor ihm tanzte Brittany vor dem blauen Kugelbauchkessel, dem Pot, um ihn abzufangen. Julius überlegte, ob er einen Wurf auf den Pot riskieren sollte, hatte er doch gelernt, daß ein unabgefangener Fehlwurf dem Gegner zehn Punkte bescherte. Dann flog er direkt zu dem roten Kreis und tanzte seinerseits mit Brit, wie er es mit Barbara, César und anderen Hütern schon oft geübt hatte. Brit sprang dabei einmal mit ihrem Besen auf ihn zu und wollte ihn schupsen, damit er den blauen Ball loslassen mußte. Er ließ den Ganymed einmal eine sehr enge Kurve fliegen, wobei er trotz des Innerttralisatus-Zaubers fast so heftige Schlagseite bekam, das er parallel zum Boden gehangen hätte.

"Komm, gib schon her die Murmel. Eintopfen kannst du die sowieso nicht", feixte Brit. Doch Julius dachte nicht daran, den Quod abzugeben. Er wirbelte herum und sauste kurz auf das eigene Tor zu, um dann aus einer Drehung heraus den Quod mit Wucht zu Brits Pot zurückzupfeffern. Diese erkannte das Manöver und stieß zwischen Quod und Pot, um den Ball gerade so mit der linken Schulter abzuprällen. Myrna rief:

"Ey, Brit, der hätte den Pot nicht treffen können!"

"Hätte er doch, Myrna!" Rief Brit zurück, während Myrna und Julius um den Quod rangelten. Dabei stieß Myrna Julius fast mit der Besenspitze in den Bauch. Der Gast der Porters reagierte reflexartig und verwandelte die Kollision in einen haarscharfen Vorbeiflug. Doch er kam nicht an den Quod. Den schnappte sich Myrna und sauste zum Potkreis, wo ihre Schwester wartete.

"Du glaubst doch nicht, den blauen Brummer bei mir in den Pot zu legen, Schwesterchen", lachte Melanie, als sie mit einer beiläufigen Drehbewegung den blauen Ball packte, als der gerade von Myrna in den Pot getunkt werden sollte. Melanie warf auf Julius ab, der Myrna knapp zuvorkam und den Quod wieder zurück zu Brittany trug, wo er antäuschte, zurückwich, wieder antäuschte und dann warf. Mit lautem Pong prallte der Ball vom in der Luft stehenden Kessel ab und flog ins Feld zurück.

"Fehlwurf! Zehn Punkte für Ms. Forester und Ms. Myrna Redlief!" Verkündete Bob, der wachsam auf Ballhöhe mitflog, auf einem Bronco Millennium, wie Brittany ihn hatte. Julius ärgerte sich. Doch dann gefiel ihm der Gedanke, daß ein hundertprozentiger Torschuß, der nicht im Netz landete, automatisch ein Tor für den Gegner war irgendwie. Aber es war schon frustrierend, wenn ein Fehlwurf einen gleich um zehn Punkte in die Miesen trieb. Doch er hatte gelernt, nicht mit Ärger im Bauch zu kämpfen, ob Karate oder Quidditch. Tatsächlich gelang ihm eine halbe Minute später ein direktes Eintopfen, weil er Brit zu einem Steilanstieg verführen und selbst rasch unter ihr durch zum Kessel vorstoßen konnte. Er ließ den Ball in die klare Flüssigkeit fallen, auf deren Oberfläche kleine Eisstückchen trieben. Muääääääääp!! Ein unerträglich lauter Ton wie aus zwanzig Fußballtröten stach Julius in die Ohren. Der Pot fiel, als stehe er auf einer unsichtbaren Säule, kerzengerade nach unten.

"Zehn Sekunden Unterbrechung!" Rief Bob.

Der Pot verschwand nicht in dem Loch, aus dem es orange glühte, sondern blieb einen halben Meter darüber in der Luft stehen. Dann, tatsächlich zehn Sekunden später, schnellte er wieder genauso kerzengerade auf seine Spielhöhe zurück. Bob griff mit einer behandschuhten Hand in den Kessel und holte den blauen Ball heraus, auf dessen Oberfläche sich sofort eine zarte Reifschicht bildete.

"Okay, Leute, die Murmel ist wieder runtergekühlt", sagte er und flog zur Spielfeldmitte, wo er den Quod wieder hochwarf und dabei seine Trillerpfeife blies.

Die nächsten Spielzüge liefen nun etwas schneller, nun wo beide Mannschaften gepunktet hatten. Es zeigte sich, daß Brit wohl mit Julius sehr behutsam angefangen hatte. Denn das hochgewachsene Mädchen konnte auch anders. Sie griff Julius von allen Seiten an, sobald der den Quod zu fassen bekommen konnte, stieß ihn an, drückte ihn nach unten oder versuchte, ihn von unten hochzuschleudern. Julius atmete ziemlich schnell. Sein Herz schlug im Takt einer dahinrasenden Dampflok. Doch er freute sich. Er konnte den Besen nun endlich richtig austesten. So schaffte er es einmal, Brit solange hinter sich herzulotsen, bis er aus einer schnellen Bewegung heraus wendete und zum Pot zurückpreschte. Doch Brits Besen war dem Ganymed überlegen, sodaß sie ihm sofort im Nacken saß. So blieb ihm oft nur der Wurf auf gut Glück. Tatsächlich konnte er so einmal den Pot treffen. Etwas von dem Wasser spritzte aus dem Kessel heraus. Doch der Ball war ordentlich eingetopft. Das brachte jedoch immer nur einen Punkt ein. So holten Melanie und Julius nur Punkte, weil Myrna sich nicht recht traute, sich von der großen Schwester herumschupsen zu lassen. Als dann zum sechsten Mal dieses Trommelfell terrorisierende Tröten erklang, hatten Melanie und Julius zwölf Punkte Vorsprung vor Brittany und Myrna.

"Mrs. Porter hat gesagt, du hättest noch nie Quodpot gespielt, junger Mann", sagte Bob in der kurzen Unterbrechungszeit zwischen dem sechsten Eintopfen und dem siebten Durchgang.

"Huh, schon anstrengend. Aber der Ganni geht gut ab", keuchte Julius. Die schnellen Bewegungen und die hohe Konzentration zehrten ihn doch gut aus und ließen ihn Barbara für den Schwermacher und den edlen Besenspendern für seinen Wunderbesen danken.

Der folgende Durchgang lief und lief. Julius versuchte Brittany mit Weitwürfen auszumanövrieren, die nicht in den Potraum gingen, damit keine Fehlwurfpunkte für Brit und Myrna herumkamen. Diese fing den Ball aber immer gut ab und spielte wuchtig zurück auf ihre Mannschaftskameradin. Dann fing der Ball an, immer violetter zu schimmern, aus sich selbst heraus zu leuchten. Eine beträchtliche Hitze ging von dem Quod aus, die Wurf für Wurf stärker wurde. Melanie hatte ihm gesagt, daß die Handschuhe keine Hitze durchließen. Tatsächlich fühlte er nur ein sachtes Kribbeln durch die magischen Schutzhandschuhe.

"Na, wie heiß wird die Murmel noch?" Feixte Brit, weil Julius den Quod nun auf Biegen und Brechen in den rettenden Pot bringen wollte.

"Explodiert der auch?" Fragte Julius.

"Nicht, wenn ich den bei Mel eintopfe", sagte Myrna ohne Vorwarnung und nahm den von Brit abgefälschten Quod an, um zurück zum Pot auf der anderen Seite zu fliegen. Julius holte sie jedoch locker ein. Der Centennial war dem Ganymed 10 doch noch unterlegen. Julius bekam den Quod mit einer raschen Bewegung. Da leuchtete er giftig grün und immer heller werdend.

"Und der Quod ist richtig heiß!" Rief Brit über das Spielfeld hinweg. Da war Julius auch schon bei ihr und versuchte, an ihr vorbeizukommen. Dabei verlor er fast den Besen unter dem Po, weil er freihändig flog.

"Nix, die grüne Murmel muß in den anderen rein", lachte Brit und stieß Julius ziemlich heftig aus der Flugbahn, sodaß er den Wurf verpatzte und Myrna den Ball sicher aufnehmen konnte.

So dauerte es knapp zwei Minuten, bis der Quod unvermittelt in einem beinahe weißen Blauton erstrahlte. Myrna, die ihn gerade führte, warf ihn zu ihrer Schwester, die ihn durchließ. Mit einem lauten Knall platzte der Quod und wurde zu einer Wolke blauer Funken, die in alle Richtungen davonschwirrten.

"Fünf Glückspunkte für beide Mannschaften und eine Minute Unterbrechung für den neuen Quod!" Verkündete Bob, nachdem das nervige Tröten diesmal in drei kurzen Stößen über den Platz gedröhnt hatte.

"Ach, Mel, den hättest du doch nehmen können", maulte Myrna.

"Nicht bei Übungen, Myrna. Da wirst du nicht rausgeknallt", erwiderte Brit. "Da setzt es dann nur die zehn Rausknallpunkte für die Gegenseite."

"Deshalb hätte Mel den doch annehmen können", sagte Myrna mißmutig, während der Schiedsrichter auf seine Armbanduhr blickte.

"In zwanzig Sekunden geht's weiter", sagte er. Dann holte er den nächsten Übungsquod. Julius fragte Melanie, ob man bei den richtigen Spielbällen vorher was mitbekäme, daß die gleich explodieren würden. Mel Lächelte bösartig.

"Natürlich nicht. Da läuft das, was wir hier erleben innerhalb einer Zehntelsekunde ab. Das wirst du morgen sicher oft genug sehen, wie ein Quod in einem Blitz aus Violett, Grün und weißblau zerbröselt und dabei Funken sprüht. Aber es gibt manche Spieler, die haben das irgendwie raus, wann sie einen glutheißen Quod noch so spielen, daß ein Gegenspieler den in dem Augenblick kriegt, wo der explodiert. Winston Foggerty ist so einer. Der ist vor dem Pot und wirft den plötzlich ab. Mancher Vorblocker hat ihn schon nach dem Spiel für diese Falle mit einem mittelschweren Körperbeeinträchtigungsfluch belegt."

"Auf die Besen!" Rief Bob die Spielerinnen und den Spieler zum Weitermachen auf. Dann zählte er die letzten Sekunden zurück und warf den neuen Quod hoch.

Diesmal zog sich das Spiel gut lang, weil der Quod öfter eingetopft wurde und daher heil blieb. Als Julius einmal heftig vom Besen geworfen wurde, fing Tilia Verdant ihn mit einem merkwürdigen Zauber auf, der ihn in eine silberne Wolke hüllte und federgleich zu Boden sinken ließ. Dabei hatte er das Gefühl, zehn Gläser von Madame L'ordouxes Meet in einem Augenblick gekippt zu haben. Tilia Verdant gab ihm in der von Bob verkündeten Unterbrechung etwas gegen diesen alkoholartigen Rauschzustand.

"Der Fallbremser ist manchmal zu ungenau. Die Wolkenwiege ist da schon besser, von der Nebenwirkung abgesehen, daß der damit gerettete in einen alkoholartigen Rausch versetzt wird. Das kommt aber nur, wenn Zauberer oder kinderlose Hexen ihn wirken", sagte die Heilerin, denn eine solche war es mit Sicherheit.

"Wir haben den Quod ohne Punktezumessung eingetopft", sagte Melanie. "Geht's noch, Julius?"

"Hui, der Sturz war heftig. Dem Ganni ist nix passiert?"

"Der ist alleine runtergekommen und gelandet, Julius", sagte Melanie Redlief. Dann fragte sie Julius, ob er weiterspielen wolle. Er sagte ja. Sein Kampfgeist hatte sich sofort gemeldet, sich hier nicht so einfach fertigmachen zu lassen.

Als dann die beiden bezahlten Übungsstunden vorbei waren stand es 237 zu 268 für Melanie und Julius.

"Du siehst, es gibt viele Arten, von den Fehlern der Gegner zu profitieren", sagte Brit fast außer Atem. In einem der unter den Tribünen aufgestellten Gebäude nahm Julius eine kurze Dusche, bevor er Brit den Kapuzenumhang und die Handschuhe zurückgab. Dann flogen sie zurück zum Weißrosenweg. Dort schlug Mrs. Porter vor, im betrunkenen Drachen zum Abendessen einzukehren. Sie schrieb eine Nachricht für ihren Mann, er könne auch dorthin kommen und führte ihre jungen Gäste zu dem Haus, wo der auf Schlagseite tapsende Drache auf dem Schild prangte.

Julius sog den Geruch von Tee, Kaffee, Pfeifen- und Zigarettenrauch, Bier, Wein und gebratenem Fleisch und gekochtem Gemüse tief in die Nasenflügel, als er mit Mrs. Porter alleine durch die Klapptür trat, die die Terrasse vom Gastraum trennte. Er blickte sich neugierig um und zählte an die zwanzig gedeckte Tische, die gleichmäßig im Schankraum verteilt waren. Der Boden war mit Parkett belegt und die Wände waren getäfelt. An einer Wand hing ein großes silbernes Horn, bestimmt das eines Einhorns. An einer anderen Wand war ein betagter Flugbesen mit sechs Eisenringen an der Wand befestigt worden. Daneben waren sechs unterarmlange Krallen mit dicken Zimmermannsnägeln an die Wand geheftet worden. Das mochten die ausgezogenen Krallen eines oder mehrerer Drachen sein. Dann hing da noch ganze sieben Meter lang die abgelöste, von der Schnauze bis zur gezackten Schwanzspitze erhaltene Haut eines Alligators. Dann gab es noch Zaubererbilder mit flackernden Feuern, im Meer schwimmender Fische und einem Feuer und Lava speienden Vulkan. Unter der mit weißlackiertem Holz verkleideten Decke hingen drei zwölfarmige Kronleuchter an silbernen Ketten. Auf den Tischen standen Kerzenhalter aus Ton, in denen schlanke, weiße Kerzen steckten, die im Moment aber nicht brannten.

Ein kleiner, kugelrunder Zauberer in einer hellgrünen Schürze stand hinter einer breiten, rötlich glänzenden Theke und schenkte gerade einen Humpen mit einer wie in Wasser gelöstes Feuer wirkende Flüssigkeit aus einer bauchigen Flasche voll, der mindestens zwei Liter fassen mochte. Der Zauberer blickte die Neuankömmlinge aus grauen, wachen und freundlich wirkenden Augen an. Sein ziegelroter Harschopf war leicht struwelig.

"Phil, Madame Porter ist hier!" Rief er in Richtung einer schmalen Tür hinter sich.

"Ist gut, Bachus", antwortete eine erfreut klingende Frauenstimme aus dem Raum hinter der Tür.

"Das ist Mr. Vineyard, der Boss", flüsterte Jane Porter Julius vergnügt zu, als der kugelrunde Zauberer hinter der Theke hervortrat und durch den Schankraum rief:

"Grizwald, dein Feuerwhiskey ist fertig!"

Ein Mann, groß und breit wie ein aufrecht gehender Bär erhob sich von einem breiten Stuhl in einer der vier Ecken des Raumes und schritt zur Theke. Sein dunkelbrauner Haarschopf und der gleichfarbige Vollbart, der ihm übers Kinn herabreichte, verliehen dem Fremden eine urwüchsige Wildheit, wie sie Julius von den Barbaren seiner Abenteuer-Rollenspiel-Zeiten kannte.

"Alles Klar, Bachus", brummte er behagt und pflückte den vollen Humpen mit der rechten, nervigen Faust von der Theke, während er mit der linken Hand in die Außentasche seiner Lederweste langte und einen schimmernden Quader hervorzog, der mindestens fünf zoll lang und drei Zoll breit und hoch sein mochte. Mit einem vernehmlichen Kling ließ er den Metallquader auf den Tresen fallen.

"Mal wieder keine Zeit gefunden, das in Galleonen umzuwechseln, Grizzy?" Feixte ein bohnenstangengleicher Zauberer vom Tisch her, an dem der bärengleiche Zauberer gerade noch gesessen hatte.

"Bevor mir die blöden Kobolde daraus meinen fairen Gegenwert in Galleonen bezahlen gebe ich das lieber direkt bei unserem Wohltäter hier ab, Gus", dröhnte die Stimme des großen Zauberers erheitert. Dann nahm er noch drei Flaschen von Bachus Vineyard und kehrte an den Tisch zurück, wo außer dem Bohnenstangentypen noch ein Zwerg in einer erdverkrusteten Segeltuchkluft und eine kleine, grünhäutige Frau mit struweligem, erdfarbenem Haar saß, die Julius unvermittelt aus gelben Augen mit weißen Pupillen anblickte. Dem Jungen lief es kalt und heiß den Rücken hinunter, als das offenbar nichtmenschliche Zauberwesen ihn anlächelte.

"Die ist harmlos", sagte Jane Porter. "Das ist Aubartia, die kommt aus demselben Urwald wie Mr. Grizwald Paddington", flüsterte Jane Porter, die wohl mitbekam, was Julius hatte.

"Wenn die nicht gerade heiß ist", flüsterte Julius. Die grüne Frauengestalt am Ecktisch grinste feist und rief mit entenhaft quakender Stimme:

"Das habe ich gehört, Jungchen!"

Julius fiel es wieder ein, daß diese Wesen ein sehr scharfes Gehör besaßen, das sich nicht hinter dem von Hunden oder Katzen verstecken mußte. Mrs. Porter zog ihn sanft an sich und bugsierte ihn zur Theke.

"Bachus, meine Enkeltöchter sind noch draußen und die junge Ms. Brittany. Wir wollten heute mal draußen sitzen. Ich habe noch einen Freund meiner Enkeltochter Glo zu Besuch, der noch nie hier war", sagte Mrs. Porter ruhig. Der Wirt strahlte über sein ganzes rosiges Mondgesicht und streckte Julius seine große, weiche Hand hin.

"Hallo, junger Mann. Schön, daß Jane dich mal mitbringt. Du bist also auch Engländer?" Erkundigte sich der Gastwirt. Julius nickte und sagte leise:

"Ja, Stimmt."

"Dann hattest du wohl ein heftiges Jahr in Hogwarts, wenn Ms. Gloria nicht übertrieben hat", schmunzelte Mr. Vineyard. Die Tür hinter ihm tat sich auf und eine untersetzte Hexe mit blondem Pagenkopf in einer leicht fettigen rosa Schürze trat in den Schankraum.

"Hi, Jane, haben Sie heute doch noch Zeit gefunden, uns zu besuchen. Madame Unittamo war mal kurz hier und wollte wohl nachher noch einmal vorbeikommen", sagte sie freundlich.

"Kann sein, daß wir dann noch da sind", sagte Jane lächelnd. "Meine Enkeltöchter, Mels Freundin Brittany und Glos ehemaliger Schulkamerad hier sind mit mir heute abend hier zum Abendessen. Was können Sie uns empfehlen, Philomena?" Die Hexe in der rosa Schürze strahlte sehr erfreut und warf sich in eine erhabene Pose. Dann erzählte sie, daß sie die Wildschweinlenden in Honigsoße empfehlen könne, dazu Gemüse der Saison.

"Das klingt aber teuer, mmmm", erwiderte Julius unbedacht, bevor Mrs. Porter ihm kurz die Hand auf den Mund legte.

"Geben Sie mir bitte sieben Karten und bringen Sie mir bitte eine große Tasse Kaffee mit Kandiszucker!" Sagte Jane Porter. Dann fragte sie Julius, ob er schon wisse, was er trinken wolle. Er fragte, ob sie hier Tee hätten und bekam zur Antwort eine kleine goldgerahmte Karte, auf der mindestens fünfzig verschiedene Teespezialitäten aufgeführt waren. Er nickte der Hexenwirtin zu und folgte Jane Porter nach Draußen, wo Brittany und Mel sich gerade mit jungen Burschen unterhielten, die zwei Tische weiter weg saßen. Gloria und Myrna zogen nur belustigte Grimassen, weil die Jungs wohl versuchten, die beiden älteren Mädchen zu umgarnen.

"Ach neh, die sind auch wieder hier. Dann wird das Ehepaar Turner wohl gerade in irgendeinem Laden hängen, weil Stella sich wieder in irgendwas verguckt hat", seufzte Mrs. Porter. Dann ging sie kurz zu Mel hinüber und sagte leise was zu ihr. Diese nickte, während die Jungen die Hexe mit dem Strohhut eingeschüchtert ansahen.

"Das sind Darrin und Luke Turner. Luke ist in Mels Klasse, Darrin eine drunter. Ihr Onkel ist unser Verwandlungslehrer", flüsterte Myrna.

"Hui, wußte nicht, daß Sabberhexen auch in eine richtige Stadt reinkommen", sagte Julius.

"Ach, ist der große Papa Bär auch wieder hier", grinste Myrna. "Habe ich mich also nicht verhört. Aubartia ist harmlos. Die frißt nur junge Rehe, Wildschweine und wenn sie mal hier in der Gegend ist Alligatorensteaks halb durchgebraten. Oder hat sie dich irgendwie komisch angeguckt, als wäre ihr mal wieder schrecklich einsam zu Mute?"

"Noch nicht ganz, aber was ich über diese Kreaturen gelernt habe macht die mir nicht gerade sympathisch", sagte Julius.

"Ja, aber die ist harmlos, Julius. Ich habe die auch schon getroffen", sagte Gloria. "Mr. Paddington, den du da drinnen dann wohl nicht übersehen konntest, hat sie als Halbwüchsige gefunden, nachdem sie wohl Krach mit älteren Artgenossinnen hatte, die sie aus dem Elternwald rausgejagt haben. Ich frage mich immer wieder, wie die eigentlich über den Ozean rüberkommen konnten, damals bei der Kolonisation."

"Die Trance der schmerzlosen Tiefen, Gloria", sagte Julius wie auf Knopfdruck. "Professeur Faucon hat uns dieses Schuljahr einiges über diese Zauberwesen erzählt." Mrs. porter nickte ihm anerkennend zu.

"Moody hatte es nur von Flüchen, und die Umbridge dachte erst gar nicht dran, uns was beizubringen", grummelte Gloria.

"Ja, aber deine gute Gran Jane hat dir da doch gut raushelfen können, Kleines", gab Jane Porter vergnügt zur Antwort. Gloria mußte nicken und rang sich ein Lächeln ab. Dann kamen Brit und Mel herüber. Brit grinste.

"Soweit käme das noch, daß ich mich auf Luke Turner einließe, nur weil dem sein Onkel mit meiner Mom zusammenarbeitet", grinste Brittany und setzte sich. Melanie Redlief nahm Julius gegenüber platz und fragte ihn, wie ihm die Einrichtung des Gastraums gefiel. Julius sagte, daß er sich so immer alte Landgasthöfe vorgestellt hatte, nur daß statt Hirschgeweihen oder Pferdehalftern halt die Drachenkrallen, das Einhornhorn und die Alligatorenhaut als Wandschmuck herhielten. Dann sprach er kurz von der Vierergruppe, zu der der Zauberer Grizwald Paddington und die Sabberhexe Aubartia gehörten.

"Ach, hat der Typ wieder mit Barren bezahlt, Julius. Mein Dad sagt, der sei Besitzer einer Goldmine in Kanada, wo aber bisher keine Muggel hinkommen könnten. Wahrscheinlich ärgert er wieder die Gringotts-Kobolde, weil er Geschäfte mit Zwergen macht", sagte Gloria leise. Dann fügte sie rasch hinzu: "Aber das betrifft uns nicht, Julius."

"Und der Bohnenstangentyp?" Fragte er leise.

"Das ist Gus, Asparagus McCloud, einer aus dem Zauberwesenbüro", meinte Mrs. Porter.

Melanie wollte gerade noch was sagen, als die Wirtin aus dem Lokal auf die Terrasse kam und einen Stapel Speisekarten unter dem linken Arm und ihren Zauberstab in der Rechten Hand hielt. Vor ihr schwebte ein mit einem niedrigen Flechtwerkrand umrahmtes Tablett, auf dem eine Kanne, eine Zuckerschale und eine große Tasse mit Untertasse ritten. Sie ließ das Tablett sacht zu Mrs. porter hinüberfliegen und kam dann an den Tisch, um die Speisekarten zu verteilen. Julius errötete, weil er vor lauter Schwatzen mit den Mädchen vergessen hatte, seine Teekarte zu studieren. Als sie dann gefragt wurden, was sie denn schon mal trinken wollten, bestellten die älteren Mädchen Kirschwein, Myrna nahm Waldbeerlimonade und Gloria Kakao mit zerriebenen Kokosflocken.

"Und, findest du auch was, junger Mann?" Fragte Mrs. Vineyard sehr freundlich lächelnd.

"Hmm, wußte nicht, daß Sie so viele Teesorten haben", erwiderte Julius verlegen. Dann grinste er. "Oh, den nehme ich, Kameltreibertraum, die Nummer zweiundzwanzig auf der Teekarte."

"Wunderbar. Mache ich dir gleich, öhm, wie heißt du? Junger Mann oder Junge klingt doch etwas zu grob und distanziert", erwiderte Mrs. Vineyard. Julius stellte sich artig vor, und die untersetzte Wirtshexe erwiderte höflich ihren Namen. Dann ließ sie die Gäste mit den Speisekarten alleine.

"Kameltreibertraum?" Fragte Myrna belustigt.

"Schwarzer Tee mit Kardamom, Zimt und Zitrone, dazu Hirsemehlstangen mit Vanille und Honig und diversen anderen Gewürzen verbacken", erklärte Julius.

"Das du mir danach noch genug Hunger hast", gab Mrs. Porter amüsiert zurück.

Als die Getränke eintrafen erkannte Julius rasch, daß seine Tasse wohl mit dem Rauminhaltsvergrößerungszauber belegt war, weil er nach dem ersten vorsichtigen Schluck vom dampfenden Inhalt meinte, sie würde immer noch randvoll sein. Die drei Gebäckstangen, die dabeilagen, waren zu spiralen gewickelt. Julius gab zwei davon an die Mädchen ab und teilte sich die dritte mit Mrs. Porter. Dabei fiel ihm auf, daß Brittany sacht den Kopf schüttelte, als Melanie sie fragend ansah und die Vanillestange vorzeigte. Er vermutete, daß Mels Freundin keinen Hunger auf so Kleinigkeiten hatte und achtete nicht weiter darauf.

Sie unterhielten sich noch etwas über Quodpot, Thorntails, Hogwarts und Beauxbatons. Gloria fragte Julius einmal über diese Pflegehelfertruppe aus, zu der er gehörte. Er erzählte ihr, was er da so tun mußte.

"Madame Merryweather, unsere Schulheilerin, hat auch schon mal darüber nachgedacht, so'ne Hilfstruppe zusammenzustellen. Das muß wohl vor zehn Jahren oder so gewesen sein. Ging aber irgendwie nicht gut aus, weil die Leute bei ihr Unsinn angestellt haben, als sie die Grundlagenzauber konnten. Einer hat sogar was total giftiges geschluckt, um sich möglichst nahe an den Tod heranzubringen, um zu sehen, ob es möglich ist, zu sterben und dann wieder zurückzukommen. Das führte dazu, daß der Schüler starb und die Heilzauberhilfstruppe von Thorny runterflog. Seitdem, so hat Mom es mir erzählt, wäre die gute Madame Merryweather davon weg, Hilfstruppen zu sammeln."

"Das ist ja auch der pure Wahnsinn, sich absichtlich zu vergiften, um mal eben so nahe wie's geht vor die Himmelstür zu kommen", empörte sich Julius. Dann wurde er gefragt, wie das war, als Célines Schwester ihr Kind bekommen hatte. Julius erwiderte höflich, daß er darüber nichts erzählen dürfe, weil das eine sehr persönliche Sache für Constance Dornier sei. Brittany meinte nur:

"Hat man dem Mädel nix von Verhütung erzählt? Dann kommt sowas von sowas."

"Ms. Brittany, etwas mehr Zurückhaltung", mahnte Mrs. Porter an.

Als ein hagerer Zauberer im wasserblauen Umhang herantrat und Mrs. Porter sehr warmherzig anlächelte, stellte sie ihn Julius als Mr. Livius Porter, ihren Ehemann und Glorias Großvater vor. Der Zauberer begrüßte Julius schwungvoll und erfreut, ihn mal kennenzulernen. Dann machte er eine nachdenkliche Miene.

"Hat Janes Arrangement geklappt oder bist du auch bei uns untergebracht?" Fragte er. Seine Frau schüttelte behutsam den Kopf.

"Er ist mit seiner Mom bei Zachary Marchand untergebracht, Livius. Du brauchst dir also keine Gedanken über mögliche Unzuchtvergehen in unserem Haus zu machen."

Mr. Porter lachte schallend los. Julius sah seine Gastgeberin leicht verlegen an. Dann mußte auch er grinsen.

Als sie sich über das Essen hier unterhielten ergriff Mrs. Porter die günstige Gelegenheit beim Schopf, Julius noch einmal darauf hinzuweisen, daß er sich um die Bezahlung nicht zu sorgen hatte. Außerdem seien die Wildgerichte hier fast so billig wie Fleisch- und Fischgerichte aus Zuchtbetrieben. Brittany verzog bei dieser Erwähnung das Gesicht. Julius überlegte, ob Brittany was gegen die Zubereitung von Wildtieren hatte, vielleicht gegen die Jagd als solches. Doch weil es ihn interessierte, wieso Mrs. Vineyard dieses Gericht empfohlen hatte, nahm er die Wildschweinelendchen mit Honigsoße, ebenso Mr. Porter, Myrna und Gloria. Mel wählte eine Grillplatte mit Rippchen und Fleischspießchen und dazu Backofenkartoffeln und verschiedene Soßen. Brittany nahm einen rein vegetarischen Auflauf und bat Mrs. Vineyard darum, weder Käse noch Ei dabei zu verwenden. Mrs. Vineyard notierte es sich auf einem kleinen Zettel und nickte allen zu.

"Das du überhaupt noch Appetit hast, wo wir hier doch alle Aas fressen", feixte Myrna Brittany zugewandt. Mel starrte sie dafür böse an, Mrs. Porter räusperte sich und Mr. Porter machte Anstalten, seine Enkelin zu maßregeln, als Brittany konterte:

"Selbst die ekligsten Sachen können irgendwann so langweilen, daß sie mir nichts mehr ausmachen, Myrna."

"Ach, du bist Vegetarierin?" Fragte Julius etwas unsicher. Brittany nickte erst sacht und erklärte dann:

"Ich bin Veganerin wie mein Vater und seine Eltern und anderen Verwandten auch."

Julius grinste. Der Begriff war ihm irgendwie bekannt aber konnte auch anders ausgelegt werden. So sagte er nicht so ernst gemeint: "Du siehst aber gar nicht aus wie von einem anderen Stern."

"Wie? Neh, Julius, mit dem Stern Wega hat das nix zu Tun. Das ist, wenn du überhaupt nichts essen oder gebrauchen willst, wozu Tiere verwendet werden, getötet oder zur Produktion gezüchtet wie Bienen, Milchkühe oder Legehennen. Aber das weißt du vielleicht doch schon, deinem Grinsen nach", erwiderte Brittany etwas pickiert. Doch dann mußte auch sie grinsen. Julius nickte und meinte nun sehr ernst, daß er zwar in der Muggelwelt davon gehört habe, aber nie gedacht habe, daß sich diese Lebensweise auch in der Zaubererwelt durchhalten ließ, wo gerade bei Zaubertränken doch viele Tierprodukte verwendet würden.

"Was meinst du, was ich als erstes abgewählt habe, als die ZAGs durch waren, Julius?" Entgegnete Brittany. Myrna verzog ihr Gesicht und Gloria sah etwas irritiert von Julius zu Brit und zurück. "Professor Verdant, die neben Kräuterkunde auch Zaubertränke gibt, hat mir zwar gesagt, daß dies keine miese Note in den ZAGs rechtfertigen dürfe und meine Mom streitet sich dauernd mit Dad und mir, was für und gegen Züchtung und Haltung von Zaubertieren spricht, zumal mein Dad sich eh nichts drunter vorstellen kann. Ich bin auch die einzige in Thorny, die das durchzieht, keine Ledersachen oder Wollklamotten anzuziehen. Mel kann dir ein Lied davon singen, wie's zwischen mir und 'ner dekadenten Mitschülerin geknallt hat, als die in Seidenumhängen und Drachenhautstiefeletten angestöckelt kam, wo der Schulabschlußball anstand. Na ja, zumindest ist diese Zicke jetzt runter von Thorntails. Aber leider hat die noch ein paar ähnlich gelagerte Freundinnen. Aber was erwartet man schon von Durecores?"

"Dasselbe wie von Slytherins", erwiderte Julius schnell, um seine Verlegenheit zu überspielen. Denn ihm war gerade klar geworden, daß Brittany sich von ihm dazu hatte bringen lassen, einen muggelstämmigen Vater zugeben zu müssen. Sicher, die anderen hier mochten das schon längst wissen. Aber er selbst hatte gelernt und es heute ja wieder bestätigt bekommen, daß man sowas in der Zaubererwelt nur rausließ, wenn es entweder nicht zu übersehen war oder zu wichtig war, um etwas zu kriegen oder zu verstehen. Seine Mutter hatte ja heute Mmorgen auch nicht jedem erzählt, daß sie eine nichtmagische Frau war. Dann fiel ihm etwas auf, das er noch klären wollte. "Moment, Brit, wir haben doch heute diese Spezialumhänge und Handschuhe angehabt beim Quodpot. Die waren doch aus dieser Wüstenwollwurmhaut. Dann war da noch der Quod, der bestimmt aus Leder war. Irgendwie fehlt mir da die Logik."

"Der Quod beim Quodpot ist nicht aus tierischem Leder. Ich habe mit einigen Leuten die Fabriken besucht, wo die Bälle hergestellt werden. Die verwenden Kautschuck und Bastfasern, um die Quods zu machen, weil es ja ziemlich heftig wäre, noch mehr Tiere zu züchten, nur um Quods zu machen. Die Gummibäume bleiben ja am Leben und liefern nach. Das fühlt sich nur an wie Leder, weil es mit bestimmten Elixieren behandelt wurde. Jetzt zu den Würmern. Die Haut von denen kriegst du ja nur, wenn sie sie abgestreift also genauso unbeschwert abgelegt haben, wie Pflanzen ihre Früchte hergeben. Insofern ist das nicht unlogisch, sondern ökologisch, wenn die Haut noch verwendet wird, wenn im Umkreis von hundert Meilen kein anderer Wüstenwollwurm herumkriecht, der sie fressen mag. Aber immerhin hast du verstanden, worum es geht."

"Trotzdem werde ich weiter Fleisch essen und Milch trinken, Brittany", sagte Julius schnell, damit das große Mädchen nicht dachte, sie könne ihn nun bekehren. Dann müßte er ja auf die Zaubertrankbrauerei verzichten. Das würden ihm Professeur Fixus und Madame Rossignol nicht durchgehen lassen, von Professeur Faucon zu schweigen, die ja Tiere für Verwandlungsübungen benutzte. Wenn er da was sagte, er wolle nicht bei der Ausbeutung von Tieren mitmachen, würde er wohl endgültig die Hölle auf Erden erleben.

"Dazu hast du ja auch alles Recht, Julius. Kuck dir doch unsere Zähne an! Wir haben doch kein Pferdegebiß und auch keine Kaninchenzähne", warf Myrna gehässig ein. Brittany machte Anstalten, nach ihrem Zauberstab zu greifen. Doch Mel legte ihr die Hand auf den Arm und versetzte Myrna einen warnenden Blick. Brittany sah Julius an und sagte:

"Natürlich hast du das Recht, zu leben wie du meinst es leben zu müssen oder wie dein Gewissen es dich leben läßt. Ich werde jetzt auch nicht anfangen, dich zu missionieren, besonders wenn ich mir überlege, mit wem du in Beauxbatons dann alles totalen Ärger kriegst. Dafür bist du ja nicht hier. Mir macht es nichts aus, wenn du was mit Fleisch oder Milch oder eben auch Honig ist, solange es dir nichts ausmacht, daß ich das eben nicht esse." Julius nickte anerkennend. "Aber wenn du möchtest kannst du ja mal von dem probieren, was ich bestellt habe."

"Wenn du es nicht ganz essen mußt, weil Mrs. Vineyard doch einen Schluck Milch da reingeschüttet hat", gab Myrna bösartig grinsend von sich. Mr. Porter hieb auf den Tisch, daß Julius' Teetasse einen Millimeter hochhüpfte und etwas von dem Tee verspritzte, ohne jedoch leerer zu werden.

"Myrna, jetzt ist Schluß!" Bellte Mr. Porter. "Jedem seine ihm genehme Lebensweise. Da macht man sich nicht drüber lustig! Kapiert?"

"Ja, Grandpa", antwortete Myrna kleinlaut und mit tomatenrotem Gesicht.

"Wechseln wir besser das Thema, Kids", sprach Mrs. Porter ein Machtwort. Das taten sie dann auch und sprachen über das, was Gloria in Muggelkunde gelernt hatte und wie weit das in Amerika anders war als in England. Brittany hatte damit keine Probleme, zu erzählen, daß sie auch schon mit Computern im Internet herumgesucht hatte, wenn sie mal in eines der neuen Internetcafés ging, die in den Staaten gerade zum neuen Trend geworden waren. Dann sprachen sie noch über das Laveau-Institut, wieso es ausgerechnet nach einer Voodoo-Hexe benannt war und was da so alles gemacht wurde.

"Wir sind zwar auch an der Suche nach bösartigen Hexen und zauberern und dunklen Kreaturen beteiligt, forschen aber eher nach Maßnahmen gegen die dunklen Künste", sagte Mrs. Porter. "Das bedeutet, daß wir immer neue Dinge lernen und ausprobieren müssen, bevor wir das den Inobskuratoren weitergeben, die für die eigentliche Suche nach Anhängern der dunklen Künste zuständig sind. Dabei müssen wir sehr unabhängig arbeiten."

"Was Sie genau machen dürfen Sie mir wohl nicht erzählen", meinte Julius leicht verlegen. Mrs. Porter nickte.

"Das ist so wie in der Fabrik, wo dein Vater vor einem Jahr noch gearbeitet hat. Da darf ja auch nicht alles an die Öffentlichkeit dringen. Aber natürlich genießen wir in der Zaubererwelt ein gewisses Ansehen, und viele Behörden kommen zu uns. Vor kurzem hat eine Zauberwesenexpertin von uns sogar mit deiner erwachsenen Bekannten Aurora Dawn gesprochen, wie man die Sabberhexen-Abhängigkeit von von denen heimgesuchten Jungen beheben kann, ohne die üblichen Prozeduren durchführen zu müssen. Wahrscheinlich werden wir sogar Zauber finden, die auf den Gesang der spanischen Meigas basieren. Aber mehr ist im Moment noch nicht darüber zu sagen, falls es überhaupt detailiert gesagt werden darf."

"Und gegen andere Zauberwesen wie Dementoren, Basilisken oder diese Töchter des Abgrunds, die so heftig sein sollen wird auch was gesucht?" Fragte Julius. Mrs. Porter zuckte mit den Wimpern, blieb jedoch sonst gefaßt.

"Ich würde gerade von den neun Töchtern des Abgrunds nicht so belanglos reden, Honey. Es gibt sie, und wen sie heimsuchen, der hat kein friedliches Leben mehr", sagte sie sehr ernst klingend. Julius fragte sich, warum sie das jetzt so todernst sagte. Ihm fiel sofort ein, was einer von Virginies Großvätern im letzten Sommer zu ihm und anderen Jungzauberern gesagt hatte, als sie es von den Succubi, den Töchtern des Abgrunds gehabt hatten:

"... Wenn du an einen Gott glaubst, Bursche, bete zu ihm, daß er dich niemals in die Gewalt eines solchen Geschöpfes geraten läßt, denn dann bist du tot, bevor du stirbst. ..."

"Was die Dementoren angeht, Oma Jane, so ist das aber wohl gerade ziemlich wichtig, die loszuwerden, oder?" Fragte Gloria.

"Was meinst du, warum ich dir und Pina im letzten Sommer den Patronus beigebracht habe und mich so geärgert habe, daß diese verstockte Madame U. euch dumm halten wollte."

"Das habe ich gemerkt, Gran", knurrte Gloria. Myrna kicherte mädchenhaft.

"Gran hat dich ganz schön gepiesackt, obwohl du ja doch noch einiges draufhattest", sagte ihre jüngere Cousine belustigt.

"Kids, es ärgert mich total, wenn ministeriell angestellte Zauberer den Schulunterricht in einem so wichtigen Fach mit voller Absicht verschleppen, ja den Leuten noch einzureden versuchen, sich von dunklen Hexen und Zauberern angreifen zu lassen und sich nicht wehren zu dürfen sei ethisch korrekt", versetzte Glorias Großmutter. "Diesen Schaden kann doch keiner mehr gutmachen."

"Hängt davon ab, wer im nächsten Jahr das Fach gibt", warf Julius ein und nickte Gloria zu.

"Hoffentlich wer, der oder die es gerafft hat, daß Voldemort wieder da ist", knurrte Gloria. Die Anwesenden außer Mrs. Porter und Julius erschraken bei der Nennung des Namens Voldemort. Doch Gloria ließ das kalt. Ihre Großmutter sah sie nur kurz an und nickte dann.

"Öhm, was mich noch interessiert, was Sie mir vielleicht erzählen dürfen", setzte Julius an, Mrs. Porter zu fragen. Doch erst einmal kam er nicht dazu, weil eine kleine, zerbrechlich wirkende Hexe mit langem, weißem Haar, das einen Hauch von Blond besaß, über die Terrasse gelaufen kam. Sie trug eine goldene Brille mit zehneckigen Gläsern, durch die goldbraune Augen hellwach auf den Tisch der Porters und ihrer Gäste blickten. Sie strahlte Jane Porter an, dann Julius Andrews.

"Schön, ich erwische dich also heute schon hier", sagte die Hexe, die zwar fortgeschrittenen Alters war, aber noch gut beieinander war.

"Maya, du wirst unhöflich", sagte Mrs. Porter belustigt grinsend.

"Privileg des Alters, Jane. Man darf sich zwischendurch wieder benehmen wie ein Kind, ohne gleich zurechtgewiesen zu werden", wandte die kleine Hexe ein, die in ein roséfarbenes Seidenkleid gehüllt war und weiße Halbstiefel trug, deren Spitzen abgerundet waren. Julius stand auf und deutete eine Verbeugung an als er sagte:

"Schön, Sie wiederzusehen, Madame Unittamo." Maya Unittamo, die bald hundertjährige Verwandlungsgroßmeisterin lächelte großmütterlich und nahm Julius in eine flüchtige Umarmung.

"Ich hörte, du wärst in der Jahresendprüfung mit vierzehn von fünfzehn Punkten weggekommen, aber nur weil du einen winzigen Punkt in einer Theoriefrage nicht richtig bedacht hast, weil es sonst fünfzehn geworden wären. Das freut mich, gerade weil meine Fachkollegin Faucon befunden hat, dich heftiger prüfen lassen zu müssen als andere Drittklässler. Große Kräfte bedeuten große Verantwortung. Wer wenn nicht Blanche Faucon legt da so großen Wert drauf?"

"Kein Kommentar", sagte Julius. Dann fiel ihm ein, daß er diesen Satz irgendwo schon gelesen hatte, nicht in einem Zauberbuch, sondern in einem Comic, wo jemand Superkräfte bekommen hatte und lernen mußte, wie und wozu er sie einsetzen konnte.

"Oh, Maya, doch schon hier", grüßte Mr. Vineyard, als er eine Flottille schwebender Tabletts mit Tellern und Gläsern vor sich hertreibend auf den Tisch der nun sieben Leute zuschritt. Die Angesprochene strahlte den Wirt des betrunkenen Drachens an und sagte, daß sie nachsehen wollte, wer so alles gerade hier sei und dann etwas hierbleiben wolle, um von der langen Reise auszuspannen, die sie gerade hinter sich gebracht hatte. Jane fragte sie, ob sie sich dazusetzen wolle. Madame Unittamo willigte mit freuden ein und ging zur Seite, damit Mr. Vineyard die Gedecke auf den Tisch stellen konnte.

Nachdem Maya Unittamo kurz im Schankraum verschwunden war, kehrte sie an den Tisch zurück und setzte sich auf einen Stuhl, den Mr. Vineyard von einem freien Tisch herübergeholt hatte. Julius fragte sich, warum ein solcher Aufwand mit Herholen und Herbringen getrieben wurde, wo er es immer wieder gesehen hatte, wie ausgebildete Zauberer und Hexen Sachen direkt aus dem Nichts erscheinen und sich hinstellen lassen konnten. Doch vielleicht wollte man das hier nicht. Deshalb fragte er das erst gar nicht laut.

Weil nun die berühmte Verwandlungsexpertin am Tisch saß wurde über Sinn und Unsinn von Verwandlungsübungen gesprochen, wo Maya schon überall gewesen war und was sie aus der Muggelwelt zu berichten hatte. Sie fand es bedauerlich, daß Julius' Mutter nicht hier am Tisch saß und warf ein, daß es den Drachen nicht einstürzen ließ, wenn mal ein Muggel hierher kam. Dann fragte sie Julius leise, ob er was von seinem Vater gehört habe. Er schüttelte den Kopf und wandte ein, daß der wohl seit Mai unerreichbar sei. Madame Unittamo grübelte. Dann fragte sie ihn, was er zuletzt von ihm gehört habe. Als er sie fragte, warum sie das wissen wolle erwiderte sie, daß sie es bis heute nicht verstehen konnte, warum Mr. Andrews seine Familie verstoßen hatte, nur weil Julius zaubern konnte. Dann wollte sie wissen, wie sein Vater mit vollem Namen hieß. Er sagte ihn ihr. Darauf verfiel sie für eine halbe Minute in nachdenkliches Schweigen. Dann sagte sie, als habe sie sich gerade aus einer Zwangslage befreit:

"Ich denke, Jane wird ihn für dich finden, zumindest herausfinden, ob er noch was mit dir zu tun haben will." Julius machte diese Antwort sichtlich beklommen. Wußte Madame Unittamo was, was er auch wissen sollte? Besser, wußte Mrs. Porter etwas, was sie ihm noch nicht erzählt hatte oder auch nicht sagen wollte? Doch er konnte ja schlecht fragen, was mit seinem Vater los war, wenn er keinen Ansatzpunkt hatte, sie aus der Reserve zu locken. Doch da fiel ihm etwas ein, was klappen konnte, ohne gleich auf seinen Vater zu sprechen zu kommen. Ja, er wollte die Frage von vorhin noch zu Ende stellen, als Madame Unittamo angekommen war.

Zunächst aber aßen sie alle. Julius probierte sogar von dem Auflauf, den Brittany bestellt hatte und fand, daß die Kokosmilch und der süßsaure Sud von Ananas, Zitrone und Tomatenmarg eine geniale Soße abgab und die verschiedenen Gemüsesorten und gekochten Bananen, die leicht angebratenen Kartoffelstücke und Reisbällchen gut schmeckten.

"Ich darf dir ja leider nichts anbieten", sagte Julius mit einem unbeholfenen Grinsen zu Brit. Diese lächelte verschmitzt und meinte:

"Anbieten dürftest du's mir schon. Aber ich würde es ablehnen."

"Ach, Vaters Tochter", feixte Maya Unittamo. "Vegane Lebensweise. Da hast du's bestimmt sehr schwer in der Zaubererwelt."

"Turner hat's Ihnen bestimmt gesagt, Madame, daß ich genau wie in Zaubertränke die schlechteste ZAG-Wertung bei ihm abgekriegt habe. Soll mir jetzt auch egal sein, wenn ich sowieso mehr mit Zauberkunst herumwerkel", erwiderte Brittany selbstsicher. Maya Unittamo ließ dies so stehen und unterhielt sich weiter mit allen am Tisch über die Lage in Europa und was in Amerika dazu gesagt wurde. Einig war man sich, daß der sogenannte Unnennbare im Moment eher in England sein Unwesen trieb und daß der neue Zaubereiminister dort Gefahr lief, sich in all zu heftigen Aktionen zu verlieren. Wo Julius schon einmal hier war fragte er, ob es nicht auch hier Leute gäbe, die für Voldemort wären. Maya Unittamo sagte verbittert:

"Die haben sich förmlich massakriert, weil sie wohl nicht herausfinden konnten, wer von ihnen diesem Wahnsinnigen besser die Füße küssen konnte. Das gab einen richtigen Kleinkrieg zwischen den dunklen Magiern."

"Ja, Maya, stimmt schon. Es hat hier im letzten Jahr heftige Übergriffe gegeben. Aber was davon nicht in der Zeitung erwähnt wurde muß jetzt auch nicht mehr erwähnt werden."

"Verstehe, Jane, du darfst nicht darüber reden", erkannte Maya Unittamo. Julius nickte. Dann schien es, als habe es in seinem und Madame Unittamos Kopf zur selben Zeit Klick gemacht. Denn sie sah Mrs. Porter sehr eindringlich an, als habe sie was erkannt, was diese verbergen wollte. Julius indes verzog sein Gesicht zu einer sehr verärgerten Grimasse. Das war es. Sie wußte wirklich etwas, was sie ihm nicht verraten durfte, noch nicht verraten durfte oder überhaupt nicht, mußte er irgendwie herausfinden, ohne sie direkt darauf zu stoßen. Aber wie? Er dachte seine Selbstbeherrschungsformel: "Was mich stört verschwinde ..." und fand tatsächlich wieder zu einer entspannten Haltung zurück. Er sagte Mrs. Porter, daß manche Leute ihm mit der Ausrede, man dürfe nichts verraten, schon einigen Unsinn angestellt hatten. Sie nickte schwerfällig. Maya Unittamo nickte auch. Sie fragte, ob sie alle morgen das Quodpot-Spiel sehen würden. Natürlich war damit das Thema wieder bei Quodpot und der Liga, über die Julius jetzt noch etwas mehr erfuhr.

Kaum war es neun Uhr abends und alle Teller und Schüsseln geleert, verschwand die Sonne unter dem Horizont. Die Kerzen auf den Tischen flammten wie von unsichtbarer Hand angesteckt auf und tauchten die Gesichter der Gäste in ein gespenstisches Licht. Die Stimmung wurde erhabener. Julius fühlte, daß er die Frage jetzt stellen sollte, die er eben schon hatte stellen wollen.

"Mrs. Porter, ich hörte über ihr Institut, daß Sie angeblich mit dem Geist Marie Laveaus Kontakt halten würden. Stimmt das oder ist das eine Legende?"

"Nun, da das zumindest schon durch alle Zeitungen ist muß ich das wohl bestätigen", sagte Mrs. Porter amüsiert lächelnd. Myrna Redlief bemerkte dazu:

"Ja, aber du erzählst doch immer, daß Maries Geist nur auf dem St.-Louis-Friedhof herumspukt und sich nur denen zeigt, die in euer Institut eintreten wollen."

"Das ist auch richtig, Myrna. Manche meinten ja deshalb, daß es gar nicht stimmen würde. Aber die Geisterbehördenleute haben sie ja aufgefunden und mit ihr geredet. Das ist aber schon sechzig Jahre her, daß außenstehende mit ihr gesprochen haben", erwiderte Mrs. Porter. Ihr Mann saß ruhig daneben. Jetzt, wo er nicht mehr über Quodpot mitdiskutieren konnte, hörte er nur zu. Julius fragte:

"Was ist da so besonderes dran, daß nur Sie mit dem Geist Marie Laveaus sprechen und andere nicht, Mrs. Porter. Oder dürfen Sie mir das nicht sagen?"

"Wie gesagt, das stand schon im Kristallherold und der Stimme des Westwindes. Marie Laveau hat damals viel mit Voodoo und anderen Ritualzaubereien gearbeitet und stand im Verruf, eine gnadenlose Voodoo-Königin zu sein. Dieser schlechte Ruf ließ sie wohl nicht los, sodaß sie beschlossen hat, nach ihrem Tod auf unserer Daseinsebene zu bleiben und denen zu helfen, die gegen die dunklen Mächte in jeder Ausprägung kämpfen wollten. Da die damaligen Zaubereibeamten nicht ihr Wohlwollen gefunden haben, sind nur fünf Hexen und drei Zauberer von ihr angesprochen worden, als diese ihre Grabstätte besucht haben und haben sich zur Gründung eines Institutes zur Fluchabwehrforschung zusammengefunden. Tja, und dieses Institut wurde halt nach Marie Laveau benannt, weil dort auch die animistischen Zauber erforscht wurden, also Ritualmagie, Naturgeisterbeschwörung und -austreibung, sowie das Können der Medizinleute der amerikanischen und afrikanischen Urvölker. Zwischendurch besuchen Leute von uns Marie an ihrer Grabstätte und unterhalten sich mit ihr über Probleme. Überhaupt trifft sie die Entscheidung, wer endgültig in das Institut aufgenommen werden darf, weil sie halt zwischen der Ebene der Lebenden und der Geisterwesen schwebt und dadurch auch Einblicke in vergangene und zukünftige Sachen bekommt."

"Wahrsagung? Daran glaube ich nicht so recht", gestand Julius ein. "Aber Sie sagen, sie hilft ihnen oder sucht Leute aus. Das heißt, Sie gehen mit einem Kandidaten oder einer Kandidatin dahin, zu diesem Friedhof St. Louis Nummer 1 und kucken, ob sie sich zeigt und den Kandidaten als neues Mitglied annimmt?"

"In letzter Konsequenz genau so, Julius. Natürlich prüfen wir alle Voraussetzungen, Charakterstärke, Zauberfähigkeiten und Engagement, bevor wir Marie bemühen, uns zu sagen, ob es klappt oder nicht. Es gibt natürlich auch Zauberer und Hexen, die uns skeptisch gegenüber stehen, weil wir einen Geist befragen, ob wir jemanden annehmen sollen oder nicht. Aber das Prinzip funktioniert. Wir hatten bisher niemanden, dessen Aufnahme wir bereut hätten."

"Ja, und sie zeigt sich nur Hexen und Zauberern, die ins Institut aufgenommen werden wollen?" Fragte Julius neugierig. Vielleicht war es ja möglich, rauszukriegen, ob es nur eine Legende war oder wahr.

"Nicht nur. Aber sie zeigt sich halt selten. Wieso willst du das wissen?" Erkundigte sich Mrs. Porter tiefgründig lächelnd.

"Ich meine, die ist ja immer noch ein eigenständiges Wesen und kuckt sich die Leute an, die so an ihrem Grab vorbeilaufen. Wenn sie dann noch in die Zukunft sehen kann kriegt sie ja vorher mit, wer sie besuchen will", sagte Julius amüsiert. Mrs. Porter hörte heraus, daß Julius das mit der Wahrsagekunst Maries nicht glauben wollte. Deshalb sagte sie schnell:

"Honey, ich weiß, du hältst nichts vom Wahrsagen. Der Punkt ist aber, daß wir vom Institut nachprüfbare Ergebnisse haben, welche Voraussagen Maries eingetreten sind und welche nicht. Die Trefferquote liegt bei neunundneunzig Prozent in all den Jahren, die sie uns schon hilft. Sie hat die Geburt des dunklen Lords vorhergesagt und dessen Aufstieg prophezeit. Sie sagte uns auch, daß eine mächtige Kraft ihn für etliche Jahre schwächen würde, was ja 1981 auch eingetreten ist. Die Vorhersage dazu stammte von 1980. Es ist bei ihr anders als bei Sehern wie Cassandra Trelawney oder Nostradamus, die ihre Vorhersagen nicht richtig erläutern konnten, weil sie in tiefer Trance gemacht wurden. Das führte ja gerade in der Muggelwelt dazu, daß Nostradamus von den einen als prophet der Endzeit und von anderen als Dummschwätzer angesehen wird. Wie dem auch sei, Julius, Maries Macht ist nach ihrem körperlichen Ende sogar gestiegen."

"Und, wenn ich sie besuchen möchte muß ich nur über den Friedhof gehen, oder muß jemand vom Institut um Erlaubnis bitten?" Wollte Julius wissen. Die Mädchen verzogen die Gesichter, weil er so direkt vorpreschte. Gloria machte Anstalten, Julius zu maßregeln. Doch ihre Oma lächelte amüsiert und erwiderte leicht kichernd:

"Wir beide könnnen ja mal irgendwann zu ihr hingehen, wenn nicht gerade viel los ist."

"Mir hast du es auch schon mal angeboten", sagte Gloria. "Aber sie hat sich mir nicht offenbart."

"Das stimmt. Ihr war es wohl nicht sonderlich wichtig, mit dir in Kontakt zu treten. Ob sie Julius akzeptieren würde kann ich nicht sagen. Das müßten wir dann mal ausprobieren."

"Morgen abend vielleicht?" Fragte Julius verschmitzt grinsend.

"nur dann, wenn es nicht all zu lange dauert, bis die Bugbears oder die Ravens gewinnen."

"Einverstanden", sagte Julius.

"Wann sollte der Junge wieder bei diesem Mr. Marchand sein?" Fragte Mr. Porter seine Frau. Diese erzählte was von elf Uhr. Mr. Porter sah auf seine Uhr und stellte fest, daß sie noch über eine Stunde Zeit hatten. Sie unterhielten sich über die Muggelstädte in Amerika und daß Julius wohl einige davon besichtigen würde, wenn geklärt war, wie er hinkommen konnte. Sicher, sie hatten einen Einreisestempel im Reisepass. Aber würde Mrs. Porter ihn mit seiner Mutter wirklich in gewöhnlichen Flugzeugen reisen lassen?

"Also diese Hochhäuser in New York würde ich mir auch gerne mal ansehen", sagte Brittany. Mel nickte. "Ist ja schon interessant, wie sie die hochgezogen haben ohne Magie."

"In vier Tagen reisen wir hin, wenn ich geklärt habe, wie wir Julius' Mutter mitnehmen können", sagte Mrs. Porter ruhig. Dann durfte Julius noch etwas von Beauxbatons erzählen, wie da die letzten Monate gewesen waren. Ihm fiel ein, daß er was erlebt hatte, über das er hier auch keinem was erzählen durfte. Zumindest durfte er nicht über seinen Ausflug in die gemalte Welt sprechen. Aber über die grünen Würmer konnte er sprechen, da er das ja Mrs. Porter vor dem ausdrücklichen Verbot des Ministers erzählt hatte.

Kurz vor zehn apparierte noch eine bildschöne reinrassig weiße Hexe mit langem kastanienbraunem Haar vor der Terrasse und kam rasch zu Mr. Porter. Es war Laureata Beaumont, jene Frau, die Zachary Marchand wohl schon als Mädchen angehimmelt hatte.

"Also Foggerty darf morgen spielen, Mr. Porter. Sein Anwalt hat die Suspendierung angefochten und gewonnen. Conners kuckt jetzt zwar sehr betrübt aus der Wäsche, kann aber nichts machen. Ich gehe davon aus, der darf sich auf ein heftiges Abwehrfeuer der Raven-Fans gefaßt machen", berichtete Laureata Beaumont. Julius mochte diese Stimme. Sie klang wie die eines Mädchens, das aber immer schon eine tiefere Stimme gehabt hatte, fast so wie die von Brittany. Ms. Beamont nahm dankbar die Einladung Mrs. Porters an, noch etwas bei ihnen zu sitzen und zu plaudern. So verging die Zeit mit einer weiteren Runde über Quodpot und wie Julius seine ersten Erfahrungen damit sah.

"Nun, zwei gegen zwei bringt das natürlich nicht richtig rüber, Julius. Aber wenn ihr alle morgen eh zum Bugbears-Stadion kommt, wirst du den Unterschied sofort mitkriegen, sobald der erste Quod im Spiel ist. Ich werde für den Kristallherold mitschreiben und den Bericht im Sportteil bringen."

"Ja, aber dann halten Sie sich bloß an die Wahrheit", knurrte Melanie Redlief. Brittany grinste feist, ebenso Myrna.

"Mädchen, wenn ich nicht wahrheitsgemäß berichte, hätte ich gleich hundert Rechtsbeistände am Hals. Ich riskiere meinen Job nicht, indem ich irgendwas daherschreibe", stieß Ms. Beaumont verschnupft aus. Mr. Porter wartete ruhig ab, ob seine Mitarbeiterin noch was sagen wollte, dann sagte er:

"Mel, ich weiß, du fliegst auf die Ravens. Aber wenn die wirklich ein Spiel geschoben haben gehören die nicht in die Liga und fertig. Also lass Laurie gefälligst in Ruhe!"

"Ja ja, Grandpa, weil sie geschrieben hat, es habe eine Schiebung gegeben, weil Foggerty sowas behauptet hat. Ob's stimmt weiß natürlich keiner."

Julius hörte weg. Er wollte nicht mitkriegen, wie Mel Redlief sich mit ihrem Großvater zankte und dachte darüber nach, ob er den Geist Marie Laveaus einmal treffen konnte oder nicht. Er würde dann fragen, ob sie seinen Vater hellsehen könne und wo der sei und was er angestellt habe. Denn irgendwie nagte der Gedanke an ihm, daß sein Vater irgendwas gemacht hatte, was Mrs. Porter wußte, aber nicht verraten wollte. Er fragte sich nur, warum er sowas nicht im Internet gefunden hatte. War das zu unbedeutend? Eigentlich nicht. Im Internet wurden die unsinnigsten und belanglosesten Sachen rumgereicht. Dann klickte es wieder in seinem Kopf, und er mußte sich arg anstrengen, nicht wütend zu werden. Was wäre, wenn sein Computer so programmiert war, Sachen über einen Richard Andrews aus London nicht finden zu dürfen? Seine Mutter war Expertin für Betriebssysteme und Kommunikationsprogramme. Konnte sie einen Filter eingebaut haben, ein Programm, daß alle Suchergebnisse abklopfte, ob er sie sehen durfte oder nicht? Das wäre ein unheimlich starkes Stück und würde bedeuten, daß da was gelaufen war, was ihm heftig zusetzen konnte, wenn er davon Wind bekam. Doch bisher paßte das zu allem, was er mitbekommen hatte, von Joes gehässiger Bemerkung, er, Julius habe ja hinter dem Titan oder Triton gelebt und daher wohl nichts wesentliches mitbekommen über die ausweichenden Antworten seiner Mutter bis hin zu Mrs. Unittamos Bemerkung.

"Ich muß an einen Rechner, den Mum nicht vorher umprogrammieren kann, wenn sie es wirklich getan hat", dachte er. "Wo finde ich sowas? Dieser Zachary Marchand hat wohl einen. Aber da komme ich nicht dran, ohne daß der das mitkriegt." Dann fiel ihm ein, was Brittany erzählt hatte, daß sie in einem neumodischen Internetcafé gewesen war. Das konnte gehen. Allerdings durfte er dann nicht mit seiner Mutter zusammensein. Doch wenn er nicht mit seiner Mutter zusammen war war er in der Zaubererwelt, und da standen keine Computer herum, wo er mal eben herankonnte.

"Hui, jetzt ist es zehn vor elf", stellte Mr. Porter fest. Das hieß, Julius mußte jetzt zu Mr. Marchand zurück. So verabschiedete er sich von Madame Unittamo, Ms. Beaumont und den vier Mädchen und ließ sich von Mrs. Porter zum Haus 49 führen, wo er ihren Kamin benutzte, nachdem sie mit Mr. Marchand kontaktgefeuert hatte. Als er wieder im Haus des FBI-Agenten aus der Zaubererwelt war dachte er immer wieder seine Selbstbeherrschungsformel, um sich nicht anmerken zu lassen, daß er seine Mutter verdächtigte, irgendwas wichtiges zu verbergen. Er unterhielt sich mit ihr über den Nachmittag, erzählte auch, daß er beim Spiel vom Besen gestoßen worden war, ihm aber nichts passiert sei und erzählte vom Abend auf der Terrasse des betrunkenen Drachens. Martha Andrews berichtete ihrem Sohn von einem Ausflug in die Vororte von New Orleans und einem Essen in einem Haus, das wohl noch aus der Kolonialzeit stammen mochte. Sie grinste, als sie erzählte:

"ich habe sogar mit jemandem Schach gespielt, der gerade ein Spiel mithatte und meinte, er müsse sich produzieren. Nun, jetzt schläft er bestimmt besser, weil er sich so heftig angestrengt hat."

"Wenn du mal keinen zum Schachspielen findest, Mum", grinste Julius. Dann meinte er, er würde doch merken, wie lange der Tag für ihn schon gewesen war. Immerhin hatten sie sechs Stunden länger durchgestanden als üblich, Ortszeitanpassungstrank hin oder her. So ging er zu Bett und schlief unter dem leisen Rauschen des Stadtverkehrs von New Orleans ein.

 

__________

 

Am nächsten Morgen gab es Frühstück, wie es in vielen nordamerikanischen Muggelhäusern üblich sein mochte. Dazu klang Musik aus dem Radio. Julius hörte eher beiläufig auf die Berichte aus Atlanta, verfolgte die Lokalnachrichten aus New Orleans mit etwas mehr Interesse, weil er wissen wollte, was hier so als wichtig gehandelt wurde und lauschte den aktuellen Hits. Er fragte seinen Gastgeber, was er heute machen würde und bekam zur Antwort, daß Mr. Marchand und Julius' Mutter einen Tagesausflug nach New York machen wollten, da von hier aus mehrere kleinere Fluglinien dorthin flogen.

"Fligen ist hier so günstig wie Bahnfahren bei euch", sagte Mr. Marchand zu Julius. Martha Andrews nickte. Immerhin war sie ja schon einigemale in den Staaten gewesen, als sie noch in London gearbeitet hatte.

"Hast du einen Schlafanzug in deine Tasche gepackt?" Fragte Martha Andrews. Julius nickte.

Ich habe noch einen Umhang mit eingepackt. Die Zaubersachen sind ja alle schon drin wie das Superfernglas, das ich letztes Jahr gekriegt habe."

"Oh, eines dieser neuen Superomnigläser vielleicht? Ich hörte, die Franzosen wären damit richtig groß rausgekommen", erkundigte sich Zachary Marchand, und in seinen Augen leuchtete eine jungenhafte Erregung auf. Julius nickte nur. "Natürlich, du hast ja den direkten Draht zu den Erfindern dieses Gerätes. Dime und Lemonbroke sollten endlich die Einfuhrhürden für internationale Waren lockern, damit wir auch sowas zu einem bezahlbaren Preis kriegen. Sieht das irgendwie anders aus als die üblichen Omnigläser?"

"Nachdem, was mein Schulfreund Kevin Malone mir gezeigt hat nicht", sagte Julius. "Es hat nur zwei Regler und zwei Knöpfe mehr, für Nacht-und-Nebel-Durchdringung, Himmelsbeobachtung bei direkter Sonneneinstrahlung und dann die Knöpfe zur Tier- und Pflanzennamenanzeige und den Knopf für das Planetensuchraster. Das letzte habe ich letztes Jahr mal ausgetestet. Damit läßt du ein Ringmuster einblenden, auf dem die Planetenpositionen mit gelben Punkten und kleinen Namen markiert sind. Ein Blauer Punkt zeigt dir, wo du gerade hinkuckst. Wenn du das Fernglas nachführst, bis der Blaue Punkt einen gelben überdeckt und grün wird, hast du den damit markierten Planeten gerade im Blick. Dann kannst du das Raster wieder ausblenden und den Planeten heranholen und die Helligkeit verändern, um Einzelheiten zu erkennen."

"Gut, ich wollte nur wissen, ob du damit auffallen würdest. Viele Zuschauer haben Omnigläser mit oder leihen sie sich aus, für drei Sickel die Stunde", sagte Marchand. Martha andrews nickte.

"Zachary meint wohl, daß du andere nicht neidisch machst, weil du dieses Gerät hast."

"Sind wir nicht in Amerika, wo jeder haben und vorführen kann, was er oder sie will?" Fragte Julius schnippisch. Mr. Marchand nickte schwerfällig und erwiderte dann:

"Ja, aber nicht jeder toleriert das, gerade dann nicht, wenn er oder sie selbst dadurch irgendwie unterklassig rüberkommen kann. Aber in der Zaubererwelt ist das noch nicht so heftig. Da zählen andere Sachen, wo jemand sich gut mehr oder weniger wichtig fühlen kann. Ich wünsche dir auf jeden Fall viel Spaß. Öhm, wahrscheinlich wirst du keine Spielkommentare angezeigt bekommen können, weil Quodpot exklusiv in Nordamerika gespielt wird."

"Die Zeitlupe wird aber schon gehen und die Bildwiederholung. Ist dann wie im Fernsehen", meinte Julius.

"Ja, stimmt. Deshalb glauben ja viele muggelstämmige Hexen und Zauberer, die Erfinder des ursprünglichen Omniglases wären Muggelstämmige, die das, was in Sportsendungen im Fernsehen so möglich ist, auf magische Ferngläser übertragen wollten. Aber das Patent gehört so vielen Zauberern, daß es schon wieder unwahrscheinlich ist, daß die alle Muggelstämmig waren", sagte Mr. Marchand amüsiert. Dann machte er den Kamin frei, damit Julius zu den Porters hinüberkonnte.

"Benimm dich anständig, Julius. Du bist mit drei Mädchen in einem Haus, die alle alt genug für irgendwelche Dummheiten sind", sagte Martha Andrews. Julius lachte.

"Ich war letztes Jahr auch in einem Haus, in dem mindestens zwei Mädchen alt genug für irgendsolche Dummheiten waren, Mum. Und als Connie Dornier ihr Baby bekommen hat habe ich im selben Raum mit zwei Mädchen geschlafen, nur mit einem Wandschirm dazwischen. Aber ich verstehe, daß du diesen Spruch mal bringen wolltest, Mum."

"Frechdachs!" Versetzte Mrs. Andrews, mußte dann aber amüsiert grinsen. Dann meinte sie noch: "Du hast natürlich recht, daß ich dir keine Vorschriften machen sollte, wo ich ja jetzt eine Nacht mit einem mir fremden Mann im selben Haus übernachte. Da muß ich mir selbst an die eigene Nase fassen."

"In der Stadt gibt's bestimmt entsprechendes Vorbeugungszubehör", schoss Julius eine weitere Frechheit auf seine Mutter ab. Diese verzog das Gesicht und knurrte nur:

"Was denkst du bloß von mir? Hau ab und amüsier dich anständig!"

"Mercie Beaucoup, Maman", erwiderte Julius darauf nur und nahm seine Reisetasche und flohpulverte in das Haus 49 am Weißrosenweg.

"Deine Tasche ist Diebstahlsicher, Honey? Dann zeige ich dir dein Zimmer für heute", sagte Mrs. Porter und führte Julius in eine kleine Dachkammer mit einem runden Tisch auf dem ein Wolldeckchen lag und ein langes Sofa stand, das mit wenigen Handgriffen zu einem Bett umfunktioniert werden konnte. Julius holte sein Superomniglas aus der Tasche und fragte, ob das groß auffallen würde. Mrs. Porter antwortete lächelnd:

"Honey, es gibt schon viele Leute, die das haben. Die Dusoleils haben es im letzten Jahr gut verkaufen können. Selbst Lemonbrokes Einfuhrzölle für magische Güter aus dem Ausland haben das nicht verhindert. Maya Unittamo hat auch so eins."

"Na gut, aber die hat ja auch genug dafür verdient", sagte Julius.

"Du nicht?" Wollte Mrs. Porter wissen und grinste amüsiert.

"Ich habe es geschenkt bekommen", antwortete Julius darauf. Sicher, die Frage war darauf ausgerichtet, ob Julius etwas getan hatte, um sich dieses Geschenk zu verdienen. Doch darauf wollte er jetzt nicht eingehen.

"Nun, immerhin kann dieses Ding bestimmt auch die Quodpotspielzüge kommentieren", sagte Mrs. Porter. Julius schüttelte den Kopf.

"Das Ding ist wohl nur für Quidditch ausgelegt, Madame. Aber als Kevin sein Omniglas bei der dritten Runde vom trimagischen Turnier benutzt hat kamen da lustige Kommentare rüber. Mal sehen, was das aus den Quodpot-Spielzügen macht." Er grinste jungenhaft. Seine Experimentierfreude war erwacht. Die Dusoleils würden sich bestimmt interessieren, wie ihre Erfindung mit dem amerikanischen Zauberersport fertig wurde.

"Ich ziehe mich nur um, damit ich da nicht im Morgenrock aufkreuzen muß", sagte Mrs. Porter. Julius wollte gerade fragen, ob ein rosaroter Morgenrock nicht als Modegag durchgehen mochte, als Mrs. Porter ihren Zauberstab zückte und sich damit winkend einmal schnell um die eigene Achse drehte. Schlagartig war ihr Morgenrock verschwunden, und Glorias Großmutter trug eine weiße Bluse und einen knielangen blau-rot-grün gestreiften Rock. Ihre Füße steckten nicht mehr in den rosaroten Pantoffeln, sondern in weißen Hochglanzschuhen.

"Ui, habe ich schon ein paar mal gesehen, aber kriege das immer noch nicht klar, wie der Zauber genau geht", sagte Julius ehrlich beeindruckt.

"Das sagt Gloria auch immer wieder, wenn ich den Schnellumkleidezauber bringe. Di ist der Ansicht, daß der den Spaß am Ankleiden stört, gerade bei Frauen und Mädchen. Aber ich wußte ja schon, daß ich den Bugbears-Rock anziehen wollte. Mit Weiß geht ja alles zusammen."

"Gran, Brit ist gerade eingetrudelt. Die trägt wieder ihr Windrider-Kleid!" Rief Melanie Redlief nach oben.

"Na und?!" Rief Mrs. Porter amüsiert zurück und winkte Julius, ihr einfach nachzugehen.

"die will mich mal wieder ärgern", knurrte Melanie zur Antwort.

"Dann lass dich nicht ärgern, Honey!" Trällerte Mrs. Porter zurück.

Mr. Livius Porter trug wieder den wasserblauen Umhang, den er gestern abend schon angehabt hatte. Julius kam gerade hinzu, als Glorias Großvater einen blau-rot-grün gestreiften Hut auf seinen haarlosen Kopf setzte, an dessen Spitze ein glotzäugiges Stofftier mit langen, struppigen schwarzen Haaren dämonisch grinste. Julius meinte, eine Mischung aus einer dicken Hummel, einer Kröte und einem Schwarzbären zu erkennen.

"Ah, Jane, du hast den Rock an, ich den Hut", lachte Mr. Porter. Seine Enkeltöchter und Brittany traten in das Zimmer mit dem großen Kamin ein. Gloria hatte sich ein apfelgrünes Kleid angezogen. Melanie trug einen tiefblauen Umhang, auf dessen Bauchteil ein Rabe mit ausgebreiteten Flügeln prangte, der einen blauen Ball im langen Schnabel trug. Myrna hatte sich einen kirschroten Hosenanzug angezogen und sich Locken gedreht, ähnlich wie Gloria sie besaß. Nur daß Gloria die von Natur aus hatte. Brittany trug ein himmelblaues Kleid mit einem Wappen, das ein menschenähnliches, tiefblaues Wesen mit Flügeln auf einer silbernen, langgezogenen Wolke reitend darstellte.

"Willst du dich von den beiden Fangruppen zusammen aufmischen lassen?" Fragte Julius Brit, die ihn so musterte wie er sie.

"Die sollen ruhig sehen, auf wessen Sieg ich eigentlich warte. Außerdem sind die mit Foggerty zu sehr beschäftigt", erwiderte Brittany Forester vergnügt grinsend. Dann brachen sie auf.

"Bugbear-Arena!" Rief Mr. Porter, als er in einer smaragdgrünen Feuerwand im Kamin hockte. Dann verschwand er. Ihm folgten erst die Mädchen, dann Julius und zum Schluß Mrs. Porter. Als sie alle in einer großen Halle angekommen waren, in der fünf Kamine aufgebaut waren und sie sich in die Menge der ankommenden Zuschauer einfügten, war Julius gespannt, was nachher passieren würde.

Durch eine Schwingtür ging es zu den Backsteintreppen zu den Tribünen. Drei Hexen und vier Zauberer kontrollierten die Eintrittskarten und teilten die Zuschauer auf die Afgänge auf.

"Ah, Livius, dienstlich oder privat?" Erkundigte sich der Zauberer, dem Julius gestern schon begegnet war. Es war bob, der Schiedsrichter.

"Familienausflug mit Gästen, Bob. Meine Leute sind ja schon hier, soweit ich weiß", gab Mr. Porter vergnügt zurück.

"Stimmt, die hübsche Ms. Beaumont ist vor drei Minuten eingetrudelt, zusammen mit Carrigan vom Westwind und McGregor vom Quodpotkurier", sagte Bob. Dann winkte er die Zuschauer durch.

Für Julius war es wieder einmal schön, bei einem Spiel nicht in einer abgetrennten Loge zu sitzen, sondern mitten in der Masse der Zuschauer. Zwar waren hier wie in Fußballstadien auch Blöcke für die Fans der Heimmannschaft und der der Gäste eingerichtet worden, aber alleine die Stimmung, die Julius nun umgab war herrlich. Glocken, Tröten, Trommeln und Rasseln waren ebenso zu hören wie merkwürdige Flöten, die das Krächzen von Raben nachahmten. Da sie im Fanblock der Bugbears saßen, kam von hier immer wieder ein schauerliches gebrumm entweder aus großen schneckenförmigen Tröten oder von den blau-grün-rot gestreiften Fahnen, die alle dieses struppige, schwarze Mischwesen zeigten, von dem eine Stoffnachbildung auf Mr. Porters Hut ritt.

"Wie lange bin ich schon nicht mehr in einem großen Stadion gewesen", dachte Julius und erinnerte sich daran, wie er mit Aurora Dawn vor zweieinhalb Jahren das Spiel der Sydney Sparks und der Canberra Kangaroos gesehen hatte.

"Wenn die Imbißverkäufer nachher durch die Reihen gehen, sage mir ruhig, was du möchtest, Julius. Ich zahle das für dich wie für Glo und die anderen auch", sagte Mr. Porter, als er Julius neben seine in England lebende Enkeltochter hinsetzte, um dann links daneben, rechts von seiner Frau auf dem schmalen, aber weichen roten Stuhl niederzusinken. Brittany setzte sich rechts von Julius hin, flankiert von Mel und Myrna Redlief.

"Wenn du was nicht sofort mitkriegst frag mich ruhig", sagte sie zu Julius. Dann fügte sie lauter hinzu: "Gloria, falls du noch was wissen möchtest, ich bin ganz in der Nähe."

"Ich kann ihr was erklären", sagte Mr. Porter eifrig. Vielleicht wollte er nicht, daß eine Amateurin seiner Enkeltochter in Quodpotfragen Half.

"Rab, Rab, Rab! Die Ravens heben ab!" Riefen die Fans aus dem Block mit den Rabenflaggen. Melanie sah sich vorsichtig um. Bisher hatte wohl niemand an ihrem Ravens-Kostüm Anstoß genommen.

"Mit Karacho und Getöse
Bayoo Bugbears bitterböse!" Gaben die Fans der Heimmannschaft die gebührende Antwort und heizten die Stimmung recht ordentlich an. Dann erscholl eine magisch verstärkte Männerstimme, die im Stil eines Ausrufers verkündete:

"Freundinnen und Freunde des Quodpots! Herzlich willkommen in der Bugbears-Arena in den Sümpfen von Bayoo. Wir haben heute geniales Spielwetter und werden gleich eine hoffentlich heiße Partie zwischen den Lokalmatadoren und den in letzter Zeit ins Straucheln geratenen Rossfield Ravens zu sehen kriegen." Ein lautes Buhen aus dem Bugbears-Fanblock toste durch das Stadion, während die Ravens-Fans ihre Tröten, Trommeln und Rasseln erklingen ließen. Der Stadionsprecher, den Julius nicht sehen konnte, weil er in einer der mittleren Reihen saß, rief nun die Namen der Spieler der Gastmannschaft auf. Als Winston Foggerty im blauen Spielerumhang mit dem fliegenden Raben darauf aus einer Luke links vom Feld herausfuhr buhten nicht die Bugbears-Fans, sondern die Rossfield-Fans.

"Foggerty, du mieses Stück! Nestbeschmutzer, Marsch zurück!" Kam eine Parole aus einem kleinen Block knapp unter den Ehrentribünen, die sich wellenförmig über den Ravens-Fanblock ausbreitete.

"Die sind gekauft", knurrte Melanie, während Brittany feist grinste. "Das sind Conners' Marionetten, die das rufen."

"Glaubst du echt, Mel?" Fragte Brittany gehässig.

"Kein anständiger Fan würde das Foggerty anhängen, weil der den Manager verpfiffen hat", stellte Mel klar.

Dann kamen die Bugbears-Spiler in den dreifarbigen Umhängen. Julius sah auf dem Spielfeld einen großen Käfig, in dem ein lebendiges Geschöpf hockte, wie es auf den Bugbears-Fahnen prangte. In echt sah es sogar noch grimmiger aus als in der Nachbildung. Brit sah etwas verbiestert auf das gefangene Zaubertier, dessen bleiche Glotzaugen hektisch umherblickten, während der schwarz bepelzte Leib in wilden Sprüngen hin- und hertanzte.

"Warum ziehen die keinem von deren Anhängern ein Kostüm an. Müssen die echt so einen armen Sumpfwanzbären diesem Trubel aussetzen?" Fragte sie ärgerlich. Dann sah sie noch einen zweiten Käfig, in dem ein großer Rabe saß. "Tierquäler!" Knurrte sie dazu noch.

"Schiedsrichterin Tamy Turnpike wird gleich den ersten Quod des Tages einwerfen!" Verkündete der Stadionsprecher, den Julius nun an der Stimme erkannte. Es war Bob, der gestern Schiedsrichter gewesen war, als er mit Brit, Mel und Myrna Quodpot ausprobiert hatte. Dann sah er noch fünf Heiler auf Plätzen nahe am Spielfeldrand. "Doch zuvor möchte ich euch bitten, euch zu erheben, um mit uns die Hymne der amerikanischen Zauberergemeinschaft zu singen", sagte Bob. Sofort trat Stille ein. Eine Blaskapelle betrat das Spielfeld und stimmte magisch verstärkt einen flotten Marsch an. Julius hatte zunächst gedacht, sie würden hier die Hymne der vereinigten Staaten spielen, wie er es von Live-Sportveranstaltungen gehört hatte. Doch sie spielten ein ihm unbekanntes Lied, zu dem viele tausend Hexen und Zauberer einen beschwingten Text sangen, in dem es um einen neuen magischen Morgen ging, in den sie alle hinausflogen, westwärts übers weite land und die Ehre der Zaubererwelt in dieses Land trugen. Die Hymne hatte nur eine Strophe und klang mit einer rasch auf- und absteigenden Tonleiter aus. Wieder setzte Applaus ein. Dann betrat eine hochgewachsene, dunkelhäutige Hexe im schwarzen, hautengen Kostüm mit Kapuze und Handschuhen die Mitte des Spielfeldes und winkte die Kapitäne der Mannschaften zu sich heran. Wie beim Quidditch begrüßten sich die beiden, Maxwell Dawson von den Bugbears und Rupert Spellman von den Ravens mit einem kräftigen Handschlag. Dann bestigen sie ihre Besen, alles Broncos, wie Julius erkennen konnte und warteten auf den Start. Die Schiedsrichterin ritt auf ihrem Besen, wohl ein Millennium wie Brit ihn hatte und stieg auf Spielhöhe. Sie hielt den Quod in beiden Händen, flog an den Rand des Feldes, genau auf einer Linie zum Mittelkreis. Auf jeder Seite stiegen zwei Pots aus ihren Lagern und kamen auf der Spielhöhe zum Hhalten. Dann holte die Schiedsrichterin aus und warf den Quod in die Feldmitte. Drei kurze Stöße der stadioneigenen Signalhupe erschollen, und das Spiel war im Gang.

Schon in den ersten Sekunden mußte Julius erkennen, wie gewaltig der Unterschied zu Quidditch war. Denn die zweiundzwanzig Spielerinnen und Spieler manövrierten so schnell und passten sich den blauen Ball zu, daß Julius probleme hatte, dem Geschehen zu folgen. Er hob sein Omniglas und blickte hindurch. Dann drehte er an der Zeitdehnung, daß die Spielzüge nur noch halb so schnell abliefen und drückte die Kommentartaste.In roten Lettern kam die Frage:

"Sehen Sie gerade ein Quodpotspiel? Falls ja, drücken Sie die Kommentartaste eine volle Sekunde lang und lassen sie dann los, um den Quodpot-Kommentarassistenzzauber zu benutzen!"

Julius grinste und befolgte den Vorschlag. Tatsächlich wurden nach der vorgeschlagenen Sekunde schnelle Kommentare eingeblendet, und Julius konnte die Spieler in einer Verlangsamung verfolgen.

"Foggerty am Pot der Bugbears!" Rief der Stadionsprecher aufgeregt. Julius sah ihn da noch nicht und stellte schnell die Echtzeitansicht wieder ein. Da wurde Foggerty von beiden Vorblockern der Bugbears gleichzeitig angerempelt und aus der Bahn geworfen. Foggerty pfefferte den blauen Ball gerade noch zu seinem Vorgeber zurück, bevor er in den Sturzflug überging.

"Erster Versuch gescheitert! Billings von den Bugbears steigt gut ein, bringt den Quod wieder in den Besitz der Heimmannschaft und baut den nächsten Angriff auf", kommentierte der Stadionsprecher. Dann ging es schnell hin und her. Julius las die Kommentare seines Omniglases:

"Linksdiagonalpass vom Vorgeber zum Pot. Fehlwurffalle!" Der Rückhalter der Ravens hatte den Quod einfach durchfligen und über den Pot hinwegsausen lassen. Auf der dunkelblau schimmernden Anzeigetafel, wo vorher noch in weißer Schrift "Bugbears 0 : Ravens 0" gestanden hatte, wurde vor die Null bei den Ravens eine Eins eingefügt.

"Buuuuuuh!" Brüllten die Bugbears-Fans, und Melanie Redlief lachte.

"Der hat den absichtlich durchgelassen. Der hätte doch treffen können", meinte Julius.

"Ja, aber nur, wenn sie den Vorgeber der Bugbears in den richtigen Wurfwinkel gelassen hätten", meinte Brittany. "Manchmal machen Profi-Mannschaften das, um die anderen zu verladen."

Das spiel ging in die zweite Minute, als Foggerty vor dem Bugbears-Potraum ankam, eine schnelle Seitwärtsbewegung machte und den Ball in den Pot zu werfen versuchte. Doch der Rückhalter der Bugbears warf sich dazwischen und bekam den Ball gerade so noch zu fassen ... Peng! Ein scharfer Knall, begleitet von drei ineinander übergehenden Lichtblitzen von Violett über Grün zu weiß, und der blaue Quod barst in einer hellen Funkenwolke auseinander. Die Stadionhupe gab zwei langezogene Muäp-Laute von sich. Der Rückhalter, der den Ball gerade ins Feld zurückwerfen wollte prallte von einer Druckwelle getroffen zurück. Seine behandschuhten Hände waren bei der Explosion des Quods zu den Seiten weggeschleudert worden, sodaß der Torhüter mit unwillkürlich ausgebreiteten Armen eine Drehung auf dem Besen machte. Julius drückte den Kommentarknopf und las:

"Rückhalter durch Quodexplosion ausgeschieden."

"Tompson ist raus und der erste Quod verheizt, liebe Freunde des schnellen Sports!" Meinte der Stadionsprecher mitreißend. Weil aber aus der Eins auf der Ravens-Seite eine Zwei geworden war, konnten sich nur die Fans der Ravens freuen.

"In das Spiel kommt jetzt richtig Musik rein", meinte Julius. "Das werden sich die Bugbears nicht gefallen lassen, auf eigenem Platz so schnell hinten reinzurutschen."

"Da kannst du drauf wetten", meinte Brittany. Mel freute sich wie ein kleines Mädchen, weil die Ravens schon zwanzig Punkte hatten und die Bugbears noch keinen einzigen.

Als die Spieler kurz landeten, bis der nächste Quod freigegeben wurde, verschwand die Spielstandanzeige und machte bunten Bildern und grellen Schriftzügen platz, die alle irgendwelche Produkte der amerikanischen Zaubererwelt anpriesen.

"Dr. Jellyfishs magischer Meeresfrüchtesalat jetzt in der Partypackung für zweihundert Gäste in der rauminhaltsvergrößerten Conservatempus-Ausführung nur 5 Galleonen", flammte eine wasserblaue Anzeige auf, die nach vier Sekunden wieder verschwand und einer Werbung mit um eine hellgelbe Sonnenscheibe gruppierten goldenen Buchstaben Platz machte:

"Für die ungetrübte Bräune Winnifred Willows' Sonnenkrautcreme mit Kokosölzusatz für Benutzer von 0 bis 200 Lebensjahren."

"Die importieren die aber aus Afrika und Australien", meinte Julius, solange die Werbung angezeigt wurde. Dann verschwand sie auch schon wieder.

"Haben die auch nicht hinbekommen, die in den Staaten zu züchten. Winnie Willows ist doch 'ne Konkurrentin von Tante Di?" Fragte Mel Gloria. Diese beugte sich an Julius vorbei und erwiederte, daß die auch im letzten Sommer auf dem Ball gewesen war.

Weitere Werbeeinspielungen huschten über die Anzeigetafel, für Reisewindeln, die eine Woche nicht gewechselt werden mußten über Besenpflegesets, Bekleidungsgeschäfte bis zur bunt schillernden Werbung für G. B. P. Weiss' Spielzeugladen in Cloudy Canyon und Viento del Sol wurden innerhalb von nur zwanzig Sekunden mindestens zwölf Produkte und Firmen angepriesen. Dann muäpte die Stadionhupe einmal, und die Schiedsrichterin warf den nächsten Quod ein.

Der zweite Durchgang dauerte jedoch nur eine Minute, weil die Bugbears den blauen Ball in den eigenen Reihen immer wieder so heftig prällten und boxten, daß der davon ziemlich schnell zur Explosion gebracht werden mußte, heiß wurde, wie es Brit erklärte. Allerdings ließen sich die Ravens nicht davon austricksen und ließen den Ball einfach am Pot vorbeisausen, bevor der Quod explodierte. Damit bekamen beide Mannschaften fünf Glückspunkte und die Ravens noch zehn Fehlwurfpunkte.

"So ging's auch nicht", meinte Julius in der Unterbrechung, wo wieder eine schnell dahinlaufende Kolonne von Werbeanzeigen über die Tafel huschte.

"Die Rückhalter sind heute saugut drauf", meinte Mel. "Die haben noch keinen Quod eingetopft."

Nach einer weiteren Minute kam der dritte Quod ins Spiel, und diesmal landete er auch im Topf der Ravens, was den Bugbears elf Punkte eintrug, weil deren Eintopfer beide Vorblocker und den Rückhalter mit einer gekonnten Zickzackbewegung aus der Bahn schupste. Wieder folgte eine Spielunterbrechung, diesmal zwei Minuten, weil neben dem neuen Quod auch ein neuer Pot auf der Seite der Ravens hingezaubert werden mußte, was eigentlich nicht so lange dauern mußte, fand Julius. Er beobachtete die Mannschaften, die auf ihren zugewiesenen Seiten des Feldes waren und die weitere Taktik diskutierten.

"Also schnell geht das wirklich", sagte Julius. Er hatte es nach den ersten zwanzig Sekunden des dritten Durchgangs gelassen, die Kommentare einzublenden und holte sich nur noch interessante Wendemanöver als zeitverzögerte Spielwiederholung in sein Superomniglas.

Der vierte Durchgang dauerte keine zehn Sekunden und war ein schnurgerades Durchziehen von den Blockern der Ravens über die Vorgeber zu den Eintopfern, von denen Foggerty in einem Anfall von Entschlossenheit vorpreschte und seiner Mannschaft die elf Direkteintopfpunkte holte.

"Ui, das war aber jetzt genial, wie schnell die den Ball durchgebracht haben", sagte Julius anerkennend. Brittany meinte:

"Billings hat ja auch gepennt, als sein Gegenspieler den Quod angeblich nicht kriegen konnte. Jetzt werden die wohl mauern."

Der Meinung war auch der Stadionsprecher, als er zehn Sekunden nach Beginn des fünften Durchgangs verkündete:

"Tja, da haben die Bugbears wohl jetzt mehrere Tonnen Zement angerührt, liebe Freundinnen und Freunde." Tatsächlich blieben alle neun Feldspieler der Bugbears in ihrer Hälfte und fingen die Würfe ab oder blockierten drei gegen eins die vorstoßenden Spieler der Ravens.

"Die Maurer der Saison sind wieder da", feixte Melanie. "Bringt euch aber nix. Wenn die Murmel heiß wird kracht es einen von euch raus."

"Glaubst du aber, Mel. Die werfen den die Murmel sofort wieder ins Feld zurück, wenn die bei denen ankommt. Offenbar wollen die durch Weitwürfe punkten", sagte Brittany. Dann foulte ein Vorgeber der Ravens seinen direkten Gegenspieler durch einen Ellenbogenstoß in die Magengrube. Ein Buhen und empörtes Pfeifen aus den Zuschauerrängen war die Antwort. Schiedsrichterin Turnpike blies in ihre Trillerpfeife und ein schnaubend klingendes Signal der Stadionhupe erscholl. Der Übeltäter wurde mit einem energischen Wink vom Feld geschickt, was im Gegenzug bedeutete, daß der vorhin rausgeknallte Rückhalter der Bugbears wieder ins Spiel zurückdurfte und die Ravens um zehn Punkte zurückfielen. Die Wiederkehr des Rückhalters öffnete die Mauer der Bugbears, die nun den Pot füllen wollten, wie Brit es nannte. Doch da passierte genau das, was Mel prophezeit hatte. Als Bugbears-Eintopferin Dora Sullivan gerade im Potraum der Gegner war, zerplatzte der Quod in jenem violett-grün-blauen Lichtschauer und Funkenregen.

"Und der zweite verheizte Quod knallt Sullivan aus dem laufenden Spiel", verkündete der Stadionsprecher, jetzt weniger mitreißend, da die Ravens ihre durch das Foul verlorenen Punkte wieder zurückbekamen und den Bugbears wieder ein Vorgeber fehlte. Denn den Regeln nach übernahm ein Vorgeber die Position eines aus dem Spiel geknallten Eintopfers.

"Na, was habe ich gesagt?" fragte Mel mit unverhohlener Schadenfreude.

"Kann passieren", meinte Brittany.

"Diese Omnigläser sind schon genial, wenn ich kucken will, wer da eigentlich wie spielt", meinte Gloria und hielt ihr Omniglas vor die Augen, um sich die letzten Sekunden vor der Quodexplosion in sechzigfacher Verlangsamung anzusehen. Julius tat dies auch und staunte mal wieder, daß selbst di stärkste Zeitdehnung nicht zu einer Folge von in Einzelbilder zerhackten Bewegungen wurde, wie er es aus dem Fernsehen kannte. Gerade wie der Quod explodierte war ein herrliches Bild, wie er erst zitterte, dann immer violetter wurde, dabei aus sich selbst leuchtete, kurz flackerte, dann grün und noch heller wurde und dann von blaßblauen Blitzen durchzogen auseinanderriss, wobei die Einzelteile wie in einem besonders heißen Feuer zerfielen.

Vier Durchgänge und drei Unterbrechungen von durchschnittlich anderthalb Minuten Länge später stand es 63 zu 104 Punkte für die Bugbears gegen die Ravens. Der Quod war gerade wieder von Foggerty eingetopft worden, und die Signalhupe hatte ihr langgezogenes Muäp ausgestoßen. Über die Anzeigentafel flimmerte eine weitere Flut von Werbebotschaften, als drei zauberer mit zweiräderigen Schiebekarren durch die Reihen gingen und allerlei Süßkram, Getränke und heiße Zwischenmalzeiten anpriesen. Julius bat um einen Kesselkuchen und sah, wie der Verkäufer alle Bestellungen per Bewegungszauber zu Mr. Porter hinfliegen ließ, der ihm im Gegenzug zehn Silbermünzen auf das Geldtablett hinüberwarf. Während Julius an seinem Kuchen mampfte sah er den Cheerledern der Bugbears zu, wie sie Gymnastik machten, um für die nächsten Durchgänge beweglich zu bleiben. Die Bayoo Boostresses trugen hautenge Kostüme wie Badeanzüge mit langen Ärmeln und Beinen, die in den Farben der Bugbears schimmerten. Die Rossfield Rhythmics, die Anfeuerungstänzerinnen der anderen Mannschaft, formierten sich gerade zum Wappen der Ravens, wobei die als ausgebreitete Flügel postierten Mädchen abwechselnd auf- und niederhüpften.

"Wie lange muß jemand trainieren, um so gummiartig gelenkig zu sein?" Fragte Julius Melanie.

"Drei Jahre für die Amateure und sieben für die Profis", sagte sie. "Das ist ein Knochenjob, bei dem du auch noch eine bestimmte Figur halten mußt. Brits Lebensweise wäre für sowas vielleicht nicht die schlechteste."

"Das du's mal langsam einsiehst, mel", feixte Brittany. "Schließlich würdest du mit deinen Speckröllchen nicht einmal ins Vorzimmer der Rhythmics gelassen."

"Ich will ja auch nicht mein Leben Lang Anfeuerungstänze tanzen, Brit", sagte Melanie.

Es folgten acht durchgänge, bei denen die Bugbears den Vorsprung der Ravens etwas verringerten und sogar einen von ihnen rausknallen konnten, einen Vorgeber, dessen Position nicht durch einen anderen Feldspieler besetzt werden durfte. Dann holten sich die Bugbears Dora Sullivan zurück, weil ein Vorblocker der Ravens den linken Eintopfer mit einem Griff an den Besenschweif aus der Flugbahn riss und topften einen Quod direkt ein, was sie um 22 Punkte aufrücken ließ. nach dem zwanzigsten Durchgang fand eine Unterbrechung von zehn Minuten statt, wo viele Zuschauer sich die Beine vertraten und ausgiebig aßen. Bei beiden Mannschaften waren immer noch genug Spieler im Einsatz, daß an ein frühes Ende nicht zu denken war. Julius ging ein wenig mit Gloria und ihren Cousinen herum und schwatzte mit Bekannten von Mel und Myrna aus Thorntails. Dabei trafen sie auch Mirella, ein Mädchen, von dem Kevin bereits erzählt hatte. Julius war auf der Hut, als die rotbraunhaarige Junghexe ihn herausfordernd anlächelte und ihn fragte, wie ihm Quodpot gefalle. Er sagte nur, daß es ein sehr abwechslungsreiches Spiel war und er sich dabei anstrengen mußte, alles wichtige mitzukriegen.

"Ja, dagegen ist Quidditch doch langweilig, oder?" Fragte Mirella und zwinkerte Julius zu. "Das ist doch so oder?"

"Kann ich so nicht sagen, weil bei Quidditch doch vier Bälle im Spiel sind und das Spiel läuft bis der Schnatz gefangen ist, was Tage dauern kann. Außerdem können die Spieler da besser fliegen als hier, weil beim Quidditch die Räume größer sind", sagte Julius.

"Soso", säuselte Mirella. "Dann hast du das noch nicht ausprobiert?"

"Doch habe ich", sagte Julius schnell. Melanie meinte:

"Brauchst das nicht zu probieren, was du bei Rolf Goodwin probiert hast, Mirella. Der wird sich nicht auf ein Spiel eins gegen eins mit dir einlassen."

"Hoho, Mel, bist du seine Anstandshexe?" Fragte Mirella, die offenbar meinte, Julius sei interessant genug für sie, wenn jemand ihn derartig absicherte. Gloria sagte sehr verärgert:

"Der Junge hat ein anständiges Mädchen zur Freundin, Ms. Mirella. Ich hab's mitbekommen, was du mit meinem Kameraden Kevin ausprobiert hast. Also zieh die Krallen wider ein!"

"Eh, wer bist du, daß du hier meinst, ich würde andere Jungs zu dummen Sachen verführen wollen?" Knurrte Mirella.

"Gloria Porter", stellte Gloria sich noch einmal vor, obwohl Mel das ja eben schon getan hatte.

"Meinst du dich selbst mit dem anständigen Mädchen?" Fragte Mirella. Julius hatte keine Lust, zum Objekt für dummes Mädchengezänk zu werden und ging wortlos weiter. Mel und Myrna folgten ihm. Gloria schien sich mit Mirella noch ein kurzes Wortgefecht zu liefern, bevor sie hinterherkam.

"Die probiert aus, was sie anstellen kann. Das haben wir deinem Schulfreund ja Weihnachten erzählt", sagte Melanie. Julius nickte. Für solche Mädchen mußte er nicht nach Amerika. Dafür hatte er Millie.

Als sie zu ihren Plätzen zurückwanderten, trafen sie Mrs. Porter im Gespräch mit einer shlanken, wohlgerundeten Hexe an, die dichtes, seidenglattes, weizenblondes Haar und rehbraune Augen in einem Gesicht mit hohen Wangenknochen besaß. Sie trug ein grasgrünes Kleid und an jedem Arm fünf silberne Armreifen.

"Hallo, Kids! Habt ihr wen interessantes getroffen?" Begrüßte Mrs. Porter alle. Mel sagte nur, daß sie Mirella getroffen hatten, was Mrs. Porter etwas verbittert dreinschauen ließ. Dann stellte sie Julius die Hexe im grünen Kleid als ihre Mitarbeiterin Ardentia Truelane vor, die seit anderthalb Jahren ein voll ausgebildetes Mitglied des Institutes war. Julius begrüßte Ms. Truelane sehr freundlich und beantwortete einige Fragen, wie ihm die amerikanische Zaubererwelt gefiel und wo er demnächst noch hingehen würde. Er antwortete nur darauf, daß er sich überraschen lassen würde, was Ardentia Truelane genügte.

"Leute, in einer Minute gehts weiter!" Rief der Stadionsprecher mit magisch verstärkter Stimme.

"Joh, dann gehe ich mal auf meinen Platz zurück, Jane. Viel Spaß noch. Bis irgendwann mal, Mr. Andrews!" sagte Ardentia Truelane lächelnd und winkte zum Abschied. Dann ging sie mit gewandt ausgreifenden Schritten davon.

"Hui, die könnte glatt Topmodell werden", sagte Julius zu Gloria. Diese meinte nur, daß Ms. Truelane wohl wegen ihrer Super-UTZs zum Institut wollte und nicht wegen ihres Aussehens beneidet werden wollte.

Das Spiel lief mit veränderten Mannschaften weiter. Nur auf den Positionen, von denen Spieler unnachrückbar herausgeknallt waren, durfte niemand spielen. Es dauerte noch zehn Durchgänge, bei denen fünfmal der Quod explodierte, bis auf beiden Seiten zwei Blocker fehlten. Fouls fanden zwar keine mehr statt. Dafür mußten zwischendurch die Heiler einspringen, zu arg gerammte Spieler zu versorgen, was genutzt wurde, um weitere Werbebotschaften über die Anzeigetafel laufen zu lassen. Julius beließ es jetzt dabei, immer nur die Spieler zu beobachten, die gerade den Quod führten oder sah den Anfeuerungsmädchen zu, die Parolen ihrer Mannschaft riefen oder durch Schwebezauber und Tanzeinlagen neue Formationen in alle Richtungen des Raumes bildeten.

Muäp! Die Stadionhupe unterstrich ein erfolgreiches Eintopfen.

"Das macht echt müde, dem zuzusehen", stellte Julius fest. "Will nicht wissen, wie das ist, das selbst zu spielen. Wie lange spielt ihr so, Brit?"

"Och, einen Tag haben wir gegen die Durecores mal durchgehalten. Dann waren alle Quods verheizt und wir haben durch Punktevorsprung gewonnen", sagte Mels Klassenkameradin.

"Aber ohne Extrapunkte", meinte Julius.

"Ja, das kriegt nur die Mannschaft, die am Ende den Rückhalter und die Blocker der Gegenmannschaft rausgeknallt hat. Die durecores hatten aber noch einen Rückhalter aber dafür Leute, die den Quod immer schnell heißgeschossen haben. Da sind wir oft genug knapp an einem Rausknaller vorbeigerutscht."

Als dann nach dem vierzigsten Durchgang, der nur zwanzig Sekunden gedauert hatte die Ravens erfolgreich eingetopft hatten, wurde für eine halbe Stunde unterbrochen, und die Imbißverkäufer kamen mit richtigen Mittagsgedecken herum und nahmen sich genug Zeit mit dem Kassieren. Julius sah junge Mütter mit ihren Babys zu den für Frauen reservierten Toiletten verschwinden oder Jungen und Mädchen, die an den Andenkenständen Autogramme und unexplodierbare Quods mit allen Namen der Bugbears und Ravens kauften.

"Na, Mel, die Kiste ist fast zu", sagte Julius. "Mit vierhundert Punkten zu zweihundertachtundreißig sind die Ravens echt gut dabei."

"Wenn das Ding mit der Schiebung nicht wäre, Julius. Wenn die wirklich geschoben haben, dann bringt denen das nix", gab Mel verbittert zur Antwort.

"Warum können die nicht einmal gebackene Bananen verkaufen, wo keine Milch und kein Honig im Teigmantel ist?" Knurrte Brittany. Julius fragte sie, ob er die Banane haben durfte, weil er gerade mit seinem kleinen Topf Spaghetti mit Fleischbällchen fertig war.

"Wenn ich dafür deinen Obstsalat kriegen darf", meinte Brit. Der Handel war Julius recht. Doch als er die kleine Schüssel Obstsalat von seinem Tablett weiterreichen wollte, schwirrte eine Fliege zwischen einem Stück Birne und einer Pfirsichscheibe heraus und streifte die leicht verklebten Beine im Vorbeiflug trocken.

"Oh, da hättest du fast doch Fleisch mit dringehabt", sagte Julius, der seinen leichten Widerwillen gegen die Fliege im Obstsalat überspielen mußte.

"Wie kam die denn jetzt da rein?" Fauchte Brittany.

"Fliegen gibt's überall", meinte Julius und war innerlich froh, daß es keine Wespe gewesen war.

"Schmeiß ihn weg, Julius! Wenn die vorher im Klohaus rumgeflogen ist ...", versetzte Brit angeekelt. Julius würgte. Dann suchte er den nächsten Mülleimer und lief rasch hinüber. Er klappte den Deckel auf und kippte den Inhalt des Schüsselchens hinein. Sofort klappte der Deckel zu, und der Mülleimer ruckelte ein wenig. Julius meinte, ein genüßliches Schmatzen zu hören. Dann mußte er grinsen. Hier waren sie nicht im Steintal bei den Feuersteins, wo Wilma ihren Schweinosaurus-Müllschlucker hatte. Er ging zurück zu seinem Platz und sah Brittany an, die ihm ihre Banane im Teigmantel hinhielt.

"Du kannst die Banane trotzdem haben, Julius", sagte Brittany.

"Kids, wir kommen gleich wieder", sagte Mr. Porter und nahm seine Frau mit.

"Wo wollen die denn hin?" Mampfte Melanie, die sich ein nicht ganz mundgerechtes Stück Blaubeerkuchen in den Mund geschoben hatte.

"Die wollen zu den Divers. Pearl und Cliff sind ja gerade an den Andenkenstand gegangen. Soviel ich weiß arbeiten die auch im Institut", sagte Gloria und verabschiedete sich auch, um wohin zu gehen.

"Brittany, du hattest es gestern von diesen Internetcafés. Sowas kenne ich noch nicht, obwohl ich das wohl eher hätte mitkriegen können als Kinder von reinen Zauberern. Was hast du da so ausprobiert?" setzte Julius an, seinen Plan von Gestern anzuleiern.

"In San Rafael", sagte Brit. Julius wirkte enttäuscht. Dann klärte sich sein Gesicht wieder. Natürlich war Brittany nicht in New Orleans herumgezogen, wenn sie in Viento del Sol wohnte. Er fragte sie, wie sie hingereist war. Melanie fragte ihn, was er eigentlich wolle. Brittany antwortete:

"Mel, der kennt das noch nicht und interessiert sich dafür, was 'ne echte Hexe da anstellt. Okay, Julius. Ich bin dahin appariert, vor drei Wochen, weil ich ja die Prüfung gepackt habe, die Mel noch vor sich hat. Da habe ich mich in der Stadt mal umgesehen und das, was Mr. Keystone uns in Muggelkunde beigebracht hat erforscht. Allerdings bin ich zwei Meilen vor der Stadt appariert, um nicht von der Verkehrsabteilung wegen Apparieren im Muggelgebiet erwischt zu werden. Da habe ich das Internetcafé gefunden, mich dumm genug angestellt, daß mir jemand erklärt hat, wie man da was suchen und finden kann und mal nach Hexen und Zauberern gesucht. Da hätte ich hundert dicke Bücher von krigen können, was da so im Internet drinsteckt. Vielleicht gibt's in New Orleans auch eins."

"Ich fürchte, da komme ich dann nicht ohne meine Mutter hin. Ich wollte zu Hause in Paris noch was suchen, aber bekam keine richtige Verbindung mehr", sagte Julius schnell und schrammte heftig auf der Grenze zwischen Lüge und Wahrheit entlang. Brittany fragte ihn dann, ob er nicht mit seiner Mutter dahingehen könne.

"Ich kenne Mr. Marchand noch nicht gut genug, um was bestimmtes aus dem Internet zu holen, wenn der dabei ist", sagte Julius und erkannte, daß dies auch so stimmte. Brittany nickte. Dann verstand sie, was Julius wollte.

"Ist das dringend, was du suchst?" Fragte sie.

"Ziemlich", sagte Julius, jetzt eher auf der Seite der Lüge. Doch nein, so gelogen war das nicht. Denn wenn da wirklich was mit seinem Vater passiert war, was im Internet veröffentlicht worden war, und seine Mutter hatte wirklich ein Filterprogramm auf seinem Rechner installiert, dann mochte es wirklich ziemlich dringend sein, wenn er das klärte. Melanie sah Brittany an. Diese neigte sich ihr zu und flüsterte ihr was ins Ohr. Mel nickte. Dann beugte sie sich zu Julius herüber und flüsterte ihm zu:

"Ich hoffe, die Ravens knallen in den nächsten zehn Durchgängen die letzten wichtigen Spieler raus. Dann schlage ich Gran vor, wir könnten zusammen einen Ausflug zu Brittany machen, weil es in Viento del Sol einen Zauberkräutergarten gibt. Wenn Gloria mitkommen will, kein Problem. Aber Brit und du könnt euch dann irgendwo da absetzen und dieses Internetz-Ding besuchen. Ich habe das mitgekriegt, was Mrs. Unittamo gestern rausgelassen hat und wie Gran darauf allergisch reagiert hat. Aber sieh Gran bloß nicht direkt in die Augen, wenn sie dich fragt, ob du das auch willst!"

"Denkst du, ich lasse mich einfach legilimentieren, wo ich weiß, daß es das gibt?" Gab Julius leise flüsternd zurück, während um sie herum die ersten Zuschauer von der Pause zurückkehrten.

"Woher du das auch weißt ... Klar, Madame Bläänch Faucon wird dir das wohl mal erzählt haben wo du letztes Jahr bei ihr warst. Okay, mal sehen, ob die Ravens uns den Gefallen tun!"

"Danke, Mel", wisperte Julius aufrichtig. Mel setzte sich wieder richtig und tuschelte leise mit ihrer Schwester, die herübergestarrt und dabei gehässig gekichert hatte.

Als Gloria zurückkam, rief Bob, der Stadionsprecher bereits die letzte Minute vor der Fortsetzung des Spiels aus.

"Diese Mirella ist echt eine liederliche Kuh, fast zu sagen eine läufige Hündin, die jedem ihr Hinterteil hinhält", fauchte Gloria. "Die hat mich im Bad doch glatt gefragt, ob ich mich für dich so fein mache oder ob sie noch 'ne Chance hätte. Die will wissen, wer deine Freundin ist."

"Ich will auch so vieles, Gloria und kriege es nicht sofort", sagte Julius schnippisch. "Wo wohnt die?"

"Willst du sie besuchen?" Fragte Gloria verhalten grinsend.

"Ich will ihr nicht über den Weg laufen", sagte Julius etwas verärgert. Gloria nickte und sagte:

"Cloudy Canyon. Wollte Oma Jane auch noch mit dir hin."

"Werde ich mir noch überlegen, wenn die gerade keinen hat, den sie bezirzen kann", sagte Julius. Dann sagte Brittany:

"Ich habe mit Julius drüber geredet, was wir machen, wenn das Spiel früher vorbei ist, weil seine Mutter ja einen ganzen Tag weg ist. Der wollte wissen, was wir in Viento del Sol haben, und ich erzählte ihm von unserem Tier- und dem Zaubergarten. Ich bin zwar nicht sonderlich begeistert von dem Tierpark, aber die Pflanzen sind sehr faszinierend. Julius meinte, er wäre daran interessiert, den anzusehen."

"Und?" Fragte Gloria.

"Vielleicht können wir hinflohpulvern, wenn deine Oma nichts dagegen hat. Aber das kläre ich nachher, je nachdem, wie das Spiel läuft", erwiderte Brittany. Gloria nickte. Dann schien etwas in ihrem Kopf zu rotieren wie ein Schwungrad, und sie sah Julius an. Dann neigte sie sich zu ihm und flüsterte:

"Ich glaube, dich interessiert was ganz anderes in Viento del Sol. Immerhin wollen Oma Jane und wir anderen ja am dreizehnten dahin, bevor das Spiel der Slingshots gegen die Windriders losgeht. Hat das was mit Gestern zu tun, was Madame Unittamo gesagt hat?"

"Mich interessiert in Viento del Sol nur der Zauberpflanzengarten", sagte Julius und log damit noch nicht einmal. Denn er wollte ja nicht dahin, weil er dort selbst was vorhatte. Gloria nickte, als habe sie die Antwort bekommen, die sie auch erwartet hatte. Julius mußte wieder einmal feststellen, daß Gloria sehr intelligent war und Sachen vorhersehen oder ausklügeln konnte. Das hatte er in Hogwarts schon an ihr bewundert. Doch man konnte ihr auch nicht so leicht was vormachen. Wie würde sie das jetzt hinnehmen?

Die Porters kamen zurück und setzten sich. Dann ging das Spiel auch schon weiter.

Es dauerte ganze zwölf Durchgänge, bis auf der Seite der Ravens nur noch sechs Spieler waren und auf der Seite der Bugbears der Rückhalter und die Blocker rausgeknallt waren. Insgesamt mit den Unterbrechungen, hatte das Spiel über drei Stunden gedauert.

"Die Rossfield Ravens gewinnen das vorletzte Ligaspiel der Saison mit sechshundertdreiundzwanzig zu dreihundertsiebenundvierzig Punkten!" Rief Bob aus. Die Bugbears-Fans buhten erst, dann machten sie sich schleunigst davon, enttäuscht und verärgert. Mrs. Porter gab Melanie ihre Handtasche. Diese sollte sie so tragen, daß das Ravens-Wappen nicht sofort zu sehen war.

"Manche Fans sind bösartig, wenn die Bugbears verloren haben", sagte sie und sah Mel tadelnd an, weil sie sich als Fan der Ravens zur Schau stellte. Doch Mel sagte, sie wäre eben ehrlich.

Zur Sicherheit warteten die Porters und ihre Gäste, bis der größte Teil der Zuschauer das Stadion verlassen hatte und gingen dann gemütlich in die Halle mit den fünf Kaminen, von wo aus sie in den Weißrosenweg zurückreisten. Dort brachte Brittany ihren Vorschlag an, Julius könne mit ihr, Mel, Myrna und Gloria nach Viento del Sol reisen. Mr. Porter fragte, warum sie jetzt dahin wollte. Sie erklärte ihm, daß Julius sich gerne ungestört in den Zaubergärten umsehen wollte. Mrs. Porter fragte argwöhnisch, warum er nicht warten wolle, wo sie eh dahinreisen würden. Er sagte sofort:

"Ich denke, wir reisen mit Mum dahin. Die langweilt sich vielleicht, wenn da Pflanzen sind, die sie nicht sehen kann oder die für sie wie gewöhnliche Büsche aussehen. Deshalb möchte ich das vorher wissen, wo ich mit ihr hinkann und wo nicht. Sie war ja einmal in der grünen Gasse von Millemerveilles."

"Ich weiß, da hat sie nicht alles erkennen können", sagte Mrs. Porter. Mr. Porter meinte:

"Nun, ich gehe davon aus, daß ihr nur vier Stunden braucht, um das rauszukriegen. Heute Abend um sieben seit ihr dann bitte wieder hier, weil Jane Maya Unittamo eingeladen hat, die sich mit dir, Julius ja noch mal über die Verwandlungsprüfungen und die Muggelwelt unterhalten will, da du ja die Nacht hierbleibst, sofern du nicht sofort wieder zu deiner Mutter möchtest, wenn sie zurückkommt."

"Um sieben? Geht klar, Mr. Porter", sagte Brittany. Gloria wollte nicht mit. Sie sagte, sie wolle noch wichtige Hausaufgaben machen. Julius fragte sie, welche das seien. Gloria antwortete:

"Snape, tierische Giftstoffe und wie sie in verschiedenen Tränken die Wirkung verändern können." Julius nickte. Sowas hatte er bei Professeur Fixus auch einmal schreiben dürfen.

"Mel, Myrna, kommt ihr beide mit?" fragte Brittany. Die beiden Mädchen nickten. Sie wollten sich das Windrider-Stadion schon einmal ansehen und holten ihre Besen. Als Mrs. Porter Julius verabschiedete, wollte sie ihm wohl in die Augen sehen. Doch er wich vorsichtig ihrem Blick aus und dachte an einen Text von Aurora Dawn über Silberspitzensträucher.

"Okay, du weißt, Brittany ist die Tochter einer Thorntails-Lehrerin. Mach also bitte nichts, was sie in irgendeiner Weise blamieren könnte, weil sie in dem Moment die Verantwortung für dich hat. Ich erzähle deiner Mutter nichts davon, daß ich dich alleine habe ziehen lassen. Verstanden?"

"Sie haben mich nicht aus den Augen gelassen", sagte Julius, der verstand, daß er das auch nicht erzählen durfte, daß er nun alleine loszog, ohne Erlaubnis seiner Mutter. Denn er war ja trotz allem noch minderjährig. Und wer wußte schon, was in einer Stadt wie San Rafael für lichtscheues Gesindel herumlaufen konnte. Schnell, um nicht doch noch legilimentisch ausgeforscht zu werden, trat er in den Kamin und rief "Rotbuchenhaus!" Damit wirbelte er innerhalb einer halben Minute, die er die Arme am Körper hielt und die Augen nicht öffnete, quer über den amerikanischen Kontinent hinweg in einen geräumigen Kamin hinein, der in einem ländlich möblierten Wohnzimmer stand, das eher einer Wohnküche wie bei Madame Faucon entsprach. Das Herz pochte Julius vor Aufregung. Er war gerade dabei, ganz ohne jede Genehmigung etwas anzustellen, von dem er jetzt schon wußte, daß man es ihm übelnehmen würde, wenn es herauskäme. Dieses teils bedrückende, teils prickelnde Gefühl hatte er seit fünf Jahren nicht mehr verspürt, seitdem er einmal die Telefonsteckdosen im Mietshaus seines damaligen Freundes Lester verstöpselt hatte, sodaß die Anrufe nicht bei den richtigen Telefonen ankamen, sich also jeder irgendwie verwählen mußte. Rausgekommen war das damals nicht, daß Lester und er das waren. Aber bis vor Hogwarts hatte er immer damit gerechnet, daß jemand ihm die Hand auf die Schulter legen und "Du hast die Telefonbuchsen verstöpselt" sagen würde. Tja, und das was er jetzt vorhatte war zehnmal heftiger. Denn er würde in eine wildfremde Stadt gehen, mit einem Mädchen, daß er gerade einen Tag und eher flüchtig kannte und würde nach etwas suchen, was seine Mutter aus irgendeinem Grund vor ihm geheimhielt. Irgendwie spannend, fand er.

Brittany und Glorias Cousinen fauchten in den Kamin. Brittany sagte:

"Dad ist in Chicago und kommt erst morgen zurück. Mom könnte zwar hier noch einmal auftauchen, aber dann hätten wir ja die perfekte Absicherung."

"Was würde deine Mutter sagen, daß du Leute mitbringst?" Fragte Julius.

"Ich bin siebzehn Jahre und sollte langsam mal wissen, wen ich mitnehme und wen nicht", sagte Brittany. Dann führte sie ihre Mitverschwörerinnen und Julius hinaus aus einem schönen Fachwerkhaus, das wirklich aus Rotbuchenholz gebaut worden sein mochte. Julius verschwendete keine Zeit mit ausgiebigen Rundblicken. Für ihn war Viento del Sol nur ein weiteres Zaubererdorf wie Hogsmeade oder Millemerveilles. Er achtete nur darauf, daß keine nichtmenschlichen Zauberwesen ihnen über den Weg liefen. Es ging zu einem großen, von einer viele Meter hohen Hecke umstellten Gelände, an dessen schmiedeeisernem Eingangstor ein Schild mit der Aufschrift "Magische Pflanzenwelt" stand. Brittany öffnete das Tor. Julius wunderte sich, daß hier keiner wachte, wer hineinging.

"In den Häusern mit den gefährlichen Pflanzen sind Leute, und zwischendurch laufen hier Gärtnereizauberer und -hexen herum. Aber die sind von weitem zu hören, weil die meistens an irgendwelchen Pflanzen herumschnippeln", flüsterte Brit.

"Okay, ihr beiden", sagte Mel. "Ich fliege mit Myrna zum Windriders-Stadion und tu so, als wollte ich da mit myrna etwas Manövrieren üben. Wenn uns wer fragt wo wir herkommen, was sagen wir dann?"

"Daß ich mit euch hergekommen sei aber mit einem anderen Gast in den Zaubergarten gegangen sei", sagte Brit halblaut. Dann flogen Mel und Myrna davon.

"Okay, wir müssen mindestens einem hier begegnen, damit jemand behaupten kann, wir wären auch hier reingegangen", sagte Brittany. Julius nickte bestätigend. So gingen sie zunächst in die Häuser mit den fleischfressenden Pflanzen, wo Julius Brittany zeigte, was er über diese Gewächse wußte. Dabei trafen sie drei Pflanzenhexen an, von denen eine Julius bekannt vorkam. Ja, er hatte sie auf einem Buch schon einmal gesehen und eine Hexe, die ihr ähnelte gestern. Es war Silvana Verdant, die Kräuterkundelehrerin in Thorntails. Sie erzählte Brittany, daß sie für einen Tag aus Florida herübergekommen sei, um einige Pflanzen für das nächste Schuljahr auszusuchen, die in subtropischen Breiten wuchsen. Mit ihr unterhielt sich Julius kurz und erwähnte wie beiläufig, daß er die grüne Gasse in Millemerveilles gut kannte.

"Ja, ich erfuhr von meinem Kollegen Trifolio, daß du bei ihm lernst", sagte die Hexe, die ungefähr so alt wie Jane Porter sein mochte und irgendwie so aussah, als wäre sie gerade schwanger oder habe erst vor kurzem ein Kind bekommen. Julius wollte das jedoch nicht wissen. Er machte mit ihr ein wenig Fachkonversation, an der sich auch Brittany beteiligte, bis sie auf die Uhr sah und meinte, sie müßten leider noch weiter, weil sie ja für Julius' Mutter die interessantesten Pflanzen ausfindig machen sollten.

"Dann noch viel Vergnügen", wünschte Professor Verdant.

"Wundere mich, daß die ihren kleinen Sohn nicht mithatte", sagte Brittany. "Die hat nämlich im Juni das fünfte Kind bekommen. Das war ein Akt, weil wir gerade an dem Tag in den Prüfungen steckten und die Purplecloud einspringen mußte."

"Mit der du's so gut hast", meinte Julius vorwitzig.

"Mit der ich es so gut habe", erwiderte Brit leicht gereizt. Dann zog sie Julius zu einer kleinen Seitengasse, von der aus es zu einem Seerosenteich gehen sollte und flüsterte:

"So, jetzt mußt du dich gut festhalten. Ich habe das schon zehnmal gemacht. Aber Passieren kann ja immer was, wenn jemand sich mitnehmen läßt. Du hast ja gestern gesagt, du hättest das schon mal miterlebt."

"Ja, und das war eigentlich nicht zu empfehlen. Aber trotzdem mache ich das mit", sagte Julius. Brit nickte und hielt ihm den rechten Arm hin. Julius hielt sich so fest wie möglich, ohne sich krampfhaft anzuklammern. Brittany schloß die Augen, konzentrierte sich wohl auf den Zielpunkt und wie sie sich und Julius dort hinhaben wollte. Dann, etwa fünf Sekunden später. drehte sie sich kurz auf der Stelle. Julius meinte schon, es würde ihn von ihr losreißen, als ihn wieder dieses Gefühl des viel zu engen Gummirohrs überkam, das seine Augen und Ohren in den Kopf hineindrückte, seinen Leib zusammenpresste und seine Glieder zerquetschte. Doch ehe er sich so recht in dieses unangenehme Gefühl hineinsteigern konnte, war es auch schon wieder vorbei.

"Hast du noch alles, was dir gehört?" Fragte Brittany und klopfte sich ab. Julius prüfte seinen Körper und nickte.

"Gut. Nicht das wir nachher irgendwelche Körperteile zurückgelassen oder Körperteile von uns auf den anderen übertragen haben. Fehlte mir noch, wenn uns ein Heiler oder Apparitionsaufseher hinbiegen müßte."

"Weißt du, wo wir hinmüssen?" Fragte Julius, der sich jetzt erst darüber klar wurde, daß er noch seinen Umhang anhatte. Doch darunter waren noch Muggelsachen, weil er ja am Morgen noch in New Orleans gefrühstückt hatte. Er zog den Umhang aus, den Brittany einschrumpfte und in eine Seitentasche ihres Windrider-Kostüms legte.

"Wir müssen von hier aus in die Stadt reinlaufen und dann in einen dieser Busse einsteigen. Pass gut auf, daß dir niemand zu nahe kommt!"

"Verstehe", sagte Julius. Natürlich kannte er die Großstadt besser als Brittany und kannte auch die Warnungen vor Taschendieben oder Straßenräubern. Doch er wollte jetzt, wo diese junge Hexe ihm helfen wollte, nicht den aufsässigen Jungen rauslassen. so liefen sie die zwei Meilen bis in die belebten Straßen von San Rafael. Brittany mußte zwischendurch husten, weil ihr die Autoabgase zusetzten. Julius konnte einen Hustenreiz unterdrücken.

"Woher weißt du, wo das Café ist?" Fragte Julius.

"Ich habe ein gutes Gedächtnis für Straßennamen und Richtungen. Deshalb habe ich auch die Prüfung im ersten Anlauf geschafft", sagte Brittany und lief schnell aber nicht hastig über den Bürgersteig. Einige Passanten unterschiedlicher Hautfarbe sahen sie an, weil ihr Kostüm sehr abgedreht wirken mußte. Doch Julius folgte ihr voller Vertrauen. Dann erreichten sie eine Bushaltestelle. Da erst fiel Brittany auf, daß sie kein Muggelgeld mithatte. Julius fischte in seinen Brustbeutel und zog ein Bündel 1-Dollar-Scheine heraus, dem er vier Scheine entnahm, die er genau aufteilte. Dann ließ er das Geld schnell wieder unter dem Unterhemd verschwinden, sah sich um, ob jemand das mitbekommen haben mochte und atmete auf, daß keiner seinen Zaubertrick bemerkt hatte. Dann meinte er noch:

"Wir müssen was kaufen, damit wir Kleingeld haben. Mein Onkel Claude erzählte mir oft, daß Busfahrer sehr pingelig sind, daß sie abgezähltes Geld kriegen."

"Eh alter, morgen krieg ich die Kohle oder du wirst Blumendünger!" Rief es von irgendwo her aus einer Seitengasse.

"Kucken wir, daß wir uns nicht zu lange hier aufhalten", meinte Julius zu Brit, die nickte. Zwar hatten sie ihre Zauberstäbe mit, wobei Julius seinen im Futteral in seinem rechten Hosenbein stecken hatte. Doch zaubern durften sie hier nur in einem wirklich unabwendbaren Notfall. So suchte Julius rasch einen Kiosk in der Nähe der Haltestelle, wo er für sich und Brit drei Zeitschriften kaufte und genug Wechselgeld zurückbekam, um einem Busfahrer nicht den ohnehin stressigen Tag zu vermiesen. Als sie wieder bei der Haltestelle ankamen, traf gerade ein Bus ein, den Brit als den richtigen bezeichnete. Der Fahrer, wohl ein Einwanderer aus Mexiko oder Lateinamerika, verlangte für die fünf Stationen von jedem einen halben Dollar, was Julius grinsen ließ. So sagte er:

"Brit, ich zahl für uns beide!" Dann legte er dem Fahrer den grünen Schein mit George Waschingtons Abbild auf den Geldteller. Der Fahrer nahm den nagelneuen Schein, prüfte ihn, erkannte ihn wohl als echt und ließ ihn durch einen Schlitz in einem massiven Metallkasten verschwinden.

Brittany und Julius setzten sich einige Reihen weiter hinten hin und beobachteten die Fahrgäste genau, ob irgendjemand was anstellen würde, das ihnen nicht geheuer war. Ein dunkelhaariger Mann im italienischen Maßanzug zog ein gerade trällerndes Mobiltelefon aus der Jackentasche und meldete sich. Er sprach französisch. Julius hörte über das Motorengeräusch und das Schwatzen und sonstige Geräuschwirrwarr der Fahrgäste heraus:

"Ja, die Adresse war die, Rue de Liberation 13. ... Wie, ihr kamt nicht rein? wieso das denn nicht? ... Komm, mein Freund, erzähl mir nicht sowas! ... Ja klar, das Haus ist verhext. Ich lache gleich laut auf. Dann warte, bis die wiederkommen oder schleim dich bei den Nachbarn ein. Big H will Mutter und Sohn übermorgen in Philly haben um denen vom Büro seine Bedingungen zu präsentieren. ... Dann krieg es raus ob die im Urlaub sind oder such einen guten Schlüsseldienst, Mann! ... Hast auch wieder recht, würde auffallen. ... Aber rauskriegen wo die gerade sind kannst du bestimmt, mein Freund. Big H. bezahlt dich gut dafür. Auf Wiedersehen, mein Freund!"

"Was mich stört verschwinde! Mein Geist herrscht über meine Gefühle. Mein Geist herrscht über meinen Körper. Was mich stört verschwinde!" Dachte Julius verbissen und flüsterte es beinahe. Er durfte jetzt nicht auffallen, nicht das Gesicht verziehen, nicht blaß oder rot werden. Dreimal mußte er diese Selbstbeherrschungsformel denken, bis er sich weit genug beruhigt hatte, um durchzuatmen. Brittany merkte jedoch, was mit Julius los war und stupste ihn vorsichtig an. Er nickte ihr zu und flüsterte nur:

"Kann auch ein Verhörer gewesen sein. Mehr erzähle ich dir draußen. Auf jeden Fall sollten wir aufpassen, ob der Typ mit dem Telefon da eben hinter uns hergeht. Könnte sein, daß der gefährlich ist."

"Du hast was gehört, was der gesagt hat", flüsterte Brittany. Julius nickte. Doch es konnte wirklich ein unglückliches Mißverständnis sein. Vielleicht gab es ja noch andere Straßen mit dem Namen Rue de Liberation. Schließlich kannte er nicht alle Städte der französischsprachigen Muggelwelt. Doch stach ihm wieder ins Bewußtsein, daß der Typ von einem verhexten Haus gesprochen hatte, in das sein sogenannter Freund nicht hineinkonnte. Catherines Haus war in der Tat verhext, daß weder gewöhnliche Einbrecher noch böswillige Zauberer so einfach da reinkonnten, und Mutter und Sohn, da wohnten wirklich eine Mutter und ihr Sohn, die gerade wirklich in Urlaub waren. Doch vielleicht war er jetzt paranoid wie Mad-Eye Moody, der narbengesichtige Lehrer mit dem magischen Durchblickauge. Aber das war ja doch ein Spion Voldemorts, der in Moodys Gestalt aufgetreten war, Barty Crouch Junior.

Der Bus hielt an einer Station, und zwei Frauen stiegen ein, eine im rosa Kleid, mit strohblondem Haar und blassem Gesicht mit Sommersprossen und eine leicht untersetzte Frau in Jeans und rotem T-Shirt. Sie zahlten beim Fahrer und gingen weiter durch. Dabei kamen sie an dem Mann im Maßanzug vorbei, den die Blonde, die eher unauffällig bis unwichtig aussah kurz begutachtete. Der mann im Anzug sah sie an, wußte offenbar nicht, ob er sich nun in Pose werfen oder sie abblitzen lassen sollte, fand Julius. Sie lächelte nur und ging dann mit ihrer Begleiterin weiter. Dann kamen sie an Julius und Brittany vorbei, und da hatte Julius ein merkwürdig kribbelndes Gefühl im rechten Handgelenk, wo er das Pflegehelferarmband sicher unter dem dünnen Oberhemd trug. Das konnte nicht sein, daß Schwester Florence ihn hier erreichen und sprechen konnte. Doch das Kribbeln war nicht das übliche Vibrieren, mit dem die Pflegehelfer von Beauxbatons merkten, wenn sie jemand aus ihrem Kreis sprechen wollte. Es wirkte sehr sacht. Gleichzeitig erwärmte sich das Armband ein wenig. Diese Empfindung dauerte nur eine Sekunde. Dann war es wieder vorbei. Die beiden Frauen waren weitergegangen. Julius hatte für eine weitere Sekunde das Gefühl, einen Alptraum zu durchleben, bei dem unsichtbare Monster umherschlichen, die er zwar hören konnte, sie aber erst sah, wenn sie ihn schon packten. Wahrscheinlich war es aber auch das angespannte Gewissen, weil er was verbotenes tat und jeden Moment damit rechnete, erwischt zu werden. Malcolm hatte das mal als bösen Schatten bezeichnet, weil man in so einem Zustand selbst vor dem eigenen Schatten Angst kriegen konnte. Das mochte es sein, und das mit dem Armband war wohl auch nur Einbildung gewesen. doch war das jetzt nicht doch eine Ausrede, um sich nicht in eine unbestimmbare Furcht hineinziehen zu lassen? Nein, er wollte sich nicht fürchten. Er war trotz seines jungen alters ein starker Zauberer, und neben ihm saß eine fast fertig ausgebildete Hexe. Wenn es drauf ankam, konnte er sich wehren oder mit ihr verschwinden.

Die restliche Fahrt zur Zielhaltestelle verlief ohne weitere Vorkommnisse. Brit verließ mit Julius den Bus durch die mittlere Tür. Draußen gingen sie erst einmal zwei straßen weiter und sahen sich dann um. Der Fremde war nicht hinter ihnen her. Also war es wohl doch nur Verfolgungswahn.

"Mann, ich dachte, irgendwer sucht meine Mutter und mich und wäre nicht in unser Haus reingekommen, weil das gesichert ist", sagte Julius zu Brittany. Diese fragte ihn, wieso er meine, daß es um ihn gegangen sei.

"Weil er die Adresse genannt hat, wo wir wohnen, von Mutter und Sohn sprach, die ein gewisser Big H übermorgen in Philly haben wollte und davon, daß das Haus verhext sei, weil der am anderen Ende der Telefonstrecke nicht reingekommen wäre. Das paßt alles und muß doch nicht stimmen."

"Kann sein, daß dich das Gewissen umtreibt, irgendwas böses sei jetzt im Gang, weil du selbst damit rechnest", sagte Brit erhaben. Julius nickte. Dann gingen sie ruhig zu jenem Café, in dem ein findiger Geschäftsmann zwanzig Computerterminals mit Anschluß an die Datenautobahn aufgestellt hatte. Es hieß "Draht zur Welt", wie passend, fand Julius.

"Wie lange wollt ihr im Internet surfen?" Fragte eine Frau hinter dem Tresen hinter dem Eingang. Julius sagte, er wolle eine Stunde lang an einem der Computer arbeiten. Sie sagte ihm den Preis, zwei Dollar für eine Stunde. Sie durften sich einen Computer aussuchen. Im moment waren sieben frei. An den anderen saßen Jugendliche oder geschäftsmäßig wirkende Männer und hantierten mit der Maus oder der Tastatur. Brittany warf den Leuten an den Endgeräten einen neugierigen Blick zu, bis sie darauf kam, daß sie nicht auffallen durfte und setzte sich mit Julius an den abgelegensten Rechner.

Julius fand ein Menü, in dem sogar gängige Suchmaschinen, spezielle Programme zur Informationssuche im Internet, direkt aufgerufen werden konnten. Nach einer wegzuklickenden Werbeeinblendung, die Brittany schmunzeln machte, trug er in das Eingabefeld "Richard Andrews Chemiker aus London Detroit" ein, wählte die Suchoption aus, daß mindestens drei der Begriffe auf einer Seite gefunden werden sollten und klickte den Suchen-Schalter. Er staunte, wie schnell dieser Rechner Daten aus dem Netz abrief, wenn er an sein Modem zu Hause dachte. Dann war aber auch schon Schluß mit Staunen. Denn über 200 Suchergebnisse, die mindestens drei der gesuchten Wörter aufwiesen, hatte die Suchmaschine zusammentragen können. Julius starrte auf den Monitor. Zu Hause hatte er kein einziges Suchergebnis mit dieser Suchmaschine finden können. Er sah auf die Vorschau jeder Seite, und erstarrte. Brittany, die über seine Schultern mitlas, legte ihm unwillkührlich den Arm auf die Schulter und atmete immer schneller. Doch Julius bekam davon erst einmal nichts mit. Sein ganzes Bewußtsein war auf die Schlagzeilen und Textfragmente gerichtet, die ihm da gerade über den Bildschirm flimmerten.

 

Britischer Chemiker Richard Andrews ein gemeingefährlicher Mörder?
Kunststoffchemiker Richard Andrews des Mordes an seinem Chef Mark Degenhart verdächtigt
FBI sucht Polizistenmörder von Detroit
Ganz Amerika fürchtet sich vor vermeintlichem Richard Andrews

 

Wie ein Roboter drückte er automatisch auf die linke Maustaste, wenn der zeiger auf einem Eintrag lag, der interessant sein mochte. Er las, daß jemand, der unter dem Namen Richard Andrews bei der Detroiter Autozubehörfirma Degenhart angestellt worden war, am fünfzehnten März den Chef und dessen zwei Söhne, sowie zwei Mitarbeiter mit einem schnellwirksamen Gift getötet hatte und wenig Später in eine Schießerei mit zwanzig schwer bewaffneten Polizisten geraten sei, aus der er als einziger Überlebender herausgekommen war. Eine andere Seite beinhaltete eine Geschichte, wo ein offenbar wahnsinniger Mann ein Bordell im US-Staat Mississippi niedergebrannt haben soll. Es wurde erwähnt, daß es sich um einen Doppelgänger eines londoner Chemikers namens Richard Andrews handele. In dem Zusammenhang wurde auch erwähnt, daß dieser Mann nicht bestätigten Quellen nach für den Mord an mindestens zehn Prostituierten verantwortlich gemacht wurde, über den Tathergang aber Unklarheit bestehe. Dann las er noch etwas von einem Bandenkrieg, der kurz nach dem Massaker im sogenannten Purpurhaus losgebrochen sei. Er hatte sogar Bilder, die das abgebrannte Bordell zeigten wie auch den verdächtigen, von dem ein Reporter wohl einen Video-Ausschnitt als Foto abgespeichert hatte. Dieses Bild nahm Julius den allerkleinsten Zweifel, wer für diese grausamen Taten verdächtig war. Er holte sich wie in Trance Seite um Seite auf den Bildschirm, bis er las, daß der echte Richard Andrews gefunden und ins Zeugenschutzprogramm des FBIs übernommen worden sei. Doch näheres dazu wurde nicht gesagt. Dieser Bericht stammte vom 30. Mai. Dann fand er noch eine Seite, auf der leichte Mädchen ihresgleichen vor dem Phantommörder warnten. Auch hier war ein Bild, eher eine Zeichnung dabei, die Julius' Vater zu ähnlich sah, um ein bloßer Zufall zu sein. Julius merkte jetzt erst, daß er leicht zitterte und fühlte seine Augen brennen. Brit stand hinter ihm und hielt ihn sacht an der Schulter.

"Die haben einen Drucker hier dranhängen. Ich drucke das alles aus", murmelte Julius und klickte sich über die sogenannte Schreibtischoberfläche auf den Drucker, der hier von allen Rechnern angesteuert werden konnte. Ein Hinweis wurde eingeblendet, daß jede seite zwanzig Cent kosten würde, bevor Julius die angewählten Seiten nach und nach an den Drucker weiterreichte, der Blatt für Blatt dünnes Endlospapier ausspuckte, bis Julius alle die Seiten zum Drucken abgerufen hatte, die er brauchte. Vieles hatte er noch nicht lesen können, weil ihm die ersten Zeilen schon zu heftig zusetzten. Konnte es angehen, daß sein Vater in die Fänge einer Verbrecherbande geraten war und durch einen Doppelgänger ersetzt worden war, der Angst und Schrecken in der Welt der käuflichen Liebe verbreitete? Das konnte doch nicht wahr sein. Dennoch passte diese Sammlung von Schreckensmeldungen und Gerüchten zu allem, was ihm in den Letzten drei Wochen passiert war. Joes gehässige Bemerkung stimmte ebenso wie Catherines Bemerkung dazu, seine Mutter würde ihm schon alles erklären. Also wußte Catherine das auch. Es war ja im Fernsehen und den Zeitungen gewesen. Ja, und Mrs. Unittamos Bemerkung und Mrs. Porters Reaktion darauf stimmten mit dem hier auch überein. Doch warum hatte Mrs. Porter ihm das nicht irgendwie erzählt? Ja, es hätte ja sogar passieren können, das Muggelstämmige wie Marie van Bergen oder Laurentine Hellersdorf davon Wind bekommen hätten. Was wäre dann gewesen? Wußte Madame Faucon das vielleicht auch schon? Aber warum hatte sie dann keinen Einspruch erhoben, daß er nach Amerika reiste, wo das alles passiert war. Er nahm die ausgedruckten Seiten aus dem Drucker. Einer der Geschäftsleute sah ihn an und fragte erheitert:

"Na, alle deine Hausaufgaben aus dem Internet geholt, Junge?"

"Was?! Ja", sagte Julius sichtlich ertappt und dachte seine Selbstbeherrschungsformel. Brittany, die bis zu dem Zeitpunkt nichts gesagt hatte, sprach auf ihn ein:

"Das hat Mrs. Unittamo gemeint. Was willst du jetzt tun?"

"ich muß erst einmal hier raus und weit weg", quälte sich Julius einen Satz ab. Seine Kehle war wie zugeschnürt.

"Ich bezahle das alles. Gibst du mir noch was von dem Geld?" Fragte sie vorsichtig. Julius fingerte nach seinem Brustbeutel, holte das Bündel Dollarscheine heraus und gab es Brittany.

"Zahl das und die Ausdrucke. Hier habe ich die Seitenzahl, das macht wohl zwanzig Dollar."

"Okay, ich bezahle das. Rühr dich nicht von hier weg!" Zischte sie ihm zu und ging rasch nach vorne zum Tresen. Julius dachte inzwischen seine Selbstbeherrschungsformel. Sie hatte ihn bisher nur einmal im Stich gelassen, unter dem Einfluß des Imperius-Fluches von Professeur Faucon. Da klickte es wieder in seinem Kopf. Konnte es sein, daß es nicht ein Doppelgänger war, sondern sein Vater, der unter diesem Höllenfluch bei vollem Bewußtsein diese Leute umgebracht hatte? Ja, konnte das nicht auch die Erklärung sein, daß er aus einer Schießerei mit zwanzig Cops lebend herauskam, weil dunkle Zauberer ihn für sich arbeiten ließen? Aber warum war er dann verflucht worden? Nein, das machte so keinen Sinn. Wenn er mit diesem Fluch belegt worden war, hätte er doch jemanden aus der Zaubererwelt angreifen müssen und nicht die Degenharts und eine Reihe Straßenmädchen und Bordellhuren. Sicher, sein Vater hatte schon Verbrechen begangen, als er versucht hatte, seine Mutter in den Wahnsinn zu treiben, um sie als Erziehungsberechtigte auszuschalten. Aber zwischen einer technischen Trickserei und amateurhaften Psycho-Kriegführung und mehr als vierzig Morden lag doch noch ein Unterschied. Trotz der heftigen Ablehnung, die sein Vater ihm entgegenbrachte, war er doch noch sein Vater. Der konnte doch kein Mörder geworden sein! Also mußte jemand ihn irgendwie bearbeitet haben. Nein, dann war es wohl doch ein Doppelgänger, der die Geschäfte mit käuflichem Sex torpedieren wollte, wie es ein Schreiber auf einer Kommentarseite zum Purpurhaus-Massaker behauptet hatte. Ja, das erschien Julius logisch. Doch warum ausgerechnet Richard Andrews? Hatte er das Pech, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein? Oder hatte man ihn gezielt ausgesucht, weil der, der diese Untaten begehen sollte, ihm am ähnlichsten sah und somit noch mehr Verwirrung stiften konnte. Tja, dann wurde sein Vater gefunden und in das Zeugenschutz-Programm aufgenommen. Das war Ende Mai. Das ging auch mit dem zusammen, was seine Mutter immer wieder erzählte, daß sie seit Ende mai nichts mehr von ihm gehört hatte. Das FBI war darin verwickelt? Dann konnte dieser Zachary Marchand mehr wissen als er bisher zugegeben hatte. Nein, er wußte mehr als er bisher zugegeben hatte! Er wußte alles, was wichtig war! Dieser Mann hatte ihn bewußt angelogen. Was wußte Mrs. Porter? Offenbar auch genug, um Julius gegenüber so geheimnisvoll zu wirken. Konnte es vielleicht sein, daß sie ihn deshalb hierhergeholt hatte, um ihm in einer ruhigen Stunde alles zu erklären? Das mußte er ihr unterstellen, so fies es ihm auch vorkam. Aber dann war die Frage noch offen, was Catherine und Madame Faucon davon wußten oder was sie ihm gnädigerweise zu sagen beabsichtigt hatten. Warum hatte seine Mutter ihm das nicht alles erzählt? Die Frage war am einfachsten zu beantworten. Sie wollte nicht, daß er in Beauxbatons genau das alles im Kopf herumwälzte, was er hier in diesem mehr oder weniger anonymen Internetcafé dachte. Er konnte im Grunde von Glück reden, daß die Muggelstämmigen seiner Schule ihn nicht schon vorher irgendwie angemacht hatten. Dann fiel ihm wie ein aus den dunklen tiefen des Alls in die Erdatmosphäre eindringender Meteorit aufglühend ein Satz ein, den seine Mutter kurz nach dem Eintreffen am Sommerferienbeginn über die Hellersdorfs gesagt hatte:

"Und mir hat sie unterstellt, ich hätte meinen Mann in den Wahnsinn getrieben, um dich ganz für mich alleine zu haben." Also hatten die Hellersdorfs das auch mitbekommen. Doch hatten sie wirklich alles mitbekommen? Hatten sie überhaupt vermutet, daß dieser Richard Andrews Julius' Vater war? Möglich aber nicht ganz sicher.

"Komm, wir gehen", wisperte Brittany ihm ins Ohr und zog ihn vom Stuhl hoch. Dann gab sie ihm noch zehn Dollar zurück. Julius steckte das Geld in seinen Brustbeutel und folgte Brit hinaus aus dem Internetcafé. Draußen holte ihn die laute Stadtatmosphäre wieder in die Gegenwart zurück. Hier durfte er nicht unaufmerksam sein.

Mit Brittany fuhr er im Bus wieder zurück zur Station, von wo aus sie zu Fuß aus der Stadt hinauslaufen sollten. Doch nun hatte Julius das Gefühl, irgendwer würde ihn beobachten. Er sah sich um und entdeckte nur dahinschlendernde Passanten. Eine große Krähe flog gerade von einem Dachfirst zu einem anderen hinüber und jagte wohl nach Fliegen oder Käfern.

"Brit, ich glaube, daß mit dem Mann im Bus war doch gegen uns, meine Mutter und mich. Wenn jemand meinen Vater oder einen Doppelgänger von dem gegen Leute eingesetzt hat, an denen sich Verbrecher bereichern, dann werden die leicht böse. Wenn das FBI, also die Bundespolizei ihn gefunden und versteckt hat, weil er vielleicht mehr über die Sache weiß, könnten die darauf kommen, ihn zu kriegen, um ihn auszuquetschen."

"Hinter der nächsten Ecke disapparieren wir", sagte Brittany kalt, als habe sie Julius' Vermutung nicht gehört oder zur Kenntnis genommen. Er nickte. Dann erreichten sie den Punkt, wo sie disapparieren konnten. Hier war absolut keine Menschenseele. Julius hielt sich wieder gut fest. Brittany konzentrierte sich, drehte sich schnell um sich selbst und zog Julius dabei in diese viel zu enge, schwarze Röhre hinüber, die ihn keine Sekunde später wieder ausspie. Sie standen im Zaubergarten von Viento del Sol.

"So, jetzt suchen wir beide uns einen der Pavillons und bereden, was das alles soll und was wir damit machen!" Legte sie unumstößlich fest. Julius fühlte sich plötzlich so, als wäre es nicht dieses Mädchen, das gestern morgen noch locker und teilweise sehr direkt aufgetreten war, sondern Belle Grandchapeau oder eine jüngere Version von Madame Faucon. Natürlich, in Brittanys Adern floß das Blut einer Schullehrerin. Doch diese unbestreitbare Kursansage gab Julius eine Sicherheit, die er vor wenigen Minuten völlig verloren zu haben geglaubt hatte. Er folgte ihr zu einem gemütlichen Pavillon in Mitten von Schirmblattbüschen und Regenbogensträuchern. Dort lasen sie die Seiten und betrachteten die Bilder. Dann sagte Brittany Forester:

"Deine Mom wußte das ganz bestimmt, wenn die auch an diese Nachrichten rankommt. Dann wollte sie dir nichts erzählen, weil du in Beauxbatons wohl gerade ziemlich heftig zu ackern hattest. Mels Großmutter weiß es wohl auch und wollte es dir nicht so knallhart hinhauen wie diese Maschine das gemacht hat, der du ja völlig egal bist. Also sei bitte nicht auf Mrs. Porter böse!"

"Ich habe gedacht, alle verschaukeln mich hier, wo ich dabeistehe", knurrte Julius. "Von Catherine bis zu diesem flachköpfigen FBI-Zauberer Marchand."

"Wie gesagt wäre es nicht fair, Mels Großmutter gleich Bösartigkeit unterstellen zu wollen, solange du nicht weißt, warum sie das dir nicht irgendwie mitgeteilt hat. Allerdings wird mir auch anders, wenn ich das hier lese. So ein Fall ist mir noch nicht bekannt."

"Vielleicht ist es was muggelmäßiges. Vielleicht auch was, das mit der Zaubererwelt zu tun hat. Glorias Oma wollte mir das nicht sagen, weil sie sich dann auch Vorwürfe gemacht hätte. Das Ding, was mir jetzt durch den Kopf geht ist, wie kommen Mum und ich da raus und was ist wirklich passiert? Ich denke, Mrs. Porter wird mir das nicht erzählen und meine Mutter weiß nur, was man ihr erzählt hat oder was im Fernsehen gelaufen ist. Hmm, dann weiß Catherine wohl auch nicht alles. Aber Madame Latierre könnte was gewußt haben. Sie sagte was, es wäre wohl besser gewesen, wenn mein Vater bei uns geblieben wäre. Aber dann hat sie gemeint, weil er dann mitbekommen hätte, wie ich mit anderen Hexen und Zauberern klarkomme, und das habe ich natürlich so abgekauft."

"Du meinst die schwangere Großmutter, von der du erzählt hast, die sich auf die Latierre-Kühe eingependelt hat?"

"Eben diese, Brit", sagte Julius. Dann fragte er sich, ob Madame Latierre wirklich nachforschen wollte, was passiert war oder das schon wußte und Zeit geschunden hatte, als sie ihm sagte, sie müsse ihre Cousine in Detroit fragen, wenn sie da überhaupt eine wohnen hatte. Dann sagte er aus einem plötzlichen Anflug von Entschlußkraft heraus:

"Ich weiß jetzt, wie ich Mrs. Porter dazu kriege, mir das zu sagen, was sie mir nicht sagen wollte ohne sie foltern oder mit Veritaserum abfüllen zu müssen. Ich frage sie, ob wir nicht schon heute den Geist dieser marie Laveau aufsuchen können. Wenn der sich zeigt, werde ich genau sechs Fragen an ihn stellen und sehen, wie Mrs. Porter darauf reagiert."

"Sechs Fragen?" Staunte Brittany Forester.

"Ja, genau sechs Fragen. Was ist mit meinem Vater passiert? Wo ist er gerade? Wer weiß von ihm? Wie ist es passiert? Wann hat das angefangen? Warum ausgerechnet er?"

"Schön, das 6-W-Schema. Das kennst du also auch. Mom hat das auch immer als Grundlage für logisches Hinterfragen bezeichnet. Das könnte klappen, falls Mels Großmutter dich zu dieser Marie Laveau führt und die sich dir wirklich zeigt. Sei nicht enttäuscht, wenn sie dir nicht erscheint!" Erwiderte Brit.

"Das ist mir jetzt egal. Ob sie mir antwortet oder nicht ist mir jetzt völlig egal. Ich muß nur an einem Ort sein, wo Mrs. Porter in der richtigen Stimmung ist und die sechs Fragen stellen, wo sie dabeisteht. Mal sehen, wie sie das verdaut. Und wenn Marie Laveaus Geist nicht aufkreuzt, kann ich ihr immer noch stecken, daß ich irgendwie die Seiten hier zugespielt bekommen habe, weil irgendwer wollte, daß Mum und ich das wissen. Mal sehen, was sie dann sagt."

"Vielleicht verbrennt sie die Unterlagen und modifiziert dein Gedächtnis, daß du es nicht mehr weißt", unkte Brittany. Julius zuckte zusammen. Würde Mrs. Porter soweit gehen? nein, das erschien ihm jetzt unlogisch. Sie hatte ihn ausdrücklich eingeladen, obwohl er auch in Paris oder Millemerveilles hätte bleiben können. Sie wollte ihn hier haben, wo sie ihn im Blick hatte. Gut, im Moment hatte sie ihn nicht im Blick. Aber sie würde hier schneller erfahren, was er anstellte. Wie hatte sie ihm geraten, er sollte Brittany nicht in eine peinliche Lage bringen. Hatte er das jetzt getan, weil er sie dazu angestiftet hatte, ihn zu dem Internetcafé zu bringen? Sie war zu intelligent, um einfach überrumpelt und von einem Vierzehnjährigen Jungen beschwatzt zu werden. Also wollte sie das wissen. Wahrscheinlich war sie zu neugierig gewesen, was Julius' Vater angestellt hatte und war vom Ergebnis der Suche genauso überrumpelt worden.

"Gib mir mal die Blätter! Ich vervielfältige die sicherheitshalber und behalte eine Kopie davon", sagte Brittany. Julius nickte und überließ ihr den Stapel Endlospapier. Brittany legte ihn auf den Boden, holte einen Füllfederhalter aus ihrer Handtasche und zog damit einen Kreis aus silberner Tinte auf den Boden, in den sie einige Runen hineinschrieb, die Julius als Zeichenfolge für alles, Vermehrung und Umfassend wiedererkannte. Er verstand, daß Brittany keine Lust hatte, jedes einzelne Blatt zu multiplizieren. Hätten sie den Stapel noch zusammenhängend gelassen, wäre es einfacher gewesen. Doch nun hatten sie ja alle Seiten zum Lesen auseinandergezogen. Brit Forester rückte den Papierstapel an den rechten Rand des Kreises, zückte ihren Zauberstab und deutete auf den Mittelpunkt:

"In Circulo multiplico!" Dabei ließ sie den Stab etwas nach links auspendeln. Schlagartig glühte der Kreis auf, und in seiner linken Hälfte waberten feurige Nebelwölkchen auf, die sich innerhalb von fünf Sekunden zu einem festen Körper oder einer Ansammlung fester Körper verdichteten, bis mit lautem Plopp der magische Kreis erlosch und verblaßte. Nun lagen dort zwei Papierstapel.

"Den Trick kannte ich noch nicht", sagte Julius anerkennend.

"Der geht auch nur in einem Durchgang und ist ziemlich kniffelig, weil man die Schlüsselrunen in bestimmten Graden des Kreises unterbringen muß. Machst du Runen und Arithmantik?"

"Ja, mache ich", sagte Julius sofort.

"Dann kriegst du das bestimmt raus, daß man bestimmte Zauber oder Flüche unter Zuhilfenahme von Symbolen und Runen verstärken oder umfangreicher ausführen kann. Der Vermehrungskreis kann bei einem Zauber beliebig viele Objekte in ihm mindestens verdopppeln oder verelffachen, also zehn Kopien hervorbringen. Ich wollte nur eine Kopie. Wird ein Multiplicus-Zauber in den Kreis hineingewirkt, betrifft dieser alle darin liegenden Gegenstände. Allerdings gibt es natürlich gesetzliche Beschränkungen, daß du keine wertvollen Gegenstände oder Muggelgeld vermehren darfst wie für den direkten Multiplicus-zauber auch. So brauchte ich jetzt nicht an die hundert Seiten Papier einzeln zu bezaubern. die Kopie behalt ich. Kriegst du deinen Stapel bei dir gut unter?"

"Moment", sagte Julius und holte seine Centinimus-Bibliothek hervor. Er nahm seinen Zauberstab aus dem Futteral im Hosenbein und tippte das Gleichheitszeichen an dem streichholzschachtelgroßen Kästchen an. Darauf schwoll es zu einem vier mal zwei Meter großen Bücherschrank mit Türen an. Julius öffnete ihn und legte einen der Papierstapel hinein. Dann tippte er das C am Bücherschrank an, worauf die Bibliothek Schlagartig wieder einschrumpfte und den Stapel dabei mitverkleinerte.

"Gewußt wie", grinste Brittany und ließ ihren Papierstapel in der Handtasche verschwinden. "Die verberge ich an einem sicheren Ort. Ich erzähle dir besser nicht wo, für den Fall, daß Mels Gran gemeine Methoden benutzt wie Legilimentik oder Veritaserum", sagte sie. Sie verließen den Pavillon wieder und gingen noch etwas durch den Garten. Sie hatten noch etwa eine Stunde Zeit, bis Julius wieder in New Orleans sein mußte. Unterwegs zeigte ihm mels Schulfreundin den Spendebaum Fructidonator generosus, einen etwas größeren Apfelbaum, an dem schmutzigbraun glänzende runde Früchte hingen. Sie streichelte den Stamm, worauf ein gut behangener Ast sich heruntersenkte und sie ohne großen Kraftaufwand eine Frucht abpflücken konnte. Julius tat es ihr gleich und hielt die unansehnlich wirkende Frucht einige Sekunden in den Händen. Brit ritzte mit ihren Fingernägeln einen Schlitz quer durch die wachsartige Schale und zog sie dann mit dem bekannten Ratschen ab, mit dem sich auch eine Bananenschale ablösen läßt. Darunter kam eine honigfarbene Frucht zum Vorschein, die angenehm Süß duftete.

"Den Baum kanntest du noch nicht, oder?" Fragte sie Julius, der den großzügigen Baum neugierig betrachtete. Er schüttelte den Kopf und sagte, daß sie den in der grünen Gasse nicht hatten und auch nicht in den Gewächshäusern von Beauxbatons.

"Tja, das liegt daran, daß der nur auf dem amerikanischen Kontinent gedeihen kann, aus welchem Grund auch immer. Professor Verdant hat uns erzählt, man hätte versucht, den in Europa und Afrika nachzuzüchten. Doch es sei nicht gelungen. Ein Schulkamerad von mir hat mal behauptet, das das der Baum aus dem Paradies sei, von dem die ersten Menschen gegessen haben sollten und sich damit versündigt haben, weil Gott ihnen das verboten habe und sie danach zwischen Gut und Böse, Nackt und Angezogen unterscheiden konnten."

Das traf das, was Julius gerade hinter sich hatte. Er hatte eine verbotene Frucht gegessen und wußte nun Dinge, die ihn aus dem Paradies vertrieben hatten. Denn er konnte im Moment weder seiner Mutter noch anderen Leuten aus seiner Umgebung vertrauen, und das tat weh. Nein, er hatte nicht vom verbotenen Baum gegessen, sondern im großen Schloß des bösen Zauberers die verbotene Tür geöffnet, wie es in einem Märchen stand. Ja, und jetzt hatte er was gesehen, was die anderen ihn nicht hatten sehen lassen wollen, seine Mutter, Mrs. Porter und wer auch immer noch. Doch jetzt, wo er dieses Wissen hatte, wollte er nicht auf halbem Weg halt machen.

Pünktlich um sieben trudelten sie wieder im Weißrosenweg ein, wo mel und myrna auch schon angekommen waren. Julius konnte erklären, wo er mit seiner Mutter hingehen konnte, vor allem den Spendebaum erwähnte er und daß er Professor Verdant getroffen hatte. Dann kam noch Maya Unittamo herüber, und bald konnte Julius seine bedrückenden Gefühle vom Nachmittag gut verdrängen und sich mit ihr über die Muggelwelt unterhalten. Wie beiläufig fragte er, was von dem aus der Muggelwelt in die Zaubererwelt herüberdringen konnte. Mrs. Porter sah ihn argwöhnisch an und meinte, daß es davon abhinge, wie wichtig das für die Zaubererwelt werden mochte, wie der angebliche Wirbelsturm in England, der auf den bösen Zauberer Voldemort zurückgeführt werden konnte. Dann, etwas später als zehn Uhr, verließ maya Unittamo das Haus 49 wieder und kehrte in ihr Haus, die Nummer 51 zurück. Dann verabschiedete sich auch Brittany und kehrte in ihr Elternhaus zurück, nachdem sie Julius eine Gute Nacht gewünscht hatte. Kaum waren die Porters, Redliefs und ihr Übernachtungsgast Julius alleine, fragte Julius, ob er nicht zu Marie Laveau gehen könne oder ob man sich dafür anmelden müsse. Er tat es so eindringlich und jungenhaft, daß Jane Porter lächeln mußte.

"Bei Marie muß man sich nicht anmelden, weil sie ja hellsehen kann und weiß, daß du zu ihr willst, bevor du es selbst weißt. Die Frage ist halt nur, ob sie dir auch erscheinen möchte. Bist du dir sicher, daß du das heute schon machen willst und nicht erst in der nächsten Woche?"

"In den nächsten Wochen sind wir viel unterwegs, haben Sie gesagt. Jetzt, wo ich mit ihnen zusammen hier bin und meine Mutter sich keine Sorgen machen muß, wenn ich noch mal weggehen will ..."

"Okay, Honey, dann zieh dir aber noch was unter den Umhang! Nachts kann es kühl werden, und die feuchte Luft verstärkt das dann noch", riet Mrs. Porter. Ihre Enkel wünschten Julius eine gute Nacht.

"Träum schön von Brittany!" Wünschte Myrna. "Die hat dich ja offenbar sehr gerne durch die Gärten geführt."

"Myrna, Brit hat das gemacht, weil sie stolz auf den Garten ist und ich mich für Zauberpflanzen interessiere. Pflanzliches nicht tierisches", versetzte Julius. myrna grinste, während Melanie noch sagte:

"Du kommst mit ihren zwei Gesichtern klar, Julius, habe ich gemerkt, mit dem Spaßgesicht und dem Bestimmergesicht. Das können bei uns in Thorny nicht alle, schon gar nicht alle Jungs. Bilde dir was darauf ein oder vergiss es! Stimmen tut's jedenfalls. Nacht, Julius und sei nicht zu laut, wenn du wiederkommst!"

"Wir fliegen um halb zwölf von hier los", sagte Mrs. Porter. "Marie erscheint meistens zur sogenannten Geisterstunde. Sie meint, Die Stunde zwischen den Tagen gebe ihr mehr Einblick in Vergangenheit und Zukunft.

Julius war einverstanden. Eine Audienz um Mitternacht bei der großen Voodoo-Königin des 19. Jahrhunderts hatte Stil.

Die Zeit bis halb zwölf vertrieb sich Julius mit Gloria, die noch an ihrem Aufsatz für Snape doktorte. Er half ihr dabei, einige Ingredientien zu finden, weil er genug zaubertrankbücher mithatte. Gloria fragte ihn einmal leise:

"Und, was hast du rausgefunden?"

"Das es fies ausgeht, wenn man hinter eine verbotene Tür sieht, Gloria. Mehr möchte ich im Moment nicht sagen, bis ich weiß, ob diese legendäre Gespensterfrau mich treffen will oder nicht."

"Verstehe", wisperte Gloria Porter und sah Julius zuversichtlich an. "Ich hoffe, du findest die Antworten, die du suchst. Mir war klar, daß Oma Jane dich nicht ohne weiteres eingeladen hat, sondern weil irgendwas los ist. Ich bekam sogar mit, daß sie fast Krach mit Minister Pole gekriegt hätte, weil sie dich eingeladen und deshalb natürlich auch angemeldet hat."

"Bitte?" Flüsterte Julius. Gloria nickte bekräftigend und raunte ihm halblaut zu:

"Kam mir so vor, daß der amerikanische Zaubereiminister wohl was dagegenhatte, daß du und deine Mutter hergeholt würdet. Er sprach von Unverschämtheit und Illoyalität und sie möge sich ja vorsehen, was sie sagt. Ich hatte eines dieser Langziehohren mit, die Kevin uns aus der alten Sechserbande besorgt hat, damit wir mitbekommen, was das I-Kommando vorhat und deren Anführerin, Madame Kröte. So konnte ich den Streit selbst dann noch mithören, als sie in Omas Keller waren. Dumm nur, daß die Langziehstrippe nicht durch die Steintür kam. Aber was ich hörte reicht auch vollkommen. Pole hat Oma Jane unter Druck gesetzt, bloß nichts böses zu sagen oder anzustellen."

"Als ob ich die Bestätigung noch gebraucht hätte", knurrte Julius. "Also hat es doch was mit der Zaubererwelt zu tun und nicht nur mit der Muggelwelt."

"Was?" Hakte Gloria leise nach. Julius machte ein bedröppeltes Gesicht. Einerseits konnte er Gloria immer noch vertrauen. Andererseits wollte er sie nicht mit dem zudröhnen, was er am Nachmittag herausbekommen hatte. So sagte er nur:

"Ich hoffe, morgen früh kann ich dir was erzählen, was vieles erklärt." Gloria nickte schwerfällig und warf Julius einen sehr ernsten Blick zu. Dann brachten sie den Aufsatz für Snape zu Ende. Gloria legte die pergamentrollen gut weg. Dann sprachen sie leise über die Lehrer von Beauxbatons. Gloria kannte ja bisher nur Professeur Faucon und hörte sich sehr interessiert an, wie die anderen Lehrer waren, die Julius hatte. Um halb zwölf dann holte Mrs. Porter ihn aus Glorias Zimmer und wies ihn noch mal an, sich noch etwas unter dem Umhang anzuziehen. Er zog einen langärmeligen Pullover über das Hemd und darüber noch den Umhang. Dann ging es auf Jane Porters Bronco Centennial im Großen Bogen um New Orleans herum zu jenem auch bei Muggeln berühmten Friedhof St. Louis nr.1. Mrs. Porter prüfte nach, ob irgendwo unerwünschte Zuschauer sein konnten, die wohl selbst auf magische Abenteuer ausgehen mochten. New Orleans war bei den Muggeln als die Hauptstadt des nordamerikanischen Voodoo-Kultes bekannt, ob zu Recht oder zu Unrecht, konnten die Muggel nicht ergründen.

Der Friedhof lag da wie ein sehr friedliches Dorf aus flachen Steinhäusern. Man hatte aus der Not, die Leichen der Verstorbenen besser unterzubringen als im sumpfigen Boden eine Tugend gemacht, stellte Julius beim Anblick der Grabhäuser fest. Er wagte nicht, lauter als nötig auszuschreiten oder zu sprechen. Jane Porter, die sich in einen Warmwollemantel eingehüllt hatte, blieb immer neben ihm, bis sie um eine Ecke kamen, wo ein besonders prächtiges Grabhaus angelegt war. Da gerade eine dicke Wolke vor dem Mond stand war die Dunkelheit so vollkommen, daß Mrs. Porter mit ihrem Zauberstab leuchten mußte.

"Dort vorne ist ihr Grabhaus, Julius. Die letzten zehn Schritte mußt du alleine und ohne Angst zurücklegen. Dann knie dich hin und sprich leise ihren Namen aus und frage sie höflich, ob sie dir erscheinen möchte. Mach das mindestens zehnmal innerhalb von fünf Minuten, sofern sie dir nicht vorher schon erscheint. Kommt sie nicht zu dir, dann komm du bitte wieder zu mir zurück! Wir fliegen dann nach Hause. Weitere Versuche wären dann nämlich sinnlos", sagte Mrs. Porter. Julius nickte etwas bedröppelt. Sein Spiel mit den sechs Fragen war damit nicht drin.

Leise ging er die letzten zhen Meter. Um ihn herum hatte die Nacht ihr sternengepunktetes Kleid ausgebreitet, und von nahe und Fern klangen die Geräusche der Tiere des nicht zu fernen Sumpfes, wie das Quaken von Fröschen, das Zirpen von Grillen und anderes Getier. Die Luft trug den Geruch leicht vermoderter Erde, und der Boden fühlte sich etwas merkwürdig an. Der Weg war mit Platten ausgelegt. Doch dazwischen lugte die feuchte Erde hindurch. Dann war Julius genau vor dem Grabhaus, in dem angeblich die Überreste von Marie Laveau ruhten. Für eine Sekunde kam ihm der Verdacht, Glorias Oma wolle ihn hier und jetzt gründlich verarschen. Bei anderen hätte er das sofort gedacht, doch bei ihr dachte er es jetzt erst, wo er sich auf die Knie sinken ließ und sich fragte, wie bescheuert er nun aussehen mochte. Doch dann gab er sich einen Ruck. Mrs. Porter würde sich einen so dreisten Scherz nicht erlauben. Da würde sie ja alle anerkennung verspielen. Er beugte seinen Kopf ein wenig, sog leicht angewidert eine Nase Sumpfduft ein und sprach mit kaum betonter Stimme:

"Marie Laveau, ich bin Julius Andrews und von weit weg gekommen, Sie zu fragen, ob sie mir erscheinen möchten." Er wartete eine halbe Minute angestrengt in die Nachtlauschend. Dann wiederholte er die Anrufung und die Frage, ob sie sich zeigen wollte. Jetzt kam auch wieder der Mond hinter der dichten Wolke hervor und beschien die gespenstische Szenerie. Als er nach einer weiteren halben Minute gerade zum dritten mal ansetzen wollte trat etwas nebelhaftes aus dem Grabhaus heraus und verhielt vor Julius einen halben Meter über dem Boden. Es verdichtete sich im Schein des Mondes zu einer durchscheinenden Frauengestalt. Julius erschauderte. War sie das? Sie war groß, imposant anzusehen, nicht zu dick und bestimmt nicht zu dünn. Langes, schwarzes Lockenhaar fiel ihr in sanften Wellen die durchsichtigen, perlweißen, leicht silbrigen Schultern hinunter. Nachtschwarze Augen, das einzige lichtundurchlässige an der Erscheinung, richteten sich auf ihn. Dann setzte sie auf dem Boden auf und schritt völlig lautlos auf ihn zu. Er erschauerte wieder. Die Gespensterfrau war vollkommen nackt. Trotzdem dem Geisterkörper ein gewisses, fortgeschrittenes Alter anzusehen war, wirkte der weibliche Geist über die maßen anziehend, ja lockte mit jedem Schritt seinen von jugendlichem Hormongetümmel leicht verzückten Blick auf ihren Schoß, der sich sanft vor und zurückbewegte. Auch der Oberkörper war für den Vierzehnjährigen ein Hingucker. Die bloßen Rundungen wippten sacht bei jedem unhörbaren Schritt. Julius errötete, weil er der Geisterfrau so heftig auf die privatesten Körperstellen gestarrt hatte wie ein lüsterner Spanner.

"Du hast nichts gesehen, was dir zu sehen verwehrt sein soll, junger Julius Andrews, Sohn der Martha und des Richard", sagte die Erscheinung die ersten Worte, die Julius von ihr hörte. "Wenn ich gewolt hätte, daß du mich nicht anblickst, wäre ich unsichtbar oder gar nicht erschienen. Aber ich wartete schon auf dich, wo du noch nicht wußtest, daß du heute hier in meiner geliebten Stadt sein würdest." Die Geisterfrau schritt noch näher. "Es ist bedauerlich, daß mein leibliches Abbild meiner selbst auf noch in der Fleischeshülle wohnende Geschöpfe kalt wie Winterfrost wirkt. Aber zumindest erweckt meine Erscheinung den wachsenden Mann in dir zur begehrenden Neugier. Steh bitte auf. Wenn ich vor jemandem stehe, der mich so respektvoll gerufen hat, dann muß er oder sie nicht mehr knien", sagte Marie Laveaus Geist. Julius erhob sich und stand nun mit erdverkrusteter Hose vor der Geisterfrau, die immer noch auf ihn zuschritt. Dann streckte sie Julius die rechte Hand entgegen. Julius wußte, das die Berührung mit einem Geist sehr unangenehm war. Spätestens als er einmal in großer Hast durch die Graue Dame, den Hausgeist der Ravenclaws, gerannt war, wußte er es. Doch er nahm seinen Mut zusammen und griff nach der Geisterhand. Er fühlte die frostige Kälte und fühlte, wie seine Finger durch die feinstofflichen Finger Maries glitten. Dann war es ihm, als hielte Marie seine Hand fest wie mit einer Hand aus Fleisch und Blut. Das mochte die Telekinese der Geister sein, die sie erlernten, wenn sie in der körperlichen Welt verblieben, dachte Julius. Doch die klirrende Kälte, die die Gespensterhand durch seinen Arm jagte, ließ nicht nach. Doch er wagte nicht, sich loszureißen. Das wäre dann ja auch sinnlos gewesen. Dann ließ sie ihn los und lächelte. In ihrem Mund fehlte kein einziger Zahn. Überhaupt sah Julius keine Verletzung an Marie Laveaus Geisterkörper. Die Geister, die er schon getroffen hatte, waren alle mehr oder weniger ramponiert.

"Du hast Mut, Demut und Neugier in dir, Julius Andrews. Du übst dich in Bescheidenheit und Treue zu deinen Freunden und Taten. Du hast einen gut genährten Widerstandsgeist, der aber in den letzten Jahren etwas zu kurz kam. Jetzt stehst du vor mir und möchtest mir sechs einfache Fragen stellen. Doch ich werde dir diese Fragen nicht einzeln beantworten. Denn wahrlich, ich habe dir etwas zu sagen, was dein Schicksal betrifft."

"Sie können mir also nicht sagen, wo mein Vater ist, was ihm passiert ist und wann das losgegangen ist?" Sagte Julius sehr ungehalten. Dann grinste er. Was hatte er auch erwartet? Das Buch der Antworten, in dem auf jede Frage eine Antwort stand?

"Die Antworten auf alle deine Fragen findest du, wenn du dich dazu entschließt, dir von mir erzählen zu lassen, welches Schicksal dir vorherbestimmt ist."

"Ich wollte nur wissen, was mit meinem Vater ist und ob es stimmt, daß Sie noch in dieser Welt existieren. Ich war nur neugierig."

"Ja, und deshalb bist du zu mir gekommen, obwohl du den Ruf, den ich an dich richtete, nicht hören konntest."

Julius stutzte. Was hatte der Geist gerade gesagt? Er hatte ihn gerufen, und er war dem Ruf gefolgt, ohne ihn zu hören? Klang irgendwie merkwürdig. Er fragte, wie sie ihn denn gerufen habe. Sie lächelte und sagte:

"Ich bat darum, dich in dieses Land zu bringen, in meine Nähe, da ich selbst nicht weit wandern kann. So wurdest du eingeladen, ohne von meinem Wunsch zu wissen, dich zu treffen und dir dein Schicksal zu offenbaren. Du kamst her, weil du dachtest, es sei nur eine freundschaftliche Einladung, einige interessante Tage in einem fremden Land zu verbringen. Du suchtest nach Antworten auf Fragen, wo dein Vater geblieben sei und fragtest seelenlose Wissensspeicher in aller Welt nach ihm. Was du erfuhrst hat dir Angst und Verzweiflung bereitet, und so wolltest du, nicht nur aus Neugier auf meine Erscheinung, von mir die Antworten auf die Fragen hören, die dich nun umtreiben. Doch bevor du Antworten auf deine Fragen erwarten darfst, möchte ich, daß du dir anhörst, weshalb ich dich hergerufen habe."

Julius schien im Boden zu versinken. Dann war Jane Porters Einladung nicht mehr als die Ausführung eines Befehls oder die Erfüllung einer Bitte gewesen? Das würde er gleich mit ihr zu klären haben. Doch wenn er schon einmal hier war, wollte er nicht lockerlassen. Sollte der Geist ihm doch erzählen, was er erzählen wollte. Dann konnte er seine Fragen stellen. Wenn die Antworten ihm nicht reichten, hatte er zumindest eine interessante Geisterstunde erlebt.

"Du zweifelst an meiner Macht, das Gestern und das Morgen zu sehen, um das Heute zu verstehen. Aber ich habe diese Macht. Daß du hier bist beweist es dir. Außerdem hat Jane Porter keinen Befehl von mir erhalten, sondern nur eine dringende Bitte befolgt, dich ohne dir zu sagen, daß du zu mir kommen möchtest, in meine Nähe zu holen. Jetzt bist du hier, und ich kann dir offenbaren, was ich dir zu offenbaren habe", sagte Marie Laveaus Geist sehr energisch. Sie stieß ihren linken Fuß kräftig nieder, sodaß er bis zum Spann einsank. Dann zog sie ihn wieder heraus und blieb ruhig stehen. Julius sah sie an. Das sie völlig nackt war war ihm jetzt irgendwie egal. Denn er fühlte eine starke Ausstrahlung von diesem Geisterwesen ausgehen, Macht und Entschlossenheit. Dann sagte er:

"In Ordnung, ich möchte hören, was Sie mir zu sagen haben. Aber erwarten Sie bitte nicht, daß ich alles verstehe oder glauben kann!"

 

"Du wirst mir irgendwann glauben, Julius Andrews. Doch nun höre!" Begann Marie Laveau mit sehr ernster Stimme zu sprechen, und ihr Befehl hallte in Julius Bewußtsein nach und verdrängte alle anderen Gedanken.

"Jeder Mensch auf erden wird auf dem Stück eines sehr langen Weges geboren, der aus weiter Vergangenheit in seine Gegenwart reicht. Die großen Geister, Die im Voodoo über die Naturkräfte, Leben und Tod gebieten, führen jeden Menschen, erscheinen ihm in vielerlei Gestalten und weisen ihm den Weg oder versperren ihn ihm. Die meisten Wege sind Wege zwischen gleichhellen Gefilden, breit und übersichtlich. Viele, ja auch du, lernen, Ereignisse zu erkennen, die sich aus ihren früheren oder jetzigen Taten ergeben. Und wenn jemand stolpert, so ist der Weg oft genug breit genug, sodaß der stolpernde Mensch nicht ausgleitet und in einen Abgrund stürzt oder in unendlichen Fluten ertrinkt. Die, die den mittleren Pfad jedoch verlassen und sich aus freien Stücken den Gefilden des Lichtes zuwenden, müssen einen immer steinigeren Weg beschreiten, der nahe an einem Abgrund entlangführt. Jene, die ihren mittleren Weg verlassen, um sich in den Abgrund der Verlockungen und Untaten zu stürzen, vermögen nicht mehr, ihren eigenen Weg zu beschreiten, weil der Abgrund sie hinunterzieht. Sie brauchen dann Hilfe und Führung, um wieder zurück auf den mittleren Pfad zu finden. Bei dir und einigen anderen ist das Schicksal nicht so freigiebig. Sie werden auf einen sehr schmalen Pfad gestellt, der von den Gefilden des Lichts und dem Abgrund der Verlockungen und Untaten direkt begrenzt wird. Ein Schritt zu weit nach links oder rechts bringt dich auf eine der beiden Seiten, und du magst den mittleren Weg verlieren, unwiederbringlich. Dein mittlerer Pfad durch die Gefilde des Lebens ist so dünn und windet sich wie eine große Schlange. Dich umtanzen die Geister beider Seiten und wollen dich zu sich herüberholen. Denn du hast bei deiner Geburt ein schweres Erbe angetreten, daß du nicht zurückweisen kannst. Du mußt lernen, damit umzugehen. Denn wahrlich, deine Zauberkräfte sind so stark, daß die Geister des Abgrundes dich ständig versuchen werden, sie in ihren Dienst zu stellen und die Geister des Lichtes dich ständig umtanzen, dich ausschließlich ihnen zu widmen. Doch beides, der Abgrund und das reine Licht, werden dich zu Grunde richten, wenn du dich nur auf eine der beiden Seiten einlassen willst. Nun magst du sagen, daß könne ich über jeden anderen sagen. So höre weiter! Deine Ahnenreihe birgt große Persönlichkeiten, die sich einst für die Seite des Lichtes oder der Dunkelheit entschieden haben. Dann ist da noch das Schicksal der magischen Welt, in das du bereits eingegriffen hast und damit dein Erbe endgültig angenommen hast. Denn etwas aus tiefer Vergangenheit wurde von dir neu erweckt und ist nun darauf aus, die heutige Welt gründlich zu verändern. Indem du in eine andere Welt hinübergegangen bist, um den Aufstieg einer grausamen Macht zu verhindern, bist du ein Teil im Spiel der uralten Ereignisse geworden."

Julius wollte schon was einwenden, als Marie ihre Hand nach seiner rechten Hand ausstreckte und erneut zugriff. Wieder wurde es Julius eiskalt am Arm. Doch als Marie Laveau ihre linke Geisterhand auf seinen Kopf legte und die Kälte ihm wie ein Eisblock durch die Schädeldecke drang, wollte er aufschreien. Da fühlte er, wie Maries linke Hand durch seinen Kopf schnellte, ihm dabei fast die Sinne raubte, durch den Hals glitt und seine Lungenflügel schockgefror. Er hörte noch einen Schlag seines Herzens, dann hatte er das Gefühl, in einen immer dunkleren Nebel zu sinken. Er fühlte Maries linke Hand zwischen Brust und Bauch. Dann meinte er, nach vorne gerissen zu werden. Da löste sich der Nebel mit einem Schlag auf, und Julius meinte, von einer Zentnerlast befreit worden zu sein. Maries Hände zogen an ihm. Dann hielt sie nur noch seine rechte Hand. Sie fühlte sich weder kalt noch nebelhaft an, sondern war fest, wenn auch nicht warm. Dann hörte er ihre Stimme wie in seinem Kopf.

"Ich führe dich zu meinem Platz der Weissagung, auf das ich dir zeige, was das Fenster des Morgen für dich bereithält." Dann zog sie ihn mit eisernem Griff mit sich, stieg dabei auf. Julius fühlte sich schwerelos, fühlte aber keinen Fahrtwind, als sie beide genau auf das Grabhaus zurasten, auf die Wand. Er wollte schon schreien, weil die massive Backsteinwand auf ihn zuraste, da flogen sie beide hindurch wie durch Nebel, in die Dunkelheit hinein. Doch für Julius war es nicht vollkommen dunkel. Er erkannte wie in einem blauen Lichtschimmer einen Steintisch mit einem Sarg oder Sarkophag darauf. Doch er hatte nicht genug zeit, es genauer anzusehen, weil Marie ihn mit Urgewalt weiterzog, hinunter in den Boden. Erst sah Julius nur silbernes Funkeln um sich herum. Dann fielen sie aus einer Decke heraus, hinein in eine Höhle, die für Julius irgendwie bläulich schimmerte. Ja, und er sah die feuchten Wände, den Moder daran und hörte einzelne Wassertropfen gluckern. Dann blubberte eine gelbe Blase vom schlammigen Boden her und platzte in einen schwefligen Nebelhauch auseinander. Doch Julius, der zuerst befürchtet hatte, gleich einen üblen Gestank von zehn faulen Eiern auf einmal riechen zu müssen, konnte nur eine leichte Prise Schwefel riechen. Dann merkte er, daß er nicht mehr spürte, ob er atmete oder nicht. Er fühlte weder Hitze noch Kälte. Dann sah er die große Steinplatte, auf der große Töpfe standen und ein Brett mit zwanzig bleichen Knochen lag. Julius erschauerte. Dann erst erkannte er, was ihm da gerade passiert war. Marie Laveau hatte ihn aus seinem Körper gezerrt, ihn hinter sich hergezogen und hier unten hingebracht. Er griff sich an den Brustkorb und ließ seine Hand an sich hinabgleiten. Er war splitternackt, und seine Haut schimmerte perlweiß. Marie schwebte vor ihm, anscheinend mit anderen Dingen beschäftigt als daß sie Julius gerade aus seinem Körper entführt hatte. Er war nun genauso ein Geist wie sie. War er jetzt tot?

"Sie haben mich umgebracht!" Rief Julius in einem Anfall von Angst. Er fühlte etwas durch den Geisterkörper rauschen, hörte aber keinen Herzschlag.

"Ich habe dich vorübergehend aus deiner fleischlichen Hülle herausgelöst, weil du nur so sehen kannst, was ich sehen kann und an diesen Ort gelangst, an dem jeder Lebendige sofort dem giftigen Gas verfällt, das hier aus Wänden und Boden quillt", sagte Marie Laveau. Ihre Stimme hallte in der kleinen Schlammhöhle und in Julius Kopf. Er wollte umkehren, rasch aus diesem Loch wieder heraus und zurück zu seinem Körper, um ihn wieder zu übernehmen. Doch Marie ergriff ihn abermals. Diesmal fühlte er sofort einen festen Händedruck an seinem Arm. Doch Hitze oder Kälte fühlte er nicht.

"Du kannst deinen Leib nur zurückgewinnen, wenn ich dir helfe, in ihn zurückzutretn. Versuchst du es selbst, wird er unaufweckbar und stirbt, und du könntest von einem Voodoo in die Nachwelt hinübergezogen oder für alle Zeiten in dieser Welt gefangen bleiben, und ich müßte dich dann anleiten, in dieser Daseinsform weiterzubestehen, wie es die Gesetze der Gewesenen besagen. Also Sieh her und höre mir zu!"

Marie Laveau griff mit ihren leicht silbrig schimmernden Geisterhänden nach den Knochen auf dem Brett. Dabei sang sie Julius' unverständliche Wörter, mal leiernd, mal kraftvoll, immer ekstatischer. Sie tanzte um das Brett herum, immer ausgelassener. Dann warf sie einen der Knochen in die Luft. Julius glaubte, er sähe einen dünnen Nebelstreifen über dem Brett. Dann landete der Knochen, der Flügelknochen eines Vogels, mit lautem Klappern auf dem Brett. Der Nebelstreifen blieb darüber stehen. Weiter tanzte und sang Marie Laveau, und Julius fühlte, wie die Wörter und die Melodie seinen Verstand durchfluteten, ihn in einen unbeschwerten, weltentrückten Zustand versetzten. Er sah weitere Knochen, die wie ziellos nach oben flogen, sich in alle Richtungen drehten und dabei weitere Nebelstreifen erzeugten. So bildete Marie Laveau eine große Wolke aus Dunstschleiern, -ringen und Rauchfäden, bis sie den zwanzigsten Knochen mit einem Aufshrei wie zwischen größtem Glücksgefühl und schrecklichstem Schmerz hochwarf. Das Gebein, das wie der Unterarm eines Menschenbabys oder eines kleinen Affen aussah, durchflog das Nebelgebilde und brachte es zum Rotieren und verknäulen. Dann landete es auf dem Brett, und Marie seufzte unheilvoll:

"Zeige mir Julius Andrews!"

Als habe sie damit einen Schalter umgelegt, glühte die unförmige Nebelerscheinung von innen her weiß auf, zog sich auseinander, bis Julius meinte, durch eine immer dünnere Milchglasscheibe in eine Landschaft hinauszusehen, in der schnelle Schatten herumtanzten. Dann meinte er, sich selbst zu sehen, wie er gerade eingeschult wurde. Einen Sekundenbruchteil später stand Julius in einer Halle, die die Eingangshalle von Hogwarts sein mußte. Dann flog er auf einem Besen herum, wurde zu einem Weidenkorb, verwandelte sich zurück und lag im nächsten Moment als Baby auf dem Tisch in Madame Faucons Wohnraum. Gleich danach sah er sich mit Claire, die ihm eine Ohrfeige auf die linke Wange verpaßte und stand im Nächsten Moment auf dem Farbenteppich von Beauxbatons. Unvermittelt blitzte es, und er sah Belle Grandchapeau mit einem Zopf, die wiederum in Madame Maximes Sprechzimmer stand, von dessen Decke die lange, weiße Rose herabbaumelte. Dann blitzte es erneut, und er sah sich selbst wieder auf einem Gang stehen, wie Claire ihn gerade zum ersten Mal richtig küßte. Dann saß er auf einem Besen hinter Claire, danach stand er neben Constance Dornier, aus deren weit geöffnetem Unterleib der Kopf ihres Kindes Cythera heraustrat. Dann sah er sich im blutigroten Endzeitgemälde, dem Selbstbild Salazar Slytherins gegenüber, das gerade in einer gleißenden, grünen Flamme verbrannte. Dann stand er neben Madame Eauvive, die Knieselin Goldschweif auf der rechten Schulter. Dann sah er sich abwechselnd mit Claire, Jeanne, Martine und Millie, immer wieder. Schließlich sah er sich neben Brittany Forester im Bus durch San Rafael sitzen, vor sich den Mann im italienischen Maßanzug, der gerade telefonierte. Ein Schatten in Rosa huschte an ihm vorbei. Dann stand er neben Jane Porter auf dem Friedhof, sah sich selbst aus dem Körper heraustreten und durch die Wand zu Marie Laveaus Grabhaus gezogen werdend. Diese Bilder waren völlig Klar gewesen. Dann trübte sich die Sicht wieder ein. Julius erkannte sich in immer schnelleren Bildfolgen, einmal lag sein Vater vor ihm, schrecklich alt aussehend. Dann sah er sich mit einem Baby auf dem Arm. Dann meinte er sich vor einem schemenhaft erkennbaren Haus zu sehen. Die Konturen verschwammen immer mehr. Julius sah sich selbst doppelt und dreifach, sah einmal eine riesige Spinne über ihn herfallen und dann wieder eine große Schlange, die auf ihn zuglitt, immer schneller. Er sah Frauengestalten, die Claire, Martine oder Jeanne sein mochten. Ein winziger Augenblick zeigte ihn vor einem riesigen Glaszylinder stehen, bevor eine düstere Wolke alles überdeckte, in der nur noch helle Punkte und schwarze Schattenformen herumflogen. Dann, etwa vier Sekunden lang, sah Julius vier menschliche Wesen, deren Erscheinungen einander überlagerten wie zwei schlecht zu empfangende Fernsehsender sich gegenseitig überlagerten. Er vermeinte einen Mann zu sehen, der wie sein Vater in jungen Jahren aussah. Oder war es er selbst in der Zukunft. Doch die Erscheinung zerschmolz und wurde zum verschwommenen Bild einer Frau, die vom Aussehen her seine Schwester sein konnte und irgendwie entschlossen dreinschaute. Wie in farbigen Nebel getaucht sah Julius eine Gestalt, die wie eine dunkelhaarige Frau aussah, welche gerade zwei Babys an ihren Brüsten liegen hatte. Doch ihr Bild wurde von einer Abscheulichkeit durchdrungen, die wie eine Grauenhafte Verschmelzung zwischen Mensch und Schlange wirkte, mit Schuppen, die für einen winzigen Moment grün, schwarz und grau schimmerten, um dann genauso wieder im Farbennebel zu zerfließen wie der flache, schlangenartige Schädel mit den umherstierenden Augen. Dann versank alles in einem immer dichter und dunkler werdenden Nebel, der zehn Sekunden lang vor Julius waberte und dann übergangslos verschwand. Die Knochen, die Marie Laveaus Geist gerade noch geworfen hatte, lagen wieder so, wie sie vorhin gelegen hatten, als Julius in dieses unterirdische Schlammloch gezogen worden war. Als habe Marie Laveau sich körperlich überanstrengt hockte sie keuchend am Boden. Doch Julius hörte keinen Atem von ihr. Er starrte nur auf die Steinplatte und bangte um seinen Körper und seinen Verstand. Was er alles gesehen hatte war zu heftig und zu schnell vorübergezogen. Er erkannte jedoch, daß die Bilder vor der Eintrübung der Vision Bilder aus seiner erlebten Vergangenheit waren. Es mochten Erinnerungssplitter sein, die er gesehen hatte. Aber er hatte sie so gesehen, wie ein Außenstehender ihn gesehen haben mochte, auch Belle Grandchapeaus Bild, das war er. Doch was sollten die Bilder nach dem Eintritt in diese Geisterhöhle? Waren sie wirklich die Zukunft oder nur durcheinandergerührte Bilder aus verschiedenen, wohl den wahrscheinlichsten Zukünften? Dann waren da diese Monster gewesen, die Spinne und die Schlange, die immer wieder auf ihn losgingen, bis eine düstere Wolke alles verhüllte, in der nur Schatten und Lichtpunkte herumgesaust waren. Doch was sollten diese vier ineinander verschwimmenden Gestalten am Ende? Er wollte gerade Maries Geist danach fragen, als sie von sich aus in einer schauerigen, echt gespenstischen Betonung sprach:

"Du bist ausersehen, Gefahren zu bestehen, die dich und deine Welt in die Finsternis stürzen oder in die Gefilde des Lichtes heben können. Düstere Wolken überziehen deinen Himmel. Die Geister des guten und Bösen umtanzen dich. Du wirst immer über einen schmalen Weg zwischen Nacht und Tag laufen, gelockt und getrieben von den Mächten der drei Welten. Dein junges Leben birgt den Funken eines alten Feuers, welches auflodern wird, wenn Papa Legba dir beide Tore gezeigt hat. Die Schlange, die gierigen Töchter aus unberührtem Schoß und die Spinne gieren nach deiner Seele. Eine deiner Wurzeln wird schwinden und dich wanken machen. Doch beweglicher als zuvor wirst du dann sein. Der Segen meiner Regentschaft und aller alten Götter und Geister möge mit dir sein!"

"Tolle Aussichten", sagte Julius verächtlich. Dann fiel ihm was ein: "Die Töchter aus unberührtem Schoß. Wen meinen Sie damit und Was wollen die von mir?"

"Sie wurden geboren aus einem Schoß, den die Saat eines Mannes nie befruchtete, verflucht zum Leben, durch die körperliche Wonne Nahrung findend. Eine von ihnen hat deinen Vater in ihre Gewalt gebracht und ihn zum Sklaven ihres gierigen Geistes gemacht. Deshalb wirst du in der Zukunft von diesen Geschöpfen ebenso bedrängt wie von den Handlangern der Schlange und der Spinne", sagte Marie langsam wieder zur vorherigen Betonung zurückfindend.

"Moment mal! Sie meinen die Töchter des Abgrundes, die Succubi? Das kann doch nicht sein!Mein Vater ist von einer dieser Höllenhuren ...?" Entfuhr es Julius unvermittelt, und er sprang hoch und durchstieß mit dem Kopf die steinerne Höhlendecke. Dann zog ihn Maries Hand an den nacten Füßen wieder nach unten.

"Dies ist, was so schrecklich ist, daß es dir keiner erzählen wollte außer einer Unzahl miteinander verbundener, seelenloser Wissensspeicher, die du am Nachmittag befragt hast. Der Zauberer, der momentan das Amt des Ministers für magische Dinge bekleidet, hat aus der Erkenntnis, daß ein Mann mit unweckbarer Magie eine der schlafenden Abgrundsschwestern geweckt hat, sein ganz persönliches Geheimnis gemacht. Doch die Mordtaten, die er beging, sind nur der Anfang. Denn der gierige Geist verlangt nach mehr Macht, Macht, die älter als er selbst ist und über die ganze Erde verteilt unter einem dicken Mantel der Vergessenheit geschlummert hat. Ein Teil dieser macht hat dir bereits geholfen, großes Unheil zu verhüten."

"Ich verstehe", sagte Julius. Er dachte an den Ausflug in die Bilderwelt, wo er die alte Kettenhaube einer magischen Herrscherin aus dem sagenumwobenen Atlantis getragen und seinen Geist damit vor Ausforschung und Unterwerfungszaubern geschützt hatte. Gab es also noch mehr solche uralten Gegenstände? Wo lagen die? aber vor allem, was konnten die? Offenbar war diese Bilderschau dazu gedacht, ihn, Julius Andrews, darauf einzustimmen, diese Fragen zu klären und sich dabei von einer riesigen schwarzen Spinne oder einer Schlange in Acht zu nehmen und nebenbei noch irgendwelchen übermenschlich schönen Dämonenfrauen aus dem Weg zu bleiben. Dann erkannte er, was Marie Laveau ihm da aufgeladen hatte. Er war Atlas, der Gott, dem Zeus den Himmel auf die Schultern gelegt hatte. Doch das konnte nicht sein. Er war kein Held wie Superman und auch kein Gottgesandter wie Jesus oder Bhudda. Doch was hatte marie gesagt, in ihm sei ein Funke eines uralten Feuers entfacht worden? Wann, wo, wie und warum?

"Wie kann ich meinem Vater helfen", war die erste Frage, die er stellte, um seine Gedanken besser einzuordnen.

"Nur Papa Legba, der Hüter der Tore, kann seine Seele befreien, wenn die Kette zwischen ihm und der ihn haltenden Schwester des uralten Abgrundes zerschlagen wird und seine Lebenskraft nicht auf sie überfließen kann."

"Papa Legba, der Totengott?" Fragte Julius erschrocken. Einige Voodoo-Götter kannte er aus Mrs. Porters Buch "Der Voodoo-Schild".

"Er ist nicht nur der Totengott, sondern auch der Gott des Lebens und der Entscheidungen, die wir finden können. Er hütet die Tore zu den Welten der Lebenden, der Götter und der Ahnengeister", sagte Marie Laveaus Geist. "Ich selbst habe ihn gebeten, mich nach dem Ende meines Körpers in der Welt der Lebendigen zu lassen, um denen zu helfen, die mit großen Schwierigkeiten zu tun bekommen. Er hat mich erhört, und wahrscheinlich wußte er auch, warum", sagte Maries Geist etwas traurig klingend. Dann sprach sie wieder sehr sicher und entschlossen:

"Die vier Erscheinungen, die sich kurz vor dem Ende im Fenster zum Morgen zeigten sind die Endpunkte von ineinander verschlungenen Wegen, auf die dich die Geister des Lichtes und der Finsternis führen wollen. Jener, der dir am ähnlichsten sieht, stellt ein erfolgreiches Bestehen aller Gefahren und Versuchungen dar. Die anderen bedeuten Scheitern und das Ende deiner freien Existenz. Vermeide es, auch nur einer dieser drei Erscheinungen nahezukommen! Deshalb hat Jane Porter dich zu mir geholt. Deshalb habe ich dir diese Vision ermöglicht. Nun werde ich dich in dein Leben zurückbringen, damit du deine Aufgaben erkennen und erfüllen kannst. Denn wenn du darauf ausgegangen wärest, als Geist an meiner Seite zu sein, hätte ich die Zukunft niemals so sehen können. Also komm!"

Maries Geist griff Julius' feinstoffliches Abbild bei der Hand und zog es hinter sich her nach oben, durch die Decke in die Grabkammer und wieder hinaus vor das Grabhaus. Da lag Julius' Körper, regungslos wie eine Leiche. Jane Porter stand neben ihm, sah besorgt auf ihn. Dann wandte sie sich um. Julius' Geist-Ich lief silbern an, als Jane Porter es ansah und erfreut lächelte.

"Tritt bitte zur Seite, Jane, damit ich ihm in seine warme Hülle zurückverhelfen kann. Danach bringe ihn zu dir und sprich mit ihm, wenn er dies will!" Sagte Marie Laveau.

"Öhm, Mrs. Porter, ich wußte nicht ...", setzte Julius an, als Marie ihn ergriff, ihn mit den Füßen über dem reglosen Körper ausrichtete und dann unter merkwürdig gemurmelten Worten die Hände über ihn streichen ließ, bis er immer schwerer wurde und mit den Füßen voran in seinen Bauch stieß. Dann meinte er, hinten überzufallen, fühlte noch einen Klaps von Marie auf die Brust und schrak zusammen. Dann hörte er seinen Herzschlag, atmete keuchend ein und wieder aus. In seinen Gliedern kribbelte es wie eine Armee von Ameisen, als das Blut wieder zu zirkulieren begann. Er hatte seinen angestammten Körper wieder.

"Ui, was für ein Trip", sagte Julius als erstes mit seiner leicht kieksenden, immer tiefer werdenden Stimme. Maries Erscheinung nickte ihm zu und sagte noch:

"Zu Fragen, was mit deinem Vater geschehen ist und welche Schwester des Abgrunds ihn in ihrer Gewalt hat kannst du mit Jane Porter und den anderen Vertrauten sprechen. Denn dadurch, daß ich dich in mein Geisterreich geholt und wieder zurückgebracht habe, steht auch dir nun die Tür zu dem nach mir benannten Institut offen. Doch verrate niemandem außer denen aus dem Institut selbst, was ich dir geweissagt habe! Dein Schicksal würde sich unumkehrbar zum schlechten wenden. Die Götter und Geister des Friedens seien mit dir!"

Dann schwebte sie elfengleich zu ihrem Grabhaus. Julius hob den Linken Arm. Seine Weltzeituhr zeigte ihm, das es hier zwanzig Minuten nach zwölf Uhr Mitternacht war. In England war es schon zwanzig nach fünf. Jedenfalls hatte der 1. August 1996 angefangen. Doch Julius erschien es wie der Beginn einer neuen Zeitrechnung.

In einer Mischung aus dumpfer Furcht, Faszination, Verzweiflung und Verärgerung folgte er Mrs. Porter wortlos. Erst als sie den Besen erreicht hatten sagte er etwas zu ihr:

"Hätten Sie mir nicht früher sagen können, daß mein Vater irgendwas angestellt hat? Marie Laveau hat mir gerade ansatzlos hingeknallt, daß mein Vater Menschen ermordet hat und unter dem Einfluß einer dieser neun Abgrundstöchter steht. Nett, daß jetzt schon zu erfahren!"

"Julius, ich wollte es dir und Bläänch schon vor drei Monaten mitteilen. Aber wir vom Institut haben ein altes Abkommen mit dem Zaubereiministerium, nicht unsere eigenen Gesetze zu machen und uns Verordnungen zu unterwerfen. Außerdem haben wir einen magischen Eid schwören müssen, niemandem etwas zu sagen, von dem der Vorgesetzte nicht will, daß es erzählt wird. Bis jetzt sind wir gut damit zurechtgekommen", sagte Jane sichtlich erbost, weil Julius nichts besseres zu tun hatte als sie anzublaffen.

"Ach, Ihre gute alte Freundin Blääääänch weiß das also auch noch nicht. Ist ja genial! Dann weiß ich ja mal was, bevor die das weiß!" Versetzte Julius sehr spöttisch. "Da hat ein Muggel in England oder sonst wo eines dieser Dämonenmädchen geweckt und hängt jetzt irgendwie an der dran wie ein Zombie."

"Du glaubst also das, was Marie sagt?" Fragte Jane, um Julius aus dem Tritt zu bringen.

"Die Antwort paßt mit allem zusammen, was mir in den letzten Wochen untergekommen ist."

"Du meinst damit auch das, was du dir heute mit Brittany ohne meine Erlaubnis aus einer Muggelstadt geholt hast, junger Mann?" Fragte Jane Porter ohne Vorwarnung und klang dabei alles andere als freundlich.

"Ach, hat Ihnen das jemand schon gesteckt?" Fragte Julius unbeeindruckt. So wie er jetzt unter Dampf stand prallte diese Frage wirkungslos an ihm ab.

"Nein, das hat mir niemand gesteckt, wie du sagst. Aber danke für die Bestätigung!" Erwiderte Mrs. Porter amüsiert. Dann sah sie Julius sehr streng an, daß er jetzt sicher war, daß sie nicht nur die liebe, gute Großmutter sein konnte. Er verzog das Gesicht. Die Hexe hatte ihm eine Falle gestellt, und in seiner Wut war er voll hineingetreten.

"Und wenn schon?" Knurrte er trotzig. "Ich habe alles Recht der Welt, nachzuprüfen, was mit meinem Vater los ist, da meine Mutter es ja gut meinte und meinen Computer mit einem Kindermädchenprogramm abgeblockt hat. na, was sagen Sie jetzt?"

"Das in diesem Internet nicht nur gut verdauliche Dinge unterwegs sind, Julius", fauchte Mrs. Porter. "Allerdings konnte deine Mutter unmöglich wissen, was wirklich passiert ist", fauchte Mrs. Porter sehr gefährlich.

"Wenn Catherine das wußte, dann kann Mum es von ihr gehört haben. Ach neh, die weiß das ja nicht", gab Julius schnippisch zurück. Sein Ärger machte ihn irgendwie unerschütterlich, und dieser Gedanke berauschte ihn.

"Tatsächlich weiß sie es nicht. Was ich sagen wollte ist, daß sie nicht wollte, daß du dir zu heftige Gedanken machst, gerade wo du in Beauxbatons erst richtig Tritt gefasst hast. Dann kam ja noch die Sache mit den grünen Würmern. Wolltest du dir wirklich alles aufladen?" Stieß Mrs. Porter aus. Dann meinte sie etwas ruhiger: "Stimmt schon, Julius, daß nicht immer gut ist, was gut gemeint ist. Es wäre zumindest respektvoller gewesen, dir die Dinge zu erzählen, die in der Muggelwelt umliefen, allein schon damit dich die Muggelstämmigen nicht dumm anquatschen konnten. Wundere mich sowieso, daß das in Beauxbatons keinen interessiert hat."

"Wieviele Andrews' gibt es in der Welt?" Fragte Julius verbittert. "Allein Mein Name taucht ja schon häufiger im Internet auf, habe ich vor einem Jahr mal rausgekitzelt."

"Verstehe. Ich würde diese wichtige Unterredung mit dir gerne fortsetzen. Aber hier weiß man nie, wann jemand auftauchen könnte. Also sitz auf dem Besen auf! Vor mir, wenn ich bitten darf!"

Julius schwang sein Bein über den startbereiten Bronco. Er spielte mit dem Gedanken, der Hexe davonzufliegen. Doch der Blick, den sie ihm eben zugeworfen hatte hatte sehr gefährlich ausgesehen. Leicht keuchend schwang sich Mrs. Porter hinter ihm auf den Besenstiel, zog ihn beherzt an sich heran und führte seine Hände so, daß sie den Stiel vor Julius gut halten und buggsieren konnte. Dann stieß sie sich mit ihm ab und flog im Hui durch die Nacht zurück in den Weißrosenweg.

Mr. Porter und Gloria waren noch auf und saßen bei einer Schachpartie. Gloria sah Julius an und fragte ihn, wie es gelaufen sei und was er erfahren hatte. Doch ihre Oma legte ihm die Hand auf den Mund und sagte:

"Nur soviel, Honey, dein auch einmal verärgert auftretender Hogwarts-Schulfreund gehört jetzt zum Club der Zutrittsberechtigten für das Marie-Laveau-Institut. Demnach unterliegt alles, was er über die Begegnung mit Marie Laveaus Geist zu berichten hat unserem Institutsgeheimnis, solange es für die Öffentlichkeit nicht zu wichtig wird."

"Zumindest weiß ich jetzt, was mit meinem Vater ... Mmmmmmm", versuchte Julius, doch was rauszulassen. Doch Mrs. Porter hielt ihm wieder den Mund zu.

"Das ist jetzt nicht fair, Oma Jane", sagte Gloria. "Vor drei Stunden noch hast du es so gesagt, daß Julius ruhig erzählen kann, was er erlebt hat."

"Seit wann ist das Leben fair?" Fragte Mr. Porter zerknirscht. Mrs. Porter meinte dazu nur:

"Da wußte ich ja auch noch nicht, was sie ihm erzählt hat. Also, Julius, wir beide ziehen uns in mein Arbeitszimmer zurück. Und, meine liebe gloria, versuchst du noch einmal, mit diesen widerwärtigen Langziehohren meine Gespräche abzuhören, ziehe ich dir deine angewachsenen Ohren so lang, daß du dir damit im stehen die Füße schrubben kannst, und das meine ich verdammt ernst."

"Welche Langziehohren?" Fragte Gloria unschuldsvoll dreinschauend.

"Komm, Honey, werd' du nicht auch noch frech. Das steht aufgeweckten Jungen eher zu als anständigen Mädchen." Gloria zog einen Flunsch. " Ich meine die Dinger, von denen eins hinter Minister Pole und mir hergekrochen kam. Beleidige nicht meine Beobachtungsgabe und schon gar nicht meine Intelligenz, Mädchen! Ich weiß von Leuten, die in England waren, daß diese Lauschfäden von diesen Chaoten-Zwillingen verkauft werden wie andere Unarten auch. So, Monsieur Julius Andrews, wir beide werden uns jetzt in aller Ruhe und ungestört über deine Audienz um Mitternacht unterhalten", legte Jane Porter die Marschroute fest. Julius gähnte demonstrativ und meinte, er sei dafür zu müde.

"Dem helfe ich gleich ab. Ich bin auch müde, und in meinem Alter halte ich nicht mehr so gut durch wie ihr junges Gemüse. Livius, ich bleibe heute nacht auf. Ich wünsche dir eine gute Nacht."

"Ich glaube, ich kriege kein Auge zu bei der Stille, wenn du nicht neben mir schnarchst, Honey", feixte Mr. Porter mit breitem Grinsen.

"Ach, der Herr auch noch. Dann muß ich dich wohl zudecken, dir ein Gutenachtlied vorsingen und warten, bis der Sandmann dich besucht. Also, Livius, Gute Nacht. Und Gloria, wenn ich nachher ein auf mich ausgerichtetes Langziehohr finde, mache ich deine Ohren richtig schön lang. Am besten gehst du auch ins Bett."

"Besser ist das wohl", knurrte Gloria und verließ schmollend das Wohnzimmer. Dann bugsierte Mrs. Porter ihren hausgast durch eine Kellertür, hinunter zu einer Steinwand, die auf ihren Handabdruck hin auseinanderklaffte, sie durchließ und hinter ihnen wieder zusammenwuchs. Dann zauberte Mrs. Porter einen Klangkerker und holte aus einem Schrank Trinkbecher und eine große Flasche mit einer gelben, sirupartigen Flüssigkeit. Davon schenkte sie zwei Trinkbecher halb voll und gab Julius einen davon. Um ihm zu zeigen, daß sie ihn nicht vergiften wollte trank sie ihren Becher sofort auf ex aus. Doch Julius erkannte den Trank an Färbung und Geruch als Wachhaltetrank, den er erst vor etwas mehr als zwei Monaten benutzt hatte, um in der Bilderwelt von Hogwarts die Galerie des Grauens zu betreten.

"So, mal wieder etwas zivilisierter, Julius. Ich will dir nichts böses. Ich wollte es nicht vorher, will es jetzt nicht und will dir helfen, daß dir auch in Zukunft nichts böses zustößt", begann Jane Porter nun wieder sehr freundlich dreinschauend. Dann setzte sie sich hin. Julius setzte sich ihr gegenüber, vermied jedoch den direkten Blickkontakt.

"Bläänch hat dich wohl paranoid gemacht, was die Legilimentik angeht, wie? Sei's drum. Ich habe nicht vor, dich damit auszuforschen oder dir Veritaserum einzuflößen. Ich gehe nämlich davon aus, daß du das, was du erfahren und erlebt hast gerne jemandem erzählen möchtest, den du kennst und der die Zaubererwelt kennt. Da weder Bläänch noch Catherine gerade da sind, wie sieht das mit mir aus?" Julius grinste überrumpelt. Diese Hexe konnte von jetzt auf gleich von wütend auf zuckersüß umschalten. Das brach seinen Trotz, und er erzählte, was er erlebt und erfahren hatte. Dann holte er die aus dem Internet gezogenen Informationen aus seiner Bibliothek und besprach mit Mrs. Porter, was er von den Sachen zu halten hatte.

"Ja, dein Vater hat unter dem Einfluß Hallittis eine ganze Menge Unheil angerichtet. Wir glaubten sogar, Verbrecher hätten ihn getötet, weil er ihnen in die Quere gekommen war. Aber als dann eine viel zu große Anzahl Babysstarb waren mein Vorgesetzter Davidson und ich mir sicher, daß er noch lebt und er von ihr mit ganz frischer Lebenskraft versorgt werden mußte. Er liegt wohl jetzt irgendwo in einem unbevölkerten Gebiet herum und wird von ihr kultiviert, bis sie ihn loswerden kann."

"Warum hat sie ihn nicht umgebracht oder sterben lassen?" Fragte Julius.

"Weil das geknüpfte Band zwischen ihr und ihm sie dazu verdammt, sofort wieder in ihren magischen Tiefschlaf zu verfallen, wenn er stirbt. Selbst wenn sie bei seinem Tod alle restliche Lebensenergie aus ihm heraussaugen kann würde sie knapp eine Woche später gezwungen sein, sich in ihrem Versteck zur Ruhe zu betten. Du weißt doch einiges über diese Wesen, oder?"

Julius holte sein Buch über die düsteren Kreaturen aus der Centinimus-Bibliothek und schlug das Kapitel "Succubi, die Töchter des Abgrunds" auf. Dann sagte er kurz, was er gelernt hatte und ergänzte es durch einige Sätze aus dem Kapitel. Dann meinte Mrs. Porter:

"Natürlich ist dieses Thema etwas unzureichend behandelt worden, um Leute davon abzuhalten, sich mit diesen Wesen anzulegen. Aber wir beide werden nachher ins Institut fliegen und uns da die Bibliothek vornehmen, sofern Davidson davon nichts mitbekommt. Denn der ist sehr stark auf Poles Linie und würde deine Gedächtnismodifikation verlangen, wenn er das rausbekäme. Aber das habe ich nur einmal toleriert, weil es da um eine Muggelfrau ging, die bei der Sache mit diesem Freudenhaus bei Muddy Banks dabei war." Das war für Julius ein Stichwort, etwas anderes zu erwähnen, was ihm am Nachmittag schon Angst gemacht hatte.

"Ich habe in San Rafael im Bus mithören können, wie jemand auf Französisch mit wem telefoniert hat, der eine Mutter und einen Sohn aus einem verhexten Haus in der Rue de Liberation 13 holen sollte, weil irgendein Big H die übermorgen in Philly haben will. Ich fürchte, nachdem zeug hier", wobei er auf den Papierstapel deutete, "Daß die Leute von einer Verbrecherbande sind."

"Hmm, da könnte was dran sein", grummelte Mrs. Porter. "Kannst du diesen Mann beschreiben, den du beobachtet hast?" Fragte Mrs. Porter. Julius nickte und beschrieb ihn so genau er sich erinnern konnte. Dann sagte Mrs. Porter:

"Gut, das klären wir dann auch im Institut. Solange diese Leute nicht mitbekommen haben, daß ihr in den Staaten seid, seid ihr sicher. Noch mal zu deiner Zukunftsvision. Hast du wirklich vier verschiedene Wesen gesehen?"

"Ja", sagte Julius.

"Das klingt merkwürdig und alles andere als erfreulich."

"Ja, aber ich denke, das waren eher Vorstellungen, keine echten Bilder aus der Zukunft", vermutete Julius, der sich nicht vorstellen konnte, was eine Frau mit Zwillingen und dieses Echsenmonster mit ihm zu tun haben mochten. "Sie sagte, die Wege, die mir offenstünden liefen auf diese vier Möglichkeiten hinaus."

"Von denen nur die, wo du dich als erwachsenen Mann sehen würdest die für dich angenehmste sei", raunte Mrs. Porter. Julius nickte. Dann sagte sie unvermittelt: "Marie hat dir auch von der Schlange und der Spinne erzählt, sie aber als Figuren und nicht als Bezeichnungen für bestimmte Gruppen erwähnt?"

"Ja, hat sie", sagte Julius.

"Verstehe. eine ähnliche Voraussage hat im Oktober schon mal jemand gemacht. Da ist also was dran", grummelte Mrs. Porter.

"Die Schlange könnte Voldemort sein", rutschte es Julius heraus, kaum daß es ihm zu Bewußtsein gekommen war. Mrs. Porter nickte.

"Ja, das Heer der Schlange, formiert unter dem Mal der aus dem Schädel züngelnden Schlange. Auf der anderen Seite die Spinne, wohl auch ein Symbol für eine Gruppe. Nach der anderen Voraussage kämpft die Spinne gegen die Schlange, ist aber nicht unbedingt friedvoller. Dann hat Marie recht, daß sie dich zu sich zitiert hat. Offenbar wirst du irgendwann der einen oder der anderen Gruppe begegnen."

"Und was ist mit diesen Teilen der Macht aus Atlantis?" Wollte Julius noch wissen.

"Wenn diese Haube von Darxandria nicht aufgetaucht wäre hätte ich jetzt glatt gesagt, ein Zaubererweltmärchen. Aber irgendwo steht, es habe in der letzten Ära des versunkenen Kontinentes einen heftigen magischen Krieg gegeben, bei dem verschiedene mächtige Zaubergegenstände benutzt wurden. Diese seien den drei Gewalten, dem Licht, den Elementen und der Dunkelheit gleichermaßen dienstbar gewesen. Wieviele es davon gab, wo sie jetzt liegen könnten und vor allem ihre Fähigkeiten sind mir noch nicht bekannt. Ich fürchte, die gute Oma Jane wird in den nächsten Monaten häufiger in der Bibliothek des Institutes sitzen als im betrunkenen Drachen", seufzte Jane Porter.

"Kommt mir irgendwie bekannt vor, verschüttete Gegenstände der Macht wie Saurons Meisterring oder das Schwert des toten Gottes oder sowas", meinte Julius. Doch dann erkannte er mal wieder, daß in manchen erfundenen Geschichten ein gewisses Körnchen Wahrheit stecken mochte und daß die Wirklichkeit die Märchenwelt doch schon übertraf.

"Die Geschichte von Sauron, den man auch den dunklen Lord genannt hat, ist mir geläufig, gerade wenn ich mit muggelstämmigen Aspiranten zu tun bekommen habe", sagte Mrs.Porter und deklamierte:

"Ein Ring, sie zu knechten,
sie alle zu finden,
ins dunkel zu treiben
und ewig zu binden."

"Genau. Malcolm fuhr voll auf diese Geschichte ab", grinste Julius und nickte Mrs. Porter anerkennend zu.

"Nun, du hattest diese Haube auf, wie ich weiß. Auch wenn der französische Zaubereiminister das zur Geheimsache erklärt hat und unser werter Mr. Pole die Ankunft der Tochter des dunklen Feuers. Fünf Stunden darf man sie tragen. Danach holt einen der Wahnsinn ein. Wer weiß, weshalb diese Vorkehrung in dieses Artefakt eingearbeitet wurde? Aber jetzt wollen wir uns nicht länger über Dinge unterhalten, die wir beide nicht gut genug kennen und verstehen! Wir werden sofort ins Institut aufbrechen und uns da genauer kundig machen!" Dann sammelte sie die von Julius beschafften Unterlagen wieder ein und gab sie ihm zurück. "Was würdest du jetzt damit machen?" Fragte sie.

"Ich würde die vielleicht nach Millemerveilles schicken."

"Und ausprobieren, ob Bläänch noch wütender sein kann als ich?" Erwiderte Mrs. Porter erst amüsiert. Dann setzte sie ernst fort: "Sie würde die Lage für deinen Vater nicht verbessern. Andererseits muß ich mich jetzt schon auf ein gehöriges Donnerwetter einstellen, wenn sie es doch über irgendwelche Ecken erfahren sollte. Drei Tage, Julius. Gib uns drei Tage! Dann schickst du diese Unterlagen zu ihr! Ich werde Brittany und meine netten Enkeltöchter Mel und Myrna nicht auf die Sache ansprechen, wenngleich ich Brittany für verantwortungsbewußter gehalten hätte."

"Ich habe sie bequatscht", sagte Julius ritterlich.

"So nicht, Julius", lachte Jane Porter. "Umgekehrt ist es entschuldbarer, wenn ein älteres Mädchen einen Jungen zu irgendwas anstiftet, was er nicht überblicken kann. Aber wenn ein jüngerer Junge behauptet, eine fast erwachsene Frau zu Dummheiten verleitet zu haben, tut er der Dame damit keinen Gefallen. So brechen wir auf", sagte sie.

"Moment, bevor wir jetzt losziehen", wandte Julius ein, als Mrs. Porter die Wand wieder öffnen wollte. "Wer zum Henker ist denn vom FBI als Richard Andrews gefunden und im Zeugenschutzprogramm untergebracht worden? Der muß ja so ausgesehen haben wie mein Vater und vor allem alle Sachen gewußt haben, die mein Vater weiß, zumindest die, von denen er anderen erzählen darf."

"Ein Mitarbeiter des Zaubereiministeriums, ein richtiger Verwandlungskünstler, Julius. Den Namen mußt du nicht wissen. Pole hat ihn persönlich engagiert, den Muggeln deinen Vater vorzuspielen, da die Lage in der Muggelwelt immer kritischer wurde. Und ja, Minister Pole hat ihm wohl genug Wissen an die Hand gegeben, um mit deiner Mutter zu telefonieren oder anderweitig Kontakt aufzunehmen."

"Ist voll dreist von Ihrem netten Zaubereiminister, daß der einfach jemanden aussucht, der wen anderen spielen soll, weil der echte nicht gefunden werden darf", knurrte Julius verärgert. Dieser Minister Pole, was er sonst auch für ein fähiger Zauberer sein sollte, hatte schon bei ihm verspielt, bevor er ihn überhaupt gesehen hatte. Ja, und dieser Kerl wollte ihm ja auch nichts erzählen, was mit seinem Vater passiert war. Daß Mrs. Porter da mitgespielt hatte, nahm er ihr zwar immer noch krumm, konnte aber nichts anderes tun als ihr hier und jetzt zu vertrauen, daß sie ihm jetzt die volle Wahrheit erzählte.

"Nun, Julius, ich hatte wie gesagt vor, dir und deiner Mutter alles zu erzählen. Aber ich fand keine Gelegenheit und auch keinen richtigen Zeitpunkt dafür", sagte Mrs. Porter, die wohl merkte, daß Julius ihr noch nicht so recht verziehen hatte. Dieser nickte schwerfällig. Sie hatte ja blöderweise recht. Wenn sie ihm im März erzählt hätte, sein Vater sei ein Massenmörder geworden, hätte er ihr das nicht geglaubt oder wäre total depremiert gewesen. Wenn sie ihm das gerade nach der Sache mit den grünen Würmern erzählt hätte, hätte er wohl die Prüfungen vergeigt und sich Ärger mit Professeur Faucon & Co. eingehandelt. Sein Vater wäre dadurch nicht besser dran gewesen. Er grinste, wenn er daran dachte, daß Kevin ihm vorgehalten hätte, er sei zu eierköpfig, daß er dies gerade einsah. Dann meinte er noch, wenn sie ihm nicht sagen dürfe, wer dieser Verkleidungskünstler war, dann könne der ihm auch gestohlen bleiben. Mrs. Porter verzog etwas das Gesicht. Dann sagte sie ruhig:

"Was deinen Vater angeht werden wir das jetzt nachprüfen. Ich hoffe Maries Weissagung trifft nicht im vollen Umfang zu, jetzt wo wir uns darauf einstellen können." Dann öffnete sie die Wand, worauf der Klangkerker erlosch.

Leise stiegen sie die Treppen wieder hinauf. Kein fleischfarbenes Stück Schnur war zu sehen. Sie verließen das Haus, das sich hinter ihnen wieder verriegelte. Sie gingen einige Dutzend Schritte, bevor Mrs. Porter sagte:

"So, Honey, halt dich bitte gut an meinem linken Arm fest. Machen wir das halbe Dutzend voll."

Julius verstand. Sie wollten nicht fliegen, sondern apparieren. Doch das war erst das fünfte mal. Dann grinste er. Sie mußten ja auch wieder zurückkommen. Er griff vorsichtig den linken Arm der Hexe, hielt sich dann etwas stärker fest. Dann gab es einen Knall, und die beiden waren verschwunden. Nur ein wenig Staub rotierte über der Stelle, wo sie eben noch gestanden hatten.

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