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Julius Andrews - Auf seinem Weg in die Zaubererwelt von Thorsten Oberbossel

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Er ging wieder durch diese fremdartige, völlig verlassene Stadt, die unter einer blauen Kuppel lag, die wie ein wolkenloser Himmel ohne Sonne, Mond oder Sterne aussah. Julius wußte, seitdem er das Geheimnis von Gregorians Bild gelüftet hatte, daß diese Stadt nicht nur in seinen Träumen existierte, sondern einmal zu den wichtigsten Orten des verschwundenen alten Reiches gehört haben mochte. Er wußte, daß er träumte. Dennoch wirkte diese geisterhaft entvölkerte Stadt um ihn herum so wirklich wie Beauxbatons, Hogwarts oder die anderen Städte und Orte, die er schon kennengelernt hatte. Er wußte, daß Darxandria, die letzte mächtige Herrscherin des alten Reiches, die in einem weltuntergangsgleichen Krieg gegen den dunklen Erzmagier Iaxathan gekämpft hatte, ihn nicht einfach so in diese Stadt hineinschauen ließ, wenn es nicht wichtig war. Er rief nach Darxandria. Doch außer dem Echo seiner Rufe hörte er absolut nichts aus den Straßen und Gassen der unheimlichen, wenn auch irgendwie erhaben wirkenden Stadt. Sonst war sie ihm doch hier gleich erschienen, um ihn zu sprechen, beziehungsweise, ihn zum Fuße jenes himmelhohen Turmes zu führen, gegen den selbst die Wolkenkratzer von New York wie kurze Stalakmiten wirkten. Er sah sich um. In der Ferne, über alle Dächer der unterschiedlich gebauten Häuser und anderen Türme hinweg, entdeckte er eine armdicke, kalkweiße Säule, die scheinbar mit dem Scheitelpunkt der Himmelskuppel verbunden war. Sie war genau wie alle anderen Türme hier auch aus unzähligen Einzelringen zusammengesetzt, wie ein kerzengerade aufgerichteter, tiefgefrorener Regenwurm, dessen Borsten abrasiert worden waren. Das war der Turm, zu dem er bisher immer geführt worden war. Womöglich sollte er dort hingehen und sich mit Darxandria treffen. Er machte sich auf den Weg. Straßen, breiter als die Champs-Élysées, aber auch Gässchen, die so schmal waren, daß ein normalgroßer erwachsener Mensch gerade so zwischen den Häusern entlanggehen konnte, bildeten die kürzeste Strecke zum Turm, den er immer wieder als Zielpunkt anpeilte. Erst sachte, dann immer deutlicher, wuchs das überirdisch imposante Bauwerk in die Breite. Doch noch waren bestimmt einige Kilometer zurückzulegen. Julius erkannte, welche Ausmaße diese Stadt selbst besitzen mochte. Doch er wußte, daß er sein Ziel erreichen mußte. Was immer Darxandria von ihm wollte, sie wollte, daß er seinen Weg fand. Sonst hätte sie ihn gleich in der Nähe des gigantischen Gebäudes in diese Stadt geholt. Schon ein merkwürdiger Gedanke, daß er, obwohl er wußte, daß es sein Traum war, den Eindruck hatte, in eine andere Welt hinübergetreten zu sein, wie mit dem Intrakulum, daß ihm Zutritt zur gemalten Wirklichkeit magischer Bilder verschaffte. Diese Stadt, deren Namen er bis heute nicht kannte, war so etwas wie eine Brücke zwischen seiner Welt und uralten Hinterlassenschaften, und weil er Darxandrias Haube getragen hatte besaß er diese wirklichkeitsgetreue Vorstellung von dieser Stadt und dem Turm. Er wußte, daß er wohl noch etliche tausend Schritte tun mußte, um am Fuß des Hyperhochbaus anzukommen, dessen Mauern bestimmt mehrere Fußballstadien zugleich umschließen konnten. Mit welchem Baumaterial und welcher Form Magie war so ein Überturm zu bauen? Sämtliche Architekten moderner Hochhäuser würden gefrustet von ihren eigenen Gebäuden runterspringen, wenn sie auch nur daran denken mochten, daß jemand vielleicht mal sowas in echt hochgezogen hatte, dachte Julius. Dann stutzte er. Da war doch ein Geräusch. Es klang wie leises Schluchzen. In dieser vollkommenen Stille ringsum ihn wirkte es jedoch wie der laute Schrei eines Babys in unmittelbarer Nähe. Er blieb stehen und lauschte in alle Richtungen. Das Schluchzen schien von überall herzukommen. Er vergaß den Turm und daß er gerade noch dort hingehen wollte und konzentrierte sich auf das hier völlig fremde Geräusch. Jetzt erkannte er, daß das leise Schluchzen von einer Frauenstimme herrühren mochte. War es Darxandria? Er lief in die Richtung, aus der er die Laute am deutlichsten zu hören vermeinte und rief Darxandria. Tatsächlich hörte er aus sehr großer Ferne eine Antwort, er solle zu ihr hinkommen. Doch genau da hörte er das Schluchzen noch deutlicher und hielt sich nicht daran, was Darxandria rief. Er lief weiter, bis er vor sich ein kegelförmiges Gebäude sah, daß wohl an die hundert Meter hoch sein mochte. Dahinter schien der Ursprung des ungewohnten Geräusches zu liegen. Er umlief den Fuß des Kegelbaus und erstarrte. Vor ihm im Boden klaffte ein tiefschwarzes Loch, aus dem ihm das Schluchzen entgegenklang. Da erkannte er auch, von wem es stammte: Aurora Dawn. Als er an sie dachte, sah er in jenem unergründlich schwarzen Schlund kurz ihr trauriges Gesicht aufleuchten und dann wieder verschwinden. Er hörte aus der Ferne Darxandrias Stimme, die ihn rief, er solle endlich zu ihr kommen. Doch warum weinte Aurora Dawn? Wie war sie hierher gekommen? Steckte sie wirklich in diesem schwarzen Loch am Boden? Diese Fragen überlagerten alle Rufe der uralten Herrscherin, obwohl die Ruferin selbst immer näher zu kommen schien. Julius überlegte, wie er in das dunkle Loch hineingelangen konnte, ohne Schaden zu nehmen. Dann dachte er: "Ist doch nur ein Traum" und sprang scheinbar lebensmüde in die lichtlose Leere hinein. Er vermeinte noch ein lautes, verärgertes "Bleib hier!" zu hören, bevor er den Boden unter den Füßen verlor und für einige Sekunden in völliger Dunkelheit dahinfiel. Dann fühlte er, wie er mit dem Rücken sachte aber unverkennbar gegen einen weichen Widerstand drückte. Es dauerte eine ganze Sekunde, bis er erkannte, daß er nicht senkrecht dagegengestoßen war, sondern waagerecht darauf lag, auf der Federkernmatratze im Bett im Schlafsaal für Viertklässler in Beauxbatons. Doch das leise Schluchzen war noch zu hören, diesmal eindeutig zu orten. Es kam von der Wand an der das Bett stand. Julius öffnete die Augen und sah hinauf. In der Dunkelheit konnte er gerade so noch sehen, daß sich etwas in dem großen Bilderrahmen bewegte. Er blickte auf seine Uhr. Hier in Beauxbatons war es gerade zwei Uhr in der Nacht. Ein merkwürdiges Gefühl überkam ihn. Es war jenes Gefühl, daß die Franzosen Déjá Vu nannten, den Eindruck, etwas schon einmal gesehen oder erlebt zu haben. Das konnte daher rühren, weil er vor einem Jahr um eine ähnlich frühe Stunde aus dem Schlaf gerissen worden war, um zu erfahren, daß etwas schreckliches im Gange war. Daß Aurora schluchzte, ja bereits regelrecht weinte, verstärkte dieses Déjà Vu noch mehr. Als er seinen Zauberstab unter dem Kopfkissen hervorgeholt und aus dem diebstahlsicheren Futteral gezogen und mit "Lumos" die Spitze zum aufleuchten gebracht hatte, blickte er mit einem von dunklen Vorahnungen gezeichnetem Gesicht zum großen Wandbild hinauf, wo Aurora Dawns gemaltes Ich um Fassung kämpfte. Als sie sah, daß Julius sie ansah, stieß sie nur hervor:

"Er ist tot!" Dann stürzten Tränen wie reißende Bergbäche aus ihren graugrünen Augen die Wangen hinunter und regneten auf den gemalten Boden nieder. Julius saß aufrecht im Bett und fühlte sich wie in einen Eisblock eingefroren. Wer war da gestorben? Er überlegte, wie er die Frage so behutsam wie möglich stellen konnte, als Aurora schniefte: "Dumbledore ist tot. Ermordet, Julius."

"Was?!" Rief Julius und erschrak, weil er nicht wußte, ob sein Bettvorhang auch wirklich sicher zugezogen war. Er prüfte das schnell nach und beruhigte sich im Bezug auf den schalldichten Vorhang. Dann fragte er leiser sprechend: "Was ist passiert, Aurora?" Als habe er damit Auroras erwachsenes Ich zurückgerufen, wo das Bild-Ich wie ein kleines Mädchen heulte, stoppte die Tränenflut beinahe übergangslos. Aurora sah ihn mit tränennassen Augen an, fand aber wohl zu ihrer ihm wesentlich vertrauteren Fassung zurück und sagte:

"Julius, Todesser sind in Hogwarts eingedrungen. Der, der ihnen dabei geholfen hat ist zum Astronomieturm hoch, wo er auf Dumbledore gewartet hat. Dann ging noch jemand hoch, und als sie wieder runterkamen tauchte auch Harry Potter auf und ist ihnen nach. Das war vor einer Stunde ungefähr. Was die drei auf dem Turm gemacht haben kam erst später raus. Es gab einen Kampf der Todesser gegen die Lehrer und einige Schüler aus der Truppe, die Harry Potter im letzten Jahr ausgebildet hat und einigen von Dumbledores Leuten, dem Phönixorden. Dabei ist ein Todesser vom Todesfluch seines Kameraden niedergestreckt worden." Sie pausierte, um die nächsten Sätze zusammenzubringen. Julius fühlte sein Herz klopfen. Er dachte an alles, was in den letzten Monaten in Hogwarts so merkwürdiges abgelaufen war und vor allem an die Sache mit den Verschwindeschränken der Latierres, die ihn auf den erschreckenden Gedanken gebracht hatten, jemand könne mit solch einem Paar magischer Schränke eine Truppe Feinde in eine supergesicherte Festung wie Hogwarts einschleusen. Außerdem dachte er an die scheinbar so komische Geschichte mit den doppelten Mädchen, die Aurora in Hogwarts gesehen hatte. Die Doppelgängerinnen hatten sich auf der siebten Etage vor einer bestimmten Wand herumgedrückt. Doch wer genau hatte Dumbledore ermordet? Aurora sah ihn nun merkwürdig an, völlig frei von jeder Gefühlsregung. Dann sagte sie: "Du hattest recht, was Draco Malfoy anging, Julius. Er hat etwas angestellt, um mehrere Todesser in Hogwarts eindringen zu lassen. Er hat Dumbledore in eine Falle gelockt und ..."

"Der hat den nicht umgelegt!" Stieß Julius fassungslos aus. Er konnte sich bei Draco Malfoy sehr viel vorstellen, aber daß der so abgebrüht war, jemanden von Angesicht zu Angesicht den Todesfluch aufzuhalsen ...

"Nein, Draco hat ihn nicht selbst umgebracht, Julius. Es war jemand, dem Dumbledore selbst mehr vertraute als er es wert war, ein Todesser, der jahrelang behauptet hatte, keiner mehr zu sein", sagte Aurora nun vollkommen kalt klingend, als sei ihr Weinkrampf, der Julius aus der Traumstadt herausgelockt hatte, nicht der Rede wert gewesen.

"Sag nicht, daß ... daß Dumbledore von ... daß Snape Dumbledore umgebracht hat", rang sich Julius die Worte ab, um das vorstellbare, aber doch so unsagbar grausame auszusprechen. Mit einem Schlag wußte er, daß er diesen hakennasigen, stets unfairen und überheblichen Lehrer schon immer für einen brutalen Gangster hätte halten müssen. Spätestens seitdem dieser Verteidigung gegen die dunklen Künste gegeben hatte und ...

"Doch, Julius. Es ist die grausame Wahrheit. Severus Snape, den Dumbledore vor allen Verdächtigungen und Anfeindungen geschützt hat, weil er fand, er habe sich zum guten verändert, hat Dumbledore mit dem tödlichen Fluch ermordet. Harry Potter hat es irgendwie mitbekommen. Womöglich war er mit Dumbledore zusammen. Er hat ja einen Tarnumhang."

"Moment, Harry Potter hat seinen Kameraden erzählt, daß Snape Dumbledore umgebracht hat?" Fragte Julius.

"Er kam nach Malfoy und Snape aus dem Astronomieturm, über dem jemand das dunkle Mal gesetzt hat. Er verfolgte Snape und Malfoy, schaffte es aber nicht, sie an der Flucht zu hindern. Sie sind durch die Schloßtore und dann disappariert. Harry Potter half Hagrid dann noch beim Feuerlöschen. Todesser haben seine Hütte angezündet, weil sie ihn nicht überwältigen konnten. Bill Weasley ist von dem Werwolf Greyback mehrmals gebissen worden. - Nein, Greyback war nicht in seiner Wolfsgestalt. Deshalb könnte Bill vielleicht Glück haben und nicht gänzlich an Lykanthropie erkranken. Aber auch so ist der Schaden zu groß, um noch repariert zu werden."

"Wenn Harry da oben bei Dumbledore war, wieso hat der nicht versucht, den Saukerl abzuhalten, oder hat Malfoy eins übergebraten, bevor Snape Dumbledore umbringen konnte?" Fragte Julius. Aurora sah ihn verdutzt an. Dann legte sie die Stirn in Falten. Julius dachte ebenfalls über die Antwort auf seine Frage nach. Dann klickte es bei ihm und Aurora Dawn. "Er war unsichtbar, und Dumbledore hat ihn mit einem Erstarrungszauber oder Bewegungsblocker behext, damit er nicht im Weg stehen würde und keiner mitbekäme, daß er auch da oben war." Aurora nickte sehr wild und sagte:

"Womöglich wußte Dumbledore in dem Moment, wo er auf dem Turm ankam, daß es zum Kampf kommen würde und wollte Potter nicht in die Ziellinie geraten lassen. Damit hat er sich selbst die letzte Möglichkeit verbaut, Hilfe zu bekommen."

"Was ist mit Dumbledores ...?" Julius konnte das Wort Leiche nicht aussprechen. Aurora verstand jedoch, was er meinte und sagte immer noch frei von jeder Regung:

"Dumbledores sterbliche Hülle wurde von Hagrid fortgetragen. Wir alle, gemalt oder wirklich, haben mehrere Minuten lang den Klagegesang von Fawkes gehört, dem Phönix, der Dumbledores Vertrauter war. Was genau mit Dumbledores Leichnam passiert muß noch geklärt werden. Womöglich wird Hogwarts bis auf weiteres geschlossen. Professor McGonagall, die jetzt die Schulleiterin ist, muß das mit den Schulräten noch abklären. Das wird sie wohl erst im Laufe des Tages tun können."

"Dumbledore ist tot", seufzte Julius, bei dem die Nachricht jetzt erst so recht angekommen war. "Dieser Mistkerl Snape war ein dreckiger Maulwurf, genauso wie Ardentia Truelane."

"Wenn Maulwurf Verräter bedeutet stimmt das wohl leider", seufzte Aurora Dawn. Dann meinte sie:

"Mein jüngeres Ich aus Hogwarts hat mich wohl zu sehr überrumpelt, als daß ich das gleich an Professeur Faucon weitergegeben hätte. Tut mir leid, dich jetzt schon damit behelligt zu haben, Julius."

"Neh, ist schon gut, Aurora", versetzte Julius, darum kämpfend, sich nicht selbst von Trauer und Wut überrumpeln zu lassen. Er kannte diese Gefühle ja zu gut, um sie einfach so über sich hereinbrechen zu lassen. Er wollte nicht jetzt, wo Aurora ihm zusah losbrüllen oder einfach nur heulen wie ein Schloßhund. Aurora sah ihn mitfühlend an und sagte nur noch:

"Ich geh dann mal zu Professeur Faucon und bring ihr die schlimme Nachricht. Ich weiß, daß sie nicht erst aus der zeitung erfahren will was passiert ist. So blöd das auch klingt, Julius. Du kannst im Moment nichts anderes mehr tun als noch ein paar Stunden schlafen."

"Schlafen?!" Brüllte Julius nun doch sehr wütend los. "Nachdem ich diese Miese Sache erfahren habe penne ich bestimmt nicht weiter als wenn nix passiert wäre, Aurora!"

"Julius, ich weiß genau, wie du dich fühlst. Dumbledore hat dir genausoviel bedeutet wie allen anderen, die nicht von der Irrlehre Slytherins vergiftet wurden. Er hat sich für dich und alle anderen Muggelstämmigen eingesetzt und uns jahrelang die dunklen Hexen und zauberer vom Hals gehalten ..."

"Ja, und die feiern bestimmt schon die Megaparty, weil sie ihn endlich um die Ecke gebracht haben, allen voran dieser bleichgesichtige Schweinehund Voldemort!" Brüllte Julius ungehemmt zurück. Er fühlte, wie Tränen in seine Augen stiegen und kämpfte dagegen an.

"Wird wohl passieren", seufzte Aurora Dawn.

"Ich habe Dumbledore bei Jane Porters ... Ich habe ihm da gesagt, ich hätte Angst, ihm könne was passieren und ich habe ihm geschrieben, daß jemand einen bestimmten Trick benutzen könnte, Voldemorts Mörderbande einzuschleusen. Du weißt welchen Trick ich meine", schnaubte Julius.

"Ja, und ich fürchte, etwas ähnliches ist da auch gelaufen", erwiderte Aurora wehmütig. "Aber denk daran, wie ich mich fühle. Ich habe Draco Malfoy damals geholfen, als der noch ein kleines Baby war und daß der es wohl war, der die Bande von ihm, dessen Namen nicht genannt werden darf ..."

"Vol-de-mort nennt sich dieser Drecksack, Aurora. Mörder sollte man schon beim Namen nennen, auch wenn's nur ein Kampfname ist", versetzte Julius unbeeindruckt, daß Auroras hiesiges Bild-ich bereits eine erwachsene Frau war, die sich gewiß nicht von einem knapp fünfzehnjährigen Schuljungen belehren lassen mußte. "Und wenn du Malfoys Kronprinzchen nicht gerettet hättest, hätte es entweder wer anderes gemacht oder jemand anderes wäre an seiner Stelle nach Hogwarts gekommen, um diese Riesensauerei durchzuziehen. Das habe ich dir damals schon bei Claires Abschiedsfeier gesagt", legte er wütend nach. Aurora sah ihn mitfühlend an und sagte nur:

"Noch mal Entschuldigung, daß ich dich jetzt schon damit beladen habe, Julius. Ich hätte es dir erst am Morgen sagen sollen, wenn du ausgeschlafen hättest. Ich geh jetzt zu Professeur Faucon." Ohne eine Antwort von ihm abzuwarten verschwand sie rechts durch den Bilderrahmen. Julius konnte sich nur schwer beherrschen das große Bild herunterzureißen. Er keuchte und fühlte sein Blut in den Schläfen und im Hals pochen. Dann überließ er sich den Tränen, Tränen der Wut und der Trauer, daß er Dumbledore nicht hatte helfen können, obwohl er schon lange befürchtet hatte, daß diesem eine akute Gefahr drohte. Doch was in aller Welt hätte er denn machen können? Er sollte sich bloß nicht dazu versteigen, die Schuld für die Grausamkeiten dieser Welt auf sich zu nehmen. Dumbledore war tot. Er war wirklich gestorben, nicht einfach nur verschwunden wie Jane Porter, um später irgendwie wieder aufzutauchen oder hatte sich aus dem Körper gelöst, um mit einem geliebten, ebenfalls entkörperten Verwandten ein neues Wesen gebildet, daß .... Aber wer sagte ihm, Julius, daß Dumbledore, der als mächtigster gutartiger Zauberer der Gegenwart bezeichnet wurde, nicht Mittel und Wege kannte, seinen körperlichen Tod zu überwinden ... wie der Jedimeister Obiwan Kenobi, der eins mit der Macht geworden war, um Luke Skywalker beizustehen, sowie Ammayamiria ihm, Julius, beistehen wollte. Unvermittelt verrauchte die Wut, wie ein eben noch hell flammender Feuerwerkskörper einfach verpuffte. Mochte es sein, daß Dumbledore darauf ausgegangen war, für jemanden zu sterben, um danach mächtiger zu sein als zu Lebzeiten? Er fühlte, wie dieser Gedanke, der eine reine Vermutung war, ihn schlagartig mit einer merkwürdigen Hoffnung erfüllte. Er erinnerte sich an die letzten Worte, die Dumbledore zu ihm gesprochen hatte, kurz bevor er mit Pina und den anderen nichtfranzösischen Besuchern von Jane Porters Beerdigung aus Paris abgereist war:

"Julius, seit dem Voldemort wieder in die Welt zurückgekehrt ist lebe ich mit dieser ständigen Bedrohung. Ich habe eher Angst um das Leben der mir anvertrauten Schüler. Ich selbst fürchte mich nicht davor, dem unausweichlichen entgegenzutreten, wann und wo es mich auch finden wird."

"Die berühmten letzten Worte", dachte Julius bei sich. Denn es waren, so wußte er jetzt, die allerletzten Worte, die Professor Albus Dumbledore zu ihm, dem Muggelstämmigen Julius Andrews, gesprochen hatte. Und er hatte sich tatsächlich dran gehalten, erkannte Julius, nun frei von jeder Wut und eigentlich nur noch betrübt über die schlimme Nachricht. Er hatte es zugelassen, daß einer seiner Schüler einen Angriff auf Hogwarts vorbereitete, damit diesem Schüler nichts geschehen konnte. Er hatte sich womöglich noch nicht einmal gewehrt, als Draco Malfoy vor ihm stand und ihm, da wohl noch überheblich, angekündigt hatte, daß er die Todesser ins Schloß geholt hatte. Aber daß nicht Malfoy sondern Snape Dumbledore den tödlichen Fluch entgegengeschleudert hatte bewies, daß Draco Malfoy bei allen verachtenswerten Eigenschaften kein kaltblütiger Killer war. Wenn er wirklich derjenige gewesen war, der hinter den zwei anderen Anschlägen gesteckt hatte, dann bewies das, daß er es nicht übers Herz brachte, seinem Opfer beim Sterben zuzusehen, ihm gar den Todesstoß zu versetzen. Doch warum hatte Snape Dumbledore dann ermordet? Hatte er Befehl von Voldemort, bei der Invasion der Todesser unter allen Umständen sicherzustellen, daß Dumbledore den Angriff nicht überlebte? Oder hatte Draco ihn gebeten, ihm zu helfen? Das wohl eher nicht. Weil Malfoy war, so empfand es Julius, dann zum einen doch zu überheblich, um andere, die mächtiger als er selbst waren um Hilfe zu bitten und zweitens nicht sicher sein konnte, daß Snape wirklich Voldemorts getreuer Spion in Hogwarts war und nicht doch als Spion von Dumbledore gegen den sogenannten dunklen Lord arbeitete. Dann blieben seiner Auffassung nach nur noch zwei Lösungen übrig: Entweder hatte Malfoys Verwandtschaft Snape eingeweiht, daß der arrogante Bengel als Mörder von Dumbledore bestimmt worden war, oder ...

Das Zittern des Pflegehelferarmbandes stoppte den Zug seiner Gedanken. Offenbar hatte Madame Rossignol mitbekommen, daß er nicht nur wach, sondern auch über irgendwas maßlos aufgeregt gewesen war. Die große Schwester sah einem eben doch zu, dachte er noch, bevor er den weißen Schmuckstein berührte. Doch es war nicht Madame Rossignols Abbild, daß über seinem Bett erschien, sondern das von Millie, die, wie er erkannte, wie er aufrecht im Bett saß und sichtlich verunsichert schien.

"Hallo, Millie", sagte Julius nur. Sie konnte ja sehen, daß er nicht gerade erst aufgewacht war. "Ist was passiert?" Fragte er noch fürsorglich.

"Die Frage stelle ich dir mal, Monju", erwiderte Mildrid etwas belustigt. "Ich bin vor einer Minute von unserem gemeinsamen Schmuckstück geweckt worden, das heiß und wild auf meiner Brust herumgehüpft ist, als sei's ein mit kochendem Wasser gefüllter Frosch. Hattest du einen Alptraum?"

"Schön wär's", seufzte Julius, der sich zum einen gerührt fühlte, daß seine Freundin so um ihn besorgt war, aber es auch wieder lästig fand, wenn sie jede seiner Regungen mitbekam. Aber umgekehrt ging das ja auch, erkannte er und mußte widerwillig grinsen. Doch dann legte er sein Gesicht in die dem Anlaß passenderen Züge und sagte: "Ich habe gerade von meiner Direktverbindung nach Hogwarts eine ziemlich heftige Nachricht bekommen. Tut mir leid, daß dich das aus dem Schlaf gerissen hat."

"Was für eine Nachricht, Monju?" Fragte Millie, die sich nicht so einfach abspeisen lassen wollte. Sie sah Julius sehr energisch an. Er vermeinte, ihre große Schwester Martine zu sehen, wenn sie wild entschlossen war.

"Es reicht schon, wenn ich die restliche Nacht nicht weiterschlafen kann, Mamille. Ich erzähle dir das morgen nach dem Frühstück. Wir sollten lieber aufhören, über's Armband zu reden, wenn Madame Rossignol das nicht sonderlich mag."

"Gut, Julius, dann frage ich mal so: Wer ist gestorben?" Erwiderte Millie kalt und knallhart wie ein wvoll ins Gesicht klatschender Schneeball.

"Dumbledore", entschlüpfte es Julius, bevor er sich eine gute Ausweichantwort hätte ausdenken können. Millie zuckte zusammen, nickte dann sehr schwerfällig und stieß hervor:

"In Hogwarts? Das kann doch nicht gehen. Gloria und du habt uns doch allen erzählt, welchen Aufwand die mit der Absicherung gemacht haben. Dann war der außerhalb, oder?"

"Nachdem, was ich gehört habe ... aber lassen wir es! Ich möchte nicht, daß du die restliche Nacht kein Auge mehr zukriegst. Reicht schon, wenn ich am Morgen total platt bin."

"Das hast du jetzt versaut, Monju. Jetzt kannst du mir die ganze Geschichte erzählen. Weil sonst denke ich nur noch dran, was genau passiert ist, was dich so heftig aus der Bahn gehauen hat."

"Ich weiß auch nicht, ob ich dir die ganze Geschichte erzählen darf, bevor unsere Hauslehrerin nicht befindet, was alle hier wissen dürfen und was nicht", probierte Julius nun doch eine Abschüttelungstaktik aus.

"Soll ich dir jetzt sagen, daß mir das im Moment total egal ist, ob eure Saalvorsteherin das bestimmt, was wir anderen wissen dürfenund was nicht? Im Moment weiß sie es wohl noch nicht, oder? Also kannst du mir die Sache jetzt auch ganz erzählen", entgegnete Millie sichtlich gereizt. Offenbar, so fand Julius, wollte sie verhindern, daß er ihr gegenüber noch mehr Geheimnisse hatte als Claire gegenüber schon.

"Millie, ich weiß nicht, ob Madame Rossignol das so toll findet, wenn wir über die Armbandverbindung irgendwelche Sachen bereden, die nicht jeder wissen darf."

"Mein Vorhang ist zu. Deiner nicht?" Erwiderte Millie schlagfertig.

"Er meint auch eher, daß ich euch zuhören könnte", erklang Madame Rossignols Stimme durch das Armband. Millie verzog das Gesicht, während Julius nickte. "Aber da ich soeben eine Anfrage von Professeur Faucon erhalten habe, ob du, Julius, noch wach seist oder schliefest, und die magische Verständigungsverbindung nun schon seit einigen Sekunden besteht, kann ich ihr wohl mitteilen, daß du wach seist, Julius. Mildrid, da du wie ich gerade das wesentliche der so erschütternden Neuigkeiten mitbekommen hast, erlaube ich es dir, dich angemessen bekleidet in fünf Minuten bei mir einzufinden. Ich werde professeur Faucon bitten, ebenfalls zu mir zu kommen, auf neutralen Boden sozusagen."

"Was ist angemessen?" Fragte Millie argwöhnisch.

"Ordentlich für einen üblichen Sonntag zurechtgemacht", erwiderte Madame Rossignols Stimme. Dann befahl sie Julius, sich ebenfalls in fünf Minuten bei ihr einzufinden. Er wandte ein, daß sie ja den Saal vor sechs Uhr morgens nicht verlassen dürften.

"Möchten Sie mir jetzt mit den Schulregeln kommen, Monsieur Andrews? Dann möchte ich Sie liebendgerne darauf hinweisen, daß ich als amtierende Schulheilerin verfügen kann, wann wie und zu welchem Zweck an welchem Ort von den ausgehändigten Pflegehelferschlüsseln gebrauch gemacht wird. Sei froh, mein Junge, daß ich dir und Mildrid nicht Strafpunkte für nächtliches Bettgeflüster via Pflegehelferschlüssel aufbrumme! Also, in fünf Minuten seid ihr beide bei mir. Es ist die einzige Möglichkeit, Professeur Faucon davon abzuhalten, dir ein Mitteilungsverbot aufzuerlegen, wenn du mit deiner Freundin eh schon so innig verbunden bist, daß jedes neue Geheimnis euch mehr belastet als es dem einzelnen nützt. Also dann, Mademoiselle et Monsieur."

"Bis gleich, Monju", sagte Mildrid noch. Julius erwiderte den Gruß und beendete die Verbindung.

Er holte seine Sonntagssachen hervor, schlich sich so leise er konnte, nachdem er den Bettvorhang ganz langsam wieder zugezogen hatte aus dem Schlafsaal, suchte den Waschraum für Viert- und Fünftklässler aufund machte sich tagesfertig. Vielleicht sollte er Madame Rossignol um einen Wachhaltetrank bitten, um nicht kurz nach dem Mittagessen total kaputt ins Bett zu plumpsen. Er sah sich um und lauschte. Nur wenige Male war er nachts im grünen Saal herumgegeistert und hatte Dunkelheit und Stille um sich verspürt. Er ging hinunter in den völlig leeren Gemeinschaftsraum. Irgendwie war es schon unheimlich, wie die Geräusche seiner Schritte von den weiten Wänden widerhallten. Er sah sich um. Hier standen noch Tische, auf denen jemand Pergamente hatte liegen lassen. Doch es gab keine Krümel, kein achtlos unter dem Tisch liegendes Bonbonpapier. Offenbar hatten die schuleigenen Hauselfen bereits alles geputzt. Julius fragte sich, ob das wirklich so toll war, nichtmenschliche Wesen zu niederen Arbeiten ranzuziehen, so daß die Schüler so schlampig wie sie wollten sein konnten. Doch hier und jetzt war nicht der rechte Platz, über das Für und Wider von Hauselfenarbeit zu grübeln. Er hatte vor wenigen Minuten eine erschütternde Mitteilung bekommen, die alles andere nebensächlich machte. Er aktivierte das zum Wegesystem der Pflegehelfer gehörende Wandstück und wandschlüpfte in das Sprechzimmer von Schulheilerin Florence Rossignol. Keine Minute darauf fiel Mildrid aus dem Wandstück heraus, das mit dem roten Saal verbunden war.

"professeur Faucon hat meine Mitteilung erhalten. Allerdings hält sie es für geboten, erst wichtigere Leute zu unterrichten, was geschehen ist, ließ sie mir mitteilen. Dann erzähl mir bitte, was genau Mademoiselle Dawns gemaltes Ich dir aus Hogwarts übermittelt hat, Julius!" Sagte die Heilerin, nachdem sie Julius und Millie an den Tisch gewunken hatte, an dem die Pflegehelferkonferenzen stattzufinden pflegten. Julius räusperte sich kurz und berichtete dann so gefaßt es ihm möglich war, was passiert war. Seinen Traum von der geheimnisvollen Stadt, aus den Auroras Weinkrampf ihn gerissen hatte, erwähnte er dabei mit keinem Wort. Als er gerade mit großem Ärger in der Stimme verkündete, wer Dumbledores Mörder war, ging die Tür auf, und Professeur Blanche Faucon trat ein. Sie blickte erst Julius und dann Millie an. Irgendwie schien es ihr nicht sonderlich zu behagen, daß Mildrid auch hier war. Doch Madame Rossignol sagte gleich:

"Ich habe sie herzitiert, Blanche, damit sie wie ich aus erster Hand erfährt, warum sie um ihren nötigen Schlaf gebracht wurde. Etwas nicht genau zu wissen kann eher den Schlaf rauben als eine Gewißheit, auch wenn sie noch so schwer auf der Seele lasten mag, Blanche."

"Nun, ich werde mir hier und jetzt keine Diskussion um Ihre Kompetenzen erlauben, Florence. Außerdem gehe ich davon aus, daß Monsieur Andrews die ihm mitgeteilte Version der Ereignisse bereits dargelegt hat", erwiderte Professeur Faucon etwas unterkühlt klingend. Alle anwesenden nickten ihr bestätigend zu. "Nun, so ist eigentlich nicht viel mehr zu besprechen, außer der Umstand, daß sich die bildhafte Darstellung von Mademoiselle Dawn von ihrem jüngeren und emotional nicht so stabilen Ich hat überrumpeln lassen und in dessen tiefe Trübsal und Trauer gestürzt ist, die Ihnen, Monsieur Andrews, den Schlaf geraubt und wie zu befürchten steht die restliche Nachtruhe vergellt hat. Wir müssen mit großer Bestürzung und Verbitterung zur Kenntnis nehmen, daß alle die, die diesem Mörder seit eh und je mißtraut haben recht behielten und es sich leider wieder einmal mehr erweisen mußte, wie gefährlich die Verdingung sogenannter Doppelagenten ist, die sich jederzeit gegen den richten können, in dessen Auftrag sie angeblich arbeiteten. Mademoiselle Dawns bildhaftes Ich gestand mir ein, daß sie mit Ihnen, Monsieur Andrews, vor etlichen Wochen darüber gesprochen hätte, wie einer Gruppe unbefugter Besucher der Zutritt zu gesicherten Orten ermöglicht werden könne. Jetzt, wo sich wahrhaftig jemand einer solchen Methode bedient hat, noch dazu ein Schüler, wundert es mich doch sehr, daß ich das erst diese Nacht erfahren durfte, daß über derartige Invasionsmöglichkeiten bereits ausführlich gesprochen wurde, Monsieur Andrews. Also was haben Sie damals vermutet oder vermuten es heute mehr denn je?" Sie sah Julius durchdringend an. Womöglich wollte sie ihn sogar legilimentieren. Doch Julius hielt seinen Geist so gut es ging verschlossenund sagte ruhig:

"Ich hörte mal davon, daß es in der Zaubererwelt Schränke gebe, die so bezaubert sind, daß sie Sachen oder Menschen verschwinden lassen, die dann in abgestimmten Gegenstücken wieder auftauchen. Ich habe Professor Dumbledore einen Brief geschrieben, ob er sich das auch vorstellen könne, daß man mit so einem Paar von Schränken Leute heimlich nach Hogwarts reinholen könne und Aurora Dawn gefragt, ob sie in Hogwarts vielleicht einen Schrank haben, der für sowas in Frage kommen könnte. Er antwortete mir, daß er sich darüber keine Sorgen mache, weil der einzige Verschwindeschrank, den sie in Hogwarts hätten unbrauchbar sei, seitdem ein gewisser Peeves ihn vor fünf Jahren umgeworfen habe. Ab da war ich erst einmal beruhigt. Ich kenne ja Erfundene Geschichten von Maschinen, die ähnlich wie die Reisesphäre oder Portschlüssel Leute von einem Ort an einen anderen bringen können. Da die Kamine in Hogwarts genau wie die in Beauxbatons nur für Kontaktfeuergespräche freigehalten sind konnte also keiner auf diesem Weg da rein, und Apparieren kann man in Hogwarts genausowenig wie in Beauxbatons. Dann hat mir ein früherer Schulkamerad aus Hogwarts geschrieben, daß sie sogar eine Flugabwehrkuppel über Hogwarts errichtet haben, um Besenlandungen oder die größerer Zaubertiere zu vereiteln. Blieb also nur ein Portschlüssel oder eben so ein Verschwindeschrank."

"So, und der leider nun selige Professor Dumbledore hat Ihnen beruhigend versichert, daß dieser Schrank weiterhin unbrauchbar auf dem Boden von Hogwarts steht?" Fragte Professeur Faucon. Julius nickte. Dann erkannte er, was für eine grausame Andeutung in dieser Frage steckte. Das Schlüsselwort war "beruhigenderweise". Denn jetzt paßte es auch, was Aurora Dawn ihm über die beiden doppelten Mädchen erzählt hatte, wo er selbst schon die Vermutung gehabt hatte, irgendwer treibe da im Raum der Wünsche etwas, wovon keiner was mitkriegen durfte. Wer das war wußten sie jetzt. Was es war, ahnte er jetzt. Er sprach es laut aus:

"Womöglich hat sich der, der die Handlanger des sogenannten Lord Voldemort nach Hogwarts holen sollte monatelang damit rumgeplagt, den kaputten Schrank zu reparieren. Professor Dumbledore wollte mir das natürlich nicht schreiben, um mich nicht zu ängstigen, damit ich mich hier auf die Schulsachen und das Quidditchturnier konzentrieren konnte."

"Moment mal, Julius", wandte Millie ein, ohne sich Sprecherlaubnis von Professeur Faucon oder Madame Rossignol zu erbitten. "Damit willst du doch nicht etwa sagen, daß Professeur Dumbledore das gewußt hat, wie jemand in Hogwarts reinkommen kann, ohne was dagegen gemacht zu haben. Oder hat er dir geschrieben, daß sie den Schrank ganz aus Hogwarts rausgeschafft haben?"

"Nicht das ich wüßte. Ich habe den Brief in meiner Reisetasche in einer Mappe für ganz private oder nicht für jeden zu lesende Briefe drin", sagte Julius. Millies Frage hatte in ihm ein Feuerwerk von Gedanken entbrannt. Was, wenn Dumbledore es nicht erst seit seiner Warnung gewußt hätte, daß ein brauchbarer Verschwindeschrank mit dem entsprechenden Zwillingsbruder eine passable Transmitterverbindung hergab? Was, wenn Dumbledore schon gewußt hatte, wer ihm da an den Kragen wollte? Gut, daß Voldemort ihm nach dem Leben trachtete wußte er natürlich schon längst. Aber daß der sich dabei an Draco Malfoy hielt ... ja auch nicht zum ersten Mal ... Dann wäre es, so ungeheuerlich es ihm, Julius vorkommen mochte, die einzige Lösung, so unwahrscheinlich sie auch sein mochte. Dumbledore hatte Draco machen lassen, um diesen vor Voldemorts Vergeltung zu schützen, falls er erwischt worden wäre oder gekniffen hätte. Professeur Faucon sah Julius an und fragte leise:

"Was haben Sie aus meiner Frage und der Ihrer neuen Partnerin analysiert, Monsieur Andrews?"

"Was ziemlich heftiges, Professeur Faucon", setzte Julius an. "Dumbledore hat es darauf ankommen lassen, daß er umgebracht wird, um den Bengel zu beschützen, der die Todesser nach Hogwarts reingeschmuggelt hat. Sie erinnern sich vielleicht noch daran, daß ich nach Mrs. Porters Beerdigung mit ihm gesprochen habe. Er hat mir gesagt, daß er keine Angst vor dem Tod habe und er die ihm anvertrauten Schüler mit seinem Leben beschützen würde. Sogesehen heißt das auch, daß er selbst lieber sterben wollte als einen Schüler von Hogwarts sterben zu sehen."

"Heftig", sagte Millie. professeur Faucon sah sie an und sagte harsch:

"Darin äußert sich wahre Größe und Fürsorge, Mademoiselle Latierre. Ich darf annehmen, daß Ihre Frau Mutter ebenso in den Tod gehen würde, falls die Alternative der Tod Ihrer Schwestern oder Ihnen selbst sei. Ähnliches war und bin ich selbst bereit für meine Familienangehörigen und in loco parentis für Sie, Mademoiselle, Monsieur Andrews und jeden anderen aus der Schülerschaft hier zu opfern."

"Davon hätten die uns anvertrauten Schüler nur nichts, wenn sie nach ihnen oder mir sterben müßten", wandte Madame Rossignol ein und fing sich dafür einen verärgerten Blick der Verwandlungslehrerin ein, dem sie jedoch standhielt. "Ich meine, solch ein Opfer kann doch nur dann gerechtfertigt sein", sagte sie ruhig, "wenn die Gefahr dadurch wirklich beseitigt wird oder eine wichtige Grundlage zu ihrer Beseitigung errungen wird. Aber ich werde mich hier und jetzt nicht dazu versteigen, über die Gedanken des seligen Professor Dumbledore zu spekulieren wie Sie, Blanche und ihr es gerade getan habt. Wir sollten uns vielmehr mit den neuen Umständen befassen, die der Tod von Dumbledore nach sich zieht."

"Welche Umstände?" Wollte Millie wissen. Professeur Faucon sah sie ungehalten an. Julius bat ums Wort und antwortete:

"Nun, der, den viele Zauberer nicht beim Namen nennen wollen hat es geschafft, seinen Erzfeind auszuschalten, zumindest glaubt er, daß er damit auch Dumbledores Macht zerschlagen hat. Das heißt, er kann nun Sachen machen, die er sich mit einem lebenden Dumbledore gegen ihn nicht getraut hat. Jedenfalls könnten viele Hexen und Zauberer jetzt total am Boden sein, weil der, auf den sie alle ihre Hoffnungen gesetzt haben, sie nicht mehr beschützen kann. Damit kann er nun noch besser Leute tyrannisieren, nach dem Motto: "Mir kann keiner was, also macht gefälligst, was ich will!" Das meint Madame Rossignol wohl." Die erwähnte nickte ihm zu. Professeur Faucon sah ihn anerkennend an.

"Nun, Sie bringen aus der Muggelwelt das Grundwissen über dortige Diktaturen und Verbrecherorganisationen mit. Natürlich ist es von erheblichem Gewicht, ob ein auserkorener Hoffnungsträger dem Tyrannen zum Opfer fällt. Allerdings kann diese Sache sich auch nachteilig für den Despoten auswirken, wie Sie, Monsieur Andrews, es bereits haben anklingen lassen."

"Häh?!" Machte Millie. Professeur Faucon räusperte sich mißbilligend und sagte leicht verärgert:

"Ihr Freund, Mademoiselle Latierre, hat gesagt, daß jener dunkle Magier glaubt, mit dem Tod seines Erzfeindes dessen Macht zerschlagen zu haben, womit er indirekt zum Ausdruck bringt, daß er hofft, daß genau das Gegenteil der Fall ist, nämlich daß Professor Dumbledore zum Märtyrer geworden ist, dessen Ziele und Visionen nun unangreifbar sind und neue und mächtige Anhänger finden, die sich bisher nicht zum offenen Kampf gegen jenen sogenannten Lord Voldemort entschließen mochten. Die christliche Religion basiert auf dem Tod von Jesus, der für seine Überzeugungen gestorben ist und allen, die in seinem Sinne leben wollten und lieber einen grausamen Tod hinnahmen als die Ideale von Jesus Christus zu verleugnen. Wie mächtig das Christentum geworden ist steht ja in sämtlichen Geschichtsbüchern auch unserer Welt. Dann hätte Ihr Einwand auch im Bezug auf Professor Dumbledores Tod seine volle Berechtigung, Florence. Er hat sich geopfert, um allen, die ihre Hoffnungen in ihn setzten aufzurütteln und mächtig werden zu lassen. Daran zeigt sich wieder einmal, daß jener dunkle Zauberer von kurzsichtiger Zerstörungs- und Herrschsucht besessen ist. Denn genau das hätte er bei der ihm trotz allem zu unterstellenden Intelligenz erkennen müssen."

"Du kannst einen Menschen töten, aber nicht seine Ideen, Millie", sagte Julius trotzig. Professeur Faucon nickte ihm zustimmend zu.

"Ja, im Moment müssen wir also eher darauf gefaßt sein, daß der Unnennbare noch brutaler zuschlägt und noch mehr Menschen in Angst und Schrecken versetzt und sie damit zu ähnlich grausamen Taten treiben kann", sagte professeur Faucon. Daher befand ich, daß es alle wissen sollten, die in dieser Welt gegen ihn und seinesgleichen kämpfen."

"Weiß Madame Maxime Bescheid?" Fragte Julius.

"Ich habe ihr eine entsprechende Mitteilung zukommen lassen, daß ich sie gleich persönlich aufsuchen möchte, um mit ihr darüber zu sprechen. Ich wollte zunächst mit Ihnen, Monsieur Andrews, über die Situation sprechen, die sich womöglich für Sie und Mademoiselle Porter ergibt. Immerhin sind Sie beide unmittelbar betroffen von den Vorgängen in Hogwarts."

"Ich war froh, daß sonst keiner bei diesem Überfall umgebracht wurde, außer einem Todesser, der in den Fluch eines seiner Kumpane reingeraten ist. freundliches Feuer sagen die Muggelsoldaten dazu. Mich wundert es nur, daß ein paar Schüler dem Angriff so gut widerstehen konnten.""

"Mademoiselle Dawn vermutet, daß sie alle kleine Dosen des Felix-Felicis-Trankes eingenommen haben, als der Angriff ruchbar wurde", erwiderte professeur Faucon. Julius sog Luft zwischen den zusammengebissenen Zähnen ein und meinte: "Aua, hätte ich drauf kommen können."

"Apropos Gloria", griff Madame Rossignol einen ausgelegten Faden auf. "Wer teilt es ihr wie mit?"

"Sie meinen, daß es gerechtfertigt sei, sie vor der allgemeinen Verbreitung in den Zeitungen zu informieren? Nun, dann werde ich dies tun, sobald es sechs Uhr morgens ist", sagte Professeur Faucon. "Ich hoffe, ihr diese neuerliche Schreckensnachricht so behutsam es geht überbringen zu können."

"Wie Sie meinen, Professeur Faucon", sagte Julius leise. Madame Rossignol nickte beipflichtend. Millie fragte Professeur Faucon noch:

"Was passiert mit diesem Draco Malfoy, wenn sie ihn erwischen?"

"Nun, hoffen wir mal, daß es die britischen Ministeriumszauberer sind, die den Jungen ergreifen können, bevor sein dunkler Auftraggeber ihn in seine Gewalt bekommen kann. Denn wenn ich das richtig verstanden habe, so hatte er und nur er allein den Auftrag, Professor Dumbledore zu ermorden. Das Subjekt Snape, den ich nie so recht als Lehrerkollegen zu achten vermochte, sprang ihm wohl nur bei, um den Angriff seiner Spießgesellen zum erfolgreichen Abschluß zu bringen."

"Moment, woher weiß Aurora Dawn das denn, daß dieser Bursche alleine auf Professor Dumbledore losgehen sollte?" Wollte Millie wissen.

"Weil er es sonst wohl nicht nötig gehabt hätte, auf den Turm zu klettern und da mit Professor Dumbledore zusammenzutreffen", erwiderte professeur Faucon. Julius nickte. Das war logisch. Draco hätte sich still und heimlich absetzen können, nachdem er den Todessern die Tür nach Hogwarts aufgemacht hatte, ja sogar so tun können, völlig unschuldig zu sein und die todesser durch irgendeinen dummen Zufall das Loch in der Festungsmauer gefunden hatten. Also sollte Malfoy Dumbledore umbringen, und die Sache mit dem verfluchten Schmuckstück und dem vergifteten Met sprach für einen hinterhältigen Amateur, der sich nicht gut genug auf seine Zielperson ausrichten konnte oder wollte. Denn kein Profikiller überließ es dem Zufall, wer Gift abbekam oder in eine Bombenexplosion reingeriet. Millie sah es wohl ein. Dann meinte Professeur Faucon:

"Auch wenn zu befürchten steht, daß Sie beide keinen ordentlichen Schlaf mehr bekommen können möchte ich Sie beide doch bitten, in Ihre Schlafsäle zurückzukehren und zumindest zu versuchen, noch bis zum allgemeinen Wecken zu schlafen."

"Ich werde euch beiden eine kleine Dosis Schlaftrank geben, die ihr in euren Sälen einnehmen möchtet", sagte Madame Rossignol. Julius und Millie nickten einverstanden. So bekamen beide Phiolen mit dem purpurroten Tiefschlaftrank. Die Dosis reichte für vier volle Stunden. Als sie dann in ihren Betten lagen und sich über das Armband eine gute Restnacht wünschten, tranken Julius und Millie ihre Tränke und schliefen kurz darauf tief und fest.

"Was spielen die Mexies denn für trübseliges Zeug?" Hörte Julius Hercules verwundert fragen, als die gemalten Mariachis unter getragenen Trauerklängen durch die Bilder zogen. Julius sah über sein Bett. Aurora Dawns Bild war leer. Er zog den Vorhang auf und sah seine Klassenkameraden an. Dann sagte er:

"Ich hörte diese Nacht von meiner gemalten Hogwarts-Kurierin, daß Professor Dumbledore ermordet wurde." Peng! Das schlug bei allen ein wie eine Splitterbombe. Robert und Hercules sahen Julius voller Mitleid an. Gaston blickte verstört umher, und Gérard kämpfte um seine Selbstbeherrschung.

"Öh, ermordet? Doch nicht in der Schule selbst. Das geht doch nicht. Wer war'n das?" Fragte Hercules.

"Wer wohl, der Unnennbare", knurrte Gaston wie ein gereitzter Puma. Julius hielt es für nötig, einen neuen Streit zwischen den Beiden sofort abzuwürgen und sagte laut und vernehmlich:

"Es war jemand, dem Dumbledore zu sehr vertraut hat. Nach Augenzeugenberichten war es ein gewisser Severus Snape, früher auch Professor Snape zu nennen. Der war Lehrer in Hogwarts, Leute. Dumbledore muß ihm wegen irgendwas vertraut haben, daß der so tun konnte, als wäre er kein Todesser, also einer von Voldemorts Gangstern." Der Name Voldemort wirkte wie üblich genauso erschreckend wie eine unmittelbare Gefahr. Robert meinte dann noch:

"Verdammte Sauerei. Dann hat sich da wer bei denen in Hogwarts reingewanzt und drauf gewartet, bis er von ihm, dessen Name nicht genannt werden darf den Befehl gekriegt hat?"

"Könnte so gelaufen sein", tat Julius so, als habe er nicht wesentlich mehr davon mitbekommen.

"Ja, und die Mexikaner haben's von deiner Aurora-Dawn-Kopie?" Fragte Gérard. Julius nickte verhalten. Ob es stimmte konnte er nicht mit Sicherheit sagen, wenn es auch am wahrscheinlichsten war.

"Dumbledore war doch der, vor dem Ihr-wißt-schon-wer die größte Angst hatte", warrf André ein. "Dann kann der jetzt machen was er will."

"Nur wenn wir ihm das durchgehen lassen", erwiderte Julius kampfeslustig. Robert, Hercules und Gaston sahen ihn verstört an.

"Nichts für ungut, Julius. Du bist bestimmt besser im zaubern als wir hier. Aber wenn er, dessen Name nicht genannt werden darff ..."

"ja, ich weiß, Voldemort. Ich will ja nicht gegen den selbst kämpfen, nachdem ich jetzt mit Kreaturen wie Hallitti oder dem irren Iwan Bokanowski zu tun hatte", sagte Julius. "Ich meine nur, daß wir ihm nicht alles durchgehen lassen dürfen. Wir sind immer mehr als er und seine Leute, und die müssen sich jetzt wirklich warm anziehen. Wenn das Ministerium drüber weg ist, daß Dumbledore nicht mehr lebt, der denen ja auch nicht immer nach dem Mund geredet hat, rollen die sämtliche alten Prozesse noch mal auf, wo Todesser freigesprochen wurden, weil sie angeblich unter dem Imperius-Fluch gestanden oder aus sonstigen Gründen was angestellt hatten, was sie nicht tun wollten. Könnte dann nur passieren, daß das, was dann kommt schlimmer ist als dieser Bastard selbst. Aber mehr Angst als vorher habe ich trotzdem nicht vor dem."

"Womöglich bleibt der jetzt auch in England, wenn Dumbledore nicht mehr da ist", wandte Hercules ein. Julius wollte sofort was dazu sagen, da ging die Tür auf, und Giscard rief: "Morgen zusammen! Huch, Julius bist ja noch hier! Ich dachte, du würdest wieder draußen üben."

"Bin im Moment nicht gerade in der Stimmung dafür", meinte Julius. "Habe diese Nacht erfahren, daß mein früherer Schulleiter umgebracht wurde, noch dazu von einem der Lehrer."

"Nein, das ist nicht wahr, Julius. Also ich meine, du mußt mir keine Antwort drauf geben, warum du nicht draußen bist. Aber so derb anschwindeln mußt du mich dann auch wieder nicht", erwiderte Giscard, der für einen Moment seine aufmunternde Art verloren hatte.

"Ach ja, und warum spielen die Mariachis so trauriges zeug?" Fragte Hercules kess.

"Leute, das ist unmöglich, daß irgendwer Dumbledore umbringt, den der gut kennt. der paßt zu gut auf. Also mal hier keinen Drachen an die Wand, Julius."

"Dann frage Professeur Faucon", erwiderte Julius unbeeindruckt. "Die weiß es auch schon längst."

"Du riskierst zehn Strafpunkte, Julius", sagte Giscard. Doch dann befand er, daß er seine Runde fortsetzen sollte und wies die Jungen an, sich ordentlich zu waschen und anzukleiden. In einer halben Stunde gehe es zum Frühstück.

Hercules und die anderen schienen durch das, was Giscard gesagt hatte neuen Mut gefaßt zu haben. Konnte es sein, daß ihr Kamerad sie alle verladen hatte? Diese Frage konnte Julius an den Gesichtern ablesen. Sicher, er hatte es auch nur von Aurora Dawn mitbekommen. Doch diese hatte so bitterlich geweint, das war kein Schauspiel gewesen. Außerdem würde sie sich bestimmt nicht dazu verleiten lassen, derartige Falschmeldungen rumzureichen. Denn dann würde ihr ja keiner mehr was glauben, ob der gemalten oder der echten Aurora Dawn. Mit dieser traurigen Gewißheit begann Julius den Tag mit den übrigen Klassenkameraden, was sehr sehr selten vorkam, weil er sonst schon seine Bahnen auf der Laufstrecke zog oder mit den anderen Gymnastikübungen unter Schwermachereinfluß machte.

Als sie dann unten im Speisesaal saßen und die Zeitungen eintrafen, setzte das große Zetern und Wimmern ein, daß die Meldung über Voldemorts offizielles Auftauchen schon bereitet hatte. Denn auf der Titelseite des Miroir Magique prangte ein freundlich allen Betrachtern zuzwinkerndes Foto Dumbledores. Darunter stand in großen, schwarzen Buchstaben:

ALBUS DUMBLEDORE VON EIGENEM KOLLEGEN HEIMTÜCKISCH ERMORDET

 

NÄCHTLICHER ÜBERFALL AUF BRITISCHE ZAUBERERSCHULE VERSETZT DIE WELT IN ANGST UND SCHRECKEN

 

 

MÖRDER DUMBLEDORES WELTWEIT GESUCHT

 

Unter der letzten Schlagzeile war ein kleineres Foto abgedruckt, das den schwarzhaarigen, hakennasigen Severus Snape zeigte, der verächtlich aus dem kleinen Rahmen blickte, als seien ihm alle Betrachter zu wider oder als wolle es allen sagen: "Seht her, ihr Idioten! Ich habe Dumbledore abgemurkst." Julius las zusammen mit Robert den vollständigen Artikel, indem eine Stellungnahme des britischen zaubereiministeriums zitiert wurde, daß es in der vergangenen Nacht zu einem unerwarteten Angriff von Todessern auf Hogwarts gekommen sei und Dumbledore dabei hinterrücks von seinem Mitarbeiter Snape mit dem Todesfluch niedergestreckt worden sei und sein bereits toter Körper vom höchsten Turm der Schule gestürzt sei. Außerdem sei eine zur Schule gehörende Hütte in Brand gesteckt worden, um den schnellen Rückzug der Angreifer zu decken, von denen bisher keiner sagen könne, wie diese die massiven Sicherheitsmaßnahmen überwunden hatten.

"Das ist ja echt ein Alptraum", meinte Robert. Dann fragte er Julius, ob dieser Snape irgendwie hätte durchblicken lassen, daß er ein falscher Knut war.

"Der war fies und überheblich, Robert. Aber "Ich bin ein Mörder" stand dem nicht auf der Stirn. Vielleicht wußte der das bis gestern abend auch noch nicht, daß er Dumbledore umbringen sollte. Aber ich fürchte, der wußte es schon sehr früh und hat nur auf den entsprechenden Tag gewartet."

"Hier steht was davon, daß eine Minerva McGonagall die vorübergehende Schulleiterin ist. Ist das die, von der Königin Blanche es hatte, die ihr gesagt hat, du könntest schon bessere Verwandlungssachen?"

"Eben die", meinte Julius. Während an einigen Tischen Leute zu weinen begannen, nicht nur Mädchen. Laurentine und Céline sahen immer wieder zu ihm herüber, wußten wohl nicht, wie sie ihn nun angucken sollten. Dann krachte es dreimal hintereinander. Sofort war Ruhe. Madame Maxime hatte nur in die Hände geklatscht, und schon hörten ihr alle zu. Sie verlas noch einmal laut den Artikel und auch den Nachruf auf Dumbledore, sowie die Kondolenzmitteilung des Zaubereiministeriums. Dann erzählte sie mit belegter Stimme vom letzten trimagischen Turnier und daß sie und der dahingeschiedene Kollege sich häufig und gerne über die unterschiedlichen Auffassung der Unterrichtsgestaltung und Disziplinierung gestritten haben, jedoch dabei immer einen freundlichen Tonfall gepflegt hätten. Sie betonte, daß sie im letzten Jahr, wo Dumbledore zeitweilig in Mißkredit geraten sei, nie daran geglaubt habe, daß er gegen das Zaubereiministerium gearbeitet hätte. Julius entsann sich der Sub-Rosa-Vereinigung hier in Beauxbatons, an deren letzter Sitzung Dumbledore teilgenommen hatte, um sich für die heimliche Unterstützung zu bedanken. Julius sah die Bilder vor sich, wie er Dumbledore zum ersten Mal in der großen halle am Lehrertisch gesehen und sich über dessen Haar- und Barttracht gewundert hatte, wie er ihn nach dem ersten Schultag geprüft hatte und wie er verhalten gelächelt hatte, als Julius eine Natriumtablette in den großen See geworfen hatte. Jetzt, wo Julius die Legilimentie kennengelernt hatte, fiel es ihm ein, daß Dumbledore ihn damals durchaus durchschaut haben mochte, aber keinen Ton darüber verloren hatte. Er dachte an den letzten Tag seines zweiten Schuljahres, wo Dumbledore allen gesagt hatte, sich nicht unterkriegen zu lassen und sah ihn in Madame Maximes Besprechungszimmer, als die Sache mit Slytherins Galerie passiert war. Ja, Julius Andrews hatte seine ganz eigenen Erlebnisse mit dem trotz seiner vielen Lebensjahre zu früh gegangenen Zauberer, der trotz seiner gutmütigen, teilweise kauzigen Art immer eine Aura von Würde und Macht verbreitet hatte. War er vielleicht doch zu alt gewesen, um die herannahende Gefahr rechtzeitig zu erkennen? Oder hatte er wirklich bei vollem Bewußtsein seinem Tod entgegengeblickt? Die Antwort auf diese Fragen hatte Dumbledore mit in das Totenreich genommen, wenn er nicht als Geist auf der Erde verblieben war oder die Macht besessen hatte, wie Claire und Aurélie eine höhere Daseinsform anzunehmen. Er dachte wieder an Obiwan Kenobi, dem Jedimeister aus den Krieg-Der-Sterne-Filmen. Der hatte sich mit der hellen Seite der Macht verbunden und damit seinen sterblichen Körper überdauern können. Konnte Dumbledore das vielleicht doch? Ashtaria konnte es, und sie hatte Claire und ihrer Großmutter geholfen, in einer Form jenseits von Leben und Tod weiterzuexistieren. Doch versuchte er nicht gerade, sich da was einzureden, daß Dumbledores Tod nicht so schlimm sei oder soetwas? Nein, Dumbledore war ermordet worden, von Snape, und Draco Malfoy hatte Dumbledore in diese tödliche Falle gelockt. Das machte ihn ebenfalls zum Mörder, auch wenn er zum Schluß vielleicht Skrupel bekommen hatte, jemanden umzubringen, der ihm eine Sekunde vorher noch in die Augen sieht. Julius wußte, daß er niemanden einfach umbringen könnte, auch nicht durch verfluchte Gegenstände oder eingeschmuggelte Gifte. Brittany Forester hatte ihm ganz unverholen gesagt, daß viele Menschen keinen Fetzen Fleisch mehr essen würden, wenn sie dafür selbst töten mußten. Da mochte was dran sein. Andererseits war der Mensch an sich als Jäger groß geworden. Aber das hieß nicht, daß Menschen sich gegenseitig einfach so umbringen mußten.

"Hier steht auch drin, daß sie Hogwarts wohl zumachen müssen, bis klar ist, was da genau passiert ist", warf Jacques Lumière vom Blauen Tisch her ein. "Wie sieht das dann mit Beauxbatons aus?" Einige der Blauen mußten trotz der trüben Stimmung grinsen. Madame Maxime sah ihn sehr energisch an und sagte dann, weil ihr nun wieder alle wie gebannt zuhörten:

"Nun, ich erhielt detailiertere Kenntnisse über Gelegenheit und Verlauf des nächtlichen Überfalls, als die Zeitung es hier verlautbart, Monsieur Lumière und kann Ihnen verbindlich versichern, daß wir hier in Beauxbatons nicht mit einer derartigen Unanehmlichkeit zu rechnen haben. Außerdem ist die Beauxbatons-Akademie nicht die Hogwarts-Schule und die dortigen Vorfälle berühren uns nur rein emotional. Dennoch werden wir vom Lehrkörper nicht im Alleingang aus purer Solidarität mit der gebeutelten Partnerschule unsere Pforten schließen. Für alle die, die sich hier redlich einsetzen, einen guten Schuljahres- oder Prüfungsabschluß zu erzielen kann ich beruhigend versichern, daß weder von uns, dem Lehrerkollegium, noch von den Schulräten von Beauxbatons, oder der Ausbildungsabteilung verfügt wird, daß Beauxbatons den Lehrbetrieb einstellt. Einige von Ihnen, die darauf gehofft haben, so um die Schmach einer verfehlten Prüfung zu kommen, weil Sie es immer noch nicht einsehen wollten, daß Sie sich damit selbst mehr schaden als uns sei eindeutig versichert, daß der Unterricht und die Jahresendprüfungen wie bisher stattfinden werden, für jede Schülerin und jeden Schüler, die und der sich zu diesem Zeitpunkt in den Mauern unserer Akademie befindet, gänzlich ungeachtet der persönlichen Gefühlslage, die jene betrüblichen Nachrichten aus Großbritannien aufkommen lassen."

"Das war für Gloria und für mich", raunte Julius, als ein mittellautes Tuscheln einsetzte. Robert nickte. Dann fragte er ihn, ob er das hinbekommen könne, so zu tun, als wenn nichts gewesen wäre.

"Ich habe es hingekriegt, als Claire ging. Ich habe es hingekriegt, als Glorias Oma starb und werde es wohl auch packen, weil ich weiß, daß Dumbledore genau das will, daß ich alles lernen kann, was die Zaubererwelt mir beibringen will", sagte Julius entschlossen. Ob das so stimmte wußte er nicht. Immerhin war jemand gestorben, der sich dafür eingesetzt hatte, daß Kinder ohne magische Eltern in Hogwarts überwiegend gut behandelt wurden. Er dachte daran, daß seine Mutter es Dumbledore zu verdanken hatte, daß sie heute noch mit ihm Kontakt halten durfte. Vielleicht hätte Professor McGonagall ihr das nicht erlaubt, nach Hogwarts zu kommen oder Briefkontakt mit Julius zu halten. Doch Dumbledore hatte ja auch zugelassen, daß diese Ratte Snape ... Nein, über die Toten nichts wenn nichts gutes, fiel es Julius ein. Dann hörte er Glorias Stimme durch den Saal.

"Was mich angeht, Madame Maxime, so werde ich mich so gut es geht den Jahresendprüfungen stellen. Ich denke, meine Eltern sind froh, daß ich im Moment hier bin, wenn ich auch an meine Freunde in Hogwarts denken muß." Wieder setzte lautes Gemurmel ein. Julius wußte nicht, ob er auch noch was sagen sollte. Doch weil ihn keiner gezielt ansah unterließ er es. Madame Maxime wartete noch eine halbe Minute. Dann sagte sie laut und den ganzen Saal ausfüllend:

"Nichts anderes als das habe ich von Ihnen und jedem anderen hier erwartet, Mademoiselle Porter. Ich gehe stark davon aus, daß Professeur Albüs Dumblydor nichts anderes von Ihnen und jedem anderen seiner ehemaligen Schüler erwartet. - Ich möchte Sie alle nun bitten, in meiner gemeinsamen Schweigeminute Albüs Dumblydor zu ehren!" Sie hob die Hand. Alle schwiegen still. Sie senkte die Hand. Keiner sagte ein Wort. Absolute Stille füllte den sonst von schwatzendn Schülern und klappernddem Besteck belebten Saal aus. Julius blickte schnurgerade auf die Fensterfront. Draußen wiegten sich die grünen Bäume des schuleigenen Forstes im Winde. Womöglich sangen Vögel in den Zweigen. Anderswo liefen vielleicht kleinere Nagetiere herum und summten Bienen oder flatterten Schmetterlinge über den Blumenbeeten. Das Leben ging weiter. Die Welt drehte sich weiter, obwohl ein kleines Stück davon herausgeschlagen worden war. Julius versank in Erinnerungen an seine zweijährige Zeit in Hogwarts, die mit einer Flut von Briefen begonnen hatte und mit der Abreise in der fliegenden Beauxbatons-Kutsche zu Ende gegangen war. Vielleicht gab es nach diesem Schuljahr kein Hogwarts mehr, wenn selbst dort keiner mehr sicher war, selbst dann nicht, wenn er einer der mächtigsten zauberer der Gegenwart gewesen war. Doch in Beauxbatons würde der Betrieb weitergehen, womöglich auch in Durmstrang, Thorntails, Redrock und Greifennest. Würden die erkannten Junghexen und -zauberer dann auf eine dieser Schulen wechseln? Er konnte sich vorstellen, daß Gloria ihr Austauschjahr in Beauxbatons um weitere drei Jahre verlängern könnte, um dann mit dem UTZ-Abschluß von hier abzugehen. Auch Pina, die gerade Französisch lernte, könnte hier eingeschult werden. Kevin in Beauxbatons konnte er sich jedoch beim besten Willen nicht vorstellen, selbst wenn der bei den Blauen oder Roten reinkommen würde. Womöglich würden die Iren dann eine eigene Zauberschule aufmachen, die dann irgendwo, wo sie keiner suchte, die wenigen Schüler weiterunterrichtete. Er dachte an die Hollingsworth-Zwillinge, ja und auch an Lea Drake von den Slytherins. Die würden sich wohl auch nicht dazu breitschlagen lassen, nach Beauxbatons zu wechseln. Dann wohl eher nach Thorntails. Dabei fiel ihm ein, daß Gloria wegen der Verwandten in den Staaten auch nach Thorntails wechseln könnte. Dann bliebe er doch alleine hier in Beauxbatons. Alleine? Er war doch nicht alleine! Er hatte Freunde hier wie Robert, ja und vielleicht auch wieder Hercules. Aber vor allem hatte er hier gelernt, daß Liebe nicht nur ein Wort in schnulzigen Liedern oder kitschigen Romanen war. Hätte er das in Hogwarts auch so früh gelernt? Er wußte es nicht.

"Die Minute ist um", sagte Madame Maxime ruhig, als tatsächlich sechzig Sekunden vergangen waren. Dann gebot sie den Schülerinnen und Schülern, sich gut von der letzten Schulwoche zu erholen. Denn nach dem nächsten Sonntag würden die ersten Jahresendprüfungen beginnen.

Julius zog sich zunächst in den Jungenschlafsaal der vierten Klasse zurück. Keiner wagte, ihm zu folgen oder ihm weitere Fragen zu stellen. Hier schrieb er drei Briefe. Den ersten davon an seine Mutter:

 

Hallo, Mum,

ich weiß nicht, ob Viviane oder Catherine es dir schon erzählt haben. Aber zumindest möchte ich dir selbst die ziemlich heftige Nachricht mitteilen, die mir Aurora in der Nacht gebracht hat.

Also, ich bin mitten in der Nacht wach geworden, weil irgendwer bitterlich geweint hat. Als ich dann raushatte, daß es meine gemalte Version von Aurora Dawn war, wußte ich irgendwie schon, daß irgendwas ziemlich übles passiert sein muß. Sie erzählte mir dann sehr traurig, daß es in dieser Nacht einen Überfall auf Hogwarts gegeben hat. Irgendwer hat es hingebogen, Anhänger dieses Irren in die Schule reinzuschmuggeln, die dann gegen Lehrer und Schüler gekämpft haben. Dabei wurde Professor Dumbledore ermordet. Das schlimme daran ist aber, daß nicht einer der reingeschmuggelten Verbrecher ihn getötet hat, sondern einer der Lehrer, dein und Paps achso spezieller Freund, Severus Snape. Falls du das jetzt erst erfährst, du hast richtig gelesen. Snape hat Professor Dumbledore umgebracht, wohl mit dem tödlichen Fluch, von dem ich dir auch mal erzählt habe. Offenbar hat dieser Gangster als eine Art Doppelagent für Dumbledore und den Irren Voldemort gearbeitet und sich dann doch irgendwann entschlossen, nur noch für Voldemort zu arbeiten. Bestimmt ging es auch darum, den Überfall auf Hogwarts auszunutzen, um Professor Dumbledore zu töten. Soweit ich das mitbekommen konnte, sollte einer der Schüler, dessen Vater im letzten Sommer ins Gefängnis gewandert ist, den Mordauftrag ausführen, hat's aber nicht gebracht. Da sollte wohl Snape das erledigen, so vermuten Aurora, Professeur Faucon und ich. Auf jeden Fall hat mich das ziemlich heftig runtergezogen, wie du dir denken kannst. Heute morgen stand es auch noch in unserer Zeitung drin. 

Wenn ich überlege, daß wir es Professor Dumbledore zu verdanken haben, daß wir beide heute wieder kontakt haben, ja, daß wir zusammen weiterleben konnten, denke ich schon, daß du es erfahren solltest, daß er für uns alle, die eine friedliche Welt der Zauberer und Nichtmagier haben wollte, sein Leben geopfert hat. Vielleicht, so vermuten Professeur Faucon, Madame Rossignol und ich, hat er das auch getan, um seine Ideen unangreifbar zu machen. Jedenfalls sind Gloria und ich sehr traurig, weil wir auch an alle die in Hogwarts denken müssen, die jetzt total viel Angst haben, weil jemand es geschafft hat, Feinde dort einzuschmuggeln. Madame Maxime teilte uns gerade beim Frühstück mit, daß wir in Beauxbatons sowas nicht zu fürchten hätten, da eine der Möglichkeiten, die dafür in Frage kämen, hier nicht existieren würde. Jedenfalls soll der Betrieb hier so weitergehen wie geplant, auch wenn sie in Hogwarts vielleicht die Schule zumachen müssen, weil sie eben nicht die hunderdprozentige Garantie geben konnten, daß die Schüler dort sicherer sind als anderswo und eben weil Professor Dumbledore von einem Lehrerkollegen ermordet wurde, was ja nicht gerade eine Supervertrauensgrundlage ist. 

Außer der heftigen trüben Stimmung geht es mir jedoch soweit gut, und ich möchte auf jeden Fall hierbleiben, um die Prüfungen zu machen, weil ich das Professor Dumbledore schuldig bin, der ja Leuten wie mir überhaupt die Möglichkeit gegeben hat, die angeborene Zauberei so zu lernen, daß dabei keiner in die Luft gesprengt wird.

In aller Liebe
                    dein Sohn Julius

 

Den zweiten Brief schrieb er an die Dusoleils, worin er noch einmal erwähnte, wie nahe ihm der Tod Dumbledores ginge, weil dieser ihm ja doch erst den Einstieg in die Zaubererwelt ermöglicht hatte, daß er, der Sohn von Muggeln, überhaupt zaubern lernen durfte und auch sehr viel dazu beigetragen habe, ihn wieder mit seinen Eltern zusammenzubringen. Er beschloß ihn mit den Worten: "... Ohne Professor Dumbledore fehlt was in der Zaubererwelt, und Leute wie ich sind da wohl in der Pflicht, dieses Loch irgendwie zu stopfen, nicht um ihn zu ersetzen, sondern die Arbeit weiterzumachen, die er für uns alle geleistet hat."

Den dritten Brief schrieb er an die familie Porter, in dem er noch einmal erwähnte, wie dankbar er Dumbledore dafür sei, daß er zwei sehr schöne, aber auch wichtige Jahre in Hogwarts verleben und weiterhin Spaß an der zauberei haben konnte, auch wenn er Hogwarts verlassen hatte und nach Beauxbatons umgesiedelt war. Er beteuerte, daß er Gloria beistehen würde, wenn diese wegen des gewaltsamen Todes von Professor Dumbledore in Beauxbatons Schwierigkeiten bekommen könnte. Diesen Brief schickte er mit Francis, seinem Schleiereulenmännchen, nach England, während er zwei allgemeine Schuleulen nach Paris und Millemerveilles abschickte.

Bei der Pflegehelferkonferenz sprachen sie alle lange über Julius' Erlebnisse in Hogwarts. Zwar kannten die meisten hier schon alles, was er darüber berichten konnte. doch Madame Rossignol sah es als notwendig an, sich mit dem Verlust von Dumbledore und der ungewissen Zukunft seiner Schule noch einmal auseinanderzusetzen. Julius beantwortete alle Fragen, ob sie nun ernsthaft oder humorvoll waren. Einmal fragte Patrice ihn, warum sie in Hogwarts nicht für den Schulleiter aufgestanden wären, wie das hier in Beauxbatons üblich sei.

"Nun, ich denke, Professor Dumbledore wollte nicht, daß er andauernd sagen mußte "Setzt euch wieder hin!", erwiderte Julius. "Das die Schüler ihn respektierten mußten sie ihm anders zeigen. Nämlich dadurch, in der Schule gut aufzupassen."

"Ja, das müssen wir hier auch noch", sagte Patrice Duisenberg. Millie nickte. "Doch wenn Dumbledore das nicht wollte, das jeder für ihn aufsteht ..."

"Hast du was davon mitgekriegt, daß professeur Faucon und Dumbledore sich gut kennen?" Fragte Carmen Julius. Dieser nickte verhalten und berichtete dann, was er bei Jane Porters Beerdigung mitbekommen hatte. Mehr konnte und wollte er nicht sagen.

Die nach der Konferenz folgende Übungseinheit verlief dann wieder so diszipliniert wie üblich.

Den restlichen Vormittag verbrachten viele Schüler am Strand. Julius schwamm mit Millie um die Wette, allein um Golbasto Collis zu ärgern, der heute die Strandaufsicht hatte. Einmal versuchte er, sie einzuholen, fiel dabei jedoch zurück. Millie und Julius drehten bei und schwammen zurück, um sich keine Strafpunkte einzufangen. Golbasto meinte:

"Glaubt nur nicht, weil ich klein wie ein Zwerg bin könntet ihr mir auf der Nase herumtanzen. Beim nächsten Mal setzt es fünfzig Strafpunkte."

"Wenn du ein echter Zwerg wärest, würden wir dir nicht einmal hinterherschwimmen können", sagte Millie keck. "Ich habe ein Viertel Zwergenblut in den Adern. Aber das weißt du ja."

"Bilde dir nix drauf ein, daß eine deiner Omas der Zwergenbrutstation entwischt ist, Mildrid", knurrte Golbasto. Dann zog er ab.

"Das wurmt den doch, daß er zu allen hochgucken muß", feixte Millie. Julius, der nicht in der rechten Stimmung zu derben Scherzen war meinte nur:

"Wenn er meint, daß es nur auf die Körperlänge ankommt, lass ihn, Millie. Mir ist nicht nach Spott zu Mute."

"Hmm, verstehe ich. Aber das Leben muß irgendwie weitergehen."

"Ja, aber nicht unbedingt heute auf anderer Leute Kosten", grummelte Julius. Millie sah ihn abbittend an. Sein Ungemach schmolz im Blick der rehbraunen Augen wie Eis in der Sonne, und er mußte lächeln. Sie umarmte ihn innig, als sie gesichert hatte, daß Golbasto gerade wem anderen seine ganze Aufmerksamkeit widmete. Dann flüsterte sie ihm ins Ohr:

"Das du wütend richtig süß aussiehst habe ich dir schon mal gesagt. Oder nicht?"

"ein paarmal", erwiderte Julius grinsend. Im Moment schien Dumbledores Tod in weite Ferne gerückt oder nur ein beklemmender Alptraum zu sein. Bei dem Stichwort Traum mußte Julius wieder an die Geisterstadt denken. Was hatte Darxandria von ihm gewollt, daß sie ihn wieder dort hatte auftauchen lassen? Er hoffte, es in der folgenden Nacht erleben zu können. Denn in den vier Stunden Schlummertrankschlaf hatte er die Stadt nicht wieder betreten, ja erinnerte sich überhaupt nicht an irgendeinen Traum.

Als die beiden in Richtung Teleportal schlenderten kam ihnen Gloria Porter entgegen. Julius winkte ihr zu. Millie trat dezent bei Seite.

"ich habe gerade eine Blitzeule von Mum und Dad gekriegt, Julius. Sie haben gefragt, ob du es schon in der Nacht gehört hast. Hat Aurora Dawn es dir gleich erzählt, als es passiert ist?"

"Ziemlich", sagte Julius. Dann fragte er: "Was meinst du. Machen Sie hogwarts zu?"

"Hoffentlich nicht für immer, Julius. Ich will da nächstes Jahr die ZAGs machen. - Sage jetzt nicht, die hier in Beauxbatons könnten mich dann gleich als Dauerschülerin hier einschreiben! Ich komme zwar gut mit der Schule selbst klar und werde wohl auch brauchbare Prüfungsergebnisse hinkriegen. Aber irgendwie vermisse ich doch die Lockerheit in Hogwarts, daß du da deine Nachmittage selbst gestalten kannst und nicht für jedes falsche Wort gleich Strafpunkte abkriegst. Außerdem möchte ich Professeur Trifolio nicht länger als nötig als Hauslehrer haben. Der ist einfach zu sehr auf sein Spezialgebiet bezogen. Da habe ich von Professeur Faucon mehr Wärme rüberbekommen, obwohl die ja sonst so heftig streng ist."

"Ich habe auch erst gedacht, daß ich hier bestimmt nicht reinpasse, Gloria. Ich bin ja damals mit Jeanne, Barbara und den anderen vom trimagischen hergekommen. Ich hätte nie gedacht, daß ich mal sagen könnte, daß es mir hier irgendwie gefällt, selbst wenn ich voll nachempfinden kann, was du an Hogwarts so gut findest. Aber was immer mit Hogwarts passiert. Ohne Dumbledore wird's nicht mehr so sein wie vorher."

"Mensch, das ist genau das, was mich so sehr fertigmacht, seitdem mir Professeur Faucon in ihrem Zimmer alles erzählt hat. Ich bin da weggegangen, weil ich wußte, daß Dumbledore jetzt wieder alles im Griff hat und Leute wie Pina und die Hollingsworths nun wieder beruhigt lernen können, nach der alten Sabberhexe Umbridge. Jetzt wurde Dumbledore einfach so umgebracht, noch dazu von Snape, diesem Widerling, und Malfoy soll Todesser nach Hogwarts geschmuggelt haben. Da kannst du doch keinem mehr so richtig vertrauen. Trotzdem will ich da wieder hin, einfach weil Dumbledore die Schule so gut geführt hat und ich meinen Eltern nicht zumuten will, mich andauernd aus Paris abzuholen oder selber umziehen zu müssen. Dad hat sich nach Oma Janes Tod genauso in die Arbeit geworfen wie du nach der Abschiedsfeier für Claire. Mum prüft gerade, ob sie in New Orleans eine Filiale aufmachen kann. Mel will womöglich bei ihr angelernt werden."

"Ich dachte, die geht zu den Raven-Cheerleaders", wunderte sich Julius.

"Hmm, übers Wochenende Vielleicht. Aber Cheerleader kannst du ja für noch weniger Zeit sein als Quidditch- oder Quodpot-Profi. Außerdem, bei Mels Statur ..."

"Verstehe. Da will sie schon einen Fuß in der Tür für einen langlebigeren Beruf haben", meinte Julius grinsend. Gloria nickte. Dann feixte er: "Da wird ihre Freundin Brittany aber was zu lästern haben, wenn Mel mit Tierprodukten hantieren muß."

"Das hätte irgendwie auch gepaßt, du und Brittany", konterte Gloria. "Aber da hatte ja jemand bessere Argumente." Sie zwinkerte in Millies Richtung, die etwa zehn Meter weiter hinter Julius wartete. Dann sagte Gloria noch: "Wo glaubst du, werden Sie Dumbledore beerdigen, Hogsmeade?"

"Gibt es keinen Staatsfriedhof? Falls nicht, warum ausgerechnet Hogsmeade?"

"Ich hörte was, daß er da noch einen Bruder wohnen haben soll", sagte Gloria. "Aber nichts genaues weiß ich nicht. Gerüchte halt."

"Dann können sie ihn auch gleich in Hogwarts beerdigen", sagte Julius. "Immerhin war er da über dreißig Jahre Schulleiter und hat Hogwarts zum bisher sichersten Ort gemacht. Konnte ja auch keiner ahnen, daß ein Schüler seine eigenen Kameraden in Gefahr bringt."

"Angst und Rachsucht, Julius. Malfoy wollte sich für die Verhaftung seines Vaters rächen und hat sich dann wohl bei Voldemort angebiedert, um möglichst groß rauszukommen. Tja, aber der will keinen neben sich haben. Der will nur willige Handlanger und Anbeter."

"Ja, aber einen bösartigen Werwolf in die Schule zu holen ist schon ziemlich heftig", erwiderte Julius.

"Welchen Werwolf? Du meinst doch nicht etwa Greyback?" Erschrak Gloria.

"Oh, hätte ich vielleicht nicht erwähnen sollen, wenn Professeur Faucon dir das nicht erzählt hat", grummelte Julius und lief an den Ohren rot an. Gloria schüttelte den Kopf und erwiderte hastig:

"Neh, ist schon richtig, daß du mir das erzählst. Dann erkenne ich noch mehr, wie bescheuert und bösartig Malfoy war. Aber er konnte Dumbledore nicht einfach so umbringen. Dann ist er ja doch ein Feigling."

"Das bin ich dann wohl auch, wenn ich keinen umbringen kann, Gloria", warf Julius ein. Sie errötete und schüttelte den Kopf.

"Du würdest dich erst gar nicht drauf einlassen, jemanden umzubringen oder eine Bande Verbrecher an einen Ort zu bringen, wo deine Freunde wohnen", knurrte sie. Julius nickte. Dann meinte er, daß Angst doch ein ziemlich gemeines Druckmittel sein könnte. Wenn Voldemort Draco bedroht hatte, er würde seine Mutter umbringen oder so, oder Greyback könnte ihn, Draco, zum Werwolf machen oder zerfleischen ...

"Du hättest dich erst gar nicht mit Voldemort eingelassen. Das macht dich mutiger als Drecksau Malfoy."

"Und trotzdem war er es Dumbledore wert, seinetwegen getötet zu werden. Vielleicht fehlt uns dafür die Erfahrung mit anderen Leuten, um das zu verstehen, wieso jemand wie der Schnösel Malfoy so ein Opfer wert sein sollte."

"Er war ein Schüler, Julius, wie du, Pina, Kevin oder ich. Für jeden von uns hätte Dumbledore das gemacht, wenn er wirklich vorhergeahnt haben sollte, daß ihm jemand ernsthaft ans Leben wollte."

"Ja, aber es ist ein Unterschied, ob ein Schüler angegriffen wird oder den Mördertrupp in die Schule reinläßt", knurrte Julius. Er dachte an Crabbe und Goyle. Waren die noch in Hogwarts, oder hatten die sich wie ihr großer Anführer und Vordenker abgesetzt?

"Falls Dumbledore geahnt oder gewußt hat, daß ein Schüler einen Angriff auf ihn vorhat weil der sonst selbst umgebracht würde, dann war es ihm gleich, Julius. Der hat Malfoy genauso beschützt wie dich oder mich, auch wenn Malfoy es ihm nicht gedankt hat."

"Nette Formulierung dafür, ihm den Tod zu wünschen", grummelte Julius. Dann fragte er Gloria, was sie jetzt noch machen würde. Sie sagte, daß sie sich noch einmal mit der Vivo-ad-Vivo-Verwandlung befassen wolle. Da habe sie doch einige Schwächen und wolle sich im nächsten Jahr nicht von Professor McGonagall anhören müssen, daß sie bei ihrer so gründlichen Kollegin Faucon nichts gelernt habe. Julius fragte, ob er ihr helfen könne. Gloria schüttelte den Kopf.

"Es geht nur um die Praxis. Da kannst du mir nicht helfen. Selbst wenn du alles halb so schnell machen würdest wie du es hinkriegst würde ich das nicht durch reines hingucken rauskriegen, was bei dir so einfach aussieht. Aber für Trifolios Pflanzenparcours kannst du mir in der nächsten Woche vielleicht noch einige Tipps geben, damit ich bei dem gut wegkomme."

"Huh, da muß ich mir irgendwie zehn Minuten freischaufeln, wo wir uns treffen können. Bei unserem Freizeitplan hier etwas schwierig. Aber ich hörte, daß Constance da ziemlich gut sei. Und die hat Trifolios vierte Klasse schon zweimal gemacht und weiß, was der so abfragt."

"Hmm, ob die mir hilft?" Fragte Gloria.

"Du wohnst in ihrem Saal", warf Julius ein. Dann sagte er noch: "Aber wenn du möchtest, kriege ich das mit Millie hin, daß ich dir nächste Woche noch einige Sachen erklären kann."

"Mal sehen", sagte Gloria nur noch und verabschiedete sich von Julius. Millie trat wieder näher heran. Mit ihr ging er dann durch das magische Verbindungstor zwischen dem Schulstrand und Beauxbatons.

Am Nachmittag meinte Céline zu ihm:

"Weißt du schon mehr aus Hogwarts? Ich meine, haben die schon was rausgelassen, ob sie die Schule bis zum Jahresende offenhalten?"

"Aurora Dawns Bild hat mir keine neuen Sachen erzählt. Der Minister sei dagewesen, Professor McGonagall sei im Moment die Schulleiterin, ein Zauberer namens Bill Weasley, der zu Dumbledores Mitkämpfern gehörte liege immer noch im Krankenflügel, weil sie nicht wüßten, ob die Bißwunden, die ihm ein Werwolf in Menschengestalt zugefügt hat die volle Werwut auslösen können oder nicht."

"Weasley? Der, den die affektierte Fleur Delacour heiraten will? Öhm, das wird die jetzt wohl sausen lassen", feixte Céline.

"Geht mich nichts an", erwiderte Julius darauf. "Ich weiß nur, daß Bill der Bruder von Ron ist, der Harry Potters bester Kumpel ist und nach meinen Erfahrungen ein Superschachspieler ist. Bill arbeitet bei Gringotts, da wo Glorias Vater auch arbeitet."

"Oha, ob die einen Werwolf oder Teilwerwolf weiterbeschäftigen wollen -?" Raunte Céline betroffen. Julius wußte da keine Antwort drauf. Er sagte nur:

"Jedenfalls ist außer Dumbledore und einem Todesser keiner gestorben. Und das ist die einzig gute Nachricht in diesem Wust von bösen Neuigkeiten."

"Weißt du auch, wie das abgelaufen ist, wie die da reinkamen?" Fragte sie.

"Ganz sicher nicht. Aber ich habe da einen Verdacht, daß der Junge, der den Todessern geholfen hat, da einzudringen was gefunden hat, durch das die Gangster durchgehen konnten wie durch unser Teleportal hier. Madame Maxime sagte ja, daß wir hier sowas nicht haben. Insofern bin ich beruhigt, daß wir keinen solchen Besuch kriegen werden."

"Ja, aber wenn Hogwarts zumacht haben die Leute da doch keinen Abschluß oder hängen irgendwie sonst in der Luft", meinte Céline. "Wo können die denn dann hin?"

"In England gibt es noch ein paar kleinere Schulen wie Batwing oder so. Vielleicht müßten dann einige nach Thorntails rüber oder gar nach Redrock in Australien, wenn sie nicht gut genug Deutsch, Spanisch oder Französisch können. Gloria hat mir gesagt, sie möchte gerne wieder nach Hogwarts, wenn sie die Schule nicht für immer zumachen."

"Kann ich mir denken, daß es ihr hier doch etwas eng geworden ist", sagte Céline grinsend. "Jedem das seine, und dann noch bei Fachidiot Trifolio im Saal zu wohnen ... Aber von Säuglingspflege hat Gloria jetzt 'ne Menge Ahnung, sagt Connie. Die zeit mit Cythera hat ihr wohl gut gefallen."

"Es hat ihr geholfen, weiterleben zu wollen, Céline."

"Verstehe", seufzte Céline. Dann sagte sie noch: "Jedenfalls seid ihr hier gerade besser aufgehoben als in Hogwarts, wenn die da jetzt alle Angst haben, daß Du-weißt-schon-wer jederzeit seine Mörderbande reinschicken könnte."

"Das läuft wohl nicht mehr. Wenn die wissen, wie der Bengel, der die reingelassen hat das angestellt hat knallen die das Scheunentor wieder zu und werfen den Schlüssel weg", sagte Julius zuversichtlich. Céline nickte nur.

Der Abend verlief mit Lesen und lernen. Als Julius ins Bett ging dachte er daran, was die Kameraden in Hogwarts nun taten. Sicher würde er es bald erfahren.

 

__________

 

Julius erwachte am nächsten Morgen um halb sechs vom erneut traurigen Spiel der mexikanischen Wanderkapelle, die ungefähr um diese Zeit durch die Bilder zu ziehen pflegte. Er hatte nicht von Darxandrias Stadt geträumt, wie er vermutet hatte. Er konnte sich zumindest an keinen Traum erinnern. Er stand auf und ging hinunter zum Frühsport, wo er Millie und ihre jüngeren Verwandten, wie auch einige Leute aus anderen Sälen traf.

Madame Maximes Ankündigung, die manche Schüler auch als Drohung empfinden mochten, wurde unverdrossen umgesetzt. Der Unterricht lief in der gleichen, straffen und anspruchsvollen Weise weiter wie vor dem letzten Samstag. Das einzige, was die Beauxbatons-Schüler anderes mitbekamen als sonst war ein Zeitungsartikel, in dem die Zaubereiminister Europas in einer eilig einberufenen Konferenz Draco Malfoy und Severus Snape zu den nach Voldemort am meisten verachtenswürdigsten Personen erklärten und jede Zaubererfamilie mit hohen Strafen zu rechnen habe, die den Gesuchten Unterschlupf oder Unterstützung gewährte. Das betraf dann natürlich auch Dracos Mutter, die jedoch unauffindbar war. Entweder war sie mit ihrem Sohn zusammen untergetaucht oder der Rache Voldemorts zum Opfer gefallen, weil Draco den Befehl nicht selbst ausgeführt hatte. Jedenfalls stand in der Zeitung nichts wirklich neues.

Am Nachmittag im Fortgeschrittenenkurs Verwandlung bekam Julius die Aufgabe, gemäß den eingeschränkten Verwandlungen anderer Menschen, den beiden Montferres hellblondes Haar zu verpassen. Bei Sabine klappte das nur insoweit, daß sie eine ähnliche Haarfarbe wie Millie erhielt und ihre Haare sich zu Locken verdrehten. Sandra grinste darüber. Als Julius ihr Haar behexen sollte, wurde es meterlang, nahm jedoch eine strohblonde Farbe an.

"Du solltest nur umfärben, nicht verlängern", feixte Sabine, als sie sich lange genug über Sandra erheitert hatte. Sandra warf Julius ihr überlang gezaubertes Harr wie einen weiten Umhang über die Schulter und meinte:

"Blond ist irgendwie keine richtige Farbe für mich. Außerdem will ich mir nicht auf die eigenen Haare treten. Kannst du das wieder rückgängig machen?"

"Steht nichts von auf meinem Zettel", sagte Julius, der aufpassen mußte, die strohblonde Masse nicht in Mund und Nase zu kriegen. Constance rief einmal herüber, ob jemand Hilfe bei der Frisur bräuche. Professeur Faucon kam angelaufen und meinte:

"So heftig mußten Sie es wirklich nicht übertreiben, Monsieur Andrews. Was haben Sie angestellt?"

Julius schüttelte erst Sandras Schopf vom Körper ab und erklärte dann, was er genau gezaubert hatte. Professeur Faucon entgegnete darauf:

"Offenbar haben Sie bei dem Haarfärbezauber bestimmte Personen als Vorbild gesehen. Das ist nämlich eine der gravierendsten Fehlerquellen. Weil Sie bei Mademoiselle Sabine Montferre wohl an Mademoiselle Porter gedacht haben fiel das Ergebnis wohl teilentsprechend aus. Eine ähnliche Haartracht trägt ja zurzeit Mademoiselle Calypso Latierre. Bei Mademoiselle Sandra Montferre haben Sie wohl an Ihre Saalkameradin Mademoiselle Delamontagne gedacht, beziehungsweise, sie unbewußt als Vorbild gesehen. Wenn Sie gezielte, partikuläre Verwandlungen an anderen Menschen vornehmen wollen, die nicht dazu führen sollen, das Aussehen einer bestimmten Person zu imitieren, sollten Sie grundsätzlich nur an Farbtöne denken, ohne diese mit bekannten Personen zu verknüpfen. Sonst paßt sich gerade bei hochpotenten Zauberern das Aussehen des Ziels in mehreren Bereichen der unbewußten Vorgabe an, kann sogar über das Ziel hinausschießen."

"Verdammt schwer, soviel Haar auf dem Kopf", knurrte Sandra. Professeur Faucon zeigte Julius noch einmal, wie unerwünschte Verwandlungen zurückgenommen werden konnten und beaufsichtigte ihn, wie er erst Sandras Megamähne in ihre übliche rote Haarpracht zurückverwandelte und dann Sabines Locken zu glattem Haar im gewohnten Rotton zurückfrisierte.

"Es ist echt schade, daß dieser Lebenskraftzauber von Ursuline Latierre verhindert, daß Verwandte von ihr dich auch nur eingeschränkt verwandeln können. Sonst könnten wir mal kucken, ob dir unser rotes Haar steht", meinte Sabine, als sie sich im Taschenspiegel begutachtet hatte.

"Gut, daß ich euch keine andere Nase anhexen sollte", meinte Julius. Dann fragte Sabine, die von den beiden Schwestern ein klein wenig fitter in Verwandlungstheorie war, welche Einschränkungen es bei Selbstverwandlungen gebe. Julius, der sich noch gut an Maya Unittamos Besuch in Millemerveilles erinnerte, erzählte, daß sich ein Zauberer oder eine Hexe nicht ständig verjüngen konnte, weil irgendwann wichtige Erinnerungen aus dem Gedächtnis verschwinden würden, aber die Verwandlung in eine andere Person durchaus klappte, allerdings nach einem Mondzyklus nachließe, sich also jemand ständig neu in eine bestimmte Person verwandeln müsse.

"Eben das gilt aber nur für Selbstverwandlungen. Wenn du von wem anderem verwandelt wirst, hält das vor", sagte Sabine. Allerdings ist das mit der Verjüngung ähnlich wie bei Selbstverwandlungen. Wenn ich meine Schwester jetzt mit reiner Verwandlung in eine Vierjährige zurückverwandeln würde, könnte die mit der Zeit vergessen, daß sie schon volljährig ist. Wenn ich sie aber in einen vierjährigen Jungen verwandeln würde könnte sie unerkannt neu aufwachsen, ohne alles zu vergessen."

"Wag dich ja nicht, Bine!" Grummelte Sandra. "Sonst darfst du unseren beiden Brüdern als Flauscheball die Zeit vertreiben."

"Als Belle und mich dieser Streich von van Minglern erwischt hat hat Professeur Faucon gesagt, daß wenn der Fluch nicht von sich aus nachgelassen hätte meine ganze Wahrnehmung und Empfindungsweise verändert worden wäre", warf Julius ein. Sabine und Sandra nickten.

"Soweit wir wissen hat das ja schon angefangen, als du deinen Patronus zaubern solltest", sagte Sabine. Julius nickte. Er dachte daran, daß er von den Montferres aus Versehen in eine seinem körperlichen Alter entsprechende Zwillingsschwester von Ursuline Latierre verwandelt worden war. Millie hatte ihm damals gesagt, daß sie dann wohl dafür zuständig gewesen wäre, ihm, der dann eine Sie geblieben wäre, dabei zu helfen, in die neue Lebensweise hineinzufinden.

"Machen wir die anderen Übungen noch, die auf deinem zettel stehen, Julius. Dann kannst du nächste Woche Professeur Tourrecandide ihre frühere Haarfarbe zurückgeben, falls die dich wieder in der Jahresendprüfung haben will."

"Hört bloß auf. Nächste Woche soll ich durch ZAG-gleiche Prüfungen durch", grummelte Julius. Er dachte daran, daß in Hogwarts wohl dieses Jahr keine Prüfungen stattfinden würden. Einerseits eine Erleichterung für die Schüler, andererseits traurig, weil sie dann nicht zeigen konnten, was sie konnten und womöglich keine Chance mehr bekämen, eine wichtige Prüfung abzulegen. Er dachte an Prudence Whitesand und Cho Chang, die dieses Jahr die UTZ-Prüfungen machen sollten. Wie mochte es den beiden gerade gehen, wo in Hogwarts gerade alles stillstand?

Nachdem Julius mit Erlaubnis von Sabine und Sandra deren Beinlänge, Augenbrauenfärbung und Ohrenform verändert hatte, bekam er einen neuen Zettel, wo ihm verordnet wurde, daß er nun mit den geringeren Selbstverwandlungen gemäß Seite 69 im Band Nr.6 von "Wege zur Verwandlung" anfangen solle. Allerdings stellte er fest, daß es nicht so einfach war, ohne genau sehen zu können, was an ihm passierte das gewünschte Ergebnis zu erzielen. Kurz vor Ende des Kurses hatte er es sogar hinbekommen, sich von Kopf bis Fuß in ein sanftes goldblondes Haarkleid einzuhüllen. Professeur Faucon bemerkte dazu, daß seine überragenden Zauberfähigkeiten ihm hier eher hinderlich als nützlich waren, da schon die kleinste Schwankung in der Zielausrichtung zur großen Abweichung werden konnte. sie befreite ihn dann noch aus seinem selbstverschuldeten Fellkleid und sagte, daß sie im nächsten Schuljahr wohl gezielter daran arbeiten wolle, wie er eine passable und von ihm gewünschte Selbstverwandlung hinbekommen könne, aber jetzt vor den Prüfungen wohl mehr als genug neues Wissen erworben habe, das er bis zum Jahresende pflegen solle.

"Wenn es ein nächstes Schuljahr gibt", erwiderte Julius darauf. Professeur Faucon verzog das Gesicht und schnarrte:

"Solange Sie und ich atmen wird es das geben, Monsieur Andrews. Versteigen Sie sich ja nicht in Schwarzmalereien! Das Verbiete ich Ihnen."

"Natürlich", erwiderte Julius dazu nur. Dann verließ er den Kursraum.

Am Abend nach der Schach-AG unterhielt sich Julius bis kurz vor halb elf mit Aurora Dawn. Dabei erfuhr er, daß lebhaft darüber gestritten wurde, ob Dumbledore in Hogwarts beigesetzt werden solle oder nicht. Allerdings wollten sich das Ministerium und die Schulräte heute oder am nächsten Tag entscheiden.

"Dumbledores Bruder Aberforth hat sehr klar gesagt, daß er es sehr angebracht fände, wenn Professor Dumbledore in Hogwarts beerdigt würde. Außerdem habe ich bereits mit seinem Bild-Ich gesprochen."

Julius bekam große Augen und rote Wangen vor Aufregung. Wo gab es eine Abbildung von Dumbledore? Er fragte Aurora aufgeregt danach:

"Es ist wohl kurz nach Dumbledores Tod im runden Zimmer des amtierenden Schulleiters an der Wand erschienen, da wo die anderen früheren Schulleiterinnen und Schulleiter portraitiert sind. Wie es dorthin kam weiß ich nicht", sagte sie.

"Und was hat der gemalte Dumbledore dir gesagt, Aurora?" Fragte Julius nun eher erfreut als betrübt.

"Daß wir uns nicht entmutigen lassen sollen und solange wir uns an das halten, was er uns beigebracht und vorgelebt hat keine größere Angst vor Du-weißt-schon-Wem haben sollten."

"Dann weiß das Bild-Ich alles, was das Original gewußt hat?" Fragte Julius.

"Nun, das, was bei seiner Entstehung dem Original bekannt und vertraut war. Von mir gibt es ja auch zwei verschieden alte Versionen", erwiderte Aurora Dawn. Julius nickte. Zumindest aber hatte sich etwas bestätigt, was er bisher nur als vage Hoffnung, als Lichtstreifen im Dunkeln angesehen hatte. Dumbledores Wesen war nicht vernichtet worden. Er bestand in einer gewissen Form weiter, konnte sogar jedem, der bei ihm Rat suchte etwas mitgeben. Allerdings war die Frage, wie alt oder wie neu die gemalte Version Dumbledores war. Weil Aurora nicht wußte, wie das Bild ins Zimmer des amtierenden Schulleiters gelangt war, konnte sie die Frage nach der Entstehungszeit natürlich auch nicht beantworten. Aber er hatte sich über den körperlichen Tod hinaus gerettet, zumindest den größten Teil seines Wissens und seiner Erfahrungen an die Nachwelt weitergegeben. Das war wohl das Privileg des amtierenden Schulleiters, sich auf diese Weise quasi unsterblich zu machen. Wer es schaffte, in Hogwarts Schulleiter zu werden und zu bleiben, überdauerte die Jahrhunderte wie Lady Medea oder auch Salazar Slytherin. Und so taktlos das jetzt auch erschien, Dumbledore hatte durch seinen Tod mehr Macht und Einfluß gewonnen, nicht nur als Märtyrer für die gute Sache, sondern auch als Abdruck seiner Persönlichkeit in der Bilderwelt. Doch wie beweglich war er? Aurora besaß mit dem in Hogwarts fünf Gemälde mit Kopien ihres Ichs, von denen eines über Julius' Bett in Beauxbatons hing. Viele ehemalige Schulleiter hatten zuvor oder danach wichtige Posten innegehabt, weshalb sie auch in anderen wichtigen Gebäuden magische Portraits von sich hatten, wie Viviane Eauvive. Wenn Dumbledore ein solches Bild in weiser Voraussicht hatte anfertigen und irgendwo wo es günstig platziert war hinhängen ließ, konnte sein Bild-Ich aus Hogwarts dorthin überwechseln. Falls es aber nur dieses eine Bild gab, war er darauf beschränkt, mit den Bilderwesen in Hogwarts auszukommen ... Natürlich nicht. Denn Aurora Dawn war einmal von Viviane Eauvive zu den Andrews in die Rue de Liberation getragen worden. So konnte Dumbledores Bild-Ich auch von einer Gemäldegalerie in eine andere überwechseln, wenn sein Bild-Ich das für angebracht hielt. Er überlegte schon, ob er Jane Porter darüber informieren sollte. Eigentlich hätte er sie schon nach den Osterferien kontaktieren sollen, um mit ihr über die Erlebnisse in Bokanowskis Burg zu sprechen. Sollte er Professeur Faucon fragen, ob er in den nächsten Tagen zu ihr gehen durfte? Jetzt, wo der natürliche Professor Dumbledore tot war, wäre es nicht nur möglich, mit dessen Bild-Ich Kontakt aufzunehmen, sondern wohl auch sehr wichtig, um den Widerstand gegen Voldemort und die Wiederkehrerin zu organisieren.

"Moment, mein jüngeres Bild-Ich ist gerade bei mir angekommen", sagte Aurora, als ein kaum wahrnehmbarer Schatten ins Bild hineinflog und übergangslos verschwand. "McGonagall und die Schulräte haben sich geeinigt. Dumbledore wird kommenden Samstag in Hogwarts beerdigt."

"Wird er aufgebahrt?" Fragte Julius, der doch schon einige Erfahrungen mit Totenfeiern hatte.

"Nicht öffentlich", sagte Aurora. "Sie wollen wohl verhindern, daß die Presse nur noch über den toten Dumbledore berichtet. Wo sein Leichnam jetzt ist weiß ich nicht und möchte das auch nicht nachfragen."

"Verständlich", erwiderte Julius. "Dann erzähle Professeur Faucon bitte, was du neues erfahren hast!"

"Ja, mach ich. Gute Nacht, Julius", sagte Aurora Dawns Bild-Ich. Julius erwiderte den Gruß.

"Und, was neues aus Hogwarts?" Fragte Hercules, der seinen Groll gegen Millies und Julius' Beziehung einstweilen zurückgeschraubt hatte. "Machen die den Laden jetzt ganz zu?"

"Ich habe gerade gehört, daß Professor Dumbledore am Samstag in Hogwarts beerdigt wird, wie auch immer. Aber sein Körper wird nicht öffentlich aufgebahrt. Wahrscheinlich läuft das so ab wie mit Claire", erwiderte Julius halblaut.

"Oha, gibt's in Hogwarts einen Friedhof?" Wollte Hercules wissen.

"Ich habe da keinen gesehen, solange ich da war. Könnte sein, daß sie für Professor Dumbledore eine Sondergenehmigung erteilt haben, weil er zum einen so lange da als Lehrer und Schulleiter gearbeitet hat und zum anderen für Hogwarts gelebt hat. Dann sei es ihm vergönnt, da auch zu ruhen, egal ob die Schule für immer zumacht oder nicht.""

"Dann müßten die hier ja 'ne Grube wie zehn Badewannen graben, wenn die Maxime sich auch hier begraben lassen will", erwiderte Gaston ohne Rücksicht auf den gebotenen Anstand.

"Sofern Dumbledores Körper nicht verbrannt wird", sagte Julius. "Könnte ja immerhin passieren. Dann könnten sie eine Urne mit seiner Asche in einem besonderen Raum aufbewahren", sagte Julius so unbefangen wie möglich klingend.

"Wie alt ist Professeur Dumblydor denn überhaupt geworden?" Wollte Robert noch wissen. Komisch, daß er jetzt erst die Frage stellte, auf die Julius selbst gerne eine Antwort haben wollte.

"Das weiß ich nicht", gab er zu. "Ich weiß nur, daß er schon als Lehrer gearbeitet hat, als Auroras Großeltern zur Schule gingen und er bei Auroras Einschulung schon mehr als zehn Jahre Schulleiter war. Dann steht auf einer Schokofrosch-Sammelkarte, die sein Bild trägt, daß er 1945 einen schwarzen Magier namens Grindelwald besiegt hat, wohl den Vorläufer des Schweinehundes, der ihn hat umbringen lassen."

"Na holla, dann ist der ja älter als meine Urgroßeltern", meinte Robert jungenhaft beeindruckt.

"Zum größten Zauberer der Gegenwart wirst du auch nicht in zehn Jahren", hielt Hercules ihm entgegen. Robert knurrte nur, daß er das gerade sagen müsse, wo er sich selbst in den praktischen Zauberfächern gerade heftig abstrampeln müsse, um nicht in die Ehrenrunde oder gleich ganz aus der Akademie zu müssen.

"Fass dir an die eigene Nase, Robert. Mir fällt nicht ein, daß du in den letzten beiden Jahren so überragend gewesen wärest", knurrte Hercules. Gaston grinste nur.

"Jedenfalls wurde Professor Dumbledore sehr alt", meinte Julius nur noch und überließ die Jungen ihren belanglosen Käbbeleien, die jedoch rasch wieder abebbten.

Als er im Bett lag und den Vorhang ordentlich zugezogen hatte stellte er sich vor, wie Dumbledore vor fünfzig Jahren oder so ausgesehen haben mochte. Wahrscheinlich war der silberne Haarschopf da noch etwas anders getönt gewesen. Womöglich konnte sich Dumbledore da noch etwas schwungvoller bewegen. Wie alt war er tatsächlich, als Julius nach Hogwarts ging. Was der nun sein zweites Jahr in Beauxbatons abschließende Zauberschüler wußte war, daß Albus Dumbledore wohl den Großteil seines Lebens in Hogwarts verbracht hatte. Womöglich war er dort gleich nach seiner Schulzeit geblieben oder hatte gerade einmal einige Jahre außerhalb verbracht, um das Fach oder die Fächer zu studieren, die er dann unterrichtet hatte. Was hatte Dumbledore damals gegeben? Verteidigung gegen die dunklen Künste vielleicht? Immerhin war er darin ja überragend gut ausgebildet und erfahren. Womöglich hatte er noch Zauberkunst oder Verwandlung unterrichtet. Denn wenn Julius sich erinnerte, wie geschmeidig Dumbledore Sachen heraufbeschwor, ja die multiple Objektbeschwörung ohne laut ausgesprochene Zauberformel aus dem Handgelenk hinbekam, konnte er in Verwandlung und Zauberkunst genauso ein As gewesen sein, wie Julius es derzeit in Beauxbatons war, wenn er auch Probleme mit den Selbstverwandlungen hatte. Doch wenn er sich vorstellte, daß die Selbstverwandlungen ja offiziell erst in der sechsten Klasse drankamen, war er seinen Klassenkameraden immer noch weit voraus. Er wunderte sich echt, daß er hier nicht als überkandidelter Sonderfall gesehen wurde, obwohl er rein sachlich betrachtet genau das war. Aber Beauxbatons forderte und förderte jeden hier lernenden Schüler nach den eigenen Begabungen. Wer viel konnte und nicht clever genug war, das zu verbergen, mußte auch viel machen. Langeweile war hier genauso verboten wie Drückebergerei. Er konnte verstehen, daß Gloria selbst bestimmen wollte, wieviel sie wofür lernte oder womit sie sich wann beschäftigte. Doch was wäre, wenn Hogwarts im nächsten Schuljahr wirklich geschlossen blieb, ja nie wieder Lehrer und Schüler beherbergen würde? Dann könnte es Gloria echt passieren, daß sie hier weiterlernte, dachte Julius leise schmunzelnd. Er sah noch einmal zum immer noch leeren Bild von Aurora Dawn hinauf. Eigentlich hätte er jetzt gerne den Zweiwegespiegel, um mit Gloria zu sprechen. Doch den hatte Professeur Faucon eingezogen. Ob sie ihn wieder rausrücken würde war im Moment nicht so sicher. Er fühlte das rote Herz an der Silberkette, wie es sanft und warm pulsierte, ihn daran erinnerte, daß er mit jemandem verbunden war, die an ihn dachte und an die er dachte. Er fragte sich, wie weit diese magische Verbindung reichte. Konnte er damit bis nach Australien reisen oder gar in die Bilderwelt eindringen, ohne daß der Zauber unterbrochen wurde? Er wußte, daß auch in der Magie Entfernungen eine Rolle spielten. Denn es war schwieriger, jemanden in weiter Ferne anzumentiloquieren als jemanden, den er gerade sehen konnte. Die einzigen, mit denen er überragend gute Verbindungen auch über große Entfernungen halten konnte waren Millies Oma Ursuline und Camille Dusoleil. Doch in Beauxbatons versagte Mentiloquismus. Ein Zauber blockierte jede Gedankenverbindung. Aber der Zauber des geteilten Herzens wirkte, wohl weil er auf der gefühlsmäßigen Verbundenheit seiner Träger aufgebaut war. Er wollte gerade die Augen schließen, da tauchte Viviane Eauvive im Bilderrahmen auf. Sie hielt ihren an der Spitze leuchtenden Zauberstab in der rechten Hand und blickte zu Julius hinunter. Dann sah sie sich um, ob der Bettvorhang ordentlich verschlossen war und sagte leise:

"Julius, schöne Grüße von Araña, du hättest dich noch nicht bei ihr gemeldet. Müßt ihr morgen noch einmal trainieren?"

"Öhm, eigentlich schon, weil wir Monique besser als Hüterin ausbilden wollen", sagte Julius leise.

"Hmm, dann sieh zu, daß du anstatt Frühsport zu Professeur Faucon gehst. Ich werde sie orientieren, daß jemand mit dir sprechen möchte."

"Sage Araña bitte, es tut mir leid, daß ich ihr noch keinen Bericht abgeliefert habe! Aber der Betrieb hier läßt so wenig Zeit für wichtige Gespräche."

"Das ist Araña bekannt. Aber jetzt, wo Albus Dumbledore ermordet wurde, möchte Araña klären, was demnächst alles bevorsteht und möchte dazu gerne deine unmittelbaren Erlebnisse kennen."

"Verstehe ich", erwiderte Julius. "Ich sehe zu, daß ich morgen früh um sechs Uhr bei Professeur Faucon bin."

"Ich teile es ihr mit", sagte Viviane. Dann verschwand sie. Dann würde er morgen früh wohl erfahren, ob die Herzverbindung hielt, wenn er das Intrakulum benutzte. Falls sie ausfiel, würde er Millie was erzählen müssen, warum das gewohnte Pulsieren für eine gewisse Zeit aufgehört hatte.

 

__________

 

Auch in dieser Nacht träumte er nicht von der Stadt und Darxandria. Doch er dachte auch nicht groß daran, als er am Morgen weit vor dem Wecken aufstand, sich tagesfertig anzog und dann beim Sechs-Uhr-Schlag der Standuhr im Gemeinschaftsraum vor das Büro von Professeur Faucon wandschlüpfte. Die Lehrerin empfing ihn leise und ohne unnötige zeit zu vertun. Sie schloß die Tür und deutete auf das Bild mit dem Weizenfeld, das Für Julius schon einmal ein Einstieg in die Gemalte Welt gewesen war. Dann gab sie ihm das auf ihn abgestimmte Intrakulum. Julius drückte es korrekt an das Bild und rief die auslösende Zauberformel: "Per Intraculum transcedo!" Als er dann nach dem Flug durch die Lichtspirale auf dem für ihn nun natürlich wirkenden Feld ankam wuchs eine der nun goldgelben Ähren in die Höhe, bekam menschliche Formen und wurde innerhalb von zwei Sekunden zu Viviane Eauvive. Diese nahm Julius wortlos bei der Hand und eilte mit ihm durch für Schüler nicht sichtbare Bilder in das Stammbild, daß in einem für die Schüler unbetretbaren Bereich des Palastes hing. Dort saß Jane Porter alias Araña Blanca auf einem Stuhl und kraulte Vivianes Knieselin, die die Urmutter der Queue-Dorée-Linie war.

"Lange nicht mehr gesehen, Honey", grüßte Jane Porter Julius. Doch in ihrer lockeren Begrüßung klang leichte Mißbilligung mit. Julius errötete an den Ohren und erwiderte:

"Ließ sich nicht anders einrichten, Mrs. Porter."

"Eigentlich hatte ich dich schon einen Tag nach deiner Rückkehr nach Beauxbatons erwartet", sagte Jane, während Viviane sich dezent zurückzog. Dann sagte sie: "Aber ich weiß, daß Bläänch dir zu viel aufgehalst hat, damit sie vor ihrer Mentorin nicht dumm aussieht, wenn die dich nächste Woche prüfen kommt. außerdem habe ich natürlich mitbekommen, daß du wen neues gefunden hast. Es ist das Latierre-Mädchen, nicht wahr?" Julius nickte. "War mir klar, daß du mit ihr zusammenkommen kannst. Dieser Orion ist zwar ein Rohling, aber belogen hat er Viviane bisher nicht, wenn ich das richtig in Erinnerung habe. Traurig das mit Dumbledore, nicht wahr?"

"Eher hundsgemein", erwiderte Julius. "Er ist wirklich gestorben." Jane steckte diesen indirekten Tadel unbeeindruckt weg und sagte nur:

"Ich gehe davon aus, daß du nur eine halbe Stunde hast. Deshalb möchte ich dich bitten, deinen Geist für mich zu öffnen, damit wir das wichtige möglichst schnell austauschen können. Ich weiß, daß du mittlerweile sehr gut in Okklumentik bist."

"Hmm, nur wenn Sie nur an Sachen rühren, die unmittelbar wichtig für Ihre verdeckten Ermittlungen sind. Abgesehen davon bin ich mir jetzt sicher, wer die Wiederkehrerin ist", sagte Julius.

"Ach, wer denn?" Fragte Jane Porter interessiert.

"Ich schätze, es ist Anthelia, weil Sardonia ja echt von den Dementoren umgebracht wurde und Anthelia vielleicht in England was gelernt oder gefunden hat, um ihre Seele zwischenzulagern, bis sie einen neuen Körper gefunden hatte." Jane Porter nickte sehr heftig.

"Das deckt sich mit meinen Vermutungen. Sardonia hätte sich wohl gleich nach ihrer Wiederkehr ihren noch lebenden Schwestern im Geiste offenbart. Aber kommen wir zur Sache", sagte Jane Porter und sah Julius konzentriert an. Er widerstand dem Reflex, sich sofort zu verschließen und sagte, daß er von einer Kopie von Belle Grandchapeau entführt worden sei. Unvermittelt rollten vor seinem geistigen Auge sämtliche Erlebnisse in Bokanowskis Burg ab, als würde er sie im beschleunigter Widergabe betrachten. Er hörte sich wie aus einiger Entfernung sagen, wie er die Entomanthropen gesehen und wie er noch einmal den Zeitpaktzauber benutzt hatte. Dann sah er sich mit den kleinen Zylindern mit den gefangenen Originalen der kopierten Minister. Als er endlich wieder in die Gegenwart zurückfand und auf seine Uhr sah stellte er erstaunt fest, daß nur fünf Minuten verstrichen waren. Er griff unter seinen Umhang. Tatsächlich pulsierte sein Schmuckstück nicht mehr. Ohne es wirklich zu wollen zog er es hervor, so daß Jane Porter es sehen konnte. Sie blickte auf das rubinrote Herz.

"Hat dir deine neue Gefährtin das geschenkt oder warst du Kavalier und hast es euch beiden gekauft?" Fragte sie mit mädchenhaftem Schmunzeln. Julius errötete leicht an den Ohren, straffte sich dann und sagte, daß er es bezahlt habe.

"Schade, daß seine Magie nicht über zwei Welten reicht. Oh, dann wirst du dir was ausdenken müssen, um zu erklären, wieso es im Moment nicht pulsiert, Honey", sagte Jane Porter.

"Das habe ich mir schon überlegt. Ich sage, daß Professeur Faucon es noch einmal untersucht hat, weil sie sicher sein wollte, daß es die Prüfungsergebnisse nächste Woche nicht verfälscht", erwiderte Julius ruhig.

"Geraldine hatte auch so eins, als sie ihren Mann kennenlernte. Ich war etwas skeptisch. Aber die Magie dieser Schmuckstücke ist gutartig und vor allem sehr praktisch. Ihr könnt euch gegenseitig mit aufmunternder Kraft versorgen, und, wenn ihr irgendwann mal die erste körperliche Liebe erlebt, könnt ihr sogar damit ohne großes Training und über jede irdische Entfernung hinweg mentiloquieren. Geri hat das rausgefunden, als sie Livius und mir freundlicherweise mitteilte, daß sie ein Kind erwartete. Sie hielt sich diesen schnuckeligen Anhänger einfach an die Stirn und führte mir vor, wie leicht sie jetzt mit ihrem Gatten mentiloquieren konnte. Der war zu der Zeit gerade in Norwegen unterwegs, um sich über Zwergwaldtrolle zu informieren." Julius wurde sichtlich erregt und fühlte das Blut in seine Wangen schießen. Jane Porter sah ihn erst amüsiert und dann sehr verschwörerisch grinsend an. Er fragte, ob das dann auch in Beauxbatons ginge.

"Das weiß ich nicht. Aber am Schulstrand von euch geht's wohl. Aber wehe du benutzt dieses Wissen, um deine Freundin vor der Zeit zur allernächsten Zweisamkeit zu animieren und ... Moment mal", sagte Jane Porter und sah Julius wieder konzentriert an. Er schaffte es nicht rechtzeitig, seinen Geist zu verschließen. Zumindest wußte er, daß es nicht rechtzeitig war, als er sich ohne Vorwarnung mit Millie in der Liebeskammer der Montburg wiederfand, wie sie sich gerade am allernächsten waren.

"Wer hat da wen rumgekriegt, Honey?" Fragte Jane nicht wie eine gestrenge ältere Hexe, sondern wie ein neugieriges Schulmädchen klingend. Julius straffte sich und sagte:

"Millies Mutter war es leid, daß wir immer umeinander rumliefen, ohne konkret zu sagen, ob wir oder ob wir nicht miteinander gehen wollten. da hat sie Martine, Millie und mich zu einer versteckten Festung gebracht, wo wir über eine gläserne Brücke gehen sollten. Martine sollte mich zuerst rübertragen, hat's aber nicht geschafft. Millie konnte mich rüberbringen, wobei wir unterwegs über der Brücke geschwebt sind. Dann waren wir in der Festung und ..."

"Huch, dann hat Mildrids Mutter es also darauf angelegt, daß eine ihrer Töchter mit dir zusammenkommt?" Lachte Jane Porter. "Ich erkenne, daß die Gerüchte über die Unverzüglichkeit der Latierres in Partnerfragen untertrieben sind. Sie hat dich in die Festung der Mondtöchter bringen lassen. Ich kenne die Geschichten über die Festung und die magische Brücke, über die eine Hexe den von ihr erwählten Zauberer tragen muß, um zu erkennen, ob er der richtige ist oder nicht. Wenn sie beide hineingelassen werden, folgt der seelischen Erkenntnis auch die erste körperliche Liebe. dir ist hoffentlich klar, daß du mit Millie in spätestens drei Jahren das erste Kind auf den Weg gebracht haben mußt, wenn ihr beide weiterhin ein geordnetes Leben führen wollt."

"So, was passiert denn, wenn nicht?" Fragte Julius.

"Nun, ich hörte, daß die Hexe dann für immer in diese geheime Festung zurückkehren mußte, wenn sie nicht unter starken Depressionen leiden wollte. Der Zauberer konnte danach für keine andere Hexe mehr was empfinden, war überhaupt für geschlechtliche Sachen eiskalt geworden und hat nur noch für seine Arbeit gelebt. Diese Mondmagie läßt sich nicht für nichts und wieder nichts bemühen, Honey."

"Na, ich kann doch nicht einfach mit Millie ein Kind auf den Weg bringen, nur damit wir beide nicht total aus dem Ruder laufen."

"Ich denke, das kannst du schon, Julius. Sonst hätte sie dich nicht in die Festung tragen können. Außerdem hättest du dann bestimmt nicht fünfzig Galleonen für das ganze Schmuckstück bezahlt. wo hast du es denn gekauft, im Weißrosenweg?"

"Neh, in Viento del Sol", antwortete Julius. Jane rümpfte die Nase.

"Oha, dann hat's wohl hundert gekostet. Die in VDS blasen die Preise größer auf als nötig." Julius nickte bestätigend. "Na ja, aber bei einer so eindeutig bestätigten Partnerschaft wie zwischen euch ist das gewinnbringend angelegtes Geld, Honey. Dann kannst du es am Schulstrand ja mal ausprobieren, oder besser in den Ferien. Die sind ja bei euch in vier Wochen."

"Die Frage ist nur, wie es Millie erklären kann. Abgesehen davon darf ich doch nicht mentiloquieren, wenn der Empfänger das noch nicht gelernt hat."

"Steht in den Manieren des Mentiloquismus, Honey. Aber Lex Ross hat sich nicht dran gehalten, ich auch nicht. Aber warum solltest du dich dran halten, solange du keinen ärgern willst?" Julius nickte. An und für sich wäre es doch toll, wenn er mit Millie mentiloquieren könnte. Dann brauchten sie das Armband nicht zu benutzen. Jane meinte dann noch:

"Dann hast du noch mehr grund, gut auf dich aufzupassen, mein Junge. Aber auch beruhigend zu wissen, daß da jemand neues in deinem Leben ist, die dir helfen will, aus allen Schwierigkeiten rauszukommen oder gar nicht erst hineinzugeraten. Aber sei darauf gefaßt, daß du deine Ferienplanung nun nicht mehr von dir alleine abhängig machen kannst!"

"Das kenne ich schon von Claire her. Außerdem könnten einige Leute in Millemerveilles meinen, ich müßte da im Sommer eh wieder hin", sagte Julius.

"Tja, das passiert, wenn jemand überragendes leistet. Da kann ich auch mehrere Lieder von singen", lachte Jane Porter. Dann umarmte sie Julius großmütterlich und sagte ihm, daß er weiterhin fleißig sein solle, aber auch Zeit für die wichtigen Dinge des Lebens erübrigen solle. Dann rief sie nach Viviane. Diese führte Julius zurück zum Bild mit dem Weizenfeld. Julius verstaute seine Hälfte des rubinroten Herzens wieder unter dem Umhang. Dann durchschritt er mit dem Intrakulum die Barriere zwischen der gemalten und der wirklichen Welt. Professeur Faucon sah ihn an. Er verschloß seinen Geist und sagte ihr nur, daß er alles weitergegeben hatte, was Araña von ihm erfahren wollte.

"Nun, wenn ich nicht davon überzeugt wäre, daß sie doch weiß, was richtig oder falsch ist, müßte ich dir den weiteren Umgang mit ihr untersagen. Aber mir ist klar, daß es wichtig ist, uns über die Wiedergekehrte auf dem laufenden zu halten. Vielleicht kannst du jetzt noch ein paar Minuten Frühsport machen."

"Ich werde das heute auslassen", sagte Julius. Dann verließ er das Büro und wandschlüpfte in den grünen Saal zurück, wo er sich an einen Tisch setzte und in einem seiner Zauberkunstbücher las. Dabei fühlte er, wie der Herzanhänger wieder warm und regelmäßig pulsierte. Er sah sich um. Im Moment war keiner hier unten. So griff er nach dem Anhänger, zog ihn hervor und drückte ihn sich an die Stirn. Er rechnete nicht damit, daß er in Beauxbatons mentiloquieren konnte. So dachte er einfach:

"Hallo, Millie!" Seine Worte, die er sich so vorstellte, daß er sie selber sprach hallten unerwartet laut nach, fast wie ein Echo in einem weitläufigen Keller. Das konnte doch nicht sein.

"Ach, hast du es endlich rausgefunden, Monju?" Kam Millies Stimme in seinem Kopf an. Wieso funktionierte das hier? Er dachte zurück:

"Ich habe von wem gehört, daß diese Herzschmuckstücke das machen können, daß die beiden damit verbundenen Leute ohne Training mentiloquieren können. Ich dachte nur, daß das in Beaux nicht klappen könne."

"Jackie Corbeau hat's mir geschrieben, ob wir damit auch in Beauxbatons Mmeloen können. Ich schrieb zurück, daß ich das nicht wüßte, wie's ginge. Dann hat sie's mir geschrieben. Ist erst vor drei Tagen angekommen. Ich wollte es dir an und für sich sagen, fand aber, daß ich dich damit zum Geburtstag überraschen wollte, daß ich dich anmeloen kann. Warum das in Beaux auch geht? Aus demselben Grund wie die Exosenso-Haube mit dem Tragetuch. Magisch aufeinander abgestimmte Artefakte überwinden die sonstigen Sperren. Hat eure Saalkönigin dir das erzählt?"

"Nein, ich habe es von anderswo her, Millie", schickte Julius zurück. Normalerweise mußte sich sein Kopf doch schon heiß anfühlen vor Anstrengung. Doch nichts dergleichen war zu fühlen. Das Herzschmuckstück pulsierte nur sacht an seiner Stirn.

"Das geht doch nur, weil wir beide schon zusammen im Bett waren", schickte er zurück. Er hoffte, daß die Verbindung genauso abhörsicher war wie das Mentiloquieren ohne Hilfsmittel.

"Tja, das hat Jackie mir auch geschrieben, daß das nur bei Paaren geht, die sich so richtig doll liebgehabt hätten. Warum war vor zehn Minuten die Verbindung nicht mehr da?"

"Professeur Faucon hat geprüft, ob der Anhänger die Prüfungsergebnisse verfälschen könnte. Sie meint, ich könnte es weitertragen."

"Dann ist ja gut. Weiß sie das mit der besonderen Eigenschaft des Herzanhängers?"

"Ich habe es nicht von ihr und es ihr nicht gesagt", schickte Julius zurück.

"Dann muß sie das auch nicht gleich wissen. Ich werde bei Fixie auch immer an andere Sachen denken, wenn wir Unterricht haben, bis ich auch das Zumachen meiner Gedanken lernen darf. Kommst du noch mal runter, bevor wir saalweise in den Speisesaal einmarschieren?"

"Nein, ich lese noch etwas, Mamille. Bis später."

"Küßchen, Monju!" Kam Millies gutgelaunte Abschiedsbotschaft zurück.

"Wenn ich das damals mit Claire schon gekonnt hätte", dachte Julius, "hätte ich der doch einiges mehr mitteilen können, ohne daß das wer mitbekommen hätte."

Während des Frühstücks plauderten Julius und die anderen Jungen über den bevorstehenden Unterricht. Dann trafen die Posteulen ein. Julius sah, wie ein Steinkauz zum Lehrertisch hinüberflog und vor Madame Maxime landete. Dann kamen auch die Zeitungen an. Julius sah professor McGonagalls Foto auf der Titelseite. Darunter stand:

 

PROFESSEUR ALBUS DUMBLEDORE FINDET LETZTE RUHE IN HOGWARTS

 

"Hups, die sind aber auf Zack", meinte Julius erstaunt und las den Artikel laut vor.

"Wie der Miroir Magigque aus sehr gut unterrichteten Quellen kurz vor Redaktionsschluß erfahren konnte, ist die Frage nach der letzten Ruhestätte für den am Samstag heimtückisch ermordeten Schulleiter von Hogwarts, der Schule für Hexerei und Zauberei im Einzugsgebiet Großbritannien und Irland nun endgültig beantwortet. Der im Kampf gegen die Tyrannei dessen, der nicht beim Namen genannt werden darf heldenhaft gefallene Träger des Ordens der merlin ersten Grades, sowie weiterer ehrenvoller Auszeichnungen, wird auf dem Boden von Hogwarts, dort, wo er den allergrößten Teil seines Lebens und Schaffens zubrachte, am kommenden Samstag im Verlauf einer feierlichen Zeremonie beigesetzt. Die kommissarische Schulleiterin von Hogwarts, Prof. Minerva McGonagall, betonte auf direkte Anfrage unserer Großbritannienkorrespondentin Iris Poirot, daß sie mit der Einigung über die letzte Ruhestätte ihres hochrespektierten Vorgesetzten sehr zufrieden sei. Über Zeitpunkt und Ablauf der Beisetzungszeremonie wollte sie jedoch nichts näheres ausführen, da bis auf einige handverlesene Gäste aus dem Ausland lediglich die Honoratioren der britischen Zaubererwelt, Verwandte und Freunde des Verstorbenen, sowie sämtliche noch in Hogwarts weilenden Lehrer und Schüler an der Beisetzungszeremonie teilnehmen werden. Da Professeur Dumbledore jedoch eine Persönlichkeit von internationaler Beachtung und großer Beliebttheit ist, werden unsere Großbritannienkorrespondentin, sowie Kollegen des magischen Rundfunks wie auch Kollegen aus anderen Ländern der Feierlichkeit beiwohnen und wir in der Sonntagsausgabe ausführlich über Ablauf und Ansprachen berichten."

"Mist, daß die Zauberradios hier in Beaux so heftig gestört werden", knurrte Hercules. "Dann könnten wir uns das zusammen anhören."

"Hier steht noch, daß die Radioreporter nur aufzeichnen dürfen. Von Direktübertragung steht hier nichts", sagte Julius. Hercules überflog die entsprechende Stelle und nickte. Julius fragte sich, wer mit den handverlesenen Gästen gemeint sein mochte. Vielleicht wurden Madame Maxime und Professeur Faucon auch eingeladen. Wie gerne würde er mitgehen, um Dumbledore die letzte Ehre zu erweisen.

"Ob Madame Maxime auch eine Einladung zu der Beerdigung kriegt?" Fragte Robert. Julius sah zum Lehrertisch hinüber. Dort faltete Madame Maxime gerade einen Brief zusammen. Sie sah sich um und klatschte dann in gewohnter Weise in die mehr als kinderkopfgroßen Hände. Sofort war Ruhe im Saal.

"Mesdemoiselles et Messieurs, ich erhielt soeben ein Schreiben meiner derzeitigen Amtskollegin, Professeur Mäckgönnagall, indem ich mit allem Respekt eingeladen wurde, am kommenden Samstag der Beisetzungsfeier für meinen bedauerlicherweise zu früh ums Leben gekommenen Amtskollegen Professeur Dumblydor beizuwohnen. Diese Einladung betrifft auch meine geschätzte Kollegin und Stellvertreterin Professeur Faucon. Wir beide werden dieser Einladung entsprechen, so daß für den Zeitraum vom Freitag Morgen bis Sonntag abend Professeur Fixus die Leitung der Akademie innehaben wird. Außerdem schreibt meine geschätzte Amtskollegin aus England, daß ich jede Schülerin oder jeden Schüler mitbringen dürfe, der beziehungsweise die sich zum Zeitpunkt des trimagischen Turniers vor nun bald zwei Jahren auf dem Boden von Hogwarts aufgehalten hat. Ich werde den Mitgliedern unserer damaligen Delegation schreiben, ob sie der Einladung folgen möchten oder nicht. Desweiteren werden Professeur Faucon und ich zusammen mit Mademoiselle Gloria Porter sowie Monsieur Julius Andrews am Freitag nach dem Vormittagsunterricht aufbrechen, um am Abend in Hogwarts einzutreffen. Es versteht sich von selbst, daß in meiner Abwesenheit die gleiche Zucht und Ordnung beibehalten werden wie in meiner Anwesenheit. Dies nur, damit Sie alle wissen, inwieweit der unverzeihliche Anschlag auf einen der größten Zauberer unserer Zeit uns hier in Beauxbatons noch betrifft. So, und jetzt darf ich Sie bitten, sich auf den anstehenden Unterricht vorzubereiten." Ein lautes Raunen brandete durch den Speisesaal, während die Schülerinnen und Schüler sich erhoben und dem Ausgang zustrebten.

"Da, dann fährst du doch dahin", meinte hercules aufmunternd zu Julius, als dürfe er nicht zu einer Beerdigung, sondern zu einer Geburtstagsparty oder einem Spitzenspiel.

"Vielleicht noch welche von der trimagischen Abordnung von hier", erwiderte Julius verhalten.

"Offenbar hat die neue Schulleiterin von Hogwarts das so geplant, daß Gloria und du hinkommen dürft", vermutete Robert leise, als sie durch die Tür gingen und sich in Richtung ihres Saales bewegten.

"Dann hätte sie das wohl so geschrieben", wandte Julius ein.

"Dann werden die wohl die Reisekutsche rausholen und putzen", meinte Gaston mit leicht verschmitztem Grinsen. "Also pass gut auf deine Strafpunkte auf, Culie!"

"Danke gleichfalls, Lästermaul!" Schnarrte Hercules Moulin. Julius mußte sich arg beherrschen, nicht zu grinsen. Immerhin wußte er, wie anstrengend das sein konnte, die hausgroße Reisekutsche zu putzen, wenn dabei kein Funke Zauberkraft benutzt werden durfte. Er fragte sich statt dessen, ob die Grandchapeaus mitkommen würden, sowohl der Minister mit seiner Frau und ihre Tochter mit ihrem Mann. Überhaupt, würden Minister wie Cartridge und Rockridge, Arcadi und Pataleon kommen? Immerhin war Dumbledore weltweit angesehen. Dabei fragte er sich, ob Jane Porter ... Nein, das konnte er sich jetzt wirklich nicht vorstellen, daß sie hinging und ihr Weiterleben aufdeckte.

Trotz der üblichen Straffheit und Unerbittlichkeit vermochten die Lehrer den Unterricht nicht so zu erteilen wie vor einer Woche noch. Auch wenn in der nächsten Woche die Jahresendprüfungen anstanden schienen viele Lehrer und Schüler durch das tragische Ereignis in England aus dem gewohnten Trott geraten zu sein. Es schien Julius, als rattere ein Zug, der sonst schnurgerade und mit Volldampf voraus durch die Landschaft fuhr, über wellige Schienen, und der Lokomotivführer müsse arg aufpassen, daß kein Wagon entgleiste.

Nachmittags hielten die Quidditchspieler der Grünen noch eine Trainingseinheit ab, vor allem, um Monique Lachaise als Hüterin besser auf die kommende Saison vorzubereiten und den Beinahereinfall gegen die Roten restlos aufzuarbeiten.

"Giscard hat von Professeur Faucon die Erlaubnis erhalten, im nächsten Jahr Kapitän zu sein", sagte Virginie nach der letzten Übungsrunde, als sie die vier Bälle wieder fortpackte. "Womöglich kriegt diese Mannschaft dann noch zwei neue Jäger. Dann wäre es schön, wenn du deinen Mitspielern die Doppelachsentechnik richtig beibringst, Julius." Sie sah Julius Andrews an, der ihr zustimmend zunickte. Monique sah ihren Kameraden aus der vierten Klasse an und meinte:

"Hätte nicht geschadet, wenn ich das nach Weihnachten schon intensiv gelernt hätte." Dann zu Virginie gewandt: "Du hättest uns lieber diese Flugtechnik einstudieren lassen als irgendwelche Zu- und Abspielvarianten zu pauken. Hast ja gesehen, was uns das beinahe eingebrockt hätte."

"Irren kann sich jeder mal", erwiderte Virginie verärgert. "Ich dachte, wir könnten durch schnelles Umstellen jede Taktik der Roten kontern. Immerhin hatten die dieses Jahr einen miserablen Sucher."

"Unsere Saalvorsteherin hätte mich eben nicht sperren dürfen", knurrte Hercules leise. Zu laut wollte er es nicht rausposaunen, weil er an diesem Rad selbst zu heftig mitgedreht hatte.

"Wie auch immer", wandte Virginie ein. "Wir haben den Pokal mit fairen Mitteln verteidigt, und ich sehe keinen Grund, warum die Grünen den im nächsten Schuljahr nicht noch mal gewinnen können." Hercules sah Julius komisch an, der jedoch unbeeindruckt blieb.

In der Zauberwesen-AG besprachen sie die Riesen. Der kleine Panoramaraum bot nun die Landschaftsillusion einer felsigen Berglandschaft mit weißen Schneekappen. Mochte es an der vorgespiegelten Umgebung liegen oder zu der Illusion dazugehören, jedenfalls meinten alle, kalter Gebirgswind umwehe sie ab und an, während Madame Maxime über die größten humanoiden Zauberwesen der Welt sprach und dabei betonte, daß Riesen keine eigene nach außen richtbare Magie besäßen, aber den allermeisten Flüchen und Zaubern widerstehen konnten. Allerdings, so legte sie dar, können Risen mit magischen Waffen durchaus ernst verletzt werden, vor allem wenn diese Waffen unzerstörbar seien oder mit dauerhaften Elementarzaubern wie Eiseskälte, Glut oder Diamanthärte verstärkt worden seien. Daher hätten Riesen in den letzten Jahrhunderten alle Magier zu hassen gelernt, aber von ihnen und Kobolden gefertigte Waffen mit größter Gier an sich zu reißen getrachtet. Sie wandte ein, daß unbestätigten Quellen nach die Nichte der dunklen Matriarchin die in der beinahe Selbstausrottung ausgeuferten Kriege der Riesen durch heimliche Waffenlieferungen angefacht habe. Doch genaueres sei nie ergründet worden. Abschließend sagte sie mit einem gewissen roten Farbton im Gesicht und an den Ohren:

"Zumindest können Zauberer und Riesinnen gesunde Kinder zeugen." Niemand wagte etwas darauf zu erwidern. Es folgte lediglich eine Diskussion über die genaue Entstehung jener als gewaltsüchtig beschriebenen, mehr als sieben meter großen Wesen. Als Waltraud ums Wort bat und sprechen durfte, lauschten ihr alle andächtig:

"Es heißt, daß vor etlichen Tausend Jahren, als der Mensch an sich noch mit Steinwerkzeugen hantierte und in Höhlen lebte, durch den Einfluß der Magie Exemplare entstanden, die zwanzigmal so groß waren wie die damaligen Urmenschen. Aus diesen hätten sich im Verlauf der Jahrtausende die in den letzten Jahrhunderten noch weit verbreiteten Riesenvölker gebildet. Der Magiehistoriker Magnus Felsengrund hat im Jahre 1928 in seinem Buch "Die Truppen der Titanen" speziell über das Auftreten der Riesen in der Welt geschrieben, demnach sie auch in jenem sagenhaften alten Reich als furchterregende Krieger kultiviert worden seien, allerdings weit ab von den Siedlungen der gewöhnlich großen Menschen. Damals, so schrieb Felsengrund, hätten weitaus mehr Menschen magische Kräfte besessen, da ihr Land über einem besonderen Magiefokus gelegen habe, der sich beim Untergang in jene heute allgemein verbreitete Grundkraft aufgelöst habe. Felsengrund führt unter Berücksichtigung, daß alles auch nur eine Sage oder haarsträubende Erfindung sein mag an, daß die Titanen, also die Urriesen, künstlich erschaffen worden seien, wie viele andere Zauberwesen und magischen Tiere auch, um eine spezielle Kriegerkaste zu formen, deren eigene Magie sich in einem beinahe unbegrenzten Größenwachstum äußere. Doch Felsengrund vermochte natürlich nicht, die Richtigkeit seiner Thesen zu belegen, weil es über die Zeit des alten Reiches unzureichende Quellen gibt."

"Nichts für ungut, Waltraud, aber wieso zitierst du ihn dann?" Wollte Sabine Montferre wissen.

"Weil das eine Hypothese zur Entstehung der Riesen ist, Sabine. Zumindest wird sie im deutschsprachigen Raum bis heute als die wahrscheinlichste Hypothese betrachtet", erwiderte Waltraud ruhig. Madame Maxime sagte dazu nur:

"Dann haben wir für den letzten Seminartag, also nach den anstehenden Prüfungen, noch eine Grundsatzdiskussion über die Entstehungsgeschichte verschiedener Zauberwesen. Da wir uns in diesem Jahr hauptsächlich mit gegenwärtigen Zauberwesen befaßt haben, bietet eine umfangreiche Erörterung der Entstehungsgeschichte einen angemessenen Abschluß. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und denen, die ich diese Woche nicht mehr im Unterricht sehe wünsche ich erfolgreiche Prüfungen." Alle bedankten sich brav und im Chor für diesen Wunsch und verabschiedeten sich zur Nacht. Doch als Julius den Raum verlassen wollte, winkte ihn Madame Maxime zu sich heran. Auch Gloria Porter sollte noch bleiben. Offenbar würde es um Dumbledores Beerdigung gehen, dachte Julius.

"Ich nutze die Gelegenheit", sagte Madame Maxime, nachdem sie die Tür mit einem Zauberstabwink hinter den letzten AG-Mitgliedern hatte zuschwingen lassen, "um Sie beide kurz auf das einzustimmen, was am kommenden Wochenende ansteht. Noch habe ich nicht alle erwarteten Rückmeldungen von den Mitgliedern der trimagischen Delegation unserer erhabenen Akademie. So oder so werden wir in unserer geräumigen Reisekutsche nach Hogwarts hinüberfliegen. Ob wir dabei nur zu viert oder mehrere Personen sind werde ich spätestens freitag morgen sicher wissen. Womöglich wird Zaubereiminister Grandchapeau mit seiner Familie selbst nach Hogwarts reisen. Von den übrigen Teilnehmern habe ich wie erwähnt noch keine verbindliche Rückmeldung. Bitte prüfen Sie beide, welcher Ihrer Festumhänge dem Anlaß am angemessensten ist und lassen mich wissen, ob Sie beide wegen des Wochenendes von den dieswöchigen Freizeitkursen freigestellt werden möchten, um die benötigte Zusatzzeit für die Prüfungsvorbereitungen zu erhalten! Ansonsten möchte ich Ihnen beiden noch den Brief von Ihrer früheren Fachlehrerin für Transfiguration und Direkktrice pro Tempore, Professeur Mäckgönagall, vorlesen, dem ich die Einladung zur Beisetzungszeremonie entnahm." Sie kramte einen kanariengelben Briefumschlag aus einer Außentasche ihres mitternachtsblauen Satinumhanges hervor. Jetzt konnte Julius das Wappen von Hogwarts erkennen, das H, um das sich ein Löwe, ein Dachs, ein Adler und eine Schlange gruppierten. Sie zog einen dreifach gefalteten Pergamentbogen aus dem Umschlag und begann zu lesen:

"Sehr geehrte Frau Kollegin, Madame LaDirectrice Maxime,

ich bedanke mich an dieser Stelle auch im Namen aller Lehrer und Schüler von Hogwarts für die von Ihnen zugesandte Beileidsbekundung, in der Sie bekräftigt haben, daß der tragische Verlust, der die Zaubererwelt im allgemeinen und die von mir derzeitig geführte Lehranstalt Hogwarts im ganz besonderen getroffen hat auch für Sie und die von Ihnen behüteten Schülerinnen und Schüler sehr schmerzlich ist. Leider konnte ich nicht so unverzüglich auf Ihre Kondolenzbotschaft antworten, da mir durch die Folgen jenes grausamen Ereignisses zusätzliche Pflichten auferlegt sind und es im Bezug auf die ehrenvolle Verabschiedung unseres langjährigen Schulleiters einige unfeine Diskrepanzen gab, die jedoch zu meiner großen Erleichterung ausgeräumt werden konnten. 
Davon ausgehend, daß Sie gerne an der feierlichen Beisetzung meines hochgeschätzten Vorgesetzten teilzunehmen wünschen, möchte ich Ihnen auf diesem Weg die Offizielle Einladung zukommen lassen, am kommenden Samstag auf dem Gelände von Hogwarts an der feierlichen Beisetzung teilzunehmen. Diese Einladung richtet sich im Angedenk der sehr guten Beziehungen, die mein seliger Vorgesetzter zu ihr pflegte selbstverständlich auch an Ihre Mitarbeiterin, meine geschätzte Fachkollegin Professeur Faucon. Ferner empfinde ich es so, daß es gänzlich im Sinne des viel zu früh verschiedenen Professor Dumbledore ist, zusammen mit Ihnen all die Schülerinnen und Schüler zur Verabschiedung meines seligen Vorgesetzten zu laden, welche sich zum Zeitpunkt des letzten trimagischen Turnieres auf dem Boden von Hogwarts befunden haben, und vor allem Ms. Gloria Porter, welche zurzeit bei Ihnen ein Austauschjar absolviert, sowie Mr. Julius Andrews, von dessen erfolgreichem Einstand in ihrer Akademie ich sehr wohlwollend Kenntnis erlangen durfte, zu fragen, ob sie willens sind, Professor Dumbledore durch ihre Anwesenheit die letzte Ehre zu erweisen. 

Bitte teilen Sie mir frühzeitig mit, ob wir für Sie und jeden, der dieser Einladung entsprechen möchte eine Unterbringungsmöglichkeit beschaffen möchten oder nicht! 

Des weiteren möchte ich mich noch einmal im Namen Professor Dumbledores für das kollegiale und gegenseitig förderliche Miteinander bedanken, das unsere beiden Schulen über mehrere Jahrzehnte in friedlichem Nebeneinander hat wachsen und gedeihen lassen. 

Ich bedauere es zu tiefst, daß durch den gewaltsamen Tod unseres Schulleiters, noch dazu durch die Hand eines Mitgliedes unseres Lehrkörpers, ein finsterer Schatten über die akademische Zaubererwelt gefallen ist und wir in Hogwarts einen Schaden hinnehmen mußten, dessen Auswirkung und Dauer wir heute noch nicht absehen können. Ich wünsche mir herzlichst, daß Ihnen oder anderen Kollegen in anderen Akademien und Lehranstalten derlei unrühmliche Ereignisse erspart bleiben mögen und verbleibe hochachtungsvoll und kollegial

                    Professor Minerva McGonagall"

"Danke, daß Sie uns die offizielle Einladung vorgelesen haben", ergriff Gloria nach einer halben Minute Schweigen das Wort. "Werden wir dann in Hogwarts selbst wohnen oder in Hogsmeade?"

"Selbstverständlich werden Sie in den geräumigen Wohnkabinen unserer Reisekutsche nächtigen, Mademoiselle Porter", sagte Madame Maxime. Julius nickte, dann auch Gloria. Dann fragte Julius:

"Wenn wir nach Hogwarts reisen, dürfen Mademoiselle Porter und ich mit unseren ehemaligen Klassenkameraden sprechen oder nicht?"

"Sofern Sie beide nichts tun oder sagen, was meinen Unmut erregen kann gestatte ich Ihnen beiden Gespräche mit ihren dort lernenden Kameraden, sofern diese sich dazu bereitfinden", erteilte Madame Maxime die erhoffte Erlaubnis. "Es wird ja durchaus möglich sein, daß Professeur Faucon und ich unsererseits mit den dortigen Kollegen sprechen. Dann ist es legitim, daß Sie beide sich mit Ihren früheren und im Falle von Mademoiselle Porter hoffentlich erneuten Mitschülern austauschen, da gerade ein Trauerfall von solcher Tragweite Anlaß zur Festigung bestehender Verbundenheiten gibt."

"Das ist wohl richtig. Das haben wir ja in diesem Schuljahr leider mehrmals erlebt, wie wichtig sowas ist", sagte Julius mit belegter Stimme. Gloria nickte beipflichtend. Madame Maxime sah beide von ihrer überragendhohen Warte her an und erwiderte in für sie ungewohnt leisen Worten:

"Es ist vor allem dann wichtig, bestehende Gemeinschaften und Gemeinsamkeiten zu beschwören, wenn jemand es durch die Ermordung eines geachteten oder geliebten Menschen darauf anlegt, Angst und Einsamkeit zu schüren. Genau deswegen ist es wichtig, daß die Vertreter der ehrbaren Zaubererwelt Präsenz zeigen und dem, der diesen unverzeihlichen Anschlag befahl verdeutlichen, daß sein Erfolg ihm nichts nützen wird. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen beiden eine geruhsame Nacht. Wir sehen uns dann ja im Unterricht und dem Freizeitkurs magische Tierwesen." Das reichte Gloria und Julius, um sich zu verabschieden und den Kursraum zu verlassen.

 

__________

 

Die folgenden Tage waren geprägt von letzten Prüfungsvorbereitungen. Julius hatte sich nicht von den Freizeitkursen freistellen lassen. Gloria erschien ebenfalls am Donnerstagnachmittag zum Freizeitkurs magische Tierwesen, wo sie sich noch einmal mit den geflügelten Riesenpferden befaßten. Vor allem Gloria, Millie und Julius wurden intensiv zur Arbeit mit den riesenhaften Reit- und Zugtieren ermuntert. Millie meinte nach dem Kurs, als sie Madame Maximes Hörweite verlassen hatten:

"Daß die euch jetzt an diese netten Einhufer rangeführt hat ist ja klar, weil ihr sie morgen wohl den halben Nachmittag vor der Kutsche hängen habt. Aber wieso ich mit diesen Tieren mehr machen sollte wundert mich."

"Wieso?" Fragte Julius grinsend.

"Reiten kann ich so ein Abraxas-Pferd nicht, und mit Demie oder Temmie komme ich bestimmt besser zurecht als mit den wilden Abraxarieten hier."

"Vielleicht hat Madame Maxime Probleme mit deiner Tante und will beweisen, daß sie doch die richtigen Tiere bevorzugt", meinte Julius.

"Meine Tante hat mit Madame Maxime keine Probleme. Wundere mich nur, daß diesmal keiner die Kutsche putzen mußte."

"Stimmt", erwiderte Julius. "Trotzdem sich einige von euch und den Blauen diesen Job redlich verdient haben."

"Hast du die nicht auch mal schrubben dürfen?" Fragte Millie keck zurück. Julius nickte und meinte leicht verbittert:

"Damals in Hogwarts, einen Tag vor Cedric Diggorys Tod."

"Dann freu dich, wenn du dieses Jahr ohne sie vorher geputzt zu haben damit verreisen darfst."

"Ich hoffe, ihr kommt mit eurer Saalvorsteherin als Stellvertretende Schulleiterin gut aus", sagte Julius dazu nur. Millie wiegte den Kopf und grummelte:

"Werde ihr schön weit aus dem Weg bleiben."

 

__________

 

Der Freitag kam und damit die Abreise nach Hogwarts. Julius mußte sich arg anstrengen, im Unterricht bei der Sache zu bleiben. Morgens schon hatte Professeur Fixus für die nächsten Tage das Ruder übernommen. Madame Maxime war still geblieben.

Nach der letzten Vormittagsstunde meinte Hercules zu Julius:

"Ob Königin Blanche deine frühere Schulkameradin und dich unterrichtet, wo sie die anderen Klassen heute nachmittag nicht drangsalieren kann?"

"Glaube ich nicht, Hercules. Die wird genauso mit den Gedanken bei Professor Dumbledore sein wie Gloria und ich."

"Wäre aber Drachenmist, weil ihr ja dann keine Schule hättet heute nachmittag", erwiderte Hercules neidisch. Julius schluckte eine böse Antwort hinunter und sagte statt dessen:

"Hercules, die beiden Stunden am Nachmittag machen meine Prüfungsnote auch nicht mehr besser oder schlechter. Ich denke, bei Gloria ist das genauso. Bis Sonntag früh!" Er ließ seinen Kameraden einfach stehen, eilte mit Hilfe des Wandschlüpfsystems in den grünen Saal, wo er die Reisetasche holte, in der er Nachtzeug und seinen Festumhang verstaut hatte. Als er vor das Tor des Palastes von Beauxbatons trat, stand die grau-blaue Riesenkutsche bereits da. Madame Maxime schirrte gerade die letzten drei geflügelten Pferde an.

"Haben Sie alles?" Fragte Professeur Faucon, die am Fuß der goldenen Treppe stand, die in das Innere der Kutsche führte. Julius bejahte es und schwenkte seine Reisetasche. Er ging auf die Kutsche zu. Da sah er Mildrid, Virginie und die Montferres. Dann kam noch Belisama, die Gloria zur Kutsche geleitete.

"Bis Sonntag morgen, Monju, und schäm dich deiner Gefühle nicht, wenn sie echt sind", hauchte Millie ihm zu, bevor sie ihn landesüblich verabschiedete. Gloria trug ihren Hogwarts-Schulumhang unter einem Arm. Madame Maxime sah sie mißbilligend an und meinte:

"Sie sind bis zum offiziellen Abschluß des von Ihnen begonnenen Austauschschuljahres eine Schülerin der Beauxbatons-Akademie und werden auch auf dem Boden von Hogwarts als solche gekleidet bleiben, Mademoiselle Porter, soweit Sie dem morgigen Anlaß entsprechend keinen anderen Umhang tragen."

"Wir werden zu acht Personen sein. Das Ehepaar van Heldern und das Ehepaar Dusoleil werden gleich noch zu uns stoßen. Monsieur César Rocher hat Quidditchverpflichtungen wie Mademoiselle Pommerouge. Die Grandchapeaus reisen im Familienverband an und die übrigen Teilnehmer und Teilnehmerinnen des trimagischen Turniers sind bereits in England, weil sie entweder bei dortigen Freunden unterkamen oder dort arbeiten", sagte Professeur Faucon. Da kletterte Gloria die Treppe herauf und blieb in der pompösen Eingangshalle der Kutsche stehen. Sie bestaunte die große Halle, die komplett mit einem weichen, bordeauxroten Teppich ausgelegt war und betrachtete die Landschaftsbilder mit sich bewegenden Motiven wie fliegende Vögel, wandernde Wolken und wogende Wellen. Vier goldene Türen mit silbernen Klinken führten in die verschiedenen Abteilungen der innen noch geräumiger als außen schon bezauberten Kutsche.

"Wau", machte Gloria ganz gegen ihre überlegte Art. Julius nickte. So wie sie hatte er sich ja auch gefühlt, als er mit der trimagischen Delegation von Hogwarts nach Beauxbatons gereist war. Jetzt schloß sich für ihn ein Kreis, dachte er. Aber ein ziemlich dunkler Kreis, in dem der Mittelpunkt ein schwarzes Loch war.

"Ich nehme das Lob im Namen Madame Maximes zur Kenntnis", sagte Professeur Faucon kühl.

Es krachte einmal dumpf. Das war das typische Geräusch einer Reisesphäre, wußte Julius. Madame Maxime rief in die Kutsche hinauf, daß Professeur Faucon den beiden Schülern ihre Kabinen zeigen sollte.

"Sie schlafen auf dem unteren Deck", sagte Professeur Faucon zu Gloria und führte sie durch die linke vordere Tür davon, während Julius fragte, wo er hingehen solle. Professeur Faucon wies ihn an, auf sie zu warten.

Von draußen erklangen gedämpfte Stimmen. Julius wagte einen Blick durch den Einstieg und erkannte Madame Maxime, Jeanne und Bruno, die von einer Hexe in rosaroter Tracht begleitet wurden, sowie Barbara van Heldern mit ihrem Mann Gustav, der sehr besorgt in ihrer Nähe blieb, weil Barbara in guter Hoffnung war und im Juni ihr erstes Kind bekommen würde. Für Jeanne sollte wohl die Hexe in Rosa zuständig sein, die Julius vor einer Woche zum letzten Mal gesehen hatte.

"Sie werden mir doch hier und jetzt nicht einen Vortrag halten, daß nur ausgewiesene Teilnehmer am trimagischen Turnier und damals offizielle Hogwarts-Schüler von Ihnen mitgebracht werden dürfen, Madame Maxime", hörte er Hera Matine gerade sagen. Da kam Barbara, die ihren Mann trotz der voranschreitenden Schwangerschaft locker abhängte und nur ein wenig schnaufend die Treppe hinaufturnte.

"Barbara, nicht so schnell!" Knurrte Gustav und eilte ihr nach, während seine Frau gerade Julius umarmte und landesüblich küßte. Dieser war auf der Hut, die Umarmung nicht zu doll zu erwidern.

"Hallo, Julius, wir haben uns lange nicht mehr gesehen", grüßte Barbara. Julius nickte und erwiderte, daß es traurig sei, ausgerechnet zu so einem traurigen Anlaß zusammenzukommen.

"Na, wenn er hier in vier Wochen meint, jetzt wäre es Zeit", sagte Barbara und streichelte über ihren runden Bauch, "kommst du zur Willkommensfeier für Charles nach Brüssel, zusammen mit Jeanne, wenn die Viviane Aurélie da schon in die Arme schließen kann."

"Nun, ich möchte die Einladung nicht weiter auslegen als mir meine derzeitige Amtskollegin Professeur Mäckgönagall zugebilligt hat. Monsieur Dusoleil darf in Vertretung von Monsieur Rocher mit, da er der Ehepartner von Madame Dusoleil ist", hörte er Madame Maxime, während Jeanne bereits heraufkam. Julius reichte ihr den Arm.

"Ich nehme das als Galanterie und nicht als Mitleid", sagte Jeanne, deren Gesicht merklich runder aussah als noch zu Ostern. Überhaupt wirkte sie nun sehr viel raumfüllender als er sie vom Sommer her in Erinnerung hatte.

"Will deine Hebamme mit. Dann kann die sich doch aufs Trittbrett stellen", feixte Julius. Jeanne grinste nur zurück und meinte:

"Sei froh, wenn sie mit darf. Sonst bist du wohl der einzige hier, der Barbara und mir helfen kann, falls es bei uns beiden früher losgeht als vorhergesagt."

"Das wäre aber ziemlich heftig", meinte Bruno, der am Fuße der Treppe stehenblieb. Madame Maxime las gerade ein Schreiben von Madame Matine, schien etwas zu knurren und winkte ihr dann.

"Sie darf wohl mit", meinte Julius zu Jeanne. Da kam Professeur Faucon zurück und winkte Julius, ihr zu folgen. Sie führte ihn durch das Marmortreppenhaus in der Kutsche zur obersten Etage, wo im hinteren Teil ein geräumiges Zimmer auf ihn wartete, das eigentlich ein Doppelzimmer war. Hier stellte Julius seine Reisetasche hin. Dann ließ er sich von der Lehrerin das Badezimmer zeigen, das eine Duschkabine aus Keramik und bruchsicherem Kristallglas besaß.

"Weshalb wohnt Gloria unten?" Wollte Julius wissen.

"Madame Maxime befand, daß zwei minderjährige Schüler unterschiedlichen Geschlechtes möglichst weit voneinander entfernt untergebracht werden sollten. Sie muß ja nicht wissen, daß du im Bezug auf das andere Geschlecht bereits gewisse Grunderfahrungen erworben hast."

"Wohnen Sie auch hier oben?" Fragte Julius.

"Gegenüber. Die untere Etage ist den beiden Ehepaaren vorbehalten. Habe ich mich doch nicht verschätzt, und Hera wird uns begleiten", sagte sie noch. Julius nickte.

"Alle Pferde sind im Geschirr!" Rief Madame Maxime. "Alle Mitreisenden bitte in den Salon!"

"Wozu das auch immer gut sein soll", grummelte Julius. doch er fügte sich, zumal er ja keine Treppen mehr zu steigen brauchte. Denn der Salon lag auf dieser Etage.

"Also diese Reisekutsche ist echt beeindruckend", lobte Gloria, als sie alle um den großen Tisch zusammensaßen. Madame Maxime hatte bereits die Tür geschlossen und saß nun irgendwo vorne, von wo aus sie die zwölf Flügelpferde lenken konnte. Vom Anrollen und Durchstarten der Kutsche war so nichts zu fühlen. Nur an den Geräuschen konnte Julius erkennen, daß sie bereits abflogen. Da klang Millies Gedankenstimme in seinem Kopf:

"Mach's gut, Monju!" Julius überlegte, ob er sein rubinrotes Herz hervorholen sollte. Doch dann erkannte er, daß er ja nur zurückzudenken brauchte und wünschte Millie bis Sonntag alles gute.

Während der auf sechs Stunden angesetzten Flugreise aßen sie zu Mittag. Gloria half Professeur Faucon in der Küche aus, während Julius zusammen mit Bruno und Gustav den Tisch deckte, natürlich mit Zauberkraft. Jeanne, die sich einen hochlehnigen Sessel besorgt hatte, meinte zu ihm:

"Verträgst du dich noch gut mit Martines kleinerer Schwester. Ihr Schwesterchen kam ja letztes Wochenende an, hörte ich."

"Häh, Julius?" Machte Barbara. Bruno grinste sie an. Gustav sah Julius perplex an und hätte fast den frei schwebenden Stapel Suppenteller fallen lassen.

"Stimmt, Millie hat jetzt eine kleine Schwester", sagte Julius. "Wir beide sind jetzt richtig gut zusammen."

"Du hast dich von Millie einfangen lassen, Julius?" Fragte Barbara etwas argwöhnisch. Doch dann mußte sie grinsen. "Wohl besser so, als dich von mehreren zänkischen Mädchen umschwirren zu lassen. Seit wann geht ihr zusammen?" Julius erzählte es leise, um den eigentlichen Anlaß der Reise nicht zu entehren, aber doch mit gewissem Vergnügen in der Stimme und tischte der werdenden Mutter Barbara die Geschichte von dem langen Gespräch nach dem Quidditchspiel der Pelikane gegen die Mercurios auf. Barbara nickte und meinte dann:

"Dann sieh aber zu, daß du ihr nicht lästig fällst oder du sie nicht einfach abservierst, wie Eddie es mit Martine gemacht hat. Noch mal so ein Reinfall in der Latierre-Familie werden die sich nicht bieten lassen."

"Ma Chere, das findest du doch nicht etwa toll, daß dein Schützling vom letzten Jahr sich ausgerechnet von dieser Karnickelfamilie hat einwickeln lassen."

"Gustav, der Planet, hinter dessen Mond du lebst kann nicht im Teleskop gefunden werden", meinte Bruno feist grinsend. "Aber Brüssel liegt ja auch weit ab von allem wichtigen."

"Du willst jetzt nicht vor deiner und meiner Frau Streit anfangen, Bruno", knurrte Gustav. "Julius und eine von den Latierres. Dann hätte er lieber Martine nehmen oder bei der Geburt seiner neuen Freundin dabeisein sollen", knurrte Gustav. "Wenn ich mir überlege, wie die große Übermutter sich mit meiner Mutter gehabt hat, bevor Barbara und ich in den goldenen Kreis getreten sind."

"Ja, aber seine Mutter kam mit Martines Oma gut klar", warf Bruno auf Julius deutend ein.

"Wenn du Madame Ursuline Latierre meinst", meinte Julius leise. Denn Millie hatte ja noch eine Oma, über die in Madame Maximes Hörweite besser kein Wort verloren werden sollte.

 

"Kannst du denn noch Melo", tönte Jeannes Stimme laut und nachhallend wie eine Kirchenglocke in Julius' Kopf. Er konzentrierte sich und schickte ihr zurück, daß er in den Osterferien gut geübt habe, wobei seine Gedanken genauso lange nachhallten. Da wußte er, daß er mit Jeanne denselben guten Gedankendraht besaß wie mit ihrer Mutter. Immerhin ging Mentiloquismus ohne Hilfsmittel in der Kutsche.

"Schön zu wissen", schickte Jeanne zurück, und Julius meinte schon, jeder müsse es aus seinem Schädel herausdröhnen hören.

Madame Maxime betrat den Salon und zog den überdimensionalen Stuhl heran.

"Alles in Ordnung? Dann müssen wir nur noch auf das Essen warten."

"Ich geh runter und helfe beim Hochbringen", bot Julius an.

"Das wird nicht nötig sein. Madame Matine wird Professeur Faucon behilflich sein", erwiderte Madame Maxime leicht ungehalten. Da kamen die beiden erwachsenen Hexen und die Schülerin von unten her hoch.

Es gab ein mehrgängiges Mittagessen aus einer Gemüsesuppe, Ragout, gekochtem Fisch, Kartoffeln und einem Obstsalat. Während des Essens wurde nicht über Dumbledore oder Hogwarts gesprochen, sondern über das vergangene Schuljahr. Julius durfte erzählen, daß die Grünen den Quidditchpokal verteidigt hatten. Bruno wußte das jedoch auch schon und meinte, daß Monique Lachaise sich wohl ganz schön hatte einstampfen lassen. Professeur Faucon tadelte ihn und warf ein, daß die Hüterin der Grünen nun für das nächste Jahr optimal eingestimmt sei.

Sie sprachen auch über das Zauberwesenseminar, welches im letzten Jahr nicht stattgefunden hatte. Dann durften Professeur Faucon und Julius verkünden, daß Catherine eine weitere Tochter bekommen hatte, wobei sie nicht auf die Einzelheiten der Geburt eingingen.

Als das Essen vorüber war und Professeur Faucon mit Julius, der sich zum Spüldienst gemeldet hatte in der geräumigen Küche der Kutsche über der Vorderachse stand meinte sie:

"Hera hat ein offizielles Schreiben von Madame Delamontagne ausgestellt bekommen, daß sie Jeanne begleiten darf. Sie soll wohl hier in der Kutsche warten, bis meine Kollegin McGonagall ihr Zutritt zum Gelände von Hogwarts gestattet. ... Nein, nicht so derb!" Versetzte sie noch, weil Julius den Selbstspülzauber etwas zu schwungvoll ausführte und das Geschirr sich laut klappernd im großen Spülbecken anrempelte. Sie korrigierte die Wirkung des Zaubers ein wenig nach unten und fuhr dann fort. "Deshalb werden wir erst einmal in der Kutsche bleiben, wenn Madame Maxime aussteigt. Ich gehe aber davon aus, daß zumindest Gloria und du sehr rasch nach Hogwarts hineindürft, weil die Einladung euch beide ja unmittelbar erwähnt. ... Was soll denn rosa Schaum?" Julius hatte den Ratzeputzzauber als Spülmittelverstärker gebracht, ungesagt, wie er seit längerem viele Zauberkunststücke vollführte. Dabei war jedoch rosa Schaum auf der dampfenden Wasseroberfläche entstanden. An und für sich mußte jeder Schaum weiß sein, wußte Julius, weil er das auftreffende Licht streute und dabei alle Regenbogenfarben widerspiegelte.

"Öhm, wußte nicht, daß der mit dem Spülzauber so ausfällt", meinte Julius leicht verlegen.

"Du machst die gleichen Übertreibungsfehler wie Catherine", schmunzelte Professeur Faucon. "Aber zumindest kannst du die nötigen Zauber ungesagt." Julius fragte sich, ob Catherine für eben diese Übertreibungen ein Schmunzeln oder einen lauten Anpfiff erhalten hatte. Doch das fragte er besser nicht laut. Mit einem kurzen Umrühren des Zauberstabs von Professeur Faucon wurde der Schaum auf der Wasseroberfläche wieder blütenweiß.

"Werden wir auch hier zu Abend essen?" Fragte Julius.

"Das will ich mal hoffen, wo ich gestern schon ein großes Abendessen vorgekocht habe und im Conservatempus-Schrank sichergestellt habe", meinte Professeur Faucon dazu nur. Julius fragte sich, ob ein üppiges Festessen dem Anlaß angemessen war. Doch er kannte Professeur Faucons Leidenschaft für's Kochen und würde es niemals wagen, sich darüber zu beschweren.

"Ich hoffe mal, daß Jeanne und Barbara ihre Kinder nicht ausgerechnet morgen bekommen", wandte Julius ein.

"Hera sagt, daß Jeannes Tochter erst in vier Wochen geboren wird, vielleicht eine Woche früher. Aber im Moment befinde sie sich noch wohl. Was Madame van Heldern angeht, so besaß sie immer schon einen unbändigen Willen männlichen Verwandten gegenüber. Ich denke, ihr Sohn wird erst dann das Licht der Welt erblicken, wenn sie ihm den ausdrücklichen Befehl dazu erteilt."

"Ziemlich heftig", meinte Julius. "Dann könnten sie und Jeanne zeitgleich ... wie Catherine und Hipp... Madame Latierre."

"Behalte dies bitte für dich, Julius, aber genau dies mutmaße ich", erwiderte Professeur Faucon mentiloquistisch. "Die beiden sind immer noch sehr gute Freundinnen", sagte sie dann mit hörbarer Stimme. "Es wird sich zeigen, wie weit die Freundschaft sie miteinander verbindet."

Sie unterhielten sich noch über eventuelle Besucher aus dem Ausland. Julius vermutete, daß Prinzipalin Wright auch kommen würde. Professeur Faucon fügte dem hinzu, daß dann wohl auch Maya Unittamo der Feier beiwohnen würde, wie sie ja auch Jane Porters Feier beigewohnt hatte. Als das Aufräumen beendet war gingen sie in den Salon zurück, wo Madame Maxime gerade mit Hera Matine über Lutetia Arno herzog. Gloria hatte sich mit Jeanne und Barbara in einer gemütlichen Sitzecke zusammengehockt und besprach Sachen, die wohl für junge Hexen interessant waren. Julius hörte nur einmal heraus, daß Glorias Mutter auch Salben gegen Schwangerschaftsstreifen und zur Pflege der Brüste auf den Markt gebracht habe. Womöglich machte die blondgelockte Kosmetikerinnentochter zwei neue Kunden für ihre Mutter klar. Julius sah sich nach Bruno und Gustav um. Doch die beiden waren nicht im Salon.

"Wie kommt es, daß Bruno morgen nicht Quidditch spielen muß?" Fragte Julius Jeanne, als diese ihn ansah.

"Weil er uns begleitet", sagte Jeanne und setzte sich so, daß jeder sehen konnte, daß sie neues Leben trug. "Ich habe beim Kapitän der Mercurios darum gebeten, er möge mich begleiten. Das Spiel morgen kriegen sie auch mit Polonius hin."

"Wenn du meinst", sagte Julius leise.

Im zweiten Drittel der Reise besuchte Julius Madame Maxime, die in einer Art Führerstand saß und mit vier Hebeln hantierte, die mit den Geschirren der zwölf Pferde verbunden waren. Für eine Minute durfte Julius das Gespann mit eigenen Händen lenken, wobei er es ausnutzte, den Leithengst der Gruppe als Richtungssteuerungszugtier einzusetzen.

"Deshalb habe ich Ihnen und Mademoiselle Porter das gestern gezeigt, um Sie im Verlauf der Reise nach und von Hogwarts mit der Praxis vertraut zu machen", sagte die Schulleiterin und Lehrerin für Zaubertiere.

Das letzte Drittel des sechsstündigen Fluges vertrieben sich Julius, Gloria, Jeanne und Barbara mit Schach. Hera Matine saß bei Jeanne und beobachtete sie, während Bruno und Gustav sich über das anstehende Ende der Quidditchsaison unterhielten.

Zwischendurch klickte es in Julius Armbanduhr, und der rote Standortstundenzeiger sprang auf gleiche Höhe wie der schwarze Heimatortstundenzeiger, der seit dem Aufziehen der Uhr die in Großbritannien gültige Zeit anzeigte.

Es mochte auf sieben Uhr abends zugehen, als Madame Maxime nach hinten rief, daß sie gleich landen würden. Alle besetzten Plätze bei den Fenstern. Ja, da war der schwarze See, dessen Oberfläche das Licht der Spätfrühlingssonne gleißend spiegelte. Da waren die hohen Berge, da der schemenhaft unter ihnen dahinhuschende grüne Teppich des verbotenen Waldes. Da blinkten die Gewächshäuser im Licht der Abendsonne, grünten die Parks und schillerten die bunten Gemüsebeete. Ja, und da stand das Schloß mit seinen Türmen, alle überragend der Astronomieturm in der Mitte. Dessen Anblick versetzte Julius einen Stich ins Herz. Von diesem Turm war Dumbledore abgestürzt, bereits tot, niedergeflucht von Severus Snape. Diese schmerzhafte Erinnerung fegte den Eindruck fort, nach Hause zu kommen, zumindest an einen Ort, an dem er viele schöne und interessante Sachen erlebt hatte.

Fast berührten die auf- und abwippenden Räder der Kutsche die obersten Baumwipfel. Dann glitt das grau-blaue Luftfahrzeug über der großen Wiese herunter. Julius konnte noch einen rußschwarzen Fleck erkennen, da wo eigentlich eine einfache Holzhütte stehen mußte. Dann prallten die Hufe der zwölf Pferde auf festen Boden, und die Räder der Kutsche setzten auf, federten leise quietschend zweimal durch. Doch davon war nichts zu spüren, dank der einhundertprozentigen Innerttralisatus-Bezauberung der Kutsche.

"Wie eingangs abgesprochen verbleiben vorerst alle anderen in der Kutsche, bis ich Professeur Mäckgönagall begrüßt habe", sagte Madame Maxime und verließ durch die Tür zum Treppenhaus den Salon.

"Essen wir hier im Schloß?" Fragte Gustav van Heldern. Professeur Faucon sah ihn tadelnd an und schüttelte den Kopf.

"Wir werden den Bewohnern von Hogwarts so wenig wie möglich zur Last fallen. Daher habe ich in weiser Voraussicht das Abendessen vorbereitet. Ich weiß nur nicht wann wir es einnehmen mögen."

Sie hörten, wie jemand Madame Maxime freudig aber auch sehr bedrückt klingend begrüßte. Julius sah, wie der halbriesische Wildhüter Hagrid Madame Maxime am Fuß der Treppe empfing. Er blickte sich um und entdeckte einige Schüler, einige davon, die er noch nicht kannte. Er war eben schon seit zwei Schuljahren nicht mehr hiergewesen, und das eine Mal, wo er im Schloß selbst war, hatte er sich in einer Art Parallelwelt dazu aufgehalten. Dann sah er noch zwei Jungen mit rotblondem Haarschopf, zwei Mädchen mit kastanienbraunen Haaren und ein Mädchen mit strohblondem Haar, das neben den beiden braunhaarigen Schülerinnen stand.

"Gloria, wir kriegen nachher, falls wir rausdürfen, auch ein Empfangskommitee", kommentierte Julius was er sah. Gloria kam zu ihm ans Fenster und blickte hinaus. Dann sah sie die vier, die sie vor einem Jahr hier in Hogwarts zurückgelassen hatte und den anderen rotblonden Jungen.

"Ach, Seamus Finnigan unterhält sich mit Kevin. Vielleicht wetten sie, ob wir mitfahren durften."

"Traue ich ihm zu."

"Kevin Malone", grinste Jeanne. "Könnte es sein, daß der meiner Mutter noch was schuldig ist?"

"Sprich ihn bitte nicht drauf an, Jeanne!" Mentiloquierte Julius und dachte jetzt erst, warum das in Hogwarts funktionierte.

"Also, wenn Madame Maxime in zehn Minuten nicht zurückkommt heißt das wohl, daß wir einstweilen hier in der Kutsche bleiben sollen", vermutete Professeur Faucon.

Es vergingen an die sechs Minuten. Dann kehrte Madame Maxime zusammen mit Professor McGonagall zurück, die die geduldig ausharrenden Jungen und Mädchen dezent hinter sich herwinkte. Unten klapperte es, und die befehlsgewohnte Stimme Madame Maximes rief hinauf:

"Sie sind alle eingeladen, Hogwarts zu betreten!"

"Nun denn, ich zuerst", sagte Professeur Faucon.

"Dann geht Kevin gleich stiften", dachte Julius. Denn immerhin konnte sich Kevin vorstellen, daß Professeur Faucon ihn wegen der Sache mit dem tragbaren Sumpf noch einmal anraunzen mochte, falls er mittlerweile raushatte, daß sie auch Englisch konnte. Doch Kevin blieb ruhig da stehen und schwatzte mit Seamus Finnigan, der leicht verlegen zur Kutsche hinsah. Dann durften Gloria und Julius die Kutsche verlassen, anschließend Jeanne, Barbara, Gustav und Bruno. Madame Matine folgte im diskreten Abstand.

"Hach, die zwanzig Eismäuse und die zwanzig Schokofrösche wandern zu mir, Seamus", zischte Kevin und strahlte Julius an, der das in der Situation nicht besonders angebracht fand. Pina begrüßte Gloria mit tränenfeuchten Augen und einer innigen Umarmung.

"Mein Landesbruder hat mir erzählt, die Maxime bringt dich mit. Ich habe gesagt, wenn die kommt, dann allein, weil ihr bei der ja noch lernen müßt. Und da bist du jetzt", erwiderte Seamus Finnigan. Julius begrüßte den Sechstklässler und fragte die Jungen dann gemeinsam, wie es ihnen Ging.

"Schon fies, die Stimmung hier. Jeder Tag läuft so, als wär's der Letzte hier. McGonagall meint, die Schule könnte komplett dichtmachen", sagte Kevin. "Wie hast du's mitgekriegt? Zeitung?"

"Ja, auch, aber eher durch Aurora", sagte Julius leise.

"Ey, was ist denn mit Jeanne los, hat die wen gefressen?"

"Wie bitte?!" Fragte Jeanne. "Was 'ast du gesagt, Kevien Dann sah Kevin Barbara.

"Die sind verheiratet, Kevin, die dürfen so aussehen", zischte Julius Kevin zu. Seamus meinte, daß es irgendwie merkwürdig sei, wenn zwei werdende Mütter zusehen, wie jemand begraben werden soll. Dann sagte er, daß er sich fast mit seiner Mutter duellieren mußte, um hierbleiben zu dürfen, bis Professor Dumbledore anständig beerdigt worden sei.

"Dem seine alte Dame hat sich irgendwo in Hogsmeade eingemietet", meinte Kevin. Dann trat Jeanne an ihn heran und meinte:

"Wenn du mal das Glück 'ast, eine Frau sü finden, die so aussehen möchte, um dir ein Kind su schenken, dann bist du glücklisch, Kevin."

"Ich wollte nix böses gesagt haben, Mademo... öhm, wie heißen die verheirateten Frauen bei denen noch mal, Julius?"

"Madame Dusoleil", erwiderte Julius. Er war einerseits froh, sich mit Kevin etwas lockerer unterhalten zu können. Doch der Grund warum er hier war wog immer noch schwerer als alles andere. Dann begrüßte er Pina und die Hollingsworths, die sich erst mit Gloria unterhalten hatten.

"Was hast du alles mitgekriegt?" Fragte Pina Julius, nachdem sie sich ihr tränennasses Gesicht an einem weißen Reinigungstuch trockengewischt hatte. Julius gab in zwei Sätzen wider, was er mitbekommen hatte. Pina nickte.

"Alle hier sind ganz tief am Boden, Professor McGonagall, Professor Flitwick, ja alle Lehrer, und von den Schülern über die Hälfte, am heftigsten Harry Potter."

"Die andere Hälfte sind wohl Slytherins", grummelte Julius. Bei denen konnte er sich vorstellen, daß klammheimliche Parties gefeiert wurden.

"Was macht dieses Mädchen, Mildrid, von dem Gloria und du mir geschrieben haben?" Wollte Pina wissen.

"Der geht's soweit gut. Ihre Mutter hat ihr eine kleine Schwester geschenkt. Apropos, wie geht's Olivia?"

"Die traut sich seit ... ja, seit der Sache nicht mehr raus, weil sie nicht weiß, ob nicht noch irgendwo Todesser rumhängen", sagte Pina. "Ich fürchte, mit der müssen wir ins St. Mungo."

"Oh, Mist, haben deine Eltern die nicht abgeholt?" Fragte Julius erschüttert.

"Wir hätten schon am letzten Sonntag gehen können. Aber Olivia und Ich wollten nicht gehen, bevor Professor Dumbledore ..." seufzte Pina. Betty Hollingsworth meinte zu Julius, daß er ja richtig groß geworden sei. Sie kannte zwar die Geschichte um die schnelle Alterung, aber ihn jetzt echt vor sich zu sehen war doch was anderes.

"Das haben die mir in Beauxbatons auch alle gesagt", meinte Julius. Jenna Hollingsworth sagte dann noch:

"Kevin hier meint, du hättest jetzt eine Freundin, die so ähnlich aussieht wie er. Ist das jetzt wirklich was festes? Ich meine, nach Claire ... Oh, wollte ich nicht.""

"Ich wußte auch nicht, daß ich dafür wieder bereit bin", erwiderte Julius, nachdem er erst sehr betrübt dreingeschaut hatte.

"Die Halbriesin hat erzählt, ihr würdet gleich in der Kutsche essen. Ich dachte, ihr eßt und schlaft bei uns", flüsterte Kevin.

"Nein, wir essen in unserem puderblauen Wohnmobil", antwortete Julius auf die Kutsche deutend. Hagrid schirrte gerade mit Madame Maxime die Pferde aus.

"Um acht Uhr Ortszeit zum Abendessen wieder in der Kutsche sein", durchraste Julius eine Gedankenbotschaft Professeur Faucons. Er gab sie auf hörbarem Weg an Gloria weiter.

"Hups, woher weißt du das denn jetzt?" Fragte Kevin erstaunt. Pina sah ihn mitleidsvoll an und meinte:

"Gedankensprechen, kevin. Die Lady hat das mal mit Mum gemacht, als sie weit weg war."

"Ganz genau", bestätigte Julius.

"Ey, dann heißt das, ihr könnt jetzt erst mal mit uns ins Schloß rein?" Wollte Kevin wissen. Gloria und Julius nickten. So zogen sie dann los, die alte Sechserbande einschließlich Seamus Finnigan, der aber bald seinen Kumpel Dean Thomas wieder aufsuchte, wohl um ihm den Riesenverlust an magischem Naschwerk zu klagen.

Als sie in die Eingangshalle kamen, zuckte Julius fast zurück. Das Gryffindor-Punkteglas war weg, und an zahlreichen Stellen in der Wand klafften Risse und Löcher, manche glasiert, manche angerußt. Hier hatte der Kampf zwischen Todessern und den Verteidigern von Hogwarts getobt. Kevin sah, wo Julius hinsah. In den anderen Punktegläsern waren keine Punktesteine zu erkennen. Das Hufflepuff-Glas wies einen gezackten Riß über beide Glaskolben auf.

"Das Gryffindor-Glas hat es voll zerlegt. Wußte gar nicht, wieviele Kullersteine in diesen Dingern drin sind", meinte Kevin. "Hat einen ganzen Tag gedauert, das schwere Ding und alle rausgefallenen Rubine einzusammeln. Das Hufflepuff-Glas nehmen sie morgen mit, wenn wir nach Hause fahren.

"Öhm, wann?" Fragte Julius.

"Eine Stunde nach der Zeremonie", sagte Pina. Julius blickte zu der Treppe, die zum Astronomieturm führte. Wenn er Florymonts Rückschaubrille hätte ... aber die hätte ihm ja nur die letzten zwei Tage zeigen können, und die Schlacht und der Mord waren ja schon acht Tage her.

"Wo können wir hin?" Fragte Julius. "Betty und Jenna dürfen doch nicht nach Ravenclaw rein, und ich auch nicht. Gloria ist ja nicht ganz von hier abgemeldet."

"Weißt du, wie viele Leute noch hier in Hogwarts sind, Julius? Gerade mal zweihundert. Das mußt du dir mal wegtun, von über achthundert Schülern nur noch zweihundert und davon die meisten Muggelstämmige, deren Eltern nicht einfach so vor das Schultor apparieren und ihre Kinder nach Hause holen konnten. Aber von den wirklichen Anhängern Dumbledores sind alle da. Potters Trio, Loony Lovegood, Ginny Weasley und andre aus dem Club, der letztes Jahr die Umbridge so verladen hat", sagte Kevin. "Dafür hängt Minister Scrimgeour mit einem halben Hofstaat hier rum und in Hogsmeade haben sich in jedes freie Ferienzimmer zwei Leute eingemietet, wenn sie nicht bei Freunden und Verwandten unterkamen. Wird also morgen ziemlich voll. Außer Loony, Prue und Cho sind in Ravenclaw nur noch die Watermelons und ich übrig. Da fragt keiner mehr nach dem Passwort, wenn nicht klar ist, daß es ehemalige Ravenclaws sind. durch die Sauerei an Dumbledore sind auch die Bilder total geknickt."

"Ja, habe ich gemerkt", seufzte Julius, der sich noch zu gut an die weinende Aurora Dawn erinnern konnte.

Die Skylandschwestern erkannten Gloria wieder und überlegten kurz, wer der große, blonde Junge im blaßblauen Umhang neben ihr war. Dann nickten sie einander zu und schwangen mit dem Bild auf. Daß die Hollingsworths dabei waren störte die beiden gemalten Hexen vor dem Ravenclaw-Eingang nicht sonderlich.

"Das ist doch voll gegen die Schulregeln", meinte Gloria reflexartig. Kevin sah sie kritisch an und meinte:

"Na klar, wo du jetzt noch in dieser Strammsteheranstalt bist, wo jeder Furz genehmigt werden muß ... Oh, 'tschuldigung, hast ja doch irgendwie recht. Hogwarts ist völlig runter. Daa wär's schön, wenn einiges doch wie gehabt liefe", knurrte Kevin.

"Hallo, Julius", grüßten prudence Whitesand und Cho Chang den abgewanderten Ex-Mitschüler. "Ui, dieser Fluch hat dich aber doch ehr zum besseren verändert", meinte Prudence lächelnd. Cho Chang, die nun wesentlich kleiner als Julius war blickte zu ihm auf und meinte:

"Ist schon schade, wenn jemand nur dann herkommen darf, weil jemand anderes einfach so ermordet worden ist."

"Ja, und dann noch von wem, den man selbst aus dem tiefsten Dreck rausgezogen zu haben glaubt", knurrte Julius, während sich die Hollingsworths mit Pina, Gloria und Olivia, die nun auch herangekommen war an einen Tisch setzten und Julius zuwinkten.

"Wir wollten nächste Woche eigentlich mit den UTZ-Prüfungen anfangen", meinte Prudence. "Aber im Moment sieht es so aus, als müßten wir uns dafür eine andere Schule suchen oder das nächste Jahr nach dem Schuljahresbeginn die Prüfungen machen oder so."

"Wir sind ab Montag fällig", meinte Julius. "Mir werden die wohl wieder Hammerprüfungen aufbrummen, wegen der besonderen Zauberkraft und so."

"Hat Gloria erzählt", meinte Prudence. "Die Faucon muß ja total auf allen Wolken schweben, dich doch noch in ihre Schule reingekriegt zu haben."

"Nicht nur die", meinte Julius. Dann sprach er mit den beiden Siebtklässlerinnen kurz über die Verluste, die er in diesem Jahr schon hatte miterleben müssen, angefangen bei seinem Vater, dann Claire, dann Glorias Oma, und jetzt war auch noch Professor Dumbledore ermordet worden. Doch ihm fiel ein, was ihn bereits in der Nacht, in der er und der Rest der zaubererwelt die Schreckensbotschaft erhalten hatte zum Trost gedacht hatte: Dumbledore hatte sich geopfert, um seiner Sache noch besser dienen zu können. Dumbledore hatte irgendwas geschafft, um Mächtiger zu sein als sein Widersacher Voldemort. Ja, und weil ein Portrait von Dumbledore im Sprechzimmer der Schulleiterin hing, bestand sogar eine Möglichkeit, das Wissen Dumbledores weiterhin zu nutzen, seine Weisheit zur Hilfe zu nehmen, wenn eine ausweglose Situation eintrat. Ungefähr das erzählte er Prudence und Cho und sagte sogar, daß er nicht glaube, daß Claire wirklich weg sei. Daß er mit Mildrid Latierre zusammengekommen sei beweise ihm sogar, daß sie nicht wolle, daß er nur noch traurig sei. Prudence kannte von Virginie, ihrer Brieffreundin, die Geschichten um die Latierres und meinte:

"Klingt höchst interessant, wie ihr unterschiedlichen Leute euch gefunden habt. Aber ich glaube, Kevin und Gloria winken sich noch die Hände ab, wenn du nicht zu ihnen hingehst, anstatt mit uns fast fertigen Frauenzimmern zu reden."

"Ich wollte euch nur sagen, daß ich hoffe, daß ihr hier eure Prüfungen machen könnt, ob in einer Woche oder in zwei Monaten oder so."

"Das hoffen wir auch. Cho kann ja nicht zu euch rüber. Ich könnte mir das im Zweifelsfall überlegen, eine Nachholprüfung bei euch zu machen. Aber ich sollte das dann mit eurer Schulleiterin besprechen, wenn ihr eure Prüfungen hinter euch habt."

"Jetzt ist sie da, jetzt ... Besser nicht, weil Professor McGonagall sich dann auf die Zehenspitzen getreten fühlen könnte!"

"Das ist der Grund, warum ich das nicht anreißen wollte", meinte Prudence. Dann schickte sie Julius hinüber zu seinen früheren Klassenkameraden. Obwohl der Anlaß, der sie hier und jetzt zusammengeführt hatte, sehr traurig war, konnte er sehen, wie Gloria förmlich auflebte, während sie über Beauxbatons, Hogwarts und die letzte Woche sprachen, zu der Luna Lovegood noch einen Augenzeugenbericht aus erster Hand ablieferte. Kevin meinte nur einmal abfällig:

"Luna meint, sie hätte von Harry Potter so'n Glückstrank gekriegt, der sie besser ausweichen und wegspringen ließ. Wie hieß der noch mal, Loony?"

"Felix Felicis, Luna?" Fragte Julius behutsam.

"Ja, so heißt der. Doch Kevin glaubt nicht, daß es diesen Trank gibt. Er meint, ich würde was dummes daherreden."

"Bei dem, was dein Vater so in sein Blatt reinsetzt", legte Kevin nach. Gloria feuerte einen äußerst tadelnden Blick auf ihn ab, während Julius zu Luna sagte, daß er ihr hundertprozentig glaube, weil er ein Buch habe, wo der Trank genau beschrieben stehe. Luna nickte ihm dankbar zu. Dann wünschte sie den anderen noch einen ruhigen Abend und ging hinunter in die große Halle.

"Gleich gibt's bei uns essen. Könnt ihr euch nicht absetzen? Die Babybauchläden können ja eure Portionen locker mitessen", meinte Kevin. Gloria funkelte ihn nun so an, als würden gleich tödliche Blitze aus ihren Augen auf ihn überspringen und ihn zu Asche verbrennen, während Julius locker sagte:

"Wenn du es hinkriegst, Professeur Faucon zu begründen, wieso du das Essen in Hogwarts für besser geeignet hältst als das von ihr vorgekochte essen, mach mal!"

"Ich bin doch kein Troll, daß ich der stecke, daß ... Öhm, wußte nicht, daß die das Essen für euch macht. Dachte, ihr hättet auch Hauselfen mitgebracht."

"Nicht mit der Kutsche", erwiderte Julius überlegen lächelnd. Gloria sah Kevin schadenfroh an. Dann deutete sie auf Julius Uhr. Er las die Zeit ab und stellte fest:

"In zehn Minuten müssen wir in unserer fliegenden Nobelkarosse sein, Kevin. Wenn du uns morgen noch mal sehen möchtest, sollten wir pünktlich sein."

"Aber Gloria gehört doch nicht echt zu euch. Die kann doch wohl hier essen", meinte Pina. Gloria schüttelte den Kopf und zupfte an ihrer Beauxbatons-Schulmädchenbluse und wiederholte, was Madame Maxime ihr am Morgen noch geprredigt hatte. Kevin errötete an den Ohren. Dann meinte er:

"Dann laßt es euch mal schmecken!"

Gloria ging mit Julius zusammen durch das Schloß. Auf dem Weg nach draußen sahen sie Crabbe und Goyle, die scheinbar unschlüssig durch einen der Gänge schlichen. Julius fühlte die sengende Wut in sich aufkommen. Wie gerne würde er diesen beiden da jetzt die Meinung sagen, was für ein hinterhältiger Feigling ihr achso toller Freund Draco sei und daß sie ja jetzt, wo er mit dem Mörder Snape abgehauen sei komplett nutzlos wären. Würden sie ihn dann anblaffen könnte er ihnen ja sagen, er würde keine kleinen Mädchen schlagen. Dann spätestens würde sich zeigen, ob Aurora und er mit den beiden richtig gelegen hatten. Doch genau in dem Moment, wo Julius sich von Gloria absetzen wollte, schoben die beiden richtung große Halle ab.

"Du wolltest den beiden da vorne doch nicht noch einen Fluch aufhalsen, Julius", raunte Gloria. Julius zuckte kurz zusammen. Dann nickte er.

"Zumindest hätte ich den beiden Neandertalern gerne meine Meinung gesagt, was für eine Drecksau ihr Bandenchef ist und der doch jetzt eh nicht mehr lange lebe. Entweder machen den die Auroren fertig oder sein großer Herr und Meister, der dunkle Lord Unnennbar. Zumindest sind die beiden jetzt unwichtig geworden, wo ihr Gehirn sich aus dem Staub gemacht hat. Insofern würde ich mich wohl doch nur unnütz aufregen."

"In zwei Punkten gebe ich dir recht, Julius. Draco, der Freund von denen, ist ein hinterhältiger Drecksack, und die beiden wissen jetzt wirklich nicht mehr, was sie hier noch machen sollen. Wahrscheinlich haben deren Eltern sie deshalb nicht abgeholt, weil die zu Hause auch nichts besseres für die zu tun haben", erwiderte Gloria. Dann hakte sie sich bei Julius unter, als wolle sie sicherstellen, daß er nicht einfach so losspurten und die beiden gorillaartigen Sechstklässler aus Slytherin nicht doch noch angreifen würde. jetzt, wo seine Schulfreundin an seinem linken Arm hing kühlte er wirklich richtig herunter, als habe jemand das Feuer unter einem brodelnden Kessel gelöscht und diesen dann in ein Becken mit kaltem Wasser gesetzt. Sie verließen das Schloß und gingen zu der Kutsche hinüber. Davor lag ein leerer Blecheimer herum. Wie kam denn der dahin?

"Huch, was soll denn das?" Fragte Gloria. "Wer stellt denn einen leeren Blecheimer vor die Kutsche hin?"

"Entweder ein Jux von Leuten aus Hogwarts, weil sonst noch keiner von den andren Trauergästen hier ist ... Hmm, oder ..."

"Oder was? ... Och nöh, du meinst doch nicht, daß sie schon hier ist und ... Oma Jane hat immer erzählt, daß sie sich gerne in irgendwas ..."

"Wollen doch mal sehen", sagte Julius und zückte den Zauberstab. "Revelo Umbroriginis!" Für einen kurzen Moment flimmerte eine rotgoldene Wolke um den Eimer. Doch dann verschwand sie auch schon wieder. Statt dessen zerfloß der Eimer in einen farbigen Dunstwirbel und wurde zu einer kleinen Frau mit weißblondem Haar und einer goldenen Brille mit zehneckigen Gläsern.

"Ihr seid Spaßbremsen", nörgelte die enttarnte Hexe, Maya Unittamo. "Ich wollte der guten Blanche meine Aufwartung machen und meine Beine sind für's lange Rumstehen nicht mehr so fit."

"Wenn ich den Originalerkenner nicht gebracht hätte hätte ich sie wohl als unhaltbarer Elfmeter über die Wiese geschossen", meinte Julius.

"Einen Elfmeter zu schießen ist ja auch eine Form der Verwandlung, weiß ich aus der Muggelwelt", erwiderte Maya Unittamo. "Aber die Verlegenheit, mir dann irgendwo eine bleibende Beule hinpraktiziert zu haben, wollte ich dir dann doch ersparen, Julius."

"Wohnen Sie hier im Schloß?" Fragte Gloria Porter.

"Ja, die gute Professor McGonagall hat mir und Prinzipalin Wright ein Gästequartier in einem der Geheimzimmer von Hogwarts gegeben. Da die Schüler morgen ja alle abreisen möchte sie mit uns zum Kongress euroamerikanischer Verwandlungskünstler kommen, allein schon um sich bei den Kollegen für die vielen mitfühlenden Briefe zu bedanken. Oh, da hinten kommt eure Schulleiterin nebst meiner guten Kollegin Faucon. Jetzt habt ihr mir zwar meinen Auftritt vermasselt, aber dafür kann ich die beiden jetzt auch sofort begrüßen."

Maya Unittamo trat zu Professeur Faucon und grüßte leise und dem Anlaß gerecht werdend. Julius wartete, bis Madame maxime die Begrüßung der über neunzig Jahre alten Verwandlungsgroßmeisterin entgegengenommen hatte und ging an den wartenden Schülern vorbei.

"Ich dachte schon, Ihre hier verbliebenen Kameraden hätten Sie überredet, lieber mit ihnen in der großen Halle zu essen", sagte Madame Maxime. Dann kam Professeur Faucon in Hörweite. Julius sagte ruhig:

"Ich habe meinem früheren Schulfreund begreiflich gemacht, daß Professeur Faucon wegen der Sache in Millemerveilles noch ungehalten sei und sie für uns alle gekocht habe und dies als Beleidigung auffassen könne, wenn wir nicht zurückkämen."

"Soso, und da hat dieser Ausbund an Frechheit es eingesehen, daß er mir besser keinen Ärger bereiten möge, am Vorabend eines so wichtigen und ernsten Anlasses", zähneknirschte Professeur Faucon. Dann trieb sie Julius hinter Gloria her in die Kutsche, wo bereits die anderen Mitreisenden saßen. Maya Unittamo kehrte ins Schloß zurück, um zusammen mit Prinzipalin Wright unter Ausschluß der Öffentlichkeit zu essen.

Da das Abendessen sehr aufwendig und lang war, sahen es alle ein, daß es mit einem gemütlichen Verdauungsspaziergang auf dem Gelände für heute getan sei und der in Beauxbatons übliche Saalschluß, also zehn Uhr Ortszeit, eingehalten werden möge. So wurde die Tür der Kutsche von Madame maxime um diese Zeit fest verschlossen. Da der Abend für britische Verhältnisse ungewöhnlich lau war, saßen sie dann noch eine Stunde auf dem Dach der Kutsche und sprachen leise über das, was sie an diesem Abend gehört und gesehen hatten, sowie über die alten Zeiten. Julius hörte ehrfürchtig zu, wie Jeanne und Barbara ihre Anfänge in Beauxbatons beschrieben, wie Professeur Faucon zum ersten Mal mit Dumbledore zusammengetroffen war und was Madame Maxime so an Beauxbatons faszinierte, daß sie dort auch schon mehr als drei Viertel ihres Lebens verbracht hatte. Es deckte sich ungefähr mit dem, was der morgen feierlich zur letzten Ruhe zu bettende Professor Dumbledore bei der letzten Sub-Rosa-Sitzung gesagt hatte, nur, daß Madame Maxime hervorhob, daß Beauxbatons keinen Unterschied in der Herkunft oder Abstammung mache, solange jemand alle Fähigkeiten erkennen und nutzbringend steigern würde. Gloria deutete sacht an, daß sie doch hoffe, daß Hogwarts nicht für immer geschlossen würde, weil sie gerne in der Nähe ihrer Eltern weiterlernen wolle und jetzt, wo sie das mit Pinas Schwester mitbekommen hatte, gerne wieder hier sei, um ihr beizustehen. Das entsprach nicht so ganz dem, was Gloria Julius eingestanden hatte, mochte jedoch reichen, um Madame Maxime zu verdeutlichen, daß Gloria nicht einfach bis zum siebten Schuljahr in Beauxbatons bleiben wolle.

"Ihr wart nur mit euren Freunden zusammen?" Fragte Jeanne zum Schluß noch einmal. Gloria und Julius nickten.

"Dann habt ihr sie nicht getroffen. Fleur Delacour ist gerade in Hogwarts, zusammen mit ihren zukünftigen Schwiegereltern", sagte Jeanne. Julius nickte. Das hätte er sich denken können.

"Ich denke mal, es ist jetzt doch an der Zeit, daß wir alle zu Bett gehen", befand Hera Matine nach einem besorgten Blick auf Jeanne und Barbara und dann noch auf Gloria, die schon mehrmals hinter vorgehaltener Hand gegähnt hatte. Madame Maxime nickte stillschweigend. Als es dann auf Mitternacht zuging hielten sich alle in ihren Kabinen auf, nicht ohne sich noch durch alle Kabienen eine Gute Nacht zu wünschen. Julius ließ das Fenster seiner Kabine einen Spalt breit offen und lauschte in die Nacht. Er hörte ferne Eulen und leises Plätschern vom See und sachtes Rauschen vom verbotenen Wald her. Die Welt schlief, und sie war friedlich wie sie da schlief. Morgen würden sie einen der größten zauberer beerdigen, den die Welt je getragen hatte. Das machte ihn traurig. Doch in dieser Trauer schwang auch die Hoffnung mit, daß sich Voldemort mit diesem Mord ein Eigentor geschossen hatte. Mit dieser Genugtuung schlief er ein.

 

__________

 

Julius erwachte vom Krähen eines Hahnes, den er seit vielen Monaten nicht mehr gehört hatte. Offenbar hatte Jeanne Claires rotgoldenen magicomechanischen Wecker geerbt. Für einen winzigen Moment fühlte er einen Stich im Herzen, weil er daran dachte, daß Claires Sachen nun in der Familie verteilt wurden. Doch dann dachte er, daß es wohl ganz in Claires Sinne sei, wenn ihr Hahnenwecker, den sie zu ihrem zwölften Geburtstag bekommen hatte, für Jeanne und ihre Familie krähte. Julius sah auf seine Uhr. Hier war es jetzt sieben Uhr. In Beauxbatons war es also schon acht Uhr morgens. Offenbar hatte er den Schlaf sehr genossen, daß er nicht um halb fünf britischer Zeit aufgewacht war. Sollte er Millie mit Hilfe des roten Herzens anmentiloquieren, um zu sehen, ob die Verbindung immer noch funktionierte? Nein, das würde wohl auffallen, wenn Millie beim Frühstück auf einmal irgendwie geistesabwesend wirkte, weil von ganz weit weg jemand ihr was zukommen ließ. Im gleichen Moment rief Madame Maxime:

"Guten Morgen, die Herrschaften. Bitte machen Sie sich bereit, in einer Dreiviertelstunde zum Frühstück im Salon zu erscheinen!"

"Jetzt kriege ich das mal im Ansatz mit, wie das hier während des trimagischen Turniers gelaufen ist", dachte Julius und mußte einen Moment grinsen.

Da er der einzige junge Gast auf dieser Etage der mehrstöckigen Riesenreisekutsche war versuchte er, so unauffällig wie es ging mit seinen Sachen zum Treppenhaus zu gelangen, um in einem der beiden Waschräume weiter unten die Spuren des Schlafes loszuwerden. Doch Professeur Faucon trat genau da gerade aus ihrer Kabine und winkte Julius zu.

"Das wäre doch seltsam, wenn Sie im Pyjama durch das Treppenhaus wandeln würden, Monsieur Andrews. Verrichten Sie die notwendigen Handlungen dort im kleinen Waschraum!" Sie deutete auf eine etwas niedrigere Tür, während Julius aus nicht all zu großer Ferne das Plätschern von Wasser hören konnte. Julius nickte nur und betrat den sogenannten kleinen Waschraum, der neben einer Toilettenzelle auch zwei Waschbecken und eine Dusche enthielt. Zehn Minuten später verließ er geduscht, Rasiert und erst einmal im üblichen Schulumhang angekleidet den Waschraum. Professeur Faucon inspizierte ihn eine Viertelminute lang. Dann nickte sie und ging in den kleinen Sanitärraum.

im Salon traf Julius auf Bruno und Gustav, die ihre Erfahrungen als werdende Väter austauschten. Als Julius hereinkam unterbrachen sie ihre lebhafte Unterhaltung.

"Na, hat Königin Blanche dich nicht zu uns runtergelassen?" Fragte Bruno leicht grinsend. Julius bestätigte es. "Sieht der ähnlich, wie Madame Maxime", knurrte Bruno dann noch. Gustav meinte dann noch:

"Na, konntest du in dem Bett gut schlafen?"

"Bis der Hahn gekräht hat", erwiderte Julius. "Schön, daß Jeanne den jetzt benutzen darf."

"Das darf sie schon seit Walpurgis, Julius. Belle-Maman Camille hat ihr den geschenkt und gesagt, sie würde sich freuen, wenn er nun für Jeannes Familie krähen dürfe. Gewöhnungsbedürftiges Teil, aber schon besser als das Gerassel von meinem alten Wecker."

 

"Freut mich auch, den wieder zu hören, Bruno", sagte Julius. Dann wandte er noch ein, die beiden nicht bei ihrem Gespräch stören zu wollen. Bruno meinte, daß sie das wüßten und später wohl noch genug Zeit zum Plaudern hätten. "Erzähl Gustav mal, wie du mit Millie zusammengekommen bist. Der glaubt das immer noch nicht so richtig", schlug Jeannes Mann noch vor. Julius straffte sich und erwähnte noch einmal, wie Millie und er sich nach dem Quidditchspiel der Mercurios gegen die Pelikane unterhalten und dabei erst gezankt und dann aufeinander eingelassen hätten.

"Tja, Bruno, dann bleibt er ja doch irgendwie in eurer Verwandtschaft", bemerkte Gustav dazu. Bruno kämpfte darum, nicht laut loszulachen. Er erwiderte, daß Jeanne das auch schon so gesagt habe, als sie das Ostern erfahren hätten.

"Ist schon klar, daß Madame Latierre dich gerne als Schwiegersohn haben wollte", sagte Gustav dazu noch. "Konnte ja doch jeder sehen, als ich Barbara geheiratet habe."

"Du meinst, als ich dich geheiratet habe", versetzte Barbara van Heldern, leicht erschöpft klingend. Sie trat ein und begrüßte erst ihren Mann und dann Julius mit einer innigen Umarmung.

"Hast dich mit Jeanne ums Bad gezankt und gewonnen, Leoncita?" Fragte Gustav seine Frau.

"Neh, wir haben uns nicht gezankt, Gusso", sprach Barbara leise und mit tiefem Tonfall. "Wir hatten genug Platz."

Jeanne kam gefolgt von ihrer leicht überfürsorglich wirkenden Hebamme Hera Matine und Gloria Porter in den Salon und begrüßte die Anwesenden. Sie umarmte Bruno und dann auch Julius. Dann erschienen noch Madame Maxime und Professeur Faucon, zunächst in ihren Beauxbatons-Standardkleidern. Sofort wurde die Stimmung wieder sehr ernst, dem Anlaß entsprechend. Während des Frühstücks wurde sehr leise und nur über unbedingt wichtiges gesprochen, wie die ausgewählte Lage der Grabstätte, die am schloßseitigen Ufer des großen Sees liegen sollte und daß sie noch auf eine Eule von Professor McGonagall warten sollten, um gemeinsam loszugehen.

"In Hogwarts frühstücken sie wohl auch gerade", meinte Gloria zu Julius. Dieser nickte. Er fand es etwas bedauerlich, nicht mit Pina, Olivia und Kevin zusammen am Ravenclaw-Tisch zu sitzen, sah es aber ein, daß er nun Gast hier war und nicht nach Hause gekommen war.

Zwischendurch traf der Tagesprophet per Boteneule ein, und Professeur Faucon verlas den Artikel, der sich mit Dumbledores Beisetzung befaßte. Dann bat Madame Maxime ihre Mitreisenden darum, sich für den Anlaß entsprechend umzukleiden.

"Madame Esmeralda hat mir einen dunkelblauen Festumhang mit Umstandsschnitt geben können", mentiloquierte Jeanne Julius, als dieser gerade in seiner Kabine in den weinroten Festumhang schlüpfte. Schon wieder eine Beerdigung, dachte er nur. Doch die erste war nur die feierliche Würdigung einer nicht wirklich aus der Welt verschwundenen Hexe, die zweite war eigentlich eine Farse. Heute würden sie eine Trauerfeier besuchen, die den Namen auch verdiente.

"Was wird dein Kind denken, wenn du ihm mal erzählst, daß du, wo es noch unterwegs war, zwei Beerdigungen besucht hast?" Schickte er zurück.

"Ich hoffe, daß Ammayamiria ihr auch irgendwann mal erscheint, wie sie uns erschienen ist, Julius. Dann kann ich meiner Tochter zumindest Hoffnung machen, daß ihre Tante, die sie so nie zu sehen bekommen könnte, immer noch bei uns ist", erwiderte Jeanne. Dann eine Pause. "Meinst du, Professeur Dumbledore hat sich ebenfalls in eine transvitale Entität verwandelt, wie Opa Tiberius es nannte?"

"Da mußte ich auch dran denken", gab Julius nur für Jeannes Geist hörbar zu. "Das ist ja das, was mich an der ganzen schlimmen Sache noch aufrecht hält, daß irgendwas von ihm noch in der Welt ist. Aber ein Portrait von ihm gibt es, hat Auroras Abbild mir gesagt."

"Nun, wenn er es hinbekommen haben könnte, wie Ammayamiria zu werden, wird er wohl auch nur denen irgendwie erscheinen, die geistig und seelisch sehr stark mit ihm verbunden sind, also wir wohl eher nicht", mentiloquierte Jeanne zurück. Julius bejahte es auf dieselbe Weise.

"Madame Maxime wird uns gleich sagen, wie wir uns mit den anderen Trauergästen zusammenfinden sollen. Vielleicht können wir dann nebeneinander sitzen", schickte Jeanne zurück. Julius mentiloquierte, daß sie ihm nicht böse sein möge, aber er hoffe, daß Gloria und er sich doch zu ihren früheren Schulkameraden setzen dürften. So richtig glaubte er jedoch nicht, daß Madame Maxime das erlauben oder gar vorschlagen würde.

Als sie umgezogen waren sammelten sich die neun Insassen der Kutsche unten im Einstiegsraum. Madame Maxime hielt einen Pergamentzettel hoch und sagte erhaben klingend:

"Meine Kollegin Professeur Mäckgönagäll hat mir die angekündigte Eule zugeschickt. Wir möchten nun unseren Reisewagen verlassen und uns an das schloßseitige Ufer des Sees begeben. Sie bat mich ausdrücklich darum, zu gestatten, daß Sie, Mademoiselle Porter", wobei sie Gloria ungewohnt freundlich ansah, "und Sie, Monsieur Andrews", wobei sie Julius mit dem gleichen Blick bedachte, "sich für die Dauer der Beisetzungszeremonie zu Ihren hiesigen Schulfreunden gesellen mögen. Ich erkenne in dieser Bitte, daß sie möchte, daß Sie beide die hier geknüpften Kontakte weiterhin wertschätzen möchten, auch und vor allem in einer solch betrüblichen Situation. Ich gestatte es Ihnen daher. Wir anderen", wobei sie eine alle Anwesenden vereinende Armbewegung vollführte, "gesellen uns unter die erwachsenen Trauergäste, wobei ich mich gemäß der anerkannten Rangordungen in einer der vorderen Reihen niederlassen werde, wie auch Professeur Faucon." Dann öffnete sie die Kutschentür und ließ von Gustav die goldene Treppe auslegen. Sie entstieg dem magischen Riesenfuhrwerk zuerst, dann Professeur Faucon, die Gloria und Julius winkte, ihr zu folgen, bevor dann die übrigen erwachsenen Mitreisenden ausstiegen.

Gloria und Julius nickten Madame Maxime zu, die aus ihrer übermenschlich hohen Warte zurücknickte und ihnen damit gewährte, auf ihre Kameraden aus Hogwarts zu warten.

"Die werden wohl gerade aus dem Schloß kommen", meinte Julius zu Gloria, die nun, wo die Beerdigung unmittelbar bevorstand, immer betrübter aussah. Er fühlte, wie ihn diese Trübsal wie langsam in sein Herz sickerndes Blei beschwerte, immer mehr. Er dachte an seine Mutter. Er fragte sich, warum es nicht möglich war, daß auch die Muggeleltern von Hogwarts-Schülern herkommen durften. Doch die Antwort fiel ihm keine Sekunde später ein: Längst nicht alle Muggeleltern kamen damit klar, daß ihre Kinder hier in Hogwarts Zauberei und Hexerei lernten. Sein Vater und die Eltern des Jungen Henry Hardbrick, von dem er nicht wußte, ob der noch in Hogwarts war, dienten da als Paradebeispiele. Wegen solcher Ignoranten durften Leute, die wie die Schüler hier Dumbledores Arbeit wertschätzten nicht herkommen, um dem großen Zauberer die letzte Ehre zu erweisen. Er fühlte, wie die ersten Tränen in seine Augen stiegen. Seit der von Aurora Dawn überbrachten Schreckensnachricht hatte er nicht eine Träne geweint, so heftig hatte er sich über den Mord, über Snape und Draco Malfoy geärgert. Doch jetzt erkannte er, daß tatsächlich etwas wichtiges aus der Welt gerissen worden war, eine Welt, die ihn vor einer Woche noch so freundlich angelächelt hatte, als er viele Briefe bekommen hatte, daß nun alle erwarteten Babys geboren waren, und der Club der guten Hoffnung nun ein Club der jungen Eltern geworden war. Das Böse in der Welt hatte sich laut und gehässig lachend zurückgemeldet und allen gezeigt, daß es immer noch nicht genug hatte. Er fühlte, wie die erste Träne aus dem linken Auge über seine Nasenwurzel rann, an der Nase herabrollte und von der Spitze tropfte. Gloria stand daneben und schniefte leise in ein dunkelblaues Taschentuch vor ihrem Gesicht. Er fischte in seiner rechten Umhangtasche nach einem ähnlichen Taschentuch, daß er seit der Verabschiedung von Claire darin aufbewahrte und scherte sich nicht darum, ob große Jungen weinen sollten oder nicht. Er hörte die Stimme seines Vaters in seinen Erinnerungen, daß Männer ruhig weinen sollten, wenn es einen wirklichen Grund dazu gab. Doch irgendwie war er nach einer halben Minute aus dem tiefsten Trauerloch wieder heraus. Zwar wog die Trauer um Dumbledore noch sehr schwer, aber die Neugier überkam ihn, wer hier und heute alles zusammenkommen würde. Von handverlesenen Gästen aus dem Ausland war die Rede gewesen, sowie vielen aus Großbritannien.

"Dah kommen die aus Hogwarts", wandte sich Julius an Gloria, die sich rasch die letzten Tränen aus dem Gesicht wischte und den Hügel hinaufblickte, der zwischen der Kutsche und dem Eichenholzportal lag, daß Julius jetzt erst als niegelnagelneu auffiel, obwohl es genauso aussah wie er es vor zwei Jahren zum letzten Mal durchschritten hatte. Offenbar hatten die Angreifer dieses Tor ebenfalls ramponiert. Es öffnete sich weit, und vier lange Reihen von Lehrern und Schülern schlängelten sich ins Freie. Julius kannte den korpulenten Lehrer im smaragdgrünen Umhang mit den silbernen Verzierungen nicht, dessen silbriger Walross-Schnauzbart im Licht der Sonne glitzerte. Aber er wußte natürlich, wer das war: Professor Horace Slughorn, der amtierende Zaubertranklehrer und derzeitige Leiter des Hauses Slytherin, Snapes Nachfolger. Ihm folgten die verbliebenen Erstklässler des Hauses, aus dem Dumbledores Mörder hervorgegangen war, dahinter einige Zweitklässler. Von den paar Drittklässlern, die noch in Slytherin geblieben waren, nahm Julius nur kurze Notizen. Als er Lea Drake sah, die als einzige aus der vierten Klasse von Slytherin im Schloß geblieben war, fragte er sich, wie sie sich gerade fühlen mochte. Sie war halb muggelstämmig. Wie mochten für sie die letzten Tage in Slytherin verlaufen sein? Als einzige Sechstklässler waren Crabbe und Goyle geblieben. Er suchte vergeblich Dracos mopsgesichtige Freundin Pansy Parkinson. Doch offenbar hatte die es vorgezogen, sich von ihren Eltern aus der Schule holen zu lassen oder hatte sich selbst in die Ferien verabschiedet. Womöglich war sie jetzt bei Draco Malfoy. Vielleicht versteckte sie sich aber auch vor diesem, weil sie nicht mit einem solchen Versager im Sinne von Voldemort erwischt werden wollte oder gerade weil Malfoy sich mit Voldemort eingelassen hatte vor ihm auf der Hut war. Das keiner aus der siebten Klasse Slytherins mit im Tross war wunderte ihn nicht. Die feierten wohl gerade eine Riesenfete, weil Dumbledore endlich erledigt war und würden hier bestimmt nicht hinpassen.

Neben Slughorn marschierte Professor Minerva McGonagall, die trotz ihrer neuen Rangstellung immer noch die Gryffindors beaufsichtigte. Natürlich kannte er von den Mädchen und Jungen der ersten zwei Klassen keinen einzigen. Doch er konnte sich nicht vorstellen, daß in die beiden untersten Klassen zusammen nur vier Schüler eingeteilt worden waren. Er sah Gloria an und fragte sie. Sie meinte, daß von den Zweitklässlern wohl sieben fehlten, womöglich nach Hause geholt worden waren. Die noch da waren waren fast nur Muggelstämmige oder Halbmuggelstämmige. Der einzige, der Zauberereltern habe, sei Adrian Moonriver, wobei sie auf einen dunkelblonden Jungen mit grünen Augen deutete, der sichtlich ergriffen im Tross der Zweitklässler mitmarschierte. Aus der vierten Klasse waren nur noch die beiden Mädchen Glenda Honeydrop und Romilda Vane hiergeblieben. Dafür waren sämtliche Klassen darüber offenbar vollzählig geblieben. Julius sah Harry Potter, der zusammen mit dem hoch aufgeschossenen Ronald Weasley und der braunhaarigen Hermine Granger zusammenging. Er sah, daß Harry am stärksten von Dumbledores Tod betroffen sein mochte, also Auroras Bericht dazu wohl hundertprozentig zutraf.

Auf der anderen Seite wurde Professor McGonagall, deren dunkelblauer Samtumhang sacht herabreichte, von der kugelrunden Kräuterkundelehrerin Professor Pomona Sprout flankiert, die zu diesem Anlaß ein waldgrünes Kleid und einen dunklen, aber makellosen Hut trug. Ihr folgten alle Hufflepuff-Schüler, die noch im Schloß geblieben waren, wobei auch hier viele aus den untersten Klassen vorzeitig nach Hause geholt worden waren. Aus der dritten Klasse war nur Henry Hardbrick, der Muggelstämmige und der Problemschüler früherer Zeiten geblieben. Aus der vierten Klasse gingen nur Betty und Jenna in zwei identischen dunkelbraunen Festumhängen mit. Doch auch hier waren die oberen drei Klassen wohl vollzählig.

Neben Professor Sprout bemühte sich der kleine, weißhaarige Professor Filius Flitwick, mit den Kollegen Schritt zu halten und nicht von den wenigen Schülern aus seinem Haus Ravenclaw angerempelt zu werden. Julius nickte den Watermelon-Schwestern zu, Olivia vor Pina, die rechts von Kevin Malone aus dem Schloß kam. Prudence und Cho bildeten die Nachhut der Ravenclaws. Dann folgten die übrigen Hexen und Zauberer aus Hogwarts. Der ewig griesgrämige Hausmeister Filch trug einen altmodischen schwarzen Anzug mit Krawatte, während die Bibliothekshexe Madame Pince einen schwarzen Schleier trug, der weit herabreichte. Filch tat seinen Hausmeisterdienst und schloß hinter allen das Tor. Julius winkte Gloria, sich so gesittet wie möglich zu Pina und Kevin zu begeben, die die beiden schon erwartungsvoll ansahen. Gloria nickte Professor Flitwick zu, der einverstanden zurücknickte und ging dann mit Julius auf die vier ausmarschierten Reihen zu. Ohne großes Aufsehen fügten sie sich auf Höhe der Viertklässler in die Reihe der Ravenclaws ein, die dadurch etwas mehr Zuwachs bekamen.

"Ich habe schon mit Pina wetten wollen, ob die Halbriesin euch bei uns mitlaufen läßt oder nicht", meinte Kevin zu Julius, während Pina von Gloria untergehakt wurde.

"Die sucht sich gerade ihren Platz am See aus, Kevin."

"Ihre große Badewanne", feixte der irische Schulkamerad von Julius. "Ob die das noch weiß?"

"Da willst du doch jetzt keine Antwort drauf haben, oder, Kevin?" Entgegnete Julius etwas verdrossen. Wie konnte Kevin jetzt über sowas herziehen?

"'tschuldigung. Vergaß ja, daß die dich in deren Strammsteherpalast umgestrickt haben", knurrte Kevin mißmutig. Gloria fühlte sich berufen, was dazu zu sagen und zischte ihm zu:

"Kevin, das ist wohl heute nicht die rechte Gelegenheit, sich darüber zu haben." Pina pflichtete ihr stumm bei.

"Ist schon bezeichnend, daß von den Slytherins fast keiner mehr hier ist", meinte Julius. Kevin sagte nichts dazu. Offenbar hatte Glorias Tadel ihm jede Lust zu sprechen ausgetrieben. Dafür sprang Pina ein.

"Selbst von denen gab's welche, deren Eltern herkamen und sie schnell abholten, damit ihnen nix passierte, Julius. Die siebtklässler haben sich jedoch einen Tag später abgesetzt, als raus war, daß alle Prüfungen auf unbestimmte zeit verschoben wurden."

"Warum Malfoys Anhängsel nicht abgerückt sind wundert mich aber", flüsterte Gloria. Julius erwiderte leise darauf:

"Vielleicht hatten deren Eltern angst, sich herzutrauen um die abzuholen, weil die auch auf der Liste von Sympathisanten des Irren stehen. Die hätten ja dann gleich hier wegen Mitverschwörung verhaftet werden können. Womöglich blüht das den beiden auch noch, und die sind deshalb hiergeblieben und sehen gerade so niedergeschlagen aus."

"Hey, da könnte was dran sein", stieß Kevin zwischen zusammengebissenen Zähnen aus.

"Wo ist eigentlich Hagrid?" Fragte Gloria Pina und deutete auf die verrußte Hütte, ein Zeugnis des Überfalls vor einer Woche.

"Der wohnt im Moment wohl irgendwo im Wald", sagte Pina. Livy, weißt du, wo Hagrid jetzt wohnt?"

"Irgendwo im verbotenen Wald, Pina", sagte Olivia Watermelon.

"Den hat's wohl noch heftiger runtergezogen als Harry Potter", raunte Kevin. "Die Beiden haben die ganze Woche so gut wie mit keinem geredet. Aber ich habe euch ja erzählt, wie wir alle dieses traurige Lied gehört haben, daß Dumbledores Phönix gesungen hat."

"Den hat keiner mehr gesichtet", meinte Pina dazu. Dann deutete sie auf die spiegelnde Fläche voraus. Da lag der See im Schein der Sonne, diesmal nicht nachtschwarz, sondern in einem durchsichtigen, moosartigen Grün. Mehrere hundert Stühle waren in durch einen breiten Mittelgang getrennte Reihen aufgestellt worden. Alle Stühle wiesen auf einen langen und breiten Marmortisch, der nur wenige Dutzend Schritte vom Seeufer entfernt aufgebaut war. Julius dachte sich, daß der Leichnam Dumbledores auf diesem Tisch ein letztes Mal aufgebahrt würde, bevor er an der eigentlichen Stelle beerdigt wurde. Er kannte Grabezauber, die innerhalb von einer Minute eine ordentliche Grube ausheben konnten. Möglich war auch, daß Dumbledores sterbliche Überreste auf ein Stück Erde gebettet wurden und dann ein hoher Hügel um ihn aufgeschüttet wurde, wie bei Claires Körper. Da immer von einer Beerdigung erzählt worden war, ging Julius nicht davon aus, daß Dumbledore verbrannt werden würde.

"Wo sollen wir uns hinsetzen, Professor Flitwick?" Fragte Olivia Watermelon leise.

 

"Suchen Sie sich eine der Reihen ab der fünften von vorne", piepste Flitwick leise zurück. Seine Kollegin McGonagall hörte es wohl und wandte sich den Ravenclaws zu:

"Sie mögen sich in der sechsten Reihe niederlassen, Ms. Watermelon, zusammen mit ihren Kameraden und ihrer Schwester."

"Wer sitzt denn in den ersten Reihen?" Fragte Kevin im Flüsterton.

"Die Lehrer und die Leute aus dem Ministerium, und die ganzen Erwachsenen Gäste, nehme ich an", flüsterte Julius zurück. prudence kniff ihm von hinten in die Nase.

"Ihr müßt nicht flüstern. Das ist übertrieben", sagte sie halblaut.

Ruhig und ohne jedes Gedränge suchten sich Lehrer und Schüler ihre Plätze. Julius fiel natürlich auf, daß Madame Maxime bereits in der zweiten Reihe vom Steintisch aus auf drei hohen Stühlen zugleich saß, flankiert von Professeur Faucon. Daneben ließ sich gerade Prinzipalin Ernestine Wright von der Thorntails-Akademie nieder, die zum Anlaß ein mitternachtsblaues Samtkleid mit silbernen Sternchen drauf trug und ihre weißblonde Haarpracht mit einem kleinen, schwarzen Spitzhut verziert hatte. Neben ihr nahm Maya Unittamo Platz, die einen dunkelgrünen Festumhang trug. Daneben ließen sich Leute nieder, die Julius nicht erkannte, womöglich welche aus dem Ministerium. Er sah in der dritten Reihe eine Frau mit wilder Mähne, die er um Ostern herum als Bassistin der Schicksalsschwestern wiedergesehen hatte. Weil er durch die bisher besuchten Trauerfeiern eine gewisse Vorstellung von der Sitzordnung gewonnen hatte vermutete er in der allerersten Reihe die unmittelbaren Angehörigen. Doch er sah nur die Hauslehrer und den britischen Zaubereiminister, Rufus Scrimgeour, der in Natura noch mehr einem alten, ruppigen Löwen glich als auf den Fotos. Er erkannte frühere Lehrer wie den unheimlichen Alastor Moody und Remus Lupin unter den Trauergästen. Dann war da noch ein Zauberer, der Ron Weasley ähnelte. Julius erkannte erst, als dieser sich mit einer blasierten Mine umschaute, daß es Percy Weasley sein mußte. Er sah sich um, ob seine übrige Familie auch gekommen war und erkannte ein Pulk Rotschöpfe, angeführt von einem Ehepaar, er groß mit Brille, sie klein und mollig, dann zwei erwachsene Söhne, von denen einer von einer überragend schönen Hexe mit silberblondem Haar flankiert wurde, welche ein wasserblaues Satinkleid trug. Die Zwillingsbrüder im Pulk der nicht mehr in Hogwarts lernenden Weasleys wirkten in ihren schwarzen Anzügen wie Vertreter des ausführenden Bestattungsunternehmens, würdevoll und andächtig und keineswegs dabei, Ort und Durchführung des nächsten Streiches zu planen. Wo er schon dabei war überblickte Julius noch die weiteren bereits eingetroffenen Gäste. Er sah eine Hexe im indigofarbenen Kleid, die schulterlanges, blondes Haar besaß, in dem jedoch schon viele hellgraue Strähnen wie silberne Fäden eingewachsen waren, die mit einer halbmondförmigen Goldrandbrille auf der Nase sehr betrübt dreinschaute und neben einem alten, verwegenen Zauberer lief, der Julius irgendwie an jemanden erinnerte, er aber nicht darauf kam, an wen. Die Hexe suchte sich einen Platz in der zweiten Reihe, während der Zauberer zu der buschigen Bassspielerin ging. Als Julius weiter umherschaute stach ihm der Anblick eines hochgewachsenen, doch wohl von mehr als hundert Jahren leicht gebeugten Zauberers im rot-weiß-gelb gemusterten Schottenrock ins Auge. Der altehrwürdige Zauberer blickte mit stahlblauen Augen sehr betrübt umher und fuhr sich ab und an durch den struppigen, von einigen hellgrauen Strähnen durchzogenen, ziegelroten Schopf, der wie der gleichgefärbte Vollbart viel von dem Gesicht verdeckte. Julius erkannte ihn erst beim zweiten Hinsehen. Er stupste Kevin an und wisperte:

"Kuck mal, da ist auch Angus McFusty, der in dem Drachenbuch als Häuptling des McFusty-Clans der Hebriden erwähnt wird."

"Ey, stimmt, hast recht, Julius. Und der alte Häuptling sieht genauso traurig aus wie der Rest hier. Aber kuck mal! Da ist auch Mulligan, Julius. Der hat doch vor drei Jahren bei eurem Tanzfest in Millemerveilles gespielt", zischte Kevin und deutete auf einen hochgewachsenen Zauberer, der in der vierten Reihe Platz nahm, gleich neben einem Ehepaar, das Kevin sehr ähnelte.

"Huch, hast du mir nicht erzählt, daß deine Eltern kommen", meinte Julius zu Kevin. Dieser grummelte leise und erwiderte:

"Die wollten mich gleich am nächsten Tag mitnehmen. Ich habe denen aber gesagt, daß ich wissen will, wie Dumbledore beerdigt wird. Da haben die sich wohl eine Einladung von McGonagall ... Ui, deine große Freundin ist auch da." Er stupste Julius den Ellenbogen in die Seite und deutete auf eine Hexe, die sich mit einem Ehepaar unterhielt, er mit rotbraunem Schopf, sie mit dunkelblonder Struwelmähne. Es war Aurora Dawn, die dasselbe Kleid trug, mit dem sie bei Claires Beerdigung dabeigewesen war. Als ihr Gesprächspartner ihr bedeutete, jemand aus den Schülerreihen sehe sie genau an, wandte sie sich Julius zu und rang sich trotz der traurigen Miene ein Lächeln ab. Julius lächelte zurück. Er überlegte, ob es anständig genug war, ihr was zu mentiloquieren. Doch er ließ es. Zu Aurora gesellten sich dann noch weitere Hexen, von denen Julius eine sicher kannte, nämlich die Beauftragte für die Einschulung von Muggelstämmigen, Cynthia Flowers, die von einer etwas jüngeren Hexe begleitet wurde, die vom Gesicht und Haar her eine jüngere Schwester von ihr sein mochte. Dann sah er noch Lady Genevra von Hidewoods mit ihrer Tochter Alexa und ihrem Enkelsohn Gilbert, der heute nicht so überheblich wirkte wie damals, als er diesen Jungen bei Ryan Sterlings Party getroffen hatte. Dann entdeckte er noch eine rotblonde Hexe, die er auch schon zu kennen glaubte. Das mochte Peggy Swann sein. Eine Hexe, die die Schwester des rotbraunhaarigen Zauberers sein mochte begrüßte Aurora Dawn, die sich nun, wo sie Julius unter den Gästen erkannt hatte, wieder mit ihren Freunden oder früheren Schulkameraden unterhielt.

"Die da bei Ms. Dawn ist ist Dina Fielding, die in der Abteilung für Himmelskunde und vergleichende Astronomie arbeitet", wisperte Gloria Julius zu. "Ihr Mann Roy hat in seinem ZAG-Jahr beide Eltern verloren. Soweit ich von Mum und Dad weiß sind die Fieldings Auroras Klassenkameraden gewesen, wie die rotblonde da auch, Miriam Swann."

"Miriam? Ich dachte, daß wäre eine andere Ms. Swann gewesen, eine, die ich in VDS getroffen habe."

"Peggy Swann? Das ist eine Tante von Miriam Swann", erläuterte Gloria. "Oma Jane hat es mir vor einem Jahr erzählt, daß die auch kein nettes Schicksal hat. Erst die Mutter in einem Springschnapperfeld verloren und dann von irgendeinem Herumtreiber ein Kind bekommen", erwiderte Gloria darauf. Dann stutzte sie und deutete in eine andere Ecke. "Da ist Peggy", sagte sie, als ihre leicht ausgestreckte Hand auf eine rotblonde Hexe mit einem rosaroten Bündel auf dem Rücken wies. Julius erkannte nun auch Peggy Swann mit ihrer Tochter Larissa, die wohl gerade schlief.

"So Baby-Tragetücher sehen unhandlicher aus als Kinderwagen, sind aber wohl sehr praktisch", flüsterte er.

"Vor allem wenn sie so bezaubert sind, daß sie die Last auf ein Viertel verringern. So kannst du ein Kleinkind bis zwölf Kilo auf dem Rücken tragen. Bei gerade mal ein Vierteljahr alten Babys ist das dann noch leichter", fügte Gloria hinzu.

"Den Rest der Leute kenne ich nicht", meinte Julius über die Erwachsenen, die nun zusammengekommen waren. "Ich dachte, von den Ministern ... Ich ziehe meinen Einwand zurück." Denn in diesem Moment erschienen die beiden Ehepaare Grandchapeau vom Schloß her und suchten sich Plätze in der zweiten rechten Vorderreihe, zusammen mit der australischen Zaubereiministerin und ihrem Ehemann.

"Wer ist denn das?" Fragte Kevin leise. Julius stellte die nun eingetroffenen Nachzügler vor. Als dann alle saßen und so leise miteinander sprachen, daß das fröhliche Gezwitscher der Vögel noch sehr laut zu hören war, fragte Kevin Julius, ob er sich vorstellen könne, daß Dumbledore in einem Sarg liegen würde.

"Haben sie ihn nicht in Hogwarts aufgebahrt?" Wisperte Julius. Kevin schüttelte den Kopf. Er deutete nach hinten, wo eine Reihe noch ganz leer war. Offenbar hatten die Zeremonienausrichter mehr Gäste erwartet. Es waren aber auch schon so viermal mehr Gäste als Hogwarts-Bewohner da. Gerade erschien ein furchteinflößendes, mindestens sieben Meter hohes, gerade noch so menschenförmiges Ungetüm mit einem felsblockartigem Schädel vom Rand des Waldes her, flankiert von einem hinter einem großen Taschentuch sein Gesicht verbergenden Mann, der selbst doppelt so groß wie ein gewöhnlicher Mensch war, durch die gigantische Gestalt neben ihm jedoch wie ein Zwerg wirkte.

"Ach du große Güte", seufzte Julius. "Deshalb hat uns Madame Maxime diese Woche die Riesen im Zauberwesenseminar durchnehmen lassen." Gloria nickte ihm bestätigend zu.

"Ihr habt'n Zauberwesenseminar bei euch? Schweinerei!" Knurrte Kevin. Julius überhörte es jedoch. Prudence sagte nämlich gerade:

"Soweit mir bekannt ist soll das Hagrids Halbbruder sein, den er im letzten Jahr irgendwo im Osten gefunden und rübergeholt hat. Der wohnt wohl im verbotenen Wald."

"Hagrids kleiner Bruder, wie?" Fragte Julius beeindruckt. Kevin mußte grinsen.

"Da ist Professor Firenze", zischte Cho Chang und deutete auf das Seeufer. Julius schwenkte seinen Blick und erkannte das Wesen, das den Körper eines Palomino-Pferdes besaß, aus dessen Schultern ein menschlicher Oberkörper mit einem blonden Kopf herausragte. Er hatte natürlich davon gehört, daß ein echter Zentauer hier in Hogwarts Wahrsagen unterrichtete. Bei der Gelegenheit fiel ihm noch die krötengesichtige Hexe mit dem eisengrauen Haar auf. Kevin sah sie auch und straffte sich angriffslustig.

"Diese Gewitterhexe ist auch da? Die hat doch wohl nur der Minister angeschleppt. Die McGonagall hätte die bestimmt nicht eingeladen."

"Kevin, nicht so taktlos", knurrte Gloria zurück. "Auch wenn das eine hinterhältige Person ist, solltest du ihr dasselbe Recht zugestehen, Professor Dumbledore die letzte Ehre zu erweisen, das wir haben."

"Ehre? Gloria, die hat den doch nie geehrt und muß damit nicht jetzt anfangen", schnaubte Kevin so beherrscht er gerade noch konnte zurück. "Die will wohl nur sehen, ob Dumbledore wirklich tot ist. Womöglich will sie seinen Job wiederhaben, diese Giftkröte. Aber dann kann Hogwarts mich mal."

"jetzt ist gut", schnarrte Gloria, während Julius, um sich von Kevins gerechter Wut abzubringen auf den See blickte. Irgendwas bewegte sich darin. Er stupste Kevin an und machte ihn darauf aufmerksam.

"Ui, die Wasserleute aus dem See", ereiferte sich Kevin, nun freudig überrascht. Dann hörten sie alle das tieftraurig klingende Lied, daß vom See her über die mehrere hundert Gäste strich und durch ihre Ohren in ihre Herzen drang. Es war ein Klagegesang, dessen Text nicht übersetzt werden mußte.

Alle schwiegen andächtig und lauschten dem Gesang, Dumbledores Requiem. Alle sahen auf den Steintisch oder zu den knapp unter der Wasseroberfläche schwebenden Wasserleuten, deren wilde Mienen einen Ausdruck unendlichen Mitgefühls trugen. Dann hörte Julius ein lautes Schnauben, als stimme ein Elefant seinen Rüssel für einen Trompetenstoß ein. Er sah sich um und erblickte den Halbriesen Hagrid, der ein menschengroßes Bündel in violettem Samt mit goldenen Sternen trug. Er wußte sogleich, daß dies Dumbledores Leichnam war. Hagrid trug, den übermenschlich großen Kopf mit dem buschigen Schopf tief gesenkt, seine traurige Fracht durch den Mittelgang zu dem Steintisch. Er legte den nun leblosen Leib des langjährigen Schulleiters von Hogwarts so behutsam darauf, daß Julius einen winzigen Moment den verwegenen Gedanken hegte, Hagrid könne Angst haben, daß Dumbledore bei einer zu schnellen Bewegung zerfallen oder explodieren könne. Der Leichnam blieb verhüllt. Julius konnte gerade so noch erkennen, daß der Kopf Dumbledores auf das Schloß ausgerichtet worden war. Der Wildhüter und Lehrer für Pflege magischer Geschöpfe nickte Dumbledore kurz zu und wandte sich um. Das breite Gesicht in einem handtuchgroßem Tuch vergraben, nun laut und ungeniert schniefend und schnaubend, das bereits troffnasse Taschentuch immer wieder über Augen und Nase wischend, wankte Hagrid in Richtung hinterste Reihe zurück. Einmal konnte Julius die verquollenen Augen des Halbriesen sehen. Einen solch tieftraurigen Eindruck hatte er dieses Jahr schon zweimal gesehen, als wenn jemand einen über alles geliebten oder verehrten Angehörigen oder den besten Freund verloren hatte. Im Takt des Unterwasserrequiems der im See schwimmenden Meermenschen erreichte Hagrid die hinterste Reihe und ließ sich schwerfällig auf einen sofaartigen Stuhl niedersinken. Gleich darauf strich ihm der reinrassige Riese, sein kleiner Bruder, mit der rechten, unförmigen Hand über die Schulter. Doch die Kraft in dieser zärtlichen Berührung reichte aus, um Hagrids Stuhl mehrere Zoll tief in den Boden zu rammen. Julius wandte seinen Blick wieder dem Tisch zu. Gerade erhob sich ein Zauberer, der in der ersten Reihe gesessen hatte und einen schwarzen Umhang ohne Verzierungen trug und schritt würdevoll nach vorne. Julius dachte, der Mann mit dem weißen Büschelhaar gehöre zum Ministerium, war dort womöglich Zeremonienmagier, wie Monsieur Laroche in Frankreich. Der Zauberer stellte sich vor Dumbledores verhüllten Leichnam hin, nickte ihm andächtig zu und wandte sich dann an die Trauergemeinde. In diesem Moment verklang das Klagelied der Wassermenschen. Sprichwörtliche Totenstille trat ein. Sogar die Vögel hatten zu singen aufgehört, als teilten sie die Stimmung, in der sich die Mehrhheit der Anwesenden gerade befand.

"Liebe Freundinnen und Freunde, die ihr alle aus allen Teilen der magischen Welt erschienen seid, ich danke euch allen, daß ihr hergekommen seid, um hier und heute einem sehr großen Zauberer die Ehre zu erweisen, ihn nach langem und doch so abrupt beendeten Leben zur letzten Ruhe zu betten", begann der kleine Mann mit einer ihm nicht zugemuteten sonoren Baßstimme zu sprechen. "Ich stehe nun vor euch, als Meister für gesellschaftliche Zeremonien, aber auch und vor allem als langjähriger Freund von Albus Percival Wulfric Brian Dumbledore, den gütigsten aber auch mächtigsten meister der Magie, den ich in meinem Leben antreffen konnte. Da er nie ein Freund zu vieler und zu großer Worte war, möge er mir verzeihen, daß ich mir doch die Zeit nehme, all die Dinge zu würdigen, die sein Leben und sein Schaffen vorangebracht haben, all die Dinge, die das Leben so vieler Hexen und Zauberer warm und hell beschienen haben, wie uns die Sonne heute, im Angedenken eines zu früh von uns gegangenen Großmeisters der magischen Künste, mit ihrem schönsten und wärmsten Schein bedenkt.

Julius hörte ein leises Glucksen, traurig und leise. Er sah sich um und erkannte, daß Peggy Swann ihr Baby nicht mehr auf dem Rücken trug, sondern mit dem Kopf an ihren Bauch gestützt auf dem Schoß sitzen hatte. Julius sah, wie dicke Tränen die Wangen des Säuglings herabrannen, und wie sich das kleine, rosige Gesicht immer wieder verzog, als schüttelten schwache Krämpfe das kleine Bündel Menschenleben. Irgendwie rührte ihn das seltsam an. Sicher konnten Babys in dem Alter sintflutartige Tränenbäche weinen. Aber dabei heulten sie dann auch herzzerreißend, wußte er von seinem Umgang mit Cythera Dornier. Dieses Baby da wirkte so, als wolle es ja nicht zu laut seinen tiefen Kummer hinausschreien, als sei es sich der erhabenen, vereinenden Trauerstimmung hier bewußt. Doch das konnte er sich bei einem Baby von vier oder fünf Monaten nicht vorstellen. Er sah wieder nach vorne, fühlte, wie ihm selber Tränen in die Augen stiegen und wischte sie so dezent es ging ab. Er lauschte wieder dem Redner vor dem Tisch mit Dumbledores Leichnam.

Die allermeisten von euch", wobei er sacht über alle Gäste hinwegblickte, "waren noch nicht einmal gezeugt, als Albus Dumbledore bereits erkannte, daß die Macht über die Magie mit einer großen Verantwortung verwoben ist. Bereits als Schüler war er fleißig und gelehrig, so daß sich viele fragten, warum er in Gryffindor seine sieben Schuljahre in Hogwarts zubrachte und nicht in Ravenclaw oder Hufflepuff. Daß das, welches alle hier eingeschulten Hexen und Zauberer in die vier großen Häuser von Hogwarts einteilt sich bei dem nun vor der verdienten letzten Ruhe stehenden Albus Dumbledore genausowenig irrte wie bei allen davor und danach, erwies sich erst später, als er begann, sich gegen jene zu stellen, die die Macht der Magie als Freibrief für Selbstsucht und Größenwahn ansahen. Er Erforschte und erprobte wirksame Zaubereien, um gegen die von Dunkelheit durchdrungenen Zeitgenossen vorzugehen. Daneben errang er großes Wissen in der Alchemie und gab von diesem Wissen reichlich weiter, von dem er sicher sein durfte, daß es nicht zu bösartigen Zwecken verwendet werden konnte. Wohl diese Erkenntnis, daß Wissen und Macht große Verantwortung mit sich bringen und daher alle mit Zauberkraft gesegneten Mädchen und Jungen frühzeitig und ohne Gewalt zur Erkenntnis dieser Verantwortung erzogen werden sollten, bewog ihn, dies weiß ich sicher, vor mehr als neunzig Jahren als Lehrer nach Hogwarts zurückzukehren, der Schule, die bereits vor ihm großartige Hexen und zauberer hervorgebracht hatte. Obwohl sein Hauptanliegen der Kampf gegen die dunklen Kräfte war, wollte er auch andere Zweige der Magie lehren, die seiner Auffassung nach mit großer Umsicht und Verantwortung gehandhabt werden sollten. So unterwies er viele Generationen von Schülern nicht nur in Zauberkunst, sondern auch in Verwandlung. doch neben seiner zum Lebensantrieb gewordenen Liebe zu Hogwarts blieb die Bestrebung, dem Guten in der Welt zum überragenden Gewicht zu verhelfen in ihm lebendig, so daß er sich auch während laufender Schuljahre den Bitten und Hilferufen auswärtiger Hexen und Zauberer nicht versperrte, die von bösartigen Zeitgenossen heimgesucht wurden. Er errang sich unter allen britischen zauberern einen großen Ruf, der legitime Nachfolger des großen Merlin zu sein und stieg mit allen Jahrzehnten ohne sich danach zu drängen immer höher in der Hierarchie des Geistesadels." Die Meermenschen tauchten leise plätschernd aus dem See auf und lauschten den Worten des Redners. "Ich höre ihn noch sagen, daß nicht die Auszeichnungen zählen, sondern die Taten, und daß er sich viele Male sehr beklommen fühlte, wenn andere, die seiner Meinung nach einen Orden oder eine Würdigung erfahren sollten, nicht beachtet wurden. Ja, ich habe ihn oft genug sehr traurig erlebt, wenn wieder einmal jemand, den er für würdig befand in der Kälte öffentlicher Nichtbeachtung verbleiben mußte.

So in den Dreißigerjahren des bald zur Neige gehenden Jahrhunderts erhob sich im deutschsprachigen Raum ein düsterer Magier namens Grindelwald, der zunächst nur seine Landsleute unterjochen wollte, um dann, wenn er dort die absolute Herrschaft erkämpft hatte, gegen die dortigen Muggel zu kämpfen. Ich wurde in dieser Zeit zum ersten Mal Großvater und hatte damals noch eine Anstellung in der Abteilung für internationale magische Zusammenarbeit. Ich höre es noch, wie eine Kollegin vermutete, Grindelwald habe sich unter den Muggeln einen Handlanger geschaffen, der seine Landsleute zu einem Welteroberungskrieg anstacheln und andersdenkende ermorden solle. Doch dies erwies sich später als bloßes Gerücht, das aus der Gleichzeitigkeit von Grindelwalds dunklem Aufstieg und der Barbarei deutscher Muggel entstand. In Wirklichkeit war Grindelwald nie auf Helfer unter den nichtmagischen Menschen angewiesen, ja lehnte alles was im entferntesten mit der magielosen Welt zu tun hatte als unbrauchbar und daher verachtenswert ab. Albus Dumbledore erkannte, daß Grindelwald nicht aus purer Machtgier so grausam wurde, sondern aus Angst vor übermächtigen Hexen und Zauberern, deren Vorfahren keine eigene Magie besessen hatten. Während der Schulzeit in Hogwarts spann er ein Netz aus Getreuen, die Grindelwalds Treiben überwachen und ihn an größeren Verheerungen hindern sollten. Grindelwald erfuhr davon und beschloß, den Störenfried zum Kampf zu stellen. So kam es 1945 zu einem aufreibenden Duell zwischen meinem Freund und Grindelwald. Auf welche Weise genau Dumbledore obsiegte und damit fürs erste die Welt wieder heller machte, wollte er mir nie erzählen. Nun, mein Freund, dieses Geheimnis wirst du nun erfolgreich weiterhüten." Er nickte Dumbledore zu. Gleichzeitig ließ sich ein leises Geklapper vom verbotenen Wald her vernehmen. Julius blickte sich um und erkannte mehrere Dutzend Zentauren, die mit seitlich hängenden Bögen aus dem Wald traten und andächtig lauschten, während der Redner in Schwarz fortfuhr:

"Die kommenden Jahrzehnte zeichnete sich Albus Dumbledore durch seinen intellektuellen Beitrag in der Zaubererwelt aus, als Mentor und Wegführer großer Hexen und Zauberer zur Stabilität und Eintracht in der magischen Gemeinde beizutragen. Doch dann zogen erneut düstere Wolken am Horizont der Zauberwelt auf, und bald schon sprach niemand mehr von Grindelwald. Ein Zauberer trat aus dem Schatten der Nichtbeachtung hervor, dessen Anspruch auf die Vorherrschaft unstillbar groß wurde. Mit einer immer größer werdenden Schar von ihm treu ergebener Handlanger überzog er unsere Welt mit Terror und Tod. Überall, wo Hexen und zauberer ihm Widerstand entgegenbrachten, schlug er mit unbarmherziger Gewalt zu und errang sich damit eine bisher nie dagewesene Rangstellung unter den dunklen Magiern dieser Welt. Er vollbrachte es, allen Hexen und Zauberern allein die Nennung seines Namens mit unbändiger Angst zu versehen. In diesem dunklen Sturm hielt Albus Dumbledore die helle Fackel von Liebe und Freiheit hoch erhoben in den Händen und gab uns damit die Hoffnung, auch diese Tyrannei zu überstehen. Denn mit seiner selbstaufopfernden Herzensgüte, seinem Können und Wissen, vermochte er dem Schrecklichen Widerstand zu leisten. Es kam sogar zu mehreren Duellen, bei denen er, der es schaffte, nicht beim Namen genannt zu werden, stets verlor. Doch Albus Dumbledore dachte nie daran, den Widersacher zu töten. Er sagte mir und anderen Guten Freunden, die ihn drängten, den Grausamen doch bei der nächsten Gelegenheit zu töten, daß kein gewaltsamer Tod gerechtfertigt sei, auch nicht durch die Zuversicht, tausend anderen damit das Leben zu retten. Ließen wir es zu, so mein weiser Freund Albus Dumbledore weiter, daß wir den Tod eines Menschen als legitimes Mittel hinnehmen, ginge in uns der Keim des Bösen auf, und die Beseitigung eines noch so grausamen Feindes bringe dann nur einen kurzen Aufschub, bis jemand anderes sich berufen fühle, nach der weltweiten Macht zu greifen. Das Betreiben dunkler Künste führe immer in die Selbstvernichtung, sagte er. So behielt er wohl recht, als am Halloweentag 1981 der unaufhaltbar scheinende Dunkelmagier beinahe eine ehrbare Familie niedermetzelte und dabei von einer ihm überragenden Kraft gestoppt wurde. Doch leider, so wissen wir heute, vermochte er vor einiger Zeit in die Welt zurückzukehren und greift erneut nach der Macht. Weil mein Freund, der von euch hier allen hochverehrte Professor Albus Dumbledore, der seit den Sechzigerjahren Schulleiter von Hogwarts war, ihn unermüdlich in die Schranken wies und durch seine grenzenlose Gutmütigkeit ein Dorn im Auge des bösen zauberers war, bediente dieser sich hier in Hogwarts lebender Zauberer, manipulierte sie und trieb sie schließlich dazu, Albus Dumbledore zu ermorden. Jeder hier fragt sich, ob er es in seiner Weisheit nicht vorhergesehen hat, und warum er nicht frühzeitig gegen seine Mörder angegangen ist. Darauf kann ich nur eine Vermutung wagen, daß er in seiner grenzenlosen Menschenfreundlichkeit lieber das eigene Leben geben wollte, als zuzusehen, wie seinetwegen jemand andres stirbt, und sei es einer, der ihn verachtete. Somit hat er sich im sterben seines Rufes als großer und herzensguter Magus erwiesen, dessen Anliegen das Leben und Lernen der ihm anvertrauten Schüler in Hogwarts und ihrer Familien war." Für zehn Sekunden blieb der Redner stumm. Dann sagte er nur noch:

"Albus, du hast mir früher in deinem unverwechselbaren Humor angeboten, mein Andenken zu ehren, sollte ich vor dir diese Welt verlassen und mich gefragt, ob ich dir diesen Gefallen erweisen würde, solltest du mir vorangehen. Es ist nicht leicht, jemanden wie dich in aller Fülle und Lebendigkeit, Großmacht und Großmut in wenigen Sätzen zu beschreiben. Und auch wenn ich, Logophil Nodberry, mich am meisten geehrt fühle, die Abschiedsworte zu sprechen, bevor du deinen wohlverdienten Frieden genießen darfst, hätte ich es lieber umgekehrt gehabt, daß du zu uns sprichst, und ich da auf dem Tisch gebettet liege, und warte, bis du mit deiner Rede fertig bist." Er nickte noch einmal dem verhüllten Leichnam zu. "Albus, im Namen aller, die hier versammelt sind und im Namen derjenigen, die durch sie vertreten werden, denen du das Leben gerettet hast und es bereichert hast, das Licht, das du in uns entfacht und erhellt hast, wird deinen gewaltsamen Tod überstrahlen und uns wider die Absicht des hinterhältigen Mörders bestärken, dein Andenken zu wahren und dein Werk fortzusetzen. Ruhe im wohlverdienten Frieden! Vale Amice!"

Der Redner trat von dem Tisch zurück und ließ sich in der ersten Reihe nieder. Julius hörte noch die letzten Worte des kleinen Mannes in seinem Bewußtsein nachhallen. Dann sah er, wie drei Zauberer aus der ersten Reihe, Professor McGonagall, Professor Flitwick und der Zauberer, der sich als Logophil Nodberry vorgestellt hatte, ihre Zauberstäbe in einer gleichförmigen Bewegung schwangen. Dröhnend schlugen weiße Flammen aus dem Boden, umzüngelten den Marmortisch mit Dumbledores Leichnam. Blütenweißer Rauch kräuselte sich über den hellen Flammen in den Himmel. Julius vermutete schon, daß Dumbledores Körper nun doch verbrannt wurde, als Rauch und Feuer in einem Lidschlag zu einem hohen, weißen, majestätisch beeindruckenden Grabmal erstarrten, ein Gebäude wie aus spiegelglatt poliertem Marmor, das Aufbahrungstisch und Leichnam vollständig einschloß. Julius griff nach seinem Zauberstab. Er wollte dem nun begrabenen als Andenken einen Feuerstrahl in den Himmel schießen. Doch Prudence hielt seinen Arm fest. Da sauste ein Schwarm Pfeile in weitem Bogen durch die Luft. Die Zentauren ließen ihre Bögen sinken. Die von ihnen abgefeuerten Geschosse regneten weit vor der erschreckt aufschreienden Trauergemeinde nieder, ohne Schaden anzurichten. Dann trabten die hochintelligenten Wesen halb Mensch halb Pferd in den Schutz des verbotenen Waldes zurück.

"Dann haben die den Ehrensalut geschossen", raunte Julius und entspannte seinen Arm. Prudence meinte:

"Ich wußte nicht, ob Professor Dumbledore sowas haben wollte, daß jemand für ihn einen Lichtzauber oder sowas in den Himmel schießt. Aber den Zentauren war es wohl die rechte Respektsbekundung."

"Auf jeden Fall eine große Geste", meinte Cho Chang. Julius nickte. Die Meerleute versanken wieder im See. professor McGonagall erhob sich. Alle dachten, daß sie noch eine Ansprache vor dem nun geschlossenen Grabmal halten wolle. Doch sie wandte sich nur um und sagte laut, aber von einer gewissen Schwermut getragen:

"Alle Kollegen sowie die Schülerinnen und Schüler von Hogwarts möchten sich nun für das Verlassen der Schule vorbereiten! Die übrigen Gäste bitte ich zu einem letzten kurzen Treffen in der großen Halle von Hogwarts!"

"Tja, dann sehen wir uns wohl nicht mehr wieder, Julius", seufzte Kevin. "Es sei denn, die lassen dich noch mal aus Beaux raus und machen Hogwarts nicht echt ganz zu."

"Ich bin nicht aus der Welt, Kevin", sagte Julius leicht verhalten. "Allerdings frage ich mich jetzt, was Gloria und ich machen sollen."

"Ihr geht jetzt noch für einen Abschiedsschluck auf Dumbledores großes Leben in die große Halle, während wir zum Bahnhof fahren und mit dem Express nach Hause dampfen. Die werden wohl mit zwei Wagons auskommen", erwiderte Kevin. Julius sah sich um und erkannte jetzt, daß inmitten der vielen erwachsenen Gäste auch Professeur Tourrecandide gesessen hatte. Er hatte gar nicht mitbekommen, wie sie hergekommen war. Einen winzigen Moment lang dachte er daran, daß Jane Porter unsichtbar an der Feier teilgenommen hatte und versuchte, sie anzumentiloquieren. Doch seine Gedankenrufe hallten nicht in seinem Kopf nach. Also war sie wohl nicht in der natürlichen Welt unterwegs und daher auch nicht hier.

"Ich weiß nicht, was wir jetzt machen, Pina und Olivia", griff Gloria Julius' Bemerkung auf. "Ich würde ja gerne noch ein wenig mit euch sprechen, was wir machen können, falls sie Hogwarts wirklich zumachen wollen. Aber ich weiß nicht, wie Madame Maxime den weiteren Tag geplant hat."

"Moment, Gloria", wandte Julius ein und verfiel noch einmal in eine konzentrierte Haltung. Diesmal mentiloquierte er an Professeur Faucons Adresse: "Gloria und ich wissen nicht, was wir jetzt tun sollen. Bitte Fragen Sie Madame Maxime, ob Gloria noch mit Pina und Kevin sprechen kann!"

"Moment!" Kam die kurze und kraftvolle Gedankenantwort. Kevin sah Julius an, als sei mit ihm etwas nicht in Ordnung. Dann erscholl Professeur Faucons Stimme erneut in Julius' Geist: "Madame Maxime genehmigt die Unterredung zwischen Gloria und ihren Klassenkameraden, sofern sie in einer halben Stunde in der großen Halle erscheint. Sie stellt es dir frei, dich dieser Unterredung anzuschließen oder mit uns in die große Halle zu gehen."

"Gloria, du darfst mit Pina, Olivia und Kevin und wohl auch mit den Hollingsworths reden", sagte Julius. Gloria nickte. Kevin blickte ihn mit einer Mischung aus Verwunderung und unbehagen an.

"Hast du dieses unhörbare Reden lernen müssen?" Fragte er. Julius konnte sich vorstellen, daß sein früherer Klassenkamerad vermutete, daß ihm Professeur Faucon die Anweisung erteilt hatte, diese Zauberei ohne Zauberstab zu lernen, damit sie ihn noch besser kontrollieren konnte. So erzählte er, daß er diese Kunst von Glorias Großmutter Jane gelernt hatte, als er mit ihr nach seinem Vater gesucht habe und erwähnte auch, daß sie dabei unsichtbar zwischen ahnungslosen Muggeln herumgelaufen und mit Leuten des damaligen Zaubereiministers Pole aneinandergeraten seien. Gloria nickte, als müsse sie das bestätigen. Dann sagte Julius zum Abschluß:

"Professeur Faucons Tochter Catherine, die ja wegen des Ärgers, den mein Vater verursacht hat meine Zaubererweltfürsorgerin ist, hat dann befunden, mir das weiter beizubringen, beziehungsweise klarzukriegen, wie und wann ich das verwenden soll." Kevin nickte, nun anerkennend dreinschauend. "In Beauxbatons geht das aber nicht, weil die dagegen Zauber aufgerufen haben."

"Wie fühlt sich das denn an, wenn einer einem was zudenkt?" Wollte Kevin wissen.Doch als Julius ihm "So fühlt sich das an" ohne Umweg über seine Ohren ins Bewußtsein pflanzte konnte er nur noch verdutzt dreinschauen und nichts sagen.

"Kommst du mit uns, Julius?" Fragte Gloria.

"Klingt jetzt blöd, Gloria, aber ich möchte gerne noch ein paar Takte mit Aurora Dawn sprechen, falls die es will. Vielleicht darf ich ja nachher noch mal nach Ravenclaw."

"Wenn die dich in der großen Halle haben kannst du da nicht mehr weg", raunzte Kevin leicht ungehalten. Doch dann nickte er. Immerhin war Julius durch Aurora Dawn nach Hogwarts gekommen. Falls Hogwarts wirklich dicht machen sollte, war es wohl schon interessant, von ihr zu hören, wie sie das fand. So zogen Gloria Porter, Pina Watermelon, die Hollingsworths und kevin in Richtung Hogwarts ab. Julius wartete einige Sekunden. Dann trat er noch einmal an das weiße Grabmal heran. Er wollte wissen, ob es nur gezaubertes Gestein war oder noch irgendwelche Verzierungen oder Kennzeichen über den, der darin ruhte aufwies. Vorsichtig näherte er sich dem Grabmal, immer darauf achtend, ob ihm jemand zusah. Als er davorstand streckte er vorsichtig die rechte Hand aus. Hoffentlich bekam er jetzt keinen Stromschlag oder sowas, weil er das Grabmal anfaßte. Doch als seine Finger die sich in geheimnisvollen Spiralen nach oben windende Wand berührte fühlte er nur kaltes, glattes Gestein. Er umschritt vorsichtig das am Fuß wohl drei mal drei Meter messende und nach oben an die vier Meter aufragende Mausoleum oder Hünengrab oder wie es sonst genannt werden konnte und entdeckte auf der dem Schloß zuweisenden Seite eine Gravur: "Professor Albus Percival Wulfric Brian Dumbledore. Pax Eterna"

"Hätte gedacht, es kommen noch welche mehr, die es sich ganz ansehen", hörte er eine Stimme knapp hinter dem Stimmbruch grummeln. Er vollendete die Umrundung des Grabmals und stand Harry Potter gegenüber, der mit verweinten Augen vor dem steinernen Andenken an Dumbledore stand. Hinter ihm standen seine Freunde Hermine Granger und Ron Weasley. Dann war da noch Ginny Weasley, die wie alle anderen sehr traurig aussah. Als Harry Julius ansah, wandelte sich seine betrübte Miene in wilde Entschlossenheit. "Du bist doch Julius Andrews, der jetzt in Beauxbatons ist. Hermine hat mir das im Sommer erzählt. Warst du mit in der Kutsche gestern. Ich habe dich nicht rauskommen sehen."

"Wir mußten warten, bis wir durften", sagte Julius leise. Dann meinte er: "Ich hoffe, die Schule macht nicht zu. Weil dann hätte Voldemort ja doch gewonnen."

"Soll er das denken", knurrte Harry, während Ginny und Ron wegen des Namens zusammenschraken. "Dann kriege ich den und Snape noch leichter."

"Harry", zischte Hermine Granger. Julius verstand den sichtlich in die Höhe gewachsenen Jungzauberer zu gut. Auch er hatte dieses Gefühl verspürt, als sein Vater in Hallittis Gewalt war und als die Morgensternbrüder ihn und Aurélie Odin umbringen wolten und Claire dabei ihren Körper verloren hatte. So sagte er nur:

"Ich denke, dieser Verbrecher irrt sich, wenn er meint, daß er jetzt gewonnen hat. Und was Snape angeht, den kriegen die sicher bald."

"Wenn ich den nicht vorher erwische", knurrte Harry und sagte dann nur noch: "Was immer mit Hogwarts passiert, ich werde nicht mehr hierherkommen, bevor dieser Drecksack nicht aus der Welt ist." Hermine Granger meinte dann noch:

"Ja, das sind Sachen, die wollen wohl überlegt sein. Mußt du nicht zu eurer Reisekutsche zurück?"

"In einer Stunde", erwiderte Julius. Dann wünschte er Harry Potter und seinen Freunden eine gute Rückreise und das Hogwarts nicht für immer geschlossen würde. Dann ging er durch die immer noch aufgebauten Stuhlreihen in Richtung Schloß. Professor McGonagall war noch dabei, Hagrid dazu zu bewegen, mit in die große Halle zu kommen. Sie hielt jedoch achtsamen Abstand von dem Riesen, der neben Hagrid stand. Madame Maxime stand auch bei Hagrid und redete gestikulierend auf ihn ein. Julius Andrews entfernte sich so unauffällig wie möglich und ging durch das weit geöffnete Tor ins Schloß. Vor der großen Halle wartete Aurora Dawn.

"Gloria Porter hat mir gesagt, du wolltest noch einmal mit mir sprechen, Julius. Jedenfalls schön, daß du herkommen konntest."

"Ich war noch mal am Grab", sagte Julius. "Sieht richtig erhaben aus."

"Da gehe ich nachher noch einmal hin, wenn die verbliebenen Schüler alle abgereist sind", seufzte Aurora Dawn. "Miriam, Dina, Petula, Roy und ich."

"Waren doch einige Da, die wichtig sind", sagte Julius. Aurora nickte.

"Aber auch die unwichtigen waren heute wichtig", ergänzte sie. "Am besten gehen wir rein. Da hinten kommt Professor Slughorn."

"Ist der so wie Snape?" Fragte Julius abfällig.

"So nicht", erwiderte Aurora Dawn. Da kam der dickleibige Lehrer mit dem Walross-Schnauzbart schon angelaufen, neben sich Maya Unittamo.

"Hallo, Julius!" Grüßte die frühere Verwandlungslehrerin von Thorntails. Slughorn verhielt und sah Julius an. Aurora Dawn verzog kurz das Gesicht, lächelte dann aber kalt.

"Oho, der Fahnenflüchtige!" Lachte Slughorn. Doch dann verfiel er in eine ernstere Haltung und meinte zu Julius: "Ich habe gehört, daß du hier in Hogwarts gut in fast allem warst, besonders Zaubertränke, obwohl deine Eltern Muggel sind. Ich habe großen Respekt vor muggelstämmigen Hexen und Zauberern, die sich hier so gut hervortun."

"Zaubertränke? Das hatte ich hier noch bei Snape. Der hat das bestimmt nicht erzählt, wenn's gestimmt hätte. Weiß doch jetzt jeder, was für ein verlogener Kerl der ist", erwiderte Julius mißmutig. Dann beruhigte er sich wieder und sagte: "Aber wenn die Anderen Ihnen erzählt haben, ich hätte gut hier gelernt, dann freut es mich, daß sie mich hier nicht vergessen haben, Sir." An Maya Unittamo gewandt fügte er hinzu: "Ich denke, Professeur Faucon ist in der Halle."

"Das denke ich mal", erwiderte Maya Unittamo. "Hast du Gloria nicht mitgebracht?"

"Sie ist mit den Leuten aus unserer gemeinsamen Jahrgangsstufe im Schloß unterwegs und beredet, was passiert, wenn die Hogwarts hier für immer zumachen", gab Julius ehrliche Auskunft. Slughorn horchte auf und wartete auf Mayas Antwort:

"Das können die doch nicht bringen, die Schule ganz zu schließen. Der alte Tausendsasser ist dafür ins Grab gestiegen. Das sollten die vom hiesigen Ministerium sich gut überlegen."

"Sagen Sie denen das. Auf mich würden die nicht hören", knurrte Julius. Aurora zupfte ihn am Ärmel und meinte:

"Komm, Julius. Drinnen fallen wir nicht so heftig auf!"

"Das ist aber jetzt nicht gerade höflich, Ms. Dawn", tadelte Slughorn die Heil- und Kräuterhexe. Diese hörte jedoch nicht darauf und durchschritt mit Julius den Eingang in die Halle. Wie damals beim trimagischen Weihnachtsball waren die großen Tische entfernt und durch mehrere hundert kleinere Tische ersetzt worden. Aurora winkte dem Ehepaar zu, mit dem sie vorhin gesprochen hatte und ging dann mit Julius an einen freien Tisch.

"Es ist echt ein merkwürdiges Gefühl, sich vorzustellen, in zwei Stunden hier wegzugehen, und daß dann keiner mehr hierher zurückkommen könnte", eröffnete Aurora Dawn das kurze Gespräch mit Julius.

"Komisches Gefühl, als wäre ich erst gestern hier rausgegangen und hätte alles nur geträumt, was in den letzten beiden Jahren passiert ist", sagte Julius darauf. Er blickte sich um. professeur Faucon unterhielt sich mit Flitwick, Sprout und ihrer Mentorin Tourrecandide. Diese sah ihn kurz an und nickte ihm zu.

"Dahinten sitzen welche, die dann wohl in deinen Träumen vorgekommen sind", griff Aurora auf. Dann sagte sie: "Ich weiß, wie du dich fühlst. In einem einzigen Jahr hast du vier wichtige Menschen verloren, und was Professor Dumbledore angeht, wußtest du wohl erst, was er dir bedeutete, als er starb. Ich muß immer daran denken, was gewesen wäre, wenn ich damals nicht ein hilflos schreiendes Baby gerettet hätte."

"Dann hätte sich der miese Drecksack, den ihr nicht beim Namen nennen wollt wen anderen ausgeguckt, der ihm hilft, Aurora. Wir hatten das Thema ja schon bei Claires ... Abschiedsfeier", erwiderte Julius.

"Ja, aber es ist ein gemeines Gefühl, Mitschuld am Tod von jemandem zu sein, der mir und anderen was bedeutet hat. Ich weiß natürlich, daß ich keine Schuld trage, weil ich diesem verirrten Jungen Malfoy nicht gesagt habe, die Bilder Slytherins aufzuhängen oder die Todesser reinzulassen. Aber die Vorstellung, was dann hätte nicht passieren müssen. Aber das hatten wir wirklich schon. Wie geht es dir sonst so?"

"Ich mache nächste Woche die Abschlußprüfungen für dieses Jahr", sagte Julius und sprach mit Aurora erst über die Schule und dann über die Familien. Schließlich erzählte Aurora ihm noch etwas über ihr letztes Jahr hier in Hogwarts, das letzte Mal, wo sie vor der Beerdigung Dumbledores hier gewesen war. Sie erwähnte, daß Nodberry, der die Grabrede gehalten hatte, Dina und Roy damals verheiratet habe.

"Tja, und jetzt hat dieser irre es geschafft, daß Professor Dumbledore tot ist und Hogwarts womöglich für immer zugemacht wird. Da fragt sich doch, ob das davor alles dann nicht umsonst gewesen ist", seufzte Julius.

"Wenn sie Hogwarts wirklich schließen, Julius. Die fidele Maya Unittamo hat völlig recht, daß das unsere Zusammenkunft hier und heute und das schöne Grabmal vollkommen entehren würde, wenn die Schule für alle Zeiten geschlossen bliebe. Die kleineren Schulen könnten dann auch befinden, bestimmte Schülergruppen nicht anzunehmen, Muggelstämmige, frühere Slytherin-Bewohner und so weiter. Hogwarts ist durch Dumbledore richtig wohnlich geworden, auch wenn ich ihn einmal sehr streng erlebt habe. Das mußte jedoch sein, als das damals in meinem ZAG-Jahr mit den Slytherins passierte, die die Gryffindor-Mannschaft angegriffen haben." So plauderten sie noch über Auroras ZAG-Jahr. Dann sagte sie noch, daß er bald wieder von ihr oder ihrem Bild-Ich hören würde.

"Das wird heftig, wenn hier keiner mehr lernen soll. Werden die Bilder dann alle ausrangiert?" Fragte Julius.

"Das wollen wir mal nicht hoffen, weil ich dann nicht weiß, wer die Quidditchspielerbilder kriegt", entgegnete Aurora Dawn. Dann blickte sie sich um, weil das Raunen in der Halle leiser wurde. professor McGonagall, sichtlich verknirscht dreinschauend, betrat zusammen mit Madame Maxime, Prinzipalin Wright und einer älteren Hexe mit silbergrauem Zopf die große Halle. Madame Maxime blickte sich um und entdeckte Professeur Faucon. Sie ging auf sie zu, wobei sie sich durch die für sie doch etwas engeren Gänge schlängeln mußte. Die anderen folgten ihr.

"Die mit dem silbernen Zopf ist wohl auch wichtig", sagte Julius zu Aurora Dawn.

"Das kannst du sicher annehmen, Julius. Das ist die Gräfin Greifennest, die Leiterin von Burg Greifennest, wo eure Austauschschülerin Waltraud herkommt", machte Aurora den Stegreifherold.

"Ach so sieht sie aus", erwiderte Julius und betrachtete die leicht untersetzt gebaute, aber sich grazil bewegende Hexe, deren silbergrauer Zopf über den dunkelvioletten Brokatumhang bis knapp zu ihrem Gesäß hinunterreichte. Wie viele ältere Hexen und Zauberer trug sie eine Brille, eine Nickelbrille mit runden Gläsern, hinter denen hellwache, türkisfarbene Augen zu erkennen waren.

"Da habe ich mit Waltraud mal drüber gesprochen, ob ihre Schuldirektorin auch herkommt. Dann kann ich ihr sagen, daß sie recht hatte."

"Ja, das kannst du wohl. Wundere mich nur, daß der deutsche Zaubereiminister nicht kommen konnte. Ich habe ihn einmal kurz getroffen, als ich für die Recherchen zum kleinen Hexengarten durch die Welt gereist bin", erwiderte Aurora.

"Hat wohl doch dringenderes zu tun. Ich habe den spanischen und den russischen Zaubereiminister hier auch nicht gesehen", sagte Julius darauf nur.

"Tja, die wissen natürlich, daß mit Dumbledores Tod noch längst nicht alles vorbei ist", erwiderte Aurora. Dann meinte sie, daß die Grandchapeaus wohl etwas von ihm wollten, weil sie ihn bereits seit dem Eintreten im Blick behielten. Julius nickte dem französischen Zaubereiminister und seiner Familie zu und verabschiedete sich von Aurora Dawn, die nun zu ihren Klassenkameraden hinübergehen konnte.

"Es ist schon sehr betrüblich, jemanden wie Albus Dumbledore nicht mehr an seiner Seite zu wissen", stellte Armand Grandchapeau fest, als er und Julius sich begrüßt hatten.

"Ich denke, wir müssen einfach damit weitermachen, was er uns allen beigebracht hat, Herr Minister", sagte Julius darauf. Belle nickte ihm zu. Immerhin wußte sie zu gut, wie wichtig es war, die dunklen Magier zu bekämpfen. So sprachen sie noch etwas über die vergangenen Monate. Belle fragte Julius am Ende der kurzen Besprechung, ob Sie sofort mit der fliegenden Reisekutsche nach Beauxbatons zurückkehren würden. Julius verwies die Frage an Madame Maxime, die jedoch gerade mit ihren Schulleiterkollegen und -kolleginnen aus fünf Ländern diskutierte.

"Ihr macht ab übermorgen die Jahresabschlußprüfungen. Wirst du dem standhalten können?" Fragte die Ministergattin.

"Falls Sie Professeur Tourrecandide für irgendwas ganz wichtiges umdisponieren können, Madame", erwiderte Julius mit leicht verschmitztem Lächeln.

"Das liegt leider nicht in meinem Zuständigkeitsbereich", erwiderte Madame Grandchapeau und fügte ein "Lümmel" hinzu.

"Du wirst schon auf ZAG-Stufe geprüft, wenn ich das richtig mitbekommen habe", meinte Belle. "Wie soll sich das in deiner Benotung niederschlagen?"

"Davon weiß ich nichts, wie das genau verrechnet wird. Da müßtest du Professeur Faucon fragen. Aber ich fürchte, die wird dir das nicht verraten", erwiderte Julius.

"Hoffentlich positiv", meinte der Minister. Seine Frau nickte beipflichtend. Julius verstand, was Monsieur Grandchapeau meinte und gelobte, sich trotz des großen Stimmungstiefs wegen Dumbledores Tod so gut es ging anzustrengen.

"Hippolyte Latierre hat mir für dich ausgerichtet, daß du ihr keinen Brief geschrieben hast, als du die Nachricht von Professeur Dumbledores Tod erfahren hast", wandte Madame Grandchapeau ein. Julius nickte. "Nun, sie geht davon aus, daß du in den ersten Ferienwochen genug Zeit finden würdest, mal bei ihr vorbeizuschauen. Nur weil sie jetzt eine neugeborene Tochter habe sei sie nicht aus der Welt. Was immer das heißen soll."

"Daß wir damals alle vereinbart haben, in Verbindung zu bleiben", erwiderte Julius ruhig.

"Natürlich", erwiderte Madame Nathalie Grandchapeau mit wissendem Lächeln. Julius blickte sich um, wer vielleicht noch was von ihm wissen wollte und beschloß, noch einmal zu Gloria und Kevin zu gehen, bevor sie abreisten. Doch in dem Moment verkündete Professor McGonagall, daß sie nun alle auf ihren dahingeschiedenen Kollegen Dumbledore trinken wollten. Julius ging hinüber zu den Dusoleils und van Helderns. Aus der Luft erschienen goldene Kelche mit goldenem Honigwein. Jeanne griff danach. Doch Hera Matine schnippte mit dem Zauberstab und ließ den Kelch einfach verschwinden.

 

"Sie werden mir jetzt kurz vor der Geburt nicht sündigen, Madame Jeanne Dusoleil", schnarrte die Hebammen-Hexe. Auch Barbaras Kelch ließ sie einfach verschwinden.

"Sie hätten den Met doch in Wasser verwandeln können", warf Julius ein.

"Noch ein Frechdachs", knurrte Hera Matine. "Met in Wasser verwandeln wäre ein Vergehen gegen den guten Geschmack. Nein, ich fülle lieber zwei Kelche mit frischem Saft auf", sagte sie und beschwor zwei neue Kelche herauf, die sie mit kurzen Zauberstabstupsern mit Traubensaft füllte. So tranken dann alle auf das Andenken von Professor Dumbledore. Julius hatte schon gedacht, sie dürften nicht von ihren Tischen aufstehen. Doch tatsächlich ging Professor McGonagall mit ihren Kollegen herum und stieß mit allen Gästen an. Als sie bei Julius ankam sagte sie noch:

"Es wird ihn sehr beruhigt haben, daß Sie sich unserer guten Vorarbeit wegen so gut in Beauxbatons eingliedern konnten, Mr. Andrews. Auf Ihr Wohl und darauf, daß Zauberer wie Sie das Vermächtnis Professor Dumbledores in Ehren halten!"

"Ich darf Ihnen ja keine Vorschläge machen oder Anweisungen erteilen, Professor. Aber Gloria Porter macht sich sorgen, daß sie hier nicht mehr weiterlernen kann, wenn das Austauschjahr um ist. Können Sie da irgendwas machen, daß Hogwarts nicht ganz geschlossen wird?"

"Mir wäre es auch sehr lieb, wenn die Schule geöffnet bleibt, Mr. Andrews. Aber das müssen wir nicht zu letzt mit den Schulräten erwägen und auch befinden, wie viele Schüler dann noch zu uns zurückkehren werden. Richten Sie Ms. Porter bitte aus, daß von meiner und ihres Hauslehrers Seite her keine Veranlassung besteht, Hogwarts für alle Zeiten zu schließen, sofern wir den makel, den die Ermordung unseres Schulleiters durch einen meiner Kollegen auf die Schule gelegt hat restlos ausräumen können, indem wir die Wichtigkeit des Lehrbetriebs und den sonst so untadeligen Status von Hogwarts in die Waagschale werfen können. Ich wünsche Ihnen zumindest die Ruhe und die Beharrlichkeit, die auf Sie wartenden Prüfungen erfolgreich zu bestehen! Bitte teilen Sie Ms. Porter diesen meinen Wunsch auch mit!" Sie prostete den Dusoleils und van Helderns zu und beteuerte noch einmal, daß Dumbledores Zusage, daß sie alle jederzeit wieder hier willkommen seien, bei Aufrechterhaltung des Schulbetriebes bestand habe, selbst wenn sie dann nicht die Schulleiterin sein könnte.

Sie ging weiter. Flitwick kam an den Tisch und hielt seinen Kelch über seinen Kopf, damit sich keiner zu bücken brauchte. Dann sagte er mit seiner Quiekstimme, daß er froh sei, daß Gloria und Julius zumindest ein geordnetes Schuljahr beenden würden. Professor Sprout, die sich kurz zuvor noch mit Aurora Dawn unterhalten hatte, bedankte sich bei Julius für sein fortgesetztes Interesse am Fach Kräuterkunde und die Hilfe, die er ihren Hausschülerinnen Betty und Jenna erwiesen habe. Zum Schluß kam noch einmal Professor Slughorn heran und meinte:

"Es ist echt bedauerlich, daß solche Prachtburschen wie du nicht in Hogwarts waren und sind, wo ich hier unterrichte."

"Werden sie weitermachen, falls die Schule im nächsten Jahr geöffnet bleibt, Sir?" Fragte Julius höflich.

"Eigentlich wollte ich nur ein Jahr hier machen, weil mich der gute Albus Dumbledore so nett gebeten hat. Aber womöglich überlege ich es mir, ob ich jetzt, wo die Slytherins ihren Hauslehrer verloren haben und der alte Albus Dumbledore ausgerechnet von einem meiner früheren Spitzenschüler umgebracht wurde der Schule nicht was mehr schuldig bin als ich dachte. Mach's gut, Julius. Öhm, und falls dir Beauxbatons zu langweilig oder überdreht wird, kannst du gerne nach Hogwarts zurückkommen."

"Überdreht?" Fragte Jeanne verächtlich. Dieselbe Frage stellte nun auch Professeur tourrecandide, die hinter Slughorn an den Tisch der jungen Ehepaare und Julius herangetreten war. Der gewichtige Lehrer drehte sich um und sah die französische Kollegin an.

"Horace, ich kenne Ihre Vorlieben, sich talentierte Schüler gewogen zu halten, um von deren zu erwartendem Ruhm zu profitieren", knurrte Austère Tourrecandide angriffslustig, "aber sofern Hogwarts nicht zum Schaden der britischen zaubererwelt für immer seine Pforten schließt und Sie hier weiterlehren können, verwerfen Sie den Gedanken, dieser junge Mann würde in Ihrem Unterricht sitzen, wenngleich ich natürlich davon ausgehe, daß er seinen prüfungserfolg vom Vorjahr zumindest wiederholt. Zumindest. Aber was Sie über die Beauxbatons-Akademie angedeutet haben möchte ich nicht unerwidert im Raum stehen lassen. Dort ist es niemandem langweilig geworden, und das Eigenschaftswort überdreht verbitte ich mir, auch im Namen von Madame Maxime und professeur Faucon."

"Austère, Sie versprühen immer noch denselben Charme wie vor dreißig Jahren. Schön zu sehen, daß es Dinge gibt, die sich im Alter nicht ändern", erwiderte Slughorn jungenhaft lächelnd.

"Ja, leider gehören die unangenehmen Eigenheiten auch zu solchen Dingen", schnaubte Professeur Tourrecandide. Dann sprach Sie zu Julius: "Da ich heute gesehen habe, daß es Ihnen schon sehr nahegeht, was Professor Dumbledore für Sie in die Wege geleitet hat gehe ich sehr stark davon aus, daß Sie übermorgen, wenn ich Sie gemäß Absprache mit Professeur Faucon in der Abwehr der dunklen Künste prüfe, mit vollem Einsatz und gänzlich bei der Sache zeigen, was Sie gelernt haben, und zwar auf ZAG-Niveau."

"Übermorgen? Danke für den Hinweis", erwiderte Julius darauf. Er hatte fast "Danke für die Warnung" gesagt. Doch die gestrenge Prüferin verstand absolut keinen Spaß. Slughorn trollte sich, weil er noch anderen "wichtigen" Leuten zuprosten wollte, und hinter Professeur Tourrecandide kamen die Grandchapeaus.

Nach einer halben Stunde saß Gloria mit Julius zusammen am Tisch der Dusoleils und van Helderns. Sie beobachteten die Abreise der Hogwarts-Schüler. Julius erkannte jetzt, daß die Kutschen von Thestralen gezogen wurden, wie seine Mutter einen geritten hatte, als sie zum Château Florissant gereist waren. Dann verabschiedete Professor McGonagall ihre Gäste mit bestem Dank zurück in ihre Heimat. Die Gräfin Greifennest bat Julius in einem stark akzentlastigen Englisch, ihrer Schülerin Waltraud Eschenwurz alles gute für die anstehenden Prüfungen zu wünschen und verließ durch das große, von geflügelten Ebern bewachte Tor das Gelände von Hogwarts, wonach sie dann einfach disapparierte. Als alle Gäste sich voneinander verabschiedet hatten bestigen Madame Maxime und ihre Mitreisenden die grau-blaue Kutsche und flogen los.

Unterwegs erzählte Gloria Julius, daß sie mit Kevin und Pina vereinbart habe, eine Unterschriftenaktion zu starten, bei der alle Schüler, die weiterhin in Hogwarts lernen wollten unterschreiben sollten. Die so entstehende Liste wollten sie dann den Schulräten vorlegen.

"Erst einmal sind die Prüfungen in der Akademie zu bestehen, Mademoiselle. Gemäß den Austauschjahresregeln könnten wir befinden, daß Sie das Jahr wiederholen müßten, falls Sie dabei versagten", meinte Madame Maxime darauf. Gloria schluckte erst, lächelte aber dann. Sie bedankte sich für den Ansporn. Julius erwähnte, daß Professeur Tourrecandide ihn bereits am Montag prüfen wolle. Professeur Faucon bejahte es und sagte:

"Ich gehe sehr stark davon aus, daß Sie Ihre Zeit und die meiner Kollegin nicht mit Ergebnissen unter gut vergeuden werden."

"Dieser Riese bei Hagrid", setzte Bruno an, "kannten Sie den schon?"

"Sagen wir es so, Monsieur Dusoleil, es wäre mir sehr viel lieber, wenn dieser ungehobelte Felsblock dort geblieben wäre, wo er ursprünglich herkommt. Aber merkwürdigerweise vermochte Monsieur 'agrid ihn wohl zeitweilig umgänglich zu erziehen", erwiderte Madame Maxime verdrossen. Hera Matine wandte ein, daß Madame Maxime sie hätte vorwarnen können, da der Anblick eines solchen Ungetüms eine schwangere Frau leicht überlasten könne.

"Haben Sie sich bei Professeur Mäckgönagell darüber beklagt?" Fragte Madame Maxime mißmutig.

"Ich brachte es kurz zur Sprache. Sie beteuerte, daß Sie nicht im Stande sei, Hagrid von seinen unverhofft entdeckten Familiengefühlen kurieren zu können und nicht daran gedacht habe, daß einige der Gäste aus gesundheitlichen Gründen Probleme mit dem Erscheinungsbild des Riesen haben könnten. Meiner Meinung nach sollte das Ungeheuer eingefangen oder erlegt werden."

"Öhm, es heißt, das sei Hagrids Halbbruder", wandte Julius ein. "Sie können doch nicht einfach verlangen, daß jemandes Bruder umgebracht wird, Madame Matine." Irgendwie, so meinte Julius, mußte er sich da verhört haben.

"Julius, du magst jetzt etwas enttäuscht von mir sein, weil ich mich für die Beendigung eines Lebens ausgesprochen habe", setzte Madame Matine an. "Aber wir dürfen nicht vergessen, daß die reinrassigen Riesen sehr gefährlich sind und daher nicht in der Nähe von Kindern geduldet werden sollten. Wenn man sie nicht fangen und an einen anderen Ort verbringen kann, bleibt dann nur noch die Tötung, so brutal das für dich und alle hier klingen mag."

"Julius, wenn irgendwo ein Drache marodiert wird der auch getötet", meinte Gustav van Heldern. "Und das sind verdammt faszinierende Geschöpfe. Beim trimagischen war das echt grandios, die größten Drachen mal zu sehen zu kriegen."

"ja gut, Gustav. Aber so richtig nett ist das nicht, wenn da jemand einfach nur umgebracht werden soll, weil er anders ist als der Rest. Mit dem Argument hat ja dieser Lord Unnennbar den Mord an Dumbledore angeleiert. Weil Professor Dumbledore nämlich nicht Voldemorts Auffassung von Zaubererstolz und Zaubererehre vertrat und so", schwang Julius einen schweren Hammer.

"Junger Mann, ich habe Sie zu einem verantwortungsbewußten Pflegehelfer ausgebildet und verstehe daher, daß Sie nun empfinden, ich besäße nicht die Ethik, die einem solchen Wirken angemessen sei. Aber ich lasse mir bestimmt keine falschen Formulierungen in den Mund legen und bestimmt auch nicht den Vergleich mit dem Größenwahn und die Zerstörungssucht eines offensichtlich geisteskranken Zauberers aufdrängen", schnarrte Madame Matine. "Ich sagte eindeutig, wenn etwas sehr gefährlich sei, dürfe es nicht in der Nähe von Kindern geduldet werden. Gefährlich, lebensgefährlich, nicht weil etwas anders beschaffen ist oder handelt. Immerhin dürfte Ihnen nicht entgangen sein, wie selbst eine zärtlich anmutende Berührung dieses Rohlings eine immense Kraft auf seinen Halbbruder ausübte, daß dessen Stuhl um etliche Zentimeter tief einsank. Du kannst und wirst es mir nicht verdenken, daß ich gegen die Gegenwart vollwertiger Riesen berechtigte Einwände habe. Und ich erwähnte auch ausdrücklich, daß diese Wesen nicht einfach so getötet werden sollten, sondern zunächst an ihre Verbringung an einen anderen Ort gedacht werden solle."

"Hera, es reicht. Die von Ihnen befürchtete Überlastung ihrer gesegneten Leibes befindlichen Clientinnen könnte durch diese Diskussion doch noch eintreten", warf Madame Maxime nun sehr bedrohlich klingend ein. Professeur Faucon nickte. "Denn zum einen ist dieser von Ihnen befürchtete Fall nicht eingetreten. Zum zweiten sollten wir jetzt, wo wir fern von Hogwarts sind, die dortigen Vorgänge und Verhaltensweisen jenen überlassen, die tagtäglich damit leben müssen." Damit erklärte Madame Maxime die Diskussion für beendet.

Julius wurde noch einmal zu Harry Potter befragt, den er am Grab noch gesehen hatte. Er sagte, daß der wohl nun auf Rache ausgehe und sich mit Voldemort anlegen wolle. Professeur Faucon seufzte dazu nur und meinte dann:

"Dies stand schon vor dem Tod Professor Dumbledores zu befürchten, daß Harry Potter mit dem Schwerverbrecher zusammentreffen wird. Offenkundig vermeinen beide, eine alte Rechnung begleichen zu müssen. Wer da wen sucht ist daher unwichtig, wenn die Konfrontation als solche schwer zu verhindern sein wird. Harry wird jetzt auch in dem Gefühl leben, daß er und nur er sich Voldemort stellen muß, weil alle, die ihm bisher Rat und Schutz boten getötet wurden, erst seine Eltern, dann sein patenonkel, der lange Jahre fälschlich für einen Gefolgszauberer des Wahnhaften gehalten wurde - und jetzt auch noch Professor Dumbledore, der bislang mächtigste und kundigste Zauberer der Gegenwart. Das geht über Rachegelüste hinaus, Julius. Er könnte sich als vom Schicksal gequälter Zeitgenosse empfinden, der niemanden zwischen sich und eben dieses Schicksal geraten lassen will, weil das Endergebnis doch nicht abzuwenden ist."

"Hmm, womöglich hat ihm das jemand vorausgesagt, daß er wirklich dieser Auserwählte ist", mentiloquierte Julius Professeur Faucon. "So wie das mir ja auch wer vorausgesagt haben soll."

"Das hieße, daß Harry Potter in der Tat eine Prophezeiung zu hören bekam, die ihm ein solches Schicksal verkündete", mentiloquierte sie zurück. Laut sagte sie dann noch:

"An und für sich sollte Harry Potter nicht mehr ohne Verbindungsarmband herumlaufen. In seinem derzeitigen Gemütszustand könnte er sehr unachtsam in eine bereits wartende Falle gehen."

"Ich hoffe, seine Freunde passen auf ihn auf", erwähnte Julius. Gloria nickte ihm beipflichtend zu.

"Sie haben Professeur Fixus bis morgen früh die Leitung der Schule anvertraut, Madame Maxime. Aber so wie wir jetzt fliegen kommen wir doch schon heute Abend an", wandte Julius ein.

"Wir werden nbei Anbruch der Dunkelheit in einem unbevölkerten Gebiet halten und dort übernachten", sagte Madame Maxime ruhig. "Abraxaspferde fliegen nicht gerne bei völliger Dunkelheit. Dann müßte auf jedem von ihnen jemand sitzen, der sie mit Hilfen und Kommandos im Zaum hält. Aber das wissen Sie doch alles." Julius nickte. Sicher wußte er, daß die geflügelten Riesenpferde tagaktive Tiere waren und nach der Abenddämmerung nicht gerne flogen, wenn sie nicht in unmittelbarer Gefahr waren.

So landete die geflügelte Kutsche bei Einbruch der Nacht auf einer Waldlichtung, die Madame Maxime wohl vor der Reise nach Hogwarts schon als Rastplatz ausgekundschaftet haben mochte. Bruno, Gustav und Julius halfen ihr, die zwölf Pferde auszuschirren und mit langen, beständiger gezauberten Eisenpfählen fest anzupflöcken und dann mit Whisky aus mitgebrachten Eichenfässern zu tränken. Dann zogen sie sich in die Kutsche zurück und vertrieben sich weitere zwei Stunden mit Schach und Gesang.

 

__________

 

Wie am Vortag weckte Jeannes hahnenwecker die gesamte Kutschenbesatzung. Da sie bereits auf französischem Boden waren und wohl nur noch eine Flugstunde bis Beauxbatons vor sich hatten, war es bereits acht Uhr Morgens, als das Kikeriki des mechanischen Hahns erklang. Julius wagte es, seinen rubinroten Herzanhänger kurz an die Stirn zu drücken und "Guten Morgen, Mamille", zu denken. Seine Gedanken hallten deutlich nach. Sofort kam eine Antwort zurück:

"Guten Morgen Monju! Wann kommt ihr wieder?"

"Weiß ich noch nicht", erwiderte Julius. Da scholl Madame Maximes Stimme durch die Kutsche, daß bitte alle Anwesenden aufstehen möchten.

Das Frühstück nahmen sie auf dem Dach der Kutsche ein. Dabei sprachen Madame Matine und Julius noch einmal kurz über den heftigen Wortwechsel von gestern. Madame Matine räumte ein, daß sie da wohl etwas überbehütsam reagiert habe und natürlich verstehen müsse, daß Julius sich zum Teil betroffen fühlen mußte, weil er im Vergleich zu seinen nichtmagischen Verwandten ja auch als gefährlich hätte gelten können. Julius knurrte nur leise, daß das wohl mit bei ihm hineingespielt habe. So räumten die Heilhexe und ihr Pflegehelferschüler die noch in der Luft hängende Unstimmigkeit aus.

Nach dem Frühstück halfen die männlichen Insassen der magischen Reisekutsche Madame Maxime, die zwölf Pferde wieder einzuspannen. Dann durfte Julius Madame Maxime beim Start assistieren. Wie eine überlebensgroße Pilotin in jener Führerkabine saß sie da, gab mit den Hebeln die Kommandos an die Leittiere, rief dann "Hooch!" Erst stiegen die vorderen beiden Pferde in die Luft, keine Sekunde später die nächsten zwei, dann gleich die Vier dahinter, bis alle Pferde in der Luft und die Kutschenräder vom Boden gelöst waren. Als sie dann die Reiseflughöhe erreicht hatten meinte Madame Maxime:

"Höchstwahrscheinlich werden die Latierres, mit denen Sie ja doch nun eine nähere soziale Bindung gefunden haben darauf bestehen, Ihnen die Handhabung ihrer geflügelten Milchkühe beizubringen. Wie bei unseren Rössern gilt bei den Latierre-Kühen, daß geistige Stärke und ununterbrochene Aufmerksamkeit das Körperkraftgefälle zwischen dem Tierwesen und seinem Hüter ausgleichen müssen."

"Einer meiner Urgroßväter, der in Indien groß geworden ist, als es noch eine britische Kolonie war, hat sich von den Mahuds, den Elefantenführern da einiges vorführen lassen. Deshalb habe ich wohl auch ein gewisses Interesse an besonderen Tieren", erwiderte Julius. Die Schulleiterin von Beauxbatons zeigte sich über diese Antwort sehr erfreut. Sie lächelte und sagte ruhig:

"Das wesentliche ist immer der Respekt vor dem Lebewesen, ob es ein wildes Tier oder ein an Menschen gewöhntes und angepaßtes Nutztier ist. Da Sie in zwei Wochen die Prüfung in praktischer Magizoologie ablegen werden, merken Sie sich diesen Grundsatz am besten vor!"

Nach einer Viertelstunde löste Gustav Julius als Cokutscher ab. Julius unterhielt sich mit Barbara und den Dusoleils darüber, ob sie nach der Landung gleich in ihre Heimatorte zurückkehren würden oder erst zusammen nach Millemerveilles reisen würden.

"Meine Mutter wird traurig sein, wenn ich ihr nicht einen Besuch abstatte", meinte Barbara dazu. "Obwohl Millemerveilles durch die Fährensphäre innerhalb einer Minute zu erreichen ist bin ich in den letzten Monaten doch sehr wenig bei meinen Eltern gewesen."

"Ich kenne das Gefühl. Die Umsiedlung lenkt einen von allem früheren erst einmal ab", sagte Julius dazu nur. Jeanne meinte:

"Wart mal ab, wenn Martines und Mildrids Mutter loszieht, um für euch beide ein Haus zu finden."

"Es will mir wie wohl vielen anderen nicht in den Kopf, was dieses Latierre-Mädchen und dich endgültig zusammengebracht hat", knurrte Madame Matine. "Ich ging davon aus, daß du für derlei trivialitäten doch etwas zu gut kultiviert seist."

"Hera, es mag jugendlicher Forschergeist oder Leichtsinn sein oder etwas, daß wir beide trotz unserer Erfahrung nicht verstehen mögen", seufzte Professeur Faucon.

"Meine Großtante hat ein schönes Schloß. Solche Leute sind doch nicht unkultiviert, Madame Matine", erwiderte Bruno. Die Heilhexe funkelte ihn giftig an. Doch Bruno hielt ihrem Blick stand. Barbara entgegnete darauf nur noch:

"Du mußt deine Erfahrungen machen, Julius, wie Bruno, Jeanne oder ich. Wenn ich das damals richtig mitgekriegt habe, war es für Millie doch mehr als ein Spiel, was sie mit dir angefangen hat. Ich hoffe für dich, daß das mit euch beiden mehr schönes als ärgerliches gibt."

"Das hoffe ich auch", sagte Julius dazu nur.

Die Kutsche landete um elf Uhr vormittags. Madame Fixus erschien zum Empfang der rückkehrenden Trauergäste und meldete, daß während der beiden letzten Tage keine strafwürdigen Vorkommnisse stattgefunden hatten. Madame Maxime bedankte sich und übernahm offiziell wieder die Ausübung ihres Amtes. Gloria und Julius verabschiedeten sich von den Dusoleils, van Helderns und Madame matine und winkten ihnen noch, als Madame Matine die Reisesphäre nach Millemerveilles heraufbeschwor, die die fünf Mitreisenden einschloß und mit ihnen verschwand.

"In zwei Stunden findet das Mittagessen statt", sagte Madame Maxime. "Genug Zeit, um Ihren Freunden und Klassenkameraden zu berichten, was Sie erlebt haben."

Gloria ging mit Julius bis zu der sternförmigen Halle, von der aus die sechs Säle von Beauxbatons angesteuert werden konnten. Dort sagte sie zu ihm:

"Irgendwie ein komisches Gefühl, daß die anderen jetzt schon in den Ferien sind und wir noch alle Prüfungen vor uns haben."

"Ich denke, Prue und Cho hätten gerne ihre UTZ-Prüfung abgelegt, bevor sie in die Ferien fuhren, Gloria. Ist für die jetzt bestimmt schlimmer, nicht zu wissen, wie's weitergeht als sich noch für irgendwelche Prüfungen abstrampeln zu müssen."

"Ist schon ein merkwürdiger Gedanke, daß Hogwarts jetzt ganz leer ist, nur noch die Bilder und Geister."

"Da sagst du was. Peeves ist uns kein einziges mal quergekommen, als wir in Hogwarts waren", erkannte Julius jetzt erst.

"Womöglich haben sie ihn irgendwie eingekerkert, damit er sich nicht über uns alle lustigmachen kann, Julius. Apropos, Pina hat mir, als du gestern schon in der großen Halle warst erzählt, sie hätten die Patrouille wieder aufleben lassen. Adrian Moonriver von den Gryffindors wäre jetzt auch mit dabei, der dunkelblonde Junge mit den grasgrünen Augen aus der zweiten Klasse, Julius. Das ist ein ziemlich schlauer Bursche. Der hat schon eine ganze Menge drauf. Allerdings hätte es immer Stress zwischen ihmund Lea gegeben, ob sie nun den alten Störenfried ganz aus Hogwarts rausjagen oder nur in Schach halten sollten. Manchmal meint Pina, würde der Typ sich eher wie ein erwachsener ausdrücken. Habe ich irgendwie an dich denken müssen. Nimm mir das bitte nicht übel!"

"Grasgrüne Augen? Aurora Dawn erzählte mir von einem Ex-Lehrer, der solche Augen gehabt haben soll. Könnte sein, daß Moonriver irgendwie mit dem verwandt ist", wandte Julius ein.

"War schon eine lange Sitzung, als er den Hut aufhatte. Irgendwie schien der Hut nicht zu wissen, wo er ihn hinschicken sollte. Naja, vielleicht macht der auch bei der Unterschriftensammlung mit."

"Na, dann könnt ihr ja im nächsten Schuljahr die Peeves-Patrouille wieder richtig in Schwung bringen", sagte Julius. Da hörten sie leises lachen aus einem der Gänge. Julius meinte, daß seien wohl ein paar Blaue und wisperte, daß sie sich am Nachmittag ja noch mal treffen könnten. Sie schüttelte sacht den Kopf und räumte ein, daß er den Nachmittag bestimmt mit Millie verbringen wolle. Da tauchten die Mistral-Zwillinge aus dem Gang auf.

"Hui, da sind ja die Trauerweiden wieder. Was haben die mit dem großen Alten gemacht? Eingebuddelt, verbrannt oder wie 'ne Rakete in den Himmel geschossen?"

"Einen wunderschönen Guten Morgen, ihr beiden", grüßte Julius erst. "Stand es nicht im Miroir?"

"Öhm, kriegen wir nicht", sagte einer der Zwillinge. Gloria sah beide mit versteinerter Miene an. Julius blieb jedoch locker und erwiderte dann:

"Tja, dann müßt ihr natürlich fragen. Die haben ihn in ein Grabmal eingeschlossen, daß aus weißem Feuer und Rauch entstand. Ein ganz erhabenes Schauspiel. Eine Schwadron Zentauren hat einen Bogensalut geschossen, Meerleute haben ein Trauerlied gesungen. War auf jeden Fall das, was professor Dumbledores Ansehen gerecht wurde. Sogar ein echter Riese saß im Publikum, mindestens sieben Meter groß."

"Komm, Hubert, der will uns verarschen", knurrte der ältere der beiden Jungen und zog seinen Bruder mit sich.

"Pech für euch", knurrte Julius, als die beiden davongingen. Gloria lächelte ihn anerkennend an und bemerkte:

"Du bist offenbar lange genug hier, um mit diesen Chaoten umzugehen. Du wußtest, daß die die Wahrheit wohl für blanken Unsinn halten würden."

"Bis sie's in der zeitung nachlesen. Ich denke mal, eure Rita Kimmkorn und unsere Iris Poirot haben das bunt genug ausgewalzt."

"Lino war auch da, Julius. Ich hab's dir nicht erzählt, weil ich die nicht drauf bringen wollte, sich für dich zu interessieren. Sie saß ziemlich weit hinten, fast bei Hagrid und seinem kleinen Bruder."

"Dann hat die wohl genug hören können, um was sensationelles in den Westwind zu bringen", erwiderte Julius.

"Ich seh mal zu, wo Belisama ist. Sie wollte, daß ich mich sofort bei ihr melde, wenn wir wieder da sind."

"Ich kann die mal eben für dich rufen", bot Julius an. Gloria sah ihn erkennend an und strahlte. Er entblößte das Pflegehelferarmband und stellte Verbindung mit Belisama her.

"Wir sind am Strand, weil Fixie im Palast bleiben wollte. Deine neue Gesellschafterin ist auch hier."

"Okay, dann kommen wir zu euch rüber", antwortete Julius und beendete die Verbindung.

"Ich habe keine Schwimmsachen griffbereit", meinte Gloria.

"Ich auch nicht", erwiderte Julius. "Wir müssen da ja nicht schwimmen."

"Natürlich nicht", erwiderte Gloria. So gingen die Beiden wieder zurück in die Eingangshalle, verließen den Palast und suchten das offene Teleportal, das sie ohne körperliche Begleiterscheinungen zum schuleigenen Meeresstrand passieren ließ.

"Wird ja wohl langsam Zeit, Julius!" Rief Millie vergnügt grinsend. Dann winkte sie Gloria und deutete auf mehrere auf dem Strand stehende Bänke. "Bine und San haben uns ein paar Dutzend Strandbänke hingezaubert", sagte Millie, dieJulius entgegenkam. "Virginie hat die Strandwache."

"Gloria sucht Belisama", sagte Julius auf Gloria Deutend. Da kam Belisama auch schon zusammen mit anderen Klassenkameradinnen aus dem weißen Saal.

"Sind von meinen Leuten auch welche hier?" Fragte Julius Millie.

"Culie und Co.? Weiter hinten zusammen mit deinen früheren Leibwächterinnen Céline und Laurentine." Als sie dann auf einer freien Bank saßen und sich leicht aneinanderkuschelten fragte Millie ihn sehr ernst klingend:

"War es sehr traurig für dich?"

"Ich habe erst kurz vor der Zeremonie bemerkt, wie wichtig Dumbledore für mein eigenes Leben war", gestand Julius ein. Millie nickte. "Das hat mich schon ziemlich runtergezogen."

"Immerhin hätten wir beide uns ohne ihn auch nicht kennenlernen können", erwiderte sie leise.

"Das kommt noch dazu", sagte Julius leicht betrübt klingend, bevor ihm klar wurde, daß das bei Millie falsch ankommen konnte. Doch sie tätschelte ihm die linke Schulter und flüsterte ihm ins Ohr:

"solche Sachen fallen einem erst ein, wenn es klar ist, daß alles vorbei ist. Aber erzähl mal von dem Grabmal! Im Miroir stand ja ein längerer Artikel drin, daß da singende Meerleute, Zentauren und ein richtiger Riese bei waren und verschiedene wichtige Hexen und Zauberer."

Julius beschrieb nun das Grab Dumbledores und ging auf einzelne Abschnitte der Beisetzungsfeier ein. Als er dann noch erwähnte, daß er mit Aurora Dawn habe sprechen können mußte Millie leicht grinsen. Dann sagte sie:

"Tja, dann hast du ja im Moment nicht mehr viel von deinem Bild von ihr."

"Was Hogwarts angeht schon. Aber mit ihr selbst kann ich ja noch Verbindung halten."

"Ich habe es gesehen, wie diese Hera Matine noch bei euch eingestiegen ist. War für Maxime bestimmt nicht leicht zu schlucken."

"Mit der hatte ich mich gestern noch, weil sie fand, daß der Riese besser eingesperrt oder umgebracht gehöre und dessen Anblick für schwangere Hexen gefährlich sein könnte."

"Gluck, Gluck, Gluck! Tante Trice hat recht. Diese alte Zeterhexe ist eine überbehütende Glucke", schnaubte Millie. "Gut, Tante Trice hat mit Tante Babs und Tante Josianne auch so manche Quängelei gehabt. Aber deine Ausbilderin ist ja da wohl noch wesentlich bestimmender."

"Madame Grandchapeau hat mir einen Gruß von deiner Mutter überbracht, daß ich ihr doch ruhig mal hätte schreiben können", fiel es Julius ein.

"Das stimmt allerdings", bestätigte Millie. "Tante Trice hätte wohl auch gerne gelesen, wie es dir geht. Aber wenn die Ferien anfangen sind deine Maman und du eh bei uns, um Miriams Ankunft zu feiern, beziehungsweise der ganze Club der jungen Hexenmütter, um das zu feiern, daß alle Kinder gut angekommen sind."

"Vier Wochennach dem Geburtstag? ich denke mal, die haben schon gefeiert", wandte Julius ein. Millie nickte sacht. Dann meinte sie:

"Ja, aber du mußt dir Miriam noch ansehen. Sieht dann wohl auch dann etwas niedlicher aus als bei der Geburt selbst."

"Muß ich das?" Versetzte Julius frech.

"Meine Mutter findet ja, Monju. Immerhin würde die ja irgendwann deine Schwägerin sein. Dann solltest du sie zumindest mal gesehen haben."

"Könnte was dran sein", entgegnete Julius nicht mehr so ernst wie eben noch. Dann unterhielten sie sich noch über die früheren Klassenkameraden von Julius und was in der Zwischenzeit in Beauxbatons so alles gelaufen war.

Der Strandaufenthalt wurde durch das Mittagessen unterbrochen, nach dem Gloria und Julius noch ihre Badekleidung holen konnten, so daß Millie und er den Nachmittag zur Hälfte im wogenden Meer schwammen und auf breiten und flauschigen Tüchern am Strand lagen und die böse Welt der Meuchelmörder und irregeleiteten Schuljungen weit genug von sich fortschieben konnten.

"Dann kommt die Tourrecandide morgen, um dich auf ZAG-Niveau zu prüfen. Hoffentlich kommt die dir nicht mit einem unumkehrbaren Fluch oder sowas."

"Oh, hoffentlich nicht. Wenn die mir Infanticorpore aufhalst kann mich keiner zurückverwandeln, wegen der ungenauen Körperalterungsangaben", sagte Julius.

"Oh, dann könnten sich Catherine und Maman zanken, bei welcher du dann neu groß wirst", nahm Millie den Faden auf. "Solltest du ihr vorher sagen, daß das dann tierischen Ärger gäbe."

"Dann ziehe ich zu deiner Tante Babs auf den Bauernhof oder zu Bines und Sans Eltern."

"Bei Raphaelle würdest du ganz bestimmt nicht verhungern", erwiderte Millie. "Aber das würde die Tourrecandide nicht zulassen, daß dich eine Montferre anlegt und du die ganzen heißblütigen Eigenschaften dieser Linie in dich einsaugst. Droh der Tourrecandide das an! Dann läßt die diesen Fluch sicher weg." Julius mußte grinsen. Millie war immer noch sehr direkt und wie ihre beiden Omas ohne Rücksicht darauf, daß sie anderswo als Dame angesehen werden möge.

"Wißt ihr denn schon, bei wem ihr morgen zuerst habt?" Wollte Julius wissen.

"Pallas", war Millies Antwort darauf. "Fixie hat uns die prüfungspläne schon gegeben. Hat eure Königin die euch noch nicht rübergereicht?"

"Sollte ich Giscard fragen", meinte Julius dazu. Millie hielt ihn sacht zurück.

"Ja, aber nicht jetzt, Monju."

Abends waren die meisten Schüler sehr geschafft vom Sonntag am Strand und gingen früh genug zu Bett, um für die Prüfungen ausgeschlafen genug zu sein.

 

__________

 

"Selber Kakerlaken!" Schrie Hercules am nächsten Morgen um Viertel nach fünf, als die Mariachis mit "La Cucaracha" einen fröhlichen, jedoch gänzlich unerwünschten Weckdienst versahen. Julius überlegte, wie viel Frühsport er sich heute leisten konnte, bevor die Prüfungen anstanden. Er befand, daß ein wenig Übung an der frischen Luft seinem Gehirn bisher den richtigen Schub gegeben hatte und verabschiedete sich von seinen Klassenkameraden, die grummelnd die Vorhänge wieder zuzogen, um bis zum offiziellen Wecken durch den Saalsprecher noch eine halbe Stunde Schlaf zu kriegen.

"Also deine Cousinen sollten sich heute von meinen Klassenkameraden fernhalten", meinte Julius zu Millie, als sie am Quidditchstadion eine lockere Laufrunde hinter sich gebracht hatten.

"Ach, wegen der Señores aus Mexiko? Die waren um fünf Uhr bei uns. Bernie hat diesen Umstand genutzt, noch einmal in ihre Bücher reinzuglotzen, und Caro und Leonnie fragen sich, ob sie Callie und Pennie nicht mal eben kalt abduschen sollen", erwiderte Mildrid. "Jedenfalls haben die sich alle bei mir beschwert, weil ich mit den beiden verwandt bin."

"Wo sind die eigentlich?" Fragte Julius. Normalerweise waren die Latierre-Zwillinge doch auch beim Frühsport dabei.

"Die wollen mit Pattie Marc Armand dazu kriegen, heute und in den nächsten Tagen mitzutrainieren. Damit haben die wohl noch keinen großen Erfolg gehabt." Sie schmunzelte. Dann liefen sie weiter, jedoch nicht mit voller Kraft, sondern gerade so schnell, daß sie eine gewisse Belastung fühlten, ohne dabei erschöpft zu werden. Die Montferres überholten sie dabei andauernd. Dannn tauchten auch die Besitzerinnen der wanderlustigen Mexikaner auf. Sie hatten Marc Armand nicht mitbringen können.

"So'n Mist, daß wir nicht bei den Jungs reindürfen", knurrte Callie. "Pattie hat mit ihrem Süßen gestern noch geredet. Aber als wir im Gemeinschaftssaal waren war der nicht da. Dann kommt der heute auch nicht mehr."

"Ich fürchte, Leute aus meinem Saal könnten euch die fröhlichen Musikanten übelnehmen, die uns heute morgen um viertel nach fünf aufgeweckt haben", meinte Julius.

"Die sollen das nur versuchen", meinte Pennie kampfeslustig. "Dann müssen die halt ihre Bilder zur Wand drehen. Dann können die nicht durch."

"Ja, das könnt ihr doch mit denen machen, wenn ihr sie im Stammbild erwischt", machte Julius einen Gegenvorschlag.

"Könnte die maxime glatt von uns verlangen", knurrte Callie mißmutig. Dann forderte sie Julius auf, mit ihr um die Wette zu laufen. Doch dieser schüttelte den Kopf und verwies darauf, daß die größeren Jungen heute härter geprüft würden als die kleineren Jungs und Mädels.

"Achso, die Tourrecandide will dich heute fertigmachen", schnarrte Callie, bevor sie ein schadenfrohes Grinsen zeigte. Julius nickte unbeeindruckt. Callie lief dann mit ihrer Schwester um das Stadion.

Nach dem Frühstück begrüßte Madame Maxime die acht Hexen und Zauberer, die den ZAG- und UTZ-Kandidaten die praktischen Prüfungen abnehmen sollten. Es waren die selben wie im Jahr zuvor, also auch der Verwandlungsexperte Énas, die Kräuterkundeexpertin Champverd und wie angekündigt Professeur Austère Tourrecandide. Gaston meinte, als er seinen Großvater Artos Perignon wiedersah:

"Nächstes Jahr sind wir bei denen fällig, Leute."

"Nächstes Jahr erst?" Grummelte Julius. Doch dann entspannte er sich. Es waren ja nur drei gesonderte Prüfungen, falls Professeur Fixus es nicht hinbekommen hatte, ihn auch in Zaubertränken durch eine höhere Prüfung zu schicken.

Nach dem Frühstück richteten sich vor allem die Mädchen noch einmal richtig her, um bei den Prüfungen zumindest äußerlich sehr gut zu erscheinen.

Vor dem Kursraum für Verteidigung gegen die dunklen Künste tuschelten die Viertklässler aus dem grünen Saal hektisch über noch nicht ganz sichere Sachen. Doch Julius stand ruhig und unbehelligt da, ohne daß jemand ihn anzusprechen wagte, als umgebe ihn ein unsichtbarer Wall. Dann kam Professeur Faucon, und mit einer einfachen Handbewegung schuf sie sich eine Gasse durch die Schüler bis zur Tür.

"Ich hoffe mal, daß Sie alle heute sehr gut ausgeschlafen, reichlich gefrühstückt und sich nicht gegenseitig im letzten Moment noch verunsichert haben", sprach die Lehrerin, als alle saßen. "Dann darf ich Sie alle recht herzlich zu Ihrer ersten Abschlußprüfung der vierten Jahrgangsstufe begrüßen und Ihnen gleich die Unterlagen für den theoretischen Teil aushändigen. Da ich vor einigen Tagen die Gelegenheit erhielt, mit der Schulleiterin von Burg Greifennest ein kurzes Gespräch zu führen weiß ich, daß unsere Vorgehensweise den dortigen Prüfungsstandards entspricht und sich daher für unsere diesjährige Austauschschülerin, Mademoiselle Waltraud Eschenwurz, keine unbekannten Vorgehensweisen ergeben. Somit bleibt mir nur noch anzumerken, daß Monsieur Julius Andrews wie im Vorjahr auch in diesem Jahr gesonderte praktische Prüfungen zu absolvieren hat. Meine ehrwürdige Kollegin Professeur Tourrecandide wird Sie nach der großen Pause dann examinieren, Monsieur Andrews." Julius nickte, als die Lehrerin ihn ansah.

Wie üblich mußten sie alle mitgeführten Bücher und Aufzeichnungen abgeben, so auch Julius, der seine Centinimus-Bibliothek an professeur Faucon abgab. Dann ging es los, mit besonderem Schreibgerät und Pergament, um vorsätzlichen Betrug zu verhindern. Die Fragen waren die Standardfragen der vierten Klasse, wie stationäre Flüche frühzeitig erkannt und gekontert werden konnten, wie ein niederstufiger Fernfluch abgewehrt werden konnte und über verschiedene mit dunklen Kräften angefüllte Wesen wie Werwölfe und Höhlenschrate, schattengleiche kreaturen, die in alten Naturhöhlen umgingen, in denen Menschen gewaltsam zu Tode gekommen waren. Es ging auch darum, den Ablauf eines Duells theoretisch nachzuvollziehen, wie jemand auf einen direkten Angriff reagieren konnte. Auch wurden die vier stärksten, gerade noch umkehrbaren Körperveränderungsflüche detailliert behandelt, für Julius, der sich damit seit den Sommerferien vor der Einschulung in Beauxbatons sehr genau befaßt hatte eine gute Wiederholung bereits gelernter Sachen, besonders wo es um den Infanticorpore-Fluch ging. Dabei mußte er wieder an das Bild denken, wie Larissa Swann in den Armen ihrer Mutter lag und einfach nur weinte, als sei sie, noch ein Baby, genauso betroffen von Dumbledores Tod wie die Jugendlichen und Erwachsenen um sie herum. Mochte es angehen, daß Larissa kein gewöhnliches Baby war? Er mußte sich wieder konzentrieren, um die noch ausstehenden Fragen zu beantworten. Als Waltraud und er dann als erste mit den Fragebögen und Beispielskizzen fertig waren dauerte es noch zwanzig Minuten bis zur großen Pause und damit zum Ende des Theorieteils. Julius gab sich wieder seinen Eindrücken vom Samstag hin, fühlte, wie ihn eine gewisse Schwermut zu überkommen drohte. Professeur Faucon, die stumm die auf Pergament kratzenden Schüler beobachtete, fing seinen Blick auf. Sie nickte ihm nur zu, sagte aber keinen weiteren Ton. Erst als die Pausenglocke erklang und sie mit "Accio Pergamente" alle Aufgaben- und Lösungsblätter eingesammelt hatte, brach sie das Schweigen. Sie schickte mit Ausnahme von Julius sämtliche Schülerinnen und Schüler hinaus und wandte sich an Julius.

"Ich weiß, die letzten Tage, aber auch die Ereignisse der letzten Monate wiegen Schwer, auch und vor allem im Bezug auf diese Prüfung. Sagen Sie mir jetzt bitte ehrlich, ob Sie die praktische Prüfung mit der geforderten Konzentration und Nüchternheit bestehen können!"

"Das war nur ein Durchhänger, weil ich wohl zu viel Zeit zum nachdenken hatte", wandte Julius ein. Er wußte, daß er es vor sich selbst nicht zulassen wollte, eine Prüfung zu verweigern, weil er sich gerade nicht besonders toll fühlte, wenn es nicht wirklich etwas gravierendes war. Dann sagte er noch sehr entschlossen: "Ich kann und möchte diese Prüfung so machen wie Sie sie vorbereitet haben. Das bin ich Claire und Professor Dumbledore schuldig, die ganz bestimmt wollten, daß ich alles richtig lernen und ausführen kann, was ich lernen kann."

"Damit haben Sie die letzte Möglichkeit verworfen, sich vor der praktischen Prüfung davon entbinden zu lassen. Wenn Sie nach der Pause mit meiner respektablen Vorgängerin und amtlichen Prüferin im Kursraum zusammenkommen, wird sie keine Rücksicht auf eventuelle Gemütsschwankungen nehmen. Seien Sie sich dessen ja bewußt!"

"Natürlich", sagte Julius.

"Gut, dann gehen Sie ebenfalls in die Pause und sammeln sich bei frischer Luft für die anstehende Prüfung!" Beendete Professeur Faucon die kurze Unterredung.

Millie wartete auf dem Pausenhof und blickte sich um. Madame Maxime und Professeur Fixus hatten Pausenaufsicht, um zu verhindern, daß irgendwer irgendwem noch hilfreiche Spickzettel zusteckte.

"Na, war's heftig?" Fragte sie ihn. Er nickte leicht und meinte, daß das ja nur das Aufwärmprogramm war. Er müsse ja gleich durch den Höllenparcours bei Professeur Tourrecandide.

"Oha! Was die wohl dieses Jahr von dir sehen will", grummelte Millie.

Hercules Moulin sphäte einmal zu ihnen herüber. Er stand bei Gérard und Robert, die ohne ihre Freundinnen auf dem Hof noch einmal die letzte Alarmsitzung vor den praktischen Prüfungen hielten. Offenbar hätte Hercules Julius gerne noch was gefragt. Doch dieser meinte ja, sich mit diesem frechen, rotblonden Mädchen zu treffen.

"Sieht nicht gerade so aus, als wäre Culie sonderlich zufrieden mit seinen Leistungen", feixte Millie leise. Julius nickte, machte dabei einen ganz gelassenen Eindruck.

"Ihr macht jetzt noch Geschichte?" Fragte er um von seinen Kameraden abzulenken.

"Ja, den zweiten Block. Ist schon sehr viel heftiger als letztes Jahr noch", grummelte Millie. "Trotz der lockeren Art von Maman Pallas wird die Zaubereigeschichte nicht mein Fach sein, viel zu viel dröger Kram, wenn du darüber was lernen sollst."

"Dann hättest du mal bei Binns haben sollen", erwiderte Julius leicht verbittert. Er fragte sich gerade, ob der Geist, der in Hogwarts Zaubereigeschichte gab, auch vor leeren Klassenräumen seinen drögen Trott durchbringen würde, nicht beachtend, ob jemand ihm zuhörte oder nicht, wo eh keiner ihm länger als zehn Minuten zuhören konnte.

"Binns, in Hogwarts? Achso, das Schnarchgespenst", erwiderte Millie und mußte grinsen. Julius konnte nicht anders als ebenfalls zu grinsen. Als er dann noch sah, wie Bernadette sichtlich vergrätzt zu Madame Maxime hinüberflüchtete, um sich der sie bestürmenden Kameraden zu entledigen, mußte er noch breiter grinsen.

"Dafür ist die dann gut genug", meinte er zu Millie. Diese nickte.

"Die soll froh sein, daß ich mir eher beide Dutteln abschneiden lassen würde, als die genau in einer Prüfung nach irgendwas zu fragen, das ich nicht früh genug in meinen Kopf gekriegt habe", knurrte Millie. "Eigentlich nur schade, daß wir das mit den Herzen nicht heimlich genug machen können", flüsterte sie dann noch. "Aber das würde todsicher auffallen."

"Sagen wir's so, wir müssen die nicht mit der Nase draufstoßen", erwiderte Julius verschwörerisch.

"Kuck mal, euer Culie kuckt schon wieder rüber. Ui, der sieht so aus, als wolle der mich am liebsten verschwinden lassen wie die Quodpot-Aufpasser das mit dieser Lino gemacht haben. Das kriegt ihr dann wohl in Verwandlung", meinte sie. "Hast du dann auch 'ne Sonderschicht, weil du in Bines und Sans Spitzenkönnerkurs bist?"

"Wie wohl auch im letzten Jahr. Frage ist nur, bei wem?" Erwiderte Julius.

"Oh, Fixie ist unterwegs zu uns", wisperte Millie. Julius machte ein Habe-nichts-gemacht-Gesicht, als die Zaubertranklehrerin bei ihnen ankam.

"Ich hoffe, Sie bringen den jungen Mann hier nicht um seine notwendige Erholung, Mademoiselle. Wenn ich richtig orientiert bin erwartet Professeur Tourrecandide ihn gleich zu einer ZAG-äquivalenten Prüfung in praktischen Defensivzaubern", sagte sie mit ihrer weithin gefürchteten Windgeheulstimme.

"Keine Sorge, Professeur Fixus. Ich tue nichts, was ihn irgendwie verunsichert oder runterzieht", erwiderte Millie unbekümmert.

"Wir reden nur über belangloses Zeug, damit wir unsre Gehirne vor dem zweiten Teil wieder lockern können", meinte Julius dazu noch und verschloß seinen Geist.

"Dann Sind Sie beide die einzigen, die das beherzigen", schnarrte Professeur Fixus und kehrte zu ihrer Hofpatrouille zurück.

"Die wollte nur haben, daß wir uns nicht anschmachten und dann übereinander herfallen könnten, um den Frust abzubauen, den die Prüfung uns macht", meinte Millie. "Dabei ist mir das im Grunde totalegal, ob ich in Zaubereigeschichte über zehn Punkte komme oder nicht. Wenn die ZAGs durch sind ist das Fach für mich eh aus der Welt. Ich verstehe Tine bis heute nicht, daß die das bis zu den UTZs durchgezogen hat."

"Vielleicht weil sie's da, wo sie jetzt arbeitet braucht", vermutete Julius abgebrüht.

"Zum apparieren brauchst du doch keine Zaubereigeschichte", erwiderte Millie verwundert.

"Weiß ich, was die im Ministerium für Fächer im Abschlußzeugnis haben wollen?" Wußte Julius die passende Antwort. Millie schüttelte den Kopf.

"Noch zwei Minuten", verkündete Madame Maxime. Millie wartete noch eine Minute ab, bis ihre Kameradinnen sich wieder zum Palast in Marsch setzten. Sie verabschiedete sich mit "Lass dich nicht fertigmachen!" von Julius und gesellte sich dann zu ihren Klassenkameraden. Hercules Moulin setzte sich von den anderen ab und hastete zu Julius hinüber.

"Du bist echt ein Kameradenschwein, Julius. Anstatt uns noch was zu zeigen, wie wir die Faucon noch besser beeindrucken können schäkerst du mit dieser rotblonden Gans rum."

"Moment mal, Hercules! Das Kameradenschwein nimmst du bitte sofort zurück, falls du möchtest, daß ich dir oder sonst wem irgendwann bei irgendwas helfen soll!" Versetzte Julius sehr gereizt. Er stand vor Hercules, als wolle er ihn gleich angreifen, was diesen ebenfalls in eine lauernde Haltung verfallen ließ. "Abgesehen davon ist das in der großen Pause, noch dazu wo Madame Maxime und Professeur Fixus Aufsicht haben eh nicht drin, euch noch irgendwas vorzuführen, wo die mich gleich extraheftig durch den Wolf drehen wollen. Wenn du mir da nicht die paar Minuten Ruhe gönnst, dann frage ich mich, wer da wirklich das Kameradenschwein ist."

"Ja und, die meinen ja, dir schon die ganzen ZAG-Sachen reinknallen zu müssen. Da könntest du uns ruhig was von abgeben, wie sich das gehört."

"Dann würde ich Ihnen empfehlen, die entsprechenden Freizeitkurse zu besuchen, Monsieur Moulin", tönte eine sehr ungehaltene Stimme aus etwa drei Metern Höhe herab. Beide Schüler standen im langen und breiten Schatten Madame Maximes, die sich unbemerkt von beiden von der Seite herangepirscht hatte. Hercules warf seinen Kopf in den Nacken. Er lief von einem zum anderen Moment knallrot an, als das strenge Gesicht der halbriesischen Schulleiterin ihn sehr genau musterte. Julius meinte ruhig:

"Abgesehen davon machen die das nur mit mir, weil die meinen, ich könnte das. Wenn die das von dir auch meinen, dann werden sie es dir auch beibringen."

"So verhält es sich, Monsieur Andrews", bestätigte Madame Maxime. "Sie, Monsieur Moulin, begeben sich nun unverzüglich, sofern sie nicht noch dringend ein Badezimmer aufsuchen müssen, zu ihrem Kursraum. In einer Minute ist Pausenende, und meine Kollegin würde Ihnen für die Verspätung sicherlich mehr als zwanzig Strafpunkte erteilen."

"Ich darf in den Gängen nicht rennen, Madame", versetzte Hercules nun frech. Dafür bekam er zehn Strafpunkte ab und die Aufforderung, sich schleunigst auf den Weg zu machen, wenn er nicht gleich hier noch zwanzig weitere Strafpunkte erhalten wolle. So ging Hercules ohne weiteres Wort an Julius' Adresse und betrat den Palast.

"Schon eine ziemliche Unverfrorenheit, Sie kurz vor einer wichtigen Prüfung derartig aufzuwühlen", knurrte Madame Maxime. Julius dachte nur bei sich, daß er ja nur die Viertklässlerprüfung machen müsse und die echten ZAGs ja erst im nächsten Jahr fällig seien. Laut sagte er das natürlich nicht. Die Schulleiterin entfernte sich. Doch dafür erschien, wie bei einem Wetterhäuschen, Professeur Tourrecandide. Sie sah Julius prüfend an und befahl dann, ihr zu folgen.

"Fühlen Sie sich körperlich und vor allem geistig-seelisch im Stande, die nun anstehende Prüfung zu bewältigen?" Fragte die amtliche Prüferin ihn, als sie in einem kleinen Kursraum standen. Julius bejahte die Frage mit fester Stimme und entschlossenem Nicken. Damit tat sich für ihn der Vorhof zur Hölle auf. Denn die nächsten zwanzig Minuten waren geprägt von wilden Duellen, wobei Professeur Tourrecandide ihn auf seine Reaktionsschnelle testete, seine Schildzauber in schneller Folge zusammenbrechen ließ und ihn mit gekoppelten Flüchen richtig zum Schwitzen brachte. Als sie dann noch anfing, die Formel für den Infanticorpore-Fluch zu singen, übersprang Julius' Herz einen Schlag. Wie ging noch mal die Gegenformel? Knapp vor dem letzten entscheidenen Wort der Lehrerin schaffte er es, den ihm drohenden Zauber abzublocken, so das eine Wand aus goldenen Funken vor ihm zersprühte und er froh war, nicht diese Schwerelosigkeit im goldenen Licht zu empfinden, die ihm zeigte, daß die Verwandlung einsetzte.

"Öhm, entschuldigung, Professeur Tourrecandide, aber Professeur Faucon hat Sie sicherlich darauf hingewisen, daß wegen dieser Sache im Sommer jeder mich treffende Infanticorpore unumkehrbar ist."

"Ja, hat sie. Deshalb habe ich auch langsam genug gesprochen, um Sie dazu zu veranlassen, entweder dagegenzuhalten oder sich aus der Bahn zu werfen, wenn das entscheidende Wort fällt. Da Sie offenbar die Abwehrformeln tief genug verinnerlicht haben, stehen Sie jetzt noch auf ihren eigenen gut entwickelten und erprobten Beinen und können mit mir sprechen. Infanticorpore ist Bestandteil des theoretischen und des praktischen Übungsabschnittes der fünften Klasse. Ich mußte Sie also dahingehend erproben, ob Sie sich seiner bewußt werden und, wie Sie es mir vorgeführt haben, sich seiner effektiv erwehren können. Andernfalls hätte diese Prüfung nicht die ZAG-Standardbewertung erfüllen können."

"Ja, aber wenn ich mich jetzt nicht hätte wehren können", begehrte Julius auf.

"Hätten Sie sich wohl noch rechtzeitig aus der Zielausrichtung geworfen. Körperlich sind Sie meines Wissens nach sehr gut geübt. Das hätte Ihnen zwar einen Abzug wegen Abbruch der Erprobung eingetragen, aber wegen erwähnter Besonderheit Ihres körperlichen Zustandes nur die Hälfte der abzuziehenden Bewertungspunkte gefordert. Ich habe natürlich kein Verlangen, einen Prüfling unrettbar zu verfluchen oder auf Grund einer unumkehrbaren Veränderung für sein weiteres Wohlergehen Sorge zu tragen. Hätten Sie sich darauf eingelassen, daß ich Sie mit dem Fluch belege, hätte ich mich vor Ihren Lehrern, Ihrer Mutter und Ihrer magischen Fürsorgerin verantworten und dazu verpflichten müssen, Ihnen einen angemessenen Neuanfang zu ermöglichen."

"Bei Catherine wäre das im Moment wohl kein Problem", grummelte Julius leise. Doch Professeur Tourrecandide hörte es.

"Sie meinen, Ihre Fürsorgerin hätte dann für Ihr erzwungenes Neuaufwachsen sorgen können, da sie selbst zurzeit ein Kind im Säuglingsalter hat? Das wäre dann die Frage gewesen, ob sie sich darauf hätte einlassen wollen und können, Monsieur Andrews. Machen wir erst einmal zehn Minuten Pause, bevor ich zum letzten prüfungsabschnitt komme."

Julius dachte sich, daß jeder ZAG-Schüler gerade zehn bis fünfzehn Minuten geprüft wurde. Insofern könnte Tourrecandide einfallen, gleich die UTZ-Sachen hinterherzuschieben. Sie beschwor eine Karaffe Wasser herauf und füllte Julius ein großes Glas, damit er seinen durch die Anstrengung stark erhitzten Körper etwas herunterkühlen konnte.

"Sie sind auf jeden Fall schneller geworden als im letzten Schuljahr, und das will schon was heißen", lobte sie Julius. Sie sprachen über einiges, was im Theorieteil abgefragt worden war, dann kam die zweite Runde. Julius erkannte nun, daß sie hauptsächlich mit ungesagten Zaubern hantierte und konnte im wesentlichen nur Schildzauber ohne Ende machen. Dann sollte er stationäre Flüche finden und auslöschen, unter anderem Decompositus, einen tückischen Objektfluch, der bei Berührung zum sofortigen Tod und Zerfall eines lebenden Wesens führte. Als diese Runde überstanden war, nahmen sich die altehrwürdige Lehrerin und ihr Prüfling die verbleibende Zeit, um noch einmal über die Ereignisse der letzten Monate zu sprechen. Als sie dann über die Beisetzung Dumbledores sprachen und Julius das kleine Mädchen Larissa erwähnte, daß genauso traurig gewesen war, fragte er, ob dieses Mädchen nicht eher vom Infanticorpore betroffen gewesen sein könnte, er das aber keinen zu fragen gewagt habe.

"Nun, einerseits vermögen Kinder im Säuglingsalter zunächst einmal nicht viel von ihrer Umwelt mitzubekommen, jedoch zumindest zu spüren, welche Stimmung um sie herum herrscht. Mag sein, daß Larissa Swann deshalb geweint hat, weil ihre Mutter traurig war. Andererseits würde Infanticorpore erklären, wie eine alleinstehende Hexe ohne Kenntnis der restlichen Zaubererwelt an ein Kind kam, knapp neun Monate nachdem ... Am besten reden wir da nicht weiter drüber, Julius. Es könnte Angelegenheiten berühren, in die Sie besser nicht involviert werden." Den letzten Teilsatz sprach sie beinahe stimmlos mit einem noch ernsteren Gesichtsausdruck als sie ihn ohnehin schon bot. "Am Besten erwähnen Sie diese Begebenheit auch keinem und keiner anderen gegenüber, der oder die nicht von sich aus dazu etwas zu sagen meint!" Raunte sie dann noch. Julius fühlte, wie hunderte von Gedanken durch seinen Kopf rasten, als wäre in seinem Schädel ein Bienenstock angestoßen worden, und die Arbeitsbienen jagten umher, um die Gefahr von außen zu bekämpfen. Dann schien irgendwo was einzurasten, und der Gedankenwirbel ebbte ab. Larissa war drei Monate alt gewesen, als er sie in Viento del Sol gesehen hatte. Genau ein Jahr vorher hatte Peggy Swann, Larissas Mutter, ihre eigene Mutter in einem Springschnapperfeld verloren. Also im Grunde war Larissa Senior neun Monate vor Larissa Junior gestorben, ohne eine Leiche zu hinterlassen, denn Springschnapper ließen nichts von ihren Opfern zurück. Wenn er nicht einmal davon gehört hatte, daß es sowas gab, würde er den daraus entstehenden Gedanken als total unhaltbar und irrsinnig ansehen. Andererseits konnte das ja doch ein blanker Zufall sein, und Peggy Swann hatte halt nur jemanden in der Muggelwelt gefunden, der sie über den Verlust ihrer Mutter hinweggetröstet hatte, den sie jetzt nicht mehr damit behelligen wollte, daß dabei etwas mit Hand und Fuß herausgekommen war. Doch offenbar war Professeur Tourrecandide auch dieser Meinung, weil sie sonst nicht so merkwürdig ernst geklungen hätte. Mochte aber auch daran liegen, daß sie die Lebensumstände dieser Peggy Swann wesentlich besser kannte als Julius. Es gab Sachen, über die niemand sprechen mochte, in der Muggelwelt wie in der der Zauberer.

"Irgendwie ist das ein merkwürdiges Gefühl, daß Gloria Porter und ich unsere Jahresendprüfungen machen können, während unsere früheren Klassenkameraden in Hogwarts das nicht konnten", sagte Julius.

"Haben Sie deshalb ein Schlechtes Gewissen?" Fragte Professeur Tourrecandide.

"Das nicht, nur so ein Gefühl, bevorzugt zu werden, weil die anderen vielleicht nicht die Gelegenheit kriegen, die Klasse richtig abzuschließen. Da wird's wohl einige geben, die sich eher darüber gefreut hätten, wenn das nicht wegen Dumbledores Tod passiert wäre.

"Madame Maxime hat Mademoiselle Porter und Ihnen sicherlich verdeutlicht, daß Sie beide den Schulregeln der Beauxbatons-Akademie unterworfen sind, die sich nicht danach ausrichten, was in anderen Schulen aus unerwarteten Gründen veranlaßt und durchgeführt wird." Julius nickte. "Nun, dann besteht Ihrerseits kein Grund, sich darüber mehr Gedanken zu machen als nötig ist. Besonders dann, wenn Sie noch mehrere Prüfungen zu absolvieren haben", erwiderte Professeur Tourrecandide sehr entschieden. Dann erklärte sie den von ihr abzunehmenden Prüfungsabschnitt für erfolgreich beendet, notierte das Gesamtergebnis für ihre fest angestellte Fachkollegin und beglückwünschte Julius dazu, daß er soeben den ZAG-Standard für Protektion gegen die destruktiven Formen der Magie erfüllt habe.

"Da Sie erst im nächsten Jahr eine offizielle Zwischenprüfung bestehen sollen, kann meine Beurteilung nur in die allgemeine Notengebung einfließen. Aber wie Sie letztes Jahr erfahren durften, kann sich das sehr positiv für die Gesamtbewertung auswirken. Vielen Dank für Ihre Einsatzbereitschaft und Leistung!"

Julius kehrte mit ihr zum Kursraum der Viertklässler zurück, wo bereits die Hälfte der normal zu prüfenden fertig war. Hercules hatte es nicht geschafft, einen Dauerspringfluch abzuwehren und war nach Laurentines Aussage "wie ein Floh" zum Krankenflügel gesprungen.

"Du hast es aber geschafft?" Erkundigte sich Julius leise, wwo Professeur Tourrecandide dabeistand.

"Ja, habe ich", sagte Bébé Hellersdorf, und ein triumphierendes Lächeln umspielte ihre Mundwinkel. "Das bin ich Claire schuldig."

"Was hat Sie denn von dir so abverlangt, was wir angeblich noch nicht können?" Fragte Céline Dornier und deutete auf Professeur Tourrecandide, die scheinbar teilnahmslos wartete.

"Mehrere höhere Flüche, darunter auch Infanticorpore", flüsterte Julius leise. Céline erschrak.

"Den hat die an dir ausprobiert?" Stieß sie aus. Professeur Tourrecandide erwachte aus ihrer teilnahmslosen Haltung und fegte heran.

"Da drinnen sind noch Kameradinnen von Ihnen, Mademoiselle", zischte sie. "Außerdem ist es legitim, ZAG-Standardzauber auch in Praxi zu prüfen, zumindest deren Abwehr. Merken Sie sich dies gut! Es könnte Ihnen ja widerfahren, von mir im nächsten Jahr examiniert zu werden." Céline erbleichte noch mehr als üblich. Dann wurde der nächste Prüfling aufgerufen. Professeur Faucon bekam bei dieser Gelegenheit die Notizen ihrer älteren Fachkollegin, nickte anerkennend in Julius Richtung und verschwand mit ihrem nächsten Kandidaten wieder im Kursraum. Professeur Tourrecandide verabschiedete sich von Julius und den anderen und ging davon.

"Wenn die dich mit diesem Baby-Fluch erwischt hätte ...", stöhnte Céline.

"Hätte Catherine Brickston mich mit Claudine zusammen in ein Bett legen können", vollendete Julius Célines Gedankengang.

Als die Prüfungen vorbei waren fragte Céline, ob Professeur Faucon ihrer Kollegin nicht gesagt hatte, daß Julius diesem Fluch nicht unterworfen werden dürfe.

"Offenbar wäre es günstiger gewesen, Ihr Kamerad hätte Ihnen nicht sagen dürfen, welche Prüfungen er hat bestehen müssen. Denn die Tatsache, daß er alles wohlbehalten überstand, scheint Sie nicht zu beruhigen, Mademoiselle Dornier", schnarrte Professeur Faucon. "Ich konnte ihr lediglich nahelegen, die dem Infanticorpore-Fluch zu Grunde liegenden Worte so langsam zu sprechen, daß der Fluch noch gewirkt hätte, aber auch rechtzeitig gekontert werden konnte, falls Ihr Kamerad nicht im letzten Moment befunden hätte, sich in Deckung zu werfen, um ihm zu entrinnen."

"Ich wollte Ihre Entscheidungen nicht kritisieren, Professeur", beteuerte Céline eventuellen Strafpunkten vorbeugend. Die Lehrerin nickte dazu nur, verlor dazu aber kein weiteres Wort.

Mittags sahen sie Hercules wider.

"Sempersaltus-Fluch. Den vergesse ich nicht mehr", schnaubte er nur. "Hättest du mir den nicht vorher erklären können, anstatt mit diesem Latierre-Luder rumzuturteln?"

"Den habe ich dir erklärt, Hercules. Als wir die höheren Bewegungsdrangflüche durchgenommen haben. Robert und Gaston waren dabei."

"Stimmt, hat er recht", bestätigte Gaston schadenfroh grinsend. Hercules errötete leicht. Julius verzichtete, ihn noch einmal dazu aufzufordern, das Kameradenschwein von der Pause zurückzunehmen. Wenn er mit Belisama oder sonst wem zusammengestanden hätte wäre ihm das ja nie in den Sinn gekommen. Sollte er also nicht so eng sehen.

 

__________

 

So folgte Prüfung auf Prüfung. Gegenüber Verteidigung gegen die dunklen Künste war Zaubertränke für Julius ein Strandspaziergang nach einer wilden Schlacht. Auch wenn er wie Bernadette und Waltraud Sondersachen in der Prüfung machen mußte fühlte er sich nicht einen Moment unter Druck. Bernadette blickte Waltraud biestig an, weil diese offenbar einen der Sondertränke überragend gut hinbekommen hatte.

In Zauberkunst prüfte Professeur Bellart Julius zusammen mit den anderen, wenngleich sie selbst auch ZAG-Standardzauber von ihm verlangte, sowohl im Theorie als auch im Praxisteil.

Astronomie war ein Heimspiel für Laurentine und Julius. In Arithmantik taten sich bis auf Gloria und Julius alle schwer mit den Aufgaben. Diesmal sollten sie aus den Lebensdaten verschiedener Menschen eine ungefähre Verhaltensvorhersage im Bezug aufeinander machen. Millie fragte Julius nach den Prüfungen zu einzelnen Punkten ab und schien sichtlich erleichtert, doch was richtig gemacht zu haben.

Nach der ersten Prüfungswoche wartete Madame Maxime mit einer Auskunft auf, die alle doch sehr überraschte. Es war am Samstag morgen beim Frühstück, als sie eine Posteule bekam und den Brief gelesen hatte. Sie erbat sich die absolute Aufmerksamkeit der Schüler und sprach mit kühler Betonung:

"Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, liebe Schülerinnen und Schüler. Ich ging eigentlich davon aus, daß wir hier in der Beauxbatons-Akademie trotz der sehr betrüblichen Ereignisse in unserer Partnerschule Hogwarts das Schuljahr wie üblich beenden werden. Jedoch habe ich heute, ausgehend von einem Gespräch mit verschiedenen Schulleiterkollegen am Tage von Professeur Dumblydors Beisetzung, einen Brief erhalten, demnach sich alle Schulräte Europas, sowie die für Bildungsfragen zuständigen Ministerialabteilungen der führenden Länder Europas, dahingehend geeinigt haben, daß unabhängig von dem offiziellen Ende des laufenden Schuljahres sämtliche Schulen zum Zeichen der Solidarität mit den Kollegen und Schülern von Hogwarts dazu bereiterklärt haben, das laufende Schuljahr mit Ende der prüfungen abzuschließen, also den restlichen Unterricht bis zum Schuljahresneubeginn zu suspendieren. Ich wurde gefragt, ob meine Kollegen und ich bereit seien, uns an dieser Solidaritätsaktion zu beteiligen. In großem Gedenken an einen sehr respektablen Kollegen der magisch-akademischen Welt, haben die Saalvorsteherinnen und -vorsteher und ich im Einvernehmen mit den Schulräten von Beauxbatons befunden, daß wir uns an dieser Aktion reinsten Gewissens beteiligen können. Mit anderen Worten, wenn nächste Woche Freitag die letzten Abschlußprüfungen abgenommen worden sein werden, findet am kommenden Samstag der Schuljahresabschlußball statt, bei dem sich, wie unsere Tradition es gebietet, die uns ehrenvoll verlassenden Schüler von ihren Verwandten und Freunden aus den unteren Klassen verabschieden können. Somit wird die allgemeine Rückreise in Ihre Heimatorte dann am Sonntag der kommenden Woche erfolgen, nicht wie ursprünglich vorgesehen erst zwei Wochen später." Viele Schüler machten Anstalten, laut zu jubeln. Doch das würgte Madame Maxime mit einem sehr lauten Räuspern ab. "Es ist korrekt, daß für Sie und uns dann längere Sommerferien anstehen, Mesdemoiselles et Messieurs. jedoch steht in der heute offiziell bestätigten Gemeinschaftserklärung der Schulleiter und Schulräte nicht drin, daß der Lehrkörper darauf verzichten solle, Ihnen allen für den Unterrichtsausfall angemessene Hausarbeiten aufzuerlegen."

"Wäre auch zu schön gewesen", knurrte Hercules. Offenbar fanden die meisten das auch, weil ein mißmutiges Murren durch den ganzen Speisesaal klang.

"Also bündeln Sie alle Ihre Kräfte für die letzte Prüfungswoche, die zugleich auch die letzte Woche des laufenden Schuljahres sein wird! Erweisen Sie sich dieser Ausnahme dankbar und erbringen Sie die von Ihnen geforderten leistungen oder übertreffen Sie diese, wenn Sie es vermögen! Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!"

"Die kann nicht einfach mal sagen, so jetzt machen wir auch schluß", knurrte Hercules. "Die muß uns allen dann noch einen reinwürgen. "Dafür kriegen Sie dann noch was zusätzlich auf". Mist sowas!"

"Nimm's locker, Culie! Zumindest kannst du dir ab nächster Woche dann keine Strafpunkte mehr einhandeln", stichelte Gaston Perignon. Hercules schnaubte angriffslustig und scharrte mit den Füßen. Doch mehr traute er sich dann doch nicht, wo Madame Maxime ihm zusehen konnte. Es könnte ihm ja dann immer noch passieren, daß die Schule für ihn noch früher zu Ende war und das dann endgültig.

Um sich von den noch anstehenden Prüfungen abzulenken war allgemeines Strandwochenende. Millie und Julius nutzten das dankbar aus. Sie liefen, schwammen und turnten unter dem Einfluß des Schwermachers. Einmal sagte Millie:

"Dann wird Maman dich wohl schon am Montag nach den Prüfungen zu uns einladen. Allerdings hörte ich auch, daß Jeannes Kind um den Dreh kommen soll. Könnte Bruno und ihr dann auch in den Kram passen, uns alle zur Willkommensparty einzuladen, wenn die Schule da schon vorbei ist. bin mal gespannt, ob ich mit 'ner kleinen Schwester zurechtkomme."

"Du hast doch gut an Cythera üben können", meinte Julius.

"Ja, aber das ist doch was anderes, wenn ich zu dem Kind dann noch irgendwie lieb sein soll und es nicht nur umpacke und dann weit weg in einen anderen Saal zurückgehen lasse", meinte Millie. "Außerdem wohnt Tine noch bei uns, solange die nicht doch wen findet, der sich von ihr auf den Besen heben läßt."

"Miriam schläft doch bei deinen Eltern im Zimmer, oder?"

"papa hat Maman dazu verdonnert, es wie Oma Line zu halten und mit der Kleinen ein Mutter-Kind-Zimmer zu bewohnen, solange die mitten in der Nacht noch Hunger kriegt. Oma Teti meinte zwar, daß er das nicht machen solle, wenn er seine jüngste Tochter wirklich gernhabe, aber er meinte was von wegen viel zu viel Geschrei und Schlaflosigkeit."

"Deine Mutter hat jetzt Mutterschaftsurlaub?" Fragte Julius.

"Knapp vor der Geburt hat sie den angefangen. Aber sag jetzt nicht, daß ihr das gefällt, nur noch Trinknapf und müllabfuhr für Miriam zu sein. Zumindest meinte Tine, daß sie schon etwas grummeliger ist als sonst. Na ja, aber du wirst das ja irgendwie auch mitkriegen, wie das mit einem Baby im Haus ist."

"Mit dem feinen Unterschied, daß zwischen dem und mir immer eine Tür zugeschlossen wird, wenn ich müde bin", meinte Julius biestig. Millie kniff ihm dafür in die Nase. Dann meinte sie:

"Genieß das. Denn wenn du mir eins unten reingelegt hast schlafen wir beide dann bei dir im Zimmer, bis es alt genug ist, ein eigenes Zimmer zu kriegen."

"Oh, das wird lustig. Bis ich vier war habe ich bei meinen Eltern im Ehebett mitgeschlafen", konterte Julius. Doch das war vielleicht nicht so toll, erkannte er, als Millie gegenhielt:

"Ja, deshalb haben deine Eltern ja nur dich bekommen können. Ich kann nicht immer behaupten, daß eine große Schwester das tollste ist, was es gibt. Aber irgendwie habe ich dabei doch schneller gelernt, worauf es ankommt."

"Meinst du. Dann kann Miriam von euch beiden ja lernen, wie das ist, mit zwei großen Schwestern klarzukommen. Aber du bist jetzt Sandwich-Kind. Was die kleine noch darf darfst du schon lange nicht mehr und was die große schon macht darfst du noch nicht", fand Julius, Millie Paroli bieten zu können.

""Wenn die Tourrecandide dich echt mit dem Infanticorpore erwischt hätte würdest du sowas nicht mal denken, wie toll das ist, noch klein und hilflos zu sein. Und was die Sachen großer Mädchen angeht, Monju, weißt du besser als alle anderen hier, wie egal mir das war." julius nickte nur.

"So, und jetzt noch 'ne Runde Rückenschwimmen, damit wir alle Arten mal durchgezogen haben!" Bestimmte sie die nächste Leibesübung. Julius zog ihr zwar erst einige Längen davon, wurde dann aber von ihr eingeholt. Dann kamen auch noch die Zwillinge von Barbara Latierre und schossen förmlich an ihnen vorbei, als wollten sie zu den nächsten olympischen Spielen. Das veranlaßte Julius auch, ihnen nachzurufen:

"In die richtung einige Tage weiter, dann Richtung Sonnenaufgang, bis ihr durch den Suezkanal seid. Dann immer südöstlich halten! Dann kommt ihr rechtzeitig nach Sydney!"

"Was ist denn Sydney? Und was sollen wir da?" Erwiderte Calypso Latierre, warf sich in Brustlage und schwamm zu Millie und Julius. Er erzählte ihr dann, daß da in drei Jahren die nächsten olympischen Sommerspiele der gesamten Muggelwelt seien, wo verschiedene Land- und Wassersportarten als Wettkampf ausgetragen würden.

"Zu langweilig, wenn du dabei nicht fliegen oder zaubern darfst", meinte Callie und sauste wilde Wellen schlagend zu ihrer Schwester zurück.

"Die würden euch da auch nicht mitmachen lassen, weil die denken, ihr seid gedopet", grinste Julius. Millie hielt ihn an, weiterzuschwimmen und sich nicht so faul auf dem Salzwasser dahintragen zu lassen.

 

__________

 

Kräuterkunde am Dienstag erwies sich für Julius und Waltraud als paradedisziplin in den magischen Schulfächern. Professeur Trifolio freute sich wie ein kleiner Junge, dem der Weihnachtsmann einen ganzen Sack Geschenke dagelassen hatte. "Dafür kann ich Ihnen dieses Jahr ganz überzeugt die Höchstnote geben." Gloria, die trotz großer Hilfe von Belisama und Constance eher durchschnittlich abgeschnitten hatte, nickte ihrem früheren Schulkameraden schwerfällig zu.

Als dann am Mittwoch die vierte Klasse der Grünen Verwandlung hatte, waren einige wohl in Gedanken schon auf dem Heimweg. Das merkte Professeur Faucon und drohte sehr unmißverständlich:

"Sollte jemand jetzt schon in den Ferien sein, so wird er oder sie unter Umständen eine Woche später als die übrigen nach Hause fahren. Denn wenn hier jemand heute wegen geistiger Abwesenheit unter acht von fünfzehn Punkten abschneidet, werde ich mit Madame Maxime keine Probleme haben, diejenigen in der nächsten Woche nachsitzen zu lassen, bis das von mir gesteckte Klassenziel erreicht ist, damit wir uns ganz klar verstehen."

Julius bekam wie im Vorjahr einen Extraaufgabenzettel, wo er die praktischen wie gesetzlichen Abwägungen der Dematerialisation und Materialisation darlegen sollte. Er erwähnte bei gesetzlichen Bestimmungen zur Beschwörung toter Dinge, daß eine Verordnung zur Aufrechterhaltung des gesellschaftlichen Friedens nach beschworene Objekte wie Möbel oder Textilien nur solange stofflich bleiben durften, wie sie mittelbar gebraucht würden, da sonst der Bedarf an handwerklicher Produktion verschwinden und es zu Unstimmigkeiten zwischen den Schichten der Gesellschaft kommen würde.

"Sehr schön", sagte Professeur Faucon, als sie beim Klang der Pausenglocke die Unterlagen einsammelte. "Ich sehe, viele von Ihnen möchten wahrhaftig am Sonntag nach Hause fahren, daß sie mir zumindest alle Aufgaben beantwortet haben."

"Wenn wir diesen Sonntag schon nach Hause fahren, wie können Sie dann bis dahin alle Arbeiten korrigieren?" Fragte Laurentine, die sich wunderte, daß eine Prüfungsarbeit so schnell bewertet werden sollte.

"Das mache ich alles morgen. Heute ist meine letzte Prüfung in diesem Jahr", erwiderte die Lehrerin. "Abgesehen davon konnte ich während der freien Stunden schon genug Arbeiten durchsehen und bewerten. Alles eine Frage der Arbeitseinteilung."

"Dann bis gleich", meinte Hercules leicht verlegen. Professeur Faucon nickte ihm zu, winkte dann Julius zu sich heran und sagte ihm, während alle anderen hinausgingen, daß er nach der Pause von ihrem Vorgänger in Verwandlung, Professeur Alexandre Énas, geprüft würde. Julius erwiderte, daß er dann auf dem Pausenhof warten würde, bis er abgeholt würde.

"Also mit der theoretischen zauberkunst habe ich's nicht", knurrte Millie. "Da werde ich wohl heftig durchrutschen. Hoffentlich kann ich das mit dem praktischen Zeug wieder rausreißen."

"Das wünsche ich dir, Millie. Nachher mußt du noch 'ne Woche hierbleiben. Zumindest hat Professeur Faucon uns das angedroht, wenn jemand sich durchhängen läßt."

"Das könnte Bernie so passen. Die hat erst sieben Rollen vollgeschrieben und dann gelangweilt dagehockt, als wenn das für sie doch bloße Zeitverschwendung sei."

"Tja, wenn sie durchrasselt und die Prüfung nachholen muß war's das dann ja auch", feixte Julius. Millie glotzte ihn verdutzt an. Dann knurrte sie:

"Die würde schon eine Nachholprüfung verlangen, wenn sie vierzehn von fünfzehn erreichbaren Punkten macht. Die rasselt nicht durch, nicht in dem Jahr. Will dich wieder wer von den altehrwürdigen Hexen oder zauberern prüfen?"

"Professeur Énas, Millie."

"Ui, bei dem hatte Oma Line schon Verwandlung. Ist 'n witziger Typ, ißt gerne viel Süßkram. Was ja jeder sehen kann und kann sogar Englisch."

"Da bin ich ja mal gespannt", meinte Julius.

Als dann alle anderen Schüler zum zweiten Prüfungsteil in die Schule zurückkehrten, stand er nur eine Minute alleine auf dem Hof. Dann erschien, eingehüllt in einen blauen Samtumhang, der kleine, untersetzte Zauberer Énas. Sein silberweißer Haarkranz glänzte in der Sonne, und sein zigenbockartiger Spitzbart wippte bei jedem ausladenden Schritt vor und zurück. Julius fühlte sich leicht an Slughorn erinnert, als der zauberer vor ihm hintrat. Er witterte einen leichten Hauch von Lakritze.

"Ah, da sind Sie ja, Monsieur Andrews", sagte Alexandre Énas erfreut. "Bitte geleiten Sie mich in einen reservierten Kursraum!"

Julius folgte ihm folgsam. Als sie im kleinen Kursraum waren, wo er letzte Woche die Sonderprüfung in Verteidigung gegen die dunklen Künste abgelegt hatte gebot der Prüfer Julius, sich hinzusetzen. Dann sagte er ruhig:

"An und für sich nehme ich Sonderprüfungen in Verwandlung sehr gerne selbst ab. Leider fand im letzten Jahr gleichzeitig eine wichtige Besprechung statt, der ich beiwohnen mußte. Wie ich hörte, sollen Sie bei meiner Kollegin Champverd sehr gut abgeschnitten haben, auch wenn sie betonte, daß Verwandlung eigentlich nicht Ihr schulisches Hauptgebiet sei. Nun, da Sie dieses Jahr wohl noch mehr erlernt haben, wie mir meine jüngere Fachkollegin Blanche Faucon zuversichtlich mitteilte, werde ich wohl heute einiges zu sehen bekommen." Er fischte in seine Umhangtasche und förderte einen Schokofrosch zu Tage. Er öffnete ihn und zog die Karte hervor. Julius meinte, im Boden versinken zu müssen, als ihn das freundlich lächelnde Gesicht von Albus Dumbledore entgegenblickte. "Oh, den wollte ich Ihnen bestimmt nicht zeigen, Monsieur", sagte Énas an den Ohren errötend. "Das hätte ich bedenken müssen, daß das Bild meines hochgeschätzten Kollegen ja auf den Schokofroschkarten zu finden ist. Ich hoffe, ich habe Ihren Elan damit nicht gleich vom Beginn an zerstreut."

"Ich habe versprochen, ihm zu Ehren alle Prüfungen zu schaffen, Professeur Énas", sagte Julius entschlossen. "Bitte fangen Sie an!"

"Sie nehmen mir die Worte aus dem Mund", sagte Énas. "Führen Sie bitte mal was vor. Blanche, für Sie natürlich Professeur Faucon, erwartet, daß ich Sie auf ZAG-Niveau prüfe. Dann machen Sie bitte was entsprechendes!"

"Öhm, was genau?" Wollte Julius wissen. Énas schob sich den Schokofrosch in den Mund. "Letztes Jahr habe ich bei Ihrer Kollegin einen vollen Eimer Wasser ohne ausschütten geleert."

"Dann zeigen Sie mir das noch mal!" Verlangte Énas auf eine Weise, die nicht sonderlich streng aber doch irgendwie verbindlich klang, als wolle ein Großvater sehen, wie sein Enkel den Fußball ins Tor köpfte, weil der ihm das stolz erzählt hatte. Julius sah sich um. Es war kein Eimer im Raum. Er zeichnete einen Eimer in die Luft, bevor ihm einfiel, daß das wohl als Angabe rüberkommen mochte und wollte schon abbrechen, als der Lehrer sagte:

 

"Wenn schon dann konsequent, Monsieur." Der bis dahin nur flimmernde und sich fast wieder zerstreuende Schemen verfestigte sich zu einem leeren Putzeimer. Énas füllte ihn mit einem Zauberstabstupser randvoll mit Wasser. Julius richtete den zauberstab auf den heraufbeschworenen Behälter und sagte "Evanesco!" Mit leisem Plopp verschwand das Wasser wieder.

"Meine Kollegin Champverd meinte, daß Sie das auch ungesagt könnten, weil Sie ein Ruster-Simonowsky-Zauberer seien, Monsieur. Wiederholen Sie wortlos!" Noch einmal füllte sich der Eimer. Diesmal rief Julius das Zauberwort nur in Gedanken aus, und das Wasser verschwand.

"Jetzt glaube ich's", bemerkte Énas dazu und ließ den Eimer Verschwinden. "Mit der Dematerialisation fester Körper sind Sie ganz bestimmt sehr gut vertraut, weil meine Fachkollegin Sie dann bestimmt nicht an die Inanimatus-Konjuration herangeführt hätte, die Sie hier wohl schon eingeübt vorgeführt haben. Dennoch gehört das zu den ZAG-Standards. Lassen Sie die beiden Stühle dort vollends verschwinden, und das bitte ungesagt! Tiefstapelei langweilt mich nämlich." Julius konnte nicht anders als diesem Zauberer, der da auf eine großväterliche Art von ihm für seine übrigen Klassenkameraden noch unerreichbare Zaubereien verlangte jede gewünschte Vorführung zu bieten. Er ließ die Stühle verschwinden, holte sie nach zehn Sekunden mit dem Inverso-Vanescus-Zauber zurück, der nur funktionierte, wenn der Zauberkundige wußte, wo ein ihm bekanntes Objekt magisch aus dem Raum-Zeit-Gefüge befördert worden war. Dann beschwor Énas lebende Frösche herauf, wobei es so wirkte, als ziehe er die laut quakenden Amphibien aus dem Umhang. Diese Tiere mußte er ebenfalls verschwinden lassen, insgesamt zwanzig Stück, wobei die Frösche immer größer wurden, vom winzigen Wasserfrosch bis zum ordentlichen Ochsenfrosch.

"Ich kenne einen Kollegen im australischen Buschland, der bräuchte einen, der das da mit eingeschleppten Rohrkröten machen kann, wie Sie mal eben die ganzen Frösche dematerialisiert haben. Aber er darf es nicht. Weshalb eigentlich?"

"Wegen der Naturerhaltungsbestimmung in den Unterabschnitten zu den Verwandlungsgesetzen, Abschnitt vier, demnach ein lebendes Tier nicht dauerhaft verschwinden darf, weil dies einen Eingriff in die natürliche Auslese bedeutet."

"Ja, aber wir Magier sind ja den Naturgesetzen doch überlegen", meinte Énas. Julius witterte die Falle. Er sagte ganz ruhig:

"Mit großer Macht kommt große Verantwortung. Wer alles macht, was er kann, macht viel mehr kaputt als richtig."

"Hat Ihnen das mein seliger Kollege Dumbledore erzählt?" Fragte Énas.

"Sowas ähnliches. Das Macht auch Verantwortung heißt gehört zu den Grundsätzen in Hogwarts und Beauxbatons. Außerdem steht es in einer Geschichte für Muggelkinder, in der ein junger Mann durch einen Unfall Superkräfte bekommt und sein Onkel ihm verdeutlicht, daß er diese Kräfte nur zum guten einsetzen möge. Weil der Onkel im Verlauf der Geschichte getötet wurde, hat der junge Mann das auch eingesehen", erwiderte Julius.

"Wußte doch, daß ich diesen weisen Spruch woher kenne", grinste Énas. "Ich sammle alle Muggelgeschichten, in denen positive und negative Metamorphosen, magisch oder durch eine imaginäre Zukunftstechnologie erwähnt werden. Der Spiderman ist mir daher also auch vertraut. Gut, zu unserer Prüfung zurück, junger Mann. Die Frage haben Sie korrekt beantwortet, wobei mir schwant, daß meine Kollegin diese Ihnen schon im Theorieteil vorgelegt haben könnte." Julius nickte. Énas lächelte. Dann wurde er wieder ernsthafter, wenngleich die Zeig-doch-mal-Haltung wie bei einem stolzen Großvater nicht verloren ging. Julius fühlte sich trotz der immer größeren Anstrengungen - schließlich mußte er ab jetzt immer ungesagt zaubern - nicht im mindesten so vorangepeitscht wie bei Tourrecandide oder im regulären Unterricht. Er hatte vielmehr den Eindruck, mit den Montferres Sachen auszuprobieren, die er schon konnte und neues dazuzulernen. Als er dann neben den ZAG-Standardsachen auch die ersten UTZ-Sachen machte, wie sie Deborah Flaubert wohl in diesen Wochen auch hatte tun müssen und Virginie wohl in ihrer Abschlußprüfung draufhaben mußte, sollte er noch ein lebendiges Kind heraufbeschwören.

"Zum einen kann ich das nicht. Zum anderen darf ich das nicht. In den Zaubereigesetzen steht deutlich drin, daß lebende Menschen nur durch natürliche Fortpflanzung entstehen dürfen und eine Beschwörung aus dem Nichts zudem einen seelenlosen Körper erschafft", bedauerte Julius.

"Wo steht das denn genau?" Fragte Énas verwundert tuend.

"Abschnitt sieben Verwandlungsrichtlinien, Abschnitt eins der Wechselwirkungsbestimmungen zwischen Menschen und Magie und Artikel 1 des allgemeinen Zaubereigesetzes, demnach ein Zauberkundiger ein auf natürlichem Wege entstandenes Menschenwesen ist, bei dem auf natürliche Weise magische Veranlagungen ausgeprägt sind. Darüber erschöpft sich alles, was den Umgang der Zauberer und Hexen miteinander und mit der Umwelt betrifft."

"Sie ernähren sich doch hoffentlich auch von anderen Speisen außer Gesetzestexten", meinte Énas und stupste Julius Bauch mit seinem Zauberstab an, worauf wie daraus herausgezaubert ein dickes Buch auf den Boden fiel, das Julius als allgemeines Zaubereigesetzbuch wiedererkannte. Der Lehrer hob es auf und blätterte nach. "Sie haben recht. Das steht hier so drin", sagte er, klappte das Buch zu und legte es auf den Tisch. Mit einer Zauberstabbewegung verwandelte er es in ein großes Marzipanbrot, von dem er sich ein großes Stück abbrach und es genüßlich mampfte. "Auf diese Art ist es wenigstens genießbar", sagte er, nachdem er den Mund halbwegs leer bekommen hatte. Er bot Julius den Rest des Marzipans an. Er nahm es und brach sich ein Stück davon ab. Doch kaum hatte er den ersten Bissen im Mund, löste sich das Brot in Nichts auf.

"Na, nicht zu gierig, Junger mann! Sie könnten sonst dick werden", tadelte Énas, grinste dabei aber wie ein Schuljunge, der einen gelungenen Streich gespielt hatte. Julius befand, nichts dazu zu sagen. Er wußte nicht, wie der Humor des Lehrers gelagert war. So sagte er nur: "Wird nicht wieder vorkommen, Professeur Énas."

Als dann weitere Prüfungsrunden beendet waren meinte Énas: "Also, meine Kollegin Faucon sollte Ihnen nahelegen, Transfiguration nach den ordentlichen ZAGs beizubehalten. Es wäre ein Akt unverzeihlicher Ignoranz, Ihre Fähigkeiten in diesem Zweig der Magie einschlafen zu lassen. Mit Selbstverwandlungen sind Sie gemäß der von Ihnen einverleibten Gesetze wohl noch nicht betraut worden. Dann werde ich, soweit es mir vergönnt ist, schon einmal die Prüfung in drei Jahren reservieren. Ich denke, meine gute Bekannte, Professeur AD Maya Unittamo könnte einen würdigen Nachfolger gewinnen."

"Ob ich das Fach fortführe hängt ja auch davon ab, ob ich mit den anderen Fächern, die ich später im Berufsleben mal brauchen könnte keine Probleme bekomme", sagte Julius vorsichtig.

"Na, dann könnte Verwandlung das Fach sein, daß Sie aus dem Sumpf schlechter Noten herauszieht", wußte Énas eine Antwort. Julius nahm es schweigend zur Kenntnis und folgte dem Lehrer wieder hinaus aus dem Kursraum.

"Und wie war der Typ?" Fragte Hercules, nachdem Énas seinen Prüfling vor dem Verwandlungskursraum abgeliefert und sich dezent entfernt hatte.

"Der frühstückt Clowns und hält Verwandlung für das wichtigste Fach in Beauxbatons", faßte Julius das erlebte zusammen. "Das war 'ne ganz andre Kiste als bei Tourrecandide oder letztes Jahr bei Virginies Oma Champverd", flüsterte er noch. Professeur Faucon öffnete die Tür und schickte den letzten Normalprüfling, Irene Pontier, aus dem Kursraum. Sie waren beide zufrieden.

"So, wenn jemand hier in meiner Abwesenheit nicht wider aller Erwartungen grob versagt hat, werde ich Sie alle guten Gewissens in die Ferien verabschieden. Sind Sie Professeur Énas davongelaufen, Monsieur Andrews?"

"Nein, er hat mich hier abgesetzt und ist dann einfach gegangen. ich dachte, er würde warten, bis Sie herauskommen."

"Dann möchte er mich wohl in Ihrer Abwesenheit sprechen, Monsieur Andrews", sagte die Lehrerin, die irgendwie nicht so recht wußte, ob sie jetzt stolz oder maßlos enttäuscht sein sollte. "Nun, das sieht ihm ähnlich", fügte sie noch hinzu und entließ ihre Prüflinge zum Mittagessen.

Am Nachmittag studierte Julius die Bulletins de Beauxbatons, um zu sehen, ob Professeur Énas dort verzeichnet war. Tatsächlich las er, daß er als Schüler im grünen Saal gewohnt und diesem auch zwanzig Jahre vorangestanden hatte, als er Vollzeitlehrer hier war. Das so jemand humorvolles eine so ernste Hexe wie professeur Faucon in die Zaubererwelt geführt hatte verwunderte Julius doch etwas. Aber so gut kannte er Professeur Faucon ja nicht, daß er sich über ihre Lehrer ein Bild über ihr Lernen hier machen konnte. Außerdem hatte sie ja auch einige Schicksalsschläge hinnehmen müssen.

"Na, hast du dem alten Énas einen schönen Vormittag geboten?" Fragte Sabine Montferre, als Julius nach dem Lesen an die frische Luft ging, um nach den ganzen Geistesübungen ein wenig zu laufen. Er fragte die Montferres, weshalb sie das meinten. Sandra erwiderte, daß er fröhlicher gewesen sei als vor zwei Jahren schon.

"Das kommt nur davon, weil ihr wohl alle gut gelernt habt und er keinen hat durchrasseln lassen müssen", meinte Julius dazu.

"Na klar, Julius", grinste Sabine. "Aber du bist bei ihm auch nicht durchgerasselt."

"Hmm, ich weiß nicht, ob das alles gepaßt hat, was er von mir haben wollte. Vielleicht habe ich irgendwo was verschludert."

"Dann sollten wir dich jetzt wohl ordentlich strammziehen, nach allem, was wir dir in diesem Jahr gezeigt haben", meinte Sandra. Dann mußten sie und ihre Schwester grinsen. "Der hätte dich bestimmt nicht aus seiner Extraprüfung rausgelassen, bis du ihm nicht all das gezeigt hast, was er meinte, von dir sehen zu können", sagte sie dann noch.

Am Abend besuchte ihn Goldschweif. Sie erzählte ihm, daß ihre Kinder nun alle feste Sachen essen könnten und sie nicht mehr an ihren Trinkknubbeln saugten. Sie sagte nur für ihn hörbar:

"Ihr geht bald wieder alle weg, bis die Sonne nicht mehr so heiß ist. Kann ich da nicht mitkommen?"

"Da wo ich wohne würden die Menschen dich für ein merkwürdiges Wesen halten. Deshalb kann ich dich nicht mitnehmen, goldschweif. Noch nicht."

"Aber du weißt doch, daß ich dir sagen und zeigen kann, wo etwas gefährlich ist. Du hättest nicht so viel zu kämpfen, wenn ich bei dir bleibe."

"Ich hoffe sehr, ich muß diese Ferien auch nicht kämpfen, Goldie. Die, mit denen ich zusammengeraten bin, wären sowieso zu stark gewesen. Die hätten dich sofort umgebracht. Aber ich weiß, daß du mir immer helfen wirst, wenn ich hier bin oder dich mitnehmen kann."

"Wenn Olympe, die ganz Große dir sagt, daß ich mit dir mitgehen darf, nimmst du mich dann mit?"

"Wenn sie das sagt, ja", antwortete Julius leise genug, daß nur sie es hörte. Sie schnurrte beruhigt und kehrte nach einer Viertelstunde in die Nacht zurück.

 

_________

 

Der krönende Abschluß der Prüfungswoche war die prüfung in Pflege magischer Geschöpfe am Freitag morgen. Sie sollten im theorieteil alle mitteleuropäischen Zauberwesen beschreiben und deren Beziehung zu Hexen und Zauberern. Anschließend teilte sie Prüfungsgruppen ein, die nacheinander mit Knieseln, Goldeihühnern und Bretonischen Baumwichten arbeiten sollten. Hierbei erwies sich Gloria von den Weißen am kundigsten, während Millie ein Fach gefunden hatte, in dem sie Bernadette Lavalette übertrumpfen konnte und Julius wegen seiner guten Beziehung zu Knieseln von Madame Maxime einen höheren Schwellenwert zum Bestehen der Prüfung auferlegt bekam. Zum Schluß besuchten sie die beiden gerade vor wenigen Monaten geborenen Abraxas-Fohlen von Calypso und Cleopatra, Philemon und Calliope, deren dunkelgraubraunes babyfell wie Angorawolle wirkte und deren Flügel noch kleine, daunengefiederte Stummel auf dem Rücken waren. Millie antwortete auf die Frage, wann das Neugeborenenfell gegen das Halbwüchsigenfell ausgetauscht wurde und vermutete, daß Philemon und seine fünf Tage jüngere Cousine im Mai nächsten Jahres keinen dunkelbraunen Flecken mehr am Fell hatten. Mit zwei Lebensjahren würden sie wohl auch zu fliegen anfangen.

"Offenbar hätte ich auch bei Ihnen einen höheren Schwellenwert für das bestehen der Prüfung ansetzen müssen, Mademoiselle Latierre. Denn der Umgang mit größeren Zaubertieren, die eine ausgedehnte Tragzeit aufweisen ist Ihnen ja recht geläufig", sagte Madame Maxime wohlwollend lächelnd. Millie schien förmlich dahinzuschmelzen, während Bernadette förmlich tiefkühlte.

"Ich wünsche Ihnen allen einen angenehmen Nachmittag! Weil wir dieses Jahr direkt nach den Prüfungswochen das Schuljahr beenden werden Sie alle Ihre Jahresabschlußzeugnisse morgen früh in Ihren Wohnsälen erhalten. Ich hoffe zuversichtlich, daß niemand sich für die dort einzutragenden Leistungen schämen muß. Allerdings besteht die Möglichkeit, bei Ihrem Saalvorsteher eine Ausgabe unter Ausschluß der Öffentlichkeit zu beantragen. Dies sage ich Ihnen jetzt, weil über die Vergabemodalitäten erst gestern Klarheit geschaffen werden konnte. Zumindest, dies kann ich mit großer Beruhigung verkünden, entdecke ich in Ihren Reihen hier und jetzt niemanden, der gravierende Folgen zu befürchten hätte. Nun denn, es ist Mittagszeit, und Sie haben sicherlich großen Hunger. Vielen Dank für Ihre Einsatzbereitschaft, mesdemoiselles et Messieurs."

"Die könnten uns die Dinger doch einfach so in die Hand drücken", meinte Hercules auf dem Weg in den Speisesaal. "Warum öffentlich vorlesen?"

"Wegen des allgemeinen Vergleichs", meinte Robert. "Jeder von uns soll sich mit jedem vergleichen können. Aber wenn du dir wegen deiner Leistungen in Fluchabwehr Sorgen machst solltest du Professeur Faucon bitten, dir deine Zensuren im stillen Kämmerlein vorzulesen oder dir das Zeugnis gut in einem Umschlag verschlossen geben, den nur deine Eltern aufmachen können."

"Hat's früher mal gegeben, so vor hundert Jahren", meinte Julius. "Aber ich hätte keinen Grund, warum die mein Zeugnis nicht laut vorlesen dürften."

"Unterschreibe ich sofort, wo du dir mit Bernie dieses Jahr einen Wettkampf um die besten Noten und das wirksamste Einschleimen geliefert hast", knurrte Hercules.

"Na klar, da freut sich professeur Faucon heute noch drüber, daß ich mit Millie gehe. Der beste Einschleimertrick, den ich je gebracht habe", konterte Julius, nachdem er diesen Vorwurf erst einmal hatte schlucken müssen. Robert fragte verwundert:

"Huch, auf welchem Planeten war ich denn da? Ich habe nix mitgekriegt, daß Julius unseren Lehrern irgendwie die Stiefel geleckt hat oder denen hinten reingekrochen wäre. Du, Gaston?"

"Der hat halt immer gemacht, was die wollten. Ist ja auch blöd, wenn die mitkriegen, was einer drauf hat."

"Hercules, ich mag Freiheit auch sehr. Aber es mir mit allen verscherzen ist keine Freiheit. Die geht dir dann nämlich flöten, wenn du den falschen ärgerst", sagte Julius. "Wenn ich dieses Jahr was wichtiges gelernt habe, dann das, daß ich mir keinen Ärger suchen muß. Wenn ich welchen kriegen soll, findet der Ärger mich. Vergiss das bitte nicht, und sei froh, daß du das nicht erlebt hast, was mir in dem Jahr alles passiert ist!"

"Mach jetzt nicht auf Mitleid!" Knurrte Hercules. Belisama und Millie kamen heran. Offenbar rochen sie den Zank ihrer beiden Freunde.

"Hercules, worüber regst du dich auf?" Fragte Belisama vorsichtig.

"Darüber, daß Julius mal wieder ein Superzeugnis zu erwarten hat und er das für Schleimerei hält", trällerte Gaston. Millie grinste überlegen.

"Er meint, er habe eine Sonderbehandlung verdient, weil ihn diese Abgrundstochter fast vernascht hat und dieser Bokanowski ihn fast zerquirlt hat", knurrte Hercules auf Julius deutend. Dieser schluckte erneut. Gleich war das Maß voll. Millie merkte das wohl und sagte ruhig zu ihm:

"Er ist doch nur eifersüchtig, weil die rothaarige Schönheit ihn nicht ranlassen wollte und Bokanowski sich nicht für Durchschnittszauberer interessierte, Julius."

"Du hältst ja mal ganz schön das Maul, Latierre!" Fauchte Hercules. Belisama zischte ihm zu, er solle sich jetzt nicht noch aufregen. Madame Maxime sei noch hinter ihnen. Er schrak zusammen, wandte sich um und sah die Halbriesin, die gerade zu ihnen aufschloß. Er setzte sich wortlos ab. Belisama sagte zu Julius:

"Auch, wenn ich bis heute nicht verstehe, was du an der da so toll findest", wobei sie abfällig auf Mildrid deutete, "sollte er sich doch etwas mehr beherrschen."

"Es ging nur um die Zeugnisse", knurrte Julius. "Nur um die Zeugnisse morgen, verdammt noch mal!"

"Bist du leise!" Zischte Millie. "Ich will morgen mit dir tanzen und dich nicht im Karzer besuchen müssen, weil du hier mit wüsten Wörtern rumwirfst."

"als wenn du ihm da ein besseres Vorbild wärest", schnarrte Belisama. Dann befand sie, daß sie jetzt auch keinen Streit gebrauchen konnte und setzte sich ebenfalls ab.

"Also, ich habe Hercules mal als Freund gesehen", seufzte Julius. "Aber seitdem wir zusammen sind meint der immer mal wieder, mich für irgendwas dumm anquatschen zu müssen. Irgendwann reicht es auch mir."

"Wundere mich, daß du das jetzt noch wegsteckst. Ich hätte dem schon längst eine Lektion erteilt. Muß ja nicht gewalttätig sein."

"Wir müssen", meinte Gloria zu Julius und Millie, weil Madame Maxime immer näher kam. Dann meinte sie noch zu ihm:

"Komisch, daß das jetzt vorbei ist. Ich meine, morgen noch und dann nach Hause. Obwohl in dem Jahr soviel los war, ist das doch schnell rumgegangen."

"Das habe ich im letzten Sommer auch so gefühlt", gestand Julius. Gloria nickte ihm zu und suchte dann ihre Kameradinnen aus dem weißen Saal.

Julius hielt sich am Nachmittag gut von Hercules fern. Offenbar überkam den wieder eine Frustwelle, wegen irgendwas oder irgendwem. Eigentlich, so dachte Julius, tat Belisama doch genug, um ihn entspannt zu halten. Immerhin waren die beiden seit Walpurgis sehr häufig zusammen. Oder war das einfach das Getue der Lehrer mit ihm, Julius? Aber er konnte doch nichts dafür, daß er ein Ruster-Simonowsky-Zauberer war und die das hier voll und ganz ausnutzten. Er ging ans Meer, hielt sich dort von den fröhlich im Wasser planschenden und am Strand lümmelnden Mitschülern fern, bis Corinne Duisenberg ihn von hinten in den Rücken stupste. Er fuhr herum und kämpfte darum, nicht loszupoltern oder dem kleinen, kugelrunden Mädchen eine runterzuhauen. Corinne lächelte ein abwehrendes Lächeln.

"Du hast Stress mit denen hier, wie? Haben die dich echt durch Hammerprüfungen getrieben?"

"Hast du das aufgefangen, daß ich im Moment für mich sein wollte? Warum bist du mir dann hinterher?" Entgegnete Julius knurrig.

 

"Weil ich gemerkt habe, daß es nicht die Lehrer sind, die dich so runtergezogen haben. Mach jetzt nicht zu, Julius! Das würde mir doch nur sagen, daß ich recht habe." Julius hatte in der Tat seinen Geist verschlossen, um der empathisch veranlagten Junghexe keine weiteren Gefühlswellen mehr zufließen zu lassen. Aber sie hatte recht. Dann meinte er:

"Neid und Eifersucht von einigen Leuten, wo ich mit aller Selbstbeherrschung heftig gegen ankämpfen muß, um keinem was zu tun."

"Weil du hier das machst, was du kannst? Weil du dieses Latierre-Mädchen als Freundin hast oder wie?"

"Irgendwie ein bißchen was von allem. Ich kriege wohl jetzt erst mit, daß ich hier doch so eine Art Mutant bin."

"Mutant, also ausgetauschter?"

"Neh, jemand, der durch Vererbung anders aussieht oder Sachen kann, die alle anderen nicht können", mußte Julius lachen. Als Corinne dann zurücklächelte und sagte, daß sie dieses Gefühl kenne und sie dann ja auch ein Mutant sein müsse, verflog der in Julius' Magen gebündelte Ärger, als habe er ihn als kräftigen Leibwind in die Luft abgeblasen und sich dadurch merklich entkrampft.

"Kann ich mir vorstellen. Ist bestimmt nicht für alle nett, wenn du weißt, wie sie sich fühlen. Das habe ich ja eben gerade selbst wieder gemerkt, daß einem das lästig werden kann. Aber du kannst das ja auch nicht einfach so abstellen. Du kannst nur überlegen, ob du es jemandem sagst oder nicht. Aber wenn jeder weiß, daß du das kannst, ist das auch wieder egal. Öhm, wie bist du durch die ZAGs gekommen?"

"Nett das du fragst. Wahrscheinlich werde ich im nächsten Jahr auf den UTZ hinlernen dürfen. Werde nur so Sachen wie Verwandlung und Zaubertränke sausen lassen", erwiderte Corinne und setzte sich einfach in den Sand. Julius tat es ihr ganz automatisch gleich, wohl auch, um sich nicht tief bücken zu müssen. Corinne verschränkte ihre Beine, so daß sie im Schneidersitz dasaß, irgendwie niedlich, fand Julius. Dann plauderten sie über die ZAGs von Corinne und die Sonderprüfungen von Julius. Corinne lachte über die Prüfung bei Énas.

"Meine Oma hat bei dem gelernt. Obwohl sie eine Violette war kam sie mit seiner verspielten grünen Art besser klar als mit ihrer Saalvorsteherin Tourrecandide. Der kennt die sogar noch. Ich hatte vorgestern bei ihm. Er meint, ich hätte mich gut präsentiert und sollte Verwandlung nicht einfach so hinschmeißen, nur weil es in den Jahren davor immer geklemmt hat.""

"Das hat der mir auch gesagt", lachte Julius und zitierte ihn wortwörtlich. Corinne lachte. Dann erwiderte sie:

"Tante Patrice hat gesagt, ihr wäret heute wohl noch wegen der Pflegehelfersachen dran. Die will ja nächstes Jahr bei uns in die Mannschaft rein."

"Hoffentlich halten deine Leute dir nicht vor, du würdest Verwandte bevorzugen", meinte Julius dazu. Corinne schüttelte ihren Kopf. So redeten sie noch über die Quidditchsaison und die guten und schlechten Händchen der Kapitäne bei der Mannschaftsaufstellung. Natürlich erinnerte sich Corinne noch gut an das Spiel, nach dem Julius sie unfreiwillig auf die Schultern genommen hatte. Er mußte jetzt, wo das so lange her war, darüber lachen.

"Danke, Corinne, daß du meinen Freund wieder ins Lot gebracht hast", sagte Mildrid aus zehn Schritten Entfernung. Es klang weder eifersüchtig noch verärgert, sondern ehrlich gut gemeint.

"Wie hast du das denn gemerkt, was mit ihm ... Verstehe, eure Herzchen", grinste Corinne und deutete auf Julius Brust, wo unter Umhang und Unterhemd das rubinrote Herz pulsierte, das ihn mit Millie verband. Julius stand auf und klopfte sich den Sand aus dem Umhang. Millie meinte dann noch:

"Gerlinde meinte, wir sollten wohl gleich zu Madame Rossignol, wegen so'ner Abschlußbegutachtung und was wir in dem Jahr so gemacht haben. Sollen wir schon mal zurück?"

"Kein Problem. Macht's dir was aus, Corinne?"

"Neh, ich geh jetzt noch ein wenig schwimmen. Man sieht sich dann morgen beim Abschlußball!"

"Tschüs!" Rief Julius.

"Ich wäre gerne früher zu dir gekommen um dich aus dem Ärgersumpf rauszuziehen, in den das blöde Gelaber von Culie und Genossen dich reingetrieben hat. Du mußt es echt lernen, sowas rauszulassen. wer dir immer beigebracht hat, sowas immer wieder runterzuschlucken macht dich irgendwann kaputt."

"Klar, du findest das ja sexy, wenn ich wütend bin."

"Wenn sexy nicht zur Liebe verleitend sondern süß und schnuckelig heißt ja, Julius, und dazu stehe ich auch. Das wir beide jetzt zusammen sind zeigt dir ja wie mir, daß wir mehr gemeinsam haben als die anderen uns hier reinreden wollen, allen voran Oma Lines frühere Schulkameradin Blanche Faucon oder der von Bernie so kalt abgeduschte Hercules. Ich dachte, die süße Belisama hätte sein kaputtes Gemüt wieder repariert."

"Fürchte, dazu müßte die das machen, was wir bei den Mondtöchtern gemacht haben", flüsterte Julius. Millie lächelte verwegen. und nickte ihm heftig zu.

Tatsächlich rief Madame Rossignol die Pflegehelfer noch einmal in ihr Büro, um sie in einer informellen Abschlußprüfung auf ihre Lernfortschritte zu testen. Für Felicité Deckers war dies die letzte Prüfung als Pflegehelferin. Am Sonntag würde Madame Rossignol ihr das silberne Armband abnehmen und sie ins Leben nach der Schule entlassen. Dann sagte sie noch, daß sie sich freue, den Rest dieser so gut eingespielten Gruppe im nächsten Schuljahr wieder zu begrüßen. Zu Julius gewandt fügte sie hinzu:

"Ich hoffe, diese düsteren Sachen im Sommer und den Osterferien wiederholen sich nicht mehr, Julius. Immerhin konnte ich dir bei der Sache mit diesem weiblichen Ungeheuer gut aus der Bredullie helfen und dich auch früh genug orten, als du von Bokanowskis Kreatur verschleppt wurdest. Das ging nur, weil du in der Pflegehelfertruppe bist."

Da ja offiziell noch eine Prüfungswoche lief fand an diesem Freitag kein Duellierkurs statt. So vertrieben sich die Schüler die Zeit noch einmal am Meer, feierten dort kleinere Schulabschlußparties, so auch die Latierres, Montferres und Marc Armand und Julius, die sich einen runden Tisch etwas weiter weg am Strand hinstellten und das nun verwehende Schuljahr noch einmal besprachen.

"Ich habe meine nicht mehr benötigten Sachen schon gut weggepackt", meinte Julius. "Ich habe im Moment keinen Drang nach irgendwelchen Streichen, die mir wer spielen könnte."

"Dann mußt du dich wehren. Felsen sind zwar schön hart, aber dafür auch sehr unbeweglich", meinte Sabine. Marc fragte Patricia, ob ihre Mutter ihn wirklich abholen käme, wenn seine Eltern ihn nicht zu ihr ließen.

"Die kriegt das hin. Notfalls läßt sie die Kleinen als Pfand bei deinen Eltern. Dann lassen die dich freiwillig zu uns."

"Die müßten doch langsam ins Krabbelalter kommen", meinte Julius. Patricia nickte.

"Mit zwei Brüdern zugleich wird das auch lustig", meinte Sabine. Dann sprachen sie davon, was die Montferres nach Beauxbatons machen wollten. Sabine und Sandra hatten bereits Angebote von den Pariser Pelikanen und anderen Quidditchmannschaften Frankreichs. Als Treiberdoppel würden sie überall gut reinpassen, befand Julius. Callie und Pennie meinten, daß sie im nächsten Jahr wohl zumindest halb so gut wie die Montferres sein wollten.

Als Julius kurz vor Saalschluß in den Schlafsaal der Viertklässler kam, war Robert gerade beim Kofferpacken.

"Hercules hat den Abend hier mit Belisama im Park gesessen. Ich hoffe, die hat ihn wider eingependelt. Der war ja heute wieder superungenießbar."

"Ja, und ich kann für seinen Frust super herhalten wie ein blöder Blitzableiter", knurrte Julius.

"Weil er meint, wegen deiner Sonderbegabung und den ganzen Schweinereien die dir passiert sind wen zu haben, über den er herziehen kann. Dabei ist das ein Riesenhaufen Drachenmist. Aber ich denke, wenn der jetzt wieder wen zum kuscheln hat, die nicht nur auf Bücher abgerichtet ist, ist der bald wieder umgänglich. Mein Vater meinte mal, daß wir Jungs irgendwann Probleme kriegen, womit wir eigentlich denken sollen. Könnte sein, daß er recht hat, zumindest bei Culie."

"Wenn er meint, er müßte das Gerücht bedienen, daß große Jungs nicht wissen, womit sie denken sollen oder dann mit der verkehrten Sache denken ..." meinte Julius. Aber irgendwie mußte er das wohl auch lernen, wann er sich worauf einließ. Millie hatte es ihm in den Osterferien gezeigt, daß er keineswegs ein Mönch oder Vulkanier war, der nur mit dem Hirn funktionierte. Er fühlte es auch zwischendurch immer wieder, daß der Gedanke an ihren Körper ihn in die entsprechende Stimmung versetzte. Doch das mußte er Robert nicht auf's Butterbrot schmieren.

Als Hercules eintraf, sagte dieser nur: "Bis morgen früh Leute, wenn Königin Blanche euch alle öffentlich hinrichtet."

"Will sagen, du hast dein Zeugnis schon?" Fragte Robert.

"Neh, kann ich mir morgen nach der allgemeinen Verlesungsfete bei ihr abholen."

"Jedem das seine", meinte Robert. Julius hielt sich hier und jetzt schön geschlossen.

 

__________

 

Es war schon eine merkwürdige Stimmung, als alle Bewohner des grünen Saales im Gemeinschaftsraum auf Professeur Faucon warteten. Nur Hercules war nicht dabei. Wenn er sein Zeugnis nicht öffentlich vorgelesen bekommen wollte mußte er auch nicht die Noten und Bewertungen der anderen mitbekommen, hatte Professeur Faucon ihm gesagt und ihn vor den Saal geschickt. Dann verlas sie die Zeugnisse, beginnend bei denen aus der ersten Klasse. Es war keiner dabei, der sich wegen der Noten hätte schämen müssen. Auch die Muggelstämmigen in dieser Klasse hatten ihr erstes Jahr in Beauxbatons mit passablen Endnoten bestanden. Es stand sogar noch drin, daß sie trotz einiger Umstellungsschwierigkeiten doch noch in die Schulgemeinschaft hineingefunden hätten. Dann kamen die Zweitklässler, bei denen einige sehr hart an der Ehrenrunde vorbeischrammten. professeur Faucon, die die Namen der Schüler nacheinander aufrief und zu sich an ihr Pult zitierte, sprach noch leise mit ihnen, daß sie wohl im nächsten Jahr drastischere Maßnahmen zu erwarten hätten. Marie van Bergen, die Muggelstämmige aus der zweiten Klasse, hatte sogar in Zaubertränken fünfzehn von fünfzehn Punkten und vierzehn in zauberkunst, Verwandlung und Verteidigung gegen die dunklen Künste bekommen, aber in Astronomie und Zaubereigeschichte gerade sieben von fünfzehn Punkten erhalten. Aus der dritten Klasse gab es auch keinen und keine, der oder die sich wegen des Zeugnisses hätte sorgen müssen. Carmen Deleste hatte in Zaubertränken und Zauberkunst die Bestnoten, und die anderen Werte zwischen zehn und zwölf. "Die Mitgliedschaft in der Pflegehelfergruppe hat Ihrem Notenspiegel einen guten Auftrieb verliehen, Mademoiselle Deleste. Weiter so!" Lobte Professeur Faucon das Mädchen noch. Dann kamen die Viertklässler.

"Wie Sie alle mitbekommen durften hat Monsieur Moulin, Hercules, auf die öffentliche Überreichung seines Jahresabschlußzeugnisses verzichtet. Kommen wir also zu denen, die aus dieser Jahrgangsstufe bereit sind, ihre Dokumente hier von mir entgegenzunehmen. Monsieur Andrews, Julius!" Julius trat nach vorne. Dann verlas Professeur Faucon sein Zeugnis.

"Alte Runen: 12 von 15
Arithmantik: 13 von 15
Astronomie: 15 von 15 plus 100 Bonuspunkte
Geschichte der Zauberei: 14 von 15
Herbologie: 15 von 15 plus 100 Bonuspunkte 
Magische Alchemie: 15 von 15 plus 200 Bonuspunkte (Siehe Kommentar!)
Magizoologie: 15 von 15 plus 100 Bonuspunkte (Siehe Kommentar!)
Praktische Zauberkunst: 15 von 15
Protektion gegen die destruktiven Formen der Magie: 15 von 15 plus 300 Bonuspunkte (Siehe Kommentar!""

Alle machten Ah. Bisher hatten sie die Verlesung lediglich als eine Ansammlung von guten Noten zur Kenntnis genommen. Aber Bonuspunkte gab es selten, und dreihundert in einem der heftigsten Fächer, wo jeder hier wußte, daß Julius gesondert geprüft worden war, das war schon außergewöhnlich. professeur Faucon räusperte sich und wartete, bis alle ruhig weiterhörten. Dann fuhr sie fort:

"Transfiguration: 15 von 15 plus 400 Bonuspunkte (Siehe Kommentar!)." jetzt ging ein "uh und Hui" durch die Reihen. Die Lehrerin nickte bestätigend und sagte: "Wie die Noten sich errechnen haben Sie ja alle mitbekommen. Komme ich zu den Zusatzleistungen." Alle lauschten Andächtig.

"Schach: Mit erfolg teilgenommen
Arbeitsgruppe Magizoologie: Mit Auszeichnung teilgenommen
Arbeitsgruppe magische Alchemie: Mit Besonderem Erfolg teilgenommen
Arbeitsgruppe intelligente Zauberwesen: Mit Auszeichnung teilgenommen
Quidditch: Mit besonderer Auszeichnung teilgenommen
Arbeitsgruppe Herbologie: Mit besonderem Erfolg teilgenommen
Transfiguration für Fortgeschrittene: Mit Auszeichnung teilgenommen, konnte leider wegen gesetzlicher Altersbeschränkungen nicht weiter gefördert werden.
Arbeitsgruppe Zauberkunst: Mit Auszeichnung teilgenommen.
Theoretische Magie: Mit Erfolg teilgenommen.
Duellierclub: Mit besonderer Auszeichnung teilgenommen
Pflegehelferdienst: Mit besonderer Auszeichnung teilgenommen

 

Bemerkungen

 

Im Vergleich zum letzten Schuljahr zeigte der mir zur Prüfung empfohlene Schüler Julius Andrews eine sehr beachtliche Steigerung und bewieß dabei ein Geschick im Umgang mit flexiblen Verteidigungszaubern und eine auszeichnenswerte Körper-Geist-Koordination, die ich in meiner langen Zeit als amtliche Prüferin selten zu sehen bekam. Wird der Aspekt der durch eine Vererbung besonders hohe Zauberkraft lediglich als Grundlage gesehen, vermochte mich der Prüfling Julius Andrews in der gemäß Ausbildungsabschnitt 4 b angesetzten Prüfung in allen Punkten, sowohl was das praktische Können, aber auch die Selbstbeherrschung angeht zu überzeugen. Ich kann damit sehr guten gewissens bestätigen, daß Julius Andrews bereits jetzt alle ZAG-Standards mehr als erfüllt hat. 
Professeur Austère Tourrecandide

Ausgehend von seiner Begabung, bereits auf dem Niveau der vierten Klasse mühelos, ja spielerisch mit nonverbalen Zaubern umzugehen, setzte ich meine Prüfung in praktischer Verwandlung bereits auf ZAG-Niveau an und regte den mir zur Prüfung gemäß Ausbildungsabschnitt 4 b empfohlenen Schüler Julius Andrews dazu an, sämtliche von mir erbetenen Verwandlungsstücke nonverbal zu vollbringen, was er in allen Fällen mit einer kunstfertigkeit schaffte, die nicht allein auf sein durch Vererbung stark erhöhtes Zaubertalent bezogen werden kann. Hier muß sowohl Freude an der zauberei an sich, aber auch ein gewisser Wille, sich in der magischen Welt behaupten zu können als Grund angenommen werden. Daher empfand ich es als sehr beruhigend, daß neben den scheinbar spielerischen Fertigkeiten auch ein großes Grundwissen über die gesetzlichen und moralischen Einschränkungen der Verwandlungskunst präsent ist, womit das Gleichgewicht zwischen dem, was getan werden kann und dem was getan werden darf nach meinem Dafürhalten gut eingehalten wird, insbesondere zu erwähnen, da mir im Vorfeld eröffnet wurde, daß dem Prüfling in diesem Jahr gerade in der magischen Welt erhebliche Schicksalsschläge widerfuhren, die zum Teil auch die Energie erklären, mit der der Prüfling die von mir verlangten Zauber eingeübt haben muß, um sie in diesem Alter schon so vollendet zu wirken. Ich empfehle daher Monsieur Julius Andrews dringend an, sich anhand der von mir erwähnten Richtlinien und Fertigkeiten unbedingt weiterhin mit diesem Zweig der praktischen Magie zu befassen, da dieser, wie ich weiß, das Höchstmaß an Disziplin, Flexibilität und Kreativität abverlangt, was leider sehr viele heranwachsende wie erwachsene Zauberkundige allzu oft ignorieren. Es hat mich bei aller gebotenen Nüchternheit des Prüfers sehr gefreut, diese Kombination aus Zauberkraft und Umsicht, aber auch Lust am Experiment zu bewundern. Ich bedauere es zu tiefst, daß Monsieur Andrews noch keinen Zauberergrad dafür bekommen wird, bin jedoch zuversichtlich, daß wenn er sich auf dem mir präsentierten Niveau hält, ja es womöglich noch steigern kann, wahrscheinlich auf einen Wert ohne Gleichen seinen Zauberergrad in Transfiguration erzielen wird.
Professeur Alexandre Énas

Ich bin hochzufrieden, in Julius Andrews einen sehr aufnahmefähigen, wie auch disziplinierten und im Umgang mit magischen Tierwesen feinfühligen Jungzauberer in meinem Unterricht erleben zu dürfen. Daher ist für mich die Jahresendnote keine Frage der Begründung, sondern nur eine Frage der Kontinuität, auf die ich sehr zuversichtlich hoffen kann.
Madame Olympe Genevieve Laura Maxime

Wie im Vorjahr auch beweist Monsieur Julius Andrews eine hervorstechende Veranlagung für Gesetze und Rezepturen der magischen Alchemie. Ich empfinde es als wegweisend, daß Monsieur Andrews sowohl in einem Freizeitkurs für angewandte Alchemie, sowie im schuleigenen Pflegehelferdienst mitarbeitet und konnte ihm daher in diesem Jahr auch weiterführende Aufgaben anvertrauen, von denen er alle zu meiner vollsten Zufriedenheit bewältigte. Dabei bewies er ein hohes Maß an Disziplin, was vor allem im Zusammenhang mit privaten Verlusten und Neuorientierung gesehen werden konnte. Ich hoffe, daß dieser junge Zauberer nach den ZAG-Prüfungen im nächsten Jahr weiterhin im magischen Zweig der Alchemie weiterstudieren und sein hohes Gespür vervollkommnen wird.
Professeur Boragine Fixus"

"Das kann keiner mehr überbieten", raunte Gérard, als Professeur Faucon Julius mit einem sehr wohlwollenden Lächeln sein Zeugnis überreichte. Leise sagte sie noch, daß seine Mutter und Catherine das ganz bestimmt sehr gerne unterschreiben würden. Dann rief sie "Deckers, André" zu sich. Julius lief mit seiner akademischen Trophäe durch die Reihen der auf Stühlen sitzenden Schüler zu seinen Klassenkameraden. Céline stand auf und umarmte ihn.

"Claire hätte sich gefreut, daß du dich so gut rangehalten hast. Sie mochte Verwandlung am meisten, wie du weißt. Daß du bei Faucons altem Lehrer so toll weggekommen bist hätte sie überglücklich gemacht."

"Ich denke, weil wir das wissen, weiß sie das auch, Céline", sagte Julius ruhig und setzte sich, während Andrés Zeugnis vorgelesen wurde, nach dem Feuerwerk an guten Noten und Lob eher was durchschnittliches, mit der Bestnote 12 von 15 in Zauberkunst und alles andre zwischen 9 und 11. Dann kam Robert, der sich in den praktischen Fächern ein wenig verbessert hatte, dafür aber in Zaubertränken massiv an der Versetzungsgrenze entlangschrammte und sogar den Vermerk von Professeur Fixus zur Kenntnis nehmen mußte, daß er mit dieser Leistung sehr arg um einen akzeptablen Zauberergrad kämpfen müsse.

"Wenn deine neue Freizeitgestalterin das zuläßt können wir ihm dabei helfen", meinte Céline. Julius nickte vorsichtig. Das Kameradenschwein, das ihm Hercules zu schlucken gegeben hatte lag ihm noch immer schwer im Magen. Dann ging Céline nach vorne. Sie räumte in Zauberkunst und Verwandlung 14 Punkte ab, war dafür in Astronomie auf 7 Punkte zurückgefallen. Zaubertränke hatte sie mit 13 Punkten besser als erhofft überstanden. Dann folgte Waltraud Eschenwurz. Hier zeigte sich, daß sie trotz nicht angewiesener Sonderprüfungen in allen Fächern die Höchstpunktzahl und bei jedem mindestens 100 Bonuspunkte bekommen hatte, besonders in Zaubertränken, wo sie 200 abräumte und Magizoologie, wo es 150 waren, was bei der gestrengen Lehrerin ja schon was heißen sollte. Robert meinte nur:

"Die wollen der ein Superzeugnis mitgeben, daß die in Deutschland nicht über sie herziehen."

"Das stimmt nicht", zischte Céline. "Und das weißt du auch."

"Mademoiselle Eschenwurz meisterte trotz des Umstandes, neu in eine bereits bestehende Klassengemeinschaft einzutreten, sowie der Umstellung auf eine andere Sprache und der Vorausschau, daß sie ja nur ein Jahr hier würde zubringen müssen das verstrichene Schuljahr mit einer Bravur, die höchst selten ist. Daher sind alle Mademoiselle Eschenwurz unterrichtenden Mitglieder des Lehrerkollegiums von Beauxbatons sich darüber einig, daß wir mit der für dieses Jahr bei uns eingeschulten Junghexe eine gründlich vorgebildete, aber vor allem in allen von ihr besuchten Unterrichtsfächern gelehrige wie kreative Schülerin erlebt haben, die wider alle bestehenden Vorurteile und befürchteten Eingliederungsschwierigkeiten ihren Weg bei uns gemacht hat und diesen, so befinden wir sehr zuversichtlich, in der Zaubereischule Burg Greiffennest fortsetzen wird. Wir danken Mademoiselle Eschenwurz für ein Jahr voller Einsatzbereitschaft, Vorbildfunktion und Kameradschaft und sprechen ihr unser höchstes Lob aus, dem wir unsere besten Empfehlungen für unsere Kollegen in Burg Greifennest anschließen, in deren obhut wir die talentierte junge Hexe mit einem weinenden und einem lachenden Auge zurückgeben. Wir bedauern, Sie nicht weiter auf ihrem gradlinigen Weg begleiten zu können, freuen uns aber, ein Gutteil davon mitgegangen zu sein."

Waltraud blieb gefaßt. Weder Euphorie noch Überlegenheit überkamen sie, als sie mit "Vielen Dank, Professeur Faucon" ihr Zeugnis entgegennahm und zu den Viertklässlern zurückkehrte. Julius erhob sich und schüttelte ihr anerkennend lächelnd die Hand.

"So'n tolles Zeugnis hatte ich letztes Jahr nicht und dieses Jahr auch nicht. Alles Gute weiterhin!" Céline schloß sich dem Glückwunsch an, auch Robert. Zwar hatten er und Hercules manchmal mit der Übergebildetheit von Waltraud zu kämpfen gehabt, sie hatte aber nie eine Streberin oder eine arrogante Mitschülerin raushängen lassen.

Auch Laurentine stand diesmal besser als noch im letzten Jahr. In Verwandlung hatte sie sogar vierzehn von fünfzehn erreichbaren erzielt, was ja nicht nur durch die Prüfung ermittelt worden war. Offenbar hatte sie befunden, Claires Bemühungen um ihre Ausbildung zu einer qualifizierten Hexe zu belohnen. Professeur Faucon gratulierte Laurentine sogar noch dazu, daß sie endlich den Halt in der Magischen Welt gefunden hatte. Bébé bedankte sich verhalten für das Zeugnis und kehrte zu ihren Freundinnen und Kameraden zurück. Erst dann lächelte sie zufrieden. Der Rest der Viertklässler hielt sich im oberen Mittelfeld der Punktevergabe auf. Gaston bekam für Verwandlung jedoch gerade neun Punkte, nicht nur wegen der Prüfung. Irene schnitt mit fast allen Noten knapp an der Versetzungsgrenze ab. Nur in Verwandlung hatte sie mit 12 eine herausragende Schlußzensur erzielt.

Die restlichen Klassen boten Zensuren zwischen zehn und fünfzehn Punkten. Jedoch so überragende zeugnisse wie das von Waltraud und Julius kamen bis zur siebten Klasse nicht mehr dran. Virginie schaffte dann mit allen Jahresendnoten zwischen 14 und 15 Punkten das beste Zeugnis ihres Jahrgangs, wobei die UTZs natürlich noch nicht berücksichtigt und gesondert gewichtet werden mußten. Sie erhielt sogar noch ein Lob von Professeur Faucon, daß sie die sieben Jahre überdurchschnittlich gut mitgearbeitet und damit immer ein gutes Vorbild für die andren auch außerhalb des grünen Saales geboten habe.

"Was anderes hätte ihre Mutter ihr auch übel nachgesehen", knurrte Julius. Er dachte schon daran, daß sich die junge Mutter Eleonore Delamontagne im nächsten Schuljahr noch mehr auf ihn einpeilen würde, vor allem nach diesem Superzeugnis, wo nur zwei Noten unter 14 drinstanden.

Nach der Zeugnisvergabe schickte Professeur Faucon ihre Schüler an die frische Luft, den Sonnenschein genießen. Julius nutzte seine Pflegehelferprivilegien und wandschlüpfte so, daß er in der Nähe des Ostparks herauskam. Er blickte sich um. Dann kramte er das rubinrote Herz unter seinem Umhang hervor und hielt es sich an die Stirn: "Millie, wo bist du?" Dachte er.

"Wir sind gerade fertig geworden. Fixie hat einige von den Zweit- und Sechstklässlern heftig runtergeputzt. Wo bist du?"

"Ostpark", dachte Julius.

"Gut, bin gleich bei dir. Da am Wandschlüpfausgang?"

"Ja!" Bestätigte Julius.

Als er mit Millie im Park herumschlenderte und dabei in jenem Pavillon haltmachte, in dem er und Claire den Corpores-Dedicata-Zauber gewirkt hatten, erzählte ihm Mildrid, daß Bernadette mit dem besten Zeugnis des ganzen Saales nach Hause gehen würde.

"Nur bei den Tierwesen hat sie nur vierzehn Punkte gekriegt", meinte Millie leicht Schadenfroh. "Ich habe da fünfzehn hingekriegt und in Verwandlung auch noch mal so viele."

"Oh, dann wird die heute noch ihr grünes Wunder erleben. Bei uns war nämlich jemand besser. Ich war's nicht."

"So, was has'n du für Noten, Monju?" Fragte Millie neugierig.

"Meins möchtest du bestimmt nicht lesen", meinte Julius. Doch sie wollte, und so las er ihres und sie seines.

"Oha, da müssen wir aber auf dich aufpassen, daß die dich im nächsten Jahr nicht zu sehr trietzen, um das noch zu überbieten. Am besten zeigen wir das Madame Rossignol, damit die eurer und meiner Sallkönigin gleich den Spaß verderben kann. Aber das der lustige Onkel Énas dich so heftig lobt spricht dafür, daß du das Fach weitermachen sollst. Bine und San haben da unabhängig von den UTZ-Werten auch die Höchstleistung plus einigen Bonuspunkten eingefahren. Womöglich kann ich nächstes Jahr schon zu euch in den Fortgeschrittenenkurs Verwandlung rein, mit der Note."

"Denke ich schon", mmeinte Julius. "vielleicht lasse ich den nächstes Jahr mal aus.

"Bist du da freiwillig reingegangen, als du hier angefangen hast?" Fragte Millie lauernd. Julius verneinte. "Dann läßt Königin Blanche dich da auch nicht mehr raus, nachdem ihr alter Lehrer dich so rosarot angemalt und mit Honig eingerieben hat."

"Das hat er nicht gemacht. Dann hätte ich ihm abgedrehte Neigungen unterstellen müssen."

"Stimmt, das mit dem Honig könnten wir mal austesten", flüsterte Millie verrucht blickend. Julius fühlte, wie ihn der Gedanke förmlich anheizte. Doch er behielt die Ruhe. Er verbrachte den restlichen Vormittag mit Mildrid, erfuhr dabei von den anderen Pflegehelfern ihre Spitzennoten, wobei Belisama in den Heiler-Fächern fünfzehn Punkte hatte.

Beim Mittagessen fragte Julius Hercules nicht erst, was er hatte. Das bewahrte ihn davor, in einen Streit hineinzugeraten, den Gaston und Gérard mit dem einzigen nicht öffentlich verlesenen Mitschüler anzettelten. als dann noch angesprochen wurde, daß er das zweitbeste Zeugnis des grünen Saales bekommen hatte, wehrte Julius Hercules' finsteren Blick mit einer energischen Miene ab.

"Ich fang jetzt nicht mit dir über Zeugnisse an, Hercules. Ich respektiere das, daß du deins nicht laut vorlesen lassen wolltest. Also lass mich bloß damit in Ruhe, was in meinem drinsteht!" Hercules wunderte sich ein wenig, weil Julius auf einmal so verärgert rüberkam. Doch weil Gérard ihn gerade wieder mit einer abfälligen Bemerkung provozierte, und sich Gaston mit Freuden daran beteiligte, war Julius wieder aus dem Kreidekreis raus. Er beobachtete lieber Bernadette, die die Jahrgangslisten einsah, die nun öffentlich aushingen. Waltraud hatte die absolute Topposition, dann Bernadette, dann Virginie, dann Julius, dahinter die Montferre-Schwestern.

"Die haben der doch nur so Noten gegeben, damit die mit deren Schulleitung keinen Stress kriegen", schnarrte Bernadette einmal, weil Caro und Millie sie damit aufzogen. Unglücklicherweise hörte Madame Maxime das, stand auf und verkündete, daß Bernadette wegen unkameradschaftlichem Verhalten sowie ungerechtfertigter Kritik an allen Lehrern zweihundert Strafpunkte bekommen würde.

"Boing! Damit geht die heute Nachmittag nicht mehr ans Meer", feixte Hercules und sprach Julius zum ersten Mal aus der Seele.

"Wie bescheuert muß jemand sein, so laut gegen die Lehrer zu wettern?" rührte Gaston noch weiter daran. Doch keiner gab ihm darauf eine Antwort.

Der Nachmittag gehörte erneut Sonne, Strand und Meer. Abends trafen sie sich dann alle zum Schuljahresabschlußball. Wie im Jahr zuvor führten Leute aus der Abschlußklasse eine Stunde Kabarett auf, wobei sie etwas weniger Spaß machten als ihre Vorgänger im letzten Jahr, wohl weil durch Dumbledores Tod doch eine gewisse Schwere auf diesem Schuljahresende lag und sie auch nicht mehr die Zeit gefunden hatten, wirklich aufwändige Zaubersachen einzustudieren. Die beiden Lieder, sowohl das über die Charaktere der verschiedenen Säle, als auch "Maman Beauxbatons, auf Wiedersehen", kamen jedoch wieder an die Reihe, und gerade beim letzten Lied sangen die Siebtklässler sehr inbrünstig mit. Danach Wurde zum Tanz aufgespielt. Julius tanzte mehrere Tänze mit Mildrid, dann auch mit Belisama, die ihm leicht verdrossen sagte:

"Ich hoffe, dieses Mädchen bringt dich nicht auf irgendwelche dummen Gedanken, jetzt, wo die Lehrer dich noch mehr drangsalieren könnten. Wäre schön mit uns gewesen und hätte Claire sicher sehr behagt."

"Glaubst du, ich würde was mit Millie haben, wenn ich nicht ganz genau wüßte, daß Claire nichts dagegen hat?" Fragte Julius ebenso verdrossen. Darauf konnte Belisama nichts erwidern. Denn just in diesem Moment klatschte Sabine ihn ab.

"So, damit San und ich noch einmal das Vergnügen haben, dich auf einem wichtigen Ball zum Tanz zu bitten", sagte sie nur. Belisama trollte sich und fand in Hercules einen umgänglicheren Tanzpartner, den sie den Abend lang behalten konnte. Sabine und Sandra wechselten sich einigemale ab. Sabine verabschiedete sich mit kleinen Tränen in den Augen von Julius und nahm ihm das Versprechen ab, weiterhin gut zu lernen aber auch zu leben. Sandra sagte ihm dann noch:

"Da du ja jetzt irgendwie bei uns in der Verwandtschaft mit drinhängst, Julius, werden wir uns wohl noch ein paarmal mehr sehen. Auch wenn sie sehr wild und spontan ist, hör dir an, was Millie dir rät. Nur zu lernen bringt es nicht. Das ist das, was hier am wichtigsten ist und für das keiner 'ne Note kriegt. Bis dann irgendwann!"

Den Schlußtanz widmete Julius Virginie. Dieser sagte er leise:

"Ich werde zusehen, daß ich hier nicht nur lerne. Bitte sage deiner Mutter, sie möchte nicht enttäuscht sein, wenn das mit den Superzeugnissen auch mal nachläßt!"

"Deine Fürsorgerin und wohl auch deine spätere Schwiegermutter werden da schon aufpassen, daß sie nicht meint, dein Leben bestimmen zu müssen. Es ist schade, daß das hier alles morgen vorbei ist. Aber ich freue mich auch, daß ich endlich von zu Hause weg kann. Aron und ich haben schon gekuckt, wo wir unterkommen, wo kein Ausgangskreis in der Nähe ist. Millemerveilles ist ein ruhiger Ort. Aber wenn du die Tochter einer Würdenträgerin bist, kucken sie dich alle so an wie einen Fisch im Aquarium. Das muß ich mal abschütteln. Aber Eulen werden mich wohl finden, und einen Kamin werde ich wohl auch kriegen. Wenn du also jemanden brauchst, der nicht zu erwachsen oder zu lange aus Beaux raus ist, melde dich. Aber du kannst ja Melo. Das werde ich nach Beaux noch lernen, und dann können wir über kurze Strecken auch mal so aneinander denken."

"Blöde Frage jetzt, aber heiratet ihr dann schon anderswo?"

"Ich fürchte, das werde ich meinen Eltern nicht antun können. Neh, ich werde wohl im Juli heiraten, wenn ich es hinkriege zwischen dem 20. und 23. Juli. Womöglich bist du dann eh wieder da."

"Vielleicht", seufzte Julius, den die beiden Tage mit heftigen Gefühlswogen und Erinnerungen erfüllten.

"Vielen Dank für deine Hilfe, Virginie. War nicht schlecht, hier schon wen zu kennen, als ich hier angefangen habe."

"Vielen Dank für die beiden Quidditchpokale, die ich noch küssen durfte. Ich hoffe, Giscard holt mit euch das Ding noch einmal. Und dann könnten sie dich zum Kapitän machen, und vielleicht zum Saalsprecher."

"Ich fürchte, was den Saalsprecher angeht könnte mir das echt passieren", sagte Julius. Virginie lächelte.

"Ist nur in den ersten zwei Wochen schwer die Brosche. Und in zu groß erscheinende Kleidung kannst du noch immer reinwachsen."

"Hmm, das hat Aurora Dawn mir auch mal so gesagt", erinnerte sich Julius.

"Die muß es wissen. Die war ja auch sowas", erwiderte Virginie. Dann küßte sie Julius auf die Wangen. Er küßte ihre Hand. Dann ging sie zu ihren Klassenkameradinnen zurück.

 

__________

 

Wieder einmal war der blaue Saal Schlußlicht in der an den durchschnittlichen Bonus- und Strafpunkten gemessenen Saalwertung. Dann folgten die roten, darüber kamen schon die Grünen. Woran das lag wußte dort jeder. Hercules und Gaston, aber auch viele aus den oberen Klassen hatten dieses Jahr erheblich viele Strafpunkte kassiert. Madame Maxime sagte sehr harsch:

"Sorgen Sie ja dafür, daß dieser Ausrutscher sich nicht zur Gewohnheit auswächst, Mesdemoiselles et Messieurs!" Die besten in der Saalwertung waren diesmal die Weißen. Die violetten ärgerten sich, nun zum dritten Mal hintereinander den Spitzenplatz verpaßt zu haben. Als dann die fünf undiszipliniertesten Schüler verkündet wurden, straffte sich Hercules Moulin. Daß er in einer Reihe mit den Mistral-Brüdern und zwei Zweitklässlern der Roten erwähnt wurde war sonst nicht sein Ding.

"Sie kennen das, die Herrschaften. Wer in dieser Liste erwähnt wird wird sich im nächsten Jahr nicht über Mangel an Beschäftigung beklagen können. Ich bekomme das noch in sie alle hinein, daß wir hier keine ungehobelten und starrsinnigen Hexen und Zauberer dulden."

Als dann die zehn besten Schüler des Jahres verkündet wurden, ging Julius davon aus, daß Waltraud ganz oben stehen würde. Doch sie wurde auf dem dritten Platz gewertet, vor Sabine Montferre, die ein klein wenig besser abschnitt als ihre Zwillingsschwester. Alle sahen sie an. Dann rief Madame Maxime:

"Zweitbester Schüler in diesem Jahr wegen überragender Leistungen trotz schwieriger persönlicher Umstellungen und Hürden: Monsieur Julius Andrews."

"Wieder kurz vor dem Spitzenplatz abgeschlagen", feixte Hercules. Doch Julius hörte nicht hin. Er hörte nur das Klatschen seiner Mitschüler. Auf dem Spitzenplatz erschien: "Mademoiselle Gloria Porter. Trotz der Umstellung auf unsere Regeln und unseren Alltag schaffte es Mademoiselle Porter, im ganzen Jahr mit insgesamt fünfzehn Strafpunkten ein selten dagewesenes Beispiel für Korrektheit und Anpassungsvermögen zu geben." So verkündete es Madame Maxime. Dann ließ sie die auszuzeichnenden Schüler antreten und sie von ihren Saalvorstehern dekorieren. Professeur Faucon bedankte sich bei Julius und Waltraud, daß sie die Ehre ihres Saales doch noch hatten retten können. Julius hörte Professeur Trifolio zu Gloria sagen, daß er sehr betrübt sei, sie jetzt in eine ungewisse Zukunft zurückzuschicken, aber froh und stolz sei, daß sie bei ihm gewohnt hatte. Julius fragte sich mal wieder, was Gloria ausgerechnet für den weißen Saal qualifiziert hatte. Ihr Zeugnis hatte in allen Fächern Noten über dreizehn Punkten gezeigt. gloria bedankte sich sehr bei Professeur Trifolio, während die Blauen "Schiebung! Schiebung!" riefen. Sie dachten wohl, daß ausländische Mitschüler mit Samthandschuhen angefaßt worden seien, weil Gloria, Julius und Waltraud die obersten Plätze besetzt hatten.

"Hör da nicht drauf, Gloria! In knapp einer Stunde ist das hier alles Geschichte", flüsterte Julius ihr zu.

"Für mich, aber nicht für dich."

"Ich habe mich hier schon eingelebt. Was die Leute aus dem blauen Saal sagen ist für mich so wie ein Sack Reis, der in China umfällt."

"Fotografiert das wer?" Fragte Waltraud und schaute sich um. Da blitzte und rauchte es auch schon. Sie lächelte in die Kamera, und diese wurde noch einmal ausgelöst.

Alle, die sich übers Jahr immer gut verstanden hatten verabschiedeten sich mit Umarmungen voneinander. Julius wollte sich aus lauter Kameradschaft noch bei Hercules verabschieden. Doch der stand mit Belisama zusammen und machte eine wegscheuchende Handbewegung.

"Wer nicht will, der hat schon", knurrte Julius. Millie und Céline eilten auf ihn zu.

"Lass den. Der muß jetzt damit klarkommen, daß er im nächsten Jahr Putzdienst machen muß", sagte Millie. Céline meinte, sie würden eh gleich nach Paris abreisen.

"Dann sollte er sich langsam von Belisama losmachen", erwiderte Julius. Doch erst als alle Schüler und Lehrer aus dem Einzugsgebiet Paris aufgefordert wurden, mit ihrem Gepäck in den roten Kreis zu treten, verabschiedete sich Hercules von seiner neuen Freundin. Doch er hielt gebührenden Abstand zu Julius, der mit Céline und Millie zusammenstand, die ihn förmlich als Puffer zwischen sich hielten, um sich nicht zu nahe kommen zu müssen. Julius fragte sich, ob Hercules ihn jetzt als Feind oder einfach nur als überdrehten Streber ansah. Im Moment wollte er sich keine unnötigen Streitigkeiten mehr leisten. In der Welt da draußen liefen Mörder herum, die ihn auch heimsuchen konnten, wenn sie schon nicht einmal davor zurückgeschreckt hatten, einen der größten Zauberer seiner Zeit zu töten. Ja, Dumbledore würde sich gewiß freuen, daß Julius ein weiteres Schuljahr überstanden hatte, der Muggelstämmige, der wegen einer außergewöhnlich hohen Begabung mehr in der Zauberei machen konnte als die meisten seines Alters. Er dachte auch an Claire, die jetzt mit ihrer Großmutter zum überirdischen Wesen Ammayamiria vereinigt war. Sie freute sich wohl auch, daß er sowohl in der Schule als auch in der Liebe Halt gefunden hatte, aber auch daß ihre Freundin Laurentine endlich wußte, warum sie in Beauxbatons lernte.

Die Reisesphäre erglühte und trug die Schüler und Lehrer aus Beauxbatons fort. Für mehrere Sekunden herrschte absolute Schwerelosigkeit. Dann erreichten sie den grünen Kreis von Paris. Julius sah sich noch einmal nach Hercules Moulin um. Dieser stand ganz am Rand und schien darauf zu lauern, sich schnell abzusetzen. Doch einen kurzen Blick konnte Julius noch von ihm erhaschen. Es war nicht Haß oder Feindseligkeit, sondern Unsicherheit. Offenbar wußte Hercules nicht, wie er aus der Misere herauskommen konnte, in die er sich in diesem Jahr gestürzt hatte.

"Für dich ist ja keiner da", meinte Millie zu Julius, als sie sich umsahen. Tatsächlich waren weder Catherine noch seine Mutter da. Millies Eltern und Martine traten heran. Julius melote Catherine an.

"Ich kann nicht zu euch raus, weil Jennifer und James bei uns sind. Geh mit Hipp und ihrer Familie! Albericus hat seinen Bus wohl vorgefahren."

Tatsächlich hatte Monsieur Latierre seinen verbeulten VW-Bus vor dem Geschichtsmuseum abgestellt. Unterwegs zur Rue de Liberation 13 sprach Julius mit Millies Eltern und Martine über die letzten Monate in Beauxbatons. Hippolyte lud ihn und seine Mutter ein, sie am nächsten Tag schon zu besuchen. Julius versprach, die Einladung weiterzugeben.

Als sie vor dem Haus vorfuhren, öffnete sich die Tür, und Jennifer Brickston, Catherines Schwiegermutter, trat heraus. Hippolyte grüßte sie freundlich auf Englisch. Doch Mrs. Brickston erwiederte, daß sie nun auch Französisch lerne und wohl bald einigermaßen Konversation machen könne. Millies Mutter erwiderte mit warmem Lächeln, daß sie sehr erfreut darüber sei. Dann winkte sie Julius zum Abschied. Millie wollte zwar noch mit ihm nach oben, doch ihre Eltern hielten sie wortlos zurück.

"Wo kommt ihr eigentlich an, wenn ihr von eurer Schule anreist?" Fragte Babettes und Claudines Muggel-Oma.

"Am Südrand von Paris", sagte Julius dazu nur. "Catherine und Joe wissen, wo das ist."

"Soso", erwiderte Jennifer Brickston.

"Für wie viele Tage bleiben Sie jetzt hier, Mrs. Brickston?" Fragte Julius ungeachtet, daß er und Jennifer Brickston zu Weihnachten doch schon einigemale aneinandergeraten waren.

"Noch zwei Tage", sagte Mrs. Brickston darauf. "Wieso habt ihr eigentlich schon früher Ferien bekommen? Catherine behauptet, es sei wegen eines Lehrers, der einem Verbrechen zum Opfer gefallen sei. War das bei euch?"

"Nein, in der Partnerschule in Großbritannien", sagte Julius.

"Warum haben wir dann davon nichts mitbekommen?" Fragte Jennifer argwöhnisch.

"Weiß ich nicht", log Julius. "Wir kriegen ja keine englischen Nachrichten bei uns in der Schule. Ich weiß nur, daß es eine Solidaritätsbekundung mit der Schule ist, die deshalb früher geschlossen hat."

"Jennifer, lass den Jungen doch erst mal nach Hause kommen!" Rief James Brickston, der auf Hhalber Treppe stand und Julius zuwinkte. Der Schüler bedankte sich wortlos bei Mr. Brickston und wünschte Mrs. Brickston noch einen schönen Abend. Er begrüßte Catherine, die erschöpft aber glücklich in ihrer Wohnungstür stand. Dann stieg er zur Tür seines neuen Zuhauses hinauf und verabschiedete sich für's erste von den Brickstons.

Mit seiner Mutter sprach er noch über das vergangene Jahr und die ungewisse Zukunft, die Gloria Porter und die anderen Hogwarts-Schüler erwartete. Im Bett melote er über den Anhänger noch einmal mit Mildrid. Doch dann wurde er zu müde und schlief ein. Ein weiteres Schuljahr war zu Ende. Es hatte viel Verdruss, Schrecken und Trauer, aber auch lustiges und anregendes, für ihn sogar die erste körperliche Liebe gebracht. Das alles sagte ihm, daß das Leben keine gerade Straße war und er es sich nicht aussuchen konnte, in welche Richtung er abbiegen wollte. Im Traum sah er noch einmal Dumbledores feierliche Beisetzung. Er sah die weinende Larissa, hörte das Lied der Meermenschen und sah die andächtig aufmarschierten Zentauren und das trotz seiner Größe irgendwie hilflos wirkende Ungetüm von Riese, das Hagrids Halbbruder war. Dann sah er sich in einem anderen Traum mit Mildrid in der Festung der Mondtöchter und erwachte gerade noch rechtzeitig, bevor die davon angefachte Lust ihm peinliche Auswirkungen bereiten konnte. Danach schlief er, ohne sich an einen Traum erinnern zu können weiter, hinein in die Ferien.

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