Die nacht war kühl und ruhig. Martha Andrews genoss es, eine halbe Stunde lang mit dem Gesicht am offenen Fenster zu stehen und in die fast vollkommene Dunkelheit hinauszusehen, die nur vom fahlen Mondlicht und dem Funkeln von Millionen Sternen durchbrochen wurde. Kein Geräusch drang in ihre Ohren, kein fernes Rauschen und Brummen einer befahrenen Straße, keine wummernden Bässe einer laut gedrehten Stereoanlage. Nicht einmal das Summen eines Transformators war zu hören. Die Luft war kalt, aber nicht frostig, nicht wie sie es in London oder Paris gewohnt war. Sie roch nach sauber verbrennendem Kaminholz und Trug den Duft von Braten und Gebäck zu ihr hinein. Julius lag in seinem Bett und schlief, trotz der eindringenden Nachtkühle. Martha fühlte sich hier wie auf einer Insel in der Nordsee, weit ab von den Schiffahrtsrouten, geborgen und doch frei von dem allem, was sie aus ihrer hochtechnisierten Welt kannte. Ihre Gedanken wanderten durch Zeit und Raum, suchten in ihrer Erinnerung nach einem vergleichbaren Ort und Erlebnis. Doch nirgendwo in ihrem Gedächtnis fand sich etwas, daß mit dieser Winternacht in Millemerveilles verwandt war. Immer hatte sie in Städten gewohnt oder Urlaub gemacht. Sie und ihr Mann Richard waren nie so rechte Fans des Landlebens gewesen, eher für Kultur und ein breites Band gastronomischer Angebote. Einmal hatten sie Julius zu ihrem Schwager Claude geschickt, der ihn mal zu einer Ferienreise aufs Land mitgenommen hatte. Wie schön es sein konnte, mal weit weg von der sogenannten Zivilisation zu sein ... Aber halt! Sie war nur weit weg von der technischen Welt ihrer Eltern und Großeltern. Denn auch nur in Gedanken zu behaupten, Millemerveilles sei unzivilisiert, wäre grob undankbar gegenüber den hier wohnenden Menschen gewesen. Ein leichtes Frösteln überkam sie. Sie schloß das Fenster wieder und blickte auf ihre Armbanduhr. Es war vier Uhr morgens. Sie legte sich wieder in ihr Bett, umgeben von leisem Rauschen eines gemalten Waldes, der als Tapete dieses Zimmer schmückte.
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Um sieben Uhr standen alle auf. Julius hörte in seinem Kopf noch Madame Latierres Stimme, daß sie nun mit Demie wieder ins Sonnenblumenschloß zurückkehren würde, er ihr aber jederzeit eine Eule schicken könne, wenn was sei.
Es war ein Betrieb wie in einer öffentlichen Badeanstalt, fand Julius, weil sie vor dem Gästebadezimmer mit Aurora Dawn und Arcadia Priestley zusammentrafen, die im Wiesenlandschaftsgästezimmer schliefen, während Auroras und Arcadias Eltern in Jeannes Zimmer schliefen, das zur Zeit das dritte Gästezimmer war.
"Gut geschlafen?" Fragte Aurora Martha Andrews locker. Diese nickte und bedankte sich für die Nachfrage. Arcadia meinte dazu:
"Wenn meine Cousine nicht so schnarchen würde hätte ich bestimmt auch super geschlafen."
"Na klar, Arcadia", erwiderte Aurora amüsiert. "Als wenn ich so laut schnarchen würde. Dann schlug sie vor, Julius möge zuerst ins Bad gehen, da er wohl von allen am schnellsten fertig sei. Julius nahm das Angebot an und machte sich tagesfertig.
Als er im gemütlichen Esszimmer der Dusoleils eintraf, wo die Herrin des Hauses bereits das Geschirr auf den Tisch brachte, fühlte er sich so munter, als habe er bereits gefrühstückt und dabei mindestens drei große Tassen Kaffee getrunken. Kam das von diesem seltsamen Ritual, daß Madame Latierre gestern mit ihm durchgeführt hatte? Steckten in ihm jetzt zwei Leben?
"Guten Morgen, Julius! Wolltest du heute nicht laufen?" Fragte Camille Dusoleil freundlich lächelnd.
"Heute nicht, Madame .., Öhm, Camille", sagte er ruhig. "Ich wollte gerne die Zeit ausnutzen, um mit Aurora zu reden, über das, was in den letzten Tagen so gelaufen ist."
"Ich denke, die wird wohl erst in einer halben Stunde hier unten sein", sagte Camille und ließ ein großes Tablett mit einer Kaffee- und einer Kakaokanne in der Mitte des Tisches aufsetzen. "Du siehst aus, als hättest du einen großen Schluck Wachhaltetrank getrunken, Julius. Dann hast du wohl sehr gut geschlafen."
"Das sowieso, Camille. In eurem Gästezimmer ist es ja immer noch sehr gemütlich. Ich habe nur einmal geträumt, ich würde durch eine Schneelandschaft laufen und es wäre ziemlich windig gewesen. Aber sonst nichts unangenehmes. Ich habe nicht einmal einen Durchhänger von dem Rotwein von gestern."
"Ach, hat Ferdinand Latierre dich mit seinem hochprozentigen Rebensaft abgefüllt, damit seine kleinen Töchter ordentlich wasser lassen können?" Fragte Camille amüsiert.
"Er hat das anders ausgedrückt, Camille. Aber so gesehen stimmt das natürlich", erwiderte Julius und erzählte kurz von der Feier am Vortag, wo alle Mutter werdenden Hexen, die er als Club der guten Hoffnung bezeichnete, bei den Latierres im Sonnenblumenschloß zusammengekommen waren. Er erwähnte jedoch nicht das Ritual, das Madame Latierre mit ihm vollzogen hatte. Irgendwie dachte er, daß Camille sich davon womöglich angewidert fühlen konnte. Immerhin hatte die füllige Matriarchin Ursuline mit entblößtem Unterleib auf seinen Füßen gehockt und ihre Zauberformel gesungen, bei der ihm aus ihr ausströmende Wärme durch die Beine in den ganzen Körper geflossen war.
"Antoinette war nicht sonderlich begeistert, daß Ursuline deine Mutter und vor allem dich so vereinnahmt hat", sagte Camille. "Andererseits hast du sie vor einer Fehlgeburt bewahrt und ihren Kindern damit das Leben gerettet."
"Ja, ich habe das mitbekommen, daß Antoinette Madame Latierre nicht hoch einschätzt.""
"Zwei Hexen, die beide sehr willensstark und erfahren sind, die zwei verschiedene Ansichten vom Leben haben, Julius. Antoinette mag es kultiviert, geistreich und erhaben, während Ursuline Latierre es sinnlich, ungezwungen und gefühlsbetont mag. Aber jede ist auf ihre Weise angesehen, und das respektieren sie gegenseitig. Kann auch sein, daß Antoinette etwas neidisch ist, weil die Latierres sich durch ihre Ungezwungenheit stärker ausbreiten als unsere erhabene Familie. Ich denke sogar, auch wenn du es nicht gesagt hast, daß Ursuline dich auch in ihre Familie aufgenommen hat, weil du ihr durch deinen Lebenskraftzauber etwas von dir in ihre Kinder und sie selbst übertragen hast." Julius nickte. "Dachte ich mir, weil sie damit natürlich noch mehr hat, um Antoinette zu ärgern. Außerdem habe ich den dumpfen Eindruck, daß Ursuline darauf spekuliert, dich mit einer ihrer unverheirateten Töchter oder Enkeltöchter zusammenzubringen." Sie lächelte tiefgründig, während Julius erst einmal schlucken mußte. Dann sagte er:
"Wenn sie denkt, ich sei das wert, müßte ich wohl rausfinden, wie ich sie davon abbringen kann."
"Oh, ich fürchte, das würde sie nicht umstimmen, wenn du mit Gewalt versuchst, ihr zu mißfallen. Das würde ihr nämlich zeigen, daß es dir wichtig ist, was sie denkt und will."
Julius wunderte sich. Camille Dusoleil sprach ganz ruhig darüber, daß er bald irgendein anderes Mädchen oder eine Frau finden oder mit einer verbandelt würde. Denn es war ja gerade erst zwei Monate her, daß Claire und er den Corpores-Dedicata-Zauber aufgerufen hatten. Als habe sie seine Gedanken gelesen sagte Camille Dusoleil:
"Du denkst vielleicht, ich müßte darüber traurig sein, wenn jemand meint, dir eine neue Freundin oder gar eine Ehefrau aussuchen zu wollen. Aber ich weiß, daß das Leben weitergeht und du alles Recht hast, glücklich zu werden, mit wem auch immer. Deshalb amüsiert das mich auch eher, daß Ursuline sich ausmalt, dich bei einer ihrer Töchter oder Enkeltöchter unterbringen zu können."
"Ich denke aber, daß ich mir die Frau für's Leben doch selbst aussuchen werde", sagte Julius kategorisch. Camille nickte.
"Nun, Florymont und ich waren ja sehr froh, daß Claire und du die letzten beiden Jahre so gut miteinander ausgekommen seid." Julius schwieg dazu. Er wußte nicht, ob ihn das jetzt traurig oder fröhlich stimmen sollte. "Du weißt genau, daß wir dich egal mit wem du dich irgendwann mal einlassen wirst immer als Teil unserer Familie ansehen werden, Florymont, Uranie, Jeanne, Denise und ich. Vater hat auch keinen Streit mit dir, und was Emils Frau angeht, das mußt du nicht so ernst nehmen, weil sie eben durch ihre Angst so ist."
"Tja, und wenn ich mit einer aus dem blauen Saal gut warm werden würde?" Fragte Julius herausfordernd.
"Würde sich daran nichts ändern, weil wir das genauso akzeptieren wie deine Entscheidung für Claire und Claires Entscheidung für dich. Jeanne ist ja auch immer noch meine Tochter, obwohl sie diesen Burschen Bruno geheiratet hat und von dem demnächst ein Kind bekommt, das dann genauso selbstverständlich unser Enkelkind ist, egal, von wem sie es kriegt."
"Maman, ich muß mal und das Bad ist zu", quängelte Denise.
"Dann nimm das Gästeklo, ma Chere!" Rief Camille zurück.
"Auch zu!" Rief Denise zurück.
"Sei's drum", murmelte Camille und bedeutete Julius, sich schon mal hinzusetzen.
"Die Kleinigkeiten des Lebens", dachte Julius. "Schön einfach und unkompliziert."
Nach fünf Minuten kam Camille zurück und sagte, daß alles zur vollsten Zufriedenheit erledigt sei. Zehn Minuten später tauchten die männlichen Angehörigen der Familie Dawn und Priestley im Esszimmer auf. Julius sah nun zum ersten Mal im Leben Mr. Hugo Dawn, Auroras Vater. Sofort erkannte er, von wem seine Tochter das schwarze Haar und die graugrünen Augen geerbt hatte. Er begrüßte Julius herzlich und wünschte ihm, fröhliche Weihnachten gehabt zu haben. Mr. Anthony Priestley war Julius noch aus der Zeit bekannt, als er in Cambridge im Krötensteig 144 gewohnt hatte.
"Hui, ich wußte zwar, was dir passiert ist, Julius. Aber dich jetzt in Natura zu sehen ist doch noch was anderes", sagte Mr. Priestley.
"Ich hörte, du würdest meiner Tochter nachschlagen, was Zaubertränke und Kräuterkunde angeht", sagte Mr. Dawn. "Fiel der netten Professor Sprout bestimmt nicht leicht, dich einfach gehen zu lassen, wie?"
"Sie hat nichts dagegen machen können, Sir", sagte Julius. "Dafür hat Snape wohl gejubelt, daß der vorwitzige und übergescheite Muggelabkömmling nicht mehr seinen Unterricht besucht."
"Professor Slughorn hätte dich bestimmt auch gerne in seinem Unterricht gehabt", sagte Tony Priestley. "June und er korrespondieren ja noch regelmäßig, auch und vor allem seit wir ins australische Exil gehen mußten."
"Dafür gibt dieser Hakennaserich jetzt Verteidigung gegen die dunklen Künste", seufzte Julius beklommen. Seitdem er das wußte, hatte er das ungute Gefühl, Dumbledore habe einen Bock zum Gärtner gemacht, auch wenn er sich nicht erklären konnte, wieso Dumbledore das nicht bedacht hatte.
"Nana, immerhin ist Professor Severus Snape ordentlich angestellter Lehrer in Hogwarts", tadelte Tony Priestley den Jungen.
"Wie er das auch immer geschafft hat", knurrte eine junge Frau vom Eingang her. Es war Aurora Dawn, die in einen fließenden, grasgrünen Umhang gekleidet war und ihr nachtschwarzes Haar zu einer seidigweichen Mähne zurechtgekämmt hatte. "Hallo, Camille, Onkel Tony und Julius!" Holte sie die ordentliche Begrüßung der Anwesenden nach. Ihren Vater umarmte sie kurz, dann kam Julius dran. Danach sagte sie: "Ich verstand nie, was Professor Dumbledore an diesem Kerl gefressen hat, den als Zaubertranklehrer einzustellen und dem jetzt ausgerechnet dann, wo Ihr-wißt-schon-wer wieder aufgetaucht ist Verteidigung gegen die dunklen Künste zu überlassen. Gut, dafür haben die Leute in Hogwarts einen guten Zaubertranklehrer. Schade, daß ich Slughorn selbst nicht als Lehrer hatte. Der ist ja genau vor meiner Einschulung in den Ruhestand getreten, nachdem seine Kollegin Bitterling eine andere Auffassung vom Unterricht vertreten hat und sie ganz allein den Zaubertrankunterricht machen und Leiterin von Slytherin werden konnte."
"Sei froh, Aurora, daß du Slughorn nicht mehr mitbekommen hast. Der hätte dich glatt in seine Kartei besonders wichtiger Kontakte einsortiert", sagte Mr. Priestley. "Deine Tante June steht ja bei ihm immer noch ziemlich weit oben auf der Liste wichtiger Personen."
"Gut, ist jetzt hier nicht so wichtig", sagte Aurora und sah auf Camille, die zwar einiges an Englisch verstehen konnte aber sich doch sehr anstrengen mußte.
Regina Dawn trat ein und begrüßte die Anwesenden. Sie ähnelte ihrer Schwester June Priestley mit ihren rotbraunen Haaren und den graublauen Augen. Sie betrachtete Julius Andrews und sagte dann:
"Nett, dich endlich auch einmal kennenzulernen, Julius. Meine Tochter hat dich ja sehr gelobt, und June ist von deiner Diszipliniertheit und guten Erziehung sehr beeindruckt. Schade, daß die freundliche Madame dort", wobei sie auf Camille Dusoleil wies, "dich vor zwei Jahren zu sich geholt hat. Sonst hättest du mit June, Aurora und uns zusammen Ostern feiern können. Aber dafür haben wir ja jetzt die Zeit bis zum Neujahrstag."
"Ihr Arithmantikbuch ist sehr gut, Mrs. Dawn", brachte Julius ein Kompliment an, weil er fand, daß sich das jetzt gehörte. "Professeur Laplace hat gemeint, damit hätte ich gute Aussichten, einen Erwartungen-Übertroffen-ZAG zu schaffen."
"Das Buch alleine wird dir das nicht einbringen, Julius", sagte Regina Dawn. "Aber ich denke, wenn du den schaffst, vielleicht sogar noch einen Ohne-Gleichen-ZAG, liegt's vor allem an dir. Bücher sind nur bedrucktes Papier, solange niemand versteht, was drinsteht. Außerdem darfst du mich ruhig mit Vornamen ansprechen. Ich hörte, du seist mit June und Tony so klargekommen, und meine Tochter nennst du ja schon seit bald drei Jahren beim Vornamen, wie ich weiß."
"Öhm, Danke, Regina", erwiderte Julius vorsichtig. Dann bot ihm auch Hugo Dawn an, ihn beim Vornamen zu nennen und meinte, das würde die Unterhaltung untereinander doch sehr vereinfachen. Julius wandte ein, daß seine Mutter vielleicht auf die förmliche Anrede bestehen würde. Camille sagte dazu dann, daß sie ihr das ohne Druck und Zwang vermitteln würde. Immerhin waren sie ja bis zum ersten Januar Hausgenossen.
Als dann alle Bewohner und Gäste des Hauses im Esszimmer zusammensaßen und Martha Andrews den Dawns und Priestleys soweit vorgestellt war, wie es nötig war, da sie Mrs. Priestley ja schon kannte, frühstückten alle reichlich. Dabei unterhielten sie sich über das, was sie in den letzten Monaten erlebt hatten. Julius erfuhr, daß die eltern Auroras nach Neujahr in ihr ursprüngliches Haus zurückkehren würden, das ja schon seit der ersten Schreckensherrschaft des sogenannten Unnennbaren mit besonderen Schutzzaubern versehen worden war.
"Wir sind nur für zwei Monate zu unserer Tochter gezogen, damit Ihr-wißt-schon-Wer keinen Angriffspunkt findet. Zum Glück sind Philipp und Agatha mit ihren Familien bereits in die Staaten umgezogen. Ich will aber nicht das Haus verlieren, und Regina will ihren Beruf wieder fortführen."
"Was machst du beruflich?" Fragte Julius Regina Dawn.
"Im Moment bin ich als Reserveprüferin für angehende Apparatoren tätig, konnte also einige Monate freinehmen. Aber ab Januar muß ich wohl wieder ran, wenn die Sechstklässler in Hogwarts ihre Unterweisung kriegen und die ersten ab April zur Prüfung antreten", erwiderte Auroras Mutter so schnell als gelte es, eine unliebsame Frage so schnell und unverbindlich wie möglich zu beantworten.
"Hoffentlich kommt er nicht doch noch auf die Idee, euch was zu tun, Mum", sagte Aurora besorgt. "Ihr wißt daß Ministerin Rockridge euch beide, Dad und dich, jederzeit in ihrem Ministerium unterbringen könnte."
"Das wissen wir, Aurora", sagte Hugo Dawn. "Aber ich bin es Leid, mein Leben von der Gnade dieses Wahnsinnigen bestimmen zu lassen. Außerdem weißt du genau, daß deine Mutter und ich in unserem Haus sicher aufgehoben sind."
"War nur ein Angebot", sagte Aurora. Ihre Mutter meinte dazu nur noch:
"Wir wissen, daß wir nicht zu lange in dein Leben reinfuhrwerken dürfen, Aurora. Mach dir bitte um uns keine überflüssigen Sorgen!"
"Wie war das gestern bei Mayettes Familie?" Fragte Denise, die sich bei der bisherigen Unterhaltung wohl langweilte. Martha und Julius erzählten noch einmal, was sie gestern erlebt hatten. Als Martha Andrews jedoch erwähnte, daß sie das schon merkwürdig fand, was Madame Latierre mit ihm angestellt habe sah Camille sie interessiert an und fragte:
"Interessant. Was hat Ursuline denn mit ihm angestellt, was er mir nicht erzählen wollte?" Julius errötete ein wenig. Da begriff Martha, daß sie ihren Sohn vielleicht in eine peinliche Lage brachte und sagte nur:
"Nun, sie hat ihn offiziell zu einem Familienmitglied erklärt, da etwas von ihm in ihr und ihren Kindern stecke. Da sie mich aber als seine wahre Mutter respektieren müsse, wolle sie ihn nicht als eigenen Sohn ansehen, so gern sie es wollte."
"Na ja, wenn das wirklich der einzige Grund wäre, ihn nicht als Sohn zu bezeichnen", grummelte Florymont Dusoleil. Seine Frau sah Julius an und mentiloquierte:
"Und das soll dir so peinlich sein? Das hast du mir doch erzählt. Ist da vielleicht noch mehr abgelaufen?"
"Nichts nennenswertes", mentiloquierte Julius zurück.
"Immerhin hat Béatrice wohl noch was wichtiges mit ihm klären müssen", sagte Martha Andrews zu Camille und Florymont. Die beiden nickten. Camille fragte mit körperlicher Stimme:
"Ging's um ihre Nichten?"
"Unter anderem", sagte Julius dazu. Dann überlegte er, wie er mit Aurora Dawn alleine darüber sprechen konnte, was ihm gestern so alles passiert war. So wartete er, bis sie ein anderes Thema durchgesprochen hatten und fragte sie, ob sie Lust habe, mit ihm zu trainieren. Sie sagte sofort, daß sie das gerne machen würde.
"Wollt ihr das heute machen?" Fragte Hugo Dawn. "Ich wäre sonst gerne mitgekommen und hätte mal gesehen, wie gut ich mit euch mithalten kann." Dann verfiel er in eine Haltung, als lausche er konzentriert auf eine ferne Stimme. Vielleicht bekam er von irgendwem eine Gedankenbotschaft. Er zeigte aber durch keine Geste, ob sie ihm gefiel, nicht gefiel, er ihr zustimmte oder sie verneinte.
"Nun, Dad, ich fürchte, mit dem Sauberwisch 5 kommst du gegen den Willy-Willy und den Ganymed 10 nicht an, der dem Feuerblitz schon sehr gut konkurrenz macht", sagte Aurora Dawn. Ihr Vater grummelte nur was, daß es ja nicht auf Geschwindigkeit allein ankomme, worauf seine Tochter einwandte, daß sie ihm ja schon mit dem Nimbus 1500, den sie im ZAG-Jahr bekommen habe haushoch überlegen gewesen war, was Hugo Dawn erröten ließ. Seine Frau meinte dazu nur:
"Ich weiß, Hugo, du wolltest es wissen, ob du mit einem hochgezüchteten Besen der Franzosen im Ansatz mithalten kannst. Aber ich kenne die Ganymed-Besen etwas besser, seitdem jemand die auch in England vertreiben wollte. Wenn Julius will, hängt er dich bereits in der ersten Sekunde ab."
"Wäre echt langweilig", fügte Aurora Dawn dem hinzu. Ihr Vater nickte schwerfällig. Dann sagte er resignierend:
"Schade eigentlich, daß ich mir diesen Feuerblitz nicht besorgt habe. Gut, gehe ich eben in die Menagerie und plaudere dort mit dem Wärter der goldeihühner."
"Hugo, ich weiß, du würdest gerne noch einmal richtig Quidditch spielen. Aber ein Feuerblitz wäre die reine Geldverschwendung, wenn du nicht professionell spielen kannst", sagte Regina Dawn. Ihre Schwester June räusperte sich und sagte:
"Regina, ich glaube, wir langweilen unsere Gastgeber und Mitgäste, wenn ihr euch über Sinn und Unsinn von Anschaffungen in eurer Familie auslassen wollt."
"Mit anderen worten, das geht die anderen nix an", dachte Julius für sich und sah Camille Dusoleil an. Diese verzog jedoch keine Miene. Dann sah er seine Mutter an und fragte laut: "Was möchtest du gleich machen, Mum?"
"Entweder ein wenig spazierengehen oder mich erkundigen, ob Eleonore Lust auf eine Schachpartie hat." June Priestley sah sie interessiert an und fragte, ob sie ihr auch einmal die Ehre geben würde, gegen sie anzutreten. Martha Andrews bejahte das sofort. Immerhin waren es jetzt noch fünf Tage mit dem gerade angefangenen bis zum Jahreswechsel, und sie wollte sich bestimmt nicht langweilen.
"Apropos Eleonore Delamontagne", warf Camille Julius zugewandt ein. "Sie hat mich gebeten, dich, Julius zu bitten, du möchtest kurz bei ihr vorbeigehen, um zu klären, wann ihr beide gegeneinander Schach spielen könnt."
"Das hat sie mir schon gesagt", erwiderte Julius darauf. Dann dachte er daran, ob er nicht zuerst zu der Grabstätte fliegen wollte. Doch das, so beschloß er für sich, wollte er erst machen, wenn er für sich alleine war. Jetzt hatte er Aurora Dawn gefragt, ob sie mit ihm trainieren wolle und konnte nicht mehr davon zurücktreten.
"Du fliegst irgendwann heute bei Eleonore vorbei. Ich bringe deine Mutter zu Fuß zu ihr", sagte Camille Dusoleil sehr bestimmt.
"Kann die nicht auf 'nem Besen mitfliegen, Maman?" Wollte Denise wissen. Ich dachte, die ist jetzt wie 'ne Hexe, die nicht zaubern kann."
"Madame Eauvive hat nicht erlaubt, daß Julius' Maman auf einem Besen oder dem Flugteppich mitgenommen werden darf, Kind. Vielleicht findet sie eine andere Möglichkeit, wie die unsichtbaren Pferde oder Demie."
"Nein, Danke. Mit diesen Phantompferden möchte ich mich doch besser nicht abgeben, wenn es nicht sein muß", sagte Martha leicht beklommen. Zwar hatte sie auf dem Flug zum Château Florissant eine sehr gute Figur gemacht, wie sie auf einem Thestral geritten war. Doch Julius verstand sie, daß der Umgang mit Zaubertieren nicht so ganz ihre Sache war. Ruhiger sprach sie dann noch: "Mir wird es gut tun, in der frischen Luft die ihr hier habt einige Kilometer zu laufen, weil ich bei der Arbeit ja sehr häufig sitze."
"Dann bring ich dich gleich zu Eleonore hin", sagte Camille. "Mir tut das auch gut, etwas zu laufen."
"wir vertreiben uns dann die Zeit in der Werkstatt", sagte Florymont Dusoleil. Arcadia und Tony Priestley nickten zustimmend. Die Dawns wollten in den Tierpark von Millemerveilles.
So verließen die Dusoleils und ihre Gäste das Haus nach dem Frühstück in unterschiedliche Richtungen. Aurora und Julius flogen auf ihren Besen verhältnismäßig gemütlich richtung Quidditchfeld ab, Martha Andrews und Camille Dusoleil marschierten los, um Madame Delamontagne zu besuchen, Das Ehepaar Dawn apparierte in die Nähe des Zaubertierparks, June Priestley apparierte in die Nähe des Zaubereigeschichtsmuseums, das sie, wenn sie schon einmal hier war, unbedingt besuchen wollte. Ihr Mann und ihre Tochter begleiteten Florymont Dusoleil in seine Zauberkunstwerkstatt. Florymont hatte zwar gescherzt, Arcadia wolle wohl spionieren, was er so an Neuerungen auf den Markt bringen wolle. Doch im Moment hatte Arcadia ihren Laden eh geschlossen, wußten alle. Die Mitarbeiter hatten aus dem angesparten Goldvorrat eine großzügige Verdienstausfallsüberbrückung erhalten. Insofern würde Arcadia nichts mit den Sachen anfangen können, die Florymont ihr zeigte, zumal die frei verkäuflichen Gegenstände lizenziert waren und er Arcadia wohl nicht die nur für das Ministerium bestimmten Sachen zeigen würde. Uranie und Denise zogen los zu einem Nachbarn, wo Denise mit Kindern ihres Alters spielen und Uranie sich mit den Erwachsenen unterhalten konnte.
Als Aurora und Julius über dem Quidditchfeld waren flogen sie erst einige leichte Manöver um sich gegenseitig zu zeigen, was sie mit den unterschiedlichen Besen anstellen konnten. Dann folgten schwierigere Manöver, bei denen Julius Aurora fast übertrumpfte, wenn diese nicht mehr Erfahrung aufgeboten hätte. Außerdem war der neue Willy-Willy ein sehr wendiger Besen, der selbst engste Kurven in alle Richtungen des Raumes beschreiben konnte. Julius merkte, daß er auf einem eng begrenzten Feld die wahre Schnelligkeit des Ganymeds nicht richtig ausreizen konnte, da er da innerhalb einer Sekunde schon über die Feldumrandung hinausgeschossen wäre und der auch im Ganymed enthaltene Bremszauber ihn sofort abstoppte.
"Hast du schon raus, wie man eine schnelle Wende um zwei Achsen gleichzeitig macht?" Fragte Aurora, die die Eleganz des Ganymeds und die doch schon passable Flugtechnik ihres Trainingspartners bewunderte. Julius führte eine Wende vor, bei der er sich um zwei Achsen drehte, dabei aber ein Viertel des Spielfeldes abfliegen mußte.
"Nicht schlecht. Aber die Strecke ist zu lang!" Rief Aurora Dawn. Julius näherte sich ihr und beobachtete sie. Erst langsam und jede Bewegung betonend vollführte sie ein Manöver, bei dem sie fast auf demselben Punkt ohne abzubremsen umkehrte und mit unverminderter Geschwindigkeit in die Gegenrichtung flog.
"Damit habe ich für Ravenclaw einige Quidditchpokale gesichert", frohlockte sie stolz. Dann landete sie. Julius ging neben ihr im Mittelkreis des Feldes nieder.
"Das nur durchs Hinsehen zu lernen bringt nicht viel, Julius. Ich habe lange daran gefeilt, bis ich diese Wende hinbekommen habe. Ich bringe sie dir jetzt gerne bei, weil ich gesehen habe, daß du fit genug dafür bist und mit dem Besen keine Probleme hast. Wir mußten ja damals noch auf richtig abgerittenen Besen fliegen, die bei der kleinsten Kurve schon zu zittern angefangen haben. Das dollste Ding war dann noch, daß die Schulbesen fast alle aus Beständen von Profimannschaften übernommen worden waren, die sie fast bis zum Zerbrechen benutzt hatten. Aber erst die Übungen. Du hast zwei Möglichkeiten, die Doppelachsenwende von mir zu lernen. Entweder setzt du dich hinter mich auf den Besen und fühlst, wie ich die entsprechenden Bewegungen mache, oder ich versuche, dich per Introsenso-Zauber an meinen Bewegungsabläufen teilhaben zu lassen. Such's dir aus!"
"Introsenso? Ist das der Gegenzauber zum Exosenso?" Fragte Julius neugierig.
"Genau, Julius. Geübte Zauberer und Hexen können einen anderen Zauberer oder eine Hexe damit in ihre Sinneswahrnehmung hineinholen, ohne daß derjenige den Willen und Körper des anderen beeinflussen kann, solange kein körperlicher Schmerz die Verbindung unterbricht."
"Wenn du dich dann freier bewegen kannst", meinte Julius, "mache ich das Experiment."
"Dann setze dich bitte da drüben hin und schließe deine Augen und halte dir die Ohren zu! Das erleichtert die Sache", sagte Aurora Dawn. Julius tat, wie er gebeten wurde und wartete ab. Als er dann unvermittelt meinte, wieder in der Feldmitte zu stehen und einen anderen Besen in den Händen hielt, wußte er, daß Aurora die Verbindung von ihm zu sich geschafft hatte. Wie in einem Traum, dessen Ablauf er nicht steuern konnte, fühlte er, wie Aurora auf den Besen stieg, sah durch ihre Augen das Quidditchfeld absinken, spürte den Flugwind auf ihrer Haut und empfand es als etwas lästig, wie ihm langes Haar um Kopf und Rücken wehte. Er bekam mit, wie Aurora ihre Hände führte, als wenn er selbst sie führte, spürte die Bewegungen, die sie machte, als würde er von irgendwem ferngesteuert, diese Bewegungen selbst zu machen und bekam auf diese Weise mit, mit wievielen Bewegungen sie das ihm gezeigte Wendemanöver ausflog, erst langsam, dann immer schneller werdend. Nach ungefähr zwanzig Durchgängen landete sie wieder, und Julius meinte, er würde landen, obwohl er deutlich mitbekam, einen anderen Körper zu haben. Dann empfand er sich selbst wieder am Spielfeldrand sitzend, die Hände noch immer an den Ohren und die Augen geschlossen. Er öffnete die Augen und nahm die Hände vom Kopf. Da fühlte er, daß er seine Arme wohl minutenlang in einer ihm ungewohnten Haltung gehabt hatte.
"Ich denke, ich muß die Arme erst ausschütteln, Aurora. Ich habe nichts gefühlt außer deine Bewegungen und den Besen."
"Kein Problem", sagte sie und ging an den Spielfeldrand, wo sie ihre weiße Tasche mit der Äskulapschlange darauf hingestellt hatte, die sie als aprobierte Heilerin immer mitführte und für das Flugtraining hingestellt hatte. Sie griff mit einem voll konzentrierten Gesichtsausdruck hinein und zog ein kleines Fläschchen heraus. Mit einer Zauberstababfolge beschwor sie einen kleinen Trinkbecher herauf, in den sie etwas aus dem Fläschchen einfüllte. Julius, der wußte, wie schwer eine einfache Materialisation toter Gegenstände war, bewunderte, wie fließend und scheinbar beiläufig Aurora den Becher herbeigezaubert hatte. Dann trank er aus dem kleinen Gefäß. Es war der Myoregeniumtrank, der Muskelübermüdung, allgemein auch als Muskelkater bekannt, sofort kurierte. Sogleich verflog das Gefühl, Blei in den Armen zu haben, die er wohl mehr als zehn Minuten an den Kopf gelegt hatte.
"So, eine Minute mußt du warten, damit deine Muskulatur wieder normal anspricht, bevor du Schnellkraft- und Körperverlagerungsbewegungen machen kannst. Als ich in der Ausbildung zur Heilerin war, hat jemand gemeint, sofort nach dem Trank wieder wilde Manöver fliegen zu können und wäre fast vom Besen gefallen, weil seine Muskeln noch zu locker waren, um die nötigen Kräfte an den Besen zu bringen."
Julius befolgte die Anweisung und wartete eine volle Minute. Dann stieg er wieder auf seinen eigenen Besen und flog, diesmal seinen Körper und die von ihm vermittelten Wahrnehmungen kontrollierend, hinter Aurora her, die erst wieder langsam das Wendemanöver machte. Julius rief sich die gefühlten Bewegungsabläufe ins Bewußtsein und führte sie erst abgehackt, dann immer fließender aus. Sein Karatelehrer Tanaka hatte ihn häufig Arme oder Beine geführt, um ihm das Gefühl für die richtigen Bewegungen zu zeigen, bevor es darum ging, sie so schnell wie möglich auszuführen, um Schläge, Tritte, Ausweichbewegungen, Rollen und Sprünge zu trainieren. Diese Schulung zahlte sich nun wieder für Julius aus, der die von Aurora vermittelten Bewegungsgefühle sehr rasch umsetzte, so daß er nach dem siebten Durchgang bereits gut mit Aurora mithielt, die ihre Wende immer rascher ausführte. Nach dem neunten Versuch schaffte er es schon, hinter ihr zu bleiben, in welche Richtung sie auch immer abbog. Dann, wohl nach dem zwanzigsten oder dreißigsten Mal, hielt er sich genau hinter ihr. Der Ganymed machte die Reaktionszeit gut wett.
"Okay, Julius, das hast du jetzt so weit drauf, daß wir mal tauschen und du versuchst, mich abzuschütteln", sagte Aurora. Da sahen sie zwei anfliegende Besenreiter, eine Hexe und einen Zauberer. "Oh, wir kriegen Gesellschaft. Dann lassen wir es für heute dabei. Morgen trainieren wir das Manöver noch einmal. Bist auf jeden Fall schon weiter als ich damals, wo ich es gerade erst erfunden habe. Klar, ich habe ja auch immer weiter daran herumgetrickst, bis ich das so gut es ging hinbekam. Die Anfangsfehler habe ich dir schon erspart. Ich merke auch, daß du durch dein Tanzen und den Karatesport wohl immer noch eine gute Umsetzung von neuen Bewegungsabläufen draufhast."
Julius landete neben Aurora und sah die Ankömmlinge, die er beide erkannte, wenngleich er den jungen Zauberer, der heranflog fast nicht wiedererkannte, weil er ihn bei der Abschiedsfeier für Claire zuletzt als sehr korpulenten jungen Mann gesehen hatte. Doch irgendwie hatte César Rocher es angestellt, die hälfte seiner Körpermasse zu verlieren, so daß er nun hochgewachsen und athletisch aussah. Die Hexe bei ihm war Janine Dupont, die frühere Sucherin der roten Mannschaft, die überragende Vorgängerin des bisher so kläglich erschienenen Laertis Brochet.
"Oh, wir wollten euch nicht vom Training abhalten!" Rief Janine, als sie die beiden erkannte. "Wir dachten, wir könnten unsere gestern übernommenen Besen heute in Ruhe einfliegen", rief Janine und landete, dicht gefolgt von César, der Julius anstrahlte.
Hallo, ihr beiden!" Rief Julius. "Wünsche fröhliche Weihnachten gehabt zu haben!"
"Hey, Julius! Wie geht es dir! Oh, guten Morgen, Mademoiselle Dawn", erwiderte César. "Wußte nicht, daß Sie wieder in Millemerveilles sind."
"Ich wurde von Madame Dusoleil eingeladen, zumal sie ja jetzt ein Gästezimmer mehr hat", erwiderte Aurora Dawn. Julius sah César an und fragte:
"Was ist denn mit dir passiert? Letztes Mal hast du doch noch etwas runder ausgesehen."
"Zu rund für den Trainer der Mercurios, verdammt nnoch mal", knurrte César nicht mehr ganz so belustigt. "Der meinte glatt, wenn ich bei denen mitmachen wolle sollte ich erst den Slimjack-Heraklion-Standard erfüllen, der vorsieht, wie viel man bei einer bestimmten Körperlänge, Becken- und Schulterbreite wiegen darf."
"Hups, haben die einen Körper-Massen-Index für Quidditchspiler?" Fragte Julius, der sich dumpf daran erinnerte, daß eine bestimmte Formel aus Körperlänge und Gewicht einen Wert ergab, der besagte, was zu viel Gewicht oder zu wenig bezeichnete.
"Ähnliches, Julius", sagte Aurora Dawn. "Adonis Heraklion und Pluma Slimjack haben den vor vierzig Jahren für alle Leistungssportwettbewerbe ausgetüftelt. Allerdings wird nicht nur die Körperlänge, Becken und Schulterbreite mit dem Gewicht in Beziehung gesetzt, weil das zu einfach und vor allem ungenau wäre, sondern Alter, Geschlecht und Durchschnittskraft einbezogen, damit nicht einfach gesagt wird, wer soundso viel wiegt wäre zu dick oder übergewichtig."
"Ja, und für mich hat es geheißen, mit meinem damaligen Gewicht hätte ich zwanzig Zentimeter länger und zwanzig Jahre älter sein müssen, um die Anforderung zu erfüllen", knurrte César. "Mein Argument, ich hätte in Beaux ja auch einen sehr guten Hüter abgegeben, ließen die nicht gelten, weil bei denen jeder Punkt über null zehn Galleonen wert ist, also der Hüter sehen muß, das Verhältnis geholter zu abgegebener Punkte möglichst über null zu halten, also kein unnötiges Tor zuzulassen. Daher habe ich mir von Madame Matine den Abspecktrank Nummer zwei verschreiben lassen und mein Körpertraining auf Gewichtheben, Liegestütze, Schwimmen und Laufen umgestellt. Aber wenn du den Abspecktrank regelmäßig trinkst, meinst du bald, nicht mehr vom Klo runterzukommen, weil alles davon abgeführte Körperfett zum Hintern rauswandert", nölte César.
"Hatten wir in Beaux gerade einen Jungen,der mehr als Madame Rossignol ihm gönnen wollte gewogen hat", sagte Julius. "Wie viele Kilos hast du auf diese Weise in den Abfluß gespült?"
"So um die fünfzig", erwiderte César. Aurora nickte anerkennend. Julius sah an sich hinunter und fragte sich, ob er diesen merkwürdigen Standard einhielt oder nicht. Dann sagte er laut:
"So oder so ist das doch eigentlich unsinn, über ein Gewichts-Körperlängenverhältnis zu bestimmen, wer zu schwer oder zu dick ist. In der Muggelwelt kommen die einem mit unterschiedlichsten Berechnungsmethoden daher, weil manche Firmen und das Militär gerne einen Richtwert haben, um Leute durch bestimmte Filter zu jagen, wer geeignet oder ungeeignet oder gefährdet ist. Aber siehst jedenfalls nicht verhungert aus, César."
"Sagt mein Vater auch. Maman meint, die hätten ja keine Ahnung, was anständige Ernährung sei. Die Rossignol hatte mich ja schon häufiger ermahnt, nicht zu schwer zu werden, weil die mir damals schon den Abspecker verpassen wollte", sagte César. Dann fragte er, ob Julius Zeit und Lust habe, mit ihm zu trainieren, eins gegen eins, wo César ja jetzt wie die anderen Mercurios auch den Zehner habe.
"Hmm, das kann ich nicht allein bestimmen, weil ich mit Mademoiselle Dawn trainiert habe", sagte Julius. Doch Aurora Dawn sah ihn und dann César an und sagte sehr erfreut:
"Das ist eine gute Idee, um den Willy-Willy gegen den Ganymed zu testen."
So holten Janine und César einen Quaffel aus dem vereinseigenen Depot. Aurora flüsterte Julius zu, er möge vorerst auf die neue Wende verzichten, weil ja durchaus möglich wäre, daß die beiden das an ihre Kameraden in Beauxbatons weitermelden würden und er dadurch die Überraschung verderbe, wenn er gegen die Roten spielen und sie da anbringen könne. Julius verstand und beließ es bei dem halbstündigen Training mit César im Tor bei den bisherigen Tricks, die er gelernt hatte. Dann sagte Aurora zu Julius, daß sie für den Morgen lange genug trainiert hätten und erinnerte ihn daran, daß sie ja noch zu Madame Delamontagne wollten. Er verabschiedete sich also von Janine und César. Dann trugen sie die Besen vom Quidditchfeld und flogen erst außerhalb des Stadions los, um den das Feld umgebenden Abgrenzungszauber zu überwinden, der den beseneigenen Bremszauber auslöste. Er flog mit Aurora zum Musikpark. Dort landeten sie neben einem nicht so häufig begangenen Weg.
"Mir war klar, daß du mich nicht nur wegen des Trainings alleine sprechen wolltest, Julius", sagte Aurora gleich nach der Landung. "Was hast du auf dem Herzen?"
"Ich wollte das heute morgen nicht erzählen, weil deine Familie und die Dusoleils das nicht unbedingt wissen müssen, was mir da gestern passiert ist. Zum einen hat die Matriarchin Ursuline mit mir einen Ritualzauber durchgezogen, mit dem die mich irgendwie mit Lebensenergie aufgeladen hat, ohne daß ich mit der dadurch verbandelt bin wie bei dem halb verhungerten Intercorpores-Fluch im letzten Jahr. Dabei hat die sich mit nacktem Unterleib auf meine nackten Füße gehockt und so um die zwölf Mal eine Zauberformel gesungen, die übersetzt wohl Mein Leben zu deinem Leben heißt. Dabei bin ich irgendwie von ihr mit einer Art innerer Wärme aufgeladen worden, bis die Zauberei durch war. Sie meinte danach, das wäre für meine Hilfe im Sommer, wo die Dementoren in Millemerveilles waren und ich ihr was von meiner Tagesausdauer übertragen habe, weil ihr Körper vom Patronus-Zauber geschwächt war und die beiden Jüngsten, die sie da noch in sich hatte fast rausgefallen wären. Zum zweiten hat mich deine junge Kollegin Béatrice Latierre am Nachmittag verhört, was ich jetzt nach dem Abklingen des zwischen Claire und mir gewirkten Corpores-Dedicata-Zaubers machen wolle, um nicht irgendwann von irgendwelchen unterdrückten Trieben aus der Bahn geschossen zu werden. Die fragte mich auch, wenn ich ihre Nichten Martine und Mildrid vor mir hätte, die sich mir anbieten würden, welche ich dann ohne nachzudenken nehmen würde. Ich habe gesagt, ich würde Martine nehmen, weil ich keine Lust hatte, mich länger auf Béatrices Verhör einzulassen. Aber die hat gemeint, das sei die Antwort, die sie zu zwei Dritteln erwartet hätte. Irgendwie ist mir diese Kiste nicht ganz geheuer."
"Oh, die zwölffache Mutter hat sich auf deine Füße gesetzt und "Vita mea Vita tua" gesungen? Das war es doch, oder?" Erkundigte sich Aurora mit einem nachdenklichen Gesicht. Julius schluckte und nickte bejahend. "Das können nur Hexen, die mindestens vier Kinder geboren haben ausüben. Meine Heilkunstlehrmeisterin, Mrs. Herbregis, hat es mir mal erklärt, daß sie damit die Essenz neuen Lebens überträgt, wodurch der oder diejenige, die dem Ritual unterworfen wird, widerstandsfähiger gegen natürliche Erkrankungen und Todesarten würde. Im Mittelalter hat ein so gesegneter Zauberer ohne weitere Behandlungen hunderte von Pest- oder Leprakranke behandelt, ohne sich selbst mit einer der Seuchen anzustecken. Damals waren die Keimbanntränke noch nicht so weit entwickelt wie zweihundert Jahre später, wo es gegen alle in der Muggelwelt wütenden Seuchen einen Heiltrank gab, den aber nur Hexen oder Zauberer trinken durften, weil Muggel durch ihn üble Halluzinationen hatten und damit der ohnehin bestehende Hexenwahn noch verstärkt worden wäre. Madame Herbregis hat aber auch gesagt, daß es eine Hexe ziemlich gut auszehrt, wenn sie dieses Ritual wirkt und sie danach womöglich einen vollen Tag schlafen müsse."
"Das habe ich nicht so erlebt, Aurora. Madame Latierre ist danach zwar erst etwas angeschlagen rumgelaufen, hat sich aber schnell wieder bekriegt. Sie meinte, weil ich bei dem Zauber ihre neugeborenen Töchter in den Armen hatte und in denen und ihr ja schon was von meiner Lebensenergie dringesteckt habe wäre der Zauber besser als üblich abgelaufen", sagte Julius.
"Oha, das wußte ich natürlich nicht, daß sie dich förmlich drauf vorbereitet hat und deine Hilfe für sie das ganze noch verstärkt hat", erwiderte Aurora nachdenklich. Dann kam sie auf die Sache mit Béatrice.
"Das du mit Béatrice Latierre diesen Liebestollheitsfluch Orions ausgetrieben hast, wortwörtlich, davon weiß ich ja durch mein Vollportrait, die es von Serena Delourdes hat, die dir und Madame Rossignol zugehört hat." Julius errötete an den Ohren, nickte jedoch. "Und jetzt meinte sie, sich dir gegenüber verpflichtet zu fühlen, beziehungsweise, dir zu zeigen, daß es ihr wichtig ist, wie du mit ihren Nichten klarkommst? - Ich hätte wohl auch gedacht, daß du Martines Namen sagst, als du gefragt wurdest, wen von den beiden ihrer Nichten du sofort als neue Partnerin nehmen würdest. Ich kann dir auch sagen, wieso." Julius sah sie etwas betreten an, weil er sich fragte, welchen Bock er geschossen hatte, wenn jeder es für wahrscheinlicher hielt, daß er Martine nehmen würde. Fünf unerträglich lange Sekunden schwieg sie sich aus. Dann sagte sie ganz ruhig: "Weil du dich bei Martine geborgener fühlen würdest als bei Mildrid, weil sie eben schon reifer ist und weiß, was sie will und wie weit sie gehen würde und du wohl eine etwas ruhigere Partnerin suchst, die aber genug Temperament hat, um kein langweiliges Alltagsleben zu führen. Was das körperliche angeht, so habe ich beide ja bei Jeannes Hochzeit beobachten können. Sie sieht sehr stark aber trotzdem auch sehr weiblich aus, was sie durchaus attraktiv macht, wenn ein Mann sich nicht aus Angst, ihr unterlegen zu sein, von ihr abwendet. Deine Alterung durch diesen Fluch Hallittis macht dich auch interessant für junge Frauen, die erst auf das Aussehen gucken und sich erst dann fragen, wie weit entwickelt der betreffende Bursche ist. Da du mit Martine ein Jahr lang im Pflegehelfertrupp warst weiß sie besser als viele andere junge Hexen in Beauxbatons, wie sie deine geistig-seelische Entwicklung einschätzen kann. Das hat dich wohl auch dazu bewogen, sie zu nennen, weil du sie besser kennst als Mildrid. Du hast die genannt, die dir vertrauter war. Daher konnte Béatrice zu zwei Dritteln davon ausgehen, daß du mit Martines Namen antwortest. Was das mit dem nun nicht mehr bestehenden Corpores-Dedicata-Zauber angeht, so stimme ich ihr auch zu, daß du besser daran gehst, deine wieder frei wirkenden Gefühle und Bedürfnisse zu erkunden, bevor sie unkontrolliert ausbrechen und du davon herumgeschubst wirst. Dann könntest du dich so ähnlich fühlen wie unter dem Imperius-Fluch oder wie gerade bei uns beiden, wo du zwar alles gefühlt, gehört, gesehen, gerochen und geschmeckt hast, was ich mit meinen fünf Sinnen wahrgenommen habe, aber nicht auf den Körper einwirken konntest. Das ist der bittere Nachteil des Corpores-Dedicata-Zaubers. Wenn er gewaltsam unterbrochen und zerstreut wird, werden alle von ihm gemilderten Bedürfnisse im Laufe der Zeit stärker als vorher, je länger der Zauber hielt, desto rascher nach seiner Zerstreuung. Deshalb tun den sich längst nicht alle jungen Pärchen an. Bei Claire und dir hielt er gerade einen Monat oder so, richtig?" Julius nickte schwerfällig. "Dann schätze ich mal, daß die Nachwirkungen spätestens in einem Jahr voll durchschlagen. Nutze also die Zeit, um das abzufedern!"
"Ich kann doch nicht mit der erstbesten Frau ins Bett steigen, nur um diesen verdammten Nachwirkungen auszuweichen", knurrte Julius in einer Stimmung aus Wut und Trauer, weil er sich ja ganz tief innen drin doch für schuldig an Claires körperlichem Tod hielt.
"Hätten Béatrice und ich das so gesehen, hättest du gestern auf Heileranweisungen mit ihr schlafen müssen, Julius. Aber es ist nicht so. Beruhige dich bitte wieder!" Erwiderte Aurora sehr entschieden. "Wenn du herausfindest, was du wie empfindest, kannst du lernen, deine Bedürfnisse kontrolliert abzureagieren, ohne gleich eine tugendhafte Dame zu körperlichen Abenteuern zu verleiten oder sie gar gegen ihren Willen zu nehmen."
"Moment mal, Aurora. Du spielst darauf an, ich könnte, wenn ich diesen Gefühlskrempel nicht ernst genug nehme, irgendwann zu soeinem sexsüchtigen Monster werden, das über andere Frauen herfällt, ohne daß die das wollen?" Fragte Julius leicht verunsichert.
"Sagen wir es so, das ist vor vierhundert Jahren mal passiert. Allerdings war es kein Zauberer, der so reagiert hat, sondern eine Hexe, die sich mit dem zauberer auf den Corpores-Dedicata eingelassen hat. Der Zauberer starb bei einem Besenflugunfall. Die junge Hexe hat danach erst einmal keinen mehr angesehen und gelernt und gelernt, weil sie gerade im Jahr der Zwischenprüfungen in Greifennest war. Sie hat immer leidenschaftlichere Träume gehabt, gegen die sie mit selbstgebrauten Tränken angekämpft hat, bis sie irgendwann nicht mehr an sich halten konnte und einen ihrer Mitschüler mit einem Fangzauber bewegungsunfähig gemacht und sich an ihm sexuell befriedigt hat. Dafür ist sie natürlich von der Schule geflogen und mußte von Heilern in Gewahrsam genommen werden. zwei Jahre lang mußte sie verwahrt bleiben und hat in der Zeit mehr als zwanzig Liebesakte vollzogen, natürlich auf Anweisung der Heiler mit dafür ausgebildeten Experten. Doch auch nachdem sie entlassen wurde war sie immer noch sehr umtriebig, nur mit dem Unterschied, daß sie nun gezielter und vor allem mit Einverständnis ihrer Auserwählten vorgegangen ist. Das hat sich erst gelegt, als sie das erste Kind bekommen hat. Da haben sich ihre unterdrückten Leidenschaften abgekühlt. Die Hexe war zwei Jahre mit diesem jungen Zauberer per Corpores-Dedicata-Zauber verbunden. Sie hat später selbst als Heilerin gearbeitet, war sogar eine Zeit lang in der Wurzelmannklinik als Stationsleiterin tätig und hat ihre Erlebnisse in einem Buch veröffentlicht, daß nur auszubildenden Heilern zugänglich ist."
"Ich weiß, du würdest mir bestimmt keine Angst machen wollen, wenn du nicht meinst, es sei nötig", sagte Julius erschüttert. "Aber ich denke, ich kann mich doch sehr gut beherrschen."
"Tja, hat die wohl auch gedacht, jene Hexe", seufzte Aurora Dawn. "Aber du mußt nicht ihr Schicksal teilen, wenn du dich behutsam wieder darauf einläßt, was deine inneren Bedürfnisse sind."
"Klingt irgendwie so, als sollte man diesen Zauber nach Möglichkeit nicht verwenden", knurrte Julius verdrossen.
"Er ist ja auch dafür da, daß die, die sich durch ihn einander offenbaren und mit einander verbinden nach der seelischen auch irgendwann die körperliche Liebe richtig ausleben, Julius. Unfälle oder Morde sind bei diesem Zauber ja gar nicht vorgesehen", sagte Aurora kalt wie Bergseewasser. Dann lächelte sie ihren jugendlichen Trainingskameraden an und sagte nun warm wie die Sommersonne: "Ich weiß, du wirst das hinbekommen, ohne deine Selbstachtung oder die anderer zu beschädigen, Julius. Du denkst zwar jetzt, sowas wie mit Claire wird nicht mehr möglich sein. Aber du wirst etwas ähnliches, was genauso schön ist, ganz bestimmt wieder erleben. Ich habe damals auch gedacht, ich würde dieses schöne Gefühl, mit jemandem gut bis sehr gut klarzukommen nie wieder haben, als mein erster Freund mich so abserviert hat. Aber irgendwie war es später doch wieder kurz davor, was ernstes zu werden. Ich bin mir sicher, daß du die Fähigkeit hast, herauszufinden, mit wem du etwas ähnliches erleben kannst wie mit Claire, auch wenn du das im Moment wohl weit von dir weist."
"Ich weiß, daß sie wohl nicht gewollt hat, daß ich mich mein ganzes Leben für sie aufhebe und nicht sowas wie ein unverheirateter ewiger Witwer sein soll. Aber im Moment ist mir echt nicht nach neuer Beziehung, Aurora."
"Wie gesagt, Julius, ist das bei dir ja auch nicht so drängend. Ein Jahr kann schön lang sein, um etwas neues zu lernen oder was ganz neues zu finden. Ich wollte dir nur die Fragen beantworten, die sich durch deine Unterhaltung mit Béatrice Latierre eröffnet haben, warum die meint, dich jetzt auf diesen Weg führen zu müssen und weshalb sie das erwartet hat, daß du Martines Namen nennst, wenn sie dich so frei heraus fragt, welche der Töchter ihrer Schwester Hippolyte du nehmen würdest. Immerhin siehst du jetzt, daß sie dich nicht veralbert oder dich in irgendeine Art Falle gelockt hat. Sie denkt jetzt halt nur, daß du durch das Vita-mea-Vita-Tua-Ritual ihrer Mutter genauso in ihren Zuständigkeitsbereich fällst wie ihre schwangeren Schwestern."
"Solange die nicht für jede Sprechstunde Geld verlangt und mich nur dann berät, wenn ich das auch will", knurrte Julius, dem das offenbar nicht gefiel, daß mehrere Leute meinten, sein körperliches und seelisches Wohlbefinden bestimmen zu müssen. Aurora verzog das Gesicht und erwiderte verhalten:
"Hmm, das kann und will ich nicht garantieren, Julius. Wenn Mademoiselle Béatrice Latierre meint, sie sei für dich verantwortlich, könnte sie, in Absprache mit ihrer Mutter, auf dich zukommen, wenn irgendwas los ist, was ihr an dir nicht gefällt und sie meint, sie müsse das besprechen oder gleich behandeln."
"Würde die mir dann auch die neue Freundin oder gleich eine Ehefrau zuweisen?" Versetzte Julius aufsässig.
"Sie wohl nicht, Julius. Da denke ich eher, daß Madame Antoinette Eauvive so gestrickt ist, dir wen zuzuweisen, solltest du es nicht von dir aus hinkriegen, wen zu finden, mit der du dein Leben verbringen willst", erwiderte Aurora unbeeindruckt. Julius verzog sein Gesicht und grummelte nur, daß er sich das auch vorstellen könne.
"Julius, wo seid ihr gerade?" Klang Camilles Stimme in seinem Kopf. Er sah Aurora an und gab die Frage mit körperlicher Stimme an sie weiter. Sie grinste nun mädchenhaft und meinte:
"Offenbar hast du im Sommer gut gelernt und Camille nutzt das jetzt aus, wo sie kann. Gib ihr bitte weiter, daß wir im Musikpark sind und frage sie, was sie möchte!"
"Camille, Aurora und ich sind im Musikpark. Sie möchte wissen, was anliegt", gab er nun auf unhörbare, bei eingespielten Partnern große Entfernungen überwindende Weise weiter.
"Weil Eleonore fragt, wann du mal geruhen würdest, bei ihr vorbeizuschauen, um das mit eurer Schachspielerei abzuklären. vergiß nicht, daß sie gerade in einem Zustand ist, wo die eigene Geduld nicht immer funktioniert!"
"Ist sie in eurem Kamin aufgetaucht oder sitzt die jetzt bei euch?" Fragte Julius.
"Sie hat durch unseren Kamin geschaut. Martha ist ja gerade bei ihr. Offenbar hat sie sie sehr schnell in einer Partie geschlagen und die gute Eleonore fühlt sich etwas verunsichert", klang Camilles Gedankenstimme mit amüsiertem Unterton in seinem Kopf, als würde er sie aus einem unter seiner Schädeldecke befestigten Lautsprecher hören.
"Ist gut, Camille. Ich fliege gleich zu ihr hin. Ich habe mit Aurora für heute morgen genug trainiert."
"Dann sage ihr bitte bescheid, daß du zu Eleonore fliegst, bevor sie meint, du würdest sie einfach ablegen wie ein langweilendes Spielzeug!" Julius gab diese Mitteilung Camilles an Aurora weiter. Sie lachte. Dann verfiel sie in eine konzentrierte Haltung, die zwei Sekunden andauerte und sagte dann zu Julius:
"Ich liefere dich bei ihr ab." Julius verabschiedete sich dann noch bei Camille, die ihn noch darauf aufmerksam machte, daß sie um Punkt zwölf mittagessen würden aber er auch ruhig zehn Minuten vorher oder nachher eintreffen dürfe.
"Ich bin ja nicht Blanche", hörte er sie in seinem Geist scherzen. Dann war ruhe in seinem Kopf.
"Ich weiß von Madame Matine, daß Madame Delamontagnes Haus nicht von einem kleineren Apparitionswall umschlossen ist. Nur im Haus selbst wirkt ein Eindringlingsabweisezauber. Deshalb nehme ich dich auf einen Sprung mit. Geht schneller als der Besen."
"Wenn du das möchtest", sagte Julius. Mit dem Seitanseitapparieren hatte er keine Probleme mehr. Er freute sich schon wieder auf die Minute, wo er das zum ersten mal von sich aus hinbekommen würde, den Standort ohne einen Schritt zu tun zu wechseln. Er nahm seinen und Auroras Besen unter den linken Arm, hielt sich mit der rechten Hand an ihrem linken Arm fest und wartete darauf, daß sie die schnelle Drehung machte, mit der sie sich und ihn durch das viel zu enge Gummirohr schleudern würde, dessen Ende in der Nähe von Madame Delamontagnes Anwesen liegen würde. Aurora sagte ruhig:
"Ich habe von Meisterin Herbregis gelernt, daß eine Seitanseitapparition am besten läuft, wenn der Mitgenommene während des Vorgangs beide Füße vom Boden gelöst hat. Das ist dann für beide nicht so heftig. Ich zähle bis drei, dann springst du hoch, und ich bringe uns beide an die Grundstücksgrenze. Eins! - Zwei - Drei!"
Julius stieß sich schwungvoll ab, zog die knie vor den Bauch ... und fühlte, wie ihn etwas wie ein enger, lichtundurchlässiger Gummisack umschnürte. Dann trafen seine Füße wieder auf festen Grund, und der Musikpark war der Umgebung von Madame Delamontagnes Anwesen gewichen.
"Ist tatsächlich angenehmer", meinte Julius. Aurora nickte und sagte:
"Für mich war es auch angenehmer, weil du meinen Schwung leicht verstärkt hast. Aber wir sind jetzt da."
Der Schachgarten der Delamontagnes lag in seiner schwarz-weißen Quadratform vor Julius. Die gerade nicht benötigten, halblebensgroßen Schachmenschen standen wie Gartenskulpturen am linken Feldrand, da wo die A-Felder eine senkrechte Linie bildeten. Julius trat an die Eingangstür und zog das Glockenseil. Unvermittelt schwang die Tür auf. Doch niemand stand dahinter. "Komm bitte herein, Julius, und Sie bitte auch, Mademoiselle Dawn!" Rief Madame Delamontagnes Stimme von drinnen. Aurora und Julius traten ein. Die Tür fiel von selbst ins Schloß zurück.
Es war ziemlich warm in diesem Haus, fand Julius. Offenbar fürchtete Madame Delamontagne, sie oder ihr ungeborenes Kind müßten sonst frieren.
Im Salon trafen Aurora und Julius auf die Hausherrin. Sie trug einen weiten, wasserblauen Umhang. Doch dieser konnte den nun sehr deutlich vortretenden Unterbauch der Dorfrätin nicht so recht verdecken.
"Guten Morgen, Madame Delamontagne", grüßte Julius. "Wie geht es Ihnen?" Seine Mutter saß vor dem Kamin, in dem ein sehr munteres Feuer prasselte. Doch das alleine war nicht die Ursache für die Wärme im ganzen Haus.
"Hallo, Mademoiselle Dawn, hallo, Julius. Ich wollte keinen von euch und Ihnen über gebühr anhalten, aber in einer Stunde habe ich einen Termin mit dem Dorfrat und hätte diese Sache gerne vorher geklärt", sagte Madame Delamontagne verhalten lächelnd. "Mir und meinem ungeborenen Kind geht es gut, wenngleich es mich schon häufig mit seinem aufkommenden Bewegungsdrang arg beansprucht. Andererseits ist es schön, daß es lebendig ist." Julius sah sie an und wartete darauf, was sie noch sagen würde. Doch sie schwieg. So sagte er ruhig:
"Gut zu wissen, daß sie sich wohlfühlen, Madame. Ich dachte, Sie wollten mit meiner Mutter den Vormittag Schach spielen. Aber ich verstehe, daß Sie gerne wissen möchten, wann ich gegen Sie antreten möchte. Sie schlugen vor, morgen Nachmittag zu spielen. Stimmt das?"
"Ja, das ist richtig. Vorher habe ich diverse Termine wahrzunehmen", erwiderte Madame Delamontagne. "Ist dir drei Uhr am Nachmittag genehm?"
"Kein Problem", erwiderte Julius sofort. Dann sah er seine Mutter an, die sich bei der Hitze im Raum wohl nicht sonderlich wohlfühlte. Sie sagte ruhig:
"Ich habe mit Eleonore eine Partie gespielt. Offenbar fühlte sie sich jedoch nicht wohl genug dafür. Anders kann ich mir nicht erklären, daß ich sie so schnell besiegt habe. Habt ihr beiden gut trainiert?"
"Ja, bis uns die Nachwuchsprofis der Mercurios vom Feld gescheucht haben", sagte Julius übertrieben. Aurora Dawn grinste. Eleonore Delamontagne sah den Zauberschüler an und meinte:
"Sie müssen am ersten Samstag nach Neujahr gegen die Pelikane spielen, die alle den Ganymed 10 fliegen." Julius fragte vorsichtig, warum Madame Delamontagne sich die Mühe gemacht habe, sich über Kontaktfeuer zu erkundigen, was mit ihm sei anstatt ihn anzumentiloquieren. Sie antwortete darauf: "Camille hat zu dir eine bessere Beziehung als ich. Außerdem hat mir Madame Matine jede unnötige Überanstrengung untersagt, und ich halte es für klug, mich dieser Weisung zu fügen. Ein Kind in meinem Alter zu tragen und zur Welt zu bringen ist nicht gerade einfach und unbeschwert. - Ja, und bevor du mir damit zu kommen wagen trachtest, daß Madame Ursuline Latierre ja noch älter ist und gar mit Zwillingen unter ihrem Herzen dieses und jenes anstellte, so denke ich, daß du klug genug bist, den Unterschied zwischen ihr und mir zu berücksichtigen."
"Ich lege es nicht darauf an, was gegen Madame Matines Anweisungen zu sagen", erwiderte Julius leicht verschüchtert. "Ich hoffe, daß Sie das Kind wohlbehalten zur Welt bringen können, damit ich es mir in den Osterferien ansehen kann, falls ich darf." Eigentlich hatte er den letzten Teilsatz nicht sagen wollen, fiel ihm auf, als die Worte aus seinem Mund geschlüpft waren. Denn damit hatte er sich ja jetzt schon für die nächsten Ferien verplant. Andererseits wußte er ja nicht, wo er sonst hingehen sollte, wenn ihm in Paris die Decke der Wohnung auf den Kopf zu fallen drohte. Er konnte ja nicht einfach irgendwo hinfahren. Oder doch? Sollte er seine Mutter fragen, ob er mit ihr in den nächsten Osterferien eine kurze Urlaubsreise machen konnte, einen Ausflug in die Muggelwelt, ohne an die Schule oder die Zaubererwelt denken zu müssen?
"Natürlich werde ich dir gestatten, das Kind anzusehen, wenn es geboren sein wird", erwiderte Madame Delamontagne. Julius fragte, ob sie denn schon wisse, ob es ein Junge oder ein Mädchen werde. Da sagte die Dorfrätin: "Ich weiß, die meisten anderen Hexen, die es erfahren möchten ihre Angehörigen frühzeitig darauf einstimmen, mit wem sie es nach der Geburt zu tun haben werden. Aber mein Mann und ich haben eine Vereinbarung, das Kind unabhängig von seinem Geschlecht zu sehen, bis es geboren ist. So haben wir es bei Virginie gehalten, und so werden wir es auch bei unserem zweiten Kind halten. Damit möchte ich nicht verurteilen, daß andere Hexen sofort mitteilen, ob sie einen Jungen oder ein Mädchen zur Welt bringen werden. ich möchte nur andeuten, daß es auch schön ist, wenn man sich einfach auf ein neues Kind freut, ohne gleich daran zu denken, welches Leben es führen mag, je nach Geschlecht und Veranlagung. Ich persönlich weiß natürlich, welches Geschlecht das Kind besitzt. aber ich halte mich an die Vereinbarung, niemandem davon etwas zu sagen."
"In der nichtmagischen Welt wird es heute auch noch oft so gehalten, daß die Eltern nicht wissen wollen, welches Geschlecht ihr Kind hat, auch wenn die Technik schon gut entwickelt ist, das mehrere Monate vor der Geburt zu sehen", sagte Martha Andrews. Aurora Dawn meinte dazu nur:
"Ja, stimmt schon. Aber soweit ich weiß ist diese Technik noch nicht hundertprozentig genau, Martha. Manche Eltern, die ein Mädchen erwartet haben waren überrascht, als ein Junge geboren wurde und umgekehrt. Das kann für die Erziehung schon etwas hinderlich sein, wenn man sich auf etwas einläßt, was es dann nicht ist. Unsere Methoden sind da eindeutig. Wenn ich einer werdenden Hexenmutter sage, was es für ein Kind wird, ist das eindeutig."
"Aurora, das ist mir hinreichend, um nicht zu sagen, absolut bekannt", versetzte Martha Andrews etwas verbittert. Dann mußte sie jedoch lächeln. Sie sagte: "Entschuldigung, Aurora. Ich wollte dich bestimmt nicht dumm anblaffen. Ich habe nur genug Erfahrungen mit diesen magischen Vorgeburtsuntersuchungstechniken gemacht, einige davon waren schon sehr außergewöhnlich."
"Nun, wenn du bei den Latierres warst muß ich das ja voraussetzen", erwiderte Aurora Dawn. "Natürlich wollte ich hier niemanden schulmeistern."
"Mum, was machst du, wenn Madame Delamontagne zum Dorfrat geht?" Fragte Julius.
"Ich gehe zu Madame Pierre. Eleonore hat mich schon angemeldet. Die Dame soll ja auch eine Schachgroßmeisterin sein, und sie hat gefragt, ob ich Zeit und Lust hätte, auch gegen sie anzutreten. Hat Madame Dusoleil was gesagt, wann wir zum Mittagessen zurückerwartet werden?"
"Zwölf Uhr plusminus zehn Minuten, Mum", beantwortete Julius die Frage. Seine Mutter nickte.
"Was machst du jetzt noch, Julius?" Wollte seine Mutter im Gegenzug wissen.
"Hmm, Vielleicht mache ich noch ein paar Flugübungen. Vielleicht treffe ich auch wen von der Schule."
"Dann viel Spaß noch", sagte Martha Andrews. Aurora Dawn und Julius verabschiedeten sich von der Dorfrätin und ihrer Besucherin und verließen das sehr warm gehaltene Haus wieder. Außerhalb der Grundstücksgrenzen nahm Aurora ihn wieder beim Arm und zählte an, wann er kurz hochspringen sollte. Dann ploppte es leise, und beide waren fort.
"Die gute Hera ist sehr übervorsichtig mit ihren Ratschlägen", sagte Aurora Dawn, als sie mit Julius wieder im Musikpark angekommen war. "Sie hält sich an die Lehre, daß der Körper der Mutter ständig von einer Temperatur umgeben sein muß, die nicht mehr als zehn Grad unter der ihres Körperinneren liegen darf. Diese Ansichten sind bereits vor zwanzig Jahren überholt gewesen, zumal herauskam, daß die Leibesfrucht auch nicht überhitzt werden darf. Aber Hera ist wie eine Glucke, die immer auf die richtige Bruttemperatur achtet. Aber das sage ihr bitte nicht!"
"Madame Latierre hat mit solchen Anweisungen weniger Probleme. Na gut, lag wohl auch daran, daß bei der letzten Schwangerschaft ihre Tochter die Hebamme war und sie wohl meint, daß die ja längst nicht alles wissen muß, was eine werdende Mutter abkann", sagte Julius. In Gedanken fügte er hinzu, daß Béatrice deshalb so unerbittlich gegenüber Barbara und den anderen aus dem Club der guten Hoffnung auftrat, ja auch ihm gegenüber auf autoritär machte, egal ob das angebracht war oder nicht.
"Da du sie ja nun etwas besser kennst als ich würde ich nur längst bekanntes zeug erzählen, wenn ich dir sage, daß die lebensfrohe Hexe, die ja selbst die Bezeichnung Dame weit von sich weist mit jeder Art von Anweisung keine Probleme hat, beziehungsweise, keine Probleme damit hat, sich nicht daran zu halten", erwiderte Aurora Dawn amüsiert. Dann sagte sie noch, daß sie beide nicht länger über abwesende Leute reden wollten. Sie fragte ihn, was er nun vorhabe. Julius überlegte, ob er zum Friedhof fliegen und Claires Grab besuchen sollte, bevor er das bis zur Abreise verschob. Andererseits wollte er gerne alleine dorthin und wollte Aurora nicht so einfach zurücklassen. Sie fühlte wohl, daß er jetzt gerne alleine sein würde, es aber nicht offen zugeben wollte. So sagte sie, daß sie gerne in die grüne Gasse gehen und dort die im Winter aktiven Zauberpflanzen begutachten wollte. Das gab Julius die Möglichkeit, ohne schlechtes Gewissen zu sagen, daß er kurz auf den Friedhof wollte, um zu sehen, wie es um die Grabstelle bestellt war. Aurora sagte dazu dann noch:
"Ja, sieh dir den Hügel ruhig an. Julius. Ich war gestern mit Camille und Florymont dort. Sie haben Rasen auf ihm gesät, bis der gepflanzte Apfelbaum durchkommt und groß genug ist."
Julius nickte und verabschiedete sich von seiner erwachsenen Bekannten, die dann, als er auf seinem Besen saß und davonflog mit leisem Plopp disapparierte, um in die Nähe der grünen Gasse zu gelangen.
Julius flog den Weg, den sie mit der fliegenden Kutsche zurückgelegt hatten. Unterwegs meinte er, irgendwer gieße ihm immer mehr Quecksilber in den Magen. Er flog alleine zum großen Gemeindefriedhof Millemerveilles, um zu sehen, was aus dem Grabhügel geworden war, unter dem Claires Körper zur letzten Ruhe lag. Als er den wie ein gigantisches Rad mit unzähligen Speichen und innenrädern gestalteten Friedhof erreichte, landete er in der Nähe des Hauses der Andacht, in dem Monsieur Laroche die Verabschiedung Claires geleitet hatte. Von dort aus ging er zu Fuß die Strecke entlang, die zu einem nicht mehr kahlen Erdhügel führte, wo eine Marmorplatte verkündete, daß hier Claire Dusoleil ruhte, viel zu jung, um den ewigen Schlaf zu schlafen. Doch sie schlief ja nicht, wußte Julius. Sie hatte ihren Körper für ihn abgestreift wie einen Mantel, jedoch ohne ihn wieder anziehen zu können. Er trat an den Hügel heran und verharrte für eine volle Minute davor. Gedanken und Erinnerungen an Claire, wie er sie kennen und lieben gelernt hatte durcheilten sein Bewußtsein wie ein dreidimensionaler Film mit Rundumklang. Als er sich dann wieder auf der Blumenwiese fand, auf die Claires körperloses Selbst ihn gestellt hatte, als sie beide in Ashtarias Schoß waren, fühlte er, daß er wohl nicht mehr alleine war. Er straffte sich und blickte sich um. Doch zunächst konnte er keinen sehen. Dann fiel sein Blick auf den Grabhügel, der unter einer Decke aus Gras lag. Dort wo Camille Dusoleil einen der fünf Apfelkerne eingegraben hatte, stand in ihrer warmen, rotgoldenen Leuchterscheinung die wie eine unbekleidete Schwester Camille Dusoleils gestaltete Ammayamiria. Sie sah Julius an, warmherzig, aufmunternd. Dann sprach sie mit ihrer aus der Seelenverschmelzung entstandenen Stimme, doch in der Betonung eher wie Claire klingend:
"Mir war klar, daß du wieder herkommen würdest, Julius. Das ließ sich wohl nicht vermeiden. Deshalb bin ich noch einmal hergekommen. Du weißt ja, daß ich nicht möchte, daß du dich an Claires Körperlicher Daseinsform klammerst, auch wenn es uns beide sehr stark miteinander verbunden hat. Aber ich weiß auch, daß du noch nicht richtig loslassen kannst und will dir dabei helfen, ohne dich mit Gewalt umzustimmen. Erzähle mir doch einmal, was du in den letzten Monaten so erlebt hast!"
"Weißt du das nicht?" Fragte Julius. Er ging ja davon aus, daß Ammayamiria ja immer über die wachte, die ihr lieb und wichtig waren. Sie lächelte.
"Ich weiß nur, daß du Claire immer noch vermißt und daher versuchst, dich nicht auf andere Sachen einzulassen. Aber was genau du erlebt hast weiß ich nicht", erwiderte Ammayamiria. "Also komm, erzähle mir, was du so erlebt hast und wie du das alles fandest!" Forderte sie ihn auf. Er stieg auf den Grabhügel hinauf und berichtete leise, was er in den letzten Monaten erlebt hatte, das mit Millies zwergischer Großmutter, die Vampire Sangazon, daß Céline und Laurentine Claire wohl immer noch sehr vermißten, was ihm mit Bernadette, Waltraud, Millie und den anderen Mädchen seiner Jahrgangsstufe widerfahren war und was ihn vor und nach Weihnachten so umgetrieben hatte. Mit leicht gerötetem Gesicht erwähnte er auch die Aussprachen mit Martine und Béatrice Latierre. Er schilderte die beiden Feste bei Antoinette Eauvive und den Latierres und erwähnte auch das Vita-Mea-Vita-tua-Ritual. Ammayamiria nickte verhalten, wobei Julius nicht entging, daß sie erst leicht verstimmt und dann beruhigt dreinschaute. Ja, irgendwie umspielte ein zufriedenes Lächeln ihren Mund aus rotgoldenem Licht.
"Du siehst, jemandem ist es sehr wichtig, daß du weiterlebst, Julius. Ich bin froh, das zu wissen", bemerkte die Frau aus rotgoldener Leuchtkraft, die Monsieur Tiberius Odin als transvitale Entität bezeichnet hatte. Dann streckte sie ihre rechte Hand aus. Julius wollte seinerseits seine Hand vorstrecken, um ihre Hand zu nehmen. Doch sie schüttelte energisch den Kopf, so daß das im Verhältnis zum restlichen Körper dunkle, leicht gewellte Haar wild herumschwang. Er ließ seinen Arm niedersacken, als zöge ein zentnerschweres Gewicht daran. Da berührten die Fingerspitzen der rotgoldenen Hand seinen Bauch. Unvermittelt fühlte er sich so, als stehe er unter schwachem, schnell pulsierendem Strom, und für einen Moment durchströmte ihn eine wohlige Wärme, wie er sie bei Ursulines Ritual oder weit davor beim Corpores-Dedicata-Zauber empfunden hatte. Dann meinte er, entferntes Babygeschrei aus mehreren Dutzend hungriger Mäuler zu hören. Doch weil diese Empfindung nur anderthalb Sekunden andauerte, wußte er nicht, ob es eine Einbildung war oder nicht. Dann hörte er Ammayamirias Stimme leise und warm sagen:
"Ja, in der Tat, sie hat dich sehr großzügig mit Lebensessenz beschenkt, die gewichtige Matriarchin. Damit bist du gut auf ein abwechslungsreiches Leben vorbereitet. Aber dieses Leben darf nicht nur in Schulbüchern stattfinden oder in der Erinnerung komplizierter Formeln und Rezepturen, Julius. Was sie dir nämlich nicht gesagt hat, die füllige Dutzendmutter ist, daß sie mit ihrem Geschenk eine gewisse Verpflichtung an dich weitergegeben hat, nämlich nicht nur für's akademische Lernen und Arbeiten zu leben. Sie will sehen, daß du Spaß am Leben hast, ja auch mal irgendwas aus purem Vergnügen machst, dich neu verliebst, und der Vater mancher Kinder wirst, wohl weil sie in der Rolle als Mutter ihre persönliche Bestimmung und Lebensfreude sieht. Sie wäre wohl sehr enttäuscht, wenn du ihr Geschenk so schnöde in die Ecke legst wie einen alten Besen." Sie zog ihre Hand zurück. Das Gefühl, von wohltuender Energie durchpulst zu werden klang sofort ab. "Deshalb möchte ich haben, daß du erst wieder diesen Ort besuchst, wenn du herausgefunden hast, wer mit dir glücklich sein wird."
"Und was, wenn ich vorher wieder herkomme?" Wollte Julius wissen.
"Dann wirst du den Weg hierher nicht finden. In meiner Macht steht es, jeden zurückzuweisen, den ich hier nicht sehen will, Julius. Ganz einfach", erwiderte Ammayamiria. Dann trat sie zurück, gerade als Julius seine Hände nach ihr ausstrecken wollte. "Lebe also, Julius! Lerne, dein Leben, das anderen sehr wichtig ist, zu leben! Zusammen mit anderen wirst du diesen Ort besuchen können. Aber alleine wirst du ihn nicht mehr finden, bis ich weiß, daß du meine Bitte erfüllt hast." Dann verschwand sie übergangslos. Julius wollte ihr noch nachrufen, daß er Claire immer noch liebte. Doch seine Worte blieben ihm im Hals stecken, als ein goldener Dunst ihn umfing. Er fühlte sich schwerelos, als falle er gerade Metertief. Dieses Gefühl und der Dunst hielten eine volle Sekunde vor. Dann stand Julius unvermittelt vor dem Haus der Andacht. Ammayamiria hatte ihn und seinen Besen irgendwie hierhin zurückgezaubert, ohne daß er die üblichen Sinneseindrücke einer Apparition erfahren hatte. Er grummelte kurz. Dann ging er los, um noch einmal den Grabhügel aufzusuchen. Doch obwohl er den richtigen Weg abschritt konnte er den nun begrünten Hügel nicht mehr finden. Zwar lagen links und rechts mehrere flache oder hügelartige Grabstellen, einige davon von bronzenen oder marmornen Standbildern bewacht, die die Inhaber der Grabstelle darstellten. Doch das Grab mit der Steinplatte auf der Claire Dusoleil stand fand er nicht mehr. Erst fühlte er sich frustriert, daß er den richtigen Weg nicht mehr fand. Dann erkannte er, daß es sinnlos sein würde, weiter zu suchen. Ammayamiria hatte ihre Ankündigung wahrgemacht und Claires Grab vor ihm verborgen. Womöglich war er schon daran vorbeigelaufen. Vielleicht leitete aber auch irgendwas ihn darum herum, als sei es aus dem von ihm bewohnten Raum-Zeit-Gefüge herausgenommen worden. So abwegig war das wohl auch nicht, dachte Julius. Immerhin hatte die Zweiseelentochter von Aurélie Odin und Claire Dusoleil bewiesen, daß sie eine gewisse Macht über Raum und Zeit hatte. Er erschauerte, wenn er daran dachte, was sich mit so einer Macht alles anstellen ließ. Doch andererseits hatte die rotgoldene Frauengestalt, die soviel Wärme und Güte wie ihre beiden Mutterseelen ausstrahlte, nichts böses im Sinn, sonst hätte sie ihn gleich irgendwo am Ende der Welt abgesetzt oder in die Unendlichkeit des Weltraums geschleudert. Sie hatte ihn nur von Claires letzter Ruhestätte weggebeamt, um sie für ihn unauffindbar zu machen. Mit dieser Erkenntnis ging julius zum Haus der Andacht zurück. Dort wartete jemand auf ihn.
"Hallo, Julius. Maman sagte mir, du könntest hier sein, nachdem Mademoiselle Dawn ohne dich in der grünen Gasse aufgetaucht ist", begrüßte ihn Jeanne Dusoleil, die in einen flauschigen, hellblauen Umhang gehüllt war. Sie sah ihn mit jenen dunkelbraunen Augen an, wie sie ihre Großmutter mütterlicherseits, ihre Mutter und ihre jüngeren Schwestern besaßen oder besessen hatten. Ein leichter Schauer lief Julius über den Rücken. Allein ihre Begrüßungsworte sagten schon viel aus.
"Hallo, Jeanne. Ich habe den Hügel besucht und da Ammayamiria getroffen. Sie hat sich von mir erzählen lassen, was ich in den letzten Monaten erlebt habe. Dann meinte sie, ich möge erst wiederkommen, wenn ich ihr etwas wirklich glückliches von mir zu erzählen hätte", seufzte Julius. Jeanne nickte. Sie kannte Ammayamiria und konnte es sich vorstellen, daß die übernatürliche Verschmelzung aus den Seelen ihrer Großmutter und zweitjüngsten Schwester sowas gesagt hatte.
"Meine Eltern, Denise und ich waren Weihnachten da. An und für sich wollten wir Weihnachtsschmuck dort deponieren. Doch dann befand Maman, daß es schöner sei, den Hügel so zu lassen, weil Claire ja immer mit uns feiern würde. Dann war ja die Feier bei Antoinette Eauvive. Tja, und du warst ja gestern bei meiner angeheirateten Verwandschaft. Wie geht's Martine?"
"Öhm, der geht es gut, abgesehen davon, daß sie sich wohl noch immer ärgert, daß Edmond sie abserviert hat und sie nicht auch Mutter wird wie Barbara van Heldern oder du", erwiderte Julius. Er wußte, daß Jeanne und Martine durch die Pflegehelfertruppe und darüber hinaus gute Schulfreundinnen gewesen waren, wenngleich das nicht jeder mitbekommen hatte. So richtig war ihm selbst das ja erst bei Cytheras Geburt klargeworden.
"Die findet bestimmt bald jemanden, mit dem sie auch eine Familie gründen kann. Sie fühlt sich wohl nur frustriert, weil viele ihrer älteren Verwandten noch einmal Kinder kriegen, darunter ihre eigene Mutter. Wäre dann schon lustig gewesen, wenn sie auch ... Na ja, wird sich für sie irgendwann finden", sagte Jeanne lächelnd. Julius dachte daran, daß nicht viel gefehlt hätte, und er wäre mit Martine im Bett gelandet, weil dieser Fluch Orions alle im Sonnenblumenschloß verdreht hatte. Er hatte seit jenem Traum in der ersten Nacht dort immer daran gedacht, was gewesen wäre, wenn Béatrice und er sich nicht gegen den Fluch gestellt hätten. Was wäre los, wenn er, Julius, Martine ohne es zu wollen zur Mutter gemacht hätte? Aber das war ja nun doch nicht eingetreten. Aber diese Frage von Madame Arno, ob er und sie bereits ihren nächsten Einsatz planten erklang sofort in seinem Bewußtsein. Dann fand er in die Gegenwart zurück und antwortete Jeanne:
"Nachdem wie ich deine angeheiratete Verwandtschaft mitbekommen habe glaube ich das auch, Jeanne. Bist du extra wegen mir herappariert?"
"Nein, ich bin nicht appariert. Es ist eine ungeschriebene Anstandsregel, daß man den Gemeindefriedhof nicht durch zeitlosen Ortswechsel betritt, sondern offen auf ihn zufliegt, -fährt oder -geht. Ich habe den Teppich hinter dem Haus zusammengerollt. Bruno ist ja auf dem Quidditchplatz. Da warst du doch heute morgen auch schon, oder?" Fragte Jeanne. Julius bejahte das. "Dann hast du wohl auch César gesehen. Der sieht jetzt richtig athletisch aus, wo sie ihm den Abspecktrank Nummer zwei verordnet haben, damit er bei den Mercurios antreten kann. Könnte mir passieren, daß ich den nach Vivis Geburt auch nehmen muß. Maman war nach Claires Geburt ja ziemlich rund. Da sah sie fast aus wie Großtante Ursuline." Sie grinste mädchenhaft. Julius stellte sich vor, wie die immer noch etwas rundlich aussehende Camille Dusoleil als kugelrunde Hexe mit dicken Armen und Beinen ausgesehen haben mochte. Dann überkam ihn ein kurzes Gefühl von Trübsal, weil er sie sah, wie sie ein neugeborenes Mädchen mit schwarzen Haarbüscheln an ihre Brust legte, jenes Mädchen, daß beinahe seine Frau geworden wäre und nur durch seine Neugier ... Doch er wollte nicht mehr darüber grübeln. Ammayamirias Auftritt beim Grab und ihre Berührung hatten ihm gezeigt, daß sie nicht wollte, daß er andauernd daran dachte, was mit Claire war. So schüttelte er dieses Gefühl ab und fragte Jeanne, ob sie gerade Urlaub habe.
"Du meinst mit meiner Ausbildung bei den Graminis, Julius? Nur zwischen Heiligabend und Neujahr, Julius. Danach bin ich wieder dran. Aber es wäre vielleicht schöner, wenn wir das anderswo bereden könnten. Hier ist nicht der richtige Ort für sowas." Julius verstand. Jeanne würde ihm gerne was über ihre Lehrstelle bei den Apothekern Graminis von Millemerveilles erzählen. Aber ein Friedhof war dafür echt nicht der richtige Ort. So fragte er sie, wo er mit ihr hinfliegen solle. Sie lud ihn in ihr Haus ein. Das hatte Julius ja auch noch nicht besichtigt, fiel ihm ein. Dann fragte er, ob er hinter Jeanne herfliegen solle. Sie grinste und meinte, daß sie auf dem Teppich schneller wären und wesentlich bequemer säßen.
Hinter dem Haus der Andacht lehnte der zusammengerollte und zusammengebundene bunte Teppich, das Meisterwerk persischer Knüpfarbeit, hergestellt und bezaubert von Mehdi Isfahani, Aurélie Odins gutem Bekannten, der zu der Bruderschaft des blauen Morgensterns gehörte. Der Regenbogenprinz, wie Aurélie Odin diesen Teppich nannte, konnte schneller als 300 Stundenkilometer fliegen, ohne daß die, die auf ihm saßen den dabei üblichen Fahrtwind spürten. Jeanne band den Teppich los und klopfte kurz darauf. Da entrollte sich das orientalische Knüpfkunstwerk von ganz alleine. Julius legte seinen Besen darauf, nahm neben Jeanne Platz und hörte, wie sie leise einige fremdländische Kommandos sprach. Sachte wie eine aufsteigende Wolke hob sich der Regenbogenprinz vom boden und strich langsam über die breiten speichenartig angelegten Wege, die durch mehrere konzentrische Ringe schnitten. Mit geringer Fahrt glitt der Teppich eher einem Ballon als einem schnellen Fluggerät ähnelnd über den Friedhof dahin, bis der äußere Ringweg erreicht war. Als dieser überflogen war trieb Jeanne den Teppich an wie ein Kutscher sein Gespann. Der Regenbogenprinz nahm Fahrt auf und sauste bald in mörderisch anmutendem Tempo über die Häuser und Grundstücke von Millemerveilles dahin. Julius fürchtete schon, Jeanne habe zu heftig kommandiert und der Teppich ginge ihr durch wie ein erschrockenes Pferd. Doch als sie ein langgezogenes Wort sprach stoppte er wie vor eine unsichtbare Wand geprallt. Die in Flugrichtung vordere Schmalseite des Teppichs wölbte sich für einen Moment nach innen. Dann landete der Regenbogenprinz wie auf einer rasch absinkenden unsichtbaren Plattform liegend.
"Uff! Ich dachte schon, du hättest dich vertan oder sowas", sagte Julius beeindruckt. Jeanne lächelte überlegen.
"Seitdem ich die Hemmungen verloren habe, Oma Aurélies Teppich zu haben habe ich ihn sehr gut in den Griff bekommen. Der kann nämlich bestimmte Orte wie das Wohnhaus oder die Häuser von Freunden anfliegen und da punktgenau runtergehen. Ich mußte ihm nur das entsprechende Kommando geben, das Monsieur Isfahani mir dafür beigebracht hat. Diese altpersischen Zauberwörter sind schon schwierig. Aber im Vergleich zu dem, was ich sonst lernen muß noch das kleinere Übel. Allerdings nehme ich den Teppich nur für Privatflüge. Für die Arbeit nehme ich den Besen, weil Monsieur Graminis nicht viel von ausländischen Flugartefakten hält und seine Kunden nicht denken sollen, er betreibe einen türkischen Basar."
"Oh, tut er nicht? Bedauerlich. Ich habe schon gedacht, mich für die nächsten Zaubertrankstunden und die Alchemie-AG mit günstigen Zutaten eindecken zu können und hätte da bestimmt gut handeln können."
"Sein Grundsatz lautet: "Was draufsteht ist zu zahlen.", Julius", bemerkte Jeanne leicht gehässig dazu. Dann fing sie sich und sagte: "Aber ich will nicht schlecht über Monsieur Graminis reden. Immerhin kann ich bei dem viel lernen und habe die Chance, einen einträglichen Beruf zu erlernen und nicht aus Millemerveilles wegziehen zu müssen. Der nimmt ja nicht jeden in die Lehre."
"Des Lied ich ess, des Brot ich sing", verballhornte Julius einen dazu passenden Ausspruch, den sein Vater gerne brachte, wenn er Julius daran erinnerte, etwas höflicher zu seinem Chef zu sein und daß er ja ebenfalls von dessen Geld profitierte.
"Soso, Julius", lachte Jeanne. "Aber so ganz unrichtig ist das nicht, auch wenn du den betreffenden Ausspruch verfälscht hast. Aber was die Zutaten angeht, da kommst du besser morgen früh mal in die Apotheke, wenn Monsieur Graminis unterwegs ist, um neue Zutaten einzukaufen. Madame Graminis war damals auch in der Alchemie-AG und wird dir bestimmt einige Sachen günstiger überlassen, wenn du es gut genug anstellst."
"Was ist gut genug?" Fragte Julius. "Soll ich der Honig um den Mund schmieren oder was?"
"Dich einfach mit ihr unterhalten, was ihr gerade so macht, raushängen lassen, daß du da nicht so schlecht bist, ohne anzugeben und erzählen, was du meinst, was ihr demnächst noch brauchen könntet und höflich fragen, was sie dir in der Richtung empfehlen könnte. Dann fragst du sie nach dem Preis, und wenn sie dir dann sagt, daß der auf den Sachen draufsteht, dann ist das eben so teuer. Wenn sie aber sagt, soundso viel kostet das, auch wenn der Preis was anderes ist, dann weißt du, daß du es gut angestellt hast. Am besten planst du dafür eine ganze Stunde ein."
Hmm, danke für den Tipp, Jeanne!" Erwiderte Julius, der wußte, wie teuer manche Zaubertrankzutaten waren.
Sie betraten das Haus, nachdem Jeanne ihren Flugteppich und Julius' Besen in einen beheizten Gartenschuppen gelegt hatte. Der Garten war tatsächlich sehr gut bepflanzt. Obstbäume, eine fünf Meter hohe Hecke als natürliche Begrenzung, das große Rasenstück und daran angeschmiegte Blumenbeete, die gerade winterblühende Blumen enthielten. Das Innere des Hauses verhieß Raum und Geborgenheit mit den flauschigen Teppichen auf dem Boden, den hellgetönten geblümten Tapeten an den Wänden und den Messinglampen an der Decke. Jeanne rief in den Salon, ob Bruno wieder zu hause sei. Doch es kam keine Antwort. Der Salon war eine Mischung aus Wohnzimmer und Festsaal, fand Julius. Drei Sitzgruppen um achteckige Tische, ein wuchtiger Schrank mit fünf Türen, sowie zwei große Kronleuchter an der Decke verliehen dem mit Parkett ausgelegten Raum mit den getäfelten Wänden und der Decke einen Ausdruck von weitläufiger Gemütlichkeit.
"Wir haben im Winter dicke Warmwolleteppiche da, wo die kleinen Tische stehen", sagte Jeanne stolz und deutete auf die hellen Teppiche bei den Sitzgruppen. Ein Kamin aus glatt gefeiltem Granit beherrschte die Ecke der großen Tür schräg gegenüber. Im Moment brannte kein Feuer darin. Doch mit einem Zauberstabwink Jeannes loderte ein munteres Feuer darin auf.
"Wie viele Gäste könnt ihr hier zusammenbringen?" Fragte Julius.
"Wir haben das mal mit dreißig getestet. Jede Sitzgruppe faßt acht Leute, macht also vierund zwanzig allein auf die Sitzgruppen verteilt. Dann können wir den Schrank versenken und einen großen Tisch dahinstellen. papa hat das uns eingerichtet." Sie hob den Zauberstab, deutete auf den Schrank und murmelte: "Praeparo Mensam!" Ohne irgendein Geräusch versank der Schrank im Boden, als seine Decke mit dem Fußboden abschloss hob sie sich an und wurde zu einem langen Tisch, der sich ebenfalls geräuschlos um neunzig Grad drehte und nun wie eine Festtafel in den Raum hineinwies. Unter dem Tisch hingen braune objekte wie dicke, gefaltete Zeitungen. Jeanne nahm eines davon aus der Halterung unter dem Tisch und zog es auseinander, worauf ein stabiler Stuhl mit Sitzkissen zum Vorschein kam.
"Das heißt, ihr esst auch hier, wenn Besuch kommt?" Fragte Julius, als er auf Jeannes Einladung hin den auseinandergefalteten Stuhl ausprobierte. Sie nickte.
"An dem Tisch können dreißig Leute sitzen und essen. Der Schrank enthält das Festtagesgeschirr, daß ich durch einen anderen Zauber direkt auf den Tisch bringen kann und Bei nicht Bedarf wieder mit dem Tisch versinken lassen kann. Bruno meinte nur, daß die Faltstühle nicht stabil genug für Madame Delamontagne oder seine Großtante Ursuline seien. Deshalb hat er noch zwei unfaltbare Eichenstühle wie Königinnentrhone gekauft, falls wir beide Damen mal zusammen hierhaben, wonach mir persönlich nicht der Sinn steht."
"Ist fast wie in der großen Halle von Hogwarts oder dem Speisesaal von Beauxbatons", sagte Julius. Jeanne nickte. Sie kannte ja auch beide Hallen. Dann fragte sie, ob sie den Tisch noch stehen lassen sollte. Julius schüttelte den Kopf und stand auf. Jeanne faltete den wie echtes Holz wirkenden Stuhl wieder zusammen und befestigte ihn unter dem Tisch. Dann klopfte sie mit der Zauberstabspitze auf den Tisch und sagte: "Mensa reposita!" Sofort und wieder völlig geräuschlos schwang der Lange Tisch herum, versank bis zum Boden und verband sich damit mit dem Schrank, der keine Sekunde später wieder emporstieg.
"Schon praktisch, was man so alles mit Zauberkunst hinbiegen kann", sagte Julius beeindruckt. Dann führte ihn Jeanne durch die anderen Räume, wie das in Samt und Seide gehaltene Elternschlafzimmer mit dem breiten Bett, dem Spiegelschrank und Jeannes Aussteuertruhe, die nun Bettzeug, Nachtbekleidung und auswechselbare Vorhänge enthielt, die der Jahreszeit entsprechend vor die hohen Fenster gehängt werden konnten, die drei Badezimmer und die zwei als Kinderzimmer vorgesehenen Räume. In einem war alles in rosarot gehalten, und neben einem Kinderbett aus Bambusholz stand noch eine Wiege.
"Die hat Bruno gebaut und angemalt", sagte Jeanne auf die Wiege deutend, die ebenfalls rosarot lackiert war und kleine wie Rosenblüten geformte Verzierungen besaß. Am Kopfende fiel Julius ein fünfstrahliger Stern auf, dessen obere Spitze mit dem spitzbogenartig gebauten Rand der Wiege abschloss.
"Huch, ein Pentagramm? Ich dachte, das wäre nur Muggelaberglaube", sagte er belustigt. Dann wurde seine Miene jedoch sehr ernst. Sicher meinten die Muggel im Mittelalter, ihre neugeborenen Kinder durch Pentagramme auf den Wiegen vor bösen Hexen zu schützen. Doch eigentlich sollten die fünfstrahligen Sterne nicht vor Hexen, sondern den Kinder hassenden Töchtern des Abgrunds, den Töchtern der Lahilliota schützen. Offenbar hatten gutartige Meister der Magie herausgefunden, daß man Kinder in derartig gekennzeichneten Wiegen vor dem Raub durch diese düsteren Kreaturen schützen konnte. Julius konnte sich sogar denken, daß diese Magier zu den sagenumwobenen Kindern Ashtarias gehörten, die ja silberne Pentagrammamulette trugen. Er überlegte, ob ...
"Du weißt doch, wozu dieses Zeichen wirklich sein soll, Julius. Immerhin hast du ja über die Töchter des Abgrunds mehr herausbekommen als mancher voll ausgebildete Zauberer. Maman will wenn Viviane darin liegt mit ihrem Heilsstern die Wiege berühren und sehen, ob die Zauberformel sie mit weißer Magie aufläd."
"Falls das geht dürfte deine Tochter in dieser Wiege ziemlich gut aufgehoben sein", sagte Julius verstehend.
"Das hoffe ich", bekräftigte Jeanne. Dann zeigte sie ihrem Gast noch die vielen Babysachen, die sie bereits bekommen hatte. Zwar war Julius nicht sonderlich daran interessiert, was neugeborene Hexenmädchen so anzuziehen hatten. Aber er wollte Jeanne nicht die Laune verderben, die genau wie er in den letzten Monaten einiges hatte überstehen müssen.
Nach der allgemeinen Besichtigungstour durch das Haus, daß Julius im Sommer nur von außen hatte sehen dürfen kehrten sie in den Salon zurück, wo das Bild Viviane Eauvives hing. Die gemalte Urmutter der Eauvive-Familie sah die beiden an und sagte übergangslos:
"Jeanne, deine Mutter fragt, ob du mit Julius zusammen zu ihr zum Mittagessen kommen möchtest, wenn es soweit ist. Hast du Lust darauf?"
"Hmm, ich weiß nicht, wann Bruno wiederkommt. Wenn er mitkommen darf, gerne", sagte Jeanne. Viviane nickte und verließ ihr Bild, um eine Minute später wieder aufzutauchen und zu verkünden, daß die Einladung auch für Bruno gelte. Da stimmte Jeanne zu.
Jeanne und Julius unterhielten sich über die Schulkameraden in Beauxbatons, Goldschweif und die AGs, die Julius mitmachte. Jeanne grinste, als er ihr erzählte, was sie mit den Zwergen erlebt hatten und vermutete, daß Julius Goldschweif als "seinen Kniesel" behalten würde, wenn sie die lange erwartete Nachfolgerin Goldschweif XXVII. zur Welt bringen würde. Sie sprachen auch über den Tag nach dem Fest bei den Eauvives. Er erzählte jedoch vorerst nichts von dem Gespräch mit Béatrice Latierre, weil er nicht wußte, ob Jeanne das unbedingt wissen sollte. So verging die Zeit, bis die große Standuhr, die Bruno von seinen Großeltern bekommen hatte, Viertel vor zwölf anzeigte.
"In Ordnung, wir fliegen zu Maman und Papas Haus", legte Jeanne fest. Wir können ja zwischendurch zum Quidditchfeld und sehen, ob Bruno mitkommt oder später nachkommt."
Auf dem fliegenden Teppich ging es im Hui hinüber zum Quidditchfeld, wo Bruno gerade in einer hitzigen Diskussion mit Polonius Lagrange, einem Profi-Spieler der Mercurios festhing. Janine und César standen dabei und hörten interessiert zu.
"Cherie, Maman hat uns mit Julius bei sich zum Mittagessen eingeladen!" Rief Jeanne, die den Teppich wie einen Hubschrauber auf der Stelle schweben ließ. Bruno sah seine Frau an und rief leicht verstimmt:
"Ma Chere, ich warte hier auf unseren Kapitän, weil das, was mit Polonius ist nicht so einfach warten kann. Du hast zu Hause noch was zu Essen?"
"im Conservatempus-Schrank steht noch was von gestern abend, Bruno", erwiderte Jeanne leicht ungehalten. Dann sagte sie sehr ruhig: "In Ordnung, Cherie, dann brauchen wir nicht auf dich zu warten. Schade, Maman hat sich bestimmt gefreut, die ganze Familie bei sich zu haben und Papa bestimmt auch."
"Kann man nichts machen, Jeanne. Die Sachen, die anstehen müssen geklärt werden, bevor sie rumliegen wie alter Fisch", grummelte Bruno. Dann wünschte er ihr und Julius noch einen schönen Mittag, während César die beiden Teppichreiter mit einer Mischung aus Belustigung und Staunen ansah. Jeanne nickte, rief dem Teppich ein Kommando zu und ließ ihn mit großer Geschwindigkeit zum Haus ihrer Eltern hinüberfliegen, wo er auf der Landewiese niederging wie ein Senkrechtstarter.
"Und Bruno hat sich mit Polonius Lagrange in der Wolle?" Fragte Camille Dusoleil. Jeanne nickte.
"Offenbar die Kiste von letzter Woche", sagte sie. Julius fragte, ob er wissen dürfe, was da passiert sei. Jeanne verzog zwar das Gesicht, erzählte ihm aber dann, daß Polonius offenbar darauf hinarbeite, Bruno die Mitgliedschaft in der Mannschaft zu verleiden und er letzte Woche eine Beinahekollision mit ihm gebaut habe, was Bruno für Absicht hielt. Aber Polonius bestreite das und meine, es sei ein Flugfehler gewesen.
"Die beiden mögen sich nicht", sagte Camille dazu. "Deshalb sollte das vor dem ersten Spiel im neuen Jahr geklärt werden, wie das in der Mannschaft weitergehen soll."
"Kollegenneid", vermutete Martha Andrews. "Haben Richard und ich auch manches Lied von singen können, besonders wenn neue, sehr tatendurstige Kollegen die mehr Enthusiasmus als Erfahrung hatten mit den Routiniers nicht zurechtkamen, die bestimmte eingefahrene Sachen nicht ändern wollten, aber auch Angst hatten, deswegen die Anstellung zu verlieren."
"In der Welt hat sich dafür das Wort Mobbing breitgemacht", sagte Julius. Seine Mutter nickte verhalten, warf dann aber ein, daß das schon eine Stufe extremer sei, wenn Kollegen gezielt andere Kollegen aus der Arbeit graulen wollten. Julius meinte dazu nur, daß er froh sei, daß ihm das weder in Hogwarts noch Beauxbatons bisher passiert sei, wenngleich Bernadette Lavalette schon meinte, andere dürften nicht besser als sie sein.
"Du kanntest eben genug Leute von hier, Julius", sagte Camille. Ohne es auszusprechen wußten alle, daß sie damit vor allem Claire meinte. Julius nickte. Immerhin hatte er hier in Millemerveilles ja aus jedem Saal wen kennengelernt. Die einzigen, wo er sich wohl nicht so leicht hätte einfügen können wären die Blauen und die Violetten gewesen.
"Stimmt, die Blauen hätten dich erst einmal dumm rumgeschubst, um zu sehen, wie viel du einstecken kannst und die Violetten hätten befürchtet, du könntest ihren hohen Ansprüchen nicht genügen und dich wohl extra drangsaliert", meinte Florymont Dusoleil. Jeanne schüttelte sacht den Kopf.
"Nicht ganz, Papa. Durch Fleur und Belle hätten die Violetten gewußt, daß Julius in Hogwarts zu den überragenden gehört hat und dadurch, daß er in Ravenclaw gewohnt hat auch genug Intelligenz hat, um deren Bildungsansprüchen gerecht zu werden."
"Wenngleich ich nicht den Eindruck hatte, daß Fleur und Belle mir die Türen offengehalten hätten", sagte Julius dazu. "Bis zu der Kiste im letzten Jahr hätten die mich bestimmt sehr genau beobachtet und gesehen, was ich so drauf habe. Das hätte ich vielleicht nur durch Quidditch ausgleichen können, wenn überhaupt."
"Nun, wir hatten es von Bruno", erinnerte Camille sie daran, was eigentlich das Thema war. "Wenn diese Stimmung so bleibt, könnte es ihm passieren, daß die Mercurios ihn nicht weiter mitspielen lassen, weil sie lieber ihren Superspieler Polonius behalten wollen."
"Danke, Maman. Wird Bruno bestimmt freuen, daß er dann eine neue Stelle suchen muß", knurrte Jeanne. Ihre Mutter meinte dann:
"Ich denke nicht, daß seine Verwandtschaft ihn untätig herumhängen lassen wird. Sollte das mit den Mercurios wirklich nicht mehr laufen werden die Latierres schon wen beauftragen, ihn unterzubringen."
"Ja, aber dann könnte es passieren, daß er anderswo hinziehen muß, Maman, weil durch die Apparitionssperre um Millemerveilles der Weg zur Arbeit und nach Hause anstrengender wird."
"Das sind noch ungelegte Eier, meine Tochter", sagte Florymont. Jeanne nickte und deutete wie beiläufig auf ihren schon leicht vorgewölbten Unterleib.
"Wie bei mir auch", sagte sie dann.
Um ein etwas fröhlicheres Tischgespräch hinzubekommen nutzte Camille das Gespräch über Quidditch um Aurora und Julius zu fragen, wie es am Morgen auf dem Quidditchfeld gelaufen sei. So erzählten Aurora Dawn und Julius davon, was sie so alles ausprobiert hatten. Jeanne grinste nur, als Aurora erwähnte, daß sie Julius eine schnelle Wende um zwei Flugachsen beigebracht hatte.
"Weiß Virginie das schon?" Fragte Jeanne vorfreudig. Julius schüttelte den Kopf. Dann meinte er, daß sie das ja bald mitbekommen würde, wenn er gegen sie spielte.
Im Laufe des Nachmittags sprachen sie über das, was Martha Andrews in den letzten Monaten so erlebt hatte, weil Jeanne von Belle gehört hatte, sie sei nun häufiger für ihre Mutter unterwegs in Frankreich und sogar einmal in Madrid gewesen, weil sie ja Spanisch könne. Martha Andrews berichtete über die Dinge, die nicht vertraulich oder gar geheim waren und erwähnte dann noch, daß sie ja nun, wo sie Almadora Fuentes Celestes kennengelernt hatte, wäre es wohl auch kein Problem, öfter in das südwestliche Nachbarland hinüberzureisen.
Jeanne verabschiedete sich nach ganzen drei Stunden bei ihrer Familie und kehrte mit dem Teppich zu ihrem Haus zurück, während Julius und seine Mutter zum Haus Professeur Faucons gingen, die sie beide eingeladen hatte. Julius überlegte sich schon, was von den Sachen bei den Latierres er der Lehrerin erzählen sollte und diskutierte mit seiner Mutter auf dem Weg zu ihr darüber.
"Ich würde die Sache mit Béatrice nicht unbedingt erwähnen, Julius. Nachher meint deine Hauslehrerin, sie müßte dich gesondert überwachen, damit du in anständiger Gesellschaft bleibst. Ich würde auch das Ritual nicht erwähnen, daß Ursuline Latierre mit dir durchgeführt hat. Nachher fühlt sie sich noch in irgendeiner Weise angegriffen", riet ihm seine Mutter. Julius nickte. Das mochte durchaus sein, daß Professeur Faucon es als Beleidigung sehen konnte, wenn eine ihr nicht ganz so wohlgefällige Hexe sich einfach mit nacktem Unterleib auf seine nackten Füße setzte und dabei eine Zauberformel sang.
Madame Faucon empfing die Gäste freundlich und bat sie in ihre Wohnküche. Dort durften die beiden nun alles berichten, was sie bei den Eauvives erlebt hatten. Von der Feier bei den Latierres am Tag darauf verlor weder Martha noch Julius ein Wort, bis Madame Faucon fragte:
"Wenn ich richtig orientiert bin lud euch Monsieur Ferdinand Latierre zusammen mit seiner Gattin zu einer nachträglichen Willkommensfeier für ihre gemeinsamen jüngsten Töchter ein. Wollt ihr mir erzählen, wie es dort zuging?"
Julius erzählte, daß sie sich dort mit den vielen Kindern und Schwiegerkindern der Latierres gut unterhalten hatten. Seine Mutter erwähnte auch, daß sie sehr überwältigt war, wie eine solche Großfamilie so gut miteinander zurechtkam. Dann ließ Madame Faucon die Bombe platzen.
"Catherine hat mich unverzüglich darüber unterrichtet, daß diese Person, Ursuline Latierre, mit dir das uralte Vita-Mea-Vita-Tua-Ritual vollzogen hat, Julius. Gedachtest du mir das irgendwann zu erzählen oder nicht?"
"Öhm", erwiderte er. Madame Faucon sah ihn sehr genau an. Deshalb verschloß er sofort seinen Geist, wie er es von Catherine und ihr selbst gelernt hatte. "Ich ging davon aus, daß das nur die wissen sollten, die dabei waren", sagte er.
"Soso, du gingst davon aus", knurrte Madame Faucon. Irgendwie mißfiel es ihr sichtlich, daß Julius ihr das nicht von sich aus erzählte. Dann sprach sie weiter: "Nun, daß ich persönlich nicht all zu viel von der Art und Lebensweise dieser Hexe halte ist dir ja hinlänglich vertraut. Daher bist du wohl darauf verfallen, daß du mir eine derartig grundlegende Einzelheit nicht berichten dürftest, oder?"
"Blanche, ich habe dem Jungen geraten, Sie nicht damit zu behelligen", sprang Martha ihrem Sohn bei. Dafür fing sie sich von der Gastgeberin einen ziemlich verärgerten Blick ein, der sie, eine erwachsene Frau, zusammensinken machte wie ein zusammengestauchtes Mädchen. Julius wollte schon sagen, daß es unfair sei, einer, die keine Gedankenabschirmung gelernt hatte so heftig in die Augen zu blicken. Da sprach die Lehrerin sehr ernst klingend:
"Julius, dieses Frauenzimmer hat dich durch das Ritual in die Pflicht genommen, auch für ihre Familie dazusein, zumindest aber einen unabstreitbaren Anspruch auf deine Unversehrtheit erhoben. Denkst du, das ginge mich nichts an, wo du zum einen in magischen Angelegenheiten von meiner Tochter betreut wirst und zum anderen als erwiesener Bewohner des grünen Saales meiner direkten Verantwortung unterstellt bist?"
"Ich kann verstehen, daß Sie das jetzt irgendwie annervt, was Madame Latierre gemacht hat. Aber ich habe sie nicht darum gebeten", erwiderte Julius. Die Hausherrin nickte. Dann grummelte sie:
"Wäre ja auch noch schöner gewesen, wenn du dich mit ihr abgesprochen hättest."
"Dann ist dieses Ritual für Julius doch schädlich", vermutete Martha Andrews nun ebenfalls leicht verstimmt. Sie erzählte, was Ursuline darüber erzählt hatte. Madame Faucon sah sie ernst an und sagte:
"Es gibt vieles, was ich dieser umtriebigen Person unterstellen oder sicher vorwerfen kann, Martha. Aber sie pflegt immer die Wahrheit zu sagen, egal, wie weh diese tun mag. Alle Fragen, die Catherine und Sie ihr gestellt haben, hat sie wahrheitsgemäß beantwortet. Dieses Ritual wird bei Julius auch keinen Schaden anrichten, zu Ihrer und seiner Beruhigung. Es ärgert mich jedoch, daß dieses Frauenzimmer einfach macht, was es will und ohne andere zu fragen, ob ihnen das jetzt gefällt oder nicht und damit derartige vollendete Tatsachen schafft."
"Hat einen Vorteil", warf Julius ein, der meinte, etwas aufmunterndes sagen zu müssen. "Jetzt sehen mich die in Beauxbatons herumlaufenden Latierres eher als Bruder, Onkel oder sonst einen Verwandten."
"Sollte das jetzt ein Scherz oder eine Frechheit werden, junger Mann?" Fragte Madame Faucon mit eiskalter Betonung und sah Julius dabei sehr gefährlich an. Julius fühlte, wie sein Herz einen Schlag übersprang und wie ihm Arme und Beine weich wie heißes Wachs wurden. Er kämpfte darum, seinen Geist nach außen hin abzuschotten, keinen Gedanken, kein Gefühl von außen erfassen zu lassen. Wie schaffte diese Hexe es, jemanden so heftig einzuschüchtern, nur indem sie ihn ansah?
"Eine Feststellung", gab er halblaut zur Antwort. Seine Mutter warf nun sehr entschlossen ein:
"Deshalb wollten wir es Ihnen ja auch nicht erzählen, Blanche, weil wir wußten, daß Sie sich persönlich beleidigt fühlen würden."
"Martha, auch wenn Sie schon einiges erlebt und gelernt haben steht es Ihnen nicht zu, darüber zu befinden, was ich zu hören und zu wissen darf oder nicht", versetzte Madame Faucon mit warnendem Tonfall. "Auch auf die Gefahr hin, Ihre Vorrangstellung als Mutter dieses jungen Mannes zu untergraben: Von der magischen Welt und ihren Vorgängen haben Sie grade nur ein zwanzigstel dessen mitbekommen, was Catherine und ich darüber wissen und dürfen sich daher noch kein Urteil erlauben, was ich wissen oder nicht wissen darf."
"Nichts für ungut, Madame Faucon", begehrte Martha auf. "Daß ich längst nicht alles weiß, was in Ihrer Welt vorgeht ist mir bekannt. Aber ich habe doch eine gute Erfahrungs- und Wissensgrundlage, wie andere Menschen miteinander umgehen und muß mich daher nicht wie eines Ihrer Schulmädchen herunterputzen lassen, nur weil etwas passiert ist, was weder mein Sohn noch ich, auch nicht Ihre Tochter wissen oder gar verhindern konnten. Julius, es wäre wohl besser, wenn wir Madame Faucon nicht länger behelligen."
Julius fragte sich, ob Madame Faucon sich nun entschuldigen oder von seiner Mutter eine Entschuldigung verlangen würde. Sie atmete einmal ein und aus. Dann sagte sie ganz gefaßt aber unerschüttert:
"Nun, Madame Andrews, sicherlich empfinde ich eine gewisse Verärgerung darüber, daß diese umtriebige Hexe mit Ihrem Sohn etwas angestellt hat, was ihr das Recht gibt, über ihn und sein weiteres Leben auf dem laufenden gehalten zu werden, abgesehen davon, daß sie bei derartig grundlegenden Vorgängen wie dem Ritual nur ihre eigenen Ansichten bedacht hat. Natürlich haben Sie im Umgang mit nichtmagischen Menschen eine ausreichende Erfahrungsgrundlage, um einzuschätzen, wie Menschen auf bestimmte Dinge reagieren. Doch was ich im Bezug auf Ihre Kenntnisse über die magische Welt geäußert habe halte ich aufrecht. Ich billige Ihnen jedoch die Auffassungsgabe zu, diesen Erfahrungsrückstand mühelos aufzuholen. Falls Sie der Meinung sind, ich würde sie wie eine meiner Schülerinnen ansehen, die noch nicht auf derselben Augenhöhe mit mir diskutieren kann, so entschuldige ich mich für diesen Eindruck, den ich auf Sie mache. Aber was die Bemerkung Ihres Sohnes angeht, Martha, so empfinde ich das keineswegs als Scherz oder Beruhigung, was er gesagt hat." Dann sah sie Julius an und sprach ihn direkt an. "Julius, du bist nicht Mildrids und der Zwillingstöchter Barbara Latierres Onkel oder patricias Bruder, obwohl du jetzt etwas von der lebenserhaltenden Essenz dieser Hexe in dir trägst. Da sie wohl mithören konnten, was die überragende Matriarchin ihnen und euch erzählt hat, wissen die das auch. Sollte dir also danach sein, dich irgendwann partnerschaftlich neu auszurichten, so werden besagte Schülerinnen sich dadurch nicht abgeschreckt fühlen. Abgesehen davon, daß Beziehungen zwischen Cousin und Cousine, Onkel und nichte, Tante und Neffe durchaus zeitweilig immer noch in alten Zaubererfamilien gepflegt werden. Insbesondere nun, wo du offiziell in die Familie Eauvive aufgenommen wurdest und diese seit Jahrhunderten in einem ständigen Wettstreit um die gesellschaftliche und politische Vorrangstellung mit der Familie Latierre lebt, ist dieser Vorgang ähnlich einem heftigen Schlag. Deshalb und weil ich wie erwähnt die Ansichten und die Rücksichtslosigkeit dieser Hexe Ursuline Latierre nicht gutheiße, habe ich derartig verärgert reagiert."
"Nun, aber was die Familien machen soll mir erst einmal egal sein, Madame. Im Moment bin ich ja noch in der Schule und daher für sowas nicht zuständig."
"Was nicht heißt, daß du frühestens nach deinem Abschluß mit der entsprechenden Zuständigkeit betraut wirst, Julius", erwiderte Madame Faucon ernst. "Insofern habe ich wie jeder Lehrer der Akademie ein Anrecht darauf, zu wissen, was diese beiden Familien mit dir anstellen, um dir die beste Ausbildung zu geben, um dich welcher Art von Anforderung auch immer selbstbewußt und kundig zu stellen oder sie zurückweisen zu können, wenn du erkennst, daß du sie nicht mit deinem Können oder Gewissen vereinbaren kannst." Dann wandte sie sich noch einmal an Martha Andrews, die mit verbitterter Miene zuhörte. "Sie haben bei der Feier der Eauvives und einen Tag darauf bei den Latierres erfahren, daß die beiden Familien sehr traditionsbewußt sind und gerne gegeneinander konkurrieren, hauptsächlich mit friedlichen Mitteln, was aber nicht heißt, daß sie günstige Gelegenheiten auslassen, sich Vorteile zu verschaffen. Ihr Sohn ist durch seine aufopferungsvolle Hilfe im Sommer ohne es zu wollen zu einem Vorteil für die Latierres geworden, weil Ursuline sich dadurch das Recht herausnehmen konnte, ihm als Gegenleistung diesem keineswegs schwarzmagischem Ritual zu unterziehen, welches in seiner gesellschaftlichen Wirkung jedoch weitreichende Auswirkungen hat, da sie Ihren Sohn dadurch quasi adoptiert hat, Ohne ihn Ihnen wegzunehmen. Ja, durch das in aller Öffentlichkeit vollzogene Ritual hat sie jetzt das nicht mehr anzufechtende Recht, über seine Entwicklung und seinen Lebenswandel genauso unterrichtet zu bleiben wie Sie oder Antoinette Eauvive. Allerdings frage ich mich, ob sie sich dieses Ritual herausgenommen hätte, wenn ... Lassen wir das besser, da die Diskussion darüber nur noch akademischen Charakter hätte und obendrein unnötige Gefühlswallungen auslösen würde."
"Inwiefern?" Fragte Martha Andrews. Julius sah die Lehrerin an und lauschte.
"Nun, insofern, daß sie es wohl hingenommen hätte, daß Julius Claire Dusoleils Verlobter war. Wäre diese Verbindung nicht so gewaltsam beendet worden, hätte sie wohl akzeptiert, daß Julius durch dieses Ritual in eine gewisse Verlegenheit geraten wäre, abgesehen davon, daß er ja dann bis zum Vollzug der Ehe mit Claire unter dem Corpores-Dedicata-Zauber gestanden hätte und bis heute niemand erprobt hat, ob und wie das Vita-Mea-Vita-tua-Ritual mit diesem Zauber wechselwirkt oder nicht", erwiderte die Lehrerin. Julius schluckte. Dann nickte er. Natürlich wäre er, wenn er Claires Großmutter rechtzeitig hätte befreien können immer noch unter dem mit Claire gewirkten Zauber. So sagte er:
"Ich habe von den Dusoleils gelernt, daß es nicht in Claires Sinn ist, nicht über sie zu reden, nur um davon traurig zu werden, Madame Faucon. Was Sie sagen stimmt ja auch. Es wäre Madame Latierre wohl nicht eingefallen, dieses Ritual zu machen, wenn die zwischen Claire und mir bestehende Verbindung gehalten hätte."
"Ich gestehe ein, Blanche, daß ich vielleicht etwas überreagiert habe, eben gerade. Natürlich hätte ich bedenken müssen, daß Sie von Catherine informiert werden, um möglicherweise zu prüfen, ob die gewichtige Dame Ursuline uns auch wirklich nicht belogen hat. Ich nehme Ihre Entschuldigung an, was das Mißverständnis angeht, Sie würden mich für unausgegoren und ahnungslos ansehen und entsprechend behandeln."
Madame Faucon verzog zwar kurz das Gesicht, nickte dann aber anerkennend.
Sie unterhielten sich nun, wo die Katze aus dem Sack war, über das Ritual, wie es sich für Julius angefühlt hatte und wie er sich davor und danach gefühlt hatte. Er sagte, er habe nun das Gefühl, munterer zu sein als sonst, was die Lehrerin mit der Bemerkung bedachte, daß er dann noch aufmerksamer in der Schule mitarbeiten und sich besser in den praktischen Zauberfächern halten würde. Sie erklärte dann auch, daß die Sache mit dem Wandschirm der Auslöser für einen Ortsbeharrungszauber war, mit dem Ursuline Latierre wohl sämtliche Stühle belegt habe, so daß alle, die gerade saßen, nicht aufspringen und sie abhalten konnten, bis sie den Wandschirmzauber ein zweites Mal aufgerufen hatte.
"Sie ist, das muß ich ihr unbedingt zugestehen, eine sehr begabte und zaubereierfahrene Hexe, die eine Menge Kunstgriffe meisterhaft beherrscht. Bei dieser Familie, die sie sich in ihrer schieren Unermütlichkeit und Unersättlichkeit herangezogen hat ist dies wohl auch sehr erforderlich. Wundere mich nicht, daß selbst Catherine sich diesem Zauber nicht entwinden konnte. Das war gewiß eine wichtige Lektion für meine Tochter." Sie lächelte zufrieden.
Als die hohen Wogen wieder geglättet waren und das Gespräch in ruhigen Gewässern verlief, sprachen sie noch über Joes Eltern. Julius meinte zunächst, er wolle nicht in Abwesenheit über sie sprechen. Doch dann erzählte er, wie er beide empfunden hatte.
"An und für sich hätte ich Jennifer und James sagen sollen, daß sie meine Tochter eher überanstrengen, weil sie sie von der alles vereinfachenden Zauberei abhalten. Aber ich weiß, daß die ordentliche Entwicklung meiner Enkeltochter nicht zu letzt von einer einigermaßen guten Stimmung zwischen Catherine und Joseph abhängt. Abgesehen davon darf ich auch keinem über Catherines und meine wahre Natur erzählen."
"Ich denke, Mrs. Brickston hätte das auch nicht abgekauft, wenn ihr jemand erzählt hätte, daß ihre Schwiegertochter eine Hexe sei. Das hätte Joe ja dann schon früher merken müssen und sich dann bestimmt nicht auf eine Familie mit ihr eingelassen", gab Julius nun etwas biestig von sich. Madame Faucon räusperte sich zwar, nickte dann aber beipflichtend.
Weil die drei sich nun über die letzten Monate in Beauxbatons unterhielten und Martha Andrews von der Lehrerin nun, wo sie sie schon einmal in Ruhe sprechen konnte wissen wollte, was nach Claires Beerdigung so geschehen war, lud Blanche Faucon ihre Gäste zum Abendessen ein und kontaktfeuerte mit Camille, um ihr das mitzuteilen. Nach dem Abendessen spielten die drei noch Schach gegeneinander. Julius beobachtete die letzte Partie des Tages, die zwischen seiner Mutter und seiner Lehrerin stattfand. Um zehn Uhr herum sagte Madame Faucon:
"Julius, du reist bitte mit Flohpulver zu Camilles und Florymonts Haus zurück! Ich werde deine Mutter zurückbringen, wenn die Partie beendet ist." Julius legte es nicht darauf an, sich jetzt noch mit Madame Faucon zu streiten und befolgte ihre Anweisung, nachdem seine Mutter ihm sagte, es könne wohl noch drei Stunden dauern und sie wollte die Partie nicht auf den nächsten Tag verschieben. Wieder zurück im Haus der Dusoleils blieb Julius noch zwei Stunden auf, in denen er sich mit Tony und June Priestley, Regina und Aurora Dawn über Zaubertränke und Arithmantik unterhielt. Da er seine Hausaufgaben mithatte packte er die Gelegenheit beim Schopf, zu klären, wo er noch was einfügen konnte. Als seine Mutter um ein Uhr immer noch nicht zurückgekehrt war, befand Camille, err solle jetzt ins Bett gehen. Sie gab Julius einen verdünnten Schlaftrunk, damit er nicht aufwachte, wenn seine Mutter zurückkehrte. Er wollte das zuerst nicht. Doch Camille mentiloquierte ihm, daß sie im Moment die Verantwortung für ihn habe, wenn seine Mutter unbedingt meinte, die ganze Nacht mit Madame Faucon spielen zu müssen. So bekam er nicht mit, wie seine Mutter zurückkehrte. Erst am nächsten Morgen um sieben Uhr wachte er auf.
Der Tag lief ab wie von Julius geplant. Zuerst besuchte er Madame Graminis in der Apotheke. Die kleine, dunkelbraunhaarige Hexe, die gut und gerne an die sechzig Jahre alt sein mochte, war bereit, mit Julius über Zaubertrankzutaten zu reden und forderte ihn auf, ihr zu beschreiben, wofür im Laden ausgelegte Zutaten gebraucht wurden. Julius packte sein gesammeltes Wissen aus und erläuterte wie ein angehender Braumeister die Eigenschaften und Verwendungsarten von Drachenleber, Einhornhorn, Mondstein, Sonnenquarz oder Alraunen. Nach zwei ihn doch gut erschöpfenden Stunden befand Madame Graminis:
"Also Jeanne hatte recht, daß du mit Zaubertränken wahrlich gut zurechtkommst, Julius. Brauchst du für das nächste Halbjahr bestimmte Zutaten, die die in Paris nicht oder sehr unzureichend anbieten?"
"Hängt davon ab, wie viel es kostet. Achtzehn Sickel für fünfzig Gramm Drachenleber ist nicht so leicht zu bezahlen für mich."
"Machen wir da fünfzehn draus, wenn du mir erzählst, was du damit machen möchtest", sagte die Apotheken-Hexe lächelnd. Julius beschrieb, daß sie in der Zaubertrank-AG Tränke gegen Verbrennungen und Verätzungen brauen und auch Körperstärkungstränke wie den Herakles-Trank brauen könnten, wenn sie Drachenleber hätten.
"Aber der Herakles-Trank braucht fünf volle Tage, bis er fertig ist", wandte Madame Graminis ein und warf Julius einen herausfordernden Blick aus ihren dunkelgrauen Augen zu. Er sagte, daß sie für längere Projekte einen Abstellraum benutzen dürften, in dem nur die hineingehen konnten, die von Professeur Fixus den auf sie abgestimmten Schlüssel bekämen. Das genügte Madame Graminis.
"Nun, jetzt wo Aurora Dawn in Millemerveilles ist und ihre kundige Tante mitgebracht hat möchtest du natürlich nach den Ferien ausprobieren, was du schon alles zusammenbrauen kannst. In Ordnung, ich lasse dir ein Achtelpfund Drachenleber für insgesamt zwei Galleonen und zwei Sickel. Aber erzähl meinem Mann nichts davon, bitte! Er meint sonst, ich würde unseren Warenbestand verramschen wie auf einem Basar! Andererseits steht es mir als Apothekerin zu, begabte talentierte Schüler nach bestem Gewissen zu fördern." Sie lächelte mütterlich und holte einen Messingbehälter, in den die Runen für Zeit und Dauer eingraviert waren. Julius kannte diese Markierungen als Festlegungshilfe für den Conservatempus-Zauber. In diesen Behälter füllte Madame Graminis ein Viertelpfund von der nicht sonderlich angenehmen, grünlich-grau schimmernden Leber eines Drachens ein und verschloß den Behälter sehr sorgfältig.
"Damit dürftest du für den rest des Schuljahres mehr als ausreichend ausgestattet sein", sagte sie und gab Julius noch einige andere Zutaten, die er benötigte, wobei sie auch da einige Sickel oder Knuts vom ausgewiesenen Ladenpreis nachließ. Er bedankte sich sehr höflich und wünschte Madame Graminis noch einen guten Übergang ins neue Jahr.
Nachmittags spielte er gegen Madame Delamontagne Schach. Doch anders als bei Ursuline Latierre, die auch mit in ihr heranwachsenden Zwillingen die Ruhe selbst blieb, verzog Madame Delamontagne immer wieder das Gesicht, wenn ihr heranwachsendes Kind ihr unangenehme Bewegungen vollführte. Julius schaffte es, sie zweimal hintereinander zu besiegen. Das reichte der Dorfrätin.
"Ich danke dir, daß du mir eröffnet hast, daß ich nicht im Zustand voranschreitender Schwangerschaft die besten Leistungen im Schach bringen kann", sagte sie etwas unzufrieden aber nicht verärgert. Virginie fragte ihn, ob er morgen gegen sie eins gegen eins Quidditch spielen wollte. Er war damit einverstanden. Virginie fragte ihre Mutter, ob sie Julius zu den Dusoleils zurückbringen dürfe, um das Seitanseitapparieren zu üben. Sie erlaubte es ihr.
"Mademoiselle Dawn hat mir einen Trick verraten, der das Tandemapparieren leichter macht", sagte Julius zu Virginie.
"Den, wo der Mitzunehmende beim Disapparieren beide Füße in der Luft hat?" Fragte Virginie überlegen lächelnd. Julius nickte.
"Das stimmt zwar, aber ich möchte, wenn du ihn schon mitnimmst, daß du die notwendige Kraft aufbringst, Virginie", erhob ihre Mutter energischen Einspruch. Virginie grummelte zwar was, sagte aber nichts dagegen. So verließ sie mit ihrem Haus- und Quidditchkameraden das erhabene Haus der Dorfrätin für gesellschaftliche Angelegenheiten und disapparierte ohne anzuzählen mit ihm.
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Die nächsten Tage vergingen teilweise wie im Fluge. Denn Julius probte nicht nur gegen Virginie und Aurora Dawn Quidditch, sondern durfte auch in der neuen Auswahl der Mercurios mitspielen, nachdem Polonius Lagrange und der Kapitän der Profi-Mannschaft befunden hatten, daß er zumindest die ersten fünf Minuten durchhalten würde. Aus den fünf Minuten waren dann irgendwann fünfundfünfzig geworden, weil sie ohne Schnatz spielten. Bruno, der sich immer noch nicht mit Polonius vertragen konnte, stand mit seiner Frau am Spielfeldrand und verfolgte das Training. Dann spielten Aurora Dawn, Arcadia Priestley, Camille Dusoleil und Seraphine Lagrange gegen eine kleine Auswahl der neuen der Mercurios, darunter auch Bruno und Janine, die jedoch nicht auf der Sucherposition sondern als Jägerin antrat, während César wie früher das Tor hütete.
Nach dem Spiel, daß nach zwei Stunden für die Auswahl aus dem Dusoleil-Haus mit 250 zu 190 zu Ende ging, trafen sich alle Spieler in der Feldmitte.
"Dieser Heraklion-Slimjack-Index ist purer Drachenmist!" Schimpfte César, nachdem sie alle gelandet waren. "Trotz dem Ganni habe ich echt Probleme gehabt, die Quafffel zu kriegen, verdammt noch mal! Früher wäre mir das nicht passiert."
"Da hättest du die Schüsse mit dem Bauch pariert", feixte Bruno Dusoleil. César knurrte zwar verbittert, meinte dann aber trotzig:
"Wer hat der hat, Bruno."
Neben dem vielen Flugtraining besuchte Julius auch seine hier lebenden Schulkameraden wie Sandrine Dumas, Elisa Lagrange und einige Jungs aus der dritten und fünften Klasse, die mit ihm in verschiedenen AGs waren.
Am einunddreißigsten Dezember, dem Silvestertag, flogen bunt gekleidete Hexen und Zauberer über dem Dorf herum. Madame Lumière, die Dorfrätin für Kulturfragen, holte die Andrews ab wie im letzten Jahr. Bei den herumfliegenden waren nun auch Seraphine Lagrange, Nadine Pommerouge, Janine und César. Anschließend kamen Jeanne, Bruno und dessen Eltern, Madame Celestine und Monsieur Arminius Chevallier in das Haus Jardin du Soleil, Von wo sie am Abend gemeinsam zur Jahresausklangfeier aufbrechen wollten. Die Chevalliers befragten Julius zu seinen Eindrücken vom Sonnenblumenschloß. Er erfuhr, daß sie dort schon zehnmal gefeiert hatten, wobei sie die jüngeren Mädchen, die Julius aus der Familie kannte, von kurz vor der Geburt bis zur heutigen Größe miterlebt hatten. Weil es ja nun viermal im Dorf herum war, daß Julius von Aurora ein neues Flugmanöver gelernt hatte fragte Monsieur Chevallier, ob er nicht auch in eine Profi-Mannschaft eintreten wolle. Julius meinte dazu, daß er wohl lieber was standfestes machen wollte, wo er gut und gerne fünfzig Jahre mit arbeiten konnte. Madame Chevallier fragte ihn, was er gegen die Töchter und Enkel Ursuline Latierres hätte. Julius konnte derartig überrumpelt erst kein Wort herausbringen. Dann fragte er:
"Entschuldigung, Madame Chevallier, aber wie kommen Sie darauf, ich hätte was gegen die Latierre-Mädchen?"
"Nun, Caroline behauptet das immer wieder ihrer Mutter gegenüber, daß du schon das Weite suchst, wenn Mildrid oder die Zwillinge von Babs Latierre in deine Nähe kommen."
"Und das Geschwätz einer halbausgegorenen Schwatzliese glauben Sie?" Fragte Julius zurück.
"Dann stimmt das also nicht, daß du was gegen die Latierre-Mädchen hast?" Erwiderte sie belustigt.
"Sagen wir es so, Madame, ohne jetzt unhöflich zu werden: Ob und wie ich mit denen klarkomme ist mein persönliches Ding, Madame. Wenn Caro sich das Maul drüber zerreißt kann ich nichts gegen machen. Aber daß jemand meint, ich müßte mich irgendwie festlegen sehe ich nicht ein. Im Moment steht mir halt der Sinn eher danach, die Sachen zu lernen, die mir in der Schule abverlangt werden, und das ist nicht gerade wenig."
"Hätte mich auch gewundert, wenn das gestimmt hätte, was Caroline sagte", erwiderte Madame Chevallier.
"Wie gesagt, die Sache ist meine Angelegenheit", bekräftigte Julius noch einmal, wobei er leicht verbittert aussah. Wie kam die Hexe darauf, auszuloten, ob er was gegen die Latierres hatte oder nicht? Wieso gab die was auf das gehässige Geschwätz eines Mädchens, daß er wegen Claire hatte abblitzen lassen? Irgendwie schien die Dame wohl im Aufzug zum Erwachsensein auf einer Etage knapp unter dem obersten Stockwerk steckengeblieben zu sein.
Jeanne bekam mit, daß Julius wohl über irgendwas unzufrieden war und verwickelte ihn zunächst in ein Gespräch über den Ablauf des Festabends, daß sie sich mit Aurora Dawn und ihrer Mutter abgesprochen hatte, was sie anziehen konnte, damit nichts doppelt vorkam. Julius grinste. Sowas war für Jungen und Männer völlig uninteressant, ob jemand die gleichen Sachen anhatte. Dann fragte Jeanne ihn, ob ihre Schwiegermutter ihn irgendwie geärgert hätte. Julius gab in knappen Worten wider, was zwischen Madame Chevallier und ihm gesprochen worden war.
"Caro ist nervig", sagte Jeanne. "Die hat wohl geglaubt, wo Claire nicht mehr da ist einfach bei dir landen zu können und will echte oder eingebildete Konkurrentinnen miesmachen oder rumgehen lassen, du wolltest nichts von der einen oder der anderen. Sag ihr ruhig heute abend, bevor du das ins neue Jahr mit hinüberschleppst, daß sie nicht deine heiratsvermittlerin ist!"
"Dann würde ich ja auf ihr blödes Spiel eingehen, Jeanne", knurrte Julius. "Dann denkt die, es brächte was, so'n Stuss zu erzählen."
"Hmm, stimmt zwar schon, aber abstellen läßt sich das wohl nur, wenn du das ihr auch sagst, daß es ihr nichts bringt, sowas zu behaupten."
"Jeanne, ich hänge mich bestimmt nicht in anderer Leute Ärger rein, wenn der nicht von mir verursacht wurde oder mich direkt betrifft. Wenn Caro rumtönt, ich würde vor den Latierres weglaufen, was mir in den Unterrichtsstunden und den Freizeitkursen bestimmt 'ne Menge Ärger einbrächte, dann wird die bald von Millie und ihren Cousinen runder gemacht als ein Quaffel. Wenn die dann noch erzählt, mir würde speiübel, wenn Belisama, Sandrine, Carmen, Waltraud oder welches Mädchen auch immer in meiner Nähe sei, dann wird die wohl bald entweder zu ihrer Hauslehrerin zitiert oder die kriegt Ärger mit den betreffenden Damen. Abgesehen davon würde die ja dadurch keine Sympathiepunkte von mir kriegen, wenn die hinten herum Sachen über mich abläßt."
"Ich denke, die hat Angst, die Latierres könnten ihr den Rang ablaufen, Julius", sagte Jeanne.
"Soll sein, vor allem, wenn die so'n Unsinn rumerzählt", erwiderte Julius. "Frage mich nur, warum deine Schwiegermutter sich daran so aufhängt?"
"Na, aufhängen ist ja wohl ein zu derbes Wort für sowas", maßregelte Jeanne ihn leise aber bestimmt. "Ich denke, die wollte wissen, was dir Millie, Callie oder Pennie, vielleicht auch Patricia getan haben könnten, falls Caro recht hätte. Außerdem konnte sie so ganz schnell rausfinden, ob das auch nur im Ansatz stimmt. Wer fragt kriegt eine Antwort, welche auch immer."
"Ich versteh, was du meinst. Mit meiner Schwiegermutter klarzukommen fällt mir auch nicht immer leicht", mentiloquierte Jeanne, weil Madame Chevallier gerade die Ohren spitzte und lauschte, was ihre Schwiegertochter nun mit Julius zu bereden hatte. Hier und jetzt verstand er, warum es so strickt untersagt war, daß Leute, denen was zumentiloquiert wurde irgendeine sichtbare Regung darauf äußern durften. So dachte er einmal seine Selbstbeherrschungsformel und mentiloquierte Jeanne:
"Hält sich wohl noch irgendwo für ein junges Mädchen, oder?"
"Den Eindruck habe ich auch manchmal", ertönte Jeannes Gedankenstimme nur für ihn vernehmbar.
Bruno nahm Julius kurz vor dem Aufbruch bei Seite. Seine Mutter war gerade mit Jeanne und Camille in ein offenbar hochinteressantes Gespräch verwickelt.
"Also, ich weiß zwar nicht, was meine Mutter davon hat, sich in Sachen von Beauxbatons-Schülern reinzuhängen, aber ich möchte mich doch an ihrer Stelle entschuldigen, falls sie dich irgendwie blöd angequatscht hat."
"Lass gut sein, Bruno, ist schon um die nächste Ecke!" Erwiderte Julius entschieden.
Julius rasierte sich im Gästezimmer über einem kleinen Holzbottich, weil die Frauen und Mädchen die Badezimmer belagerten. Dann zog er seinen Festumhang an und verließ das Zimmer wieder. Eine halbe Stunde später brachen sie auf. Zu Fuß ging es zum Musikpark, wo bereits die im Dorf wohnenden Musiker leise aber muntere Melodien spielten. Julius setzte sich mit seiner Mutter und Aurora Dawn zusammen, die wieder das rosiggoldene Festkleid trug, während Jeanne ein himmelblaues Kleid für den letzten Abend des Jahres ausgewählt hatte.
Die Feier war für Julius wie eine Schaukel zwischen überschwenglicher Freude und tiefer Trübsal. Hier und jetzt erkannte er, daß dieses Jahr schlimmer gewesen war als all die Jahre davor, denn er hatte seinen Vater verloren und auch Claire war von ihm gegangen, mit der er gerade in den Sommermonaten fast einen heftigen Streit bekommen hätte wegen Millie. Er hatte böses miterleben müssen und auch etwas unbeschreiblich erhabenes wie Ashtaria oder die Feiern bei den Eauvives oder Latierres. Er dachte an Claire, wie sie Jeannes Brautjungfer gewesen war und dachte einen Moment daran, daß sie nicht mitbekommen würde, wie Jeanne im Juni ihr erstes Kind bekommen würde. Seltsamerweise brachte gerade dieser Gedanke ihn darauf, daß im nächsten Jahr viele neue Erdenbürger ankommen würden, weil viele Hexen zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort zusammengewohnt hatten. Das wiederum ließ ihn an Béatrice Latierre denken, wie sie ihn hielt und mit ihm die allernächste Nähe fand, die ein Mann mit einer Frau finden konnte. Er verbarg sein Gesicht hinter seinen Händen, weil die eine Stunde mit ihr so unvermittelt in sein Bewußtsein zurückkehrte. Es war ihm, als fließe dieser wohlige Strom aus Wärme durch seinen Körper, den das Vita-mea-Vita-tua-Ritual verursacht hatte, drang aus seinen Poren und hüllte ihn ein wie das Gefühl während des Corpores-Dedicata-Zaubers mit Claire, die nackt und entschlossen vor ihm stand. Ja, er hatte nicht nur schreckliches erlebt, sondern auch über die Maßen schönes. Er dachte noch einmal an Ashtaria, wie er darum gekämpft hatte, daß sie ihn in sein Leben zurückließ und sah sich für einen Moment auf jener geträumten Blumenwiese zusammen mit Claire, Pina und den anderen jungen Hexen, von denen Claire meinte, sie würden ihn interessieren und er möge sich aus ihnen eine neue Liebe erwählen, ihre Nachfolgerin. Dabei hörte er Auroras und Béatrices Stimmen im Chor, die ihm rieten, er solle sich nicht nur aufs Lernen versteifen, sondern die nun wiedererweckten Gefühle für andere Hexen erkunden und wenn er eine fand, die es mit ihm aushalten wollte, diese Gefühle erkunden. Aurora hatte ihm dafür nur noch ein Jahr eingeräumt, bevor er vielleicht ohne es zu wollen von seinen Trieben überwältigt würde wie ein Vulkanier vom Rausch des Pon Farr. Das trieb ihm ein amüsiertes Grinsen ins Gesicht. Diese spitzohrigen, Logik als ihre einzig wahre Lebensweise befolgenden Leute aus der Welt von Star-Trek mußten alle sieben Jahre dieses Pon Farr durchleben. Einige kamen dabei um, wenn sie niemanden fanden, mit dem sie es ausleben konnten. Konnte es sein, daß Aurora das gemeint hatte? Daß er keine spitzohrige Logikmaschine war wie Spock und seine reinrassig vulkanischen Artgenossen, das wußte er schon längst. Im Grunde war er auch froh, daß er nicht nur nach logischen Prinzipien funktionierte. Aber jetzt, wo das Jahr nur noch drei Stunden dauerte, in dem Claire ihm erst so nahe gekommen und jetzt so unerreichbar von ihm weggerückt war, wußte er nicht, wie er sein Leben wieder einrenken konnte. Ashtaria hatte ihn sehr unfreiwillig freigegeben. Mochte es sein, daß sie wirklich zurückkam, wenn sie irgendwie mitbekam, daß er sein neues Leben nicht richtig lebte? Er schmunzelte trotzig, weil ihm die Frage im Bewußtsein nachhallte: "Was wirst du machen, wenn du weißt, daß du nur noch ein Jahr zu leben hast?" Auf diese Frage konnte er im Moment keine Antwort finden.
"Hallo, Julius, darf ich mit dir tanzen?" Fragte ihn Sandrine Dumas, die von ihrer Familie aus zum Tisch der Dusoleils, Dawns, Priestleys, Chevalliers und Andrews herübergeeilt war, Caroline Renard knapp ein Dutzend Meter hinter sich. Julius nickte, stand auf und bot Sandrine den Arm, damit sie sich unterhaken konnte. Caro schien gegen eine Wand geprallt zu sein. Sie sah ihn und seine Pflegehelferkameradin verdutzt an, zuckte dann die Schultern und trollte sich wortlos.
"Die ist einfach nur doof", knurrte Sandrine, als sie mit ihrem auserwählten Tanzpartner auf die freigeräumte, glatte Fläche trat, wo sich Paare zwischen elf und hundert Jahren im Rhythmus der Musik bewegten.
"Was ist denn passiert?" Fragte Julius.
"Och, die hat heute morgen, wo die Jahresausklangsflieger über dem Dorf herumflogen getönt, du wärest ja nur noch mal hergekommen, weil deine Mutter von den Dusoleils eingeladen worden wäre und du nicht in eurem "Muggelhaus" in Paris rumsitzen wolltest, weil Claire ja nicht mehr da sei. Ich habe ihr dann gesagt, daß sei gemein, so über Claire und dich zu reden, nur weil du ihr gezeigt hast, daß sie keine Chance bei dir hat. Da hat die mich doch glatt angequatscht, ich würde ja denken, ich wollte was von dir, würde aber Gérard nicht wegwerfen wollen, weil "wir Gelben" ja keinem wehtun wollten. Ich habe mich dann umgedreht und die Schnattergans stehenlassen. Jetzt meinte die echt, hinter mir herrennen zu müssen, weil ich gerne mit dir tanzen wollte."
"Caro spielt was, das sie irgendwann übel verlieren kann, Sandrine. Am besten lassen wir ihr den Spaß, bis sie merkt, wie dumm sie daherredet oder sie jemandem so dumm kommt, daß sie Ärger kriegt."
"Ey, mach da keinen Witz drüber, Julius! Wenn Millie oder andere Mädchen von ihr so angelabert werden wie ich heute morgen könnten wir die bald im Krankenflügel haben, falls Millie blöd genug ist, der was zu tun."
"Davon gehst du aus?" Fragte Julius etwas so beiläufig wie möglich sprechend.
"Also es gibt einiges, was ich gegen Millie zu sagen hätte, wenn ich so'ne Schwatzliese wäre wie Caro. Aber für blöd halte ich sie nicht. Sonst hätte die ja sofort nach Claires beerdigung versucht, sich an dich dranzuhängen, wo jeder in Beaux mitbekommen hat, daß du ihr nicht egal bist", knurrte Sandrine. Julius verstand, daß es Sandrine auch nicht egal war, wer sich für ihn wie interessierte. Aber sie war mit Gérard Laplace aus seinem Haus und Schlafsaal zusammen, und bisher war nichts gelaufen, was diese Beziehung gefährdet hätte, auch wenn Sandrine auf jener besagten Blumenwiese gestanden hatte. "Aber ich wollte nicht wegen Caros Geschwätz mit dir tanzen oder mit dir nur über sie reden", sagte Sandrine entschieden. So sprachen sie über die letzten Tage dieses nun ausklingenden Jahres und gestanden sich ein, daß sie beide Claire immer noch sehr vermißten. Julius versuchte, Sandrine zu beruhigen, daß Claire sich sicher freuen würde, wenn sie und er weiter gut miteinander auskämen.
Um weiter zu plaudern blieben sie beide bis zur letzten Viertelstunde des Jahres 1996 auf der Tanzfläche. Dann holte Monsieur Dumas seine Tochter an den Tisch, wo sie mit ihrer Klassenkameradin Béatrice aus dem gelben Saal zusammensaß. Julius kehrte an den Tisch zurück, wo die Familie Dusoleil und ihre Gäste und Verwandten saßen. Wie im letzten Jahr schon schrieben die Festgäste ihre größten Sorgen und Probleme auf kleine Pergamentzettel, um diese um Mitternacht mit dem Neujahrsfeuerwerk zu verfeuern. Julius schrieb auf seinen Zettel:
"Ich habe in dem Jahr zwei sehr wichtige Menschen verloren, Paps und Claire. Paps wollte mich nicht mehr so wie ich war und ist einem Monster in die Falle gegangen, das ihn fast selbst umgebracht hätte. Claire ist das Opfer meiner Neugier geworden und opferte sich, um mich zu retten. Meine Mutter wurde Opfer eines gemeinen Verbrechers und muß erst einmal wieder klarkommen. Das war das grausamste Jahr, daß ich erlebt habe. Hoffentlich wird das neue besser." Er faltete den Zettel so klein es ging, daß keiner lesen konnte, was er geschrieben hatte. Dann gab er ihn Florymont Dusoleil weiter, der zu den Feuerwerkern des Dorfes gehörte und die Kummerzettel mit den magischen Knall- und Leuchtkörpern in den Himmel jagen würde.
Wie im Jahr davor flammten genau eine Minute vor Jahresende sechzig bunte Lampions in einem weiten Kreis über den aufgestellten Tischen auf. Dann erlosch jede Sekunde ein Licht nach dem Anderen. Die Festgäste begannen, das Jahresende herbeizuzählen. Zehn bunte Lichter waren noch an, als frei schwebende Sektgläser in der Luft erschienen. Dann hieß es noch "Fünf! - Vier! - Drei! - Zwei! - Eins!" Als das letzte bunte Licht erlosch riefen sich alle "Prost Neujahr!" zu und stießen mit den bereitgestellten Gläsern an. Die Dusoleils, Dawns, Andrews, Priestleys und Chevalliers wünschten sich zuerst ein glückliches, neues Jahr. Dann gingen sie herum und tranken den anderen zu. Julius stieß mit Madame Faucon an, die als eine der Ersten zum Tisch der Dusoleils herübergekommen war.
"Auf daß das nächste Jahr die gerechte Belohnung für die Leiden im Vorjahr sein mag", wünschte sie Julius mit mitfühlendem Blick.
Über allen heulte, krachte, zischte, schwirrte, knisterte und rumste das hell auflodernde, Funken sprühende, wild aufblitzende und herumwirbelnde Feuerwerk, während die Musiker ihren Freunden und Verwandten ebenfalls ein frohes neues Jahr wünschten. Die erste Stunde des Jahres 1997 wurde zu einer Zeit unendlicher Verbundenheit. Jeder hier war mit jedem irgendwie zusammen, ob als Verwandter, Freund, Gastgeber oder Gast.
"Wahrscheinlich habe ich schon die ersten Eulen, wenn wir nachher zu Camille zurückkehren", sagte Aurora Dawn, die vom Wein und den anderen Getränken schon leicht beschwipst war. "Pam Lighthouse wird mir bestimmt eine Eule schicken. Heather hat auch angekündigt, mir sofort nach der Neujahrsfeier in Sydney eine Eule zu schicken. Falls du möchtest, kannst du ihnen ja noch einen Gruß mitschicken."
"Die ärgern sich wohl ein wenig, weil du wegen deiner Familie ziemlich eingespannt bist, wie?" Fragte Julius. Aurora meinte dazu nur, daß sie mit den beiden schon gut zurechtkäme.
Caro versuchte es einmal, mit Julius uns Gespräch zu kommen. Doch er wünschte ihr nur "Ein schönes Neues Jahr" und ging zielstrebig zu einem Jungen aus dem weißen Saal, der bei ihm in der zauberkunst-AG dabei war.
Zwei stunden nach dem Feuerwerk kehrten die Festgäste in ihre Häuser zurück. Martha Andrews schwankte ein wenig, weil sie einiges von dem Met getrunken hatte, der angeboten worden war.
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Es ist still hier. Ich höre nur die, die mit mir hier wohnen. Weißohr hat bereits diese Schmerzen, weil ihre Jungen rauskommen wollen. Mir ziehen sie den Bauch fast bis zu den Füßen runter. Ich spüre jedoch, daß es nicht mehr lange dauert. Vielleicht kann ich die noch eine Sonne tragen, bevor ... Haaauuu! Oh, es geht los! Ich muß in meine Schlafhöhle, wo ich die weichen, warmen Sachen zusammengelegt habe. Endlich kommen sie rauss! ... Aauuutsch! Weißohr fragt, ob meine Jungen doch schon kommen. Ja, sie kommen wohl!
Es tut immer mehr weh. Bei mir läuft schon Wasser raus, in dem die Jungen immer liegen, die ich kriege. Ich versuche, nicht zu laut zu sein. Dann merke ich, wie das erste sich herauszwängt. Ich helfe ihm mit aller Kraft pressend. Ja, es ist draußen! Das Zweite kommt ein wenig leichter! Ja, es ist auch da! Oh, das Dritte will nicht! Es hat sich quer gelegt! Du stirbst doch, wenn du nicht rauskommst! Das bringt mich doch um! Ah, ja, jetzt fällt es heraus! Oh, das Vierte will wohl auch noch nicht. Es macht nichts, um rauszukommen. Ich drücke immer stärker, damit es auch herauskommt. Es kann nicht mehr in mir bleiben, wenn das Wasser abläuft. Dann fühle ich einen heftigen Ruck, und das letzte ist auch draußen! Ich bin ganz erschöpft, als wäre ich zehn Ratten hinterhergerannt. Ich höre mich laut keuchen! Meine Jungen sind da! Ich höre sie atmen. dann höre ich sie rufen: "Hunger! Kalt! Angst!" Ich muß sie füttern. Ich muß sie warmhalten. Sie sollen wissen, daß ich bei ihnen bin!
Ich höre Menschenschritte. Wer will da zu mir. Wehe, der geht an meine Jungen. Das sind meine! Ich springe vor die Schlafhöhle und sehe das junge Weibchen, daß sie Belisama rufen an dem hohen Hindernis, in dem die Kraft singt. Es sieht mich genau an. Merkt es, daß ich gerade so fertig bin? Ich hebe die rechte Vorderpfote und zeige ihr meine Krallen. Gleichzeitig lasse ich meinen Schwanz entschlossen hin-und herpendeln. Da kommt auch Weißohr heran und faucht ihr zu: "Bleib ja von uns weg! Geh nicht an unsere Jungen dran!" Dasselbe rufe ich mit aller mir gebliebenen Kraft. Belisama öffnet ihren Mund leicht und zeigt ihre Zähne. Ich weiß von Julius, daß das heißt, daß sie glücklich ist oder gut sein möchte. Ja, sie ist nicht böse. Sie will nicht an meine oder Weißohrs Junge. Ich höre sie lauter rufen, daß sie Hunger haben. Ich merke, wie das macht, das die Knubbel, die unter meinem Bauch aufgequollen sind immer dicker werden und laufe schnell zurück in meine Höhle, wo ich gerade noch Schleichpfote treffe, der diesmal keine Jungen gemacht hat. Der will doch nicht an meine Jungen, um die totzumachen? Na warte!
"Gehst du da weg!" Schreie ich und zeige ihm meine Krallen. Er springt zurück und knurrt, er würde mich gleich angreifen. Da haue ich ihm kurz mit der rechten und dann noch mit der linken Vorderpfote an den Hals. Er schreit vor Schmerzen und läuft ganz schnell weg.
Ich höre Aries Armadillus, er findet wohl Schleichpfote. Dann geht er zu Weißohr, während meine vier Jungen bei mir sind und an meinen Trinkknubbeln saugen. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Meine Jungen müssen trinken, damit sie Kraft kriegen. Aber wenn Armadillus hereinkommt und will sie mir wegnehmen, muß ich ihn angreifen. Er senkt sein Gesicht ganz langsam vor meine Höhle. Oh, er hat sich was darübergezogen, was wie verknotete Haare aussieht. Er sieht mich und meine vier Jungen. Dann nimmt er sein Gesicht wieder fort und geht weg. Ich fühle, daß er zufrieden ist. Offenbar wollte er nur sehen, ob meine Jungen jetzt draußen sind. Ich beruhige mich und lasse meine vier Kleinen trinken, bis sie genug haben und ganz müde in den warmen Sachen zusammenkuscheln, die ich zusammengelegt habe. Ich lege mich so, daß sie warm und beschützt sind. Dann schlafe ich ein. Sie werden mich wecken, wenn sie wieder Hunger haben.
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Martha Andrews hatte einen leichten Kater vom Silvester- und Neujahrsfest. Aurora Dawn gab ihr einen winzigen Becher einer rosaroten Lösung zu trinken. Kaum hatte Martha den Inhalt in sich hineingekippt, verflog die Nachwirkung der Gläser Met und Wein.
"Eigentlich ist das ja gegen schlimmeres gedacht, hilft aber garantiert auch gegen Restalkohol und beseitigt dessen Auswirkungen." Sagte sie, während ihre Mutter sie tadelnd ansah.
"Muß ich dir sagen, daß du das nicht machen darfst?" Fragte sie ihre Tochter. Aurora sah sie an und erwiderte:
"Sie muß vom Muggelabwehrhemmtrank trinken, der auch ein Zaubertrank ist, Mum. Also darf ich ihr auch einen schnell abklingenden, sofort wirkenden Trank verabreichen, solange ich es nur in einer Zauberergegend tue und der betreffende Mensch von unserer Welt wissen darf."
"keine Regeln ohne Ausnahme, wie?" Fragte Regina Dawn leicht verstimmt.
"Die Ausnahme bestätigt die Regel, Mum. Aber das muß ich dir als Mutter ja nicht erklären."
"Werd jetzt nicht noch frech, meine Tochter!" Knurrte Regina Dawn, bevor sie nicht mehr anders konnte und lachen mußte. Julius wollte sich gerade bei Aurora erkundigen, ob sie seiner Mutter das Antidot 999 gegeben hatte, da zitterte sein Pflegehelferarmband.
"Oh, jemand von den Pflegehelfern ruft mich. Sind alle präsentabel angezogen?" Fragte er in die Runde. Tony Priestley wußte nicht, was das jetzt sollte. Er saß im Pyjama am Tisch, den Kopf in die Hände gestützt, weil irgendwer in der Nacht sein Gehirn herausgenommen und einen fußballgroßen Bleiklumpen hineingelegt haben mußte. Julius verstand und verließ das Esszimmer, um im Flur den magischen Bild-Sprechkontakt herzustellen. Es war Belisama Lagrange, die ihn da begrüßte. Ihr räumliches Abbild, das sie in ihrem Beauxbatons-Schulmädchenkostüm zeigte schwebte knapp über dem Boden.
"Hallo, Julius! Erst einmal ein schönes neues Jahr! Dann wollte ich dir sagen, daß Goldschweif diese Nacht ihre Jungen gekriegt hat. Professeur Armadillus hat sie gesehen. Vier Stück, wie du gesagt hast. Eine andere Knieselin namens Weißohr hat wohl auch Junge, drei Stück und ein Kater von denen sieht leicht angerupft aus, als hätte er mit einem Artgenossen gekämpft oder sowas."
"Oh, Goldi hat ihre Jungen? Das ist die erste sehr gute Nachricht des Jahres 1997, Belisama. Das sie vier kriegt hat sie mir ja gesagt, weil sie mit ihren feinen Ohren ja hören konnte, wieviele Herzen in ihrem Bauch zu schlagen angefanen haben."
"Natürlich, Julius. Andererseits bist du der einzige, der hören kann, was sie denkt oder sagt oder was immer. Professeur Armadillus meint, wir sollten die jungen Mütter jetzt erst einmal ganz in Ruhe lassen. Das einer der Kater ramponiert aussieht liegt wohl daran, daß er versucht hat, einem der Muttertiere die Jungen wegzunehmen. Die fressen fremde Jungen auf, damit sie ... Aber wieso erzähle ich dir das. Du hast ja mehr Ahnung von Knieseln als ich."
"Weil die Kater die Muttertiere schnellstmöglich wieder in Paarungsstimmung bringen wollen, besonders wenn die Jungen nicht von denen sind. Damit wird das Erbgut des Konkurrenten an der Verbreitung gehindert. Ist auch bei gewöhnlichen Klein- und Großkatzen möglich, daß die Kater fremde Jungen töten, wenn die Kätzinnen nicht aufpassen oder wegen der Geburt zu schwach sind, ihre Jungen zu verteidigen", sagte Julius, bei dem die Freude über die Nachricht nun rasch die Oberhand gewann. Dann bedankte er sich bei Belisama und gab ihr noch schöne Grüße an Gloria und die anderen mit.
"Hat deine Goldschweif Kinder gekriegt?" Fragte Denise. Julius sagte laut und beschwingt:
"Yep, vier stück!"
"Wann genau?" Fragte Martha Andrews, die sich für Julius mitfreute, obwohl der ja eigentlich kein Vater geworden war.
"Wußte Belisama nicht. Wird wohl in der Nacht passiert sein. Auch ein toller Geburtstag, erster Januar!"
"Eine Schulkameradin aus der Fairmaid-Zeit hatte am ersten Januar. Sie meinte, daß sie sich richtig toll fühle, wenn immer zu ihrem Geburtstag ein Feuerwerk abgebrannt würde, egal wo sie ist und ob sie wem was davon erzählt."
"In den muslimischen Ländern hätte sie dann aber Pech", sagte Tony Priestley grummelig. Seine Nichte Aurora meinte dazu nur:
"Nicht jeder zieht durch die Welt, Onkel Tony."
"Hi, Tony, klopfen die fleißigen Zwerge bei dir?" Feixte Mr. Dawn, der putzmunter ins Esszimmer kam. Sein Schwippschwager Antony versuchte, seinen Kopf zu heben und ihn anzusehen, schaffte es aber nicht. Käsebleich im Gesicht ließ er den Kopf wieder in die Hände sinken. Aurora trat zu ihm und gab ihm auch einen kleinen Becher.
"Schluck das und deinen Stolz hinunter, Onkel Tony!" Sagte sie. Mr. Priestley grummelte zwar was, daß man nicht saufen solle, wenn man nicht den entsprechenden Preis bezahlen wolle, befolgte dann aber die Anweisung seiner heilkundigen Nichte. Sofort ging es ihm besser. Er sah Hugo Dawn an und meinte:
"Gib's zu, du Weichei hast dir von deiner Tochter schon was ans Bett bringen lassen, bevor du dich hingelegt hast!"
"Im Gegenteil, ich habe weniger getrunken", sagte Hugo Dawn. "Ich sauf mir nicht die Birne weg. Stört beim Fliegen und Nachdenken."
"Sage ich doch, Weichei", knurrte der genesene Tony Priestley.
"Ihr benehmt euch wie kleine Jungen", tadelte June Priestley die beiden Männer.
"Du siehst so fröhlich aus, als hättest du diese Nacht was ganz schönes geträumt, Julius", sagte Hugo Dawn, der offenbar sehr guter Laune war.
"Nicht ganz. Ich habe gerade von einer Pflegehelferkameradin die Nachricht gekriegt, daß die Knieselin, mit der ich häufiger zu tun habe vier Junge gekriegt hat. Ich freue mich schon, mir die anzusehen."
"Toll, vier Kniesel mehr auf der Welt", seufzte Hugo Dawn. Sein Schwippschwager grinste feist und meinte:
"Ja, vier mehr, die deine abgerichteten Vögel jagen und fressen wollen, Hugo."
"Haha, Tony. Wenn mir das nicht schon ein paarmal passiert wäre würde ich lachen", knurrte Hugo Dawn.
"Das nennt man Naturgesetz", feixte Tony Priestley. Arcadia und Aurora lachten darüber. "Ja, ihr lacht darüber, Mädchen. Nur weil wir keine natürlichen Feinde mehr haben."
"Sagen aber auch nur die Muggel", warf Julius ein, dessen frohe Stimmung für einen Moment zu verpuffen drohte, weil er an Drachen, Sabberhexen und Abgrundstöchter denken mußte, die den alten Kreislauf von fressen und gefressen werden in einem kleinen aber unangenehmen Maß noch erhielten, aus dem der Mensch ja sonst meinte, ganz herauszivilisiert zu sein und nur noch vor Seinesgleichen Angst haben zu müssen. Doch dann überwand seine frohe Stimmung diesen trübseligen Gedanken und er sagte laut:
"Da Vögel fliegen können gibt's ja immer wieder welche, die nicht von Knieseln gefangen werden können, egal wie viele es sind."
"Was wird denn, wenn Goldschweif eine Tochter gekriegt hat, die aussieht wie sie?" Fragte Martha Andrews. "Sollst du dann die Mutter ganz zu dir nehmen, wenn die Kätzchen entwöhnt sind?"
"In Paris kann ich die nicht halten, Mum. Außerdem bin ich ja, wenn ich mir nicht den Bock der Saison leiste, mindestens noch dreieinhalb Schuljahre in Beauxbatons. Oh, nach der Halbjahresprüfung haben wir ja dann Halbzeit. Müßte ich mal rumfragen, ob wer Lust hat, das zu feiern."
"Das machen die in Beauxbatons nicht so gerne", sagte Florymont. "Die einen wollen nicht daran denken, daß sie noch drei Jahre vor sich haben, und die anderen wollen nicht daran denken, daß sie nur noch drei Jahre haben, um rauszukriegen, was sie im Leben machen wollen. Du hast es doch bei Jeanne und Barbara mitgekriegt, daß die sehr traurig waren, als sie mit Beauxbatons fertig waren."
"Echt, Traurig, bei der Tretmühle?" Fragte Hugo Dawn. "Nachdem was ich so davon mitgekriegt habe wäre ich froh, nur ein Jahr da zu sein und dann nie wieder hinzugehen, wenn überhaupt. Hogwarts ist da doch wesentlich angenehmer, und lernen kann man da genauso viel."
"Wenn man nicht gerade so Lehrer wie Snape hat", entfuhr es Julius spontan, und sowohl Aurora als auch Arcadia nickten heftig.
"Professor Sn... Ach lassen wir's", knurrte Regina Dawn. "Schon schlimm genug, daß der da überhaupt noch was unterrichten darf, noch dazu Verteidigung gegen die dunklen Künste."
"Ich fürchte, Professor Dumbledore wird doch nun mit gewalt alt", seufzte June Priestley. "Wie konnte er diesen undurchsichtigen, sehr zweifelhaften Charakter mit diesem fundamentalen Schulfach betrauen?"
"Weil es heißt, daß die meisten Lehrer nur ein Jahr dieses Fach durchhalten", sagte Aurora. "Außer Professor Bitterling und Glaukos hat es wohl keiner länger als ein Jahr ausgehalten." Sie erzählte von ihren Lehrern in diesem Fach. Regina Dawn meinte, daß es durchaus sein könnte, daß jemand das Schulfach mit einem Fluch belegt habe, und das nur Professor Bitterling oder ein Halbmensch oder nichtmenschliches Zauberwesen dieses Fach länger als ein Jahr geben könne, weil professor Bitterling was bei sich hätte, um gegen bestehende Fernflüche immun zu sein und der Fluch wohl nur Hexen und zauberer treffen solle."
"Du meinst, daß der große, böse Zauberer mit dem unnennbaren Namen dieses Schulfach verhext hat?" Fragte Julius. Alle sahen ihn teils entgeistert, teils verärgert an, bis auf seine Mutter. Die meinte glatt:
"Der wollte wohl keinen da haben, der nicht nach seiner Pfeife tanzt, Julius. Wußte nicht, daß sowas auch geht. Aber die respektable Blanche Faucon hat es mir ja dick aufs Brot geschmiert, daß ich über eure Welt ja fast nichts weiß."
"Wie kann man sich gegen dauerhafte Flüche sichern, die nicht einen Gegenstand, sondern eine Eigenschaft betreffen, also Lehrer zu sein?" Fragte Julius.
"Das mußt du dann wohl Blanche fragen", warf Camille ein. "Ich fürchte jedoch, daß sie dir das nicht erzählt, wenn es bedeutet, Feuer mit Feuer zu bekämpfen."
"Camille, muß das jetzt sein?" Fauchte Florymont, während Denise mit gespitzten Ohren lauschte. Camille sagte nur, daß Julius gefragt habe und sie ihm eine Vermutung mitgeteilt habe. Julius nickte. Mochte es sein, daß jene Professor Bitterling sich selbst mit einem Fluch belegt hatte, der andere Flüche unwirksam machte? Aber ein Fluch richtete immer irgendwelchen Schaden an. Vielleicht war es auch ein mächtiger, weißmagischer zauber, der alles böse von ihr fernhielt. Aber eben das würde er wohl nicht herausfinden und mußte sich also auch nicht länger als nötig damit befassen.
"Weiß man denn schon, welches Geschlecht die Knieseljungen haben?" Wollte June Priestley wissen. Julius verneinte es. Das würde wohl erst rauskommen, wenn Goldschweif jemanden nahe genug an die Jungen heranließ. In Gedanken fügte er hinzu, daß er vielleicht die Ehre hatte, das herauszufinden.
So vertrieben sie sich die Zeit beim Frühstück mit Gesprächen über Goldschweifs Kinder, die Julius nach den Ferien wohl schnell besichtigen würde. Monsieur Dusoleil breitete die erste Zeitung des neuen Jahres auf, auf deren Titelblatt eine ständig Funken sprühende Feuerwerksrakete abgebildet war. Er las laut die Inlandsnachrichten vor, daß Minister Grandchapeau weitere hundert Desumbratoren eingestellt hatte, da in den letzten Wochen dauernd verdächtige Zauberer aus dem Ausland ins Land eingedrungen wären. Außerdem sollten die Apparitionsüberwacher verstärkt werden, um zu ermitteln, wer wohin apparierte. Er seufzte, weil das hieß, daß jeder Zauberer und jede Hexe dann überwacht würde, sobald sie größere Strecken im zeitlosen Ortswechsel zurücklegte. Dann gab er den Auslandsteil an Julius weiter, der sofort das Bild des Zauberers, der wie ein alter, kampfeslustiger Löwe aussah erkannte, den britischen Zaubereiminister Scrimgeour. Er las, daß der Minister eine internationale Freigabe der unverzeihlichen Flüche für alle ministeriell angestellten Hexen und Zauberer durchsetzen wollte und daß er die Gerüchte dementierte, er, dessen Name nicht genannt werden dürfe, habe etwas in die Hand bekommen, um Drachen zu kontrollieren. Julius grinste und dachte an Belles Worte. Er sagte dazu nur:
"Irgendwer hat behauptet, den Chef der Todesser dabei beobachtet zu haben, wie der wilde Drachen abgerichtet haben soll."
Aurora, die den Sportteil bekommen hatte, las laut vor, daß es wohl zu einem Streit innerhalb der Mercurios gekommen sei und wohl heute noch ein Sondertreffen der Vereinsspitze mit dem Leiter der Zentrale der französischen Quidditchliga stattfinden würde.
"Oha, könnte was mit Brunos und Polonius' Krach zu tun haben", sagte Julius. Camille nickte und meinte:
"Offenbar ist der Streit und Mannschaftskameraden zu einem Vereinsstreit geworden. Wahrscheinlich wird einer der beiden dazu verdonnert, nicht mehr in der Mannschaft mitzuspielen."
"Ach, und dafür brauchen die den Leiter der Zentrale der Quidditchliga?" Fragte Julius. "Im Fußball in England regeln Vereine das selbst, wenn sie Leute nicht mehr in die Stammauswahl lassen wollen und verkaufen den möglichst bald, um noch was dabei rauszukriegen."
"Kaufen? In dieser langweiligen Balltretsache werden Menschen wie Nutztiere gehandelt?" Fragte Camille. Julius lachte. Dann sagte er, daß das eigentlich nur so gesagt wurde, weil ein guter Spieler, der den Verein wechseln wolle oder von einem anderen ein besseres Angebot bekam ja einen Gewinneinbruch des Vereins bewirken würde und daher sogenannte Ablösesummen bezahlt würden, der Spieler aber von sich aus einen neuen Vertrag unterschreiben müsse, wenn er wirklich anderswo spielen wolle.
"Was aber im Laufe der Zeit doch zu einem halben Sklavenhandel geworden ist, Julius", warf seine Mutter ein. "Immerhin machen die Fußballvereine weltweit viel Geld damit, gute Spieler einzuhandeln oder anderen Vereinen abzutreten. Brasilien zum Beispiel wird nachgesagt, daß die dort ausgebildeten Fußballspieler die wichtigste Exportware seien. Also doch Sklavenhandel."
"Jedenfalls läuft das in der französischen Quidditchliga anders. Da muß ein Spieler erst einmal vorweisen, daß er längere Zeit erfolgreich gespielt hat, also in einer der Hausmannschaften war", begann Camille. "Dann muß er eine allgemeine Anfrage an alle Vereine richten, die von der Ligazentrale verbreitet wird. Wenn ein Verein den betreffenden Spieler verpflichten will, muß er der Zentrale eine Registriergebühr von eintausend Galleonen überweisen und einen unterschriebenen Vertrag des Spielers vorlegen, um die Erlaubnis zu kriegen, ihn einzusetzen. Wenn der Spieler mehr als ein Jahr spielt, wird eine Weiterverpflichtungsgebühr von einhundert Galleonen pro Saison bezahlt, bei vierzehn Spielern also eintausendvierhundert Galleonen pro Jahr. Kommt es jetzt dazu, daß ein Verein einen bei ihm registrierten Spieler nicht mehr aufstellen kann oder will, muß die Zentrale darüber informiert werden und geprüft werden, woran es liegt. Dann kann der Spieler entweder ganz aus der Profiliga ausgeschlossen werden, was dann fünf ganze Jahre vorhält, er also gesperrt ist. Der Verein kann im Fall einer Krankheit oder familiären Angelegenheiten Ausfallszahlungen von der Zentrale verlangen, sofern der Spieler nicht mutwillig seinen Einsatz gefährdet hat. Dann ist der Spieler mit Zahlen dran. Will der Verein sich von seinem Spieler trennen, ohne daß er gesperrt werden muß, wird eine neue Anfrage an alle Vereine gerichtet. Der neue Verein zahlt dann die eintausend Galleonen Registrierungsgebühr nicht der Zentrale, sondern dem vorherigen Verein, muß jedoch die Zahlung des Geldes belegen und der vorige Verein den Erhalt des Geldes. Natürlich muß auch hier ein vom Spiler unterschriebener Vertrag vorgelegt werden."
"Aha, dann bekäme der Verein, der einen Spieler verpflichtet hat und ihn wieder loswerden will, bevor er eine Saison durchgehalten hat sein Meldegeld zurück?" Fragte Julius.
"Ganz genau. Aber je besser ein Spieler ist, desto länger bleibt er im Verein. Dann kann es passieren, daß der Folgeverein ein Zehntel der bisher bezahlten Weiterverpflichtungsgebühren auf die Übernahmegebühr drauflegen muß. Außerdem wird der Spieler bei guten Leistungen immer besser bezahlt. Das ist dann immer ein kniffliges Herumrechnen, wie viele Punkte ein Spiler für seine Mannschaft direkt oder durch Vorbereitung erzielt hat. Bei den Spitzenvereinen kann das eine Sickel pro Punkt sein. Hüter kriegen diesen Betrag gemäß Punktevorsprung der Mannschaft also daß er weniger Tore kassiert hat als seine Mannschaft schießt", sagte Camille. Aurora Dawn nickte. Das kannte sie offenbar auch.
"Mein Klassenkamerad Mortimer hat nach Hogwarts bei den Wimbourne Wasps gespielt, zehn Jahre in Folge. Der hat das bei einem Klassentreffen zehn Jahre nach den UTZs erzählt, wie die Leute da entlohnt werden."
"Da wird also nach messbarer Leistung bezahlt. Würde manchem Fußballstar aber sehr gründlich die Ernte verhageln, wenn da nur bezahlt wird, was der an Toren gemacht oder vorbereitet hat", grinste Julius.
"Würde Fußball aber unter Umständen wieder zu einem ehrlichen Sport machen und nicht zu einem Gerangel geldprotzender Diven in Trikots und kurzen Hosen", meinte seine Mutter dazu. Julius nickte. Beim Quidditch konnte man das ja. Zehn Sickel für ein geschossenes Tor machte den Jäger und den Hüter gleichermaßen glücklich, wenn die Mannschaft gerade in Front war.
"Um dann noch ein Mannschaftspiel zu haben und keine Leistungsschau von Einzelkünstlern wird die Gesamte Punktzahl pro Spiel durch sieben geteilt und jedem in Galleonen ausbezahlt, das ist ein allgemeingültiges Gesetz, das die internationale Organisation für magische Spiele und Sportarten beschlossen und an die nationalen Abteilungen weitergegeben hat", sagte Camille noch um den letzten ausstehenden Punkt dieser Debatte zu klären.
Den ersten Tag im neuen Jahr verbrachten die Andrews im Freien und genossen die milde Luft, die hier, in der Nähe des Mittelmeeres, keine Spur von Frost trug. Am Abend verabschiedeten sich alle Gäste der Dusoleils voneinander. Aurora würde mit ihrer Familie durch die Kamine der Welt reisen, während Martha und Julius Andrews mit der Reisesphäre nach Paris gebracht würden. Madame Faucon und Madame Delamontagne übernahmen es, die beiden Gäste zurückzubringen. Zusammen gingen sie noch zum Haus Rue de Liberation 13. Eleonore Delamontagne lamentierte über die von den Autos hier verpestete Luft und meinte, sie würde wohl nur noch durch den Kamin zu Besuch kommen. Madame Faucon nickte nur zustimmend. Auch ihr gefiel dieser Brodem aus abertausenden von Auspufftöpfen, Fabrikschloten und Heizungskaminen nicht.
"Ich habe Catherine gefragt, ob sie nicht für den Rest der Schwangerschaft in mein Haus ziehen möchte, um genügend frische Luft ohne giftige Zusatzstoffe zu atmen. Aber sie verwies darauf, daß sie dann ihren Mann zurücklassen müsse, weil der gewiß nicht Monate lang ohne seine Computermaschine sein könne", sagte die Beauxbatons-Lehrerin.
"Nichts für ungut, Madame Faucon. Aber ich habe Julius auch in einer Großstadt ausgetragen und gesund zur Welt gebracht", warf Martha Andrews ein, die den Eindruck hatte, ihre Welt verteidigen zu müssen. Madame Faucon nickte zwar, sagte aber, daß für ungeborene Kinder das reinste an Luft und Nahrung gerade gut genug sei. Eleonore Delamontagne grummelte nur, daß sie hoffte, daß ihr Kind nicht durch diesen Brodem der Muggelwelt vergiftet würde. Dann erreichten sie das Haus der Brickstons. Madame Faucon ging zunächst in die Wohnung ihrer Tochter, um ihr und ihrer Familie ein frohes neues Jahr zu wünschen, während die Andrews' mit Madame Delamontagne hinaufstiegen, wo ihre Wohnung lag. Dort warteten sie, bis Madame Faucon mit Catherine, Joe und Babette nach Oben kam. Babette sah Madame Delamontagne an und schrak fast zurück. Dann sprachen die beiden werdenden Mütter über die letzten Tage und darüber, daß Madame Matine sie beide wohl in drei Tagen wieder zur Gymnastik erwartete. Joe wagte einmal einzuwerfen, daß wenn seine neue Tochter in dieser Stadt aufwachsen solle, müsse auch ein Arzt die Schwangerschaft überwachen. Madame Delamontagne herrschte ihn an, ob er sich nicht schäme, als werdender Vater sein ungeborenes Kind diesen Knochensägern und Flickwerklern zu überlassen. Er wollte schon protestieren, doch der Blick seiner Schwiegermutter traf ihn mit der wucht zweier saphirblauer Pfeilspitzen. Er klappte seinen Mund wieder zu und schwieg.
"Möchtest du wirklich durch den Kamin gehen, Eleonore. Du kannst auch an der nächsten Straßenecke disapparieren", sagte Catherine.
"Der Kamin ist der schnellste Weg, Catherine. Außerdem werde ich zu Hause den Entgiftungs- und Kreislauferhaltungstrank trinken, den Madame Matine mir gebraut hat, falls ich dem Ungeborenen zu viel Schadstoffe oder übermäßige Bewegungen zumute. Ich wünsche euch noch eine schöne Ferienzeit und dir, Julius, einen angenehmen Übergang ins nächste Halbjahr! Halte dich weiter ordentlich ran in der Schule! Du weißt, ich bekomme alles mit, was mich interessiert, auch wenn du Virginie dazu bewegen solltest, mir keine Briefe zu schicken. Das würde nichts einbringen."
"Eleonore, für die schulischen Leistungen des jungen Mannes hier bin ich verantwortlich", warf Madame Faucon ihre Kompetenz in die Waagschale. Eleonore Delamontagne nickte verhalten. Dann wartete sie, bis Martha den Kamin wieder passierbar gemacht hatte, entzündete ein Feuer und floh-pulverte nach Millemerveilles zurück. Madame Faucon wandte sich noch einmal an Julius:
"Die gute Eleonore möchte offenbar mehr tragen als sie ohnehin schon an Verantwortung trägt, Julius. Ich erwarte dich dann gut erholt nach den Ferien. Lass dich in der Zwischenzeit nicht auf weitere unvorhersehbare Abenteuer ein!"
"Dann darf ich hier nicht mehr rausgehen", sagte Julius leicht verstimmt. Doch er verstand, was Madame Faucon meinte. So verabschiedete er sich höflich von seiner Hauslehrerin, die ihn umarmte, auf die Wangen küßte, dann ihre Tochter, ihren Schwiegersohn und dann noch ihre Enkelin umarmte, bevor auch sie durch den Kamin davonfauchte.
"Mußten die euch unbedingt beide hier abliefern?" Fragte Joe. Seine Tochter Babette nickte ihrem Vater zustimmend zu. "Hätten die euch nicht einfach aus diesem Transferkreis rauslassen und dann wieder zurückfliegen können?"
"Die fanden, es sei höflicher, wenn sie uns ordentlich hier abliefern", sagte Martha Andrews kategorisch. Sie wußte zwar, wie herabgesetzt Joe sich bei nur einer der beiden Hexen fühlte, ja konnte es jetzt sogar nachempfinden. Doch andererseits mußte sie für Julius stark bleiben, um mit ihm alles durchzustehen, was da noch kommen mochte.
"Damit sie euch auch richtig abliefern und ihr nicht unterwegs unter die Räder kommt, wie? Daß diese dicke Trulla jetzt auch noch ein Kind kriegt ist doch heller Wahnsinn. Die fällt doch schon um, wenn die sich einmal halb umdreht."
"Joe, bitte sprich nicht so gehässig von Eleonore Delamontagne! Sie hat dir nichts getan", sagte Catherine.
"Außer deiner Mutter ein Notizbuch mit von mir gerechtfertigt geäußerten Verwünschungen zuzuspielen, damit die mich vor Babette und dir wie einen kleinen Jungen herunterputzen konnte. Was bildet die sich eigentlich ein, wer oder was sie ist?"
"Weheher glaubst du, daß du bist", sang Babette auf Englisch. Joe räusperte sich und meinte, sie solle besser wieder runtergehen, und ihre Lieblings-CD weiterhören. Babette lief sofort aus der Wohnung.
"Sei froh, daß Maman nicht weiß, daß du der kleinen diese CD geschenkt hast. Da sind Lieder drauf, die würden sie aufbringen."
"Sicher müßte ich als pädagogisch korrekter Vater meiner Tochter verbieten, diese frechen Gören zu hören. Aber das würde die für sie ja nur noch interessanter machen. So kann ich kontrollieren, was sie hört und mit ihr drüber reden, was die singen, besonders bei Lied drei und neun."
"Von was habt ihr's? Könnte mir vielleicht was interessantes oder wichtiges entgehen?" Fragte Julius.
"Tja, kommt davon, wenn man nur in dieser Parallelwelt leben darf, Julius. In unserer Heimat haben die ein Fünferpack frecher Sängerinnen auf die Menschheit losgelassen, die die Popmusik gründlich aufgemischt haben und der bereits verkaterten Frauenbewegung einen neuen Drall verpassen wollen. Vielleicht leiht Babette dir ja ihre CD aus", sagte Joe. Catherine meinte dazu nur:
"Auch ein Manöver, möglichst viele junge Leute um ihr Taschengeld zu bringen, indem ihnen vorgegaukelt wird, da wäre jemand, der ihnen einen neuen Weg zeigt. Wird wohl zwei Jahre gehen und dann versanden."
"Tja, wie Madonna", konterte Joe Brickston. Martha Andrews meinte dazu nur, daß jeder Generation ihre Musik gelassen werden solle. Immerhin habe sein Vater ja die Beatles verehrt, die von dessen Eltern wohl als Urwaldgeräuschemacher verschrien wurden, ebenso wie die Rolling Stones. Dann sagte sie zu Julius, sie würde ihm die betreffende Cd "Dieser Spice Girls" gerne besorgen, damit er mitreden könne. Vielleicht gefalle ihm ja einiges davon sogar. Julius grinste bei dem Namen der Band und nickte zustimmend.
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Die letzten Ferientage vergingen ohne große Ereignisse. Hippolyte Latierre rief nur einmal durch den Kamin, daß man sich doch vor dem Haus der Rue de Liberation treffen könne, um zusammen zum Ausgangskreis zu fahren. Julius bekam eine Version von Babettes derzeitiger Lieblings-CD und fand tatsächlich einige Lieder darauf, die ihm gefielen. Richtig grinsen mußte er eher darüber, daß zwei der fünf angeblich so alten Freundinnen Melanie mit Vornamen hießen. Julius dachte, daß das bestimmt lustig sei, Pinas Cousine Melanie und Glorias Cousine mit dem Anfangsbuchstaben des Nachnamens anzureden, wenn er sie mal wieder treffen würde. Er sprach mit Jane Porter über die Zweiwegspiegelverbindung und erwähnte ihr gegenüber auch das Ritual, daß Ursuline Latierre mit ihm durchgeführt hatte. Jane Porter kannte es auch und sagte dazu nur:
"Oh, Honey, da hat dich aber noch jemand sehr lieb, daß sie will, daß dir nichts zusetzt. Aber ich denke, die hat das auch gemacht, um ihrer Nachbarin eins auszuwischen, weil du jetzt quasi auch zu ihrer Familie gehörst. Pass auf, daß die beiden nicht gleichzeitig an dir ziehen und dich in der Mitte durchreißen."
"Sehr witzig, Mrs. Porter", grummelte Julius. Glorias Großmutter väterlicherseits lachte lauthals darüber und bat ihn dann, sich weiterhin gut mit Gloria zu vertragen und ihr alles zu melden, was irgendwie nach dunklen Machenschaften aussah. In Europa sei im Moment einiges im argen. Mehr wollte sie dazu jedoch nicht sagen, um ihn nicht voreingenommen zu machen, wie sie bemerkte.
Die Latierres trafen wie verabredet eine halbe Stunde vor dem Abreisetermin in der Rue de Liberation ein. Martha Andrews begleitete ihren Sohn bis zum Ausgangskreis. Dort verabschiedeten sich Martine Latierre, ihre Eltern und Martha von Millie und Julius, bevor sie in den Kreis traten, wo Julius Hercules Moulin begrüßte.
Zurück in Beauxbatons brachten die Jungen erst einmal ihre Koffer in den Schlafsaal. Dann ging es zum Abendessen. Julius war schon gespannt, ob er Goldschweifs Kinder schon heute zu sehen kriegen würde. Nach dem Abendessen ging er zu Professeur Armadillus.
"Ah, Monsieur Andrews", grüßte der Lehrer für Pflege magischer Geschöpfe den Viertklässler. "Sie sind sicherlich hergekommen, um zu fragen, was mit Goldschweif ist. Ich hörte, daß Mademoiselle Belisama Lagrange Sie bereits informiert hat, daß Goldschweif vier Junge geworfen hat. Allerdings konnte ich bisher nur mit einer Maske und Drachenhauthandschuhen an ihre Schlafhöhle heran. Knieselweibchen sind sehr wachsame und abwehrbereite Muttertiere. Ich mußte einem Kater zwei tiefe Halswunden behandeln, die er sich von einer der gerade Junge habenden Kätzinnen eingehandelt hat. Womöglich wollte er die Jungen seiner Konkurrenz eliminieren, um die entsprechenden Weibchen baldmöglichst wieder empfängnisbereit zu machen. Sowas kommt immer wieder vor, wenn unsere Kniesel Junge haben. Die Enge des Geheges fördert derartige unliebsame Zusammenstöße. Deshalb habe ich die meisten Kater gesondert untergebracht, so daß nur die Weibchen im Hauptgehege sind. Möchten Sie mit der gebotenen Schutzkleidung eine Annäherung wagen?"
"Wenn ich darf", sagte Julius. Die Aussicht, die vier Knieselkinder aus der Nähe zu sehen und Goldschweif zu interviewen, wie es für sie gewesen war bereitete ihm eine wahrhaft jungenhafte Vorfreude. Er ließ sich eine Gesichtsmaske aus Akromantulafäden und extrastarke Drachenhauthandschuhe geben und begleitete den Fachlehrer für Zaubertiere zum Knieselgehege, das nun, wo es dunkel war, seine zurückhaltende Magie über Nacht verlor, damit die Bewohner frei herumlaufen und jagen konnten.
"Ich möchte erst einmal sehen, ob alle Kniesel frei laufen. Die Muttertiere haben in den letzten Tagen nicht gejagt sondern das rohe Fleisch genommen, daß ich angeboten habe. Ich dachte zuerst, die Futtergabe einzustellen. Aber ich will vermeiden, daß die Muttertiere verhungern und die Zuchtlinien damit zusammenbrechen."
"Im buch über das Wesen des Kniesels steht drin, daß Mutterkniesel sich vor dem Wurf ein extra Fettdepot anfressen, ja sogar das eigene Fell ausrupfen, um die darin gespeicherten Hautzellen wiederzuverwerten, bis die kleinen groß genug sind, daß sie sie ohne sie zu verletzen tragen können", sagte Julius. "Madame Lagranges Kniesel Lauretta hat zwei Tage lang nichts gefressen, als sie ihre Kinder bekommen hat", wußte er zu berichten.
"Nun, dann werden wohl einige der gerade nicht säugenden Weibchen das Futter angenommen haben."
"Wir werden es gleich sehen", sagte Professeur Armadillus und bewirkte erst einmal den Vivideo-Zauber. Ein aggressives Knurren aus zwei Höhlen kam gleichzeitig mit dem Aufleuchten hellgrüner, pulsierender Leuchterscheinungen, die an große Katzen erinnerten.
"Sie reagieren auf jede Art der Magie", seufzte der Lehrer und löschte den Lebensquellanzeiger wieder. Julius wußte das. Daß er überhaupt noch lebte verdankte er Goldschweifs Gabe, Magie förmlich singen zu hören.
Sie betraten das Gehege und pirschten sich so leise sie konnten an die Höhlen heran. Aus einer rief es Julius zu: "Komm langsam zu mir, Julius. Aries soll bloß wegbleiben!"
"Goldschweif will, daß ich alleine zu ihr gehe, Professeur", sagte Julius verhalten. Der Lehrer sah ihn durch die netzartigen Sehlöcher der Maske verdutzt an, nickte dann aber.
"Sein Sie auf der Hut! Die Muttertiere sind wesentlich aggressiver als die Männchen."
"Ja, ich passe schon auf", sagte Julius und ging alleine weiter, genau auf die Schlafhöhle zu, wo Goldschweif wie ein katzenförmiges Kissen vor dem Eingang lag. Ihr Schwanz zitterte sachte, als wolle er gleich loswedeln, was bei katzenartigen Wesen wie Knieseln nicht Zuneigung und Freude, sondern eine ernste Drohgebärde bedeutete. Doch das Zittern ließ nach, als Julius nur noch einen Schritt entfernt war und er Goldschweif in die smaragdgrünen Augen blickte. Ihr silbergraues Fell mit den dunkelbraunen, runden Tupfern war jedoch noch unversehrt. Sie hatte es wohl nicht angefressen. Der goldgelbe Schwanz mit der ockergelben Quaste, jetzt, wo es dunkel war nur hellgrau glänzend, ruhte nun bewegungslos eingerollt auf dem Boden.
"Na du?" Grüßte Julius das Tierwesen. "Ich habe gehört, deine Jungen sind jetzt da. Tat's sehr weh?"
"Ziemlich. Das dritte wollte nicht raus und hätte mir fast den ganzen Hinterleib zerrissen, weil es nicht wollte. Jetzt habe ich sie aber. Warum hast du das Fell vor dem Gesicht und deine Vorderpfoten in der toten Haut?"
"Weil ich nicht will, daß du oder Weißohr mir weh tun, weil ihr Angst habt, ich könnte euren Jungen was tun", sagte Julius ganz ruhig als spreche er nicht mit einem tierhaften Lebewesen, sondern mit einem sechsjährigen Kind, dem man doch dieses oder jenes erklären konnte. Von der Intelligenz her reichte Goldschweif durchaus an dieses Niveau heran, wußte Julius.
"Wenn du sie nicht wegnimmst zeige ich sie dir", sagte Goldschweif. Dann schnüffelte sie. Ihre Barthaare spreizten sich. Dann sagte sie nur für ihn hörbar: "Du bist stärker gemacht worden. Außerdem merke ich, daß du langsam in Stimmung kommst. Ich kann dir nur gerade kein passendes Weibchen aussuchen, weil ich auf meine Jungen aufpassen muß."
"Mußt du auch nicht, Goldi", sagte Julius ruhig. Er wußte, worauf die Knieselin anspielte. Offenbar hatte Ursuline Latierres Ritual seine körperliche Ausstrahlung verändert, eher verstärkt. Daß sie ihm schon immer das ihrer bescheidenen Meinung nach passende Weibchen aussuchen wollte war ein alter Hut.
Goldschweif erhob sich und schlich in die Höhle. Nach und nach trug sie vier leise wimmernde Fellkügelchen heraus, die mit kurzen, zerbrechlichen Körperanhängseln ängstlich umhertasteten, bis ihre Mutter sie vor Julius absetzte. Julius betrachtete die vier kleinen Kniesel, die im Moment alle hellgrau aussahen. Er wußte, daß die Jungtiere erst nach fünf Wochen ihre Tupfer oder Sprenkel bekamen. Da er sie nicht anfassen durfte, um nicht doch den Verteidigungsinstinkt der Knieselin auszulösen konnte er auch nicht sehen, welches Geschlecht sie hatten. Aber da kam ihm eine Idee. Er fragte Goldschweif:
"Weißt du welche von denen Männchen oder Weibchen sind?"
"Drei von denen werden Männchen sein, eines davon ein Weibchen. Es war das dritte, das nicht sofort rauswollte, als die anderen kamen", sagte Goldschweif mit einer mittelhohen Menschenfrauenstimme, die nur er so hören konnte, weil er den Trank der Bindung getrunken hatte. Julius ließ sich besagtes Kätzchen zeigen, wagte jedoch nicht, es anzufassen. Im Moment konnte er also nicht mehr herausfinden. Aber allein schon zu wissen, welches Geschlecht die vier Jungen hatten war ein Durchbruch.
"Ich wollte sie nur besuchen und sehen, ob es dir gut geht. Kriegst du genug zu essen?" Fragte Julius besorgt.
"Ihr stellt mir und den anderen totes, unverbranntes Fleisch hin. Schmeckt gut, wenn auch etwas kalt. Meine Mutter hat was von ihrem Fell gegessen, als ich kam, hat sie mir gesagt. Das muß ich nicht machen, wenn ihr mir und den anderen genug hinstellt. Aber bald werde ich wieder losgehen und richtiges Fleisch fangen. Dann komme ich auch wieder zu dir in eure Schlafhöhle. Dann kann ich dir auch ein Weibchen finden, damit du die Stimmung ausleben kannst."
"Die Weibchen hier wollen keine Jungen haben. Denen tut eines schon mehr weh als dir vier", sagte Julius. Goldschweif knurrte verstimmt:
"Aber dafür sind sie doch da. Sie müssen doch Junge kriegen, auch wenn das wehtut. Aber danach ist es doch schön, sie zu haben. Connie hat doch auch ihr Junges gekriegt."
"Nur weil sie das nicht wußte, daß sie ... Ach, das ist doch schon lange her", grummelte Julius. Dieses Wesen da wollte es echt nicht begreifen, daß Menschen nicht nur für Liebe und Nachwuchs auf der Welt waren. Er sagte nur, daß er dann mit jemandem zusammensein wollte, wenn die das auch wollte, auch wenn sie dabei keine Jungen bekam. Goldschweif sagte dazu nur, er würde sich sehr viel besser fühlen, wenn sie ihn und die anderen hier ihre Stimmungen ausleben ließen. Julius erwiderte darauf, daß das hier nicht der Ort für sowas war, weil die, die hier wohnten, lernten, mit der Kraft umzugehen. Daß Goldschweif Magie als "Die Kraft" bezeichnete wußte er von ihrem gemeinsamen Ausflug in die gemalte Welt von Hogwarts.
"ja, aber ihr fühlt doch die Stimmung und sucht doch nach jemandem, mit dem ihr sie ausleben könnt. Alle die so groß sind wie du wollen das doch. Aber die ganz großen sagen euch, ihr sollt das nicht. Das ist nicht richtig."
"Sage das Madame Maxime und die schleudert dich an deinem Schweif dreimal herum und pfeffert dich dann über den Begrenzungszaun hier. Ob du das dann überlebst weiß ich nicht."
"Hunger! Kalt! Hunger!" Hörte Julius es unvermittelt leise Quieken. Er sah nach unten und erkannte, daß die vier kleinen Kniesel ihre Mäulchen öffneten und nach den prallen Zitzen unter Goldschweifs Bauch suchten.
"Ich höre die ja auch sprechen", wunderte er sich laut.
"Weil die ja in mir waren, Julius", sagte Goldschweif. Manchmal verblüffte es ihn immer noch, daß dieses Wesen eine gewisse Kombinationsgabe besaß. Es mochte sein, weil bei dem Verbindungszauber ihr Blut und sein Blut im Spiel waren etwas von ihrem Blut nun in den Jungen zirkulierte und er sie deshalb verstand. Er sagte rasch:
"Denen ist kalt, Goldschweif. Bring sie wieder in deine Höhle und wärme sie gut! Ich komme in einer Woche mal wieder und sehe nach dir."
"Eine Woche?" Fragte Goldschweif.
"Siebenmal Sonne und Mond", sagte Julius. Daß Goldschweif zählen konnte vereinfachte einiges. Goldschweif antwortete nicht darauf, weil sie gerade das erste ihrer vier Kinder mit dem Maul im kleinen Nacken ergriff und äußerst behutsam in die Höhle zurücktrug. Julius war versucht, eines der anderen Jungen anzufassen. Doch dabei würde er den Geruch der Handschuhe auf das Junge übertragen und es vielleicht für Goldschweif unannehmbar machen. Aber sie war ja kein Kaninchen, und wie Muttertiere reagierten, wenn Menschen ihre Jungen anfaßten konnte noch keiner belegen, weil sie es nicht zuließen. Insofern, stellte Julius fest, war ihm ein ziemlich großes Privileg erteilt worden, die vier überhaupt sehen zu können. Nach und nach trug die Knieselin ihre Jungen zurück in die Schlafhöhle. Er wünschte ihr noch eine gute Nacht, obwohl das eher was für Menschen war und kehrte zu Professeur Armadillus zurück.
"Drei Jungs, ein Mädchen. Ich habe die sehen können. Sind alle sehr hell. Müßte ich mal bei Tageslicht angucken, weil ich jetzt nicht mit dem Zauberstablicht leuchten wollte, um die anderen nicht auf mich wütend zu machen", sagte er. Armadillus nickte ihm zu. Dann sagte Julius noch, daß er das bettelnde Maunzen der vier verstanden hatte.
"Auch interessant. Offenbar fließt in den Jungen noch sehr viel Blut ihrer Mutter. Dadurch bist du noch im Stande, sie wie die Mutter zu verstehen. Das wird sich wohl erst legen, wenn das eigene Blut sich vollständig erneuert hat."
"Das wird wohl sein", sagte Julius. Er wollte jetzt nicht damit herausrücken, daß Goldschweif genau das schon festgestellt hatte. Lehrer und Schüler kehrten in den Palast zurück, wo Julius seinen Kameraden die Geschichte erzählte. Laurentine meinte:
"Elisa hat das mit ihrer Mutter geklärt, daß Belisama und ich je eines der Kätzchen von Lauretta kriegen darf. Ich hoffe mal, die vertragen sich mit Maximilian. Aber einen Kniesel zu haben bringt wohl gewisse Vorteile."
"Das stimmt", pflichtete Julius ihr bei.
Als sie abends im Bett lagen, tuschelten die Jungen noch eine Weile über die Ferien. Julius erzählte nur was von dem Fest bei den Eauvives. Die Feier bei den Latierres ließ er jedoch aus. So um zwölf herum waren alle müde genug um zu schlafen.
__________
Die ersten Schultage nach den Weihnachtsferien waren angefüllt mit der Besprechung der Hausaufgaben und anfallenden Wiederholungen der Sachen vor den Ferien. Julius traf sich häufig mit Waltraud oder Gloria in der Bibliothek, um zu lernen. Doch abends, wenn es sich einrichten ließ, ging er zum Knieselgehege. Da er nicht jedesmal von Professeur Armadillus Schutzmaske und -handschuhe erbitten wollte, blieb er immer für einige Minuten vor dem Zaun und sah den wieder freilaufenden Knieseln zu, wie sie auf Mäusejagd gingen. Doch Goldschweif und die beiden anderen Mutterkniesel hielten sich noch zurück. Sie gingen wohl tagsüber an die große silberne Schale, in die Armadillus jeden Tag frisches Hühner- oder Kaninchenfleisch einfüllte, um die säugenden Weibchen nicht verhungern zu lassen. Einmal kam auch Belisama Lagrange zu ihm an den Metallzaun des Knieselgeheges und sprach ihn an.
"Läßt die dich auch nicht an die Jungen ran, Julius?" Fragte sie interessiert.
"Sie hat sie mal für mich rausgeholt und hingelegt. Ich wollte sie jedoch nicht anfassen, weil ich nicht weiß, ob sie da nicht doch ausgerastet wäre. Außerdem weiß ich nicht, ob sie Junge noch nimmt, die jemand angefaßt hat. Es gibt Tiere, die verstoßen Junge, die von Menschen angefaßt wurden, weil die danach ja nach Mensch riechen", sagte Julius.
"Ja, aber daß es drei Jungs und ein Mädchen sind hat sie dir mitgeteilt", sagte Belisama beeindruckt.
"Weil ich das selber nicht überprüfen konnte. Dazu hätte ich die ja aufheben müssen."
"Ja, aber sie lügt dich doch nicht an", meinte Belisama überzeugt. Julius nickte.
"Ich weiß ja nicht mal, ob sie das kann, lügen meine ich."
"Du meinst, weil das ja viel Berechnung und Vorstellungsvermögen beansprucht?" Fragte Belisama.
"Ja, denke ich. Obwohl es im Tierreich und da besonders bei den Fleischfressern ausgeklügelte Täuschungsmöglichkeiten gibt. Löwen wälzen sich in Antilopendung, um sich mit deren Geruch zu tarnen, um sich dann fast unbemerkbar anzuschleichen. Das haben die in einem Tierfilm im Fernsehen gezeigt."
"Ja, und Insektenarten, die aussehen wie Wespen werden weniger gefressen", sagte das Mädchen mit dem honigfarbenem Haarschopf und den Bergquellklaren Augen.
"Das ist aber was anderes. Das ist angeborene Tarnung auf Grundlage der allgemeinen Entwicklung im Tierreich, wo Versuche und Fehlschläge immer besser angepaßte Exemplare hervorbringen, eben auch Insekten, die wie Wespen oder Hornissen aussehen. Ich meine hier echt angelernte Irreführung von anderen Tieren."
"Lauretta hat mal komische Geräusche von sich gegeben, als sie in Tante Adeles Schuppen vor einem Loch gesessen hat. Klang wie das Quieken einer Maus."
"Oh, dann können die vielleicht doch wen beschubsen", erwiderte Julius grinsend. "Oder die ahmen eben nur die Geräusche der Beutetiere nach, um die in die Falle zu locken, ohne darüber nachzudenken."
""Wann kriegen die ihre Tupfer?" Fragte Belisama.
"Wenn die die Augen aufmachen, so fünf Wochen nach der Geburt. Dann kriegen wir wohl auch raus, ob das Mädchen wie Goldschweif aussieht oder wie der Kater, der sie zur Mutter gemacht hat."
"Und wenn das Knieselmädchen wie Goldschweif aussieht?" Wollte Belisama wissen.
"Dann könnte es passieren, daß Professeur Armadillus die Mutter in einigen Jahren wem anderem gibt und die Tochter die Zuchtlinie fortsetzt."
"Das heißt doch, daß du die dann kriegst, oder?"
"Vielleicht will Goldschweif ja dann nicht mehr bei mir sein", sagte Julius. Wie um ihn zu widerlegen marschierte gerade ein Kniesel mit aufgestelltem, ruhig gehaltenem Schweif heran, dessen Gang, Haltung und Form der im Dunklen nun pechschwarz aussehenden Tupfer Julius so vertraut war. Belisama entzündete mit "Lumos" ein Licht an der Zauberstabspitze und beleuchtete den Kniesel vorsichtig damit. Ja, es war Goldschweif XXVI. Julius wollte schon fragen, wie es ihr gehe, als die Knieselin mit einem geschmeidigen Satz lossprang und zielgenau auf seiner rechten Schulter landete, wo sie sich mit ihren Vorderpfoten in Julius' Umhang festkrallte, was der Junge schmerzhaft zu spüren bekam. Er zuckte zusammen. Dann flüsterte Goldschweif:
"Das Weibchen mag dich. Sie kommt bald in Stimmung."
"Hallo, Goldi. Bist ein wenig aus der Übung, was?" Fragte Julius vorsichtig und streichelte das nach Wildkatze riechende, flauschigweiche, glatte Fell mit der linken Hand.
"Ich werde bald wieder richtiges Fleisch suchen. Das zerrissene Vogelfleisch und das von den hüpfenden Nagetieren ist zwar lecker, aber immer zu kalt und nicht blutig genug. Aber wenn du hier stehenbleibst und nur redest wirst du das Weibchen nicht dazu bringen, mit dir die Liebe auszukosten."
"Was sagt sie, Julius?" Fragte Belisama.
"Sie mag dich und würde gerne haben, wenn wir beide öfter hier sind", log Julius. Goldschweif schnurrte nur, daß er ihr nicht sagte, daß er sie doch eigentlich wolle.
"Frage sie, ob ich ihre Kinder ansehen darf!" Bat Belisama. Julius gab die Bitte weiter, auch wenn Goldschweif viel verstand, was Menschen sagten, auch ohne den Interfidelis-Trank.
"Sie darf sie sehen aber nicht anfassen", sagte Goldschweif. Dann sprang sie von Julius' Schulter, fast ohne daß er fühlte, wie sie sich abstieß. Mit aufgestelltem Schwanz stolzierte sie geräuschlos voran. Julius und Belisama folgten ihr mit leuchtenden Zauberstäben. Vor dem runden Bau, in dem Goldschweif wohnte blieben sie stehen. Goldschweif lief hinein und trug ihre Jungen heraus, die gerade satt und zufrieden waren. Sie legte sie vor Julius und seiner Pflegehelferkameradin aus dem weißen Saal hin. Das Mädchen beugte sich vor. Goldschweif knurrte:
"Lass sie in Ruhe!" Julius griff Belisama sofort am Arm und zog sie etwas ruppig zurück.
"Was soll das denn jetzt?" Fauchte Belisama verstimmt. Julius deutete auf Goldschweif.
"Sie will nur, daß du sie siehst, nicht anfaßt", sagte er ruhig. "Ich wollte dich nicht so hart anfassen. Aber wenn du dafür deine heile Haut im Gesicht behältst war das nötig."
"Ich wollte sie auch nur ansehen", sagte Belisama verstimmt. Julius sprach beruhigend auf Goldschweif ein. Dann sagte er zu seiner Klassenkameradin:
"Tu die Arme hinter den Rücken und knie dich hin! Ich mache das auch. Dann weiß Goldschweif, daß wir ihren Kindern nichts tun wollen. Die ist nicht wie sonst. Die Mutterinstinkte machen sie sehr angriffslustig, wenn sie meint, ihren Kindern würde was passieren."
"Wenn du meinst", sagte Belisama, die eher verärgert war als sich darüber Gedanken zu machen, daß sie sich schutzlos einem aggressiven Raubtier auslieferte, wenn sie dessen Junge bedrohte. Sie raffte ihren blaßblauen Rock soweit, daß sie sich ohne ihn zu beschmutzen hinknien konnte. Julius kniete bereits mit auf dem Rücken verschränkten Armen und sprach auf Goldschweif ein, daß ihr niemand die Kinder wegnehmen oder denen wehtun wollte. Belisama betrachtete die kleinen Fellkugeln, die unbeholfen mit den kurzen Beinchen herumschlenkerten. Eines der Jungen versuchte bereits, sich aufzurichten und stand für zwanzig Sekunden auf wackeligen Beinen.
"Oh, die haben ja schon krallen", sagte sie und dann: "Ach, das ist das Mädchen."
"Du kannst den kleinen Unterschied sehen?" Fragte Julius und blickte aufmerksam auf den Hinterleib des gerade stehenden Babykniesels. Dann nickte er.
"Dafür das die erst zwei Wochen auf der Welt ist will die es aber schon wissen. Hoffentlich läuft die nicht weg, solange die augen noch geschlossen sind."
Goldschweif hörte es wohl und ergriff das Junge mit ihren Vorderzähnen vorsichtig im Genick und trug es in den Rundbau zurück.
"Lass die Hände bloß auf dem Rücken, Belisama!" Flüsterte Julius, weil es in den Armen der Mitschülerin zuckte. Dann hörten sie rasche Schritte von hinten und schraken zusammen.
"Was um alles in der Welt ist in Sie gefahren, ...!" Rief Professeur Armadillus und stürmte auf die beiden Schüler zu.
__________
Julius will das Weibchen wohl nur nehmen, wenn sie meine Jungen gesehen hat. Ich zeige sie ihm. Nein, die soll sie nicht anfassen. Die könnten schmutzig werden! Julius versteht mich und sagt ihr was. Jetzt knicken sie ihre Hinterpfoten nach hinten um und werden kleiner. Sie legen ihre Vorderpfoten hinter sich. Ja, so können sie meinen Jungen nichts tun. Oh, mein Weibchenjunges versucht, sich hinzustellen. Sie ist ja schon stark! Ja, sie steht da. Das junge Weibchen Belisama erkennt, daß es mein Weibchenjunges ist. Es will wohl laufen. Doch das geht nicht. Es kann noch nicht sehen. Ich nehme es und bringe es schnell wieder zurück in meine Schlafhöhle, wo das Nest ist. Oh, Aries Armadillus kommt. Er will doch nicht etwa meine Jungen wegnehmen! Er ruft den beiden jungen Menschen was zu. Ich laufe sofort los, hinaus aus der Höhle. Ja, er beugt sich herunter. Sein Haargeflecht vor dem Gesicht ist wohl fest gegen meine Krallen. Aber sein Kopf ist nur von seinem eigenen Kopffell bedeckt. Ich springe aus dem Lauf los und schreie ihn an:
"Du läßt meine Kinder in Ruhe!" Dann habe ich ihn am Kopf. Er schreit vor Schmerz auf, weil ich meine Krallen in sein Kopffell schlage und kräftig daran zerre. Er wirft sich herum. Ich halte mich fest. Dabei reißt was von seinem Kopffell ab und Blut kommt aus dem Kopf.
"Goldi, lass ihn!" Ruft Julius laut und sehr voller Angst. "Goldi du tust ihm weh! Lass ihn!"
"Du fasst meine Kinder nicht an!" Schreie ich Armadillus an, der nun wild vor Schmerz herumtobt und versucht, mich von seinem Kopf zu schlagen. Doch ich halte mich fest. Wieder reißt was von seinem Kopffell aus. Da trifft ihn laut singend die Kraft und macht, daß er nicht mehr toben kann. Er bleibt einfach stehen.
"Goldi, ist gut jetzt! Der kann deinen Kindern nichts tun!" Ruft Julius. "Geh von ihm weg und bring deine Kinder zurück!" Ich knurre noch böse, daß der Mensch meine Jungen wegnehmen wollte. Doch die Kraft die ihn festhält macht, daß er sich nicht bewegen kann. Ich springe zurück auf den Boden und laufe zu meinen Jungen. Schnell trage ich sie alle rein. Dabei höre ich, wie Julius mit Aries Armadillus spricht, sehr verärgert.
__________Julius wollte den Lehrer noch warnen, weil der sich zu ihnen hinunterbeugte, da flog bereits ein laut schreiendes Bündel wehrhafter Mutterinstinkte aus dem Eingang heraus über die knienden Jugendlichen hinweg und landete gezielt auf dem Kopf des Lehrers, wo sich Goldschweif sofort festkrallte. Armadillus erschrak und schrie vor Schmerzen und versuchte, das aufgebrachte Tierwesen vom Kopf zu schlagen. Dabei riss es ihm einige Stücke Kopfhaut heraus, ließ aber nicht los. julius stand erst wie vom Donner gerührt. Dann rief er Goldschweif zu, sie solle ihn lassen, weil sie ihm wehtue und er ihren Kindern nichts tun wolle. Dann überlegte er, ob er sie schocken sollte. Doch damit könnten sich ihre Krallen erst recht im Kopf des Lehrers verhaken. Außerdem wollte er, daß sie ihre Jungen wieder reintrug und sie nicht draußen herumlagen, als leichte beute für jede Eule oder einen rivalisierenden Knieselkater. So belegte er Armadillus mit dem Bewegungsbann, den er mittlerweile wortlos wirken konnte. Dann sprach er ruhig aber laut auf Goldschweif ein, die knurrte, er Armadillus wolle ihre Kinder wegnehmen. Doch dann löste sie ihre blutigen Krallen und sprang auf den Boden. blitzschnell aber keineswegs brutal griff sie ihre noch im freien liegenden Jungen und schaffte sie in den Bau zurück.
"Tut mir verdammt Leid, Professeur Armadillus. Aber das war die einzige Möglichkeit, sie von ihnen wegzukriegen", sagte Julius laut, während Belisama leicht zitternd neben ihm stand und die klaffenden Wunden auf dem Kopf des Lehrers ansah. Julius löste den Bewegungsbann von ihm. Durch die Maske aus Akromantulafäden war nicht zu erkennen, was der Lehrer nun fühlte. Doch als der wild vor Schmerz und Wut brüllte: "Sofort in mein Büro, Andrews und Lagrange! Das wird ein Nachspiel haben!" Wußten beide, was die Stunde geschlagen hatte. Doch Julius straffte sich und sagte sehr entschieden:
"Ich verstehe, daß Sie uns jetzt gerne hunderte von Strafpunkten verhängen und vielleicht unsere Entlassung fordern wollen. Aber vorher sollten sie sich behandeln lassen. Goldschweif hätte Sie beinahe skalpiert."
"Sagen Sie mir nicht, was ich zu tun habe, Andrews!" Polterte Armadillus. Leises Knurren aus der Höhle verhieß nichts gutes. Goldschweif kam heraus, den Rücken zum Buckel gekrümmt und den Schweif, dem sie ihren Namen verdankte drohend hin und her pendelnd.
"Julius, wir sollten nicht hier stehenbleiben", zischte Belisama leicht zitternd. Julius nickte.
"Soll ich Madame Rossignol in ihr Büro bestellen oder Sie zu ihr hinbringen, Professeur Armadillus?"
"Ich kann mich selbst versorgen", knurrte Armadillus. "Fürsolche Fälle bin ich ja auch ausgebildet, Sie verantwortungsloser Bursche."
"Moment, Professeur, bei allem respekt, den verantwortungslosen Burschen lasse ich nicht auf mir sitzen", begehrte Julius ungewohnt entschlossen auf. "Ich rufe Madame Rossignol, wenn wir vor dem Gehege sind, damit die sich Ihre Wunden ansieht. Die können Sie selber gar nicht so gründlich behandeln."
"Zu der unverantwortlichen Gefährdung Ihrer Person und der von Belisama Lagrange wagen Sie noch, meine Entscheidungen zu kritisieren und meine Kompetenz zu verleugnen? Das ist grobe Insubordination, Andrews! Dafür werden Sie morgen die Schule verlassen!" Rief Armadillus. Goldschweif federte nervös mit ihren Beinen durch. Julius sagte nun sehr kühl:
"Wenn Sie meinen, dann kann ich ja noch einen draufsetzen." Er hielt dem Lehrer seinen Zauberstab entgegen und dachte "Maneto!" Wie schockgefroren verhielt der Lehrer mitten in der Bewegung. "Mobilicorpus!" Rief Julius. Nun wurde der Lehrer wie mit unsichtbaren Stricken an Armen und Beinen gezogen angehoben und drehte sich, der Bewegung des Zauberstabs folgend. Dann lief Julius los, Belisama hinter ihm her. Goldschweif rief ihm noch nach:
"Der soll nie wieder herkommen!"
"Toll, das Raubtier hat gezeigt, daß es dem Menschen überlegen ist", knurrte Julius verbittert. "Ein Zirkuslöwe würde erschossen, wenn er einen Menschen derartig angreift."
"Der hat das doch herausgefordert", wimmerte Belisama zwischen Angst und Verbitterung gefangen.
"Mich einen verantwortungslosen Burschen zu nennen", knurrte Julius verärgert. "Das klären wir heute noch. Und wenn ich morgen hier den abflug mache, dann will ich das klargestellt haben, was wirklich passiert ist."
Vor dem Knieselgehege setzte Julius den bewegungslos gezauberten Lehrer ab, dessen Kopf mittlerweile unter einer unappetitlichen Haube aus halbflüssigem Blut lag. Belisama wollte die Schulheilerin rufen. Doch Julius schüttelte den Kopf.
"Ich habe den Drachenmist zu verantworten. Dann werde ich das auch durchstehen. Aber ich möchte, daß du ihr und wem auch immer sagst, was wirklich gelaufen ist."
"Dann mach, bevor er verblutet", knurrte Belisama etwas verstimmt. Julius rief über sein Pflegehelferarmband die Heilerin.
"Madame Rossignol, es hat einen bösen Zwischenfall beim Knieselgehege gegeben. Professeur Armadillus ist von Goldschweif am Kopf verletzt worden. Kommen Sie bitte zu uns!" Sagte Julius.
"Wie kam denn das?" Fragte die Heilerin, deren räumliches Abbild vor Julius schwebte und deren Stimme wie auf sachten Wellen getragen aus dem Armband klang.
"Das möchten wir gerne erzählen, wenn die Verletzungen behandelt wurden, Madame", sagte Julius nun sehr gefaßt. Vielleicht, so dachte er, würde er morgen schon weit fort von hier sein, ohne Zauberstab und ohne Besen. Dann müßte er seine Mutter fragen, ob sie noch in Paris bleiben wollte oder nicht besser mit ihm anderswo hinziehe, wo weder die Zaubererwelt noch die Muggelwelt was von ihm wußten. Er würde dann doch eine gewöhnliche Schule besuchen, die zwei Jahre oder so nacharbeiten, die ihm für eine normale Schulausbildung fehlten und ...
"Ich bin in einer Minute da. Still die Blutung! Hast du Reinigungsmittel dabei?"
"Ja, Madame", sagte Julius. Dann verschwand das räumliche Abbild.
"Lentavita!" Rief Julius mit auf Armadillus weisendem Zauberstab. Nun würden alle Prozesse im Körper des Lehrers mit einem Zehntel der üblichen Geschwindigkeit ablaufen und der Blutverlust dadurch so gut wie gestoppt werden. Eine Minute später erschien die Schulheilerin und besah sich die Verletzungen.
"Hatte er keine Kopfbedeckung außer dieser Gesichtsmaske?" Fragte die Heilerin sehr verunsichert. Julius schüttelte den Kopf. "Das ist wohl mehr als unzureichend", schnaubte sie und zog die Maske vom Gesicht des Lehrers, das in einer kreidebleichen Masske aus Schmerz und Verärgerung eingefroren wirkte. Dann hantierte sie mit dem Zauberstab herum, wischte erst alles angetrocknete Blut vom Kopf und aus den Haaren und besah sich die tiefen Fleischwunden. Sie wiegte ihren Kopf als wolle sie eine schwere Last davon abstreifen. Dann vollführte sie rasch und routiniert die Zauber, die tiefe Fleischwunden beseitigten, bis sie beinahe nahtlos verschlossen waren. Nur die kahlen Stellen, die Goldschweifs Krallen gerissen hatten, zeigten, wo die Verletzungen stattgefunden hatten. Die Heilerin ließ sämtliche Haare des Lehrers ausfallen, prüfte noch einmal, ob noch irgendwelche kleineren Verletzungen vorhanden waren, reinigte und heilte diese und ließ dann neues Haar wachsen, wie Aurora Dawn es einmal bei Belisama hatte wachsen lassen, als ihr Haar von einem wild gewordenen Feuerwerkskörper angekokelt worden war. Der ganze Vorgang dauerte keine zwei Minuten. Dann löste sie erst die Körperverlangsamung und dann noch den Bewegungsbann. Sofort schnaubte Armadillus was von sofortigem Schulverweis für Julius Andrews und Belisama Lagrange und daß die beiden bloß gleich abreisen sollten. Doch Madame Rossignol gebot ihm mit einer Handbewegung zu schweigen. Dann sagte sie befehlsgewohnt:
"In fünf Minuten seid ihr beiden bei mir im Krankenflügel. Sie, Professeur Armadillus, begleiten mich sofort dorthin!"
"Ich denke nicht, daß Sie mir Befehle erteilen können, Madame", sagte der Lehrer aufbegehrend.
"Dann sollten Sie sich an die Schulregeln erinnern, die Sie sowohl als Schüler als auch als Lehrer zu lesen bekommen haben, Professeur Armadillus. Da steht auch drin, daß die mit den Aufgaben der magischen Heilung und Pflege kranker oder verletzter Personen auf dem Gelände der Beauxbatons-Akademie betraute Fachkraft befugt ist, alle notwendigen Schritte zu unternehmen, um die Gesundung der ihr anvertrauten Patienten zu gewährleisten und deren dazu notwendigen Anweisungen unabhängig vom Rang des Patienten zu befolgen sind. Im Klartext heißt das, daß ich nicht nur Schülern sagen kann, was sie zu tun haben, sondern auch Ihnen vom Lehrkörper, ja sogar Madame Maxime, falls diese durch einen Unfall oder eine Erkrankung meiner Hilfe bedarf. Offenbar haben Sie diese Schulregel vergessen, Professeur. Da Sie im Moment noch mein Patient sind, unterliegen Sie meinen Anweisungen."
"Da Sie mich gerade vorbehaltslos geheilt haben bin ich nicht mehr Ihr Patient und unterliege also auch nicht mehr Ihren Weisungen, Madame Rossignol", konterte Professeur Armadillus. "Ich werde jetzt in mein Büro gehen, und die beiden da mitnehmen. Dort selbst werde ich Professeur Trifolio und Professeur Faucon zu mir bitten und ihnen die Angelegenheit berichten und ihnen vorschlagen, die sofortige Entlassung zumindest von Monsieur Andrews zu beschließen. Also!"
"Erstens gehört zu einer Behandlung auch immer eine Anamnese, ob vorher oder nachher, und die habe ich noch nicht beendet. Insofern sind Sie immer noch mein Patient, bis ich meinen Bericht über den Vorfall fertiggestellt habe und sie als geheilt entlassen kann. Also folgen Sie mir unverzüglich, bevor ich Sie erneut immobilisieren und transportieren muß, Monsieur!"
"Sie genießen das, nicht wahr? Sie kosten es aus, daß Sie hier eine Ausnahmestellung bekleiden, wie?" Fauchte der Lehrer. Da traf ihn ein erneuter Bewegungsbann.
"Wie gesagt, in fünf Minuten in meinem Büro. Ich veranlasse, daß eure Hauslehrer auch da sind", sagte die Heilerin unmißverständlich verärgert und transportierte ihren Patienten ab, wie Julius es eben noch getan hatte.
"Denkst du, wir fliegen beide raus?" Fragte Belisama Lagrange verängstigt.
"Wenn dann nur ich", sagte Julius verbittert. "Andererseits geht der Typ dann wohl auch. Der hat den Salat doch selbst angerührt, weil er so hektisch auf uns zukam und sich gebückt hat. Goldschweif hätte sich sonst in seinem Gesicht festzukrallen versucht und wäre ihm vielleicht nicht an den Skalp gegangen."
"Den was?" Fragte Belisama.
"Den Skalp, die Kopfhaut, Belisama. So heißt das in Geschichten aus dem wilden Westen Amerikas, wo die Indianer früher die Kopfhaut ihrer Feinde abgeschnitten und sich an den Gürtel gebunden haben, um zu zeigen, wie stark sie waren. Irgendwann haben dann noch die weißen Kolonialherren angefangen, Prämien für so wortwörtlich abgezogene Indianer feindlicher Stämme zu verteilen, womit diese grausame Methode noch wilder durchgezogen wurde."
"Ist ja echt fies, was in der Muggelwelt so gemacht wurde", erwiderte Belisama angeekelt. Dann fragte sie ob Julius Angst hatte, rauszufliegen.
"Sagen wir es so, wenn ich hier rausfliege war alles umsonst, was ich hier gemacht und erlebt habe, das Lernen, Quidditch, daß meine Mutter umgezogen ist und vor allem der Tod meines Vaters und der ... der von Claire."
"Mist, das wollte ich doch nicht", versetzte Belisama nun sichtlich erschüttert und begann zu weinen. Julius schluckte heftig. Das wollte er nicht, daß Belisama jetzt am Boden zerstört war, weil er ihr Goldschweifs Kinder gezeigt hatte. Er setzte eine beruhigende Miene auf und sprach sanft zu ihr, daß er das nicht hatte sagen wollen.
"Ich habe dich gefragt", schniefte Belisama, "und du hast ehrlich geantwortet." Dann fiel sie ihm in die Arme, und er hielt sie einfach fest, sicher und geborgen. Sie weinte hemmungslos drauf los. Er sagte erst einmal kein Wort, weil ihm keins einfiel. Erst als sein Pflegehelferarmband zitterte und er auf seiner Uhr ablas, daß sie fast zu spät kämen, erschrak er und sagte zu Belisama, daß sie nur noch dreißig Sekunden bis zu den befohlenen fünf Minuten hatten. Sie erschrak und lief ihm hinterher, auf das am nächsten liegende Wandstück in der Palastmauer zu, das mit dem Wegesystem der Pflegehelfer verbunden war. Genau eine Sekunde vor Ablauf der 5-Minuten-Frist erschienen beide im Sprechzimmer der Schulheilerin. Belisama sah noch etwas verweint aus, und Julius Umhang war getränkt mit Tränenflüssigkeit. Außer Madame Rossignol und dem mürrisch dasitzenden Professeur Armadillus hatten sich noch der hochgewachsene Professeur Trifolio und Professeur Faucon eingefunden, die die beiden Schüler sehr ernst anblickten, als wollten sie ihnen gleich sagen, daß sie bei Sonnenaufgang hingerichtet werden sollten. Dann erschien noch Madame Maxime im Sprechzimmer. Das Tribunal war vollständig.
"So, Mademoiselle Lagrange und Monsieur Andrews, wir haben gerade gehört, was Professeur Armadillus gegen Sie vorgebracht hat. Demnach haben Sie beide in unverantwortlich leichtsinniger Weise vor der Behausung des gerade Junge säugenden Knieselweibchens Goldschweif gekniet, ohne die angemessene Schutzkleidung zu tragen und vor allem ohne dazu befugt zu sein", sagte Professeur Faucon. "Wessen Idee war es, sich so ungeschützt der Gefahr auszusetzen, von dem Muttertier lebensgefährlich verletzt zu werden?"
Julius überlegte, ob er jetzt die ganze Schuld auf sich nehmen sollte, als Belisama bereits sprach: "Wir standen am Gehege, Professeur Faucon. Da kam Goldschweif und setzte sich bei Julius auf die Schulter. Ich habe ihn dann gebeten, sie zu fragen, ob ich mir ihre Jungen ansehen kann. Er fragte sie und sie führte uns hin und trug sie raus. Sie hatte nur Angst, ich könnte sie ihr wegnehmen. Da hat Julius gesagt, wir sollten die Arme auf dem Rücken verschränken und nur kniend hinsehen. Das ging gut, ohne daß wir angegriffen wurden. Dann kam Professeur Armadillus und rief uns zu, was uns einfiel. Wir wollten ihm sagen, daß wir nichts gemacht hätten, als Goldschweif auf seinen Kopf sprang und ihm die schlimmen Verletzungen beibrachte, die Madame Rossignol behandeln mußte. Das war meine Idee, die Jungen zu sehen und Julius hat mir nur geholfen, daß ich sie sehen konnte, ohne Goldschweif zu reizen."
"Sie sehen so aus, als wollten Sie dem nicht zustimmen, Monsieur Andrews", sagte Madame Maxime sehr kalt. "Wie hat es sich Ihrer Wahrnehmung nach zugetragen?"
Julius vergaß es, die Schuld nur auf sich zu nehmen. Er sagte nun aus, wie er den Vorfall erlebt und was Goldschweif gesagt und gerufen hatte. Er sagte auch aus, daß es seine Idee war, die Arme auf dem Rücken zu verschränken, um Goldschweif nicht zu provozieren, weil sie beide ja keine Schutzhandschuhe anhatten. Das sei auch gut gelaufen, bis Professeur Armadillus aufgetaucht sei und von Goldschweif angegriffen wurde, die nur ihre Jungen verteidigen wollte.
"Der Bengel hat mich bewegungslos gemacht anstatt dem Kniesel den Schockzauber zu verpassen", schnaubte Professeur Armadillus. Julius nickte und sagte:
"Sie waren in Panik, Professeur. Ich mußte dafür sorgen, daß weder Sie noch Goldschweif verletzt würden, weil die Knieseljungen ohne die Mutter verhungern würden. Wenn ich Goldschweif geschockt hätte, hätte sie ihre Krallen in Ihrer Kopfhaut verkrampft und wäre nicht zu lösen gewesen, ohne ihr die Krallen abzuschneiden und diese dann aus Ihrer Kopfhaut zu entfernen. Oder sie wäre heruntergeschleudert worden und womöglich beim Aufprall tödlich verletzt worden. Blieb also nur, Sie zu immobilisieren und Goldschweif dazu zu bringen, freiwillig von Ihnen abzulassen, was ja auch funktioniert hat, Professeur Armadillus."
"Sie hätten Sich dem Tier nicht nähern dürfen, Andrews!" Schnaubte der Fachlehrer für magische Geschöpfe. "Wo kommen wir hin, wenn Schüler sich eigenmächtig unvorhersehbaren Gefahren aussetzen?"
"Das ist zwar eine berechtigte Frage, Professeur Armadillus, aber Ihr Verhalten zeugt auch nicht gerade von Übersicht und Kompetenz", warf Madame Rossignol ein. Madame Maxime räusperte sich zwar energisch, mußte aber zustimmend nicken. Professeur Trifolio fragte Belisama:
"Sie sagen also, es sei Ihre Idee gewesen, Monsieur Andrews dazu zu bewegen, dem Knieselweibchen zu sagen, es möchte Ihnen seine Jungen zeigen?"
"ja, stimmt, Professeur Trifolio", antwortete Belisama ungewohnt entschlossen. Julius verzog zwar das Gesicht, weil sie sich so vor ihn stellte. Er hätte ja sagen können, daß er ihre und seine Unversehrtheit nicht riskieren dürfe. Aber die Zutraulichkeit von Goldschweif hatte ihn davon abgebracht.
"Sie haben also keine aggressiven Anzeichen von Goldschweif bemerkt, die Sie davon abgebracht hätten, Mademoiselle Lagrange zu der Wohnbehausung zu führen?" Fragte Professeur Faucon den ihrem Saal zugeteilten Schüler.
"Goldschweif kam zu mir, und als ich sie fragte, ob wir ihre Jungen sehen dürften hat sie klar angesagt, daß wir sie sehen aber nicht anfassen dürften. Dann hat sie uns hingeführt und die Jungen rausgeholt. Das hätte sie bestimmt nicht getan, wenn wir für sie eine Gefahr dargestellt hätten. Professeur Armadillus hat ja selbst sehen können, wie sie die drei, die bei seinem Eintreffen noch im Freien waren hineingetragen hat."
"Sie unterstellen einem Tierwesen mehr Vernunft und Bedacht als Sie selbst gezeigt haben", schnaufte Armadillus, von dessen Verletzungen überhaupt nichts mehr zu sehen war.
"Zum Punkt eins! Sie waren es doch, der mir erklärt und uns dann im Unterricht oft genug verdeutlicht hat, daß Kniesel eine gewisse Intelligenz besitzen, also schon in gewissen Grenzen entscheiden können, was sie tun oder lassen sollen. Zum anderen kenne ich alle Warnzeichen, die ein Kniesel zeigt, bevor er angreift, sofern es sich nicht um eine grundweg böswillige Person handelt. Ich habe sowohl das was sie mir gesagt hat als auch ihre Körperhaltung und Gesten genau beachtet. Deshalb haben Mademoiselle Lagrange und ich uns ja auch mit nach hinten verschränkten Armen hingekniet, um ihr zu zeigen, daß wir nicht angreifen wollen. Sie war ganz ruhig und hat uns ihre Jungen betrachten lassen. Ihre neugeborene Tochter ist sogar schon aufgestanden. Ich habe gelernt, wilden Tieren gegenüber sehr vorsichtig zu sein und genau aufzupassen, ob sie ruhig oder angriffslustig sind. Wenn Goldschweif durch uns zu irgendwas gereizt worden wäre, hätte ich sofort den Rückzug angetreten. Aber da war nichts dergleichen. Wir hätten gewartet, bis Goldschweif ihre Jungen wieder in Sicherheit gebracht hätte und hätten uns dann ganz langsam und ruhig zurückgezogen."
"Wie lange wart ihr denn vor der Höhle?" Fragte Madame Rossignol mit ernster Betonung. Belisama sagte was von zwei Minuten, Julius sagte was von drei Minuten. Madame Maxime sah beide nacheinander an und fragte dann sehr eindringlich:
"Ist keinem von Ihnen eingefallen, sich bei Professeur Armadillus die Erlaubnis einzuholen?"
"Das ist wahr, das haben wir nicht", sagte Julius. Belisama erwiderte dazu:
"Wozu, Madame Maxime. Wenn Goldschweif uns freiwillig ihre Jungen zeigt und wir aufgepaßt haben, daß sie nicht denkt, wir wollten denen was ..."
"Immerhin anständig, zuzugeben, hier ohne Genehmigung gehandelt zu haben", sagte die Schulleiterin kalt wie ein Dolch. Dann sah sie Professeur Armadillus an und sagte: "Finden Sienicht, daß Sie etwas zu hektisch und aggressiv reagiert haben, Aries? Außerdem war die von Ihnen angelegte Schutzbekleidung wohl mehr als unzureichend, nachdem was Madame Rossignol mir berichtet hat. Gehen Sie mit dieser spärlichen Ausrüstung immer an die säugenden Kniesel heran?""
"Das Gesicht und die Hände zu bedecken reichte bisher immer aus", erwiderte Armadillus. "Eine komplette Schutzbekleidung war danach vollkommen unnötig, Madame Maxime." Die Schulleiterin sagte dazu nur:
"Nun, Sie ersuchten mich und die Saalvorsteher der betroffenen Schüler, den sofortigen Verweis von der Akademie zu erteilen. Im ersten Moment war ich gewillt, diesem Vorschlag zuzustimmen. Aber jetzt möchte ich erst einmal vor ort prüfen, ob die beiden Schüler die Wahrheit gesagt haben. Bitte bleiben Sie, die Sie gerade hier sind, solange in diesem Raum, bis ich wieder zurückkehre!" Sie erhob sich von den drei Stühlen, auf denen sie gesessen hatte und verließ tief gebückt das Sprechzimmer und Büro der Schulheilerin.
"Was soll das heißen, sie will die Wahrheit vor Ort prüfen?" Fragte Belisama Julius. Dieser ahnte es, durfte es aber nicht laut aussprechen. Professeur Faucon sagte nur:
"Indem sie sich ansieht, wo genau wer von Ihnen gestanden hat. Es gibt Zauber, mit denen nachträglich die Spuren von Ereignissen gelesen werden können. Mehr müssen Sie nicht wissen, Mademoiselle. Sein Sie froh, wenn Sie und Monsieur Andrews nicht doch von der Akademie verwiesen werden."
"Was heißt hier nicht doch, Blanche. Ich gehe davon aus, daß Madame Maxime nicht umhin kommt, die beiden von der Schule zu weisen, insbesondere Monsieur Andrews, der ja wohl alle hier maßlos enttäuscht hat."
"Das lasse ich nicht auf mir sitzen", protestierte Julius. "Wenn Madame Maxime meint, ich sollte aus Beauxbatons raus, dann gehe ich. Aber ich habe mich nicht verantwortungslos verhalten."
"Halten Sie den Mund, Monsieur Andrews, wenn Sie nicht wollen, daß ich Ihnen einen Sprechbann auferlege", drohte Armadillus. Professeur Faucon räusperte sich und sagte energisch:
"Es steht ihm frei, sich zu verteidigen. Schlußendlich werden Madame Maxime und wir befinden, ob er verantwortungslos gehandelt hat und der Schule zu verweisen ist."
"Sie unterstützen sein renitentes Verhalten, Blanche? Das hätte ich Ihnen am aller wenigsten zugetraut", lamentierte der Lehrer für Zaubertierkunde.
"Er hat zugegeben, Sie nicht um Erlaubnis gebeten zu haben, das Knieselgehege zu betreten, Aries. Alles andere muß daran gemessen werden, was wahrhaftig geschehen ist, und dies prüft Madame Maxime gerade nach", sagte Professeur Faucon sichtlich gereizt. Dann meinte sie noch, daß in wenigen Minuten wohl klar sei, was los war. Julius, der nichts mehr zu verlieren wähnte fragte Professeur Armadillus ruhig aber interessiert:
"Wieso hat Goldschweif gerufen, Sie wollten ihr ihre Jungen wegnehmen? Haben Sie das schon einmal gemacht?"
"Taceto!" Antwortete Armadillus mit blitzartig hervorgezogenem Zauberstab. Julius fühlte etwas heißes auf seinen Körper treffen. Doch im nächsten Moment hielt Madame Rossignol ihren Zauberstab in der Hand und deutete auf Julius, wobei sie "Verbaloqui!" murmelte. Julius saß nun ruhig da. professeur Faucon fragte nun noch einmal, ob das stimme, daß Professeur Armadillus einmal an Junge von Goldschweif gegangen sei. Der Lehrer straffte sich angriffslustig und wollte Julius erneut mit dem Sprechbann belegen. Doch sein Kollege Trifolio drückte ihm mal so eben die Zauberstabhand hinunter.
"Da Sie immer noch mein Patient sind muß ich Ihnen wohl die Frage stellen, Professeur Armadillus", mischte sich nun auch Madame Rossignol ein. "Haben Sie zu irgendeiner Zeit Exemplare aus dem Wurf einer Knieselin, insbesondere Goldschweif XXVI. angerührt oder gar fortgenommen?"
"Sie werden mir nicht in meine Maßnahmen reinzureden versuchen, Florence", knurrte Armadillus. Julius fühlte, er hatte in ein Wespennest gestochen. Besser, er hatte den Quaffel aus der eigenen Hälfte unhaltbar durch einen gegnerischen Torring geschossen.
"Der zweite Wurf von Goldschweif war nichts wert, weil sie damals von einem Kater belegt wurde, welcher uns als zehnzwölftel-Kniesel untergeschoben wurde. Mein Vorgänger hatte offenbar keine Ahnung von Knieseln und hat sich für die Schule einen Kater andrehen lassen, der zu zehn Zwölfteln ein Ordinärkater ist, also in zehn von zwölf Vorfahren nur zwei reinrassige Kniesel enthielt. Da dies die seit Gründerin Eauvive geforderte Beachtung der Vorgabe, alle zwölf Kniesel einzukreuzende Ordinärkatze verwässerte, sah ich mich verpflichtet, die Jungen zu beseitigen, als Goldschweif gerade auf Jagd ging, weil ich vorher nicht an sie gekommen wäre. Das ist jedoch schon zehn Jahre her und wurde von mir nicht allgemein weitergegeben, weil ich nicht wollte, daß die Disziplin in der Akademie darunter litt, wenn Schüler hörten, daß Goldschweifs Junge getötet werden mußten, um die hohen Zuchtauflagen zu erfüllen."
"Ich hoffe jedoch, daß Sie den Vorfall protokolliert haben", sagte Professeur Faucon unerwartet verärgert.
"Ja, natürlich, für das Zuchtbuch und die Tierwesenbehörde, um deren Zuchtverzeichnis auf den aktuellen Stand zu bringen. Den betreffenden Kater habe ich danach in private Hände gegeben und auf eigeninitiative einen anderen Knieselkater angeschafft, der die Anforderungen erfüllte, Rattenschreck."
"Dann ist die Sache doch glasklar", grummelte Julius. "Die hat das irgendwie mitgekriegt, daß sie ihr die Jungen weggenommen haben und das nicht vergessen, wie ein Elefant auch nicht vergisst, wenn ihm jemand in den Rüssel piekt."
"Junger Mann, Sie werden außerhalb der Akademie wohl genug Gelegenheit haben, zu lernen, daß es Sachen gibt, die ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse niederer Lebensformen getan werden müssen und längst nicht alles schön ist, was einem an Aufgaben auferlegt wird", sagte der Tierwesenlehrer.
"Ich freu mich drauf", knurrte Julius aufbegehrend. Professeur Faucon erlegte ihm dafür zehn Strafpunkte auf.
Dann kehrte Madame Maxime zurück und sah Professeur Armadillus sehr ernst an. "Ich konnte feststellen, daß Monsieur Andrews und Mademoiselle Lagrange die volle Wahrheit gesagt haben. Goldschweif hat sich ihm sehr zutraulich gezeigt und keine aggressiven Verhaltensweisen gezeigt, die auf eine Gefahr hindeuteten. Hinterhältig sind diese Tiere ja nicht. Auch daß er seine Mitschülerin angehalten hat, sich hinzuknien, weil sie sich erst unvorsichtig zu den Jungtieren hinunterbeugen wollte trifft zu. In der Zeit hat es keine aggressive Handlung der Schüler oder des Tierwesens gegeben, bis Sie hinliefen, Aries. Ja, und der Angriff erfolgte auch nicht gegen die Schüler. Sie haben sich zu hektisch, ja wütend der Behausung genähert. Das mußte das Muttertier alarmieren und zu einer Defensivaktion veranlassen. Was Ihre unzureichende Schutzkleidung angeht, so weiß ich beim besten Willen nicht, woher Sie haben, daß Ihre Ausrüstung ausreichte, wo ich selbst vor dreißig Jahren mitbekam, wie ein Schüler in wahrlich unverantwortlicher, ja boshafter Weise einen Kniesel provoziert hat. Ich ging ernsthaft davon aus, Sie seien ein kompetenter Gelehrter auf dem Gebiet magischer Tierwesen."
"Ich hatte bisher keinen Anlaß, vollständige Schutzkleidung anzulegen, Madame und ...", begehrte der Lehrer für magische Tierwesen auf. Doch Madame Maximes schwarze Augen funkelten ihn an wie glühende Kohlen.
"Ihrer Forderung nach sofortigem Schulverweis von Monsieur Andrews kann ich daher nicht entsprechen. Das einzige, was ich tun kann und muß ist, gegen Monsieur Andrews und Mademoiselle Belisama Lagrange je einhundert Strafpunkte wegen unerlaubter Betretung eines Bereiches der mittleren Gefahrenstufe sowie eine noch zu beschließende Strafarbeit zu verhängen. Was die Aktionen gegen Sie angeht,Monsieur Armadillus, so hat sich Monsieur Andrews nicht renitent sondern in Befolgung seiner ihm zugewisenen Pflichten als Mitglied der Pflegehelfertruppe korrekt und verantwortlich verhalten."
"Sie wollen diesen selbstgefälligen Burschen, dem wir offenbar zu viel Freiraum eingeräumt haben, an der Akademie belassen, und diese gedankenlose junge Dame hier auch, die wohl versucht hat, den Jungen hier um den Finger zu wickeln?" Protestierte Armadillus. Julius mußte sich arg beherrschen, nicht zu grinsen. Sicher, hundert Strafpunkte und eine noch zu beschließende Strafarbeit wogen heftig. Aber wenn er Madame Maxime eben richtig zugehört hatte, hatte sie Armadillus gerade nur als Monsieur angesprochen, nicht als Professeur oder mit seinem Vornamen. Was mochte das wohl heißen?
"Madame Maxime, ich fürchte, der Vorfall mit dem Muttertier Goldschweif beruht auf einer Maßnahme, die der Kollege Armadillus vor zehn Jahren nach eigenem Gutdünken durchführte. Wie der Kollege Trifolio, Madame Rossignol und ich bezeugen können, beseitigte er vor zehn Jahren einen kompletten Wurf besagter Knieselin, weil dieser von einem den Zuchtvorgaben nicht entsprechenden Kater gezeugt worden sein soll. Mir war bis zum jetzigen Zeitpunkt nichts darüber bekannt", sagte Professeur Faucon. Julius mußte seine Selbstbeherrschungsformel denken, damit er nicht doch grinste. Madame Maxime hatte es schon angedeutet, und Professeur Faucon machte es nun sehr wahrscheinlich. Eisiges Schweigen erfüllte für zehn Sekunden das Sprechzimmer. Dann sprach Madame Maxime leise, aber kalt wie der Weltraum:
"Mir ist eine derartige Maßnahme nicht bekannt, und bisher ging ich davon aus, daß ich als amtierende Schulleiterin über alle Maßnahmen auf dem Gelände der Beauxbatons-Akademie informiert zu werden habe, ob sie nun unmittelbar meiner Weisung unterliegen oder auf Initiative eines Fachkollegen durchgeführt werden. Gerade im Bezug auf die Queue-Dorée-Linie würde ich mich an alle züchterischen Maßnahmen erinnern, wo ich als Schülerin Zeugin der Geburt von Goldschweif XXIV. wurde und mich bescheiden als eine gut vorgebildete Amateurin auf dem Gebiet der Knieselforschung bezeichnen darf. Stimmt das, was Professeur Faucon gerade vorgebracht hat?"
"Ich wollte den Ruf der Schule wahren, die sich damals einen ungeeigneten Kniesel hat unterschieben lassen und auch die Atmosphäre an der Akademie nicht vergiften, weil ich nicht wollte, daß die Schüler denken, wir würden wahllos junge Kniesel töten", sagte der Fachlehrer. "Allerdings habe ich die Maßnahme protokolliert und auch die Tierwesenbehörde informiert."
"Dann erstaunt es mich wahrhaftig, daß die dortigen Beamten nicht zurückgefragt haben, wo denn bitte meine Unterschrift auf den entsprechenden Protokollen zu finden sei, wie es bei allen gemeldeten Maßnahmen auf dem Gelände der Beauxbatons-Akademie vorgeschrieben ist. Am besten begleiten Sie mich sofort in mein Büro. Nein, ich begleite Sie, Monsieur Armadillus. Das garantiert mir, daß ich die betreffenden Pergamente einsehen kann und endgültige Gewißheit über die Richtigkeit meines Entschlusses erlange."
"Moment, Madame, soll das heißen, Sie kündigen mir?" Brauste Armadillus auf.
"So ist es", antwortete die Schulleiterin so kalt wie eben. "Also begleiten Sie mich in Ihr Büro!"
"Mit welcher Begründung wollen Sie das rechtfertigen?" Fragte Armadillus.
"Grob fahrlässiger Umgang mit Schuleigentum, versäumnis der Informationspflicht, fachliche Inkompetenz sowie der Versuch, eigenes Verschulden auf Schüler der Akademie abzuwälzen, zuzüglich noch wegen vorangegangener Fehler, die ich im letzten Jahr notieren mußte, als das Knieselweibchen Goldschweif XXVI. zweimal entwichen ist, sowie der völlig unrichtig eingeschätzte Zustand der Abraxarietenstute Calypso vor und nach der Walpurgisnacht", sagte Madame Maxime.
"Ich mache von meinem Widerspruchsrecht gebrauch, daß mir laut Vertrag gewährt wird", sagte Armadillus. Doch Madame Maxime hörte es wohl nicht. Sie winkte dem zukünftigen Ex-Lehrer und bugsierte ihn durch die Tür hinaus. Im Hinausgehen wandte sie sich unter großen Anstrengungen, sich nicht Kopf und Schultern zu stoßen an die beiden Schüler: "Über Zeitpunkt und Art der von Ihnen abzuleistenden Strafarbeit werde ich persönlich befinden und Sie rechtzeitig genug schriftlich in Kenntnis setzen. Gute Nacht, Mademoiselle und Monsieur!"
Die Tür fiel zu, und die Schritte der Halbriesin und des bald nicht mehr hier lehrenden Zauberers entfernten sich.
"Ich gehe davon aus, daß Sie beide den Anstand und die Größe haben, die Ihnen gegenüber ausgesprochene Strafe widerspruchslos anzunehmen", sagte Professeur Faucon sehr ernst. Belisama und Julius nickten schwerfällig. Das reichte der Lehrerin jedoch nicht. "Ich möchte, daß Sie sich dazu äußern, Mademoiselle Lagrange, Monsieur Andrews!"
Julius atmete hörbar ein und aus und sagte dann gefaßt und laut: "Ich nehme die Strafe an."
"Ich nehme die Strafe auch an", sagte Belisama etwas leiser.
"Gut, dann können wir uns empfehlen. Am besten kehren Sie in ihre Säle zurück", sagte die Saalvorsteherin der Grünen und nickte Professeur Trifolio zu. Dieser erhob sich von seinem Platz und verließ den Krankenflügel, nachdem er Belisama und Julius eine gute Nacht gewünscht hatte. Dann ging auch Professeur Faucon, die den beiden noch einen strengen aber anerkennenden Blick zuwarf.
"Oh, schon Viertel nach zehn", sagte Julius nach einem Blick auf seine Uhr. Die Heilerin nickte und holte zwei kleine Pergamentzettel hervor und schrieb beiden eine Begründung für das verspätete Eintreffen in den Sälen aus.
"Debbie wird mich fragen, was mich geritten hat, mir die Knieseljungen anzusehen", grummelte Belisama. Julius nahm seinen Zettel für Giscard Moureau und nickte. Belisama verschwand durch die Wand. Als Julius es ihr nachtun wollte hielt die Heilerin ihn am rechten Arm zurück.
"Ich verstehe vollkommen, daß du gerne allen zeigst, wie gut du mit Goldschweif klarkommst, Julius. Aber beim nächsten Mal holst du dir bitte eine Erlaubnis ein, wenn du Leute zu ihr führen willst! Außerdem möchte ich dir für dein konsequentes Handeln gegenüber Monsieur Armadillus zwanzig Bonuspunkte geben, weil du eine wichtige Entscheidung gegen die dir hier auferlegte Unterordnung getroffen hast, weil die Situation es gebot und für einen Heiler oder Pflegehelfer die Situation über allen Hierarchien rangiert. Er hat mich damit bestürmt, daß er sich ja selbst auch hätte heilen können und so weiter. Aber bei den Verletzungen wäre ein einfaches Wundenschließen nicht genug gewesen. Ich mußte ihm ja noch einen Antisepsis-Trank geben, um zu verhindern, daß von mir nicht mehr zu beseitigende Giftstoffe und Keime sein Blut vergifteten. So, und jetzt sieh zu, daß du in deinen Saal kommst. In einer Viertelstunde ist deine Bettzeit!"
Julius wünschte Madame Rossignol noch eine gute Nacht und wandschlüpfte in den grünen Saal, wo Giscard schon auf ihn wartete. Er drückte ihm den Zettel in die Hand. Giscard las ihn und sah ihn leicht verstimmt an.
"Ihr habt euch mit Professeur Armadillus und Madame Maxime angelegt wegen Goldschweif?"
"Ich habe nur einen kleinen Fehler gemacht, weil ich dachte, es wäre kein Problem, wenn ich mir mit Belisama Goldschweifs Junge ansehe, solange ich aufpasse, daß wir sie nicht anfassen. Hätte ja auch geklappt, wenn Monsieur Armadillus nicht überhektisch und wütend herangepoltert wäre und Goldschweif ihn als Bedrohung eingestuft hätte. Die hätte den fast skalpiert, öhm, Haut und Haare vom Kopf gerupft. Das hatte natürlich ein Nachspiel bei Madame Rossignol. Na ja, jetzt habe ich hundert Strafpunkte wegen unerlaubten Betretens eines Bereiches mittlerer Gefahrenstufe auf dem Konto und muß machen, was Madame Maxime mir als Strafarbeit hinknallt, damit ich nicht doch noch den Abflug mache wie Monsieur Armadillus."
"Bitte was?" Fragte Giscard nun perplex. "Professeur Armadillus wird doch nicht echt gefeuert? Was willst du mir denn da jetzt unterjubeln?"
"In Ordnung, dann warte es ab, ob er morgen noch am Lehrertisch sitzt und ob Madame Maxime was dazu sagt oder nicht!" Sagte Julius. "Ich mache mich schon mal bettfertig.
"Besser ist das, wenn du keine weiteren Strafpunkte kassieren willst", schnarrte Giscard, der sich wohl leicht verladen vorkam.
Nachdem Julius seinen Schlafsaalmitbewohnern die Sache geschildert hatte meinte Hercules Moulin:
"Tja, die Maxime trägt ihm das wohl nach, daß sie auf der schwangeren Stute keine so gute Figur gemacht hat, abgesehen davon, daß der Typ wohl oft bei Goldschweif danebengegriffen hat. So'n Zuchtlinienkrempel kläre ich doch sofort, wenn ich irgendwo anfange, bevor irgendwelche ungewollten Kinder in die Welt gesetzt werden."
"Tja, wie du es bei Bernie gemacht hast", feixte Gérard Laplace.
"Gleich ziehe ich dir noch eins über", blaffte Hercules. Robert meinte zu Julius:
"Und, war sie die hundert Strafpunkte wert?"
"Wer, die Sache, Goldschweif oder die Entlassung von Armadillus?" Fragte Julius schlagfertig.
"Belisama Lagrange meine ich. Jetzt fühlt die sich dir bestimmt verpflichtet", sagte Robert.
"Die hat auch hundert Strafpunkte und eine angedrohte Strafarbeit an der Backe. Die fühlt sich mir gegenüber nicht verpflichtet. Die ärgert sich nur, daß sie die Idee hatte, Goldschweifs Jungs und das Mädel zu sehen. Aber immerhin hat uns Goldschweifs jüngste Tochter schon gezeigt, daß sie wohl bald laufen kann."
"Wenn die Professeur Armadillus wirklich feuern, weil der danebengehauen hat, wen könnten wir dann kriegen, Culie?" Fragte Gaston Perignon.
"Weiß ich das? Nachher wird's noch mein Vater oder die Tante von Millie Leichtfuß. Ach neh, die Backt ja gerade zwei Brötchen. Die kommt dann bestimmt nicht nach Beaux", sagte Hercules Moulin.
"Und wenn's dein alter Herr ist kriegen wir dann bessere Noten?" Fragte Gérard grinsend.
"Der ist ein Schreibtischtyp. Der geht doch nicht los und liefert sich 'ner Masse aus Leuten wie mir aus", knurrte Hercules Moulin.
"Die Maxime hat das Fach doch damals 'ne Zeit lang gegeben, wo die noch keine Schulleiterin war", meinte Robert. "Vielleicht spart die die Neuanstellung und bringt euch selbst was bei."
"Dann schmeiße ich aber den Krempel hin", knurrte Gérard. "Die als Lehrerin wäre das hinterletzte", sagte Gérard. Hercules meinte, daß die dafür doch keine Zeit habe und schon wen anderen anheuern würde.
"Bei der nächsten Stunde wissen wir das", sagte Gaston. Robert meinte dazu nur:
"Oder die werfen das Fach ganz aus dem Stundenplan. Kann auch passier'n."
"Das ist zu wichtig", widersprach Hercules. "Wenn das Ding mit Goldschweif eins zeigt, dann wie wichtig das ist, über Zaubertiere genug zu wissen. Aber wenn deine Süße dich nicht davon überzeugen konnte werde ich das auch nicht schaffen."
"Ey, pass ja auf, Süßer, daß du morgen noch feste Nahrung zu dir nehmen kannst. Mir liegt dieses Viehzeug eben nicht, klar?"
"Armadillus auch nicht", feixte Gaston. Julius schwieg zu dem Geplänkel. Ihn trieb was anderes um: Welche Strafarbeit würde Madame maxime ihm verpassen?
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Am nächsten Morgen gebot Madame Maxime Ruhe und sprach zu den Schülern: "Mesdames, Mesdemoiselles et Messieurs vom Lehrkörper, sowie Schülerinnen und Schüler unserer altehrwürdigen Akademie von Beauxbatons. Gestern abend ereignete sich ein Unfall mit einem auf unserem Gelände beherbergten Tierwesen, der zum Teil auf unbefugtes Betreten des betreffenden Geheges einer Schülerin und eines Schülers der vierten Klasse, jedoch zum Großteil durch ein mir bis dahin kaum vorstellbares Maß an Inkompetenz des bisherigen Fachlehrers für den Umgang mit magischen Tierwesen verschuldet wurde. Nach Prüfung der Lage verblieb mir die traurige Pflicht, den beteiligten Schülern Strafpunkte und anstehende Strafarbeiten aufzuerlegen und den bisherigen Fachlehrer für allgemeine Magizoologie, Professeur Aries Armadillus mit sofortiger Wirkung aus seinem Dienst zu entlassen." Ein Raunen und Tuscheln setzte ein. Madame Maxime klatschte einmal in die Hände, daß es wie ein Gewehrschuß von den Wänden des Speisesaales widerhallte. "Sie und ich dürfen den internationalen Ausbildungsgesetzen danken, daß die relevanten Zwischen- und Abschlußprüfungen von auswärtigen Fachkräften durchgeführt und von einer unabhängigen Kommission ausgewertet werden, weil ansonsten eine Revision aller Abschlüsse im Fach allgemeine Magizoologie der letzten zwölf Jahre nötig gewesen wäre, da ich erkennen mußte, einen in elementaren Fragen der Tierwesenhaltung unzureichend gebildeten Lehrer beschäftigt zu haben. Die durch den nötigen Weggang entstehende Personallücke, sowie der dadurch drohende Ausfall an Unterrichtsstunden in diesem oftmals in seiner Wichtigkeit unterschätztem Fach verpflichten mich dazu, solange keine kompetente Fachkraft gefunden wird, den Unterricht höchstpersönlich zu erteilen." Ein Betroffenes Schweigen erfüllte den Saal. "Das heißt, die Schüler, die heute in der ersten Doppelstunde allgemeine Magizoologie haben möchten sich wie üblich vor dem Klassenzimmer einfinden. Und wagen Sie es nicht, darauf zu setzen, ich wüßte nicht, wer alles dieses Unterrichtsfach gewählt hat! Ich habe sämtliche aktuellen Schülerlisten von Monsieur Armadillus erhalten."
Der Saalsprecher der Violetten hob die Hand. Madame Maxime erteilte ihm das Wort.
"Ich möchte nicht Ihre Kompetenz und Flexibilität anzweifeln, Madame Maxime. Aber können Sie das mit Ihrer Position als Schulleiterin vereinbaren, zeitlich meine ich natürlich?"
"Ich könnte jetzt sagen, daß Sie dies gefälligst meine Sorge sein lassen möchten. Aber ich kann Sie alle beruhigen, daß die Organisation unserer Akademie nicht darunter leiden wird, wenn ich pro tempore den Unterricht in diesem Fach übernehme. Immerhin haben sich aus der jetzigen dritten Klasse nur vier Schüler dafür entschieden und aus den UTZ-Klassen nur noch die Schüler der obersten Klasse dieses Fach belegen. Insofern bin ich etwas unbelasteter als die Hauptfachlehrer, die aus den Klassen eins bis sieben Schüler zu unterrichten haben. Außerdem sollten Sie sich alle daran erinnern, daß vor zwei Jahren, wo ich mit zwölf Damen und Herren aus Ihren Reihen dem trimagischen Turnier in Hogwarts beiwohnte, meine mitarbeiterin, Professeur Faucon meine Amtsgeschäfte genauso gründlich führte wie den Unterricht." Professeur Faucon nickte zustimmend. Das reichte den Schülern aus. "Ich erwarte also die jungen Damen und Herren aus der Zag-Klasse um Punkt acht Uhr vor dem Vorbereitungsraum! Also frühstücken Sie nun zügig aber reichlich!"
"Boing! Die macht das echt. Danke schön, Julius", knurrte Gérard Laplace.
"Ey, komm, die kann doch voll was drauf haben", verteidigte Hercules die Entscheidung der Schulleiterin. Dann meinte er zu Julius: "Lass dich nicht dummquatschen. Schlimmer als sie jetzt schon ist kann die nicht mehr werden."
"Den Spruch "Schlimmer geht immer" hast du bestimmt noch nie gehört, Culie", knurrte Gérard.
"Ey, du reißt das Maul ziemlich weit auf, Gérard. Steht deine Sandrine neuerdings auf Kastraten, oder will deine Mutter lieber 'ne Tochter haben?"
"Kastrieren? Gute Idee, Hercules. Hast ja eh keine Verwendung mehr für deinen Familienschmuck, seitdem Bernie doch nur lieber Bücher hat."
"Das klären wir beide nachher noch in aller Ruhe", knurrte Hercules. Julius hielt sich wohlweißlich geschlossen. Er hoffte nur, daß die beiden ihm nicht die Schuld daran gaben, daß sie nun in diesen völlig blödsinnigen Streit reingeraten waren. Robert meinte:
"Wenn ihr euch duellieren wollt klärt das ohne uns."
"Duellieren tun wir uns nicht, Robert. Hast doch gehört, daß der kastriert werden will", sagte Gérard. Hercules meinte dazu:
"Lern schon mal die Sopranstimmen für den Schulchorauftritt am Elternsprechtag. Vielleicht kriege ich ja raus, wie Contrarigenus geht oder mach den van Minglern mit dir."
"Hercules, das ist nicht komisch", schnarrte Robert Deloire. "Die Faucon brät dich dafür am Spieß, bevor sie dich rauswerfen wie den."
Julius bedankte sich in Gedanken bei Robert. Denn der Scherz, den Jasper van Minglern mit ihm und Belle abgezogen hatte war nicht zum Lachen gewesen. Doch Gerard grinste darüber nur und meinte:
"Contrarigenus hätte einen Vorteil. Ich müßte nicht mehr mit dir im selben Schlafsaal wohnen. Muß dann nur aufpassen, daß du dich nicht in mich verknallst, wenn du Rock und Bluse anziehst."
Julius zwang sich, nicht hinzuhören. Auch als Hercules ihm zuflüsterte, ob der wüßte, wie der Contarigenus-Fluch ginge, tat er so, als höre er es nicht. Robert schlug vor, das Thema zu wechseln. Immerhin würde am Samstag das Spiel der Blauen gegen die Roten stattfinden. Doch Hercules und Gérard zankten weiter. Da wurde es Julius doch zu viel und er sagte laut:
"Jungs, ihr langweilt. Außerdem sind letztes Jahr schon zwei Jungs aus der Schule geflogen. Denen geht's bestimmt saudreckig jetzt. Wenn ihr meint, ihr müßtet auch den Abflug ohne Besen machen, dann bitte!"
"Das sagt gerade der, der uns diesen Unsinn eingebrockt hat, die Maxime im Unterricht zu haben", knurrte Gérard. Hercules sprang Julius sofort bei und sagte:
"Nur du meinst, die brächte es nicht. Sonst denkt das hier keiner. Oder hast du Angst, sie könnte deiner Maman erzählen, wie schwach du in dem Fach bist?"
"Ey, meine Mutter läßt du gleich aus dem Spiel, sonst darf deine dich morgen abholen."
"Was mich stört verschwinde! ..." Julius dachte diese Worte immer wieder und auch, daß da nur zwei Halbstarke waren, die sich durch lautes Anblaffen imponieren wollten. Aber wenn er daran dachte, wie Camille Dusoleil ihre Tochter Claire aus Beauxbatons geholt hatte, wo er nicht dabei gewesen war, überkam ihn eine immer größere Wut. Die beiden zankten darum, wer den Contrarigenus-Fluch konnte? Wenn die nicht bald aufhörten, würde er beide mit dem Infanticorpore-Fluch belegen, auch wenn er dafür rausflöge. Doch nein, die beiden und vor allem ihr Geschwätz waren das nicht wert. Sie waren es nicht wert!
Giscard Moureau kam herüber. Die verärgerten Mienen der beiden Klassenkameraden, ihre Körperhaltung und teile dessen, was er trotz des Tischdurchmessers hatte aufschnappen können zwangen ihn als Saalsprecher, einzuschreiten.
"Jungs, was immer war und worum es ging. Ihr seid jetzt gefälligst wieder friedlich! Ihr habt euch beiden gezeigt, wie stark ihr sein könnt wenn ihr wollt. Schluß jetzt!"
"Ey, du findest das doch nicht etwa toll, daß Julius uns die Maxime als Lehhrerin eingebrockt hat, oder?" Fragte Gérard.
"Ach darum geht's. Hercules findet es interessant, daß Madame Maxime unterrichtet, weil er weiß, wie kompetent sie ist und auch mal größere Tiere vorführt. Außerdem hat Julius euch die nicht eingebrockt, sondern Monsieur Armadillus. Da der aber nicht mehr hier ist, hat dein Genöle keinen Sinn mehr, Gérard", erwiderte Giscard überlegen lächelnd. "Madame Maxime hätte ihn ja nicht entlassen müssen, wenn Julius alleine für den Schlamassel verantwortlich wäre. Hättest besser richtig hinhören sollen. Oder hast du dir den Dreck von gestern nicht aus den Ohren gewaschen? Kann ich mal eben nachholen."
"Ja, ist ja gut, Giscard, spul dich jetzt nicht so wild auf!" Versetzte Gérard.
"Dafür muß ich dir leider fünf Strafpunkte geben, Gérard Laplace", sagte Giscard. Dann zog er sich an seinen Tisch zurück.
"Diese Brosche ist verflucht. Die verdirbt jeden, der sie trägt", schnaubte Gérard. Doch mehr wagte er nicht mehr zu sagen.
Julius ging davon aus, auf der Hut vor Gérard sein zu müssen. Doch im Laufe des Tages kühlte dessen Zorn ab, weil ihn die Unterrichtsstunden so heftig forderten, daß er zum Ärgern keine Zeit hatte. Auch am Abend kam nichts nach. Hercules meinte zwar mal zu Julius, daß Gérard wohl Bammel hatte, sich bei der Maxime zu blamieren, sagte dann aber, daß er wegen dem Muttersöhnchen bestimmt nicht von der Schule fliegen wollte. Als Gérard dann in den Schlafsaal kam sah er sichtlich geknickt aus. Er ging auf Julius zu. Dieser rechnete jetzt mit soetwas wie einem Schlag ins Gesicht oder einem Tritt vors Schienbein, doch Gérard sagte kleinlaut:
"Man hat mir geraten, mich bei dir zu entschuldigen, weil ich heute morgen gemeint habe, du hättest uns die Kiste mit der Maxime eingebrockt. Da ich keine Lust habe, mich mit der Person, die mich dazu auffordert zu verkrachen, tue ich das hiermit."
"Ich nehme deine Entschuldigung an, Gérard. Ich habe ja auch einen gewissen Teil zu dem Drachenmist dabeigetan", sagte Julius ruhig und gab Gérard die Hand. Dabei dachte er daran, wer dem Jungen so zugesetzt haben konnte. War es seine Mutter, die Arithmantiklehrerin? Oder war es ... Nein, Sandrine konnte das unmöglich gewesen sein! Die war doch eher sanft wie ein Lamm. - Aber er hatte sie auch schon ganz anders kennengelernt. Kennengelernt? Kannte er sie denn wirklich? Konnte dieses Mädchen vielleicht zu einer Furie werden, wenn es sich ärgerte? Gérard kannte sie bestimmt besser als er. Aber er hütete sich davor, ihn zu fragen.
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Als sie endlich die erste Stunde in praktischer Magizoologie bei Madame Maxime hatten stellte sich heraus, daß sie zwar sehr viel strenger als Armadillus war, aber dafür auch wußte, wie sie die Schüler für etwas begeistern konnte. Sie führte Hippogreife vor, wie ihr gefeuerter Vorgänger es eh vorgehabt hatte. Sie nahm sich eine Viertelstunde zeit, um den Schülern zu erklären, was sie beim Umgang mit diesen Tieren zu beachten hatten. Vor allem den Jungen schärfte sie ein, sich nie näher als eine Länge dieser Tiere anzunähern, bevor sie sich nicht vor ihnen verbeugt und sie dabei ohne zu blinzeln angesehen hätten. Ihre Größe, die sie zum Unterricht nicht in feines Satin sondern in grobes Segeltuch in Jägergrün gehüllt hatte, sowie ihre Ausstrahlung machten, daß niemand etwas sagte, der nicht gefragt wurde. Hercules und Julius kamen als erste an die Reihe. Sie schafften es, ihre Hippogreife dazu zu bringen, sich vor ihnen zu verbeugen. Dann durften sie auf ihnen reiten. Für die beiden Quidditchspieler war es ein total anderes Gefühl als das Reiten auf Besen. Als sie nach einer Minute wieder landeten stiegen sie etwas bedröppelt ab.
"Sie sehen, Messieurs, daß der Ritt auf einem flugfähigen Zaubertier ziemlich anstrengend sein kann. Dabei haben Sie nicht einmal versucht, den Flug Ihrer Tiere zu steuern, sondern sich nur, wie ich Sie angewiesen habe, auf dem Rücken gehalten. Danke für die mutige Demonstration! Wer möchte, kann nun gleichfalls den Ritt auf einem Hippogreif versuchen", sagte Madame Maxime. Mildrid Latierre zeigte auf, ebenso Bernadette Lavalette. Madame Maxime erteilte erst Millie das Wort.
"Heißt es nicht, daß Hippogreife zwar treue Gefährten werden aber dafür auch leicht wütend werden können? Ich denke, es gibt da umgänglichere Reittiere." Alle grinsten. Bernadette, die ihre Hand noch oben hatte kicherte sogar.
"Nun, da Sie sich auch zu Wort gemeldet haben, Mademoiselle Lavalette, können Sie mir und Ihren Mitschülern sicherlich verraten, was Sie daran so amüsiert", sagte Madame Maxime.
"Nun, ich wollte fragen warum Hippogreife noch so verbreitete Reittiere sind, wo doch die weißen Flügelmaultiere bei uns gezüchtet werden. Mildrid meint mit umgänglicheren Reittieren ja diese Riesenkühe, die ihre Verwandten züchten. Aber das sind ja keine Reittiere, weil sie ja zum reiten zu groß sind."
"Ach, und das belustigt sie, Mademoiselle Lavalette?" Fragte Madame Maxime. Bernadette gefror das überlegene Grinsen. Dafür grinste nun Millie. "Was die Maulesel angeht, Mademoiselle Lavalette, so sind es eben Maulesel, stur, so gut wie unlenkbar und daher nur für Leute mit starkem Charakter und Geduld zu handhaben. Was die Latierre-Kühe angeht, auf die die sie züchtende Familie wohl mit Recht sehr stolz ist, so werden sie nicht als Reittiere bezeichnet, sondern wie alle anderen zum Transport von Zauberern und Lasten fähigen Tierwesen als Transporttiere bezeichnet. Aber auch sie lassen sich nicht von Jedermann lenken. Die erfolgreiche Haltung und Führung dieser Tiere ist das Ergebnis eines jahrelangen Prozesses, bei dem die betreuenden Personen sich eine Vorrangstellung erarbeiten müssen, die selbst durch die imposante Größe der Tiere nicht in Frage gestellt wird. Ich weiß, daß mein Vorgänger gerne mit weit verbreiteten Tieren gearbeitet hat, sondern vor allem solche Tiere vorführte, die schon seit mehreren Jahrhunderten bekannt sind. Wahrscheinlich wollte er Ihnen als nächstes einen unserer Abraxarieten vorführen. Aber ich werde mich darum bemühen, einmal eine Latierre-Kuh hierher zu bekommen. Das tue ich nicht, um jemanden aus der Klasse hier Vorteile einzuräumen, sondern um zu zeigen, daß auch neuere Tierwesen gute Dienste leisten können. - So, und wer wagt jetzt noch die direkte Begegnung mit einem Hippogreif?"
Millie probierte es aus. Bernadette runzelte die Stirn, ging aber auch auf einen Hippogreif zu und verbeugte sich, bis dieser sich verbeugte. Doch reiten wollte sie ihn dann doch nicht. Millie hingegen erwies sich als Naturtalent im Reiten. Kerzengerade saß sie auf dem Tierwesen, glich alle Wackel- und Wippbewegungen aus der Hüfte heraus aus und schaffte es sogar, ihrem Tier, einem Exemplar mit dem Fell eines Fuchses und rotbraunem Gefieder, einige Richtungsänderungen abzuverlangen, ohne laut zu werden oder wild an ihm zu zerren. Auch Belisama traute sich auf einen Hippogreif und flog, wenngleich ihr Tier seine eigenen Wege flog, genauso hervorragend sitzend wie Millie. Am Ende der Doppelstunde waren die, die sich den Ritt auf dem Hippogreif zugetraut hatten gut erschöpft. Immerhin hatte es keine Verletzungen gegeben, was Julius als nicht selbstverständlich in Erinnerung hatte.
"Also dafür, daß es die Maxime war hat die Stunde echt Spaß gemacht", sagte Gérard Laplace. Er hatte auf einem weißen Hippogreif gesessen, der mit ihm beinahe elegant durch die Luft gesegelt war.
"Siehst du, war doch halb so schlimm", sagte Hercules. Julius konnte es sich nicht verkneifen, Millie und Belisama zu fragen, wo sie so gut Reiten gelernt hatten. Millie sagte:
"Das kommt, wenn du dein Leben lang lernst, auf einem fliegenden Tier zu sitzen. Irgendwann kriegst du rein, wie es sich bewegt und kannst das ausgleichen."
Gloria Porter, die ebenfalls einen Hippogreif bestiegen hatte meinte zu Julius:
"Daran sieht man, daß Malfoy ein unbelehrbarer Idiot ist. Wenn man das genau macht, was der Lehrer sagt, kommt man mit diesen Tieren gut klar."
"Habt ihr es von dem, mit dem meine Eltern um zwanzig Ecken verwandt sind?" Fragte Hercules verbittert. "Schon Mist, wenn so'n Typ im Gefängnis landet, weil der für Ihr-wißt-schon-wen gearbeitet hat." Gloria und Julius konnten dem nicht widersprechen.
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Julius wartete die ganze restliche Woche auf die angedrohte Strafarbeit. Es war der Samstag, an dem Blau gegen Rot spielte, als eine große Schleiereule vor seinem Frühstücksteller landete. Er öffnete den Umschlag und las einen Brief in einer sehr energischen Frauenhandschrift, die sehr groß und weitläufig war:
"Monsieur Julius Andrews,
hiermit werden Sie angewiesen am Samstag in zwei Wochen von acht Uhr morgens bis sechs Uhr abends die Wege und Pavillons in den Parks von Dreck zu reinigen und überstehende Äste und Blätter abzutrennen. Hierzu ist Ihnen der Gebrauch des Zauberstabes gänzlich untersagt. Sie werden mir sowohl den Zauberstab als auch ihren Flugbesen einen Tag vor Strafantritt übergeben und am Morgen des verordneten Tages genug Lebensmittelerhalten, um den Tag durchzustehen.
Madame Olympe Maxime"
Belisama hatte die Strafarbeit aufbekommen, die Bilder der allen zugänglichen Palasträume und Gänge zu entstauben und dabei bloß nicht den Pflegehelferschlüssel zu benutzen. Allerdings war sie schon nächsten Samstag an der Reihe.
"Hoffentlich gewinnen die Roten heute nicht so hoch", grummelte Hercules, als er neben Julius auf der Tribüne saß.
Tatsächlich sah es zuerst so aus, als würden die Roten die Blauen hoffnungslos in Grund und Boden spielen. Zwar schossen die Blauen drei Tore. Doch die Jäger der roten schafften 20 in einer halben Stunde. Dann sah Laertis Brochet den Schnatz und stürzte sich auf ihn. Die Sache schien ausgemacht. Die Roten würden 350 Punkte aus der Partie mitnehmen und ... Da schwirrte Corinne Duisenberg heran, wobei sie keck unter Sabine Montferre durchflog und warf sich herum, daß Brochet vor Schreck aus der Flugbahn geriet. Dann langte sie mit der linken Hand zu und zeigte den gefangenen Schnatz vor. Damit holten die Blauen die 150 Punkte und verkürzten den eben noch katastrophalen Rückstand auf nur 20 Punkte. Ein lautes Buhen setzte ein. Viele die nicht zu den Roten hielten sangen:
"Starke Jäger auf dem Platz,
hab'n die Roten.
Doch ihr fangt nie einen Schnatz,
ihr Idioten."
"Oh, das gibt gleich Megaärger", seufzte Julius, als sich Zuschauer aus dem roten Saal anschickten, die Spötter aus dem blauen, weißen und Violetten Saal zu verprügeln. Madame Maxime gebot jedoch sofort ruhe.
"Herrschaften, hier wird sich nicht gestritten. Wehe es wird einer bei Tätlichkeiten erwischt, werde ich ihn oder sie unverzüglich zum Putzdienst abkommandieren und alle Privilegien streichen lassen."
"Die klären das außerhalb des Palastes", sagte Julius. "Drinnen sind wir besser aufgehoben."
"Du meinst, weil die Bilder da alles überwachen können?" Fragte Hercules.
"Genau", sagte Julius.
Die Pflegehelfer bekamen am Nachmittag genug zu tun, weil einige der roten wohl welche von den Blauen und Violetten in den Parks zum Duell stellten. Madame Rossignol sagte zu ihren Mitarbeitern:
"Wehe, ich kriege raus, daß einer von euch sich daran beteiligt hat. Dann bleibt der oder diejenige für die nächsten fünfzig Schülergenerationen hier bei mir im Krankenflügel."
Julius ärgerte sich darüber, daß die wilde Duelliererei in den Parks viel Klaubholz verursachte, daß er dann wohl übernächsten Samstag wegräumen mußte. Doch niemand verpfiff wer sich mit wem duelliert hatte. Madame Rossignol beseitigte die dabei entstandenen Schäden.
Am Montag im Kurs Verwandlung für fortgeschrittene übte Julius das Zeichnen von Gegenständen, die dann stofflich wurden. Mittlerweile klappte das gut genug, daß er eine komplette Sitzgruppe hinstellen konnte, die mehr als zwei Stunden vorhielt. Julius durfte eine kurze Pause machen. Die Montferres setzten sich zu ihm, nachdem sie ihre Selbstverwandlungsübungen beendet hatten. Sabine hatte noch die Barthaare eines Kaninchens, in das sie sich kurz vorher verwandelt hatte. Sandra beseitigte den Überrest von Nagetierdasein und meinte:
"Gut, daß es nur die Barthaare waren und nicht die Nagezähne, Schwesterchen. Aber deine Stühle sind echt bequem, Julius. Hast du es jetzt raus, wie du Sachen permanent beschwören kannst?"
"Zwei Stunden sind wohl auf jeden Fall drin", sagte Julius. Dann fragte er, ob sie nicht für das nächste Spiel einen neuen Sucher suchen wollten. Sabine meinte dazu:
"Brunhilde spinnt langsam. Sie meint, Laertis Brochet sei von Corinne unfair geblockt worden. Dabei hat die sich nur schnell herumgeworfen. Die will ihn halten, bis wir auch noch gegen euch den Schnatz verlieren sollten. Damit können wir den Pokal nur durch Torüberlegenheit gewinnen wie jetzt gegen die Blauen. Was vermutest du, wie die Partie Weiß gegen Gelb ausgeht?"
"Könnte sein, daß die Gelben wieder den Schnatz kriegen, bevor die von den Weißen mit Toren zugeballert werden. Aber im Moment schätze ich eher, daß die Weißen gewinnen", sagte Julius.
"Tja, wäre für Camus ziemlich finster, auch noch gegen die zu verlieren", feixte Sandra.
"Ich muß ja alle Parks ohne Zauberkraft saubermachen und die Wildwucherungen runterstutzen. Aber Dujardin ist schon ein besserer Sucher als Brochet."
"Gut, daß Brunhilde das jetzt nicht gehört hat", erwiderte Sabine leicht verstimmt. "Was die an dem gefressen hat weiß keiner. Millie sagt, die hat mit dem oder seinen Verwandten einen Handel, den die ganze Saison aufzustellen. Bruno hätte den spätestens nach dem Ding gegen die Gelben gebeten, was anderes zu machen", sagte Sabine. Dann fragte sie Julius, ob es ihm nach dem Ritual Ursulines noch gut gehe. Er nickte und sagte, er fühle sich jeden Morgen so voller Energie, als wäre er ein brodelnder Kessel kurz vorm Überkochen.
"Raphaelle hat gemeint, Millies mutterselige Oma hätte das mit dir angestellt, weil sie dich als Ehekandidaten für Patricia oder eine der beiden Neuen von ihr haben wolle, wenn sie dich nicht mit Béatrice verbandeln würde."
"Och, nicht mit Martine oder Millie oder den Kraftpaketen, die ihre Tochter Barbara uns beschert hat?"
"Ich denke, sie möchte deine Schwiegermutter werden, und dann gingen nur Béatrice, die kleine Patricia, vielleicht Mayette oder die ganz kleinen, in denen du ja was von dir eingelagert hast und die sie dir in die Arme gelegt hat, um sich ruhig auf deine Füße zu hocken", antwortete Sabine auf die Frage.
Julius dachte wieder daran, was er mit Béatrice besprochen hatte. Er grinste, weil er sich nicht vorstellen mochte, daß Ursuline Latierre wirklich wollte, daß er mit einer ihrer Töchter zusammenkam. Das war doch so abwegig ... Außer bei Béatrice. Doch er sagte trotzig:
"Ich denke, dann hätten Catherine und Madame Antoinette Eauvive der schon die Hölle heißgemacht, was der einfiel, mich derartig vorzubuchen. Aber wieder zurück zu Brochet. Wenn der im nächsten Spiel auch keinen Schnatz fängt droht eurer Kapitänin doch an, zu streiken!"
"Wie bitte?! Wie war das?!" Fragte Sandra. Ihre einige Minuten ältere Schwester grinste überlegen. "Wenn wir das nächste Spiel wieder keinen Schnatz kriegen sollen wir das letzte Spiel im Jahr streiken? Das wäre ja das gegen euch. Na warte!" Sie zückte den Zauberstab und führte eine schnelle Bewegung gegen Julius aus. Es knallte, ein violetter Blitz schoss auf ihn zu. Er hatte keine Zeit mehr gefunden, einen Contramutatus-Zauber zu wirken. Doch außer einem Gefühl von einem elektrischen Schlag mittlerer Stufe passierte ihm nichts. Sandra blickte ihn verwundert an. Julius grinste.
"Ups, dann ist meine PTR wohl jetzt höher als vorher oder? Was wolltest du denn aus mir machen, wenn ich fragen darf?"
"Öhm, ein Kaninchen", sagte Sandra.
"Gut zu wissen, daß michd die Saalsprecher nicht in irgendwelches Viehzeug verwandeln können und ...uuurrg!" Julius konnte seinen Satz nicht ganz zu Ende sprechen, weil ihn unvermittelt das Gefühl von ihn innen durchknetender Kräfte überkam. Er spürte etwas wie ein Auflockern im Hals und bemerkte, daß er wohl wuchs, höher und an Hüfte und Oberkörper umfangreicher wurde. Sein Unterzeug spannte knisternd und riss. Schmerzhaft zwengte ihn nun ein viel zu kleiner Umhang ein. Ihn?
"Ach, wie ist denn das jetzt passiert?" Fragte Sandra sichtlich verwirrt. Sabine sah das was aus Julius geworden war, eine fast zwei Meter hohe, stämmig gebaute Frau mit rotblondem Haar und rehbraunen Augen.
"Was soll das bedeuten!" Schrillte Professeur Faucons Stimme. Dann fegte sie wie eine Furie heran. Mit einem wütenden Schlenker beschwor sie einen Wandschirm herauf, so daß der Rest der Kursteilnehmer außer den Montferres nicht mehr sehen konnte, was mit Julius passiert war.
"Wer hat das angerichtet und wieso?" Fragte sie nun halblaut, während hinter dem Wandschirm Getuschel ansetzte. Professeur Faucon rief deshalb laut: "Jeder und jede bleibt an dem Platz und wartet, bis ich den Wandschirm wieder verschwinden lasse! Zuwiderhandlung wird mit einer Woche in niederer Lebensform bestraft!"
"Öhm, Professeur, das war wohl meine Schuld", sagte Julius und erschauerte, weil seine Stimme nun ganz anders klang. Er glaubte fast, in Béatrice Latierre oder Martine verwandelt worden zu sein, denn ein Blick in das spiegelnde Glas seiner Uhr zeigte ihm, was für ein Gesicht er jetzt hatte.
"Neh, Professeur, meine Schuld war das", sagte Sandra und funkelte Julius tadelnd an, weil er für etwas die Schuld auf sich nehmen wollte, daß sie verbockt hatte. "Er hat über unsere Mannschaft und unseren Sucher hergezogen. Da ist mir der Zauberstab ausgerutscht! Ich wollte ihn nur für eine Minute in ein Kaninchen verwandeln und dann ..."
"Ich glaube, Mademoiselle Sandra Montferre, daß ich Sie nicht in diesen Kurs genommen habe, damit Sie wegen einer von vielen mehr oder weniger niveauvollen wenn leider auch zutreffenden Bemerkungen über den Sucher Ihrer Mannschaft gleich drauf los transfigurieren. Andererseits weiß ich, daß Sie die Mensch-zu-Tier-Heterotransfiguration beherrschen. Sie wollten also nicht, daß Ihr Partner sich gegen seinen Willen in meine ehemalige Mitschülerin Ursuline Latierre verwandelt?"
"Wahrscheinlich, weil sie einen Kaninchen-Zauber gebracht hat", grummelte Julius. Die Lehrerin hörte das jedoch und sagte energisch:
"Offenbar ist Ihr Humor nicht verwandelt worden oder hat sich dem der Person sofort angepaßt, deren jugendliches Erscheinungsbild sie gerade besitzen. Ein menschliches Kaninchen, wohl wahr."
"Öhm, ich wollte das nicht, Professeur Faucon", beteuerte Sandra erneut.
"Ich denke, mit einhundert Strafpunkten und einer Woche Putzdienst inklusive Bettpfannen im Krankenflügel sollten Sie nun die Lektion, daß längst nicht jede Verwandlungsabsicht das gewünschte Ergebnis erzielt gelernt haben. Sie haben also nicht an Ursuline Latierre gedacht?"
"Öhm, nicht bei dem Zauber selbst", sagte Sandra Montferre. Julius stand da, mit kaputten Sachen an und wieder einmal in einem anderen Körper.
"Aber irgendwie muß der Zauber ... Das vermaledeite Ritual", knurrte Professeur Faucon. Dann versuchte sie eine Zauberei. Doch sie wirkte wohl nicht. Danach sprach sie laut und bestimmt mit denselben Zauberstabbewegungen die Formel für den Reverso-Mutatus-Zauber aus. Es krachte einmal. Dann fand sich Julius in seinem angestammten, wenn auch durch den Zeitpaktzauber zwei Jahre älter als er war aussehendem Körper wieder.
"Das ist das erste Mal seit vierzig Jahren, daß ich ddiesen Zauber wieder laut aussprechen mußte", knurrte Professeur Faucon. Dann vollführte sie erneute Zauberstabbewegungen. Es krachte, und an Stelle von Julius hockte ein schneeweißes Kaninchen auf dem Boden, das starr sitzen blieb. Noch einmal wirkte sie den Rückverwandlungszauber, diesmal ungesagt. Diesmal wirkte er aber so, wie er sollte.
"Höchst informativ", sagte die Lehrerin, nachdem sie Julius' Kleidung mit Zauberkraft repariert hatte. "Offenbar ist Ihre Verwandtschaft mit der Sippe Latierre daran Schuld, die mit der in Ihrem Kameraden ohne seinen Wunsch eingelagerten Lebensessenz dieser zwanglosen Hexe Ursuline wechselwirkte. Trat die Verwandlung denn sofort ein, als Sie zauberten?" Fragte Professeur Faucon leise. Sandra schüttelte den Kopf. Julius meinte, daß er erst geglaubt habe, seine passive Transfigurationsresistenz sei so hoch geworden, daß man ihn nicht mehr verwandeln könne. Dann habe es in ihm gewirkt und gewalkt, und dann habe er gedacht, nun Martine oder Béatrice Latierre zu sein.
"Soso, einige Sekunden, die der Zauber und die durch das Ritual übertragene Kraft miteinander in Verbindung treten mußten. Die Rückverwandlung war ungleich schwerer als die beiden Folgeverwandlungen. Ich würde sie also dringend ersuchen, keine Verwandlungsexperimente mehr mit Ihrem Kameraden zu machen. Offenbar kann er dabei nur zu dieser Person werden, seinem körperlichen Alter entsprechend. Wie gesagt, Mademoiselle Sandra Montferre, Sie bekommen die einhundert Strafpunkte und eine Woche Putzdienst ohne Zauberkraft." Sandra nickte, während Sabine sie beruhigend ansah.
Als die Lehrerin den Wandschirm hatte verschwinden lassen und fortgegangen war flüsterte Julius: "Ihr könnt euch doch abwechseln. War auf jeden Fall mal was anderes als der übliche Übungstrott."
"Stimmt, Sandra", bemerkte Sabine grinsend. "Da ist die nicht drauf gekommen.
Julius fragte sich, ob er nicht auch einen Zwillingsbruder haben sollte, damit er die Strafarbeit besser erledigen konnte. Doch er hatte damals beim Putzen der Beauxbatons-Kutsche nicht gemurrt und würde es jetzt erst recht nicht, wo er einen kräftigeren Körper hatte. Schlimmer wäre es gewesen, wenn Professeur Faucon ihn nicht wieder hätte zurückverwandeln können. Dann wäre er lebenslänglich Ursulines fünfzig Jahre nach der Geburt erzeugter Klon geblieben. Auch keine tolle Vorstellung.
Die kleine Panne im Verwandlungskurs sprach sich schnell herum. Millie meinte einmal zu Julius:
"Ich habe einmal ein Bild von Oma Line gesehen, wo sie im sechsten Jahr war. War schon ein schönes Mädchen damals. kein Wunder, das die gute Professeur Faucon neidisch war, wo die körperlich noch was werden mußte, wie Oma Line erzählt hat."
"Von irgendwas muß diese ständige Nettigkeit zwischen deiner Oma und Professeur Faucon ja herkommen. Aber ich kann mir vorstellen, daß sie gut geschwitzt hat, als sie den Reverso-Mutatus-Zauber laut hersagen mußte. Wenn der nicht geklappt hätte, oha!"
"Dann hättest du ein Problem mehr. Denn meine Oma hatte seit der zweiten Klasse immer einen Partner zum Valentin und zur Walpurgisnacht. Das hättest du dann auch nachleben müssen, sonst wäre Oma Line beleidigt gewesen."
"tja, wenigstens hätte ich dann meine Ruhe vor dir", knurrte Julius genervt.
"Wieso. Ich hätte mit dir einkaufen gehen und dir was über anständige Klamotten beibringen müssen, damit du nicht blöd aufgefallen wärest. Von ihrer Hoheit, der Kronprinzessin Grandchapeau hättest du nichts gescheites in der Hinsicht gelernt, um tolle Jungs ranzuholen."
"Da geht dir jetzt einer ab, was?" Fragte Julius.
"Hmm, eigentlich nicht. Wäre heftig viel Arbeit geworden, aus dir eine echte Latierre-Hexe zu machen, weil das ja dann an mir hängen geblieben wäre und die anderen Verwandten von mir erwartet hätten, daß du auch ja so lebst wie sie vorher und nicht nur in der Bib sitzt."
"Dann bin ich ja doch froh, daß du mich nicht als große, kleine Schwester gekriegt hast."
"Du weißt doch bestimmt von der Kronprinzessin, deren Paradekörper du mal probebewohnt hast, daß der, der den Originalkörper hat, bestimmen kann, wie die Kopie in der Öffentlichkeit rüberkommt. Jeder Kuh ihr Kalb, deshalb."
"Dann wäre ich die geklonte Version deiner Oma gewesen, also deren Petrischalentochter und deine Retortentante", versuchte Julius, Millies derben Humor auszureizen.
"Das hätte Oma Line nicht so haben wollen. Die will Töchter, die ihr vor der Geburt in den Bauch treten und keine zusammengerührten oder zurechtgehexten Kinder wie in einigen Geschichten aus der Muggelwelt, die uns Marc Armand erzählt hat", sagte Millie. Julius erkundigte sich, wie die Latierres mit den Muggelstämmigen in ihrem Saal zurechtkamen. Millie meinte, das Marc wohl anfinge, mit Patricia rumzulaufen. Die anderen Jungs machen den zwar blöd an, was er mit 'nem Mädchen anfangen wolle. Aber Pat hat den gut eingespannt, vor allem im Körpertraining. - Alles ganz sittsam natürlich, bevor hier wieder wer rumtönt, wir würden nur an das eine denken."
"Bonbons?" Fragte Julius.
"Der ist gut", lachte Millie. Dann umarmte sie Julius flüchtig und ging fröhlich davon.
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Julius wußte schon, daß es anstrengend werden würde. Doch als er um neun Uhr im östlichen Park die Wege ohne Zauberkraft sauberfegte und das ganze Klaubholz in einen großen Tragekorb sammelte, wußte er, daß der Tag gerade angefangen hatte. Die Montferres hatten es tatsächlich versucht, sich bei der Arbeit abzuwechseln. Doch Professeur Fixus hatte einer von ihnen aufgelauert und festgestellt, daß es nicht Sandra sondern Sabine war, weil deren Gedankenausstrahlung ein klein wenig anders war, trotz Occlumentie, die die Siebtklässler in Beauxbatons im Verteidigungsunterricht gegen die Dunklen Künste lernten. Das hatte Sabine auch hundert Strafpunkte eingebrockt und jeden Tag drei Stunden Schuften bei Professeur Fixus. Dumm gelaufen!
"Jaaaa!" Hörte er weit entfernten Jubel vom Quidditchfeld. die Mannschaft der Weißen spielte gerade gegen die gelben. Er lauschte, für wen das Tor gefallen war. Doch offenbar war selbst die magisch verstärkte Stimme des Stadionsprechers zu leise, um bis zu ihm vorzudringen. Frustriert fegte er weiter. Zwischendurch hörte er erneuten Jubel und fragte sich, wer da Tore schoss, daß Leute so jubelten. Dann riss er sich zusammen und setzte seine Arbeit fort. Immerhin spielte er ja jetzt nicht mit und würde das Ergebnis ja auch später erfahren.
Nach einem anstrengenden Tag in den Parks holte er sich von Madame Maxime seinen Zauberstab und seinen Besen wieder ab. Er sagte, er wisse es jetzt, daß er immer fragen sollte, wenn er in das Knieselgehege gehen wolle. Da gab ihm Madame Maxime einen Pergamentzettel. Er blinzelte, las die Notiz noch einmal und sah dann mit großen Augen die Schulleiterin an. Sie nickte.
"Ich muß wieder einmal anerkennen, daß Sie sich allem stellen, was von Ihnen erwartet wird und anders als andere Jungen Ihres Alters doch sehr diszipliniert und verantwortlich sind. Daher habe ich, wo die von Goldschweif XXVI. geborenen Jungen nun die Augen geöffnet haben und von ihrer Mutter betreut herumlaufen beschlossen, Ihnen diese Vollmacht auszustellen, als amtierende Fachlehrerin für den praktischen Umgang mit magischen Tierwesen. Solange Sie mich darüber in Kenntnis setzen, wen Sie für die Ihnen hoffentlich konvenierende Aufgabe mitnehmen möchten, gilt sie bis auf Widerruf durch mich persönlich, unabhängig davon, ob ich bald einen neuen Fachlehrer oder eine Fachlehrerin für den von mir übernommenen Unterricht finde oder nicht."
Julius las noch einmal den Text auf dem Zettel:
Vollmacht
Hiermit erteile ich, Olympe Genevieve Laura Maxime, Direktrice der Beauxbatons-Akademie für Hexen und Zauberer in Frankreich, Monsieur Julius Andrews, derzeit Schüler der Klassenstufe vier, Bewohner des Saales grün, die Erlaubnis, jederzeit außerhalb der üblichen Saalschlußzeiten das auf dem Gelände der Beauxbatons-Akademie liegende Gehege für die schuleigenen Exemplare der Species Mysteriofelis rictavia Knieseli zwecks Betreuung und Erforschung der Aufzucht des am 1. Januar 1997 geborenen Nachwuchses des weiblichen Kniesels Goldschweif XXVI. aufzusuchen und dort zu verbleiben, solange seine schulischen und anderweitig angenommenen Verpflichtungen nicht darunter leiden. Es steht ihm frei, mir persönlich und / oder anderen einen schriftlichen Bericht über die Entwicklung der vier Jungen zu geben oder einen Mitschüler oder eine Mitschülerin nach vorhergehender Absprache mit mir oder seiner Saalvorsteherin Professeur Blanche Faucon bei diesen Besuchen mitzunehmen, sofern er sich dessen versichert, daß das betreute Muttertier und sein Nachwuchs weder verärgert noch unnötig belastet wird.
Diese Vollmacht gilt bis auf Widerruf durch mich persönlich.
Beauxbatons, 30.01.1997
Julius bedankte sich noch einmal sehr höflich und legte die Vollmacht in seinen diebstahlsicheren, feuerfesten und wasserdichten Brustbeutel, der alles, was in seine Öffnung hineinpasste auf ein Hundertstel seines Gewichtes und seiner Größe einschrumpfte, wodurch er zu einem sehr komfortablen Allzweckbehälter wurde, in dem er seine wertvollsten Sachen aufbewahrte, wie die große Flasche Antidot 999 von Aurora Dawn, seinen Gringotts-Verliesschlüssel und die Centinimus-Bibliothek mit allen bisher zusammengetragenen Büchern. Dann ging er erst gesittet aus dem Sprechzimmer der Schulleiterin und verließ durch das Transpictoralportal den Wohn- und Arbeitsbereich der Schulleiterin. Wieder im allgemeinen Teil des Palastes wandschlüpfte er erst in den grünen Saal, wo er Hercules die frohe Neuigkeit erzählte.
"Die und die Faucon wollten dich hier haben. Sie haben dir die Peitsche übergezogen, jetzt kommt wieder Zuckerbrot", knurrte Hercules. Doch er war nicht neidisch. Er sprach nur aus, was Julius eh schon wußte. Dann schmunzelte er.
"Willst du da nur mit Mädels wie Belisama oder anderen aus dem Pflegehelfertrupp hin oder darf ich die mir auch mal angucken?"
"Nur wenn du wie Belisama das machst, was ich sage, um Goldi nicht zu ärgern. Das ist ja das, was Armadillus verkehrtgemacht hat", sagte Julius. Hercules nickte.
So geschah es, daß Julius eine Woche später, am 6. Februar, bereits mit drei verschiedenen Leuten aus seiner Klassenstufe bei Goldschweif und ihren Jungen war. Nun hatten sich auch die Felltupfer entwickelt. Julius stellte zusammen mit Belisama Lagrange fest, daß das weibliche Jungtier äußerlich tatsächlich Goldschweif XXVI. ähnelte. Julius beschloß, es Goldschweif XXVII. zu nennen, zumindest aber Kleine Prinzessin, solange die Mutter noch in Beauxbatons wohnte.
"An und für sich muß die Mutter den Namen der Töchter auswählen", sagte Belisama. Goldschweif fragte Julius, ob das bei den Menschen so sei. Er bejahte es.
"Ich kann euch nicht davon abbringen, meine Jungen so zu nennen, wie ihr das wollt", sagte Goldschweif. Sonst müßte ich ja das Weibchenjunge Frühsteherin nennen und die Männchenjungen Immerhunger, Lautquieker und Springpfote Rufen."
"Klingt irgendwie auch putzig. Aber ich denke, den Wonneproppen, den du wohl Immerhunger oder Nimmersatt nennen würdest, nennen wir Leckermaul, den Dünnen Drahtbürste, weil sein Schwanzende so stachelig ist, wie was, das wir für wildes Kopfhaar brauchen und den kleinen, den du lautquieker rufen wolltest wegen seiner vielen Tupfer und dem pinselartigen Schwanz Leonardo. Das war ein Mensch der viele Bilder gemalt hat, also Farben auf Leinwände gebracht hat."
"So wie die Weltendinger, in denen wir drin waren?" Fragte Goldschweif. Julius wußte, daß er jetzt keine Antwort geben konnte, weil Belisama ihn ja immer noch verstand. Doch er dachte nach und fand eine Antwort.
"Genau wie das, was dir und mir geholfen hat, zu zeigen, warum du meintest, daß Claire meine Schwester gewesen sein soll."
"Claire kommt nicht mehr wieder", sagte Goldschweif leicht traurig. "Aber es gibt hier doch genug andere junge Weibchen. Irgendwann ist doch wieder ein Tag, wo du eine findest wie Belisama oder Millie oder die mit dem Ringelfell auf dem Kopf, Gloria."
"Irgendwann, Goldi. Irgendwann", seufzte Julius. Dann lauschte er auf das Getobe der vier Jungen, die nun, wo sie sehen konnten, mit tapsigen Schritten ihre neue Welt erkundeten. Noch verstand er ihre Sprache. Aber er wußte, daß es wohl im nächsten Monat damit vorbei sein würde, spätestens wenn sie von der Mutter entwöhnt waren.
"Nächste Woche ist Valentinstag, Julius. Ich weiß, das weißt du", sagte Belisama unerwartet ernst. "Ich denke, du solltest ihn nicht in der Bib oder hier oder bei Hercules oder anderen Jungs, die den nicht leiden können verbringen. Gerade wo du die Parks hast schrubben müssen wäre es doch sehr blöd, wenn alle anderen darin herumlaufen und du nicht. Ich will jetzt nicht von dir verlangen, mit mir zusammen Valentinstag zu feiern. Aber ich finde, es wäre doch schade, wenn du an dem Tag allein herumlaufen oder irgendwo hocken würdest."
"Hast du nicht in den Kalender gekuckt, 1997 gibt es keinen vierzehnten Februar", sagte Julius leicht verächtlich. Belisama sah ihn vorwurfsvoll an. Dann meinte sie:
"Goldschweif wird nicht ewig ihre Jungen säugen. Die wird bestimmt bald wieder anfangen, dich zu besuchen und womöglich wieder versuchen, dich mit irgendwem zusammenzubringen. Das solltest du dir überlegen, ob du dir von ihr wen aussuchen lassen willst oder von dir aus wen findest. Dann kommt ja noch irgendwann Walpurgisnacht. Ja, und dieses Datum steht im Kalender. Ich werde dich wieder einladen, damit du es nur weißt."
"Wenn du bis dahin keinen anderen Jungen als Freund hast", sagte Julius. "Immerhin gibt es ja in eurem Saal auch Jungs, die es wert sind."
"Wert für was?" Fragte Belisama herausfordernd.
"Dein Freund zu sein", sagte Julius. Da merkte er, daß er Belisama gerade ein Kompliment gemacht hatte. Zumindest sah er es an ihrem Lächeln. Sie fragte ihn:
"Dann denkst du, du wärest das nicht wert?"
"Zumindest noch nicht, Belisama", sagte Julius. "Im Moment muß ich das erst klären, alleine klarzukommen, bevor ich mich wieder mit einer zusammentun möchte. Aber das habe ich auch Millie und allen, die es hören wollten gesagt."
"Jaja, und wenn du es oft genug wiederholst wird es auch wahr, oder was?" Knurrte Belisama wie Goldschweif, wenn sie sich ärgerte. "Der vierzehnte Februar steht im Kalender drin, Julius. Überlege es dir gut, ob du den wirklich alleine verbringen willst!"
"Das ist der Tag der Liebenden, Belisama. Da kann ich nicht einfach mit einem Mädchen nur weil das an dem Tag gut aussieht, in Pärchen rumzulaufen durch die Parks gehen. Bei Claire war das eben damals schon sicher genug, um mit ihr zusammen zu sein. Dieses Jahr findet der ohne mich statt, genauso wie ohne Hercules."
"Du hast recht, daß der Tag für Liebende ist. Aber an dem Tag kann man doch auch mit jemandem zusammen sein und herausfinden, ob daraus was wird."
"Steht so nicht in der Beschreibung für den Valentinstag. Das gilt dann eher für die Walpurgisnacht."
"Dann sieh zu, daß du da zumindest mit wem zusammen hingehst. Denn ich denke, ich bin nicht die einzige, die dich einladen wird. Aber würde mich sehr freuen, wenn du mit mir auf dem Besen sitzt."
"Bis dahin ist noch viel Zeit, Belisama. Ich habe aufgehört, so weit vorherzuplanen", sagte Julius leise.
"Dann wird es Zeit, daß du es wieder lernst", schnarrte Belisama verbittert. Dann lächelte sie zuckersüß: "Aber ich denke, weil du so vernünftig bist, wirst du bald schon wieder wen haben. Und Claire wird dir nicht böse sein. Die denkt wohl, daß du endlich wieder Spaß am Leben haben sollst, weil sie dafür gelebt hat, mit dir Spaß zu haben." Julius zuckte zusammen. Woher wußte Belisama das? Wahrscheinlich vermutete sie es nur und brachte einen Spruch an, um ihn umzustimmen, einfach so. Er sagte:
"Glaubst du, Claire sieht uns zu?"
"Sie ist auf jeden Fall in dir und in mir, in Laurentine und Céline, Sandrine und ihren Schwestern. Das hat Monsieur Laroche doch gesagt. Alle, die mit ihr zusammengelebt haben, tragen etwas von ihr in sich. Also ist sie in mir genauso wie in dir. Wenn ich also sage, daß ich denke, daß sie möchte, daß du wieder wen finden solltest, mit der du weiterleben möchtest, dann könnte sie das so gesagt haben."
"Ja, und dann immer mit im Bett ... Neh, das ist jetzt fies, das zu sagen", sagte Julius.
"Du wirst wen finden. Da bin ich mir sicher. Wenn du wieder weißt, was du wirklich willst und nicht nur tust, von dem du denkst, daß andere es erwarten, findest du wieder wen. Vielleicht bin ich das. Vielleicht warte ich aber auch nicht lange genug und es wird eine andere. Ich meinte nur, daß du dir wegen Valentin Gedanken machen solltest, weil danach Walpurgis kommt."
"Danke für die Anregung", sagte Julius. Dann schwieg er. Belisama war also genauso drauf wie Millie, wenngleich Millie in den letzten Monaten nichts mehr versucht hatte. Im Moment schien Caro was zu machen, um ihn für sich zu kriegen. Aber der konnte er ja weit genug aus dem Weg bleiben, und im Unterricht waren ja Millie, Céline und Laurentine um ihn herum, die irgendwelche Vorstöße vereitelten.
Er überbrachte Madame Maxime die Liste mit den vorgeschhlagenen Namen für die vier Kniesel. Die Schulleiterin und amtierende Lehrerin für praktische Magizoologie zeichnete die Liste nach zweimaligem Durchlesen ab und sagte, daß die Namen ins Zuchtverzeichnis eingetragen würden und sich die Knieselzüchter schon freuen würden, daß Goldschweif XXVI. eine wie sie aussehende Tochter geboren hatte.
"Sollte die junge Knieselin nicht durch Krankheit oder Unfall sterben, bis Sie die Schule wie ich hoffe ehrenvoll abschließen, wird die Mutter wohl in Ihren Besitz übergehen. Womöglich müßten Sie dann einen Wohnort beziehen, der nicht von zu vielen Muggeln besucht wird", sagte die Schulleiterin.
"Bis dahin sind es ja noch drei lange Jahre", sagte Julius.
"Sagen Sie das mal nicht zu laut. Im Moment empfinden Sie die Akademie wie viele Ihrer Mitschüler als anstrengend und unerbittlich. Aber ich habe schon tausende von Schülerinnen und Schülern miterlebt, die genauso empfanden wie Sie jetzt und doch sehr traurig waren, als sie nach der letzten Klasse Abschied nehmen mußten. Einige von denen kamen irgendwann wieder zurück, als Lehrer oder Schulbedienstete wie Monsieur Bertillon, Madame D'argent oder Madame Rossignol. Ich habe auch meinen langen Kampf mit der guten alten Maman Beauxbatons ausgefochten. Jetzt bin ich hier, um ihr zu helfen, Sie und andere Zauberer und Hexen zu verantwortungsvollen, lebenstüchtigen und geachteten Mitgliedern der magischen Gesellschaft zu erziehen und stelle dabei immer wieder fest, wie sehr ich mich als Schülerin selbst als Plage empfinden würde, würde jemand meine Jugendzeit von mir abspalten und sie mit meinem damaligen Körper versehen. Aber ich werde unpassend sentimental. Bitte behalten Sie das gehörte für sich. Es ist ein Factum sub rosa."
"Ich verstehe. In genau dem Zusammenhang haben Sie ja damals auch genickt, wo Professor Dumbledore erzählt hat, warum er Schulleiter von Hogwarts bleiben möchte", erinnerte sich Julius an die letzte Sitzung der Sub-Rosa-Gruppe.
"Haben Sie von Ihren Schulkameraden in Hogwarts etwas mehr gehört als das es wohl im letzten Jahr einen Anschlag mit einem verfluchten Gegenstand gab?"
"Ich habe noch Kontakt zu Klassenkameraden von damals und über das Gemälde von Aurora Dawn auch zu den Bildern von da. Im Moment ist außer den Sachen, die der Verbrecher Voldemort begeht in Hogwarts selbst nichts mehr passiert. Nur, daß die Hogsmeade-Ausflüge gestrichen wurden."
"Bedauerlich, wo dieses reizende Dorf sehr abwechslungsreich ist. Aber ich möchte Sie nicht unnötig aufhalten, Monsieur Andrews. Ich wünsche noch einen guten Tagesausklang!"
"Danke, Madame Maxime", sagte Julius höflich und verließ das Besprechungszimmer der Schulleiterin.
Im grünen Saal verkündete er, daß Madame Maxime seine Namensvorschläge für Goldschweifs Kinder angenommen habe. Céline meinte dazu nur:
"Dann gehörst du jetzt bald wieder der Mutter und sie darf dann auch mit dir nach Millemerveilles oder in die Rue de Camouflage. Hoffentlich versucht die dich nicht wieder mit wem zu verkuppeln. Die Montferres sind zwar für sich genommen gut gebaute Mädchen, aber auch freche Biester und halten gut fest, was sich ihnen in die Hände legt. Aber die sind ja noch mit den Rossignols zusammen. Aber die wollte dich auch mit Millie verbandeln. Könnte ihrer runden Oma so passen, daß du ihr die erhofften Urenkel beschaffst. Wäre doch schön, wenn sie dich mit Leuten wie Bébé oder Belisama zusammenbringen würde."
"Oder mit dir?" Flüsterte Julius. Céline nahm ihn darauf in die Arme und flüsterte:
"Robert ist mein Freund und wird, wenn er nicht doch noch total blöd wird, mit mir zusammenbleiben. Aber danke, daß du mich auf deiner Liste für erwünschte Freundinnen hattest. Claire hätte das vielleicht gerne gesehen."
"Tja, vielleicht", sagte Julius. Er dachte wieder an die Blumenwiese. Céline war da aber nicht drauf erschienen. Also war sie weder in seiner noch Claires Auswahl für mögliche Nachfolgerinnen gewesen. Doch was nicht war ... Nein, er fand es widerlich, einem guten Freund, wie Robert einer geworden war die Freundin auszuspannen. Vielleicht konnte er es. Vielleicht konnte er es aber genau deswegen nicht, weil er es unfair fand, selbst wenn das Mädchen es darauf anlegte, ausgespannt zu werden. Dann sollte die ihren Kram erst selber regeln, bevor sie auf ihn zählen konnte. Das dachte er zumindest und behielt es wohlweißlich für sich.
Am Abend dachte er noch einmal an Goldschweifs Kinder, die nun eines der beliebtesten Themen in Beauxbatons waren. Er hatte ihnen die Namen ausgesucht. Was würde aus ihnen werden, wenn sie groß waren? Merkwürdig! Die Frage konnte er genauso gut sich selber stellen.