Julius fragte sich, ob er seiner Mutter und Millie nicht doch sagen sollte, daß sie ihn nicht so dicht umgarnen sollten. Seitdem er vor zwei Tagen von seinem lebensgefährlichen Ausflug in sein Geburtsland zurückgekehrt war, taten die beiden Frauen in seinem Leben alles, ihm dieses noch angenehmer zu gestalten. Millie hatte jedoch nach der Willkommensnacht bemerkt, daß körperliche Zuwendungen alleine nichts an der trüben Stimmung ihres Mannes ändern konnten. Er dachte jetzt häufig an seine ehemaligen Schulkameraden in Hogwarts, deren Familien und vor allem die Muggelstämmigen, die nun ganz oben auf Voldemorts Abschußliste standen. Er hatte Gloria natürlich umgehend über den Umsturz informiert. Wenn es sie erschreckt hatte, so hatte sie dies sehr gut verborgen. Denn sie hatte über die Zweiwegespiegelverbindung mit ihm nur geantwortet:
"Dann ist zumindest die Frage nach dem Wann beantwortet, Julius. Ich bin Vertrauensschülerin. Das heißt, ich bin jetzt für die Leute in Hogwarts mitverantwortlich. Deshalb kommt das nicht in Frage, hier abzuhauen. Solange wir den Namen des obersten Todessers nicht laut aussprechen bleiben wohl alle Schutzzauber heil. Dann kann meinen Eltern zumindest nichts passieren."
"Gloria, die werden keine Rücksicht drauf nehmen, ob da Schutzzauber sind. Denen gehört jetzt das Ministerium. Womöglich haben die sich auch schon Gringotts und St. Mungo gekrallt", hatte Julius eingeworfen.
"Denkst du, das hätte ich nicht mitbekommen?" War Glorias Antwort gewesen. "Dad ist von den Kobolden einbestellt worden, zusammen mit Bill Weasley. Dem haben die Todesser die Hochzeitsnacht versaut. Zumindest ist keiner seiner Angehörigen und Freunde getötet worden. Die suchten nur Harry Potter und haben alle anderen entwischen lassen."
"Ach du Drachenmist! Madame Faucon hätte jetzt wohl auch "Quod erat expectandum" gesagt. Wenn deine Eltern meinen, dich nach Hogwarts zurückschicken zu können, dann mach das! Aber pass gut auf dich auf. Es könnte sein, daß die über dich an Pina oder andere rankommen wollen."
"Oma Jane hat mir einiges beigebracht und hinterlassen, Julius. Jetzt wo ich weiß, daß der Unnennbare das Ministerium unterworfen hat werde ich wohl darauf zurückgreifen. Pass du auch gut auf deine Familie auf! Es ist ja nicht gesichert, daß diese Mörderbande nicht auch in Frankreich wen für sich arbeiten hat."
"Zumindest wird der Irre versuchen, sich in anderen Ländern Leute zu sichern. Kolaborateure, Verräter, Sympathisanten", hatte Julius geseufzt, bevor er sich von Gloria verabschiedet hatte. Immerhin wollte sie jeden Abend mit ihm eine kurze Besprechung abhalten.
Das Haus Rue de Liberation Nummer dreizehn war nach dem Bekanntwerden des Umsturzes in Großbritannien zu einer Art Nachrichtenverteiler geworden. Über das Bildnis von Viviane Eauvive hielt Julius Kontakt zu den lebenden Eauvives und nach Beauxbatons. Millie hatte das Gemälde eines bunten Schmetterlings im Dachzimmer aufgehangen, über den sie Nachrichten mit ihren Eltern und Anverwandten austauschen konnte. Auch der Kamin wurde als Fernsprechmittel benutzt. Auf Anraten Madame Faucons hatte Martha ihn jedoch nur noch für Kontaktfeuergespräche offengelassen. Auch die nichtmagischen Fernmeldegeräte wie Telefon und Internet wurden benutzt, um nach ungewöhnlichen Vorkommnissen in der magielosen Welt zu fahnden. Martha telefonierte häufig mit Zachary Marchand. Das hatte Julius einmal zu der Bemerkung veranlaßt, sie könne gleich eine Satellitenstandleitung beantragen.
Am vierten August klingelte das Telefon um neun Uhr, als Julius gerade auf Millies Wunsch hin ihre Muggelkunde-Hausaufgaben durchsah. Seine Mutter dachte, es sei wieder Zachary und ging in ihr Arbeitszimmer. Doch als sie eine halbe Minute nach dem Annehmen des Gespräches immer noch keinen Ton gesagt hatte, befand Julius, doch einmal zu lauschen.
"Wie kommen Sie darauf, Mr. Riverside, daß ich Probleme bekommen könnte?" Hörte er die erste Frage seiner Mutter nach knapp einer Minute. Sie bemerkte, daß er vor der halboffenen Tür auf dem Horchposten war und schaltete den Lautsprecher zu. Blechern klang eine Männerstimme, die Julius bis her noch nicht gehört hatte:
"Sie haben mir die Ehre erwiesen, mich mit der Veräußerung Ihres Wohneigentums zu betrauen. Nun haben sich drei Kaufinteressenten angemeldet, die das Haus und Grundstück Winston-Churchill-Straße 13 besichtigen und über den Kauf verhandeln möchten. Allerdings bestehen sie darauf, daß die Eigentümerin höchstpersönlich bei den abschließenden Verhandlungen anwesend ist."
"So, wer sind denn die Interessenten?" Wollte Martha Andrews wissen. Ihre Stimme klang kalt wie Eis. Julius blickte auf den Computerbildschirm. Dort tobte gerade ein lautloses Feuerwerk. Zahllose Raketen schossen durch das Sichtfeld. Feuerkugeln zerplatzten in bunten Flammenwolken.
"Ein Dr. Winterford aus Cambridge, ein Ehepaar Taggert aus Brighton und ein Mr. Gordon aus Carlisle. Sie alle sind bereit, den geforderten Preis zu zahlen, wenn die örtlichen Gegebenheiten den Angaben entsprechen und sie nicht nur über einen Makler oder Anwalt verhandeln. Gerade Mr. Gordon legt äußersten Wert auf persönliche Absprachen. Er begründete seinen Vorbehalt damit, daß er bereits mehrfach bei größeren Geschäften von Briefkastenfirmen übertölpelt worden sei. Einmal habe er herausgefunden, daß der Makler auf eigene Rechnung gearbeitet habe und den Kaufpreis für ein Objekt dreimal so hoch angesetzt habe, als der Eigentümer verlangt hat, um den Gewinnüberschuß in die eigene Tasche zu stecken. Auch in meiner Laufbahn habe ich derartige Betrügereien erlebt oder deren gerichtliche Folgen behandelt. Insofern wäre es sehr vorteilhaft, wenn Sie persönlich herüberkämen. Da Julius ja Miteigentümer ist, sollten Sie erwägen, ihn mitzubringen, damit er miterlebt, was in seinem Namen ausgehandelt wird."
"Ich fürchte, ich habe Sie gerade nicht richtig verstanden, Dr. Riverside. Wollen die drei Interessenten zum selben Zeitpunkt das Haus besichtigen?" Fragte Mrs. Andrews kühl.
"Natürlich nicht, Madam. Mr. Winterford möchte übermorgen kommen. Die Taggerts haben für den zwölften August um einen Besichtigungstermin gebeten, und Mr. Gordon bat um eine Unterredung am vierzehnten August. Sie könnten bereits morgen Früh in meiner Kanzlei mit mir über die Einzelheiten sprechen."
"Da ich alle Möbel und Gebrauchsgegenstände aus dem Haus geschafft habe müßte ich also für zwei Wochen eine Unterkunft besorgen", sagte Martha Andrews.
"Nun, wenn ich richtig orientiert bin besitzen sie noch eine Tante und einen Cousin in England, falls Sie nicht Ihren Schwager Claude um Unterbringung bitten möchten."
"Natürlich, den könnte ich bitten", erwiderte Martha Andrews ohne jede Erregung. Julius war derweil zum Schreibtisch gegangen und hatte die Computermaus einen Zentimeter nach links verschoben, worauf das Feuerwerk vom Bildschirm verschwand und vier Fenster auftauchten. Eines davon war einem Textverarbeitungsprogramm zugeordnet, in dem gerade ein Bericht über die bis 1993 vorherrschende Rassentrennung in Südafrika bearbeitet werden sollte. Er führte den Mauszeiger in das Fenster hinter den letzten Satz und tippte "Nicht drauf eingehen! Ist bestimmt 'ne Falle!" Seine Mutter nickte heftig und lauschte Riversides Worten:
"Dann darf ich Sie morgen oder übermorgen bei mir erwarten, Mrs. Andrews?"
"Moment, Sir. So schnell kann ich meine Termine nicht umschichten. Immerhin habe ich einen verantwortungsvollen Beruf hier", sagte Martha Andrews. Dann legte sie den Hörer bei Seite und tippte rasch auf der Tastatur herum:
"Ist mir in dem Moment klar geworden, als er meinte, ich könnte Claude fragen." Dann nahm sie den Hörer wieder und sagte:
"Kriegen Sie das hin, diesen Dr. Winterford auf den neunten August zu vertrösten? Ich kann erst am achten hier weg." Riverside schwieg einige Sekunden. Dann sagte er:
"Geht nicht. Der Termin war schon so schwierig auszuhandeln. Wenn Sie nicht kommen haben wir einen Interessenten weniger."
"Das Risiko gehe ich ein, Dr. Riverside. Immerhin haben wir schon bald ein Jahr zugebracht. Dann kommt es auf einige Tage oder Wochen mehr nicht an."
"Winterford hat Barzahlung in Aussicht gestellt", sagte Riverside. "Was haben Sie denn so unaufschiebbares?"
"Das unterliegt dem Dienstgeheimnis, Dr. Riverside. Da Sie nur als Anwalt für private Angelegenheiten tätig sind, darf und werde ich darüber nichts verlauten lassen. Es ist halt so, daß die Termine bereits feststehen und von meiner Seite nicht geändert werden können."
"Nun gut. Dann hoffe ich, daß Sie zumindest am elften August zu mir finden können, um die beiden anderen Interessenten zu erörtern. Ich werde Dr. Winterford anrufen und ihm die bedauerliche Mitteilung machen, daß er nicht mit Ihnen rechnen kann und wir Verständnis haben, daß er daraufhin von seinem Kaufinteresse zurücktritt."
"Ja, tun Sie das bitte!" Erwiderte martha Andrews kühl. Julius vermeinte, ein ganz leises Grummeln aus dem Lautsprecher zu hören. Auch Millie spitzte ihre Ohren und funkelte den Telefonapparat an, als erwarte sie von diesem angegriffen zu werden.
"Ja, aber wenn ich meine Arbeit für Sie nicht für nichts und wieder nichts getan habe wäre es in Ihrem elementaren Interesse, den nächsten Interessenten persönlich zu begrüßen."
"Hmm, da haben Sie recht. Aber am neunten August könnte ich wohl von hier fort, falls die laufenden Projekte bis dahin abgeschlossen sind. Sagen wir mal, unter Vorbehalt, daß die Projekte abgeschlossen sein werden, melde ich mich dann am neunten August bei Ihnen."
"Ich fürchte, Dr. Winterford könnte auf die Idee verfallen, nachzuprüfen, ob Sie tatsächlich existieren", sagte Riverside ungehalten. "Er hat mir durch einen für uns Juristen klar sichtbaren Blumenstrauß angekündigt, mit mindestens drei Anwälten anzutreten."
"Fürchten Sie um Ihre Reputation, Sir?" Fragte Julius' Mutter überflüssigerweise.
"Eher um Ihre", entgegnete Riverside. "Aber ich werde sehen, daß ich ihn ohne großes Nachspiel davon überzeuge, daß Sie aus beruflichen Gründen nicht zum Termin erscheinen können."
"Ich finde es überhaupt merkwürdig, Dr. Riverside, daß Sie mich hier vor vollendete Tatsachen stellen. Wäre es für Sie, die Kaufinteressenten und mich nicht wesentlich vorteilhafter gewesen, wir beide hätten die Termine abgestimmt und die günstigsten hervorgehoben?" Fragte Martha Andrews nun sehr gelassen wirkend. Millie sah auf den Computerbildschirm, wo immer noch der heimliche Dialog zwischen ihrem Mann und ihrer Schwiegermutter flimmerte.
"Sie gaben mir freie Hand, Termine zu vereinbaren und einen Ihnen genehmen Preis auszuhandeln. Ich konnte nicht ahnen, daß die drei potentesten Kaufinteressenten ein derartiges Mißtrauen an den Tag legen", erwiderte Riverside verdrossen. Martha Andrews verzog das Gesicht zu einer verächtlichen Miene, klang aber sehr gelassen, als sie antwortete:
"Nun, das können wir ja erörtern, wenn ich bei Ihnen vorsprechen kann. Am besten beenden wir jetzt das Gespräch, damit ich meine Arbeit fortsetzen kann. Um so wahrscheinlicher ist es dann, daß ich zumindest Interessent Nummer zwei und drei persönlich begrüßen kann."
"Es ist Ihr Haus, Madam. Sie sollten schon wissen wollen, wer es kauft."
"Wenn es ernste Verhandlungen gibt", sagte Martha Andrews immer noch gelassen. "vorher klären Sie alles, was zu klären ist, Dr. Riverside! Dafür werden Sie schließlich von mir bezahlt." Wieder meinte julius, jemanden im hintergrund leise grummeln zu hören, noch während Riverside sagte:
"Auch darüber sollten wir uns in einem persönlichen Gespräch noch einmal verständigen, Madam. Immerhin bin ich ja nicht nur als Makler für Sie tätig."
"Zu gegebener Zeit, Dr. Riverside", sagte Mrs. Andrews entschlossen. Dann verabschiedete sie sich von dem Anwalt und legte auf.
"Die haben den", knurrte Millie. "Der unnennbare Drecksack hat wen zu dem hingeschickt, um euch beide in die Drachenhöhle zu locken."
"Ganz genau, Mildrid. Das habe ich sofort erkannt, als er meinte, ich könne ja meinen Schwager um eine Unterkunft bitten. Dabei weiß Riverside genau, daß ich mich mit diesem Schwager unumkehrbar überworfen habe."
"Außerdem war der Typ nicht allein", sagte Julius. Millie nickte. Martha Andrews fragte, woher er das wissen wollte. Julius erwähnte, ein oder zweimal wen verärgert grummeln gehört zu haben. Martha Andrews legte die Stirn in Falten und meinte dann:
"Dann habe ich mich doch nicht verhört. Ich dachte erst, sein Magen hätte geknurrt. Aber sogesehen muß derjenige, der ihn bedrängt hat ja mitkriegen, was ich mit ihm bespreche. Auch diese vier Sekunden Bedenkzeit ergeben dann einen Sinn. Wie lange braucht ihr für eine Gedankenbotschaft?"
"Hängt von Vertrauensbasis und Entfernung ab, Mum", sagte Julius. "Wenn ich mit wem meloen will, den ich nicht gut kenne, dann würde das mehr als vier Sekunden dauern, mich auf den einzustellen."
"Diese Bande ist verdammt schnell. Die suchen offenbar Muggelstämmige oder Leute mit viel Geld", sagte Millie.
"Wenn sie das Ministerium haben ist denen unsere Akte mit Schmackes in die Augen gesprungen", meinte Julius. Seine Mutter nickte.
"Je nachdem, wer den neuen Machthabern alles Informationen liefert könnten die denken, wir beide seien so wichtig, weil wir mal eben von England nach Frankreich umgesiedelt sind, daß die befinden, uns kassieren zu müssen. Dann hätten sie es aber geschickter anstellen müssen."
"Dieser Anwalt sollte es doch wissen, daß du das merkst", sagte Millie zu ihrer Schwiegermutter. Diese nickte. Julius meinte dann:
"Ich denke mir eher, da ist wer von Lord Unnennbars Leuten bei dem aufgelaufen und hat ihm den Imperius-Fluch übergebraten. Riverside führt nur den Auftrag aus, den er unmittelbar ins Gehirn gepflanzt bekommen hat. Aber jetzt ist die Frage, wie wir mit dieser Sache umgehen. Riverside hat die ganzen Unterlagen."
"Die Frage ist einfach, Julius: Legen wir beide noch wert auf das Haus oder geben wir es einfach verloren?"
"Weil sie euch über das Haus an der leine hätten?" Fragte Millie. Julius und seine Mutter nickten.
"Mum, ich würde eher auf den Erlös vom Haus verzichten als dein oder mein Leben unnötig riskieren." Millie nickte.
"Dann sage ich einfach, daß meine Arbeit sich verzögert hat. Ich biete ihm an, mich hier zu besuchen. Soweit ich verstanden habe wehrt der Schutzbann Catherines auch Leute unter dem Imperius ab."
"Der wird nicht drauf eingehen, Mum. Wenn die den wirklich kassiert haben, dann lassen die den nicht mehr lebend von der Insel runter. Wenn dieser heimliche Mithörer von dem ein Todesser ist, dann wird der sich jetzt ziemlich bange fragen, was er seinem Herrn und Gebieter erzählen soll."
"Die könnten den umbringen, Julius", warf Millie ein. Martha nickte.
"Ja, das könnten die. Aber das würden die auch machen, wenn wir denen jetzt so blöd in die Falle gegangen wären", sagte Julius. Seine Mutter nickte wieder.
"Wenn sie ihn wirklich gefangen oder versklavt haben, dann können wir ihm nicht helfen, indem wir uns ausliefern. Diese Bande würde ihn als lästigen Mitwisser umbringen."
"Vor allem auch, weil er muggelstämmig ist, Mum. Dann hätten die einen weniger."
"Mit anderen Worten, deine Mutter hat gerade mit einem toten Mann geredet", seufzte Millie. Martha und Julius nickten ihr schwerfällig zu.
"Im Grunde sind alle, die dem dunklen Meister lästig sind, in tödlicher Gefahr", stellte Julius fest. "Die haben Claudia Sterling, Pinas und Melanies Väter umgebracht, ohne die zu kennen und ohne die zu fragen, ob sie nicht doch noch was für die Mörderbande tun könnten", warf Julius sehr verdrossen ein. "Der Mistkerl tickt so, daß wer nicht für ihn ist und ihm nix bieten kann automatisch so wertlos wie eine abgepellte Bananenschale oder ausgepuhlte Fischgräten ist."
"Ich rede mit Catherine darüber, wie ich mit der Lage umgehen soll", sagte Martha Andrews.
"Sollen meine Eltern was davon wissen, Martha?" Fragte Millie. Julius' Mutter bewegte ihren Kopf, als müsse sie die Gedanken darin ins Gleichgewicht bringen. Dann sagte sie:
"Das ist nicht wichtig, solange ich Julius nicht nach England zurücklasse. Und ich werde den Teufel tun, ihn da noch mal hinreisen zu lassen, solange dieser Wahnsinnige da ein Putschregime unterhält, das Hitler, Botha, Pinochet und Stalin abgeguckt ist."
"Maman würde ihn auch nicht mehr weglassen. Du weißt ja noch, was sie gesagt hat, bevor Julius sich aus der Geheimen Zuflucht gemeldet hat", knurrte Millie.
"Dieser Ausspruch, daß sie ihn mit einem Walpurgisnachtring an sich binden will, Mildrid?"
"Eigentlich eine feine Sache. Nur würde mein Vater was dagegen haben", erwiderte Millie.
"Kann ich mir vorstellen", warf Julius ein. Da trällerte wieder das Telefon.
"Hallo, Martha, ich wollte Sie darum bitten, in zwanzig Minuten mit den bisherigen Unterlagen zu rassistischen Gewaltherrschaften zu uns ins Ministerium zu kommen. Minister Grandchapeau, Madame Grandchapeau, Monsieur Chevallier und Professeur Faucon erbitten Ihre Expertise zur Lage auf den britischen Inseln", klang Nathalie Grandchapeaus Stimme aus dem Lautsprecher.
"Zwanzig Minuten? Wie lange wird es ungefähr dauern?" Fragte Julius' Mutter.
"Das hängt vom Umfang der zusammengetragenen Informationen ab und wie wichtig einzelne Teile davon für unsere jetzige Lage sind", erwiderte Madame Grandchapeau. "Die junge Madame Grandchapeau wird sie in zwanzig Minuten vor Ihrem Haus abholen."
"Ich werde herunterkommen, wenn ich ihren Wagen vor der Tür sehe", sagte Martha Andrews.
"Gut, dann in zwanzig Minuten!" Beendete Madame Grandchapeau das Telefonat.
"Okay, dann sollte ich den Südafrikabericht gleich auch noch ausdrucken lassen", sagte Julius' Mutter und betätigte die Rücktaste, um die kurzen Sätze wegzulöschen, die Julius und Sie während des Gespräches mit Anwalt Riverside eingetippt hatten. Dann prüfte sie, ob sie die Unterlagen so präsentieren konnte, speicherte sie ab und ließ sie von ihrem Laserdrucker leise Surrend auf Papier werfen.
"Dann bist du mittags nicht da?" Fragte Julius seine Mutter, während der Drucker lief.
"Das befürchte ich. Zumindest kann ich denen im Ministerium genug Beispiele für eine positive Wendung bei diktatorischen Herrschaften bieten: Deutschland, Spanien, Südafrika und Rußland."
"Na ja, in Südafrika und Rußland ist die Lage nach dem Zusammenkrachen der Alleinherrschaften eher chaotisch. Die in Südafrika haben nur Glück, daß deren neuer Präsident die schwarze Bevölkerungsmehrheit von Racheakten abgebracht hat. Aber echt überwältigend positiv ist das noch nicht. Höchstens besser als vorher", wandte Julius ein. Millie sah ihn verdrossen an, weil er so trübsinnig gesprochen hatte.
"Ihr könnt von dem, was wir gestern Mittag hatten was essen", sagte Martha Andrews. Mildrid und Julius nickten. Das würde die erste Zeit in der gemeinsamen Wohnung sein, wo Julius' Mutter nicht bei ihnen sein würde.
Tatsächlich hielt keine zwanzig Minuten später der kirschrote VW Käfer Belle Grandchapeaus vor dem Haus. Martha Andrews wünschte ihren beiden Mitbewohnern noch einen ruhigen Tag und verließ in einem dezenten Kleid das Haus.
"Danke dir, Monju", sagte Millie, als Julius ihr bei der Hausarbeit für den Muggelkundelehrer Paximus geholfen hatte. "Schon wichtig, wie das erklärt wird, warum Leute in Bahnen unter der Erde besser fahren können als in denen auf dem Erdboden."
"Wir können das auch gerne mal im Selbstversuch ausprobieren, Mamille. Hier in Paris gibt's ja die Metro."
"Abgesehen von den Kleingaunern da muß das schon interessant sein, die Musiker, die Leute aus allen Ländern und Berufen. Aber Paximus könnte finden, ich müßte dann einen Vortrag über das ganze halten. Obwohl, könnte ich eure Laurentine gut mit auspunkten."
"Die könnte meinen, du hättest mich nur geheiratet, weil du Jahrgangsbeste in Muggelkunde werden wolltest", scherzte Julius.
"Aber ganz bestimmt nur deswegen", erwiderte seine Frau darauf.
Es klopfte an der Wohnungstür. Julius ging hin und fragte, wer da sei. Es war Catherine.
"Meine Mutter will, daß ich bei dieser Informationsveranstaltung dabei bin, die im Ministerium stattfindet. Könntet ihr beiden solange auf Claudine aufpassen. Babette ist bei Denise in Millemerveilles."
"Geht klar, Catherine", sagte Julius und öffnete die Tür. Millie kam ihm zuvor und hob die kleine Claudine Brickston aus Catherines Armen.
"Wo darf ich ihr Kinderbett hinapportieren?" Fragte Catherine. Julius deutete auf sein früheres Schlafzimmer. Catherine nickte und machte die für eine bewegungslose Ortsversetzung ferner Gegenstände nötigen Zauberstabbewegungen. Mit lautem Plopp materialisierte sich Claudines hölzernes Bettchen mit den rosaroten Bambusholzgittern. Dann gab sie Julius noch eine große Milchflasche und versicherte den beiden Eheleuten, daß Claudine eine bezauberte Windel trug, die mindestens eine Woche nicht gewechselt werden mußte. "Wenn ihr ihr zwischendurch was vorsingt oder eine Geschichte erzählt bleibt sie schön ruhig", sagte die Mutter der Hexe im Rosaroten, geblümten Strampelanzug. Dann bedankte sie sich noch einmal bei den beiden und verließ die Wohnung.
"appariert die jetzt oder hat sie den Kamin unten offengelassen?" Fragte Millie.
"Hups, hat sie mir nicht erzählt", sagte Julius und mentiloquierte die Frage weiter.
"Achso, der Kamin unten ist ganz zu. Ich laufe zum alten Metro-Bahnhof und disappariere von da", kam die prompte Antwort. Julius gab es weiter.
"Tja, jetzt haben wir ein Übungsbaby, und müssen nicht viel damit machen", meinte Millie.
"Ich kann ja fragen, ob deine Mutter uns die kleine Miriam rüberbringt, wenn du mehr machen willst", sagte Julius.
"Na toll, dann käme die doch glatt auf die Idee, wir beide könnten gleich wieder zu ihr umziehen, wenn ich so sehr da hinterher wäre, meine kleine Schwester zu wickeln. Soll Tine das machen", erwiderte Millie.
Sie probierten aus, bei welcher Musik Claudine am ruhigsten blieb und spielten ihr ein paar Hörspielcassetten aus Julius' weit entfernt scheinenden Kindertagen vor. Millie fragte ihn, ob er damit gerechnet habe, daß er die nachgespielten Märchen auf den dünnen Bändern deshalb behalten habe, um sie irgendwann seinen eigenen Kindern vorzuspielen.
"Eher wohl sowas wie Festhalten an schönen Tagen, wo die Schule noch nicht so stressig war und die Welt richtig bunt und ohne alles das war, was Logik und Vernunft angeht", erwiderte Julius darauf.
Mittags aßen Sie von dem Gemüseeintopf. Dann rief Babette aus dem Kamin:
"Martha, Millie, Julius! Ist der Kamin bei euch ganz offen?!"
"Neh, der ist nur zum durchrufen!" Rief Julius. "Ich kann den auch nicht ganz aufmachen. Wolltest du wieder nach Hause?"
"Denise ist blöd. Die hängt jetzt immer bei Vivi rum, wie wenn die ihr Baby wäre", nölte Babette. "Wir sind jetzt bei Jeanne im Haus. Madame Camille Dusoleil ist in der grünen Gasse."
"Dann geh doch zu deiner Oma Blanche", feixte Julius.
"Blödmann", blaffte Babette. "Selbst wenn die da wäre gehe ich da nich' hin, Mann."
"Wenn du deinen Meckerkopf schon zu uns reingeschossen hast weißt du ja, daß deine Eltern beide weg sind und den Kamin dichtgemacht haben", erwiderte Julius locker. "Deine Maman ist mit meiner Mum beim Minister und redet mit dem über böse Leute wie Hitler, Stalin und das ganze Verbrecheralbum der Geschichte. Wann die wiederkommen weiß ich nicht. Bleibt dir nix übrig, als dich von Jeanne betüddeln zu lassen, wenn ihre kleine Schwester ihr das Baby dafür weggenommen hat."
"Mann, bist du doof", maulte Babette. Millie fragte sie, ob sie lieber bei ihrer kleinen Schwester wäre.
"Die krieg ich wenigstens ruhig. Brauche nur die Spice Girls mit den langsamen Titeln reinmachen."
"Haben wir auch schon raus", meinte Millie lächelnd. "Vor allem zwei werden eins", damit die Kleine schon weiß, wie sie überhaupt entstanden ist."
"Die bringen ja bald 'ne neue Langspiel-CD raus", sagte Babette, während Julius wie aus einem langen Tunnel Denise singen hören konnte. Dann rief Jeannes kleine Schwester:
"Jeanne, Babette hat ihren Kopf bei wem drin!"
"Blöde Petze", knurrte Babette. "Ich will nach Hause."
"Pass mal auf, Babette, ich melo mit Camille, daß die dich bei Jeanne abholt und mit dir in die grüne Gasse geht oder was anderes macht, was dir spaß macht. Besenfliegen wäre doch auch was", sagte Julius. Babettes grimmige Miene hellte sich etwas auf.
"Julius, ist Babette bei euch im Kamin?" Vernahm er Jeannes Gedankenstimme.
"Jawoll", schickte er zurück und hörte den inneren Nachhall seiner Worte. Durch das Amulett Ashtarias und die Verbindung mit Claire war er immer noch optimal auf die Dusoleil-Hexen eingestimmt.
"Denise ist stolz wie ein Pfau, daß sie schon Tante ist, bevor sie nach Beaux geht", antwortete Jeanne. Dann rief sie hörbar:
"Babette, hol deinen Kürbis wieder ein! Wir wollen raus an die Luft."
"Super, mit Baby Teita gehen", muffelte Babettes Kopf. "Kannst du der nicht sagen, die soll mich einfach alleine rausgehen lassen. Hier in Millemerveilles wird ja kein Kind geklaut."
"Sag ihr das bitte selbst! Du bist zehn Jahre alt. Da solltest du langsam reden können", erwiderte Julius. Millie grinste belustigt.
"Mann, ihr seid echt spaßbremsen! Ich geh zu Mayette. Da quängeln zwar auch viele Plärrbabys rum, aber ... Wuaa!! ..." Der letzte Ausruf Babettes war wohl eher ein Schreckensschrei. Denn Julius konnte gerade noch sehen, wie ihr Kopf rasant in einem grünen Flammenblitz verschwand und der Ruf wie abgerissen verstummte.
"Wer nicht hören will muß fühlen, Julius. Ich habe eure störrische Mitbewohnerin wieder zusammengesetzt und geh jetzt mit ihr, Denise und meiner kleinen Kronprinzessin an die Luft", mentiloquierte Jeanne Julius.
"Das Wort Spaßbremse wirst du dann gleich wohl auch von ihr hören", schickte Julius zurück und informierte Millie, was passiert war.
"Es stimmt echt, daß es Frauen gibt, die ziemlich nervig werden, wenn sie eigene Kinder haben. Aber wag dich bloß nicht, dich darauf zu berufen, wenn ich finde, daß wir eins machen können!"
"Dann wird Babette sich nachher bei ihrer Mutter beschweren, daß sie nicht den Rückzug antreten konnte. Und was Jeanne angeht, so kann ich dir ganz sicher sagen, daß die früher schon auf Strenge Mutter gepolt war", erwiderte Julius und erzählte seiner Frau dann alles, was er mit Jeanne in den ersten Sommerferien in Millemerveilles und vor allem während des trimagischen Turniers in Hogwarts erlebt hatte.
"Oh, dann sollte ich mich bei der bedanken, daß die dich immer rechtzeitig zum Essen angehalten hat, daß du so groß und stark werden konntest, Monju", grinste Millie. "Eigentlich könntest du mir, wo wir jetzt so häufig zusammen sind, auch Melo mit anderen Leuten beibringen."
"Stimmt, an und für sich könnte ich das. Aber ich weiß nicht, ob deine Eltern das so gern hätten. Ich hatte nämlich den Eindruck, daß denen das nicht so ganz gepaßt hat, daß wir beide mit den roten Herzen meloen können."
"Klar, weil Papa so abgedrehte Hintergedanken hat, Julius. Aber Maman fand das schon in Ordnung so. Ja, und als du dann wegen Königin Blanche bei den Muggeln in England warst und die Saubande des Verrückten da aufgekreuzt ist, war das verdammt praktisch und lebenswichtig. Jetzt hat's auch mein kleiner, alter Herr geblickt, daß wir zwei uns so aus der Ferne was rüberschicken können."
"Das stimmt ja wohl", stimmte Julius seiner Frau zu.
Während Claudine den halben Nachmittag verschlief erzählten sich Julius und Millie weitere Geschichten aus ihrer Kinderzeit. Julius offenbarte seiner Frau, daß er gerne wissen wollte, was aus den früheren Schulfreunden vor Hogwarts geworden sei. Als er ihr erzählte, daß seine eigentlich besten Freunde wegen Rauschgifthandels von der Schule geflogen seien meinte sie:
"Ja, so Idioten gibt es auch in der Zaubererwelt. Fanden das wohl superstark, was zu machen, was verboten war und waren nicht raffiniert genug, sich nicht dabei erwischen zu lassen. Die wirklich gefährlichen Verbrecher sind die, die was in der Rübe haben und nicht die, die mit ihren Muckis angeben. Tante Trice hat mal erzählt, wie einer, der unerlaubt verschreibungspflichtige Tränke verscherbelt hat, für vier Jahre ins Gefängnis mußte. Dann kam noch raus, daß der sich von einem geldgierigen Heiler die Sachen hat brauen lassen. Oha, das wurde richtig lustig. Aberkennung des Heilerstatus, zwölf Jahre Bau und zehntausend Galleonen Sonderstrafe. Wissen die beiden Heinis denn, wo du jetzt wohnst?"
"Denke ich nicht, weil meine Eltern denen das zum einen nicht mitteilen konnten und es denen auch dann nicht auf die Nase gebunden hätten. Außerdem weiß ich nicht, ob die noch im Jugendknast brummen oder schon wieder in freier Wildbahn sind. Moira ist ja jetzt in einem reinen Mädcheninternat, sowas ähnliches wie die zugemachte Broomswood-Akademie, nur ohne Hexen. Mum sagte mal was, daß die da eingeschränkte Internetnutzung haben und die jetzt kapiert habe, warum ich so selten was von mir habe hören lassen."
"Nach dem was du mir gezeigt hast könnten die Mädels ja da auch voll aus dem Tritt kommen, wenn die alle so in diesem Internet rumklicken und suchen könnten wie ihr hier."
"Stimmt schon", sagte Julius. "Ist alles eine Frage der Balance."
"Ist wohl so", meinte Millie dazu. Dann befand sie, für sich und Julius Kakao machen zu wollen und hantierte mit einem großen Topf, Milch aus dem Kühlschrank und Kakaopulver, bevor sie den für sie immer noch etwas fremdartig wirkenden Elektroherd einschaltete.
"Pass mit deinen Haaren auf, Millie!" Warnte Julius sie, weil sie sich über den Topf beugte und dabei einige rotblonde Strähnen die nun heiß werdende Herdplatte berührten.
"Mach jetzt bloß keinen Stress, Monju. ... Hups, diese schwarze Platte wird ja schon richtig warm."
"Du hast den Ofen auf volle Kraft gestellt. Da müssen wir eh aufpassen, daß die Milch nicht überkocht", meinte Julius.
"Ich habe schon oft genug Milch heiß gemacht, Monju. Da passe ich schon auf."
Julius sah zu, wie seine Frau mit dem Kochlöffel im langsam immer stärker brodelnden Schokoladengebräu herumrührte. Tatsächlich begann die Milch bereits nach fünf Minuten wild zu brodeln. Julius regelte schnell den Herd herunter und sah, wie Millie gerade so noch ein Überkochen verhinderte.
"Also diese Elektroöfen sind echt gewöhnungsbedürftig. Dachte, das diese Heizplatten langsamer als Feuer heizen."
"Das ist ja das, was Mum dir gezeigt hat. Du drehst hier an den Knöpfen für die Platten so, daß du kleine oder große Hitze machen kannst. Ist wie beim Brauen, wo du kleine Flammen und große Feuer machen kannst, eben nur mit Strom."
"Ich lern das noch bis nach den Ferien", grummelte Millie. Doch dann lächelte sie. "Wenn wir eine echt eigene Wohnung kriegen haben wir dann einen gescheiten Zauberherd. Damit kann ich schon gut kochen."
"Ich wollte dich auch nicht kritisieren, Millie. Ich wollte nur erklären, wie bei Elektroöfen eingestellt wird, wie schnell die heiß werden", wandte Julius ein. Millie nickte und prüfte, ob sie ihr Haar nun sicher vor dem unsichtbaren Herdfeuer verborgen hatte.
Nachdem die beiden eine große Kanne heiße Schokolade geleert hatten lasen sie aus Julius' alten Grundschulbüchern kleine Geschichten vor. Dann kehrten Catherine und Julius' Mutter zusammen von der Besprechung im Ministerium zurück.
"Hat etwas länger gedauert", sagte Martha Andrews. "Minister Grandchapeau wollte ganz genau wissen, wie die Diktaturen in Europa und Lateinamerika überhaupt entstehen konnten und wie sie beendet wurden."
"Er meinte dann noch, daß wir wohl die Wahl zwischen einem Zaubererweltkrieg oder einer Aushungertaktik hätten, wenn wir von hier aus das gerade entstandene Regime des Unnennbaren beenden wollen", fügte Catherine hinzu. Millie sah sie leicht verdrossen an und wandte ein: "Da denke ich, daß längst nicht alle sich umbringen lassen wollen, nur um diesen Bastard von der Erde zu putzen. Der hält sich doch jetzt für superstark, weil ihn keiner umbringen konnte und er jetzt seine Heimatinseln herumkommandieren kann. Nachdem was Julius mir erzählt hat gab's früher Leute, die konnten mit einem Fingerzeig bestimmen, ob jemand mal eben umgebracht wurde oder leben bleiben durfte. Will Grandchapeau denn echt einen Großangriff auf Julius' und deine Heimat, Martha?"
"Es stimmt, was Julius erzählt hat. Alle die nach der Machtergreifung dieses bösartigen Magiers nach Großbritannien und Irland hinüberwollten sind spurlos verschwunden. Allerdings konnten die Delacours zurückkehren. Fleur, die jetzt wohl Weasley heißt, ist wohl vor dem Fluch sicher, weil Veela-Blut in ihren Adern fließt", sagte Catherine. "Noch besser ist Apolline Delacour geschützt. Nur die reinmenschlichen Verwandten mußten sehr schnell mit Portschlüsseln außer Landes gebracht werden, weil bei ihnen starke Schmerzen auftraten. Außer Julius käme also niemand mehr von hier aus in die Einflußsphäre des Tyrannen."
"Und der Wiederkehrerin", meinte Julius. "Die hat sich doch einen in Großbritannien geborenen Körper zugelegt."
"Sicher wird sie schon Verbündete in England haben", sagte Catherine dazu. "Aber der Verbrecher wird jetzt wohl alle seine Feinde jagen und ermorden lassen. Jetz, wo ihm das ganze Ministerium unterworfen ist, kann er alle dortigen Archive und Strafakten benutzen, die Einsatzkommandos losschicken und noch mehr. Wir werden in den nächsten Tagen noch einmal für die Erstellung eines Aktionsplans zusammenkommen, wenn klar ist, ob der Unnennbare und seine Handlanger tatsächlich fest auf dem Besen sitzen und unangefochten regieren."
"Na klar, weil ein Befreiungskommando nicht rüber kann", schnarrte Julius. "Das hat dieser Mistkerl schon sehr gut vorgeplant."
"Wir haben auch nie daran gezweifelt, daß er einen scharfen Verstand hat", schnarrte Catherine zurück. Dann bat sie Millie und Julius darum, ihr den Tag mit Claudine zu schildern, wo es ja nichts nennenswertes zu berichten gab, außer dem, was Babette auch schon herausgefunden hatte. Catherine lachte einmal, als Julius über das Kontaktfeuergespräch mit Babette sprach. "Da werde ich mir wohl noch was von Jeanne und Babette anhören dürfen", war ihr Kommentar dazu.
Den restlichen Abend unterhielten sich Millie und Martha über die unterschiedlichen Möglichkeiten für Muggelfrauen und Hexen in England und Frankreich, während Julius noch einmal im Internet nachschaute, was die Marssonde Pathfinder neues erkundet hatte. Gegen elf Uhr zogen er und Millie sich in ihr Schlafzimmer auf dem Dachboden zurück. Zu Julius' Beruhigung war auch seiner Frau im Moment nicht nach körperlicher Zweisamkeit. Das was in England gerade geschah lastete auf Julius' Seele wie ein tonnenschwerer Eisklotz. Er dachte an Henry Hardbrick, den Muggelstämmigen, der nun in die vierte Klasse kommen sollte. Wenn Voldemort wirklich seine Macht ausreizte und alle Muggelstämmigen aus der Zaubererwelt ausschließen oder ähnlich wie die Nazis im großen Stil ermorden lassen würde, dann hatte der damals so trotzköpfige Mitschüler absolut keine rosigen Zukunftsaussichten. Sollte er seine Eltern morgen anrufen und ihnen raten, das Land zu verlassen? Auch wenn die Hardbricks ihn dann dumm anquatschen würden mußte er das versuchen.
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Julius hatte die Mini-Temmie wieder aus der Kiste geholt. So wurden er, Millie und seine Mutter am nächsten Morgen schon um sechs Uhr aus dem Schlaf gemuht.
"Ich denke, die läßt du in Beaux gleich in der Kiste", grinste Millie vergnügt und reckte sich genüßlich. Julius stemmte sich dagegen, daß seine Frau ihn aus dem Bett zu drücken drohte. Sie kniff ihm verspielt in den Bauch und zog ihn in eine kurze, innige Umarmung. "Was wirst du das vermissen, wenn wir wieder in Beaux sind", hauchte sie ihm ins Ohr. Er bestätigte es und meinte: "Du aber auch, Mamille."
"Wenn wir schon wach sind, dann können wir Frühstück machen", gähnte Mildrid. Julius stimmte zu.
Martha Andrews genoß es, länger im Bett bleiben zu können. Sie stand erst auf, als Julius an ihre Tür klopfte und verkündete, daß das Frühstück fertig sei.
Nach dem Morgenmahl versuchte Julius, die Hardbricks anzurufen. Seine Mutter hatte tatsächlich noch die Telefonnummer, die ihr Mrs. Priestley damals mitgegeben hatte. Doch am anderen Ende meldete sich nur der Anrufbeantworter. "Sind wohl im Urlaub", vermutete Julius nicht ganz so beruhigt klingend. Seine Mutter nickte. Woher sollten die Hardbricks auch wissen, welcher düstere Wind seit dem ersten August in der Zaubererwelt wehte?
Gegen zehn Uhr erschien Madame Faucons Kopf im Kamin der oberen Wohnung in der Rue de Liberation 13. Mildrid schrieb gerade einen Brief an ihre Cousinen Callie und Pennie.
"Ich wünsche einen guten Morgen, Madame Latierre. Ist Ihr Gatte in Hörweite?" Fragte die Leiterin des grünen Saales von Beauxbatons.
"Der sitzt in seinem Computerraum und schickt einen Elektrobrief an eine Madame Priestley in Australien, um ihr die Sachen zu erzählen, die an der Sauerei vom ersten August nicht geheim sind."
"Ich habe mir überlegt, auf sein Angebot zurückzukommen und ihn zu bitten, mit mir über die alten Straßen zu gehen, um zu erkunden, an welchen heute existierenden Orten sie münden."
"Sie haben doch diese Lotsenkugel von ihm", sagte Millie. "Aber ich kann ihn ja fragen, ob er Zeit hat. Mit den Hausaufgaben sind wir durch."
"Das wäre sehr freundlich von dir, Mildrid", sagte Madame Faucon, nun doch wieder die persönliche Anrede benutzend. Millie wollte aufspringen, als ihr Mann bereits durch die Wohnzimmertür kam.
"Ich habe das neue panoramabild vom Mars runtergeladen, Mamille. Guten Morgen, Madame Faucon!"
"Guten Morgen, Julius. Ich habe nach den nötigen Beratungen über die Lage in deinem Geburtsland meine Termine für den Rest der Woche geprüft und genug Freiraum gefunden, um zu fragen, ob du bereit bist, mit mir über die alten Straßen zu gehen, um zu erkunden, wohin sie führen."
"Oh, natürlich, Madame. Das interessiert mich ja selbst, was das alles für Zielpunkte sind. Die kenne ich ja nur von den Altaxarroischen Namen her. Ich kann bis zu drei Lebewesen größer als eine Maus mitnehmen, hat mir der Türhüter Garoshan erzählt."
"Daran erinnere ich mich", erwiderte Madame Faucon. "Daher wollte ich vorschlagen, daß wir goldschweif mitnehmen. Allerdings müßte ich dann Madame Maxime um die Erlaubnis bitten, sie uns zu überlassen."
"Als Gefahrenspürerin?" Fragte Julius.
"Es könnte immerhin sein, daß an den Ausgängen der Straßen alte Wächter oder Zauberfallen lauern, die sofort jeden Eindringling abwehren."
"Zum Beispiel, wenn wir irgendwo in England oder Irland rauskommen", sprach Julius aus, was ihm gerade erst durch den Kopf ging. "Wenn das mit dem Eindringlingsabwehrbann echt stimmt, dann könnten Sie arge Probleme kriegen, wenn wir da einen Ausgang öffnen. Garoshan hat mir nur die Umgebungsbilder ins Gehirn gepflanzt, aber nicht die Punkte auf der Landkarte."
Madame Faucon verzog das Gesicht. Offenbar hatte sie nicht daran gedacht, daß Voldemorts Fluch sie dann sicher ereilen würde, wenn sie sich ihm auslieferte. Millie meinte dann:
"Wenn ihr vorher nicht wißt, wo ihr rauskommt, ist das für Sie gefährlich, Madame Faucon. Deshalb kann ich ja dann auch nicht mit, sogern ich das machen würde."
"Kennen Sie keinen Gegenfluch zu diesem Eindringlingsabwehrbann?" Fragte Julius.
"Genausowenig wie ich einen Zauber gegen Sardonias Abwehrdom kenne", knurrte die Lehrerin, die wohl sehr ungern zugab, daß es Zauber gab, die sie nicht kannte.
"Madame Maxime ist kein reinrassiger Mensch", erkannte Julius, der daran dachte, daß auch Fleur Weasley wohl vor dem Fluch sicher war. Madame Faucon nickte schwerfällig. "Was sie aber nicht gerne hört, mein Junge", sagte sie. "Aber wenn du darauf anspielst, daß die junge Madame Weasley wegen ihrer Veela-Großmutter gegen den Bann immun ist, dann trifft dies auf Madame Maxime durchaus auch zu. Ich müßte sie fragen, ob sie dich begleiten würde.""
"Sie könnten dann wohl nicht mit", sagte Julius leicht bedauernd. Dann erinnerte er sich an die Gespräche mit Aur´elie Odin, Ashtaria und Adrian Moonriver. Wer ein Amulett Ashtarias trug war gefeit gegen die meisten Flüche und Banne. Doch er oder sie mußte ein anerkanntes Kind aus der Linie Ashtarias sein oder von ihr selbst berührt worden sein. Julius könnte so ein Amulett mühelos tragen und seine volle Kraft nutzen, weil Ashtaria ihn mehrere Minuten mit ihrem transvitalen Leib umgeben hatte. Doch Madame Faucon oder Millie konnten diese Schutzmacht nicht benutzen. Blieben also nur menschenähnliche Zauberwesen oder Halbrassige wie Millies Vater oder Madame Maxime. Sicher konnte er dann noch Zaubertiere wie Goldschweif ... oder Temmie ..."
"Öhm, ich denke, diese Transferzauber könnten nicht nur vier Menschen zugleich einhüllen, sondern je nach Größe auch andere Lebewesen. Allerdings weiß ich nicht, ob ich Madame Maxime gerne auf die Nase binden möchte, daß mir seit meinem fünfzehnten Geburtstag eine Latierre-Kuh gehört, in der der Geist einer Hochkönigin aus Altaxarroi weiterlebt. Weil dann würde ich nämlich eher sie mitnehmen, weil sie nicht nur wie Goldschweif Magie erspüren und Richtungen fühlen, sondern auch fliegen kann."
"Tja, das müßtest du dann mit Madame Maxime und deiner neuen nichtmenschlichen Gefährtin klären", seufzte Madame Faucon. Dann wartete Julius noch mit etwas anderem auf:
"Ich könnte Millies Vater mitnehmen. Seine Mutter ist ja eine echte Zwergin."
"Es wäre mir schon lieb, wenn dich jemand begleitete, der oder die sich auf die hellen und dunklen Künste versteht, Julius. Soweit ich aus eigener Anschauung weiß hat sich Monsieur Albericus Latierre eher auf Zauberkunst und Verwandlung festgelegt. Zumindest graduierte er nicht in Protektion gegen die destruktiven Formen der Magie."
"Hmm, worin hat Camille Dusoleil denn ihre UTZs gemacht - außer in Kräuterkunde?" Fragte Julius.
"Wundere mich, daß du das bisher nicht von ihr erfahren hast", erwiderte Madame Faucon erheitert. "Sie hat wie ihre Mutter die Abwehr dunkler Künste, Zauberkunst, Verwandlung und Zaubereigeschichte neben ihren Lieblingsfächern Kräuterkunde und Zaubertränke belegt. Wolltest du sie mitnehmen?"
"Es wäre die einzig logische Alternative zu Madame Maxime oder Mildrids Vater", stellte Julius fest. "Ihr besonderes Erbstück macht sie für Flächenflüche wohl unangreifbar. Das hat mein Ausflug ja bestätigt, weil der nette Bursche Adrian Moonriver ja auch gegen den Haßdom immun geblieben ist."
"Da ist nur ein Problem, Julius. Du müßtest ihr erklären, was dir in der alten Stadt widerfahren ist", wandte seine Hauslehrerin zurecht ein. Julius hatte aber schon die Antwort parat.
"Sie kennt doch die Geschichte, wie ich an den Lotsenstein gekommen bin. Wir sagen ihr, daß ich mittlerweile weiß, wozu man ihn benutzt und an einem geheimen Ort eine Liste mit Zielorten gefunden habe."
"Madame Maxime und ich denken aber immer noch, daß der Kreis derer, die das wissen sollen so klein wie möglich bleiben soll. Das die Familie deiner Angetrauten davon mitbekommen hat ist schon die Grenze des erträglichen", sagte Madame Faucon. Millie verzog verärgert das Gesicht. Julius sagte darauf kühl:
"Tja, dann bliebe als allerletzte Alternative nur, daß ich zuerst hingehe, mit meinem Naviskop prüfe, wo ich ankomme und dann sofort wieder zurückkomme, wenn ich weiß, daß ich nicht in England rausgekommen bin."
"In Ordnung, ich rede mit Camille. Sie wird nicht begeistert sein, und vor allem wissen wollen, in welche haarsträubenden Aktionen ich dich noch alles hineingetrieben habe. Du weißt, daß sie immer noch sehr um dich besorgt ist, Julius. Aber wenn einer gegen Madame Maximes Anweisung verstoßen soll bin ich das besser."
"In Ordnung, Madame. Ich warte dann auf Ihren Rückruf."
"Deine Mutter hat die Passage durch den Kamin gesperrt?" Fragte Madame Faucon. Julius nickte. "Gut, dann geh bitte hinunter zu Catherine und erwarte mich dort!"
"Schon mit Ausrüstung?" Fragte Julius.
"Nimm dein Naviskop, deinen Zauberstab, die Goldblütenhonigphiole und das Vielzwecktaschenmesser mit!" Ordnete Madame Faucon an. Millie sah Julius an und meinte dann zu Madame Faucon:
"Und natürlich das Zuneigungsherz." Der im Kamin sitzende Kopf der Lehrerin ruckelte kurz vor und zurück. Damit war es klar, daß Madame Faucon heute noch über die alten Straßen gehen wollte. Julius fragte dann noch, wie es mit Temmie sei. Madame Faucons Stirn legte sich in Falten. Dann sagte sie:
"Bei allem, was uns Darxandrias Wissen bringen könnte und die Flugfähigkeit angeht. Aber sie kann nicht beim Apparieren mitgenommen werden. Und soweit ich weiß, müssen wir ja immer prüfen, wo der Zugang ist."
"Nur einn einziges Mal", wandte Julius ein. "Außerdem können wir den Startpunkt nehmen, den ich bei meinem Ausflug nach Khalakatan benutzt habe." Noch einmal legte Madame Faucon ihre Stirn in Falten. Dann sagte sie:
"Du hast natürlich recht, daß wir ja nicht ständig neue Zugänge suchen müssen, wenn wir den Ausgang auch als neuen Startpunkt benutzen können. In Ordnung, dann kläre es mit deiner Schwiegertante, ob sie euch dein Geburtstags- und Hochzeitsgeschenk für einen derartigen Ausflug zur Verfügung stellt. Womöglich wird es Camille sogar amüsieren, auf einer Latierre-Kuh um die Welt zu reisen."
"Mann, ich würde auch gern mitkommen", knurrte Millie. "Könnt ihr nicht erst klären, ob da echt ein Ausgang auf deinen alten Inseln ist, Julius. Dann könnte ich den Rest der Rundreise mitkommen."
"Soll Camille das auch wissen, was mit Darxandria, alias Artemis vom grünen rain ist?" Wollte Madame Faucon wissen. Nun mußte Julius überlegen. Er hatte es Camille nicht erzählt. Sie mußte es auch nicht wissen. Das könnte doch nur Gerede geben. Dann schüttelte er den Kopf. Er wandte jedoch ein, daß er mit ihr mentiloquieren könne. Das überzeugte Madame Faucon, daß eine risenhafte Flügelkuh mit dem Geist einer erfahrenen Magierin aus der zeit, wo die alten Straßen noch neu waren, die ideale Reisebegleiterin war. So verabschiedete sie sich und zog ihren Kopf wieder zurück. Julius mentiloquierte mit Barbara Latierre, die wegen der Lebenskraftspende ihrer Mutter an ihn zu einem leicht erreichbaren Medium für Gedankenbotschaften geworden war. Einige kurze Gedankenwechsel später stand fest, daß Julius mit Madame Faucon und Camille zum Latierre-Hof hinüberkommen durfte, um Temmie abzuholen. Allerdings sollte das Cogison auf dem Hof bleiben. Julius testete, ob er sich auf Temmies Gedankenstimme einstellen konnte und schickte ihr erfolgreich die Botschaft: "Wir holen dich in einiger Zeit ab. Wir wollen über die alten Straßen."
"Das ist richtig, mich dabei mitzunehmen", kam Temmies Antwort zurück.
"Mamille, wenn meine Mutter von der Arbeit wiederkommt sage ihr bitte, ich sei mit Madame Faucon und Camille unterwegs, rauskriegen, wo die magischen Fernstraßen hinführen!"
"Nett, daß ich ihr das sagen muß, Monju. Warum soll Catherine das nicht machen?"
"Ich meinte nur, falls meine Mutter vorher erst raufkommt."
"Du glaubst doch echt nicht, daß ich hier oben in der Wohnung rumhocken werde, bis du von den drei Prachtmädels Blanche, Camille und Temmie wieder nach Hause gebracht wirst. Ich geh natürlich mit rüber zu Tante Babs'. Wenn ihr den Sprechbalg nicht mitnehmt, kann ich an Temmies Mutter üben, wo der Unterschied zwischen der und Temmie is'."
"Warum nicht?" Meinte Julius dazu nur.
Eine Viertelstunde später saßen Millie und er vor dem Kamin im Partyraum der Brickstons. Mittlerweile hatte auch Babette befunden, auf den Bauernhof von Barbara Latierre zu gehen, wo sich auch Patricia und Mayette Latierre einstellen würden. Als dann erst Camille Dusoleil und dann Blanche Faucon aus dem Kamin fauchten sagte Catherine ihrer Mutter:
"Babette geht zu Madame Barbara Latierre mit, Maman. Sie bleibt da den ganzen Tag. Wir haben das mit ihr abgeklärt. Ich halte hier die Stellung. Seht aber bitte zu, daß ihr nicht so lange unterwegs seid wie Julius damals, wo du ihn alleine mit diesem Lotsenstein losgeschickt hast!"
"Das lag damals nicht in meiner Macht und tut es heute auch nicht, wie lange die Expedition dauert, Catherine. Es liegt mir schon was daran, daß kein Aufsehen darum gemacht wird, und wir hoffen können, daß wir nicht in von Muggeln bevölkerte Gebiete hineingeraten. Zwischen der letzten Benutzung und heute sind ja etliche Jahrtausende verstrichen. Woher wollen wir wissen, ob wir nicht mitten in einer Großstadt erscheinen oder in der Nähe einer Autobahn oder einem Flughafen der Muggel?"
"Das hättest du dir besser früher überlegen sollen, Maman", knurrte Catherine.
"Was soll denn das jetzt, Catherine?" Schnaubte ihre Mutter zurück. "Wir müssen wissen, wo die Ausgänge sind. Es könnte sich als lebenswichtig erweisen."
"Natürlich könnte es das", erwiderte Catherine Schnippisch. Millie zwinkerte ihr anerkennend zu. Madame Faucon atmete kurz durch und sagte dann schwer beherrscht:
"Du bist nicht mehr für die magischen Belange zuständig, Catherine."
"Hipp und Albericus Latierre denken da wie ich. Die wirst du übrigens auf Barbaras Hof antreffen. Viel vergnügen!"
"Wieso werde ich die beiden auf dem Latierre-Hof antreffen?" Fragte Madame Faucon. Millie und Julius mußten sich arg anstrengen, nicht überlegen zu grinsen. Julius sagte nur:
"Babs Latierre fand, daß Millies Eltern, die ja offiziell für meine magischen Aktionen mitspracheberechtigt sind, vorher um Erlaubnis gefragt zu werden hätten. Kurze Rede, langer Sinn: Die erlauben es mir nur, weil Camille und Sie mit mir auf Temmie reiten, weil sie Camilles Schmuckstück, Ihre Kenntnisse zur Abwehr dunkler Kräfte und Temmies besondere Eigenschaften hoch schätzen." Madame Faucon schnaufte verdrossen. Doch dann entspannte sie sich wieder und trieb zum Aufbruch. Zuerst flohpulverte sie zum Zielort "Valle des Vaches". Ihr folgte Babette Brickston. Dann flohpulverte sich Julius zum Latierre-Hof hinüber. Millie und Camille bildeten die Nachhut.
"Hallo, Ma", grüßte Millie ihre Mutter, die sie von der Körperlänge bald eingeholt hatte. Hippolyte sah jedoch erst ihren Schwiegersohn und Camille Dusoleil an, die das silberne Schmuckstück ihrer Mutter sichtbar umgehängt trug. "Ich habe diese nette Exkursion nur wegen dir und der geflügelten Artemis genehmigt", sagte Hippolyte Camille zugewandt. Madame Faucon rümpfte zwar die Nase, schluckte jedoch was immer sie darauf hätte antworten wollen hinunter. Julius begrüßte seine Schwiegermutter und fragte wo Albericus sei.
"Mein werter Gatte hat befunden, das er das Geschenk meiner Schwiegermutter für diesen Anlaß benutzen möchte und diskutiert mit Florymont gerade die Einsatzmöglichkeiten."
"Och, Florymont ist auch hier?" Fragte Camille erstaunt und legte leicht mißgestimmt grinsend nach: "Wer ist bei Denise? Uranie ist für zwei Tage wieder unterwegs."
"Tante Denise wird von Mademoiselle Viviane Dusoleil beaufsichtigt", erscholl Florymonts vergnügte Stimme, als er zusammen mit Millies Vater hereinkam. Albericus trug eine aus zusammengefügten Silberringen geschmiedete Kette, an der ein bauchiges Etwas wie eine kugelförmige Feldflasche hing. Julius konnte weder Verzierungen noch andere Hinweise auf eine Bezauberung erkennen. Sollte das vielleicht zu Trinken für die Reise um die Welt sein? Dann spürte er wieder jene unbändige Lebensfreude und unerschütterliche Zuversicht, die er bei Adrian Moonrivers Anblick erfahren hatte. Auch durchströmte ihn eine wohlige Wärme aus dem Pflegehelferschlüssel. Jetzt sah er, wie Camilles Heilsstern in einem sachten Rotton erglühte.
"Ups, dein Stern wird durch irgendwas angeregt", mentiloquierte Julius Camille. Diese verzog keine Miene oder äußerte sonst etwas sicht- oder hörbares. "Er reagiert wohl auf ein anderes gutartig bezaubertes Ding."
"Julius, meine Mutter hat Hippolyte und mir zur Hochzeit dieses nette Dingelchen hier geschenkt", sagte Albericus stolz und klopfte an den kugelförmigen Behälter an der Kette. Er klang leer und metallisch. "Sie hat von meinem Großvater väterlicherseits aus genau sechshundert Sickeln diesen Gegenstand schmieden lassen, ohne ihn von diesem bezaubern zu lassen. Das hat sie dann selbst gemacht. Hat sechs Monate für gebraucht. Die wußte halt schon, daß Hipp mich sicher hatte." Er grinste jungenhaft und zwinkerte seiner Frau zu, die überlegen zurücklächelte. Millie grinste nur. "Jedenfalls ist das eine Glücksflasche, Julius. Frag mich bitte nicht, wie deine kleine Schwiegeroma die bezaubert hat. Glaub's mir, das möchtest du nicht wissen."
"Sie hat uns doch erzählt, wie Zwerge und vor allem Zwergenfrauen heftige Zaubergegenstände bauen können", erwiderte Julius lässig. Millie nickte ihm beipflichtend zu. "Womöglich hat sie Eigenblut in die Flasche gefüllt oder hineinfließen lassen und damit ihren Zauber gemacht. In sechs Monaten kommt da locker was zusammen." Madame Faucon räusperte sich mißbilligend, während Camille ihn leicht irritiert anblickte. Albericus nickte sachte. Madame Faucon deutete auf den bauchigen Gegenstand und fragte harsch:
"Und was kann das Artefakt, Monsieur Latierre?"
"Nur gutes", erwiderte Hippolyte. Ihr Mann warf ihr einen etwas verdrossenen Blick zu. Sie bedeutete ihm, daß er ruhig weitersprechen könne.
"Im Wesentlichen ist es eine Glücksflasche, so hat meine Mutter es genannt. Manche Königsmütter haben sie heimlich hergestellt, um ihren Söhnen ein langes Leben zu verschaffen. Das ist bei Zwergen natürlich verpönt, sich von der Mutter mit bezauberten Sachen helfen zu lassen, zumal Zwerginnen ja keine Zauber anbringen dürfen", holte Albericus aus. "Das Ding hier ist zum einen unzerstörbar, besitzt einen zwergischen Rauminhaltsvergrößerungszauber und kann mit gutartigen Wünschen gefüllt werden, die dann erfüllt werden, wenn es nötig ist. In Verbindung mit Hexen und Zauberern heißt das, daß diese Zauber, die keinen Schaden anrichten, darin speichern können. Das kann ein Schild gegen Flüche, gegen Elementarzauber oder körperliche Angriffe sein, Unsichtbarkeit, die hält, solange der davon begünstigte kein Lebewesen angreift. Das gilt auch für Pflanzen. Je nachdem, wie viele Personen von dem gespeicherten Zauber beschützt werden sollen verbraucht sich der Speicherplatz. Line hat nun, als wir die Genehmigung zur Reise gaben, den Zauber für eine schützende Sphäre hineingewirkt. Ich selbst habe dann noch ein paar nützliche Zauber wie Wandelwehr und große Schildzauber hineingewirkt. Und wenn es wirklich hart auf hart kommen sollte, hat diese Glücksflasche noch einen fest in ihrer Materie verankerten Zauber parat, den ich aber nicht verraten darf, weil er sonst sofort in Kraft tritt. Meine Mutter fand, der sollte schon sein. Ich habe ihn dreimal aus versehen aufgerufen, weil ich über ihn gesprochen habe, als die Flasche in Griffweite lag. Mehr möchte ich dazu nicht sagen." Hippolyte nickte heftig und warf ihrem Mann einen leicht spöttischen Blick zu. Dieser errötete leicht an den kleinen Ohren. Er sagte schnell: "Jedenfalls wirkt sie bei allen, die mit Hipp oder mir verwandt sind. Line meinte sogar, daß ihre eingewirkten Zauber bei dir besonders kraftvoll wirken, Julius, weil du nicht nur mit uns verwandt sondern mit ihr auch über das Vita-Mea-Ritual körperlich verbunden seist." Madame Faucon schnaubte leicht verärgert, machte jedoch sogleich beschwichtigende Gesten in Julius' und Albericus' Richtung. Millies Vater hängte Julius daraufhin wie bei einer feierlichen Zeremonie die bauchige Glücksflasche an der Kette um den Hals. Er fühlte, wie der Gegenstand mit seinem Pflegehelferschlüssel und dem roten Herzanhänger wechselwirkte. Das Armband erwärmte sich ein wenig, und der Herzanhänger schickte warme, belebende Ströme in Julius' Körper wie ein zweites, außerhalb des Brustkorbs pochendes Herz. Millie fühlte es wohl auch und sah ihren Vater an:
"Oma Tetis Wunderflasche macht irgendwas sehr angenehmes mit den Herzanhängern, Pa. Heißt das, ich kann Julius wieder aus der Ferne helfen, wie bei seinem letzten kleinen Ausflug?"
"Das kann ich nicht sagen. Ich kenne die halben Herzen nicht, die ihr euch in den Staaten umgehängt habt", erwiderte Albericus Latierre. Florymont Dusoleil meinte dann noch:
"Das erübrigt auch, daß ich euch meine verbesserten Elementarschutzumhänge überlasse. Ich gehe doch stark davon aus, daß da, wo ihr hin wollt nicht gerade brodelnde Lava oder eiskaltes Tiefseewasser auf euch wartet." Madame Faucon nickte beruhigend. "Dann bis nachher. Ich hoffe, ihr bringt mir meine Frau gesund und munter zurück."
"Was munter angeht kann ich nichts garantieren", sagte Madame Faucon. "Aber wir werden alles tun, sie nicht krank werden zu lassen." Florymont nickte.
"So, Temmie ist fertig", verkündete Barbara Latierre, die gerade von draußen hereinkam. "Sie wartet schon ungeduldig auf euch."
"Ich war zwar nicht sonderlich begeistert, diese sperrige Kreatur ..., ähm, sehr große, nicht unauffällige Kuh mitzunehmen", sagte Madame Faucon. Babs Latierre blickte sie tadelnd an. Und zu Julius' Verwunderung nahm seine Lehrerin diesen stummen Tadel nicht als Respektlosigkeit hin, sondern blickte abbittend zurück. War das echt noch die Blanche Faucon, die jede widerstrebende Regung gegen ihre Worte und Maßnahmen als offene Gehorsamsverweigerung sah? Doch er wollte jetzt, kurz vor der wohl sehr abwechslungsreichen Reise, keinen Streit mit ihr anfangen. So bedankte er sich artig für das zusetzliche Hilfsmittel und verabschiedete sich von seiner Frau, die er ungeniert und leidenschaftlich küßte, wo alle anderen zusahen. Außer einem leicht verärgerten Grunzen Madame Faucons kam keine Regung von Millies Eltern, Camille und Florymont. Dann ging es hinaus auf den Hof vor dem Wohnhaus von Barbara und Jean Latierre. Einige hundert Meter entfernt erhob sich Temmies schneeweißer Leib im Schein der sommerlichen Vormittagssonne. Sie trug jenen großen Aufsatz, der vier Personen auf ihr reiten lassen konnte. Allerdings hatte Babs Latierre das wuchtige Zaumzeug fortgelassen, mit dem eine Latierre-Kuh üblicherweise gelenkt wurde. An dem Aufsatz hingen noch zwei Fässer, drei mannshohe Säcke aus Leder und ein großer Picknickkorb. Offenbar hatte Julius' Schwiegertante daran gedacht, Proviant zu verstauen. Madame Faucon nickte anerkennend in Babs' Richtung.
"Wenn ich nicht schon einmal auf einer solchen Kuh mitgeflogen wäre müßte ich fürchten, daß sie nicht vom Boden wegkommt", bemerkte Camille. Julius derweil versuchte, Temmie anzumentiloquieren. Es gelang gleich beim ersten Mal.
"Ich hab's von Barbara gehört, daß ihr mit mir über die alten Straßen wollt. Ich bringe euch dahin, wo der Lotsenstein hinzeigt", klang eine tiefe Mädchenstimme in Julius' Kopf wie ein Solo-Cello in einem großen Konzertsaal. Barbara Latierre führte Camille und Madame Faucon vor, daß man die fallreepartige Treppe an der Unterseite des Aufsatzes mit "Descendo Falttreppe" herablassen und mit "Retracto Falttreppe" wieder zusammenfalten konnte. Natürlich ging das auch ungesagt. Babs nahm Julius bei Seite und sagte ihm:
"In den Säcken ist Heu. Sie sind rauminhaltsvergrößert und fassen einhundertmal mehr als sie von außen her erscheinen. Ich weiß ja nicht, wo ihr alles zwischenlandet. Außerdem hörte ich von Hipp, daß der französische Ausgangspunkt irgendwo in den Pyrenäen liegen soll, und Temmie ja nicht apparieren oder von einem von euch Seit an Seit mitgenommen werden kann. Wenn sie Hunger hat, gib ihr mit den in den Säcken steckenden Heugabeln zu Fressen oder lass sie irgendwo runtergehen, wo euch keine Muggel sehen können, damit sie da an Gras oder Buschwerk fressen kann. Auch wenn sie vielleicht lange durchhalten kann braucht sie immer noch viel zu fressen. In den Fässern sind zweitausend Liter Wasser mit Centigravitus- und Rauminhaltsvergrößerungszauber verstaut. Was für's Fressen gilt gilt auch für's trinken. Der Korb ist für euch drei."
"Danke, Tante Babs. Ich hoffe, wir sind noch vor Sonnenuntergang hier", sagte Julius.
"Da würde ich besser kein Versprechen drauf abgeben, Julius. Allein schon in die Pyrenäen zu fliegen dauert bestimmt fünf Stunden. Aber du hast zwei erfahrene Hexen bei dir. Im Korb liegen noch zwei Zelte, falls ihr doch übernachten müßt. Hipp sagte, du könntest mit Mildrid über weite Strecken mentiloquieren, wenn ich auch nicht verstehe, wie das gehen soll, wenn ihr vielleicht in China oder Amerika unterwegs seid."
"Das kommt auch von deiner Mutter", sagte Julius rasch. Woran es wirrklich lag wollte er Babs nicht erzählen, wenn sie es nicht von wem anderem erfahren hatte. Er winkte seiner Frau noch einmal zu, bevor er Temmies Rücken erstieg. Madame Faucon holte die Treppe wieder ein. Die beiden Hexen und Julius legten die Sicherheitsketten um ihre Hüften.
"So, du kannst sie also ohne Zaumzeug Steuern?" Fragte Madame Faucon. Julius nickte. "Wenn ich weiß, wo wir hinfliegen sollen."
"Zu den Pyrenäen. Ich gebe dir den Stein, damit du den Aufspürzauber für den Eingang benutzen kannst", sagte Madame Faucon und überreichte Julius den faustgroßen Stein mit den metallischen Einlagearbeiten. Er überlegte. Bis zu vier Lebewesen größer als Mäuse konnte er mitnehmen. Er dachte an die Lektionen bei Altmeister Garoshan. Dann murmelte er leise: "Godjamirin", was "Vier Lebende" hieß und den Stein dazu brachte, den nächsten Zugang zum altaxarroi'schen Straßennetz zu orten. Tatsächlich vibrierte der Stein in seiner Hand. Eine Markierung darauf leuchtete hell auf. Julius drehte den Stein vorsichtig und fühlte körperlich, in welcher Richtung das Ziel zu finden war. Apparatoren konnten sogar erfassen, wie sie sich auf das Ziel einstimmen mußten. Als er sicher war, den Startpunkt genau zu erfühlen, gab er mit körperlicher Stimme das Kommando zum start. Temmie trabte an, klappte ihre mächtigen Schwingen aus und stieß sich ab, daß die drei Riesenkuhreiter mit mehrfachem Körpergewicht in die Sitze gepreßt wurden.
"Also, sollte ich mit Florymont noch einmal ein Kind haben, werde ich besser nicht vor dessen Geburt mit deiner neuen Freundin ausfliegen", seufzte Camille. Madame Faucon blieb nach außen hin ruhig. Offenbar, so dachte Julius, überlegte sie sich, daß sie vor nicht einmal drei Wochen noch gedacht hatte, einer Latierre-Kuh nie näher als hundert Meter kommen zu wollen. Und jetzt saß Lines ehemalige Mitschülerin genau auf einer solchen drallen Kuh und sauste mit zunehmender Geschwindigkeit vom Latierre-Hof fort in die Richtung, die Julius durch leise Kommandos bestimmte, bis sie in direkter Ausrichtung zum Ziel flogen. Temmie schwang kraftvoll aber ruhig die Flügel durch. Julius meinte, ein sachtes silbernes Leuchten zu sehen, daß wie eine hauchdünne Aluminiumfolie über die Schwingen lief und auch den ganzen Körper umkleidete. Außerdem fühlte er, wie der Flugwind erst stärker wurde und dann leise singend um die geflügelte Riesenkuh herumstrich, ohne ihre Reiter zu kitzeln.
"Das glaube ich jetzt nicht", staunte Madame Faucon. "Haben diese Wesen eine intuitive Windumlenkungsmagie? Können sie deshalb so weite Strecken in so kurzer Zeit zurücklegen?"
"Das wäre mir auch neu", erwiderte Julius wahrheitsgemäß. Dann mentiloquierte er an Temmies Adresse: "Wie immer du das machst. Überanstreng dich bitte nicht, Temmie!"
"Keine Sorge. Die Kraft, um leicht durch die Luft zu eilen ist eine einfache Sache. Ich habe es wieder gelernt, als ich mit meinen Geschwistern spielte und gemerkt habe, daß ich so viel von der Kraft im Körper habe, daß ich einige Sachen ohne Kraftausrichtungskristall machen kann. Ich krieg auch mit, wo der Lotsenstein hinzeigt, weil du mit mir verbunden bist, Julius. Ich bringe uns schnell genug hin, damit wir noch bei Mittagslicht ankommen."
"Irre ich mich, oder geht es jetzt noch schneller voran?" Fragte Camille. Sie hob den Arm ... und kugelte ihn sich beinahe selbst aus, weil der Schwung ihn am Kopf vorbei weit nach hinten warf. "Autsch! Was ist denn das? Ich wollte doch nur nach vorne deuten", quängelte sie. Dann sah sie Julius an und mentiloquierte: "Kann deine große Freundin etwa einen tierhaften Federleichtzauber?"
"Yep", mentiloquierte Julius zurück.
"Hast du das von ihr gelernt, als du kurz mit ihr verbunden warst?" Wollte Camille unhörbar wissen. Julius bejahte es. Stimmte ja auch irgendwie. Denn ohne diese Verbundenheit mit Temmie wäre der in ihm schlummernde Geist Darxandrias ja nicht in die Latierre-Kuh übergegangen. Er hatte ja selbst einen Flugzauber erlernt. Er durfte also davon ausgehen, daß Darxandria den auch konnte. Dann war sie als Latierre-Kuh natürlich noch beweglicher und hatte mindestens die doppelte Reichweite ihrer neuen Artgenossen.
"Temmie, wenn du Hunger hast geh runter! Ich habe von Babs genug für dich mit", sagte Julius laut und vernehmbar.
"Wenn die Sonne ganz oben ist, Julius. Lass mich erst mal gut vorankommen!" Ertönte die Cello-Stimme in Julius Kopf. Wäre Temmie keine Riesenkuh, sondern ein junges Menschenmädchen, Millie könnte dann echt Grund zur Eifersucht kriegen, dachte Julius. Denn Temmies Gedankenstimme wirkte sehr anregend auf ihn.
"Monju, ihr zieht ab wie Britts Millennium-Feger. Wie macht Temmie das?" Klang nun Millies Gedankenstimme in Julius. Woher wußte Millie, wie schnell die drei Menschen und die Zauberkuh unterwegs waren? Julius dachte kurz nach und fragte unhörbar: "Hast du Madame Rossignol am Armband?"
"Was sonst", gedankenknurrte Millie. "Die will wissen, wo du jetzt schon wieder hin willst. Die sanfte Serena hat gepetzt, was ihre Freundin Vivi ihr gesteckt hat."
"Sag ihr, ich drehe mit Madame Faucon und Camille 'ne Runde um die Erde. Die passen schon auf mich auf."
"Gebe ich so weiter", bestätigte Millie. Julius wandte sich seinen Begleiterinnen zu und sagte:
"Madame Rossignol hat erfahren, daß ich mal wieder irgendwohin unterwegs bin. Offenbar ist sie nach der Sache in England noch empfindlicher geworden, was meine Ausflüge angeht. Millie sagt ihr jetzt, daß ich mit Ihnen, Madame Faucon und Madame Dusoleil, eine Reise um die Erde machen. Die kriegt ja mit, wenn ich irgendwo auftauche oder nicht mehr zu orten bin."
"Kann es sein, junger Mann, daß Sie mir irgendwelche sehr wichtigen Einzelheiten im Bezug auf unsere derzeitige Trägerin verschwiegen haben? Dieser leichte Silberhauch und die unverkennbare Beschleunigung ohne sichtbaren Körperkraftaufwand und die uns betreffende Gewichtsreduktion gehören eindeutig nicht zu den im Tierwesenregister ausgewiesenen Merkmalen einer Latierre-Kuh", bemerkte Madame Faucon. Camille nickte beipflichtend, wobei sie aufpassen mußte, sich nicht selbst den Kopf vom Hals zu winden. Sie waren beinahe schwerelos, empfand es Julius. Irgendwie hatte Temmie sich und sie in eine Antischwerkraftaura gehüllt, die die irdische Gravitation bestimmt um neunzig Prozent verringerte. Dazu kam noch dieser Windumlenkungszauber, auf den die Ganymed-Besenbauer so stolz waren. Wie viele uralten Zauber waren im Laufe der Jahrtausende vergessen worden und wurden jetzt nach und nach erst wiederentdeckt? Julius erkannte, wie klug und vorausschauend es gewesen war, Darxandrias neues Ich mitzunehmen, anstatt Madame Maxime um Goldschweif zu bitten. Sicher, mit der Knieselin hätten sie apparieren können, und sie wäre eine großartige Gefahren-, Magie und Standortsspürerin gewesen. Aber all das traf auch auf Temmie zu, die jetzt ohne weitere Kommandos ohne Schwankungen den direkten Kurs zum nächsten Zugang zu den alten Straßen hielt. Julius fragte sich, mit welchem Tempo die magische Königin im Kuhkörper sie dahintrug. Das Singen des umgelenkten Windes wurde immer höher und etwas lauter. Er mentiloquierte: "Temmie, das zieht dir zu viel Konzentration. Das pumpt dich noch aus, bevor wir da sind."
"Die Macht, die ich gerufen habe wirkt ohne weitere Anstrengung. Sie ist wie ein Mantel. Ich habe uns doch nur leichter gemacht und den Mantel der Luft um uns gelegt. Beides hält, bis ich will, daß sie wieder verschwinden. Sei beruhigt, daß meine Mägen noch nicht knurren. Ich habe heute Morgen viel verputzt und noch mal durchgekaut. Ich werde nur wohl bald das rauswerfen, was schon ganz durchgewandert ist." Offenbar strengte sie das Mentiloquieren überhaupt nicht an. Sicher, Julius hockte ja direkt hinter ihrem mächtigen Kopf. Doch der Lotsenstein in Julius Hand verriet, daß sie kein Grad vom direkten Kurs abwichen, weder waagerecht noch senkrecht. Sie war mit ihm verbunden und fühlte, wo der Stein hinzeigte. Das mindestens sollte er Madame Faucon sagen.
"Sie wissen doch noch, daß ich mal aus Versehen mit meinem Bewußtsein in Artemis' Körper eingedrungen bin. Seitdem kann sie wohl intuitiv fühlen, was in mir vorgeht, sobald ich in unmittelbarer Nähe bin. Deshalb ist sie auch so auf mich geprägt und läßt sich von mir schon durch Stimmkommandos lenken. Die geistige Verbundenheit kommt durch den magischen Unfall mit ihr und Madame Line Latierres Weihnachtsgeschenk."
"Ich habe sehr wohl mitbekommen, daß du sie offenbar bereits durch Gedankenkraft steuern kannst, mein Junge", mentiloquierte Madame Faucon. "Könnte es sein, daß bei der geistigen Fusion mit diesem Wesen Darxandrias in dir schlummernder Geist auf es übergesprungen und nun darin verblieben ist? Ja oder nein."
"Ja", schickte Julius prompt zurück. Was sollte es jetzt? Allerdings sah er es so, daß Camille es wohl nicht erfahren durfte, weil die gestrenge Lehrerin ja sonst mit hörbarer Stimme gefragt hätte.
"Auch wenn es dich erstaunen mag, Julius, beruhigt mich dies zu wissen doch sichtlich", mentiloquierte Madame Faucon. Julius zeigte keine Regung auf diese Antwort. Statt dessen fühlte er neben dem vibrieren des immer noch aktivierten Lotsensteins das Vibrieren des Pflegehelferschlüssels. Doch um darauf zu reagieren müßte er den Stein loslassen. Er hoffte, daß Millie den Herzanhänger gerade an der Stirn hatte und dachte ihr zu, Madame Rossignol zu bitten, ihn nicht jetzt anzuzittern. Doch Millie hielt sich den Anhänger wohl nicht gerade an die Stirn. So mentiloquierte er mit ihr auf die eigentliche Weise.
"Die hat erwähnt, daß sie dich über das Armband verfolgen will. Das Ortungsdings von ihr findet dich besser, wenn sie dich zu rufen versucht. Lass sie also zittern!" Schickte Millie ihm zurück. Julius kam eine Idee. Er fragte seine Frau, ob Madame Rossignol messen konnte, wie schnell sie flogen. Eine halbe Minute später ruckelte das Armband, und mit einem leisen Säuseln erschien Madame Rossignols räumliches Abbild einen Zentimeter über Temmies Nacken schwebend.
"Ah, ich sehe, du hast die Hände voll, Julius. Blanche, bringen Sie mir den bloß wieder gesund zurück!" Herrschte die Heilerin von Beauxbatons ihre Betriebskollegin an. Diese schnarrte zurück:
"Florence, mir liegt es sehr fern, den jungen Mann hier neuen Gefahren auszuliefern, nachdem eine Bitte von mir ihm fast das Leben gekostet hat."
"Eben genau deshalb befand und befinde ich, daß ich verstärkt auf ihn aufpassen muß, Blanche. Treiben Sie es nicht so weit, daß ich ihn mit Walpurgisnacht-Ringen an mich binden muß, um sicherzustellen, daß er Ihretwegen nicht wieder in irgendwelchen haarsträubenden Abenteuern landet! Ich ging eigentlich davon aus, daß die Eheleute Latierre Ihnen derlei Eskapaden nicht mehr gestatten würden. Aber offenkundig erweisen diese sich Ihnen gegenüber doch als nachgiebig."
"Florence, das diskutieren wir beide zu gegebener Zeit gründlich aus", knurrte Madame Faucon sichtlich verärgert. "Nur so viel zu diesem Zeitpunkt: Ich befinde mich zusammen mit ihm und meiner geschätzten Nachbarin Camille Dusoleil, die im Besitz eines hochpotenten Schutzartefaktes ist, auf einer Erkundungsreise, um die nun aus dem Grau der Legende zur erhellten Wirklichkeit aufgetauchten Straßen des Alten Reiches zu erforschen, zu denen Julius ja wie Sie wissen Zugang erlangt hat. Maßen Sie sich nicht an, mehr Fürsorgeverpflichtungen für den Jungen geltend zu machen als seine Mutter, seine magischen Fürsorger oder ich!"
"Aber genau das tue ich, Blanche. Der Junge gehört zu meinen Pflegehelfern und ist damit meiner direkten Weisung, Fürsorge und Aufsicht unterstellt, ob während der Schulzeit oder den Ferien. Ich könnte ihm hier und jetzt befehlen, die Reise abzubrechen und zu seiner Mutter und seiner Ehefrau zurückzukehren und sich wie ein normaler Schüler in den Ferien zu betragen, bis er wohlbehalten und erholt zu uns nach Beauxbatons zurückkommt."
"Ups, das wäre aber schwierig, von einer gerade mit einem Tempo von mehreren hundert Stundenkilometern aus einer Höhe von weiß-nicht-wievielen Metern runterzuspringen", meinte Julius verschlagen grinsend. Madame Faucon ergriff ihn energisch beim Arm und starrte das materielose Erscheinungsbild Madame Rossignols sehr energisch an. Doch die Heilerin starrte nicht minder entschlossen zurück. Abbilder konnten nicht legilimentiert werden, wußte Julius. Das Wettstarren der beiden Hexen dauerte mehr als eine Minute. Dann sagte Camille:
"Nichts für ungut, die werten Damen, aber Julius hat mit diesem Ding da", wobei sie auf den vibrierenden Stein deutete, "eine Verpflichtung übernommen. Meine Mutter und meine Tochter haben ihre Körper dafür aufgegeben, daß er lernt, was er mit diesem alten Ding zu machen hat. Denken Sie, mir paßt das, Madame Rossignol? Denkst du, mir gefällt das, daß Julius sich ständig in Gefahren begibt? Denkst du, Blanche, Hippolyte und Albericus hätten es dir erlaubt, Julius mitzunehmen, wenn ich Ihnen nicht versichert hätte, daß ich mit dem Amulett meiner Mutter auf ihn aufpasse? Also hört bitte damit auf, euch wie um ihr Revier kämpfende bretonische Blaue anzufauchen. Wir hocken gerade auf einer ziemlich schnell fliegenden Latierre-Kuh und werden wohl erst landen, wenn sie hungrig ist oder unverdaulichen Ballast abwerfen muß. Immerhin sind diese Wesen so annehmbar, daß sie ihre Ausscheidungen nicht im freien Flug absetzen."
"Sage dieser anderen, die ihr Bild über meinen Kopf hat, daß sie mich langsam ärgert. Die Kraft, mit der sie das macht, macht so einen fiesen Piepton in meinem Kopf", Schickte Temmie an Julius' Adresse. Er räusperte sich und sagte:
"Madame Rossignol, ich weiß nicht, ob sie das sehen können, aber ihr Abbild hängt fast auf dem Kopf der Latierre-Kuh. Wenn die ein Gefühl für fremde Magie haben wie ein Kniesel könnte die davon rammdösig werden. Ich bleibe bei Madame Faucon und Madame Dusoleil. Wenn ich kann, melde ich mich zwischendurch bei Mildrid oder Ihnen."
"Wie du meinst", knurrte Madame Rossignol. "Sollte dir jedoch was ernsthaftes zustoßen wird die werte Professeur Faucon sich entweder eine neue Anstellung suchen oder sich mit einer längeren Zeit im Gefängnis anfreunden müssen."
"Drohen Sie mir nicht, Florence! Ich könnte hinterfragen, ob wir die Pflegehelfertruppe nicht auflösen müssen, wenn Sie so überbehütsam mit deren Mitgliedern umspringen", schnaubte Madame Faucon. Julius wähnte eine neue Runde im Kompetenzgerangel der beiden älteren Hexen und fragte sofort:
"Wo Sie schon einmal da sind, Madame Rossignol: Können Sie mir bitte sagen, wie schnell wir fliegen? Madame Dusoleil meint, wir seien schon schneller als der Flugteppich ihrer Mutter unterwegs."
"Moment", bat Madame Rossignol um Zeit und sagte nach einer halben Minute. "Derzeit reist ihr mit einer erstaunlichen Geschwindigkeit von siebenhundert Kilometern in der Stunde. Das ist schneller als ein Ganymed 10 im Reiseflug und mehr als dreimal so schnell wie eine ordinäre Latierre-Kuh fliegen kann. - Ich werde mich unverzüglich bei euch einstellen, wenn du diesen Ausflug, wie ich sehr stark wünsche, unbeschadet überstanden hast. Ich teile Ihnen mit, wann ich die von Ihnen angebotene Diskussion führen kann, Blanche. Auf bald!" Beim letzten Wort verschwand Madame Rossignols Abbild übergangs- und geräuschlos.
"Beruhigend zu wissen, daß noch andere Hexenmütter dich sofort adoptieren würden, wenn deiner Mutter was unerwünschtes zustößt", stellte Madame Dusoleil fest und tätschelte Julius' rechte Wange.
"Wie erheiternd, Camille", schnaubte Madame Faucon. Julius fand keine passende Erwiderung. Er stellte es sich gerade vor, wie mehrere Hexen, von Line Latierre und ihrer Tochter Hippolyte, über Camille Dusoleil, Blanche Faucon, ihrer Tochter Catherine und Madame Rossignol vor einem Familienrichter darum zankten, welche seine Adoptivmutter sein sollte. Dabei fiel ihm wieder ein, daß es gerade ein Jahr her war, wo es tatsächlich ganz danach ausgesehen hatte, daß er seine Mutter für immer verlieren sollte, und eine gewisse Schwermut machte sich in ihm breit. Temmie fühlte das offenbar und mentiloquierte:
"Hat dich dieses Gezänk traurig gemacht? Mußt du nicht sein, Julius. Alle die dich lieben sind mit dir." Julius konnte nicht anders als lächeln. Ja, alle waren mit ihm, wie vor wenigen Tagen in London, wo Millie, ihre Familie, Madame Faucon und Camille, ja auch die als bildhafte Projektion erschienene Temmie ihm beigestanden hatten. Seine Mutter lebte noch und wurde von Catherines Sanctuafugium-Zauber geschützt und genoß auch den Schutz des Ministeriums. Hierher würde Voldemort mit seiner Mörderbande nicht so schnell vordringen, es sei denn, er schickte diese Schlangenmonster.
"Du hast wohl recht, Temmie", mentiloquierte Julius. Er wollte schon ansetzen, Temmie zu vermitteln, was Madame Florence Rossignol so überbehütend machte. Doch dann fiel ihm ein, daß Temmie das doch alles wußte. Seit dem Ausflug in Slytherins Galerie des Grauens hatte Darxandrias schlummernder Geist ihn begleitet, alles mitbekommen. Sie kannte ihn besser als seine eigenen Eltern, Freunde und Bekannten zusammen.
"Jetzt möchte ich aber ganz gerne wissen, wieso diese spezielle Latierre-Kuh so schnell fliegen kann, Monsieur Latierre", riß Camille den jungen Zauberer aus seinen Überlegungen. "wolltest du es mir echt verheimlichen, daß da doch noch mehr war, als das, was du mir erzählt hast, als du an deinem Geburtstag versucht hast, ganz heimlich in mein Haus zurückzukehren?"
"Erzähl es meiner Nachfahrin!" Klang Temmies Gedankenstimme in Julius' Kopf. Er stutzte. Dann fiel ihm ein, daß Ashtaria eine in direkter Linie entstandene Nachfahrin Darxandrias gewesen war. Er atmete tief ein, atmete hörbar aus. Holte noch einmal luft und dachte dabei, ob er das überhaupt verraten konnte. Doch er empfand keinen inneren Widerstand, hier und jetzt zu erzählen, was es mit der so wundersamen Flügelkuh unter ihnen auf sich hatte. Er hatte das Wissen darüber zwar in den Aufbewahrungskristall der Latierres übertragen lassen ... Doch das waren ja seine Geheimnisse. Er konnte darüber sprechen. Aber niemand konnte sie ihm entreißen, wenn er das nicht wollte. Niemand konnte sie weitertratschen, wenn er das nicht wollte. So begann er nun ohne Widerstand zu berichten, wie Darxandria in die Flügelkuh hineingeraten war und jetzt als diese weiterlebte. Er schloß damit: "Bitte sagen Sie es sonst keinem weiter, der es nicht schon weiß. Das wurde von meinen neuen Verwandten und mir zum Geheimnis erklärt." Er wußte, daß ab nun weder Camille noch Madame Faucon es von sich aus weitererzählen oder jemandem schreiben konnten. Temmie flog währenddessen unbekümmert weiter.
Nach gut einer Stunde wies die Ausrichtung des Steins, den Julius immer von einer Hand zur Anderen wechseln ließ, immer weiter nach unten. Temmie ging ohne lautes Kommando von Julius in den Sinkflug. Camille fragte sich, wie sich das für eine frühere Hexe anfühlen mußte, als großes, aber doch irgendwie unbeholfenes Tier weiterleben zu müssen. Madame Faucon erinnerte sie an die Quintapeds, die auf einer Insel vor Schottland lebten und die Nachfahren von verwunschenen Zaubererfamilien waren, die einst in diese fünfbeinigen Monster verwandelt wurden und sich erfolgreich gegen eine Rückverwandlung gewehrt hatten. Auf der Liste der magischen Tierwesen wurden sie neben Drachen und Basilisken als menschenfressende Kreaturen aufgeführt.
"Frag sie doch, wie sie sich fühlt!" Schlug Julius Camille vor. Madame Faucon warf ihm einen leicht mißbilligenden Blick zu. Doch Camille erwiderte ruhig: "Wenn sie mir antworten kann." Dann erstarrte sie für einen Moment, wurde erst blaß und dann rot. Dann kehrte die von ihr sonst so bekannte Unbekümmertheit in ihr Gesicht zurück. "Ich soll sie in zwei Jahren nochmals fragen, wenn sie hochschwanger sei", hat die mir doch glatt mentiloquiert", offenbarte Jeannes und Denises Mutter.
"Das dürfte wohl als Beweis genügen, sofern mir die große Dame ebenfalls etwas übermitteln mag", sagte Madame Faucon. Fünf Sekunden verstrichen. Dann sagte sie: "Ja, diese Meinung teile ich, Madame Darxandria." Wieder vergingen ein paar Sekunden. Dann korrigierte Madame Faucon: "Verzeihung, Mademoiselle Artemis."
"So, wo deine Beiden Aufpasserinnen jetzt wissen, was ich bin, landen wir jetzt. Ich muß ziemlich nötig und will dann gleich mittagessen."
Da vorne runter", stellte Madame Faucon fest. "Dieses Bergpanorama kommt mir bekannt vor. In unter zwei Stunden auf einem magischen Reittier über mehrere hundert Kilometer weg. Das darf wirklich keiner wissen. Aber Madame Rossignol könnte noch danach fragen, wieso wir so schnell fliegen konnten. Es wäre vielleicht unauffälliger gewesen, wenn unsere vierbeinige Gefährtin ihre neuen Künste nicht demonstriert hätte."
"Sage ihr bitte, ich wollte euch ganz schnell hinbringen!" Hörte Julius Temmies Gedankenstimme und gab die Botschaft hörbar weiter. Madame Faucon verzichtete darauf, sich mit Temmie zu streiten. Wußte sie denn, wieviel Temmie mehr wußte als sie selbst?
Punktgenau setzte Temmie am angepeilten Ziel auf. Sofort umfloß sie alle ein goldenes Leuchten, daß sogar den massigen Körper der Latierre-Kuh umschloß und zu einem mehr als haushohen Lichtzylinder anwuchs. Julius steckte den Lotsenstein fort. Sofort erlosch das Leuchten wieder. Er meinte, der Boden würde für einen Moment erzittern.
"Ich mach dann erst mal Pause. Ihr könnt oben sitzen bleiben. Auch wenn ich uns alle nicht ganz leicht mache seid ihr mir nicht zu schwer", dachte Temmie ihm zu und trottete unaufgefordert los, um auf einem kahlen Felsplateau mit lautem Spritzen und Klatschen alles loszuwerden, was sie nicht weiterverwerten konnte. Bevor der in die Nase stechende Gestank nach Riesenkuhfladen und Dutzenden Litern Urin die Nasen ihrer Reiter erreichte trabte Temmie fort und suchte nach Pflanzen, die sie fressen konnte. Doch außer ein wenig kargem Gras, das sie mit ihren Lippen ausrupfte, fand sich nichts. Julius ließ sich die Treppe absenken. Als er auf dem Boden stand und erst einmal die gigantische Aussicht um sich herum wirken ließ, schickte ihm Camille einen der Säcke mit dem Heu hinunter. Julius kam sich vor wie ein eingeschrumpfter Säuglingspfleger, als er mit einer breiten Heugabel, lang wie sein Arm, aus den schier unerschöpflichen Tiefen des Ledersacks Ballen um Ballen duftendes Heu herauszog und der nun liegenden Temmie maulgerecht hinhielt. Genüßlich verleibte sich die Riesenkuh das Futter ein. Julius war sicher, das eine gewöhnliche Latierre-Kuh nicht so geschickt und behutsam Fraß. Nach etwa einer halben Stunde schien der Sack immer noch halb voll. Julius fühlte seine Arme schmerzen. Demnächst würde er seiner großen Gefährtin das Futter ggleich auf den Boden werfen. Er sprang zur Seite, als sie einen vernehmlichen Rülpser von sich gab. Julius fielen die Zahlenspiele wieder ein, daß Kühe mit jeder Gasausscheidung mehr Treibhausgase abgaben als Fabriken und Kraftwerke. Umweltschützer, Fabrikanten und Bauern stritten sich seit einigen Jahren darum, was das Erdklima wohl eher ramponieren würde. Wenn die wüßten, daß es monstergroße Kühe gab ... Madame Faucon und Camille Dusoleil standen bei Julius und boten ihm immer wieder an, mit Zauberkraft das Heu zu entnehmen. Doch Julius war stur. Sein Tier, seine Verantwortung. Denn jetzt wollte er wissen, ob er auf lange Sicht mit Temmie klar kam. Hätte ja durchaus auch sein können, daß Darxandria nicht mit ihr verschmolzen wäre und sie trotzdem weiter hinter ihm hergerannt und geflogen wäre. Während Temmie ihre Nahrung wiederkäute notierte sich Julius die Koordinaten ihres Standortes und zeigte seinen Begleiterinnen im Atlas, wo sie waren. Als Temmie die in sie hineingeschaufelte Ladung Heu noch einmal durchgekaut und danach aus einem der bezauberten Wasserfässer gesoffen hatte suchte sie noch mal ihr Felsenklo auf, ließ dort noch einmal unverwertbares ab und kam dann zurück.
"Wenn du uns das nicht erzählt hättest, Julius, würde ich nicht glauben, was ich gerade mitbekomme", staunte Camille. "Unheimlich ist es schon, daß das eine uralte Großmagierin ist, die über mehr als ein Jahr in deinem Unterbewußtsein geschlummert hat, Julius. Jedenfalls kann ich mir vorstellen, daß sie sich mit diesem Körper schnell arrangiert hat. Fliegen tu ich ja auch gerne, und mit Pflanzen komme ich auch gut klar. Aber es sind doch zu viele Sachen, die ich vermissen würde.
"Wieder auf mich rauf! Nur so kannst du für uns alle das Tor aufmachen", dröhnte ihm Temmies Gedankenstimme im Kopf. Julius sah seine Reisebegleiterinnen an. Camille raffte ihre blattgrüne Arbeitsschürze, die sie in weiser Voraussicht als Kleidung gewählt hatte. Dann stiegen sie wieder hinauf auf Temmies Rücken. Den intensiven Kuhgestank rochen auch die empfindlichen Hexen schon nicht mehr. Madame Faucon holte mit einem Zauberstabschlenker die Treppe ein. Dann fischte Julius den Lotsenstein wieder aus seinem mitternachtsblauen Umhang und fragte seine drei Gefährtinnen:
"Wohin zuerst. Meer, Berge, Wüste, Wald oder Polarregion?"
"Oh, wir hätten doch Florymonts Elementarschutzumhänge mitnehmen sollen", erschrak Camille. Doch Madame Faucon sagte:
"Der hat da auch nur Gleichwärmezauber und Unbenetzbarkeit eingewirkt, Camille. Meine Kollegin Tourrecandide hat sich zwei davon zuschicken lassen, weil sie häufiger in extreme Gegenden muß. Außerdem wollen wir nicht lange genug an einem Ort verweilen. Es gilt ja doch nur, die geographischen Positionen der Endpunkte zu bestimmen."
"Na klar, und deshalb auch die besondere Leihgabe von Albericus", feixte Camille und klopfte an den bauchigen Behälter um Julius Hals. Der junge Zauberer grinste nur und rief: "Godjamirin!" Sofort entstand um sie herum der haushohe Zylinder aus Licht und schloß sie ein. Wie in einem Kellergewölbe klangen dann seine weiteren Zauberworte: " Panhaworaktamir Gwendartis!
Temmie war die einzige, die ruhig blieb, während Camille sichtlich zusammenfuhr und Madame Faucon einen kurzen Laut des Erstaunens von sich gab. Der sie umfangende Lichtzylinder hob ab, ruckte voran und stürzte dann in einen Tunnel aus silbernem, rotem und blauem Licht. Alle fühlten eine Vorwärtsbewegung. Wie schnell sie wurden bekamen sie jedoch nicht mit. Mehrere Male empfanden sie eine Aufwärtsbewegung, dann Kurven, sachte Sinkbewegungen und einen kurzen Schlenker. Dann schnellte der magische Lichtzylinder empor und klaffte an seiner Oberseite auf. Leicht schwindelig fanden sich alle auf einer leuchtenden Plattform wieder, die keine Sekunde später übergangslos erlosch. Dunkelheit und eisige Kälte umfing sie.
"Antarktis! Alle die nicht aussteigen wollen bitte sitzenbleiben!" Rief Julius im Stil eines Zugschaffners.
"Mom-m-ment m-mal, J-j-julius. Wo-hoho-ho-her w-w-w-wuß-t-t-test d-d-d-du d-d-das?" Bibberte Camille. Madame Faucon war wohl härter im Nehmen. Denn sie zitterte kein bißchen. Über Ihnen, schräg hinter Temmies Hinterhand, prangte am Himmel das Kreuz des Südens. Madame Faucon entfachte auf ihrer Linken Hand helle, große, warme Flammen, die ihre Haut nicht verbrannten. Das brachte Camille darauf, sich auch ein tragbares Feuerchen herbeizuzaubern. Julius fühlte bereits den grimmigen, kalten Atem des antarktischen Winters. Im Schein der tragbaren Flammen sah er die eisigen Ebenen, auf denen sie angekommen waren. Feiner Schnee umtanzte sie . Temmie stapfte zwei Schritte vor und wieder zurück, um die Eiseskälte aus ihren Hufen zu verbannen. Julius fühlte, wie seine Hände steifer wurden. Hier waren es bestimmt minus fünfzig Grad. Da hätte er doch echt dran denken müssen. Immerhin hatte er von Garoshan doch die Umgebungen der Zielorte beschrieben bekommen. Sonst wäre er ja nicht so zielgenau in die Nähe des Südpols gereist. Doch als er fragte, ob sie schnell weiterreisen sollten, meinte er, daß die silberne Kugelflasche vibrierte. Die fest verschlossene Öffnung sprang mit leichtem Pling-Plong auf. Unvermittelt meinte Julius, etwas wohlig warmes spritze heraus. Doch er sah nichts. Er fühlte nur, daß der freigesetzte Zauber ihn wie eine vorgewärmte Daunendecke einhüllte, und offenbar nicht nur ihn. Camille hörte sofort zu zittern auf. Madame Faucon atmete erleichtert auf. Auch Temmie hörte mit dem herumstapfen auf.
"Caloraestatis", stellte Madame Faucon fest. "Deine Schwiegergroßmutter hat doch ihren Ohne-gleichen-UTZ in Zauberkunst verdient."
"Sommerwärme heißt das wohl", meinte Julius. "Als wenn wir nicht aus dem warmen Frankreich fortgereist wären. Woher wußte Line das?"
"Wohl von Hippolyte", vermutete Camille. Madame Faucon nickte und richtete ihre Hand mit dem Mini-Feuer auf eine Erscheinung, die nicht zur antarktischen Eiswüste passen mochte. "Genau deshalb sind wir hier, die Damen und der Herr", sagte sie und deutete mit der anderen Hand auch das turmhohe Gebilde, das wie in Eis gefangenes Mondlicht glänzte. Julius peilte über Temmies Hörner hinweg nach vorne und betrachtete das Gebilde. Dabei mentiloquierte er "Freundlich oder feindlich?" an die Adresse der Latierre-Kuh.
"Der Turm der weißen Mutter", war Temmies Antwort. "Die war die Tochter von Hochkönig Golgoran. Sie hat das Eisland unter dem Himmelskreuz als ihr Reich erklärt, als es darum ging, die Weltstraßen zu bauen. Sie war nicht finster, aber doch sehr machtbewußt."
"Was erzählt dir Temmie über das Ding da?" Fragte Camille.
"Nix böses da", faßte Julius die Gedankenbotschaft zusammen. Doch weil Madame Faucon ihn mürrisch anknurrte gab er einen korrekten Bericht ab.
"Reagiert dein Heilsstern auf das Objekt?" Fragte die Lehrerin Camille. Diese griff an ihr Schmuckstück. Doch es glühte nach wie vor in einem sanften Rot.
"Wasserwender!" Durchpulste Julius ein Gedanke aus Temmies Schädel. Das klang nicht gerade begeistert. Er gab das Wort weiter. Madame Faucon straffte sich wie zum Angriff bereit.
"Dann kann ich meiner Kollegin und Vorgesetzten endlich bestätigen, daß es diese Ungeheuer gibt. Mademoiselle Artemis, bitte aufsteigen und in hundert Metern ..." Da bebte die Erde, und keine hundert Meter von ihnen entfernt brach ein spitz zulaufender Schädel wie aus blauem Eis hervor. Julius dachte sofort an einen gigantischen Wurm. Doch als das aus dem Eis hervorbrechende Biest ein Beinpaar nach dem anderem ausfuhr ähnelte es doch eher einem Tausendfüßler. Temmie ließ den Silberschein wieder über ihre Haut gleiten. Gerade als das Eismonster mit flinken Beinbewegungen über das Eis brauste wie eine Reihe Schlittschuhläufer schnellte sie mit ihren drei Reitern in den dunklen Himmel empor. Das mindestens fünfzehn Meter lange Ungetüm richtete zwei Drittel seines Körpers auf und riß das spitze Maul auf. Temmie stieg weiter an, als aus dem offenen Schlund eine Fontäne aus Eiskristallen herausschoß. Julius sah es genau, wie der Hinterleib des Wesens pulsierte und ganze Ladungen festen Schnees wie mit einem zweiten Maul verschlang.
"Man hat immer geglaubt, das diese Bestien die Ära der Titanen nicht überdauert haben", dozierte Madame Faucon. doch einige Muggelseefahrer und Inuit haben diese Ungetüme noch im neunzehnten Jahrhundert gesehen. Es ist zu vermuten, daß die meisten, die sie erblickten, die Begegnung nicht überlebten und wir deshalb nicht wissen konnten, ob es sie noch gibt."
"Wasserwender. Toller Name für so ein Monster", stellte Julius fest. Dann deutete er auf den Boden. Noch mehr dieser Kreaturen schossen aus dem Eis. Von oben sah es aus wie aus flüssigem Wasser auftauchende Seeschlangen.
"Den Erzählungen nach lebten Wasserwender in Horden bis zu fünfzig Exemplaren", erwähnte Madame Faucon. "Wie bei Bienen und Ameisen sind alle Weibchen unfruchtbar, bis auf die Königin. Es hieß, diese Kreaturen könnten eins mit dem ewigen Eis werden oder in der tiefsten Tiefsee überdauern. Man sollte den Muggeln sagen, wie gefährlich es ist, unbedingt die tieferen Regionen der Ozeane zu erkunden. Allerdings heißt es auch, daß nur angewandte Magie die Starre eines schlafenden Wasserwenders beenden kann. Und wir haben durch unser Erscheinen und den Schutzzauber schon mehr als genug Magie entfaltet, um eine Armee dieser Biester zu wecken." Als sie das sagte, beugte sie sich vor und tätschelte kurz Temmies Nacken. "Ein Glück, daß wir eine flugfähige Begleiterin bei uns haben, die diese Ungeheuer rechtzeitig erspürt hat."
"Warum hat mein Stern nicht darauf reagiert?" Fragte Camille.
"Zu weit weg", war Madame Faucons Antwort. "Wenn wir näher an einem dieser Geschöpfe gelandet wären hätte er vielleicht reagiert. Doch ganz bestimmt möchte ich das nicht sagen."
"Und diese Wasserwender wälzen Wasser in jeder Form um?" Fragte Julius. Da sah er, wie die neuen Exemplare mit bis zu ihnen hinauf klingendem Fauchen lange Dampfstrahlen spien. Der erste Wasserwender zog sich nun zusammen und spuckte statt Eiskristallen schlanke Eiszapfen aus, die gefährlich schnell auf die vier Besucher der alten Straßen zuschwirrten. Mit einem lauten Plopp explodierte eine rosarote Lichtkugel aus der Glücksflasche und hüllte die Kuh und ihre Reiter in eine zart wirkende Blase ein. Leise knackend zerbarsten die Eispfeile daran.
"Die Schutzzauber aktivieren sich, wenn sie wirklich gebraucht werden", stellte Julius fest, als ein ganzer Trommelwirbel von Eisgeschossen anprallte.
"Euch ist klar, daß wir da nicht mehr runterkommen, wenn diese Biester uns mit diesen Eisnadeln bespucken", unkte Camille.
"Diese weiße Mutter hat sich eine tolle Leibgarde herangezüchtet. Frage an Artemis: Was fressen die, um zu gedeihen?"
"Alles, was Wasser enthält", mentiloquierte Temmie. Julius gab die Antwort weiter.
"Eine Frage von mir", ergriff Madame Faucon das Wort: "Wie lange lebt eine Wasserwenderkolonie?"
"Die Königinnen können mehr als tausend Jahre schlafen. Männchen über fünfhundert. Die Weibchen können nur zweihundert Jahre erstarren, wenn die Königin sie nicht frißt, um selbst weiterzuleben." Fast simultan gab Julius die erhaltene Antwort weiter. Jetzt bedauerte er es doch, daß sie Temmie nicht das Cogison umgehängt hatten.
"Was machen die denn jetzt?" Fragte Camille, die die nun an die drei Dutzend Wasserwender weiterbeobachtete. Diese hatten sich zu einem Kreis formiert. Ihre vorderen zwei Körperdrittel ragten kerzengerade empor. Doch sie spien keine Eispfeile mehr, sondern blähten sich auf wie Ballons. Dann schwollen sie wieder ab. Hinter ihnen entstanden Schneewehen. Die rosarote Leuchtblase zitterte sacht.
"Sie versuchen, uns vom Himmel herabzusaugen", vermutete Madame Faucon. Sie ziehen mit vereinten Kräften alles wasserhaltige aus der Luft herab. Ohne die Schutzblase würden wir ebenfalls in den Sog geraten, weil wir zum Großteil aus Wasser bestehen."
"Das ist die tödliche Kraft der Wasserwender", mentiloquierte Temmie und stieg noch höher, bis die sie umschließende Sphäre nicht mehr zitterte.
"Wie schaffen wir uns diese Monster vom Hals?" Fragte Julius. "Wir wollen schließlich den Zielpunkt hier notieren und dann auch mal wieder weiter."
"Gebündeltes Sonnenlicht und Hitze mögen sie nicht. Aber kein offenes Feuer. Das löschen sie, ob magisch oder nicht", erwiderte Temmie nur für Julius vernehmbar. Dieser gab die Information weiter.
"Dann sei es", knurrte Madame Faucon. Sie hob ihren Zauberstab und deutete auf den oberen Scheitelpunkt der Blase, wobei sie "Integro Flagrantem!" Rief. Julius wußte ja, daß man bestimmte Elementarzauber in die Blase einfügen konnte. Der Flagrante-Zauber erzeugte eine flammenlose Hitze wie ein auf höchste Stufe gestellter Elektroherd. Doch anstatt sich irgendwie zu verfärben, um den Hitzezauber aufzunehmen, klaffte die Blase unten auf, zog sich fauchend zusammen und verschwand mit einem metallischen Plopp wieder in der Flasche. Sofort fühlten sie einen nach ihnen greifenden Wirbel, der sie hinabzuziehen begann.
"Blanche, nichts für ungut, aber einen Versengungszauber in einen reinen Schutzzauber einzuwirken zählt wohl zu den schädlichen Wirkungen der mitgenommenen Schutzzauber."
"Camille, jetzt ist echt nicht der Zeitpunkt für Sticheleien", schnaubte Madame Faucon wütend. Sie ärgerte sich wohl eher über sich als über Camilles Bemerkung. Julius hielt derweil seinen Zauberstab in der Hand und zielte auf den nächsten Wasserwender. "Heliotelum!" Rief er. Ein Speer aus gleißend gelbem Licht zischte aus dem Stab direkt in den offenen Schlund des angezielten Monsters. Dieses schrak mit einem gurgelnden Aufschrei zurück, wand sich und drohte, sich mit seinen vielen Beinen zu verknoten. Noch einmal feuerte Julius, diesmal mit "Repetitio!" den Speer aus Licht ab. Madame Faucon straffte sich kampfeslustig und attackierte die ihr nächsten Monstren mit den gleichen Zaubern. Camille knuddelte Julius kurz und eröffnete dann als dritte das Lichtspeerbombardement. Auch wenn das Gestirn, dessen elementare Kraft sie beschworen, gerade nicht über dieser Region der Erde stand, zeigten die Sonnenspeere Wirkung. Die vordersten Ungeheuer krümmten sich vor Schmerzen. Der Alles Wasser anziehende Sog verebbte. Mehrere der Kreaturen flüchteten in Panik, wenn in ihrer Nähe ein Artgenosse getroffen wurde und tauchten im Eis unter wie in flüssigem Wasser. Einige der Ungeheuer schienen an ihren Körpersegmenten zu zerbrechen. Nur vier der Wesen versuchten einen Gegenschlag mit Eispfeilen. Doch Temmie wich dem Beschuß so flink aus wie ein Quidditchspieler auf einem Ganymed-Besen. Die vier Angreifer fingen sich die Lichtspeere ein und verschluckten sich wohl daran. Denn sie wanden sich auf dem Boden. Ihre vielen Beinpaare zuckten unbeholfen durcheinander. In einem letzten Akt verschwanden alle verbliebenen Wasserwender unter dem Eis.
"Die Königin hat sie zurückgerufen", pflanzte Temmie ihrem offiziellen Besitzer unter die Schädeldecke.
"Die warten, bis wir gelandet sind", vermutete Madame Faucon. Wenn Lines Schutzblase uns nicht helfen wollte mache ich uns eine eigene." Mit sicherer Betonung rief sie die Zauberformel für den Amniosphaera-Zauber auf und veränderte die rosarote Blase um den Versengungszauber. Nun umgab sie eine tiefrote Leuchtblase. Temmie landete. Die Blase berührte das Eis und taute es in einer Sekunde auf. Julius sah gerade noch einen Wasserwender, der darin vergraben war und nun unter einem langgezogenen Pfeiflaut wie eine Kompanie Teekessel unter der Sphäre zusammengedrückt wurde. Julius sah für eine Sekunde noch, wie eine dichte Dampfwolke aus dem Untier quoll und es völlig vernebelte. Dann ertönte ein lauter Knall wie ein Kanonenschuß, und Temmie sank weiter. Inzwischen war das Eis zu einem etwa zehn Meter durchmessenden Teich geworden, der dichte Nebelschwaden ausdünstete. Wasserwender versuchten wohl, durch die Hitzeblase zu stoßen und zogen sich laut pfeifend wieder zurück.
"Der Turm versinkt", sagte Camille, während Temie mit sanften Flügelschlägen über dem Tauteich kreiste. Madame Faucon sah es auch.
"Er taucht wohl nur für kurze Zeit auf. Womöglich hätten wir dorthin fliegen sollen, falls er für uns befugt war."
"War er nicht", gab Temmie über Julius weiter. "Er kam nur hoch, weil jemand den alten Ausgang benutzt hat. Golgorans Tochter ließ ihn nur hochkommen, um zu sehen, wer ihr Reich betrat. Das geht also bis heute."
"Dann ist dieser Ausgang eigentlich wertlos und zu gefährlich", stellte Camille fest. Julius nickte. Dann fiel sein Blick auf eine Plattform, die aus dem Tauwasser ragte. Sie schimmerte im roten Licht der Blase wie brennendes Gold.
"Mindestens zwanzig Meter unter der Oberfläche", vermutete Madame Faucon, die die Plattform auch gesehen hatte. Dann sah sie noch, wie ein Wasserwender wütend gegen die Leuchtblase sprang und bald im Ultraschallbereich pfeifend davongeprellt wurde. Dampf quoll aus ihm heraus. Der Wasserwender schaffte es wohl noch, unter das kühlende Eis zu tauchen, bevor er wie sein Artgenosse vorher vom Dampfdruck zerrissen wurde.
"Blanche, du hast ein wahrhaft hitziges temperament", stichelte Camille ihre Nachbarin. "Die Biester explodieren ja, wenn sie deine Hitzeblase berühren."
"Jetzt sind alle ganz im Eis verschwunden", vermeldete Temmie, die die Ungeheuer wohl mit ihrem besondren Spürsinn verfolgen konnte. Nach dieser Mitteilung ließ Madame Faucon die Hitzeblase kontrolliert zerfallen und befahl die Landung am Rand des Teiches. Julius naviskopierte so schnell er konnte den Standort, notierte ihn im Schein von Camilles Zauberstablicht. Den Atlas holte er jetzt nicht hervor. Wer wußte schon, wie lange die Wasserwender sich hübsch ruhig verhielten? Auf jeden fall hatten ihm diese Monster trotz ihrer Gefährlichkeit imponiert. Mit so einem Geschöpf konnte sich kein Drache messen.
"Temmie, wie kommt das, daß die bei flammenloser Hitze zerkochen und offenes Feuer löschen können?" Fragte Julius.
"Magische Hitze verhindert, daß sie Wasser gefrieren können. Wenn Flammen sie treffen machen sie, daß der Dampf in der Luft zu Schnee gefriert und das Feuer ausmacht, ob gezaubert oder nicht." Julius gab diese Information auch weiter, während Madame Faucon einen losen Eisbrocken aufhob und ihn mit dem Zauberstab berührte: "Retardo frigidissimum!" Sprach sie entschlossen. Dann warf sie den bezauberten Eisbrocken so, daß er genau über der freigelegten Plattform auf im Wasser landete und sofort an der Oberfläche dümpelte. Dann sah es so aus, als blase jemand den Eisbrocken von innen auf. Er dehnte sich rasend schnell aus, wurde zu einer erst kleinen, dann mehrere Meter breiten Eisscholle. Neue Eisbröckchen schwammen um ihn herum. Sie wuchsen rasant an und vermehrten sich im Fünf-Sekunden-Takt. Sie stießen zusammen und bildeten eine feste Eisdecke, die immer dichter zusammengefrorern wurde. Es dauerte nur eine Minute, da war dort, wo die Hitzeblase einen Teich aus Tauwasser gebrannt hatte, eine glatte, runde Plattform aus festem Eis.
"Mein lieber Schieber", staunte Julius. "Wozu ist der Zauber normalerweise gut?"
"Das darf Ihnen meine Kollegin Bellart erzählen, Monsieur Latierre", wehrte Madame Faucon die Frage ab. Camille grinste nur. Dann trottete Temmie auf die Eisdecke. Julius befand, daß sie nun genug mit Eismonstern am Südpol erlebt hatten und rief: "Godjamirin!" Wieder umfing sie ein Zylinder aus Licht. "Pangarmorantir Glenartis!" Erscholl seine Stimme wie in einem weiten Kelller. Dann erhob sich die Kapsel aus Licht mit ihnen, ruckte vorwärts und stieß in einen neuen Lichttunnel hinunter, um durch diesen weiterzurasen.
Dort, wo sie nun ankamen, war es immer noch nacht. Doch das Kreuz des Südens hatte sich merklich Richtung Horizont gesenkt, erkannte Julius als begeisterter Hobbyastronom sofort. Das hieß aber auch, daß sie immer noch auf der Südhalbkugel der Erde waren. Er sah sich um. Nicht weit von ihnen fort ragte ein mächtiger Felsen in den Himmel. Zwar war durch die Nacht hier alle Farbe von ihm gewichen. doch Julius war sich sicher, daß der Felsen rostrot gefärbt war, wenn die Sonne drauf fiel. Immerhin hatte er ihn sofort erkannt, als er die Lehrstunde bei Garoshan hatte, um alle zugänglichen Punkte der alten Straßen in sein Gedächtnis aufzunehmen. Er blickte auf seine Uhr, die nicht um einen Ganzstundenwert von der britischen Zeit abwich, sondern um neun und eine halbe Stunde nach vorne, beziehungsweise zweieinhalb Stunden zurück. Nein! Das waren eindeutig die neuneinhalb Stunden voraus.
"Uluru", sagte Julius. "Das ist der zweite Platz, wo ich mir sicher war, wo die Ausgangsplattform liegt. Denn jetzt ist ja klar, daß unter uns eine magische Plattform versteckt sein muß."
"Der heilige Felsen der Aborigines? Ayers Rock?" Fragte Camille. Madame Faucon und Julius nickten. Julius wußte, daß er im südlichen Sommer hier wieder herkommen mußte, um die Stimme Ailanorars zu holen, mit der dann die Schlangenmonster zurückgetrieben werden sollten, falls Voldemort sie bis dahin tatsächlich aufgeweckt hatte.
"Du weißt, daß du so in ein paar Monden wieder hier sein mußt?" gedankenfragte Temmie, als habe sie in Julius' Geist hineingelauscht. Er schickte ein "Ja, weiß ich" zurück. Dann fragte er, ob hier auch irgendwelche netten Geschöpfe warteten. Sie teilte ihm mit, daß sie einige Winddwesen spürte, die um den Felsen strichen. Außerdem könne sie außer der Kraft der alten Straße auch eine andere Kraft fühlen, die sie aber nicht als gut- oder bösartig erkannte. Julius vermutete, daß dies die Stimme Ailanorars war oder ein Zauber, um sie zu verbergen. Er sprach zu den beiden Hexen, daß sie hier nach etwas suchen sollten, was für die Bewohner des alten Reiches so wichtig war, daß sie hier einen Knoten des alten Straßennetzes hingebaut hatten. Im Moment waren zumindest keine Monster anwesend. Es fauchte nur einmal leise. Dann schloß sich die Glücksflasche mit leisem Klicken und Quietschen. Es wurde merklich kälter.
"Unsere Sommerbrise hat sich in ihr Nest zurückgezogen", meinte Julius. Auf dem australischen Kontinent herrschte noch Winter. Aber der war im Moment wohl nicht so grimmig, daß sie eine wärmende Luftschicht um sich brauchten. Julius war noch nie an diesem Ort gewesen, obwohl er nun bereits dreimal in Australien war. Jede Reise war ihm unvergessen geblieben. Zuerst die Flucht vor den Hexen von Hogwarts, die ihn schnurstracks zu Aurora Dawn geführt hatte. Dann die ersten Weihnachtsferien als Zauberschüler, wo er mit Aurora Hidden Groves besucht und das erste Profi-Quidditchspiel seines Lebens gesehen hatte. Das dritte Mal hatte ihn die gemalte Version Auroras aus der Bilderwelt von Hogwarts zu ihrem Original getragen, damit es ihn untersuchte und die versteckten Verletzungen behandelte, die er sich in Slytherins Horror-Galerie eingefangen hatte. Und jetzt stand er hier, herausgetreten aus einem magischen Portal aus dem vergessenen Atlantis, das er nun als Altaxarroi kannte. Hatten die Bewohner des alten Reiches an den Legenden mitgestrickt, die sich die Ureinwohner über den rostroten Felsen erzählten? Was wollten die allen anderen Menschen der Erde überlegenen Altaxarroin hier? Warum hatten sie den Ausgang nicht in die Botany Bay oder mitten in den Dschungel verlegt? Gab es vielleicht sogar eine Stadt der Altaxarroin in der Nähe. Doch das wichtigste zuerst! Er holte sein Naviskop wieder hervor und setzte es auf seine Knie. Als es sich nach einigen Drehungen ausgerichtet hatte, las er die Koordinaten auf der von innen schwach leuchtenden Anzeige ab:
"Fünfundzwanzig Grad, zwanzig Minuten und dreiundvierzig Sekunden südliche Breite und einhunderteinunddreißig Grad, zwei Minuten und fünf Sekunden östliche Länge. Jetzt habe ich doch mal selbst die Koordinaten von Uluru gemessen."
"Was kann es hier geben, daß die Leute aus dem alten Reich genau hier einen Ausgang geschaffen haben?" Fragte Camille. Julius erzählte, was er von seinen Eltern, Bill Huxley und auch Aurora Dawn über den heiligen Felsen der hier lebenden Ureinwohner erfahren hatte. Temmie mentiloquierte ihm:
"Hier haben Vogelmenschen gegen Echsenmenschen gekämpft? Höchst interessant." Julius erkannte, daß das stimmte. Immerhin hatte er magische Vögel und Vogelmenschen gegen die Echsenmonster Skyllians kämpfen sehen können. Wahrscheinlich würde es an ihm hängen, daß die beiden Rassen noch einmal gegeneinander antreten mußten, um eine endgültige Entscheidung herbeizuführen. Die Last dieser Verantwortung drückte schon seit dem Ausflug nach Khalakatan immer wieder auf sein Gemüt. Doch da waren so viele Sachen dazwischengekommen, der Besuch bei Brittany Forester und den Redliefs, die Überraschungshochzeit mit Millie, das Schachturnier, die Erinnerungsreise in Madame Faucons Schulmädchenzeit und die von Todessern sprichwörtlich gekillte Party bei den Sterlings und die Zeit in Whitesand Valley. Wie mochte es Melanie Leeland und ihrem Bruder gehen? Sicher würde Pina auf ihre Cousins aufpassen, solange sie dort im geheimen Tal der mächtigen Sophia Whitesand blieb. Jetzt stand er hier vor dem Uluru. Der Felsen, der wie ein zufällig in diese Gegend geworfener Riesenbrocken aussah, wirkte mit seinen Sandsteinhängen angejahrt und vergessen. Doch gerade jetzt schien er Julius auf eine unhörbare und nicht mit Worten formulierte Weise zu rufen, ihm zu sagen, daß er bald wieder herkommen sollte. Temmie hatte was von Windwesen erzählt. Was für Wesen waren das?
"Was immer hier vor diesem Ausgang war, scheint in den Jahrtausenden verschüttet worden zu sein", sagte Madame Faucon. Doch Julius deutete auf den nun dunkelgrau wirkenden Sandsteinberg.
"Temmie spürt hier was. Die Jediritter würden das eine Erschütterung der Macht nennen oder eine besondere Präsenz. Hier wirkt eine bestimmte Magie." Mentiloquistisch fügte er hinzu: "Außerdem soll ich hier im südlichen Sommer dieses Instrument Ailanorars holen."
"Dann ist die Kraftquelle wohl im Felsen", vermutete Camille und wirkte den Zauberfinder und den Richtungsweiser zusammen. Tatsächlich drehte sich der frei auf ihrer Hand liegende Zauberstab dem Felsen entgegen und schickte einen rot-blauen Lichtfaden aus. Temmie wand ihren Kopf und lauschte. Dann blickte sie gerade auf einen Punkt in der Felswand, die gut und gerne einen halben Kilometer vor ihnen aufragte.
"Ich spüre die Kraft dort besonders stark, Julius. Wenn ihr das wollt, bringe ich euch hin." Die Hexen an Julius' Seite baten darum, als Julius es ihnen mitgeteilt hatte. Temmie trabte an und startete etwas sanfter als sonst durch. Julius blickte auf die verwitternde Wand, während Camille ihren Zauberfinder wieder löschte. Dann sah Julius den Höhleneingang. Doch Temmie brach unvermittelt nach links aus und stieg dann im steilen Winkel nach oben. Der Jungzauberer wollte gerade fragen, was seine geflügelte Gefährtin zur Flucht getrieben hatte, als er ein wütendes Brausen und fauchen hörte, das aus mehreren Richtungen zugleich kam. Sehen konnte er jedoch niemanden. Doch das wilde Wüten erinnerte ihn an jenen Wirbelsturm in Khalakatan. Er berührte schnell die Glücksflasche und dachte an die Schutzblase. Mit lautem Pling-Plong sprang das Gefäß auf. Plopp! Die rosarote Blase sprang heraus und schloß sie ein. Keinen Moment später waren die unsichtbaren Gewalten heran und rüttelten an der magischen Energiesphäre.
"Diese Macht habe ich auch in der Stadt erlebt", mentiloquierte Julius an Madame Faucon, während Temmie ihren Windumlenkungszauber wirkte, der sich diesmal in die rosarote Blase einfügte, ohne sie verschwinden zu lassen. Julius meinte aus dem nun gedämpften Brausen und Fauchen wütendes Schnarren und Zischen heraushören zu können. Er sah nun einzelne graue Dunstfetzen, die immer wieder vor der nun blauen Blase auftauchten und davon abprallten.
"Unsere Kraft hat die Windwesen wütend gemacht. Sie wollen nicht, daß wir in die Höhle reinfliegen, wo die Kraft ganz stark ist", teilte Temmie Julius mit, während sie wieder Kurs auf den Punkt nahm, wo der Eingang zu den alten Straßen lag.
"Aeromorphe. Wesen aus belebter Luft", sagte Madame Faucon. "Es gibt nur wenige glaubhafte Beschreibungen. Aber ihre Existenz ist durch mehrere Quellen belegt", erörterte Madame Faucon. "Offenbar kann nur jemand in die magische Höhle hinein, der von diesen Wesen willkommen geheißen wurde. Wir sind es wohl nicht."
"Noch nicht", fügte Julius nur für seine Lehrerin vernehmbar hinzu.
"Die Windwesen lassen nun ab und fliegen wieder um den Felsen", teilte ihm Temmie mit.
"Ist das unheimlich", stellte Camille fest. Dann sah sie Madame Faucon an und fügte hinzu: "Ich habe immer gedacht, daß Berichte über sogenannte Elementarwesen Flunkereien unter Zauberern sind. Und jetzt erzählst du mir, daß es Wesen aus purer Luft gibt, die wie ein gelenkter Wirbelwind oder Mistral wirken?"
"Camille, wenn ich dir und andren alles erzählen würde, was mir trotz meiner eigentlichen Aufgaben zugestoßen ist oder berichtet wurde, müßtest du um deinen ruhigen Schlaf fürchten", erwiderte Blanche Faucon kalt. Julius dachte an Elementargeister aus den Kerker-und-Drachen-Zeiten mit Moira, Malcolm und Lester. Was von allem, was die Erfinder meinten, sich nur ausgedacht zu haben, mochte in der magischen Welt tatsächlich so oder in einer ähnlichen Form noch alles vorkommen? Drachen und Meerleute hatte er schon gesehen. Er hatte mit Zwergen, Vampiren, Kobolden und Sabberhexen gesprochen. Er kannte zwei Halbrriesen und einen Halbzwerg, dessen Tochter er selbst vor einigen Wochen im Eilverfahren geheiratet hatte. Ja, und in Khalakatan hatte er mehrere Wesen überlebt, die für die Betrachter der Rollenspiel-Systeme hergehalten haben mochten oder echte Feuer-, Wasser- und Erdkreaturen waren.
"Du sagtest, daß der Südpol und der heilige Felsenberg der Aborigines die einzigen beiden Orte waren, die du ohne Karte zuordnen konntest", sagte Madame Faucon. "Dann bringe uns jetzt bitte an einen Ausgangspunkt, der in gemäßigten Breiten liegt!" Bat Madame Faucon. Julius nickte und wartete, bis Temmie landete. Die Leuchtblase wechselte leise knisternd ihre Farbe zu rosarot und verschwand in dem bauchigen Silbergefäß wie ein orientalischer Flaschengeist. Ja, auch solche hatte Julius schon zu sehen bekommen.
Er rief nach Temmies Landung wieder Godjamirin!", vier Lebende aus. Dann brachte er sie mit zwei weiteren Zauberwörtern an einen anderen Punkt der Welt, von dem er nicht wußte, wo dieser genau lag und was dort einst so wichtig war oder noch darauf wartete, nach wohl zehntausend Jahren erneut genutzt zu werden oder wie am Südpol gefährliche Wächter parat hatte.
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Irgendwie macht das auch Spaß, mit Julius über die alten Straßen zu gehen. Gut, das ich jetzt ganz gut spüren kann, ob was böses ganz nah bei uns ist. Das hätte Blanche, Camille und Julius fast umgebracht, bei diesen Wasserwendern anzukommen. Warum weiß ich nicht genug über die Weiße Mutter? Ich hätte vielleicht rauskriegen können, wozu ihr Turm immer noch da ist und warum die Wasserwender drauf aufpassen. Julius und ich kriegen das immer besser hin, direkt in unsere Köpfe hineinzusprechen. Vielleicht sollte der die jüngere Barbara fragen, ob er mit seiner Frau nicht bei uns wohnt, wenn er sich vom Lernen erholt.
Ui, das mit den Windwesen ging ganz eng aus. Wenn die diese starke Kraftkugel nicht um sich gemacht hätten, hätten uns die dreißig Windwesen glatt runtergeworfen oder solange zwischen sich hin und her geworfen, bis wir alle tot gewesen wären. Also ist Ailanorars Stimme in dem Versteck im roten Steinberg. Jetzt weiß er es und ich auch. Wenn mir nur wieder einfiele, wie Ailanorars Ruflied ging, mit dem er seine Kameraden zu sich gespielt hat! Als wir mit diesen Windwesen zu tun kriegten, habe ich schon etwas Angst gehabt. Dabei kam es mir wieder, wie ich mich ohne Kraftausrichter für bloße Augen unsichtbar machen kann. Auch habe ich gespürt, daß ich es echt wollen muß, um einfach von wo fortzukommen, wo es gefährlich ist. Ich werde es wohl in den nächsten tagen mal ausprobieren.
Jetzt sind wir wieder auf einer Straße von damals. Ihre Kraft trägt uns so schnell wie ich das damals als Menschenfrau mitgekriegt habe. Ja, jetzt habe ich wieder raus, wie ich meine eigene Kraft und die in meinem Körper fließende zusammentun muß, um den zeitlosen Weg zu gehen, was Barbara, Line und Julius als Apparieren bezeichnen. Jetzt ist mir das so klar, als hätte ich es immer schon so gemacht. Hups. Also das Ankommen ist für mich doch etwas wild, weil die uns tragende Kraft sich wild verwirbelt und dann unter uns zusammenknäuelt. Komische Geräusche aus weit weg. Die klingen so wie das Brummen ganz großer Fliegen und Bienen. Dabei rauscht es auch irgendwie, als wenn was über den Boden reiben würde. O, da ist auch Musik, die schnell herankommt und dann wieder verschwindet. Ist schon lustig, wie die Töne beim Rankommen höher werden und beim Weggehen runtergehen.
"Oh, wir sind in der Nähe einer Muggel-autobahn", höre ich Julius sagen. Ich frage ihn direkt in seinen Kopf rein, was das sein soll. er sagt dann so, daß wir alle das hören :
Eine Muggel-Autobahn ist eine lange Straße, wo die Motorwagen der Nichtmagier ganz schnell drauf fahren können und nicht durch einzelne Dörfer oder Städte durch müssen."
"Dann heißt es besonders aufpassen", sagt Blanche Faucon, eine seiner Lehrmeisterinnen. "Wollen nur hoffen, daß unsere große Gefährtin nicht schon von der Autobahn aus zu sehen ist." "Julius, wie weit ist diese Schnellfahrstraße denn weg?" Fragte ich Julius. der spricht in meinem Kopf, daß er das nicht weiß, bevor er nicht mit dem Naviskop gesehen hat, wo wir jetzt genau sind. Ich horche auf meinen Ortssinn und merke, daß wir jetzt wieder über dem Weltkugelteiler sind. Julius holt wohl dieses Naviskop raus. Solange er auf mir drauf sitzt, kann ich nicht sehen, was er macht. Deshalb gucke ich mal rum. Meine neuen Augen können viermal so weit sehen wie meine früheren Augen und die der anderen Menschen. Aha, da sehe ich was. Viele glitzernde Dinger auf vier schnellen, schwarzen Rädern ziehen in Abendrichtung vorbei und lassen Rauch hinter sich. Ich schnüffel und kann einen winzigen Hauch von irgendwas unangenehmem riechen.
"Zweiundfünfzig Grad, eine Minute und eine halbe Sekunde nördlicher Breite und acht Grad, einunddreißig Minuten und eine Viertelsekunde östlicher Länge. Mal sehen wo das ist", sagt Julius. Da sehe ich was fliegendes über dieser Schnellfahrstraße fliegen. Es ist grün und weiß. Es hat vier unten mit zwei leicht gebogenen Stangen zusammengesteckte Beine und einen langen Schwanz, in dem sich was ganz schnell dreht. Oben drauf sind wohl besondere Flügel, die nicht schwingen, sondern sich auf einer senkrechten Stange drehen. Ich höre von diesem Ding ein schnelles Wummern und einen hohen Heulton. Ist das auch was von denen, die ohne Kraft sind und daher merkwürdige Geräte gebaut haben? Mir ist irgendwie so, als hätte ich von Julius schon gehört, wie die so ein Flugding nennen. Ist jetzt auch egal, weil wenn ich dieses Flugding sehen kann, kann es oder damit herumfliegende Menschen mich vielleicht auch sehen. Wir sollen von denen ohne Kraft nicht gesehen werden. Ich streng mich an und schicke vier kurze alte Wörter aus meinem Kopf in meinen Körper rein. Ja, wunder bar! Ich kann genau das, was ich vorher als Darxandria schon machen konnte. Die Hülle aus Kraft strömt heraus und macht uns für alle Augen unsichtbar. Offenbar war das genau richtig. Denn das Flugding hat gerade seine Nase zu uns hingedreht und kommt jetzt zu uns. Ich warte nicht drauf, daß mir Julius sagt, ich soll wegfliegen. Ich mache uns noch so leicht, daß ich nur einmal mit den Flügeln schlagen muß. Und schon sind wir in der Luft. Ich fühle, wie Julius unsicher ist. Klar, er kann sich selbst ja auch nicht mehr sehen, solange er in der von mir gemachten Unsichtbarhülle drinsteckt. Da kommt das Flugding. Es ist nicht gerade langsam. Ja, und es wird auch immer lauter. Das ist widerlich! Ich weiche dem Ding aus. Es weiß nicht, wo ich bin. Es fliegt noch einige Zeit so weiter, dreht dann um und schwirrt dann mit den wilden Drehflügeln auf dem Rücken über die Schnellfahrstraße zurück. Ich konnte zumindest zwei Menschen sehen, die hinter großen Fenstern sitzen. Einer von denen hat Hebel in der Hand. Damit lenkt er das Drehflügelding wohl. Ich ziehe noch einen schönen, weiten Bogen. Dann lande ich wieder da, wo der Ausgang der alten Straßen ist.
"Dich verkaufen wir an die Romulaner, Temmie. Wußte gar nicht, daß du eine eingebaute Tarnvorrichtung hast", spricht Julius in meinem Kopf.
"Ich lasse uns besser unsichtbar", spreche ich in seinen Kopf zurück. "Das war wohl eine fliegende Wache, die aufpaßt, daß auf der Schnellfahrstraße alles richtig läuft. Wenn ich dieses Drehflügelding nicht schon früh genug gesehen hätte, dann wären die Wächter wohl bei uns runtergekommen."
"Das war ein Polizeihubschrauber, der die Autobahn überwacht. Grün und weiß, ich glaube, meine Mutter hat mir erzählt, daß die deutschen Polizeiautos- und Hubschrauber so angestrichen sind", höre ich Julius sagen.
"Das trifft zu, Julius", antwortet Blanche Faucon. "Offenbar hat uns die halbe Sehschärfe des Adlers, die Latierre-Kühe haben und ein wiederentdeckter zauber deiner großen Geburtstagsüberraschung rechtzeitig genug vor unnötigen Fragen geschützt."
"Ja, aber nur wenn die Polizisten Temmie und uns nicht mit einer Videokamera aufgenommen haben", antwortet Julius. ich frage ihn, was eine Videokamera sein soll. Weil Camille das auch wissen will sagt er, daß es ein künstliches Auge ist, das macht, daß Leute Bilder, die es sieht, aufbewahren können. Ich sage, daß ich einen kleinen Augenblick unter dem fliegenden Ding sowas gesehen habe, was aber genau nach unten geguckt hat.
"Dann hat der uns nicht auf Band", sagt Julius darauf erleichtert. Dann fragt er noch, ob er von mir runterklettern kann, um sich wieder sehen zu können und dann wieder unsichtbar wird, wenn er auf mich hochklettert. Ich schicke ihm zu, daß das geht.
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Julius hatte zuerst gedacht, der Unsichtbarkeitszauber sei in der Glücksflasche gewesen. Doch die hatte sich nicht geöffnet, um einen Zauber herauszuschleudern. Dann hob Temmie ohne Anweisung ab. Er konnte nur den bereits mehrere Meter unter sich liegenden Boden wegfallen sehen und zwei kräftige Flügelschläge hören. Dann konnte er in großer Ferne das typische Wummern und Motorengeräusch eines näherkommenden Hubschraubers hören. Er konnte die Maschine jetzt sogar als grün-weißes Metallinsekt sehen, das einige Sekunden lang auf sie zukam. Temmie wich wohl wweiträumig aus, der Flugneigung nach. Dann kehrte die Maschine zurück von wo sie kam. Als sie dann gelandet waren und mit körperlicher und geistiger Stimme besprochen hatten, was ihnen da widerfahren war, fragte Julius Temmie, ob er sichtbar würde, wenn er von ihr absteige. Sie mentiloquierte ihm, daß das ging. Madame Faucon ließ die Falttreppe herab. Julius löste etwas unbeholfen die Sicherheitskette, ließ sich von Madame Faucon an die Hand nehmen und folgte ihr über die unsichtbare Treppe. Erst als sie einen Schritt von der untersten Stufe entfernt waren, wurden sie beide wieder sichtbar.
"Ich glaube, Barbara Latierre hätte dir dieses Wunderwesen nicht überlassen, wenn sie gewußt hätte, was es alles anstellen kann", sagte Madame Faucon.
"Ich denke, da ich sie noch nicht bei mir unterbringen kann, hat Barbara Latierre kein Problem damit, daß Temmie offiziell mir gehört, wenngleich das bei einem intelligenten Wesen ziemlich anmaßend ist, es als Eigentum zu sehen", erwiderte Julius darauf. Dann notierte er rasch die Koordinaten, an denen sie herausgekommen waren und holte seinen Atlas heraus. Da sie sich sicher waren, in Deutschland zu sein, schlug er die Mitteleuropakarte auf und strich vorsichtig mit dem Zauberstab über die Grenzlinie der Bundesrepublik. Dann tippte er ein Symbol am unteren Kartenrand an, das wie ein Vergrößerungsglas aussah. Sofort wuchs der umzeichnete Kartenausschnitt an und füllte nun die Karte ganz aus. Dann tippte Julius auf ein vereinfacht dargestelltes Netz, worauf wie auf einem Bildschirm Längen- und Breitengrade mit ihren Bezeichnungen eingefügt wurden. Er prüfte die Koordinaten des Standortes nach und stellte fest, daß sie in der Nähe einer mittleren Stadt angekommen waren. Er tippte dann auf ein kleines Symbol, das wie ein Haus aussah und blendete damit die Namen der Regionen, Städte und Dörfer ein.
"Ein klein wenig weiter südlich und westlich, und wir wären genau im Stadtzentrum von Bielefeld in Nordrhein-Westfalen, Bundesrepublik Deutschland, materialisiert. Das hätte was gegeben", sagte Julius.
"Bielefeld. Da wohnt ein Bekannter aus der Liga, Pomponius Krautwein", bemerkte Madame Faucon. "Tss, hätte der sich wohl nicht träumen lassen, daß nahe bei seiner Heimatstadt ein Zugang zum legendären Straßennetz von Atlantis zu finden ist. Die Ausgänge sind ja auch durch Zaubereiverhüllung unaufspürbar. Nur die Lotsensteine können sie orten und aktivieren."
"Aber sonst scheint hier nichts anderes zu sein. Immerhin waren am Südpol und dem Ayers Rock ja magische Wesen und stationäre zauber."
"Durch das Intermezzo mit dem Polizeihelikopter kamen wir ja bisher nicht dazu, Artemis zu befragen, ob ihre besonderen Sinne andere magische Präsenzen orten", sagte Madame Faucon. Da grummelte es ziemlich laut, und ein erleichtertes Schnaufen war zu hören. Julius hielt sich sofort die Nase zu. Madame Faucon verstand und tat es ihm nach. Ein warmer Hauch umwehte sie. Trotz verschlossener Nase konnte Julius den üblen Geruch halbverdauter Pflanzenteile nicht ganz von sich fernhalten. er wartete dreißig Sekunden, bis die von Temmie entwichene Blähung sich verflüchtigt hatte.
"Gut, daß Methan leichter als Luft ist", meinte er, als Madame Faucon einen vorwurfsvollen Blick zur unsichtbaren Riesenkuh schickte.
"Ich kann wohl auch nicht verlangen, daß sie derartige Sachen einhalten kann", knurrte Madame Faucon. Julius nickte ihr zu. Dann tippte er das Vergrößerungsglas an dem Atlas wieder an, worauf der Kartenausschnitt sich wieder zusammenzog und den restlichen Abschnitt Mitteleuropas wieder auf die Karte brachte. Das Gradnetz zog sich enger zusammen, und nur die Fünferabschnitte wurden noch durch Zahlen ausgewiesen. Julius tippte das einfache Netz an, dann noch das Haussymbol, so daß die Karte nur einer Luftaufnahme ohne Markierungen entsprach.
"Dieser Atlas ist schon was feines", stellte er fest, nach dem er ihn wie vorhin am Südpol in die Centinimus-Bibliothek praktiziert hatte.
"Ich denke, genau deshalb haben Madame und Monsieur Porter ihn dir geschenkt", bemerkte Madame Faucon. Dann bat sie Julius, Temmie zu fragen, ob sie noch Hunger habe. Er teilte danach mit, daß sie besser erst an einem sicheren Ort sein sollten, bevor sie sich wieder sichtbar machen konnte. Camille und Temmie gaben leise Laute von sich, damit die beiden abgestiegenen Erkunder die unterste Stufe der Treppe wiederfinden konnte. Bevor sie die Treppe erreichten, durchdrang sie wieder die Unsichtbarkeitsaura Temmies und ließ sie für alle Augen verschwinden.
"Das sollte mal in einer Zauberkunststunde drankommen, unsichtbar unsichtbare Treppen zu besteigen", scherzte Julius.
"Wer zur Liga gegen die Dunklen Künste will muß mehrere Aufgaben in völliger Dunkelheit erfüllen oder mit verbundenen Augen hantieren, um etwas auch ohne hinzusehen bewerkstelligen zu können", erwiderte Madame Faucon und bugsierte Julius in den Sitz neben sich. Camille tätschelte ihm kurz den Rücken und ließ sich erzählen, wo sie jetzt waren. Temmie gab über Julius weiter, daß sie im Umkreis nichts magisches wahrnahm.
"Das ist wie der Ausgang in den Pyrenäen", vermutete Julius. "Womöglich ist hier irgendwo in hundert Kilometern Umkreis eine alte Kolonie gewesen."
"Oder es gibt magisch wertvolle Bodenschätze hier", brachte Madame Faucon ein. "Immerhin haben die Atlanter ja auch Silber, Gold und Platin für magische Gegenstände gebraucht. Vielleicht gab es hier sogar ein Vorkommen des sagenhaften Orichalks, das selbst schon magisch aktiv ist."
"Könnte das der Ausgang sein, wo weiter in Sonnenuntergangsrichtung ein breiter Fluß fließt, Julius?" gedankenfragte Temmie ihren jungen Besitzer.
"Stimmt, im Westen fließt der Rhein", schickte Julius zurück.
"Dann lag hier wohl früher Gormangaltan, die Handelsstadt von Gorman dem siebten, einem Meister der Erde. Möglich, daß hier einmal Himmelsbergerz gefunden und heraufgeholt wurde", erhielt er zur Antwort. Das sagte er dann auch. Die beiden Hexen sagten nichts darauf. Vielleicht nickten sie, was er gerade nicht sehen konnte. Er fragte Temmie, ob sie wieder genau auf der Plattform stand. Dann holte er den Lotsenstein hervor, aktivierte den goldenen Lichtzylinder und rief ein neues Ziel aus, das in einer Steppenlandschaft lag. Er hatte zwar auch die Visionen von Höhlen und Kammern bei seiner Lehrstunde bei Garoshan gesehen. Doch zum einen wußte er nicht, ob Temmie da hineinpassen mochte, und zum anderen nicht, was sie dort erwartete. Das ein freier Himmel über ihnen sehr vorteilhaft war hatten die Wasserwender ihnen ja schon beim ersten Zwischenhalt beigebracht.
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"Du bist lustig. 'ne weiße Kuh mit Flügeln, Karl", spottete Polizeihauptmeister Ludwig Backhaus, als sein Kollege, Polizeimeister Karl Hagedorn, die Routineüberwachung des Autobahnabschnitts bei Bielefeld unterbrach und in nordöstliche Richtung deutete, wo er soeben eine Erscheinung gesehen hatte, die ziemlich komisch aussah. Da war eine schneeweiße Kuh mit Flügeln. Doch Ludwig Backhaus konnte nichts dergleichen erkennen. Sie flogen in die Richtung, die Hagedorn angegeben hatte, konnten aber nichts außergewöhnliches erkennen als die unbebaute Landschaft neben der Autobahn.
"Ich glaube, ich habe schon zu lange in der Kanzel gesessen", seufzte Hagedorn, als sie nach mehreren hundert Metern Flug wieder umdrehten.
"Aber schon was komisches, eine geflügelte Kuh. Wie groß soll die denn gewesen sein, Karl?"
"Also im Vergleich zu den Landmarken, die ich gesehen habe, kam mir das Biest so groß wie ein Elefant vor. Deshalb konnte ich die wohl auch sehen."
"Du willst mich wohl veräppeln, Karl", knurrte Ludwig Backhaus. "Das ist Respektlosigkeit gegen deinen Vorgesetzten. Am besten Schwamm über deine komische Flügelkuh, Karl. Sonst müßtest du glatt noch zum Seelenklempner. Oder ich müßte dich beim Chef wegen vorsätzlicher Irreführung eines Vorgesetzten melden. Da mir da nicht nach ist vergessen wir die Sache besser und machen, wozu wir unterwegs sind."
"Und das Video?" Fragte Hagedorn irritiert.
"Ganz einfach", sagte Backhaus und drückte die Stoptaste des Aufzeichnungsapparates und ließ das Band zurücklaufen, bis sie den letzten Abschnitt von der Autobahnaufnahme sahen. Von da an wurde das Band schlicht weg neu bespielt. Karl Hagedorn verfluchte seine Sinnestäuschung. Hoffentlich kam sowas nicht noch mal vor.
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Die Sonne stand im Nordwesten am Himmel. Also waren sie nur um wenige Längengrade abgewichen, jedoch südlich des Äquators. Um sie herum erstreckte sich ein trockenes Grasland. Heiße, trockene Luft umwehte sie. Geräusche von Insekten oder kleinen Tieren klangen in ihren Ohren, und in einiger Entfernung grasten mehrere Tiere mit schlanken Beinen und gekrümmten Hörnern. Sie waren wesentlich kleiner als Temmie.
"Afrika, nehme ich an", bemerkte Camille.
"Stimmt wohl. Das sind Antilopen", sagte Julius. "Temmie, gibt es hier was übernatürliches?" Schickte er an die mächtige Gefährtin weiter.
"Ja, da ist was, Julius. In Mitternachtsrichtung, wohl zweihundert meiner Schrittlängen weg. - Was unfreundliches, Julius!"
"Vor uns ist unfreundliche Magie", sagte Julius. Mit Gesten kam er nicht weiter, solange Temmie sich und ihre Reiter unsichtbar hielt.
"Wir sind in Afrika. Da könnten wir mit animistischer magie zu tun kriegen", stellte Madame Faucon fest. "Schamanen und Buschhexer, sowie Archaiische Formen des Voodoo."
"Temmie, wie unfreundlich ist das da vor uns?" Fragte Julius mit hörbarer Stimme.
"Ruhelose Seelen, Julius. Geister", erwiderte Temmie. "Sie bleiben aber da, wo sie sind."
"Da vorne gibt es Geister", sagte Julius.
"Offenbar Wächter wie am Uluru oder dem Südpol", schnaubte Madame Faucon.
"Um sie ist was, das sie gefangenhält", informierte Temmie Julius noch. "Es tastet nach uns. Solange wir auf diesem Platz bleiben passiert wohl nichts."
"Wie tastet es nach uns?" Fragte Julius die Gefährtin.
"Kraftwellen, die kurz vor uns zurückweichen. Das ist wie am Meer."
"Temmie meint, um uns würden magische Kräfte pulsieren, die aber nicht ganz bis zu uns vordringen können", gab Julius die Zusatzinformation weiter. Madame Faucon vermutete:
"Das liegt wohl an der Magie der alten Straßen. Offenbar ist die Plattform von einem Schutzwall umgeben, der direkte Zauberangriffe vereitelt."
"Sofern nicht wieder irgendwelche Monster auftauchen", meinte Camille. "Dann sollten wir besser gleich weiter."
"Reagiert der Heilsstern, Camille?" Fragte Julius.
"Wo du fragst, Julius: Er prickelt ein wenig", antwortete Camille Dusoleil.
"Die Kraft wird langsam stärker", teilte Temmie Julius in Gedanken mit. Er gab es weiter und dachte wieder, daß das Cogison doch besser gewesen wäre.
"Vielleicht braucht man einen bestimmten Gegenzauber, um von hier weggehen oder -fliegen zu können", vermutete Julius nach zehn Sekunden Bedenkzeit.
"Dann besteht dieser Zauber schon seit mehr als zehntausend Jahren", vermutete Madame Faucon. Doch Temmie widersprach wohl. Denn Madame Faucon sagte nach knapp fünf Sekunden: "Wenn sie meint, daß es kein Zauber aus ihrer Zeit ist."
Mein Talisman wird immer unruhiger", sagte Camille. Temmie trippelte unruhig. Dann hatte sie sich wohl wieder in der Gewalt.
"Die böse Kraft wird stärker, Julius. Das ist nichts von meinem früheren Leben", mentiloquierte Temmie ihrem neuen Halter.
"Sollen wir wieder abreisen?" Fragte Julius.
"Mach das mit dem Naviskop. Dann können wir anderswo hin, wo es sicher ist", schickte Temmie zurück. Sofort wurde sie mit ihren drei Reitern sichtbar. Julius holte das Naviskop hervor und notierte so schnell er konnte die Koordinaten. Er meinte Donnergrummeln aus der Ferne zu hören. Als er sich umsah, meinte er, winzige Funken in der Luft tanzen zu sehen.
"Das was die unruhigen Seelen festhält dehnt sich aus, Julius", schickte Temmie eine weitere Gedankenbotschaft. Julius sagte darauf nur, das er jetzt alle Werte habe und rief rasch jene Wortkombination aus, die sie alle zurück an ihren Startpunkt in den Pyrenäen brachte. Denn es war ja egal, von welchem Zugangspunkt aus sie weiterreisten.
"Also, wir dürfen festhalten, daß die alten Straßen zwar alt sind, aber offenbar nicht überall vergessen sind", faßte Madame Faucon die bisherigen Erlebnisse zusammen, während Julius die Gunst der Stunde nutzte und Temmie eine große Menge Heu vorlegte. Sicher hatte die Anwendung von Magie ihr gut Energie entzogen. Dankbar nahm Temmie das Futter in sich auf. Auch die beiden Hexen und Julius genehmigten sich eine Mahlzeit, während sie über die vier bisherigen Reiseziele sprachen. Als Julius die Koordinaten in seinem Atlas nachgesucht und den entsprechenden Kartenausschnitt vergrößert hatte verfiel Madame Faucon in tiefes Nachdenken. Camille und er sprachen dann leise über den Heilsstern und wie er auf welche Magie auch immer reagierte. Während Temmie das Heu mampfte und wohl wartete, die eingeworfene Ladung noch einmal durchzukauen, offenbarte Professeur Faucon, was ihnen ihrer Meinung nach passiert war.
"Wir sind in Tansania gewesen, etwa vierhundert Kilometer südwestlich des Kilimandscharos. Ich hörte bei einem interkontinentalen Wissensaustausch von Mitgliedern der Liga gegen die dunklen Künste vor einunddreißig Jahren davon, daß es in Tansania einen Ort gibt, an dem die Seelen böser Zauberer auf ewig gefangen bleiben. Der Ort sei verflucht und würde jedem Menschenwesen, das ihn aufsucht, Heerscharen von Dämonen auf den Hals hetzen, die seinen Geist mit Angstvisionen und Geräuschen verwirren würden, bis er entweder wahnsinnig wird oder stirbt. Gegen diese Magie gebe es nur einen wirksamen Schutz, das Ritual der reinen Sinne. Ein alter Schamane hat es uns vorgeführt. Es geht jedoch über einen vollen Tag und hält nur eine Stunde an. Dann erschöpft sich der Gegenzauber, und die Alptraumvisionen überfallen den, der damit in das verfluchte Gebiet eingedrungen ist. Der Schamane hat uns auch erzählt, daß sämtliche Schamanen, Medizinleute und Hexenmeister Afrikas wüßten, wo der verfluchte Ort sei. Bösartige Zauberer fürchteten gar, in alle Ewigkeit dort spuken zu müssen, solange nur ein einziger Feind sie überleben kann."
"Klingt nach der Hölle", warf Julius ein. Madame Faucon nickte heftig.
"Dieses Bild paßt am besten zu dieser verborgenen Stelle. Offenbar wirkte über den Ausgang der alten Straßen doch eine gewisse Magie, die von den Animisten erspürt und benutzt wurde, um den ewigen Kerker zu errichten."
"Dann wären wir ja voll in eine Falle reingerannt, wenn Temmie und Camilles Heilsstern nicht sofort Alarm geschlagen hätten", seufzte Julius.
"Vielleicht kann ich mit dem Heilsstern meiner Mutter in die verfluchte Zone hineingehen", sagte Camille. "Aber wenn dort keine lebende Menschenseele lange aushält gibt's da wohl auch nichts mehr, was es wert ist, da noch einmal hinzugehen."
"Ja, aber was ist mit den Muggeln? Wenn da welche aus Versehen hinkommen kriegen die doch dann auch den vollen Horror ab", wandte Julius ein.
"Deshalb gibt es in dem Land, wo dieser Ort liegt wohl eine Geheimtruppe, die das Verschwinden oder den Tod solcher Muggel vertuscht", sagte Madame Faucon. "Wo das Land liegt, in dem diese Geheimtruppe stationiert ist bekam ich nicht mehr mit. Drängende Angelegenheiten forderten meine Abreise", erwiderte Madame Faucon.
"Hmm, vor einunddreißig Jahren, Blanche? Im Februar vielleicht?"
"Nicht nur vielleicht, Camille", erwiderte Madame Faucon. Dann rückte sie damit heraus, daß sie wider die Empfehlung von Madame Matine eine Woche vor dem errechneten Geburtstermin für Catherine an der Zusammenkunft teilgenommen habe, weil zu diesem Zeitpunkt die Fronten zwischen Hermetikern und Animisten aufgeweicht waren und sie einander von ihrem Wissen weiterzugeben bereit waren. Außerdem waren Gerüchte im Umlauf, daß in Großbritannien ein möglicher Nachfolger Grindelwalds nach Macht strebte. Julius nickte dazu. Camille nickte auch.
"Aber wieder zurück zu diesem Seelenkerker", brachte Julius das Thema wieder auf ihren Ausflug über die Alten Straßen. "wie alt soll dieser Seelenkerker denn sein?"
"Nach dem, was der Schamane uns berichtete, gab es ihn schon vor zweitausend Jahren, Camille und Julius", beantwortete Madame Faucon die Frage.
"Vielleicht war es selbst ein böser Zauberer, der diesen Kerker gebaut hat", sagte Camille. "Er hat gemerkt, daß da eine ihm unverständliche Magie ist. Er muß sie für was göttliches gehalten haben. Er wollte wohl seine Unsterblichkeit damit erreichen und hat sich verhoben."
"Nun, das wissen wir nicht genau. Könnte ebenso sein, daß andere Magier befanden, dem Treiben schwarzer Schamanen ein Ende machen zu müssen und deshalb diesen verfluchten Ort erschufen", widersprach Madame Faucon.
"Jedenfalls können wir da nicht so einfach rumlaufen. Der Ausgang ist also wertlos, wenn wir nicht so gemein sind, wen absichtlich dahinzuschicken, um ihn von den Horror-Visionen fertigmachen zu lassen", meinte Julius noch.
"Wenn die Aussicht besteht, daß du dann auch da für alle Ewigkeit festhängen mußt, Julius, ist das wohl nicht so lustig", erwiderte Camille Dusoleil. Madame Faucon und Julius stimmten vollauf zu.
Nachdem sie alle neue Kraft getankt und dringende Bedürfnisse erledigt hatten saßen die beiden Hexen aus Millemerveilles mit Julius wieder auf Temmies Rücken und ließen sich von Julius zum nächsten Zielpunkt bringen.
Das erste, was den drei Reisenden am Zielpunkt auffiel, war die sehr dünne, sehr kalte Luft, die ihnen um die Köpfe wehte. Ihre Lungen keuchten, um den plötzlichen Druckabfall auszugleichen. Auch Temmie steckte den plötzlichen Klimawechsel nicht unbeeindruckt weg.
"Wir hätten Florymonts Schutzkleidung doch mitnehmen sollen", keuchte Camille zwischen zwei heftigen Atemzügen. Ihre Stimme klang merkwürdig gedämpft. Das lag aber wohl an der dünnen Luft, erkannte Julius. Da ging mit leisem Pling-Plong die Glücksflasche auf und blies ihnen zischend warme, atembare Luft um die Köpfe. Um sie herum entstand eine magische Blase, die dem Kopfblasenzauber ähnelte. So bekam auch Temmie genug Sauerstoff und warme Luft zu atmen.
"Wußte nicht, daß man eine Superluftblase machen kann", staunte Julius. Hier schien eine fahle Sonne, die noch zwei Handbreit über dem westlichen Horizont stand.
"Himalaya", sprach Madame Faucon aus, was auch Julius nun vermutete. Sie waren im höchsten Gebirge der Welt herausgekommen. Jetzt hatte er auch Augen für die majestätische Aussicht. Giganten aus Fels, Schnee und Eis erhoben sich weit über alle Wolken. Der Himmel über ihnen schimmerte in einem dunkelblauen Farbton. Im Osten ging er sogar schon eher ins Schwarze über. Die schneeweißen Berge reflektierten viel von dem Licht der auf sie scheinenden Sonne und hoben sich konturgenau vom dunklen Horizont ab. Julius prüfte die Koordinaten. Dann suchte er in seinem Atlas die Asienkarten und verglich die Koordinaten mit ihrem Standort. Madame Faucon hatte inzwischen die Treppe herabgelassen und war hinuntergestiegen. Julius wollte schon hinter ihr her. Doch Camille hielt ihn zurück.
"Ich denke, sie will nur die genaue Höhe bestimmen. Das geht nur auf festem Boden." Temmie schnaufte laut. War das jetzt ungehalten oder was?
"Ich kann mit dem Naviskop auf von Temmie aus messen, wenn sie gelandet ist."
"Was die Koordinaten angeht, Julius. Aber für eine Höhenbestimmung mußt du genau mit der Erdoberfläche Verbunden sein", belehrte ihn Camille. Madame Faucon stand bereits mit dem Zauberstab in der Hand an der Grenze der magischen Luftblase. Sie hielt ihn senkrecht nach unten, beugte sich leicht vor, so daß die Zauberstabspitze mit ihren Füßen ein Dreieck bildete und sprach etwas, was sieben Meter weiter oben schon zu leise ankam, um verstanden zu werden.
"Als Naturhexe weiß ich, daß du jeden Klima- und Ortszustand mit einem oder zwei Zaubern herausfinden kannst, Julius. Mein Mann hat Dutzende von kleinen Sachen gebaut, die Wetter, Schwerkraft, Erdmagnetismus, Wärme, Luftfeuchtigkeit und die Höhe über dem Meeresspiegel anzeigen können, weil die meisten Hexen und Zauberer das für zu umständlich halten, jedes mal einen Zauber zu wirken."
"Wie geht der Höhenprüfer?" Fragte Julius wißbegierig.
"Wir hatten den im sechsten Jahr in Beauxbatons. Altitudinem revelio heißt der schlicht und einfach. Allerdings mußt du dir dabei vorstellen, aus großer Höhe in die Tiefe zu fallen. Da das natürlich etwas Angst macht, ist das nicht so einfach, sich voll auf den Zauber zu konzentrieren."
"Dreitausendsiebenhundert meiner Längen sind wir über dem Meer!" Rief Madame Faucon. Danach kehrte sie über die Falttreppe auf Temmies Rücken zurück.
"Moment mal", staunte Julius. "Wie kriegen Sie denn das mit er genauen Zahl mit?"
"Stell dir eine Art innere Glocke vor, die bei jeder hundertsten Körperlänge leise anschlägt und bei jeder tausendsten richtig laut klingt. Dann läuft der Zauber eine zur Höhe proportionale Zeit lang, bis er mit einer Art Ruck endet. Ich konnte in den knapp neunzehn Sekunden, die er brauchte gut mitzählen", sagte Madame Faucon. "Doch das gehört bereits zum UTZ-Standard für gehobene Elementarzauber, weil er nur wirkt, wenn jemand schon in ungesagten Zaubern geübt ist."
"Sie haben aber was gesagt, Madame", wandte Julius ein.
"Nur die Auslöseformel. Aber die mentale Komponente und die Empfindung des Zaubers setzen genug Übung mit nonverbalen Zaubern voraus", beharrte Madame Faucon auf dem, was sie gerade gesagt hatte. Julius nickte und rechnete im Kopf durch, wie viel 3700 mal 1,60 Meter waren und kam auf "Wau! Fünftausendneunhundertzwanzig Meter über dem Meeresspiegel! Kein Wunder, daß wir fast keine Luft mehr gekriegt haben." Dann fragte er Temmie, ob im Umkreis was magisches sei. Doch es war nichts zu spüren. Dann machte sich die geflügelte Kuh mit ihren Reitern unsichtbar und wollte aufsteigen. Doch die um sie liegende Luftblase verhinderte, daß sie ihre Flügel richtig durchschwingen konnte.
"Sie durchmißt wohl gerade so viel, daß wir alle in ihr atmen können", amüsierte sich Camille, als Temmie ein verärgertes Brummen von sich gab.
"Dann sollten wir besser zum nächsten Ausgangspunkt weiterreisen", befand Madame Faucon. temmie nickte mit dem gehörnten Schädel wie ein Mensch. Julius nickte auch und gab Camille Naviskop und Atlas, damit er nicht andauernd danach suchen mußte, wenn sie an einem Ziel ankamen.
"Godjamirin Pantiarelnair Xendartis!" rief er in geübter Weise und brachte sich und seine Mitreisenden so zu einem anderen Ort, der mitten in einem Dschungel lag. Zischend sog die Glücksflasche die Superluftblase in sich auf und ging metallisch klickend zu. Feuchtheiße Tropenluft und die ungewohnten Stimmen fremder Tiere umgaben die vier. Temmie stand genau in einem Kreis aus mächtigen Urwaldriesen, deren Kronen mindestens neunzig Meter über ihnen das Sonnenlicht filterten.
"Hier ist wohl mit fliegen auch nicht viel, wenn du kein Kolibri oder Papagei bist", sagte Julius Temmie zugewandt. "Oder kannst du dich etwa auch einschrumpfen?"
"Bring sie nicht auf Ideen", zischte Camille, die mittlerweile glaubte, daß die in Temmie wiederverkörperte Darxandria alle Zauber ohne Zauberstab machen konnte, die sie wollte.
"Dafür ist mein Körper zu groß und voller Kraft, daß ich weder von mir aus noch von anderen aus was machen kann, daß ich kleiner oder anders aussehe", mentiloquierte Temmie. Dann schnupperte sie an den Baumstämmen. Julius sah sich um. Er war noch nie in einem echten Urwald gewesen. Er hatte immer gedacht, daß es am Boden kein Durchkommen gebe, weil zu viel Unterholz da sei. Doch die majestätischen Bäume standen für sich, immer in einem Abstand von mehreren Metern. Eigentlich konnte jeder so durchlaufen. Nur ab und an konnte er verkümmertes Buschwerk erkennen.
"Klar, wo keine Sonne hinkommt wächst nichts grünes", grummelte er, weil er etwas enttäuscht war. Die sogenannte grüne Hölle war wohl nicht so undurchdringlich wie alle sagten. Madame Faucon fiel ein, daß sie keine Schutztränke gegen Schlangengifte und Malariaerreger hatten. Julius klopfte an seinen Brustbeutel.
"Gegen Schlangengift habe ich immer was mit." Madame Faucon nickte ihm leicht verlegen zu.
"Auroras Lebensversicherung, Julius?" Amüsierte sich Camille. Er nickte. Dann sagte er belustigt:
"Sie wollte halt sichergehen, daß mir ein gewisser Professor S. in Hogwarts nichts übles unterjubelt, um mir und allen anderen zu beweisen, daß ich längst nicht alles in Zaubertränken kann und kenne."
"Dafür, einen offensichtlichen Giftanschlag auf einen Schüler zu verüben, ist er zu durchtrieben, Julius", schnarrte Madame Faucon. Dann wollte sie wissen, ob was magisches in der Nähe war. Weil das nicht so war, bat sie Temmie darum, so gut es ging zwischen den Riesenbäumen hindurchzulaufen und nach Möglichkeit nicht auf Schlangen oder andere Kleintiere zu treten. Schließlich mußten die Atlanter einen Grund gehabt haben, mitten in diesem Urwald einen Ausgang der alten Straßen zu bauen. Denn der Dschungel war bestimmt schon mehr als eine Million Jahre alt.
Temmie ging los, umflogen von winzigen Insekten, die sie mit den Flügeln und dem langen Schweif fortschlug. Julius hoffte nur, daß sich die Latierre-Kuh keine üblen Parasiten einfing. Vielleicht sollte er mit seiner Schwiegertante abklären, ob es sowas wie Blutreinigungsmittel für Latierre-Kühe gab, ähnlich wie sie auch für Menschen existierten. Um sich selbst machte er sich keine Sorgen. Magische Heiler hatten mit Dschungelkrankheiten keine Probleme. Allerdings dürfte ihm dann mindestens ein Heuler von Madame Rossignol und einer von Madame Matine sicher sein, falls Madame Faucon nicht als Blitzableiter für ihn herhielt.
Auch wenn Temmie scheinbar mühelos durch den Urwald trottete, konnte Julius sich vorstellen, daß es für die junge Latierre-Kuh kein Vergnügen war. Überall zwitscherte, krakehlte, zirpte, sirrte und quakte es. Die dunkelgrüne Dämmerung erschwerte das Sehen. Zwischendurch tauchten über den Weg hängende Lianen auf. Sie waren fadendünn bis armdick. Sie sahen nicht so aus, als könne sich da jemand dran durch den Urwald schwingen, auch wenn er noch so laut schrie. Zwischendurch hörten sie aufgescheuchte Tiere flüchten. Papageien schimpften lauthals über die riesige Kreatur mit den drei neugierigen Menschen oben drauf. Einmal mußte Madame Faucon mit einer schnellen Bewegung eine Schlange erstarren lassen, die gerade auf sie herabfallen wollte. Sie kamen an Teichen voller Frösche vorbei und schlugen ganze Geschwader von blutdurstigen Mücken und Stechfliegen weg. Nach etwa einer Stunde einmal im Kreis hatten sie nichts gefunden, was den magischen Straßenbauern aus Altaxarroi den Grund geliefert hatte, hier einen Knoten ihres Fernwegenetzes hinzubauen. Um zumindest zu sichern, wo sie überhaupt waren, maß Julius die geographischen Koordinaten, notierte sie und zeigte seinen Begleiterinnen auf der Südamerikakarte, daß sie wohl zehn Kilometer vom Amazonas-Strom entfernt waren.
"So, jetzt könnte es vielleicht geben, was ich befürchtet habe, seitdem ich das gehört habe, daß dieser Massenmörder einen Feindabwehrfluch für Ausländer gewirkt haben soll", sagte Julius und bat Camille, mit ihm den Platz zu tauschen. Temmie konnte er auch von dem hinteren Sitzplatz aus dirigieren. Doch bisher hatte diese sich wunderbar ohne überflüssige Kommandos bewährt. Er legte Camille eine Hand auf die Schulter, die sich behutsam bei Madame Faucon unterhakte. Er hoffte, daß Temmie nicht als ausländische Feindin eingestuft wurde. Sie machte sich und ihre Reiter wieder unsichtbar.
"Godjamirin!" Rief Julius und erzeugte wie bereits die Male zuvor den Transportzylinder aus Licht. "Pankiaterkanadanir Lemgartis!"
Als sie wieder aus dem Lichttunnel herausgehoben wurden, standen sie mitten in einem Kreis aus Riesensteinen, sogenannten Megalithen. Das konnte Stonehenge sein, wo früher die keltischen Druiden ihre Rituale zelebriert hatten. Dann wären sie tatsächlich in Großbritannien herausgekommen. Julius rechnete jeden Moment damit, daß irgendwas über die beiden Hexen in seiner Begleitung hereinbrechen würde. Doch in den ersten fünf Sekunden geschah nichts. In den nächsten zehn Sekunden auch nicht. Und als eine Minute vorbei war, ohne daß Temmie oder Camilles Heilsstern irgendeine finsstere Kraft verraten hatten, atmete er sichtlich auf. Zumindest dieser Ausgang war wohl ungefährlich. Madame Faucon sagte dann:
"Falls wir in deinem Geburtsland sind, Julius, dann schützt uns wohl die alte Magie des Steinkreises."
"Dann kletter ich mal runter und mach die Ortsbestimmung", sagte Julius. Klappernd entfaltete sich die gerade unsichtbare Treppe. Er hangelte sich an den Haltestricken hinunter und schritt aus der Unsichtbarkeitsaura Temmies. Er befragte das Naviskop und hätte fast gelacht. Denn weil sie nicht in der Nähe des Nullmeridians waren, war das hier auch nicht Großbritannien. Er warf noch einen Blick auf seine Armbanduhr. Sie zeigte die ihm so vertraute mitteleuropäische Zeit. Gab es in Frankreich etwa noch einen Zugang? Er prüfte die Koordinaten nach und stellte fest, das sie im Norden Spaniens herausgekommen waren.
"Huch, wußte gar nicht, daß es in Spanien alte Steinkreise gibt!" Rief er.
"Die Megalithenbauer waren nicht nur in unseren beiden Geburtsländern aufzufinden, Julius!" Rief Madame Faucon. Temmie schüttelte sich entrüstet. Das entlockte Camille einen Laut des Erschreckens.
"Wie bitte?! Artemis verlangt von mir, nicht so laut zu brüllen, wenn ich auf ihrem Rücken sitze", entrüstete sich die Beauxbatons-Lehrerin. Julius mentiloquierte an Temmie, daß sie das wohl nicht so gemeint hatte.
"Ich trag euch gern herum, Julius. Aber meine Ohren können Sachen lauter hören als eure. Wenn sie mit dir reden will lass sie zu dir runterkommen oder komm wieder zu mir hoch!" Julius verstand, daß Temmie auf dem Weg war, richtig sauer zu werden. Er suchte tastend die Treppe und erklomm Temmies Rücken.
"Wenn hier keine übernatürliche Kraft ist, Temmie, dann lass uns mal ein wenig herumfliegen!" Sagte Julius. Temmie muhte herzhaft und hob dann ab.
Nach einer halben Stunde Rundflug über dem Gebiet, wo der zuletzt erreichte Ausgang lag machten sie auf einem abgelegenen Plateau rast, wo Temmie weitere Ballen Heu in sich verschwinden ließ und Madame Faucon und Camille Julius aushorchten, was er nun für Umgebungsbilder von den noch anzusteuernden Zielen kannte. Nach der neuen Nahrungs- und verdauungspause ging es weiter. Einmal landeten sie mitten in der Wüste Gobi, das nächste Mal in Kalifornien, keine hundert Kilometer östlich der Pazifikküste und nur zehn Temmie-Flugminuten von Los Angeles entfernt. Hier fanden sie jedoch einen Hinweis, daß den Bewohnern Altaxarrois wichtig war, genau hier einen Ausgang zu bauen. Denn Temmie spürte einen Zauber, den sie aus ihrem ersten Leben wiedererkannte. Es war ein gutartiger Zauber, der wohl dazu diente, den Eingang zu einem unterirdischen Gebäude zu verdecken und verschlossen zu halten. Sie schickte Julius per Mentiloquismus die Worte, die er sprechen sollte. Doch der Zauber rührte sich nicht.
"Dann ist mir klar, wo wir sind, Julius. Das ist der Palast der Erdkönige. Ein Meister des Lichtes hat ihn zwar gesegnet. Aber nur ein anerkannter Schüler oder Meister der Erde darf hda rein", schickte Temmie zurück.
"Ich dachte, die Königshäuser hätten bei euch in den Städten von Altaxarroi gestanden", wunderte sich Julius.
"Die Meister der Elemente hatten die Angewohnheit, sich mehrere Häuser auf den anderen Erdteilen zu bauen. Von da aus haben sie dann auch gesagt, was die Leute tun sollten", erklärte Temmie nur für ihn hörbar.
"Dann können wir hier nichts weiteres machen", stellte Julius fest. Viele Gebäude aus dem alten Reich, und er konnte nicht hinein. Doch was half es? Er suchte sich das nächste Ziel unter freiem Himmel aus. Das war dann das drittletzte, bevor er noch fünf unterirdische Ausgänge benutzen konnte.
"Godjamirin!" rief er, wartete bis zum Lichtzylinder und fuhr fort: "Panrikalatomanir Flewartis!"
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Das mit dem unsichtbar werden geht jetzt ganz schnell. noch während Julius ruft, wo er mit uns hin will, lasse ich mich und die drei auf mir für Augen verschwinden. Dann hat uns die Straße aufgenommen und trägt uns weg. Ich fühle jedoch nicht, wo genau hin. Die Kraftringe, die eingesetzt wurden, halten alles ab, was die Erde mich fühlen läßt. Doch wir sind nicht lange auf der Straße. Als uns die Umhüllung rausläßt höre ich viel rauschendes Wasser und rieche eine besondere Luft, die mich an meine frühere Zeit denken läßt. Wir sind am Meer. Oha! Was ist das?! Eine ganz böse Kraft drückt von allen Seiten zugleich auf uns ein. Ich höre Blanche Faucon laut schreien. Ich selbst spüre die Kraft nur auf meinem Körper prickeln. Das muß da sein, wo sie alle Angst vor hatten. Da wo dieser Wahnsinnige eine Falle für fremde Leute aufgebaut hat! Dann höre ich Julius und Camille, die meine starken Wörter sagen, während Blanche immer noch laut schreit. Ich sage die Wörter in meinen Gedanken, lasse sie wie die Verhüllung durch meinen Körper gehen, sich mit der darin steckenden Kraft verstärken und aus mir herausbrechen. Im Gleichen Moment wirken Camilles Erbe Ashtarias, Julius eigene Kraft und meine Kraft zusammen. Geschafft!
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Madame Faucon krümmte sich keine Sekunde nach der Ankunft von einem unbändigen Schmerz gepackt zusammen. Sie schrie auf. Julius brauchte nicht lange zu überlegen. Denn genau damit hatte er gerechnet. Er selbst fühlte nur einen sachten Schauer durch den Körper gehen. Dann war alles wie sonst. Camille zog ihre nun wie unter zwei Cruciatus-Flüchen zuckende Nachbarin an sich und rief die Formel, die ihr Ammayamiria selbst beigebracht hatte. Julius stieß seinen Zauberstab in Madame Faucons Rücken und rief ebenfalls:
"Alaishadui Siri,
Alaishaduan a sogaharan Iri.
U Alaishaduim Godiri,
san Arwoxaran Laishandan Miri!"
Aus dem Nichts heraus explodierte helles, noch nicht blendendes, goldenes Licht wie eine neugeborene Sonne. Madame Faucons Schmerzensschreie hörten auf, als die beschworene Kraft sie durchdrang, und auch Julius erfaßte. Dieser meinte, durch seine Beine bis hinauf zum Kopf mit warmem Wasser vollgepumpt zu werden. Er sah, wie die goldene Lichtkugel weiter anwuchs und Temmie wohl ebenso durchdrang und umfing wie Madame Faucon, Camille Dusoleil und Julius Latierre. Auch dessen gerade noch zitterndes Pflegehelferarmband beruhigte sich und schickte warme Ströme in seinen Arm. Die Lichtkugel dehnte sich weiter aus. Jetzt konnten die drei Kuhreiter sich und ihre starke und mächtige Trägerin wieder sehen. Offenbar beseitigte die Heilssternmagie alle Verhüllungs- und Täuschungszauber. Jedenfalls konnte Julius sehen, daß Madame Faucon und Camille und Temmie in einen warmen, goldenen Glanz eingehüllt waren, der die nun zur Endgröße ausgewachsene Lichtkugel widerspiegelte. Camille hatte ihrer Nachbarin den Heilsstern mit der flachen Hand an die Stirn gedrückt. Das Kleinod pulsierte so golden wie die von ihm ausgehende Leuchterscheinung.
"Geht's wieder, Blanche?" Fragte Camille besorgt.
"Ich dachte, es zerkocht mich", stöhnte Blanche Faucon. "Aber jetzt geht es wieder."
"Gut, daß ich dir den Stern schon bei der Reise hier her aufgedrückt habe. Mir ist nichts passiert, außer daß Mamans Schmuckstück ganz wild gezittert und sich abgekühlt hat."
"Ich weiß nicht, ob ich den Zauberstab wieder zurückziehen kann, Madame Faucon", sagte Julius. "Irgendwie kommt mir das so vor, als hätten Camille, Temmie und ich die Schutzmagie zusammen ausgedehnt."
"Ach, das piekst mich noch. - O, das war nicht abfällig gemeint", sagte Madame Faucon und sah Julius abbittend an. Zumindest hatte sie keine äußerlichen Schäden hingenommen.
"Willkommen im guten alten England", knurrte Julius. "Am Besten ziehen wir uns sofort wieder zurück, bevor die Kraft des Heilssterns wieder weggeht."
"Ich denke, die Verbindung zwischen Camille, Temmie und mir bewahrt mich vor neuen Attacken", sagte Madame Faucon. "Nimm die Koordinaten auf! Könnte immerhin sein, daß du eines Tages schnell in dein Geburtsland reisen mußt." Bestand Madame Faucon auf die korrekte Fortführung der Erkundungsreise. Julius zog seinen Zauberstab wieder zurück. Das wohlige Gefühl wie von warmem Wasser durchströmt zu werden hielt weiter an. Er holte das Naviskop heraus und prüfte die Koordinaten. Dann sagte er leicht abbittend klingend:
"Ich muß mich korrigieren. So wie ich das schon jetzt ablesen kann stecken wir an der Südküste von Irland. Kevin und seine Landsleute würden sich schön bedanken, wenn ich das hier England nennen würde."
"Das Licht wird schwächer", stellte Camille fest. Tatsächlich konnte Julius sehen, wie die schützende Kugel um sie herum flackerte. Er vermeinte, giftgrüne Feuerschlangen zu sehen, die aus dem Nichts entstanden, die Kugel trafen und sich in flirrende Funken auflösten, aus denen sofort neue Feuerschlangen entstanden. Das kam wohl von den beiden aneinander rüttelnden Magien. Wenn die Feuerschlangen länger blieben oder mehr würden, ging wohl bald das schützende Licht aus. Julius Latierre ergriff den Lotsenstein wieder und brachte sich und seine Begleiterinnen nach Spanien in den Steinkreis zurück. Sofort verschwand das goldene Licht und die daran reißenden Feuerschlangen.
"War anstrengend", mentiloquierte Temmie. "Mir selbst hat diese böse Kraft nichts getan. Aber um euch helfen zu können mußte ich viel Kraft von mir reinwerfen."
"Okay, die Damen. Wir machen besser noch eine längere Pause. Ich weiß nicht, ob sich der Heilsstern nicht von dem Gewaltakt erholen muß. Temmie muß es allemal", verkündete Julius. Die beiden Hexen waren einverstanden. Temmie nickte.
Julius stellte das zweite Wasserfaß vor Temmie hin, um das Gleichgewicht der beiden Trinktonnen einzuränken. Temmie soff laut schlürfend das kühle Naß daraus und nahm noch eine Ladung Futter zu sich, während Blanche noch einmal genau schilderte, was sie gefühlt hatte.
"Es war, als habe mir jemand kochendes Wasser in die Eingeweide gegossen, das sofort auch meine Knochen und Muskeln erhitzte", beschrieb Blanche Faucon den schmerzvollen Eindruck. "Ich fürchte, wenn du, Camille, mir nicht schon vor der Ankunft das Amulett aufgedrückt hättest, wäre ich wohl gleich in der ersten Sekunde in Dampf und Asche aufgegangen. Das ist ein wahrlich heimtückischer Flächenfluch. Bestimmt hat der Unhold zu seiner Entfaltung mehrere Dutzend Menschenleben geopfert. Derartige Zerstörungskraft, die über eine landesweite Fläche wirkt, kann nicht von einer Seele alleine herrühren."
"Ich habe nur das wilde Zittern und die Abkühlung des Sterns gefühlt", sagte Camille. Julius, hast du was gefühlt?"
"Da war nur so ein leichter Schauer, als habe mir wer sacht über den Rücken gestreichelt", sagte Julius. "Der Fluch hat mich wohl als Zutrittsbefugt eingestuft. Warum hat er den nicht gleich so aufgerufen, daß er alle seine Feinde erwischt? Dann hätte er mit einem Schlag alle erledigt, die ihm noch was hätten anhaben können."
"Ruf den großen Drachen nicht, Julius", erschrak Camille. Doch Blanche Faucon sah erst sie und dann Julius beruhigend an:
"Der Massenmörder mag viele grausame Zauber kennen. Aber ein Fluch, der jeden erkennbaren Feind von ihm auf der Stelle tötet, hätte letzthin alle zauberer ausgelöscht und nicht nur seine erklärten Feinde. Denn wen er bedroht, ist automatisch sein Feind. Da er jedoch den größenwahnsinnigen Traum einer von reinblütigen Zauberern beherrschten Welt verwirklichen will, hätte er sich diese Chance sofort verbaut. Auch reinblütige Zauberer opponieren gegen ihn. Und selbst unter den Todessern wird es welche geben, die den Tag seiner Entmachtung herbeisehnen und damit schlummernde Feinde wären. Unter Umständen hätte er dann nur noch drei oder vier magisch begabte Gefolgsleute um sich. Da er sich darauf beruft, Slytherins Nachkomme und Erbe zu sein, legt er wohl mehr wert auf eine genügend große Zahl reinblütiger Zauberer."
"Nur vier Anhänger?" Fragte Julius.
"Tyrannen aller Epochen und Völker konnten sich am ehesten auf die Gefolgsleute verlassen, die ohne ihre Grausamen Anführer unfähig waren, ihren gesellschaftlichen Stand zu behaupten oder zu verbessern. Deshalb wird es unter seinen Leuten mindestens drei oder vier geben, die sich freuen, nun wieder unter seinem Kommando agieren zu können", sagte Madame Faucon. "Andere mögen seinen Tod herbeisehnen und helfen ihm nur, solange sie ihre eigenen Ziele mit seinen verbinden können."
"Er will also alle sogenannten Reinblüter um sich zusammenscharen und will die nicht gleich umbringen?" Fragte Julius.
"Wie erwähnt, nicht die Reinblüter. Zumindest nicht, solange sie ihn nicht offen oder aus dem Untergrund bedrohen wie die Mitglieder des Phönixordens oder die schweigsamen Schwestern. Denn auch unter denen wird es Hexen geben, die mehr als zehn Generationen magische Vorfahren nachweisen können."
"Dabei ist der wohl selbst nicht ganz reinblütig, oder?" Fragte Julius und zwinkerte Camille zu. Mit ihr hatte er das Thema ja nach dem trimagischen Turnier schon angesprochen.
"Deine Mutter legte uns Berichte über Diktatoren der Muggel vor, von denen einige unmenschliche Ideale umsetzen wollten, denen sie selbst nicht entsprachen und diesen Umstand haßten. Das spricht also dafür, daß jener dunkle Magier, der die Nennung seines Namens vereitelt hat, mindestens einen Muggel-Elternteil besitzt. Ich weiß definitiv, daß dem so ist, Julius. Seine Mutter war eine bedauernswerte Hexe, die sich in einen attraktiven Muggel verliebte und ihn für sich empfänglich machte, bis sie sein Kind trug und fand, ihre Zaubermittel nicht mehr anwenden zu müssen. Der Muggel erwachte aus der Behexung, wurde wütend und verließ sie und das ungeborene Kind. Sie war darüber wohl zu sehr beschämt, um sich einem magischen Heiler anzuvertrauen, als die Zeit der Niederkunft kam. Sie gebar ihr Kind, eben jenen heute so schrecklichen Schlagetot, in einem Muggelwaisenhaus, wo er dann bis zur Einschulung in Hogwarts aufwuchs. Der selige Albus Dumbledore verriet dies uns von der Liga wider die dunklen Künste einmal. Er wirkte dabei leicht verschämt, als habe er diese Katastrophe in Menschengestalt gezeugt und zur Macht geführt", berichtete Madame Faucon weiter.
"Dann wissen Sie auch, wie der Schweinehund wirklich heißt", schnarrte Julius.
"Ja, ich weiß das. Ja, wir hatten es schon einmal davon. Nein, ich werde euch seinen wahren Namen nicht mitteilen. Denn jeder der ihn kennt, kennt seine Schande, ein Halbblut zu sein, jemand, der nicht in sein Weltbild hineinpaßt."
"Wahrscheinlich denkt der Mistkerl sogar, sein Vater hätte seine Mutter nur sitzen gelassen, weil er keine Hexe als Frau haben wollte. Aber wenn die den mit Imperius oder Amortentia bearbeitet hat, ist dem wohl klar geworden, daß er die ganze Zeit an 'ner langen Leine geführt worden ist", stellte Julius fest.
"Kannst du, wo du schon ein wenig mehr erzählt hast, auch verraten, in welchen Verhältnissen diese bedauernswerte Hexe gelebt hat, Blanche?" Fragte Camille.
"Nur so viel, daß sie in sehr ärmlichen Verhältnissen lebte und von ihrem Vater oftmals körperlich mißhandelt und gedemütigt wurde."
"Oha, dann hat die den schönen Muggel wohl als Fahrkarte ins Paradies gesehen", vermutete Julius. "Aber wenn ihr alter Herr auch ein Zauberer war - der noch dazu wohl davon ausging, von Slytherin abzustammen - hätte er die doch nie mit einem Muggel zusammengehen lassen."
"Das ist vollkommen richtig, Julius. Es ist auch etwas passiert, was ihr die Möglichkeit gab, sich von ihrer Familie zu lösen, ohne negative Konsequenzen befürchten zu müssen. Aber jetzt ist es genug, Julius!" Beschloß Madame Faucon die Erörterung über den, dessen Fluch sie alle gerade so noch entkommen waren.
"Ich will hoffen, daß wir an den anderen Zielpunkten nicht in ähnliche Fallen reingeraten", bemerkte Camille Dusoleil. Dann deutete sie auf die vor Julius' Bauch baumelnde Glücksflasche. "Wundere mich, daß da nicht irgendein Zauber herausgesprungen ist, der uns zu schützen versucht hätte."
"Weil Julius nicht bedroht war", bemerkte Madame Faucon. "Er ist der Auslöser für die Zauber, die uns bisher beigestanden haben, Camille. Das hat Albericus Latierre doch mit großer Befriedigung erwähnt."
"Natürlich", erwiderte Camille darauf nur.
Sie ließen noch eine Stunde verstreichen, bis sie zum nächsten Ziel aufbrachen.
Wieder gerieten sie an eine Stelle in großer Höhe über dem Meeresspiegel. Es dauerte keine fünf Sekunden, da ploppte die Superluftblase aus der Glücksflasche. Temmie mochte das zwar nicht, daß sie dadurch nicht mehr fliegen konnte. Aber sie konnte immer noch gut laufen. Hier war es gerade Vormittag. Julius sah auf seine Weltzeituhr, die sich bei der ankunft um sechs Stunden zurückstellte. Im Nordwesten schimmerte die spiegelblanke Fläche eines weit ausgedehnten Sees.
"Doch nicht der Bodensee oder einer von den großen Seen in Nordamerika", stellte Julius fest, der sich schon Gedanken gemacht hatte, wo sie ankommen mochten. Temmie wandte den Kopf und blickte sich suchend um. Während dessen machte Julius die Positionsmessung, während Madame Faucon die Höhenlotung übernahm.
"Den Koordinaten nach tippe ich wieder auf Südamerika", sagte Julius zu Camille. Dann erhellte eine Erkenntnis sein Gesicht. "Dann ist die große Pfütze dahinten", wobei er nach Nordwesten wies, "Der weltberühmte Titicaca-See."
"Der sagt mir nichts, Julius", entgegnete Camille.
Madame Faucon kehrte von ihrer Höhenbestimmung zurück. "Zweitausenddreihunderteinundachtzig meiner Körperlängen über dem Meeresspiegel." Julius hatte bereits den Atlas aufgeschlagen und vergrößerte den Abschnitt mit dem Titicaca-See. Dann tippte er das Bergsymbol am unteren Kartenrand an, worauf die verschiedenen Höhenangaben eingefügt wurden. "Also 3810 Meter über dem Meer", stellte Julius zufrieden lächelnd fest.
"Ah, du hast also schon erkannt, wo wir sind", bemerkte Madame Faucon.
"Von den Koordinaten her", meinte Julius, "Könnten wir zwei Kilometer vom südöstlichen Seeufer weg sein. Ziemlich große Badewanne mit hundertneunzig Kilometern Länge. Da schwimmst du nicht an einem Tag durch."
"Definitiv nicht. Und ich kann mich an Experimente von Bronco und Ganymed erinnern, die hier bei Nacht Flugbesen testeten, um die Maximalhöhe herauszufinden. War schon ziemlich gefährlich. Steht in deinem Atlas auch, daß hier die Wiege der Inka-Kultur stand?"
"Tut es nicht", sagte Julius. Er hatte natürlich von den "Söhnen der Sonne" gehört, die mehr als dreihundert Jahre lang ein großes Reich in Peru, Bolivien und Kolumbien beherrscht hatten, bis eine kleine Truppe spanischer Eroberer ihren König gefangennehmen und das Imperium zerstören konnte.
"Hier in der Nähe steht der Palast des Feuers und der Sonne", mentiloquierte Temmie. "Yanxothar und seine Familie wohnten hier eine Weile. Außerdem könnten Nachkommen von dem hiergeblieben sein, als mein Land unterging. Die haben sich dann bestimmt mit anderen Menschen hier vermischt." Julius gab es weiter.
"Kannst du uns hinbringen, Artemis?" Fragte Madame Faucon. Zur Antwort trabte die Riesenkuh an. Die Luftblase rollte leise rauschend vorwärts. Es war, als würde Temmie in einem unsichtbaren Ballon laufen und diesen dabei voranrollen.
"Mach uns unsichtbar!" Zischte Madame Faucon. Temmie gehorchte.
Etwa zwanzig Minuten lang trabte Temmie auf den See zu, der beim Näherkommen immer weiter erschien. Dann bog sie nach Westen ab und erkletterte einen Hügel, ohne zu stolpern oder auszurutschen. Zumindest hatten die drei Reiter nicht den Eindruck, das ihre Trägerin Probleme mit dem Gelände hatte.
"Auch geländegängig", stellte Julius sehr zufrieden fest.
"Deshalb mag ich mich ja auch so, wie ich jetzt bin", kam Temmies vergnügt schwingende Gedankenantwort zu ihm zurück. Er gab das nicht weiter.
Weitere zehn Minuten vergingen, bis sie vor einer halb verwitterten Felsformation ankamen. Julius fühlte es im Pflegehelferarmband warm pulsieren. Gleichzeitig durchflutete ihn wieder jene Zuversicht und Lebensfreude, die der Heilsstern Adrians und heute auch schon Camilles übertragen hatte.
"Da gehen wir jetzt rein!" Bestimmte Temmie, zunächst nur für Julius vernehmbar. Er sollte dann fünf Worte der alten Sprache nachsprechen. Beim fünften Wort schossen zwei sonnengelbe Lichtsäulen links und rechts aus der kantigen Felsformation und bildeten etwa zwanzig Meter über ihnen einen Torbogen. Es flimmerte zwischen den Säulen, und wie durch einen sich lichtenden Nebel konnten sie eine erhabene Halle erkennen, welche der Zahn der Zeit all die Jahrtausende lang verschmäht hatte. Ohne weitere Kommandos abzuwarten trabte Temmie voran und durchschritt das magische Tor. Sie fühlten sich so, als würde etwas in ihnen einmal hin und wieder her gedreht. Ansonsten war kein Übergang zu erkennen. Laut klapperten Temmies paarhufige Füße auf einem harten, hell schimmernden Boden. Julius wandte den Kopf und sah einen himmelblauen Torbogen. Zwischen den Säulen hindurch konnte er die Gegend sehen, aus der sie gerade kamen. Dann verschwamm das Bild. Es löste sich mit dem Torbogen auf und gab den Blick auf die hintere Hälfte der mindestens fünfhundert Meter langen, dreihundert Meter breiten und an die fünfzig Meter Hohen Halle frei. Unzählige, sonnenhelle Lichter hingen nun unter der Decke und spendeten ein flächendeckendes Licht.
"Ui! Schön groß die Halle!" Rief Julius und genoß das Echo seiner Stimme. Temmie gab ein vergnügtes "Muuuh" von sich. Als wäre eine ganze Herde Latierre-Kühe hier klang es Dutzendfach zurück.
"Sie ist wohl wirklich zum jungen Mädchen zurückgeschrumpft", knurrte Madame Faucon mißbilligend. Offenbar gab Temmie ihr persönlich eine passende Antwort, denn die Lehrerin schnaubte nur verärgert.
"Was hast du ihr gesagt?" Fragte Julius auf unhörbarem Weg.
"Das sie nicht böse sein soll, nur weil sie meinen Körper nicht hat", kam eine irgendwie kichernd wirkende Antwort. Dann mentiloquierte Temmie ihm noch: "Das ist die Halle der Gäste. Hier haben die Freunde und Verwandten der Feuer- und Lichtmeister gewohnt."
"Frag diese übermütige Mademoiselle bitte, warum wir jetzt hier sind!" Wandte sich Madame Faucon an Julius.
"Weil ihr wissen wolltet, was an den Ausgängen der langen Straßen so ist", war die einfache Antwort Temmies darauf. Leise zischend klaffte die Superluftblase wieder auf und schrumpfte zusammen. Mit leisem Plopp verschwand sie in der silbernen Kugelflasche, die danach bombenfest zuging. Frische Luft drang nun ungeblockt zu ihnen vor. Sie roch wie eine blühende Bergwiese.
"O, die Atemblase ist weg? Schön", schickte Temmie erfreute Worte an Julius und hob ansatzlos vom Boden ab, um die gewaltige Halle im Tiefflug zu durchqueren.
"Also wenn sie wirklich meint, eine Latierre-Kuh zu sein sei ihre Erfüllung, dann sollte sie weniger Eigensinn und mehr Gehorsam zeigen", mentiloquierte Madame Faucon an Julius. Doch dieser schwieg auf jede Weise. Er fand es schön, daß Temmie wußte, was sie wollte. Warum sollte sie nur Last mit ihrem Körper haben? Wenn ihre fruchtbare Phase kam, würde sie wohl früh genug nur noch ihre Pflichten erfüllen. Am ende der Halle waren Türen, die jedoch für eine Latierre-Kuh zu schmal und zu niedrig waren. Temmie teilte es nacheinander ihren drei Begleitern mit, daß sie ruhig in die angrenzenden Räume gehen könnten. Camilles Heilsstern und Julius' Siegelaura würden ihnen alle Hindernisse vom Leib halten. Madame Faucon bemerkte, daß sie dann wohl besser in der Halle bleiben wolle, weil sie nicht wußte, ob sie befugt war. Camille und Julius sahen sie an, entschieden sich dann doch, ihrer Neugier nachzugeben und die alten Räume zu erkunden. So ließen sie Madame Faucon und Artemis in der großen halle zurück.
Die Lehrerin sah den beiden Nach, wie sie ohne Schwierigkeiten durch die erste Tür verschwanden.
"Wunderbar. Jetzt sind wir beide alleine hier", sprach sie leicht ungehalten.
"Denen passiert nichts, Blanche: Die kommen mit dem, was sie von mir haben überall rein und wieder raus", mentiloquierte Temmie und legte sich ganz ruhig auf den Boden. Über ihren Körper lief das silberne Leuchten des eigenen Erleichterungszaubers. "Ist ein bißchen hart so auf dem Boden zu liegen", mentiloquierte sie. Dann verwickelte sie Madame Faucon in eine Gedankendiskussion über Sinn und Unsinn ihres bisherigen Verhaltens. Auch wenn sie dabei sehr einfache Sätze bildete konnte Temmie der Lehrerin ganz gut klar machen, daß sie zwar ein junges Mädchen und etwas verspielt war, aber schon genau wußte, wann sie was zu tun und zu lassen hatte. Immerhin hatten sie sie ja mitgenommen, weil sie sich mit den alten Straßen auskannte. Madame Faucon erfuhr so Dinge aus Darxandrias Leben, die sie sonst nie erfahren hätte.
Camille und Julius betraten von den kleinen Sonnenlichtern an der Decke beleuchtete Zimmer mit Möbeln, die unter einer Art Klarsichtfolie standen. Der Heilsstern Camilles pulsierte im warmen Licht.
"Als wenn sie darauf gefaßt wären, daß hier noch einmal jemand wohnen möchte", fand Camille, als sie ein Bett ohne üblichen Baldachin entdeckte, daß unter einer solchen durchsichtigen Hülle stand. Julius berührte den Stoff und stellte fest, daß es keine Folie war, sondern eine luftartige, leicht vibrierende Erscheinungsform. Seine Finger durchdrangen sie aber nicht."
"Das ist wohl so was wie Conservatempus", vermutete der Jungzauberer.
"Die haben offenbar in Jahrtausenden gerechnet und sich gesagt, daß die Möbel hier nicht verrotten oder einstauben dürfen", sagte Camille mit dem Sinn einer Haushexe. "Den könnte man mir gerne beibringen. Dann könnten Florymont, Denise und ich ruhig in den Urlaub reisen, ohne anschließend die Möbel abstauben zu müssen."
"Ihr habt doch Uranie noch zu Hause", bemerkte Julius.
"Die wird sich schön bedanken, Händchen mit dem Haus zu halten, wo die ihr eigenes Privatleben hat", grinste Camille. "Und gerade das Privatleben nimmt sie gerade gut in Anspruch."
"Verstehe, der Herr aus St. Tropez", erwiderte Julius verschwörerisch.
"Sieht ganz so aus, Julius. Aber ich glaube, die Räume hier sind gerade viel interessanter als das Privatleben meiner Schwägerin."
"Lass das deine Schwägerin nicht hören!" Erwiderte Julius amüsiert. Camille kniff ihm dafür spielerisch in den Arm. So hatte sich auch Claire häufig für Sachen revanchiert, die ihr nicht gefallen hatten. Da schwang eine bisher in der Wand verborgene Tür auf, und eine metallisch glänzende Frauengestalt trat heraus. Julius erkannte sie sofort als typische goldene Dienerin, wie er sie in Khalakatan getroffen hatte. Camille staunte, als die in blutrote Gewänder gekleidete Metallfrau in den Raum hereintrat. Sie blickte die beiden Besucher aus der Außenwelt mit großen, kristallenen Augen an und sprach mit einer glockenhellen Stimme in der Sprache Altaxarrois. Doch Julius verstand sie nicht. Denn Darxandrias schlummerndes Wissen stand gerade bei Madame Faucon in der Empfangshalle.
"Verstehst du die?" Fragte Camille, die instinktiv ihren Heilsstern vorstreckte, als wolle sie die goldene Frau damit verscheuchen.
"Mein bißchen Atlantisch ist in Temies Körper umgezogen. Ich kann nur das, was ich von dem gelernt habe, der mir die alten Straßen erklärt hat."
"Florymont würde vor Ehrfurcht im Boden versinken", erwiderte Camille. "Vivimetallwesen. Alle modernen Zauberkünstler versuchen, so lebensechte Kunstwesen herzustellen."
"Ihr seid miteinander verwandt", sprach die Metallfrau unvermittelt Französisch mit provencalem Klang.
"Huch?!" Entfuhr es Camille. Julius staunte nicht. Er kannte ja schon die Fähigkeiten der Goldenen.
"In gewisser Weise sind wir das. Viele Leben zurückliegend haben wir die gleichen Eltern", erklärte Julius. Camille sah die goldene Magd immer noch mit großen, dunkelbraunen Augen an.
"Sie hält etwas mit einer sehr mächtigen Kraft in der Hand. Wer seid ihr?" Fragte die Goldene.
"Sag uns bitte erst, wer du bist!" Erwiderte Julius.
"Amatira. Ich hüte die Räume der Meister, auch wenn sie selbst schon lange erloschen sind, bis der Tag kommt, da ich andere Befehle erhalte."
"Gut, meine Gefährtin heißt Camille und ich bin Julius", sagte Julius. Camille sah ihn von der Seite an und mentiloquierte, ob es wirklich so klug war, wo er die Metallfrau nicht kannte. Er schickte zurück, daß sie keine Gefahr darstelle.
"Du hast die Pforte zur Oberwelt geöffnet, Julius. Warum kannst du dann nicht meine Sprache?" Wollte Amatira wissen.
"Weil ich mir habe sagen lassen, wie ich die Pforte öffnen muß."
"Von wem? Dort in der Halle der Willkommenen befindet sich eine mit der Kraft gesegnete mit dunklem Haar und eine sehr große Kuh mit Schwingen, die eine mir von irgendwoher vertraute Ausstrahlung hat. Ich sehe und höre alles, was in diesen Räumen geht und steht."
"Wenn ich der jetzt erklär, wer die Kuh ist könnte die einen Programmabsturz bauen", schickte Julius an Camille. Diese verstand zwar nicht genau, was ein Programmabsturz war, konnte sich aber ausmalen, daß die Metallfrau sicher sehr irritiert reagieren konnte. Camille fragte Amatira, wie alt sie sei.
"Meine Daseinsdauer währt bis jetzt zwölftausend Sonnenkreise."
"Was! Zwölftausend Jahre?!" Entschlüpfte es Camille. "Dann sieht die so glatt poliert und geschmeidig aus", mentiloquierte sie an Julius.
"Meine Schöpfer waren große Meister der Metalle und der Kraft", sagte Amatira. Julius nickte. Dann fragte sie: "Was sucht ihr hier?"
"Wir kamen nur, um uns die Räume anzusehen. Wir möchten nichts mitnehmen", sagte Camille schnell.
"Ich führe euch", sagte Amatira. Julius sah, wie sie sich umdrehte und in Richtung der verborgenen Tür ging. Camille hielt ihn einen Moment zurück. Doch dann trat sie selbst entschlossen vor. Sie passierten die Tür ... und standen in einer engen Kammer. Lautlos glitt die Tür zu und schloß sich. Zwanzig kleine Sonnenkugeln an der Decke beschienen den gerade zzwei mal zwei mal drei Meter messenden Raum. Amatira wandte sich um und berührte Julius am Bauch. Camille wollte schon zurückspringen, um die Tür wieder zu öffnen, als die goldene Magd sie mit ihrem freien Arm umfing und sicher hielt. Camille drückte den Heilsstern gegen den Metallarm. Doch es passierte nichts. Über Julius Körper erglühte in dem Moment der zarte, goldene Schimmer, den er schon mehrere Male an sich gesehen hatte, wenn er von altaxarroi'scher Magie berührt wurde.
"Du trägst das Siegel der Königin Darxandria. Sie ist wohl mit dir", sagte Amatira und ließ von Julius ab, um Camille mit beiden Händen behutsam über den Körper zu streichen. Camille stand irgendwie wie in Trance da. Erst als sich die Metallfrau zurückzog konnte sie sich wieder bewegen.
"Die Kraft in deinem Zeichen ist die reine Liebe und das Leben. Sie durchdringt dich, weil du sie von einer mächtigen Meisterin des Lichtes geerbt hast. In dir ruht bereits neues Leben."
"Moment mal", stieß Camille aus. "Neues Leben? Willst du damit sagen, ich wäre schwanger."
"Mit Kind? Ja, das trifft zu", bestätigte Amatira. "Doch das neue Leben ist gerade erst in deinem Leibe eingenistet und muß aufkeimen. Wohl in achteinhalb Mondwechseln wirst du es hervorbringen."
"Das gibt es nicht", stieß Camille verwirrt aus. Ihre Ohren erröteten leicht. Dann sagte sie zu Julius: "Wie macht die das?"
"Öhm, diese Metallmädels können durch Handauflegen Menschen untersuchen und heilen, Camille." Dann erfaßte er erst richtig, was die glitzernde Dame da gerade erzählt hatte. Camille war in der zweiten Woche schwanger. Er wandte sich ihr zu und sagte aufrichtig: "Herzlichen Glückwunsch, Camille."
"Na, das lasse ich besser von Hera nachprüfen. Ich fühle mich nämlich noch ganz wie sonst."
"Wenn Amatira recht hat, bist du ja auch erst in der zweiten Woche. Die von dir erwähnte Hexe hat mir erklärt, daß manche werdenden mütter das erst im dritten oder vierten Monat richtig gespürt hatten, daß sie wen neues erwarteten."
"Sei gewiß und unbesorgt, daß ich erkannt habe, daß du neues Leben trägst, Camille Godjaamiria."
"Was heißt denn das jetzt?" Fragte Camille erstaunt und Nachdenklich zugleich, weil ihr die Endung -amiria sehr vertraut war.
"Mutter von vier", sagte Amatira. Julius nickte. Soviel von der alten Sprache war doch noch in seinem Kopf geblieben.
"Lebenbringende wäre die ganz wörtliche Übersetzung", fügte Julius hinzu. Amatira bestätigte es.
"Dann wollen wir mal hoffen, daß ich das vierte Leben auch sicher auf die Welt bringen kann, Julius. Aber was sollen wir jetzt hier in dieser Kammer?" Fragte Camille.
"Ich wollte euch nur erkunden, wie gesund und gesinnt ihr seid. Da ich keinen Grund habe, euch den weiteren Zutritt zu den von mir gehüteten Räumen zu verweigern, folgt mir bitte nach!"
Die Kammer tat sich wieder auf, und Camille und Julius gingen durch mehrere weitere Räume und Säle. In einem eiförmigen Saal von gut und gerne dreißig Metern länge und fünfundzwanzig Metern Breite blieben die beiden Besucher wie vor eine Glaswand geprallt stehen. Vor ihnen lag etwas riesengroßes. Es glänzte im Schein der Deckenbeleuchtung wie pures Gold. Es lag zusammengerollt da wie ein mehr als zehn Meter großer Hund, den mächtigen Kopf mit der langen, spitz zulaufenden Schnauze auf dem langen Schwanz ruhend. Die menschengroßen, mit mehr als einen halben Meter langen Krallen bewehrten Tatzen lagen seitlich am Körper. Mächtige Flügel waren am Rücken zusammengefaltet.
"Hui, das ist ja ein Mordsbiest von Drache", stieß Julius aus. Er hatte schon einmal goldene Drachen gesehen, die in einer ähnlichen Schlummerhaltung da lagen. Doch er hatte sie von weit oben und im superschnellen Vorbeiflug gesehen. Jetzt direkt vor einem solchen Metallkoloß zu stehen, und das ganz ohne Vorwarnung ...
"Das ist Faianidria, das Feuer der Königinnen", stellte Amatira den so da liegenden Drachen vor. "Sie trug die Königinnen des Feuers oder ihre Töchter und wartet hier, bis eine, die vom Feuer des Lebens beseelt ist, als Ashamiria vor sie hintritt und ihren Namen und einen guten Grund nennt, weshalb sie sie braucht."
"Ashamiria?" Fragte Camille. Julius übersetzte es mit "Erste Mutter" und "Erstgebärende."
"Ich glaube, ich bringe Ammayamiria dazu, mir diese Sprache beizubringen", mentiloquierte Camille Julius. Dann betrachtete sie den reglosen Drachen. Amatira sagte, das das künstliche Geschöpf schon mehr als viertausend Sonnenkreise schliefe, seitdem es die letzte legitime Feuermeisterin getragen und beschützt hatte. Julius dachte daran, was die goldenen Drachen in der Zeitreisevision von Kantoran austeilen konnten. Vor allem die gleißendhellen Flammenstöße oder Energiestrahlen hatten ihm einen Heidenrespekt eingeflößt. er unterdrückte jedoch die Frage, ob dieser Golddrache dort auch jenes zerstörerische Tausendsonnenfeuer speien konnte, das Kantoran erwähnt hatte. Denn falls ja, dann mochte in dem Monstrum eine tödlich gefährliche Ladung schlummern. Solange das Biest wie ein besonders großes Kunstwerk herumlag konnte er beruhigt bleiben.
"Gibt es noch mehr von denen hier?" Fragte Julius.
"Nur sie dort", sagte Amatira und deutete auf Faiandria. Camille fragte amüsiert: "Sie?" "Wie ich sind auch die großen Träger und Kämpfer von unseren Schöpfern in die zwei Geschlechter ihrer eigenen Rasse aufgeteilt. Zwar können sie sich nicht vermehren wie lebende Wesen. Doch mit ihrem eingewirkten Selbst vermögen sie, die Empfindungen ihres geschlechtsgleichen Gebieters und Gefährten zu teilen."
"Achso, das Meister auf Männchen reiten und Meisterinnen auf Weibchen", führte Julius die sich anbietende Schlußfolgerung zu Ende.
"So ist es. Doch nun, wo ihr unsere stattlichen Räume besuchtet, Tochter einer hohen Herrin und Träger des Siegels der großen Darxandria, bringe ich euch in die Halle der Willkommenen zurück, auf das ich jene sehe und erkunde, die ihr dort zurückgelassen habt."
"Danke für die Führung", sagte Camille höflich. Julius bedankte sich ebenfalls. Dann führte sie Amatira durch die Räume und Säle mit allem unscheinbaren und auffälligen Raumschmuck zurück in die große Eingangshalle, wo Temmie auf dem Boden lag. Madame Faucon hatte sich einen gemütlichen Lehnstuhl heraufbeschworen und schien mit der Latierre-Kuh einen sehr angeregten Gedankenwechsel zu betreiben. Denn sie sah sehr konzentriert aus. Amatira erstarrte, als sie die Latierre-Kuh sah. Diese hob den großen Kopf und blickte die goldene Magd aus ihren kürbisgroßen, goldbraunen Augen an.
"Oh, da seid ihr ja wieder", sagte Madame Faucon. "Also gibt es diese goldenen Frauenzimmer auch hier."
"Nawadasha mabodamai??" Fragte Amatira die liegende Latierre-Kuh.
"Sage ihr "Tai abodamak", Julius!" Mentiloquierte Temmie Julius und widerholte die altaxarroi'sche Antwort noch zweimal. Dann sagte Julius es Amatira, dabei auf Temmie deutend, um zu unterstreichen, daß sie das eigentlich sagte.
"Was wollte sie?" Fragte Camille. "Das es eine Frage war konnte ich hören."
"Ich denke, das was sie jetzt tut", vermutete Madame Faucon völlig gefühlsfrei. Amatira stieß sich federleicht ab, sprang hoch und berührte dabei Temmies Stirn. Sie zog sich vorsichtig an den Hörnern hoch. Temmie half ihr, auf ihren Nacken hinüberzuklettern, wo Amatira ihre Hände auflegte und dann langsam über den Rücken der Flügelkuh hinwegstrich. Sie arbeitete sich innerhalb von einer Minute vor bis zur Hinterhand. Von dort sprang sie ab und landete federnd auf dem Boden neben Temmies linkem Hinterbein. Dann eilte die Goldene nach vorne und kniete vor dem Kopf der Kuh nieder.
"Agalamarai Kasaia Darxandria", sprach sie aus.
"Offenbar hat sie Temmie als Wiederverkörperung Darxandrias identifiziert", schlußfolgerte Madame Faucon laut, was Camille und Julius sich wohl auch gerade dachten. Diesmal bekam Julius keine Gedankenanweisung, was er darauf zu antworten hatte. Amatira kniete nur da, knapp eine Minute lang. Dann erhob sie sich wieder und sagte auf Französisch:
"Die Großmächtige Darxandria hat mich geheißen, sie als Artemis in der von ihr erwählten Körperform anzusprechen und mir versichert, mit euch weiterhin sicher über die langen Straßen zu wollen. Ich wurde gefragt, ob ich nicht ihr menschlicher Mund sein möge, da ihre Stimme und Zunge der menschlichen Sprache nicht mächtig sind. Sie klang wie in ihren Mädchenjahren. Doch ich darf die Heimstatt meiner alten Meister nicht verlassen. So wird sie mit dir, Julius, ihrem Erben und euch beiden, Camille Dusoleil und Blanche Faucon, in Gedanken weitersprechen."
"Sie kann durch dich sprechen?" Fragte Julius.
"Ja, geht ganz gut, Julius", klang jene Solo-Cello-Stimme, die er bisher nur in seinem Kopf gehört hatte, aus dem Mund der goldenen Frau. "Aber die Dienerin kann nicht weg hier. Kann ich verstehen. Wir gehen jetzt wieder raus. Ich muß noch mal, und hier drinnen kann ich nicht einfach so hinmachen." Camille und Julius lachten, während Blanche Faucon Temmie tadelnd anblickte. "Ich steh jetzt auf. Ihr klettert wieder auf mich drauf. Dann macht die goldene für uns das Tor auf, weil ich durch sie sprechen kann. Dann sind wir auch schon weg."
"Faszinierend", konnte Julius dazu nur sagen, wobei er wie der berühmteste Vulkanier der Föderation die Augenbraue anhob.
"Nein, nur sehr nützlich", erwiderte Temmies durch Amatira klingende Stimme.
Als sie wieder hoch oben auf Temmies Rücken saßen, beschwor diese über Amatira den Torbogen wieder herauf. Dabei zischte es, weil der hier höhere Luftdruck mit dem tieferen Luftdruck draußen ausgeglichen wurde. Pling-Plong-Plopp! Sofort war die schützende Superluftblase wieder um sie herum.
"Sag deinem Mann, ich will was haben, um eine Frischluftblase um den Kopf zu haben, Camille", grummelte Amatira mit Temmies Stimme. Dann trabte die geflügelte Kuh an und durchschritt das magische Portal. Wieder war Julius so, als drehe sich etwas in ihm einmal links und einmal rechts herum. Dann waren sie auch schon draußen und nahmen Kurs zurück zum Ausgang der alten Straßen. Hinter ihnen fiel das magische Tor wieder in sich zusammen. Keiner der vier wußte, wie weit die gerade besuchten Räume in Wirklichkeit von ihnen fort gewesen waren.
"Bitte bring uns jetzt zu einem Platz, wo ich wieder fliegen kann!" Mentiloquierte Temmie an Julius. Dieser versicherte ihr, daß jetzt wohl keine großen Höhenlagen mehr kommen würden und beschwor den Transfer zum letzten Ziel unter freiem Himmel. Temmie machte sich und sie drei wieder unsichtbar, als der Zylinder sie in den nächsten Tunnel gesenkt hatte.
Gut, daß sie unsichtbar waren. Denn als sie auf der Zielplattform ankamen, ratterte gerade ein Güterzug links an ihnen Vorbei. Temmie schüttelte sich einmal. Doch dann blieb sie ruhig stehen.
Es war hier schon Nacht. Julius stellte fest, daß er nur die allerhellsten Sterne deutlich sehen konnte, und fand das Sommerdreieck mit der Wega, dem Deneb und Atair. Sie waren also auf der Nordhalbkugel. Zischend fiel die Normaldruck-Frischluftblase wieder zusammen und verschwand dort, wo sie hergekommen war. Abgase von Autos und Fabriken waberten den vier Weltumspringern um die Nasen. Dann hörte Julius von hinten das Brummen eines Lastwagens. Er sprach es kaum aus, daß Temmie durchstarten sollte, als sie auch schon abhob. Der Lastzug dröhnte unter ihnen durch.
"Von 'nem japanischen Laster wollten wir ja wohl alle nicht umgemäht werden", sagte Julius befreit aufatmend. Temmie beschrieb eine linkskurve und wollte gerade auf die Schinen runtergehen. "Keine gute Idee, Temmie. Da fahren die langen, lauten Züge, von denen uns gerade einer überholt hat", sagte Julius. Temmie stieg noch einmal auf, flog einen Kreis und landete wieder auf dem Stück Asphalt, aus dem die vier hervorgekommen waren.
"Bei der Hektik hast du noch erkannt, daß das ein japanischer Motorwagen war?" Fragte Madame Faucon.
"Ich habe das Firmenzeichen an der Front gesehen", sagte Julius. "Aber Temmie hat einen spitzenmäßigen Alarmstart drauf."
"Wenn du meinst, ich kann schnell wegfliegen, dann danke", erhielt er die zufriedene Antwort der geduldigen Trägerin.
"Hier stinkt es wie in Paris oder einer anderen Muggelstadt", knurrte Camille. Madame Faucon bejahte es. Denn die Unsichtbarkeit erforderte gesprochene Worte.
"Ich messe mal eben durch, wo wir sind. Könnten wirklich in der Nähe einer Großstadt sein", sagte er. "Ich sehe nicht alle Sterne."
"Noch mal Asien?" Fragte Madame Faucon. Julius schwieg. Er mußte wohl von Temmie runter, um zu messen, weil ja bei ihr gerade alles unsichtbar war. Doch hier auf der offenen Straße war das wohl keine gute Idee. So ließ er Temmie noch einmal aufsteigen, einige Dutzend Meter nach rechts von der Straße wegfliegen und landen. Danach stieg er schnell hinunter und naviskopierte den neuen Standort. Gerade als er wieder in das Unsichtbarkeitsfeld Temmies zurückkehrte röhrte eine Rotte Motorräder heran.
"Honda, Susuki, Yamaha und noch 'ne Honda", zählte Julius die vier Motorräder auf und sagte dann was, wobei die beiden Hexen nur das Wort "Nippon" heraushörten. Madame Faucon fragte, ob das japanisch gewesen sei und er übersetzte seinen Spruch mit "Willkommen in Japan, ehrenwerte Frauen!"
"Du kannst Japanisch?" Fragte Camille.
"Nicht fließend. Nur die nötigsten Begrüßungs- und Abschiedssätze und "Danke", "Bitte" und die Wörter für Junge, Mädchen, Mann und Frau. Mein Karatetrainer hat mir in den Erholungspausen einige Brocken seiner Muttersprache beigebracht, weil ich die ganzen Ausdrücke von ihm verstehen wollte. Richtigen Unterricht hätte er sich wohl extra kosten lassen."
"Und wo im Land der gerade nicht aufgehenden Sonne sind wir?" Fragte Madame Faucon.
"Öhm, Vom Atlas her fünf Kilometer vom Ostrand von Tokio entfernt."
"Daher der üble Brodem", schnaubte Madame Faucon. "Das erste Mal, daß ich mich in diesem Land aufhalte. Die japanischen Hexen und Zauberer pflegen ein sehr abgeschottetes Leben."
"Ach, dann kannst du kein Japanisch, Blanche?" Stichelte Camille.
"Nein, kann ich nicht, Camille. Was fällt dir ein, so gehässig zu fragen?"
"Das war doch nicht gehässig, Blanche", wehrte Camille ab. Temmie muhte laut. Offenbar hatte sie keine Lust, sich zankende Hexen auf ihr hocken zu lassen.
"Dann könnten wir doch mal über Tokio herumkurven und gucken, was die nachts so machen", schlug Julius vor.
"Ich denke nicht, daß es in dieser übervölkerten Riesenstadt irgendwas gibt, das mich jetzt unbändig interessieren würde", knurrte Madame Faucon.
"Mich auch nicht. Zu laut, zu stinkig und zu viele Menschen, auf die ich drauftreten könnte", schickte Temmie zurück. So beschlossen sie, die pulsierende Hauptstadt Japans nicht weiter zu beehren und wollten gerade losfliegen, um auf den magischen Straßen weiterzureisen, als rings um sie herum ein Gewimmel von Besen mit kleinen, gelbhäutigen Männern drauf aufkam.
"Oha, offenbar hat unsere Ankunft einen Spürzauber oder dergleichen ausgelöst", vermutete Madame Faucon, als silberne Strahlen auf sie zuflogen, und Temmie mit einem heftigen Zucken und Brüllen sichtbar wurde. Auch ihre drei Reiter waren nun wieder zu sehen.
"Ich fürchte, wir haben jetzt eine Menge Ärger", raunte Camille Dusoleil.
"Meine Unsichtbarkeit wegmachen. Blöde Bande", hörte Julius es in seinem Kopf schnauben. Dann hob Temmie ab. Die Besenreiter laut rufend hinterher. "Ich kann die loswerden", gedankensprach Temmie.
"Das wissen wir, Temmie. Aber die sollen das besser nicht wissen, wenn die uns schon hier erwischen", widersprach Julius. "Geh wieder runter!"
"Bleib oben, Artemis!" Befahl Madame Faucon, als Temmie gerade landen wollte und schwang den Zauberstab einmal im Kreis. "Evoco Plurimagines!" Temmie rüttelte sich, als peinigten sie irgendwelche Nervenzuckungen. Dann schien es, als teile sie sich. Links und rechts quollen Ebenbilder von ihr und ihren Reitern heraus. Fünf. Zehn. Zwanzig! Diese flogen sofort wie wild durcheinander. Stiegen auf, drehten um und jagten die Jäger auf den Besen oder sprangen über sie weg.
"Jetzt runter zur Plattform!" Befahl Madame Faucon, als weitere Ebenbilder aus Temmie herausquollen. Die Originalkuh schüttelte sich immer, wenn neue Abbilder aus ihr herausflogen. Julius sah jetzt, daß sich auch die bereits entstandenen Trugbilder teilten und weitere Ebenbilder erzeugten.
"Der ist genial!" Frohlockte Julius.
"Nur, wenn du nicht merkst, wie die Kraft in dir llosgeht und links und rechts aus dir rausdrückt", gedankenmaulte Temmie. Doch sie führte die Anweisung der älteren Hexe aus. Denn es war ja klar, daß dieser Pseudoklon-Zauber den Zweck hatte, ihnen den schnellen Abgang über die alten Straßen zu sichern. Mittlerweile bevölkerte eine viele Hundert Stück große Flügelkuhherde den Himmel über der Straße. Wenn gleich noch Muggelautos unten vorbeikamen, dann hatten die Japanischen Vergissmichs aber eine Menge Ärger, dachte Julius. Immer noch quollen Abbilder aus der Original-Temmie. Immer noch teilten sich auch die erzeugten Trugbilder weiter. Dann stand die Flügelkuh. Auch Ebenbilder landeten und starteten wieder. Julius hatte den Lotsenstein in der Hand und rief schnell: "Godjamirin!" Dann wählte er als Rückzugsbasis den Steinkreis in Spanien.
Die japanischen Zauberer waren sehr verwirrt und versuchten die ihnen entgegenstürmenden Riesenkühe mit Fangzaubern aufzuhalten. Doch diese zischten hindurch. Einer setzte einer landenden Kuh mit ihren Reitern drauf nach. Doch genau in dem Moment verschwanden alle Mehrlinge übergangslos, und der Truppführer konnte nur eine goldene Säule sehen, die sich erst hob und dann im Boden verschwand.
"Ist es erlaubt, zu fragen, wer uns diese Schmach angetan hat?" Wollte der Kollege des Truppführers wissen.
"nein, ist es nicht", herrschte der Truppführer seinen Untergebenen an. Zuzugeben, es nicht zu wissen, würde seiner gerade so stark angegriffenen Ehre einen weiteren Schlag versetzen. Er befahl die Rückkehr zum Ministerium, um Meldung zu machen. Einer der jüngeren Kollegen grinste unstatthaft hinter dem Rücken des Anführers. Er hatte tatsächlich eine Latierre-Kuh gesehen. Jene erstaunlichen Wesen sollten nur in Europa vorkommen. Aber wer auf diesem weißen Ungetüm gesessen hatte, das sie erst aus einer Unsichtbarkeitsaura herausreißen mußten, hatte er nicht gesehen. Aber der Zauber, mit dem sie ihnen entwischt waren, der war höchst beachtlich.
"Woher waren Sie sich so sicher, daß die Verfolger auf die Illusion reinfielen?" Fragte Julius, als sie im Steinkreis ankamen und Temmie vermeldete, daß keine neuen Abbilder von ihr aus ihr herausflogen.
"Soviel weiß ich über die asiatischen Zauberer, Julius. Sie benötigen für großflächige Zauber mehr Zeit als wir. Außerdem sind sie zu sehr spezialisiert. Eine Biogene Vielfachbildillusion mit einer magisch hochpotenten Quelle konnten sie unmöglich in einem Zug zerstreuen. Die zufällig herumfliegenden Abbilder haben uns dann die Zeit verschafft, sicher abzureisen."
"Wir haben uns also auf Französisch verabschiedet", sagte Julius.
"Ich denke nicht, daß es in deinem Sinne gewesen wäre, in einer dir unzureichend vertrauten Sprache erklären zu müssen, wer wir sind, wo wir herkamen und wie wir dort ankamen, wo sie uns aufgestöbert haben", schnarrte Madame Faucon.
"Ich habe Hunger. Diese Scheinbilder von mir haben mich ziemlich angestrengt", gedankenknurrte Temmie. Julius erhörte Temmies Drängen. Er fütterte und tränkte sie.
"Ich kapiere es, daß sie das machen mußte, damit wir da wieder wegkommen, Julius. Aber wenn die das noch mal mit mir macht, lasse ich irgendwann was großes auf sie fallen", gedankendrohte Temmie. Julius schickte zurück, es ihr und nicht ihm mitzuteilen.
Nach einer gewissen Rast erklärte Julius seinen Reisebegleiterinnen dann, daß jetzt noch fünf Höhlen erkundet werden sollten. Da sie nicht wußten, wie es da mit dem schnellen Fortkommen bestellt war, fragte er, ob sie dort wirklich hin wollten. Temmie, die ja wußte, was er von Garoshan mitbekommen hatte, bmerkte nur, daß sie besser nicht in die Höhle mit den tausend Säulen eindringen sollten. Denn dort wären Zauber, die losgingen, wenn mehr als eine Person zugleich dort auftauchte. Blieben also noch vier. So saßen Blanche Faucon, Camille Dusoleil und Julius Latierre wieder auf und reisten in die erste Höhle, die gerade groß genug war, um Temmie stehend unterkommen zu lassen. Ein feiner Luftzug strich hindurch.
"Wo liegt diese Höhle?" Fragte Camille, die mit ihrem Zauberstablicht die Wände absuchte.
"Haben wir gleich", sagte Julius und naviskopierte. Zum Glück konnte er dafür mehrere Kilometer unter der Erdoberfläche sein, solange er festen Boden unter sich hatte. "Die Koordinaten habe ich", sagte er und blätterte nach, wo das ungefähr sein konnte. Nordschweden. Genial. Da könnten wir nachher die Mitternachtssonne sehen", sagte er. Doch außer einem schmalen Spalt, durch den Luft hereinkam und einem Loch in der Decke, aus der sie entwich, gab es scheinbar keinen Ausgang aus der Höhle.
"Ich prüfe auf Apparitionswälle", sagte Madame Faucon und machte einige Zauberstabbewegungen. "Tatsächlich. Hier ist eine Sperre. Gut, dann autonebuliere ich durch den Spalt. Wartet hier bitte auf mich, wenn ich nichts anderes mentiloquiere!"
"Ich kann mitkommen", sagte Camille.
"Nein, du bleibst bei dem Jungen und Artemis!" Versetzte Madame Faucon unumstößlich. Sie löste ihre Sicherheitskette und vollführte einige Zauberstabbewegungen gegen sich, die Julius bei Jeanne Dusoleil, Barbara Lumière und Suzanne Didier schon gesehen hatte. Nur war Madame Faucon ungleich schneller und bewegungssicherer. Sie zerfloß zu weißem Nebel, der dann von Temmie fort durch den Spalt entwich.
"Ich fürchte, Julius, wenn du mal hier bist und aus der Höhle willst, mußt du das auch so machen", sagte Camille.
"Da geht's nur raus, wenn du deinen Körper in reine Zauberkraft verwandelst, wie damals in der Festung der ängstlichen Brüder", mentiloquierte Temmie Julius. Er erinnerte sich schlagartig an dieses Abenteuer, wo er sich auf altaxarroi'sche Weise in einen vorübergehenden Geist verwandelt hatte, um Aurélie Odins Heilsstern zu suchen.
"Wer baut einen Ausgang hier hin und läßt die Höhle dann so verschlossen?" Fragte Camille Temmie laut. Sie bekam wohl eine Antwort und sagte zu Julius:
"Wie hat dir dieser ominöse Lehrer diese Höhle gezeigt, Julius?"
"Ein kleiner Raum mit einem Durchgang, zum gemütlich durchspazieren", sagte Julius. Dann hob Temmie den Kopf und lauschte.
"Da ist was großes, wütendes mit Kraft im Körper. Blanche erscheint wohl gerade in der Nähe davon", mentiloquierte sie Julius. Dann verfiel sie in eine konzentrierte Starre. In der Ferne erscholl ein markerschütterndes Gebrüll. Julius schrak zusammen. Das war doch das Gebrüll ..
"Schwedisches Kurzschneuzlerweibchen!" Rief er. "Die hatten sowas beim Trimagischen. Gegen das mußte Cedric Diggory antreten."
"Eine Drachenhöhle?!" Erschrak Camille. Im gleichen Augenblick erklang ein lautes Fauchen und Tosen.
"Ich konnte Blanche nicht erreichen", mentiloquierte Temmie. Dann erscholl wieder das Brüllen des Drachens.
"Kann man als Nebel Melo?" Fragte Julius.
"Nein, weil du dich auf den Zusammenhalt konzentrieren mußt", erwiderte Camille sehr erschüttert. "Wenn Blanche diesem Untier vor's Maul geraten ist ..."
"Der Drache ist schon zu hören. Du brauchst den nicht noch zu rufen", entgegnete Julius sehr ungehalten. Sollte er zugeben, daß er Angst um die Lehrerin hatte. Sicher, sie hatte ihn oft streng angefahren und ihm ziemlich dicke Brocken als Hausaufgaben gegeben. Doch das war kein Grund, ihr den Tod durch einen Drachen zu wünschen.
"Spürst du sie noch?" Mentiloquierte Julius an Temmie.
"Doch, sie ist noch da. Sie war nur ziemlich nahe an dem Feuerspeitier dran. Sie kommt wieder zu uns. Oha - das böse Tier hinterher", meldete Temmie.
"Madame Faucon ist auf dem Rückzug. Das Biest verfolgt sie. Es kann wahrscheinlich verwandelte Menschen wittern."
"Wahrscheinlich? Du kennst dich doch mit Drachen aus, Julius."
"Ja, es kann verwandelte Menschen wittern", versetzte Julius unwirsch.
Es polterte. Die Erde zitterte bedrohlich. Offenbar kämpfte sich das Drachenweibchen durch zu enge Gänge hinter seinem gasförmigen Opfer her. Dann tauchte eine weiße Wolke durch den Spalt.
"Sobald ich resolidiert bin sofort nächstes Ziel ausrufen!" Klang Madame Faucons hektische Anweisung wie umgekehrter Widerhall. Dann senkte sich die Nebelwolke neben Julius herab und flimmerte. Er hielt den Lotsenstein hoch. Da krachte es mehrmals. Die Felsendecke bekam Risse. Es fauchte ohrenbetäubend. Und eine sengende Hitze überkam die vier Reisenden. Dann barst laut krachend und knirschend die Sperre vor dem Spalt, und ein blaugraues, schuppiges Maul bohrte sich in die Höhle. Der Drachenrachen klappte auf ...
"Godjamirin!" Rief Julius. Der Lichtzylinder erstrahlte. Im selben Moment röhrte es in der Höhle. Gleißender, blauer Feuerschein erhellte den kleinen Raum. Der Zylinder wankte bedrohlich. Doch er hielt dem Atem des wütenden Drachens Stand. Julius rief schnell die beiden nächsten Wörter aus, und als das wütende Weibchen die nächste Flammengarbe in die Höhle blies, verschwand der Lichtzylinder mit den vier Reisenden im Boden. Wütend, weil es die sicheren Opfer nicht hatte töten können, stieß es einen Feuerstrahl nach dem andren aus. Die Höhlenwände glühten auf, bröckelten und schmolzen. Die Decke kam laut und dunkel Knarrend und knirschend herunter. Doch der Boden hielt dem zerstörerischen Feueratem Stand. Was immer das verärgerte Kurzschnäuzlerweibchen anstellte, der Boden warf die ihm entgegenschlagenden Feuerstöße zurück und traf fast deren Absenderin. Als die Höhle zehnmal größer geschmolzen war als sie vorher war, versuchte der Drache den Boden mit Klauen und Zähnen zu durchbrechen. Doch dabei brachen ihm vier Reißzähne ab, und schmerzhaft jaulend büßte es zwei Krallen seiner rechten Vorderpranke ein. Dann siegte der Mutterinstinkt über die Wut. Das Kurzschnäuzlerweibchen zog sich durch die breiter gebrochenen Gänge zu seinem Gelege zurück und hielt es mit sachten Feuerstößen warm.
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Hoffentlich wohnen hier friedlichere Wesen", sagte Julius, als der Lichtzylinder sie wieder freigab. Jetzt standen sie in einer weiten Tropfsteinhöhle. Im Licht tragbarer Flammen und Zauberstäbe betrachteten sie die Jahrmillionen alte Architektur von Mutter Natur. Temmie hatte keine bösen Wesen geortet. Auch keine böse Magie wirkte hier. Sie waren also auch nicht wieder in Voldemorts Einflußsphäre.
"Das mit dem Drachen hätte der Herr mir aber sagen dürfen", sagte Julius dann noch. Auf Temmies Rücken erkundeten sie die Höhle. Teils trabend, teils fliegend durchquerte die Flügelkuh das unterirdische Reich. Nach der kurzen Rundreise naviskopierte Julius den Standort und prüfte nach, wo sie waren.
"Südafrika", sagte er nur. "Tafelgebirge."
"Für menschen benutzbare Ausgänge haben wir gefunden. Womöglich war hier damals ein Treffpunkt für Handlungsreisende", sagte Madame Faucon, die sich von dem Beinahezusammenstoß mit dem Drachen recht schnell erholt hatte.
"Die werden wohl schon damals Gold gefunden haben", sagte Julius. "Das gibt's in Südafrika ja sehr reichlich."
"Natürlich. Ilmanatan, die Glitzerstadt", bemerkte Temmie darauf zu Julius. "Die war unter der Erde."
"Erinnert mich an Zwerge", schickte er zurück. Was das war sollte Temmie mit Darxandrias Wissen noch mitbekommen haben.
"Dann markieren wir diesen Ausgang als nächsten in Südafrika", bestimmte Madame Faucon und trieb zur Weiterreise.
Die dritte Höhle war eine Granithöhle, die so tief unter der Erde lag, daß Julius sie nicht naviskopieren konnte. Außerdem herrschte hier unten eine mörderische Hitze. Temmie sprang förmlich hin und her, um ihre Füße nicht ansengen zu lassen. Schnell öffnete Julius den nächsten Transferkanal.
Sie tauchten in einer hallenartigen Grotte auf, in deren Mitte ein großer Felsen wie ein Altar aus dem Boden ragte. Temmie hüpfte sofort in die Höhe und muhte alarmierend. Das sollte wohl heißen, daß sie in eine Falle geraten waren. Da erfaßte Julius etwas wie übergroße Glückseligkeit, die alle seine Gedanken hinwegfegte. Camilles Heilsstern erstrahlte hell. Julius erkannte, daß sie vom Imperius-Fluch angegriffen wurden. Er versuchte sofort, sich dagegen zu stemmen. Doch ein zweiter Glückseligkeitsschauer erwischte ihn. Auch Madame Faucon saß mit weltentrücktem Blick auf Temmie, die sich offenbar stark konzentrierte. Gleich würde Julius einen unabwehrbaren Befehl erhalten und ...
Mit lautem Klicken sprang die Kette der Glücksflasche auf. Genau zur selben Zeit öffnete diese sich und fiel. Dann meinte Julius noch zu spüren, wie etwas ihn nach vorne riß. Dieser Eindruck riß ihn aus der Wirkung der zwei ihn bedrängenden Imperius-Flüche. Er dachte, einer besonders starken Sinnestäuschung zu erliegen. Denn die Welt um ihn erstrahlte in magischem Licht und explodierte. Ein unbändiger Sog zerrte an ihm. Er fühlte den Viereraufsatz auf Temmies Rücken nicht mehr unter sich. Er flog durch die Luft, die immer dicker wurde. Ein unglaublicher Sog hielt ihn und zog ihn in eine vor ihm anwachsende, silberne Kugel hinein. Neben Sich sah er gerade noch Camille Dusoleil von blauen Blitzen umtobt vorbeifliegen. Dann verschlang ihn ein glitzernder Schlund. Er fühlte jemanden gegen sich prallen und überschlug sich. Dann gab es ein ohrenbetäubendes Geräusch, als würde jemand eine mächtige Stahlluke über ihm zuschlagen und knirschend verriegeln. Dann fing etwas seinen Fall ab. Er drehte sich noch einmal. Dann sank er sacht auf einen merkwürdig gewölbten, kalten, rauhen Boden. Dann hörte er etwas wie Windgeheul und vermeinte leise Männerstimmen auf Englisch fluchen zu hören:
"Verdammt, was ist jetzt. Die drei sind weg! - Achtung, da kommt 'ne fliegende Silberkugel!"
"Gegen Verwandlungen hilft dieser Stern wohl nicht", schnaubte Camille. Ihre Stimme hallte metallisch wider. "Oder bilde ich mir das nur ein, daß uns diese Wunderflasche von Julius eingeschrumpft und eingesaugt hat?"
"Dann unterliege ich der selben Sinnestäuschung", hörte Julius Madame Faucon verärgert. Er erhob sich. Er konnte ruhig stehen. Ja, und irgendwie gab es hier frische Luft. Das Heulen von draußen wurde zu einem immer höher ansteigenden Singen, das bald wie ein laufendes Düsentriebwerk klang, nur wesentlich leiser.
"Temmie ist nicht bei uns", sagte Julius, als er sich mit der jetzigen Lage etwas zurechtfand. "Wir wurden von unserem Glücksfläschchen eingeschrumpft und verschluckt?"
"So kam es mir vor, Julius. Offenbar fliegen wir damit jetzt ganz schnell irgendwo hin", erwiderte Camille und leuchtete mit ihrem nun schwachrot glimmenden Heilsstern. Madame Faucon zauberte tragbare Flammen, die von einer kugelförmigen Innenfläche aus Silber widerschinen.
"Die PTR der Latierre-Kühe hat Temmie nicht zu uns gelassen", sagte Madame Faucon mürrisch. "Versuch, sie anzumentiloquieren, Julius!"
"Wir hängen in dieser Glücksflasche fest?" Fragte Julius noch einmal. Dann nickte er und stimmte sich auf Temmie ein.
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O nein! Wir sind in eine Falle rein! In der Höhle der stillen Andacht sind zwanzig böse Zauberer. Ich warne laut alle. Gut, daß ich jetzt jedesmal unsichtbar werde, wenn wir über die Straße gehen. Vier von denen werfen mir diesen Zwingzauber an den Kopf, den Imperius. Aber ich kann den immer noch zurückwerfen, wie ich es damals schon tun konnte. Deshalb fallen vier dieser bösen Männer vom eigenen Zauber getroffen um. Dann passiert noch was ganz wildes. Blanche, Camille und Julius werden von mir runtergerissen. Ich denke erst, die fallen runter. Aber dann fühle ich, daß irgendwas sie an sich zieht: Es ist das silberne Kugelding, die Glücksflasche. ich kriege mit, wie Blanche, Camille und Julius da reingezogen und eingesperrt werden. Dann sehe ich die Flasche vor mir wegfliegen. Ich mache zum unsichtbar sein noch, daß ich so leicht wie möglich bin und fliege hinterher. Die bösen Männer laufen durcheinander. Einer versucht den Imperius noch einmal, den ich abprallen lasse. Aber die Kugelflasche fliegt jetzt immer schneller weg. Ich kriege die nicht so leicht ein. Ich bin noch hinter ihr, als sie durch einen Gang nach oben flitzt. Aber der Gang wird zum fliegen immer enger. Gleich reißt es mir die Flügel ab! ... Ich gehe den zeitlosen Weg. Es klappt wirklich! Das ist so beruhigend, daß ich das immer noch kann. Ich wollte vor die Höhle, und da bin ich jetzt. Unten rufen die Männer durcheinander. Da saust die silberne Flasche mit um sie geschlungener Kette knapp zwei Längen von mir direkt aus einem Stein heraus. Oh, der Zauber macht also alles Gestein durchlässig. Ich fliege wieder so schnell es geht hinterher. Doch ich hole die Flasche nicht ein. Sie entkommt mir. Ich lande keuchend weit genug weg von den bösen Männern, die mich jetzt bestimmt suchen. Dann höre ich Julius' Stimme im Kopf: "Temmie, lebst du noch? Wir wurden von der Glücksflasche geschluckt und sind wohl mit der unterwegs."
"Ich lebe noch", rufe ich auf die unhörbare Weise zurück. "Kann euch nicht einholen. Werde von der Höhle wegfliegen."
"Wir wissen nicht, wo diese Teufelsflasche mit uns hin will, temmie", klingt Julius Stimme immer leiser.
Ich ruhe mich noch ein wenig aus. Dabei bekomme ich mit, daß ich wieder auf dem Erdteil bin, den Julius Amerika nannte. Nur bin ich jetzt wesentlich weiter in Mitternachtsrichtung. Vielleicht hilft Julius das. als ich merke, wie die Männer aus der Höhle rauskommen und suchen, mache ich mich wieder ganz leicht und fliege unsichtbar davon. Die sollen mich nicht kriegen!
Ich bin wohl schon weit weg, als ich Julius' Stimme noch einmal im Kopf habe:
"Temmie! zu Hipp und Beri! Hipp und Beri!! Temmie ..."
Jetzt höre ich ihn nicht mehr und kann ihm auch nicht antworten. Die Entfernung wird zu groß. Doch ich weiß, wo er hinfliegt. Ich suche mir einen ruhigen Platz aus und denke nach, wie ich auch da hinkommen kann. Doch besser ist das, bei Babs auf dem Hof zu landen.
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"Die arme wird jetzt wohl irgendwo warten müssen, bis wir sie hohlen können", seufzte Julius. Er hatte es geschafft, Temmie zu erreichen. Doch weil er nicht wußte, wo sie jetzt hinflogen, konnte er schlecht sagen, sie solle hinter ihnen herfliegen. Wenn das überhaupt ging. Madame Faucon vermutete, daß die Silberflasche einen Heimkehrzauber besaß, der sie dorthin trug, wo sie hergekommen war.
"Da das wohl ein Zwergenzauber ist werden wir wohl die ganze Strecke fliegen. Wenn wir wieder in Australien waren dauert das lange", unkte Julius.
"Wer waren die Kerle überhaupt", knurrte Camille. "Mein Heilsstern hat plötzlich auf irgendwas reagiert."
"Imperius-Fluch, Camille. Mehrere Schurken haben uns damit angegriffen. Offenbar sind wir mitten in einer Versammlung finsterer Zeitgenossen hineingeraten."
"Die sprachen kanadisches Englisch", sagte Julius.
"Dann waren wir also in Kanada", vervollständigte Madame Faucon die Schlußfolgerung. "Dann könnte es ein Verbrechernest des Massenmörders sein, um die dortige Zaubererwelt zu infiltrieren. Aber an diesen Jahrtausendzufall glaube ich nicht, daß die ausgerechnet da eine Versammlung abhielten, wo der Ausgang der alten Straßen ist", sagte Madame Faucon. Julius nickte ihr zu.
"Kann sein, daß irgendwer von denen das schon wußte, daß da was besonderes ist", sagte er. "Dann haben die sich dort hingesetzt und gewartet, bis das besondere eintraf. Was werden die jetzt drüber nachgrübeln, was ihnen da passiert ist."
"Vor allem werden sie, wenn sie für den Massenmörder arbeiten, überlegen, ob sie ihm das melden sollen", grummelte Madame Faucon.
"Monju, wo bist du?" Erklang Millies aufgeregte Gedankenstimme in Julius' Kopf. Er erstarrte. Das Zuneigungsherz! Es pulsierte immer noch unter seinem Umhang. Er fischte es heraus und drückte sich seine Hälfte des geteilten Anhängers an die Stirn: "Mamille, ich bin von dieser Zauberflasche eingesaugt und von irgendwem ganz schnell weggebracht worden. Madame Faucon und Camille sind bei mir. Temmie wurde nicht reingezogen, wegen ihrer zu hohen PTR. Frag deine Eltern, wo diese Silberkugel mit uns hinzischt!"
"Schwester Florence ist bei uns. Die ist stocksauer auf Königin Blanche, Monju. Schön, noch von dir zu hören", melote Millie. Die nun auf vvoller Stärke arbeitende Verbindung gab Julius auch im eingeschrumpftem Zustand genug Kraft, sie zu erreichen. Außerdem war der Geist an sich nicht von der Größe des ihn haltenden Kopfes abhängig.
"Also, ich kann euch drei beruhigen, daß ihr jetzt erstmal sicher seid. Die Wunderflasche hat diesen Spezialzauber drin, der macht, daß jeder, der in eine schlimme Sache reingerät, in ihr verschwindet und mit genug Frischluft versorgt wird, während sie zu uns zurückfliegt, und zwar mit Schallgeschwindigkeit. Wenn du mir sagst, wo ihr gerade wart, sag ich dir, wann ich dich wieder in die Arme nehmen kann."
"Habe noch was von Kanada mitgekriegt, Mamille. Waren wohl Leute von Mr. Unnennbar & Co., vermutet Madame Faucon."
"Wie gesagt ist Madame Rossignol gerade bei uns. Eure Saalkönigin sollte sich besser nicht wünschen, wieder aus der Flasche rauszukommen. Nachher macht die aus der noch 'ne Bettpfanne", erwiderte Millie leicht schadenfroh. Julius schickte zurück, daß er ihr das ganz bestimmt nicht sagen würde.
"Wo ist Temmie?" Fragte Millie.
"Die hat ein paar irre Sachen gebracht, Mamille. Darxandrias Geist hat die zu einer Superkuh gemacht, mit Tarnvorrichtung und Supertempo."
"Das mit dem Tempo habe ich schon mitgekriegt, Monju. Aber Tarnvorrichtung? Du meinst, die kann unsichtbar werden?"
"Ich verschaukel dich nicht, Mamille. Wir sind aus ein paar schwierigen Sachen rausgekommen, weil Temmie das drauf hat. Weißt du noch, daß sie meinte, sie könne sich vorstellen, auch zu apparieren?"
"Ja, weiß ich noch", erwiderte Millie. "Am besten erzählst du der guten Königin Blanche, daß hier bei uns jemand wartet, die mit ihr den Boden aufwischen könnte, so wütend wie die aussieht."
"Madame Faucon ist besser in Verwandlung", schickte Julius zurück.
"Hast du 'ne Ahnung, was Heiler verwandeln können", kam die Antwort."
"Ich sage ihr nur, wo wir landen werden. Hoffentlich weiß dein Vater oder deine Mutter dann auch, wie wir da wieder rauskommen. Ich kriege nämlich langsam wieder Hunger."
"Dann leg dich hin und schlaf!" Befahl Millie.
"Moment, Millie. wenn Temmie weiß, wo wir hinfliegen, kann sie da vielleicht von alleine hinfliegen. Ich versuch die noch mal anzumentiloquieren."
"Mach das!" Erwiderte Millie. "Aber dann leg dich hin und schlaf!"
Julius gab kurz an seine Reisegefährtinnen weiter, daß sie zu den Latierres nach Paris flögen. Auch Millies Ratschlag gab er weiter.
"Dann gib es noch an Temmie weiter!" Riet ihm Madame Faucon. Er tat es. Doch seine Gedankenbotschaften hallten nicht lange genug nach. Irgendwann empfing er überhaupt keinen Nachhall mehr.
"Ich denke, daß ich ihr das Ziel zuschicken konnte. Wie die da hinfinden will weiß ich nicht."
"Dann schlafen wir jetzt, um unsere Körperfunktionen natürlich zu mindern", sagte Madame Faucon. Sie holte aus ihrer Umhangtasche einen Pergamentzettel, den sie in drei Teile zerriß. Hier, in dieser besonderen Umgebung, wirkte sich die Einschrumpfung nicht nachteilig aus. Aus den drei Zetteln machte sie in zwei Ansetzen für jeden Mitreisenden einen Schlafsack. Als sie dann alle hineingekrochen waren, löschte Madame Faucon ihr Zauberstablicht aus. vom nun sehr leisen Säuseln des rasend schnell vorbeistreichenden Fahrtwindes wurden sie in den Schlaf hinübergehoben. Sie würden wohl rechtzeitig aufwachen, wenn ihr merkwürdiges Fluggerät landete.
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"Wo waren die genau, Madame Rossignol?" Fragte Millie. Die Heilerin von Beauxbatons sah sie verstimmt an.
"Dazu muß ich wieder in mein Büro. Und dann könnte dir einfallen, mich nicht zu rufen, wenn diese tolldreiste Dame wieder auftaucht, die deinen Mann und Madame Dusoleil wieder irgendwo hineingetrieben hat. Sage deiner Mutter bitte, ich bliebe hier, bis diese seltsame Flaschenpost eintrifft. Am besten lasse ich Blanche Faucon gleich in der Größe und setzze sie in eine andere Flasche rein, damit sie lernt, daß auch sie nicht alles machen kann", schnaubte die Heilerin.
"Ma will heute ein veganes Abendessen machen. Offenbar hat ihr Ms. Brittany Forester imponiert, daß ein Mädel so groß und stark werden konnte und nur von Grünzeug und Körnern gelebt hat."
"Solte das eine Abschreckung sein, junge Dame? Die wirkt bei mir nicht. Ich lege auch manchen vegetarischen Tag ein. In meinem Alter sind zu viele Proteine auch nicht mehr angeraten. Und bevor ich mich einem Fachkollegen ausliefern muß, der mir Vorträge hält ... Ich bleibe hier", bekräftigte Madame Rossignol. Sie prüfte kurz den Sitz ihres dunkelbraunen Haares, ließ sich in einen Lehnstuhl sinken, den auch Mildrids Oma Line gerne zum Ausruhen benutzte. Dann kramte sie Strickzeug hervor, mit dem sie leise klickend hantierte. Millie sah, wie die unbändige Wut der Heilhexe bei der Handarbeit verrauchte. Dann flohpulverte sie zu ihrer Tante Barbara, wo Catherine mit Claudine und Babette wartete.
"Die Rundreise ist vorbei. Julius und deine Mutter kommen mit Camille zusammen per Glücksflaschenluftpost", sagte Mildrid. Catherine fragte sie, was sie damit meine.
"Du hast doch mitbekommen, daß in der Silberflasche mehrere gute Zauber drinstecken. Einer von denen geht dann los, wenn der Träger in eine total miese Sache gerät und nicht mehr rechtzeitig wegkommen kann. Dann schrumpft die Flasche alle ein, die mit dem Träger unterwegs sind und fliegt dann mit denen durch Wände und Luft zu uns zurück. Meine Großmutter Lutetia hat diesen Zauber da eingewirkt. Julius sagte, die wären zuletzt in Kanada gewesen. Dann sind die wohl in sieben Stunden oder so wieder hier."
"Mitten in der Nacht", bemerkte Catherine. "Dann muß ich es Martha irgendwie beibringen. Immerhin habe ich ja doch mit daran gestrickt."
"Stricken ist gut. Im Moment sitzt Madame Rossignol bei uns und strickt was, bis die Flaschenpost ankommt. Die stand eben voll unter Feuer wie ein brodelnder Kessel."
"Irgendwer hat Julius was in die Wiege reingelegt, daß so viele Hexen meinen, auf ihn aufpassen zu müssen. Du hast nur das Glück, daß du jung genug für seine Flausen und Bedürfnisse bist", seufzte Catherine. Millie grinste verschlagen. Dann berichtete sie, was Julius ihr zumentiloquiert hatte. Davon kamen sie auf Temmies neue Fähigkeiten. Catherine meinte:
"Das kommt bei vielen Zauberwesen vor, daß sie ihre Körper verändern oder versetzen können, ohne einen Zauberstab zu benutzen. Aber wenn eure Kuh jetzt noch apparieren lernt, dann braucht ihr keinen Besen mehr. Und Julius kann diesen vermaledeiten Stein sicher wegschließen."
"Ey, du glaubst das, daß Temmie apparieren kann?" Fragte Millie Catherine.
"Vergiss nicht, daß in eurer Kuh eine mächtige Magierkönigin wohnt. Wenn die rausfindet, was mit ihrem neuen Körper alles geht, was früher auch schon ging, dann wird die das natürlich ausnutzen, solange sie ungebunden ist."
"Du meinst, solange sie nichts kleines im Bauch hat?" Fragte Millie. Catherine nickte.
Die beiden Hexen sprachen dann über das Abendessen, daß Millies Mutter machen wollte. "Ich hab's ein paarmal probiert, was Britt so ißt. Immer kann ich sowas nicht essen."
"Ich denke auch, deine Mutter will wissen, ob sowas zwischendurch auch mal gut schmeckt", sagte Catherine. "Aber sonst verstehst du dich noch gut mit Brittany?"
"Ich warte halt auf die nächste Eule von der. Die wollte ja wissen, ob ich gut schlafen kann, wenn ein Typ neben mir liegt und vielleicht schnarcht."
"Und?" Fragte Catherine.
"Ich habe ihr geschrieben, das er neben mir nicht gut schlafen kann, weil er immer meint, ich könnte was von ihm wollen."
"Und, stimmt das?" Fragte Catherine mädchenhaft neugierig.
"Das bringt ihre Gedanken zum kreiseln", grinste Millie.
"Du meinst, die war auch hinter ihm her?" Fragte Catherine.
"Die und die Redlief-Schwestern, Catherine. Nachher muß ich aufpassen, das Claudine nicht bei uns im Bett schlafen will, weil sie das so toll findet, sich bei ihm anzukuscheln."
"Noch ist Claudine froh, daß Maman in Hörweite ist", lachte Catherine. "ich denke auch, die wird dann eher zu uns ins Bett wollen, wenn sie Angst hat als zu euch", sagte Catherine belustigt.So verplauderten die beiden Ehehexen eine Zeit und wechselten fließend von einem Thema zum anderen. Dann kam Babs in das Gästezimmer, in dem sich Mildrid und Catherine unterhielten.
!"Ihr glaubt es nicht. Aber gerade ist Temmie bei uns gelandet. Die kam wie ein Pfeil angeschossen und landete dann butterweich neben Bellona. Die hat das erst gar nicht mitbekommen", brach es aus Mildrids Tante heraus. "Dann stimmt das, daß die drei anderen in dieser Einsaugflasche festhängen und von der zurückgebracht werden?" Wollte sie dann noch wissen.
"Temmie ist wieder da? - Öhm, achso! Ja, stimmt, Tante Babs. Julius hängt mit den beiden anderen in Oma Tetis Silberflasche und wird da nicht so schnell rauskommen", sagte Millie. Dann bat sie ihre Tante, Temmie das Cogison umzuhängen, um sich erzählen zu lassen, was passiert sei.
"Da wartest du besser zwei Stunden. Temmie frißt sich gerade neue Kraft an und kühlt den überhitzten Körper runter. Ich habe den Viereraufsatz runtergemacht. Sie hat wohl unterwegs einiges verputzt. Aber jetzt ist sie wieder zu Hause."
"Aus Kanada in weniger als einer Stunde?" Fragte Catherine provozierend.
"Die hat es mir erzählt, daß sie einmal ausprobieren wird, ob sie den zeitlosen Weg gehen, also apparieren ausprobieren wird", sagte Barbara Latierre kühl. "Die wird wohl einen Gutteil des Weges übersprungen haben." Catherine und Millie sahen sie verdutzt an.
"Dann macht dir das nichts aus, daß eine deiner Kühe Sachen kann, die nicht üblich oder gar kontrollierbar sind?" Fragte Catherine.
"Du und ich sind im letzten Jahr mit kleinen, wilden Rackern unter dem Umhang herumgelaufen, Catherine. Wer sowas übersteht, nimmt einiges weniger tragisch. Außerdem gehört Temmie jetzt Millie und Julius. Und wenn die beiden damit zurechtkommen, daß ihre Latierre-Kuh ganz schnell fliegen oder apparieren kann wie ein Hauself, dann soll es mir recht sein. Zumindest weiß Temmie noch, wo ihr Wassertrog und die Weiden sind. Übrigens haben wir eine Einladung von Hippolyte erhalten. Sie will was ohne tierische Zutaten machen."
"Hat Mildrid mir schon erzählt, Barbara", grinste Catherine. "Ich komme gerne."
"Wenn Temmie möchte, kannst du ihr das Cogison umhängen, damit die mir erzählen kann, was passiert ist?" Fragte Millie nochmals.
"Ja, mach ich", sagte Babs Latierre leicht vergrätzt und verließ das Zimmer wider.
Drei stunden später saßen Catherine, Mildrid und Barbara Latierre bei Temmie auf der Südweide und lauschten dem quäkigen Klang des Cogisons, als Temmie darüber mitteilte, was alles geschehen war. Millie hatte zwar überlegt, Julius anzumentiloquieren, daß Temmie schon wieder eingetrudelt war. Doch sie dachte, daß er jetzt besser den langweiligen Flug verschlafen sollte. Zu Catherine hatte sie im Anflug von Dreistigkeit gesagt:
"Nachher kommen er und deine Mutter noch auf die Idee, sich die Zeit mit ganz besonderen Sachen zu vertreiben."
"Wenn meine Mutter deinen Mann für die art von Spielen hätte haben wollen, Mildrid Ursuline Latierre, dann hätte sie ihn nicht mehr nach Amerika gelassen, wo du und vier andere attraktive Hexen um ihn herumgeschwärmt seid. Denk das bloß nicht zu laut, wenn meine Mutter in Sicht ist! Die könnte dir sowas übelnehmen." Millie glaubte das sofort.
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Fünf sprünge durch das Nichts! Doch es hat sich gelohnt! Ich habe es geschafft, in die Nähe meiner Familie zurückzukommen. Den Rest fliege ich.
Jetzt sitzen Babs, Millie und Blanches Tochter Catherine bei mir. Ich habe den Gedankentöner um den Hals hängen und erzähle ihnen, was wir so erlebt haben. Ich bin beruhigt, daß Julius bald wieder zu Hause ist. Das war ja schon eine sehr böse Sache. Aber es war auch interessant. Endlich durfte ich mal wieder über die langen Straßen meiner alten Heimat, und sie führen immer noch an die eingebauten Ziele.
Es ist jetzt schon dunkel hier. Langsam weiß ich wieder, wie die Zeit läuft, nachdem ich an mehreren Stellen auf der Welt war, wo es mal früh am Morgen und dann wieder später war. Ich schlafe draußen auf der Wiese. Babs hatte nichts dagegen. Sie kommt zu mir und flüstert: "Er ist wieder zu Hause. Schlaf weiter!" Bin ich froh!
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Es war wohl der ständige Ton, der sie begleitet hatte. Als dieser langsam abfiel wachten Camille, Madame Faucon und Julius auf. Zu spüren war jedoch nicht, daß ihre wilde Silberkugel jetzt zur Landung ansetzte.
"Offenbar sind wir gleich da", gähnte Camille und schälte sich aus dem Schlafsack. Julius schlüpfte behände aus der Schlafhülle und kauerte sich in den unteren Scheitelpunkt ihres fensterlosen Fluggerätes. Würde es sie genauso wieder hinauslassen, wie es sie eingelassen hatte? Dann fiel der Ton des Flugwindes rapide ab. Julius hörte ein leises Säuseln und dann ein dumpfes Poltern. Zu spüren war aber nichts. Dann strich etwas außen entlang. "Hier ist es sicher", sprach Hippolyte Latierres Stimme. Daraufhin gab es ein donnerlautes Pling-Plong. Flackerndes Licht fiel herein. Dann fühlte sich Julius angehoben und im Hui durch den gerade breiten Schlund hinausgestoßen. Er segelte durch sirupdicke Luft durch einen Salon von Riesen. Doch sofort begann die gigantische Umgebung zusammenzuschrumpfen. Es dauerte keine zwei Sekunden, da landete er normalgroß neben seiner Schwiegermutter auf den Füßen. Gleich darauf setzten Camille und Blanche Faucon neben ihm auf. Dann schloß sich die auf ihr übliches Maß verkleinerte Flasche wider und kam zu Julius hingesegelt. Die Silberkette schlang sich geschmeidig um seinen Hals und schloß sich.
"neh, danke, diese Wunderflasche dürft ihr wiederhaben", sagte er und machte die Kette wieder los. Er reichte den magischen Behälter an Albericus Latierre zurück, bevor er von Millie umschlungen und herzhaft geküßt wurde. Er fand nichts dabei. Den Kuß zu erwidern. Dann hörte er Madame Rossignols Stimme von einer offenen Tür her:
"Ihr glück, Blanche, daß Sie alle dieses haarsträubende Abenteuer überstanden haben. Dennoch will ich Ihr Angebot, die Kompetenzen auszudiskutieren, hier und jetzt wahrnehmen", sagte die Schulheilerin von Beauxbatons.
"Wenn Sie finden, Sie hätten mehr Kompetenzen als ich, Florence. Immerhin habe ich mich diesmal genauso in Gefahr und sonstige Unanehmlichkeiten gebracht wie der junge Mann hier", entgegnete Blanche Faucon auf Julius deutend. Dieser sah nun auch, daß seine Mutter auf ihn gewartet hatte und umarmte sie.
"Apropos. Als dienstälteste Heilerin vor Ort melde ich den Anspruch an, Sie drei zu untersuchen."
"Tun Sie sich keinen Zwang an", versetzte Madame Faucon harsch. Julius hörte daraus eine indirekte Kampfansage. Das konnte noch ein sehr fröhliches Schuljahr werden, wenn die beiden älteren Hexen noch weiter an ihm herumzerrten. Millie schien ähnlich zu empfinden. Denn sie warf Julius einen mitfühlenden Blick zu.
als Madame Rossignol Camille untersucht hatte sagte sie: "Ich möchte keinen Streit mit Hera riskieren. Deshalb empfehle ich Ihnen als Heilerin, sich in den nächsten Monaten nicht zu überanstrengen, keine Rauschmittel zu konsumieren und sich vor allem nicht auf Abenteuerreisen nach Planung von Madame Faucon zu begeben. Denn wenn ich die Schwingungsdiagnose Ihres Unterleibs richtig deuten kann, hat sich da jemand eingerichtet, der zwischen April und Mai zu uns auf diese schöne Welt kommen möchte. Herzlichen Glückwunsch!"
"Moment, Camille? Du bist in freudiger Erwartung?" Wunderte sich Blanche Faucon. "Hätte ich das gewußt, hätte ich bestimmt nicht zugesagt, dich auf diese Reise mitzunehmen."
"Tröste dich, Blanche, ich habe es auch erst von dieser goldenen Dame erfahren, die Julius und ich in diesem vergessenen Palast getroffen haben", strahlte Camille. Darauf bestürmten die Latierres und Catherine Brickston Camille mit Glückwünschen.
"Gemäß dem Grundsatz, daß der werdende Vater es erst zu letzt erfährt solltest du es Florymont erst erzählen, wenn ganz Millemerveilles drüber spricht", meinte Hippolyte und knuddelte die verschwägerte Verwandte.
"Vielleicht ist es ja diesmal ein Junge", meinte Julius zu Camille.
"Komm, mit meinen drei Mädchen hattest du bisher nur Freude, Julius", lachte Camille. Sie empfand es offenbar nicht als traurig, daß fast ein Jahr nach Claires Abschied wieder jemand neues in ihre Familie hineingeboren würde, der oder die bestimmt viel Liebe und Aufmerksamkeit brauchte. Außerdem stand die Welt auf der Kippe. Camille hatte das an dem zurückliegenden Tag selbst miterlebt. Dennoch freuten sich alle für die werdende Mutter. Ursuline Latierre wurde noch mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerufen. Als sie hörte, warum man sie geweckt hatte kam sie noch herüber und beglückwünschte Camille persönlich.
"Am besten schreiben wir beide Madeleine, das wir jetzt einen Club der schwanger gewordenen Großmütter aufmachen können."
"Wird meine Schwester bestimmt sofort beitreten", schnarrte Madame Faucon. Camille lachte nur. Mit Madeleine L'eauvite würde das bestimmt lustig, vor allem, weil sie ihr viertes Kind bekam, zwei Tage nach dem ihr erstes Enkelkind geboren war. So warf Madame Faucon ein, daß ihre Schwester eigentlich vor ihrer Schwiegertochter hätte niederkommen sollen. Dann wäre sie keine schwangere Großmutter gewesen.
"Dann könntest du deine Schwester ja ausstechen, wenn du noch mal wen findest, mit dem du so was süßes und quirliges in die Welt setzen kannst", feixte Ursuline. Früher, da war sich Julius sicher, hätte so ein Spruch ein Donnerwetter mit Sturm und Hagelschlag heraufbeschworen. Doch Madame Faucon sagte locker:
"Jedem Tierchen sein Pläsierchen, Ursuline. Du trägst die Kinder ins Leben hinein, ich bereite sie in Beauxbatons darauf vor." Da mußte Line herzhaft lachen.
So wurde es noch eine lange Restnacht. Denn natürlich wollte Line, wo sie jetzt einmal aus dem Bett war, alles hören, was Julius mit Temmie, Camille und ihrer neuen Freundin Blanche erlebt hatte. Da sie in einem Haus der Latierres saßen, konnte das alles als Familiengeheimnis gewertet werden. Nur Camilles gerade erst aufkeimende Schwangerschaft würde kein solches Geheimnis bleiben. Madame Faucon mußte sich mit Madame Rossignol noch bis zum frühen Morgen in Hippolytes Arbeitszimmer darüber aussprechen, wer weshalb und auf welche Weise über das Leben und die Erlebnisse von Julius Latierre bestimmen durfte oder nicht. Am Ende verließen die beiden Hexen ziemlich verknirscht das Arbeitszimmer. Blanche Faucon verabschiedete sich flüchtig von ihrer Tochter und deren Mitbewohnern. Dann flohpulverte sie nach Millemerveilles zurück. Madame Rossignol verschwand einige Minuten später Richtung Beauxbatons. Offenbar waren noch lange nicht alle Streitpunkte Beseitigt, erkannte Julius. Doch das würde er wohl in Beauxbatons früh genug erfahren. Noch waren Ferien. Und er hoffte, daß er die wenigen verbleibenden Tage bis zum Schuljahresanfang endlich einmal Erholung kriegen würde.
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In den nächsten Tagen erfuhr Julius nichts wesentlich neues aus England. Die Zeitungen suchten nun nach Augenzeugen für den Mord an Dumbledore. Glorias Eltern hatten ihr Haus mit einem Fidelius-Zauber geschützt. Das englische Zaubereiministerium wurde mehr und mehr zum Machtinstrument der Todesser. Das äußerte sich vor allem darin, daß nun nicht mehr Verdächtige verhaftet wurden, die mit den Todessern sympathisiert haben sollten, sondern die Ordnung der Zaubererwelt in Frage stellten. Julius argwöhnte bei einem Zweiwegespiegelgespräch mit Gloria, daß das die Vorbereitung für die große "Schlammblut-Hatz" sein würde. Gloria hatte das Gesicht verzogen, aber dann doch genickt. Es war doch klar vorgezeichnet, daß Voldemort nun, wo ihm das Ministerium gehörte, die verhaßten Muggelstämmigen verfolgen würde. Gloria fragte ihn in dem Zusammenhang, ob er noch einmal bei den Hardbricks anzurufen versucht habe. Er verneinte es.
"Ich hoffe, der Junge hat seine Eltern dazu herumbekommen, mit ihm das Land zu wechseln. Hat deine Mutter was von diesem Anwwalt gehört, den sie damals engagiert hat?"
"Der ist wie spurlos verschwunden, Gloria. Das gefällt mir überhaupt nicht."
"Rat mal, wem noch!" Hatte Gloria da gezischt. Dann ging es noch einmal darum, ob Gloria nicht besser doch nach Beauxbatons zurückkommen sollte. Doch weil Kevin und die Hollingsworths ja in Hogwarts blieben, würde sie auch dort hingehen.
Vier Tage vor dem Termin erhielten Julius und Millie die Einladung der Zwillinge Callie und Pennie, ihren dreizehnten Geburtstag zu feiern. Julius gönnte sich den Spaß und suchte im Internet nach, was an diesem Tag, dem sechzehnten August, so alles passiert und wer da alles Geburts- oder Todestag hatte.
"Ach neh, die Madonna hat am gleichen Tag wie die beiden Latierres und die Montferres", stellte er grinsend fest. "Da muß ich mir vielleicht doch mal 'ne CD von der besorgen, um denen nächstes Jahr was vorspielen zu können. Dieses Jahr feiern sie in Memphis den zwanzigsten Todestag von Elvis Presley."
"Schon was los in der Welt. grinste Millie.
Als sie dann gut erschöpft vom vielen Tanzen, Lachen und reden von der Party auf dem Latierre-Hof zurückkehrten, fanden sie einen Brief von Brittany Forester vor:
Hallo Millie und Julius!
Ich habe mich sehr gefreut, daß es euch auch nach nun bald einem Monat Eheleben immer noch miteinander gefällt. wir haben hier vor zwei Tagen ein leichtes Erdbeben gehabt. Peggy Swann hätte dabei fast ihre Kleine runterfallen lassen. Kore hat's doch erwischt. Diese vermaledeite Vingate-Bande hat es hingekriegt, daß sie und zwei andre Besucher ihrer Party bald für einen mehr planen müssen. Ich denke mal, wenn ihr sowas anschieben wollt - klingt unanständig, ich weiß - hoffe ich mal, daß ihr dabei mehr Spaß habt als Kore. Kein Heiler will ihr Tonys Kind wegmachen. Die sagten ihr, daß Kinder von Eltern, die Cousin und Cousine sind, meistens ganz gesund aufgewachsen sind. Es habe sogar schon fälle gegeben, wo der Bruder mit der Schwester und die Mutter mit dem Sohn was Kleines gesund durchs Leben gebracht hat. Deshalb haben sich Kore und Venus jetzt, weil Venus die Ansichten ihres Vaters voll teilt und Kore jetzt erst einmal nicht in der Mannschaft bleiben darf. Lino ist aber sehr vorsichtig mit dem Thema umgegangen. Die Langohrige hat mitbekommen, daß bei euch in der alten Welt ganz dunkle Wolken aufgezogen sind. Sie hat nämlich seit drei Wochen nichts mehr von einer Kollegin von da gehört. Sie hofft, daß der Sturm, der da bläst nicht lange vorhalten kann. Bei der Gelegenheit soll ich euch von der schön grüßen und euch bitten, ihr ein Exklusivinterview zu reservieren, wenn sich bei euch das erste Kind ankündigt. Ihr kennt ja Lino.
Ja, dann noch was, wofür Melanie mich wohl gerne in was ekliges verwandeln würde, Myrna hat ihr einen möglichen Freund vor der Nase weggeschnappt. Jetzt haben die Schwestern richtig Zoff. Ich selbst bleibe im Moment noch Solo. Einen Zauberer, der bereit ist, nichts mehr von Tieren zu essen, müssen die für mich wohl erst backen. Apropos Vegan. Ich habe es ja gehofft, daß mein Vater nicht lange bei seinen Eltern aushält. Gestern kam er reumütig wieder nach Hause zu uns. Er meinte, er wolle lieber bei ihn komisch anguckenden Zauberern und Hexen wohnen als in so einer übergeregelten Umgebung. Ich bin froh, daß meine Mutter nicht mehr alleine ist, wo ich jetzt die eigene Wohnung in VDS habe. Wenn ihr beiden die nächsten größeren Ferien habt, könnt ihr gerne rüberkommen. Ich überlasse euch dann auch ein Doppelbett.
Bis dann denn
Brittany Dorothy Forester
"Die will uns drankriegen, ein Baby zu machen, Julius. Hast du das gelesen?" Fragte Millie.
"Ich habe gelesen, daß sie wohl vorerst keinen sucht, der mit ihr eins macht. Wir hätten doch nicht aus diesem komischen Traum aufwachen sollen", erwiderte Julius. Millie verstand und konterte:
"Wer weiß, Monju, ob wir das alles nicht träumen, was wir jetzt erleben und in vier Monaten als Doppelpack von Britt auf den Wickeltisch geworfen werden." Julius zwinkerte.
"Dann wären wir aber nicht verheiratet, Mamille. Obwohl mir das schon wie ein ziemlich abgedrehter Traum vorkommt. Das mit den Sterlings und Leelands würde ich gerne als Alptraum ohne Folgen abtun. Aber das geht wohl nicht. Außerdem hätten sich Madame Faucon und deine Oma Line dann auch nicht vertragen."
"Wo ich immer noch denke, daß das was damit zu tun hat, was du am Tag vorher mit eurer Saalkönigin zu bequatschen hattest, Monju", wandte Millie ein.
"Ich habe versprochen, es nicht zu verraten, Millie", sagte Julius.
"Ja klar, wie die Sache mit Tante Trice, die du mir bis heute nicht erzählen wolltest. Ist ja auch erst ein Jahr her, nicht wahr?"
"Überleg mal! In diesem einen Jahr sind sieben Babys auf einmal geboren worden. Dafür sind Dumbledore, Pinas Vater und dessen Schwägerin und Schwager von ein und derselben Saubande umgebracht worden."
"Ja, und im nächsten Jahr kommen schon wieder ein paar Babys an", sagte Millie. Sie brauchte nicht zu erwähnen, daß auf der anderen Seite bestimmt noch mehr unschuldige Hexen, Zauberer und Muggel sterben würden, vor allem in England. Julius nickte ihr nur zu. Irgendwie war es doch angenehmer, mit jemandem über die Erlebnisse des letzten Schuljahres und der Ferien zu sprechen. Früher hatte er immer nur für sich darüber nachdenken können.
"Und du hast Catherine echt gesagt, du dürftest mich nicht wecken, weil Madame Faucon dann was von mir wollen könnte?" Lachte Julius, dem einfiel, was Millie ihm am nächsten Abend im schalldichten Ehebett zugeflüstert hatte, als er trotz der schlechten Nachrichten mit ihr ganz nah zusammen sein wollte.
"Die ist 'ne Witwe, Julius. Außerdem hast du ja mitgekriegt, daß Hexen in den Sechzigern noch gut dabei sind."
"Kein weiterer Kommentar", konnte Julius dazu nur sagen. Dann lachten sie beide.
Am Tag vor dem Ferienende waren Millie und Julius noch einmal bei den Dusoleils eingeladen. Mittlerweile war Uranie Dusoleil auch wieder zurückgekehrt. Doch sie wirkte nicht so fröhlich wie eine Frau, die Schmetterlinge im Bauch hat, sondern mißmutig und reizbar, wie eine Frau, die Wackersteine verschluckt hat. Julius versuchte sie, mit Astronomischen Themen aufzuheitern. Doch sie sagte dann nur:
"Nichts für ungut, Julius. Aber im Moment habe ich echt andere Sachen zu bedenken als ob auf dem Mars mal Leben war oder was dieses Muggel-Weltraumteleskop für neue Sachen gefunden hat. Dafür hängt es häufig genug im Blickwinkel auf sehr leuchtschwache Sterne rum. Dann habe ich jetzt eine Schwägerin um mich herum, die die Sonne überstrahlt, weil sie noch einmal ein Kind im Bauch hat, das gerade mal größer als eine Kaulquappe ist. Na und? Du hast jetzt eine Ehefrau und das ZAG-Jahr vor dir. Da wirst du merken, daß es weniger Spaß für viel zu viel Verdruß gibt."
"Uranie, der Junge kann echt nichts dafür, was der Feigling dir angetan hat", schnaubte nun Camille verärgert. "Der wollte dich aufmuntern und mit dir über Sachen reden, die dir genauso wichtig sind wie ihm. Er hat dich nicht sitzengelassen, Uranie." Mademoiselle Dusoleil wurde erst kreidebleich und dann tomatenrot.
"Ruf die Chermot oder Millies Reporter-Verwandten an und setz es doch in die Zeitung, Camille", schnarrte Uranie Dusoleil. Julius verstand, und Millie noch besser. Jeannes und Denises Tante hatte sich auf das selbe Glücksradspiel eingelassen wie Constance Dornier. Nur das die damals eine Schülerin war, während Uranie eigentlich eine selbstbewußte, umsichtige Erwachsene war. Sie sagte dann noch:
"Nachher wagen die beiden noch, mir so überschwenglich zu gratulieren wie du. Dabei wäre Kondolieren besser angebracht."
"Siehst du etwa aus wie ein Sarg, Uranie?" Konterte Camille. "Nur weil Hera das Getue von dir verdächtig fand und nachgesehen hat mußt du nicht gleich alles und jeden anknurren oder Gift und Galle speien. Dann können wir es jetzt auch amtlich machen, Uranie. Du bis mir zwei Wochen voraus. Fertig aus!"
"Wie gesagt, Camille: Setz es doch gleich in die Zeitung!" Schnaubte Uranie Dusoleil und ging in ihr Zimmer.
"Oha, und der Typ war kein Gentleman", flüsterte Julius.
"Wohl eher ein Lebemann", flüsterte Camille zurück. "Hat wohl gedacht, mit einer unverheirateten Hexe aus der alten Zeit unverbindlichen Spaß zu haben. Uranie ist erwachsen. Sie hätte es wissen sollen, daß dieses Spiel nicht nur Spaß machen kann. Ich hoffe mal, daß ihr beide euch dann auch ehrlich freut, wenn ihr wen neues zu Stande gebracht habt."
"Wenn es nach mir ginge würde ich Julius und mir morgen schon einen kleinen Windelpupser ans Licht zwengen", bekräftigte Millie und streichelte sich über ihren Bauch. " Bin nur froh, daß Martine nicht eine ähnliche Kiste mit Mogel-Eddie erlebt hat. Die ist auch so schon anstrengend."
"Ja, aber Constance hat kurz vor dem ersten Schrei gesagt, daß sie Cythera haben wollte", sagte Julius. "Kann sein, wenn Uranie einige Wochen weiter ist, daß sie sich dann eher sagt, daß es ja auch ihr Kind ist und nicht nur das von jemandem anderem", entgegnete Julius etwas optimistisch.
"Ich halte sie aus. Und soll ich euch was sagen", flüsterte Camille verschwörerisch: "Hoffentlich hat sie sich gleich drei Stück eingehandelt. Dann kriegt sie endlich ein Gefühl dafür, wie es als dreifache Mutter ist."
"Das ist eigentlich euer Ding", sagte Julius. "Ich habe nur was gesagt, weil du und Uranie auf die gleiche Sache so entgegengesetzt reagiert."
"Da du trotz deiner frühen Heirat immer noch zur Eauvive-Familie gehörst, Julius, geht dich schon an, wer da weswegen bald neu dazukommt. Aber lassen wir Uranie in ihrem Schmollzimmer allein!" Damit war das Thema offiziell abgeschlossen. Camilles neues Kind würde fast zur gleichen Zeit einen Cousin oder eine Cousine bekommen. Denise konnte dann noch ausprobieren, wie sie als mittelgroße Schwester zurechtkam. Millie spekulierte wohl schon darauf, noch vor Ablauf der Frist der Mondtöchter das erste eigene Kind zu bekommen und nicht nur an einer kleinen Schwester und kleinen Cousins und Tanten üben mußte. Doch Julius dachte daran, ob die beiden Kinder, die wohl dann im Mai kämen, wirklich das Licht der Welt erblickten oder in eine total dunkle, tödliche Welt hinausgeworfen wurden. Das sagte er auch Millie, als sie am Abend wieder in der Rue de Liberation waren.
"Tante Uranie war schon immer ernster drauf als Tante Camille, Monju. Die wollte wissen, wie das sich anfühlt. Und jetzt hat Mutter Natur gesagt, daß sie es dann auch voll durchzuziehen hat. Lass dich bloß nicht von solchen knurrigen Hexen vom Spaß an allem abhalten. Wenn nichts anstrengendes mehr wäre, wäre das Leben doch total langweilig. Oder?"
"Da hast du wohl recht, Mamille", stimmte Julius zu. Dann schliefen beide friedlich nebeneinander dem letzten Ferientag entgegen. Morgen würden sie wieder nach Beauxbatons reisen. Julius würde seine silberne Brosche als stellvertretender Saalsprecher anstecken, die dann den Namen ändern würde. Dann würde der Schulalltag wieder einkehren, und vielleicht die düsteren Gedanken zurückdrängen, daß dort draußen in der Welt jemand gerade seinem mörderischen Wahnsinn freien Lauf ließ.