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Julius Andrews - Auf seinem Weg in die Zaubererwelt von Thorsten Oberbossel

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Heilerin Merryweather weckte Julius um fünf Uhr morgens Pazifischer Zeit des vierten Augustes und half ihm mit Haarabtrennzaubern beim Stutzen des Vollbartes und rieb ihm Gesicht und Stirn mit einer Anti-Akne-Lotion ein. Er betrachtete sich wieder im Spiegel. Von den Gesichtszügen eines Jungen war jetzt nichts mehr zu erkennen. Julius dachte sogar an ein Jugendfoto seines Vaters, das er bei seinen Großeltern häufig gesehen hatte. Doch die Augen stammten wohl doch eher von seiner Mutter, ebenso die Form der Nase.

"Ist schon unheimlich, wenn man in einer halben Minute zwei Jahre älter wird und wer anders dafür um siebenunddreißig Jahre jünger", sagte Julius mit einer nun krächzfreien, mittelhohen Tenorstimme, die wohl noch richtig ausgetestet werden mußte.

"Du weißt wirklich nicht, wer dir diesen Temporipactum-Zauber beigebracht hat?" Wollte die Heilerin wissen.

"Mir fällt keiner in dem Zusammenhang ein. Vielleicht hat den jemand bei mir so ins Gedächtnis geschmuggelt, daß ich den zwar bringen kann, aber nicht weiß, wie ich mir den eingefangen habe. Vielleicht muß ich aber ein bestimmtes Codewort hören, damit mir das auch wieder einfällt."

"Mag sein. Auf jeden Fall hat wer immer ihn dir implantiert hat die Nebenwirkungen mit erinnern lassen", erwiderte die Heilerin etwas ungehalten, wohl weil Julius ohne große Vorwarnung mit diesem übermächtigen Zauber konfrontiert worden war. Dann meinte sie: "Was deinen Vater angeht, so ist es für ihn wohl noch heftiger ausgegangen. Professeur Faucon hat seinen Geist erforscht, möchte es dir aber selbst erzählen, was dabei herumgekommen ist. Wir frühstücken im Büro von Professor Wright."

"Geht klar", sagte Julius und zog seine nun etwas zu eng und kurz geratenen Sachen an. Madame Merryweather gab ihm noch einen lindgrünen Umhang mit sieben kleinen Schließen, von denen vier vergoldet und die restlichen drei silbern waren.

"Huch, ich bin doch hier kein Schüler", sagte Julius irritiert. Mel und Myrna hatten ihm erzählt, wie die Thorntails-Schulumhänge aussahen. Pro erreichter Klassenstufe wurde von oben nach unten eine Schließe vergoldet.

"Wer als minderjähriger Zauberer in das Büro von Prinzipalin Wright eintritt, muß gemäß der Bekleidungsordnung von Thorntails angezogen sein. So steht es in den Schulregeln", erwiderte Heilerin Merryweather und ließ mit einer von oben nach unten gleitenden Zauberstabbewegung alle Sieben Schließen einhaken. Dann folgte der Junge der Heilhexe. Julius kam sich so vor, wie an den vier ersten Novembertagen, wo er einen ähnlich großen Körper gehabt hatte. Allerdings kam er mit dem, den er jetzt hatte wohl besser klar. Nun, den würde er jetzt auch nicht mehr los, es sei denn, er ließ sich auf ein zweites Infanticorpore-Experiment ein. Er fragte die Heilerin, ob man das damit korrigieren könnte.

"Nein, nicht auf den Zustand, den du vor deinem Wahnsinnszauber gehabt hast. Ich müßte für die Rückverwandlung tatsächlich Körperzutaten für einen sechzehnjährigen verwenden. Professeur Faucon hat mich nämlich über die Natur dieses Zaubers orientiert. Wer dich also jetzt infanticorporisieren würde, bekäme dich mit deinen natürlichen Altersangaben nicht mehr hin. Du müßtest also völlig neu aufwachsen", erwiderte die Heilerin mit einem gewissen Unbehagen.

"Ja, aber meinen Vater können Sie wieder normalisieren?" Fragte Julius.

"Dazu möchte dir Professeur Faucon was sagen. Ich werde nur dann was dazu sagen, wenn sie dir ihre Neuigkeiten mitgeteilt hat", wehrte Madame Merryweather diese Frage ab. Julius traf das wie ein Stromstoß. Was hatte Catherines Mutter herausgefunden? Immerhin war sie eine Expertin für den Infanticorpore-Fluch, wie Julius aus eigenster Erfahrung wußte und es indirekt auch von Joe Brickston mitbekommen hatte.

Gröhlender Gesang scholl durch das Gebäude, daß Julius nur flüchtig und von einer schwebenden Trage aus gesehen hatte. Es klang wie das fröhliche, leiernde Lied eines Zechbruders, der sich darüber freut, ein großes Fest gefeiert zu haben.

"Aha, Sebastian ist auch schon unterwegs", grummelte Madame Merryweather. "Scheint ihm nicht entgangen zu sein, daß wir hier etwas mehr Leben als üblich haben."

"Sebastian?" Fragte Julius verdutzt. Dann drang ein perlweißer Kopf mit zerzaustem, durchsichtigen, dunklem Haar durch eine Wand, gefolgt von einem heftig schwankenden Körper. Das war der Sänger, erkannte Julius, als er den ziemlich heftig dahertorkelnden Geist in zerrissen wirkender Kleidung genauer ansah. Sein Gesicht zierte eine große, silberne Nase, und seine Augen blickten glasig umher. In der rechten Geisterhand hielt er einen Humpen, der aussah wie aus Rauch.

"Hallo, hicks! Wiehie gehss'n soo - hicks - Schschswester Merry?" Lallte das besoffen wirkende Gespenst und lachte laut und rauh. Julius vernahm einen leichten Dunst Alkohol von dieser Erscheinung.

"Auf jeden Fall besser als dir, alte Saufnase", quäkte es aus einem Wandschrank. Dann flog ein Kopf mit einer silbernen Lockenmähne und einer noch größeren Nase als der Säufergeist sie hatte durch die geschlossene Tür und segelte laut juchzend vor Julius' Füße. Er erschrak, was den körperlosen Kopf laut lachen machte.

"Darf ich vorstellen, Sebastian Cork, genannt Sebastian der Säufer und zumindest das, was am meisten an ihm lästig ist, Buffino der Gruselclown", rief Madame Merryweather. Das betrunkene Gespenst lachte ölig und hickste laut und durch das ganze Gebäude hallend, während der Clownskopf schrill und fies lachte, bis ein kopfloser Körper im Flickengewand mit viel zu großen Schuhen durch die Schranktür drang und mit beiden Armen wedelte.

"Das haben mir die Redlief-Mädchen nicht erzählt", sagte Julius. "Ich dachte, hier gäbe es keine Geister."

"Das ist wohl ein Gesetz der Geisterwelt, daß solche, die nicht an einen bestimmten Ort gebunden sind, dorthin ziehen, wo eine vielfältige Magie wirkt!" Rief die Heilerin, während Sebastian, der Säufer, gerade ein lateinisches Sauflied anstimmte. Zumindest meinte Julius, es ginge ums fröhliche Zechen, weil der Geist seinen nebelhaften Trinkbecher immer wieder hob und ansetzte, als sei was leckeres darin. Nervigerweise begann der geköpfte Clown seinen fies lachenden Schädel wie einen Ball zu jonglieren, wobei der Kopf immer wieder "Hui, Hui, Hui!" rief. Einmal verschwand der abgetrennte Kopf durch die Decke. Buffino, oder wie der kopflose Clown hieß, wollte schon hinterher, als sein nun einen Stock höher herumspukender Kopf laut ausrief: "Uuuaaaah, die griesgrämige Hilda!!"

"Oh, die ist bestimmt wieder sehr angenervt", klang Buffinos Stimme jetzt aber irgendwie hohl aus dem Hals des Geisterclowns.

"Buffino und Sebastian haben ständig Streit mit Hilda, einem anderen Geist, so wie Schwester Sabrina", sagte die Heilerin, Während Buffino durch die Decke verschwand und der Säufer sich einfach vorne überfallen ließ und mit einem lauten Rülpser durch den Fußboden fiel. Keine Sekunde später segelte der Geist einer Frau in einem grauen, gemusterten Wollkleid herunter. Die Erscheinung war klein und rundlich und trug ihr silbernes Haar zu einem strengen Knoten und zeigte den beiden Lebendigen ein gutmütiges, rundes Gesicht. Sie trug unter dem linken Arm ein durchsichtiges Wollknäuel, in dem Stricknadeln steckten und unter dem rechten Arm Buffinos Kopf, der jetzt gerade mal nicht lachte, sondern ziemlich verärgert umherstarrte.

"Ist dieser kopflose Kerl wieder lästig gefallen, Madame?" Fragte die Geisterfrau mit strenger Stimme.

"Das übliche, Hilda", sagte die Heilerin nur. Buffinos Körper stürzte aus der Decke und rief aus dem Bauch heraus: "Gib mir meine Rübe wieder, du blöde Pomeranze!"

"Ja, genau, gib mich wieder her!" Quäkte der Geisterkopf.

"Nein", sagte Hilda. "Du hast heute genug Unfug damit getrieben." Dann sah sie Julius an und nickte ihm zu. "Du bist keiner von hier, wie? Jedenfalls hältst du was von gutem Aussehen." Dann ging sie energisch durch die Schranktür, verfolgt vom kopflosen Clown.

"Nun, da du drei unserer Schulgeister gesehen hast, können wir wohl zu den Lebendigen, die auf uns warten", trieb Madame Merryweather Julius an. Er nickte zustimmend und folgte ihr weiter.

Sie hielten vor einer Wand mit einer Nixe aus blauem Stein und einem Drachen aus glitzerndem, rotbraunen, porösen Gestein. Julius ging davon aus, daß die Heilerin jetzt ein Passwort sprechen mußte. Doch sie kniete sich nur hin, legte der Nixe die linke Hand auf die Schwanzflosse und dem Drachen die rechte Hand auf den gespickten Schweif. Dann durchlief ein Zittern ihren Körper, und die beiden Standbilder rückten auseinander und gaben einen rundbogenförmigen Durchgang frei. Dann stand die Heilerin wieder auf und winkte Julius, ihr zu folgen. Kaum war er geduckt durch den Eingang geschlüpft, knirschte es hinter ihm, und von dem Durchgang war nichts mehr zu sehen. Dafür standen sie nun in einem zylindrischen Raum, der auf Julius den Eindruck machte, eine fünfzig Meter hohe und fünf Meter breite, innen ausgehöhlte Wachskerze zu sein. Die Wände leuchteten aus sich selbst heraus im warmen weißgelben Licht und sahen wirklich so aus wie große, mit purem Gold aufgefüllte Bienenwaben. Nach oben hin verjüngte sich der hohe Raum und schien in einen gläsernen Docht zu münden, der gerade breit genug war, das drei normalgroße Erwachsene nebeneinander hindurchpassten. Doch wo war die Treppe? Oder mußte man in den Waben immer weiter hinaufsteigen?

"Hui, das sieht aber schön aus", sagte Julius. "aber schön aus - schön aus - aus" kam seine Stimme von oben zurück.

"Der Wachskerzenturm, Julius", flüsterte Madame Merryweather, um nicht auch ein Echo zu erzeugen. "Er symbolisiert die Verschmelzung von Arbeit, Wissen, Licht und Natur. Es wurden eine halbe Tonne verschiedener Wachsarten, Katzengold und verschiedenes Mehr darin verbaut."

"Müssen wir da hinaufsteigen?" Flüsterte Julius wie in einer Kirche.

"Das erledigt der Turm für uns", sagte Madame Merryweather. "Tritt bitte neben mich genau in die goldene Wabe in der Mitte und bleib ganz ruhig, was dir immer geschieht!"

Julius nickte und stellte sich neben die Heilerin. Kaum standen sie, meinte er, der Boden würde sacht vibrieren. Doch er hörte kein Geräusch.

"Lucem Scientiae!" Sprach Hygia Merryweather laut. Diesmal kehrte kein Echo zurück. Stattdessen erstrahlte das hexagon in dem sie standen und bildete eine sechswändige, rotgoldene Lichtsäule bis zur gläsernen Spitze. Dann verlor Julius unvermittelt den Boden unter den Füßenund stieg wie ein praller Wasserstoffballon nach oben. Er strahlte. So hatte er sich die Benutzung eines Antigravitationsaufzuges vorgestellt, wie er in Geschichten über Außerirdische und zukünftige Welten häufig vorkam. Madame Merryweather war neben ihm. Fahrtwind fegte an ihnen vorbei, bis sie nach nur vier Sekunden Flug durch die gläserne Röhre schnellten und vor einer Eichenholztür mit einem goldenen Relief des fünfzackig geschwänzten Drachens in der Luft stehenblieben. Mit leisem Klapp schloß sich eine schwere Luke zehn Zentimeter unter ihnen. Die sechsswändige Lichtsäule erlosch, und die Heilerin sowie der Zauberschüler standen sicher auf der Luke, die nun so massiv war wie gemauerter Boden.

"Hui, sowas wollte ich schon immer mal ausprobieren", sagte Julius und schluckte kurz, um den leichten Druckunterschied in den Ohren wieder wegzukriegen.

"Das hat dir Spaß gemacht, wie?" Sagte die Heilerin lächelnd und tätschelte ihm die Wange. Julius nickte. Die Zaubererwelt war besser als jeder Rummelplatz und echter als jede Weltraumgeschichte. Doch das es auch böse Ungeheuer gab, wußte er nicht erst seit der Nacht in der Wüste nur zu gut.

"Kommen Sie bitte herein, Hygia und du auch, Julius!" Rief Professor Wright hinter der Tür. Diese tat sich einladend auf.

"Guten Morgen!" Wünschte Madame Merryweather. Julius grüßte auch. Ein runder Tisch stand im Zentrum des wabenförmigen Raumes. Julius sah meterhohe Fenster an drei der sechs Wände und zwei weitere Türen, eine rote und eine weiße. Ein sonnengelber Teppich bedeckte den Boden, und der runde Tisch in der Mitte war mit einer blütenweißen Leinendecke, die fast bis zum Boden reichte bezogen. Frühstücksgeschirr stand schon da, und auf hochlehnigen Stühlen saßen die Professoren Wright, Verdant und Bullhorn, sowie Madame Faucon und Catherine. Julius sah noch zwei freie Stühle. Als er endlich die Erlaubnis bekam, setzte er sich links neben Catherine, rechts von Professor Wright, die ihn großmütterlich anstrahlte.

"Meine Kollegin Faucon hat recht. der Thorntails-Umhang steht dir auch sehr gut", sagte die Korpulente Schulleiterin, die in ein langes, rosarotes Kleid mit Rüschen gehüllt war. Julius bedankte sich für dieses Kompliment und setzte sich hin.

Zwar wollte er sofort wissen, was nun geschehen würde und was mit seinem Vater so merkwürdig sei. Doch die Schulleiterin verbat sich dieses Thema vor dem Frühstück.

"Du bist immer noch im Wachstum und hast jetzt ein noch größeres Nahrungsbedürfnis, Julius. Erst einmal wird gegessen, und dann gesprochen."

Das war das Stichwort für mehrere Kannen, zwei Tabletts und eine Karaffe mit Orangensaft, aus dem Nichts heraus auf dem Tisch zu erscheinen. Julius wußte, daß es sehr unklug wäre, sich über Professor Wrights Anweisung hinwegzusetzen und aß zusammen mit den anderen das reichhaltige amerikanische Frühstück. Dann griff die Gastgeberin einfach in die Luft und senkte sie mit einer zusammengerollten Zeitung in den Fingern. Konnte sie Dinge ohne Zauberstab aus dem Nichts holen?

"Das ist Luxus, Julius. Was ich in diesem Raum in den Händen halten oder auf dem Tisch haben möchte, wird von anderer Stelle heraufteleportiert", sagte die Schulleiterin ruhig. Hatte sie Julius Gedanken gelesen? Er sah sie an. Durch ihre silberne Brille sah sie ihn mit ihren grauen Augen sehr warmherzig an, als wäre sie keine wichtige Hexe, sondern nur eine nette alte Tante, die sich freute, ihren quirligen Neffen zu umsorgen.

Das ist der Herold von heute", sagte sie und entrollte die Zeitung. "Womöglich steht nichts über Mrs. Porters Prozess drin. Aber vielleicht doch was mehr über die heftigen Auswirkungen der Schlacht zwischen dieser Abgrundstochter und den ominösen Hexenschwestern." Sie reichte Julius die Zeitung weiter, der kurz das Inhaltsverzeichnis las und dann über das magisch bewirkte Erdbeben las, daß die Muggel nun glaubten, ein unterirdischer Holraum sei zusammengebrochen. Über den Blitz und den Feuerball wurde nur geschrieben, daß es wohl ein unkontrolliert freigesetzter Elementarzauber war, der von einer Gruppe Magier, die dabei wohl getötet wurden, gebündelt und dann unhaltbar losgegangen sei.

"Schön verschleiert", knurrte Julius. "Wie soll dieser Minister Pole auch zugeben, daß da mal eben ein supermächtiger, uralter Zauberkrug voller geklauter Lebensenergie explodiert ist, wie auch immer die das angestellt haben."

"Das ist wohl deren Geheimnis", sagte Professor Wright. Julius gab die Zeitung an Catherine weiter, die sie ungelesen ihrer Mutter weiterreichte, die sie dann ausgiebig studierte. Dann sah sie Julius an und setzte ihre gewohnte ernste Miene auf.

"Julius, ich fürchte, die Ereignisse in der Nacht zum dritten August haben deinen Vater doch nachhaltiger betroffen als wir annahmen. Professor Verdant", sie deutete kurz auf die Kräuterkundelehrerin, "hat deinen Vater ja in ihre Obhut genommen. Sie sagte mir, daß er sich genauso verhalte wie ihr gerade zwei Monate alter Sohn, ja sogar hinter dessen Entwicklung zurückliege. Ich habe daraufhin deinen Vater legilimentisch erforscht und festgestellt, daß in seinem Geist nichts mehr von dem übrig ist, was er bisher erlebt hat. In ihm steckt der Geist eines gewöhnlichen Neugeborenen, frei von den Erinnerungen und Erfahrungen eines erwachsenen Mannes. Erst fürchtete ich, seine Seele sei wohl doch der Abgrundstochter zum Opfer gefallen. Doch weitere Untersuchungen, die ich zusammen mit Heilerin Merryweather durchführte zeigten, daß seine Lebensenergieform auf eine ungeschädigte Seele deuten läßt. Offenbar ist durch den Infanticorpore-Fluch und Hallittis Vernichtung jede Erinnerung vom Zeitpunkt der Geburt an ausgelöscht worden. Er ist also nicht nur körperlich verjüngt worden, sondern auch geistig."

"Dann kann er nicht mehr zurückverwandelt werden?" Fragte Julius nun ziemlich heftig betroffen. Er hatte geglaubt, sein Vater habe sich mit der ihm angeborenen Intelligenz und wiedergekehrten Vernunft darauf eingelassen, bis zur glücklichen Rückverwandlung wie ein Baby zu leben. Wenn sein ganzes Wissen, alles, was ihn zu Doktor Richard Andrews gemacht hatte, ausgelöscht war, dann war er doch nicht befreit sondern nur einen umgekehrten Tod gestorben, nicht zur Leiche, sondern zum Neugeborenen ohne Persönlichkeit geworden.

"Nein, Julius, so tief dich das jetzt treffen muß", sagte Madame Faucon sehr bedrückt, hielt Julius dabei aber mit gewohnt willensstarkem Blick im Auge. "Um Infanticorpore aufzuheben muß im verfluchten Körper ein bereits entwickelter Geist mit allen guten und schlechten Erlebnissen und Eigenschaften wohnen. Ihn jetzt zurückzuverwandeln hieße, einen Mann so hilflos wie einen Säugling zu erschaffen, falls der Rückverwandlungszauber überhaupt angeschlagen hätte. Das einzig gute daran ist, daß er wohl eine intakte, unversehrte Seele besitzt, die sich neu entfalten kann."

"Aber als diese Hexe den Fluch auf ihn gelegt hat hat er doch verdutzt dreingeschaut", sagte Julius. "DA hat er wohl noch gemerkt, was mit ihm passiert ist."

"Wir vermuten auch, daß er seine Erinnerungen behalten hätte, wenn er Zeit gehabt hätte, sich seelisch von Hallitti freizumachen. Das hätte vielleicht nur wenig Zeit gebraucht und wir hätten gute Chancen, ihn zurückzuverwandeln", sagte Madame Faucon. "Aber die rasch auf den Fluch erfolgte Auslöschung Hallittis hat diesen Prozess zerstört und Geist und Seele auf den augenblicklichen Zustand seines Körpers reduziert. In seinem noch nicht erwachten Bewußtsein existieren nur Hunger, Wärme, Kälte und Angst vor dem Alleinsein."

"Dann haben diese Hexen meinen Vater nicht befreit, sondern endgültig getötet", schnaubte Julius. Doch was hatte er selbst immer wieder gedacht, sobald der greisenhafte Mann, der wie sein Vater in sehr späten Jahren aussah ihm gegenübergetreten war? Er hatte sich immer wieder eingeredet, daß sein Vater schon tot sei, weil er wirklich alles verloren und vergessen hatte, was seinen Vater früher ausgemacht hatte. Mrs. Porter hatte ihm im Institut erläutert, daß man bei der Loslösung von Abhängigen der Töchter des Abgrundes nicht von Befreiung, sondern nur Erlösung sprechen könne. Ja, erlöst worden war sein Vater wohl. Seine Seele hatte ihren Frieden, wenn nicht im Himmel, so hoffentlich wieder auf Erden.

"Was schlagen Sie vor", sagte Julius, der gegen die Tränen und den immer schwereren Bleiklumpen im Magen ankämpfte.

"Ich könnte deinen Vater zwar wie meinen Sohn aufziehen. Aber er würde als Muggel in unserer Welt einen ähnlichen Stand haben wie ein Gelähmter, Taubstummer oder Blinder", sagte Professor Verdant. "Ich meine, ich könnte ihm beibringen, damit zu leben, doch ob es ihm gerecht wird, kann ich nicht sagen, zumal er dann wohl in Schulen für Muggel gehen müßte und die Kinder dort ihn wohl piesacken, wenn er behauptet, seine Pflegeverwandten seien Hexen und Zauberer. Deshalb haben Professeur Faucon und ich uns überlegt, daß wir ihn weit von allem, was in seinem früheren Leben war unterbringen und aufziehen lassen."

"Das ist heftig", schluchzte Julius, über dem nun alles einstürzte, wo er den endgültigen Preis für seine und seines Vaters Freiheit vorgeknallt bekommen hatte.

"Es tut mir Leid", sagte Madame Faucon, während Catherine Julius sanft in den Arm nahm und zärrtlich an sich zog.

"Diese Situation ist sehr schwer zu ertragen", sagte Professor Wright. "Einen Vater zu beerdigen und einen Ort zu kennen, an dem man ihn besuchen und sich an ihn erinnern kann ist einfacher. Aber die Werteordnung unserer Welt verbietet es, ein menschliches Wesen zu töten, sobald es entstanden ist. Doch Silvana hat recht. Selbst wenn sie ihn wohl gut mit Pyrus aufziehen kann. Aber er würde von Anfang an ein Fremdling sein, erst für andere und dann für sich selbst. Deshalb ist es wohl besser, ihn in einer reinen Muggelfamilie unterzubringen, die ihm einen neuen Namen und ein neues Leben geben kann. Das wäre eine echte Befreiung von dem, was ihn fast zu Grunde gerichtet hat. Wie siehst du das?"

Julius fühlte immer noch die Tränen über seine Wangen rollen. Doch diese Leute hier wollten jetzt von ihm wissen, was er davon hielt, daß sein Vater nicht mehr sein Vater sein konnte, ihn schlicht weg vergessen hatte. Dann fragte er Catherine:

"Könnte er nicht bei dir bleiben, Catherine?"

"Habe ich auch schon überlegt, Julius. Aber ich könnte das Joe und Babette nicht begreiflich machen, wo ich auf einmal einen kleinen Jungen hergenommen habe und warum es meine Pflicht sein sollte, ihn aufzuziehen. Außerdem würden deine Mutter und du ihn dann andauernd sehen und ihn ohne es zu wollen so heftig verwirren, daß er wohl kein geordnetes Leben führen könnte", seufzte Catherine. Dann fragte sie noch: "Oder kannst du mit Sicherheit ausschließen, daß du ihn wie einen X-beliebigen Jungen ansehen und ihn auch so behandeln wirst? Ich kann es für mich selbst nicht ausschließen."

"Du meinst, ich könnte es nicht vertragen, ihn in den Ferien oder später immer wieder zu sehen, und daß er irgendwann erkennt, wie ähnlich wir sind. Ich könnte ihn nicht als Bruder annehmen, weil Mum mit Sicherheit genauso heftige Probleme damit bekäme. Aber wenn wir ihn jetzt einfach irgendwem geben, der nicht weiß, was er früher war, was erzählen wir dann unseren Verwandten?"

"Dies zu arrangieren dürfte uns sehr leicht fallen. Allerdings müßte Minister Pole da mitspielen, was sehr zu bezweifeln ist", seufzte Madame Merryweather. "Wir hatten mal den Fall, daß jemand mit dem Infanticorpore-Fluch belegt wurde und die Rückverwandlung auf Grund fehlerhafter Geburtsdaten nicht gelang. Wir mußten seinen Eltern und Verwandten durch Gedächtniszauber jede Erinnerung an ihn nehmen und ihn bei einer Zaubererfamilie unterbringen, die ihn neu aufzog und ihn mit sechs Jahren direkt nach Thorntails schickte. Das war vor fünfzig Jahren."

"Ja, stimmt", bestätigte Professor Wright. "Ich war damals schon Lehrerin hier wo das passiert ist und hatte gerade selbst ein Kind." Sie lief leicht rot an. Julius wunderte sich erst. Doch dann schnackelte es bei ihm. Sie hatte diesen Schüler wohl genauso als Amme umsorgt wie Professor Verdant das mit seinem Vater, mit dem Jungen, der mal so aussehen würde wie sein Vater, gerade tat. Dann nickte er und sagte:

"Auch wenn ich da eigentlich nichts drüber zu bestimmen habe sehe ich es wohl ein, daß der Junge bei guten Eltern aufwachsen und sich wieder richtig entwickeln soll. Bringen Sie ihn bitte irgendwo unter, aber ohne daß ich weiß, wo das ist! Ich möchte mich nur daran erinnern, daß er von diesem Höllenweib freigekommen ist und dann aus meinem Leben verschwinden mußte. Aber wie Sie das von ihrem Minister, der ja diesen Drachenmist verzapft hat abringen können, da mitzuspielen, das möchte ich zu gerne wissen. Vor allem möchte ich wissen, wie Sie das hindrehen, daß alle glauben, er käme nicht mehr wieder? Oder wollen Sie diesen Typen, den Pole als meinen Vater hingestellt hat, als meinen Vater weiterleben lassen?"

"Wie gesagt, daß müssen wir mit dem Minister oder seinem Nachfolger aushandeln, wenn wir die gegenwärtige Situation bereinigt haben", sagte Professor Wright und erntete Kopfnicken von ihren Mitarbeitern, Madame Faucon und Catherine Brickston. Julius nickte erst, als ihm endgültig klar wurde, daß es nicht anders ging. Dann brachen sie auf, um die heimliche Gerichtsverhandlung von Mrs. Porter aufzusuchen.

"Wie kommen wir denn zu diesem Gerichtssaal? Fliegen wir?" Wollte Julius wissen.

"Wir fahren mit dem blauen Vogel, etwas, daß vor fünfzig Jahren aus der Muggelwelt eingeführt wurde, ähnlich wie in deinem Geburtsland", sagte die Schulleiterin. Julius hatte schon von diesem Überlandbus gehört. in England sollte es einen Dreidecker geben, der gestrandete Hexen und Zauberer aufnahm, wo immer sie gerade standen und genau dorthin brachte, wo sie hinwollten. für Hexen und Zauberer, die nicht gerne apparierten oder gerade keinen Besen mithatten bestimmt eine geniale Möglichkeit, dachte Julius.

Mit einem Händeklatschen ließ Professor Wright einen kurzen, grauweißen Nebelwirbel in ihrem Büro tosen, der nach drei Sekunden verschwand und dabei wohl den Tisch und die zusätzlichen Stühle mitnahm. Stattdessen standen nun ein hellbeiger Schreibtisch mit mehreren Schubladen, ein hochlehniger Stuhl mit Armlehnen und zwei kleinere Stühle da, sowie ein Aktenschrank, mehrere Skulpturen, die wohl die Schulgründer nachbildeten und drei große Kerzenleuchter.

"Wau", entfuhr es Julius, obwohl er ja doch wußte, was Zauberei so alles anstellen konnte.

"Danke für das Kompliment. Schade, daß die Architekten und Thaumaturgen, die das alles eingerichtet haben das jetzt nicht hören können", sagte Professor Wright. Dann sah sie etwas strenger als vorher auf die Gästeschar und ihre Mitarbeiter und sagte:

"Wir holen jetzt noch den neuen Erdenbürger und reisen zusammen ab. Silvana, sie halten den Jungen in Ihrer Obhut!"

"Ich werde meinen Sohn auch mitnehmen, Professor Wright. Aber wer bleibt dann hier?"

"Ares bleibt hier. Ich habe auch Oberon gebeten, herzukommen, um mit Ares Stallwache zu halten. Lorena ist ja gerade wegen dieser Donnervogelsache vor dem Ausschuß zur Regulierung freilebender Zaubertiere."

"Natürlich, Professor Wright", bestätigte Professor Bullhorn. Dann verließen sie alle das Turmzimmer und standen nun um die schwere, weißgelbe Luke herum.

"Da passen nur drei gleichzeitig durch", sagte Professor Verdant Julius und Catherine, die nebeneinanderstanden zugewandt. Am besten teilen wir uns so auf, daß immer einer von uns Thorntails-Angestellten mit zweien von Ihnen zusammen hinunterfährt."

"Natürlich, Silvana. Da sie die Säuglinge holen müssen, gehen Sie bitte zuerst hinunter!" Legte Professor Wright fest. Julius wollte schon mit. Doch Catherine hielt ihn zurück.

"Ich weiß, du möchtest noch einmal deinen Vater sehen, bevor wir in den Trubel hinausgehen. Aber ich möchte, daß du jetzt in meiner Nähe bleibst. Das ist eine Fürsorgerinnenanweisung, solange deine Mutter nicht bei dir sein kann", zischte sie Julius mit von ihr ungewohnter Unerbittlichkeit zu.

"Ey, Catherine, mußt du jetzt auf superstark machen?" Fragte Julius trotzig.

"Genau, Bursche", sagte Catherine verstimmt und hielt ihn am Arm fest, nicht krampfhaft, aber sicher.

"Fundum Laboris!" Rief Professor Verdant aus, als sie zusammen mit Madame Faucon und Nirvana Purplecloud auf der Luke stand. Auf diesen Ausruf stiegen sie sacht nach oben, bis die Luke sich auftat und sie in eine sechswändige, stahlblaue Säule hineinfielen, jedoch nicht stürzten, sondern wie auf einer schnell herabgleitenden Plattform stehend. Julius spähte hinunter und sah, wie sie rasch nach unten sanken und dann nach kurzem Bremsmanöver wie Daunenfedern wohl im Zentrum der magischen Wabenform landeten. Sofort danach klappte die Luke wieder zu.

"Wir warten noch eine halbe Minute, damit Professor Verdant einen gewissen Vorsprung hat!" Legte Professor Wright fest. Als diese dreißig Sekunden dann um waren ließen sich Madame Merryweather und Professor Bullhorn absinken. Dann, diesmal direkt nach dem erneuten Schließen der Bodenluke, stellten sich Professor Wright, Catherine und Julius darauf.

"Fundum Laboris!" Rief Professor Wright. Julius fühlte, wie er den Boden unter den Füßen verlor, eine Sekunde lang über der Luke hing und dann wie an einem unsichtbaren Strick hängend nach unten sauste, wieder mit wohl elf Metern in der Sekunde. Doch kurz vor dem Boden ruckte es merklich, und sie sanken mit nur einem halben Meter in der Sekunde weiter, bis sie fest in der Mitte der goldenen Wabe standen und die stahlblaue Sechskantsäule in nur einer Sekunde selbst im Boden versank, nicht einfach ausging.

"Hat Ihnen mal irgendein Muggelstämmiger Schüler erzählt, daß es Geschichten mit solchen Antischwerkraftaufzügen gibt?" Erkundigte sich Julius bei der Thorntails-Schulleiterin. Diese sah ihn fest an und meinte:

"Ja, manche kamen mir schon mit diesen Phantasien und auch damit, daß eine Hexe namens June Priestley vorausgesagt hat, daß die Muggel in einigen Jahrtausenden alles, wofür wir mit Magie hantieren können, mit reiner Maschinenkraft nachahmen könnten. Wenn nicht einige von ihren Vorhersagen eingetreten wären, wie die weltweite Vernetzung immer kleiner werdender Rechenapparaturen, würde ich derlei Dinge für unangebrachte Spekulationen halten. Aber immerhin gelten solche Vorhersagen als Beweis unbegrenzten Vorstellungsvermögens, das ich als oberste Verantwortliche eines rennomierten Lehrinstitutes nicht ignorieren darf."

Zusammen mit Madame Merryweather und Professor Bullhorn verließen sie den Wachskerzenturm, indem die Heilerin kurz eine der Waben in der Wand an allen sechs Ecken mit der flachen Hand berührte. Der Rundbogendurchgang tat sich wieder auf und ließ alle hinaus.

Julius gab Heilerin Merryweather den entliehenen Thorntails-Umhang zurück, den diese mit einer Zauberstabbewegung verschwinden ließ, möglicherweise in die schuleigene Wäscherei. Dann blieb er bei Catherine, die ihn mit einem zur Vorsicht gemahnenden Blick aus ihren Saphiraugen daran hinderte, einfach loszulaufen. Offenbar war es ihr wirklich bitterernst, ihre Fürsorgerinnenfähigkeiten zu beweisen. Konnte es sein, daß ihre Mutter sie heftig zusammengestaucht hatte? Bei diesem Gedanken mußte Julius, der von den Ereignissen des letzten Tages immer noch betroffen war, doch schalkhaft schmunzeln.

Als sie durch ein Labyrinth aus Gängen und Treppenhäusern hindurch das Schulgebäude verließen und Julius nun im Licht des noch jungen Tages das weiße Schloß mit den vier eckigen Türmen an jeder Ecke und dem runden Turm genau im Zentrum sah, stellte er sich Melanie und Myrna Redlief und Brittany Forester vor, wie sie mit Flugapparaten ähnlich wie Zeppelinen, nur viermal so groß und halb so schnell wie ein Verkehrsflugzeug ankamen. Mel hatte ihm das bei der Plauderei auf der Terrasse des betrunkenen Drachens erzählt, daß es in einhundert Städten Kanadas, der USA, Hawaiis, der Bermudas und Bahamas, sowie Jamaikas einen heimlichen Hafen für diese magischen Flugungetüme gab, die durch besondere Tarnzauber von außen nicht gesehen wurden, sobald sie losgeflogen, ähm, gefahren seien. Da Thorntails wohl 1875 eröffnet worden war kannten die Hexen und Zauberer die Ballone der Muggelwelt schon und hatten in ihrer üblichen Art mindestens drei Verbesserungsstufen auf einmal daraus entwickelt.

Doch hier und jetzt würden sie nicht mit einer dieser Himmelswürste reisen, wie Mel sie scherzhaft genannt hatte, sondern mit etwas noch neuerem. Als sie durch das große Haupttor waren, holte professor Wright ihren Zauberstab hervor. Dann kam Professor Verdant noch mit einem großen Tragekorb, in dem die beiden Babys in weiche Decken eingewickelt auf flachen Kissen ruhten. Als sie bei der übrigen Truppe stand, winkte die Schulleiterin fünfmal mit dem Zauberstab. Dann gab es einen lauten Knall, und ein doppelstöckiger, achträderiger Bus mit Ziehharmonikagelenk fiel sprichwörtlich vom Himmel und setzte mit laut ratterndem Motor vor ihnen auf. Quietschend bremste das Ungetüm ab. Es war himmelblau und trug unter der unteren Frontscheibe ein Emblem, das einen saphirblauen Vogel mit ausgebreiteten Flügeln zeigte und zwischen den beiden Frontscheiben den Schriftzug DER BLAUE VOGEL Nr.18

Die vorderste Tür schwang auf wie eine große Autotür, und ein muskulöser, braunhäutiger Mann mit schwarzer Haarkrause in mitternachtsblauer Schaffneruniform turnte heraus und verkündete eifrig:

 

"Der Blaue Vogel. Sie winken, wir kommen! Bitte zusteigen und die Fahrt genießn, wo immer es hinsoll! - Oh, Professor Wright! Sie zu transportieren wird uns eine Ehre sein!""

"Natürlich, Mr. Wingbone", sagte Professor Wright sehr kühl und machte dabei eine abwinkende Handbewegung. "Bringen Sie uns zum Ministeriumsgebäude, und machen Sie bitte um unsere Anwesenheit kein Aufsehen!" Sie holte einen großen Kaninchenfellgeldbeutel aus ihrem rosa Festtagskleid und zählte dem Schaffner mehrere Goldmünzen hin und nickte dabei ihren Gästen und Mitarbeitern zu.

"Ey, Prof Verdant, ich dachte, Sie hätten nur einen neuen gekriegt", sagte der Zauberer, der mit Mr. Wingbone angesprochen worden war. Professor Verdant sah ihn sehr warnend an und meinte:

"Einmal Greenskale und für immer verdorben, Clyde Wingbone." Dieser grinste wie der Kühlergrill eines breiten Autos und winkte sie dann alle hinein in den Bus, der innen noch größer aussah als von draußen. Hier standen richtige Tische und Sofas, auf denen sogar einige Passagiere schliefen. Kleinere Ausgaben dieser magischen Leuchtsphären hingen unter der Decke, und der Boden war mit wasserblauen Teppichen bedeckt. Der Schaffner flüsterte mit Professor Wright, während Julius einen Blick auf einen hünenhaften Mann mit rostrotem Struwelhaar erhaschte, der auch in einer blauen Uniform steckte, allerdings mit einem silbernen Lenkrad- und dem Vogelemblem auf den Schulterstücken. Das war also der Pilot dieses Zauberbusses. Catherine bugsierte ihn sicher durch die Reihen der breiten, himmelblauen Ledersofas und gleichgefärbten Tische hindurch zum Aufgang zum zweiten Deck, wo sie ihn zwischen sich und ihre Mutter auf eines der auch hier bereitstehenden Sofas hinpflanzte.

"Hoffentlich ruckelt der nicht auch so wie der fahrende Ritter", sagte Catherine zu ihrer Mutter. Diese nickte beipflichtend. Dann kam Professor Wright noch und setzte sich ihnen gegenüber zusammen mit der kleinen Professor Purplecloud und Madame Merryweather. Dann knallte die Tür zu, es erscholl ein Hupsignal und ein kurzes Glockengebimmel, und die Stimme Wingbones rief aus:

"Nächster Halt, Biento del Sol!"

"Ich habe mit Wingbone ausgehandelt, daß wir als übernächste ans Ziel gebracht werden", sagte Professor Wright noch, als der Bus unvermittelt anruckte und mit lautem Knall beschleunigte. Julius kannte die Transitionsturbos in den magischen Autos, die Sprünge über große Entfernungen ermöglichten. Wahrscheinlich hatte dieser Bus auch sowas. Da er nicht am Fenster saß konnte er nicht sehen, wo genau sie langfuhren. Er bekam nur mit, wie der Bus sich im Höllentempo durch Kurven wand und wie irre dahinraste, bis er heftig abbremste und die Glocke wieder erklang. Die Fahrt hatte keine Minute gedauert. Irgendwer vom Unterdeck stieg wohl aus, was etwas dauerte. Dann klappte die große Schwingtür unten wieder zu und Wingbone rief "Nächster Halt: Hexeninstitut, Salem!" aus. Der Bus fuhr erst manierlich an, rollte einige Dutzend Meter und sprang dann wieder mit lautem Knall nach vorne, um danach wieder wie der wilde Wahnsinn über irgendwelche Straßen oder Autobahnen zu rasen. Zwischendurch knallte es noch ein paar Mal, und Julius Uhr sprang zwei Stunden weiter vor. Dann gab es einen weiteren Knall und eine scharfe Linkskurve, sodaß Julius nicht sehen konnte, ob seine Weltzeituhr sich wieder umstellte oder nicht. Dann hielt er auch schon an, und von hinten liefen mehrere Hexen durch mindestens drei Generationen an den Sofas der Passagiere aus Thorntails vorbei und stiegen die Treppe zum unteren Deck hinunter. Das Aussteigen dauerte wohl eine gewisse Zeit. Doch schließlich ging die Tür wieder zu.

"Nächster Halt: Ministerium für Zauberei, Washington DC!"

"Wird ja auch Zeit", grummelte jemand von weiter hinten. Julius wunderte sich. Wer wollte noch ins Ministerium? Eines der Babys, ob Pyrus Verdant oder Richard Andrews, fing zu schreien an, wohl wegen der andauernden Ruckelei und dem Krach. Darauf fing das zweite Kind auch zu plärren an. Professor Verdant sprach sofort auf beide ein, versuchte, sie zu beruhigen.

"Eh, wer hat hier Zwillinge mit reingeschleppt?" Brüllte die Stimme, die eben von hinten geklungen war. Jetzt drehte Julius sich kurz um und sah einen mürrisch dreinschauenden Zauberer mit dunkelbraunem Haar in einem limonengrünen Nadelstreifenumhang, der mit seinem rechten Zeigefinger auf die beiden kleinen Jungen deutete. Dann schien er wohl gemerkt zu haben, wer die beiden Babys in den Armen hielt und nahm die Hand wieder runter.

"Sei nicht so neugierig, Julius!" Zischte Catherine dem Jungen zu und bugsierte ihn wieder in die richtige Sitzhaltung. Diese Tour gefiel Julius nicht sonderlich. Doch er wollte jetzt nicht mit Catherine zanken, solange sie das mit Jane Porter noch nicht geklärt hatten.

Endlich hielt der Bus wieder an, und die Passagiere für das Ministerium stiegen aus. Nun konnte Julius den wohl noch jungen Zauberer genauer ansehen, der noch eine schwarze Aktentasche mit sich herumtrug. Als er Professor Wright sah, ließ er sich leicht zurückfallen. Dann erkannte er wohl auch die anderen Thorntails-Mitarbeiter und Professeur Faucon.

Sie standen nun vor einem unscheinbaren Busch an einem Berghang. Doch als Professor Wright mit dem Zauberstab daran tippte, erschienen breite Treppen, die unter die Erde führten. Diese stiegen sie alle hinunter, bis sie in einer großen Halle ankamen, von der aus mehrere Aufzüge zu erreichen waren. Ein Zauberer hinter einem Tresen winkte die Ankömmlinge heran und prüfte mit einer Zauberstabwaage die mitgebrachten Zauberstäbe. Dann sah er Julius Andrews an. Offenbar war was an dem Jungen, womit er nicht gerechnet hatte.

"Sie brauchen keinen Alarm zu schlagen, Crake, wir gehen freiwillig zu Minister Pole und Mr. Swift", herrschte Professor Wright den Sicherheitszauberer an, der wohl gerade melden wollte, daß der gesuchte Junge aufgetaucht war.

"Minister Pole ist gerade bei einer dringenden Sitzung des Zwölferrates, Mr. Swift ebenso", knurrte der Zauberer namens Crake.

"Ist mir bekannt. Der übliche Tagungsraum?" Fragte Prinzipalin Wright.

"Die Sitzung ist nicht öffentlich", schnaubte Crake. Dann schien etwas in seinem Kopf an- oder umgesprungen zu sein. "Wenn das der Junge ist, den Swifts Abteilung suchen läßt, melden Sie sich mit dem besser gleich bei der Haussicherheit, bevor die ihn holen müssen."

"Crake, Sie haben noch nie gut hören können", fauchte Professor Wright. "Wir gehen freiwillig zu ihm hin. Stellen Sie uns schon die Besucherscheine aus!"

Crake befolgte die Anweisung und stellte jeder und jedem den Besucherschein aus. Crake erzählte auf harsche Anfrage der Prinzipalin noch, daß Minister Pole in Sitzungsraum sieben war, weil dort gerade eine wichtige Anhörung stattfinde. Dann bestiegen sie einen Aufzug und fuhren soweit, bis eine magisch erzeugte Frauenstimme sagte:

"Tagungs- und Sitzungssäle der magischen Gerichtsbarkeit." Als sie ausstiegen hörten sie schon von weitem eine ungehaltene Männerstimme eine Tirade halten:

"Sie wollen uns also nicht verraten, wo Sie den Jungen versteckt haben und mit wem Sie bereits konspirieren, Mrs. Porter! Sollen wir sie wirklich unter Veritaserum verhören?" Julius sträubten sich die Nackenhaare. Dann sah er noch ein Paar um eine Ecke biegen, das er kannte. Es waren die Ross' aus Denver, bei denen Mrs. Porter und er mit Marchands Sofa-Portschlüssel gelandet waren. Dann glitt noch eine Aufzugtür auf, und eine kleine Hexe mit weißblondem Haar betrat den Flur vor den Sitzungsräumen. Es war Maya Unittamo. Diese sah Julius an, schien erst sehr verdutzt zu sein und wiegte dann den Kopf. Es war klar, daß Julius' schlagartige Körperveränderung sie erschütterte. Währendessen blaffte eine Stimme, die Julius als die von Mr. Swift kennengelernt hatte:

"Zum letzten Mal im Guten, Mrs. Porter! Der Bengel ist nicht mehr im Institut, das wissen wir. Wir wissen auch, daß er offenbar von irgendjemanden versteckt wurde. Wo ist Julius Andrews?"

Julius sah dies als Aufforderung an, ohne Anklopfen einzutreten. Er sprang vor, ehe Catherine oder die anderen ihn halten konnten, hieb die Bronzetürklinke der wuchtigen Eichentür hinunter, stieß sie auf, steckte seinen Oberkörper in den dahinterliegenden Raum ohne Fenster und rief:

"Hier bin ich, Mr. Swift!"

Catherine schien saphirblaue Blitze zu verschleudern, ebenso Madame Faucon. Doch dann erkannten sie die Gunst der Stunde und schoben Julius in den Raum hinein, sodaß auch Professor Verdant mit den Babys, Professor Purplecloud, Madame Merryweather und Prinzipalin Wright hineintreten konnten, direkt gefolgt von Alexis und John Ross, der Julius sehr anerkennend zunickte und Maya Unittamo, die schalkhaft grinste, als habe der Junge gerade was sehr lustiges angestellt.

"Was! Das kann nicht ... Das ist keine öffentliche Sitzung!" Brüllte Swift. Julius sah ihn jetzt zum ersten Mal richtig. Neben dem Leiter der Strafverfolgungsabteilung stand noch ein baumlanger Zauberer im marineblauen Umhang mit ovalem, sonnenverwöhnten Gesicht und einer silbernen Brille auf der Nase. Dieser sah Julius so ungläubig an, als sei der gerade nicht durch die Tür gekommen sondern appariert.

"Dafür, daß es keine öffentliche Sitzung ist, brüllen Sie hier aber rum wie ein wütender Stier", warf Julius frech ein. Madame Faucon war schon drauf und dran, ihren Zauberstab zu zücken, mußte dann aber doch anerkennend nicken.

Julius sah die zwölf bärtigen Zauberer in blutroten Roben und merkwürdigen Mützen auf den Köpfen, die ihn an Bischofsmützen denken ließen. Das waren also die zwölf obersten Zauberrichter.

"Wo er recht hat hat er recht, Arco", sagte einer der zwölf auf einer halbkreisförmigen Bank sitzenden amüsiert. "Du bist also Julius Andrews? Kann nicht sein, der ist den Angaben nach gerade erst vierzehn."

"Das ist korrekt, Euer Ehren", sagte Julius, nun von dreistem Auftritt auf respektvollen Umgangston umschaltend.

"Nun, wenn das stimmt, bleibst du besser gleich hier, Junge. Die Damen möchte ich bitten, wieder hinauszugehen", sagte der Richter, der gerade gesprochen hatte. Doch Catherine Brickston trat vor und sagte:

"Euer Ehren, ich bin die vom Zaubereiministerium zu Frankreich für die magischen Belange des Jungen eingesetzte Fürsorgerin und nehme mein Recht in Anspruch, bei einer Anhörung des noch minderjährigen Jungen anwesend zu sein. mein Name ist Catherine Brickston, geborene Faucon." Ihre Mutter lächelte stolz, während die Richter sich ansahen und Catherine zunickten. Dann trat Madame Faucon vor und sagte sehr ungehalten:

"Mein Name ist Professeur Blanche Faucon, und ich bin als Repräsentantin der Liga wider die Dunklen Künste, Sektion Frankreich hergekommen, weil es handfeste Gründe gibt, daß hier in den Staaten ein der amtlichen Fürsorge anvertrauter Schüler der Beauxbatons-Akademie unter Verheimlichung ihn sehr stark betreffender Fakten benutzt wurde, um einer Kreatur der Dunkelheit auf die Spur zu kommen, von deren Aktivität das amerikanische Zaubereiministerium weder die in der internationalen Zaubererföderation engagierten Ministerien, noch die Liga wider die dunklen Kräfte informiert hat und berufe mich auf das Recht der nachhaltigen Aufklärung gemäß internationalem Gesetz zur Wahrung der Sicherheit und des Friedens in der magischen Welt, Abschnitt drei, wonach ein Repräsentant aus dem Land, dessen Staatsbürger mit dunklen Mächten in Konflikt geriet, auch auf dem Boden des Landes, auf dem der Konflikt ausbrach um Aufklärung ersuchen und dem Betroffenen Beistand leisten darf."

"Das ist wohl kaum der Fall", warf der baumlange Zauberer ein und starrte sehr zornig auf die Eindringlinge. Julius sah ihn an und erwiderte den zornigen Blick. Wenn das der Zaubereiminister war, dann hatte er nicht übel Lust, dem hier und jetzt eine reinzuhauen oder ihm einen Karateschlag voll in die Magengrube zu verpassen. Julius fühlte diese Wut in sich hochkochen. Nein, er durfte nicht die Beherrschung verlieren. Er dachte an seine Selbstbeherrschungsformel, während Professor Wright angab, den Jungen beherbergt zu haben und seiner ihr berichteten Geschichte glaube. John Ross pflanzte sich vor dem Zauberer in Marineblau auf und sagte lässig im schönsten Texaner-Englisch:

"Minister Pole, muß es echt sein, daß Sie jetzt meinen, die dicksten Dinger der dunklen Künste zum Staatsgeheimnis, ja zur persönlichen Geheimsache zu machen? Sie wissen, meine Frau und ich sind bei der Liga nicht gerade kleine Lichter und weil wir den Jungen und die von Ihnen hier einfach wie'ne Schwerverbrecherin auf die Anklagebank gesetzte Mrs. Porter bereits vor drei Tagen gesprochen haben, nehmen wir als hiesige Repräsentanten der Liga dasselbe Recht in Anspruch wie die Kollegin aus Frankreich. Da können Sie sich auf den Kopf stellen oder im Boden versinken, Minister."

"Sie sind also auch Ohrenzeugen dieser Sache?" Fragte einer der zwölf Richter.

"Yep, Euer Ehren", bestätigte John und seine Frau nickte beipflichtend. Dann wurde Professor Verdant zusammen mit Maya Unittamo vor die Tür geschickt. Diesmal bauten die Richter einen Klangkerker auf, damit nicht jedes Gebrüll aus zehn Meilen zu hören war.

"Diese Anhörung ist deshalb nicht öffentlich, weil es eben darum geht, ob und wenn ja mit welchen Auswirkungen als Geheim einzustufende Ereignisse geschehen sind", sagte der Richter, der Julius beim Eintreten angesprochen hatte. "Wir waren gerade dabei, zu erörtern, was Mrs. Porter überhaupt begangen hat und wie weit sie einen minderjährigen Zauberer aus dem europäischen Ausland involviert hat. Minister Pole", er deutete auf den Zauberer in Marineblau, "stellte den Antrag auf Strafverfolgung ohne Einbeziehung von Laiengeschworenen. Mr. Swift fungiert als Vertreter der Strafverfolgungsbehörde. Da wir gehört haben, bei Julius Andrews handele es sich um einen gerade vierzehnjährigen Schüler von Boxbatong, möchte ich jetzt eine eindeutige und wahrheitsgetreue Erklärung haben, wieso Sie, junger Mann", wobei er Julius sehr ernst ansah, "behaupten, der betreffende Schüler zu sein." Madame Faucon rümpfte die Nase, weil der Richter den Namen ihrer ehrenhaften Schule falsch ausgesprochen hatte. Doch sie schwieg, während Julius sich kerzengerade vor dem Zaubereiminister aufbaute, seine Hände locker hängen ließ und sagte:

"Ich bin Julius Andrews, Besucher der Beauxbatons-Akademie für Französisch sprechende Hexen und Zauberer, weil meine Mutter, Martha Andrews, geborene Holder, seit nun einem Jahr dort lebt und arbeitet. Ich wurde am 20. Juli 1982 im Königin-Victoria-Krankenhaus in London Chelsea geboren und habe von 1993 bis 1995 Hogwarts, die Schule für Hexerei und Zauberei in Großbritannien besucht. Meine jetzige Erscheinung beruht auf der Auswirkung eines Zaubers, dessen Heftigkeit mich um zwei ganze Jahre älter gemacht hat. Diesen Zauber habe ich selbst aufgerufen, um mich aus einer lebensgefährlichen Situation zu retten, weiß jedoch nicht, woher ich diesen Zauber kenne und beherrsche, da er mir erst in dieser brenzligen Situation eingefallen ist. Ich kann Ihnen gerne eine DNA-Probe hierlassen, die Sie mit einer Probe aus einem Kamm vergleichen können, der sich zusammen mit anderen persönlichen Gegenständen in einer Reisetasche befindet, die ich vor zwei Jahren von Professeur Faucon zum zwölften Geburtstag geschenkt bekam. Das heißt, falls Sie mit Erbgutuntersuchungen überhaupt was anfangen können." Julius genoss es, wie verdutzt die Richter dreinschauten, wie Swift ihn lauernd anstarrte und der Minister kreidebleich wurde, weil er sich vorstellen mußte, daß jemand einen so mächtigen Zauber beigebracht bekam, daß dessen Anwendung einen gleich älter machte.Nur daß Mrs. Porter sehr betrübt dreinschaute tat ihm in der Seele weh und störte seine gerade eingespielte Sachlichkeit. Die Richter sahen sich an. Einer weiter rechts fragte Julius dann, was für eine Gefahrensituation er meine und wieso er sich mit diesem Zauber daraus hatte befreien können und nicht anders. Julius sah Professor Wright und Madame Faucon an. Die Beauxbatons-Lehrerin sah Catherine fragend an, die Julius zunickte.

"Ich habe bei meiner Ankunft in den vereinigten Staaten erfahren müssen, daß mein Vater, Richard Andrews, erst als Verdächtiger einer ganzen Mordserie an Muggeln gejagt und dann als Opfer einer verbrecherischen Austauschaktion gesehen wurde. Ich wollte das natürlich nicht glauben, aber die Nachrichten der Muggel machten mir das doch klar, daß da irgendwas passiert sein muß. Da mein Vater nie gegen die Gesetze verstoßen hat war mir klar, daß da irgendwas nicht stimmt. Deshalb wollte ich von Mrs. Porter", er nickte Mrs. Porter kurz zu, "was drüber hören, was da gelaufen sei. Sie sagte, sie dürfe mir nichts darüber sagen. Das machte mich stutzig und vor allem auch ziemlich wütend, Euer Ehren. Ich habe sie dann gefragt, ob ich mit dem Geist Marie Laveaus sprechen könne, was sie mir ermöglicht hat. Dabei erfuhr ich von diesem, daß mein Vater von einer bösartigen Zauberkreatur, einer Tochter des Abgrundes, den katholisch erzogenen Christen auch als Succubus bekannt, wegen schlummernder und nicht aufweckbarer Zauberkräfte in ihren Bann gezogen und zum Mord an jungen Frauen, die ihre Körper an zahlungswillige Männer verkaufen, abgerichtet hat. Da ich Mrs. Porter das auf den Kopf zusagte, konnte sie mir doch erklären, was genau passiert war, soweit sie es mitbekommen hat und daß Sie, Mr. Pole, ihr persönliches Geheimnis daraus gestrickt haben." Er sah den Minister herausfordernd an, der mit verengten Augenbrauen zurückblickte. Er wollte schon von seinem Sitz aufspringen, doch der Sprecher des Zwölferrates gebot ihm mit einer Handbewegung, ruhig zu bleiben. Julius grinste triumphierend und fuhr dann sehr ernst fort: "Mrs. Porter und Mr. Davidson wollten mit meiner Hilfe herausfinden, wo mein Vater gefangengehalten wird. Leider hat dieses Ungeheuer, dessen Sklave er war dann mich angepeilt und versucht, mich ebenfalls zum Erfüllungssklaven zu machen. Daß ist nur deshalb nicht gelungen, weil aus mir unbekannten Gründen eine Truppe Hexenschwestern in Weiß angerückt war, die dieser Abgrundstochter heftig eingeheizt hat. Diese wolte mich dann nicht mehr an sich dranhängen, sondern gleich umbringen. Ich kann noch nicht alleine apparieren, und weil wir in dem Moment in einer Höhle waren, die fremde Zauber nicht rausläßt, hätte das wohl auch nicht geklappt. Ich habe dann schon mit meinem Leben abgeschlossen, als mir wie zugeflogen ein Zauber einfiel, mit dem man die Zeit um sich herum einfrieren kann. Allerdings kostet jede Sekunde mehr als zehn Tage Lebenszeit, je länger desto mehr pro Sekunde. Da ich meinen Vater, der zu diesem Zeitpunkt uralt aussah, weil dieses Monster ihn wohl nicht hatte sterben lassen wollen oder dürfen, nicht in der Höhle lassen wollte, habe ich ihn neben mir herschweben lassen und bin mit ihm raus, weil die Hexen wohl mit Antimagiezeug die Höhle geöffnet haben. Draußen habe ich den Zauber beendet und wurde dadurch wohl zwei Jahre älter. Die Hexenschwestern haben dann die Abgrundstochter erledigt, wie Sie wohl alle mitgekriegt haben, weil dadurch nämlich das heftige Erdbeben und der orangerote Feuerball passiert sind." Die Richter sahen sich wieder an, während Mrs. Porter mit Furcht und Anteilnahme in den Augen Julius anblickte. Madame Faucon sah Mr. Swift an, der Julius immer noch lauernd anblickte:

"Der Junge ist in eine Situation geraten, die er weder vorhersehen noch ohne radikale Methoden meistern konnte. Er hat Ihren Auftrag ausgeführt, Mr. Swift", sagte sie dem Leiter der Strafverfolgungsabteilung. "Die unnatürliche Alterung des Jungen, die wesentlich gravierender hätte ausfallen können, ist eine direkte Konsequenz aus dem Fehlverhalten Ihres Ministers, Ihnen persönlich und auch meinen sogenannten Kollegen Davidson und Porter." Sie funkelte Jane Porter sehr tadelnd an. Der Vorsitzende Richter hob den silbernen Hammer, der vor ihm lag und hieb damit einmal kurz auf den runden Tisch, um den sie alle saßen.

"Sie hatten nicht das Wort, Madame, bei allem Respekt vor Ihrer Stellung", wies er Madame Faucon zurecht. Dann sah er den Minister an und fragte sehr bedrohlich klingend: "Stimmt das, was der Junge uns da gerade erzählt hat, Minister Pole?"

"Glauben Sie ihm das etwa", entrüstete sich Pole. "Der Junge hat mit Mrs. Porter und auch Davidson eine hahnebüchene Ausrede für den eigentlichen Geheimnisbruch gesucht, damit sie alle im Nachhinein besser dastehen und ich der Macht- und Tatenlosigkeit bezichtigt werden könnte. Er hat einen Alterungstrank geschluckt, um seine Monstergeschichte untermauern zu können. Die Wahrheit ist, daß der Junge zusammen mit Mrs. Porter Geheimerinnerungen gestohlen hat, die ich in Form memorextrahierter DenkariumEssenz im Laveau-Institut unterstellte. Diese Informationen betreffen Vorgehensweisen zur Geheimhaltung unserer Welt vor den Muggeln, die nicht selten sehr drastische Maßnahmen beinhalten, mit denen meine Vorgänger und ich unser Gewissen nicht länger belasten wollten, aber sie für verantwortungsvolle Nachfolger konservieren mußten. Offenbar konspiriert Mrs. Porter gegen mich und hat in dem Jungen, der ein erwiesener Ruster-Simonowsky-Zauberer ist, einen starken Verbündeten gesucht, der sowohl in der Muggel- als auch Zaubererwelt diese Informationen herumreichen sollte, um das amerikanische Zaubereiministerium und seine untergeordneten Abteilungen zu destabilisieren. Das Schauermärchen vom Succubus, der seinen Vater versklavt hat, ist wohl der Plan B dieser verwerflichen Verschwörung, die ich hier und heute aufdecken und ohne Schaden für unsre Welt abwehren wollte.""

"Mir kommen die Tränen", feixte Julius. Madame Faucon warf ihm einen zur Vorsicht gemahnenden Blick zu. Einer der Richter sah Julius an. Dieser sah ihn genau an. Sollte der ihn doch legilimentieren, um die Wahrheit rauszukriegen! Doch er fühlte nichts, was ihn darauf brachte, daß der Zauberer ihn geistig aushorchte. Er fragte nur:

"Ist das wahr, daß du mit Mrs. Porter geheime Erinnerungskonserven gestohlen und in dein Gedächtnis übernommen hast?" Julius schüttelte ruhig den Kopf und sagte, daß er diese Geschichte jetzt erst gehört habe. Dann bot er an:

"Wenn Sie prüfen wollen, wer hier die Wahrheit sagt, geben Sie mir doch Veritaserum oder legilimentieren Sie mich doch, sofern Sie das gelernt haben."

Die Richter erröteten, ob vor Verlegenheit oder Wut, wußte Julius nicht. Catherine sprang auf und ergriff ihn fest bei der Schulter, als sie den Zwölf älteren Zauberern zurief:

"Ich als für seine magischen Belange zugeteilte Fürsorgerin verwahre mich gegen derartige Befragungsmethoden. Der Junge hat nicht das Recht, solche Vorschläge zu machen."

"Wir haben auch nicht das Recht zur legilimentischen Erkundung, gemäß Corpus Juris Magicae Unterabschnitt 13 der Strafprozessordnung, dem nach eine Befragung unter Wahrheitselixier nur bei einem volljährigen Zauberer oder einer volljährigen Hexe gestattet sind und die Unantastbarkeit des Geistes unter allen Umständen einzuhalten ist, also auch keine Zauber zur Erzwingung von Aussagen oder Zauber zur Ausschöpfung von Gefühls- und Gedächtnisinhalten eines fremden Geistes angewendet werden dürfen. Insofern ist der Vorschlag des Jungen grundweg abzulehnen, Mrs. Brickston."

Julius mußte verächtlich grinsen. Deshalb konnte der Minister also diese Lügengeschichte erzählen, weil eben keine Verhörmethode benutzt werden durfte, die Julius zu einer garantiert wahrheitsgetreuen Aussage hätte zwingen können. Professor Wright stand nun auf. Sie genoss es wohl, daß die Richter sie sehr aufmerksam ansahen und Pole und Swift bange dreinschauten, als würde die Prinzipalin gleich einen Rohrstock herausholen und den frechen Buben kräftige Schläge auf die Finger verpassen, wie es bis vor einiger Zeit noch in englischen Schulen zum guten Erziehungsstil gehört hatte.

"Sehr geehrte Mitglieder des ehrenwerten Zwölferrats der magischen Gerichtsbarkeit Nordamerikas", begann die Prinzipalin von Thorntails. "Es besteht nach meinem Augenschein, meiner Menschenkenntnis und nach den Umständen, unter denen der junge Mann in meine Akademie gelangte kein Grund, seine hier gemachte Aussage anzuzweifeln. Unsere Heilerin erhielt gegen 03.45 Uhr am 3. August einen magischen Notruf aus ungefähr 90 Kilometern Entfernung und reagierte unverzüglich darauf." Sie deutete auf Julius und fuhr fort: "Am Ausgangspunkt des Hilferufes fand sie diesen jungen Mann und einen männlichen Säugling vor, die auf Grund der Nachtkühle arge Temperaturprobleme hatten und verbrachte sie in unsere Obhut. Ich selbst konnte bei einem Gespräch mit dem Jungen und nach dem Augenschein des Säuglings keinen Zweifel an der Richtigkeit seiner Geschichte empfinden. Das Baby ist sein durch Infanticorpore-Fluch verwünschter Vater, der durch diesen Fluch aus dem Bann jener Abgrundstochter gelöst werden konnte, allerdings zum Preis eines totalen Gedächtnisverlustes bis zum Zeitpunkt seiner natürlichen Geburt. Dieser Gedächtnisverlust resultiert nach Meinung meiner kompetenten Lehrer für die Abwehr dunkler Kräfte aus der zu früh erfolgten Vernichtung der Tochter des Abgrunds durch destabilisierung oder physischer Zerstörung ihres materillen Fokus, den Mr. Andrews mir als mannshohen Krug aus selbstleuchtendem, goldenem Material, gefüllt mit einer ätherischen, orangeroten Substanz beschrieb. Der Umbroriginis-Zauber zur Enthüllung von Verwandlungszaubern bestätigte die Verwünschung des Vaters in den Zustand des Neugeborenen. Meine Kollegin Professor Verdant, die selbst gerade einen Sohn im Säuglingsalter hat, erklärte sich bereit, zumindest die Pflege und Ernährung des Betroffenen zu übernehmen, bis sein weiteres Schicksal geklärt wird. Sie haben Richard Andrews gesehen. Meine Kollegin brachte ihn mit ihrem Sohn zusammen herein. Also, meine Herren, wägen Sie bitte die eine unglaubliche Geschichte gegen die andere ab und urteilen Sie dann auf der Grundlage gesicherter Erkenntnisse!"

"Sie haben hier nichts zu bestimmen, Mrs. Wright", sagte Minister Pole. "Niemand glaubt Ihnen diese unheimliche Geschichte von den Töchtern des Abgrundes. Da sind doch soviele Lücken in der Erzählung des Jungen, daß jeder halbwegs gute Richter, und hier sind die Besten überhaupt, diese Geschichte sofort als Lügenkonstrukt entlarven kann. Ich weiß nicht, was Ihnen Mrs. Porter versprochen hat, wenn Sie ihr helfen, diese haarsträubende Geschichte zu bestätigen. Ich weiß nur, daß Sie Ihren guten Ruf damit verwirkt haben."

"Eher wohl Sie Ihren", entgegnete Professor Wright, während Julius die Richter und Mrs. Porter ansah. Mrs. Porter wirkte angespannt, wie nun die Situation ausgehen würde, während die Richter sich wieder gegenseitig ansahen. Julius wurde den Gedanken nicht los, daß sie sich gegenseitig mentiloquierten, damit nicht jeder hörte, was der eine dem anderen mitteilen wollte. Dann sah er den Minister an, der sich seiner Sache ziemlich sicher wähnte. Da klopfte es an der Tür. Die Richter blickten zur Tür hin, die durch den Klankerker-Zauber hinter einem durchgehenden durchsichtigen, ockergelben Licht lag.

"Offenbar hätten wir die Sitzung gleich öffentlich machen sollen", scherzte einer der Richter, während der Vorsitzende des Rates den Klankerker aufhob und "Herein" rief. Die Tür ging auf, und hereintrat, in eine rosafarbene Schwesterntracht gehüllt, Madame Florence Rossignol, die Schulheilerin von Beauxbatons. Jeder im Sitzungssaal konnte ihr ansehen, wie Sorgen und Verärgerung ihr eine immense Kraft gaben, die sie wie ein unsichtbares Energiefeld von sich abstrahlte, das alles und jeden hier berührte. Als sie Julius sah, verzog sie kurz das Gesicht. Dann sah sie ihn erkennend an und stellte sich so, daß sie den Halbkreis der zwölf Richter gut überblicken konnte. Die Tür fiel wieder zu.

"Ich habe mich also nicht geirrt", sagte Madame Rossignol in einem ausgezeichneten Londoner Englisch. "Ich hoffe, die Angelegenheit kann ohne weitere Folgen für den jungen Monsieur Andrews aufgeklärt werden. - Oh, Verzeihung, mein Name ist Florence Valerie Rossignol, und ich bin die amtliche Gesundheitsfürsorgerin der Beauxbatons-Akademie. Der junge Mann hier", wobei sie auf Julius wies, "gehört zu meinem Stab freiwilliger Pflegehilfskräfte und trägt deshalb ein magisches Armband am rechten Handgelenk, das mit diversen Zaubern versehen ist, unter anderem einen Ortungszauber, der im akuten Notfall auch über große Entfernungen wirkt, sowie einen lokal begrenzten Curattentius-Zauber zur Meldung und Abwehr dunkler Wesen. Lokal begrenzt deshalb, weil im Rahmen des Schulunterrichtes ja die Abwehr von magischen Angriffen erlernt werden muß und direkte Flüche den Schüler betreffen müssen, sofern er sie nicht abzuwehren im Stande ist, um den Lernwert auf demselben Niveau zu halten wie für die übrigen Schüler, die nicht zu meinem Pflegehelferstab zählen. Deshalb bin ich nun hier, weil der Curattentius-Zauber insgesamt fünfmal angesprochen hat und der junge Mann mindestens einmal in einer lebensbedrohlichen Situation war, da mein mit seinem Armband gekoppeltes Instrumentarium Alarm geschlagen hat. Leider konnte ich nicht den genauen Standort bestimmen. Aber als ich in eigener Person angereist bin erfuhr ich, daß seitens des Ministeriums nach ihm gefahndet würde, nicht weil er in Gefahr sei, sondern weil ihm ein Verbrechen zur Last gelegt würde, über dessen Art und Umfang mir jedoch keiner Auskunft geben wollte. Jetzt bin ich hier, um mir persönlich Gewissheit zu verschaffen, daß an den Vorwürfen gegen den Jungen nichts dran ist und zu ergründen, was den Curattentius-Zauber mehrmals ausgelöst hat."

"Wir sind hier nicht in Frankreich", blaffte der Minister sehr gereizt und funkelte die ältere Hexe sehr feindselig an. Doch Madame Rossignol bedachte ihn nur mit einem mitleidsvollen Blick und wandte sich dann an Julius, der immer noch von Catherine an der Schulter gehalten wurde.

"Wie ich sehe hast du dich wohl mit was heftigem eingelassen. Wie geht es dir?" Fragte sie ihn nun auf Französisch. Julius sagte in derselben Sprache:

"Als wenn ich träumen würde, zwei Jahre in der Zukunft zu sein oder zwei Jahre verschlafen hätte, Madame."

"Nichts für Ungut, aber die hier zulässige Sprache ist Englisch", wies einer der Richter die neue, wohl ebenfalls unwillkommene Besucherin zurecht. Madame Faucon sah ihn dafür belustigt an und meinte:

"Gut das Sie das sagen."

Minister Pole schien sich mit irgendwas zu beschäftigen, konnte Julius an seinem Gesicht ablesen, während der Richter von Madame Rossignol verlangte, sie solle vor der Tür bleiben, falls sie keine unmittelbare Zeugin in der hier besprochenen Sache sei. Darauf sah die Schulheilerin von Beauxbatons den vorsitzenden Richter selbstsicher an und förderte eine Rolle Pergament aus der mitgebrachten Ausrüstungstasche.

"Dies ist die magicomechanische Abschrift eines Protokolls, das über die Aktivitäten des von Julius Andrews getragenen Pflegehelferschlüssels Auskunft gibt. In Frankreich gilt sowas als amtliches Dokument. Gemäß den Vereinbarungen der internationalen Zaubererföderation und ratifiziert von der globalen Magierkonferenz sind alle in einem Land der Föderation amtlich wirksamen Dokumente in jedem anderen Land ebenfalls amtlich wirksam. Also gilt sowas auch wie eine direkte Aussage eines Augen- oder Ohrenzeugen."

"Haben Sie überhaupt eine Einreiseerlaubnis?" Fragte Swift unvermittelt und sah erst Madame Rossignol und dann mit einem schnellen Ruck seines Kopfes auch Madame Faucon und Catherine Brickston an. "Diese Frage gilt auch für Sie, meine Damen", stellte er klar.

"Meine Tochter und ich sind ordentlich mit den Verkehrsmitteln der nichtmagischen Welt in die USA eingereist und haben eine amtliche Einreisebestätigung", sagte Professeur Faucon kalt wie ein Eisblock. Catherine nickte. Swift grinste jungenhaft und fragte Madame Rossignol noch einmal. Diese sagte leicht verdutzt:

"Muß man neuerdings um Erlaubnis bitten, wenn man jemandem zu Hilfe kommen muß? Ihre Blockade des Ausgangskreises, sowie die vorübergehende Auskopplung des Flohnetz-Knotens Ihres Landesließen mich ja nicht auf dem üblichen Wege herüber. So mußte ich über den Knoten in Kanada und von dort aus mehrmals apparieren, um endlich hier einzutreffen."

"Aha, also sind in diesem Raum drei Personen ohne offizielle Einreisebestätigung gemäß der internationalen Übereinkunft, der nach jedes Mitglied der magischen Welt vor Reiseantritt ins Ausland den Zeitpunkt des Eintreffens und der Rückreise anzugeben hat, wie es in dem Zusatz B der Verkehrsmittelkontrollordnung 1978 beschlossen wurde und heute mehr denn je gilt. Das heißt, Sie drei sind Illegal hier", sagte Swift harsch und machte eine Handbewegung, die die drei Hexen aus Frankreich überstrich. Der vorsitzende Richter nickte nach wortloser Absprache mit seinen Kollegen. Dann meinte ein zweiter Richter:

"Allerdings haben Professeur Faucon und Madame Brickston ihr Recht auf Anwesenheit hier und jetzt begründen können und damit Anspruch auf eine nachholbare Einreisegenehmigung. Allerdings muß ich Sie, Madame Rossignol, ersuchen, sofort das Land wieder zu verlassen, widrigenfalls werde ich Mr. Swift zubilligen müssen, Sie wegen Verstoßes gegen die internationalen Reisebestimmungen zu belangen. Sie haben ab jetzt fünf Minuten Zeit." Der Vorsitzende nickte. Madame Rossignol wurde erst bleich, dann rot. Da dabei ihre Stirnadern etwas deutlicher hervortraten und ihre Augen sich verengten, konnte es nur Wutrot sein. Madame Faucon sah sie an und meinte ruhig:

"Florence, kehren Sie bitte nach Frankreich zurück! Geben Sie diesen Herren keinen Anlass, den Wert Ihrer Aussage und Ihren guten Ruf zu ruinieren, nur wegen einer bürokratischen Lapalie! Aber das Protokoll dürfen Sie mir geben."

"Kommt nicht in Frage", mischte sich Swift ein. "Illegal beschaffte Dokumente sind nicht als Beweismittel zulässig. Wenn eine illegal eingereiste Hexe Ihnen ein Dokument welcher Rechtskraft auch immer aushändigt, wird es ungültig."

Julius funkelte Swift zornig an. Doch dann kam ihm eine Idee. Er sah Schwester Florence an. Dann konzentrierte er sich, um keinen worthaften Gedanken im Kopf zu haben. Er ließ erst Meeresrauschen, dann blauen Himmel, dann Schwester Florences strahlendes Gesicht in seinem Bewußtsein aufsteigen, stellte sich vor, wie sie Constance zur erfolgreichen Geburt Cytheras gratulierte und schickte ihr dann zu:

"Legen Sie die rolle hin und gehen Sie raus, wie der Richter es will! Legen Sie die Rolle hin und gehen Sie raus wie der Richter es will!" Beim zweiten Mal vernahm er sowas wie einen sanften Nachhall wie in einem Konzertsaal. Da wußte er, er hatte es geschafft, Schwester Florence mentiloquistisch zu erreichen. Die Heilerin sah ihn verdutzt an. Dann lächelte sie verstehend, wünschte den Richtern und anderen Anwesenden einen schönen Tag und verließ den Saal. Dabei entfiel ihr wie zufällig die Pergamentrolle. Swift wollte ihr schon nachrufen, daß sie die Rolle verloren habe. Doch da ploppte es bereits, und die Heilerin war fort. Julius indes sprang zu dem sich etwas entrollten Pergament, hob es auf und rollte es wieder ordentlich zusammen, bevor er es Professeur Faucon in die Hand drückte.

"Da ich legal in diesem Land bin und dieses Ding auf dem Fußboden gefunden habe verliert es seine Gültigkeit nicht, wenn ich es Professeur Faucon gebe", sagte Julius den Richtern zugewandt, während der Minister und Swift ihn bitterböse anfunkelten. Swift wollte schon seinen Zauberstab heben. Doch der Vorsitzende schlug mit dem Hammer auf den Tisch. Dabei schien die Luft zu vibrieren, und etwas wie eine leichte, elektrische Spannung legte sich über alle Anwesenden. Swift nahm die Hand wieder vom Zauberstab, während Professeur Faucon die Rolle entgegennahm und Julius anerkennend anlächelte.

"Ja, das ist durchaus korrekt, junger Mann", sagte der Vorsitzende des Zwölferrates und mußte sich wohl stark beherrschen, nicht durch ein amüsiertes Grinsen seine wichtige und würdige Miene zu verlieren. Mindestens aber hoben sich für einen Sekundenbruchteil die Mundwinkel an.

"Das ist eine bodenlose Unverschämtheit!" Protestierte Swift, während der Minister Julius mit einem Blick ansah, als wolle er ihn gleich erwürgen. Der Richter indes bat Madame Faucon darum, ihm die "zugefallene" Pergamentrolle auszuhändigen. Diese nickte, nachdem sie erst ansetzen wollte, dieses Protokoll selbst in Augenschein zu nehmen. Doch sie respektierte den Richter und sein Anrecht auf die Einsichtnahme. Als der Vorsitzende Richter das Pergament in Händen hielt, tauschten Pole und Swift einen langen Blick aus. Julius schwante, daß auch sie sich was zumentiloquierten, wohl wieder einmal. Dann fragte der Vorsitzende:

"Träger des Pflegehelferschlüssels 17, sind Sie das, Mr. Andrews?"

"Kann ich nicht genau sagen, weil ich das Armband umgelegt bekommen habe und aus eigener Kraft nicht lösen kann. Auf der sichtbaren Seite kann ich keine Registriernummer lesen."

"können Sie doch, Monsieur Andrews", sagte Madame Faucon überzeugt und trat zu Julius und hob dessen rechten Arm mit dem silbernen Armband. Sie deutete auf die nahtlos verschlossene Schließe und drehte das Handgelenk so, daß die Schließe von den hier aufgestellten Kerzenleuchtern voll angestrahlt wurde. Julius beugte seinen Kopf, um zu sehen, was die Lehrerin meinte. Sie ließ seinen Arm los, daß er die Schließe näher an seine Augen heranführen konnte. Dann sah er die Gravur: XVII.

"Hmm, hier steht XVII drauf", sagte Julius und trat nach vorne, damit der Richter die Gravur auch sehen konnte. "Natürlich wußte der Junge, daß diese Buchstaben eine Zahl bildeten, die römische Schreibweise für die Zahl siebzehn. Offenbar wußte es auch der Richter und nickte.

"Damit ist bestätigt, daß alle Angaben in diesem Protokoll im Zusammenhang mit Julius Andrews stehen.

"Ein abgekartetes Manöver", warf Minister Pole ein. "Uns soll vorgespielt werden, dieser Junge habe wohl schwere magische Konfrontationen erlebt, damit sein Lügenkonstrukt untermauert wird, Euer Ehren. Gehen Sie nicht darauf ein!"

"In diesem Saal, mit Verlaub, bestimme ich, worauf ich eingehe oder nicht eingehe, Herr Minister Pole!" Sagte der Ratsvorsitzende mit sehr ungehaltener Stimme. Dann las er in Ruhe weiter und trug dann die im Protokoll aufgeführten Details laut vor. Julius wunderte sich zwar, warum er das tat, sah dann aber die flotteSchreibe-Feder, die unter dem Richtertisch über eine lange Rolle Pergament flitzte. Alles was hier laut gesprochen wurde wurde also niedergeschrieben. So erfuhren nun alle, was genau Madame Rossignols geheime Überwachungsvorrichtung aufgezeichnet hatte. Der Minister versuchte zwar immer wieder, das alles für eine Fälschung zu erklären. Doch alle Richter sahen ihn warnend an. Dann sagte der Vorsitzende:

"Tja, Herr Minister, ich wüßte ehrlich gesagt nicht, welchen Grund Madame Rossignol oder sonst wer haben könnte, ein derartiges Protokoll zu fingieren. Dann müssen Sie uns schon detailiert darüber informieren, was genau der junge Zauberer hier verbrochen hat und wieso die vorgelesenen Angaben nicht stimmen können. Also, bitte!"

Minister Pole schien heftig um Worte zu ringen, die einerseits glaubhaft klangen und andererseits seine Würde und Autorität bekräftigten. So sagte er nur:

"Das darf ich Ihnen nicht erzählen, Euer Ehren, solange unbefugte Zuhörer im Saal sind. Der Junge soll hierbleiben, da er wie Mrs. Porter bereits die fraglichen Informationen in seinem Gedächtnis enthält, dessen Korrektur Sie mir sicher erlauben werden, wenn Sie die Einzelheiten kennen", sagte der Minister. Julius funkelte ihn kurz an und sah dann hilfesuchend zu Catherine und Madame Faucon. Diese sah ihn an und sagte:

"Das Gedächtnis dieses Jungen zu verändern würde nichts bringen. Die fraglichen Informationen wurden in weiser Voraussicht memorextrahiert und bereits an einen Ort außerhalb der US-amerikanischen Zuständigkeitsgrenzen und ihrer Bündnispartner verbracht."

"Sie lügen!" Schrillte der Minister. "Das können Sie in der kurzen Zeit, die Sie diesen Bengel sehen konnten geschafft haben."

"Hat auch niemand behauptet, daß ich dies getan hätte", sagte Madame Faucon sehr energisch und sah den Minister an wie einen unartigen Schüler. "Ich teile Ihnen das ja auch nur aus Gründen der Fairness mit, auch wenn Sie diese Fairness eigentlich nicht verdient haben. Aber ich lehre meine Schüler und befolge es selbst, daß es einem oft selbst am meisten schadet, gleiches mit gleichem zu vergelten, sofern damit nicht eine akute Angriffssituation gemeint ist."

"Nun, wer will es dann getan haben?" Fragte Swift. Professor Wright nickte.

"Meine Heilerin hat dies getan, nachdem feststand, daß dem Jungen eine ernsthafte Gefahr seitens Ihrer Behörde droht, wegen dem, was er weiß, unschuldig bestraft oder um wichtige Eindrücke seines Lebens beraubt zu werden."

"Ich erkenne, Sie beide haben sich offenbar abgesprochen, an diesem Komplott wider mein Ministerium mitzuwirken. Womöglich trachten Sie danach, die Vormachtstellung der amerikanischen Zaubererwelt zu Fall zu bringen, im Namen europäischer Machtgieriger, von denen wir hier einen nicht beim Namen nennen sollten", feuerte der Minister einen sehr heftigen Vorwurf auf Madame Faucon ab, die heftig zusammenzuckte, als hätte sie einen Schlag ins Gesicht bekommen. Ja, und so mußte es sich auch für sie anfühlen, dachte Julius. Ihr Konspiration mit Voldemort zu unterstellen war eine bodenlose, ja brutale Gemeinheit. Offenbar wollte Pole diesen Moment voll auskosten und fügte noch hinzu: "Immerhin haben Sie ja noch eine Tochter, die besagter Machtgieriger damals nicht hatte ermorden können. Vielleicht wurden Sie ja von ihm ..."

"Ich wurde und werde nicht von ihm erpresst, Herr Minister Pole!" Schrillte Madame Faucon nun sichtlich verärgert. "Das ist eine äußerst böswillige Unterstellung, die Sie mir da zumuten! Der, der sich Lord Voldemort nennt", Pole und Swift zuckten mit den Wimpern, während die Richter schreckhaft umherblickten, "würde meine Tochter so oder so umbringen, wenn ihm dazu die Gelegenheit geboten wird. Ich würde mich also eher von diesem Verbrecher ermorden lassen als mich von ihm zu einer Erfüllungsgehilfin aus Angst erniedrigen zu lassen. Außerdem ist das, was Sie uns allen hier unterstellen nicht nur bösartig, sondern ein Ausbund von Purer Verachtung aller geltenden Anstandsregeln, einer Witwe zu unterstellen, mit dem Mörder ihres Ehemannes zu paktieren, ohne daß überhaupt jemals ein Hinweis auf eine solche Kolaboration gegeben gewesen wäre. Aber da sie offenbar keine Skrupel haben, nur um keinen Fehler zuzugeben das von Ihnen bekleidete Amt zu verunglimpfen, muß ich wohl auch davon ausgehen, daß Sie sich über alle anderen Regeln und Gepflogenheiten hinwegsetzen würden, nur um Ihren Posten nicht zu gefährden. Das gilt wohl auch für Sie, Mr. Swift", sagte sie dann noch und blickte dabei Arco Swift sehr abschätzig an. Julius sah den Minister sehr genau an, straffte sich und sagte dann mit völlig ernster Betonung und Miene:

"Herr Minister Pole, mit Verlaub, Sie sind ein Arschloch." Dafür fing er sich nun von allen Seiten tadelnde Blicke ein, insbesondere von Madame Faucon, die ihn ansah, als habe er ihr auch was heftiges an den Kopf geworfen. Der Minister indes sprang auf und ballte beide Hände zu Fäusten. Julius ging reflexartig in eine Karateausgangsstellung, während Swift nun doch nach dem Zauberstab langte. Der vorsitzende Richter sah mißmutig auf Julius, während einer seiner Kollegen jungenhaft grinste, ein anderer Kollege den Kopf schüttelte, als müsse er das gerade gehörte Schimpfwort aus den Ohren schütteln wie eingedrungenes Wasser und ein weiterer Richter wohl überlegte, ob das nun ein offener Angriff auf den Minister war oder nur die Entgleisung eines Jugendlichen, der in ein dubioses Spiel hineingezogen worden war und nun nicht mehr wußte, wie er damit fertigwerden sollte.

"Nimm das sofort zurück!" Fauchte Pole, während Swift den Zauberstab hob und auf Julius zielte. Dieser witterte eine Falle, wenn er sich noch länger mit dem Minister befaßte und ließ sich blitzartig hinten überfallen. Soeben konnten die Richter noch eine gelb-grüne Kaskade von kleinen Blitzen sehen die aus dem Zauberstab Swifts schlug und in der Luft zu einem wilden Funkenwirbel zersprühte, der wie von einem starken Luftwirbel nach außen geschleudert und an den Wänden zerstreut wurde.

"Julius, es wäre besser, du nimmst die Beleidigung zurück", mahnte ihn Catherine, die nun ihren Zauberstab in der Hand hielt, um Swift keine weitere Gelegenheit zu einem Angriff zu bieten. Julius schüttelte den Kopf und sah Swift verächtlich an.

"Na, war wohl nix, wie?" Sagte er. Pole sprang vor. Der wohl an die zwei Meter messende Zauberer holte mit der rechten Faust aus und schlug nach Julius. Dabei zischte er: "Nervtötendes Schlammblut!" Julius wich dem Schlag aus und ließ im Gegenzug die linke Handkante gegen die Brust des Zaubereiministers krachen. Der Vorwärtsschwung des Ministers verstärkte die Wucht des Karateschlages und trieb ihm zischend die Luft aus den Lungen. Wild Japsend kippte er nach hinten über und schlug der ganzen Länge nach hin. Dabei entfiel ihm seine Brille und brach in zwei Teile. Der Vorsitzende schlug einmal mit der anderen Hammerseite auf den Tisch, nahm sie auf, reparierte sie mit mehreren Stubsern des Zauberstabes und gab sie dem Minister zurück. Danach hieb er wieder mit dem Hammer auf den Tisch, und erneut überkam alle ein Gefühl von elektrischer Spannung. Julius richtete sich wieder auf und sagte zu Pole:

"Als wenn Sie nur reinblütige Zauberer in der Verwandtschaft hätten, Herr Minister."

"Julius, ist gut jetzt", sagte Catherine und zog ihn rasch in ihren Arm wie einen ungezogenen Jungen, den sie festhalten mußte, damit er nicht weiter auf andere Jungen oder Mädchen losprügelte. Swift zielte wieder auf Julius. Doch der Vorsitzende des Zwölferrates sah ihn an und sagte:

"Mein Zauberkraftunterbrechungsschlag hält noch vor, Mr. Swift. Das haben Sie gerade erlebt. Übrigens, womit wollten Sie den Jungen angehen?"

"Dazu sage ich nichts", schnaubte Swift verärgert und senkte seinen Zauberstab.

"Kraft meines Amtes verurteile ich Mr. Julius Andrews wegen Mißachtung des Gerichtes, Beleidigung von Jasper Lincoln Laurentius Pole sowie Verunglimpfung des Zaubereiministers der vereinigten Staaten zu einer Geldstrafe von einhundert Galleonen, zu zahlen in drei Raten, die auch von seinen Eltern oder seinem amtlichen Fürsorgebeauftragten entrichtet werden können. Was glauben Sie eigentlich, wo Sie hier sind, Mr. Andrews?!"

"Das weiß ich nicht", sagte Julius nun wieder sehr gefaßt. "Ich weiß nur, daß man mich hier wie einen gemeinen Verbrecher behandeln wollte und weil das nicht so lief, wie der Herr Minister es vorhatte, jetzt mit unfairen Mitteln gearbeitet wird. Wenn das hier ein freies, wenn auch nichtöffentliches Gericht ist, Euer Ehren, dann frage ich mich wirklich, ob an dem Spruch nicht doch was dran ist, daß jemand auf hoher See und vor Gericht immer in Gottes Hand ist. Allerdings habe ich langsam verlernt, mich an irgendwelche Religionen gebunden zu fühlen. Und das Schlammblut, mit dem mich der Minister im Gegenzug bezeichnet hat, werden Sie wohl nicht als Notwehr durchgehen lassen, oder."

"Moment, das hat er wirklich ...", sagte der Vorsitzende nun etwas konfus und blickte unter seinen Tisch. Dann stand er kerzengerade von seinem Stuhl auf und sagte: "Herr Minister Pole, ich muß Sie leider ebenfalls wegen Mißachtung des Gerichtes, sowie massiver Revanchebeleidigung gegen Mr. Julius Andrews verurteilen und erlege Ihnen auf, eine Strafsumme in Höhe von 500 Galleonen zu entrichten, da ich in Ihrem Fall keine Nachsicht zu Gunsten jugendlicher Unbeherrschtheit üben und zudem bei Ihnen grundweg annehmen muß, daß Sie den Respekt vor unserem Gericht erlernt haben und daher wohl wesentlich stärker ausfällig wurden als der junge Zauberer hier. Außerdem ist die Höhe einer Strafgebühr nach Ermessen des Gerichtes auch vom Einkommen des zu bestrafenden herzuleiten. Daher gehe ich davon aus, daß Sie auch diese Summe nicht in Raten sondern auf einmal entrichten können und werden."

"Sie wagen es, mich zu einer Geldstrafe zu verurteilen?!" Empörte sich der Minister. "Ich hatte alles Recht, den Jungen zu disziplinieren. Oder glauben Sie, ich ließe mich widerstandslos beleidigen?"

"Sie haben den Jungen tätlich angegriffen und verbal attackiert, mit einem noch verwerflicheren Ausdruck als er ihn gegen Sie angewandt hat", stellte der Vorsitzende unerschüttert klar. "Das wollte und durfte ich Ihnen nicht durchgehen lassen, Sir."

"Ich darf davon ausgehen, daß durch diesen rüden Zwischenfall die Anschuldigungen gegen meinen Schutzbefohlenen gegenstandslos geworden sind?" Mischte sich Catherine nun ein. "Denn die Attacken des Ministers gegen meine ...", ihre Mutter sah sie warnend an und schüttelte den Kopf. "Die attacken gegen Professeur Faucon sind doch eindeutig genug als böswillige Versuche zu werten, eine längst verlorene Position mit Klauen und Zähnen zu verteidigen oder als Flucht nach vorne, weil der Rückzug nicht mehr möglich erscheint." Julius fühlte nicht nur die Kraft, mit der Catherine ihn immer noch festhielt, sondern auch die Kraft in ihrer Stimme. Sie war sehr entschlossen und unerbittlich.

"Nun, da das beigebrachte Pflegehelferüberwachungsprotokoll eindeutig zeigt, daß es am Morgen des dritten Augustes nach europäischer Zeitrechnung mehrere heftige Reaktionen eines Curattentius-Zaubers gegeben hat und der Minister mir bis zur Stunde noch nicht erläutern wollte, welche Geheiminformationen zum Sturz seines Ministeriums eigentlich geraubt wurden und inwieweit sie tatsächlich gegen ihn benutzt werden können, ich jedoch auch die ungewöhnlich intensive Freisetzung magischer Energien zum im Protokoll erwähnten Zeitpunkt, umgerechnet auf die Ortszeit Kaliforniens einbeziehen muß, muß ich dem nachgehen. Sie sagten, Ihr Vater wäre von diesen ominösen Hexen in einen Säugling verwandelt worden, den Professor Verdant mitgebracht hat? Dann möchte ich den Betroffenen prüfen."

Professor Verdant wurde gebeten, mit Richard Andrews hereinzukommen. Der Vorsitzende drehte seinen Richterhammer um und klopfte damit leicht auf den Tisch. Wieder vibrierte die Luft. Swift wollte schon nach seinem Zauberstab langen, doch Madame Faucon hielt ihren schon in der Hand, während Catherine Julius so herumzog, daß Swift ihn nicht genau anvisieren konnte. Pole, dem die heftige Beleidigung wohl genauso stark zusetzte wie der Handkantenschlag gegen seine Brust sah Swift an und schüttelte den Kopf. Der Zwölferratsvorsitzende ließ den Zauberstab über dem leise wimmernden Baby kreisen und murmelte: "Revelo Umbroriginis." Augenblicklich entstand ein rotgoldenes Abbild eines erwachsenen Mannes, dessen Gesichtszüge man deutlich sehen konnte. Swift starrte den Säugling an und die heraufbeschworene Aura, die seine frühere wahre Gestalt abbildete. Doch der Schatten flackerte merklich. Es schien, als verlöre er an Leuchtkraft und könne sie immer nur für wenige Sekunden voll entfalten.

"Oh, es sieht so aus, als verflüchtige sich die originäre Form dieses Mannes", stellte der Richter fest, nachdem er für das Protokoll die rotgoldene Schattenform beschrieben hatte. Alexis und John Ross prägten sich das Bild wohl gut ein. Dann flackerte es wieder, verlor an Schärfe und schrumpfte leicht ein.

"Oha", meinte Mrs. Porter, die bis dahin kein einziges Wort gesagt hatte.

"Eine Frage für das Protokoll an meinen Kollegen, Richter Eaglerock: Meinen Sie, daß die Rückverwandlung noch möglich wäre?"

Ein etwas kleinerer Richter aus dem Zwölferrat besah sich den Schatten, der wieder flackerte und um einen weiteren Zentimeter schrumpfte. Dann antwortete er kopfschüttelnd:

"Offenbar ist dieser Prozess progressiv unumkehrbar. Womöglich hat der Betroffene wirklich sein bisheriges Wissen und Können eingebüßt und damit die Grundvoraussetzung, sich von Infanticorpore befreien zu lassen. Daß wir die Schattenform noch sehen ist wohl ein Effekt des Orson'schen Gesetzes, demnach bei einer ireversiblen Bezauberung die hervorrufbaren Auren von Lebenskraft im umgekehrten Verhältnis von räumlicher Ausdehnung der Aura zur abgelaufenen Zeit liegt. Dabei gilt: Je größer die Ursprungsform war, desto langsamer beginnt die Reduktionsrate. Diese beschleunigt sich jedoch, wenn neunzig Prozent der Originalausdehnung unterschritten wurden und erfährt alle fünf weitere Prozent einen weiteren Geschwindigkeitszuwachs. Die Rate die hier sichtbar ist, zeigt mir deutlich, daß eine Rückverwandlung nicht mehr möglich sein kann, denn sonst wäre die Urzustandsaura noch stabil, bis zur Beendigung des sie hervorbringenden Zaubers."

"Danke, Richter Eaglerock", sagte der Vorsitzende kühl. Dann wandte er sich dem sich die Hand an die Brust haltenden Minister zu und sagte sehr streng: "Sie werden wohl nicht behaupten können, der Junge hätte einen derartig mächtigen Zauber gegen diesen Mann angewendet, den wir hier alle als den von den Muggeln wegen mehrfachen Mordes gesuchten Mann identifizieren konnten. Damit ist die vorgebrachte Behauptung des Jungen, untermauert von diesem Pflegehelferkontrollprotokoll, für mich keine sorgfältig ersonnene Lüge, um ein anderes Verbrechen zu vertuschen. Aber ich gebe Ihnen die Gelegenheit, mir und meinen Kollegen in Abwesenheit der Zeugen noch einmal zu erläutern, was genau der Junge mit Mrs. Porter zusammen gestohlen haben soll und erwäge sogar eine Veritaserum-Befragung Mrs. Porters. Aber zu diesem Zweck müssen alle Anwesenden, die bei Beginn der Sitzung noch nicht im Raum waren den Saal verlassen."

"Alle?" Fragte der Minister.

"Herr Minister, wie Sie habe ich auch für meine berufliche Laufbahn gelernt, meine Worte entsprechend dem zu wählen, was ich unmißverständlich ausdrücken will. Ich sagte alle zu Beginn nicht Anwesenden und meine das auch so. Das heißt Sie, Mr. Swift und Mrs. Porter bleiben hier. Die übrigen werden ersucht, den Sitzungssaal zu verlassen, bis ich Sie wieder hereinbitte", bekräftigte der Vorsitzende und winkte allen zu, die mehr oder weniger ungebeten in den Saal gekommen waren. Catherine zog Julius mit sich nach draußen. Die Tür schloß sich von selbst.

Julius war darauf gefaßt, sich eine Strafpredigt von Madame Faucon anhören zu müssen. Doch diese sah Catherine und dann ihn an und sagte:

"Ich gehe stark davon aus, daß der Vorsitzende, sofern er wirklich Mrs. Porter unter Veritaserum setzt, keine andere Aussage zu hören bekommt als wir sie auf unterschiedliche Weise gemacht haben. Auch nach diesem sehr unerfreulichen Zwischenspiel mit dir und dem Minister sollte der Zwölferrat zur übereinstimmenden Ansicht gelangen, daß die von uns vorgetragenen Dinge die Wahrheit sind und der Minister erzählen kann, was er will. Ich habe es an den Gesichtern der Richter abgelesen, daß sie förmlich darauf brannten, eine greifbarere Erklärung für alle Vorkommnisse der letzten Tage zu erhalten. Das Madame Rossignol aufgetaucht ist hat uns sehr geholfen. Ich fürchte nur, Julius, daß der Minister nach deinem sehr derben Akt gegen ihn und der sich abzeichnenden Bestätigung, daß er in vielen Punkten verantwortungslos und eigensinnig gehandelt hat, keine große Kooperationsbereitschaft zeigen wird, wie wir deinen Vater unterbringen können, damit er ein neues Leben beginnen kann."

"Ich Denke, Jasper Pole wird nicht lange im Amt bleiben", sagte Mr. Ross sehr zuversichtlich. "Selbst wenn die Richter die Angelegenheit unter Verschluß halten können, es ist schon zu viel durchgesickert, daß er irgendwas großes geheimhalten wollte und meinte, dafür auch mit den Sonderrechten herumzuspielen. Ich habe mit ein paar Kumpels gesprochen, die lieber in Swifts Truppe sein wollten als in der Liga. Die haben sich gefragt, was so gefährlich an einem Jugendlichen sei, daß man ihn sogar mit den unverzeihlichen Flüchen angreifen dürfe. Um eine Anhörung wird Minister Pole nicht herumkommen. Das wollen wir von der Liga wenigstens durchbringen, notfalls mit der Pressekeule."

"Welcher pressekeule?" Fragte Julius.

"Ein politisch brauchbareres Wort für Erpressung, Julius", sagte Catherine. "Wenn du nicht willst, daß alles in die Zeitung kommt, tritt zurück oder mach eine andere Politik."

"Yep", bestätigte John Ross entschlossen dreinschauend. Seine Frau sagte dazu noch:

"Außerdem müssen wir klären, was es mit diesen Schwestern auf sich hatte, die dich wie ein Deus ex Machina gerettet haben, natürlich nicht primär, sondern eher weil sie damit dieser Abgrundstochter beikommen konnten."

"Deus ex Machina? Achso, wie die Götter in den Theaterstücken der Römer, die von einem Kran runtergelassen wurden, wenn die Helden sich alleine nicht mehr helfen konnten", sagte Julius.

"Ey, der frißt auch diese alten Bücher, die du zwischen den Mahlzeiten einwirfst, Lex", knurrte John Ross. Madame Faucon sah den in Texas geborenen Zauberer kritisch an und meinte:

"Er war im verstrichenen Jahr einer unserer besten Schüler, Mr. Ross. Beauxbatons zeichnet keine uninteressierten und bildungsverweigernden Schüler aus. Außerdem kommt er aus einer kulturell hochgebildeten Familie."

"Tja, von der jetzt einer endgültig nicht mehr mitreden kann", dachte Julius und verfiel in eine gewisse Schwermut. Obwohl sein Vater keine fünf Meter von ihm entfernt im Tragekorb Professor Verdants lag, war er nun weiter von ihm fort als die fernste Galaxis im Kosmos. Eigentlich war er tot. Doch der Körper und sogar ein darinnen wohnender Geist lebten noch. Doch alles war weg, als hätte jemand bei ihm eine Resettaste gedrückt. Dann durchzuckte ihn ein weiterer Gedanke:

"Was ist mit Mum?" Wollte er wissen.

"Sie ist im St.-Michel-Krankenhaus untergebracht, zusammen mit den anderen Opfern dieses Laroche, die in dieser Lebensunterdrückungsapparatur lagen", sagte Madame Merryweather, die die Zeit vor der Tür wohl gut genutzt hatte, sich umzuhören.

"Können wir sie und Mr. Marchand da nicht rausholen und durch Zauberkraft heilen?" Wollte Julius weiter wissen.

"Das wäre im Moment zu auffällig, Julius. FBI-Leute bewachen die Patienten, damit sie dann, wenn diese wieder ansprechbar werden mehr Belastungsmaterial zu Laroche kriegen. Da dieser noch auf der Flucht ist und ein großes Verbrecherimperium unterhält und Kontakte zu anderen kriminellen Organisationen hält, würde es sofort auffallen, wenn wir Mr. Marchand und deine Mutter herausholen, zumal die Gesetze verbieten, reine Muggel mit magischen Mitteln zu heilen", sagte Madame Merryweather.

"Verdammt, das weiß ich doch", knurrte Julius frustriert. Madame Faucon sah ihn dafür etwas ungehalten an, mußte dann aber sanft nicken. Dann fiel Julius ein, daß er gerade eben eine saftige Geldstrafe aufgebrummt bekommen hatte und sagte zu Catherine: "Das mit dem Minister ist mir rausgerutscht, weil ich dem unbedingt zeigen wollte, was ich von dem halte. Das Geld kriegst du von mir, damit dieser Richter dich oder mich nicht noch in Ordnungshaft oder einen Schuldenturm steckt." Catherine holte aus und setzte schon an, Julius eine runterzuhauen. Doch dann ließ sie die Hand schnell sinken und fauchte ihn nur an:

"Hättest du dir vorher überlegen können, was du diesem Kerl vor Zeugen an den Kopf wirfst. Aber der Richter hat recht. Offenbar müssen wir jetzt von mehr Unbeherrschtheit bei dir ausgehen. Wir machen das halb und halb und ohne Raten. Dafür mußt du im nächsten Schuljahr mit weniger Geld zurechtkommen."

"Das ist in Beauxbatons ja kein Thema", dachte Julius für sich. Madame Faucon meinte zu ihm:

"Der Richter mag dir jetzt, wo du körperlich älter bist als du von der geistigen Entwicklung her nachvollziehen konntest, jugendliche Unbeherrschtheit als mildernden Umstand anrechnen, Julius. Aber natürlich weiß ich, daß du auch für deine vierzehn Jahre schon sehr vernünftig und gut diszipliniert bist und rate dir sehr dringend, dich in Beauxbatons nicht darauf zu verlassen, daß ich oder ein anderes Mitglied des Lehrkörpers dir sowas wie eben ungeahndet durchgehen läßt, wenngleich ich wegen der massiven verbalen Attacke auf mich ein wenig nachvollziehen mag, was dich dazu verleitet hat, einen derartig derben Ausdruck gegen den höchsten Zaubereibeamten dieses Landes zu benutzen. Ich habe in unserer Akademie schon Fälle erlebt, wo jemandem, der solch sprachlichen Unrat ausgestoßen hat mit dem Ratzeputzzauber solange durch den Mund gefuhrwerkt wurde, bis er bis zum unteren Ende der Speiseröhre frei von Schleim und Ablagerungen war. Lege es nicht darauf an, daß solch ein Exempel an dir wiederholt werden muß! Haben wir uns da verstanden?"

"Natürlich, Professeur Faucon", sagte Julius sehr kleinlaut. Die Lehrerin, die ihn bis dahin sehr streng im Blick behalten hatte, nickte ihm bestätigend zu und wandte sich dann wieder an Professor Verdant, die den totalverjüngten Richard Andrews in den Armen wiegte. Sie fragte die Kräuterkundelehrerin.

"Kommen Sie mit ihm zurecht, Professor Verdant?"

"Meine zweite Schwangerschaft endete mit der Geburt von Zwillingen, Professeur Faucon. Ich bin mit der Pflege von zwei Kindern zur Zeit vertraut. Außerdem habe ich gute Bücher gelesen, als ich zum fünften Mal mutter wurde, wie "Ein Haus voller Leben" von Madame Ursuline Latierre. Die Dame kennen Sie bestimmt."

"Nun, wenngleich sie selbst das Prädikat Dame nicht für sich geltend macht und auch nicht unbedingt danach trachtet, daß andere dies tun, ist mir diese Hexe durchaus bekannt", sagte Professeur Faucon kühl. Julius mußte grinsen. Immerhin hatte Professeur Faucon gegen besagte Hexe im Schachturnier verloren. Er zwar auch, aber erst im Halbfinale. "Nun, zumindest hat diese Person unbestreitbare Erfahrungen in häufiger Mutterschaft gesammelt", fügte die Beauxbatons-Lehrerin noch hinzu. Julius sah Catherine an und fragte sie vorsichtig:

"Was ist eigentlich mit Joe? War der ziemlich sauer, als du zu mir losgezogen bist?"

"Sagen wir es so, er war nicht gerade erfreut darüber. Andererseits werde ich heute abend mit ihm die Abschlußfeier der Spiele sehen und morgen mit ihm zurück nach Paris reisen. Es wäre wohl besser, wenn ich dich dann gleich mitnehme."

"Jetzt wo die ganze Kiste vorbei ist? Ich möchte wissen, was mit meiner Mutter passiert, wielange sie in diesem Krankenhaus bleiben muß. Ich möchte sie besuchen und ihr, sofern wir das nicht auch noch zur Geheimsache erklären, erzählen, was passiert ist und vor allem hören, was sie mit Mr. Marchand bei diesem Gangster zu schaffen hatte und ..."

Peng! Ein dunkelhäutiger, wohl gerade mit der Schule fertiger Zauberer in einem zitronengelben Umhang mit einer goldenen Eule auf dem Brustteil apparierte vor dem Sitzungssaal. Er machte einen sehr aufgeregten Eindruck.

"Ey, Leute, ist der Minister noch da drin?" Fragte er hektisch. John Ross grinste und sagte:

"Yep, dein Boss ist noch da drin, Lenny."

"Ey, ich muß den sprechen. Da ist ein großer Haufen Drachenmist am qualmen und ..." Professor Wright räusperte sich sehr mahnend. Der junge Bursche im gelben Goldeulenumhang sah sie wohl jetzt erst und lief rotbraun an. "Oh, Frau Prinzipalin, hab' nicht mitgekriegt, daß Sie hier sind. 'tschuldigung, Ma'am. Aber die Presse ist los. Ich muß dem Minister das sofort weitergeben."

"Der Zwölferrat hat uns aus dem Saal gewiesen, um in nichtöffentlicher Beratung etwas zu klären, junger Mann", sagte die Thorntails-Schulleiterin. Julius dachte sich seinen Teil und mußte grinsen. Unvermittelt hörte er Catherines Stimme in seinem Kopf:

"Was gibt es da zu grinsen, Jungchen?" Er wunderte sich, daß die Gedankenbotschaft französisch klang. Offenbar war es wirklich wichtig, in welcher Sprache jemand dachte. Er wollte schon den Mund aufmachen, um zu antworten, daß er wohl ahnte, was diesen Eilboten so heftig aufscheuchte. Doch seine amtliche Fürsorgerin schüttelte den Kopf, legte den Zeigefinger auf ihren Mund und tippte sich dann mit der freien Hand an die Stirn. Julius sah sie betreten an. Dann hörte er ihre Gedankenstimme wieder: "Ich habe das mitbekommen, daß du es gelernt hast. Also wende es an!"

Julius nickte und konzentrierte sich. Er wußte zwar nicht, wielange er brauchte, um Catherines strahlendes Gesicht deutlich genug vor seinem geistigen Auge zu haben. Dann schickte er mit sich von ihr gehört vorstellenden Worten mehrfach zu: "Minnisters Geheimnis ist wohl aufgeflogen!" Bereits beim dritten Mal empfand er diesen Nachhall in seinem Kopf und beim vierten Mal dachte er, im Hauptschiff der St.-Paul-Kathedrale zu stehen.

"Wird wohl so sein", kam eine prompte Antwort zu ihm zurück. Laut sagte Catherine dann: "Hoffentlich sind die dort drinnen gleich mit ihrer Beratung und Befragung durch. Ich möchte wissen, was ich dann mit dir machen kann."

"Ey, Mann, du siehst ja fast aus wie der Junge, den Minister Pole und Swifty so heftig suchen. Aber der Junge soll doch erst vierzehn sein", sagte Lenny, der Bote. Julius sah ihn mit kühler gelassenheit an und antwortete in rhythmischer Weise:

"Wenn die Hormone erstmal fließen
und die Haare richtig sprießen
hält ein Junge sich dann ziemlich heftig ran, Mann.
Denn dann will er's endlich wissen,
geht mal cool und mal verbissen
alle Dinge an, die nur ein echter Mann kann."

"Haha, Yo, Mann und diese ganze muggelmäßige Ghettogaunersülze", knurrte Lenny. "Aber ich bin nicht aus New York und kann diesen Dreck nicht ab. Klar?"

"Yup", machte Julius, während John gehässig lachte, seine Frau verdutzt dreinschaute, die Professoren Faucon, Wright und Verdant ihn tadelnd ansahen und Catherine ihn amüsiert anlächelte.

"Du siehst, daß dieser Muggelunsinn nicht überall gut ankommt", sagte sie ihm. Dann meinte sie zu Lenny:

"Aber was der Junge Ihnen damit sagen wollte ist, daß er der ist, als den Sie ihn erkannt haben. Deshalb sind wir ja auch hier."

"Ey, echt. Was haben die in der Strafverfolgung da für'n Krötenschleim verzapft? Du siehst ja schon fast fertig aus", sagte Lenny. Dann durchzuckte ihn etwas, das wohl der Schlag seines schlechten Gewissens war. Er hatte einen Auftrag, und den wollte er jetzt auch ausführen. Er klopfte an die Tür. Doch von drinnen kam kein Herein zurück. Lenny klopfte noch mal an. Doch wieder wurde er nicht hereingebeten.

"Ey, was geht denn da drinnen ab?" Fragte Lenny ziemlich aufgebracht.

"Es betrifft die Angelegenheit, weswegen wir hier stehen", sagte Professor Wright schroff. John Ross zwinkerte Lenny zu und meinte:

"Hat vielleicht schon mit dem zu tun, weswegen du hier aufgekreuzt bist, Lenny. Könnte noch 'n bißchen dauern da drinnen. Ich glaube, ich kann mir noch ein Pfeifchen anstecken."

"Das verbiete ich Ihnen", sagte Madame Merryweather. "Wenn Sie Ihre eigene Gesundheit ruinieren müssen, Mr. Ross, ist das Ihr Problem. Aber Sie werden uns nicht nötigen, den schädlichen Qualm ihres Tabakkonsums einzuatmen und somit passiv mitzurauchen."

"Mann, was soll ich in der Zeit denn sonst machen, Ma'am?" Knurrte John Ross vergrätzt.

"John, du kannst doch in den Besuchersalon für Raucher gehen. Ich melo dich dann an, wenn wir wieder reindürfen", sagte Alexis ruhig. John sah sie dankbar an, grüßte mit "Man sieht sich dann später" ab und ging mit kraftvollen Schritten den Gang zu den Aufzügen entlang davon.

"Trotz seiner Super-UTZs in Verwandlung, Zauberkunst und Verteidigung gegen die dunklen Künste hat der immer noch einen Heidenrespekt vor Ihnen, Madame Merryweather", sagte Alexis Ross. Die Heilerin nickte.

"Das will ich ihm auch ja geraten haben. Aber Sie kommen mit ihm sehr gut zurecht, wie ich mitbekommen habe."

"Brenda Needles hat mich gefragt, ob ich ihn ihr nicht mal ausleihen könnte. Aber den gebe ich nicht her", sagte die Hexe aus der Gegend von Denver, Colorado. Lenny tanzte derweil vor der Tür herum wie ein Junge, der mal nötig mußte aber nicht ins Bad konnte.

"Hallo, da drinnen!" Rief er nun ohne jede Achtung der Anstandsregeln. "Minister Pole, Sir, der Herold hat heftigen Wind gemacht, weil das Haus einer Familie Porter magisch blockiert wird, Sir. Ich muß mit Ihnen darüber sprechen."

"Mentiloquier ihm das doch", dachte Julius bei sich. Doch er selbst hatte es gerade ja wieder mitbekommen, wie schwer es war, sich auf eine andere Person zu konzentrieren. Die Tür flog auf, und der Minister selbst stand sehr zornig dreinschauend im Türrahmen. Er packte Lenny am Kragen und zog ihn hinein und warf die Tür wieder zu.

"Soviel zur Disziplin", flüsterte Julius Catherine zu. Diese sah ihn sehr warnend an und meinte:

"Das machst du bestimmt nicht in Beauxbatons, nur weil du meinst, was dringendes weitergeben zu müssen, klar!"

"Kapiert", erwiderte Julius nur.

Es dauerte keine Minute, da öffnete sich die Tür wieder, und Lenny kam herausgestürmt und disapparierte ohne Abschiedswort. Die Tür fiel wieder zu.

"Offenbar hat der Minister wirklich schlechte Neuigkeiten bekommen", feixte Julius. Alexis Ross grinste mädchenhaft.

"Habe ich das richtig vernommen, daß das Haus der Familie Porter unter einer Blockade steht?" Fragte Madame Faucon sichtlich verärgert. Alle nickten. "Das ist eine höchst unerhörte Maßnahme, selbst wenn er davon ausging, daß Mrs. Porter darauf ausging, ein brisantes Geheimnis weiterzuleiten. Oder ist Sippenhaft ein zulässiges Mittel der Strafverfolgung?" Mrs. Ross schüttelte den Kopf. Madame Faucon nickte. Dann sah sie Catherine an, schien sich auf etwas besonderes zu konzentrieren, sah sie dann fragend an und erhielt ein Nicken ihrer Tochter zur Antwort. Dann disapparierte sie einfach.

"So, meine Mutter klärt das jetzt vor ort, was da los ist. Immerhin sind wir ja hier, weil sie von deiner Schulfreundin Gloria gerufen wurde", sagte Catherine zu Julius. Dann mentiloquierte sie ihm: "Wahrscheinlich hat Mrs. Porter dir diese Verständigungsform beigebracht. Wir trainieren die ab jetzt, solange du in den Ferien bist. Verstanden?"

Julius nickte. Catherine schüttelte den Kopf und deutete wieder auf ihre Stirn. Julius sammelte sich und mentiloquierte ihr, daß er verstanden hatte.

"Die haben dir Melo beigebracht?" Kam Alexis' Gedankenstimme laut wie aus einem Megafon direkt am Ohr in Julius' Kopf an. Er sah Catherine an und schickte ihr die Frage weiter. Diese nickte Alexis zu und sagte mit körperlicher Stimme:

"Offenbar empfand es Mrs. Porter als zweckmäßig für gewisse Unternehmungen, die Talente des Jungen in dieser Weise zu nutzen."

Julius starrte auf die Tür, als könne er sie röntgen. Professor Wright trat zu ihm und fragte ihn, ob er Angst habe, doch noch von Minister Pole und Strafverfolgungsleiter Swift unter Gedächtniszauber genommen zu werden. Er nickte ihr zu. Dann sagte er noch, daß er sich aber im Moment eher Sorgen um seine Mutter mache und zu gerne wissen wolle, was ihr passiert sei. Sie nickte und erwiderte, daß man sich bald darum kümmern könne.

Die Befragung dauerte an. Julius fühlte langsam ein natürliches Drängen und mentiloquierte Catherine:

"Ich muß mal für kleine Jungs."

Catherine schickte ihm ein "In Ordnung" zurück und bat Professor Wright, hier auf sie zu warten, sollte man die Zeugen wieder hereinbitten. Dann ging sie mit Julius zu den Aufzügen und fuhr mit ihm ins Ankunftsvoyer, von wo aus sie einen unauffälligen Durchgang benutzten, der in zwei weißen Türen mündete. auf einer Tür war das Bild eines Zauberers im weißen Umhang mit blauem Spitzhut, unter dem "Hier für Herren" stand und auf der anderen Tür prangte das Bild einer Hexe im rosa Rüschenkleid mit weißem Hütchen, unter dem "Hier für Damen" stand. Julius sagte Catherine, er käme in einer Minute wieder zurück und passierte die Tür mit dem Zauberer, der ihm im Vorbeigehen zunickte.

Der Toilettenraum für Herren setzte sich aus einem langen Gang mit großen Marmorwaschbecken und durch einen Meter hohe Zwischenwände abgeteilte Urinale zusammen. Der Boden war hellgrau gefliest und kleine runde Fenster, ähnlich wie Bullaugen eines Schiffes, zeigten verschiedene Landschaftsbilder. Julius wußte, daß hier unter der Erde wohl Bildverpflanzungszauber benutzt wurden, ähnlich dem in der großen Halle von Hogwarts. Doch im Moment hatte er ein anderes Bedürfnis als sich die gezeigten Landschaften näher anzusehen. So brachte er sich vor einem der weißen Porzellanbecken in Stellung und wollte gerade überschüssiges Wasser loswerden, als er ein kurzes, leises Windsäuseln aus einer der wohl zehn Kabinen für größere Geschäfte hörte. Erst dachte er an einen weiteren Bedürftigen, der hier Erleichterung suchte. Doch das Säuseln hatte nicht wie ein Pupser geklungen. Er hielt inne, spürte in dem Moment auch keinen Drang, eine Wasserspende für die Kanalisation abzugeben und wandte den Kopf. Die zweite Tür vom Ende des Ganges her ging leise auf. Heraus trat der baumlange Zauberer im marineblauen Umhang, Zaubereiminister Jasper Pole. In der rechten Hand hielt er seinen Zauberstab, während er sich rasch umblickte und dann triumphierend auf Julius einschwenkte. Dieser sah den Minister leicht verdutzt an. Als dieser dann sagte:

"Habe ich doch den richtigen Moment abgepaßt. bleib ruhig stehen, damit du keine unnötigen Gedächtnislücken erleidest, Bursche!"

"Vergiss es, Arschloch", knurrte Julius und tauchte blitzartig zur Seite weg, als etwas unsichtbares wie ein Windstoß knapp an ihm vorbeisauste und eine der Kacheln blau leuchten ließ. Der Junge, der sich darüber klar war, daß er hier und jetzt angegriffen wurde, griff zu seinem Zauberstab am Gürtel. Der Minister setzte jedoch nach und versuchte, einen erneuten Zauber auf Julius zu legen.

"Verdammt, Bursche, ich will dir nicht wehtun", zischte er. Dabei stieß er den Zauberstab vor und rief: "Silencio!"

Julius schaffte es jedoch, durch eine schnelle ausweichbewegung dem Schweigezauber zu entwischen. Dafür zog sich eines der ovalen Becken zusammen und dehnte sich wieder aus. Julius überlegte rasch. Er hatte keine Zeit, dem Minister davonzulaufen. Er mußte ihn abwehren. Doch vorher wollte er was wissen:

"ich dachte Sie sind noch im Sitzungssaal!" Rief er und tauchte wieder unter einer schnellen Zauberstabbewegung weg.

"Bin ich ja auch", zischte Pole so leise, daß ihn draußen keiner hören würde. Dann griff er Julius mit Fangflüchen an. Dieser hatte nun aber seinen Zauberstab in der Hand und wehrte einen Fesselzauber und den Schocker ab. Sein Goldblütenhonig half ihm dabei, einen festen Schildzauber zu wirken, sodaß ein weiterer Schocker laut krachend davon abprallte und mit wildem Geklirr durch zwei Urinale schlug. Julius wollte gerade seinerseits einen Erstarrungszauber wirken, da traf ihn ein silberner Lichtblitz voll am Schild. Er fühlte seine Sinne schwinden, während sein unsichtbarer Schild in weiße Funken zerbarst. Keine Zehntelsekunde später traf ihn ein Entwaffnungszauber und warf ihn hinten über. Klappernd fiel sein Zauberstab auf die Fließen, die mit unappetitlichen gelben Flecken gesprenkelt waren. Der Minister trat auf Julius zu, siegessicher.

"Tja, die direkte Abfolge zweier Zauber habt ihr wohl noch nicht gelernt. Dein Pech, daß du so viele Skrupel hast, Bursche. Jetzt muß ich dein Gedächtnis total auslöschen, damit du mir nicht doch noch ans Bein Pinkelst. Amnesia!"

 

__________

 

Professor Wright stand vor dem Sitzungssaal und sah Catherine nach, wie sie mit Julius davonging. Etwa eine halbe Minute später tat sich die Tür auf, und der Vorsitzende rief alle Zeugen zurück in den Saal. Prinzipalin Wright sah Professor Verdant, Madame Merryweather und Alexis Ross hineingehen und trat kurz in den Türrahmen. Sie sah den Minister, der gerade sehr angespannt dasaß und die Richter und Jane Porter immer wieder herablassend beäugte.

"Mrs. Brickston und Mr. Andrews sind gerade in einer drängenden Privatangelegenheit unterwegs, Euer Ehren. Ich werde hier draußen auf sie warten, wenn Sie dies gestatten."

"Ich gestatte es", sagte der oberste Richter des Zwölferrates. "Allerdings muß ich die Sitzung dann solange unterbrechen. Ich hoffe, die Angelegenheit ist nicht zu ausgiebig."

"Bestimmt nicht", beteuerte Professor Wright. Sie sah Minister Pole an, der verächtlich auf die Tür blickte.

"Offenbar muß Mrs. Brickston den Jungen noch instruieren, seine Version der Geschichte fehlerfrei zu erzählen. Nun, wir wissen ja dann, was wir davon zu halten haben."

"Warten Sie also bitte draußen, Professor Wright", sagte der Vorsitzende und schloß die Tür mit Zauberkraft, als die Schulleiterin von Thorntails wieder auf den Gang zurückgetreten war. Es ploppte, und Professeur Faucon stand wieder im Gang.

"Huch, Sie hier allein?" Fragte sie die Prinzipalin verwundert. Diese nickte und flüsterte, daß Julius gerade austreten sei und Mrs. Brickston ihn zum Bad für Herren geleitet habe. Sie warteten eine halbe Minute, dann noch eine. Dann zuckte es im Gesicht der Beauxbatons-Lehrerin, und sie wurde schlagartig erst bleich und dann dunkelrot vor Wut. Sie wankte, weil dieser heftige Umschwung von Emotionen ihren nicht mehr ganz so jungen Körper heftig erschütterte. dann ging sie zur Tür, öffnete sie und sah hinein. Drinnen saßen noch alle Zeugen, die Richter und die beiden Zauberer Pole und Swift. Sie sah den Minister entgeistert an, als habe sie nicht damit gerechnet, ihn hier anzutreffen. Sie stutzte ein wenig. Dann trat sie ein und schloß die Tür von innen.

 

__________

 

Donata Archstone hatte gerade die Dienstaufsicht über die Hexen und Zauberer der inneren Sicherheit und wurde ständig darüber informiert, wie Besucher eintrafen, manche apparierten und disapparierten. Dann trötete ein Alarmzauber los, der auf ausgestoßene zauberflüche ansprach. Sie sprang förmlich aus dem weißen Sessel hinter dem wuchtigen Schreibtisch und stand keine Sekunde später vor einem gerahmten Spiegel mit zahllosen Gravuren im Mahagonirahmen. Unter diesem kam das Getröte heraus. Sie nahm ihren Zauberstab und deutete auf den unteren Rahmen des Spiegels.

"Monstrato Fontem Maledictionis!" Dachte sie. Sofort verschwand ihr Spiegelbild hinter einem dichten, silbrigweißen Nebel, der sich eine Sekunde später auflöste und einen Toilettentrakt zeigte, in dem bereits mehrere Urinale zertrümmert am Boden lagen. Sie sah ihren obersten Dienstherren, den zaubereiminister, wie er einen blonden Teenager mit Zauberflüchen beharkte und ihm schließlich mit einer direkten Folge von Mondlichthammer und Entwaffnungszauber kampfunfähig machte. Dann hob der Minister den Zauberstab und deutete auf den Jungen.

Donata Archstone deutete auf den Spiegel und berührte ihn am rechten Rahmen. Schlagartig wurde das Bild zu einer Kartenansicht des Gebäudes. Sie befahl, ihr den Standort des Ministers zu zeigen. Daraufhin blinkte einer der Punkte, der im Sitzungssaal auf. Doch gleichzeitig blinkte ein Punkt dort, wo die Toilettenräume für Herren lagen. Dabei verschwamm die Ansicht so wild, und der Spiegel erzitterte.

"Das gibt es doch nicht!" Rief Donata Archstone, als der Spiegel so wild zitterte, daß sich erste Risse bildeten. Sie sprang weit zurück, und der Zauberspiegel zerbarst in einem gefährlichen Regen aus glühenden Splittern, die wie Granatensplitter durch den Raum sirrten. Donata fand gerade noch so Deckung unter dem Schreibtisch, in den Dutzende der umherfliegenden Scherben krachend einschlugen und stecken blieben. Offenbar waren die Scherben so heiß, daß sie die leicht entzündlichen Stoffe im Raum sofort in Brand setzten. Eine magische Stimme schrillte "Feuer! Feuer! Feuer!" Doch das war ja völlig überflüssig, da gerade die weißen Brokatvorhänge, Ein Stapel Pergament und die Tapete an der Wand in helle Flammen aufgingen. Donata wirkte rasch den Flammengefrierzauber und jagte den eisblauen Brandlöschtrichter auf alles, was brannte. Dabei rief sie in den Raum:

"Brandbekämpfung in vier Sekunden. Eingreiftruppe sofort zur Herrentoilette links des Foyers!" Dann disapparierte sie. keine vier Sekunden später erfüllte ein eiskalter Nebel den Raum und erstickte die noch nicht gelöschten Brände innerhalb einer Sekunde. Für einen Menschen war dieser Nebel absolut tödlich. Deshalb mußte Donata den Raum verlassen. Für Möbel und andere Einrichtungsgegenstände war er unschädlich, außer das er alles mit einer glitzernden Eisschicht überzog. Gelagertes und durch einen Objektversetzungszauber an einen Brandherd holbares Kohlendioxyd, das beinahe auf der Temperatur war, bei der es zu Trockeneis gefror und jedes Feuer sofort erstickte.

An einem anderen Ort empfing der Leiter der hauseigenen Sicherheitsmannschaft den durch Schallverpflanzungszauber übermittelten Befehl Ms. Archstones und winkte seinen fünf Bereitschaftszauberern, ihm zu folgen.

 

__________

 

Julius wußte, daß er gerade noch einen winzigen Moment hatte, um den Zauber des Ministers abzuwehren. Er trat mit dem linken Fuß nach dem rechten Arm des Mannes und prellte ihm den Zauberstab aus der Hand. Klappernd fiel dieser zu boden. Doch weil offenbar schon so viel Zauberkraft in ihm angestaut war, ging er in Flammen auf. Pole sprang vor und schlang seine Hände um Julius Hals.

"Du vermaledeites Schlammblut wirst mir nicht meine Existenz zerstören", schnaubte er. Vor Julius Augen tanzten bereits rote Kreise. Doch der Junge war in waffenloser Kampftechnik geschult. Das zeigte er Pole nun überdeutlich. Mit einer schnellen Drehung trat er ihn und versetzte ihm sofort darauf einen Handkantenschlag an die Nasenwurzel, als der große Mann durch den Tritt nach vorne sackte. Poles Hände lösten sich und fielen schlaff herunter. Der große Zauberer stürzte bewußtlos zu Boden. In dem Moment apparierten fünf Zauberer in signalroten Umhängen. Julius fühlte den Harndrang wieder. Wenn er jetzt nicht Wasser ließ, würde er sich wie ein kleines Kind in die Hose machen. Er sah die Zauberer an, die mit kampfbereiten Zauberstäben dastanden. Er hob die hände und deutete dann auf eines der noch unbeschädigten Urinale.

"Bevor ich mich ergebe, darf ich noch machen?" Fragte er schnell. Einer der Zauberer, ein schwarzhaariger Muskelmann, der bestimmt auch gut ohne Zauberstab kämpfen konnte, nickte Julius zu, der endlich die nötige Erleichterung fand. Als er sich wieder ordentlich angekleidet umdrehte sah er errötend, daß zwei Hexen in den Toilettenraum eingetreten waren. Es waren Catherine Brickston und eine Hexe, die ebenfalls einen signalroten Umhang trug und graubraunes Haar besaß. Alles an ihrer Körperhaltung und ihrem sonst sehr unauffälligem Gesicht verriet Julius, daß sie hier wohl viel zu sagen hatte. So wandte er sich ihr zu.

"Wer bist du, Junge, und was machst du im Ministerium?" Fragte sie.

"Ich bin Julius Andrews", sagte Julius Andrews. "Und ich soll hier aussagen, warum Mrs. Porter und ich von Minister Pole und seiner Strafverfolgungsabteilung gesucht wurden. Ich wollte nur mal für kleine Jungs, als dieser Typ da", er deutete auf den am Boden liegenden Zaubereiminister, "mich angegriffen hat. Der sieht aus wie der Minister und meinte, ich würde ihm das Leben vermurksen wollen."

"Interessant", sagte die Hexe im roten Umhang und fuhr fort: "Ich bin Donata Archstone, diensthabende Leiterin der ministeriellen Sicherheitstruppen. Ich habe deinen Kampf mit diesem Individuum kurz beobachtet und geprüft, ob es der echte Zaubereiminister sein konnte. Doch dabei bekam ich nicht nur widersprüchliche Angaben, sondern eine heftige Erschütterung meines Standortanzeigeartefaktes. Warum das so war, weiß ich nicht."

"Wieso, wenn der hier nicht der echte Minister Pole ist", meinte Julius. Dabei sah er den am Boden liegenden Zaubereiminister an. Er erkannte eine goldene Halskette, an der wohl etwas hing. Madame Archstone folgte seinem Blick und sah auf einmal sehr erregt auf die Kette. Dann sprang sie vor und drehte den aus der gebrochenen Nase blutenden Zauberer so, daß sie die Kette ergreifen und hervorziehen konnte. Sie zog sie über den Kopf des Mannes, dessen Gesicht nun unter einer Blutlache rotbraun gesprenkelt war. Julius sah ihr zu, wie sie die Kette hochzog und damit ein goldenes Stundenglas hervorholte. Dessen Bild brannte sich Julius wie mit glühenden Nadeln ins Bewußtsein und löste zwei schnell hintereinander folgende Erinnerungen aus. Einmal sah er sich mit seinen Eltern in das Büro von Professor McGonagall eintreten, die gerade einen baugleichen Gegenstand verschwinden ließ. Einen Sekundenbruchteil später sah er sich in der Werkstatt von Monsieur Dusoleil, der ihm solch einen Gegenstand zeigte und erklärte, was das war und wie viel Macht er einem gab, die Macht, in die Vergangenheit zurückzureisen.

"Das ist es also", sagte Archstone. Dann nahm sie ihren Zauberstab und tippte die Nase des Bewußtlosen an, die darauf heilte.

"Das ist ein sehr heftiger Verstoß gegen die Gesetze, die den Umgang mit diesem Artefakt bestimmen", sagte Archstone und zeigte ihren Mitarbeitern das goldene Stundenglas. "Finch, Barkley, nehmen Sie diese Person Fest! Garrison, Sie begeben sich in die Myst und klären, ob dieses Artefakt zum jetzigen Zeitpunkt noch an seinem Platz ist! Ich stelle Ihnen die entsprechende Anweisung aus", sagte Madame Archstone und notierte auf einen Pergamentzettel etwas, daß sie vom oberen kolben des goldenen Stundenglases ablas. Dann disapparierte einer der Zauberer, während ein anderer dem noch bewußtlosen Zeitreisenden Handschellen anlegte. Julius fühlte sich matt. Das hatte er bisher nie echt geglaubt, daß jemand aus der Zukunft zurückkommen und ihn oder sonstwen angreifen würde, weil er irgendwann später etwas tun würde, von dem er jetzt noch nicht wußte, wann und was es war. Er hatte mit Lester und Malcolm, obwohl sie den Film noch nicht sehen durften, das Video des Terminator-Films gesehen und sich mit den beiden darüber gehabt, ob sowas wie ein Killerroboter aus der Zukunft überhaupt eine Chance hätte, seine Mordmission zu erfüllen. Weil wenn sie gelang, mußte der Roboter ja nicht aus der Zukunft zurückkommen, weil der entsprechende Mensch ja die lästigen Ereignisse nicht auslösen konnte oder würde immer und immer wieder scheitern, weil im Augenblick der erfüllten Mission seine Zeitreise nicht mehr stattfand. War die Vergangenheit also veränderbar oder konnten die einmal geschehenen Ereignisse nicht mehr umgeändert werden? Offenbar ging das tatsächlich, erkannte Julius. Der Minister Pole aus der Zukunft war gescheitert. Er hatte ihm nicht das Gedächtnis nehmen und ihn auch nicht töten können. War er deshalb noch da? Hätte er nicht beim Erfolg verschwinden müssen, weil ja dann das, was Julius dem Minister einmal antun würde gar nicht erst passierte? Offenbar würde es noch passieren, denn das war die einzige logische Begründung dafür, daß der Zeitreisende nicht verschwunden war beziehungsweise überhaupt in diese Zeit zurückgereist war.

"maman hat mir mentiloquiert, daß wir wieder zurückkommen sollen, weil die Befragung von dir ansteht", mentiloquierte Catherine Julius. Dieser stand immer noch unter dem Eindruck, gfast das Opfer eines Zeitverbrechers geworden zu sein. Dann sagte er:

"Wir müssen zum Sitzungssaal, Madame Archstone. Ich weiß nicht, wer dieser Mann war. Ich hoffe nur, er hat keine Brüder, die ihn rächen wollen."

"Jetzt nicht mehr, Junge", sagte Madame Archstone. "Dadurch, daß wir ihn erwischt haben, wird keiner seiner Art mehr auftauchen. Lelland, Saxon, geleiten Sie den Jungen zusammen mit der Dame zum Sitzungssaal des Zwölferrates!"

Unterwegs mentiloquierte Catherine: "Ich hätte nie gedacht, daß jemand derartig verwerfliche Taten begehen kann. Ich werde anregen, daß bestimmte Dinger unschädlich gemacht werden, bevor noch andere auf solche Ideen kommen."

"Du meinst, dieses Stundenglas hätte was mit diesem Doppelgänger zu tun?" Fragte Julius auf gedanklichem Weg zurück. Dafür fing er sich von Catherine einen mißbilligenden Blick ein.

"Ich habe es dir ansehen können, daß du erkannt hast, was es war und was es zu bedeuten hatte. Also versuch nicht, deine Fürsorgerin zu foppen, junger Mann!" Julius nahm dies als ernste Warnung, sich doch wider mehr zusammenzunehmen. Offenbar, so vermutete er, wirkte die körperliche Veränderung auf ihn auch auf den Geist ein. Doch nun mußte er Ruhe bewahren. Wenn der Minister, der jetzt noch immer und schon seit der ganzen Zeit im Sitzungssaal gesessen hatte, irgendwas gegen ihn haben würde, daß er sich mal eben einen Zeitumkehrer organisierte und in seine eigene Vergangenheit reiste, um was zu korrigieren, mußte es schon heftig sein.

Vor dem Sitzungssaal überließen die beiden Sicherheitszauberer Catherine und Julius sich selbst. Professor Wright stand vor der Tür und wartete wie verabredet. Ja, und soeben kam auch John Ross um eine Ecke des Flures und grüßte Julius locker. Der Texaner hatte nichts davon mitbekommen, was Julius im Toilettenraum erlebt hatte. Und der Junge würde auch keinem etwas davon erzählen. Denn dann, so erkannte er, würde er andauernd von Zeitreisenden angegriffen, die aus den Fehlern ihrer Vorgänger gelernt hatten. Was hatte Madame Archstone gesagt? Es würde jetzt keine Brüder des Doppelgängers mehr geben. Das gelang wohl nur, wenn er keinem von dem Zukunfts-Pole erzählte.

Mit wiedergewonnener Selbstbeherrschung und Kühler Sachlichkeit betrat Julius den Sitzungssaal. Der Vorsitzende sah ihn an und deutete auf einen schwarzen Steinquader. Julius erkannte ihn sofort. Das war ein Eidesstein. Sie hatten also eine magische Methode gefunden, ihm die reine Wahrheit abzuringen.

"Ich weiß nicht, ob Sie mit einem derartigen Artefakt vertraut sind, Mr. Andrews", setzte der Vorsitzende an. "Dies ist ein sogenannter Eidesstein. Er birgt eine Magie in sich, die jeden, der bei seiner Berührung einen Schwur ablegt, hart bestraft, wenn er dem Schwur zuwiderhandelt. Ich möchte nun ihre Fürsorgerin bitten, die offenkundig darauf bedacht ist, Sie nicht in tolldreiste Befragungsabläufe hineinzuziehen, Sie auf diesen Stein schwören zu lassen, die Wahrheit zu sagen, die reine und vor allem vollständige Wahrheit. Treten Sie nun bitte vor!"

Julius gehorchte. Catherine sah die Richter an, nickte Julius dann aber zu. Der Minister wurde immer nervöser, während der Beauxbatons-Schüler meinte, Swift würde schon einmal üben, den Namen seines neuen Vorgesetzten niederzuschreiben und auszusprechen.

Julius legte seine Hände auf den rauhen Stein und schwor: "Ich schwöre bei der Unversehrtheit meines Lebens, daß ich diesem Gericht zu dieser Zeit an diesem Ort die reine Wahrheit erzählen werde, nichts hinzufüge oder fortlasse und alle Fragen detailgenau beantworte, dies schwöre ich bei meiner Unversehrtheit." Daraufhin wurde der Eidesstein so heiß wie eine Herdplatte kurz vor dem Versengen der Hand. Julius mußte warten, bis der Stein sich wieder abkühlte. Erst dann konnte er ihn wieder loslassen. Die magische Vereidigung war nun vollzogen.

Danach fragte immer ein Richter aus dem Rat der zwölf, was er seit seiner Ankunft in New Orleans erlebt habe, wie er darauf gekommen sei, mit seinem Vater könne etwas nicht stimmen, wie er die Muggelnachrichten über seinen Vater bekommen habe, wobei Julius einem grauhaarigen Richter namens Erasmus Pinkerton detailgenau erklären mußte, wie Nachrichten in das Internet kamen und wie man sie dort finden und bei bedarf herausholen konnte. Da er unter Vollständigkeitszwang stand mußte er Brittany Forester erwähnen, die ihn zu diesem Internetcafé gebracht hatte. Er hoffte nur, daß dem Mädchen dadurch kein Ärger blühte. Dabei sah er nicht gerade zufällig Swift von der Strafverfolgungsabteilung an. Dann erzählte er von Maries Audienz, wobei er da lediglich einwarf, daß sie ihm offenbart habe, sie habe ihn rufen lassen, um ihm zu sagen, was mit seinem Vater sei. Zu seinem Glück wurde er nicht nach weiteren Einzelheiten der Audienz befragt. Diese hätte er dann wohl verraten müssen. Danach wollte der Vorsitzende, von dem Julius nun erfahren hatte, daß er Ratssprecher Chrysostomos Ironside hieß, alles wissen, was er seit der Audienz erlebt hatte, so detailgenau wie möglich. Julius wunderte sich dabei über sich selbst, was ihm alles wieder einfiel, als er erzählte, wie er zuerst im Institut war, wie Mr. Davidson Mrs. Porter und ihn dort angetroffen und das Ministerium informiert hatte, wie sie mit Zachary Marchands altem Sofa zu den Ross' gelangt waren, wie er seine Posteule Francis losgeschickt hatte und daß er nach einem mehrstündigen Aufenthalt im Laveau-Institut von Ardentia Truelane nach Columbus in Ohio gebracht worden waren. Swift verzog ein ums andere Mal das Gesicht, wenn Julius erwähnte, wie sie an ihm vorbeigeschlüpft waren. Die Richter hatten Minister Pole sehr kritisch angesehen, weil dieser wohl die Sonderrechte zugelassen hatte, denen nach einer der Strafverfolgungsleute wohl den tödlichen Fluch benutzen wollte. Dann erzählte Julius von seiner Reise nach Houston, Texas, wo sein Vater ihn mit Hilfe Hallittis aufgestöbert und einkassiert hatte. Danach folgte eine längere Beschreibung der Schlafstätte, des magischen Riesenkruges und daß er fast diesem höllisch schönen und mächtigen Geschöpf verfallen wäre. Dann schilderte er das Eindringen der Hexen in Weiß, angeführt von einer wohl ziemlich mächtigen Hexe in Rosa, von der er erwähnte, daß er sie in San Rafael im Bus getroffen habe und sein Pflegehelferarmband wohl auf sie reagiert hatte. Er erzählte davon, wie sein Vater von einer dieser Hexen durch den Infanticorpore-Fluch zum Baby zurückverwandelt worden war und wie die Hexen mit einem riesenhaften Ungetüm, daß wie ein Vogel aus schwarzen Gewitterwolken wirkte, den Krug fortgetragen hatten, der dann wohl weit von ihnen entfernt zerstört worden war. Danach habe er den Notrufzauber benutzt und sei von Madame Merryweather aufgelesen worden, die ihn und seinen Vater nach Thorntails mitgenommen habe. Dann war er fertig.

"Also, Mrs. Porter, ich muß sagen, daß Sie den Jungen schon heftig in Gefahr gebracht haben", sagte Ironside Jane Porter zugewandt. Diese sah abbittend die zwölf Richter an und nickte. Madame Faucon nickte dem Richter zu. Er hatte ihr wohl aus der Seele gesprochen. "Andererseits waren ja mit dem Eingreifen Marie Laveaus die Wichtel auf dem Dach. Ich wundere mich ehrlich, Herr Minister, daß Sie es für gut befanden, aus den Umtrieben dieser Höllentochter ein mehr oder weniger privates Geheimnis zu machen. Sie haben damit nicht nur gegen die alten Prinzipien des unbedingten Schutzes aller Menschen vor dunklen Kräften verstoßen, sondern auch zugelassen, daß dieses Wesen immer mächtiger werden konnte. Nach der Beschreibung des Jungen konnte es seinen Vater ja vor dem sicheren Tod retten, um diesen weiter als Beutemacher zu kultivieren. Sie hätten dies nicht zulassen dürfen, Herr Minister." Minister Pole sah den obersten Richter sehr verbittert an. Offenbar fand er keine brauchbare Rechtfertigung. "Jedenfalls müssen wir festhalten, daß sehr viele Menschenleben hätten gerettet werden können, wenn die Kenntnisse nicht auf einen kleinen Personenkreis beschränkt geblieben wären. Ich fürchte, ich muß diesen Vorfall zum Gegenstand einer Anhörung machen, Herr Minister Pole." Pole sah Julius sehr bitterböse an. Der Junge war sich jetzt sicher, die Wut heraufbeschworen zu haben, die den Minister in vielleicht wenigen Stunden dazu treiben würde, mit einem Zeitumkehrer an den Zeitpunkt zu reisen, wo Julius gerade auf dem Klo gewesen war. Was würde diese Madame Archstone gerade mit dem Minister aus der Zukunft machen. War er überhaupt noch da? Da Julius sich noch an ihn erinnern konnte mußte er wohl noch da sein, fiel ihm ein. Dann sagten die übrigen Beteiligten noch aus, wann sie mit Mrs. Porter und Julius zusammengetroffen waren und wie sie mit diesen Neuigkeiten umgegangen wären. Swift wurde gefragt, wer von seinen Leuten den verbotenen Todesfluch ausgerufen hatte. Dieser sagte, daß er den betreffenden Zauberer bereits abgemahnt habe, obwohl die Sonderrechte ja in Kraft seien. Darauf stellte der Vorsitzende Klar:

"Der Minister darf zwar der Strafverfolgungsabteilung Sonderrechte zum Umgang mit gefährlichen Hexen, Zauberern und Zauberwesen erteilen, muß dies jedoch bei uns vorher anmelden, damit wir darüber befinden können, ob die Erteilung der Sonderrechte im Einzelfall gerechtfertigt sind oder nicht. Sie können ja nicht einfach Dinge tun, die bei Zivilpersonen als Straftaten geahndet werden müssen, wenn es keine Handhabe dafür gibt."

"Gefahr im Verzug", knurrte Minister Pole. "Ich bin als Minister allen Mitgliedern der magischen Welt nordamerikas zum Schutz vor dunklen Gewalten verpflichtet. Wenn ich da jedesmal auf eine richterliche Abwägung warten müßte würden dunkle Bruder- und Schwesternschaften ungehindert zuschlagen und ihre Pläne verfolgen. Bei allem Respekt, Euer Ehren. Aber ich habe befunden, daß die Gefahr einer unkontrollierbaren Panik zu groß sei, als daß diese Tatsachen an das Licht der Öffentlichkeit kommen dürfen."

Dann rücken Sie nun endlich von Ihrer vorhergehenden Behauptung ab, die beiden hätten geheime Unterlagen zu Maßnahmen gestohlen, die die Geheimhaltung sichern sollen?" Fragte Ironside. Minister Pole zuckte mit den Achseln. Was er jetzt sagte, besiegelte sein Schicksal.

"Sie verstehen davon nichts, Euer Ehren. Sie verhandeln über eindeutig greifbare Verstöße und Verstoßer. Hätte ich Ihnen mitgeteilt, daß diese Kreatur auf dem Boden der Staaten unterwegs ist, was hätten Sie da gemacht? Sie hätten mir freistellen müssen, dieses Wesen zu jagen und dabei abzuwägen, wie viele Mitglieder der Zaubererwelt davon wissen dürfen. Diese einzig zu erwartende Entscheidung von Ihnen wollte und durfte ich nicht abwarten, sondern mußte sofort etwas tun."

"Sie haben überhaupt nichts getan, Herr Minister", sagte John Ross. "Wenn Sie die Liga drauf angesetzt hätten, wären die ganzen Morde nicht passiert, weil wir die entsprechenden Sicherheitszauber eingerichtet hätten, um diesen armen Mann zu finden, wenn er irgendwo auftaucht. Das hätten Sie doch wissen müssen."

"Ich ging davon aus, dieses Wesen würde sich nach der Sache in Detroit wieder nach Großbritannien absetzen und ...."

"Genau da liegt doch Ihr größter unverzeihlicher Fehler, Herr Minister", unterbrach Ross den Zaubereiminister, dessen Amtszeit wohl nur noch in Stunden gezählt würde. "Wir sind international aufgestellt und hätten das Biest weiterjagen können, grenzübergreifend. Aber Sie meinten ja, daß Sie durch die Geheimniskrämerei und eine Abwartehaltung schon alles wieder hinkriegen. Bloß keinen um Hilfe rufen, schon gar keine Ehrenamtlichen oder gar Ausländer", knallte John Ross dem Minister noch vor. Julius grinste. Das sprach ihm nun voll aus der Seele. Minister Pole sah John Ross an und dann den Ratsvorsitzenden Ironside. Dieser nickte dem in Texas geborenen Ligisten gegen die dunklen Kräfte aber zustimmend zu. Julius sah dies als Einladung an ihn, auch noch was dazu loszuwerden. Er straffte sich und sagte laut:

"Ich kriege das jetzt so auf die Reihe, daß es zwischen den amerikanischen Muggelpolitikern und denen aus der Zaubererwelt keinen Unterschied gibt. Die sagen sich: "Wir können alles. Was wir wollen kriegen wir. Wir dürfen alles, egal was der Rest der Welt darüber denken mag." Ja, so ticken Sie wohl leider auch, Herr Minister."

"Das verbitte ich mir", knurrte der Minister. Ironside sah Julius und Catherine sehr bedrohlich an und sagte:

"Nun, diesen Eindruck mögen Sie haben, weil Sie persönlich von dieser Kette von Versäumnissen und unentschuldbarer Ignoranz betroffen sind, Mr. Andrews. Aber verallgemeinern Sie das bitte nicht. Die Tradition der amerikanischen Zaubereiverwaltung kann überragende Beispiele für eine gedeihliche internationale Zusammenarbeit ohne nationale Prätentionen vorweisen. Ich sehe von einer weiteren Strafe wegen Beleidigung ab, da der Minister sich durch seine Handlungsweise selbst diskreditiert hat", sagte Ironside. John Ross, der Julius kurzen Einwurf mit einer Mischung aus Amusement und Unbehagen gehört hatte bat durch Handzeichen ums Wort und sagte:

"Was der Junge sagen möchte, Euer Ehren, wir sollten uns nicht den engstirnigen Kram der Muggel angewöhnen. Sie zu erforschen und mit ihnen ohne heftigen Terz zusammenzuleben ist richtig. Aber alle Macken müssen wir ja echt nicht übernehmen. Ich habe das ja selbst mitgekriegt, wie'n Kollege von Lex und mir, der für die orientalischen Brüder des blauen Morgensterns arbeitet, in so'ne Bomberei in Bagdad reingeraten ist. Seitdem kann der Muggel aus unseren Staaten- Hoch das Sternenbanner und so weiter - nicht mehr Riechen. Das meint der Bursche, daß die Muggelpolitiker von hier meinen, alles machen zu können, weil sie das Geld und die Waffen haben. Wenn wir uns was drauf einbilden dürfen sollen, daß wir gescheiter und weitblickender sind, dann hätte Minister Pole sich nicht zu gut auf dieses Getue der Muggel einlassen sollen, das nix ist, was nich' sein darf, also auch keine Männer und Frauen im Beischlaf auszehrende Kreatur auf amerikanischem Boden. Offenbar hat der Minister gemeint, sind doch nur Muggel, die dabei draufgingen, noch dazu Frauen, die keinen Anstand kennen und ihre Körper an jedem verkaufen, der es gerade nötig hat, nicht wahr, Herr Minister?"

"Lernen Sie erst einmal anständig sprechen, Mr. Ross!" Schnaubte Pole verärgert. Seine Felle schwammen davon, und er wußte es. Swift sah so aus, als müsse er sich überlegen, ob er noch von dem sinkenden Schiff runterspringen konnte oder bereits im Sog von Minister Poles Untergang festhing. Er versuchte es noch einmal mit einer Loyalitätsbekundung.

"Ich habe meinen Eid auf die Wahrung unserer Stabilität und dem Minister geleistet", sagte Swift. "Das heißt, ich muß davon ausgehen, daß er oder sie weiß, was gerade richtig ist. Und egal, was dieser texannische Landbursche da gerade über Politik gesagt hat, Herr Minister Pole hat das getan und veranlaßt, was er zu dem Zeitpunkt für einzig richtig hielt.""

"Es sind ja auch nicht nur Huren gestorben, sondern auch unschuldige Babys", warf Mrs. Porter überraschend ein. "Aber das konnten wir, da wir ja diesen vermaledeiten Eid geschworen haben, keinem mitteilen."

"Eben", knurrte John Ross. "Das heißt nix anderes als das Minister Pole mehrere Dutzend Kinder auf dem Gewissen hat. Daß Sie da noch gut schlafen können. Denn die Bilder kriegen Sie auch mit Träumgut-Tee nicht aus dem Kopf, wie Mütter weinend über den Bettchen ihrer Kinder stehen und sich vorwerfen, sie nicht richtig behütet zu haben."

"Es reicht!" Brüllte Pole und fischte nach seinem Zauberstab. "Ich lasse mich doch nicht von diesem Cowboy da dumm anreden."

"John, ist gut jetzt", sagte Alexis, als ihr Mann seinen zwölf Zoll langen Zauberstab bereits kampfbereit in der Hand hielt.

"Hallo, ich dulde hier keine magische Auseinandersetzung!" Rief Ironside und ließ den Hammer auf den Tisch donnern. Wieder meinte Julius, die Luft vibriere und lege sich wie eine leicht elektrisierende Decke auf alles und jeden hier. Der Minister sah seinen Strafverfolgungsleiter an, der ebenfalls den Zauberstab gezückt hatte. Swift sah John Ross an und steckte den Stab wieder fort.

"Ich habe ehrlich gesagt kein Interesse, diese Sitzung durch unnötige Einwürfe und Anfeindungen in die Länge zu ziehen, meine Damen und Herren! Was wir hier wissen wollten, wissen wir nun. Ich werde mich mit meinen Kollegen nun beraten, wie wir mit diesen Vorfällen verfahren werden. In einer halben Stunde kehren Sie alle wieder hierher zurück! Dann werden wir Ihnen mitteilen, was wir zu unternehmen gedenken."

Die Richter verließen den Sitzungssaal durch eine kleine Tür, die wohl in einen Besprechungsraum führte. Catherine und ihre Mutter nahmen Julius in die Mitte. Mrs. Porter wurde von Swift aus dem Saal geführt. Offenbar war sie immer noch seine Gefangene. Er schielte einmal herüber und machte Andeutungen, auch Julius in Gewahrsam zu nehmen. Doch zwei saphirblaue Augenpaare funkelten ihn zur Vorsicht gemahnend an. Außerdem waren jetzt alle Karten auf dem Tisch. Die Ross blieben ebenfalls in der Nähe von Julius, während Professor Wright sich mit Madame Merryweather und Professor Verdant unterhielt, die gerade aus einer großen Wasserflasche trank, um ihren eigenen Flüssigkeitshaushalt aufzubessern. Offenbar war die Ernährung von zwei Babys gleichzeitig doch etwas anstrengend, fand Julius. Er dachte an Madame Latierre, die Matriarchin ihrer Sippe, die demnächst auch Zwillinge haben würde, wohl zwei Töchter, wie er schon erfahren hatte. Von Ursuline Latierre kam er auf Millie. Was würde die kucken, wenn er jetzt als fast ausgewachsener Mann nach Beauxbatons zurückkam. Ja, und wie würde Claire das hinnehmen? Es mochte sein, daß sie es nun noch schöner fand, mit ihm zusammen zu sein. Doch was wollte und durfte er ihr erzählen, wie er innerhalb von wenigen Sekunden um zwei Jahre älter geworden war? Diese Frage mentiloquierte er Catherine, als sie auf dem Weg zur öffentlichen Cafeteria waren. Sie mentiloquierte zurück:

"Den Zeitpaktzauber sollten wir besser nicht vor Leuten aus Beauxbatons und deren Eltern erwähnen, Julius. Da ich nicht weiß, was unsere Leute über die Angelegenheit hier beschließen werden, wieviele was davon wissen dürfen oder nicht, solltest du den Zauber nicht erwähnen, wenn du deine Schulkameraden mit deinem neuen Aussehen konfrontierst."

"Stimmt, den Zeitpakt-Zauber will ich bestimmt nicht erwähnen. Aber wenn Professeur Fixus das aufschnappt, denkt sie sich wohl ihren Teil, auch wenn sie es keinem weitererzählen darf", schickte Julius eine Antwort an Catherine. Dabei fühlte er, wie sein Kopf heißer wurde und ihm Schweiß auf die Stirn trat. Catherine bemerkte das auch und legte ihm kurz die Hand auf die Stirn, als wolle sie fühlen, ob er Fieber hatte.

"Das mentiloquieren ist schon was anderes als einen kurzen Zauber formulieren", meinte sie auf unhörbare Weise. Julius nickte ihr zu. Daraufhin wies Catherine ihn mit einer etwas tadelnden Unterschwingung zurecht, er dürfe bei einem mentiloquistischen Dialog niemals Gesten oder Körperbewegungen zeigen, die als Antwort auf eine erhaltene Nachricht hindeuteten. Denn sonst könne man ja gleich weiter stimmlich miteinander reden.

"Mrs. Porter hat meines Erachtens zu hoch gepokert", mengte sich nun noch Madame Faucons Gedankenstimme in Julius' Bewußtsein. Er wollte schon zu nicken ansetzen, verkniff es sich gerade eben noch. Recht hatte sie aber. Doch weil Swift bei Glorias Großmutter stand, konnte sie entweder nur mit dieser Mentiloquieren, was selbst für eine mächtige und damit bestimmt sehr vertraute Hexe anstrengend war oder mußte abwarten, bis sie unter sich waren.

Auf dem Weg zur Cafeteria liefen ihnen ziemlich aufgedrehte Hexen und Zauberer über den Weg. Darunter waren welche mit klobigen Fotoapparaten und einige, die mit Klemmbrettern herumwuselten, auf denen Flotte-Schreibe-Federn ihre Bahnen zogen. Julius fühlte sich etwas unwohl bei dem Aufgebot von Schreibern und Fotografen. Madame Faucon sah einen der Kamerazauberer auf sie zuhasten, sein Bildgerät schon schußbereit.

"Keine Fotos, keine Interviews, was immer Sie erfahren wollen!" Wehrte Madame Faucon den Fotografen ab, der wohl als Vorhut für eine Reporterhexe mit einsatzbereiter Schreibe-Feder war. Diese ließ sich offenbar nicht abwimmeln, schien von der Harschen Abweisung Madame Faucons eher angestachelt, nachzuhaken, weshalb es bedauerlich sein könnte, kein Interview zu kriegen. Sie trat vor und lächelte Madame Faucon an. Julius wurde indes von Catherine bei Seite gezogen. Er sah gerade noch, wie der Bildermacher seinen Apparat auf ihn einschwenken wollte und tauchte in dem Moment weg, wo der Blitz auslöste und der bei Zaubererkameras übliche rote Qualm aus dem Gehäuse quoll.

"Ey, Junge, bleib doch mal stehen! Bist du Julius Andrews?" Fragte der Fotomacher. Julius sah ihn teilnahmslos an und gab nur ein kaltes: "Kein Kommentar" zurück.

"Madame Faucon, ich bin Linda Knowles von der Stimme des Westwinds. Sind Sie wegen des Jungen hier, nach dem das Ministerium so heftig sucht?"

"Ich sagte Ihnen, daß ich und meine Begleiter für keine Interviews zur Verfügung stehen", herrschte Madame Faucon die wohl nicht so leicht zu erschütternde Reporterin an, deren aufdringliches Gehabe Julius an Rita Kimmkorn erinnerte, wenngleich Linda Knowles mit ihrer biegsamen Figur, der kaffeebraunen Haut, den fast schwarzen Kulleraugen und der rotbraunen Lockenpracht bis auf die in eine himmelblaue Bluse gehüllten Schultern schon ein Mädchen für sich war.

"Was wissen Sie von dem eng begrenzten Erdbeben in Kalifornien?" Bohrte die Reporterin nach. Ihre Stimme klang ziemlich tief und Raumfüllend, fand Julius, während der Fotograf wieder versuchte, ihn abzuschießen. Catherine zog ihren Zauberstab hervor und drohte damit wie mit einem Dolch.

"Der Junge hat ein Recht an seinem eigenen Bild. Er verweigert ein Foto. Respektieren Sie das oder nehmen Sie sich für heute frei!" Sprach Catherine. Der Kamerazauberer senkte seinen Wunderapparat und wandte sich Linda Knowles zu, der Madame Faucon gerade die Geniale antwort gab:

"Es ist eine traurige Tatsache, daß Kalifornien in einem stark erdbebengefährdeten Bereich des amerikanischen Kontinents liegt. Deshalb mache ich mir da keine weiteren Gedanken."

"Nun, Madame, das Beben ist ja doch durch einen starken Ausbruch ungerichteter Zauberkräfte ausgelöst worden. Also denke ich doch, daß Sie sich darüber Gedanken machen."

"Ach wirklich?" Fragte Madame Faucon und legte sofort nach. "Dann schlage ich Vor, Sie unterhalten sich mit den Leuten, die diesen Ausbruch verzeichnet haben wollen."

"Aber der Junge da", sagte Linda und winkte dem Fotografen, der jedoch mit einem schnellen Blick auf Catherine eine abweisende Handbewegung machte. "Das ist doch Julius Andrews, welcher gegen Sie im letzten Sommer das Schachturnier gewonnen hat und zur Zeit von den Beamten des Ministeriums fieberhaft gesucht wird", blieb Linda sehr hartnäckig. Madame Faucon sah Julius an, wiegte den Kopf und schüttelte ihn dann.

"Wenn dieser Junge der wäre, nach dem gerade wie Sie sagen fieberhaft gesucht würde, dann würden die Beamten des Ministeriums ihn nicht frei herumlaufen lassen."

"Ich sage, keine Interviews zu diesem Zeitpunkt!" Brüllte Swift von einer anderen Stelle her. Julius sah sich nach ihm um und entdeckte vier Zauberer und zwei Hexen, die ihn umlagerten. Das waren wohl auch Reporter und Fotografen.

"Nun, wenn Sie von nichts zu wissen vorgeben, Madame, kann ich sie doch fragen, was Sie hierhergeführt hat?"

"Fragen können Sie natürlich, dafür haben Sie das Sprechen erlernt", konterte Madame Faucon. Julius mußte grinsen, während Catherine ihn zu einem der Aufzüge führte, aus dem gerade ein weiterer Pulk Presseleute herausspritzte.

"Was geht denn da gerade ab?" Mentiloquierte Julius, als Catherine ihn bei der Hand nahm und er sich mit geschlossenen Augen besser konzentrieren konnte.

"Irgendwo ist es durchgesickert, was der Minister verheimlichen wollte", kam Catherines Antwort. Dann bugsierte sie ihn in eine Ecke der Fahrstuhlkabine und postierte sich vor ihn. Jetzt erst fiel Julius auf, daß er Catherine von der Größe her schon etwas überflügelt hatte. Vor nicht einmal drei Wochen hatte er mit seiner Nase gerade ihr Kinn berühren können, ohne daß er sich hätte strecken und sie sich hätte bücken müssen. Zwei Fotografen, die mitbekommen hatten, daß ihnen das ersehnte Jagdziel gerade durch die Lappen gehen wollte warfen sich mit ihren schwarzen Kameras in die Kabine. Catherine hielt den Zauberstab hoch und rief:

"Creato nebulam Amplifico!" Eine riesige, weiße Nebelwolke zischte aus dem Zauberstab und füllte keine Sekunde später den Fahrstuhl aus.

"Ey, Ma'am, das ist unfair", protestierte einer der Fotografen.

"Tja, Infrarot mitnehmen lohnt sich eben doch", feixte Julius. Catherine stieß ihm den linken Ellenbogen in den Bauch und drückte ihn an die Wand.

"Häh?" Machte einer der Fotografen.

"Seien Sie froh, daß ich Sie und Ihre Kameras nicht in Mitleidenschaft ziehe", schnarrte Julius' magische Fürsorgerin.

"Mick, hast du die Feder klar?" Fragte einer der Beiden. Sein Kollege machte: "Yupp, Rod"

"Okay, Ma'am, arbeiten Sie für das Ministerium?"

Non, Monsieur. Je ne traveille pas dans les États Unis", antwortete Catherine.

"Öhm, Drachenmist!" Zischte der, der Mick genannt wurde. Julius nahm diesen Sprachgag Catherines zum Anlass und sagte im besten Politikertonfall auf Französisch, daß er sich freue, endlich die Gelegenheit habe, nachdem er schon das weiße Haus und den amerikanischen Präsidenten getroffen und diesem einen erfolgreichen Abschluß seiner Wahlkampagne gewünscht habe, nun auch die besonderen Komforteinrichtungen des Zaubereiministeriums kennenlernen und danach mit einigen guten Freunden aus alten Zeiten gut essen gehen wolle, wonach er in schneller Folge sowohl erlesene Speisen der französischen Küche, sowie irgendwelche ihm geläufigen Schnellgerichte aufzählte.

"Mist, die Feder spinnt jetzt total!" Zeterte Mick und zerfledderte wohl ein Pergamentstück, während der von Catherine gezauberte Nebel kalt und Feucht auf ihren Gesichtern lag wie ein klammes Handtuch.

"Das ist unfair, Ma'am. Wir sind seriöse Reporter und wollten lediglich wissen, was Sie mit dem Jungen jetzt unternehmen", beschwerte sich Rod. Dann glitt die Gittertür des Fahrstuhls auf, und eine ältere Dame beklagte sich über den Nebel, der ihr da so unvorbereitet entgegenwaberte.

"Abteilung für magische Spiele und Sportarten, enthaltend das Amt für die Zulassung von Sportgeräten, die Vertretungen der Quodpot-Liga, der Zentrale des panamerikanischen Zauberschachverbandes, sowie das Quidditch-Kontaktbüro für internationale Turniere", meldete eine kühl betonte Frauenstimme, die Julius an den Bordcomputer der neuen Enterprise denken machte. Die ältere Hexe fragte:

"Welcher Unfugsüchtige hat diesen dichten Nebel hier reingezaubert?"

"Wir waren das nicht", beteuerte Mick seine Unschuld.

"tut uns Leid, Madame, daß Sie in diesen Waschkessel reingeraten sind. Aber dies war die einzige Möglichkeit, unerwünschte Fotos von uns zu verhindern, ohne direkte Gewalt gegen die Fotografen auszuüben", bat Catherine um Entschuldigung.

"Ach was!" Knurrte die Hexe und rief laut: "Elementa recalmata!" Mit einem kurzen Windstoß fiel die Nebelwolke in sich zusammen und war fort. Jetzt konnten sich in dieser Fahrstuhlkabine wieder alle ganz deutlich sehen.

Einer der beiden hielt auf Catherine und drückte den Auslöser. Es fauchte und ratschte einmal. Eine schwefelgelbe Dunstwolke wehte aus der Kamera. Es stank nach faulen Eiern.

"Rod, du Idiot", prustete Mick und hielt sich die Nase zu. "Der Nebel hat die Kamera durchzogen. Die muß erst wieder getrocknet werden."

Julius konnte nun die Hexe sehen, die gerade zugestiegen war. Es war eine kleine, rundliche Frau mit dunkelblonden Locken, die ihr bis in den Nacken herabfielen. Sie trug einen zimtroten Reiseumhang und eine bordeauxrote Handtasche unter dem linken Arm. Julius vermeinte in den Gesichtszügen was von Melanie und Myrna Redlief wiederzuerkennen.

"Ach neh, Catherine Brickston. Lange nichts mehr von Ihnen gesehen", sagte die Zusteigerin und lächelte Catherine großmütterlich an.

"Catherine Brickston? Stark. Das ist die Tochter von der Faucon", zischte Rod Mick zu. Julius gönnte den Fotoreportern einen mitleidsvollen Blick. Die konnten sich offenbar nicht was zumentiloquieren.

"Dann hat die Französisch gesprochen, und der Junge auch", sagte Rod. Mick meinte aber, daß die Feder nur wild hingekritzelt habe: "Unbekannte Sprache, unbekannte Sprache."

"Wer ist denn der junge Mann, den sie da so heftig beschirmen?" Fragte die Dame im zimtroten Umhang. Catherine sah sie an und sagte nur:

"Den muß ich beaufsichtigen, Mrs. Redlief. Bitte fragen Sie mich nicht nach Details, solange diese Herren uns Gesellschaft leisten!"

"Ah, verstehe. Lästiges Pack dieses Pressevolk", erwiderte die Hexe mit der bordeauxroten Handtasche. Dann schwang sie kurz den Zauberstab, und die beiden Fotografen standen unbeweglich da.

"Bei denen braucht man keine Skrupel, solange man sie nur festsetzt und nicht kaputtmacht", sagte die Hexe, die wohl ziemlich gut mit wortlosen Bewegungsbannzaubern hantieren konnte.

"Wollen Sie auch zum Foyer, Mrs. Redlief?" Fragte Catherine.

"Eigentlich suchte ich bei der Spiele- und Sportabteilung meine Schwiegertochter. Aber die ist nicht da. Kann sein, daß die in new Orleans ist, weil diese Bande von Pole und seinen Bluthunden Livius' und Mrs. Porters Haus in einen Arrestdom eingeschlossen hat. Aber das erzähle ich Ihnen in der Cafeteria", erwiderte Mrs. Redlief, die also doch Mels und Myrnas andere Oma war. Als sie dann am Foyer ankamen, Sprach Catherine zweimal: "Retardo removete !" Danach zog sie Julius hinter sich her nach draußen und sah erleichtert, wie die Türen sich wieder schlossen und der Fahrstuhl, den sie in den Staaten immer Elevator nannten, wieder nach oben fuhr.

"Sie haben Ihre Zauber auch gelernt", sagte Mrs. Redlief anerkennend.

"Natürlich, bei der Lehrerin", sagte Catherine sehr kühl. Julius fragte, was dieses Zauberwort Retardo genau bewirkte, weil er das als Zurückbleiben oder verzögern kannte.

"Eben das löst das Wort aus, Julius. Allerdings kann man den nicht wortlos formulieren, weil man beim Sprechen die zu verzögernde Zeitspanne denken muß. Das geht aber auch nur bei solchen Zaubern, die einen anderen Zauber aufheben. Damit kann man sich Zeit für einen Rückzug erkaufen oder einen bestimmten Moment abpassen, indem ein vorher gewirkter Zauber erlöschen soll."

"Julius? Ach, Julius Andrews, von dem Mel und Myrna es nach Weihnachten hatten, als sie mir erzählten, daß sie mit Gloria und ihren Eltern und dieser Person, die sie auch Oma nennen dürfen in Paris waren. Aber die haben mir erzählt ..."

"Nein bitte Sie nicht auch noch!" Stieß Julius aus. Er dachte daran, sich eine Liste zu machen, wie oft er das in den nächsten Tagen noch hören würde, daß er doch erst vierzehn jahre alt sei.

"Da ist was passiert, Mrs. Redlief, daß den Jungen nachhaltig betroffen hat. Da möchten wir aber nichts zu sagen", rettete Catherine Julius vor der Neugier Mrs. Redliefs. Darüber war sie jedoch nicht sonderlich verstimmt. Eher interessierte sie es wohl, sich mit Catherine und Julius über diesen Arrestdom zu unterhalten, der das Haus der Porters einschloß.

In der weitläufigen Cafeteria, die in vier Bereiche unterteilt war, für zwanglos zusammenkommende Nichtraucher, für Abgeschiedenheit zum Besprechen wichtiger Sachen suchende Nichtraucher und beides in der Version für Raucher, setzten sie sich in den Bereich, in dem kleine Tische standen, um die im Bedarfsfall noch ein Wandschirm gezogen werden konnte. Auf den Tischen lagen kleine Silberglöckchen. Julius durfte eines davon läuten. Das heißt, er winkte damit, hörte aber keinen Ton. Stattdessen knallte es, und ein Hauself verneigte sich vor den Gästen. Er trug als Kleidung etwas, das wie ein alter Kopfkissenbezug aus blauem Stoff mit weißen Sternchen drauf aussah. Die fledermausartigen Ohren stellten sich empfangsbereit auf, und der Elf blickte aus großen, braunen Tennisballaugen unterwürfig zu den Gästen hinauf. "Sie wünschen, Bitte?" Piepste der Hauself. Mrs. Redlief gab eine Runde Milchkaffee aus. Julius wollte zwar schon nach Tee fragen, doch Catherine mentiloquierte ihm zu, daß der Kaffee ihn wieder munter machen würde. Dann erzählte Mrs. Redlief, was seit dem Morgen in den führenden Zaubererzeitungen stand.

"Verstümmelte Notrufzauber sind aus New Orleans abgeschickt worden. Mehrere hundert Heilerinnen und Heiler sind darauf ausgezogen, die Quelle zu finden. Dabei kam heraus, daß die Notrufzauber wohl alle durch einen massiven Arrestdom gestört wurden, der im Weißrosenweg das Haus 49 umschloss. Da wohnen ja Mels und Myrnas Großeltern." Sie sah Julius an und meinte dann: "Da bist du bestimmt schon drin gewesen." Dann fuhr sie mit dem kurzen Bericht fort. "Erst wollten die Heiler alle die Strafgebühren für den falschen Alarm kassieren. Doch sie kamen nicht durch die Absperrung, und das Apparieren war auch nicht möglich. Dann ist Mrs. Unittamo aus dem Nachbarhaus herausgekommen und hat den Heilern erzählt, daß die Porters wohl in einer Art Sippenhaft festgehalten würden, weil man Mrs. Jane Porter suche und verhindern wolle, daß die ihren Verwandten was erzählt, was der Minister wohl zur persönlichen Geheimsache gemacht hat. Jedenfalls sind die Reporter darüber hergefallen wie ein Schwarm Heuschrecken über frisches Gras. Mrs. Unittamo hat wohl den Reportern gesagt, sie habe eine Eule bekommen, dernach wohl eine Kollegin von ihr nachprüfe, ob an der Anwesenheit eines übermächtigen Zauberwesens in Amerika was dran sei und daß sie sich um einen Schutzbefohlenen von ihr kümmern müsse, der wohl gerade mit Mrs. Porter von Swifts Leuten gejagt würde. Nun, ich wollte Geraldine hier aufsuchen. Aber offenbar ist die schon da unten. Da werde ich dann gleich hin, um zu sehen, was diese Frau da aufgewühlt hat, daß meine Enkel ihretwegen wie Zootiere eingesperrt sind."

"Öhm, 'tschuldigung", setzte Julius an. "Ich weiß ja nicht, was Ihnen Mrs. Porter getan hat. Aber weiß, daß sie das bestimmt nicht haben wollte, daß Mel und Myrna in diesem Zauberkäfig festhängen. Aber ich denke, die Kiste ist jetzt eh durch, wenn die Presse da schon dranhängt."

"Das hat also was mit dir zu tun gehabt?" Fragte Mrs. Redlief den Jungen. Catherine und er nickten.

"Fakt ist, Mrs. Redlief, daß Mrs. Porter meinen Schutzbefohlenen wegen seines Vaters in eine unkontrollierbare Gefahrensituation hineingelotst hat. Der Minister wollte vertuschen, daß der Vater des Jungen der Sklave einer übermächtigen Zauberkreatur geworden ist und unter deren Einfluß mehrere Dutzend Menschen ermordet hat. Es wird gerade geklärt, welche Konsequenzen dieses Fehlverhalten des Ministers hat und wer da noch alles darin verwickelt ist. Wenn ich das weiß, kehre ich mit dem Jungen nach Paris zurück."

"Aber Catherine, meine Mutter", warf Julius ein.

"Ist im Moment gut aufgehoben und wird zu gut bewacht, als daß ich dich da so einfach hingehen lasse", erwiderte Catherine mit hörbarer Stimme. Mentiloquistisch legte sie noch nach: "Bei uns in Paris bist du besser aufgehoben, solange deine Mutter nicht aus dem Krankenhaus rauskommt."

"Das kannst du knicken", fauchte Julius. Catherine funkelte ihn nun genauso unerbittlich an wie ihre Mutter, als er am ersten Mai den Saalsprecher der Grünen fast angegriffen hätte, weil der Claire mit dem Zauberstab bedroht hatte. "Damit das klar bleibt, Julius", sagte sie wieder mit hörbarer Stimme, "Ich habe den Auftrag vom französischen Zaubereiministerium, auf dich aufzupassen. Bisher bist du damit besser gefahren als bei einem anderen Fürsorger. Also setz das nicht aufs Spiel!"

"Ist das mit deinem Vater geklärt worden, Julius?" Fragte Mrs. Redlief. Julius nickte schwerfällig. Catherine sagte noch:

"Die Aktion, die dazu nötig war wäre für ihn fast tödlich ausgegangen. Aber er hat zwei Lebensjahre eingebüßt. Das mag jetzt für ihn noch vorteilhaft erscheinen, zeigte mir und allen anderen doch, daß es sehr gefährlich ist, sich mit dieser Kreatur anzulegen."

"Was war denn das für ein Monster?" Wollte Mrs. Redlief wissen. Catherine beugte sich über den kleinen, achteckigen Tisch und flüsterte es ihr zu. Sie wollte es wohl nicht laut sagen, aber auch nicht mentiloquieren. Mrs. Redlief verlor schlagartig jede Farbe aus dem Gesicht und griff sich an die linke, üppige Brust. Dann sah sie Julius mit einem Ausdruck tiefsten Mitleids an. Doch er schüttelte den Kopf.

"Das bringt mir jetzt auch nichts mehr", knurrte er bissig. Mrs. Redlief blieb für einen Moment das Gesicht stehen. Doch dann nickte sie.

"Natürlich, Julius. Das bringt dir jetzt auch nichts mehr. Dein Vater ist aber von dieser Bestie freigekommen?"

"Nicht mit meiner Hilfe", erwiderte Julius, der jetzt wieder dieses Gefühl der Ohnmacht verspürte, nichts aber auch nichts tun zu können, als er Hallitti begegnet war. Vor allem wer diese Hexen in Weiß gewesen waren ging ihm nicht aus dem Kopf. Sie hatten ihn gerettet, aber ob das ihr Plan war oder eben nur beiläufig als Mittel zum Zweck, das konnte er nicht sagen. Sollte er sich erkundigen, ob er sie irgendwie anschreiben konnte? Aber wozu das? Damit die ihm vorknallten, sie hätten ihn nur da rausgeholt, damit sie Hallitti besser abmurksen konnten? Das mußte er sich echt nicht antun.

"Wir wissen nichts genaues, sprang Catherine ihm bei. "Aber Julius konnte gerettet werden, bevor er zu viel Lebenszeit eingebüßt hatte." Julius verstand, sein Zeitzaubertrick wurde von Catherine als Fluch oder Auswirkung Hallittis maskiert. Das paßte gut. Das konnte ruhig so weitergereicht werden. Hatte Catherine das jetzt spontan so erfunden oder sich vielleicht doch mit ihrer Mutter abgestimmt?

"Nun, im Moment könntest du mit Mel zum Schulabschlußball gehen, ohne daß jemand drauf käme, daß du erst vierzehn Jahre alt bist", sagte Mrs. Redlief. Julius mußte unfreiwillig lächeln, was die andere Großmutter Melanies und Myrnas zurücklächeln ließ, nicht mitleidsvoll, sondern warmherzig. Sie reichte ihm die warme, weiche Hand, und er drückte sie gerade stark genug, um ihr nicht wehzutun. Catherine sagte:

"Das ist wohl wahr. Ich hoffe nur, daß seine Freundin damit zurechtkommen wird."

"Ach, du bist schon in guten Händen?" Fragte Mrs. Redlief amüsiert. Julius nickte. Auch er hatte immer wieder daran denken müssen, wie Claire das wegstecken würde. Vielleicht fand sie es nun besonders toll, mit ihm zu gehen. Vielleicht machte ihr das aber auch Angst. Oder sie würde keine Ruhe mehr haben, weil nicht nur die zwölf- bis vierzehnjährigen Mädchen hinter ihm her wären. Einen kurzen Moment lang sah er sich hinter Sabine Montferre auf dem Walpurgisnachtbesen oder von Virginie auf ihren Besen gezogen werdend, die dann aushandelte, Julius wegen seines sowieso schon weiterentwickelten Geistes auch unter siebzehn heiraten zu dürfen. Doch beide Mädchen hatten feste Freunde, und er sollte bloß nicht zu früh anfangen, in abgedrehte Tagträumereien eines halbfertigen Mannes reinzurutschen. Dann dachte er an Belisama Lagrange, die er vor einem Jahr kennengelernt und sie da bereits für sechzehn gehalten hatte. Wenn er es richtig anstellte, konnte er mit diesem Paradeaussehen, daß er im Moment hatte genauso leben wie sie mit ihrem voll entwickelten Körper.

"Julius, wenn du mich verstehst, mentiloquiere mir ein Ja!" Drang Madame Faucons Gedankenstimme in Julius Kopf ein. Dieser konzentrierte sich. Sich Madame Faucon als strahlende, gutmütige Oma vorzustellen, wie er es bei Mrs. Porter geschafft hatte, schien schwierig. Doch ihm fiel goldrichtig das passende Erlebnis ein, das Spiel der Grünen gegen die Blauen, wie sie ihn danach angestrahlt hatte wie die Sonne. Dieses Bild holte er sich als gefühltes Bild ins Bewußtsein, bevor er mit Madame Faucons Stimme ein einfaches Ja dachte und sofort einen vernehmlichen Nachhall empfand. "Gut, Julius. Ich habe diese Bagage dazu bekommen, dich in Ruhe zu lassen, weil ich ihnen gesagt habe, daß du unter den Auswirkungen eines Fluches leidest, der zwar behandelt aber noch nicht ganz aufgehoben wurde. Halte diese Legende aufrecht, wenn du weiteren Presseleuten über den Weg läufst!" Julius mentiloquierte zurück, daß er verstanden hatte. Mrs. Redlief sah den Jungen, der in einer starken Konzentration seine Umgebung völlig ausgeblendet hatte und meinte:

"Hat dich jemand gerufen?"

"Joh, Madame Faucon hat mir nur gesendet, was ich diesen Presseleuten stecken darf, wenn die mich noch mal so umschwirren."

"Bestimmt hat sich die ehrwürdige Dame anders ausgedrückt", grinste Mrs. Redlief. Catherine mentiloquierte:

"Konntest du ihr zuschicken, sie verstanden zu haben?" Julius schickte mit der sich vorgestellten Stimme Catherines ein einfaches "Ja, konnte ich" zurück.

"Wann lernt man in Beauxbatons den Mentiloquismus?" Wunderte sich Mrs. Redlief.

"An und für sich in der siebten Klasse, Mrs. Redlief, genau wie bei Ihnen in Thorntails oder zum Teil in Hogwarts", sagte Catherine. "Allerdings hat Mrs. Porter ihm diese Kunst beigebracht, um gemeinsam mit ihm seinen Vater suchen zu können."

Madame Faucon kam zusammen mit Professor Wright um die Ecke und sah ihre Tochter und den Jungen. Sie kam herüber und setzte sich nach dem höflichen Einholen der Erlaubnis hin.

"Ah, Patricia. Sie haben die beiden also kennengelernt", sagte Professor Wrightt zu Mrs. Redlief. Diese sagte amüsiert:

"Die haben eine Fahrstuhlkabine vernebelt, Ernestine. Mick und Rod vom Westwind waren darin und wollten wohl Sensationsfotos von ihnen machen." Madame Faucon nickte. Dann sagte sie ruhig:

"Also wenn wir das hier überstanden haben, kannst du noch eine Nacht in Thorntails bleiben, Julius. Entweder nehme ich dich dann morgen mit und liefere dich bei Catherine ab oder sie holt dich ab und fliegt mit dir und Joe zusammen. So oder so bringe ich ihr die Kleine morgen nachmittag französischer Zeit. Madame Unittamo hat Francis. Ich habe ihn zu ihr geschickt, nachdem er deinen Brief bei mir abliefern konnte."

"Muß das wirklich sein, daß ich morgen schon wieder nach Paris muß?" Begehrte Julius vorsichtig auf. "Die Porters haben noch Karten für das letzte Quodpotspiel, und ich wollte mir doch noch die Zaubererdörfer hier ansehen."

"Julius, ich habe das festgelegt, daß ich dich wieder zu mir hole", warf Catherine ein und sah ihn wieder so unerbittlich an, als sei der Geist ihrer Mutter mal eben in sie hineingefahren. Madame Faucon sagte:

"Wenn Catherine sagt, daß sie dich wieder bei sich haben will, Julius, dann machst du das auch. Ich kann ihr nachempfinden, daß sie einstweilen Genug von Leuten hat, die dich unter Vorspiegelung falscher Absichten hergelockt und dann in diese brenzlige Situation gestürzt haben. Aber wenn Catherine nichts dagegen hat, nehme ich dich auch für die letzten Ferienwochen wieder zu mir. Wäre vielleicht günstiger für dich und deine Schulkameraden, wenn ihr dein neues Erscheinungsbild vor der Rückkehr nach Beauxbatons erörtert." Sie sprach freundlich und mit der Herzenswärme einer Großmutter. Dennoch wirkten ihre Worte heftiger als ein scharfer Befehl. Natürlich wäre es besser, wenn Julius mit Claire, Sandrine, den Jungs aus seiner Klasse und wem sonst noch abklärte, daß er nicht zu den Sechstklässlern umziehen mußte und die Sechstklässlerinnen noch nicht so viel von ihm erwarten sollten wie von einem anständig sechzehn Jahre alt gewordenen Schüler. Das brachte ihn auf eine interessante Frage:

"Wie sieht das aus, Professeur Faucon, ich kann trotz dieser Alterung nicht über eine Alterslinie mit Untergrenzenbeschränkung, oder?"

"Das ist korrekt. Es könnte dir widerfahren, daß dir ein weißer Bart wächst oder du von vorne herein abgehalten wirst."

"Haben Sie das gehört, was im Weißrosenweg los ist, Madame?" Fragte Mrs. Redlief. Catherines Mutter nickte und sah dabei sehr verärgert aus.

"Das bricht diesem Drachen im Strohlager das Genick. Ich denke, Sie werden heute Abend noch eine Extraausgabe Ihrer Zeitungen erwerben können, in denen entweder eine fristlose Entlassung, eine Suspendierung oder ein freiwilliger Rücktritt von Minister Jasper Lincoln Laurentius Pole bekanntgegeben wird. So oder so, mit wem müßten wir dann rechnen?"

"Von der Rangfolge her mit Barney Davenport, einem mir als sehr ruhigen Mitarbeiter bekanntem Zauberer", sagte Mrs. Redlief. Doch Professor Wright widersprach dem.

"Davenport war und ist immer ein Zauberer gewesen, der nur solange stark auftritt, solange er keinen stärkeren antrifft. Ich denke schon, daß er Zaubereiminister wird, aber dann nur pro Tempore. Oh, natürlich, für einen begrenzten Zeitraum." Sie sah Julius abbittend an. Doch dieser sah sie verstehend an und sagte, daß er von seiner Mutter ein großes Lateinlehrbuch bekommen habe, wo er sich über die Vokabeln aber auch über die heute noch gängigen Begriffe schlaulesen konnte.

"Das ist weiß der Himmel sehr vorteilhaft, wenn du diese Sprache gut genug lernst, Julius", sagte die Prinzipalin von Thorntails. Doch Julius dachte wieder an seine Mutter. Sie erzählten ihm andauernd, daß sie mit Zachary Marchand gefangengenommen worden war. Daß sich ein ausgebildeter Zauberer überhaupt von Muggeln hatte gefangennehmen lassen war schon ein Ding. Beide wären in einer Art Lebensverlangsamungsmaschine gefunden worden und müßten jetzt wieder auf normales Lebensniveau angehoben werden, was bei den Muggeln nicht in einer Sekunde klappen würde. Doch daß er jetzt einfach wegfuhr, ohne sie zumindest mal besucht zu haben tat ihm weh. Immerhin war sie ja seinetwegen mitgekommen. Womöglich hatte sie gedacht, sie könne mit seinem Vater noch mal reden, weil es ja hieß, er sei ja Ende Mai gefunden und versteckt worden. Eine fiese Falle, die man ihr gestellt hatte. Vielleicht wollten die Verbrecher auch ihn kassieren, kamen aber eben nicht an ihn heran. Seine Mutter büßte jetzt für den Ärger, den Richard Andrews in der Unterwelt Amerikas angerichtet hatte. Sie war das letzte Opfer Hallittis.

"Woran denkst du?" Fragte Madame Faucon ohne jede Strenge in der Stimme. Julius mentiloquierte es ihr. Sie zeigte darauf keine Reaktion. Laut fragte sie:

"du fühlst dich schuldig, weil deine Mutter jetzt in einem Muggelkrankenhaus liegt und da wohl noch eine Woche bleiben muß, während du einfach wieder abreist und nicht bei ihr bleibst?"

Ja, das stimmt", sagte Julius nickend.

"Gut, dann werden du und ich sie nachher noch besuchen. Catherine hat ja noch diese Abschlußfeier zu bestreiten, mit der sie den Zirkus Olympia beenden." Catherine sah ihre Mutter entgeistert an, fing sich aber von ihr einen energischen Blick ein. Julius konnte die beiden saphirblauen Augenpaare genau vergleichen. Mutter und Tochter hatten die gleichen Augen. Ja, auch äußerlich ähnelten sich die beiden so sehr, daß sie wie ein Zeitspiegel wirkten, der ein jahrzehnte älteres beziehungsweise jüngeres Spiegelbild reflektiert. So wirkten auch Claire und ihre Mutter auf ihn, ja wenn er sich an Claires Oma Aurélie erinnerte, war das sogar noch beeindruckender, daß die Großmutter Claires auch mit über sechzig noch sehr anziehend aussah und ihre Enkeltochter fast genauso wie sie aussah, also in fünfzig Jahren wohl dieselbe attraktive Erscheinung haben würde wie ihre Großmutter. Konnte er das von sich behaupten? Er hatte seinen Vater als uralten Mann gesehen. Wenn er im Alter auch so aussehen würde, dann grauste es ihn. Doch wieso dachte er nur an das Aussehen? Das war doch Unfug! Verdammte Hormone. Offenbar machten die jetzt mit ihm was sie vorhin nicht machen konnten.

"maman, wir können da ohne Magie anzuwenden nicht rein. Und wir dürfen in einem Muggelkrankenhaus keine Magie anwenden, nicht einmal einen kleinen weißen Funken versprühen lassen", sagte Catherine laut genug für Julius und die anderen am Tisch. Madame Faucon sah ihre Tochter an und sagte sehr entschlossen:

"Catherine, der Junge denkt, er sei an allem Schuld, was mit seinen Eltern passiert ist. Wenn ich von irgendwem in einen schwer zu behebenden Zustand versetzt würde, würdest du dann ohne weiteres mit jemanden abreisen, ohne mich zumindest noch einmal zu besuchen? Nein, das würdest du nicht, ma Petite, und ich würde es dir auch arg verübeln." Julius schluckte zwar erst, als Madame Faucon so knochenhart festgestellt hatte, daß er sich an dem, was seinen Eltern passiert war mitschuldig fühlte, dankte ihr aber sichtlich, daß sie ihn zumindest verstand.

"Natürlich gönne ich es Julius, daß er seine Mutter besucht. Aber ich möchte nicht riskieren, daß wir dabei von irgendwelchen Muggeln zur Anwendung von Magie gezwungen werden. Aber wie du das anstellen willst verrate mir bitte!" Erwiderte Catherine, deren Ablehnungshaltung gegen einen Besuch bei Julius' Mutter schon wankte. Offenbar tat sie es, weil Catherine nun in diese konzentrierte Haltung verfiel, die Julius vorhin wohl gezeigt hatte, als er mit Madame Faucon mentiloquiert hatte. Beide zeigten jedoch keine körperliche Regung. Vielleicht zuckte mal hier ein Gesichtsmuskel oder ruckte da ein Augenlid. Aber ansonsten bewiesen die beiden Hexen eine beachtliche Körperbeherrschung. Dann sprach Madame Faucon für alle hörbar:

"Wir müssen wieder in den Sitzungssaal. Ich hoffe, Mrs. Redlief, daß Sie Ihre Enkeltöchter heute noch wieder besuchen können."

"Mercie beaucoup, Madame", erwiderte Mrs. Redlief. Dann umarmte sie Julius noch einmal kurz und wünschte ihm alle Stärke, die er brauchte, um mit allem zurechtzukommen, was ihm noch passierte. Dann sah sie ihn etwas gehässig grinsend an und sagte:

"Und lasse dir von Mrs. Porter nichts zu trinken geben, von dem sie selbst nichts trinkt! Nachher ist da was drin, was dich zwingt, ganz private Dinge zu erzählen."

"Echt?" Fragte Julius ungläubig. Mrs. Redlief räusperte sich nur und meinte, er würde schon mit ihr zurechtkommen.

"Komm!" Sagte Catherine und nahm Julius wieder an ihre Seite, während die Professoren Wright und Faucon zusammen vorangingen.

Vor dem Sitzungssaal trafen sie Madame Merryweather und Professor Verdant. Arco Swift kam zusammen mit Mrs. Porter, die ihn aufmunternd anlächelte. Als sie Julius sah, mentiloquierte sie ihm:

"Swift hat Angst, der Minister nimmt ihn mit, wenn er gleich abgesägt wird." Julius zwang sich, keine Regung zu zeigen. Denn Madame Faucon sah ihm sehr genau zu.

Als die Richter wieder aus ihrer stillen Kammer kamen, traf auch Zaubereiminister Pole ein. Er wirkte jetzt nicht mehr so kampfeslustig wie vorhin. Nein, er wandelte wie schlaftrunken in den Sitzungssaal hinein. Bei ihm war ein jüngerer Zauberer, den Mrs. Porter Julius als "Barney Davenport, seine rechte Hand" zudachte. Dann waren da noch die Eheleute Ross als Vertreter der Liga wider die dunklen Künste. Professor Verdant sah Julius an, als der die beiden Babys in ihren Armen anblickte, um seinen Vater zu sehen. Dann sprach der oberste Richter, Chrysostomos Ironside:

"Im Namen der freien Welt der Magierinnen und Magier der vereinigten Staaten von Amerika haben wir, der hohe Rat der Zwölf, das ehrenwerteste Gericht dieses Staatenbundes, folgendes Urteil gefällt und verkünden dieses für die anwesenden Beteiligten, sowie zur Kunde für die Nachwelt. Zaubereiminister Jasper Lincoln Laurentius Pole wird mit sofortiger Wirkung aller ihm zugewiesenen Ämter enthoben. Die Anklage gegen Mrs. Jane Porter und Mr. Julius Andrews wegen massiven Geheimnisdiebstahls und versuchten Hochverrates wird als falsch erkannt und für null und nichtig erklärt. Alle von Minister Pole verfügten Sonderrechte sind von nun an wieder außer Kraft.

Es hat sich erwiesen, daß der bisher amtierende Zaubereiminister Jasper Lincoln Laurentius Pole in höchst eigensinniger Absicht die Anwesenheit einer lebensgefährlichen Zauberkreatur, namentlich auch als Tochter des dunklen Feuers bekannt, zu einem Geheimnis erklärt hat, ohne die für die Bekämpfung dieser Gefahr notwendigen Schritte unternommen zu haben. In höchst fahrlässiger Weise ließ er dieses Wesen auf dem Territorium der vereinigten Staaten gewähren, es unter den nichtmagischen Mitbürgern unseres Landes Morden und zerstören, wobei es sich eines mit unweckbarer Zauberkraft versehenen Mannes bediente. Diesem wurde durch alle Maßnahmen des bisher amtierenden Ministers weder Einhalt in seinem Tun, noch Hilfe zur Befreiung aus der magischen Abhängigkeit von besagtem Zauberwesen zu Teil. Demnach zeichnet der bisher amtierende Zaubereiminister Jasper Lincoln Laurentius Pole für alle Todesfälle verantwortlich, die unmittelbar und mittelbar auf die Aktivitäten der gefährlichen Zauberkreatur und ihres Abhängigen zurückzuführen sind, als da sind ..." Nun zählte der Richter sämtliche toten Muggel auf, angefangen bei einer Prostituierten und ihrem Zuhälter am 14. März, dann die männlichen Angehörigen der Degenhart-Familie, sowie zwei Arbeitskollegen von Julius' Vater, eine Menge Polizisten, Mitglieder der Privatdetektei Schlessinger aus Detroit, weitere namentlich erwähnte Prostituierte, bei denen eindeutig Hallitis dunkle Kräfte den Tod verursacht hatten, wie auch Polizeibeamte aus New York, die wohl von ihr selbst umgebracht worden waren, nachdem sie einen jugendlichen Straßengangster ausgezehrt hatte, über weitere über das Land verteilte Freudenmädchen und ihrer Zuhälter, die Toten des Purpurhaus-Massakers, zu denen auch FBI-Agenten wie ein gewisser Moses Greenthal gehörten, sowie die auf Grund dieses Gemetzels in einen Bandenkrieg getriebenen Verbrecher aus Peru, New Orleans und anderswo. Dann verlas Ironside sämtliche Namen getöteter Babys, bei denen zwischen Mai und Juni alles für einen unnatürlichen Tod ohne Gifteinwirkung sprach. Die Liste endete mit dem Namen, den Julius seit seiner frühesten Kindheit als Inbegriff für Sicherheit, Geborgenheit und Vorbildhaftigkeit verbunden hatte: "... und Richard Andrews, das erste Opfer, der Abhängige und bei seiner Befreiung aus der magischen Knechtschaft verstorben. Alle diese Menschen mußten sterben, weil der bisher amtierende Zaubereiminister durch Mißbrauch von Befugnissen und Vorrechten alle Zeugen zum Schweigen verdammte und die Vorfälle vor weiterer Aufklärung verbarg. diese Handlungsweise, die wir als höchst verwerflich und für das Amt des Zaubereiministers, sowie die Sicherheit und den Frieden der Menschen, magisch und nichtmagisch und ihrem Recht auf Schutz vor den Auswüchsen der dunklen Mächte höchst abträglich und nicht zur Nachahmung zu empfehlen ansehen, muß zumindest durch den höchstrichterlichen Amtsausschluß des besagten Zauberers geahndet werden, wenngleich jeder Tote auf dieser Liste einer zu viel ist und die höchstrichterliche Amtsenthebung als solches nicht im Ansatz wieder gut machen kann, was an Schaden entstanden ist. Doch, so müssen wir, die höchsten Richter der freien Zaubererwelt der vereinigten Staaten anerkennen, ein solch unheilträchtiges Beispiel muß durch ein Gegenbeispiel der Entschlossenheit und Nachhaltigkeit beantwortet werden. Ob und in welcher Weise Jasper Lincoln Laurentius Pole und / oder die in diesen Fällen mit ihm zusammenarbeitenden Hexen und Zauberer gesonderte Strafen zu erwarten haben, ist die Sache gesonderter Verfahren, die die Einzelheiten dieser Periode des umherjagenden Todes beleuchten und entsprechend aburteilen sollen. Mr. Pole, übergeben Sie uns den Siegelring des Ministeramtes!"

Mr. Pole war Leichenblass geworden. Sein schöner, sonnenverwöhnter Hautton war völlig verschwunden. Er wankte wie ein Zombie auf den Richtertisch zu und löste einen goldenen Ring vom rechten Finger. Mit einem mechanischen Schwung ließ er den Ring auf den Tisch fallen, wo er entlangkullerte und fast herunterfiel. Mit einer bleichen Maske, die Julius für einen winzigen Moment an die Schreckensfratze Lord Voldemorts erinnerte, wandte sich der Minister allen Beteiligten zu. Dann sah Julius den Hass in den Augen des gerade seiner Ämter enthobenen Zauberers. Solch einen Ausdruck des Hasses sah nur, wer seinem Todfeind ins Auge blickt. Julius wußte jedoch in diesem Moment, daß Jasper Pole bereits verloren hatte. In ihm mochte bereits der Racheplan entstanden sein, sich einen Zeitumkehrer zu beschaffen und damit einige Stunden zurückzureisen, um Julius Andrews im Toilettentrakt des Ministeriums dran zu hindern, je gegen ihn aussagen zu können. Doch dieser Angriff aus der Zukunft war bereits vergangenheit. Julius wußte das. Deshalb konnte er den entmachteten Minister mit einem selbstsicheren, triumphierenden Blick entgegensehen. Julius dachte kurz darüber nach, ob er nicht einen Zeitumkehrer nehmen und seinen Vater daran hindern konnte, ihn zu Hallitti zu bringen. Doch dann verwarf er den Gedanken sofort. Das Beispiel des Ministers hatte gezeigt, daß Raum und Zeit sich nicht widerstandslos verändern ließen. Es mochte sogar sein, daß das Universum, das bei allen Prozessen die energieärmste Lösung wählte, die Quelle der Störung auslöschte, also Julius Andrews selbst vernichtete, wenn er versuchte, einen derartigen Eingriff in die bereits vollendete Vergangenheit zu wagen. Sein Vater war nun offiziell Tot. Das fiel ihm jetzt erst so richtig auf. Richter Ironside hatte seinen Namen ganz zum Schluß genannt. Damit war er in der Mitschrift dieses Urteils als Todesopfer festgehalten. Doch für die Muggel lebte er noch. Denn Exminister Pole hatte einen Zauberer dazu bekniet, Richard Andrews zu spielen. Nein, so durfte es unmöglich bleiben. Er sah die Richter an, wie sie den Entmachteten mit zurückweisenden Handbewegungen vom Tisch zurückscheuchten. Dann rief Ironside Barney Davenport an den Tisch und erklärte:

"Bis zur Klärung einer endgültigen Nachfolge ernenne ich Sie hiermit zum geschäftsführenden Zaubereiminister, Mr. Barney Davenport. Mögen Sie dieses Amt mit klarem Kopf, warmem Herzen und sicherer Hand ausüben!" Dann steckte er Davenport den goldenen Siegelring an den rechten Ringfinger. Pole wandte sich ab und verließ wortlos den Sitzungssaal. Julius suchte und fand Blickkontakt mit dem geschäftsführenden Zaubereiminister und sah ihn bittend an. Davenport nickte ihm verlegen zu. Der nun wie sechzehn aussehende Zaubershüler ging bedächtig zu ihm hin und gratulierte zunächst, um der Höflichkeit und dem Respekt genüge zu tun. Dann sagte er mit kalter und unbeugsamer Stimme:

"Herr Minister Davenport, Sir. Ihr gerade hier herausspazierter Vorgänger hat den Muggeln den Bären aufgebunden, mein Vater sei durch einen Doppelgänger ersetzt worden, und der richtige Richard Andrews sei gefunden worden. Tun Sie bitte mir und auch sich selbst einen großen Gefallen und pfeifen sie diesen Pausenclown zurück, der meinen Vater gespielt hat! Regeln Sie es bitte, daß mein Vater auch in der Muggelwelt für tot gehalten und er als ehrenhafter Mann in Erinnerung behalten werden kann! Das ist die erste und wie ich hoffe einzige Bitte, die ich an Sie habe. Vielen Dank!"

"Ich weiß es nicht, wen Minister ... Mr. Pole als ddeinen Vater eingesetzt hat, junger Mann. Aber auch mir ist daran gelegen, diese Affäre zu beenden. Deine Mutter liegt in St.Michel-Krankenhaus in New Orleans. Ich habe einige Kontaktleute in der Muggelwelt nachforschen lassen. Sie wird wohl noch eine ganze Woche dort bleiben müssen. Ein genialer wie wohl auch skrupelloser Arzt hat sie mit Hilfe von Operationen und Drogen in eine Art erwachsenen Fötus verwandelt, mit reinen Muggeltricks. Doch die Muggel können diesen Vorgang nicht so schnell korrigieren, wenn deine Mutter keinen Schaden nehmen soll. Ähnliches gilt ja für unseren Sonderbeauftragten Zachary Marchand. Ich würde ihn am liebsten herausholen und von echten Heilkundigen behandeln lassen. Aber die Geheimhaltung der Zauberei verbietet das. Auf jeden Fall werde ich es regeln, daß der Zauberer, der deinen Vater darstellt von seiner Mission zurückbefohlen wird. Was den Säugling angeht, als der dein Vater nun unumkehrbar völlig von vorne aufwachsen muß, so werde ich eine Regelung finden, ihn so unterzubringen, daß er ein geordnetes, gesichertes Leben führen kann. Das verspreche ich dir. Mir ist diese Angelegenheit äußerst zu Wider, und ich bin beschämt, daß ich ein solches Unglück nicht habe kommen sehen können. Viel Glück für dich und deine Mutter!" Er reichte Julius die rechte Hand. Doch der Junge berührte nicht den Finger, an den der goldene Siegelring steckte. Davenport verstand diese wortlose Ablehnung. An diesem Ring klebte zu viel Blut.

"Ich möchte nicht wissen, wo mein Vater hinkommt und als wer er dann aufwächst", sagte Julius noch einmal sehr entschlossen. "Bitte teilen Sie das nur denen mit, die nicht meinen, mir das sagen zu müssen oder geben Sie ihn einer Muggelorganisation für ungewollte und ausgesetzte Kinder! Die finden dann eine Unterbringung für ihn."

"Das muß ich auch akzeptieren", sagte Davenport, der in den ersten Minuten als Zaubereiminister wohl schöneres als diese beiden zu erledigenden Aufgaben erwartet hätte, die Julius ihm da aufgeladen hatte.

"Der Pausenclown, Honey, das ist Ronin Monkhouse, Minister Davenport", sagte Jane Porter, die unbemerkt von hinten herangetreten war. Offenbar hatte Swift befunden, sie nicht länger als Gefangene halten zu müssen.

"Habe ich mir denken können. Der war schon immer gut in Selbstveränderungen", sagte Davenport. Dann sagte Mrs. Porter noch:

"Ich will gleich in mein Haus zurück und mit meinen Enkeltöchtern an die frische Luft und ein paar Freundinnen per Kontaktfeuer und Eulenpost sagen, daß ich keine böse Hexe bin. Das was Julius von Ihnen erwartet ist heftig. Aber was ich erwarte können Sie in einer Minute erledigen."

"Natürlich sofort", bestätigte der frischgebackene Zaubereiminister. Dann rief er Mr. Swift zu sich und erteilte ihm den Sofortauftrag, den Arrest um den Weißrosenweg 49 aufzuheben. Swift nickte dienstbeflissen und froh, wohl noch gerade so vor dem Abgrund die rettende Abzweigung erwischt zu haben. Julius sah dem Zauberer aus der Strafverfolgungsabteilung nach und erinnerte sich an die Worte, die Mrs. Porter ihm entgegnete, als er in Mr. Marchands Haus Swift als Blödmann beschimpft hatte. "Der mann macht doch nur seinen Job."

"Das alte Mädchen will dich wohl unter ihren Rock stecken und mit nach Hause nehmen, denke ich. Sie hat mich bis jetzt noch nicht mit einem Wort bedacht", flüsterte Mrs. Porter. Julius vermeinte zu sehen, daß ihr dieses kategorische Anschweigen heftiger zusetzte als ein Donnerwetter. Dann sagte sie noch: "Ich werde dieses Gewitter jetzt erzwingen, ob sie meint, es sei unter Ihrer Würde oder nicht. Ich habe dich nicht eingeladen, damit du nur die düsteren Seiten unserer Welt hier abkriegst, Honey. Wir haben jetzt alle Zeit der Ferien, um uns auch die schönen Sachen anzusehen, wie Cloudy Canyon oder Viento del Sol. Wäre wohl interessant, wie Glo, mel, Myrna und Brittany das wegstecken, wie du jetzt aussiehst." Sie lächelte. Dann ging sie zu Professeur Faucon und stellte sich vor sie hin, zunächst ohne ein Wort zu sagen. Julius sah die beiden älteren Hexen an, wie sie einander gegenüberstanden. Könnten die sich sogar duellieren, ohne daß die üblichen Sinne sowas mitbekamen? Vielleicht mentiloquierte Mrs. Porter Madame Faucon. Vielleicht legilimentierten sie sich auch gegenseitig, eine Art geistiges Armdrücken und Fingerhakeln.

"Was gibt das jetzt?" Fragte Catherine, die von Julius unbemerkt an diesen herangetreten war. Er fuhr zusammen und blickte Catherine an.

"Nichts, Catherine. Ich wollte nur sehen, ob deine Mutter und Mrs. Porter sich nicht gleich gegenseitig niederfluchen oder ob sie sich zivilisiert verhalten."

"Das ist mir ehrlich gesagt egal, Julius. Ich habe meine Entscheidung getroffen und bleibe dabei. Ab morgen bist du in der Rue de Liberation 13, Paris, Frankreich und nicht Texas. Was Mrs. Porter da mit dir angestellt hat war ein sehr heftiger Vertrauensbruch gegen meine Mutter, gegen mich und ja auch gegen dich. Ich kann mir echt nicht vorstellen, daß du ihr das jetzt alles verzeihen möchtest. Denn immerhin hätte sie es vor Poles Beschluß ja noch in der Hand gehabt, die richtigen Leute zu informieren, damit dein Vater nicht an fremden Brüsten gesäugt und alle vier Stunden frisch gewickelt werden muß."

Julius fühlte sich auf einmal in die Enge getrieben. Das wollte er sich so nicht bieten lassen. Wut kam in ihm hoch. Was zum Teufel sollte denn daran gut sein, wenn man jemandem nicht erlaubte, einen Fehler zu korrigieren? Er sah Catherine an. Diese deutete auf Professor Verdant. Dann hörte Julius ihre Gedankenstimme:

"Es steht dir frei, mit deinem Vater zusammen aufzuwachsen, Julius. Du hast keinen Grund auf mich wütend zu werden. Aber wenn du mich wütend machst, habe ich keine Probleme, dich auch in einen Strampelanzug zurückzuschrumpfen."

Julius verschluckte sich. Offenbar fühlte sich Catherine genauso in die Enge gedrängt wie er, daß sie mit einer so heftigen Drohung rüberkam. Dann fiel es ihm ein, daß sie immer im Schatten ihrer Mutter gestanden hatte, in ihrem "langen, kalten Schatten". Jetzt hatte sie die Möglichkeit, daraus hervorzutreten, indem sie ihr bewies, daß sie einen Jungen, der nicht der eigene Sohn war, ordentlich in sein Leben als Zauberer hinüberführen konnte. Ja, und ihre Mutter hatte ihr wohl die Kompetenz dazu abgesprochen, zumindest aber an ihrer Stelle eingegriffen. Diese Erkenntnis, daß Catherine genauso blöd dastand wie er, kühlte ihn ansatzlos herunter. Catherine sah das wohl, sagte oder mentiloquierte darauf nichts. Julius hob seine Hände mit den leeren Handflächen voran und sah sie mit einem Ich-habe-doch-nichts-gemacht-Lächeln an. Offenbar wirkte diese uralte Waffe, die bereits ein kleines Kind gegen die auf es böse werdenden Erwachsenen einsetzte auch bei Catherine Brickston, der Mutter von Babette, die bestimmt nicht nur ein Engel, sondern wohl auch mal ein kleiner Teufel war.

"'tschuldigung, Catherine. Aber die Kiste der letzten Tage und wohl auch die neue Hormonmaschine haben mich voll durch den Wolf gedreht. Ich will dir keinen Ärger machen. Wenn Mum jetzt noch 'ne Woche im Krankenhaus liegt ist sie bestimmt froh, wenn sie hört, daß wir uns nicht verkracht haben, wenn sie wiederkommt. Aber ich möchte sie vorher noch einmal sehen."

"Ich weiß nicht, ob ihr und dir das so gut tun würde, Julius. Meine Mutter hat zwar die Einfühlungskeule geschwungen ..."

Klong-klong! Der silberne Richterhammer war zweimal auf den Holztisch niedergesaust. Alle drehten sich wieder dem Zwölferrat zu.

"Meine Damen und Herren, das Urteil wurde vollstreckt, anschließende Verfahren werden gesondert von unseren Kollegen der öffentlichen Instanzen verhandelt. Die Sitzung des ehrenwerten Zwölferrates der Richter der freien Zauberergesellschaft der vereinigten Staaten von Amerika vom 4. August 1996 ist hiermit geschlossen", sagte Ironside und klopfte noch einmal mit dem Hammer auf den Tisch.

"Wo war ich stehengeblieben?" Setzte Catherine noch einmal an. "Ach ja, deine Mutter. Ich verstehe zwar, daß du sie jetzt unbedingt besuchen willst, wo sie nun die einzige Verwandte von dir ist, die mit deinem Leben klarkommt. Aber ich weiß echt nicht, ob dir das wirklich gut bekommt. Ja, du kannst mich eine überbehütsame Mutter nennen oder wie auch immer, Julius, und ich weiß auch, daß du in den letzten Tagen Dinge durchgemacht hast, die manchen Erwachsenen komplett aus der Bahn geworfen hätten. Aber gerade weil deine Mutter sich jetzt nicht um dich kümmern kann verläßt sie sich darauf, daß jemand da ist, dem sie vertrauen kann und mit dem du auch klarkommst, deine neue Hormonmaschine mal außen vorlassend. Ich habe eine Tochter, die in frühestens vier Jahren auch mit sowas anfangen wird, unkontrollierte Gefühle oder für Erwachsene unvernünftig wirkende Verhaltensweisen." Mrs. Porter und Madame Faucon verließen den Saal. Professor Verdant trat noch einmal an Julius heran.

"Ich hoffe, deinem Vater wird es da, wo er hinkommen wird, gut genug gehen, damit er diese zweite Chance, die er bekommen hat, richtig gut ausnutzen kann", sagte sie Julius. Dann wandte sie sich an Catherine. "Machen Sie der guten Jane bitte keine Vorwürfe! Sie wollte dem Jungen nichts böses. Ich behaupte sogar, wenn sie nicht vor dem Eingang zum Weißrosenweg festgenommen worden wäre, hätte sie Julius auch nicht noch einmal da hinausgehen lassen. Davidson sagte mir sowas, daß sie vorhatte, ihn Ihrer Mutter zu bringen, weil sie wußte, wie gefährlich die Lage ausuferte. Nur soviel von einer Mutter zur anderen."

"Ich weiß zwar jetzt nicht, wie ich diesen Rat beherzigen soll, Professor Verdant, aber meine Mutter hält viel von Ihrer Sachkompetenz und Ihrer Erfahrung im Umgang mit Schülern und eigenen Kindern. Dennoch möchte ich sicherstellen, daß Julius sich in den Wochen, die er vor dem nächsten Schuljahr noch hat, gut erholen kann. Außerdem hat Mrs. Porter was angestoßen, daß ich als amtliche Fürsorgerin so nicht einfach vor sich hinlaufen lassen darf. Da ich selbst eine Familie habe, kann ich schlecht hier bei ihm bleiben."

"Bläänch, jetzt reicht es mir! Du kannst mir nicht den ganzen Nachmittag mit einer derartigen Unerbittlichkeit begegnen. Das ist deiner nicht würdig", sprach Mrs. Porter so laut auf Madame Faucon ein, daß es jeder hören mußte, der gerade vor dem Saal und im Korridor stand. Catherine blieb stehen und sah auf ihre kleine, silberne Armbanduhr, die, wie Julius erkannte, die Damenausführung seiner eigenen Weltzeituhr war.

"Oh, ich muß in einer Stunde in unserem Hotel sein, damit Joe und ich zusammen zur Feier können. Am besten bleibst du in der Nähe meiner Mutter. Wenn sie meint, dich zu deiner Mutter zu führen, soll sie. Aber morgen Nachmittag um 18.00 Uhr Ortszeit Paris hat sie dich und Babette bei mir abzuliefern."

"... Ich verbiete Ihnen, mich weiterhin so anzureden, Jane Porter!" Fauchte Madame Faucon, während Catherine sich konzentrierte, um ihr wohl was zukommen zu lassen. Mr. Ross kam von hinten angeschlichen und hieb Julius die rechte Pranke auf die Schulter.

"Yep, Bursche, die Kuh ist vom Eis. Schade, das dein Vater nicht mehr er selbst werden kann. Aber besser als von dieser Mörderbiene vernascht zu werden allemal", lachte der texanische Zauberer, der jetzt bei Denver wohnte.

"John, mußt du dem Jungen solche Ausdrücke vorsagen? Das ist ja peinlich mit dir", tadelte Mrs. Ross ihn. Dann nahm Sie Julius noch einmal kurz in die Arme und sagte:

"War auf jeden Fall richtig, daß Mrs. Porter und du das durchgezogen habt. Vielleicht habt ihr damit viele hundert Leute gerettet, die dieses Geschöpf noch hätte haben wollen. Man hört bestimmt wieder voneinander. Die Welt ist ja nicht gerade groß."

"Machen Sie es gut, Mrs. Ross. Ähm, wie kriegt denn Mr. Marchand sein altes Sofa wieder, oder ist das auch umgekehrt zu nehmen?"

"Wenn du's keinem sagst", fflüsterte Mrs. Ross' Gedankenstimme in seinem Kopf. "Wenn man es einmal herumgewendet hat geht es wieder dahin, wo es herkam."

... Ich weiß, daß Sie meinen Vornamen korrekt aussprechen können, weil das ihm zu Grunde liegende Eigenschaftswort von Ihnen immer korrekt ausgesprochen wird, wenn Sie meine Heimatsprache verwenden", hörte Julius die Beauxbatons-Lehrerin. Dann fragte er sich, ob er wirklich jetzt schon von hier wegwollte. Ja, hier hatte er was total fieses erlebt. Aber das hatte er auch in Beauxbatons, beziehungsweise der Bilderwelt von Hogwarts. Trotzdem dachte er da immer eher an die schönen Dinge und Erlebnisse. Wenn er jetzt von hier wegmußte, dann war dieses Quodpot-Spiel das einzige, was er wirklich schönes hier erlebt hatte. Sicher, er hatte eine neue Zauberkunstfertigkeit erlernt. Aber seine Mutter lag im künstlichen Koma, sein Vater lag wieder in den Windeln, und Mrs. Porter und Madame Faucon lagen gerade im von Mrs. Porter doch so herbeigewünschten Krach. Er schritt näher an sie heran und hörte die hitzige Diskussion über Ausspracheweisen und Verantwortlichkeiten mit.

"Das ist mir völlig gleichgültig, wie eine Schreibweise betont wird, wenn klar ist, daß sie für ein bestimmtes Land eine bestimmte Aussprache verlangt. Das zum einen, Mrs. Porter. Zum anderen hätten Sie mir unverzüglich von dieser Audienz mit Marie Laveaus Geist berichten sollen, als Sie und ich alleine in meinem Haus waren. Oder wollen Sie jetzt etwa behaupten, das hätten sie auch unter magischem Eid zu verschweigen gehabt?"

"Blää..., hmmm, Professeur Faucon, ich hatte Maries eindeutige Anweisung, daß Julius es erst mitbekommen dürfe, wenn er in ihrer Reichweite ist. Was hätten Sie bitte schön gemacht, wenn ich Ihnen das vor der Abreise noch zwischen Tür und Angeln erläutert hätte? - Kann ich Ihnen Sagen, Madame, Sie hätten mich im hohen Bogen aus Ihrem Haus geworfen und die Lage für Julius damit ohne Wissen verkompliziert."

"Inwieweit?" Erwiderte Madame Faucon sichtlich gereizt.

"Indem, daß dem Jungen seine Zukunft vorhergesagt wurde, beziehungsweise die ihm dort bevorstehenden Ereignisse mit den größten Wahrscheinlichkeiten. Mehr darf und will ich auch nicht sagen."

"Das steht Ihnen frei", fauchte Madame Faucon, die Julius sah und zu sich winkte. "Catherine ist nicht bei dir?" Fragte sie noch im Streittonfall. Julius sagte, daß sie zur Abschlußfeier müsse, damit Joe nicht doch meinte, ohne sie auszukommen. "Gut, dann bleiben wir beide jetzt beieinander und kehren zurück."

"Öhm, Madame, 'tschuldigung, aber mein Besen und meine Reisetasche sind noch im Laveau-Institut", sagte Julius sehr entschlossen.

"Gut, dann gehen wir eben zuerst dorthin."

"Oh, Professeur Faucon, da kommen Sie ohne mich nicht hinein, und der Junge hat seine Habe in einem unserer Sicherheitsräume aufbewahrt und ist der Einzige, der an sein Fach herankommen kann. Ich kann ihn dorthin bringen. Aber Sie müßten dann warten. Da Sie aber im Moment eine erwachsene Hexe, die nicht unwesentlich jünger ist als Sie, wie eine ihrer Schülerinnen zu bevormunden trachten, Madame, kann ich dem Jungen nicht helfen, an seine Sachen zu gelangen. Ich weiß nicht, wie teuer so ein Ganymed 10 ist oder die anderen Zaubersachen, die ja wohl auch eher einen Idiellen Wert haben."

"Sie wagen es, mich derartig zu verhöhnen, mir gar berufsbedingte Verhaltensunflexibilität zu unterstellen?" Knurrte Madame Faucon. Jane Porter sah sie beruhigend an und meinte:

"So übertrieben meine ich das nicht. Ich habe nur festgestellt, daß Sie mir nachdem ich Ihre Barriere des Schweigens eingerannt habe, andauernde Vorhaltungen machen, ich habe den Jungen, der in den Ferien nicht Ihrer Zuständigkeit unterliegt, verantwortungsloser weise in Gefahr gebracht. Wenn Mr. Swift mich nicht vor dem Weißrosenweg festgenommen hätte, dann wäre der Junge mit mir im Institut geblieben, und Davidsons Argumentation, er müsse Spione fürchten, wäre mir völlig schnuppe gewesen. Ich hätte Ihnen den Jungen sogar an dem Tag zurückerstattet, als Mr. Swift mich hat festnehmen lassen. Haben Sie das vielleicht schon bedacht?"

"Mädels, ich verdrück mich gleich", dachte Julius, als er die beiden älteren Hexen wie streitsüchtige Schulmädchen aufeinander einfauchen, -schnarren, -grummeln und -schrillen hören konnte. Irgendwann schrie eines der beiden Babys. Julius sah sich sofort um. Doch Professor Verdant bog gerade um eine Ecke und disapparierte einfach. So hatte er nicht sehen können, welcher Junge das jetzt war. Es würgte ihn immer noch von innen, daß sein Vater nie wiederkommen würde, obwohl er doch nicht tot war. Ihm fiel jetzt ein, daß er doch immer wieder gehofft hatte, sein Vater würde das mit seiner Zauberei verstehen und sich wieder mit seiner Frau Martha versöhnen. Doch aus diesem Wunschtraum vieler Scheidungskinder würde in seinem Fall nichts mehr werden. Ihm fiel auch ein, daß es wohl auch nicht gelungen wäre, seinen Vater zurückzuverwandeln, wenn er sein Gedächtnis und seinen entwickelten Geist behalten hätte. So war es besser für ihn. Denn Catherines Drohung, auch ihn zum Säugling zurückzufluchen, hatte tief getroffen, mußte er feststellen. Denn auch er würde nun nicht wieder zurückverwandelt werden können, sollte ein skrupelloser Zeitgenosse oder eine bösartige Zeitgenossin ihn erneut dem Infanticorpore-Fluch aussetzen. Denn er hätte nicht zu sagen gewußt, um wie viele Stunden und Minuten er genau gealtert war. Grob gesehen war er zwei Jahre älter geworden. Aber wie das in Tagen, Minuten oder Sekunden gerechnet wurde, wurde ihm nicht klar.

"In Ordnung, Mrs. Porter. Sie dürfen den Jungen in ihr Institut bringen und ihn seine Habe holen lassen. Ich gebe ihnen genau fünfzehn Minuten Zeit dafür. Ich weiß von anderen Mitarbeitern Ihres Institutes, daß diese Zeitspanne mehr als doppelt langt, um ihr Institut zu erreichen. Also, Julius, du disapparierst mit dieser Dame hier und holst dir deine Sachen zurück. In fünfzehn Minuten erwarte ich dich am Gasthaus zum betrunkenen Drachen. Oder legst du es nicht darauf an, deine Mutter noch einmal zu besuchen?"

"Natürlich", stieß Julius aus und klammerte sich schnell und mehr als ausreichend stark an Mrs. Porter. Diese sah Madame Faucon an und sagte: "Dann stoppen Sie ja gut die Zeit, Professeur Faucon!" Bevor Madame Faucon etwas auf diese Frechheit erwidern konnte, quetschte es Julius auch schon durch diesen schwarzen, viel zu engen Schlund, der alles an ihm zusammenpresste. Dann standen sie im Besenhangar des Institutes.

"Die gute Bläänch, oh, Blanche Faucon steckt voll in der Zwickmühle, Honey", sagte Mrs. Porter, nun sehr amüsiert. "Einerseits will sie dir und natürlich auch mir beweisen, daß ihr was an dir liegt. Aber sie darf es nicht nach außen zeigen, weil sie zum einen nicht unmittelbar für dich zuständig ist und zum zweiten wohl gemerkt hat, daß ihr Töchterchen auch Krallen bekommen hat. Körpersprache ist schon was sehr informatives. Aber los, bevor sie mich noch in irgendwas verantwortlich nutzbares verwandelt!"

Auf einem Harvey-Besen ging es im Höchsttempo zu dem silbernen Tor, das mitten in der Luft entstand, aufschwang und die unsichtbaren Soziusflieger durchließ. Im Institut selbst blieb Julius Davidson aus dem Weg. Er grüßte jedoch Ardentia Truelane, die gerade per Kontaktfeuer erfahren hatte, daß Pole als Minister abgesetzt worden war.

"Ich hoffe, Davenport ist besser als Pole", sagte Ardentia. Dann fing sie den Blick Mrs. Porters auf, der sehr furchteinflößend war.

"Wieso haben Sie den Jungen in einer X-beliebigen Muggelsiedlung unterzubringen versucht, Ms. Truelane. Sie hätten ihn nicht aus dem Institut herauslassen oder ihn wenn schon in Thorntails unterbringen sollen", fauchte Glorias Großmutter. Ardentia sah sie perplex an und stammelte:

"Nicht meine Idee, Jane. Das war von Davidson, weil der Junge in der Zaubererwelt gesucht wurde und ..."

"Dann kläre ich das mit unserem Boss, wenn ich den Jungen hier wieder bei Madame Faucon abgeliefert habe, was ich ja schon vor zwei Tagen hätte tun wollen. Wieso sind Sie oder Davidson nicht darauf gekommen, ihn statt meiner dort hinzubringen?"

"Öhm, weil er den Ausgangskreis nicht benutzen konnte und alle anderen Ausreisemöglichkeiten auch blockiert waren", sagte die jüngere Hexe abbittend dreinschauend.

"Dieser Schlingel hat aber echt an alles gedacht", knurrte Jane Porter. Dann führte sie Julius zu den Sicherheitsräumen, wo er mit dem Gedankenpasswort "Queue Dorée" an seinen Besen und seine diebstahlsichere Reisetasche herankam. Er verabschiedete sich kurz von Ardentia Truelane, die Mrs. Porter schnell wieder aus dem Weg ging und flog auf dem Ganymed zusammen mit Mrs. Porter aus dem Institut. Den Harvey-Besen sollte Ardentia in den Halteraum zurückbringen.

Als sie durch das Silbertor waren, saß Jane Porter ab und sah Julius noch einmal an:

"Ich weiß nicht warum, aber ich denke, sobald die gute Bläänch dich wieder in ihren Fingern hat, fährt die mit dir nicht nach Thorntails. Die geht mit dir wohl ins Krankenhaus, besucht da deine Mutter und rauscht dann direkt mit dir weiter nach Millemerveilles. Könnte also sein, daß du meinen drei Enkeltöchtern nicht mehr auf Wiedersehen wünschen darfst. Soll ich Ihnen was ausrichten?"

"Ich habe ja noch den Spiegel für Gloria. Sagen Sie ihr bitte nur, daß mich die Kiste mit dem Monster um zwei Jahre älter aussehend gemacht hat, ihre Mutter aber wohl jetzt gut an mir verdinen kann wegen dem Pickel-Ex-Zeug und Nachrasurspülungen. Das wird sie vielleicht erfreuen. Den anderen Mädchen Sagen sie bitte, ich wäre gerne geblieben und hätte mir noch die Zaubererdörfer angesehen und vor allem das Spiel am vierzehnten. Aber sagen Sie Brittany bitte, es habe nicht an ihr gelegen und daß ich für die Windriders alles gute wünsche. falls nicht kann sich Mel ja vielleicht doch noch freuen.""

"Mache ich, Honey. War auf jeden Fall nett, daß du mich mal besucht hast. Das sage ich dir jetzt, bevor mir die alte Steißtrommlerin die Stimmung dafür vermiesen kann. Und jetzt nimm mich ganz lieb beim Arm, nicht so ruppig wie eben. Die Apparierpresse ist so eng, das du mir da nicht an der Seite rausfallen kannst." Julius mußte wieder amüsiert lächeln. Diese Hexe gab ihm nicht den kleinsten Anlaß, ihr zu mißtrauen. Ja, sie hatte sogar ein bombensicheres Alibi gehabt: Dringende Reservierung auf unbestimmte Zeit im Staatshotel Swift mit schwedischen Gardinen mit Luftsiebfunktion. In wie vielen Krimis waren die Hauptverdächtigen mit diesem Alibi davongekommen, wenn sie gerade zur Tatzeit verhaftet und eingebuchtet waren?

Diesmal genoß er es, in diesen heftig zusammenpressenden Durchgang zwischen Start- und Zielort gepröfft zu werden. Fühlte sich die eigene Geburt nicht ähnlich an, wenn auch länger dauernd? Cythera hatte es ihm ja verraten, wie heftig das werden konnte, als sie gerade im Durchgang zwischen freudiger Erwartung und Ernst des Lebens unterwegs war. Tja, der Ernst des Lebens hatte ihn wieder, nachdem er dem Tod oder diesem goldenen Lebenskrug entronnen war, nicht von alleine. Das fiel ihm dabei sofort immer und immer wieder ein. Diese Ungewissheit, wer diese Hexenschwestern gewesen waren, ob er denen nicht am Tag über den Weg laufen und sie nicht erkennen würde und vor allem, wer die Hexe war, die sein Pflegehelferarmband gekitzelt hatte, ließ ihn einfach nicht los.

Vor dem betrunkenen Drachen standen eine Menge Leute mit magischen Fanfaren, Trillerpfeifen und frei schwebenden Leuchtballons mit grinsenden rosa Gesichtern und dem Aufdruck: "Willkommen zurück in der Freiheit, Jane!" Da waren ältere Hexen und Zauberer, mit denen Jane Porter wohl die Schulbank gedrückt hatte. Da standen Nachbarn von ihr, darunter Maya Unittamo mit einem großen Gefolge von Kindern, Enkln und Urenkeln, die eine beschwingte Melodie spielten. Da waren der bärengleiche Grizwald Paddington, sein bohnenstangenförmiger Kumpel Asparagus McCloud - und deren gewöhnungsbedürftige Freundin, die Sabberhexe Aubartia. Da war das Wirtsehepaar Vineyard, das über dem Schornstein ein lustig flatterndes Spruchband mit den Begrüßungsworten für Jane Porter gespannt hatte und die Porters und Redliefs, die ein fröhliches Flöten- und Saxophonkonzert gaben. Er sah auch Mrs. Redlief, die neben ihren leiblichen Enkelkindern stand und mit Myrna zusammen musizierte. Julius fühlte sich so, als wäre er derjenige, der willkommen geheißen würde, wußte aber auch, daß das hier für ihn ein Abschiedskommitee war. Dann sah er neben Melanie Brittany Forester, die ihm zuwinkte und bedeutete, er möge doch mal eben herüberkommen. Julius suchte Madame Faucon. Wo war die denn?

"Brittany hat dich gesehen. Man sollte kein winkendes Mädchen dumm rumstehen lassen und schon gar keine Hexe wütend machen", sagte Mrs. Porter und stupste Julius in die Richtung, wo Brit in einem bunt bemalten Juteumhang stand, den er an ihr noch nicht gesehen hatte. Er gab sich einen Ruck. Wenn Madame Faucon hier irgendwo im Trubel war, würde er wohl bald genug von ihr hören. So ging er hinüber zu Brittany, die ihn anstrahlte, als habe sie allein diesen großen Bahnhof aufgeboten, und zwar für ihn.

"Jau", begrüßte sie ihn. "Stell dich mal neben Mel und mich, damit die Jungens aus unserer Klasse morgen neidisch kucken."

"Öhm, ich wollte an und für sich mit jemandem hier zusammentreffen. Aber wenn du meinst, deine Schulkameraden müßten wegen mir neidisch werden", sagte Julius und stellte sich zwischen Brit und Melanie, die ihn unvermittelt ihre Arme um die Schultern legten und sich anlehnten, während zwei Fotografen ihn mit hellen Blitzen grell abschossen.

"Ich habe es von Mom, die's von Mutter Verdant hat, was mit dir passiert ist", sagte Brittany. "Also das war die Kiste mit deinem Vater. Der ist also kein Mörder gewesen. Dafür muß der jetzt wieder aus den Windeln rauswachsen. Auch eine Form von Buße."

"Ja, aber der weiß das nicht einmal mehr, wer er war", sagte Julius und fühlte unvermittelt Tränen aufsteigen. Er blinzelte einmal, zweimal, um die Tränen zu verdrücken. Brittany merkte es wohl und sagte leise:

"Hauptsache, ihr beiden seid von dieser Monsterbraut losgeeist worden, Julius. Mom meinte, die hätte was mit dir angestellt, was dich um zwei Jahre älter gemacht hat. Im Moment siehst du jedenfalls besser aus als ohnehin schon. Ich kenne manche Vierzehnjährige, die würde irgendwem ihre Seele verkaufen, um über nacht einen anständigen Busen zu kriegen und nicht immer "na, kleines" gerufen werden zu müssen. Wenn du dich schämst, hier mit uns zu stehen, können wir auch in den Drachen reingehen."

"Da könnte meine Anstandsdame was gegenhaben, die extra wegen mir aus Millemerveilles rübergeflogen ist, mit einem Muggeldüsenflieger. Außerdem hat irgendso'n Gangster meine Mutter in eine Art Koma versenkt. Die liegt in einem Muggelkrankenhaus und kommt da wohl erst in einer Woche wieder raus", sprudelte es aus Julius heraus, damit er nicht losheulen konnte.

Gloria und Myrna kamen herüber, als sie ihre Oma umarmt und geküßt hatten.

"Ui, ob Claire dich so noch länger halten kann?" Fragte Gloria, nachdem sie Julius von oben bis unten mit den Augen abgetastet hatte, als wolle sie ihn gleich ausziehen.

"Wenn deine Mum einen Trank hat, der mich ohne geistige Nebenwirkungen wieder jünger macht bestimmt", sagte Julius.

"Nix gibt's, Julius. Mit dem Körper bist du bei euch in Beauxbatons gut angesagt, denke ich mal. Die würden Mum und mir ja die Augen auskratzen, wenn wir was finden könnten, dich wieder zurückzudrehen. Aber ich darf nicht drüber spotten", erkannte Gloria und wurde wieder die vernünftige Mitschülerin, als die Julius sie in Hogwarts kennen und respektieren gelernt hatte. "Wenn du wieder nach Frankreich zurückfährst - und Oma meint, Madame Faucon sei deshalb extra rübergekommen, dann solltest du sofort zu den Dusoleils hin, damit die das mit deinem neuen Aussehen klarkriegen. Außerdem würde ich Jeanne und Claire die ganze Geschichte erzähleln. Da wirst du bestimmt noch öfter dran denken müssen. Dann ist es allemal besser, wenn jemand da ist, der versteht, warum das mit dir passiert. Und pfeife auf die Geheimniskrämer in den Ministerien! Du mußt wissen, wem du vertrauen kannst und wem nicht."

"Glo, du bist wie ein Kindermädchen. Kannst du nicht einmal was einfach nur lustiges oder belangloses daherreden wie ein Mädchen das braucht?" Protestierte Myrna, die Julius etwas länger inspiziert hatte. "Also, Mel kriegt dich nicht, auch wenn du mit der locker zum Abschlußball gehen könntest. Wenn deine Freundin in Millemerveilles dich echt nicht mehr haben will, weil du ihr zu alt aussiehst, dann rufe Gloria über eure Geheimverbindung, von der sie mir nix erzählen will und frage, ob wir uns mal treffen können." Wo sie das sagte umspielte ihren Mund ein Lächeln, von dem Julius nicht wußte, ob es sagte: "Ist nicht so gemeint." oder "Ich freue mich, wenn du meine Einladung annimmst."

"Ist diese Mirella auch in der Nähe?" Fragte Julius und sah sich um.

"Die würde dich sofort mit Amortentia einkassieren", sagte Melanie Redlief sofort. "Da mußt du demnächst aufpassen, ob dir nicht eine so'n Zeug unterjubelt oder'n anderes Aphrodisiakum."

"Zum Beispiel ...", setzte Julius an und wollte wohl was wie Sabberhexenspucke sagen. Da schwebte die kleine, grüne Gestalt von Aubartia vor ihm und strahlte ihn an. Er wich einen Schritt zurück. Sie grinste verspielt. Dann quäkte sie:

"Wenn du in zwei Monddurchläufen herkommst, könnte ich glatt über dich herfallen, Jungchen. Ich habe das mit dieser Tochter, die nicht sein darf gehört. Wußte nicht, daß die jetzt auch schon herüberkommen können. Hoffentlich hat die dich nicht kaputtgemacht, daß du keine Lust auf Zweierspiele kriegst. Wäre echt schade." Julius wollte schon zurückfeuern, daß ausgerechnet die sowas sagte, als Madame Faucon herankam und ihn anstrahlte. Ja, sie strahlte ihn an, anstatt gleich zum Aufbruch zu rufen. Dann sah sie Aubartia und trat auf sie zu, nicht einschreitend, sondern ganz ruhig.

"Oh, was für ein Zufall. Ich hörte, daß es eine Waldfrau gibt, die doch was von Zivilisation gehört hat", sagte sie ruhig. "Das gibt mir eine Gelegenheit, die vieles erleichtert, wenn Sie dem Jungen da einen großen Gefallen tun möchten und mein Bild Ihrer Rasse etwas heller machen wollen."

"Du bist die, die auf ihn aufpassen will?" Fragte Aubartia. Madame Faucon nickte. "Wüßte zwar nicht, warum eine ältere auf ihn aufpassen muß, aber ich helfe ihm natürlich, weil er gegen eine Tochter die nicht sein darf gekämpft hat." Julius mußte unwillkürlich grinsen. Gekämpft, gegen Hallitti? Was wußte dieses kleine, grüne Weibchen mit den gelben Augen da schon, was ihm fast passiert wäre? Dann sah er, wie Madame Faucon nur die Lippen bewegte. Offenbar flüsterte sie der Sabberhexe was zu, deren katzengleiches Gehör das bestimmt laut genug aufnahm. Dann schwebte die kleine, etwas zerbrechlich wirkende Gestalt hinter Madame Faucon her.

"Heh, was gibt denn das, wenn es fertig ist?" Fragte Julius. Gloria sah die Sabberhexe genauso irritiert an. Dann meinte Brittany:

"Wahrscheinlich will "die, die auf dich aufpasst" von Aubartia was haben, Haare, Speichel oder Tränenflüssigkeit. Ich denke, sie wird ihr ein paar Haarsträhnen abbitten. Das wissen nämlich nicht alle, daß Sabberhexenhaar einen Nimm-mich-nicht-Wahr-Zauber enthält, der Muggel vergessen macht, eine Sabberhexe gesehen zu haben, wenn diese ihre Haare zu einem Arm- oder Halsband wirkt. Deshalb können die ja auch in öffentlichen Parks herumschweben, ohne gesehen zu werden. Nur wenn sie von Muggeln gesehen werden wollen, tragen sie keinen Eigenhaarschmuck an Hals oder Armen. Der Recke Bullhorn hat uns das erzählt, weil wir es von den heftigsten Zaubern dunkler Kreaturen hatten."

"Moment, diesen Nimm-mich-nicht-wahr-Zauber kenne ich. Den habe ich mal getestet, als die Hardbricks und meine Mum in Hogwarts waren", sagte Julius aufgeregt. Damals hatte er Muggelabwehrzauber ausprobiert, bevor er die Zauberlaterne mit den dreidimensionalen und hörbaren Bildern für Claire gebaut hatte.

"Will meinen. So schwer ist der nicht", sagte Gloria wissend.

"Aber schon unheimlich, wenn so'ne Sabberhexe durch den Zentralpark von New York segelt und arglosen Müttern die Kinder aus dem Wagen klaut", unkte Julius.

 

"Deshalb hängen im Zentralpark von New York ja auch an jedem dritten Baum Steinsalzpäckchen herum und wurden zu den ohnehin schon existierenden Muggelwasserleitungen noch feine Rohre verlegt, durch die immer fließendes Wasser geht", wußte Melanie Redlief. "Das hält die wunderbar ab."

"Ja, wie die Knoblauchschnüre in den Vorgärten in Transsylvanien", meinte Julius. Warum konnte es gegen diese Abgrundstöchter nicht so einfache Abwehrmittel geben wie gegen Sabberhexen und Vampire. Aber wie hatte Aubartia dieses Monster genannt: "Die Tochter, die nicht sein darf." Das verriet, daß auch die grünen Waldfrauen eine Heidenangst vor denen hatten und zweitens wohl nicht haben wollten, daß jemand ohne Sex in die Welt gesetzt wurde.

"Möchtest du auch was von dem Fruchtsaft zur Begrüßung von Mrs. Porter?" Fragte Julius eine ältere Hexe, die er erst nicht an der Stimme erkannte. Als er sich dann umdrehte sah er Maya Unittamo, die doch eben noch weiter fort bei ihren Verwandten gestanden hatte. Er nickte und nahm ein Glas. Auch die Mädchen bekamen Gläser in die Hand gedrückt. Dann hatten alle auf einmal Sekt-oder Fruchtsaftgläser in den Händen. Dann gab es einen schmetternden Tusch, und Mr. Vineyard begrüßte Mrs. Porter und gratulierte ihr zu ihrer Rehabilitation. Julius sah sich um und entdeckte Madame Faucon, die neben Mrs. Porter stand, von der anderen Seite flankiert von Mrs. Redlief. Die drei älteren Hexen strahlten sich gegenseitig an.

"Pack schlägt sich. Pack verträgt sich", grummelte Julius. Gloria meinte:

"Ich denke, eine von den beiden hätte in den nächsten zwei Tagen schon klein beigegeben. Oma Jane braucht Madame Faucon als Rückfragepartnerin, und Professeur Faucon braucht meine Oma als Richtwert, wie weit sie streng vorgehen muß und wann nicht. Opa Livius hat das zumindest mal behauptet."

"Na und", knurrte Julius, den das jetzt doch nicht so interessierte. Entweder würde er gleich zu seiner Mutter gehen und sie besuchen und dann in Thorntails übernachten. Oder Madame Faucon nahm ihn gleich mit zurück nach Millemerveilles.

Dixylandmusik spielte auf, während sich alle zutranken. So kostete Julius diese Feierstimmung eine volle Stunde aus, bis Madame Faucon doch herüberkam und meinte:

"Monsieur, ich weiß nicht, wie lange die Besuchszeiten sind. Aber wenn wir uns ranhalten, können wir wohl deine Mutter noch sehen. Verabschiede dich bitte von den Damen und deinen Gastgebern!" Julius wollte zwar schon ansetzen, daß er sich ja gut auf französisch verabschieden, also wortlos abhauen könne, aber das wollte er sich jetzt bestimmt nicht rausnehmen. So sagte er den älteren Mädchen noch auf Wiedersehen. Als Brittany ihn ansah und fragte, warum er nicht nach Viento del Sol kommen könne, um sich das Quodpotspiel anzusehen, meinte Julius:

"meine Fürsorgebeauftragte, Madame Brickston, meint, ich hätte hier jetzt schon genug Aufregungen gehabt und möchte haben, daß ich wieder zu ihr nach Paris komme. Ich wünsche den Windridern allen Erfolg, den sie sich durch gutes Spiel verdienen können!"

"Können Sie bei dieser Madame Brickston nicht schönes Wetter machen, daß sie ihn noch mal herläßt?" Fragte Brittany. "Ich könnte bei meinem Onkel in VDS anleiern, daß Sie oder diese Madame Brickston ihn begleiten könnte."

"Das wäre unter meiner Würde, bei Madame Brickston schönes Wetter zu machen. Deine Mutter würde da nicht anders verfahren, wenn es um deine Gunst ginge. Außerdem ist Quidditch wesentlich anspruchsvoller als Quodpot. Und in Millemerveilles hätte Julius Gelegenheit, selbst zu spielen", sagte Madame Faucon sehr überzeugt. Brittany sah sie merkwürdig an.

"Wie kommen Sie denn drauf, daß Quidditch anspruchsvoller sein soll, Madame?"

"Weil ich es als Beauxbatons-Mädchen auch gespielt habe und nicht schlecht, Ms. Brittany", sagte Madame Faucon in eindrucksvoller Pose. Dann fügte sie noch hinzu: "Ich werde im Moment nichts unternehmen, was Madame Brickston den Eindruck vermittelt, sie habe eigentlich keine Entscheidungsbefugnisse im Bezug auf den jungen Monsieur Andrews. Aber rein hypothetisch: Wann ist diese achso wichtige Partie?"

"Am Vierzehnten", sagte Brittany sehr stolz. "Windriders gegen Slingshots. Die Entscheidung des Jahres. - Öhm, wenn ich fragen darf, als was haben Sie denn Quidditch gespielt?"

"Ich war Hüterin", sagte Madame Faucon. "Und glauben Sie mir, daß es wesentlich schwerer ist, drei große Ringe vor durchfliegenden Spielbällen zu sichern und dabei nicht von wuchtigen Klatschern getroffen zu werden. - Aber jetzt wird es Zeit, Mesdemoiselles! Julius, nimm bitte meinen rechten Arm!"

"Tschüs und Danke noch mal für alles, Brittany!" Rief Julius und grüßte dann noch die anderen Mädchen und die Porters durch Winken. Dann hielt er sich an Madame Faucon fest und kam sich wieder einmal zu dick für dieses dunkle Gummirohr vor, das ihn auf Strohhalmbreite zusammenzustauchen drohte.

"Alles in Ordnung?" Fragte Madame Faucon, als sie in einer engen Seitengasse der Muggelstadt New Orleans herauskamen. Julius prüfte, ob er noch alles an und bei sich hatte und nickte.

"Gut, den Besen machst du an deiner Tasche fest. Ich kann sie hier abstellen, damit wir sie wiederfinden können. Gestohlen werden kann sie ja nicht", sagte Madame Faucon. Julius nickte und schnallte den Besen im Futteral an die Tasche.

"So, Julius. Damit du nicht doch noch in Versuchung geführt wirst, möchte ich deinen Zauberstab haben, bis wir wieder aus dem Krankenhaus herauskommen", sagte Madame Faucon. Julius wollte sich zwar weigern, seinen Zauberstab herzugeben. Doch Madame Faucon mentiloquierte ihm:

"Du hast noch die Wahl, Julius. Entweder besuchen wir deine Mutter, oder wir reisen sofort weiter. Ich möchte dir nichts böses. Ich möchte dich nur nicht in Versuchung führen, gegen die Gesetze zu handeln." Julius murrte zwar, zog aber seinen Zauberstab aus dem Gürtelfutteral und gab ihn Madame Faucon. Diese belegte die Reisetasche und den Besen mit einem Unsichtbarkeitszauber. Dann holte sie zwei geflochtene Bänder aus seidenweichem Haar aus ihrem Kleid und band Julius eines davon um den Hals. Das zweite war für sie.

"Ich hätte es dir auch um den Arm legen können, aber wenn dein Pflegehelferschlüssel das neutralisiert hätte wäre es wertlos geworden. Das ist ein Geschenk der aus der Art geschlagenen Waldfrau Aubartia. Damit sind wir für alle Muggel uninteressant, egal, wie sie uns wahrnehmen, ob über Kameras oder mit den Augen. So können wir auch in die Nähe des Krankenhauses apparieren. Ich habe bei Davenport eine Sondererlaubnis erwirkt, daß wir in die Nähe dürfen, wenn ich uns mit einem Nimm-mich-nicht-Wahr-Zauber versehe. Das mir eine Quelle natürlicher Magie dieser Art über den Weg laufen würde habe ich nicht geahnt. Aber jetzt müssen wir noch mal durch den Transit", sagte sie ruhig. Julius hielt sich gerade fest genug, daß er nicht weggedrückt wurde, als Madame Faucon in eine schnelle Drehbewegung glitt, die darin gipfelte, daß er schon wieder in dieses verwünschte Quetschrohr gezerrt wurde. Dann standen sie etwa fünfzig Meter vor einem Krankenhaus. Die aus Sabberhexenhaar geflochtenen Halsbänder vibrierten. Offenbar wirkte der in ihnen enthaltene Zauber bereits. Madame Faucon führte Julius durch blitzsaubere, heftig nach Putzmittel und Desinfektionslösungen riechende Gänge mit leicht angegilbten Wandtapeten und kalt flackernden Neonleuchten. Julius fühlte sich hier selbst schon krank. Wie einladend und heimelig war dagegen der Krankenflügel in Thorntails gewesen, wo er die letzte Nacht zugebracht hatte.

"Woher wissen wir, wo sie liegt?" Flüsterte Julius. Als Antwort bekam er eine Gedankenbotschaft:

"Ich habe mich erkundigt, als Mrs. Porter und du deine Sachen geholt habt."

Julius folgte Madame Faucon, die außer ihm niemand zu sehen meinte. Er fragte sich jetzt, warum Jane Porter und er nicht auch diesen Zauber ... Natürlich, wegen der anderen Hexen und Zauberer, die für den Nimm-mich-nicht-wahr-Zauber ja nicht empfänglich waren. Da half dann vollständige Unsichtbarkeit besser.

Sie passierten eine Gruppe Krankenschwestern, die leise schwatzend einen Korridor entlangliefen. Dann erreichten sie Zimmer 247. Das rhythmische Piep-Piep-Piep eines EKG-Gerätes und das leise Fauchen und Zischen von Beatmungsgeräten machte die Musik zu diesem bedrückenden Schauspiel. Vier blütenweiße Stahlrahmenbetten standen in zwei Reihen an den Wänden. Auf den Betten lagen dünne Decken, unter denen ein durchsichtiges Gestrüpp von dünnen Plastikschläuchen zu Glasflaschen auf Gestellen oder Maschinen führte, die leise surrend Blut aus einem Körper filterten, reinigten und in den Körper zurückpumpten. Julius sah seine Mutter erst gar nicht, weil ausnahmslos alle in diesem Zimmer Beatmungsvorrichtungen in den blutleer wirkenden Gesichtern trugen. Julius dachte an Vampire, die hier auf die Nacht warteten, an die Borg aus Star-Trek oder die Besatzungen eines Langstreckenraumschiffes, die in künstlichem Winterschlaf lagen, bis sie das ferne Reiseziel erreichen würden. Dann sah er seine Mutter. Auch sie lag reglos da, hatte die Augen geschlossen und atmete im mechanischen Takt der Maschine. Ein Grauen, daß Julius nicht bei den häßlichsten oder gefährlichen Zauberkreaturen empfunden hatte, ließ ihm schlagartig eine Gänsehaut über den ganzen Körper wachsen. So wie seine Mutter da lag konnte sie auch tot sein. Ja, die Maschinen würden laufen und laufen und nicht aufhören zu laufen, wenn der von ihnen versorgte Patient schon längst tot war. Er konnte mit den gezackten Kurven des EKGs nichts anfangen. Zwar hatte er viel über die menschliche Anatomie gelernt und angewendet. Doch die Apparaturen hier waren ihm so fremd wie die Kommandobrücke eines außerirdischen Raumschiffes.

"Hallo, Mum. Ich bin's", flüsterte Julius so leise, daß er selbst es fast nicht hören konnte. Vorsichtig wollte er das Halsband abnehmen. Doch Madame Faucon nahm seine Hand wieder fort.

"Das wäre ein zu großes Risiko, Julius. Sie würde dich jetzt nicht erkennen. Sie ist in einer tiefen Bewußtlosigkeit. Mehr kann ich aus dem gesammelten Heilversucheapparatewerk nicht ablesen", erwiderte Madame Faucon. Julius nickte. So standen sie zwei Minuten, in denen Julius seiner Mutter leise zuflüsterte, daß es ihm jetzt wieder gut gehe und er zu Catherine reisen würde. Dann mentiloquierte Madame Faucon:

"Mehr kannst du im Moment nicht tun, Julius. - Ja, ich weiß, du würdest gerne nachprüfen, ob du nicht mit einfacheren Stimulanzzaubern was verändern könntest. Aber manchmal ist eine sanfte Therapie besser als eine kurze und dafür harte. In einer Woche wird sie wiederhergestellt sein und dann wesentlich gesünder aussehen als jetzt", tröstete Madame Faucon sich oder Julius. Wen nun, konnte er nicht sagen. Es piepte, zischte, klickte und fauchte weiter. Kein Patient und keine der ihn überwachenden und versorgenden Maschinen hatte die Eindringlinge aufspüren können.

Als Julius sich endlich wieder vom Bett seiner Mutter lösen konnte, schwieg er bis zu dem Punkt, an den sie vorhin appariert waren. Hier disapparierten sie nun und trafen an dem Ort ein, wo die Reisetasche lag. Madame Faucon ließ sie wieder sichtbar werden. Danach nahm sie sich und Julius das verzauberte Halsband wieder ab. Dann hieß sie Julius die Tasche an seinen Besen zu hängen und sich so zu setzen, daß sie steuern konnte.

Leicht skeptisch sah er, wie die schwere Urlaubstasche leicht ausgebeult am Besenstiel hing. Dann saß Madame Faucon auf. Julius schaffte es gerade so, noch hinter ihr zu sitzen. Dann flog die Beauxbatons-Lehrerin davon.

Julius dachte zunächst, sie würde nach Thorntails fliegen. Doch als sie wieder im Weißrosenweg eintrafen und den grünen Kreis auf dem Boden ansahen, der ihn vor fünf Tagen willkommen geheißen hatte, schwante ihm, daß sie gleich nach Europa durchreisen würden. Tatsächlich senkte sich der Besen in den Kreis, und Madame Faucon wies Julius an, seine Reisetasche an den Händen vom Boden gelöst zu halten.

"Gleich nach Hause?" Fragte Julius etwas enttäuscht, nicht doch noch etwas mehr von amerika zu sehen, und sei es Thorntails.

"Gleich nach Hause", sagte Madame Faucon. "Ich habe mir das gut überlegt, daß wir doch besser in eigenen Betten schlafen können als in fremden. Meine Reisetasche habe ich verkleinert und in meiner Handtasche verstaut, weil ich davon ausging, daß wir auf magischem Wege zurückkehren könnten. Also, halte dich bereit!"

Madame Faucon hob ihren Zauberstab hoch und rief drei fremdartig klingende Wörter, wobei sie den Stab kreiseln ließ. Beim dritten Wort schoss ein goldener Lichtstrahl aus dem Stab, blühte weit darüber zu einer sonnenuntergangsroten Kuppel auf, die sich um sie schloß und zu einer ganzen Kugel wurde, in der die Lehrerin und Julius dahinrasten, umweht von dem merkwürdigen Akord einer Überseereisesphäre und dem Gefühl, etwas drehe sich in seinem Kopf und seinem Magen um. Dann kam die eigene Schwerkraft wieder, und sie standen im Vollkreis von Paris.

"Wollen Sie mich schon in die Rue de Liberation bringen?" Fragte Julius, der es jetzt doch wieder faszinierend fand, daß sie in knapp einer Minute den Atlantik überwunden hatten, wozu selbst die Concorde bald drei Stunden brauchte.

"Nein, ich bring dich zu mir. Dann kannst du den nächsten Morgen noch mit den Dusoleils und Delamontagnes verbringen. Es stimmt schon, daß es für dich wohl besser ist, wenn sich möglichst viele noch vor dem neuen Schuljahr mit deinem neuen Aussehen anfreunden können. Es gibt übrigens nur eine Sache, die du nicht erzählen darfst, daß du einen Zeitpaktzauber angewendet hast. Catherine hat mir erzählt, welche Legende sie Mrs. Redlief über deinen Alterungsprozess erzählt hat. Da du dich ja auch irgendwie der Logik verbunden fühlst kommst du bestimmt darauf, daß sie besser ist als eine unliebsame Wahrheit, sofern sie nicht zu weiteren Schäden an Menschen oder Tieren führt. Ich rufe jetzt die Sphäre für Millemerveilles auf."

Als sie dann endlich aus dem Kreis in Millemerveilles heraustraten, war es hier bereits kurz vor Mitternacht.Julius hatte nicht gedacht, so schnell wieder hier zu sein.

"Hat es hier nach meiner Abreise wieder Dementorenzwischenfälle gegeben?" Wollte er wissen.

"Nein, hat es nicht. Unsere Abwehr muß jenen, der sie uns auf den Hals geschickt hat, aus dem Konzept gebracht haben. Ich vermute, sie kamen in Voldemorts Auftrag", sagte Madame Faucon.

"Voldemort? Was wollte der denn von Millemerveilles?"

"Ob er was konkretes wollte, kann ich so nicht sagen. Wahrscheinlich wollte er uns nur fühlen lassen, daß unsere Abwehrglocke nicht so undurchlässig ist wie wir bisher glaubten. Jemandem zu zeigen, daß man ihn jederzeit angreifen und ausplündern kann ist ein gutes Mittel der psychologischen Kriegsführung, hat ein Mensch in einer dieser Fernsehkisten mal erzählt, als ich bei Catherine und ihrem Mann war. Den Rest fliegen wir auf deinem Besen", legte sie noch fest. Julius stellte jetzt erst fest, wie übergangslos sie beide wieder in die französische Sprache zurückgeglitten waren.

In tiefster Nacht landeten sie vor dem Haus mit den vier Schornsteinen und dem geräumigen Vor- und Hauptgarten. Madame Faucon entfernte die Schutzzauber, entriegelte die Haustür und winkte Julius mit leuchtendem Zauberstab hinein. Als die Tür dann geschlossen war, entzündete sie eine Deckenlampe und winkte ihn in die Wohnküche. Da klopfte es an einem der Fenster, Tapp-tapp-tapp! Madame Faucon öffnete es und ließ eine leicht verrußt aussehende Schleiereule herein.

"Ach, nein, Francis! Jezt haben sie dich aber durch die Kamine gelassen, wie?" Begrüßte er seine Posteule und tupfte ihr Asche und Ruß aus dem Gefider. Madame Faucon half ihm mit einem kurzen Schwenker des Zauberstabs. Dann gab sie Julius seinen eigenen zurück und holte eine kleine Flasche mit dem Uhrensymbol darauf.

"Den nehmen wir noch zu uns, damit wir die nötige Bettschwere erhalten", sagte sie und schenkte sich und Julius zwei kleine Gläser davon voll. Als er den Ortszeitanpassungstrank gerade im Magen hatte, meinte er, ein heftiges Schlafmittel geschluckt zu haben. Madame Faucon sah nicht wesentlich munterer aus. Dennoch konnte Julius das Päckchen, das Francis am rechten Bein getragen hatte, nicht ungeöffnet herumliegen lassen. Es enthielt den eingeschrumpften Käfig und einen Brief.Er las den englischen Text:

 

Hallo, Julius.

ich habe mich mit deiner Gastgeberin Madame Faucon darauf geeinigt, deine Eule per Express-Post zurück zu ihr zu schicken, weil sie doch gleich nach Millemerveilles wollte. Ich kann es ihr nicht verdenken, denn als ich ja vor einem Jahr dort bei euch war, hattet ihr ja einen wunderschönen Sommer. Mach aus der Not, doch vor deiner angesetzten Urlaubszeit nach Hause zurückgekehrt zu sein, eine Tugend und erhole dich von den Strapatzen der letzten Tage!

Alles Gute und liebe
                    Maya Unittamo

 

"Mrs. Unittamo hat mir noch einen erholsamen Urlaub gewünscht", verkündete Julius. Nachdem Madame Faucon den verkleinerten Käfig auf die ursprüngliche Größe hatte anwachsen lassen sprach sie zu dem Jungen:

"Nun, so richtig erholen wirst du dich fürchte ich nie von dem, was dir passiert ist. Ich habe mich beispielsweise nie von dem feigen Angriff dieses Voldemort erholt, obwohl der schon sechzehn Jahre her ist. Aber zum Trost, Julius, mein Junge, die bösen Dinge, die uns passieren, machen die schönen und wohltuenden Dinge so unvergesslich. Mag sein, daß es eine Binsenweisheit ist. Aber ich persönlich habe es wirklich so zu fühlen gelernt. Jetzt bist du mit einem großen Verlust im Leben belastet und mußt damit weiterleben. Doch ich bin da, um dir zu helfen, wie Catherine auch, die wohl meint, jetzt allen, mir, dir und vor allem sich selbst zeigen zu müssen, wie zuverlässig sie dich betreuen kann. Ich habe es aus der Ferne gesehen, daß du darum gekämpft hast, vor den älteren Mädchen nicht in Tränen auszubrechen. Manchmal ist es klug, nicht in seinen Gefühlen zu vergehen. Doch es ist auch klug, auch die Schmerzen in der Seele zu zeigen, sich selbst dem hinzugeben, was einen bedrückt. Denn dann geht es doch ein wenig leichter, und man muß sich selbst nicht vormachen, über allen Dingen zu stehen. Das wollte ich dir nur mitgeben, falls du diese Nacht aufwachst und nicht weißt wohin mit deinen Gefühlen. Deshalb wollte ich dich in meinem Haus haben, um dir dann, wenn du mich brauchst, ohne überflüssiges Publikum beistehen zu können."

"Ich danke Ihnen. Aber sollte ich dann nicht besser Träumgut-Tee trinken?"

"Nein, das wäre nicht klug. Du magst damit die Bösen Träume auf Abstand halten. Aber sie werden dann auf einen späteren Zeitpunkt lauern. Besser ist es, sie durch natürlichen Traumschlaf zu bändigen, solange sie nicht wirklich andauernd wiederkommen. Falls das passiert, können wir weitersehen."

"Eine Frage habe ich noch: Das eben mit Brittany und dem Quidditch, haben Sie echt als Hüterin gespielt oder war das nur, um Brittany zu beeindrucken?"

"Hmhmm, ich glaube nicht, daß ich es nötig habe, ein junges Mädchen mit Erzählungen aus meiner Jugend zu beeindrucken, wenn diese Geschichten nicht stimmen. Ich habe tatsächlich als Hüterin gespielt. Deshalb bin ich dem Besenflug immer noch sehr verbunden und habe deine Fortschritte hier und die bisherige Glanzzeit in Beauxbatons sehr genossen. Aber es wird Zeit. Auch mit einem fast erwachsenen Körper mußt du noch genug Schlaf haben", sagte Madame Faucon, nun ganz eine Mutter und Lehrerin.

Julius verabschiedete sich zur Nacht und stieg zum Dachzimmer hinauf. Er hoffte, daß er nicht schon in der ersten Nacht böse Träume haben würde. Doch richtig unheimlich war ihm bei dem Gedanken, daß er fast die größte Freude im Leben erfahren hätte, als Hallitti so nackt wie sie den Schoß ihrer Mutter verlassen hatte, vor ihm bereitgestanden hatte. Hoffentlich träumte er nicht nur noch von solchen leidenschaftlichen Begegnungen!

Er ging zuerst in den Waschraum, dann in das Dachzimmer, in dem er schon mehr als zwei Wochen geschlafen hatte. Ja, ihm kam es so vor, als sei er gar nicht fortt gewesen. Doch als er sich über das Gesicht strich, und die rauhen Stoppeln fühlte, wußte er wieder: Er hatte nicht geträumt. So legte er sich hin und hoffte darauf, einen tiefen, friedlichen Schlaf zu erleben.

Morgen würde er noch einmal durch das Dorf gehen und sich mit den Leuten hier unterhalten, vor allem mit Laurentine, Caro, Sandrine und vor allem mit Claire. Denn die mußten es unbedingt wissen, daß er in einer halben Minute zwei Jahre seiner Entwicklung einfach übersprungen hatte, nur um für diesen Zeitraum die Zeit stillstehen zu lassen. Ja, es war ein hoher Preis, den er hatte zahlen müssen, und sein Vater hatte einen noch höheren Preis bezahlt, den Verlust seines ganzen Lebens. Dann fiel ihm etwas ein. Einige Leute, die trauerten sammelten möglichst gut erhaltene Erinnerungen an die, welche sie betrauerten. Wenn seine Mutter wieder gesund war, wollte er ihr das vorschlagen, alles über seinen Vater zu sammeln. Vielleicht konnte er auch mit Dr. Sterling, Pina Watermelons Onkel, sowie mit Rodney Underhill sprechen, die alten Schulfreunde Richard Andrews'. Doch er wußte auch, daß Beauxbatons und dessen Lehrer ihn im nächsten Jahr heftig auf Trab halten würden. Unter diesen vielfältigen Gedanken schlief er tief und fest ein.

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