Julius Latierre stand auf einer freien Fläche vor einem hohen, felsigen Berg aus rötlichem Stein. Vor ihm landete gerade die geflügelte Kuh Artemis. Noch war ihr nicht anzusehen, daß sie trächtig war. Sie stellte sich auf ihre Hinterbeine und hielt mühsam das Gleichgewicht. Julius blickte an ihr hinauf und warrf seinen Kopf in den Nacken. Da schrumpfte das gigantische Zaubertier zusammen. Die weiße Wolle wurde dünner und verschwand in der Haut. Die säbelartigen Hörner zogen sich in den Kopf zurück, der immer menschlichere Formen annahm. Statt der baumstammgleichen Beine bildeten sich gelenkige Arme und schlanke Beine. Die Haut nahm einen goldenen Farbton an. Die goldbraunen Augen wurden silbern. Dann stand sie vor ihm, Darxandria, die letzte große Lichtmagierin und Mitkönigin von Altaxarroi. Sie war völlig unbekleidet.
"Wie ich dir sagte, kann ich in deinem Schlafleben in meiner früheren Erscheinung zu dir treten, wenn etwas wichtiges ansteht, Julius Latierre, Träger meines Siegels, Gefährte meines wieder lebenden Seins. Ich habe lange in mich hineinhorchen müssen und über die Zeit und Raum überwindenden Pfade der Gedanken gesucht, wie ich dir Ailanorars Lied beibringen kann. Denn bald wirst du losziehen müssen, um es von Ailanorars Stimme ertönen zu lassen", sagte sie mit jener wie ein angestrichenes Cello klingenden Stimme, die ganz zu ihrer eigenen Gedankenstimme geworden war. Julius stand ehrfürchtig da. Es war soweit. Er würde jene Melodie oder jene zu spielende Stimme lernen, mit der er Ailanorars Stimme, ein Blasinstrument, daß er noch nicht kannte, richtig zu spielen hatte. Darxandria reckte ihre rechte Hand in die Luft, verstellte ihre Finger für einen Moment und hielt sie so gekrümmt, als umschließe sie damit etwas. Sofort flimmerte die Luft zwischen den Fingern, und im nächsten Augenblick verstofflichte sich eine lange Flöte aus einem silbrig glänzenden Material, von dem Julius nicht sagen konnte, ob es pures Metall war oder nur ein metallisch wirkender Überzug auf einem Holzinstrument. Darxandria setzte die Flöte an und blies sanft hinein. Ein mittelhoher, rein klingender Ton breitete sich aus und erfüllte die Ebene. Dann spielte sie langsam eine über mehrere Oktaven springende Melodie, langsam und getragen. Julius kam trotz des gemächlichen Tempos jedoch nicht dazu, alle Feinheiten der Melodie zu behalten. Er hörte sie, die mindestens drei Minuten lang war und sich nicht wie bei einem gewöhnlichen Lied wiederholte, sondern einmal durchgespielt wurde. Julius strengte sich an, dem Spiel zu folgen, den Fingersatz zu beobachten. Dann fragte er Darxandria, woher sie diese Melodie kenne und woher sie die Flöte habe. Sie erwiderte darauf:
"Wie gesagt mußte ich tief in mich hineinlauschen, wann ich den großen Ailanorar dieses Lied habe spielen hören und sehen können. Er benutzte dazu dieses Instrument, daß später als seine Stimme bezeichnet wurde, weil er damit die Kräfte von Wind und Leichtigkeit wecken und lenken konnte. Ich werde dir diese magische Melodie nun so häufig vorspielen, bis sie in dir selbst ist und du sie mit dir zu Ailanorars Versteck tragen kannst." Dann spielte sie diese Melodie noch einmal und noch einmal. Julius fühlte, wie die ersten Töne bereits in seinem Inneren nachhallten. Doch diese Melodie war immer noch zu kompliziert, als sie so schnell auswendig zu können. Doch nach dem fünften Spiel sagte Darxandria, daß sie jetzt wieder in ihr neues Leben zurückkehren müsse. Aber sie würde wiederkommen, bis er das Lied Ailanorars selber spielen könne. Mit diesen Worten warf sie die Flöte in die Luft, in der das Instrument übergangslos verschwand. Dann beugte sie sich vor und berührte mit den Händen den Boden. Dabei sproß ihr weißes Fell aus dem Körper. Aus ihrem Kopf brachen zwei Hornspitzen, und die alte Magierin wuchs unter leisen Schnaufern an, bis sie ganz in der Flügelkuh Artemis aufgegangen war. Diese trabte an und hob ab. Das war der Augenblick, wo Julius meinte, in dichten, grauen und dann schwarzen Nebel hineinzugeraten, aus dem er wie schwerelos davongetragen wurde, bis er sich in seinem Bett wiederfand. In seinem Kopf erklangen die fremdartigen Flötentöne, leise aber zumindest klar erkennbar. Julius ließ die Augen geschlossen, um diese Melodie ungestört in sich weiterklingen zu lassen. Doch sie verwehte in ungreifbaren Tönen, die er nicht mehr genau bestimmen konnte. Er versuchte noch einmal, die ganze Melodie zusammenzukriegen. Doch es wurden nie mehr als zwanzig Töne. Der Rest war wie leises Windgeheul. Dann drang das fröhliche Schmettern mexikanischer Trompeten in seine Ohren ein und vertrieb die magische Melodie aus seinem Kopf. Leicht verärgert schlug er die Augen auf und sah die gemalten Mariachis aus Callies und Pennies Bild durch das Bild mit den von Claire gemalten Musikzwergen marschieren. Er dachte nur noch, daß Darxandria ihm bis zum südpolaren Spätfrühling wohl nie die ganze Melodie beibringen konnte, daß er sie dann wirklich spielen konnte, falls er die magische Flöte in Besitz nehmen konnte, was ja auch noch nicht sicher war. Doch was sollte es? Die neue Schulwoche fing an, und er war nicht hier, um darauf zu hoffen, im Traum eine Zaubermelodie zu lernen. Andere Sachen wurden von ihm verlangt. Er war stellvertretender Saalsprecher. Und heute war er wieder damit dran, die restlichen Schüler aus seinem Saal zu wecken.
Der Montag ist da! Die Woche fängt an! Alle Mann raus aus der Falle und fertig machen zum Frühstücken!" Rief Julius mit gespielter Fröhlichkeit, als er den Schlafsaal der Drittklässler betrat. Gaston fuhr aus seinem Bett heraus wie ein wütender Flaschengeist aus seinem Gefängnis und versuchte, Julius anzugreifen. Doch dieser ließ ihn über sein rechtes Bein stolpern und hinschlagen. Nicolas Brassu und Archibald Lambert lugten hinter ihren Bettvorhängen hervor und grinsten schadenfroh. Gaston schnaubte: "Habe ich dir und den anderen nicht erzählt, daß ich euch erst wieder näher als fünf Meter an mich ranlasse, wenn ich wieder bei euch in der ZAG-Klasse bin?"
"So wie du dich gerade benommen hast gehörst du wohl doch in diesen Schlafsaal", knurrte Julius verärgert und war auf der Hut vor Gaston. "Du weißt genau, daß Angriffe auf Saalsprecher und Pflegehelfer dreihundert Strafpunkte einbringen. Da ich beides bin hast du dich gerade um sechshundert Punkte weiter runtergezogen. Versuchst du mich noch mal wie ein tollwütiger Hund anzuspringen kassierst du neben den Punkten noch eine Prügelei vor deinen neuen Klassenkameraden. Ich habe die Schnauze nämlich gestrichen voll von Typen, die vor lauter Hormonen nicht mehr nachdenken wollen. Also mach jetzt keine Zicken mehr und zieh dich anständig an! Denkst du, mir macht das Spaß, alle aufzuwecken und klarzukriegen, daß ihr alle richtig gewaschen und angezogen seid?"
"Du kannst mich mal!" Schnaubte Gaston, der gerade noch so außerhalb von Julius' Armlänge auf seinen nackten Füßen trippelte, weil er nicht wußte, ob er jetzt noch einmal angreifen oder doch besser den Rückzug antreten sollte. Er wußte schließlich, daß Julius auch ohne Zauberstab leicht mit ihm fertig werden konnte. Denn es hatte sich schon zigmal herumgesprochen, daß Julius vor dem Einstieg in die Zaubererwelt einen waffenlosen Kampfsport gelernt hatte und den durch das hier mögliche Körpertraining wohl noch gut anbringen konnte, wenn er mußte. Sich hier und jetzt vor den zwei Jahre jüngeren Bengeln eine Abreibung einzufangen würde ihm Wochenlang nachhängen, nicht nur wegen der Strafpunkte. So zog er sich zähneknirschend zu seinem Bett zurück, während die beiden ordentlichen Drittklässler aus den Himmelbetten turnten. Nachdem Julius sie einmal mit kalter Luft beharkt hatte waren sie sehr schnell aus den Federn, wenn er sie wachrief. So zog sich Julius ohne weiteres Geplänkel aus dem Drittklässlerschlafsaal zurück und führte seinen Weckdienst weiter durch. Giscard erzählte er, was Gaston sich geleistet hatte.
"Hättest ihm sagen sollen, daß er bei weiteren fünfhundert Strafpunkten doch noch den unehrenhaften Abschied von der Akademie gewinnt. Könnte Professeur Faucon oder Madame Maxime einfallen, ihn doch noch runterzuwerfen."
"Ich frage mich, warum der das nicht kapiert. Jeder Knilch hier weiß, wo die Grenze verläuft, selbst wenn der mehr Testosteron im Blut hat als Wasser", erwiderte Julius. Giscard wollte wissen, was das sein sollte und hörte sich von Julius an, daß das der Stoff sei, der Männer zu Männern macht. Giscard schrieb sich das auf, wohl um bei den UTZs in Zaubertränken besser wegzukommen, wenn er gefragt werden würde, was es so für körpereigene Stoffe gebe.
Außer Gastons gescheitertem Versuch, Julius für seine Misere eine reinzuhauen passierte in Beauxbatons nichts nennenswertes. Die von Didier gesteuerte Zeitung hetzte nun gegen den Dorfrat von Millemerveilles, der scheinbar der dunklen Matriarchin treu geblieben war und die sich dort versteckenden Flüchtigen vor der gerechten Strafe schütze. Außerdem wurde noch einmal erwähnt, daß mit diesem Montag die "Gnadenfrist" des Ministeriums für Catherine Brickston auslief. Julius rechnete damit, einen Brief zu kriegen, daß Didiers Leute nun davon ausgingen, daß seine Mutter tot sei und er deshalb unter der Obhut des Ministeriums stehe. Doch dieser Brief traf nicht ein. Außer den Zeitungsabonenten bekam keiner Eulenpost. Das gab es zwischendurch mal und beunruhigte daher niemanden. Professeur Faucon kam mit einem Stundenplan für Gaston herüber, den er ohne weiteres Wort zur Kenntnis nahm. Robert Deloire sah immer wieder zum früheren Klassenkameraden hinüber, der ihm dafür einmal bitterböse anfunkelte. Dann erscholl Madame Maximes üblicher Befehl: "Fertigmachen zum Unterricht!"
Julius fühlte eine gewisse Anspannung, die langsam aber spürbar von allen Lehrern und Schülern Besitz ergriff. Vor allem die Bewohner des roten und Gelben Saales, die einen wohl wegen ihrer offenen Gefühlsbejahung, die anderen wegen ihrer größeren Empfindsamkeit, schienen von dieser namenlosen Unruhe besonders ergriffen zu sein. Als das Abendessen beendet war traf Julius sich vor dem Raum des Schachclubs mit seiner Schwiegertante Patricia Latierre.
"Bernie wird richtig kiebig. Die tut so, als müsse sie gegen die Dementoren kämpfen und wisse nicht, wo die gerade sind. Millie hat sich früh genug von der abgesetzt, bevor sie der wieder Strafpunkte unterjubeln konnte. Aber Leonie hat's erwischt. Dauert nicht mehr lange, und Bernie kriegt 'ne Abreibung."
"Ich hoffe nicht, daß ihr wegen der 'ne Ladung Strafpunkte riskiert", sagte Julius und meinte vor allem Millie, deren Strafpunkte auf Grund der Sonderregeln ja auch seinem Konto gutgeschrieben wurden.
"Wenn die es verdient hat, Julius. Irgendwo hört das mit dem Stillhalten auf, nur weil die 'ne Brosche trägt", sagte Patricia. "Wenn die Callie und Pennie richtig blöd kommt kann Madame Rossignol die aus tausend Teilen zusammennähen, auch wenn die beiden dafür rausfliegen sollten."
"Sag mir sowas nicht, Pat! Ich habe weder Lust noch Recht, Bernadette zu warnen oder zur Besinnung zu bringen. Ich habe mit den Leuten aus meinem Saal schon genug zu tun."
"Vor allem mit Gaston, nicht wahr?" Fragte Patricia schadenfroh grinsend.
"Der lernt es noch diese Woche oder kriegt doch den endgültigen Rauswurf ab", knurrte Julius. Da tauchte Professeur Paximus auf, der den Schachclub leitete.
Giscard übernahm die Bettkontrolle, weil Julius sich mit Patricia auf eine Partie eingelassen hatte, die eine Viertelstunde länger als zehn Uhr dauerte. Paximus stellte der Zweitklässlerin eine entsprechende Bescheinigung für ihre Saalsprecherin aus. Julius war stellvertretender Saalsprecher und konnte sich selbst gegenüber Giscard rechtfertigen.
Um halb zwölf war keiner mehr auf. Auch die UTZ-Schüler hatten erkannt, daß sie genug Schlaf brauchten. Im Bett mentiloquierte Julius mit seinem halben Zuneigungsherzen. Millie berichtete ihm, daß Bernadette sich mit Caro und Leonie in der Wolle hatte. Sie hatte den beiden zwar einen mittelschweren Sack Strafpunkte aufgeladen. Die zerrupfte Frisur und die blauen Flecken hatte sie jedoch hinnehmen müssen. "Ich habe mich schön weit von der ferngehalten. Als die mich noch anblöken mußte, daß ich nicht so tun sollte, als würde ich ihr nie was tun wollen habe ich nur gesagt, daß sie mir das nicht wert sei." Julius bat sie weiterhin, sich nicht von Bernadette herausfordern zu lassen. Dann tauchte Viviane Eauvives Bild-Ich in Aurora Dawns Portrait auf.
"Monsieur Pierre und alle, die Catherine Brickston beschützen wurden zusammen mit Catherine zu sicherheitsgefährdenden Personen erklärt. Die Eule kam vor einer halben Stunde an", meldete die gemalte Mitgründerin von Beauxbatons. Julius nickte. Dann fragte er, was seine Mutter an diesem Tag gemacht hatte. Vivianes Bild-Ich erzählte es ihm. Dabei mußte er einigemale grinsen. Dann bedankte er sich und fragte, ob Professeur Faucon auch auf diese schwarze Liste gesetzt worden sei, falls sie da nicht schon die ganze Zeit draufgestanden habe.
"Werdet ihr morgen wohl aus der Zeitung erfahren", entgegnete Viviane Eauvive mißmutig und gebot Julius, nun zu schlafen.
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Guillaume Vendredi und Genivieve Dumas freuten sich, als Martha Andrews zusagte, den in Millemerveilles lernenden Schülern Rechnen und erste Englischlektionen zu erteilen. Babette war ohne großes Federlesen als ordentliche Zaubergrundschülerin aufgenommen worden. Mit ihrem nagelneuen Zauberstab aus Kastanienholz mit einer Faser aus dem Herzen eines bretonischen Blauen hatte sie bereits viele Sachen, die ihre Mutter im Alltag zauberte nachgeahmt. Ein wenig mulmig war Martha schon, weil sie den kleinen Hexen und Zauberern nichts magisches entgegenzusetzen hatte. Doch Catherine half ihr mit einem Umhang aus, der mit einem starken Schildzauber imprägniert war, nur für den Fall, daß einem der Zehnjährigen doch mal der Zauberstab ausrutschen könne. Sie entsann sich eines Dokumentarfilms, wo der Alltag eines Raubtierbändigers im Zirkus veranschaulicht worden war. Der Schlüssel zum Erfolg war die innere Ruhe. Angst und Hektik waren fatal. Wer mit wilden Tieren umspringen und ihnen Kommandos aufzwingen wollte, durfte sich nicht fürchten. Auch ging es darum, daß ein angehender Dompteur möglichst ohne einen mit den Tieren langjährig betrauten Kollegen in den Käfig gehen sollte, weil er sofort als Fremdkörper und Schwachpunkt zugleich empfunden worden wäre. Deshalb durfte sie bei ihrer neuen Arbeit, von der sie nicht wußte, wie lange sie sie ausüben würde, nicht in Begleitung eines voll ausgebildeten Zauberers in den Klassenraum für die Übergangsschüler eintreten. Sicher kannten sie in Millemerveilles alle, die auf eigenen Beinen liefen. Aber wenn sie jetzt hier als Lehrerin anfing würde ihre Stellung anders sein. Professeur Tourrecandide, eine sehr energische, unbedingten Respekt erheischendeHexe, hatte ihr am Montagmorgen noch erzählt, daß es unbedingt wichtig sei, die, mit denen sie sprach, so fest wie möglich anzusehen. Pausenclown oder Löwenbändigerin, diese Alternativen sah Martha für sich. Andererseits konnte sie den Leuten hier ihren Dank ausdrücken, daß sie hier Asyl gefunden hatte, wenn auch nur so lange, wie der Hemmungstrank gegen die Abwehr nichtmagischer Personen verfügbar war. Im Zweifelsfall würde sie bei drohendem Versiegen des Gebräus versuchen, aus Millemerveilles in die magielose Zivilisation zu entkommen. Allerdings war sie nicht so naiv, nicht mit offener Verfolgung durch die Polizei oder heimliche Verfolgung durch alle möglichen Geheimdienste zu rechnen. Jetzt aber stand sie am ersten Tag als Aushilfslehrerin vor einer Gruppe aus zwanzig Jungen und Mädchen in gewöhnlichen Anziehsachen. Sie hatte Madame Dumas, der Leiterin der kleinen Dorfschule, einen vorläufigen Lehrplan für die Tricks der magielosen Welt und die wichtigsten Rechenarten übergeben. Was mögliche Englischstunden anging, wollte sie zunächst einmal sehen, wie gut sie mit den Kindern klarkommen würde. Als dann das vielstimmige Lachen, Rufen und Kichern der Zehnjährigen in den Raum hineinbrandete stand sie einen Moment da, als wisse sie nicht, ob sie hier wirklich hingehörte. Dann nahm sie äußerlich ruhig etwas wie ein Bilderbuch aus ihrem strahlendblauen Arbeitsumhang und blätterte darin, wobei sie immer wieder Blicke zu den Kindern warf, die nun vollzählig im Klassenzimmer standen. Dann sagte sie laut aber entschlossen: "Guten Morgen zusammen!" Stille trat ein. Einige der kleinen Hexen und Zauberer grinsten amüsiert. Andere warfen Blicke auf die Aushilfslehrerin und auf die Tür, als warteten sie darauf, daß noch jemand hereinkam, Madame Dumas zum Beispiel. Doch niemand rückte nach. "Wir sind alle da", sagte Martha nun leicht lächelnd. "Also noch einmal, einen wunderschönen guten Morgen zusammen!" Die Kinder grüßten durcheinander. Martha Andrews lachte und brachtte einen Spruch an, den Professor Walker, die liberalste Lehrerin ihrer Fairmaid-Zeit und ihre erste Klassenlehrerin dort angebracht hatte. "Ist ja nett, daß ihr mich alle begrüßen möchtet. Aber wenn jeder meint, den anderen übertönen zu müssen höre ich das nicht gut. Also bitte alle zusammen!" Da parierten die zwanzig. Babette grinste Martha an. Diese ließ sich davon weder anstecken noch verunsichern. Innere Ruhe, nach außen den Eindruck, die Situation zu jeder Zeit im Griff zu haben, daran wollte sie sich halten. Als alle im Chor die neue Aushilfslehrerin begrüßt hatten forderte Martha Andrews alle auf, sich hinzusetzen, und zwar so, wie Madame Dumas es notiert habe. Die Kinder versuchten zwar, sie auszutricksen und sich anderswo als in der bekannten Sitzordnung hinzusetzen und dann so zu tun, als wären sie diejenigen welchen, die laut dem Plan dort zu sitzen hatten, doch Martha grinste nur leicht und meinte:
"Seid ihr nicht ein bißchen zu jung für den alten Trick? Den haben wir damals schon in der Schule ausprobiert. Aber da schon, als unsere Lehrer noch keine Sitzverteilung aufgeschrieben haben. Babette kenne ich ja, und die anderen von euch habe ich ja alle mal mit euren Eltern zusammen gesehen. Ihr kennt mich ja auch, wie ich merke. Warum bin ich jetzt hier? Weil der Zaubereiminister Didier findet, ich hätte gefälligst mit meinem Sohn, der bei euren älteren Geschwistern in Beauxbatons ist, aus diesem Land abzuhauen. Da aber da, wo ich herkomme, jemand ganz böses wartet, haben Madame Brickston, Madame Delamontagne und einige eurer Eltern beschlossen, daß ich erst einmal hierbleiben soll. Jetzt fragt ihr natürlich, was "die Muggelfrau" hier will." Einige nickten, außer Babette, die es ja quasi aus erster Hand mitgekriegt hatte. "Ich will euch zeigen, wie ihr euch von Verkäufern nicht am Zauberstab herumführen lassen müßt und wie das geht, Sachen genau zu vermessen, ohne sie umlaufen oder in die Hand nehmen zu können. Madame Dumas sagte, im letzten Jahr hättet ihr gelernt, wie das mit den Knuts, Sickeln und Galleonen ist. Möchte mir das noch mal jemand erklären?" Sie blickte sich um. Niemand hob die Hand. Babette lauerte wohl darauf, wie Martha sich aus dieser Lage herauswinden konnte. Doch die machte es ganz kurios. "Hmm, dann muß ich wohl die Notiz lesen." Sie nahm einen Zettel und tat so, als lese sie ihn. Dann sagte sie: "Achso, eine Galleone sind zehn Sickel und jede Sickel sind hundert Knuts. Also sind wie viele Knuts nötig um eine Galleone zu tauschen?" Ein verwundertes "Häh?" und "Höh?" erklang. Dann stand einer der Jungen auf, Baudouin Pierre, der Enkel des Sicherheitsleiters: "Das stimmt doch nicht. Eine Galleone sind siebzehn Sickel und eine Sickel sind neunundzwanzig Knuts. Da hat Ihnen Madame Dumas was falsches aufgeschrieben." Die meisten Kinder lachten erheitert. Martha ließ es geschehen und wartete einige Sekunden, bis sie sich wieder beruhigten.
"Sie hat mir gar nichts aufgeschrieben", sagte sie dann ganz entschlossen, ebenso, wie eine unumstößliche Wahrheit halt verkündet werden kann."Aber danke für die Wiederholung. Also noch mal, wie viele Knuts sind eine Galleone?" Die Kinder sahen sie nun verdutzt an. Hatte die Muggelfrau sie ausgetrickst oder sich nur vertan? Babette hob die Hand. Sie wollte offenbar zeigen, daß ihr Vater ihr das Rechnen gut beigebracht hatte. "Vierhundertdreiundneunzig, Madame Andrews", sagte sie. Die anderen mußten wohl grübeln oder wollten die Antwort nicht rausrücken. Baudouin Pierre kam wohl als nächster auf diesen Wert und meinte dann: "Na und. Keiner zahlt nur in Knuts, wenn was mehrere Galleonen kostet."
"Tja, aber du kriegst beim Bezahlen doch Geld wieder", wandte Valerie Charpentier, die jüngste Tochter des amtierenden Ratssprechers ein. Babette nickte. Die anderen fragten sich, was die Wiederholungsstunde sollte. Das mit dem Geld hatten sie doch schon letztes Jahr durchgekaut. Da nahm Martha aus ihrem Umhang einen Beutel und schüttete eine Menge Bronzemünzen auf ihr Pult. "Dann zähle mal einer schnell durch, wie viele Galleonen ich für das alles hier kriegen würde!" Sie hatte Catherine und Madame Dumas gebeten ihr auf zwei Galleonen nur Bronzeknuts herauszugeben. Da lagen also jetzt neunhundertsechsundachtzig Knuts auf dem Pult. Keiner konnte so schnell durchzählen, auch wenn gerade die Jungen, die sich den Mädchen in sowas überlegen fühlten es probierten, ohne die Geldstücke anfassen zu dürfen. Dann ordnete Martha die Geldstücke so, daß jeweils neunundzwanzig in einer Reihe lagen und zwei mal siebzehn Reihen untereinander lagen. Babette führte dann vor, wie sie eine Reihe durchzählte und dann die gesamtzahl der Reihen zählte. Alle sahen ihr verunsichert und teilweise argwöhnisch zu. Doch weil jeder das irgendwie nachmachen konnte, war da nichts total komisches dabei. Als Baudouin dann wie Babette auf die Zahl für zwei Galleonen kam, meinte Martha "So ähnlich geht das, wenn ich andere Sachen habe, von denen es sehr viele gibt. Ihr bildet gleichlange Reihen und zählt durch. Dann zählt ihr die Reihen zusammen. - Zu anstrengend? Habe ich auch nicht sofort kapiert", sagte Martha. Dann lies sie sich von jedem vorführen, ob er oder sie das kleine Einmaleins schon konnte, wobei Babette und Baudouin die fittesten waren. Dann fragte sie nach dem großen Einmaleins. Doch damit hatten sie sich in dieser Klasse bisher nicht befaßt, auch wenn siebzehn mal neunundzwanzig schon in diese Richtung der Rechenkunst fiel. So wies sie die kleinen Hexen und Zauberer an, auf einem Blatt Pergament alle Zwischenergebnisse des Einmaleins mit siebzehn von eins bis dreißig zusammenzuschreiben und führte an der Tafel vor, wie sie das meinte. Dann sagte sie, daß da wo sie herkämen die achtjährigen Jungen und Mädchen das schon ausprobierten, weil sie das schriftlich lernten. Sie zerlegte die Zal siebzehn in die Zahlen zehn und sieben und fing links mit eins an, dann zehn, sieben und rechts davon siebzehn. So konnten die Schüler an der Zahl ganz links lesen, wie oft malgenommen wurde, dann aus dem Wissen um die erlernten Ergebnisse die Zahlen für sich malnehmen und rechts davon zusammenzählen. Dann wartete sie, bis die kleinen Hexen und Zauberer ihre Pergamente vollgeschrieben hatten. Sie schrieb die korrekten Ergebnisse nun an die Tafel und las an den Gesichtern ab, wer sich gar nicht bis sehr häufig verrechnet hatte. Baudouin und Babette erwiesen sich wohl als große Rechenkünstler. Der Enkel Monsieur Pierres merkte an, daß es schon interessant sei, daß bei mit zehn malgenommenen Zahlen eine Null an die eigentliche Zahl angehängt werden brauchte. Auch lernten die Schüler in der Stunde noch das schriftliche zusammenzählen und erfuhren, was eine Kettenaufgabe war. Babette fügte ein, daß sowas bei den Muggeln von Maschinen durchgerechnet werden konnte. Martha bestätigte das, daß Rechenmaschinen beim Malnehmen ja nur eine Zahl so häufig dazuzählten, wie sie malzunehmen war, also sieben und sieben und sieben. Genau so hätten sie das gerade ja gemacht. Dann sagte sie noch, daß es einfacher sei, bei großen Zahlen ein bestimmtes Ergebnis zu kriegen, wenn die nächsthöhere oder niedrige Zehnerzahl aus dem Einmaleins genommen würde, eben wie bei den Knuts, wo dreißig mal siebzehn fünfhundertzehn sei und davon eben nur siebzehn abgezogen werden mußten, um auf die bereits bekannten vierhundertdreiundneunzig zu kommen. Natürlich war das für die kleinen, noch recht verspielten Kinderköpfe viel auf einmal, und sie übte mit ihnen nur das schriftliche zusammenzählen weiter. Das hatte noch keiner von ihnen gelernt. Am Ende der zwei langen Schulstunden sah sie die Zehnjährigen erschöpft aus dem Klassenzimmer trotten. Madame Dumas würde nach ihr den Französischunterricht machen. Anschließend würden die Übergangsklässler die einfacheren Zaubersachen durchnehmen. Sie, Martha, sollte dann mit den siebenjährigen Schülern das einfache Zusammenzählen und Abziehen durchnehmen. Der Nachmittag war dann für alle frei, beziehungsweise, es ging nur noch um die Hausaufgaben. Natürlich sprach es sich schnell rum, wie Muggel größere Zahlen auf Pergament schnell zusammenrechnen konnten. In den nächsten Tagen wollte sie dann neben dem Malnehmen das Teilen durchnehmen, um die Kinder mit der Bruchrechnung vertraut zu machen, erst mit den üblichen Brüchen und am Ende des Jahres, sofern sie nicht wegen nicht mehr vorhandenen Muggelabwehrhemmtrankes ausreisen mußte, auch das Dezimalrechnen. Das wollte sie dann immer mit anschaulichen Beispielen verknüpfen, wie man was ausmaß. Bei der Gelegenheit würde sie den Dreisatz auch noch unterbringen. Julius hatte ihr erzählt, daß dieser Rechenkniff vielen Zauberern vor Hogwarts oder Beauxbatons nicht beigebracht worden sei. Auf jeden Fall waren die kleinen Hexen und Zauberer besser diszipliniert als ihre damaligen Mitschüler. Sie wußte auch, daß nur lernte, wer das für interessant hielt, was er oder sie zu lernen hatte. Also mußte sie es interessant machen, was sonst langweilig oder nicht besonders wichtig rüberkam. Julius hatte ihr den Unterricht von Binns und den von Pallas beschrieben. So konnte Geschichte außer bloßen Zahlen und Namen auch in ihrer Entwicklung und ihren schönen und schlimmen Abschnitten vermittelt werden. Ähnlich mußte sie das also mit der einfacheren Mathematik machen.
Als sie nach einem Mittagessen mit den drei anderen hauptamtlichen Lehrern zum Haus Professeur Faucons zurückkehrte, hörte sie schon von weitem das Schnauben und Rattern der Dampfmaschine. Eine dichte Menschentraube umstand das Haus der Beauxbatons-Lehrerin. Dichter weißer Dampf wehte über ihren Köpfen. Monsieur Castello schlug ein ums andere mal die Hände vor das Gesicht und knirschte mit den Zähnen, während Florymont Dusoleil höchst interessiert auf die paffende und qualmende Eisenkonstruktion blickte, an der gerade Joes tragbarer Computer hing, um aufgeladen zu werden. Es wurde heiß diskutiert, ob dieses Gerät da wirklich erlaubt sein sollte und ob Joe nicht ohne das Elektrozeug auskommen konnte, wenn er dafür eine so heftig laute und qualmende Maschine zum Antreiben brauchte. "Weiß Blanche, daß dein Mann dieses Ungetüm da mitgenommen hat, Catherine?" Fragte der zopfbärtige Zauberer, der vor etlichen Jahrzehnten mal ein großer Quidditchspieler gewesen sein sollte.
"Ich habe ihr erzählt, daß mein Mann seine kleine Rechen- und Informationsverwaltungsmaschine mitgenommen hat, Antoine. Sie wird sich denken können, daß irgendwoher der dafür nötige elektrische Strom kommen muß, wo es in Millemerveilles keine Quelle dafür gibt", rief Catherine über das hier ungewohnte, ja doch auch störende Getöse der Dampfmaschine hinweg. Joe sah den älteren Zauberer entschlossen an und sagte: "Wenn ich hier nicht nur dumm und träge herumhängen will, Monsieur Castello, brauche ich meinen kleinen Computer, und der braucht Strom. Ich werde die Maschine nur anwerfen, wenn die Kraftzelle im Gerät neu aufgeladen werden muß. Ich werde die üblichen Ruhezeiten einhalten."
"Das Ding ist laut und stinkt nach verbranntem Holz", knurrte Castello und machte Anstalten, nach dem Zauberstab zu langen. Doch Florymont meinte dazu:
"Ich verstehe, daß dich das Ding nervt, Antoine. Aber solange starke Elektrizitätszauber diese kleine Rechenmaschine da stören und nicht antreiben muß Joe wohl mit diesem Krachgerät rumhantieren."
"Kein gescheiter Mensch braucht dieses Muggelding hier", knurrte eine ebenso entrüstete Hexe aus der Nachbarschaft. "Das ist doch völliger Unsinn, damit arbeiten zu müssen. Catherine ist hier willkommen und kann hier alles haben. Sie müssen nicht mit diesem eisernen Teufelsding da herumlärmen, weil Sie denken, irgendwie ihren Lebensunterhalt verdinen zu müssen. Stellen Sie dieses Getöse ab! Sonst mach ich das."
"Yvette, mein Mann würde hier eingehen, wenn er nicht mitbekommt, was da wo seine Eltern herkommen gerade passiert. Also laß ihm bitte den Generator", erwiderte Catherine. Doch da hatte die angenervte Hexe bereits ihren Zauberstab gezückt und deutete auf die Dampfmaschine. Mit einem unschönen Knirschen blieb der Kolben stehen. Das Paffen und Schnaufen erstarb schlagartig. Joe verzog sein Gesicht und machte eine wegscheuchende Handbewegung gegen die schwarzgelockte Hexe mit der Silberrandbrille auf der Nase. Dann warf er einen besorgten Blick auf den Druckmesser und zog schnell einen Hebel, worauf ein dünner Dampfstrahl pfeifend aus einem Ventil entfuhr. ER öffnete die Feuerung und kippte einen halben Eimer Wasser auf die glühende Holzkohle. Es zischte laut. Eine große, weiße Dampfwolke quoll hervor und nebelte alles und jeden ein. Dann war die Glut abgekühlt, und das Pfeifen des aus dem Überdruckventil strömenden Dampfes ebbte ab. Doch das reichte der Hexe Yvette nicht. Mit einer ungesagten Zauberei ließ sie die Dampfmaschine zusammenschrumpfen. Joe konnte gerade noch den Stecker aus der angeschraubten Steckdose reißen, bevor sein Generator immer kleiner wurde und dann einfach aufstieg. Catherine winkte noch mit ihrem Zauberstab, um das wertvolle Stück Technik zurückzuhalten. Doch da ließ Yvette den Nachbau der von James Watt erfundenen Maschine einfach verschwinden. "Die bleibt jetzt bei mir, Catherine, bis deine Mutter geklärt hat, ob dieses obszöne Ungetüm hier weiter rumfauchen und qualmen darf. Ich werde ihr heute noch einen Brief schreiben und sie fragen, ob sie noch bei Verstand ist, diesen Muggel da mit seinen Luftverpesterapparaturen und Elektroutensilien herumhantieren zu lassen. Empfehle mich!" Mit diesen Worten disapparierte die Hexe Yvette mit einer sehr energischen Drehung.
"Okay, Catherine, deine Leute hier wollen mich nicht so nehmen wie ich bin. Muß ich wohl akzeptieren. Dann bring mich entweder zu einem Haus mit gescheiter Stromversorgung oder teleportiere mich an einen Flughafen, damit ich bis auf weiteres aus dem Land verschwinden kann, wenn die halbe Zaubererwelt hier aus dem Ruder gelaufen ist!" Schnaubte Joe und prüfte den Ladezustand des Laptops, der noch zu weit unten war, um damit mehr als zwei Minuten Betriebszeit hinzubekommen. Das würde gerade zum Hochfahren des Betriebssystems reichen. Abgesehen davon, wußte Martha, daß es Akkus nicht sonderlich gerne hatten, wenn sie unzureichend aufgeladen wurden. Sie schwächelten dann irgendwann und mußten ausgetauscht werden. Sie selbst hatte nur ihr Mobiltelefon mit. Und das würde sie zunächst nicht einschalten, weil ja immerhin versucht werden mochte, sie über das Anmeldesignal zu orten. Viele wollten es ja nicht wahrhaben, daß sie mit einem tragbaren Telefon einen Peilsender herumschleppten. Irgendwann würde es findige Geschäftemacher geben, die das Orten von Mobiltelefonen als Dienstleistung anboten, um eifersüchtigen Ehepartnern zu helfen, ihre angeblich untreuen Partner auszuspionieren. Jetzt, wo sie damit rechnete, daß die Polizei oder die Geheimdienste schon bei der Rue de Liberation 13 angeklopft haben mochten, kam ihr dieser Anstieg der Mobilfunktechnologie eher beängstigend als erfreulich vor.
"Joe, ich habe dir gesagt, du möchtest den Generator nicht hier draußen anwerfen. Ich habe extra einen leeren Kellerraum für dich freigehalten. Aber du meintest ja, die Nachbarn hier mit dem Krach und dem Dampf gegen dich aufbringen zu müssen."
"Schick deiner Mutter eine Nachricht, daß die hier immer noch so verstockt und hinterweltlerisch sind!" Schnarrte Joe sichtlich gereizt. Babette stand bei ihrem Vater und blickte ihn eingeschüchtert an. Catherine blieb jedoch ganz ruhig, als sie sagte:
"Ich kläre das mit meiner Mutter, wo du den Generator laufen lassen kannst. Sie mag die Elektrosachen zwar auch nicht recht, sieht aber ein, daß du ohne Neuigkeiten aus deiner Welt nicht ruhig leben kannst. Warte bitte noch bis morgen! Dann kriegen wir das hin."
"Deine Mutter hat mich schon blöd angeglotzt, als ich das erste Mal nur für ein paar Tage mit dem Laptop hier angerückt bin. Und was hat diese schwarzgelockte Furie da gerade gesagt? Die Sachen seien obszön, also ungehörig. Wer sowas behauptet, dem ist doch nicht zu helfen, Catherine."
"Wir brauchen sowas hier auch nicht", knurrte Castello, der in die Richtung sah, wo die Hexe Yvette gerade noch gestanden hatte. Joe sah ihn verärgert an und blaffte:
"Neh ist klar, ihr könnt ja alles mit eurem Zauberstab machen. Ihr habt ja keine Sachen nötig, die mehr Kraft aufbringen, als ihr in euren Armen habt oder die Übermittlung von wichtigen Nachrichten oder direkte Gespräche möglich machen. Ihr lebt hier unter eurer Käseglocke und hofft, daß euch hier keiner euren Frieden kaputtmacht. Ist doch scheißegal, wenn anderswo alles zusammenfällt oder Leute raushaben, wie sie sich das komplizierte Leben leichter machen können. Hauptsache ihr hier lebt so beschaulich wie vor vierhundert Jahren schon."
"Joe, jetzt ist es genug", knurrte Catherine, während diverse Zuschauer Anstalten machten, ihre Zauberstäbe zu ziehen. Sie stellte sich vor Joe hin, einen halben Kopf kleiner als er. Doch irgendwie schien sie doch größer und größer zu werden. "Ich habe dir gesagt, daß du diesen Generator mitnehmen kannst, wenn wir das hinkriegen, ihn ohne die anderen zu stören laufen zu lassen, weil du das ganz genau wußtest, daß die hier nichts von nichtmagischen Maschinen halten. Ich habe es auch mit Maman geklärt, daß du zwischendurch diesen Elektrostromspeicher nachladen mußt, mit dem dein tragbarer Rechner läuft. Ich habe nicht gewußt, wie schnell dieses Ding nachgeladen werden muß. Du hast gestern mehrere Stunden damit rumhantiert. Ich habe dir geraten, die Zeiten besser einzuteilen, damit der Generator nicht dauernd angefeuert werden muß. Aber du wolltest nicht hören. Jetzt hast du die Quittung dafür gekriegt. Das bringt dir überhaupt nichts, jetzt auf die alle hier zu schimpfen. Ja, sie brauchen keinen Strom. Auch haben die keine Ahnung davon, wie Strom gemacht werden kann. Und sie möchten hier friedlich leben, wo jetzt im ganzen Land die Angst umgeht und der Zaubereiminister selbst noch ein Zwangsregime eingerichtet hat. Die haben außerhalb dieser - wie nanntest du es? - Käseglocke Freunde und Verwandte, die jetzt Angst haben müssen, entweder von Dementoren, den Helfern des Wahnsinnigen oder Didiers Sicherheitsfanatikern angegangen zu werden. Ich kläre es mit Maman, wie wir deinen Rechner am laufen halten können. Falls sie nicht einverstanden ist, daß du den Generator hier weiterbetreibst, kriege ich das hin, daß du zumindest einmal in der Woche eine Zeitung aus Marseille zu lesen kriegst, wenn du Nachrichten aus deiner Welt brauchst, was ich verstehen kann und ..."
"Da geht's doch los, Catherine. Deine und meine Welt. Ich dachte, du würdest das verstehen, daß ich gewisse Standards gewöhnt bin und nicht einfach so ins finstere Mittelalter zurückgebeamt werrden will. Aber offenbar läßt du dich von den Leuten hier komplett einschüchtern. Martha, sag du auch was dazu!" Wandte sich Joe noch an Martha Andrews. Alle Umstehenden erkannten jetzt, daß Julius' Mutter auch da war. Sie überlegte kurz und sagte:
"Ich lernte, daß wer in Rom ist wie ein Römer leben lernen soll, Joe. Ich habe es verstanden, daß die mit unserer Technik hier nichts anfangen können und sie deshalb etwas verstimmt reagieren. Deshalb wollte ich das Mobiltelefon nur innerhalb des Hauses benutzen oder an einem Ort, wo es keinen stört. Abgesehen davon, daß ich es im Moment nicht wagen würde, damit zu telefonieren. Also versuch dich bitte etwas abzuregen."
"Klar, du machst dich ja schön annehmbar, weil du deren Kindern hier meinst was beibringen zu können, was deren Eltern selbst wohl nicht nötig haben", knurrte Joe. "Ich wußte ja schon, daß die hier nix von Technik halten. Aber das sie das nicht respektieren, wenn jemand sowas braucht, um einen gewissen Lebensstandard zu halten ... Babette soll wohl dann auch nichts mehr mitkriegen, was außerhalb dieses Ortes hier abgeht, wie?"
"Joe, ich habe den Leuten hier versprochen, den Kindern das beizubringen, womit sie was anfangen können und was für dich und mich genauso wichtig ist wie es für die Leute hier ist. Die müssen ja ihr Geld zusammenzählen können und dieses oder jenes mehr berechnen. Ich möchte ihnen nur soweit helfen, wie ich noch Sachen weiß, die ohne Maschinen oder weitergefaßte Mathematik zu begreifen sind. Das könntest du auch. Dann würdest du dich auch nicht langweilen, glaub's mir!"
"Du hast dich schon immer hübsch angepaßt, Martha. Sieh zu, wie du damit zurechtkommst. Ich war der Meinung, hier einen gewissen Lebensstandard halten zu können. Aber dem ist wohl nicht so, und Catherine duckt sich vor diesen Leuten hier auch noch. Sonst hättest du dieser Alten nicht durchgehen lassen, daß die meinen Generator wegzaubert, Catherine. Das ist Diebstahl. Sie ist keine Polizistin, die was beschlagnahmen darf. Und ich habe nichts verbrochen, daß mir dafür was weggenommen werden darf. Oder hat euer paranoider Obermagier jetzt auch alles sogenannte Muggelzeug als gefährlich eingestuft?"
"Er könnte auf die Idee kommen", wandte Catherine ein, während die hier umstehenden Hexen und Zauberer gespannt verfolgten, wie diese Grundsatzdiskussion weiterging. "Wie gesagt, Joe. Das ist das Haus und Grundstück meiner Mutter. Sie hat unter dem Vorbehalt, daß wir behutsam mit deinen Geräten umgehen erlaubt, daß du sie am laufen hältst. Könnte jedoch sein, daß sie sich von ihren Nachbarn wie Monsieur Castello oder Madame Bouvier beknien läßt, den Dampfgenerator hier nicht mehr zu benutzen. Dann muß es eben ohne Computer und Funktelefon gehen, Joe. Kapier es bitte, daß wir alle gerade in einer ziemlich brenzligen Lage leben und nicht wissen, ob und wie wir und alle die uns wichtig sind da wieder rauskommen! Du hast das Schlangenmonster genauso gesehen wie ich. Sei froh, daß wir unter der Schutzglocke von Millemerveilles vor diesem Ungeheuer sicher sind. Pétain wollte davon ja nichts wissen, als ich es seiner Abteilung meldete. Der verlangt Marthas und meine bedingungslose Auslieferung. Was anderes ist dem nicht mehr wichtig. Also überlege dir bitte, was dir wichtig ist. Die leblosen Dinger wie ein Laptop oder eine Dampfmaschine oder daß du mit deiner Familie an einem sicheren Ort weiterleben kannst, ohne für unbestimmte Zeit in einen magischen Tiefschlaf versenkt zu werden. Martha hat sich dafür entschieden, erst einmal hierzubleiben und das beste daraus zu machen. Das kannst du auch."
"Ich habe mich nur entschieden, mit euch zu kommen, weil ich dein Wort hatte, daß Babette und ich hier nicht verblöden oder hinter dem Stand der Ereignisse zurückbleiben. Kuck dir mal Julius an. Der hat doch damals nix mitgekriegt, was mit seinem Vater war", versetzte Joe. Martha Andrews zuckte leicht zusammen und schnarrte dann: "Joe, das Thema ist jetzt echt nicht gefragt hier."
"Ach ja? Der mußte sich doch erst in ein Internetcafé schleichen, um die Sachen über Richard rauszukriegen, hat dabei mit dieser Brittany das Vertrauen dieser Jane Porter mißbraucht, weil die dachte, ihn gut unter Kontrolle halten zu können." Martha Andrews trat vor und sagte sehr energisch: "Joe, ich habe es mit Catherine damals so abgeklärt, daß ich dem Jungen erzähle, was Richard vorgeworfen wurde. Was wirklich passiert ist konnte ich ja da selbst nicht ahnen, und du ganz bestimmt auch nicht. Also hör jetzt bloß damit auf! Nur weil die deine kleine Dampfmaschine hier nicht haben wollen mußt du nicht wieder in dieses kindische Gequängel verfallen, daß du eigentlich schon abgelegt hast. Was soll denn Claudine von einem Vater halten, der sich selbst noch wie ein Baby benimmt, dem man den Schnuller weggenommen hat?" Babette blickte von Martha zu ihrem Vater und zurück, während einige der Umstehenden schadenfroh grinsten, auch Antoine Castello. Joe funkelte sie wütend an. Er wußte, daß er auf verlorenem Posten stand, wollte aber nicht zurückstecken, auch wenn ihm sämtliche Munition fehlte, um weiterzustreiten. Martha legte noch nach. "Wie erwähnt, das mit Richard war meine Sache. Wenn ich das gewollt hätte, hätte Julius das einen Tag nach der ersten schlimmen Fernsehmeldung erfahren. Und du warst damals auch dafür, daß ich es ihm erklären soll. Also tu jetzt bloß nicht so, als lebten hier alle hinterm Mond, nur weil die eben keine Computer und kein Fernsehen nötig haben!"
"Dein Sohn hat sich doch schon freigestrampelt, Martha. Du mußt dich seinetwegen nicht bei allen hier beliebt machen", spie Joe aus. Martha trat noch einen Schritt näher zu ihm hin. "Ursulines Klüngel hat ihn jetzt sicher. Die brauchen dich dafür nicht mehr und ..." Klatsch! Marthas mühsam unterdrückter Ärger entlud sich in einer Ohrfeige auf Joes rechter Wange. "Das war eindeutig zu viel", schnarrte Julius' Mutter, die fühlte, wie ihr Tränen der Wut in die Augen stiegen. Doch sie wollte hier nicht weinen. Weder aus Wut noch aus Trauer. Sie hatte ihr Leben darauf ausgerichtet, überall die Ruhe zu bewahren und nach außen eine unerschütterliche Sicherheit auszustrahlen. Was Joe ihr und allen Umstehenden an den Kopf geworfen hatte schmerzte mehr als diese Backpfeife. Joe starrte Martha total verdutzt an, während einige der Hexen Martha beipflichtend zunickten und zwei Zauberer nun lauernd auf Joe blickten, wie der den Schlag wegstecken würde. Dann wandte sich Joe Brickston seiner Frau zu und sagte verächtlich:
"Meine Meinung ist also hier nicht wichtig. Macht das also unter euch aus, ob ich hier noch irgendwas zu suchen habe oder nicht!" Dann ging er in das Haus Professeur Faucons. Catherine sah Martha an, die jetzt erst wieder genug Selbstbeherrschung aufbieten konnte, um nicht loszubrüllen. Sie sagte dann laut genug für die anderen:
"Mein Mann ist mit diesen Gerätschaften aufgewachsen und hat sein Berufliches Leben darauf ausgerichtet. Ihm das jetzt wegzunehmen ist so, als würde man ihm einen Arm oder ein Bein abhacken. Überlegt euch bitte alle mal, was ihr machen würdet, wenn ihr ohne Zauberstab leben müßtet, weil das anderen zu obszön erscheint? Die meisten von euch wissen ja, daß unsere Geheimhaltungsgesetze ja nur deshalb so strickt eingehalten werden, weil die magielosen Menschen uns Hexen und Zauberer für böse und unanständig hielten, Angst vor uns hatten und uns deshalb gehaßt haben wie die Pest. Deshalb leben die Hexen und zauberer von den Muggeln getrennt. Deshalb ist es nicht erlaubt, den Muggeln durch Magie zu helfen, ihren Alltag zu bewältigen. Deshalb haben diese Maschinen gebaut, mit denen sie fliegen, die eine Form von Kraft erzeugen, die Lichter leuchten läßt und Wörter, Musik und Bilder durch die Luft schicken lassen kann. Wenn wir hier alle so intolerant diesen aus reiner Notwendigkeit zum besseren Leben erfundenen Maschinen und ihrer Kraftquellen gegenüber auftreten sind wir weder besser als die ganzen Hexenjäger von damals, die auch manche echten Zauberer ermordet haben und schon gar nicht besser als Sardonia, die die magielosen Menschen nur als niedere Arbeitstiere ansah. Und gerade hier in Millemerveilles, wo Sardonia ihr Machtzentrum hatte, sollte eine derartige Intoleranz besser keinen fruchtbaren Boden mehr finden. Die Magier außerhalb von Millemerveilles sind schon verrückt genug, der Unnennbare, Didier und deren willige und unfreiwillige Helfer. Da müssen wir hier nicht auch noch anfangen, jemanden nur wegen ein paar technischer Spielereien runterzuputzen. Wie wohl schon fünfmal gesagt kläre ich das mit meiner Mutter, wie wir alle hier ohne uns gegenseitig auf die Nerven zu gehen auf gewohnte Lebensarten beharren können, mein Mann genauso wie Martha, die ja zugesagt hat, euch und vor allem euren Kindern hier was nützliches beizubringen, ihr alle, Babette, Claudine und ich. So, und jetzt geht bitte nach Hause! Hier wird in den nächsten Stunden nichts interessantes mehr passieren." Als Catherine diese mit einer von ihr selten gehörten Strenge gehaltene Ansprache beendet hatte trollten sich die Nachbarn wortlos. Martha atmete tief ein und aus. Dann sagte sie zu Catherine: "Geh bitte nicht davon aus, daß ich mich bei Joe für die Maulschelle entschuldigen werde, auch wenn er jetzt noch ungenießbarer auftreten sollte als eben noch! Was er über Richard und Julius gesagt hat tat mir mehr weh als der Schlag von mir ihm wehgetan haben kann. Auch was er über Ursuline gesagt hat. Das klang doch so als hätte ich meine Schuldigkeit getan, ihrer Familie den passenden Nachwuchsproduzenten zugeführt zu haben. Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan oder sowas. Das war unverschämt. Ich habe nicht damit gerechnet, daß Joe derartig auskeilt wegen einer dummen kleinen Dampfmaschine. Ich weiß zwar nicht, ob ich das lange durchhalten kann, keinen Computer benutzen zu können. Aber ich habe mir hier was ausgesucht, was mich beschäftigt. Das hätte er auch tun sollen. Damit hätte er sich ein großes Maß an Respekt verdient. Aber er findet ja, daß ich mich hier klein gemacht hätte. Am besten siehst du zu, daß er mit einem Flugzeug zu seinen Eltern fliegen kann. Wer sie sind weiß ja außer uns keiner. Vielleicht lernt er dann, was er an dir, mir und den Leuten hier besser gehabt hätte."
"Martha, ich habe dich davon überzeugen können, mit uns zusammen herzukommen, weil ich weiß, daß wir nirgendwo anders mehr wirklich sicher leben können. Du bist hier, weil du wohl zu recht fürchten mußt, daß Didier eine Lügenkampagne gegen dich lostritt und eure Nachrichtendienste und Polizeibehörden dich jagen könnten, sobald du irgendwelche Spuren in der Muggelwelt hinterläßt. Und ich würde eher einen Drachen küssen als Joe nach England zu schicken, wo der Mörder meines Vaters Leute wie ihn ohne jede Skrupel umbringt, nur weil er das kann." Es krachte außerhalb der Grundstücksgrenze. Camille Dusoleil stand da zusammen mit Madame Dumas, deren Tochter Sandrine ihr jetzt ziemlich gut ähnelte.
"Florymont erzählte was, daß es wegen eines Schnauferdings zum Elektrostrommachen Krach mit Madame Bouvier gegeben hat", sagte Camille. Madame Dumas nickte beipflichtend. "Du hättest dann alle weggeschickt, Catherine", fügte sie noch an. "Florymont möchte jetzt wissen, ob es keine andere Möglichkeit gibt, Elektrostrom zu machen als von Dampf gedrehte Räder?"
"Wenn ihr hier einen Staudamm hättet, und das Wasser zwischendurch über ein Mühlrad laufen lassen könntet, das mit einem Generator, also einem Strommacher verbunden ist", sagte Martha. Camille schüttelte den Kopf. "Sonne habt ihr hier zwar viel, aber um genug Strom zu machen müßten wir Madame Faucons Haus mit großen Solarzellen bepflastern. Und das könnte die Anwohner annerven, weil das nicht mehr in die übliche Architektur hier reinpassen könnte. Ansonsten müßtet ihr irgendwo eine Überlandleitung nach Marseille anzapfen, um da Strom wegzunehmen. Aber das wäre Diebstahl, weil es Geld kostet, diesen Strom herzustellen und die Leute, die ihn benutzen dafür bezahlen."
"Solarzellen, was soll denn das sein?" Fragte Camille.
"Das sind flache Gegenstände, in denen Kristalle drinstecken, die ohne Magie Sonnenlicht in elektrischen Strom verwandeln. Das könnte ich euch jetzt lange und breit mit mir selbst nicht restlos bekannten Sachen beschreiben ... würde euch damit aber wohl eher langweilen."
"Ach wie Pflanzen ihre Kraft aus der Sonne ziehen?" Fragte Camille. Martha nickte verhalten. "Nicht genau so", erwähnte sie. "Pflanzen sind da wesentlich wirkungsvoller. Außerdem machen die mit dem Sonnenlicht keinen Strom sondern nur eigenes Körpergewebe. Aber das muß ich einer Pflanzenfachfrau ja echt nicht erklären", erwiderte Martha und mußte grinsen.
"Julius hat uns damals was aus einem Buch über Sonnenmagie zusammengefaßt. Er erwähnte bei der Gelegenheit auch, daß man mit dem Sonnenlicht Wasser kochen und auch diesen Elektrostrom machen kann, wollte aber wohl nicht genau darauf eingehen, wie das ging, weil das zum einen nichts mit den magischen Eigenschaften der Sonne zu tun hätte und zum anderen für uns hier wohl nicht wichtig sei", erwiderte Camille. Genivieve Dumas sah sie an. Babette wandte dann ein:
"Papa hat mir das mal so beschrieben, daß das Licht aus winzig kleinen Teilchen besteht, die durch dieses Zeug in den Solarzellen sausen und dabei elektrische Teilchen anschubsen, die dann aus irgendwelchen Gittern rausgeschlagen werden, so wie bei dem Spiel, die Reise nach Jerusalem. Wenn dann von außen was angeschlossen wird, rutschen die ganzen Stromteilchen wieder zurück, weshalb ja überhaupt Strom fließt. Ist also wohl so ähnlich wie wenn Dominosteine umgeworfen werden. Das ist nicht so schwer zu kapieren."
"Ein bißchen komplizierter ist es schon. Vor allem wenn es nicht ausreicht, das Prinzip zu erklären, sondern jemandem zu erklären, wie genau diese Zellen gebaut werden müssen, um das so hinzukriegen. Außerdem ist der Wirkungsgrad noch immer ziemlich gering. Um den Computer von deinem Vater aufzuladen müßten mehrere Zellen auf dem Dach angebracht werden, möglichst so, daß die Mittagssonne darauf scheint", sagte Martha. "Keiner von uns weiß, wie er sowas montieren muß. Und Leute, die das können sind keine Zauberer, die mal eben hier hereinkommen können."
"Wirkungsgrad? Was ist das?" Wollte Genivieve Dumas wissen. Martha erwähnte, daß das besagte, wie viel von der hereinkommenden Sonnenlichtenergie in elektrische Arbeitsenergie verwandelt werden könne und daß das bei Solarzellen wohl gerade um die zwei bis drei Zehntel wären. "Wäre also so, als wenn nur zwei bis drei von zehn umfallenden Dominosteinen einen anderen umwerfen." Das verstanden Camille und Genivieve Dumas. Dann meinte Camille: "Ich weiß die Umrechnungswerte nicht auswendig, weil ich die Pflanzen so beobachte und nicht andauernd hinterherrechne. Aber es gibt genug Texte über die Umwandlung von Sonnenlicht in lebendes Pflanzengewebe. Gibt's sowas auch für Elektrostrom aus Sonnenlicht?"
"Bestimmt. Aber ich bin keine Physikerin, also keine, die das gelernt hat, eine Form von Energie in eine andere umzuwandeln. Ich kenne mich da nur so weit aus, wie ich mich wie andere Laien aus dem Fernsehen fortbilden kann. Mein Mann hatte davon etwas mehr Ahnung, weil sein Schulfreund Bill Maschinenbau und Starkstromerzeugung studiert hat. Der meinte mal, daß wir einen ganz neuen Stoff erfinden müßten, um die unerschöpfliche Sonnenenergie so umzuwandeln, daß über die Hälfte davon wirklich genutzt werden kann. Wie gesagt, das müßte dann ohne Zauberei gehen, weil ja sonst diese Störung an elektronischen Geräten bleibe." Camille nickte.
"Müßten wir wissen, wie das mit der Verwandlung genau läuft. Dann könnten Florymont oder Jeanne vielleicht sowas zusammenrühren, wo die Magie nur einmal aufgerufen würde, um das Wandelzeug zu machen und danach nicht mehr wirken müßte. Zeichne mir das mal auf, wie das mit dem Anschubsen von Elektroteilchen geht, Martha. Oder kannst du das machen, Babette?"
"Kriege ich irgendwie vielleicht hin", sagte Babette nach einer kurzen Bedenkzeit. Dann holte sie ihr Malzeug aus dem Haus. Martha und sie malten dann zwei kreise wie Laufräder. Ein roter Kreis sollte die Solarzelle sein, und ein grüner der Stromabnehmer. Gelbe Kügelchen wie an einer Schnur stellten das einfallende Sonnenlicht dar. Das dauerte einige Zeit, weil Babette und Martha genau überlegen mußten, wie das ablaufen mußte, um logisch nachvollziehbar zu sein. Kurz vor dem Abendessen sagte Madame Dumas: "Florymont soll das mal durchdenken, ob er sowas bauen kann, wo er nur einmal zaubern muß, um das Endprodukt hinzukriegen, es aber ab dann ohne Magie arbeiten kann. Ist ja kein Perpetuum Mobile." Martha nickte. Camille nahm die Aufzeichnungen und bedankte sich. "Uranie hat das Buch über Sonnenmagie auch da. Wir kriegen das hin, ob wir Joe nicht so ein Stromerzeugungsding bauen können, das genug macht, um seine Elektrogeräte laufen zu lassen. Sonnenlicht haben wir hier ja doch noch genug."
"Ob Uranie das so toll findet?" Fragte Catherine.
"Wird sie davon abhalten, andauernd auf ihr Baby zu schimpfen. Das kann doch echt nichts dafür, daß sein Vater nichts mehr von ihr wissen wollte. Aber das erinnert mich daran, daß ich jetzt auch zusehen muß, noch was zum Abendessen hinzubekommen, bevor wir sechs alle verhungern müssen."
"Sechs?" Fragte Madame Dumas voreilig. Camille grinste wissentlich. Martha nickte ihr zu. "Die beiden kleinen Racker fangen an, sich zu bewegen. Dann haben die auch hunger, Geneviève." Sandrines Mutter nickte nun. Dann bedankte sie sich bei Martha und verließ das Grundstück Professeur Faucons, um unangefochten disapparieren zu können. Camille lächelte Catherine an und verabschiedete sich bis zum nächsten Tag. Dann verließ auch sie das Grundstück und disapparierte mit einem vernehmlichen Knall.
"Bis in den wievielten Monat dürfen schwangere Hexen apparieren?" Fragte Martha Catherine.
"Wenn es nach Hera ging dürften wir ab der klaren Feststellung, daß wir ein Kind erwarten nicht mehr apparieren. Dabei passieren Unfälle mit schwangeren Hexen seltener als mit Zauberern, die nicht genau auf ihre Zielausrichtung achten und deshalb was von sich zurücklassen. Instinktiv richten werdende Hexenmütter sich schon mit ihrem ungeborenen Kind zusammen auf das Ziel aus, machen es quasi zu einem Teil ihres eigenen Körpers. Gute Apparatorinnen können das schnell lernen, auch mit einem Kind im Bauch den Standort zu wechseln. Camille fliegt zwar ganz gerne auf einem Besen. Aber das hat ihr Hera wohl schon ausgeredet. Ich kenne die Dame ja nun sehr gut."
"Ich wollte nicht zu privat sein, Catherine", entgegnete Martha abbittend.
"Nachdem du Ursuline mit Zwillingen disapparieren sehen durftest und uns aus dem Club der guten Hoffnung ja sehr häufig gesehen hast ist das durchaus verständlich, daß du das wissen möchtest", rechtfertigte Catherine Marthas Neugierde. Dann bat sie die Mitbewohnerin darum, sie ins Haus zu begleiten, um ebenfalls zu Abend essen zu können.
Joe wechselte während des ganzen Abendessens mit keinem ein Wort. Auch als Babette ihm erzählte, was sie am Morgen in der Schule gemacht hatte ließ er sich nicht zu einer Bemerkung verleiten. Martha kannte es von Joe, daß er leicht einschnappen und sich dann stur stellen konnte. Wenn Catherine das auch kannte, würde sie damit wohl auch klar kommen. Catherine machte mit Martha und Babette Konversation und besprach die Nachrichten in der Zeitung. Sie führte an, daß wohl morgen ein Artikel gebracht würde, in dem sie beide wohl zu unerwünschten Personen erklärt würden. Zumindest würde Didiers Propagandamaschine lautstark verkünden, daß sie beiden nicht die sein konnten, als die sie auftraten. Martha bemerkte dazu nur, daß sie ja damit hatte rechnen müssen. Über die Papierbögen, die sie aus Paris mitgenommen hatte, wollte sie in Joes und Babettes Hörweite besser nichts erzählen. Und da Joe nicht mehr an seinen Computer konnte, weil dieser nach dem Hochfahren aus Energiemangel gleich wieder heruntergefahren war, blieb ihm nichts übrig, als in einem von Babettes Schulbüchern zu lesen, um zu sehen, was seine älteste Tochter in dieser Gemeinde fern jeder ihm vertrauten Zivilisation wichtiges lernen konnte.
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"Geht es dir gut?" Fragte Julius Darxandria, als sie in der Nacht zum Dienstag wieder mit ihm zusammen vor dem Uluru stand und ihm ailanorars magische Melodie vorspielte. Dabei strich ein warmer Wind um sie herum wie ein sie umtanzender Gefährte. Doch Darxandria wirkte leicht ermüdet.
"Offenbar mag das in mir wachsende Kind nicht, wenn ich in meiner ersten Erscheinung zu dir komme. Womöglich fühlt es sich dann eingezwengt. Zumindest aber merke ich einen gewissen Widerwillen, wenn ich meine frühere Gestalt annehme", seufzte Darxandria. "Deshalb möchte ich dich bitten, das Lied Ailanorars so schnell du kannst in dich aufzunehmen, damit ich mein neues Leben so unbeschwert wie möglich fortsetzen kann." So setzte sie die silberne Flöte, von der Julius nun wußte, daß es die aus Darxandrias Erinnerung bekannte Flöte des Windmagiers Ailanorar sein mochte, an ihre goldbraunen Lippen und spielte immer noch langsam den Lauf zauberkräftiger Töne. Julius ließ die Melodie wieder in sich einsinken und vermochte nun mehr Töne als vorher sicher zu behalten. Dabei fiel ihm auf, daß sie nicht alleine waren. Abgesehen von Darxandrias/Temmies noch unsichtbarem Kind meinte Julius, eine geisterhafte Erscheinung zu sehen, die vom heiligen Berg der australischen Ureinwohner herunterstieg. Ebenso meinte er, in weiter Ferne einen Mann in Fellen zu sehen, der eine durchsichtige Trommel in den Händen hielt und aussah wie ein Indianischer Medizinmann. Aber der weiße Pelz und die mit graubraunem Fell besetzten Stiefel sprachen für einen Bewohner aus dem hohen Norden, einen Medizinmann der Eskimos. Oder ließ sich so jemand Schamane nennen. Jedenfalls klopfte der hier nicht so ganz hinpassende Fremde, der im Moment auch nur wie ein Gespenst wirkte, lautlos den Takt der Melodie. Julius erkannte, daß es weder ein Dreivierteltakt wie im Walzer noch ein Viervierteltakt wie bei den meisten Popmusikstücken war. Einmal zerlegte der Geistertrommler die Melodie mit sechs und einmal mit sieben Schlägen. Julius merkte dabei jedoch, daß sein gerade im tiefen Traumzustand arbeitendes Empfinden die Melodie dadurch leichter einordnen konnte. Es ging nicht nur um die Töne, sondern tatsächlich auch um einen Rhythmus. Viermal wiederholte Darxandria die Melodie. bei jedem Malschienen sich der Geist vom Berg, der nun einem hier lebenden Stammesmitglied ähnelte und der Geist des Nordlandschamanen immer mehr zu verstofflichen. Die durch ihre Körper glitzernden Sonnenstrahlen wurden immer stärker gefiltert. Womöglich würden sie feste Form bekommen, wenn Julius die magische Melodie fehlerfrei in sich aufgenommen hatte. So lauschte er der Melodie und ließ sich von dem magischen Trommler den Rhythmus vorgeben, um die ihn erreichenden Töne besser zu ordnen. Er war im Moment in einem Zustand, der näher am Wachsein war als am Schlaf. Das alles hier war mehr als nur Traum. Darxandria hatte ihn empfindungsmäßig an diesen Ort geführt, weil es hier sein würde, daß er, falls man ihn ließ, Ailanorars Stimme erklingen lassen mochte, als erster Mensch seit wohl zehntausend Jahren. Seltsamerweise empfand er weder Ergriffenheit noch Aufregung bei dieser Vorstellung. Sie war für ihn so belanglos wie die Gewißheit, daß zwei und zwei vier ergab. Er wußte nicht, wie oft er die Melodie gehört hatte. Jedenfalls fühlte er sich schon sicher, ihr erstes Drittel fehlerfrei behalten zu haben. Da dröhnte das mexikanische Lied von der Küchenschabe wie ein Gewittersturm über ihn hinweg. Er sah noch, wie Darxandria leicht traurig die Flöte in leerer Luft verschwinden ließ, der Aborigine und der Eskimoschamane gleichzeitig verschwanden, bevor er übergangslos in seinem Bett aufwachte und "La Cucaracha" genau über seinem Kopf zum besten gegeben wurde. Er hatte noch nicht einmal die Möglichkeit gehabt, die magische Melodie in seinem Wachbewußtsein festzuhalten. Der neue Schultag hatte ihn nun eingeholt.
In der Zeitung erschien ein Artikel über weitere Vorladungen angeblich verdächtiger Zauberer. Ein Magier namens Germain L'Arian sollte angeblich den Plan der neuen Dementorenabwehr an "den mordlüsternen, hinterlistigen Feind von den Inseln" verkauft haben und sich der Befragung entzogen haben. Julius fragte sich, ob dieser Zauberer der Liga gegen dunkle Künste oder einer sonstigen Vereinigung angehörte, die Professeur Tourrecandide unterstützte. Doch als er las, daß die Oberhäupter der Familie Latierre ihren Mitgliedern geraten hatten, sich dem Ministerium zu verweigern, vergaß er die Überlegungen. Jetzt war es amtlich, daß seine Schwiegerfamilie auf Didiers schwarzer Liste stand. Doch die würde es nicht kümmern, weil sie sich selbst versorgen konnten. Als er jedoch neben weiteren Hetzartikeln gegen einige ausländische Hexen und Zauberer einen Artikel fand, der ihn heftig berührte, vergaß er seine jetzige Umgebung.
MILLEMERVEILLES MIßFÄLLT MINISTER DIDIER
DORFRATSSPRECHER CHARPENTIER VERWEIGERT AUSLIEFERUNG VON VERDÄCHTIGEN
CATHERINE BRICKSTON ZUR UNERWÜNSCHTEN PERSON ERKLÄRT, MUGGELFRAU MARTHA ANDREWS FÜR TOT ERKLÄRT
Gestern verstrich die von Minister Didier und Landfriedensüberwacher Pétain gesetzte Frist, in der sich die bisher so untadelig bekannte Catherine Brickston im Ministerium für Zauberei hätte einfinden können, um jeden Verdacht auszuräumen, sie sei eine Agentin des Unnennbaren. Ebenso trat Martha Andrews nicht vor die Überprüfungskommission, um die Echtheit ihrer Identität zu beweisen. "Das zwingt mich zur Feststellung, daß der mir und Marat geltende Hinterhalt am Samstag entweder von durch Verwandlungszauber oder -tränke getarnte Agenten des Unnennbaren waren und die Vorbilder entweder tot oder aktionsunfähig verschollen sind", so Landfriedensüberwacher Pétain heute Morgen bei der alltäglichen Frühbesprechung mit uns und den Kollegen vom magischen Rundfunk. "Daher muß ich, so bedauerlich mir dies ist, Catherine Brickston zur unerwünschten Person erklären und ihr alle Rechte innerhalb der magischen Gemeinschaft aberkennen. Zeitgleich sehe ich mich ebenso betrübt veranlaßt, den Tod der Muggelfrau Martha Andrews nicht mehr auszuschließen. Wer immer sich in ihrer Körperform herumtreibt, darf keine Gelegenheit mehr haben, die Ansprüche der Martha Andrews, wie sie ihr als Mutter eines Zauberers zustanden, geltend zu machen. Inwieweit sich dies für den jungen Zauberer Julius Latierre auswirkt ist Gegenstand der Familienschutzabteilung, deren Verlautbarung Sie alle im Laufe dieser Woche erwarten dürfen. Die unvernünftige Haltung der Latierre-Familie erschwert eine reibungslose Prüfung und Planung. ich appelliere an alle rechtschaffenen Hexen und Zauberer in unserem Land, uns bei der Verfolgung verdächtiger Personen zu unterstützen. Diese Leute sind gefährlich. Möglicherweise trachten sie danach, uns alle unter den Imperius-Fluch zu zwingen oder zu ermorden, um dem britischen Erzfeind einen unangefochtenen Zutritt zu unserem Land zu ermöglichen. Also denken sie bitte daran, daß diese Leute, auch wenn Sie meinen, es seien noch immer die altvertrauten Personen, schnellstmöglich in unsere Obhut überführt werden müssen, um jegliche von ihnen ausgehende Gefahr zu ersticken. Ich rate dem Dorfrat von Millemerveilles: Seien Sie vernünftig! Wenn Sie gesuchte Verdächtige aufnehmen, gefährden Sie das Leben Ihrer Mitbewohner. Lassen Sie nicht zu, daß der Feind Ihren friedlichen Ort erneut zu einem Herd von Dunkelheit und Tyrannei machen kann! Nur wir vom Zaubereiministerium haben die Macht, dem vielfachen Mörder und seiner Bande willfähriger Verbrecher den nötigen Widerstand entgegenzusetzen. Doch dabei müssen wir aller habhaft werden, die ihm aus unserem Land heraus helfen."
Wie der Miroir Magique erfuhr zeigte sich der Dorfrat von Millemerveilles uneinsichtig für diesen eindringlichen Appell. Ratssprecher Charpentier ließ per schneller Eule verlautbaren, daß er die in den Schutz seines Ortes eingetretenen Personen höchst selbst auf mögliche Kolaboration mit dem Feind von den britischen Inseln überprüfen könne und es erwiesenen anhängern der dunklen Kräfte ohnedies nicht möglich sei, die magische Schutzzone zu betreten, die Millemerveilles seit dem Ende der düsteren Hexenkönigin Sardonia vor neuen Finsterlingen schützt. Der Minister glaubt dies jedoch nicht. Er ließ anklingen, daß gerade nach den letzten Überfällen auf Millemerveilles und der zunehmenden Aktivitäten einer Hexe, die sich dem Erbe Sardonias verbunden fühlt, dringend davon auszugehen ist, daß Millemerveilles nicht halb so unzugänglich für Anhänger der dunklen Seite sei, wie Charpentier leichtsinnigerweise annimmt. Minister Didier, der wegen der Gefahrenlage von außen beschlossen hat, sich nicht den Nachstellungen der ausländischen Feinde auszuliefern, stellte in seinem kurzen Standpunkt zum Tage fest, daß Millemerveilles offenbar seit längerem als gut gesicherte Ausgangsbasis für feindliche Operationen bestimmt worden sei. Es ist durchaus nachvollziehbar, so Minister Didier, daß jene Hexe, die die uralten Bestien Sardonias wiedererweckte, mit dem britischen Massenmörder paktiert und sich den ganzen Kontinent untereinander aufteilen wollen, wobei sie unser Land erhalten dürfe und womöglich die direkten Nachbarn von uns unter ihre Herrschaft zwingen will, während der unnennbare Feind sich die Länder im Osten sichert, wo er auf eine unbestimmte Zahl von Anhängern setzen kann. "Wenn wir jetzt nachlassen und darauf vertrauen, uns könne hier nichts passieren, wwerden wir zwischen zwei Tyrannen aufgeteilt", so der Zaubereiminister. "Daher ersuche ich Ihre Leser, die in der Zeitung abgedruckte Liste von uns für hochverdächtig eingestufter Personen zu beachten und jedes darauf aufgeführte Individuum unverzüglich der Abteilung für Landesfrieden zu melden oder durch ortsansessige Sicherheitszauberer festsetzen zu lassen. Wir dürfen nicht zulassen, daß wir wie ein lebloser Laib Brot mitten durchgeschnitten und an nimmersatte Machtgierige verteilt werden! Ich gebe Monsieur Charpentier noch vierundzwanzig Stunden Zeit. Ändert er nicht seine Einstellung oder überläßt sein Amt jemandem, der vernünftig genug ist, den Ernst der Lage zu erkennen, muß ich über Millemerveilles den Versorgungsbann verhängen. Will sagen, daß ab dann nichts und niemand mehr dort hinein- oder herausgelassen wird. Ich weiß mich darin sicher, daß die friedliebenden Bürger Millemerveilles nicht zulassen werden, daß sie zusammen für den Leichtsinn und die unverzeihliche Verantwortungslosigkeit eines einzelnen Mitbürgers bestraft werden wollen."
Es gibt jedoch auch zur Hoffnung Anlaß gebende Neuigkeiten. So konnte die neue Abwehrtruppe gegen Dementoren diese Nacht einen heimlichen Vorstoß von hundert Dementoren gegen die Inhaftierungsfestung Tourresulatant zurückschlagen. Offenbar hatte diese Kommandotruppe den Auftrag, die dort einsitzenden Gefangenen zu befreien und sie zum Dienst für den Unnennbaren zu werben. Bei der Abwehrschlacht wurden zwanzig dieser Ungeheuer unwiederbringlich ausgelöscht. Die restlichen achtzig zerstreuten sich nach nur dreißig Minuten. Besonderen Verdienst bei der erfolgreichen Abwehr errang sich der Zauberer Bernaud Perignon, der vom fliegenden Besen aus zwei Dutzend Dementoren davon abhielt, das mit vielfachen Sperrzaubern gepanzerte Tor aufzubrechen. Minister Didier sprach ihm dafür ein großes Lob aus und stellte seine Beförderung zum Leiter einer regionalen Schutztruppe in Aussicht. "Solche wackeren Zauberer und Hexen brauchen wir. Denn diese sind das Rückgrat unserer freien Zauberergemeinschaft", bekräftigte Minister Didier nach der erfolgreichen Abwehr dieser Eindringlinge. Näheres über den Abwehrkampf lesen Sie bitte auf Seite sieben!
Julius verzichtete jedoch darauf, diese Heldengeschichte zu lesen. Ihm war das Frühstück fast im Hals stecken geblieben. Also hatte Didier es echt in die Zeitung gesetzt, daß seine Mutter für ihn nicht mehr lebte. Dann brauchte er, nachdem er die Latierres ja gleich zu Geächteten erklärt hatte, dem Typen aus der Familienschutzabteilung den Auftrag geben, Julius' Vormund zu bestimmen, falls nicht beschlossen wurde, ihm das Aufenthaltsrecht und die Schulbesuchserlaubnis für Beauxbatons abzuerkennen. Er fühlte sich elend und wütend. Dieser Mistkerl, diese Feige Sau, wolte ihm das Leben kaputtmachen und das wohl auch im körperlichen Sinne. Denn falls irgendwer es hinbog, ihn, Julius, aus der Akademie abführen zu lassen, konnte man ihn gleich über den Kanal auf seine Heimatinsel schicken. Konnte ja sein, daß Didier aus lauter Verzweiflung schon einen entsprechenden Handel mit Thicknesse oder seiner dunklen Mordschaft ausgehandelt hatte, den so dringend gesuchten Ruster-Simonowsky-Zauberer auszuliefern. Andererseits verbreitete Didiers Hetzblatt jetzt auch, daß sich Voldemort und die Wiederkehrerin den Kontinent aufteilten. Das war nicht gerade klug, dachte Julius. Denn er wußte, daß die Wiederkehrerin darüber ziemlich sauer werden konnte, wenn ihr jemand unterstellte, sie würde mit Voldemort zusammengehen. Wenn es wirklich Anthelia war, dann hatte die immer schon was gegen männliche Konkurrenten gehabt und diese, soweit Julius es aus dem Geschichtsunterricht und Catherines Buch über Sardonia wußte, gnadenlos ausgelöscht, wo sie konnte. Die wollte eine nur von Hexen beherrschte Welt haben. Die würde sich nicht auf ein Zweckbündnis mit Voldemort einlassen. und der wiederum wollte sich bestimmt nicht mit der Hälfte des Kuchens zufrieden geben, wenn er den ganzen Kuchen kriegen und den Bäcker noch dazu zum Backen weiterer Kuchen zwingen konnte. Der würde Anthelia ebenfalls nicht neben sich groß und stark werden lassen. Die könnte ihm ja eines Tages auf den Kopf spucken. Vielleicht tat sie das sogar schon oder hatte es getan. Jedenfalls mochte das für den magischen Diktator Didier noch sehr übel ausgehen. So konnte sich ein Paranoiker echte Feinde heranzüchten, dachte Julius verächtlich. Womöglich ging es nur noch darum, ob Voldemort oder Anthelia zuerst bei Diktator Didier aufschlagen und ihn für seine Unterstellung massakrieren würde. Oder bildete der sich ein, die beiden so heftig in Wut zu versetzen, daß sie blind in jede von ihm aufgestellte Falle reinrannten? Julius wollte das nicht so ganz abstreiten. Er fürchtete nur, daß wenn Anthelia dieses Geschwätz nicht mehr länger ertragen würde, sie Didier und jeden, der sich vor ihn stellte, mal eben vom Brett putzen würde und dann an Stelle eines paranoiden Diktators eine durchtriebene, gnadenlose Imperatorin mit männerfeindlichen Ansichten über sie alle herziehn würde, um das Erbe ihrer achso uhmreichen Tante wiederzubeleben, wie irgendwer sie selbst wiederbelebt hatte.
"Angst, Julius?" Fragte Robert, der ebenfalls die Zeitung las. Julius verzog das Gesicht und wisperte nur: "Ich wäre dumm, wenn ich nicht ein bißchen Angst hätte. Aber ich wäre noch dümmer, wenn ich mich von diesen Dummschwätzern ins Bockshorn jagen ließe."
"Bockshorn?" Fragte Robert. "So heißt das, wenn jemand vor lauter Angst irgendwas dummes macht oder Hals über Kopf wegläuft, ohne etwas wirklich gefährliches vor sich gehabt zu haben."
"Achso, also sich dem Drachen vor's Maul treiben lassen", übersetzte Robert dieses Bild in die ihm geläufige Redensart. "Aber deine Mutter lebt in Millemerveilles. Hat die keine Angst, daß man die festnimmt und Didier übergibt? Der könnte die glatt umbringen lassen, um 'ne echte Leiche ..." Julius funkelte Robert wütend an. Dieser erkannte, welche ziemlich unbedachte Äußerung er da gerade von sich gegeben hatte und blickte abbittend zurück. Dann beruhigte sich Julius und sagte:
"Deshalb ziehen Cretin Pétain und der Diplomfeigling Didier ja über Millemerveilles her, weil die da eben nicht vorhaben, meine Mutter auszuliefern. Weil sonst hätte Didier das Dorf als Bollwerk des freien französischen Zauberertums gelobt, in dem die Feinde keine Chancen haben. Die haben einen Kniesel zu ihr hinlaufen lassen. Der hat erkannt, daß es ein Muggelweibchen ist und auch keine bösen Absichten hat, Robert. Meine Mutter darf da sogar Mathelehrerin sein, habe ich über Auroras Bild mitbekommen. Könnte nur sein, daß Joe Brickston, also Catherine Brickstons Mann, da bald nicht mehr bleiben will, weil eine technikfeindliche Hexe namens Bouvier ihm die Dampfmaschine weggezaubert hat, mit der er sein tragbares Telefon und den kleinen Computer mit Strom versorgen wollte."
"Bouvier? Tante Yvie, so'ne schwarzgelockte? Das ist Célines Großtante. Die habe ich mal getroffen, als ich in Millemerveilles war. Die wohnt ziemlich nahe bei Königin Blanches Haus und kann wohl nicht sonderlich gut mit Célines Onkel Baudouin, der bei Forcas schafft. Ähm, Dampfmaschine, macht die Dampf oder macht Dampf was, daß die was macht?"
"Tja, hättest Muggelkunde nehmen sollen", knurrte Gérard. "Da hatten wir's doch von. Das ist eine Kraftmaschine, ein Antriebsgerät, das entweder Räder dreht, mit denen Arbeitsbewegungen gesteuert werden oder Räder von diesen Eisenbahnlokomotiven andreht. Die kann auch in Rädern steckende Magneten drehen, die dabei Elektrostrom abgeben. Wird wohl heute noch in diesen Elektrizitäts- oder Kraftwerken benutzt."
"Hähähä, habe ich dich gefragt, Gérard, nur weil du mit deiner Süßen Muggelkunde genommen hast?" Schnaubte Robert. Julius sah Robert ruhig an und sagte:
"Ja, aber er hat es richtig erklärt. Joe Brickston hatte eine kleine Dampfmaschine, um eigenen - wie sagt ihr das immer? - Elektrostrom zu machen. Tja, aber deine zukünftige Schwiegergroßtante konnte den eisernen Engel nicht ab und hat ihn erst blockiert und dann, als Joe das Kohlenfeuer darin gelöscht hat, eingeschrumpft und irgendwo hinteleportiert, damit er die nicht wieder anwerfen kann. Jetzt hat er Knies mit Catherine und meiner Mutter, weil die eine diese Madame Bouvier nicht davon abgehalten hat und die andere sich seiner Meinung nach alles von denen gefallen und aufladen läßt, weil sie den Kontakt zu mir nicht verspielen will."
"Eiserner Engel?" Fragte Gérard, und Robert grinste nun schadenfroh, weil sein Sitznachbar den Begriff wohl nicht kannte.
"So hat der Erfinder der Kondensatordampfmaschine das Gerät genannt, weil es aus Eisen ist und dem Menschen schwere Arbeiten abnehmen soll."
"Aber so'n Teil macht Krach und stinkt nach Schwefel und verbranntem Holz", warf Gérard ein. "Kann mir vorstellen, daß die sonst sehr nette Madame Bouvier sowas nicht gleich nebenan haben will. Aber das Ding wegzaubern ist ja fast wie klauen. Darf man sowas?"
"Das muß der Dorfrat jetzt klären und zusammen mit Professeur Faucon, weil Joe ja auf ihrem Grundstück lebt", sagte Julius.
"Oh, da hat er wohl Probleme, weil Königin Blanche keine Muggelsachen mag und .. Ups, 'tschuldigung Professeur Faucon", sagte Robert und lief knallrot an, weil erwähnte Dame soeben hinter ihm und Julius an den Tisch herangetreten war. Gérard und André grinsten schadenfroh, weil sie jetzt damit rechneten, daß Robert einen Anpfiff kassierte. Professeur Faucon räusperte sich zwar ungehalten, sagte dann aber im ruhigen Ton:
"Ich würde Ihre Entschuldigung nur annehmen, wenn Sie beabsichtigt hätten, mich in Abwesenheit zu beleidigen. Hatten Sie diese Absicht?" Robert schüttelte entschieden den Kopf. "Nun, dann müssen Sie sich auch nicht entschuldigen, Monsieur Deloire. Ich halte noch immer den Titel Reine des Sorcières und kann daher mit der Bezeichnung Königin gut leben. Und da Könige und -innen meistens mit ihrem Vornamen bedacht sind erachte ich das nicht als respektlos, mich so zu nennen, sofern sie in meiner Anwesenheit die mir zustehende Anrede benutzen. Und was sie sagten trifft im großen und ganzen auch zu. Ich lehne Muggelartefakte innerhalb meines Hauses in Millemerveilles ab, da sie den Eindruck erwecken, daß die dort vorhandenen Gegenstände wertlos oder unwichtig sind und zum anderen in vielen Fällen von der Zufuhr künstlicher Elektrizität abhängig sind. Offenkundig hat Monsieur Latierre Ihnen erzählt, was sich gestern Nachmittag in Millemerveilles zutrug. Daran mögen Sie ermessen, wie unangenehm es meinen Nachbarn erscheint, daß zur magielosen Herstellung von Elektrizität lautstarke und qualmende Maschinen benutzt werden müssen und ich sehr hart damit ringen mußte, ob ich meinem Schwiegersohn eine solche Maschine gewähre, um einige Nachrichtenverarbeitungsvorrichtungen verwenden zu können. Allerdings lege ich auch großen Wert auf eine gute Nachbarschaft. Aber weshalb ich jetzt bei Ihnen bin, Messieurs: Monsieur Latierre, Sie haben wie ich vermuten darf jenen Artikel zur Kenntnis genommen, in dem Monsieur Didier und seine Leute Ihre Mutter für tot erklärt haben. Ebenso werden sie erfahren haben, daß Ihre angeheiratete Verwandtschaft in Ungnade gefallen ist, weil sie es ablehnt, den Vorgaben Didiers zu folgen und dessen Politik öffentlich zu wertschätzen. Madame Maxime und ich sind der klaren Auffassung, daß sich an Ihrem Status hier nichts geändert hat und Sie bis auf Widerruf Ihrer Mutter oder Ihrer für magische Belange zuständigen Fürsorgeperson die Beauxbatons-Akademie absolvieren werden. Bevor Sie fragen, natürlich pflichten auch alle anderen Lehrerinnen und Lehrer dieser Feststellung bei. Ich habe nur Madame Maxime und mich hervorgehoben, weil Madame Maxime die Schulleiterin ist und ich die für den Sie beherbergenden Wohnbereich von Beauxbatons zuständige Lehrerin bin. Lassen Sie sich bitte nicht von eindeutig zu erwartenden Artikeln wie diesem verleiten, in Frustration oder gar Panik abzugleiten! Wir vom Lehrkörper wissen, daß Ihre Mutter nicht tot ist. Und über Gründungsvater Orion dem Wilden halten wir auch Kontakt zu den Eheleuten Hippolyte und Albericus Latierre, falls diese Einspruch gegen Ihren Verbleib in unserer Akademie einlegen möchten, wovon ich im Moment nicht ausgehe. Drum setzen Sie bitte Ihr Frühstück fort, um sich für den anstehenden Schultag ausreichend zu stärken!" Sie blickte die ZAG-Schüler aus dem von ihr betreuten Saal noch einmal eindringlich an. Dann entfernte sie sich wieder.
"Hui, ich dachte schon, die haut gleich 'ne Ladung Strafpunkte raus", flüsterte Gérard, als die Lehrerin an den langen Tisch zurückgekehrt war. Robert nickte. Auch er hatte damit gerechnet, gleich zum Putzen eingeteilt oder sonst wie bestraft zu werden. Julius fragte noch einmal, ob die Auszeichnung Reine des Sorcières, also Königin der Hexen, nicht jedes Jahr neu vergeben wurde. Gérard sagte dazu nur:
"Es ist ein Wettbewerb in Zauberfähigkeiten, Umgangsformen, andere Kenntnisse und fliegerisches können, der alle sechs Jahre entschieden wird. Falls unsere Saalvorsteherin sich gut ranhält, kann sie den Titel nächstes Jahr verteidigen, weil sie sehr viele Sprachen kann und sonst auch viel drauf hat, um jüngere Hexen und ältere Fachidiotinnen auszustechen. Hat sie oder Madame Brickston es dir nicht erzählt? beim letzten Mal ging das zwischen ihr, Professeur Tourrecandide und deiner Schwiegeroma Ursuline Latierre in die Entscheidungsrunde. Tja, und unsere Saalkönigin hat die beiden starken Konkurrentinnen ausgepunktet, weil die letzte Kandidatin, Antoinette Eauvive, sich nicht zur Titelverteidigung bereiterklärt hat. Vielleicht wird's nächstes Jahr ja deine Schwiegeroma, weil die so gut im Kinderkriegen ist."
"Ist das auch ein Kriterium?" Fragte Julius.
"Gesunde Hexen und Zauberer in die Welt zu setzen wird zumindest als wichtiger Beitrag angesehen", knurrte Robert. "Aber das darf nicht als Wettbewerbsbestandteil gelten, weil das Hexen und zauberer zu Zuchtvieh runterstufen würde, hat meine Mutter mir erzählt, als die letzte Reine des Sorcières ausgewählt wurde." Julius nickte. Er hatte diese Auszeichnung als eine von vielen akademischen Graden gesehen, die sich eine Hexe erwerben konnte. Daß sie dabei überragend sein mußte war ihm zwar klar. Aber daß es wie bei den Miss-Wahlen in der Muggelwelt eine immer wieder neu zu entscheidende Sache war wußte er jetzt erst.
Als sie alle zum Unterricht ausschwärmten und die ZAG-Schüler zum Vorbereitungsraum für praktische Magizoologie gingen fragte Millie ihren Mann:
"Hat Professeur Faucon dir noch mal klargemacht, daß so'n Paar Schmierfinken aus Didiers Klopapierfabrik dich nicht von Beaux runterkriegen können?" Julius mußte grinsen. Klopapierfabrik für diese Propagandazeitung war gut. Er nickte und antwortete: "Die wollen mich nur runterschmeißen, wenn ich mir so'n Ding wie Gaston leiste oder deine Eltern sagen, daß ich hier nix mehr verloren habe."
"Achso, dann sollen Ma und Pa denen schreiben, daß du hier gefälligst raus sollst?" Fragte Millie. Julius schüttelte bedächtig den Kopf. Dann erzählte er seiner Frau noch, was seine Mutter gestern erlebt hatte.
"Aha, und jetzt hat Professeur Faucon Angst, ihre Nachbarn wären sauer, weil ihr Schwiegersohn so'ne Krachmaschine mitgebracht hat und er deshalb bald wieder aus Millemerveilles raus müßte."
"Sagen wir es so, begeistert waren die nicht. Jetzt will Catherine klären, ob Joe die ganzen Elektrosachen einmotten oder gleich wegschmeißen muß oder zwischendurch mal Strom dafür machen darf."
"Hast du nicht mal erzählt, daß die Leute aus der Muggelwelt auch aus Sonnenlicht Elektrostrom machen können, ganz ohne Magie?"
"Es gibt Taschenrechner, die keine Batterien mehr brauchen. Die mußt du nur ins Licht halten, damit die Saft kriegen, also genug Strom haben. Kleine Computer und Mobiltelefone ziehen aber mehr Strom und können so nicht laufen. Da müßte Professeur Faucon ihr ganzes Dach mit starken Solarzellen besetzen lassen. Und das würde in Millemerveilles komisch aussehen. Allerdings, wenn das ginge, was bei den Swanns in VDS geht, gibt es magisch veränderte Materialien, die Sonnenlicht einsammeln können um es abends durch die Decken der Räume wieder abzugeben, das eine gleichmäßige Beleuchtung bleibt."
"Wunder mich eh, daß Joes Krempel bei der vielen Magie in Millemerveilles so läuft wie er soll. Allein Sardonias Schutzdom hat doch bestimmt eine Menge Zauberkraft."
"Ja, aber die ist so breit verteilt, das einiges an Geräten läuft. Wundere mich nur, daß in Professeur Faucons Haus noch alles läuft, weil da Schutzzauber und Komfortsachen sind", erwiderte Julius. Millie verstand.
"Na ja, aber ob Joe sich von dieser Peggy Swann erzählen lassen will, wie ihr Dach geht wage ich mal abzustreiten." Julius schwieg dazu. VDS war jetzt so weit von ihnen allen weg wie die Sonne von der Erde, vielleicht sogar noch weiterweg als diese. Denn alle Verkehrswege waren blockiert, aus Frankreich hinaus und in die vereinigten Staaten hinein. Und das alles, weil sie Angst vor diesem einen Irren und seiner Bande durchgeknallter, durch Inzucht entstandener Banditen hatten.
"Ich hoffe, Sie alle haben die parasitären Nogschwänze nun gut genug studiert, und wir können uns wesentlich nützlicherer Tiere zuwenden", sagte Professeur Moulin nach der pflichtgemäßen Begrüßung. Dann zeichnete er ein Wesen an die Tafel, das aussah wie ein Feldhase mit besonders langen Ohren und einem vierhörnigen Geweih zwischen den Löffeln. "Wer kann mir etwas über dieses Tier erzählen?" Fragte er. Millie, Belisama und Julius zeigten auf. Millie sollte antworten:
"Das ist eine Jackalope, oder auch Hirschase. Diese Tierwesenart gibt es in den unberührten Grasländern nord- und Südamerikas. Sie entstanden durch eine unfreiwillige Verschmelzung zwischen gewöhnlichen Hasen und dem Grasbock, einem rattengroßen Paarhufer, der sich wie ein Tebo tarnen kann. Ich habe diese Tiere letzten Sommer in einem magischen Tierpark von Viento del Sol gesehen." Julius nickte.
"Soweit richtig, Madame Latierre. Aber wie kommt dieses Tier zu seinem merkwürdigen Namen?"
"Weil einige Muggel, die so eine Jackalope mal gesehen haben es für ein Zwischending zwischen einem schnellen Kaninchen, das sie im englischen Jack Rabbit nennen und einer Antilope gehalten haben. War nicht einfach für die damaligen Desinformationsleute, das als gewöhnlichen Hasen oder krankes Kaninchen hinzustellen."
"Auch richtig. Zehn Bonuspunkte für Sie, Madame Latierre. Wieso sind die nützlich?" Fragte Professeur Moulin in die Runde. Die drei von vorhin zeigten wieder auf. Diesmal sollte Belisama antworten.
"Von meiner Tante, die mal in den Staaten war weiß ich, daß sie diese Tiere züchten, um reißfeste Felle zu kriegen. Auch wird das Horn ihrer Geweihe zur Herstellung von Ausdauertränken oder Nagelfestigungslotionen verwendet, hat mir Gloria Porter im letzten Schuljahr erzählt, als sie hier war. Deren Mutter ist Hexenkosmetikerin."
"Und das Fleisch von denen?" Fragte Professeur Moulin. Belisama grübelte und konnte dazu nichts sagen. Julius, das wandelnde Zaubertranklexikon, zeigte auf:
"Ich habe in besagtem Tierpark auch gelernt, daß das Fleisch gezähmter Jackalopen bei der Verdauung eine starke Magie freisetzt, die bewirkt, daß Leute, die davon gegessen haben, sehr schnell und kräftig werden, solange sie das verdaute Fleisch nicht ausgeschieden haben. Allerdings hat das einen kleinen unangenehmen Nebeneffekt: Die Leute sind in einem unkontrollierbaren Fortpflanzungsrausch. Deshalb wurde das Jackalopenfleisch als für den Menschen ungenießbarer Stoff eingestuft. Es kann aber in der Zaubertrankherstellung mit anderen Materialien zu Ausdauerelixieren oder zur Verbesserung von Intuition, emotionaler Wahrnehmung und verbesserten Reaktionen und Reflexen verarbeitet werden. Deshalb gehört getrocknetes und pulverisiertes Jackalopenfleisch zu den Bestandteilen des Zaubertranks Felix Felicis."
"Was für'n Trank?" Fragte Plato Cousteau. Julius wollte schon fragen, ob er den besonderen Zaubertrank vorstellen sollte, doch Professeur Moulin schüttelte den Kopf und sagte, daß Monsieur Cousteau diese Frage gerne an Professeur Fixus weitergeben oder sich in den erlaubten Bereichen der Bibliothek umsehen konnte, ob er darüber etwas nachlesen konnte. dann gab er Julius zehn Bonuspunkte. Leonie Poissonier hob die Hand und erhielt das Wort: "Dann trifft es also zu, daß es in einigen amerikanischen Zauberersiedlungen verrufene Gasthäuser gibt, in denen die Leute erst was essen und dann total enthemmt miteinander Liebe machen, quer Beet. Gibt's das in Viento del Sol auch, Madame Latierre?"
"Mademoiselle Poissonier, ich möchte doch sehr bitten, nicht in ungehörige Randgespräche abzugleiten", knurrte Professeur Moulin. Dann sagte er noch: "Ich war selbst einige Male dort und habe jeden frei zugänglichen Platz und jedes öffentliche Gebäude besichtigt. Falls eine solche Einrichtung existiert, so ist sie für die Öffentlichkeit unzugänglich. Ich gehe nicht davon aus, daß Madame Latierre erfahren hat, wo sich eine derartige Lasterhöhle findet."
"Unsere Gastgeber legten Wert darauf, daß uns nichts passierte, was sie dann vor unseren Eltern hätten erklären oder bedauern müssen", erwiderte Millie ruhig. Alle grinsten, auch Julius. Immerhin konnte er sich vorstellen, daß die in VDS schon genug mit dieser alljährlichen Mora-Vingate-Party um die Ohren hatten, als ein abgedrehtes Spezialitätenrestaurant in ihrer Siedlung länger als nötig hinzunehmen. Damit war dieser Abschnitt auch abgehandelt. Caro Renard fragte, ob sie in Beauxbatons Jackalopen hätten. Professeur Moulin antwortete:
"Ja, wir haben welche. Allerdings sind die nicht in der üblichen Menagerie, weil andere Tierwesen wie Kniesel oder Knarls nicht gut auf diese Hasen zu sprechen sind. Außerdem gab es im Tierwesenbüro einmal eine Meldung, daß nach Deutschland geschmuggelte Jackalopen entwischt sind und später mit Wolpertingern aneinandergerieten. Offenbar verströmen Jackalopen einen Duft oder eine magische Aura, die andere Mischwesen aggressiv macht. Daher sind sie bei uns in der Akademie in einem hermetisch verschließbaren Stall untergebracht, alleine um sie unter Kontrolle zu halten. Madame Latierre, Ihre Tante hat da eine interessante Richtlinie für extrakontinentale Tierwesen erlassen. Kennen Sie die?"
"meine Tante nennt das die Fremdtiervermeidungsklausel, weil es in der ordinären Tierwelt durch Menschen bereits zu Tierarteneinwanderungen in früher nicht davon besiedelten Gebieten kam, Kaninchen in Australien, Waschbären in Deutschland und so weiter. Dieser Regel nach müssen alle Tierwesen, deren Entstehung und/oder natürliche Verbreitung außerhalb von Europa liegt vor der Einfuhr angemeldet und die Einfuhr genehmigt werden. Sind diese Tierwesen im Land, müssen sie in abgeschlossenen Stallungen, Käfigen oder Aquarien/Terrarien verbleiben. Kann ein fortpflanzungsfähiges Paar oder befruchtetes Exemplar entwischen, so hat der Halter fünfhundert Galleonen Strafe zu zahlen, zuzüglich der Einfangprämie pro freigekommenes Exemplar. Bei Jackalopen wäre das ziemlich bitter, weil die Weibchen noch während der Tragzeit neu empfangen können und nur vier Wochen tragen, bevor sie fünf mausgroße Junge werfen. Das kam schon vor, daß eine Jackalope in Gefangenschaft alle zwei Tage gebar. Allerdings sind die Jungen leichte Beute für Greifvögel, Füchse, Marder, Wölfe und Katzen und werden so an einer explosionsartigen Vermehrung gehindert. Außerdem leben Jackalopenweibchen nur zwei Jahre lang."
"Nur ist gut, die kann in der Zeit locker zweihundert Babys kriegen", lachte Caro. "Da kommt deine Oma Line nicht ansatzweise mit."
"Öhm, zehn Strafpunkte für unerlaubtes Dazwischenreden, Mademoiselle Renard und noch mal zwanzig für eine unstatthafte Bemerkung", knallte Moulin Caro ansatzlos vor den grinsenden Kopf. Millie steckte das aber locker weg und lächelte nur. Julius fragte, was dann hier getan würde, um diese Tiere nicht wie die flauschigen Tribbles aus der ersten Star-Trek-Serie fröhlich Nachwuchs kriegen zu lassen. Natürlich mußte er Professeur Moulin erst einmal erklären, was Tribbles waren. Anders als der gefeuerte Armadillus hatte ihm ja kein Muggelstämmiger davon erzählen können. Die anderen grinsten verhalten, während er sprach.
"Nun, da diese Geschöpfe dann wohl eher Fiktion sind kann ich Ihnen leider dafür keine Punkte zuerkennen, Monsieur Latierre. Allerdings haben Sie einen Aspekt erwähnt, der uns zu gute kommt, um den Wildwuchs zu unterdrücken. Jackalopen müssen immer gut essen, um derartige Fortpflanzungsleistungen zu erbringen. Weil wir das wissen, füttern wir sie mit mehr reinen Ballaststoffen als Nährstoffen. Das mindert die Paarungsfrequenz und die Zahl der Neugeborenen erheblich. Aber zumindest ist Ihnen klar, weshalb Madame Barbara Latierre einne derartig kostenintensive Geldstrafe androht, wenn hier nicht heimische oder ungenehmigt gekreuzte Tierwesen in die freie Natur entweichen können. Aber die Jackalopen können nur untereinander Nachwuchs erzeugen. Anders als Kniesel und Knarls, die mit ihren nichtmagischen Artverwandten fruchtbare Nachkommen hervorbringen können, sind Jackalopen nur innerartlich fortpflanzungsfähig, wie der größte Teil aller nichtmagischen Tiere, wir Menschen eingeschlossen. Daher werden zur Populationsprohibition - so lautet der von den Fachleuten vereinbarte Fachbegrifff - in die gesicherten Populationen auch ordinäre Feldhasen hineingesetzt, die als Triebabfuhrhilfe herhalten, aber fortpflanzungstechnisch null Erfolg eintragen. Im Freiland sind Jackalopen über mehrere hundert Quadratkilometer verstreut. Daher haben die Weibchen die Fähigkeit, während einer foranschreitenden Trächtigkeit neuen Nachwuchs zu empfangen."
"Ähm, wie soll sowas gehen, Professeur. Säugetiere können doch nur einmal Babys oder Junge zur Zeit tragen", wandte Belisama ein. Professeur Moulin gab die Frage weiter. Julius überlegte und erinnerte sich, bei gewöhnlichen Feldhasen und Nagetieren gehört zu haben, wie das ging. Er zeigte auf.
"Also bei den meisten Säugetieren haben die Weibchen eine einräumige Gebärmutter, wo die befruchteten Eier sich einnisten und zu Nachkommen auswachsen können. Bei nichtmagischen Feldhasen und wohl auch bei Ratten ist die Gebärmutter zweigeteilt. Da kann also in einem Teil der ungeborene Nachwuchs heranreifen, während in den anderen Teil befruchtete Eizellen einwandern können. Das macht dem Muttertier nichts aus. Ist wohl irgendwie ein verschobener Zyklus, daß das Muttertier nicht beide Würfe zur gleichen Zeit bringen muß, sondern nacheinander." Professeur Moulin bat Julius, das aufzuzeichnen, da ja außer Millie, Belisama und ihm kein Pflegehelfer im Raum war und somit nicht jeder sich vorstellen konnte, wie die inneren Geschlechtsorgane eines weiblichen Säugetieres aussahen. Julius nickte und zog mit verschiedenfarbigen Kreidestücken eine Skizze, beschriftete die einzelnen Geschlechtsorgane und unterschied zwischen der einräumigen Gebärmutter einer Frau und der zweiräumigen einer Häsin oder Jackalope. Dann beschrieb er den Vorgang bei einer Befruchtung, wie er ihn aus dem Fernsehen kannte und vollendete die Skizze, in der er bei der Häsin zwei ungeborene Junge zeichnete, die er mit dem Buchstaben a markierte und im zweiten Teil kleine Eier hineinmalte, die er mit b kennzeichnete. Dafür räumte er ganze vierzig Bonuspunkte ab. Professeur Moulin ließ die Skizze an der Tafel und sagte nur: "Das muß ich mir selbst noch genau aufzeichnen. Bevor wir also zu den zwanzig Jackalopen hingehen und die in ihren Käfigen beobachten haben Sie alle Zeit, die von Monsieur Latierre an die Tafel gezeichnete Darstellung eigenhändig auf Pergament zu übertragen. Ich bitte mir während der Zeit absolute Ruhe aus."
Nach ungefähr dreißig Minuten waren auch die letzten fertig. Die Pflegehelfer hatten ihre Übertragung ja schon in zehn Minuten fertigbekommen. Danach ging es hinaus ins Gelände, an den Rand des grünen Forstes, wo Professeur Moulin einen kleinen Busch mit dem Zauberstab anstupste. Das Gewächs drehte sich darauf hin und gab eine Luke frei, die nach zwei Zauberstabstupsern knirschend aufklappte und eine Steintreppe freilegte. Mit leuchtenden Zauberstabspitzen folgten die Schüler dem Lehrer, der die hitzelosen Leuchtflammen auf der freien Hand trug. Es ging einige Dutzend Meter in die Tiefe. Sie hörten leises Grummeln, Quieken, Zirpen, Zischen und knapp unter Ultraschall klingendes Zwitschern. Dann blökte noch etwas wie ein halbverstopftes Baßsaxophon. Sie liefen an hohen Metalltüren vorbei. Julius fühlte sich unangenehmerweise in Bokanowskis Monsterfabrik versetzt. Millie merkte seine Beklemmung und trat zu ihm. "Macht dir das hier Angst?"
"Hat nur eine unangenehme Erinnerung aufgestöbert, Millie", flüsterte Julius. "So ähnlich sah das bei dem irren Igor in seiner Monsterbackstube auch aus und klang auch an manchen Stellen so." Millie sog Luft zwischen den zusammengebissenen Zähnen durch und wisperte nur: "Oha." Wieder blökte das Etwas wie ein halbverstopftes Baßsaxophon.
"Dies ist der Revierruf eines weiblichen Rana imperialis aequatorialis. Wir sind stolz, diese Amphibiengattung noch vor Minister Wishbones Einwanderungsstop erwerben zu können. Diese faszinierende Species werden wir vor Weihnachten noch durchnehmen."
"Moment mal, ist das nicht ein besonders groß gezüchteter Frosch aus Ecuador?" Fragte Julius. Moulin bejahte es. "Aber mehr dazu, wenn wir diese Art besprechen, Monsieur Latierre", bat er sich dann noch aus, bevor er an einer Wegkreuzung nach rechts in einen Gang abbog und sicherstellte, daß alle hinter ihm blieben. Dann erreichten sie eine Tür, auf der das langohrige, Geweih tragende Hasenwesen abgemalt war. Mit einem besonderen Schlüssel und zwei Zauberstabstupsern öffnete der Lehrer die mit silbernem Metall beschlagene Eichentür. Dahinter lag eine große Halle, die Julius an eine Legebatterie erinnerte. Leuchtsphären warfen helles, gelbweißes Licht, und ein rhythmisches Geräusch wie die Beatmungsvorrichtung von Darth Vader verriet, daß hier eine Luftumwälzanlage arbeitete. Die war auch bitternötig, empfand nicht nur das Stadtkind Julius Latierre. Starker Geruch nach Kaninchenfell, feuchtem Stroh und Kot wehte ihnen nicht gerade einladend entgegen. zwanzig Käfige mit sehr feinen Maschen standen links und rechts und übereinandergestapelt. In jedem Käfig saß ein feldhasengroßes Tier mit strohgoldenem Fell und richtete die zusammenklappbaren Ohren auf, die bald so lang waren wie das ganze Tier, das gerade an einem zerfurchten Wetzstein nagte. Deutlich konnten alle die kleinen Geweihe ähnlich wie bei dem Wolpertinger erkennen. Als die Schüler in der Halle standen hüpfte eines er sichtbar männlichen Exemplare mit lautem Klong gegen die Käfigmaschen und krallte sich darin fest, um sich so weit wie möglich aufzurichten.
"Wie bei Kaninchen und Feldhasen üblich werden die Männchen als Rammler bezeichnet. Sie sind sehr revierneidisch. Nur wenn fruchtbare Weibchen in der Nähe sind, sind sie tolerant. Ansonsten sichern sie durch diese Wachstellung immer mal wieder, wenn sie ungewohnte Geräusche hören", dozierte Moulin. Weitere Rammler zogen sich an ihren Maschendrahtwänden hoch und blickten argwöhnisch aus ihren roten Kulleraugen. Dabei konnten alle sehen, wie die aufgerichteten Vorderkörper immer mehr die graue Farbe des Drahtgitters annahmen, während die Hinterleiber die Farbe des Strohbettes behielten.
"Huch, die passen sich der Untergrundfarbe an?" Fragte Plato Cousteau erstaunt. Professeur Moulin bejahte es. "Das ist ihre besondere Eigenschaft. Sie verschmelzen farblich mit dem Untergrund und dies unabhängig von den Körperteilen. Will sagen, wenn ein Bein auf brauner Erde steht, wird es braun, auch wenn der Rest mit grünem Gras in Berührung ist. Nur wenn sie laufen können sie diese Tarnung nicht durchhalten und erscheinen dann als rotbraune Tiere." Zum Vorführen schickte Moulin einen kurzen schrillen Piepton in den Käfig des ersten Rammlers, der sofort zurücksprang und in einer Sekunde die vier Meter seiner Behausung durchmaß, wobei er im Sprung rotbraun wurde und erst wieder die Farbe wechselte, als er einen Moment lang ruhig stehen blieb und sofort mit dem Stroh verschmolz. Doch keine zehn Sekunden später warf er sich wieder herum und setzte mit nur einem Sprung zurück an die den Schülern zugewandte Käfigseite.
"Der Revierverteidigungstrieb überwiegt den Schrecken. Außerdem ist er wohl daran gewöhnt, daß von dem Sirennitus-Zauber keine weitere Bedrohung ausgeht", erläuterte der Fachlehrer für Zaubertiere. Nun sollte sich jeder in einem Abstand von zwei Metern vor einem der Käfige aufbauen und fünf Minuten lang beobachten, was dessen Insasse tat. Danach wurde die Pflege dieser Tiere erläutert. Die Käfige besaßen einen doppelten Boden, durch den die Ausscheidungen in ein Netz von Rohrleitungen abgesaugt wurden. und dann das ganze mit klarem Wasser nachgespült wurde, und das ganze vollautomatisch. Alle mußten sich aufschreiben, was sie an ihrem Studienexemplar erkennen konnten und dann noch Zeichnungen anfertigen, wo die Tiere in verschiedenen Haltungen zu sehen waren. Das forderte den großteil der Stunden. Dann ging es wieder zurück in den Klassenraum. Alle waren froh, als sie aus den unterirdischen Tieraufbewahrungsräumen heraus waren. Julius fragte noch, wer für die Instandhaltung der ganzen Fütterungs- und Luftreinigungsvorrichtungen zuständig war. "Diese Aufgabe führt der amtierende Lehrer für praktische Magizoologie aus", sagte Professeur Moulin auf dem Rückweg. Julius nickte. Also durfte außer einem Lehrer nur die gerade von ihm beaufsichtigte Schulklasse in diese magizoologische Anlage hinunter.
"So, die Zeichnungen möchte ich gerne überprüfen und bewerten", sagte der Lehrer. Und bis morgen schreiben Sie sich bitte alles auf, was wir heute über die Jackalopen gelernt haben! Dann bis morgen, Madame, Mesdemoiselles et Messieurs!"
"Vielen Dank, Professeur Moulin und bis morgen", antworteten die Schüler im Chor, bevor sie schnell aber gesittet laufend ins Freie eilten, um noch etwas frische Luft zu schnappen, nachdem sie fast eine Stunde im Mief von zwanzig gehörnten Hasen verbracht hatten. Plato fragte Belisama, ob diese wisse, was der Felix Felicis für ein Zaubertrank sei. Julius und Millie derweil schlenderten kurz über den Pausenhof, bevor sie mit den anderen Roten und Grünen zum Zaubertrankunterricht gingen.
Professeur Fixus war sichtlich angespannt. Das fiel schon auf, als die Schüler vor der schweren Kerkertür warteten. Alle waren auf der Hut, sie nicht zu reizen. Immer wider fauchte und blaffte sie Schüler an, die beim Brauen des Feuerwiderstandstrankes der Stufe drei falsch abmaßen oder zu ungestüm oder ungezählt umrührten. Julius fragte sich, was in die kleine, rotbraungelockte Lehrerin gefahren sein mochte, daß sie noch unerbittlicher und mürrischer war als sonst. Er wagte jedoch nicht, das laut auszusprechen und verschloß auch seinen Geist, wenn die Lehrerin in seine Nähe kam. Zu ihrer Beruhigung und seiner Erleichterung hatte sie bei ihm nichts zu beanstanden. Als die Stunden dann vorbei waren und es in die Pause ging fragte Robert Julius, ob er wisse, was mit Professeur Fixus los sei. Julius konnte es ihm jedoch nicht beantworten. Zum Glück hatte sie keine Pausenhofaufsicht. Doch Professeur Pallas, die Geschichtslehrerin und Leiterin des blauen Saales, wirkte auch nicht gerade entspannt, und Sixtus, der sie als eingeteilter Pflegehelfer begleitete, schien das nicht so locker wegzustecken.
"Ist was passiert, als wir bei diesen Hirschhasen waren?" Fragte Céline Dornier verunsichert. Millie sah sich um. Doch außer Professeur Pallas lief keiner hier herum. Julius erinnerte sich an sein erstes Hogwarts-Jahr, wo die Dementoren die Schule umlagerten und nach Sirius Black suchten, der zweimal einbrechen konnte. Da waren sie alle ziemlich angespannt und verängstigt gewesen, außer den Muggelstämmigen wie ihm. Er sagte nur: "Könnte sein, daß jemand versucht hat, Beauxbatons anzugreifen. Aber dann hättest du, Robert, ja was davon mitgekriegt."
"Ich habe in der Freistunde gesehen, wie einige Posteulen um den Palast herumgeflogen sind. Kann sein, daß Didier Madame Maxime und den Saalvorstehern jetzt auch einheizt. Dann möchte ich nicht erlebt haben, was Professeur Faucon hatte."
"Die hatte die Drittklässler von uns, also Gaston und die beiden kleinen", grummelte Julius und sah sich nach Nicolas, Archibald und Gaston um. Gaston stand für sich allein, während Nicolas und Archibald verdrossen in der diagonal entgegengesetzten Ecke des Pausenhofes standen. Julius überlegte, ob er Gaston ansprechen sollte. Doch dann erkannte er, daß eine Pausenhofstreiterei nicht gerade das war, was er haben wollte. Denn Gaston blickte jeden, der auf ihn zuzukommen schien wegscheuchend an. Als er Corinne Duisenberg sah, die mit ihrer Tante Patrice und einigen Mädchen aus der fünften und sechsten Klasse ihres Saales zusammenstand, dachte er daran, daß sie wohl mitbekommen mochte, wie stark die Spannung hier angestiegen war. Doch der Pulk von Mädchen um Corinne hielt ihn ab, hinzugehen und sie zu fragen. Vielleicht war es auch besser, wenn er nicht wußte, was gerade los war. Aber wenn das etwas lebenswichtiges war, sollte er das so früh wie möglich wissen.
"Julius, ich habe das Gefühl, als würden wir von irgendwem belauert", sagte Millie nicht ganz unerwartet. "Corinne sieht so aus, als horche sie auf jedes verdächtige Geräusch. Professeur Pallas steht da, als müsse sie sich gleich duellieren, und unsere Saalvorsteherin war wie ein verschlossener Kessel, in dem es immer mehr brodelt. Die hatte die Kleinen von euch und uns in der ersten. Komm, ich will das jetzt wissen, was da passiert ist!" Sie ergriff Julius' Arm und zog ihn mit sich. Er verzichtete darauf, sich dagegen zu wehren. Denn er war auch neugierig. Er deutete auf Pierre, der mit Gabrielle und zwei Jungs aus dem roten Saal zusammenstand und winkte ihnen zu. Als sie auf gewöhnliche Sprechweite heran waren fragte Julius:
"Entschuldigung, Leute, ist bei euch in der ersten was passiert, weil Professeur Fixus so geladen wirkt, als hätte die euch auseinanderzerren müssen."
"Die große Dame hat angeklopft und Fixie einen Umschlag rübergereicht", sagte Pierre ruhig. Die hat uns vor die Tür geschickt und den Brief oder was es war gelesen. Danach war die ziemlich knurrig. Irgendwas ziemlich mieses läuft da wohl ab."
"Wahrscheinlich hat Madame Maxime alle amtierenden Saalvorsteher mit Briefen aufgesucht", erwiderte Julius darauf. "Professeur Pallas wirkt auch ziemlich angriffslustig, dafür, daß die sonst so locker drauf ist."
"Madame Maxime wirkte auch ziemlich unter Dampf", bemerkte Pierre. "Irgendeine Hühnerkacke stinkt da zum Himmel."
"Könnte auch Drachenmist sein", knurrte Millie, während Gabrielle Pierre tadelnd in die Nase kniff.
"Vielleicht will Didier haben, daß die alle dem Minister schreiben, daß sie nur machen, was er sagt", vermutete einer von Millies Saalkameraden aus der ersten Klasse. "Nach den Zeitungssachen kann das echt passieren, daß Didier wen hier reinsetzt, der die Lehrer beobachtet."
"Hogwarts läßt also doch grüßen", grummelte Julius. "Wollen nur hoffen, daß es nur beim grüßen bleibt."
"Und wenn Didier recht hat und in Frankreich Leute von Ihr-wißt-schon-wem rumlaufen?" Fragte Gabrielle verschüchtert.
"Dieses Schmierblatt behauptet auch, daß meine Mutter tot ist, Gabrielle. Und ich weiß, daß sie nicht tot ist. Also glaube ich dieser Packung Abwischpapier kein Wort mehr, wenn das nicht von wo anders bestätigt wurde."
"Kriegen wir wohl erst mit, wenn Madame Maxime es freiwillig erzählt", knurrte Millie, der die Anspannung nicht gefiel. "Dann genießt mal die Pause, so gut es geht", sagte sie noch. Sie winkte Julius, der sofort neben sie trat und mit ihr Schritt hielt, um nicht den Eindruck zu erwecken, er würde ihr wie ein Hund hinterhertrotten. Sie holten sich von den leichten Pausenspeisen was ab und tankten neue Energie.
Nach der zweiten Doppelstunde Zaubertränke sagte Professeur Fixus: "Mir konnte nicht entgehen, daß Sie durch meine momentane Stimmung irritiert sind, die Damen und Herren. Nur so viel dazu, um unnötiges Getuschel zu vermeiden: Madame Maxime erhielt kurz nach dem Beginn des Unterrichts eine Posteule mit Benachrichtigungen für jeden Saalvorsteher. Der Inhalt der Benachrichtigung ist kein Anlaß zur Freude. Mehr möchte die Schulleiterin Ihnen allen nach dem Mittagessen erläutern."
"Hat der Minister Beauxbatons geschlossen?" Fragte Bernadette Lavalette.
"Nein, hat er nicht", schnarrte Professeur Fixus bedrohlich klingend. "Näheres erfahren Sie dann alle von Madame Maxime. Und jetzt hinaus mit Ihnen. Sie haben sich sehr gut gehalten, dafür daß der heutige Zaubertrank ein klassischer ZAG-Prüfungstrank ist. Sie haben alle einen brauchbaren Zaubertrank angerührt und dafür zehn Bonuspunkte verdient. Monsieur Latierre konnte den idealen Brauvorgang ausführen und erhält dafür noch einmal fünf Bonuspunkte. Das war es. Bis zum nächsten Mal!"
"Bis zum nächsten Mal, Professeur Fixus!" Antwortete der gut dressierte Schülerchor, froh diesem mit schlechter Stimmung und Anstrengung aufgeladenen Kerker entkommen zu können.
Die über den Morgen entstandene Anspannung bündelte sich, als alle Schüler in den Speisesaal hineinströmten. Niemand sprach ein Wort. Alle hasteten zu ihren Plätzen, setzten sich jedoch noch nicht hin. Gaston blickte sich immer wieder lauernd um. Mochte das für ihn heute ein Triumph werden? Julius Latierre sah es dem degradierten Mitschüler an, daß dieser wohl darauf hoffte, daß hier und gleich Madame Maxime bekanntgeben würde, daß sie von allerhöchster Stelle dazu aufgefordert wurde, ihr Amt zur Verfügung zu stellen, wie es Politiker und Juristen so schön ausdrückten. Doch es dauerte zehn Minuten. Die herrschende Anspannung wirkte jedoch stärker als jeder laute Tadel und jede harsche Zurechtweisung. Keiner wagte es, einen Laut von sich zu geben. Wie eine immer schwerer werdende Decke lastete die Ungewißheit auf den Schülern. Auch daß immer noch keiner der Lehrer hereingekommen war schürte die Unruhe. Dann, knapp elf Minuten nach dem Eintreten der letzten Schüler, führte Madame Maxime die Doppelreihe der Lehrerinnen und Lehrer in den Speisesaal hinein. Fast alle Schüler strafften sich und verharrten völlig bewegungslos. Nur Gaston Perignon stand lässig da und blickte die Halbriesin eher amüsiert als erwartungsvoll an. Julius dachte dabei nur daran, daß sein früherer Schlafsaalkamerad absolut keinen Grund zur Freude hatte, egal was gleich verkündet wurde. Doch Madame Maxime schien das völlig egal zu sein, daß Gaston sie nicht mit banger Erwartung anblickte. Sie postierte sich vor ihrem thronartigen Stuhl und sagte nur: "Setzen Sie sich bitte!" Einige Sekunden standen die Schüler verdutzt da. Doch als Madame Maxime ihre Aufforderung wiederholte ließen sich alle auf ihren Stühlen nieder. Julius bemerkte, daß Gaston leicht enttäuscht wirkte, als er sich setzte. "Ich erfuhr, daß Sie alle mitbekommen haben, daß heute morgen eine Nachricht eintraf, die die Kollegen des Lherkörpers und mich nicht ganz unerwartet erreichte. Mit sofortiger Wirkung ist die Beauxbatons-Akademie als Sperrgebiet ausgewiesen. Dies entspreche den ministeriellen Maßnahmen zur abgesicherten Unterbringung minderjähriger Hexen und Zauberer. In diesem Zusammenhang gilt, daß wir, also die Lehrerinnen und Lehrer von Beauxbatons, einschließlich meiner Person, nur noch den Anweisungen des Ministeriums zu gehorchen haben und sicherstellen müssen, daß niemand innerhalb dieser Mauern offen oder in heimlicher Verschwörung gegen das bestehende Zaubereiministerium Widerstand leisten kann. Des weiteren sollen wir innerhalb der nächsten Tage erfahren, ob Beauxbatons einen ministeriellen Aufsichtsbeamten aus der Familienschutzabteilung plus einiger Landfriedenswächter zugeteilt bekommen soll oder das Kollegium in einigen Schlüsselpositionen mit "zuverlässigen" Ministerialbeamten besetzt werden soll, um den akademischen Lehrbetrieb abzusichern und "alle des offenen oder heimlichen Widerstandes verdächtigen" Personen entledigt wird." Gaston grinste unverhohlen. Madame Maxime schien das immer noch nicht sonderlich zu betreffen. Sie sprach einfach weiter. "Des weiteren wurde verfügt, daß sämtliche Schüler und Lehrer, sofern sie sich keiner Vergehen oder Verbrechen schuldig gemacht haben, bis auf Widerruf der Anordnung in den Mauern der Akademie zu verbleiben haben. Das heißt also, daß die Heimreise in den Ferien für alle von Ihnen bis zu besagtem Widerruf verboten ist. Des weiteren sollen wir vom Kollegium damit beginnen, Schülerinnen und Schüler zu überprüfen, über die uns aufrührerische Äußerungen oder Handlungen bekannt wurden und diese auf einer der Abteilung für Landfrieden und Familienschutz zu überreichen, die dann befinden, wer hier weiterhin lernen darf. Sollte der Eindruck entstehen, daß wir unzureichende Auskünfte erteilen, so müßten wir mit unserer Amtsenthebung rechnen. Ja, und schließlich müßten wir vom Kollegium nacheinander zu einer umfassenden Befragung in den Räumen des Zaubereiministeriums antreten. Wir wurden freundlich darauf hingewiesen, daß jedes Mitglied des Lehrkörpers, das diese Befragung verweigert, absichtlich versäumt oder bei dieser fragwürdige bis zweifelhafte Angaben macht, aus Sicherheitsgründen aus dem laufenden Schulbetrieb beurlaubt werde, falls es nicht sogar darauf hinausliefe, daß betreffendes Mitglied des Lehrkörpers sich als Agent des Unnennbaren erweist oder sonstwie sicherheitsgefährdende Aktivitäten betreibt, fördert oder davon Kenntnis hat." Ein Raunen hob an. Doch Madame Maxime war noch nicht fertig. "Im Klartext heißt das, daß Beauxbatons in seiner langen Geschichte zum zweiten Mal von außen kontrolliert werden soll. Allerdings hat Sardonia zu ihrer unrühmlichen Zeit nicht gewagt, ihre Erfüllungsgehilfinnen in diese Mauern zu schicken, weil ihr wohl klar war, daß sie dadurch wertvolle Nachwuchshexen und ihnen zum Dienst geborene Zauberer gefährdet. Dem Herrn, der sich gerade mit dem Titel Zaubereiminister schmückt, scheint dieser Umstand entweder nicht vertraut oder schlicht weg gleichgültig zu sein. Offenbar setzt er darauf, daß seine Anweisungen rechtens und notwendig sind und daher jede ihm als vernünftig erscheinende Maßnahme keine unangenehmen Auswirkungen auf die Akademie und ihre Lehrer und Schüler haben wird. Ich bin in diesem Zusammenhang auch davon in Kenntnis gesetzt worden, daß die Verbindung zu den regionalen Ausgangskreisen im Zuge der Personenverkehrssicherungsmaßnahmen unterbrochen wurde. Will sagen, wir kommen nur noch zu Fuß oder auf fliegenden Besen oder Zaubertieren heraus. Das gesamte Gelände der Akademie wurde zur Anti-Apparierzone ausgerufen. Entsprechende Sperren sind bereits eingerichtet. Unsere Kamine sind bis auf den des Schulleiters vom Flohnetz abgetrennt worden. Dies geschah in der letzten Nacht." Wieder setzte Raunen ein. Ein Schüler fragte schnell, ob die Posteulen dann auch kontrolliert würden. Madame Maxime überlegte wohl kurz und sagte dann, daß dies nicht ausdrücklich bekanntgegeben wurde, aber damit zu rechnen sei, daß Postsendungen zwischen der Akademie und der Außenwelt überwacht würden. Nun brandete hektisches Plappern und Grummeln durch den Speisesaal. Gaston sah Madame Maxime nun sehr entschlossen an und rief: "Und was ist mit den Schulregeln, Madame Maxime?! Wenn der Minister jetzt sagt, wo es lang geht macht der auch die Schulregeln."
"Dies ist Gegenstand einer Anfrage, die ich nach der Weiterleitung der Nachricht an die Mitglieder des Lehrkörpers zu Händen von Ausbildungsleiter Descartes und den amtierenden Schulräten schickte. Denn weder wurde in dieser Nachricht behauptet, daß die bisherigen Schulregeln bestehen blieben, noch daß sie aufgehoben seien, Monsieur Perignon. Und an Ihrer Stelle sollten sie darauf hoffen, daß die bisher geltenden Regeln in Kraft bleiben. Denn sonst könnte es jenen, die befinden, die bisherigen Maßnahmen und Regeln auszuhebeln einfallen, daß Schüler mit einer Tendenz zur Renitenz als potentielle Unruhestifter zu sehen und vom Rest der Schülerschaft abzutrennen sind." Gaston steckte diesen Hinweis jedoch locker weg. Besser, er sah ihn eher als Bestätigung seiner Haltung und rief nur: "Das gilt dann nur für die, die Minister Didier nicht als Zaubereiminister haben wollen." Er blickte sich um und sah nicht ganz zufällig auf Julius Latierre. Dieser straffte sich und blickte den vor wenigen Tagen zum Drittklässler heruntergestuften Mitschüler entschlossen an, sagte jedoch kein Wort. Das würde er bei einer anderen Gelegenheit tun. Madame Maxime erwiderte nur:
"Ich muß Ihnen und jedem anderen, der oder die meint, Didier tue das richtige, zubilligen, aus lauter Angst vor dem äußeren Feind und aus Unwissenheit dessen, was seine Maßnahmen bewirken so zu empfinden. Ich erinnere Sie und alle anderen noch einmal daran, daß die bisherigen Regeln von Beauxbatons, auch was die Anerkennung des amtierenden Schulleiters und dessen Maßnahmen angeht, immer noch in Kraft sind."
"Was ist mit den Schulräten?" Wollte Belisama Lagrange wissen. "Haben die noch Mitbestimmungsrecht?"
"Bis jetzt habe ich keine gegenteilige Mitteilung erhalten, Mademoiselle Lagrange. Aber ich möchte Ihnen allen nicht verhehlen, daß ich eine derartige Mitteilung voraussehe, falls die amtierenden Schulräte gegen diesen neuen Erlaß der Didier-Regierung Einspruch erheben sollten. Falls also eine Nachricht an mich ergeht, daß die den Gründungsregeln und Lehrbetriebsstatuten nach eingesetzten Schulräte kein Mitspracherecht mehr besitzen, werde ich Ihnen das mitteilen, Mesdames, Mesdemoiselles et Messieurs."
"Die haben kein Recht, uns die Ferien zu verbieten", warf Jacques Lumière ein.
"Im Moment empfindet der Zauberer, der das Zaubereiministerium nach seinen Vorstellung umorganisiert hat dies so, Monsieur Lumière", erwiderte Madame Maxime. Ein Sechstklässler der Violetten, der immer mit den belgischen Mitschülern ankam oder abreiste wandte ein: "Der Zaubereiminister kann doch nicht bestimmen, was Leute aus anderen Ländern tun oder lassen dürfen. Ich komme aus Anderlecht. Das ist in Belgien." Viele der belgischen Mitschüler, darunter Tante und Nichte Duisenberg, nickten ihm beipflichtend zu.
"Tja, aber die Akademie liegt in Frankreich", feixte einer der Siebtklässler der Blauen. Julius überlegte, ob Beauxbatons nicht als exterritoriales Gebiet galt, weil ja doch einige Schüler aus der französischen Schweiz, Belgien und den ehemaligen Kolonien Frankreichs hier waren. Er hob die Hand und fragte laut:
"Wurde bei der Gründung von Beauxbatons klar gesagt, daß Beauxbatons zu Frankreich gehört oder nur im Land der Westfranken liegt?" Viele machten "Häh?!" Robert sah Julius verwundert an. Madame Maxime blickte über alle hinweg und schien zu überlegen. Julius entsann sich, die Gründungserklärung der sechs großen Hexen und Zauberer in den Bulletins de Beauxbatons gelesen zu haben. Damals gab es den Staat Frankreich nämlich noch nicht. Es gab aber schon die ersten Formen der Sprache, die sich zum heutigen Französisch entwickelt hatte. Madame Maxime wartete, bis alle schwiegen. Dann sagte sie ganz ruhig:
"In der Gründungsurkunde von Beauxbatons steht der Satz: "Und dieser Ort sei fortan dem Studium der Artes Magicae geweihet und allen Kindern zugänglich, in denen der Genius Magicus erwacht sei und vom Elternhause her mit Wort und Schrift der Westfranken vertraut wurden." Das heißt nur, daß magisch begabte Jungen und Mädchen hier Aufgenommen werden mögen, wenn sie der Sprache mächtig sind, die wir heute Französisch nennen. Es heißt nicht, daß dieser Ort unter die Rechtsprechung Frankreichs fällt. Vielen Dank für diese wichtige Anregung, Monsieur Latierre."
"Haha, damals gab's noch kein Zaubereiministerium", lachte Argon Odin aus dem violetten Saal. "Das wurde doch später bestimmt entsprechend umgeändert."
"Steht nicht in den Bulletins de Beauxbatons", konterte Madame Maxime. "Ich habe diese Chronik und jede Erweiterung und Diskussion darüber gelesen und auswendig gelernt, Monsieur Odin. In keinem Satz wurde die Akademie unter die Rechtsprechung eines Zaubereiministeriums gestellt. Was Sie anführen ist lediglich der Passus, der besagt das die Rechte der Eltern die Rechte der Kinder seien was hieße, daß die Kinder sich bei Straffälligkeit nicht nur mit dem Ausschluß aus der Akademie konfrontiert sehen müssen, sondern auch in das Heimatland ihrer Eltern zu überstellen seien. Deshalb wurden ja die Schulräte als Kontrollorgan eingesetzt, die außerhalb einzelner Zaubereiministerien Betrieb und Ausrichtung der Akademie überwachen sollen. Das dürfte auch der Grund sein, warum ich im Zuge der gerade erläuterten Maßnahmen noch keine Mitteilung erhielt, die Schulräte seien ihrer Mitbestimmungsrechte und -pflichten entbunden worden. Aber wie erwähnt muß ich im Moment zumindest davon ausgehen, daß eine derartige Änderung der Vollmachten angestrebt wird."
"Ist doch ganz klar, was Minister Didier will. Der will alle hier raushaben, die was gegen seine Arbeit haben", warf Gaston ein. Madame Maxime blickte Professeur Faucon an, die sich Gaston zuwandte, aber zu allen anderen sprach:
"Falls Sie der Meinung sind, Monsieur Perignon, daß ich um Ihrer Weihnachtsferien wegen freiwillig zu gehen hätte, so seien Sie bitte versichert, daß weder dieser überängstliche Zauberer im Ministerium noch ein renitenter Schüler der dritten Klasse mich dazu bewegen werden, diese meine Anstellung und meinen damit verbundenen Lehrauftrag aufzugeben. Damit wir uns da ganz klar verstehen, Didiers Politik spielt dem Massenmörder Voldemort in die Hände. Und es wäre das allerletzte, mich indirekt von diesem Psychopathen aus meinen Ämtern und Würden drängen zu lassen." Als sie den gefürchteten Namen äußerte schraken alle zusammen. Julius wußte, daß der Petzfluch, der sofort die Todesser an den Ort rief, wo der Name laut ausgesprochen wurde, hier in Frankreich nicht in Kraft war. Deshalb blieb er ruhig. Gaston schien von der Vorstellung, Minister Didier arbeite für den Unnennbaren, aus dem Konzept gebracht zu sein. Denn er wandte sein Gesicht ab und mied den Blick der anderen. Jacques wagte jedoch einen Widerspruch:
"Sie behaupten, er, der nicht beim Namen genannt werden darf, habe Minister Didier schon im Sack, Professeur Faucon. Aber das können Sie nicht beweisen. Wer sagt Ihnen denn, daß Minister Didier nicht schon Hinweise hat, daß Leute von dem versuchen, uns hier fertigzumachen und diese ganzen Sachen nötig sind, um die rechtzeitig zu kassieren, bevor die uns Sie-wissen-schon-wem ausliefern. Immerhin kommen immer noch Dementoren zu uns rein. Minister Didier muß doch was dagegen machen."
"Ja, dir zum Beispiel die Ferien versauen", stieß Julius unerwartet verärgert aus. "Du hast dich doch eben beschwert, daß diese feige Ratte im Ministerium dir und uns anderen die Ferien bei unseren Familien versaut und das nicht tun dürfe. Nachher meint der noch, deine Eltern wären französische Todesser und gehörten eingesperrt. Macht der dann immer noch alles richtig?"
"Halt doch dein klugscheißerisches Maul, Muggelbalg. Oder meinst du, weil deine Mutter jetzt von diesen Schweinehunden abgemurkst wurde könntest du noch groß rumlabern?" Schnarrte Jacques. Viele Schüler blickten zwischen Jacques und Julius hin und her. Julius grinste jedoch nur und antwortete sehr selbstsicher:
"Jacques, frage deine Eltern, ob die wissen, wo meine Mutter ist. Wenn die dir sagen, daß sie noch lebendig rumläuft, dann weißt du, daß die Zeitung und damit Didier gequirlten Mumpitz abgesondert haben." Alle anderen sahen Julius an. Er blieb jedoch ruhig. Jacques merkte wohl, daß er das Gegenteil nicht beweisen konnte, bevor er seine Eltern nicht gefragt hatte. Professeur Faucon sah Julius an und sagte: "Ich stimme Ihnen zu, was die Einschätzung des derzeitigen Machthabers der französischen Zaubererwelt angeht, Monsieur Latierre. Aber Ihre Wortwahl mißfällt mir. Zehn Strafpunkte für unvorbildliche Rede in der Position des stellvertretenden Saalsprechers!" Auf den Gesichtern der anderen Schüler außer Belisama, Laurentine, Sandrine, Millie und Robert machte sich schadenfrohes Grinsen breit. Doch das verging in dem Moment, als Madame Maxime das Wort ergriff.
"Ich wüßte nicht, was Sie daran amüsieren dürfte, daß einer Ihrer Mitschüler nur wegen einer unerwünschten Wortwahl Strafpunkte erhält. Das sollte Ihnen nämlich klarmachen, daß andere unerwünschte Verhaltensweisen noch strenger bestraft werden können. Noch gelten hier die Regeln der Gründer. Und sollte jemand meinen, sich offen gegen uns vom Lehrerkollegium auflehnen zu müssen, wie es Monsieur Perignon getan hat, so wird er oder sie diesmal nicht die wahl zwischen einer Herabstufung oder dem endgültigen Verweis haben. Sie sind hiermit gewarnt!" Sandrine Dumas hob die Hand und sagte ganz ruhig und entschieden:
"Die Zeitung hat unrecht. Julius' Mutter lebt. Sie arbeitet mit meiner Mutter zusammen in Millemerveilles. Das haben meine Eltern mir heute morgen per Eulenpost erzählt. Deshalb weiß ich nicht, ob dann nicht auch andere Sachen aus der Zeitung falsch sind." Julius mußte sich beherrschen, nicht zu grinsen. Wenn Sandrine sagte, sie wisse nicht, ob nicht auch andere Sachen falsch erzählt wurden, war das so ähnlich wie "Die Zeitung schreibt Drachenmist!" Madame Maxime nickte Sandrine zu und bedankte sich bei ihr für diese Information.
"Sie merken also alle, daß die Berichte in unserer einst so seriösen Zeitung längst nicht mehr auf wahren Gegebenheiten gründen. Das sollte Ihnen allen zu denken geben, welchen Wert Didiers Verlautbarungen haben oder nicht. Da ich mich mit allen Kolleginnen und Kollegen einig weiß, daß wir uns nicht zu Handlangern oder Zuschauern einer überängstlichen Bande im Zaubereiministerium machen dürfen, gilt für Sie und uns bis auf weiteres der übliche Unterrichts- und Freizeitablauf. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Sie dürfen nun zu Mittag essen."
Bei diesen Worten erschienen Terinen, Schüsseln, Platten und Geschirr auf den Tischen. Zunächst jedoch wollte niemand so richtig zulangen. Allen schien der Appetit vergangen zu sein. Als die Saalvorsteher jedoch die Runde machten und jeden anhielten, etwas zu essen, entstand die übliche Geräuschkulisse auf Tellern klappernder und schabender Besteckteile. Keiner sagte ein weiteres Wort. Die Verfügung des Ministeriums wog so schwer, daß keiner noch was dazu sagen wollte. Jeder für sich dachte daran, was diese Sperrverordnung für sie oder ihn bedeutete. Julius dachte daran, daß das nur der erste Schritt war, Beauxbatons komplett umzukrempeln. Er fragte sich, warum Sardonia nie daran gedacht hatte, die Schule ganz unter ihre Herrschaft zu zwingen. Unangebracht amüsiert dachte er kurz, daß er ja nur Anthelias Wiedergeburt fragen müsse, um das zu erfahren. Immerhin hatte die Nichte Sardonias ja ihre ersten dreißig Lebensjahre in Frankreich zugebracht. Doch zum einen mußte er jetzt ganz klar davon ausgehen, daß Posteulen abgefangen wurden. Zum anderen wollte er sich bestimmt nicht darauf einlassen, mit dieser Hexe Kontakt aufzunehmen, nur um die zu fragen, was damals mit ihrer durchgeknallten Tante los war, daß die Beauxbatons in Ruhe gelassen hatte, wo sie alles andere nach ihrem kranken Bild umgebaut hatte. Vielleicht stand es aber in dem Buch über die dunkle Matriarchin, was die von der Übernahme von Beauxbatons abgehalten hatte. Könnte ja doch wichtig sein, wenn Didier meinte, seine Leute hier reinzusetzen. Er fragte sich, ob er das nicht auch in den Bulletins de Beauxbatons nachschlagen konnte. Dabei erinnerte er sich, daß Madame Maxime erwähnt hatte, daß sie die ganze Chronik und alle damit zu tun habenden Sachen auswendig gelernt hatte. Die Chronik an sich war schon ziemlich umfangreich. Er hatte sie wohl nur zur Hälfte richtig gelesen und kannte gerade zwanzig Sätze davon wortwörtlich. Aber Madame Maxime lebte ja schon einige Dutzend Sommer länger als er und hatte, so blöd das klang, einen viel größeren Kopf als er. Da mochte in dieser zeit viel reingesteckt worden sein. Oder hatte sie Bicranius Beaumonts Mixtur der mannigfaltigen Merkfähigkeit benutzt, um Bücher wie die Chronik auswendig zu lernen? Das ging ja auch. Jezt wußten zwar alle, daß seine Mutter in Millemerveilles war. Aber das war besser als sich von denen hier anzuhören, daß sie es bedauerten, daß sie tot sei oder so Dinger austeilten wie Barbara van Helderns kleiner Bruder. Allerdings fragte er sich jetzt auch, wie lange Millemerveilles sicher blieb. Es hielt doch nur eindeutig schwarzmagische Wesen und Leute draußen. Was wäre, wenn der Chef der Didier-Bande ordentliche Ordnungshüter dahin schickte? Dann wäre seine Mutter wohl schnell kassiert, falls sie nicht immer im Schutzbann um Professeur Faucons Haus bleiben wollte. Und wenn sie schon dem Kleingemüse da anständige Mathematik beibrachte, mußte sie ja immer wieder aus dem Haus raus. Das beängstigte ihn ein wenig. Andererseits hatte in der Zeitung gestanden, daß Didier sauer war, weil die Leute vom Dorfrat die bei ihnen untergekommenen Leute nicht ausgeliefert hatten. Wenn Didiers und Pétains Leute einfach hingehen und die ihrer Meinung nach kriminellen Leute einkassieren konnten, wäre das doch kein Thema. Es sei denn ... Natürlich. Schwiegeroma Line hatte Millie doch erzählt, jemand habe sie mit dem Imperius belegen wollen, als ihr Kopf zu einem Abfangkamin umgeleitet worden war. Ebenso sei sein Schwiegeropa Ferdinand ganz klar unter den Imperius genommen worden, um die Kamine seiner Familie umzustöpseln. Der hatte den Fluch erst loswerden können, als er zu Heim und Herd zurückkehren durfte. Und das wäre nur mit einigen Sekunden heftiger Kopfschmerzen abgegangen. Mußte Didier damit rechnen, daß unter Imperius gesetzte Leute entweder gar nicht nach Millemerveilles reinkamen oder spätestens dort den Fluch loswurden und dann auf ihren Auftraggeber losgingen? Das wollte er noch geklärt haben. Immerhin wollte seine Mutter da noch einige Zeit bleiben. Überhaupt schon heftig, sich vorzustellen, daß Didier viele Zauberer und Hexen unter den Imperius-Fluch genommen haben sollte. Dann wäre er wirklich nicht mehr anders als Voldemort, der das ganz bestimmt nicht nur mit Thicknesse gemacht hatte. Vielleicht stand die Umbridge auch unter diesem fiesen Zauber, gegen den er selbst sich immer noch nicht vollständig wehren konnte. Andererseits konnte er sich nach ihrem Auftritt in Hogwarts auch vorstellen, daß sie keinen Imperius im Kopf sitzen haben mußte, um diese Antischlammblutkommission zu führen.
Nach dem sehr schweigsam verlaufenen Mittagessen gingen die Schülerinnen und Schüler in ihre säle zurück. Nur Julius suchte Professeur Faucon. Er sah sie fragend an und wartete, bis sie ihm durch Nicken erlaubte, zu ihr hinzugehen. "Entschuldigung, Professeur Faucon. Im Zusammenhang mit meiner Mutter möchte ich Sie fragen, ob Sie wissen, ob Leute von Didier nicht ganz einfach nach Millemerveilles rein können, um jeden festzunehmen, der dort Unterschlupf sucht."
"Nur freiwillig, Monsieur Latierre. Will sagen, wenn jemand von einem bösartigen Zauber dazu getrieben wird, nach Millemerveilles vorzudringen oder durch einen Fluch an einen böswilligen zauberkundigen gekettet ist, vermag er oder sie es nicht, Sardonias Abwehr zu durchdringen. Die Abwehr würde ihn oder sie physisch zurückweisen. Und das niemand durch die Abwehr hindurchapparieren kann wissen Sie ja. Und bevor Sie die sich daraus ergebende logische Frage stellen, Monsieur Latierre: Ich befürchte, daß sämtliche sicherheitsrelevanten Hexen und Zauberer des Ministeriums durch den Imperius-Fluch zum bedingungslosen Gehorsam gezwungen sind. Ein Paranoiker wie Didier - und ich halte diese Einschätzung gegen alle Gegenargumente aufrecht - wird sich nicht damit begnügen, daß sein Amt alleine genug Druck auf die unteren Bediensteten ausübt, daß sie jede Anweisung widerspruchslos ausführen. Außerdem können von einem Imperius-Fluch gebundene nicht so einfach durch einen anderen Imperius-Fluch übernommen werden. Da müßte es schon eine skrupellose wie zaubermächtige Hexe oder ein Magier von der Stärke dieses Psychopathen sein, um einen anderen Imperius zu überlagern. Damit hat Didier sich jedoch die Möglichkeit verbaut, seine Schergen nach Millemerveilles hineinzuschicken. Deshalb ist er natürlich sehr aufgebracht."
"Das wollte ich nur wissen, weil nun jeder hier weiß, wo meine Mutter gerade ist", sagte Julius nur, der tatsächlich schon die Frage auf der Zunge hatte, ob jeder von Didiers unteren Leuten unter Imperius stand. Professeur Faucon winkte ihn noch näher zu sich und wisperte: "Außerdem kann Catherine Ihre Mutter immer noch durch jenen Zauber in Sicherheit bringen, mit dem sie sie vor Pétains Nachstellung gerettet hat. Insofern dürfen Sie einstweilen unbesorgt bleiben." Julius nickte und bedankte sich für die Auskunft. Professeur Fixus, die noch in der Nähe war wandte sich ihm zu und fragte ihn, ob er von seiner angeheirateten Verwandtschaft erfahren habe, daß die gerade im Ministerium anwesenden Familienmitglieder vorübergehend unter den Imperius-Fluch genommen wurden. Julius bejahte es und führte an, daß Millie deshalb um eine kurze Besprechung aller Pflegehelfer gebeten habe. professeur Fixus nickte und erlaubte ihm nun, ebenfalls in seinen Wohnsaal zurückzukehren, um sich vor dem Nachmittagsunterricht noch einige Minuten zu erholen. Per Wandschlüpfsystem war er innerhalb von fünfzehn Sekunden aus dem Speisesaal im Aufenthaltsraum des grünen Saales. außer Carmen Deleste war noch keiner hier. Sie fragte ihn, ob er Angst habe, die Leute Didiers könnten seine Mutter aus Millemerveilles rausholen.
"Deshalb habe ich gerade mit Professeur Faucon gesprochen. Die kennt die Bannzauber in und um Millemerveilles auswendig. Sie hat mir versichert, daß nur Hexen und Zauberer da rein können, wenn sie einen absolut freien Willen und nichts mit den dunklen Künsten zu schaffen haben."
"Freien Willen heißt, daß sie nicht unter Imperius oder einem Fügsamkeitstrank stehen dürfen, Julius?"
"Genau das", sagte Julius. "Professeur Faucon vermutet, daß die einfachen Handlanger des Zaubereiministeriums mit dem Imperius-Fluch belegt wurden, um immer und überall zu spuren. Meinem Schwiegergroßvater ist ja genau das passiert. Der arbeitete im Flohregulierungsrat und sollte da Kaminverbindungen umändern."
"Ups, woher weiß man das?"
"Weil um den Stammsitz der Latierres ein zauber steht, der aktive Flüche aufhebt oder draußenhält. Mehr ist wohl nicht zu sagen."
"Was macht deine Mutter denn jetzt in Millemerveilles. Sie ist doch eine Muggelfrau."
"Sie bringt den Kindern unter elf richtiges Rechnen bei, solange man sie dort läßt", antwortete Julius. "Sandrines Mutter ist ja die dienstälteste Grundschullehrerin da, die hat meine Mutter wohl rumgekriegt."
"Wie haben die deine Mutter denn nach Millemerveilles gekriegt? Apparieren darf man ja nur mit Hexen und Zauberern. Fliegen auf Besen geht auch nicht und dauert auch lange. Flugtiere wie die großen Pferde brauchen auch lange. Außerdem dürfen Muggel nur im magischen Notfall auf Besen transportiert werden."
"Sagen wir es so, meine Mutter ist da irgendwie hingekommen und möchte da erst einmal bleiben. Mehr mußt du nicht wissen", sagte Julius, wobei er sich bemühte, nicht verärgert oder knurrig zu klingen. Carmen sah ihn verunsichert an. Ihr Blick schien zu fragen, ob Madame Brickston irgendwas illegales angestellt hatte. Dann nickte sie. Immerhin gehörte Julius' Mutter wegen ihm und vielleicht durch diese merkwürdige Frühverheiratung mit Millie zur Zaubererwelt. Vielleicht galten da die Transportbeschränkungen nicht mehr.
Gaston Perignon kam mit seinen neuen Klassenkameraden auf üblichem Weg herein. Es schien so, als flüchte er vor Laurentine und Céline, die dicht hinter ihm waren. Als er Julius sah brach er aus der Drittklässlerformation aus und lief zu ihm hinüber. Julius blieb ruhig stehen. Hatte Gaston nicht getönt, keinen seiner früheren Klassenkameraden näher als fünf Meter an sich ranzulassen, bis er wieder bei denen mitlernen durfte?
"Das mit deiner Mutter ist ja interessant, Julius. Hat Minister Didier die deshalb für tot erklärt, weil sie illegal nach Millemerveilles gebracht wurde, ey?"
"Neh, der hat die für tot erklärt, weil die seinem leitenden Bluthund Pétain unter der Sabberschnauze entwischen konnte, ey! Weil 'ne Muggelfrau nicht schlau genug sein kann, um einen ausgewachsenen Zauberer auszutricksen, ey. Weil 'ne Muggelfrau überhaupt zu blöd ist, um zu kapieren, daß ihr Typ nicht mehr gefragt ist, weil sie einen Ruster-Simonowsky-Zauberer zur Welt gebracht hat, ey. Und weil meine Mutter mitgekriegt hat, was Didier und seine Bande für Leute sind, Ey. Abgesehen davon stehst du gerade nur einen Meter vor mir. Gilt das mit den fünf Schritt Ablehnungsabstand nicht mehr?"
"Wer sagt, daß Zaubereiminister Didier nicht klare Beweise hat, daß deine Mutter und du auf deiner Insel irgendwas fieses angeleiert habt, daß ihm, dessen Namen niemand nennen darf, zurück an die Macht geholfen hat?"
"Ich sage das", knurrte Laurentine nun verdrossen, bevor Julius eine lockere Antwort loslassen konnte. "Glaubst du echt diesen Müll, den Didier da in den Miroir reinkleistern läßt, Gaston? Alle Welt weiß, daß dieser Voldemort Leute wie Julius oder mich haßt und überall plattmachen will. Also ist das einzige, was Julius' Mutter verbrochen hat, ohne eigene Zauberkräfte einen echten Zauberer auszubrüten, klar. Oder findest du das neuerdings toll, daß Leute ohne magische Eltern wie niedere Tiere gejagt werden? Sag es mir ins Gesicht, und du brauchst dir keine Gedanken mehr drum machen, daß ich noch irgendwas von dir will!" Gaston hatte nun sichtliche Probleme. Hinter ihm stand seine bisherige Freundin Laurentine mit einem sehr verärgerten Gesichtsausdruck. Vor ihm stand Julius Latierre, der ihn sehr lässig anblickte, als sei das, was er dem gerade um die Ohren gehauen habe nichts besonderes. Wem von den beiden sollte er jetzt antworten. Laurentines Frage erschien ihm schwerer zu beantworten. So sagte er an Julius gewandt:
"Glaub echt nicht, daß die Maxime und die Faucon noch eine ganze Woche hierbleiben. Wenn rauskommt, daß die deine Mutter und dich illegal rübergeholt haben fliegen erst die und dann du."
"So, Laurentine, da hast du deine Antwort, sagte Julius ganz ruhig. "Er wünscht es sich, daß ich hier rausfliege, damit Didier mich Voldemort ausliefert. Ne, das wolltest du doch sagen, Gaston?"
"Ey, das wollte ich nicht sagen, Mann. Ich wollte nur sagen, daß die Faucon meint, weil du diese Ruster-Sinodingenski-Kräfte hast müßte die dich hier klarmachen um später mit dir angeben zu können. Der würde dich und deine Mutter wohl in eines der Friedenslager stecken und ..." Klatsch! Laurentine hatte ihm eine runtergehauen.
"Du heuchlerisches, feiges Aas. Du weißt genau, was passiert, wenn Julius hier rausgeworfen wird. Der wird nach England zurückgeschickt!" Keifte die frühere Unterrichtsverweigerin. "Und wenn dieser Voldemort einen Muggelstämmigen kassieren kann, will der alle anderen auch haben. Geht das vielleicht in deinen Hohlkopf rein oder was?!" Alle die nun hereinkamen lauschten dieser hitzigen Debatte. Gaston sah seine Freundin anund stampfte mit dem Fuß auf.
"Sieh zu, wer noch was mit dir anfangen würde, blöde Sabberhexe", schnarrte Gaston und wandte sich Julius zu:
"Ich weiß nur eins, daß ihr alle was gegen Didier habt, weil der endlich was macht, anstatt nur dumm zu reden, Julius. Ich lass mir von dir und der da nicht einreden, ich wäre so'n Todfresser oder was. Aber wenn diese Dementoren nur rüberkommen, weil der Zaubereiminister von denen meint, wir hätten flüchtige Verbrecher hier, dann sollte das schon geklärt werden."
"Gaston, geh besser zu deinen Klassenkameraden rüber. Offenbar bist du in den zwei Nächten bei denen wieder kleiner geworden. In zwei Jahren sprechen wir uns dann wieder."
"Schl..., Muggelbalg", knurrte Gaston. Julius grinste ihn verwegen an.
"Hast du gerade noch mal die Kurve gekriegt, was, Gaston. Denn wenn du das böse Wort eben ganz rausgelassen hättest hätte ich es dir glatt ins Maul zurückgeschlagen, daß es dir mit dem Mittagessen hinten wieder rausfliegt. Dann würde jeder denken, du hättest dir in die Hose gemacht."Rums! Das traf, saß und wirkte. Gaston verdrehte die Augen, wackelte unbeholfen mit dem Kopf und trippelte zweimal von linken auf den rechten Fuß. Dann trollte er sich wie ein begossener Pudel.
"Den Tiefschlag verdaut der nicht so leicht wie deine Ohrfeige, Laurentine", grummelte Céline. Diese sah Julius bewundernd an und wandte sich dann an Céline.
"Warum hast du dem keine Strafpunkte aufgebrummt? Immerhin hat er Professeur Faucon abfällig bezeichnet und Madame Maxime auch. Mir brauchst du mit dem keinen Gefallen mehr zu tun."
"Bébé, der denkt doch, er sei der einzige hier, der Didier richtig versteht. Glaub mir, der kriegt das früher mit als ihm lieb ist, wem er da nachläuft."
"'tschuldigung, Céline, aber Bébé paßt zu diesem Hohlkopf da drüben besser als zu mir", knurrte Laurentine und deutete verdrossen auf Gaston, dessen Klassenkameraden vorsichtshalber Abstand hielten.
"Ich weiß nicht, ob das so gut war, ihn dran zu erinnern, daß er sich mal in die Hose gemacht hat", brummelte Céline halblaut. Julius tat dies mit einem Schulterzucken ab und sagte: "Dann soll der sich auch dran erinnern, wer ihm von diesem aufgescheuchten Thestral runtergeholfen hat. Wenn ich nicht draufgesessen hätte, wäre das Mädel nämlich beim ersten Gewitterblitz durchgegangen und hätte den abgeworfen. Aber dann hätte der auch keine Sorgen mehr." Céline nickte betroffen.
"Was haben die Drittklässler gleich eigentlich?" Fragte Laurentine.
"Verwandlung", raunte Céline.
"Ui, da sollte der sich aber schön zusammennehmen, bevor der sich bei Professeur Faucon noch so'n Ding erlaubt wie gerade eben. Die hat den schon einmal fast mit dem Zauberstab beharkt."
"Das hat sie schon mehrmals", entgegnete Céline.
"Tja, aber die wirklich heftigen Sachen hat sie ihm nicht übergebraten", erwiderte Julius, der da an einen ganz bestimmten Verwandlungsfluch dachte. Denn ihm hatte es auch schon in den Fingerspitzen gejuckt, Gaston eine unvergeßliche Lektion zu erteilen. Doch seine Bemerkungen hatten besser eingeschlagen.
In Kräuterkunde verlor niemand ein Wort über die Enthüllung Madame Maximes. Professeur Trifolio war voll auf seinen Unterrichtsstoff konzentriert, die amazonische Kletterknolle, etwas, das ahnungslose Menschen für eine große, behaarte Spinne halten mochten, weil die grüne Frucht lange, biegsame Beine mit kleinen Häkchen besaß und als Sämling an den über neunzig Meter hohen Urwaldbäumen hinaufkrabbelte, bis es sich, ähnlich einer Orchidee, in der Baumkrone festsetzte und den Saft aus den Blättern sog, bis diese ausgetrocknet waren. Dann krabbelte die schmarotzende Zauberpflanze weiter, bis sie noch mehr Blätter ausgesogen hatte. Dabei schwoll das Gewächs immer mehr an. Am Ende eines Jahres riß dann die feste Außenhaut, und das Parasitenpflänzchen zerplatzte mit lautem Knall, wobei mehrere hundert Samen mit dem ausspritzenden Saft zu Boden regneten. Allerdings mußten die Samen dann von Vögeln oder kleinen Säugetieren gefressen und ausgeschieden werden, um zu neuen Kletterknollen zu werden. Wurden sie statt dessen von Ameisen oder Würmern vertilgt, endeten sie als harmloser Pflanzenabfall. Auch die bereits auf den Bäumen krabbelnden Pflanzen hatten einen schweren Stand. Denn sie waren die bevorzugte Beute von Baumkobolden, magischen Verwandten üblicher Affen, die wie Bowtruckels bestimmte Bäume besidelten und verteidigten, aber auch gerne mit ihren fledermausartigen Flughäuten an den sehr gelenkigen Armen und Beinen hinter Kletterknollen herjagten, weil der angesammelte Pflanzensaft durch die diesen Pflanzen eigene Magie neue Ausdauer und Fruchtbarkeit verhieß. Der Pflanzensaft konnte für Tränke gegen Pflanzengifte benutzt werden und galt bei den südamerikanischen Heilzauberern als Standardheilmittel gegen viele Krankheiten, wenn sie es wagten, in die hochhaushohen Wipfel befallener Bäume hinaufzuklettern und die Knollen abzuernten, die jedoch schnell mit ihren Kletterhaken in die Haut ihrer Jäger hineinschlagen konnten. Daher waren dicke Drachenhauthandschuhe angeraten, als die Klasse im Gewächshaus für mittelgefährliche Zauberpflanzen die Knollen aus Kästen mit frischen Blättern sammelten.
"Natürlich sind diese nonsessilen Zauberpflanzen keine Überwinterungskünstler, da sie in den Tropen vorkommen und genauso viel Regen benötigen wie frischen Pflanzensaft. Das Surrogat aus frischen Blättern und Tannennadeln kann sie nur bedingt am Leben halten. Die Samen sind jedoch, sofern sie bei Temperaturen zwischen fünfzehn und fünfzig Grad gelagert werden, über mehrere Jahre keimfähig", hallte Professeur Trifolios Stimme durch das auf Sommerwärme gehaltene Treibhaus. Belisama konnte gerade eine hühnereigroße Knolle ergreifen, die aus dem Bett frischer Blätter herausgehuscht war und versuchte, an ihr hochzuklettern. "Schon gruselig", wisperte sie Julius und Laurentine zu, mit denen sie eine Arbeitsgruppe bildete.
"Wie viele Pflanzen, die wir hier schon hatten", erwiderte Julius. Die Schweineschluckermelone, die sie zwei Wochen zuvor durchgenommen hatten war ja auch nicht ohne gewesen. Diese fleischfressende Pflanze tarnte sich wie eine gewöhnliche Wassermelone. Doch wer den Fehler machte, sie länger als eine halbe Minute festzuhalten, konnte leicht durch die plötzlich nachgiebige Außenhaut gezogen werden und wie von einer grünen Amöbe umschlossen werden, wenn er kleiner als einen Meter war. Kleinere Tiere konnten so locker vertilgt werden. schnitt man jedoch die Wurzeln der Pflanze durch, blieb sie fest. Das innere fand dann in Tränken wie dem Abspecktrank Nummer zwei Verwendung.
Nach dem Unterricht war Quidditch angesagt. Auch wenn es dieses Jahr wohl kein Turnier mehr geben würde wollten die Mannschaften zumindest in Form bleiben. Marie van Bergen, die Muggelstämmige aus der dritten Klasse, bot sich als Nachwuchssucherin an. Insgesamt waren vierzehn Spieler aus dem grünen Saal auf dem Feld. Nachdem sie einige Minuten lang in ordentlicher Aufstellung gegeneinander spielen konnten, forderte Giscard Moureau, der Kapitän, daß nun verschiedene Aufstellungen bestimmte Flugmanöver ausführen sollten. Céline Dornier spielte Jägerin, während Julius und Marie am Spielfeldrand warteten, bis sie drankamen.
"Oha, mit eurem Gaston habt ihr uns aber wen vererbt. Würde mich nicht wundern, wenn der diese Woche noch als Kakerlake oder Regenwurm endet", seufzte Marie Julius zugewandt. "Der hat Professeur Faucon doch glatt gesagt, er würde nur das machen, was im Schulbuch für die dritte Klasse dran sei, weil sie Tier-zu-Tier-Verwandlungen von ihm sehen wollte. Da sei er wohl noch nicht so sicher drin, hat sie gemeint. Sie sagte dann, er habe ihre Anweisungen auszuführen, und nur weil er jetzt zurückgestuft sei hieße das nicht, daß er sich jetzt im Unterricht ausruhen dürfe. Immerhin hättest du, Julius, ja bei ihr auch schon heftigere Sachen machen müssen. Da hat Gaston gemeint, daß du ja besonders von ihr dressiert worden seist und das noch rauskäme, ob sie hier noch länger was zu melden hätte. Ui, da hat die den angeguckt, als wolte die Laserstrahlen aus den Augen schießen und dem locker fünfzig Strafpunkte aufgedrückt. Sie meinte, falls er seine verstockte Art nicht sehr schnell ablegen würde, könnte ihr einfallen, das zu machen, woran Madame Maxime nur gedacht hat. Was wollte die noch mal machen, irgendwas mit Infantil oder so?"
"Infantil muß sie den nicht mehr machen", knurrte Julius. "Sie meinte den Infanticorpore-Fluch. Der bewirkt, daß der davon getroffene in einem Augenblick zum Baby zurückverkleinert wird, allerdings nur körperlich."
"Huch! Sowas geht? Öhm, ist aber dann fies. Ich meine, ich hab 'ne Cousine, die ist gerade vier Monate alt. Die kann nicht kauen, nicht laufen und hatte wohl am Anfang auch Probleme mit dem Kucken. Wenn das jemand bewußt mitkriegt, ist das ja, als wenn du dem Beine und Arme brichst und alle Zähne ausschlägst."
"Deshalb ist das ja auch ein Fluch", sagte Julius kalt. "Und wenn du nicht genau weißt, auf die wievielte Minute genau wie alt das Opfer war, bevor du den Fluch gebracht hast, kannst du es nicht mehr zurückverwandeln. Wer jedoch weiß, wie alt jemand genau vor dem Fluch war, kann den oder die wieder auf das bereits erreichte Alter zurückbringen. würde mich echt nicht wundern, wenn Professeur Faucon der Zauberstab ausrutscht und sie Gaston damit wortwörtlich klein macht. Der soll froh sein, daß sie doch noch eine so gute Selbstbeherrschung hat."
"Darf sie das denn? Wenn der Zauber nicht umgedreht werden kann zählt der ja dann nicht zu den Verwandlungsstrafen", sagte Marie, die das erst einmal verdauen mußte.
"Die Frage stellt sie sich wohl auch und macht es erst einmal nicht. Könnte ihr nur irgendwann einfallen, daß sie sich nicht dauernd von ihm auf der Nase rumtanzen lassen will. Wann habt ihr wieder bei ihr?"
"Morgen in der zweiten, Abwehr dunkler Kräfte", erwiderte Marie. "Aber das müßtest du doch wissen. Oder kriegt ihr nicht unsere Stundenpläne als Saalsprecher?"
"Nein, die kriegen wir nicht", antwortete Julius. Marie nickte nur. Dann fragte sie, ob Julius diesen Infanticorpore-Fluch schon mal in Aktion erlebt habe. Er erzählte ihr, daß er ihn an sich selbst hatte ausführen lassen, weil er sich ja sicher war, sein Alter auf die Minute genau bestimmen zu können und beschrieb die Erfahrungen während der wenigen Minuten unter dem Fluch. Dann waren sie wieder mit Quidditchübungen dran.
Abends besprachen sie im Zauberwesenseminar Bergnymphen, zierliche, kleine, meistens weibliche Wesen, die es fabelhaft verstanden, an festen und glatten Wänden hinaufzuklettern und wunderschön singen konnten. Julius vermeinte das sphärische Klingen angestrichener Gläser zu hören, nur das dieser Klang gesprochene Worte trug. Madame Maxime wartete, bis die Schüler den drei mit spinnwebartigen Umhängen bekleideten Wesen applaudiert hatten. Dann sagte sie: "Für diejenigen, die die Weihnachtsferien in Beauxbatons zubringen geben diese drei Bergnymphen mit ihrer Mutter zusammen das Weihnachtskonzert in der Aula. Wir lassen dabei für gewöhnlich Dauereisskulpturen erstehen und eine Winterberglandschaft im Hintergrund erscheinen. Dieses Jahr wird es wohl etwas schwieriger sein, weil alle Schüler die Ferien hier zu verbringen haben werden. Bergnymphen scheuen größere Menschenmassen. Allein jetzt hier zu sein ist sehr schwierig für sie. Aber wir werden schon ein angemessenes Fest zu Wege bringen."
"Notfalls bestellen Sie die drei Wunder der Wellen", schlug einer der Sechstklässler aus dem Violetten Saal vor. "Die sind bei den Griechen und Bulgaren voll angesagt."
"Ja, und das wohl nicht ohne Grund", knurrte Madame Maxime. "Diese drei Berühmtheiten haben es zur Perfektion entwickelt, heranwachsene Jungzauberer bis zu den Hundertjährigen mit ihrem Gesang in eine wohlige Trance zu versetzen und sie dabei allen möglichen Unfug anstellen zu lassen, während die Damen eher wie unter starken Schmerzen gelähmt dabeisitzen müssen. Wir hatten es ja von den Veelas, wie stark sie mit ihrer Stimme Magie wirken können. Außerdem werde ich bestimmt keine gläserne Kugelschale mit Meerwasser hinstellen, damit die drei sich wohlfühlen."
"Klär mich mal bitte wer auf, von wem gerade gesprochen wird", maulte Patrice Duisenberg. Madame Maxime gab die Frage weiter. Der Sechstklässler, der diese Künstler vorgeschlagen hatte, grinste nur verschmitzt. Millie hob die Hand.
"Das sind griechische Meerjungfrauen, die sehr schön aussehen, mit blonden Haaren und grünen Augen. Sie können mit ihrem Gesang Menschen bezaubern. Angeblich stammen sie von einem uralten Geschlecht ab, daß bereits vor mehreren tausend Jahren Seeleute vom Kurs abgebracht hat, um mit denen was anzufangen und sie dann, wenn sie genug von ihnen hatten, wieder davonziehen zu lassen. Nur waren viele von denen dann so durch den Wind, daß sie mit ihren Schiffen gegen einen Felsen krachten und ertrinken mußten. Die drei Wellenwunder sind zwar nicht so drauf, haben es aber raus, mit ihrem Gesang Leute zu irgendwelchem anderen Unsinn zu verleiten. Meine Oma Ursuline hatte die mal bei einer Feier da. Da war ich gerade vier Jahre alt. Ich kann mich nur dran erinnern, daß mein Vater zwanzig Minuten im Kopfstand ausgehalten hat, weil diese Wellenwunder ihm das vorgesungen haben. Sind also von der Wirkung her ähnlich wie Veelas oder die Vampirin Voixdelalune, die ja letztes Jahr mal hier zu besuch war."
"Ach das sind die", warf Julius ein, als die Jungen kicherten und die Mädchen sich verstohlen umsahen. "Bei den alten Griechen hießen die Sirenen, wenn ich die jetzt nicht mit dem großen Wasserstrudel und dem sechsköpfigen Meeresungeheuer verwechsel."
"Diese Bezeichnung trifft zu, Monsieur Latierre. Nur hieß es in den Legenden über diese Wesen, sie seien kannibalisch veranlagt. Das mag daher rühren, daß ihre betörende Macht die Seemänner unvorsichtig gemacht hat und sie eben bei der Abreise hat ertrinken lassen. Jedenfalls können diese drei Nixen in der Tradition dieser Sirenen Lieder in unserer Sprache singen und mit einer magischen Ausprägung anreichern, die besonders auf Zauberer zwischen fünfzehn und so um die einhundert Jahre wirkt. Allerdings soll die Wirkung von der Hörfähigkeit der Zuhörer abhängen. Und genau deshalb werde ich diese drei auch nicht einladen. Denn wenn die einmal singen, ist es so gut wie unmöglich, sich dem von ihnen gesungenen Anweisungen zu verweigern. Bei Festen mit rein erwachsener Beteiligung mag dies ein fragwürdiger Spaß sein. Aber in dieser Akademie werden wir derartige Versuchungen nicht dulden. Es reicht mir schon, die Wirkung einer Veela an Ihnen beobachten zu können. Und dabei hatten wir es mit einer zivilisierten Vertreterin ihrer Art zu tun."
"Dann möchten wir Hecate Leviata und Angelique Liberté sehen", schlug der Sechstklässler vor.
"Nichts für ungut, aber über das Unterhaltungsprogramm für die Schulfeste befinde ich in Absprache mit den Leitern der Kunst-AGs", stellte Madame Maxime klar. Julius hätte sonst noch die Melodia Magica oder die Schicksalsschwestern vorgeschlagen. Eine der Bergnymphen fragte Madame Maxime mit ihrer Weinglasklangstimme, wie viele Schüler denn gerade in Beauxbatons seien. Als sie die Antwort erfuhr, schüttelte sie sich wie ein nasser Hund. Die Schüler wagten nicht zu lachen.
Nach dem Seminar blieb Julius noch ein wenig mit den Saalsprechern untn im Aufenthaltsraum. Giscard hatte sichtliche Probleme gehabt, Gaston ins Bett zu kriegen, weil der meinte, noch viel zu wach zu sein. "Ich habe den in Zauberschlaf versenkt. Der wacht erst auf, wenn er morgen früh deine Stimme hört. Es reicht mir langsam", knurrte der hauptamtliche Saalsprecher.
"Zumindest durfte er heute nachmittag auf zwei gut entwickelten Beinen aus der Verwandlungsstunde raus. Marie van Bergen erzählte sowas, daß es zwischen ihm und Professeur Faucon fast zum großen Knall gekommen wäre", wandte Julius ein.
"Die macht das auch nicht mehr lange mit, Julius. Die macht sich nur Sorgen darum, ob wir hier alle noch friedlich weiterlernen dürfen. Nachdem, was du uns aus Hogwarts erzählt hast hat sie wohl Angst, wir könnten vom Minister auch so komische Aufpasser kriegen."
"Also komisch ist wohl der verkehrte Ausdruck für die Geschwister Carrow und den Vorgesetztenmörder Snape", grummelte Julius.
"Du verstehst das schon, wie ich das meine", sagte Giscard leicht angenervt. Julius nickte. Er fühlte, daß der Träger der goldenen Saalsprecherbrosche sich im Moment auch nicht so wohl fühlte. Immerhin trugen er und Julius eine große Verantwortung. Und falls die Abriegelung von Beauxbatons noch heftiger wurde, ja womöglich doch Ministeriumsleute hier reingesetzt wurden, könnte es schnell zu zwei Lagern kommen, die für und gegen die neuen Maßnahmen stritten. Dann würden die beiden Broschenträger und ihre Kolleginnen zwischen den Fronten hängen, als Vorposten der Lehrer in den Aufenthalts- und Schlafräumen. Irgendwie war ihm nicht so ganz geheuer bei dem Gedanken, starke Flüche gegen Mitschüler auszusprechen, wenn es hart auf hart kam. Andererseits würde er sich schon verteidigen, wenn er mußte.
"Laurentine ist wohl ziemlich fertig, weil Gaston heute diesen blöden Spruch gebracht hat", wandte Céline ein. Julius nickte ihr zu. Giscard hörte sich an, was Gaston denn gesagt hatte.
"Offenbar sucht der einen Grund, hier doch noch runterzufliegen", knurrte der Saalsprecher. "Dann hätte er Mann genug sein sollen und die Entlassung nehmen sollen. Dann wäre unser Saal auch nicht wieder so tief mit den Strafpunkten drin."
"Der geht einfach davon aus, daß Madame Maxime und Professeur Faucon hier nichts mehr zu melden haben, Giscard. Solange die hierbleiben markiert der den starken Maxen. Ich habe ihm ja schon gesagt, daß er das wohl nicht haben will, wenn wir hier Hogwarts-Zustände kriegen. Aber der glaubt mir ja auch nicht, was da abgeht."
"Und deine Mutter ist jetzt Rechenlehrerin in Millemerveilles?" Fragte Céline. "Hatten die da keine?"
"Für die einfachen Sachen wie Einmaleins, Zusammenzählen und Abziehen schon. Aber für Bruchrechnung oder schriftliche Berechnungen hatten sie wohl keinen, hat mir Vivianes Bild-Ich erzählt, daß mit einem Gegenstück in Millemerveilles Kontakt hält."
"Dann hat sie zumindest was, womit sie beschäftigt ist", sagte Céline. Julius nickte. So vertrieben sie sich noch die Zeit bis halb zwölf. Dann waren die andren alle im Bett, und die Saalsprecher gingen ebenfalls schlafen.
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Wieder holte ihn Darxandrias Traumgestalt in die Ebene vor dem Uluru und spielte ihm die magische Melodie Ailanorars vor. Er brauchte einen Durchgang, um die ersten zwanzig Töne wieder im Kopf zu haben. Da erschienen der australische Ureinwohner und der Eskimo mit der Trommel wieder und begleiteten Darxandria bei ihrem Spiel. Julius hatte den Eindruck, daß die große Magierin aus Altaxarroi etwas gerundeter aussah, wenn sie die Gestalt ihres neuen Körpers gegen ihre menschliche Erstform austauschte. Mochte es sein, daß die langsam foranschreitende Schwangerschaft auch ihr Abbild in Julius' Traumwelt prägte? Doch im Moment mußte er sich nur auf die Melodie konzentrieren. Wie oft sie diesmal spielte zählte er nicht. Er war zu sehr damit beschäftigt, die Töne in die lautlos getrommelten Takte einzusortieren. Jedenfalls meinte er bald hundert Töne klar behalten zu haben. Diesmal sah er, wie Darxandria sich in Temmie zurückverwandelte und davonflog. Auch die beiden stummen Zuschauer, die bei jedem Durchgang der Melodie festere Form bekommen hatten, verwandelten sich. Der Schamane aus dem hohen Norden wurde zu einem Schneeeulenmännchen, während der Bewohner Australiens zu einer flinken echse wurde. Dann glitt Julius sanft zurück in die Welt seines Wachbewußtseins. Er sah auf die Uhr und hörte in sich die immer wieder gespielte Melodie. Warum hatte dieser Ailanorar keinen hitverdächtigen Ohrwurm als Beschwörungsmelodie spielen können? Es war schwer, die Musik festzuhalten. Immerhin konnte er die ersten anderthalb Minuten wohl sicher nachspielen. Doch der Rest zerfloß immer noch in unpassende, nicht recht zu ordnende Töne. Wie lange würde Julius sich diesen Traum gefallen lassen müssen, bis er Ailanorars Lied fehlerfrei nachspielen konnte, sobald er sein Instrument, Ailanorars Stimme, bergen durfte. Bald, so wußte er, würde über der Südpolarregion die Sonne ganz über den Horizont gestiegen sein und weit genug über dem ewigen Eis stehen, daß der Zugang zur geheimen Höhle im roten Felsenberg in Australiens trockenem Herzen betreten werden konnte. Julius versuchte immer wider, die Melodie nachzusummen. Doch über die ersten hundert Töne von etwa zweihundertfünfzig kam er nicht hinaus. Als dann die Mexikaner wieder mit Gitarren, Fideln und Trompeten durchzogen, versackte die im Traum gehörte Melodie wieder tief in seinem Unterbewußtsein. Das ärgerte ihn. Denn ihm war klar, daß er diese Melodie, wenn er sie vollständig auswendig konnte, dringend wach nachspielen mußte, einmal mußte er sie fehlerfrei nachspielen, um sie mit dem Melodigraphen in richtige Noten umzuschreiben, sofern die Töne von seiner gewöhnlichen Flöte erzeugt werden konnten.
Heute war er wieder mit wecken dran. Als Julius den Drittklässlerschlafsaal betrat, sah er, daß Gaston ohne Bettdecke dalag, eingewickelt in bunte Papierstreifen und mit unplatzbaren Leuchtballons behängt war. Er überlegte, ob Gaston heute Geburtstag hatte, erkannte, daß das noch knapp zwei Monate hin war und blickte die Betten mit zugezogenen Vorhängen an. "Hallo, es ist sechs und raus mit euch!" Rief er. Da regte sich Gaston und schlug die Augen auf. Julius zog magisch die Vorhänge von den beiden anderen Betten und fragte sehr verärgert: "Wer von euch zwei hat Gaston mit diesem zeug behängt?"
"Der Giscard hat den wohl mit so 'nem Schlafzauber erwischt, ne?" Fragte Nicolas zurück. Gaston erkannte jetzt, daß er nicht ordentlich zugedeckt war und zerriss die bunten Papierstreifen. "Saubande!" Schnarrte er und hechtete aus dem Bett. "Sag dieser miesen Kellerratte Giscard, daß der noch einen gut bei mir hat!" Knurrte Gaston und stürzte durch die offene Tür.
"Okay, wer von euch beiden hatte die Idee, Gaston mit diesem Zeug zu behängen?" Fragte Julius noch einmal. Seine Stimme klang jetzt richtig bedrohlich.
"Der wurde nicht mehr wach. Da haben wir mal ausprobiert, ob wir dem die Streifen dranmachen können. Der hat nur dagelegen und langsam Luft geholt und wieder rausgelassen", grinste Nicolas.
"Jungs, das ist echt nicht lustig. Giscard hat Gaston in Zauberschlaf versetzt, weil der es leid war, daß Gaston meint, sich wie ein störrischer Kobold benehmen zu müssen und ihr nicht von dem wach gehalten werden solltet. Der konnte sich nicht mehr wehren. Das ist saufeige, einen wehrlosen mit irgendwas zu behängen und dem die Bettdecke wegzunehmen. Außerdem habt ihr dabei gegen eine Schulregel verstoßen, die ziemlich heftig ist. Ich muß euch beiden jeweils fünfzig Strafpunkte geben, wegen Verhöhnung eines durch Zauber wehrlosen Mitschülers."
"Was? Fünfzig Strafpunkte?" Entschlüpfte es Nicolas. "Das meinst du nicht ernst."
"Sehe ich aus, als würde ich lachen, Nicolas?" Blaffte Julius. "Mann, ihr habt euch an einem Mitschüler vergriffen, der sich nicht wehren konnte. Daß das saufeige ist habe ich schon gesagt, und daß deshalb diese Schulregel gilt habe ich euch auch gesagt. Außerdem steht das in eurem Regelbuch drin, daß ihr wie ich damals auch gekriegt habt. Also behauptet jetzt bloß nicht, davon nichts gewußt zu haben. Und bevor ihr das noch mal erwähnt, das war kein Jux. Höchstens wenn sich Gaston noch hätte wehren können und jederzeit das Zeug wieder hätte loswerden können. Und wenn das kein Jux war, dann meine ich das auch ernst mit den fünfzig Strafpunkten. Ich kann auch gerne noch ein paar draufpacken, weil ihr meintet, dagegen zu protestieren. Aber ich denke mal, daß ich das mit Madame Rossignol abkläre, was ihr für die fünfzig Punkte machen dürft. Oder ich frage Professeur Fixus, ob die nicht ein paar neue Zaubertrankzutaten sortieren lassen möchte, falls ich euch nicht mit Gaston heute nachmittag im Putzdienst mitlaufen lasse. Also, fünfzig Strafpunkte für dich, Nicolas Brassu und gfünfzig Strafpunkte für dich, Archibald Lambert, wegen groben Unfugs an einem durch Zauber wehrlosen Mitschüler. Das ist euer Schlafsaalkamerad, ihr beiden. Würde es euch gefallen, wenn ihr im Bett liegt und irgendwer mit euch was ähnliches anstellt? Ihr würdet doch keine Nacht mehr ruhig schlafen können, weil ihr immer damit rechnen müßt, daß jemand euch einen Streich spielt. Ich habe nichts gegen Streiche, solange die Leute, denen sie gespielt werden, sich nicht hilflos fühlen müssen. So, und jetzt muß ich weiter, sonst werden die Sechstklässler zu Murmeltieren."
"Zu Murmeltieren?" Fragte Nicolas betreten. Julius brachte noch mal die Behauptung an, daß jeder, der eine halbe Stunde nach dem offiziellen Wecken noch im Bett lag zu einem Murmeltier wurde. Doch dabei grinste er, womit die beiden wohl erkannten, daß er sie diesmal doch verlud. Er ging seine Runde ab und machte auf Armeeausbilder. Das zog immer noch am besten, gerade bei den Jungen aus den höheren Klassen. Dann suchte er Gaston im Badezimmer für Drittklässler. Dieser schnauzte ihn an, daß er sich bestimmt tierisch amüsiert habe, weil Giscard ihn in diesen Zustand versetzt hatte. Julius grummelte nur: "Ich habe den beiden fünfzig Strafpunkte verpaßt, Gaston. Ich kläre mit Madame Rossignol, was die beiden dafür zu putzen haben."
"Die Pimpfe können sich warm anziehen, Julius. Das kriegen die bald schon mit, wie bescheuert sich das anfühlt, wenn man sich nicht wehren kann."
"Gaston, Rache bringt nichts ein", sagte Julius. "Da kriegst du nur noch mehr Strafpunkte ab. Sind die dir das wert?"
"Klugscheißer!" Schnarrte Gaston. "Tön du rum, bis die Faucon und die Maxime von der Akademie runter sind. Wer dann immer kommt wird dir schon sagen, was du hier noch groß zu sagen hast."
"Wenn's nach Didier ginge hätte ich hier schon längst rausfliegen müssen, weil der genauso 'ne feige Ratte ist wie die beiden, die dich mit dem Papierzeugs eingewickelt haben. Also halt nicht zu wem, der keinen Mumm hat! Das ist so'n Typ nicht wert."
"Ich habe schon gesagt, was mir dazu einfällt", schnarrte Gaston, während Nicolas und Archibald verstohlen durch die halb offene Tür blickten. "Und ihr kleinen Bastarde könnt schon mal bei Madame Rossignol vorbestellen. Die kann eure Knochen einzeln zusammensuchen, wenn ich mit euch fertig bin."
"Gaston, wie erwähnt, Rache bringt es nicht. Die beiden kriegen ihre Strafarbeit an die Backe und fertig", knurrte Julius verärgert. "Wenn du denen jetzt mehr heimzahlst als sie dir angetan haben bringt dich Professeur Faucon heute abend zu Bett. Die hat so eins auf gebogenen Füßen, das schaukelt. Und jetzt vertragt euch!"
"Raus hier. Der Waschraum ist für erst- bis Drittklässler", knurrte Gaston.
"Das macht mal eben zwanzig Strafpunkte wegen respektloser Rede gegen einen Saalsprecher ... und mich anzugreifen solltest du gar nicht erst wagen", knurrte Julius sehr kampfeslustig. "Ich bin mit Hercules fertig geworden. Und der war bestimmt etwas stärker als du." Gaston prallte kurz davor zurück, Julius anzuspringen. Außerdem würde ihm das außer einer Tracht Prügel noch einmal sechshundert Strafpunkte einbrocken, weil Julius die Brosche und das Pflegehelferarmband trug. Julius hielt sich noch in der Nähe des Waschraums auf. Doch Gaston kapierte wohl, daß es jetzt nichts brachte, mit den beiden Kameraden abzurechnen. So ging der Morgen weiter wie fast jeden Tag. In der Zeitung wurde nun erwähnt, daß Ministerialbeamte versucht hätten, nach Millemerveilles vorzudringen. Doch die Leute dort hätten wohl Sardonias Abwehrzauber neu verstärkt und die Beamten schmerzhaft abgewiesen. Damit sei es jetzt amtlich, daß Millemerveilles das Zentrum der ausländischen Feinde oder ihrer hiesigen Verbündeten, der mysteriösen Erbin Sardonias, sei. Denn nur diese würde den bestehenden Abwehrzauber so umformen können, daß redliche Ministerialzauberer zurückgeschleudert würden. Es wurde noch einmal bekräftigt, daß Martha Andrews tot sein müsse und die nach Millemerveilles entkommene Person bestimmt eine Agentin des Unnennbaren oder Bundesschwester dieser fremden Feindin sei, die die Entomanthropen geweckt hatte.
"Der legt es voll drauf an, daß die erwähnte Dame den bald mit ihren Honigbienen besuchen geht", knurrte Julius, als er den Artikel gelesen hatte. "Es sei denn, die findet das toll, so viel Angst und Schrecken zu verbreiten, ohne was dafür tun zu müssen. Aber die Zusammenarbeit mit Voldemort wird die sich bestimmt nicht nachsagen lassen."
"Was macht dich da so sicher, Julius?" Fragte Robert. "Ich meine, du bist der zweimal begegnet, hast du erzählt. Aber dadurch weißt du doch nicht, was die für Ansichten hat und mit wem die kungelt, wenn es ihr was bringt."
"Das steht doch hier, daß die im Sinne Sardonias handelt. Hatten wir das nicht in Zaubereigeschichte, daß Sardonia Zauberer nur als willige Handlanger oder Zuchthengste haben wollte? Die hat mehrere Orden der hellen und dunklen Künste weggeputzt, und ihre Tochter und ihre Nichte sollen ihr da in nichts nachgestanden haben. Und Anthelia ist rüber nach England, um da Sardonias Eroberungskrieg weiterzuführen. Also wird die Hexe, die sich als Sardonias Erbin sieht und bestimmt was gemacht hat, was ihr die Entomanthropen genehmigt hat, nicht auf Voldemort eingehen. Die wird vielmehr zusehen, den auch noch wegzumachen, wie sie es mit Hallitti und Bokanowski geschafft hat. Und ich wage mal zu behaupten, daß Hallitti schwerer zu putzen war als es Lord Unnennbar ist. Das die den noch leben läßt liegt wohl nur daran, daß sie noch rauskriegen muß, wie der sich am Leben gehalten hat. Weiß sie das, macht's peng, und der dunkle Lord ist weg, und die Erbin Sardonias kann alleine die Welt durcheinanderrühren."
"Du willst nur nicht glauben, daß deine Mutter tot ist. Kann ich verstehen", sagte Robert. "Würde ich auch nicht wahrhaben wollen, wenn da eine rumläuft, die so aussieht und klingt wie sie."
"Wie oft muß ich das wiederholen, Robert. Nach Millemerveilles kommt niemand rein, der mit den dunklen Künsten kungelt. Das kann auch diese Erbin Sardonias nicht. Weil dann wäre die längst da eingezogen, noch bevor Didier sich zum Zaubereiminister hat machen lassen. Millemerveilles war Sardonias Hochburg. Eine echte Erbin kann das nicht einfach hinnehmen, da selbst nicht reinzugehen. Also wenn sie das könnte, wäre sie schon drin und würde alle und jeden da rumkommandieren. Da das aber noch nicht passiert, kann sie nicht da rein, verdammt noch mal!" Robert und Gérard nickten ihm beruhigend zu.
Außer der Zeitung traf nichts besonderes an diesem Morgen ein. Der Unterricht lief auch ab wie sonst. Julius atmete auf, als er Gaston am Mittag ohne irgendeine Veränderung in den Speisesaal eintreten sah. Offenbar hatte der halbfreiwillig zurückgestufte Mitschüler befunden, erst einmal keine Wellen mehr zu schlagen. Julius sprach nach dem Mittagessen noch mit Madame Rossignol, erklärte dieser die Sache mit Nicolas und Archibald. Sie versicherte ihm, daß die beiden es lernen würden, daß Bannzauber kein Spaß seien und wünschte ihm noch einen erfolgreichen Nachmittag. Abends versuchte Julius bei der Holzbläsergruppe, einige Töne der magischen Melodie nachzuspielen. Er mußte jedoch feststellen, daß seine Flöte nicht diese schwebenden Klänge hervorbringen wollte. Das mochte noch was geben, wenn Darxandria ihm weiterhin diesen Traum-Musikunterricht gab, ohne daß er das dafür nötige Instrument besaß.
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Es war in der Nacht vom Mittwoch zum Donnerstag, als Catherine Brickston neben ihrem Bett ein Blaues Licht leuchten Sah. Es war eine magische Lichtspirale, die sich immer schneller drehte und dann zu einem dicken Buch verstofflichte. Catherine betrachtete den glänzenden Einband. Damit war die Lieferung wohl komplett, dachte Catherine. Sie nahm schnell ihren Zauberstab und tippte das Buch an. Ungesagt zerstreute sie den Portschlüsselzauber, der auf dem Buch lag. Mochte es sein, daß das Ministerium mittlerweile Mittel kannte, durchgeschickte Portschlüssel anzupeilen. Sie nahm das Buch mit den Papierseiten und blätterte kurz durch. Sie bewunderte ihre Mutter, daß diese nicht nur über ihren Schatten gesprungen war, was die Ablehnung von Muggelgeräten in ihrem Haus betraf, sondern auch selbst in die magielose Welt hinübergegangen war, um diese drei Bücher zu beschaffen. auf der innenseite der Klappe hatte sie handschriftlich notiert: "Das ist das dritte und entscheidende Werk über diese Muggeltechnologie, die sich Photovoltaik nennt. Gib es Florymont, damit er prüfen kann, ob er nicht selbst solche Solarzellen herstellen kann! Deine dich immer liebende Mutter"
"Viviane, teilen Sie meiner Mutter bitte mit, daß die Post angekommen ist. Sie möchte jetzt aber nichts mehr schicken. Ich weiß nicht, ob Didiers Leute nicht doch dahinterkommen, wie sie die Post abfangen können", wandte sich Catherine an das im Esszimmer hängende Zaubergemälde Viviane Eauvives, das Martha mitgebracht hatte. Die Gründungsmutter des grünen Saales nickte und verschwand aus ihrem Bild, um die Nachricht zu überbringen. "Dann kriegt Joe doch noch seinen Kofferrechner zum laufen", dachte Catherine bei sich, als sie wieder im Bett lag. Joe war inzwischen wachgeworden. Er grummelte: "Hat Blanche dir noch ein Buch über Solarzellen hergebeamt?"
"Nach dem Physikbuch von Julius und dem Buch über grundlegende Prinzipien der Elektrizitätserzeugung ist das entscheidende Buch, wie diese Solarzellen gebaut werden jetzt auch da. Florymont freut sich schon drauf. Licht in Elektrizität zu verwandeln kennt er noch nicht. Vielleicht hilft ihm dieses Buch, das magielose Prinzip zu verstehen, um einen einmaligen Zauber zu erfinden, mit dem er solche Hilfsmittel herstellen kann", versuchte Catherine, ihren Mann zu beschwichtigen. Immerhin war sie froh, daß er sein Schmollen am Dienstag morgen schon wieder beendet hatte. Er hatte ihr erzählt, daß er sich auch wie eine Axt im Wald verhalten hatte und nicht davon ausgehen wollte, daß die Leute hier absolut ungestört leben wollten und jede unbekannte Maschine als Störung ansahen. Catherine hatte ihm da erzählt, daß sie mit ihrer Mutter vereinbart hatte, nachvollziehbare Beschreibungen von Solarzellen zu erhalten. Sie hielt viel von Florymont. Der hatte mehr Ahnung von Elementarkräften. Das Sonnenlicht entsprang der Urkraft des Feuers, ebenso wurde diese Kraft in Blitzen und damit in fließendem oder überspringendem Strom transportiert. Da mochte es doch möglich sein, Licht gleich in Strom zu verwandeln, und dies nur mit einem einmal aufzurufenden Zauber oder einem Elixier, das geeignete Materialien entsprechend veränderte, daß sie das konnten. Sie hatte Joe sogar dazu bekommen, sich bei Madame Bouvier für den Lärm und den Qualm zu entschuldigen, indem sie gesagt hatte, daß Martha dies sonst erledigen würde und es wohl merkwürdig aussah, wenn jemand wen anderen vorschicken müsse. Am Abend war er mit der verkleinerten Dampfmaschine zurückgekehrt. Diese war jedoch mit einem Zauber blockiert, um nicht doch noch angefeuert zu werden.
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PUH! IST DAS ANSTRENGEND! EIGENTLICH HABE ICH GEDACHT, ICH KÖNNTE DAS NOCH SO GUT WIE ALS ICH NOCH EIN TEIL VON JULIUS SCHLAFLEBEN WAR. ABER MEIN KÖRPER WILL IM SCHLAFLEBEN NICHT WIE DER VON FRÜHER SEIN. AUCH MUßTE ICH DAS ERST MAL RAUSFINDEN, WER DAS ALTE LIED KENNT, DAS ICH NUR IN WENIGEN TEILEN MITGEHÖRT HABE. ABER DAMIT KONNTE ICH ZWEI VERTRAUTE DER WINDKRAFT RUFEN, DIE ÄHNLICH WIE ICH IM SCHLAFLEBEN ODER ETWAS WIE DAS ZU ANDEREN GEHEN KÖNNEN. DIE BEIDEN KANNTEN DAS GANZE LIED. SIE HABEN ES MIR VORGESUNGEN. ES WURDE ZUM TEIL MEINES EIGENEN WISSENS. JETZT VERSUCHE ICH SCHON SEIT MEHREREN SCHLAFZEITEN, JULIUS VORZUSPIELEN, WAS ER SPIELEN MUß, UM DIE HÜTER DER HIMMELSBURG ANZURUFEN. ABER ICH MERKE, DAß MEIN NEUER KÖRPER, DAß ICH, ARTEMIS, AUCH IM SCHLAFLEBEN ARTEMIS SEIN WILL. DAS KOMMT GANZ SICHER VON DEM KIND IN MEINEM KÖRPER. ES BRINGT MICH DAZU, SEINE MUTTER SEIN ZU WOLLEN. HOFFENTLICH KANN ICH JULIUS NOCH DAS LIED SO TIEF IN SEIN INNERES WISSEN HINEINGEBEN, DAß ER SCHON BALD LOSZIEHEN UND AILANORARS STIMME ERTÖNEN LASSEN KANN. DENN WENN DAS NICHT IN DEN NÄCHSTEN MONDVIERTELN BEI IHM STARK GENUG DRIN IST, KÖNNTE ES SEIN, DAß ICH MEINEN FRÜHEREN KÖRPER NICHT MEHR ANNEHMEN KANN UND DESHALB NICHT MEHR DAS LIED SPIELEN KANN. ER KANN NUR DURCH MICH DAS WISSEN DER WINDVERTRAUTEN MITBEKOMMEN. JE MEHR ER DAS LIED ZU SEINEM EIGENEN WISSEN MACHT, DESTO DEUTLICHER KANN ER DIE BEIDEN SEHEN, KRIEGE ICH MIT. ER LERNT ZWAR SCHNELL, ABER ICH HABE ANGST, DAß MEIN KIND MICH NICHT MEHR LANGE MEINEN ALTEN KÖRPER HABEN LÄßT. DAS IST ZWAR GERADE RICHTIG BEI MIR EINGEZOGEN. ABER ICH WEIß DAS JETZT, DAß ICH MUTTER ARTEMIS SEIN WERDE. HOFFENTLICH LERNT JULIUS, DER TRÄGER MEINES SIEGELS SCHNELL GENUG.
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Ist schon richtig komisch. Irgendwas macht bei Julius, daß er sich anfühlt wie zwei. Die aus ihm kommende Kraft klingt anders, stärker, ganz entschlossen, freundlich aber ungeduldig. Ich liege wieder vor seiner Schlafhöhle und höre auf diese Kraft. Es ist nicht das ganz freundliche Wummern, das ihn mit Millie zusammenhält. Es kommt irgendwie aus ihm und doch von irgendwo anders her. Es ist irgendwie nicht ganz wie bei den Zweifußläufern. Aber es ist was starkes, entschlossenes. Und ich fühle es so, als wolle eine Mutter ihrem Jungen zeigen, wie er was machen kann, was ihm bei was ganz dringendem hilft. Ich habe keine Angst und bin auch nicht böse, daß diese komische Kraft da ist. Aber ich will wissen, was das ist. Ich singe ihm vor, er soll mich zu sich lassen. Doch er wird nicht wach. Ich will nicht zu laut sein. Julius' Höhlenmitschläfer mögen das nicht ganz, wenn ich ihn rufe, hat er gesagt. Die brauchen Schlaf, um zu lernen. Julius fühlt sich so, als höre er ganz genau auf irgendwas. Erzählt ihm da jemand was ganz wichtiges? Wenn er wieder zu mir kommt oder mich in seine Schlafhöhle reingehen läßt will ich das von ihm wissen, was das ist. Und wenn der das nicht mitbekommt muß ich ihm das doch sagen. Nicht, daß diese nicht zu hörende und riechende Mutter ihn mir und Millie wegnehmen will, um ihn bei sich zu behalten. Oh, jetzt merke ich doch etwas wie Ärger. Dabei klingt diese Kraft nicht böse, eben nur entschlossen und stark aber gut. Sie schwingt mit den langsamen Kraftklängen aus diesem roten Ding um Julius' Hals, das ihn direkt mit seinem Weibchen verbindet. Merkt die das eigentlich nicht, daß Julius diese neue Kraft zu Besuch hat?
Ich finde, das muß ich rauskriegen. Ich springe und laufe um den großen Steinbau herum. Wo Millie schläft höre ich an dem Singen des roten, guten Dings um ihren Hals. Ja, und jetzt kann ich sie auch riechen. Sie schläft mit den Weibchen, Bernadette, Caroline, und Leonie in einer Höhle ziemlich weit oben. Als ich vor der durchsichtigen Wand sitze, die Julius Fenster genannt hat, höre ich, daß Millie ganz ruhig schläft. Ihr fließt von dem roten, klopfenden Ding sehr viel Ruhe zu. Soll ich sie aufwecken? Aber die kann nicht hören, was ich sage. Dann gehe ich besser wieder zu Julius.
Ich höre brauntupfer singen, daß sie in Stimmung ist. Sie ist noch ziemlich jung. Ist die erste Stimmung, die sie fühlt. Wird wohl bald einen finden, der sie mit ihr auslebt und dann die ersten Jungen tragen. Weißohr wird dann ruhig sein, das ihr Weibchenjunges selber Junge kriegen kann. Cyrus, der neue, der auf uns aufpassen und den Jungen hier alles über uns und die anderen Lebendigen hier beibringen soll, sieht die kleine Prinzessin, die eigentlich wie ich heißt so an, als müsse die bald auch schon an Junge denken. Doch das dauert noch, weiß ich. Die kam doch in der kalten Zeit raus. Da wird es erst wieder kalt werden und dann wieder warm werden, bevor die kleine Prinzessin Kinder haben kann. Olympe, die ganz große, die hier alle anführt, hat Julius gesagt, daß ich mit ihm gehen darf, wenn er weiß, wo er wohnt, wo nur Zweifußläufer mit der Kraft im Körper wohnen. Ich freue mich schon drauf.
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Am Donnerstag machte die Zeitung mit einem Artikel auf, der alle in Beauxbatons erschütterte. angeblich habe die Quidditch-Mannschaft der Pariser Pelikane versucht, den Minister oder Pétain zu entführen, wenn beim nächsten Heimspiel der Pelikane die hohen Herrschaften die Ehrenloge besetzten. Ein nicht genannt werden wollender Informant der achso freien Presse wollte die Pelikane in ihrem Lieblingsgasthaus belauscht haben und hatte dann dem Ministerium Meldung gemacht. Alle Spieler der Pelikane, darunter auch die Zwillinge Sabine und Sandra Montferre, seien festgenommen worden. Julius fragte sich, ob die beiden nicht besser bei ihrer Heimatstadt Avignon angefangen hätten. Dann wurde ihm klar, daß Didier nun völlig austicken mußte. Er glaubte diese Meldung von vorne bis hinten nicht. Auch viele der Roten regten sich auf, weil die ihnen noch vertrauten Mitschülerinnen festgenommen worden waren. Die sollten sich am Freitag vor dem Landfriedensgericht verantworten. Madame Maxime und Professeur Fixus mußten die sich plötzlich gebildeten Kampflager voneinander trennen. Denn von den Violetten glaubten viele, daß jemand gegen Didier kämpfen wollte, und auch die Blauen feixten, daß der Minister gleich die ganze Quidditchliga einbuchten solle, weil die ja alle noch der Entlassung Madame Latierres nachhingen. Damit lag dicke Luft über Beauxbatons und beherrschte den Großteil des Donnerstages. Millie mentiloquierte Julius von Prügeleien in den Gängen. Madame Rossignol zitierte ihn und seine Frau zu sich, weil sie ihnen vorführen wollte, wie verheerend vermischte Flüche wirkten. Die Gelben hüteten sich davor, einzeln außerhalb ihres Saales herumzulaufen. Die älteren begleiteten die jüngeren. Zwei Blaue und fünf Rote landeten in Karzerhaft. Madame Maxime verkündete am Abend, daß sie bei neuerlichen organisierten Handgreiflichkeiten jeden von der Schule werfen würde, den sie klar als Missetäter ausmachen konnte. Das wirkte.
Am Freitag fand er Gelegenheit, mit Professeur Faucon über seine Träume zu sprechen. Als er ihr erzählt hatte, daß er auch von einem Schamanen der Inuit träumte, lächelte sie.
"Jetzt verstehe ich, warum sich der gute Louis Anore in den letzten Wochen so rar gemacht hat. Araña hat versucht, geheime Verbindungen zu ihrem Institut zu bekommen. Ist nicht ganz ungefährlich, weil durch die Vernichtung Ardentia Truelanes klar bewiesen wurde, daß die Spioninnen der Wiederkehrerin sich auch dort einnisten können. Louis Anore ist der einzige Inuit-Schamane, der gleichzeitig die Zauberei mit dem Zauberstab erlernt hat. Deiner Beschreibung nach ist er es, der dich im Traum besucht. Er gilt als großer Windbeschwörer. Unbestätigten Angaben nach soll während seiner Geburt ein schwerer Sturm in der Nordpolnacht getobt haben. Doch kaum daß er seinen allerersten Laut geäußert habe, sei der Sturm schlagartig verschwunden. Daher wurde er Anore genannt, was bei den Inuit Gott oder Geist des Windes heißt. Seine Mutter ist eine hermetische Hexe. Deshalb lernte er in Thorntails. im LI betätigt er sich meines Wissens nach als Experte für animistische Schadenszauber, beispielsweise Seelenbannrituale oder Elementargeistbeschwörungen, Todeslieder oder rituelle Flüche. Womöglich mußte deine nächtliche Lehrmeisterin jemanden konsultieren, der dieses Lied gut kennt, das sie dich lehren möchte. Insofern sieh zu, daß du dieses Lied schnell auswendig lernen kannst. Wir wissen schließlich nicht, ob außer der von diesem Tibaud gesehenen Kreatur und der, die versucht hat, zu Catherine und deiner Mutter vorzudringen noch weitere Skyllianri in Frankreich unterwegs sind."
"Sie denken, es sind mehr als eine?" Fragte Julius erschrocken.
"Natürlich, Julius. Wenn es nur eine wäre, hätte ihr Meister wohl kaum riskiert, daß sie durch den Sanctuafugium-Zauber zerstört oder zumindest entmachtet würde. Also laufen von dieser Brut noch mehrere Exemplare herum, wenn er derartige Experimente wagt." Das erschien Julius logisch und ängstigte ihn gleichermaßen. Womöglich breiteten sich diese Biester bereits heimlich aus und lauerten darauf, offen anzugreifen. Was dann?
Julius lernte weiter im Traum das Lied Ailanorars. Doch nun, wo er den Namen des Schamanen kannte, fragte er diesen einmal, wie er in seinen Traum hineinkam. Der Ritualmagier aus dem Norden lächelte nur und antwortete mit einer leicht nachhallenden Stimme: "Die wiedergeborene Seele, die jetzt im Leib einer von verschiedenen Tieren erzwungenen Kreuzung lebt konnte das Lied meines Namenspatrons singen, zumindest einige Töne davon. Diese riefen mich her. Ich erfuhr, welche Gefahr der Welt droht. Und so schenkte ich ihr den Rest des Liedes und stehe ihr und dir bei, es zu lernen. Das bin ich meinen Leuten und meinen Arbeitgebern schuldig. Höre und lerne! Denn bald schon wird die Sonne das große Eis in Mittagsrichtung bescheinen, und das große, trockene Land auf der Südhalbkugel wird dich erwarten." Julius bedankte sich für die Unterstützung und lauschte dem Lied weiter.
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Am Samstag wurden Millie und Julius von Madame Maxime in ihr Sprechzimmer gerufen. Die Schulleiterin sagte ruhig:
"Ich erhielt heute ein Schreiben von einem Untergebenen Pétains. Dieser Kerl traute sich offenbar nicht persönlich, mir das zu schreiben. Er verlangt von mir, fünf Leute seiner Abteilung und einen Familienschutz-Aufseher nach Beauxbatons zu lassen. Zusätzlich fordert er die Auslieferung Professeur Faucons, weil sie seiner Ansicht nach mit erkannten Agenten des Unnennbaren konspiriert und mit diesen die Auslieferung der französischen Zauberergemeinschaft plane. Sollte ich Professeur Faucon weiterhin gestatten, hier zu leben und zu lehren, so müsse er, also Pétain, dies als klares Indiz sehen, daß ich ebenfalls gegen das Ministerium arbeite. Er habe bereits erste Anzeigen erhalten, daß ich beabsichtige, Beauxbatons zu einer Brutstätte des Aufruhrs zu machen. Er erwarte, daß Professeur Faucon sich bis morgen abend zehn Uhr bei seinen Leuten melde. Täte sie dies nicht, dürfe ich nicht nur mit meiner Entlassung, sondern auch Verhaftung rechnen und setze mich sogar der Vorführung vor den Ausschuß zur Beseitigung gefährlicher Geschöpfe aus. Diese Halunken spekulieren darauf, daß meine Statur mich meiner Stellung als Hexe und hochrangige Lehramtsperson enthebe, falls ich nicht bedingungslos und befehlsgetreu die Anweisungen der Didier-Bande befolge."
"Eine Frage, Madame Maxime", setzte Julius an. Millie nickte ihm zu. Die Schulleiterin erlaubte ihm zu sprechen: "Wieso teilen Sie uns das mit. Ich gehe davon aus, daß der Miroir das mit den größten Buchstaben bringt, die die haben, wenn Didier Sie entlassen will. Das wird also nicht geheimbleiben."
"Ich teile Ihnen beiden das aus zwei Gründen mit. Erstens weil ich weiß, daß Sie beide zu den am meisten verfolgten gehören, weil Didier sich von diesem Thicknesse ins Drachenfeuer hat treiben lassen, daß hier lebende Muggelstämmige aus Britannien unerwünscht zu sein haben und zweitens, weil die Familie Latierre bereits zur unerwünschten Gruppierung erklärt worden ist. Ich beabsichtige nämlich weder, Professeur Faucon zu entlassen, noch sie oder Sie, Monsieur Latierre, diesen losgelassenen Hadesianerhunden auszuliefern. Bitte teilen Sie über die Gemälde, die Ihnen zur Verfügung stehen Ihren Angehörigen mit, daß es ziemlich sicher dazu kommt, daß Beauxbatons sich gegenüber der Außenwelt abschotten muß und die bestehenden Geheimverbindungen auf ihre Reißfestigkeit geprüft werden müssen. Millemerveilles, Château Florissant und Château Tournesol sind die einzigen sehr sicheren Rückzugsorte. Da wir bereits die Anweisung haben, Sie alle über die Ferien hierzubehalten, gehe ich davon aus, daß die meisten Elternpaare überwacht werden, wohl um eine Flucht oder ein Aufbegehren zu verhindern, sofern Didier nicht mit unzulässigen Methoden vorgeht, um die anderen Elternpaare gehorsam zu halten. Übermorgen wird wohl der von Ihnen vorausgesehene Aufmacher in der zu einem Schwall auf Papier gegossener Lügen verkommenen Zeitung erscheinen. Bis dahin möchte ich die Gewißheit haben, daß wir mit den zuverlässigen Außenstellen in Verbindung bleiben." Julius nickte. Dann nickte auch Mildrid. Dann fragte sie die Schulleiterin: "Nichts für ungut. Meine Schwester Martine erwähnte, daß die meisten frischen Lebensmittel von einem Markt der Rue de Camouflage angeliefert würden. Entweder holen Hauselfen von hier die ab oder bringen Hauselfen von denen sie hierher. Nachdem sie jetzt Gringotts umzingelt haben, daß dort nur noch Leute reinkommen, die Zauberergeld abheben wollen und keine Geldanweisungen mehr verschickt werden dürfen, könnten die den Markt für unsere Hauselfen zusperren. Was dann?"
"Eine gute Frage. Aber auf diese Frage haben die Gründer bereits eine Antwort gefunden. Lesen Sie das bitte in der Schulchronik nach, wie in der dunklen Ära der Schulleiter von Beauxbatons die Auslieferung an Sardonia vereitelt und eine Aushungerung abgewehrt hat. Pétains Untergebener war nämlich so einfältig, mir den Ausschuß zur Beseitigung gefährlicher Geschöpfe anzudrohen. Mit anderen Worten, ich muß damit rechnen, getötet zu werden, sobald diese Leute mich auf ihre Liste angeblicher Agenten dieses Massenmörders setzen. Wenn ein Schulleiter von Beauxbatons um sein Leben fürchten muß, vermag er uralte Zauber der Gründer zu rufen und ihre schützenden Hinterlassenschaften zu aktivieren. Näheres dazu, wenn Didiers Propagandapresse meine Auslieferung fordert." Millie und Julius nickten. Dann gingen sie.
Im kleinen Leseraum der Bibliothek las Julius Millie vor, daß der damalige Schulleiter von Beauxbatons, Monsieur Philadelphius Delourdes, der Sardonias Aufforderung verwarf, nur Hexen als Lehrerinnen und als Schulleiterin zuzulassen, von ihr mit dem Tode bedroht wurde. Daraufhin habe er im Buch der Schulleiter eine Anrufung der in das Mauerwerk des Palastes eingelagerten Kräfte der Gründer gelesen und durchgeführt. Als die Schule so für Sardonia und seine sonstigen Feinde unerreichbar wurde, habe sie versucht, die Hauselfen zu töten, die frische Lebensmittel heranschaffen sollten. Dadurch habe die Schule zwei Wochen Hunger leiden müssen, bis die in den Standbildern gelagerten Vollstreckungszauber diese animiert und Delourdes einen Weg verraten hätten, die Schule mit genug Nahrung zu versorgen. Diese alte Vorkehrung sei erst dann wieder eingeschlafen, als Sardonia nicht mehr existierte und ihre engsten Getreuen entmachtet waren. Millie nickte. Hoffentlich klapte dieser besondere Zauber noch immer. Sonst brauchte Didier nur zu warten, bis alle hier vor Hunger übereinander herfielen. Julius hatte zwar gelesen, daß sich einige Mädchen freiwillig in Legehennen verwandelt hatten und eine der Lehrerinnen, die eine Animaga war und als Ziege erscheinen konnte etwas Milch geben konnte. Aber zum einen seien die nicht als Hühner-Animagae trainierten Mädchen mehr und mehr zu richtigen Hühnern geworden und mußten zurückverwandelt werden. Zum anderen hatten einige der Oberklässler versucht, mißliebige Mitschüler in Schweine zu verwandeln, um sie dann zu schlachten. Dieser massive Mißbrauch der Magie hätten die, die ihn begangen hatten später mit ihrem Leben bezahlt. Damals galt auch in der Zaubererwelt noch die Todesstrafe, wobei die Todesarten zwischen Erhängen, Todesfluch, Gevierteilt werden bis an Drachen verfüttert werden reichen konnten.
"Schon fies, wie schnell das Leute zu Bestien machen kann, wenn kein Essen oder Trinken mehr da ist", sagte Millie. "Dann sollte Madame Maxime das Ding mit dem Nahrungssicherungszauber besser gleich machen, wenn Didier sie in der Zeitung hinhängt."
"Die ist nicht blöd. Sie mag zwar mal aufbrausend sein. Aber dumm kann die nicht sein, wenn die trotz ihrer Herkunft so lange Lehrerin und jetzt auch Schulleiterin bleiben konnte."
"Verehrst du sie, Monju?" Fragte Millie.
"Sagen wir es so, daß ich es anerkenne, wenn jemand sich durch alles durchboxen konnte oder was geniales hinbekommt. Immerhin war die ein Jahr bei uns in Hogwarts. Und außer daß sie Kevin einmal kräftig herumtelekiniert hat und sich über Harry Potters Teilnahme tierisch aufgeregt hat habe ich sie als ziemlich umgänglich erlebt."
"Ja ja, und einmal hast du sie dazu gebracht, in einen großen See reinzuplumpsen, hat César uns erzählt. Das war doch die Kiste, weshalb die Kutsche so blitzblank aussah, als du mit den Leuten vom trimagischen Turnier wiedergekommen bist." Julius nickte.
"Uroma Barbara hat mir mal erzählt, daß da wohl einige miese Sachen gelaufen sind, als Madame Maxime hier Schülerin war. Kann sein, daß sie deshalb so streng ist und aufpaßt, daß sie sich nicht zu sehr aufregt. Außerdem fühlt die sich hier wohl sicherer als draußen in der Welt. Da werden sie die wohl nur tot hier rausschaffen können."
"Dann hoff mal, daß wir das nicht bald erleben!" teilte Julius Millies Unbehagen.
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Der Sonntag kam und ging, ohne daß die anderen Mitschüler erfuhren, was mit Madame Maxime und Professeur Faucon geschehen sollte. Erst am Montag Morgen wurde es offenbart. Die Zeitung brachte auf der Titelseite Madame Maximes und Professeur Faucons Bild und schrieb darunter:
UNSERE KINDER IN HÄNDEN VON AUFRÜHRERN?
ABTEILUNG FÜR MAGISCHE AUSBILDUNG UND STUDIEN GIBT VERSÄUMNISSE ZU
NEUER LEITER FÜR AUSBILDUNGSABTEILUNG ERGREIFT NOTWENDIGE MAßNAHMEN ZUR RETTUNG UNSERER JUGEND
SCHULRÄTE VON BEAUXBATONS ERSCHÜTTERT UND BETRÜBT
Seit 1963 liegt die Leitung der Beauxbatons-Akademie für Hexerei und Zauberei bei der früheren Fachlehrerin für Zauberkunst und praktische Magizoologie Olympe Geneviève Laura Maxime. Seit 1966, nach beendigung ihres Mutterschaftsurlaubs, steht ihr Professeur Blanche Faucon als Stellvertreterin zur Seite. Damals, so berichteten wir in der Ausgabe vom 19. August 1963, wurde lautstark Kritik an der Besetzung der Schulleiterstelle geäußert, weil sich einige Mitglieder des damaligen Elternrates besorgt zeigten, Madame Maxime könne diese Aufgabe auf Grund nicht geklärter Vorkommnisse nicht objektiv und zum Wohl der Schülerinnen und Schüler ausüben. Sie hatte sich damals in einer Befragung vor der Abteilung für magische Ausbildung und Studien dem seit zehn Jahren amtierenden Cicero Descartes und den derzeitigen Mitgliedern des Elternrates gestellt und zu Fragen der Behandlung von aufmüpfigen Jugendlichen und Förderung besonders begabter Mädchen und Jungen mit magischen Kräften geäußert. Das Ergebnis überzeugte alle, die als Befrager oder Beisitzer anwesend waren, daß Olympe Maxime der ihr zugebilligten Aufgabe in jeder Hinsicht gewachsen sei und trotz früherer Auffälligkeiten oder gerade als Lehre aus denselben in der Lage sei, besonnen wie durchsetzungsstark eines der wichtigsten Ämter der französischsprachigen Zaubererwelt auszuüben. Als die Fachlehrerin Professeur Austère Melisende Tourrecandide um ihre Entlassung in den Ruhestand bat, schlug diese Madame Maxime ihre noch sehr junge Kollegin Blanche Faucon als neue Fachlehrerin gegen bösartige Zaubereien wie auch als Stellvertretende Schulleiterin vor, die sich für diese beiden Ämter bestens empfahl. Die andauernde Kritik an der Person Madame Maximes verstummte, und Beauxbatons konnte das internationale Ansehen steigern und den Bildungsgrad der dort unterrichteten Junghexen und Jungzauberer anheben, wovon Institutionen wie das Ministerium für Magie wie auch namhafte Unternehmen der magischen Welt sichtlich profitieren durften. Niemand ging davon aus, daß es einen Grund zur Besorgnis oder gar offenen Anklage geben würde. Doch wie der Miroir Magique erst gestern in Erfahrung brachte, waren diese Personalentscheidungen ein abgekartetes Spiel, dazu bestimmt, die Autorität des Zaubereiministeriums zu untergraben und die in großem Vertrauen auf die Umsicht ihrer Lehrer unterrichteten Schülerinnen und Schüler behutsam aber unbestreitbar mit aufrührerischen Ideen vertraut zu machen, die nicht mehr und nicht weniger als einen Umsturz des Zaubereiministeriums erwirken sollen, wenn durch die Bedrohung eines ausländischen Widersachers eine Lage eintritt, in der entschiedenes Handeln und gradliniges Vorausdenken gefragt sind und nicht übervorsichtiges Taktieren und unverzeihliche Toleranz. Wie unsere Reporterin Ossa Chermot durch Zufall erfuhr, wurde Monsieur Cicero Descartes in den Mittagsstunden des vergangenen Sonntags unter dem Vorwurf, einen Sturz des amtierenden Ministers geplant zu haben, in seinem Privathaus in Cannes festgenommen, als er dort an einem Verschwörungsplan arbeitete, der den nächsten Angriff der Dementoren auf unser großartiges Land nutzen sollte, um Minister Didier, Landfriedenshüter Pétain und Grenzschutzleiter Montpelier zu überwältigen und verschwinden zu lassen. Der Plan des Umsturzes konnte noch unversehrt geborgen werden, bevor Descartes ihn vernichten oder magisch unbrauchbar machen konnte. "Ich konnte es nicht fassen, als ich davon erfuhr", war die erste Reaktion Minister Didiers. "Ich hielt Monsieur Descartes für einen loyalen und sehr umsichtigen Mitarbeiter ohne große Ambitionen auf höhere Ämter." Um die Ermittlungen nicht zu gefährden erlegte Monsieur Pétain unserer Reporterin auf, diese unglaubliche Entwicklung erst zu veröffentlichen, wenn die Mitverschwörer ausgemacht und festgenommen seien. Bei den Ermittlungen kam heraus, daß Descartes die Besetzung der Schulleiterposition, sowie die Nachfolge des stellvertretenden Schulleiters fingiert hatte, um einen Kader ihm getreuer Hexen und Zauberer heranzubilden, der im Falle des gelungenen Umsturzes ihn, Cicero Descartes, als neuen Zaubereiminister bestätigen und stärken sollte. Madame Maxime und Professeur Faucon sollten bis dahin alles tun, um die ihnen anvertrauten Jungen und Mädchen zum offenen Ungehorsam gegen den amtierenden Zaubereiminister anzustiften. Descartes hatte sich in den Besitz von kompromitierenden Unterlagen gebracht, mit denen er Olympe Maximes Loyalität sicherstellen konnte. Diese Unterlagen befinden sich nun im Besitz der Abteilung für magischen Landfrieden. Minister Didier und Monsieur Pétain reagierten unverzüglich und leiteten die notwendigen Maßnahmen ein. Sie verfügten die unverzügliche Entlassung Madame Maximes und Professeur Faucons und kündigten an, die freiwerdenden Stellen mit ausgezeichneten wie verläßlichen Fachkräften zu besetzen. Die Mitglieder des Elternrates wurden darüber in Kenntnis gesetzt, daß ihr aus der Gründerzeit stammendes Entscheidungsvorrecht auf Grund der akuten Lage vorübergehend außer Kraft gesetzt sei und sie im Namen ihrer Kinder darauf vertrauen mögen, daß Beauxbatons nicht zu einer Stätte aufrührerischer Umtriebe werde und ihre Kinder nicht zu Handlangern ministeriumsfeindlicher Umstürzler herangezogen würden. Die derzeitige Vorsitzende des Elternrates Annemarie Lagrange kündigte an, die Entscheidung des Ministeriums vor einem internationalen Zauberergamot französischsprachiger Länder auf ihre Rechtmäßigkeit überprüfen zu lassen, da sie selbst zwar von ihren Eltern gehört habe, daß es seinerzeit fragwürdige Vorfälle mit und um Olympe Maxime gegeben habe, sie als Schülerin jedoch niemals den Eindruck gewonnen hatte, geistig in eine bestimmte Richtung gedrängt zu werden, die mehr als eine möglichst gute Ausbildung zum Ziel gehabt habe. Ebenso fragte das neue Elternratsmitglied Pygmalion Delacour, dessen jüngere Tochter Gabrielle derzeit ihr erstes Jahr in der Beauxbatons-Akademie verbringt, ob Minister Didier und Landfriedenshüter Pétain nicht einer gezielten Verunsicherungsaktion ausländischer Widersacher aufgesessen seien, weil er damals mit Descartes Sohn Porcius die Akademie besucht und dabei häufig dessen Eltern besucht habe. "Ich habe nie jemanden mit weniger Machtansprüchen und mehr Diensteifer für das Zaubereiministerium kennengelernt als Monsieur Cicero Descartes", so Monsieur Delacours Kommentar zur Entscheidung des Ministeriums. "Ich glaube das nicht, daß Madame Maxime oder Professeur Faucon unserem britischen Feind helfen. Nicht Professeur Faucon. Die hat durch diesen Unhold ihren Mann verloren", begründete Monsieur Delacour noch seine Einschätzung. Doch es ist zu befürchten, daß er seine gute Meinung über Monsieur Descartes schon bald überdenken muß, wenn auch nur ein Viertel von den Anschuldigungen stimmt, wegen der sich Descartes zu verantworten haben wird. Wer die Leitung der Beauxbatons-Akademie und den Unterricht Verwandlung und Schutz vor bösartigen Formen der Magie übernehmen wird wollte Minister Didier noch nicht verkünden. Dies sei die ehrenvolle Aufgabe des Familienschutzbeauftragten, der bis auf weiteres den Bereich magische Ausbildung und Studien übernommen hat. Wir rechnen im Laufe des Tages mit der Bekanntgabe durch Monsieur Lucian Lagrange.
Julius saß erst einmal ganz still da. Sicher hatte er das erwartet, daß Didier Madame Maxime und Professeur Faucon absägen wolte. Aber das auch Descartes über die Klinge sprang - und dies hoffentlich nicht zu wörtlich - hatte er nicht erwartet. Oder doch? Immerhin hatte Descartes damals zusammen mit Hippolyte Latierre gegen die Berufung Didiers gestimmt. Also hatte dieser Diktator noch einen Widersacher aus den eigenen Reihen ausschalten können. Womöglich lag dieser angebliche Umsturzplan schon lange bei Didier und Pétain in der Schublade und wurde Descartes untergeschoben, als Didier auf die Idee kam, Madame Maxime und Professeur Faucon aus Beaux rauszuholen. Natürlich mußte er den Elternrat entmachten, um diesen Streich zu landen. So einfach ging das also, anständige Leute öffentlich mit Dreck zu bewerfen und dann unter dem lautlosen Beifall einer schweigenden Masse in der Versenkung verschwinden zu lassen. Dabei hatte dieser miese Feigling eine Kleinigkeit übersehen. Wenn Madame Maxime es nicht wollte, kam keiner mehr nach Beauxbatons rein. Die logische Begründung dafür saß am Lehrertisch und präsentierte sich als etwas mehr als drei Meter große Entschlossenheit neben einer Hexe mit saphirblauen Augen, die verdrossen auf die Schüler blickten, die alle die Zeitung lasen und bereits in aufgeregtes Getuschel verfielen. Robert und Gérard lasen wohl noch den Artikel, während Gaston Perignon seinen Mitschüler Nicolas die Zeitung aus der Hand pflückte und den Aufmacher las. Julius war sich sicher, daß der zum Drittklässler degradierte Schulkamerad gleich aufstehen und Madame Maxime offen zum Abhauen auffordern würde. Er fühlte die brodelnde Erregung an den Tischen und bemühte sich, selbst ruhig zu bleiben und sich nicht von der Wut übermannen zu lassen, die in ihm aufloderte. Er fühlte auch, wie über seine Hälfte des Zuneigungsherzens Wellen der Entrüstung und Verachtung auf ihn einströmten. Seine Frau wußte ja wie er, daß Madame Maxime und Professeur Faucon bereits auf der Abschußliste standen. Er versuchte die ungute Stimmung im Speisesaal auszublenden, indem er sich überlegte, wie die erwähnten Lagranges mit Belisama, Elisa und Seraphine verwandt waren. Gabrielles Vater war zitiert worden. Womöglich wollte dieses Schmierblatt einen Rest von Vielfalt vortäuschen. Konnte aber auch sein, daß die Delacours demnächst auch in irgendwelche Ermittlungen hineingerieten, weil sie zum einen Kontakt mit ihrer in England lebenden Tochter Fleur unterhielten und zum anderen vielleicht nicht so leicht nach Didiers Pfeife tanzten. Lauter werdende Protestrufe verwischten alle seine Gedanken. Die ersten forderten Madame Maxime auf, sich zu äußern. Andre stimmten in Rufe ein, sie solle endlich abhauen. Wieder andere schwenkten ihre Exemplare der Zeitung und riefen: "Alles Lüge!" und "So'n Quatsch!"
Sofort bildeten sich zwei alle Tische übergreifende Lager, und das bisherige Raunen wurde zu einem wütenden Rufen und Schimpfen. Madame Maxime stand ganz langsam auf. Julius sah die Wut in ihren schwarzen Augen blitzen, jedoch auch die unerschütterliche Entschlossenheit in ihrem Gesicht. Professeur Faucon erhob sich ebenfalls langsam. Dem Beispiel folgten alle Lehrerinnen und Lehrer. Der Lärm der wütenden Rufe und Unmutsäußerungen schwoll noch einmal an. Gaston, der nun mit dem Lesen durch war schnellte von seinem Platz hoch und tastete nach seinem Zauberstab. Julius erkannte mit Schrecken, daß die Lage sich plötzlich entscheidend verschlimmerte. Denn unvermittelt zückten viele andere Schülerinnen und Schüler ihre Zauberstäbe. Da schnellte Maximes rechte Hand in ihre tiefe Rocktasche und brachte den Zauberstab hervor, der in der Hand der Halbriesin wie ein harmloser Zahnstocher wirkte. Sie riß den Stab in einen Winkel von 45 Grad nach oben und bellte ein Zauberwort, daß vor lauter Rufen, Zetern und Schimpfen keiner hörte. Julius vermutete, daß sie einen Flächenschockzauber wirken wollte. Gaston feuerte bereits einen Schocker auf sie ab, der jedoch laut krachend vom Bauch der Schulleiterin abprallte und statt sie Nicolas Brassu aus seiner Klasse betäubte. Da toste etwas unsichtbares, aber alle hier ergreifendes durch den Speisesaal wie eine Orkanböe. Alle Laute verstummten in dieser wilden Kraftentladung. Julius fühlte, wie seine Brosche und sein Armband erzitterten und sah, wie alle, die Zauberstäbe in den Händen hielten erstarrten wie Statuen. Nach dem Lärm der aufgebrachten Schüler tat die eintretende Totenstille richtig in den Ohren weh. Madame Maxime senkte ihren zauberstab wieder und steckte ihn gelassen fort. Dann klang ihre Stimme, als spräche sie nicht in einem mit Teppichen ausgelegten Saal sondern aus jedem auf den Ohren liegenden Kopfhörern: "Sie sehen, ich bin immer noch die amtierende Schulleiterin, Mesdames, Mesdemoiselles et Messieurs. Ich habe einen von den Gründern in die großen Hallen gewirkten Zauber erweckt, der mich vor jeder Tätlichkeit und magischer Gewalt schützt und Sie alle bis auf meinen Widerruf zum Schweigen zwingt. An Monsieur Perignon ergehen wegen des Angriffs auf mich vierhundert Strafpunkte. Ich fürchte, damit hat er sein Recht auf weiteren Verbleib als Schüler dieser Akademie endgültig verwirkt. Die anderen, welche sich haben hinreißen lassen, ihre Zauberstäbe herauszuziehen wurden von dem Schutzzauber bewegungsunfähig gemacht, bis ich ihnen die Zauberstäbe fortnehme oder den Schutzzauber wieder in seinen Bereitschaftszustand zurückversetze. Und da ich nun Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit habe möchte ich Ihnen den Leitartikel der druckfrischen Ausgabe unserer achso umfassend berichtenden Zeitung vortragen und meine Ansicht dazu kundtun. Solange verbleiben Sie alle auf Ihren Plätzen. Wer wagt, den Zauberstab zu ergreifen wird unverzüglich von der gerade wirkenden Magie immobilisiert. Also denken Sie nicht erst einmal daran!" Madame Maxime sah zunächst, wie die zum schweigen gezwungenen Schüler unruhig auf ihren Stühlen herumrutschten. Dann verlas sie den Auffmacher des Miroir und hängte noch das vollständige Interview mit Annemarie Lagrange und Pygmalion Delacour hinten dran. Dann sagte sie: "Der Grund, warum hier und jetzt meine Entfernung aus der Akademie betrieben wird und dabei alle seit der Gründung geltenden Rechte und Pflichten der Akademie mißachtet werden ist der schlichte Umstand, daß Didier, den hier einige immer noch als legitimen Minister für Zauberei ansehen, mit den Entscheidungen und Handlungen meiner Kollegin Professeur Faucon, sowie deren Vorgängerin Professeur Tourrecandide höchst unzufrieden ist und uns deshalb als Landesverräter und Agenten jenes britischen Massenmörders hinstellen will. Wenn es nach ihm gegangen wäre, könnte ich jetzt nicht zu Ihnen sprechen oder sie durch den Schutz der Gründer in Schach halten. - Haben Sie mich nicht gehört, Monsieur Lumière?" Jacques war aufgesprungen und hatte seinen Zauberstab freigezogen. Doch als er diesen blitzschnell auf die Schulleiterin ausrichten wollte, fror er mitten in der Bewegung ein wie in flüssigen Stickstoff geworfen. Seine Saalkameraden grinsten schadenfroh. Einige, die wohl noch daran gedacht hatten, ihre Zauberstäbe zu zücken, legten schnell die Hände auf den Tisch und ließen sie dort. "Jedenfalls ist es so, daß Didier versucht, die Akademie zu übernehmen, weil er genau weiß, daß er niemals alle Macht für sich gewinnen kann, wenn er solch offenkundige Widersacher dort weiß, wie Professeur Faucon und ich sie für ihn darstellen. Außerdem hätte er mit der Übernahme der Akademie neben einer Stätte, seine Ansichten weiterzuverbreiten auch ein Faustpfand gegenüber all den Familien, deren Kinder unter diesem Dach wohnen und lernen und könnte sich ihren Gehorsam und ihre Zustimmung erringen. So etwas hat jener Zauberer, dessen Namen uns allen wohl vertraut ist, in seiner Heimat erreicht, indem er ihm treu ergebene Handlanger in Hogwarts positioniert hat. Offenbar empfindet es Didier als legitim, diesem Beispiel zu folgen, auch wenn er immer wieder behauptet, nicht im Sinne dieses Verbrechers handeln zu wollen. Ihm kommt jetzt auch gelegen, daß er die letzten gegen seine Amtsführung erhobenen Stimmen verstummen lassen kann, weil er diese angebliche Verschwörung als Vorwand nutzen kann, die letzten mißliebigen Mitglieder unserer Zauberergemeinschaft verfolgen und inhaftieren zu können. Wir, die Lehrerinnen und Lehrer der Beauxbatons-Akademie, sowie ich, die immer noch von Beauxbatons anerkannte Schulleiterin, haben den unmittelbaren Auftrag, Sie alle zu lehren, zu nähren und vor jeder Unterdrückung von außen zu schützen. Das war schon bei der Gründung so und überstand auch das dunkle Jahrhundert Sardonias. Sie fragen jetzt ganz sicher, warum die Schergen der Abteilung Pétain mich noch nicht ergriffen und abgeführt haben. Nun, versucht haben sie es wohl in dieser Nacht. Allerdings spannte sich da schon der Schirm der Gründer über diesen Ort und vereitelte alle ihre Mühen, zu mir vorzudringen. Ich erfuhr jedoch, daß sie mit Besen, Portschlüsseln und geflügelten Pferden anstürmten, um die Akademie zu betreten. Der unsichtbar machende Wall der Wehrhaftigkeit, der älter ist als Sardonias Heerscharen, hinderte sie daran, gegen mich vorzugehen und wird dies auch weiterhin tun. Da sie bereits letzte Woche die Kamine in diesem Palast umgeleitet haben, sah ich nicht ein, diese frei erreichbar zu lassen. Der Ausgangskreis ist durch mich selbst versperrt und wird es bleiben, bis ich und nur ich ihn wieder freigebe. Da der Ansturm nicht zum Erfolg führte, haben sie sich darauf verlegt, eine Gruppe Hadesianerhunde um das Gelände herum zu postieren und zwanzig Mann auf fliegenden Besen patrouillieren zu lassen. Ich rechne im Lauf der nächsten Stunde mit einem Ultimatum, das meine und Professeur Faucons freiwillige Überstellung in die fragwürdige Obhut der Pétain-Truppe verlangt. Ich möchte Sie alle sofort ddarüber in Kenntnis setzen, daß ich dieses Ultimatum nicht befolgen werde, welche Drohungen es auch beinhaltet. Hier sind wir alle zusammen vor den Nachstellungen und Verleumdungen Didiers und seiner Gefolgschaft geschützt. Und wer wagt, meine Verabschiedung von Beauxbatons zu fordern, um die Einlösung irgendwelcher Zusagen zu erreichen möge sich ausführlich über die Zeit der dunklen Matriarchin informieren und nachlesen, ob der damalige Schulleiter von Beauxbatons auf Sardonias Einschüchterungsversuche einging oder nicht. Ich werde jetzt den Bann von Ihnen allen nehmen. Aber jeder, der meint, mich oder Professeur Faucon angreifen zu müssen, wird augenglicklich wieder daruntergeraten. Damit Sie dies wissen. Diejenigen, die es wagten, den Zauberstab gegen mich zu erheben werden von mir entwaffnet und in die Schuleigenen Arresträume verbracht, bis auf Monsieur Perignon. Da er die Hand, die ich ihm bot nicht ergreifen sondern beißen wollte wird er das Gelände der Akademie sofort und unumkehrbar verlassen. Ich bin ganz sicher, daß die draußen wachenden Gehilfen Pétains sich seiner annehmen werden. Um nicht von den Hadesianerhunden zerfleischt zu werden werde ich ihm einen Übungsbesen aus dem Schulbestand übergeben. Das wird jedoch das letzte magische Hilfsmittel sein, daß ihm verbleibt. Dixi!" Madame Maxime ging nun zu allen, die ihre Zauberstäbe gezogen hatten und pflückte diese aus den Händen der Erstarrten, die sich danach erst ganz langsam wieder zu bewegen begannen. Als sie Gastons Zauberstab ergriff, weckte sie Nicolas Brassu aus der Betäubung auf, die ihr gegolten hatte. Danach zerbrach sie den Zauberstab in sechs kleine Teile. Knack! Knack! Knack! Knack! Knack! Die Bruchstücke steckte sie in eine andere Rocktasche, trat zurück und hob ihren eigenen Zauberstab. "Retractus Custos Principis!" Sagte sie Ein leichtes Zittern erfaßte alle für eine Sekunde. Dann klangen wie eingeschaltet die ersten Laute der Schüler. Madame Maxime kehrte auf ihren Platz zurück und setzte sich. Obwohl alle wieder sprechen konnten wagte niemand lauter zu reden als nötig war, von den unmittelbaren Sitznachbarn verstanden zu werden.
"Will sagen, wir sind jetzt zwischen der und Didier eingequetscht", grummelte Robert Deloire. Julius sah ihn an und sagte:
"Didier tickt ganz krass aus, Robert. Der will alle loswerden, die nicht nach seinem Zauberstab tanzen und sich schön weit aus seiner Reichweite halten. Daß er Professeur Faucon kassieren wollte war klar, als rauskam, daß Catherine Brickston Pétains Leuten von der Schippe gesprungen ist. Jetzt meint er noch, Madame Maxime festnageln zu müssen, weil die Professeur Faucon beschützt."
"Julius, ist dir klar, daß wenn die beiden sich jetzt stur stellen wir demnächst nix mehr zu essen kriegen?" fragte Robert. "Die Hauselfen werden nicht mehr auf die Märkte können, um Fleisch und zusätzliche Lebensmittel einzukaufen. Und das bißchen Gemüse und Obst, was wir hier anbauen reicht nicht aus, wenn es das einzige ist, was wir essen sollen."
"Ich hab's nachgelesen, Robert. Wenn der Schulleiter weiß, daß jemand da draußen ihn umbringen will, kann er einen uralten zauber aufrufen, der jede Belagerung unsinnig macht."
"Ach ja? Madame Maxime hat nix davon erzählt, daß Didier sie abmurksen lassen will, wenngleich ich mir das schon vorstellen kann", sagte Robert. "Das Zeug, wo der Miroir sich drauf beruft, hätte die damals fast von Beaux runtergeklatschert. Da wurde schon gesagt, die sei gefährlich und abartig. Womöglich hat Didier das wieder aus der Mottenkiste gezogen, um die Nummer abzusichern und ... Ups, dann könnte die echt glauben, er wollte der das Licht ausblasen. Oha!"
"Mit dieser Art von Begründung hat die Umbridge damals einen Lehrer aus Hogwarts raustreiben lassen, weil dessen Abstammung ihr nicht paßte", schnarrte Julius. "Offenbar meint Didier, es jetzt auch so machen zu müssen, oder Pétain, sein leitender Bluthund."
"Heh, Gaston wird von Bertillon abgeführt", schnarrte André Deckers. Der schuldiener war auf ein unbemerkbares Signal Madame Maximes in den Speisesaal gekommen und steuerte Gaston an, der mit Wut und Trotz im Gesicht dastand. Es kam jedoch zu keinen Handgreiflichkeiten. Gaston wurde von Bertillon am Arm ergriffen und in Richtung Tür geführt.
"In Ordnung, Madame Maxime. Ich gehe jetzt. Aber morgen bin ich wieder hier, mit einem neuen Zauberstab und den Untiertötern vom Ministerium!" Rief er noch in den Saal.
"Ich wünsche Ihnen für Ihr neues Leben mehr Besonnenheit und Umsicht, um es zu meistern. Leben Sie wohl!" Als Madame Maxime dies dem gerade entlassenen nachrief klang ihre Stimme eiskalt. Laurentine Hellersdorf saß auf ihrem Stuhl und glotzte ungläubig hinter Gaston her. Madame Rossignol erschien im speisesaal und besah sich Nicolas Brassu. Doch dieser hatte sich von dem Querschläger wieder erholt. Als Madame Maxime dann alle zum Unterricht schickte, trotteten sie teilweise verunsichert, teilweise verstockt aus dem Speisesaal.
"Wenn der Minister die echt hier weg haben will, wird er schon wissen wieso", hörte Julius Jungen aus der sechsten Klasse, als er auf dem Weg zum grünen Saal war. "Wenn Didier was über die weiß, daß die hier nichts mehr zu suchen hat, muß sie gehen."
"Wenn die Gründer die nicht im Stich lassen ist die noch anerkannte Schulleiterin", knurrte ein anderer Bursche aus Antoine Lasalles Klasse.
In der ersten Unterrichtsstunde wiederholte Professeur Pallas das wichtigste über Sardonias Herrschaft. Einige der Schüler waren jedoch nicht zum lernen bereit, wo die Lage gerade so unklar war. Da sagte die Leiterin des blauen Saales: "Ich verstehe, daß euch die Meldung in der Zeitung sehr mitnimmt. Aber jetzt hier durchzuhängen wie ausgefranste Reisigzweige macht das nicht besser. Außerdem stimmt's schon, daß wir hier nicht verhungern können, wenn Madame Maxime sich bedroht fühlen muß."
"Von wem? Was Gaston da noch gerufen hat war ja wohl eher was, um die noch mal zu ärgern", wandte Irene Pontier ein. Laurentine nickte.
"Madame Maxime hat mir und den anderen Saalvorstehern gestern abend einen Brief vorgelesen, daß sie Professeur Faucon ausliefern soll oder sich selbst schuldig macht und in ihrem Fall eine Anhörung vor dem Ausschuß zur Beseitigung gefährlicher Geschöpfe möglich sei, weil sie ... öhm ... in ihrer Ahnenreihe jemanden hat, der kein Zaubererkind war."
"Professeur, sagen Sie's doch bitte klar an", knurrte Gérard. "Madame Maxime hat'n Riesen oder 'ne Riesin in der Abstammung, womöglich als Elternteil. Ich kann mich dran erinnern, daß Professeur Laplace mir das mal erzählt hat, weil ich das ziemlich seltsam fand, wie groß die ist. Und Riesen sind brandgefährlich, haben wir ja bei Ihnen vor ein paar Wochen gelernt."
"Reinrassige Riesen untereinander und durch Neid und Mordgier aufgehetzt", erwiderte die Lehrerin mit leicht geröteten Ohren. "Was jedoch nicht heißt, daß eventuelle Teilabkömmlinge von ihnen ähnliche Berserker sind, Gérard."
"Wissen Sie das so genau? Ich hab's der gerade eben erst angesehen, daß die Gaston ziemlich bedrohlich angeguckt hat. Und es hat ihr heftigen Spaß gemacht, ihm den Zauberstab zu zerbrechen, nicht einmal, sondern sechsmal. Einmal reichte ihr nicht. Abgesehen davon darf nur jemand aus der Strafverfolgungsabteilung den Stab einer Hexe oder eines Zauberers zerstören. So steht's im Gesetz zur Benutzung des Zauberstabes drin, haben wir bei Professeur Bellart gelernt, als es um Folgen mißbräuchlicher Magie ging."
"Madame Maxime glaubt, daß Didier ein Diktator geworden ist und die bisherigen Gesetze nichts mehr wert sind", sagte Laurentine kalt. "Außerdem steht's in den Schulregeln, daß der Schuleiter oder der Leiter des Saales, wo ein fristlos entlassener Schüler wohnt, im Namen des Ministeriums den Zauberstab zerbrechen darf, Gérard."
"So oder so, Professeur Pallas und ihr anderen, wir hängen jetzt voll zwischen Monsieur Didiers und Madame Maximes Willen fest", wiederholte Robert noch einmal, was er am Morgen zu Julius gesagt hatte. Dies wollte niemand hier bestreiten. Julius las auf Professeur Pallas' Wunsch noch einmal aus der Schulchronik vor, was zu Sardonias Zeit hier los war. Céline meinte dann: "Will sagen, wir sollen so tun, als wenn alles in Ordnung wäre und so weitermachen wie bisher. Wenn Madame Maxime aber nicht diesen Zauber der Gründer aufrufen kann, um die Lebensmittelversorgung zu sichern, was dann?"
"Dann müssen wir uns selbst was zu Essen herzaubern", wandte André Deckers ein. "Weiß gar nicht, wieso wir uns da so'n Kopf drum machen müssen."
"Weiß jemand von euch, warum das nicht geht?" Fragte die Geschichtslehrerin in die Runde. Laurentine und Julius zeigten auf. Laurentine sollte antworten, weil Professeur Pallas ja wußte, daß Julius fortgeschritteneres Zaubererwissen besaß.
"Ich habe mich mal mit Claire und ihrer großen Schwester darüber unterhalten, daß wir doch alle kein Geld bräuchten, weil doch alles herbeigezaubert oder aus wertlosem Plunder zurechtverwandelt werden könnte. Da hat mir Jeanne die Gesetze eines gewissen Gamp vorgelesen. Der hat Ausnahmen bei Verwandlungszaubern erforscht und zusammengefaßt. Ich bin mir nicht so ganz sicher, aber ich denke, es war die erste Ausnahme, die besagt, daß Lebensmittel nicht aus dem Nichts erschaffen werden können." Julius nickte bestätigend. "Im Klartext heißt das: Wenn eine Hexe oder ein Zauberer was zu essen haben will, muß er oder sie echtes Gemüse oder Fleisch herbeiholen und kann es dann erst in irgendwelche Speisen verwandeln. Jeanne hat mir mal einen Soßenzauber gezeigt, der fertige Soßen aus dem Zauberstab fließen läßt wie aus einem Wasserhan. Sie meinte dazu, daß sie sich dabei konzentrieren mußte, wo die Zutaten waren und diese im Geiste zusammenrühren mußte, um die Soße fertig dosieren zu können. Aber das bekämen wir wohl in Verwandlung und Zauberkunst nach den ZAGs, sofern wir das machen wollten. Oder wir besuchten den magischen Kochkurs, der für Schüler ab der fünften Klasse angeboten würde - und wo nicht nur Hexen dran teilnehmen würden."
"Professeur Faucon würde sich sicher freuen, daß du bereits gut vorgelernt hast, Laurentine. Für die korrekte Beantwortung der Frage gebe ich dir zehn Bonuspunkte", sagte die Geschichtslehrerin. André schien jedoch noch nicht am Ende mit seinem Einwand zu sein.
"Moment, aber es gibt Vervielfältigungszauber. Wenn ich also einen toten Fisch oder ein zerlegtes Schwein habe, kann ich die Fleischstücke doch x-fach vermehren. Oder gibt's da auch 'ne Beschränkung?" Julius überlegte kurz, wie er das begründen sollte. Denn die Frage hatte Patrice Duisenberg mal in einer Pflegehelfersitzung gestellt. Dann fiel ihm die Antwort Madame Rossignols ein. Er meldete sich und erhielt das Wort:
"Das ist schon richtig, daß du Basisstoffe, also Gemüse, Früchte oder Fleisch vermehren kannst, wenn du die einmal da hast. Aber bei der Vermehrung von Teilen von Lebewesen kriegst du Kopien, die wie einen Tag ältere Stücke sind. Madame Rossignol hat uns das mal mit einer Flasche Milch vorgeführt. Die hat erst zehn Kopien davon gezaubert. Die waren noch trinkbar. Dann hat sie von einer Kopie zwei weitere gemacht, von denen dann wieder zwei und so weiter, bis wir vor lauter saurem Milchgestank fast nicht mehr atmen konnten. Offenbar kannst du von mal lebendem Gewebe keine x-beliebigen Kopien machen. Sie nannte das progressive Putrifikation, also eine voranschreitende Vergammelung von Lebensmitteln, die Kopien der Kopien der Kopien sind. Entweder werden in diesen enthaltende Mikroben mitkopiert und verdoppelt, oder sie werden zersetzt." Laurentine grinste einen Moment und hob die Hand:
"Könnte das sein, was in einer Geschichte aus der Zukunft replikativer Schwund genannt wird, Julius und ihr anderen. Dann werden wohl die Erbgutanteile in jeder Zelle abgebaut, und die flanzen oder Fleischbestandteile zersetzen sich mehr und mehr."
"Interessanter Ansatz", meinte Professeur Pallas. "Aber ich fürchte, ich bin nicht die richtige Fachlehrerin, um dieses Thema erschöpfend zu diskutieren. Jedenfalls kann man nur von originalen Lebensmitteln Kopien machen, solange die Lebensmittel genießbar sind. Bei einer Personenzahl von 1000 und mehr reichen die Originallebensmittel nicht aus, um alle satt zu halten. Also müssen frische Lebensmittel herbeigeschafft werden. Ich hoffe, daß deine Frage damit jetzt ganz beantwortet ist, André", erwiderte Professeur Pallas. André nickte resignierend.
"Dann verhungern wir", schnarrte Irene Pontier. "Denn Madame Maxime wird sich wohl kaum davon beeindrucken lassen, wenn wir nichts mehr zu essen kriegen."
"Irene, das ist jetzt sehr ungehörig", erzürnte sich Professeur Pallas, die sonst die lockerste Lehrerin hier war. "Da muß ich dir leider zwanzig Strafpunkte für geben." Irene grinste verächtlich. Dabei war das schon selten, Strafpunkte zu kriegen. Nur wer ihr ins Wort fiel oder meinte, die Hausaufgaben schlampig abliefern zu können konnte dafür bis zu fünf Strafpunkte abkriegen.
"Es geht denen doch nicht um Madame Maxime", wandte Laurentine noch ein. "Die wollen die Akademie übernehmen und Professeur Faucon hier rausekeln, weil die ihre Tochter beschützt. Vielleicht geht's denen auch drum, bestimmte Schüler hier rauszuholen, weil dieser Didier meint, die wären an allem Schuld." Sie sah Julius nicht an. Doch er wußte, daß nur er damit gemeint war. Denn er war der einzige aus Großbritannien stammende Schüler hier.
"Wie ihr ja alle gehört habt ist Madame Maxime immer noch die Schulleiterin. Sicher gibt es Möglichkeiten, sie abzusetzen. Aber falls sie wirklich davon ausgehen muß, nach dem Verlassen der Akademie getötet zu werden, wird sie nicht von hier fortgehen."
"Das wird die müssen, wenn wir nichts mehr zu essen kriegen und das Ding aus der Zeit der dunklen Matriarchin nicht noch mal geht", knurrte André Deckers. "Abgesehen davon haben wir nur deren Aussage und die von Professeur Faucon, daß der Minister sein eigenes Machtspiel durchzieht."
"Lesen kannst du aber doch?" Fragte die Lehrerin. André nickte verdutzt. "Dann lies dich bis nächste Woche Montag mal durch die letzten vier Monate des Miroir Magique und schreibe eine Erörterung darüber, wie sich Ton und Inhalt im Vergleich der letzten Wochen und Monate verhalten haben! Die Erörterung kriege ich dann nächste Woche Montag von dir." André verzog das Gesicht. Zeitungen der letzten vier Monate zu lesen war bestimmt nicht in zwei Stunden abzuhandeln, noch dazu, wenn er darüber eine Erörterung schreiben mußte. Wie eine Erörterung ging hatten sie bei Pallas schon häufig genug ausprobieren dürfen, wenn es um Ereignisse und deren Auswirkungen in der Zaubereigeschichte gegangen war.
Nach dem Geschichtsunterricht verließen die ZAG-Schüler des grünen Saales den Kursraum nicht so gelöst und heiter wie sonst. Daß Professeur Pallas diesmal selbst sehr ernst gewesen war hatte sie alle nachdenklich gestimmt. Als sie dann vor dem Verwandlungsklassenraum eintrafen erwartete Professeur Faucon sie bereits mit dem zauberstab in der Hand. "Ich hoffe, Sie trachten nicht danach, sich so einfältig und aufsässig zu gebärden wie ein paar Mitschüler von Ihnen, die meinten, meinen Unterricht stören und mich magisch angreifen zu müssen." Alle sahen die Lehrerin an, die kampfeslustig dastand. Jetzt erst konnten sie einen großen Glaskäfig erkennen, in dem sieben weiße Mäuse herumrannten, die versuchten, an der dicken Glasscheibe hinaufzuklettern, was natürlich nicht ging, weil ihre Krallen keinen Halt fanden. An der Wand lehnte ein Stück Pergament, auf dem Stand: "Befreit Beauxbatons von den Verrätern!"
"Ähm, wer sind die da?" Fragte Céline auf die Mäuse deutend.
"Potentiell ehemalige Schüler aus den Sälen Violett, rot und blau der Klassenstufen sechs und sieben", schnarrte Professeur Faucon. "Die dachten wohl, sie müßten mich überwältigen und ausliefern, weil dieses Schmutzblatt einer Zeitung dies verlangt." Dabei deutete sie auf den Mäusekäfig, auf dessen Boden Julius nun eine Zeitung erkennen konnte. "Ich werde es in der Pause mit Madame Maxime erörtern, ob diese Unruhestifter dort heute noch entlassen werden wie Monsieur Perignon oder die nächsten vier Wochen in dieser Gestalt und Behausung zubringen. Falls Sie nicht diese Zukunftsaussichten haben möchten treten Sie nun ein und nehmen Ihre Plätze ein!" Die Schüler trabten wortlos in den Kursraum. Professeur Faucon sprach draußen wohl einen Bannzauber aus und gesellte sich zu ihnen. "Wo waren wir beim letzten Mal stehen geblieben? ..."
Als die große Pause kam stellten alle Schüler, die noch auf zwei Beinen gehen und Zauberstäbe benutzen durften fest, daß nicht nur die übliche Pausenhofaufsicht patrouillierte, sondern neben Professeur Bellart auch alle sechs Saalvorsteher auf dem Pausenhof standen. Außerdem wurde es untersagt, sich an eine der Wände zu stellen oder in eine der Ecken zu verdrücken. Wer zur Toilette mußte wurde einzeln losgeschickt, daß keiner sich mit anderen zusammenrotten konnte. Professeur Faucon winkte die vier Saalsprecher der Grünen zu sich hin.
"Sehen Sie unter allen Umständen zu, daß jener Vorfall, der in der ersten Stunde passierte sich nicht wiederholt!" Schärfte sie den vier Schülern ein, nachdem sie ihnen erzählt hatte, wie die sieben Unruhestifter ihren Raum gestürmt und sie angegriffen hatten. Sie war dem konzentrierten Gewitter aus Flüchen und Schockern nur entgangen, weil sie den großen Schild gezaubert hatte und jeden mit schnell wiederholten Verwandlungen außer Gefecht gesetzt hatte. Als Julius seine Frau treffen durfte erzählte diese ihm, daß ein paar Didier-Anhänger sich noch vor dem Unterricht mit Maxime-Anhängern geprügelt hätten. Callie und Pennie hatten dabei den zwei Köpfe größeren Ajax Bouvier in den Krankenflügel gedroschen."
"Oha, da hat dir Madame Rossignol bestimmt ein paar nette Worte mitgegeben, wie?" Fragte Julius zynisch.
"Oja, hat die. Andererseits hat die den Grobian auch nicht gerade auf Daunen gebettet, weil der sich mit jüngeren Mädchen angelegt hat. Jetzt wird er's endgültig wissen, daß man sich mit denen nicht kloppt."
"So'n paar Heinis aus den höheren Klassen haben versucht, Professeur Faucon umzufluchen", setzte Julius an und berichtete. Millie nickte. "Hat unsere stellvertretende Saalsprecherin auch vor der zweiten noch von Professeur Fixus serviert bekommen, weil da einer von uns bei war, Bouviers Kumpel, der noch rechtzeitig vor Pennies Pranken in Deckung gegangen ist."
"Chaos pur", knurrte Julius. "Dieser Schweinehund Voldemort hat es echt hingekriegt, daß in diesem Land alles aus der Spur springt und jeder jeden belauert, ob der sich für oder gegen diesen Möchtegernführer Didier stellt oder nicht."
"Ups, der Name", zischte Millie. Julius schüttelte den Kopf. "Der Tabuzauber greift nur auf den Inseln, Millie. Den soweit aufzuspannen ist schon schwer genug gewesen, denke ich. Um die ganze Welt kann auch der den nicht ziehen. Abgesehen davon hat Sardonia wesentlich länger und einschneidender geherrscht als dieser Gangsterchef. Und deren Namen könnt ihr alle relativ locker aussprechen."
"Wohl, weil sie nicht mehr lebt und auch nicht mehr wiederkommt", grummelte Millie. Julius sah sie beunruhigt an und zischte nur: "Aber ihre Erbin lebt, Millie." Seine Frau nickte nur. Es war schon unverständlich, warum sie den einen Namen laut nennen konnten und den anderen nicht.
"Kuck, da oben ist einer von denen", zischte Millie und deutete zum Himmel, wo Julius sogleich eine art dunkelgrünes Insekt mit haardünnem Stachel und Rüssel sah. Das war ein Zauberer oder eine Hexe auf fliegendem Besen. Offenbar flog der Wächter mehrere hundert Meter über dem Gelände. Dann tauchte er herunter, wuchs dabei an und prallte umtost von einer regenbogenfarbigen Spirale zurück.
"Der versucht reinzukommen", grummelte Julius. Millie nickte. Da kam Madame Maxime und winkte Patricia, die bei Marc Armand stand und Argon Odin, der sich mit zwei Jungen aus seiner Klasse unterhielt zu, während sie auf das junge Ehepaar Latierre zukam. Dabei blickte sie sich sorgsam um. Womöglich ging sie davon aus, von irgendwem mit einem Zauber angegriffen zu werden.
"Bei wem haben Sie beide gleich Unterricht?" Fragte die Schulleiterin, als sie in ihrer ganzen Größe vor millie und Julius stand.
"Professeur Laplace", gab Julius die gewünschte Auskunft und deutete auf Millie, die nickte.
"Gut, dann werde ich ihr zukommen lassen, daß ich Sie beide und zehn weitere Mitschüler für eine wichtige Aufgabe einbehalten muß. Aha, da erscheinen auch Mademoiselle Patricia Latierre und Monsieur Argon Odin." Die Erwähnten kamen hinzu. Madame Maxime fragte auch diese, bei wem sie die nächste Unterrichtsstunde hätten. Argon würde bei Professeur Paximus Studium der nichtmagischen Welt haben, während Patricia bei Professeur Fixus eine Doppelstunde Zaubertränke verbringen sollte. Als Madame Maxime sich das notiert hatte gebot sie den vieren zu warten und ging über den Pausenhof herum.
"Weiß einer von euch, was das jetzt gibt?" Fragte Argon Millie und Julius. "Keinen Dunst, Argon", erwiderte Julius. "Egal was es ist, um Manons Vortrag über diese Computersachen komme ich dann rum."
"Ach, habt ihr das gerade? Kann mich erinnern, daß Professeur Paximus das in der siebten drannimmt."
"Ja, und unsere Musterschülerin Manon Dumont von ihrem alten Herrn her wohl schon damit gefüttert wurde, was drüber zu sagen. Ähm, woher weißt denn du das ... Ähm, kapiere, du hast das ja damals mitgekriegt." Argons Ohren liefen rosarot an, wohl er aus Verlegenheit auf Grund der Erinnerungslücke als wegen anderer Vorstellungen.
"Wir wollten heute 'ne Mixtur gegen Blähungen machen", sagte Patricia. Da kamen noch Arnica Dulac und Maribelle Delourdes aus dem gelben Saal. Maribelle war gerade in der zweiten Klasse. Vom Haar und von den Augen her sah sie schon wie ihre große Schwester Francine aus, mit der Julius ein Jahr in der Pflegehelfertruppe gewesen war.
"Was wird das, wenn es fertig ist?" Fragte Patricia, als Madame Maxime noch die beiden Schwestern Fabienne und Germaine Fontchamp zur Gruppe der wartenden hinüberschickte. Fabienne war im weißen Saal gelandet, während Germaine zu den Gelben eingeteilt worden war. Sie war in Sandrines Klasse.
"Hat sie euch erzählt, was wir tun sollen?" Fragte Fabienne die Gruppe. Alle schüttelten die Köpfe. Dann tauchte Madame Maxime mit zwei Erstklässlern von den Blauen auf, die vom Aussehen her Vettern sein mochten und Julius von ihrer drahtigen Gestalt her an Petronellus von den blauen Hügeln erinnerte, der die Collinebleu-Ahnenlinie begründet und den blauen Saal von Beauxbatons eingerichtet hatte. "Die Messieurs Clopin und Rivolis werden uns auch begleiten", sagte die Schulleiterin nur. Julius nickte und fragte die beiden, bei wem sie denn die nächste Stunde hätten. Jean Clopin sagte, daß sie bei ihrer Saalvorsteherin hätten. Sein Cousin Cano Rivolis nickte nur.
"Seid ihr nicht die, von denen Corinne Duisenberg erzählt hat, daß euer Großvater väterlicherseits von den Collinebleus abstamme?" Fragte Arnica. Julius erinnerte sich, daß Corinne das mal erwähnt hatte, daß die beiden damit im blauen Saal angegeben und einmal deswegen Prügel bezogen hätten. Dann klickte es unvermittelt bei ihm. Er sah Millie und Patricia an, zwei Latierres, Abkömmlinge einer bereits alten Familie, die irgendwann mit der Orion des Wilden zusammengekommen war. Die beiden Vettern waren Collinebleu-Nachfahren, Argon und er waren Kinder aus der langen Ahnenreihe Viviane Eauvives. Dann erschien es ihm sowas von logisch. Maribelle hieß Delourdes wie die erste Schulheilerin und Gründungsmutter von Beauxbatons, welche den gelben Saal eingerichtet hatte. Er fragte Arnica, ob sie Serena Delourdes als Ahnin hatte. Sie sah ihn an und nickte. Dann erkannte sie wohl auch, was hier gerade aufgezogen wurde. Sie sah Germaine an und fragte: "Hast du mir nicht nach deiner Einschulung erzählt, du hättest eher zu den Weißen hingehen sollen, obwohl der Teppich nur bei den ersten drei Schritten weiß mit drin hatte?" Germaine nickte. "Ja, weil unser Uropa väterlicherseits noch aus der Vallevée-Familie stammt, die auf Logophil zurückblicken", sagte Germaine. Ihre Schwester, die in der sechsten Klasse war, nickte bestätigend.
"Häh, moment mal. Sammelt Madame Maxime Leute aus den Gründerfamilien zusammen?" Fragte sie dann. Julius nickte heftig. "Mit wem bist du denn dann verwandt?" Fragte sie den Silberbroschenträger der Grünen.
"Mit mir um zwanzig Ecken", schaltete sich Argon ein. "Der und ich sind über mehrere Dutzend Generationen mit Viviane Eauvive verwandt, Fabienne."
"Kapiere", grinste Fabienne. Fehlten also nur noch Leute, die mit Donatus vom weißen Turm verwandt waren. Offenbar waren die nicht so leicht zu finden. Denn Madame Maxime mußte warten, bis von den Toilettenbesuchern welche zurückkehrten, Tiberius Picard und seine ein Jahr jüngere Schwester Antoinette, die als Hüterin der Violetten spielte. Damit war das Dutzend voll, das Madame Maxime zusammengesucht hatte. Jeweils zwei mit einer Abstammung von den Gründern der Akademie. "Nun, ich gehe sehr stark davon aus, daß Sie alle sich schon darüber Gedanken gemacht haben, wieso ich Sie zwölf hier um mich versammeln wollte", sagte Madame Maxime und blickte kurz nach oben, wo vier insektengroße Besenflieger gerade mit einem Gewitter von Zaubern auf ein unsichtbares Hindernis einschlugen, jedoch nur silberne, goldene und rosarote Flammengarben erzeugten, die die vier zu verbrennen schienen. "Die Herrschaften über uns können uns nicht sehen. Beauxbatons erscheint im Fall einer feindlichen Belagerung wie ein naturbelassener Wald an den Ufern eines schmalen Flusses. Folgen Sie mir bitte alle zügig und ohne die übrigen zu sehr auf uns aufmerksam zu machen!" Die zwölf zusammengesuchten Schüler beeilten sich, hinter der Halbriesin in den Palast zurückzukehren. Zwar sahen viele der auf dem Hof zusammengescharten Mitschüler herüber. Doch weil keiner der zwölf rufen durfte, mußten die warten und hoffen, daß sie irgendwann etwas erfuhren. Die Fontchamp-Schwestern verfielen fast in lockeren Trab, um mitzukommen, während Millie, Patricia und Julius locker an Madame Maximes hohen Absätzen zu kleben schienen, ohne groß rennen zu müssen. Die älteren Jungen schritten so weit aus, daß ihre Umhänge spannten, um nicht laufen zu müssen. Antoinette fiel leicht zurück. Madame Maxime verharrte einen Moment, um sie nachrücken zu lassen und führte die Zwölfergruppe dann durch die Tricktreppenhäuser und Kalendergänge der Schule hinauf vor das Bild des streitlustigen Königspaares.
"Monsieur Picard und Mademoiselle Dulac, sie scharen die anderen ihres jeweiligen Geschlechtes hinter sich!" Befahl die Halbriesin mit sanfter Stimme. Die beiden Broschenträger taten das. Dann durchschritt Madame Maxime das Bild. Julius faszinierte es, wie sie von der gemalten Königin ergriffen und in ihr Bild gezogen wurde, wobei ihre Gestalt erst schrumpfte und verflachte, um dann wie ein rasend schnell schrumpfender Kleks auf der Leinwand zu verschwinden. So folgten die zwölf Schüler, die Mädchen mit Hilfe der Königin, die Jungen mit Hilfe des Königs, wobei Julius von dem König besonders ruppig gepackt und in das Bild hineingerissen wurde, wohl um diesen Burschen schnellstmöglich abzufertigen. Seitdem Julius seiner gemalten Majestät einen Tag als Königin beschert hatte war der streitbare Kronenträger nicht gut auf ihn zu sprechen gewesen. Julius war es nun schon gewohnt, und so nahm er den rasenden Flug durch einen unendlich scheinenden Raum voller Farben gelassen hin wie eine Fahrt zwischen zwei U-Bahn-Stationen, bis er aus dem Wiesenlandschaftsbild unter der Statue Viviane Eauvives herauspurzelte. Schnell rappelte er sich auf und lief in die Mitte des sechseckigen Empfangsraumes, um den anderen Platz zum ankommen zu lassen. Gerade landeten Millie und Patricia. Millie konnte sich gerade so auf den Beinen halten, während Patricia locker auftippte wie ein Gummiball und dann federnd auf ihren Füßen landete. Es war schon klar, daß Patricia nach der Muttermilch die unverdünnte Latierre-Kuhmilch genossen hatte, die Hexenmädchen besonders stark und belastbar machte. Als dann alle zwölf bei Madame Maxime in der Empfangshalle standen, wies diese nach oben. Auf halber Höhe des vier Meter hohen Raumes verlief ein breiter Sims, auf dem an jeder der sechs Seiten die lebensgroße Nachbildung eines Schulgründers stand. Über dem Bild mit der Wiesenlandschaft stand Viviane Eauvive. Über dem schwarzen Kamin stand Orion der Wilde. Auf dem Abschnitt des Marmorsimses über zwei großen Bronzetüren stand Donatus vom weißen Turm. Auf dem Simsabschnitt über einem geräumigen Schrank stand die Nachbildung von Serena Delourdes in ihrer weißen Heilertracht. Da, wo ein Regal mit einem Gewusel klickender Instrumente stand, blickte der drahtige Petronellus von den blauen Hügeln auf die Schüler herab. Und über mehreren zeitmessern und einem frei über seinem Sockel hängenden Globus, der wie die echte Erde aus Astronautenperspektive aussah stand Logophil vom hohen Tal. Julius sah jedoch sofort, daß etwas anders war als sonst. Vivianes Statue stand ohne den Topf mit der Mimblius mimbletonia und ohne der auf ihrer rechten Schulter thronenden Knieselin Goldschweif I. da. Der Topf stand nun neben ihr auf dem Sims. Und die Knieselin lief mit aufgestelltem Schweif genauso wie ihre fünfundzwanzigste Namenserbin um den ganzen Raum herum. Sie lief? Julius stutzte und sah auch, daß Orions bärengleiches Abbild nun nicht mehr stolz und protzig kraftstrotzend stand, sondern den eingetroffenen Schülern zuwinkte. Logophil, der sonst mit einem aufgeschlagenen Buch in den Händen dastand hielt nun seinen Zauberstab in der rechten Hand und das Buch zugeklappt unter dem linken Arm. Petronellus winkte erheitert den beiden Vettern aus seinem Saal zu, während Donatus vom weißen Turm den violetten Spitzhut lüftete und damit winkte. Serena, die sonst in einer Hand eine Flasche mit dem Symbol der Heilmagier hielt, hatte nur noch ihren Zauberstab in der Hand. Das waren keine bemalten Standbilder mehr, sondern lebende Menschen, so lebendig wie die stolz dahinschreitende Knieselin und die sanft mit den dicken Blättern wedelnde Zauberpflanze in ihrem Topf. Dann sprach Madame Maxime.
"Heute morgen versuchten unsere Hauselfen, tagesfrische Lebensmittel auf den geheimen Märkten der Umgebung zu kaufen, wo alle Hauselfen des Landes für ihre Herrschaft Waren einhandeln. Doch die drei, die auszogen wurden mit einer brachialen Gewalt zurückgeworfen und erschienen aus leuchtenden Blitzen und Funken heraus. Offenbar haben Didiers Leute das Manöver wiederholt, mit dem Sardonia einst Beauxbatons von der wichtigen Nahrungsquelle abschnitt. Er muß einen männlichen und einen weiblichen Hauselfen dazu getrieben haben, eigenes Blut zu lassen und dabei zu sagen, daß über dieses Blut kein Elf hinüberdarf. Er hat dann von seinen Vasallen das Umland von Beauxbatons damit verunzieren lassen, bis ein doppelter Kreis entstand, der alle Hauselfenmagie unterbindet, bis die Hexe oder der Zauberer, welcher den Bannkreis in Kraft setzte, eine der Markierungen entzaubert und damit den Elfenwall zerstört. Ich habe mit diesem Manöver gerechnet, seitdem mir gestern Abend eine unmißverständliche Aufforderung zuging, mich den vor der Abgrenzung wartenden Mitgliedern der Pétain-Patrouille zu stellen, natürlich zusammen mit Professeur Faucon. Es ist auch zu vermuten, daß sie Apparitionsspürer eingerichtet haben. Und so ähnlich, wie Professeur Faucon und ich nach der Sache mit dem trimagischen Turnier Beauxbatons gegen Portschlüssel-Zugang abgeschirmt haben, werden Pétains Leute wohl Portwachen aufgestellt haben, die einen unautorisierten Portschlüssel sofort aufspüren und verfolgen können. Daher werden wir wohl niemanden ausschicken können, der für Lebensmittel sorgen kann. Zumindest geht das Duo Didier-Pétain davon aus, daß wir nun von der Nahrungsmittelversorgung abgeschnitten sind und mir nur die Wahl bleibt, mich mit Professeur Faucon seiner fragwürdigen Gerichtsbarkeit anzuempfehlen oder mit Ihnen allen zusammen langsam aber sicher zu verhungern, sofern niemand auf den verzweifelten Gedanken verfällt, seine Mitschüler in essbare Nutztiere zu verwandeln. - Hat es zu jener Zeit leider einmal gegeben. Bevor mein seliger Altvorgänger den Notfallzauber der Gründer aufrief, haben sich mehrere Schüler in einer Art Verwandlungsduell entsprechend verwandelt. Zum Glück kam es nicht zum transfigurativen Kannibalismus. Nebenbei wurde dieser Akt damals mit dem Tode des Ausübenden bestraft. Heute steht auf diese Art Mißbrauch der Magie lebenslange Haft, um den in Verwandlung gut geübten unter Ihnen zu verdeutlichen, daß diese Art von Notmaßnahme weder erlaubt noch entschuldigt wird. Deshalb, und weil ich Didier niemanden für Tourresulatant oder eines dieser Friedenslager überlassen will, wollte ich es gar nicht erst dazu kommen lassen, daß irgendwer zu hungern hat. Daher habe ich während der zweiten Doppelstunde das nur den amtierenden Schulleitern bekannt gemachte Ritual vollzogen, um die Hilfe der Gründer zu erbitten. Zu unser aller Glück befinden sich in der Akademie zur Zeit genug Abkömmlinge aus allen sechs Gründerfamilien. Wäre dem nicht so gewesen, ginge Pétains Aushungerungstaktik wohl auf, und ich hätte mein Leben für Sie alle hergeben müssen und Sie der Gnade dieses Despoten überlassen müssen, der aus Angst vor dem Massenmörder in Britannien selbst zum Tyrannen wurde. Nun stehen Sie zwölf hier in diesem Raum, dem magischen Zentrum von Beauxbatons, von wo aus die sechs Gründer all die Zauber gewirkt haben, die Palast und Ländereien von Beauxbatons umspannen, durchziehen und durchtränken." Die sechs Gründer nickten und blickten auf jene, die sie als die Nachkommen ihrer Linie ausmachen konnten. "So galt es nur noch, je zwei Nachfahren der sechs Familien zu finden und hier zusammenzubringen", fuhr Madame Maxime fort. "Denn nur von hier aus können die Säulen der Gründer geöffnet werden." Wieder nickten die lebendig gewordenen Standbilder. Sie wissen alle, welche Vorfahren Sie haben. Bitte postieren Sie sich nun unter das Ebenbild des jeweiligen Gründers oder der Gründerin. Ich erkläre notfalls, wer wer ist." Doch das war nicht nötig. Alle kannten die Gründer entweder von Bildern, den Nachbildungen in ihren Sälen oder aus Büchern wie den Bulletins de Beauxbatons. So stellten sich Mildrid und Patricia an den Kamin unter Orions Abbild. Die Fontchamps postierten sich unter das Ebenbild Logophils. Die Vettern Jean und Cano stellten sich unter das Ebenbild ihres Saalgründers und Urvaters Petronellus von den blauen Hügeln. Arnica und Maribelle nahmen vor dem breiten Schrank aufstellung, über dem Serenas Ebenbild wachte. Die Picards stellten sich unter das Ebenbild ihres Saalgründers Donatus. Schließlich bauten sich Argon und Julius unter Viviane Eauvives Füßen vor dem breiten Wiesenlandschaftsbild auf. "Ergreifen Sie nun alle ihre Zauberstäbe und richten Sie diese so aus, daß die Spitzen mit der Zauberstabspitze ihres jeweiligen Vorfahren ein Dreieck formen! Dann sprechen Sie mir bitte folgenden Bittspruch nach: O Maiores nostres donate nobis Cibum! Ab da befolgen Sie, was Ihre Gründer Ihnen zu tun anweisen. Denn darüber durfte ich nichts erfahren. Also bitte!" Die Schüler nahmen ihre Zauberstäbe und richteten sie so aus, daß die Zauberstäbe der Gründer mit den Spitzen Dreiecke formten. Allerdings waren diese erst geometrisch korrekt, als die einen oder anderen die Arme entsprechend höher streckten oder die Zauberstabhände entsprechend drehten. Als nun alle mit den Gründern sechs magische Dreiecke bildeten, hob Madame Maxime, die im geometrischen Mittelpunkt des Wabenraumes stand, ihren eigenen Zauberstab an, streckte ihn senkrecht nach oben, wobei sie auf der Hut war, nicht die Decke zu berühren und sprach mit fester Stimme: "O Maiores nostres, donate nobis Cibum!" Diesen Beschwörungssatz wiederholten die zwölf verteilten Schüler nun. Sofort fühlten sie, wie eine gewisse Spannung aufkam, als würde ein elektrisch geladener Luftwirbel in diesem Raum zu kreisen beginnen, so dachte zumindest Julius. Zeitgleich fühlte er, wie durch seine Zauberstabhand ein leichtes Vibrieren ging. Noch einmal sprach Madame Maxime die lateinische Bittformel, die Julius als "OUnsere Ahnen, gebt uns Speise" erkannte. Die erwachende Magie äußerte sich nun in einem warmen, vibrierenden Gefühl, das den ganzen Körper umfing. Ein drittes Mal deklamierte Madame Maxime die magische Bitte. Wieder sprach ihr der Chor der zwölf Nachkommen diesen Satz nach. Dann geschah es. Aus den Zauberstäben der Gründer strahlten goldene Lichtfontänen, die auf den Zauberstab der Schulleiterin zuflogen, an dessen Spitze sich eine goldene Lichtkugel formte, die wie ein Luftballon anschwoll, bis die sechs Lichtfontänen ihn trafen und sich mit ihm verbanden. Als dies passierte schossen aus den Zauberstäben der zwölf Mitbeschwörer weißblaue Lichtfontänen heraus, die genau in den goldenen Lichtbahnen der Gründer zusammentrafen. Dieser Vorgang dauerte keine Sekunde, da erstrahlten die magischen Lichtstrahlen im reinsten Weiß, und der Lichtball auf Madame Maximes Zauberstab wurde zu einem Wirbel, der sich spiralförmig ausbreitete wie eine kleine Galaxis aus lauter strahlendweißen Sternen. Diese rasend schnell rotierenden Lichter erfüllten den ganzen Raum. Und als sie sich um die zwölf Nachkommen der Gründer verdichteten und jeden von ihnen in wilde weiße Lichtsäulen einschlossen, erkannte Madame Maxime, daß der uralte Zauber immer noch wirkte. Ohne jedes Geräusch wurden die zwölf Schüler von der freigesetzten Magie eingeschlossen. Dann erfüllte ein scharfer Knall den Raum. Das Lichterspiel verebbte in einem einzigen Augenblick. Und die zwölf Schüler waren verschwunden. Und die Gründer hatten sich verändert. Sie wirkten nun wie aus Glas. Glas in dem leichter, silberner Rauch gefangen zu sein schien. Madame Maxime dachte daran, daß ihr Vorgänger, der damals gegen Sardonia gekämpft hatte, zweiundsiebzig Minuten hatte warten müssen, bis alles vollendet war. Zumindest hatte sie an die überlieferten Ausgangspunkte je einen der Küchenelfen hingeschickt, die nicht gegen den Elfenwall geprallt waren. Wenn der Zauber der sechs Säulen wirklich voll und ganz erwacht war, würden die fleißigen, bedingungslos dienstbaren Zauberwesen keine Probleme mehr mit der Nahrungsmittelversorgung haben.
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Was ist das. Irgendwo in diesem Steinbau erwacht jemand, den ich kenne und doch wieder nicht. O, irgendeine ganz starke Kraft wacht auf. Ich meine, eine andere wie ich zu hören, allerdings weit weg. Olympe sammelt welche ein. Julius und sein Weibchen Mildrid sind dabei. Über uns fliegen die Zweifußläufer auf den Flugästen und versuchen, eine starke, schützende Kraft zu zerschlagen, die seit dieser Nacht über uns singt. Ich weiß nicht, was passiert. Irgendwie wird die starke Kraft im Steinbau noch stärker, seitdem Olympe mit Julius und den anderen darin ist. Machen die wieder irgendwas? Das ist viel stärker als alles, was ich hier mitgekriegt habe. O, Julius wird von einer Kraft weggerissen und fliegt ganz schnell davon. Nein, er bleibt irgendwo und wird langsamer. Halt! Seine eigene Kraft vermischt sich mit der, die gerade so wuchtig losgebrochen ist. Ich fühle ihn nicht mehr. Ist er fort oder tot? Ich habe Angst, auch wenn die Kraft eben nichts böses, sondern etwas sehr gutes war, etwas, daß wie mehrere Muttertiere war, die ihren Jungen Milch und Wärme geben wollen. Doch jetzt fühle ich Julius nicht mehr. Aber diese Kraft ist da. Sie fängt jetzt an, sich langsam auszubreiten. Sie verändert sich. Sie wird zu sechs ganz langen, angenehm singenden Sachen, die hoch und breit wie Bäume sind und wie die oben und unten auseinandergehen. Was haben die wieder mit Julius gemacht?
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Als ihn diese weiße Lichtsäule umfing, die schräg von oben nach unten führte empfand Julius keine Angst, auch wenn diese fast blendende, wie Schnee im Sonnenlicht leuchtende Energie ihn immer dichter einschloß. Er fühlte sich schwerelos. So ähnlich war es auch im Lichtzylinder der alten Straßen von Altaxarroi, dachte er, bevor er ein leises Summen hörte, das ihn umkreiste wie ein Schwarm Insekten. Normalerweise bereitete diese Vorstellung ihm Angst. Doch jetzt verhieß sie ihm Hoffnung und Geborgenheit. Dann fühlte er, wie ihn etwas aufhob und davontrug. Das Summen wurde zum Sirren und rotierte um ihn herum. Er fühlte eine leichte Bewegungsänderung nach unten. Dann stand er auf festem Boden. Das weiße Leuchten wurde zu einem silbernen Leuchten, das wirkte, als materialisiere sich das Licht zu durchsichtigem Metall, wurde immer dunkler und undurchsichtiger. Dann stand er fest in einer massiven Steinsäule wie darin eingemauert. Er konnte sich nur um wenige Zentimeter bewegen. War er jetzt gefangen? Er fühlte sich jetzt etwas unbehagt. Dann merkte er, daß das Zuneigungsherz unter seinem Umhang nicht mehr pulsierte. Die Verbindung zu Milie war abgerissen. Und er konnte seine Arme nicht senken, um den Anhänger an seine Stirn zu drücken. Vielleicht konnte er den Pflegehelferschlüssel benutzen, um Madame Rossignol anzurufen. Doch als er mit der freien Hand nach seinem rechten Handgelenk tastete, meinte er, von einem unsichtbaren Hindernis abzugleiten. Dann hörte er Viviane Eauvives Stimme. Sie klang raumfüllend um ihn herum, schien aber gleichzeitig in ihm selbst zu entstehen.
"Julius, Sohn meiner Nachkommen. Du batest mich um Speis und Trank, weil feindliche Mächte dich und deine Mitlernenden bedrohen. Ich habe dich als meinen rechtmäßigen Nachfahren erkannt und nur deshalb mit dir und einem anderen Nachfahren Verbindung aufnehmen können. Denn wahrlich, nur die Bitte alleine wird mich und die anderen, die wir dieses erhabene Haus begründet haben, nicht dazu befähigen, euren Hunger und Durst zu stillen, bis die Feindesmacht von euch abläßt oder ihr diesen Hort unseres gebündelten Wissens verlassen müßt. Nur wenn du und Argon die Prüfung eurer ererbten Gaben besteht und der von mir geschaffenen der sechs Säulen der Gründer als Würdig entsteigen könnt, werden Hunger und Durst euch nicht mehr drohen, bis Beauxbatons frei von Feindeswut ist oder ihr von einer Übermacht zur Flucht getrieben werdet. Willst du vor der entscheidenden Prüfung näheres erfahren. So hast du drei Fragen, dies zu ergründen. Verzichtest du auf diese Fragen, so stelle dich der Prüfung und bestehe diese!"
"Was sind die Säulen der Gründer?" Fragte Julius und meinte, in eine turmhohe Halle hineinzurufen. So ähnlich hatte es im Turm der Macht in Khalakatan geklungen oder im Wachskerzenturm von Thorntails.
"Sie sind durch Zauber der Zuwendung und Erhaltung geformte Gebilde aus den ausgehöhlten Stämmen versteinerter Bäume, in die wir Gründer mit Magie und eigenem Blute diese Kraft wirkten, die Beauxbatons vor feindlichen Mächten schützen soll. Denn damals wußten wir schon, daß dieser Ort nicht von allen gut gelitten war. Herrschsüchtige Magi wähnten sich um ihre willigen Schüler und Knechte geprellt und neidische Hexen sahen in Beauxbatons einen Hort überragenden Wissens, das sie selbst alleine nicht in hundert Jahren zusammentragen konnten. Deshalb errichteten wir im Mauerwerk des weißen Palastes sechs verborgene Säulen, die den Palast tragen."
"Wie können diese Säulen uns Speisen und Getränke verschaffen?" Wollte Julius wissen.
"Indem du und mein zweiter Nachfahre sie öffnet und damit die alten Brücken neu errichtet, die zu Quellen von Speis und Trank führen", kam die Antwort.
"Wo befindet sich die Säule, in der ich gerade bin?" Fragte Julius noch.
"Sie wurde in der Nähe der östlichen Wand errichtet. Dies waren deine drei Fragen. So stelle dich nun der Prüfung!" Bei diesen Worten meinte Julius, hochgehoben zu werden. Doch er fühlte seinen Körper nicht mehr. Dieses ihm schon einmal begegnete Empfinden beunruhigte ihn etwas, und daß er nun in ein Meer aus Farben und Geräuschen hineintauchte machte dieses Gefühl nicht besser. Doch als er in jene Flut aus Bildern und Geräuschen eintauchte erkannte er Szenen aus seinem eigenen Leben, die in Ausschnitten um ihn abliefen, wie ein immer wieder beim Zurückspulen angehaltener Videofilm. Er bekam mit, wie er immer jünger und kleiner wurde, bis ihn tiefe Dunkelheit umgab, in der für einige Sekunden ein gleichmäßiges Pochen erklang. Dann stürzte er in ein neues Bildermeer, jedoch ohne Geräusche. Er sah Leute, die er kannte, seinen Vater, der gerade auf die Welt kam. Seine Großmutter mütterlicherseits, wie sie gerade mit Kochtöpfen und Besteck hantierte, bevor er weiter zurücktrieb, eine Frau sah, dann einen Mann, denen er irgendwie ähnelte. Doch die Reise in die Vergangenheit zeigte ihm bald nur noch Leute, die ihm unbekannt waren, die aber alle der gemalten Viviane immer ähnlicher wurden. Nun sah er nicht mehr Ausschnitte von mehreren Sekunden länge, sondern einzelne Bilder, mal bei Tag, mal bei Nacht, Vorfahren die gerade den ersten und solche die bereits den letzten Atemzug taten. So ging es weiter zurück. Julius schwante, daß er wohl erst bei Viviane Eauvive zur Ruhe kommen würde. Er hatte jedoch jetzt schon jedes Zeitgefühl verloren.
Als er dann endlich einen Halt in diesem Bildermeer fand, war er jedoch nicht bei Viviane und ihrem Mann angekommen, sondern auf einer weiten Blumenwiese, in deren Mitte eine klare Quelle entsprang. Aus dieser Quelle drang nun Vivianes Stimme zu ihm. "Kunst und Kenntniss, Wissen, Neugier und schöpferischer Geist sind die lebensspendenden Gaben dieser Quelle, die Quelle des lebhaften Wassers, Julius. Jetzt wo du deine Reise zum Ursprung deiner Ahnen erfolgreich beendet hast, wirst du von dir aus deinen Weg zurückfinden müssen, indem du nutzt, was in dich hineingeboren ist. Nimm einen Becher und fülle aus der Quelle Wasser. Trinke einen Schluck daraus und sieh, wohin es dich bringt. Wenn du sicher bist, die dir begegnende Aufgabe bewältigt zu haben, trinke noch einen Schluck. Der Becher kann fünf Schlucke Wasser Fassen. Ist er leer, wirst du die letzte Prüfung bestehen müssen. Schaffst du dies nicht, wirst du zum Ausgangspunkt deiner Reise zurückgeworfen. Doch meine Säule wird dann nicht ihren Sinn erfüllen. Schaffst du es, zum Ort deines verharrenden Leibes zurückzukehren, wird die Säule sich öffnen, sobald auch Argon diese Prüfung besteht. Kehrt er unverrichteter Dinge zurück, wirst auch du an den Ort zurückgeschickt, an dem du mich um Hilfe batest. Besteht er vor oder nach dir die Prüfung, werdet ihr beide Kopf und Fuß der Säule öffnen und damit die Brücke zu den verborgenen Horten von Speis und Trank erreichbar machen. So beginne nun!"
Julius sah einen silbernen Becher links von der sprudelnden Quelle auftauchen und schöpfte diesen so voll, das der Wasserspiegel den obersten von fünf eingravierten Markierungsstrichen berührte. Vorsichtig trank er nun von diesem Wasser, bis er meinte, in einem Wald zu stehen. Er trug grüne Gewänder wie der legendäre Geächtete Robin Hood. Er lauschte auf die Geräusche um ihn herum und betrachtete die Bäume. Die Vogelstimmen und das junge Grün der noch lichten Bäume verrieten ihm, daß gerade Frühling war. Aus der Ferne erklang der Ruf eines Kuckucks. Er prüfte, was er außer Gewändern und Wasserbecher bei sich hatte. Doch er besaß nichts. Seine ganzen Zaubersachen waren nicht da. Besser, in dieser Umgebung und dieser Erscheinung hatte er keinen Zauberstab. Somit mußte er alles was anstand ohne Magie erledigen. Er sah sich um, welches Rätsel oder welche Aufgabe er hier lösen sollte. Er dachte an alles, was ihm zum Thema Wald einfiel. Dann betrachtete er die Bäume. Sie sahen so aus wie Bäume in Europa eben aussahen, gewöhnliche Eichen, Buchen, Linden und Ulmen, dazwischen einzelne Fichten und Palmen. Palmen? Die paßten eben doch nicht in diese Landschaft. Er zählte vier Stück um sich herum. Da dies die einzigen nicht in diese Pflanzenwelt passenden Gewächse waren mußte er sie einfach alle nacheinander untersuchen. Das hieß wohl auch, hinaufklettern. Aber wie, wo er in einer Hand den nun zu vier Fünfteln vollen Becher hielt, dessen Inhalt er wohl besser nicht verschüttete. Er kam sich vor wie in einem Computerspiel mit virtuellem Raum. Sollte er den Becher hier irgendwo hinstellen und dann klettern? So eine Palme war hoch und nicht so einfach zu erklettern wie ein Baum. Dann blieben ihm nur drei Möglichkeiten. Er blieb auf dem Boden und blickte so gut es ging nach oben. Er suchte sich etwas, daß er als Kletterzeug benutzen konnte. Oder er baute sich eine einfache Steinschleuder oder einen Flitzebogen, um was auch immer da oben sein konnte herunterzuschießen. Der Flitzebogen kam dieser Robin-Hood-Verkleidung wohl näher. Doch da fiel ihm etwas besseres ein. Er konnte zwar nicht an einer Palme direkt hochturnen, aber auf die Bäume darum herum gings. Allerdings war die Sache mit dem Becher dann immer noch nicht erledigt. Wenn er das verbliebene Wasser umfüllen konnte. Wieder wanderte sein Blick herum und fand zwei reife Kokosnüsse an jeder Palme. Wenn er die aushöhlte, konnte er das mitgenommene Wasser so in die schale füllen und mit auf dem Boden liegenden Blättern abdichten. Er mußte die Kokosnüsse nur von der Palme runterschießen. Er dachte wieder an eine Steinschleuder, weil er mit Pfeil und Bogen nichts anfangen konnte. Früher hatte er sich aus Gummiband und zwei Holzstücken eine Zwille gebaut und damit Kieselsteinchen verschossen. Hier brauchte er aber eine richtig gute Schleuder, mit der er größere Steine möglichst hoch schießen konnte und dann noch aufpassen mußte, daß die ihm nicht auf den Kopf fielen. Frühere Schleudern waren eigentlich nur Lederschlaufen an langen Schnüren, die über dem Kopf herumgewirbelt werden mußten und dann, im rechten Augenblick, aufgemacht zu werden, um den Stein wegzuschleudern. Als er seine Kleidung betastete fand er zwei lange Lederbänder. Damit konnte es gehen. Er wußte nicht, wie viel Zeit er hatte. Wußte er denn überhaupt, wie viel Zeit verging, hier für ihn und für seinen abgestreiften Körper. Half nichts, er mußte zumindest einmal versuchen, eine Kokosnuß abzuschießen und zu hoffen, daß die ihm dann nicht voll auf den Kopf knallte. Vielleicht war er auch auf dem Holzweg, und die Palmen sollten ihn nur ablenken. Wovon? Er sah noch einmal auf den Boden. Da erkannte er sie, eine Ameisenstraße. Darauf liefen silberne und bronzene Ameisen entlang, wie sechsbeinige Ritter in ihren Rüstungen. Dann meinte er auch eine winzige Stimme "Vorwärts! Zwei, drei, vier!" rufen zu hören. Jetzt, wo er diese Metallameisen sah, vergaß er die Palmen. Viviane hatte ihn dabeigekriegt, ihn mit was großem von den winzigen Krabbeltieren abgelenkt. Er folgte dem Zug der Ameisen zu einem kegelförmigen Gebilde aus Nadeln und dünnen Zweigen. Ameisen waren Insekten und eigentlich nie so sein Fall gewesen, schon gar nicht, wenn er mit seinen Eltern picknickte und diese überall lebenden Mikrosoldaten den Korb stürmen wollten, um für Königin und Heimathaufen Proviant zu erbeuten. Doch diese Winzlinge waren interessant. Er meinte, eine Unzahl winziger Menschen zu hören und beobachtete eine Zeit lang die Kolonie. Er wußte, daß eine Ameisenkönigin im Zentrum des Haufens saß und Eier am laufenden Band legte, ähnlich wie die Königinnen von Wespen und Bienen. Da trat eine merkwürdige Ameise aus der Spitze des Haufens heraus. Sie schimmerte schneeweiß, war aber keine Termite. Sie breitete Flügel aus und flog los. Dann sah Julius dicke Ameisen mit Flügeln die wie in wallende, schwarze Anzüge gehüllt wirkten und hinter der einen weißen Flügelameise herflogen. Dann kamen noch welche von denen aus dem Bau heraus. Was hatte er mal so nebenbei mitgekriegt. Die jungen Ameisenköniginnen hatten Flügel und flogen mit den Männchen aus, um sich im Flug zu paaren, um dann weit genug vom Mutterhaufen entfernt eigene Staaten zu gründen. Diese Ameisenköniginnen trugen also Hochzeitskleider. Schon eine ziemlich blühende Phantasie, die ihm hier vorgegaukelt wurde. Was war mit den Männchen, die erfolgreich Hochzeit gemacht hatten? Wenn er das richtig mitbekommen hatte fielen die total erschöpft runter und gingen dabei drauf oder starben kurz nach einer Landung. Sie wurden einfach nicht mehr gebraucht. Ähnliches hatte ihm die Bienenzüchterin L'ordoux ja auch über die Honigbienen erzählt. "Eh du Spanner, glotz nicht so blöd!" Zirpte ihm die irgendwie wütende Stimme eines gerade ausfliegenden Männchens ins rechte Ohr. Julius sah nun tausende von Männchen hinter hunderten von geflügelten Ameisenbräuten herfliegen. Langsam wurde es ihm zu viel. Als er dann noch sah, wie aus den Baumwipfeln Vögel herabstießen und in die Massenhochzeit hineinfuhrwerkten, um sich ihr Mittagessen abzugreifen, widerstand Julius dem Drang, sich die Ohren zuzuhalten, weil die gefangenen Männchen vor Schreck und Schmerz aufschrien und die Weibchen sich empörten, sie bei ihrer Hochzeit derartig ... weiter kamen sie meistens nicht, weil sie im Kropf eines Vogels verschwanden. Tja, das Insektenleben war schon eines der härtesten. Wer so winzig war stand ziemlich weit unten in der Nahrungskette. Dann sah er eine besonders große Ameise ohne Flügel, die aus einem der Ausgänge heraustrat. Sie schimmerte golden und trug eine winzige Krone. Dann meinte Julius, nicht mehr richtig zu sehen. Die Ameisenkönigin sah aus wie eine ziemlich füllige Ausgabe von Viviane Eauvive. "Du wolltest mich doch sehen, Julius", zirpte sie vergnügt. "Im Moment habe ich Zeit. Wenn du mich besuchen möchtest sage es mir." Julius dachte kurz, daß er das zwar wolte aber ... Einen Aufschrei unterdrückend fühlte er, wie er nach vorne fiel und auf allen vieren landete. Auf allen vieren? Als er wieder klar denken konnte stellte er fest, daß er auf sechs Beinen lief und erkannte in einer in viele hundert einzelabschnitte zerlegten Ansicht, wie der Ameisenhaufen vor ihm nun höher als ein Hochhaus war und die zerbrechlich dünnen Tannennadeln wie Baumstämme so dick waren. Sofort wurde er von einem Trupp silberner Ameisen umzingelt, die nun seine Größe hatten. "Du willst zur Königin! Sie will dich auch sehen! Vorwärts!" Belferte ein muskulöses Weibchen wie durch ein geschlossenes Helmvisier. Julius konnte nicht anders, er folgte und wurde in den wimmelnden Haufen, diese Stadt mitten im Wald hineingetrieben. Als er dann durch ein Gewirr von Gängen und Schächten in die Legekammer der Königin getrieben worden war, sah er Viviane als Verschmelzung zwischen Ameise und Menschenfrau, die ihn freundlich anlächelte.
"Ich weiß, daß du keine Insekten magst. Du hast Angst vor fliegenden Insekten. Aber dennoch bist du neugierig geblieben und hast uns zugesehen. Und du hast dich nicht von den hier nicht hinpassenden Breitblattbäumen mit den harten, runden Früchten dran ablenken lassen, obwohl ich das schon gerne gesehen hätte, wie du eine Schleuder baust oder auf eine dieser Dinger draufkletterst. Aber das hier ist schon wichtiger. Moment!" Unter leisem Stöhnen drückte sie ein Ei aus dem Hinterleib. "Schon langweilig, dieses Ameisenköniginnendasein. Du machst einen Hochzeitsflug, läßt dich von hundert Brüdern befliegen und mußt dann irgendwo landen und dann deinen neuen Haufen bauen und vor allem nur noch ... Noch eins!" Noch ein Ei kullerte aus ihr heraus. "Jedenfalls viele Millionen Eier legen. Dafür wirst du von allen gefüttert und geputzt, kannst nichts mehr selber machen. War es das was du sehen wolltest?" Julius nickte. Dann fragte er, wie er weiterreisen konnte oder ob er noch etwas zu tun hatte. "Wohin willst du denn?" Fragte die Ameisenkönigin. "Öhm, irgendwie nach Beauxbatons."
"Dann mußt du erst mal meinen Leuten helfen, die Wasserversorgung wieder hinzukriegen. So ein dickes, viel zu langes, leicht schleimiges Ungetüm ohne Zähne hat unsere Wasserrinne durchwühlt. Als meine Soldatinnen dieses Etwas fangen und fressen wollten, ist es unter der Erde verschwunden. Jetzt ist unsere Wasserrinne verstopft, und da draußen warten diese gefiederten Feinde, die meine Söhne und Töchter fangen, wenn sie Hochzeit machen." Julius erkannte, daß jetzt die eigentliche Prüfung begann. Zusammen mit einigen Mitgliedern der Bautruppkaste besichtigte er die Wasserrinne und überlegte, wie er die wieder zum sprudeln bringen konnte. Da fiel ihm ein, Kolonnen zu bilden, die immer ein bißchen Erde abtrugen und sich dabei in den Boden eingruben. Die Erde sollte nach hinten durchgereicht und um den Bau herum zu einer Mauer aufgeschichtet werden. Als er nach mehreren Stunden, wo er seine Ameisenbeine richtig zu gebrauchen gelernt hatte, leises Sprudeln hörte und frisches Wasser roch, jubelte er. Dabei erkannte er jetzt erst, daß ihm bei der Ameisentransformation der Becher mit dem Wasser abhandengekommen war. Da stand eine Arbeiterin neben ihm, die fast so aussah wie Jeanne Dusoleil. "Die Königin sagt, du möchtest bitte so viel von dem neuen Wasser trinken, wie du vorher getrunken hast. Dann bist du hier fertig." Julius nahm vorsichtig einen Schluck Wasser zusich, bis er hoffte, daß er die richtige Menge erwischt hatte. Da verschwand die Umgebung um ihn herum und er fand sich, einen nun zu drei fünfteln vollen Becher haltend, auf einem fliegenden Besen über einem urtümlichen Quidditchfeld wieder. Gerade sauste ein vierflügeliger Vogel wie aus purem Gold an seinem rechten Ohr vorbei. Er war also da gelandet, wo sie noch mit echten Schnatzern gespielt hatten. Und er hatte keine Zeit nachzudenken. Denn da flogen schon die grob geschmiedeten Klatscher auf ihn zu. Er mußte ausweichen. Aber das Wasser. Er preßte sein Gesicht auf den Becher, hielt sich mit einer Hand am Besenstiel und riß diesen Hoch. Dschumm-dschumm! Beide ihm geltenden Bälle zischten haarscharf unter ihm weg. Als er landen wollte, um in Ruhe das Weite zu suchen, sah er, daß der Boden nicht aus rotem Sand, sondern aus rotglühender Lava bestand. Was sollte das denn jetzt? Er blickte sich um. Das Stadion war ein großer Kraterrand, und die Zuschauer waren verkleinerte Ausgaben der ihm bekannten Drachenarten, die dem Wort anfeuern seinen ursprünglichen Sinn gaben, indem sie langsamen Spielern heiße Flammenstöße nachschickten. Gerade riß ein walisischer Grünling seinen Rachen auf, um Julius voranzutreiben. "Das muß die Hölle sein", dachte Julius. Andererseits dachte er auch an Kevin Malone, der Drachen faszinierend fand und Hagrid, von dem es hieß, er würde allzu gerne einen Drachen halten. Als habe er die beiden per Apportzauber herbeigeholt kam Kevin gerade an seiner linken Seite längsseits. "Die Lavalutscher sind zu stark. Wenn wir die nicht bald mit dem Schnatzerfang kriegen braten uns unsere Fans ohne Spieß."
"Schöne Tiere sind das, nicht war, Julius?" Gröhlte Hagrids Stimme. Er saß auf einem Besen dick wie ein Dachbalken und tanzte gerade zwei Flammenstöße der gegnerischen Drachen aus. "Das sind die Lavalutscher-Fans", rief Kevin und rollte sich gerade so unter einem Flammenstoß weg. Gleichzeitig tauchten wieder die Klatscher auf. Julius warf den Becher fort. Er brauchte beide Hände. Der Becher fiel hinunter, während er den Besen im Dawn'schen Doppelachser herumriß und dem glutflüssigen Lavasee entgegenstieß. Er sah, wie Wasser aus dem Becher hinabstürzte, wie ein reißender Wasserfall, der immer breiter wurde und die Lava tränkte, die laut und protestierend zischte und eine wallende Dampfwolke erzeugte. Das schmeckte den feuerspeienden Zuschauern wohl nicht. Sie brüllten verärgert, versuchten die Wolke mit ihrem Feuer zu zerblasen. Doch sie wurde immer dichter. Julius wußte, daß er in diesem Qualm unmöglich noch wußte, wo er hinflog oder ob ihm nichts entgegenkam. Was hatte er getan? Dann hörte er was schwirrendes und leise piepsendes rechts und erkannte den goldenen Schnatzer. Den galt es zu kriegen. Dann war das Spiel um. War er der Sucher. Was sollte es? Er warf sich nach rechts, ließ die nun leere Hand vorschnellen und erwischte ein winziges, warmes Federbündel, das erschrocken und ängstlich loszwitscherte. Er hatte den kleinen Vogel erwischt! Ein langgezogener Jubelschrei aus mindestens tausend Drachenkehlen erschütterte das Kraterstadion so sehr, daß es ins Wanken geriet und zusammenbrach. Julius ahnte mehr als er es hörte, wie unter ihm alles zusammenstürzte und die Drachen Hals über Kopf davonflogen. Dabei erwischte jedoch ein wütender Feuerstrahl sein Besenende. Julius wußte, daß er schnell landen mußte. Aber wo. Dann sah er rechts von sich etwas gewaltiges dahinfliegen und entschied, besser auf einem wütenden Drachen weggetragen zu werden als in einen See aus Lava und kochendem Wasser zu verenden. Denn er wußte nicht, ob er noch ein Bonusleben hatte, wie es in Computerspielen üblich war. So warf er den nun wie eine Fackel lodernden Besen herum, ließ den Schnatzer frei, griff nach rechts und erwischte eine rauhe, stahlharte Oberfläche. Ohne zu Zögern schwang er sich hinüber und ließ den abbrennenden Besen davontrudeln. Er fand Halt auf dem schuppigen Rücken eines walisischen Grünlings, der den Anhalter offenbar nicht bemerkte und davonbrauste. Julius hielt sich fest so gut er konnte. Das konnte auch nur in einem Traum oder einer magischen Illusion klappen, dachte er. Da landete das geflügelte Ungetüm auch schon.
"Stimmt, du mußt noch viel essen, um spürbar zuzunehmen", lachte der Drache mit der vielfach verstärkten Stimme Vivianes. "Oder soll ich dich fressen und hoffen, daß du als eines meiner Kinder wieder ausschlüpfen kannst?"
"Das gilt nur für kanadische Knochenschädel!" Rief Julius nun nicht mehr so gestreßt. Entweder hatte er die Drachenprüfung jetzt bestanden oder würde gleich, weil er seinen kostbaren Becher weggeworfen hatte, unverrichteter Dinge bei Madame Maxime wieder auftauchen. "Du bist noch nicht durch, Julius", sagte das Viviane-Drachenweibchen, das nun neben einem Bach landete. Julius wartete, bis die feuerspeiende Riesenechse ihm befahl, abzusteigen und sich am Bachufer umzusehen. Als er sich von ihr hatte heruntergleiten lassen flog die schuppige Viviane-Verkörperung wieder auf und davon. Julius sah den Bach an und die Uferkiesel. Einer glitzerte merkwürdig silbern. Als er den näher betrachtete war es der verlorengegangene Becher. Er grinste. War dieser Behälter jetzt beim herunterfallen in diesen Bach geraten oder von Viviane extra hingezaubert worden? "Fülle ihn, so weit du brauchst", wisperte der Bach mit Vivianes Stimme. Julius wähnte sich neben Claire Dusoleil auf jener Blumenwiese, wo sie ihm die möglichen Nachfolgerinnen von sich vorgeführt und ihre in eine Regenwolke verwandelte Oma um Wasser gebeten hatte. Er griff nach dem Becher und füllte ihn mit dem lebendigen Wasser des Baches zu drei Fünfteln. Denn nur die brauchte er ja noch. Als er den Becher ansetzen wollte, sah er, das ein winziger Fisch darin schwamm. Er tastete nach ihm und holte ihn heraus. Vorsichtig ließ er ihn ins Wasser fallen, wo er jedoch zu einer Nixe wurde, die Vivianes Kopf und einen smaragdgrünen Fischschwanz besaß. "Das wäre noch was geworden, mich unbeachtet vertilgen, Julius. Aber jetzt kannst du deine Reise fortsetzen. Aber wirf nicht gleich alles weg, was du noch mal gebrauchen könntest!"
"Das wollte ich nicht. Aber ich mußte mit beiden Händen steuern. Außerdem wäre der dann eh leergelaufen", rechtfertigte sich Julius.
"Du brauchst mir nicht zu erklären, warum du was tust", erwiderte die Wasserfrau Viviane lächelnd. "Denn seitdem du dich meinem Erbe anvertraut hast kenne ich alle deine Gedanken und Absichten. Setze deinen Weg also fort!" Sie winkte Julius, hob zum Abschiedsgruß die smaragdgrüne Schwanzflosse und tauchte muntere Wellen schlagend unter. Offenbar war das kein Bach, sondern Fluß, so tief wie das dahineilende Gewässer sein mußte, dachte Julius, bevor er den nächsten Schluck aus dem Becher nahm, bis nur noch zwei Fünftel Wasser darin waren. Übergangslos fand er sich auf einer harten Holzbank wieder, die Beine zwischen Sitzfläche und einem niedrigen Pult eingezwengt. Das war eine altmodische Schulbank, wie er sie in einem freilichtmuseum mal bestaunt hatte. Um ihn herum saßen andere Jungen in groben, blaßblauen Umhängen mit spitzen Hüten auf den Köpfen. Etwa zehn Meter vor ihm stand ein erhöhtes Podest, auf dem ein grimmig dreinschauender Zauberer im purpurroten Umhang dastand und aus einem dicken Buch vortrug: "... kann dieser Zauber am besten bei Mittagssonne gewirkt werden, weil diese die Kraft des Feuers begünstigt und das Resultat optimal ausfällt. - Hey, junger Monsieur Eauvive, seid Ihr eingeschlafen oder langweilt Euch meine Darlegung?" Er sah Julius sehr tadelnd an. Da erkannte er den Lehrer als Donatus vom weißen Turm. In dieser Erscheinung wirkte er wie ein Bruder oder Vetter der gestrengen Professeur Tourrecandide.
"Nein, Magister Tourrecandide, ich habe nicht geschlafen", erwiderte Julius und verdrängte die Irritation, nicht mit seiner Stimme zu sprechen. "Ich überlegte nur, ob Sommermittagssonne das Ergebnis nicht absolut perfekt macht." Die anderen Jungen um ihn grinsten. Zu lachen wagte niemand. Donatus sah Julius an und grummelte:
"Nun, falls dem so ist, wiederholt bitte noch einmal meine Ausführungen und ergänzt sie um Eure Einschätzung." Boing! Genau das, was Julius mit seiner spontanen Ausrede abwehren wollte traf ihn doch. Was für einen Zauber hatte der Gründer des violetten Saales denn bloß gemeint, der bei Mittagssonne am besten klappen sollte. Er hatte von verschiedenen Zaubern gehört, gelesen oder sie ausprobiert, die bei Sonnenlicht besser klappten als bei Nacht. Er fragte: "Wortwörtlich, Magister Tourrecandide?
"Natürlich. Denn nur dann weiß ich ja, ob Ihr mir Eure ungeteilte Aufmerksamkeit gewidmet habt", schnarrte der Lehrer und blickte ziemlich ungehalten auf den Schüler. Julius fragte sich, wie lange Donatus vom weißen Turm, der sich Magister Tourrecandide nannte, unterrichtet hatte und welcher männliche Eauvive er gerade war. Denn einen neueren Sonnenzauber zu erwähnen war bestimmt verkehrt. Dann fiel ihm ein, welchen Zauber der gemeint haben mußte. "Also wortwörtlich kann ich das nicht, weil ich eben dabei überlegt habe. Aber ich kann Euch die Ausführungen des Frostwehrzaubers gut zusammenfassen", erwiderte Julius und sprach ungeachtet, daß der Lehrer ihn sehr zornig anstarrte weiter, wie der die Sonne nutzende Zauber zur Schaffung einer Antifrostzone um ein Haus oder einen Brunnen gewirkt wurde. Er mußte sich nur davor hüten, die im Buch von Dias und Meridies erwähnten Temperaturangaben zu erwähnen. Dann sagte er noch: "Ich dachte also, daß Frost nur im Winter auftritt und der natürliche Gegenspieler des Winters eben der Sommer ist."
"Das sind mal eben fünfzig Strafpunkte für respektloses Verhalten einem Lehrer gegenüber, unerlaubte Eigenmacht und Überheblichkeit, Monsieur Eauvive. Auch weil Eure Mutter meine Kollegin ist habt Ihr hier in meinem Unterricht nur zu denken und zu sagen, was ich vorgebe. Und von den Schülern, die in meinem Haus wohnen erwarte ich ungeteilten Respekt und Leistungsbereitschaft. Im Examen Finis Semestris dürft Ihr gerne Schlußfolgerungen und Gedanken über die Aufgaben darlegen. Aber hier tut Ihr nur, was ich sage, verstanden?" Julius nickte. So saß er eingezwengt in dieser altertümlichen Schulbank und verfolgte die weitere Vorlesung, die ohne Tafel abgehalten wurde. Am Ende gab Donatus den Jungen auf, sich bis zur nächsten Unterweisungsstunde alles über dauerhafte Zauber unter Einbeziehung der Sonne aufzuschreiben. "Keine überflüssigen Sätze und keine zu großen Buchstaben. Pergament ist teuer", schnarrte Donatus noch. "Ach ja, Monsieur Eauvive, Euch sehe ich dann heute Nachmittag in meiner Kammer, wo Ihr ohne Nutzung der Magie den Boden schrubben, alle Fenster putzen und alle Möbel polieren werdet. Ich lasse es nicht zu, daß ein Jüngling meint, mir Vorträge über verbesserte Zauber zu halten. Ihr seid hier um zu lernen und nicht um zu mutmaßen." Mit diesen Worten schickte er Julius, der immer noch nicht wußte, wen er im Moment darstellte hinaus.
"Das kann der alte Bücherwurm nicht ab, wenn ihm wer Vorschläge macht, der fünfzig Jahre jünger ist als er selbst", grinste ein hoch aufgeschossener Bursche neben Julius, der von Haar und Augenfarbe her eindeutig von Orion dem Wilden, der hier wohl Magister Lesauvage hieß, gezeugt worden war. "Aber 'ne interessante Idee ist das schon, Ascanius. hast du noch mehr Ideen, wenn wir bei meinem Vater gleich die Zaubertiere haben?" Julius überlegte, welcher Sohn von Orion dem Wilden mit Ascanius Eauvive in der Klasse gewesen war. Doch für die Antwort war das wohl nicht wichtig. Er sagte: "Kommt darauf an, ob der uns Drachen oder andere fiese Bestien zeigt. Bei Drachen ist der Flammengefrierzauber vielleicht praktisch."
"Der was?" Fragte der Sohn Orions. Julius stutzte. Dann stimmte es nicht, daß dieser so nützliche Zauber schon im neunten Jahrhundert ausprobiert wurde. So sagte er: "Da experimentieren Drachenforscher seit einiger Zeit mit. Meine Mutter hat mir das erzählt, als wir Sommerferien hatten."
"Du meinst die Vacationes Aestatis", korrigierte ihn Orions Sohn. "Der alte Tourrecandide legt doch Wert auf Latein, weil die meisten Zaubersprüche aus dieser abgelegten Sprache kommen." Julius nickte. Damit hatte er den kleinen Fehler wohl hoffentlich ausgebügelt, von einem Zauber zu reden, der bis jetzt nicht bekannt war. Er dachte daran, daß er den Becher mit dem Wasser beim Sprung in Ascanius' Körper nicht mitgenommen hatte. Diese Viviane Eauvive war wirklich fies, ihm zu sagen, nicht alles wegzuwerfen, was er brauchte. Irgendwoher mußte er dieses Gefäß jetzt kriegen. Er befürchtete nur, ein ganzes Schuljahr in diesem altertümlichen Beauxbatons absitzen zu müssen, wo es noch Prügelstrafen gab. Insofern war er froh, daß Donatus seinen Hausbewohnern mehr Arbeitsstrafen aufbrummte, während Orions Jungs ziemlich häufig den Rohrstock oder die Peitsche übergezogen bekamen. Da machte der sogar keine Ausnahme bei seinen drei Söhnen, die jetzt hier sein mochten, wußte Julius von Line, die ihm mal etwas von ihrem Urahnen aus fast grauer Vorzeit erzählt hatte. Anders als in seiner Zeit gab es hier zwei Pausenhöfe, weil die Jungen sehr streng von den Mädchen getrennt waren. Nur zwischendurch hörte Julius lautes Kichern von halbwüchsigen Mädchen und dachte, ob Lavinie Delourdes dort drüben war, von der er wußte, daß Ascanius sie später einmal heiraten und drei Kinder mit ihr haben würde. Interessant war es schon, zu erleben, wie sich Jungen und Mädchen damals kennengelernt haben mochten. Doch er war sich sicher, daß er dafür bestimmt nicht länger als nötig in dieser Rückschauillusion festhängen wollte. Konnte man bei Computerspielen nicht aus dem ungeliebten Level rausgehen, das Spiel einfach anhalten? Die Leute von der Enterprise-D konnten ein Holodeckprogramm einfach anhalten und die Situation abspeichern. Als er einige Schritte von den Jungen entfernt stand, die sich über die kommenden Stunden unterhielten sagte er scherzhaft: "Computer, Ausgang!" Verblüfft hörte er erst ein melodisches Piepsignal und dann Vivianes von allen Seiten klingende Antwort: "So kommst du hier nicht raus, Jungchen", sie klang irgendwie belustigt, nicht so kühl wie die Computerstimmen der Star-Trek-Serien. Das spornte ihn an, Ascanius' Schultag noch ein wenig mitzuerleben. Bei Orion dem Wilden, den er von seinen Reisen durch die Bilder noch gut in Erinnerung hatte, besprachen sie Hippogreife. Einmal scherzte der auf althergebrachte Mannestugenden und Lebenslust schwörende Zauberer, ob er mit seinen Gedanken bei Magistra Delourdes' Jüngster war oder sich doch ein rassigeres Mädchen ausgeguckt habe. Julius/Ascanius antwortete darauf nur, daß es den Schulregeln nach verboten sei, private Themen im Unterricht zu besprechen. Orion lachte schallend und hieb dem Schüler kräftig auf die Schulter. Der echte Ascanius wäre dabei bestimmt in die Knie gegangen. Aber Julius steckte den kräftigen Klaps locker weg. "Ich meinte nur, weil meine Kleine dich immer so schmachtend anglubscht."
"Wie erwähnt, ich darf nichts privates im Unterricht besprechen", sagte Julius darauf nur. Leophilos, Orions Sohn, grinste nur verhalten, wofür er von seinem Vater mal eben eine runtergehauen bekam. "Habe ich mit dir geredet, Leo? Brauchst nicht so zu grinsen", schnarrte der mindestens zwei Meter hohe Zauberer im Bärenfellumhang. "Und du Ascanius versuchst jetzt die Demoiselle Federwolke da von deinem Wohlwollen zu überzeugen. Wenn du sie reiten kannst ohne runterzufallen gibt's fünfzig Bonuspunkte. Wenn nicht, darf die Mutter deiner Süßen dich entweder neu zusammenkleben oder deine Eltern dir 'nen schicken grünen Sarg bestellen. Also los, zeig mal, warum euch nachgesagt wird, ihr könntet so gut mit Zaubertieren!" Julius ging zu der schönen, weißen Hippogreifstute hin, blieb im ausreichenden Abstand vor ihr stehen und verbeugte sich tief und anmutig, wobei er ohne zu blinzeln in die sonnengelben Raubvogelaugen blickte. Er fühlte schon, wie ihm der Rücken wehtat und seine Augen vom langen aufhalten zu jucken begannen. Doch er hielt aus und sah, wie die Hippogreifin erhaben ihren riesigen Adlerkopf senkte. Julius straffte sich und ging behutsam zu ihr hin, wobei er ruhig auf sie einsprach und sie höflich bat, ihn aufsitzen zu lassen. Sie ging ein wenig in die Knie und gewährte ihm den Aufstieg. Ohne die Federn oder Flügel zu berühren erklomm Julius das gewöhnungsbedürftige Reittier und hielt sich an den Halsfedern fest. "Dann bring mich bitte mal zum Ostpark!" Sagte Julius. Der Hippogreif hob ab und stieg mit ihm auf. Er hielt sich gerade und sah nicht nach unten. Als er die ruckeligen Bewegungen gut ausgleichen konnte, begann er zu lenken, vorsichtig aber richtungsangebend. Nachdem er über dem Ostpark herumgeflogen war kehrte er sicher zum Übungsplatz zurück und stieg ab. Das Mischwesen aus Adler und Pferd gab einen langezogenen, aber eher erfreut klingenden Schrei von sich und trabte mit den zwei ungleichen Beinpaaren davon.
"Ich glaube es", knurrte Orion, als die anderen Jungen dem Kameraden durch wildes Nicken Beifall zollten. "Die fünfzig Bonuspunkte kriegst du."
Die Stunde darauf hatten sie Kräuterkunde bei Viviane Eauvive persönlich. Dabei kam es fast zu einem tödlichen Unfall, weil einer der Mitschüler im großen Herbarium fast in ein Springschnapperfeld hineingeriet. Julius konnte es gerade so noch verhindern, daß der Mitschüler gefressen wurde, weil er sein metallenes Tintenfaß in das Springschnapperbeet hineinwarf, worauf die Pflanzen den Kameraden freiließen und sich blitzschnell unter die Erde zurückzogen.
"Hui, keine Sekunde länger, und Ihr wäret restlos verzehrt worden, Monsieur Dumas", sagte Viviane sehr ungehalten, bevor sie dem unachtsamen Schüler fünfzig Strafpunkte mit entsprechender Arbeit aufhalste, zu der noch ein hundertmaliges Aufschreiben des Satzes: "Springschnapper sind absoulut tödlich" gehörte. Julius erhielt zwanzig Bonuspunkte für sein schnelles und vollkommen wirksames Eingreifen, bevor die Lehrerin, die auch seine Mutter war, das Tintenfaß per Aufrufezauber zurückholte.
Beim Mittagessen saßen die Jungen am violetten, roten, Blauen und weißen Tisch. Ascanius war ja ein Violetter, weil der grüne und der gelbe Tisch reine Mädchentische waren und von den vier anderen Tischen durch ein halbhoch gespanntes Seil mit Glöckchen abgesperrt war. Am Nachmittag kam dann noch Verwandlung bei Magister Logophil vom hohen Tal. Ascanius war hier gerade in der Klasse, wo eingeschränkte Selbstverwandlungen anstanden. Viele der Mitschüler versuchten es mit einer Technik, die Julius nicht gelernt hatte und die etwas sperrig aussah. Er wendete die Unittamo-Techniken an und erreichte schneller das Ziel. Der Lehrer bewunderte es, tadelte aber auch die "höchst riskante Experimentiererei, auch wenn sie gut ausging" und gab ihm zehn Bonus- und zwanzig Strafpunkte.
"Reicht das jetzt?" Fragte Julius in die leere Luft hinein, als er nach einer Toilette für Jungen suchte, aber nicht wußte, wo sowas war. Wieso mußte er jetzt. Wollte dieses Wasser aus ihm raus, das er getrunken hatte? Das sollte doch eher ein Symbol sein, ein Zugangsschlüssel für die nächsthöhere Spielstufe. "Nur wenn du es schaffst, dich aus eigener Anstrengung hier herauszubringen", klang Vivianes Stimme um ihn herum. Das Drängen wurde immer schlimmer. Wenn er nicht bald den richtigen Raum fand würde er sich in die groben Unterkleider machen. Dann blieb ihm nur eine Möglichkeit. Er zauberte einen Wandschirm um sich herum, zeichnete einen Nachttopf in die Luft und sah verärgert, wie dieser beim heruntersinken abstürzte und zersprang. Irgendwie glaubte er, Vivianes amüsierte Stimme lachen zu hören. Dann überkam ihm ein abgedrehter gedanke. Er zeichnete jenen silbernen Becher in die Luft, der bisher sein Versetzungsartefakt war. Der Becher landete klimpernd auf dem Boden, blieb aber ganz. Der Prüfling verdrängte den Widerwillen bei der Sache, die ihm einfiel. "Aus eigener Kraft", bei Vivianes Illusionen steckte die Kraft im Wasser, im lebendigen Wasser, im Wasser des Lebendigen. "Das darf ich keinem erzählen, wenn das echt die Lösung ist", dachte Julius und füllte den Becher, der tatsächlich bis zum zweituntersten Markierungsstrich voll wurde. "Habe ich schon mal gemacht", dachte Julius an seine früheste Kindheit, wo er diese Art von Wasser als Dreijähriger runtergewürgt hatte, um Lester und Malcolm zu zeigen, was er abkonnte. Das hatte er seinen Eltern nie erzählt und würde es wohl auch nicht wem anderem Erzählen. Als er den Becher bis zum untersten Teilstrich leergetrunken hatte, fand er sich in einem blitzsauberen Raum mit zwanzig Betten wieder. Er? "Nicht schon wieder", dachte Julius, als er erkannte, daß er sich in eine Schulheilerin verwandelt hatte. "Denkst du, das Kunststück lasse ich dich noch mal machen", klang eine amüsierte Frauenstimme irgendwie von unten her. Da fühlte er eine Bewegung unter seinem Magen. Diese vermaledeite Gründungsmutter hatte ihn mit sich selbst schwanger werden lassen. Ein amüsiertes Kichern war die Antwort. Und der Silberbecher war schon wieder weg. Lamentieren brachte es nicht. Er mußte klären, wer er war, wo, wann, wie und warum. Wer er war stellte er schnell fest, als er den Krankenflügel verließ und das Büro betrat. "Megan Bakersfield", stand auf dem Türschild. Damit war klar, daß er gerade als schwangere Megan Bakersfield herumlief, die als Heilerin in Hogwarts gearbeitet hatte und mit der späteren Professor McGonagall verwandt war, weil sie noch einen Bruder hatte, der die McGonagall-Linie mit Hexen und Zauberern fortgesetzt hatte. Julius horchte in sich hinein, ob er fühlen konnte, ob er dieses Baby bald selbst würde kriegen müssen. Nachdem wie er Cytheras und Claudines Geburten miterlebt hatte legte er keinen Wert darauf, das am eigenen Leib nachzuerleben. "Liebst du mich nicht?" Fragte Vivianes gedämpfte Stimme von unten her. Julius stutzte. Dann dachte er konzentriert: "Ich bin nicht deine Mutter. Das ist nur ein Trick von dir."
"Erzähl doch sowas nicht, wo du mir gestern noch erzählt hast, daß du dich auf mich freust, deine erste Tochter", quängelte die Stimme Vivianes jetzt eher kleinkindhaft als von einer erwachsenen. Julius begriff, daß dieser prüfungsabschnitt wohl der heftigste war. Denn diese stark gedämpfte Stimme flennte nun hemmungslos. Da kam ein junger Mann mit schwarzem Haar um die Ecke, der irgendwie ein Sohn Minerva McGonagalls sein könnte. Doch die war noch lange nicht geplant, wußte Julius. Dann konnte es nur Ethan, Megan Bakersfields Bruder sein.
"Hi, Meg, macht das Kleine dir zu schaffen?" fragte der junge Zauberer, der einen smaragdgrünen Umhang trug.
"Ist nicht das erste Baby, Ethan", sagte Julius und dachte nicht groß drüber nach, daß er einmal mehr eine Frauenstimme besaß, eine noch dazu sehr schön sanft klingende.
"Der Muggel, der dir die beiden Jungs zugesteckt hat freut sich wohl, noch einen Knaben zu haben. Ob der diesmal zaubern können wird?"
"Haha, Ethan. Abgesehen davon, daß das hier ein Mädchen wird hoffe ich das immer wieder", knurrte Julius und streichelte sich über den schon merklich gerundeten Unterleib, worauf das leise Quängeln aufhörte.
"Oha, woher weißt du das denn schon wieder?"
"Moderne Heilermethoden, Ethan. Außerdem fühlt sich das anders an", erwiderte Julius. "Ich kann dich ja mal mit dem Introsenso mitkriegen lassen, wie das ist."
"Nein danke, die letzte Probe davon hat mir gereicht. Bin froh, daß ich bei den Babys nicht so viel selbst durchstehen muß.
"Deshalb sind wir Hexen auch die stärkeren", erwiderte Julius und fragte sich, was ihn da geritten hatte, das zu sagen. Ethan grummelte nur, daß er das nicht so ganz glaube. "Klar, und wenn die Bälger raus wollen schreit ihr den Putz von den Wänden runter. So stark seid ihr. Aber was soll's, wenn das Kleine da Magie im Blut hat ist es egal, ob's 'ne Hexe oder 'n Zauberer wird. Muß noch zu Direktorin Dervent, wegen Wully Dumbledore. Das ist ein Scherzbold sondergleichen. Der hat den blutigen Baron mit Sulaimans Lied in eine alte Weinflasche reingelockt und drin eingesperrt wie einen arabischen Dschinn. Jetzt flucht der rum, und Al Black will Wully dafür von der Schule werfen lassen. Weil der in meinem Haus wohnt soll ich was dazu sagen."
"Sulaimans Lied? Woher kennt dein Sorgenkind denn orientalische Bannzauber?"
"Seitdem er mit seinem Vater im Morgenland war und sich da für die orientalischen Zauber begeistert hat. Hast du gerade was zu tun, oder willst du mit zu Dilys?"
"Ich bin Froh, gerade ein paar Minuten zu haben. Ich möchte raus und frische Luft haben, damit die Kleine gesund weiterwächst", sagte Julius. Ethan grinste noch mal und ging dann weiter.
"Ist sehr lieb, daß du mich haben willst", hörte er Vivianes Stimme aus seinem Inneren. Er ignorierte es einfach, daß er einen ihm fremden Körper besaß und in einem ihm von Natur aus nicht möglichen Zustand war. Er spielte eine Rolle, eben wie auf einem Holodeck oder in einem Computerspiel. Und wenn er ehrlich war, hatte es ihn schon fasziniert, per Exosensohaube in die Empfindungen werdender Mütter einzutauchen. Das war also nichts neues oder so abstoßendes für ihn. Und da er seine Spielführerin quasi überall mit dabei hatte, genoß er dieses Erlebnis, auch wenn er zwischendurch großen Hunger bekam und wie selbstverständlich die merkwürdigsten Sachen durcheinander aß. Diesen Ausflug in Megans mögliches Leben verlief solange interessant, bis seine berufliche Kunst gefragt war. Dilys Dervent, die Schulleiterin mit den Ringellöckchen, rief mit magisch verstärkter Stimme nach Heilerin Bakersfield. Julius verdrängte das Gefühl, mit übervollem Bauch und schweren Beinen zu laufen. Auch wenn er nicht die umfassenden Kenntnisse einer Heilerin besaß mußte er die Rolle durchspielen. Anders kam er aus der Sache nicht raus und würde entweder die restliche Schwangerschaft und womöglich Geburt und Stillzeit überstehen oder gleich zu Madame maxime zurückgeschickt werden, ohne seine Mission erfolgreich durchgeführt zu haben. "Ey nicht so doll, mir wird übel", lamentierte Viviane. Doch Julius überhörte es, als er den Schulheilerinnenkörper endlich vor den Wasserspeier geschafft hatte, hinter dem der Aufgang zum Schulleiterbüro lag. Tja, wie lautete das gültige Passwort. "Zuckerzauberstab. Du hast gesagt, das ißt die Dervent so gerne", souflierte ihm Viviane. Das Passwort war tatsächlich gültig.
"Ah, Megan, da sind Sie ja. Oh, sind Sie in diesem Zustand gerannt?" Fragte die amtierende Schulleiterin, als Julius das runde Büro betrat, in dem außer den Gemälden älterer Schulleiter, von denen wohl noch welche fehlten, nichts an die Zeit von Albus Dumbledore erinnerte. Lange Vorhänge, ein achteckiger Tisch mit geblümter Decke, und mehrere Kerzenleuchter in Gestalt von Blumen und Schmetterlingen zierten das Büro. Er sah einen hageren Mann mit pechschwarzer Struwelmähne und finsterem Gesichtsausdruck, Megans Bruder Ethan und einen leblos daliegenden Jungen mit braunem Haar und stahlblauen Augen, die ihn sehr heftig an die von Albus Dumbledore und seiner Cousine Sophia Whitesand erinnerten. Auf dem Tisch stand eine große Weinflasche, in der Julius ein perlweißes, kaum durchsichtiges Wesen erkennen konnte, daß dem am Boden liegenden ähnelte. In einer Ecke schwebte der Geist des blutigen Barons und glotzte schadenfroh auf das Gefäß auf dem Tisch.
"Wer nicht hören will muß eben fühlen, Dilys", schnarrte der hagere Zauberer mit dem schwarzen Haar. "Ich habe ihm gesagt, er soll ihn freilassen. Jetzt hängt er selbst in dieser Flasche fest, und bleibt da auch. Ich lasse die Ehre meines Hauses nicht ruinieren, nur weil Sie mütterliche Gefühle für diesen Unruhestifter hegen, Dilys. Apropos, Megan, ich fürchte, daß ist kein Anblick für werdende Mütter."
"Sie haben einen Schüler zu einem Flaschengeist gemacht?" Fragte Julius mit nicht nur gespielter Erschütterung.
"Ja, und in einer Stunde ist sein Körper tot", knurrte Dilys Dervent. "Sie müssen ihn nach St Mungo schicken, bevor er stirbt."
"Die können dem auch nicht helfen", giggelte der schwarzhaarige Mann gehässig.
"Algol, ich denke nicht, daß dieser Streich das Leben eines Schülers kosten darf", erwiderte Schulleiterin Dervent und bot Julius/Megan einen bequemen Stuhl an. Die von ihrem Körper getrennte Seele des Jungen bat hohl klingend darum, wieder freigelassen zu werden. Dilys entkorkte die Flasche, nachdem sie den verächtlich grinsenden Zauberer mit der Struwelmähne mit einem schnellen Erstarrungszauber bewegungsunfähig gemacht hatte. Der eingesperrte Geist des Jungen versuchte, an den glatten Wänden hochzuklettern und seinen Kopf durch den Flaschenhals zu schieben, schaffte es aber nicht.
"Was hat Professor Black mit ihm angestellt, um diese Verkehrung hinzukriegen?" Fragte Julius neugierig.
"Mr. Black hat wohl einen Seelentauschfluch gesprochen. Dieser Fluch ist finsterste Magie und hier nicht erlaubt. Sie kann einem Geistwesen zu einem lebendigen Wirtskörper verhelfen. Allerdings hat Algol Black es so gedreht, daß die Flasche der Tauschkörper wurde und der Baron freikam. Ich konnte nicht schnell genug reagieren, wie er den jungen Master Dumbledore damit verhext hat."
"Ein Fluch? Ist der wie Decorporis?" Fragte Julius. Wieder einmal hatte er was erwähnt, daß in dieser Zeit wohl noch keiner kannte. Denn Dilys sah ihn mit großen Augen an und Megans Bruder blickte nur erstaunt auf die Person, die er für seine schwangere Schwester halten mußte. Weil Dilys eine ausgebildete Heilerin war konnte Julius sich nicht auf Heilzunftinterne Zauber berufen. So sagte er nur, daß er mal davon gelesen habe, daß es einen Fluch geben solle, der Körper und Geist eines Menschen voneinander trennen könne. Davon hatten die anderen nichts gehört. Dilys grummelte nur, daß Algol Black das vielleicht versucht hatte. Sie fesselte ihn an den Stuhl und nahm den Erstarrungszauber von ihm, um ihm ohne Ansage den Imperius überzubraten. Ethan McGonagall starrte seine Chefin entgeistert an, während Algol Black die Augen verdrehte und versuchte, dem nur ihm vermittelten Befehl zu widerstehen und dann sagte: "Ich habe die Flasche mit dem Animierzauber belegt und sie als Auffanggefäß für die Seele dieses Bastards präpariert. Da kommt der jetzt nicht mehr raus. Die Flasche ist sein Körper."
Julius überlegte schon, wie man den Prozeß umdrehen konnte. Umdrehen, einen Fluch umdrehen! Das konnte er doch machen. Die Frage war nur, ob das in dieser Szenerie die gewünschte Lösung war. Dann fiel ihm ein, daß er ja nur in einer Illusion war, in einem von außen erzeugten Traum. Denn sonst konnte eine Mutter wohl kaum von ihrem Ungeborenen angesprochen werden. Also sagte er, daß er während der Ausbildung auch ein Buch über sehr alte Heilzauber gelesen habe, die angeblich aus Atlantis stammten, vielleicht aber auch nur eine Geheimsprache einer vergessenen Zaubererzunft war. Dann richtete er Megans schlanken Zauberstab mit Phoenixfederkern auf die Flasche und rief: "Angarte Kasanballan Iandasu Janasar!" Aus dem Zauberstab schoß ein silberner Lichtstrahl hervor, der die Flasche einhüllte und diese strahlendweiß aufleuchten ließ. Mit einem kurzen Aufschrei wurde die darin gefangene Seele zu einem Dampfstrahl zusammengequetscht, der aus der Öffnung herausfuhr, um im nächsten Moment als kaum sichtbarer Hauch über Wulfric Dumbledores Körper herabzustoßen. Der Körper des Jungen zuckte unter einem heftigen Schock wie von einer Starkstromentladung und schrie auf. Er ruderte mit den Armen und Beinen, erkannte wohl, daß er wieder Fleisch und Blut besaß und sprang hoch. Er freute sich über die wiedergewonnene Stofflichkeit. Die Flasche indes trübte sich ein und zerfloß langsam wie in der Pfanne zerlaufende Butter. Der blutige Baron starrte auf die Heilerin, als habe er gerade ein Gespenst gesehen. Ohne ein einziges Wort wich er rückwärts zurück und verschwand durch die Wand.
"Dann werde ich den Geistersperrzauber wieder errichten", sagte Dilys Dervent und strahlte Julius an, der sich sichtlich freute, den richtigen Zauber angewendet zu haben. Algol Black starrte ihn total verdattert an. Offenbar fragte der sich gerade, was diese Blutsverräterin, die Hexe, die einen Muggel geheiratet hatte, für Zauber konnte, die er, einer aus der Familie der Blacks, nie im Leben gelernt hatte. Julius sagte nur: "Stimt also doch, daß dieser Zauber nur bei Leuten geht, die das Leben achten oder gerade selber welches hervorbringen." Algol Black erbleichte. Dilys Dervent lächelte überlegen. Dann sagte sie:
"In Ordnung, Ethan. bringen Sie Ihren experimentierfreudigen Schüler in den Krankenflügel, damit Megan ihn untersuchen kann. Eine Körper-Geist-Trennung kann schlummernde Folgeschäden bewirken."
"Mir geht's absolut gut", sagte der Junge, der wohl gerade sechzehn Jahre alt sein mochte. Doch die Schulleiterin schüttelte den Kopf.
"Junger Mann, das zu beurteilen überlasse ich besser meiner Kollegin. Ich könnte Sie zwar selber examinieren. Aber ich habe hier noch etwas anderes zu tun, als ungestüme Geisterbeschwörer zu kurieren. Also bitte."
"Was passiert mit Professor Black?" Fragte Ethan McGonagall.
"Mr. Black wird sich morgen vor dem Zauberergamot verantworten, wegen unzulässiger und lebensbedrohlicher Bezauberung an einem Schüler. Ich glaube nicht, daß seine hochwohlgeborene Familie das gutheißen wird."
"Dafür werden Sie den Zorn der Blacks auf sich lasten fühlen, bis er Sie erdrückt, Dilys", schnarrte Algol Black. Dann sah er Julius/Megan an. "Und Sie verdammte Blutsverräterin werden keine magisch begabten Nachkommen haben, solange alle Söhne und Töchter der Familie Black das erhabene Haus Slytherin beehren. Mögen Sie an diesen Muggelbälgern zu Grunde gehen!"
"Soll das ein Fluch sein?" Fragte Dilys Dervent. Algol Black grinste.
"Sehen Sie einen Zauberstab in meiner Hand, Professor Dervent? Aber danke für die Anregung."
"Ich fürchte, Sie werden keinen mehr verfluchen können", sagte die Schulleiterin und schickte das Portrait eines seligen Kollegen aus, der Kommission für magische Gesetzesüberwachung bescheid zu geben. Da schluckte Algol Black irgendwas in seinem Mund hinunter, verkrampfte sich und löste sich in einen schwarzen Dunst auf, der alles und jeden ergriff. Julius röchelte, als er die Dunstwolke einatmete und hörte: "Verba ultima viam formant" Da verstand er, daß Black eine mit dem Fluch der letzten Worte bezauberten Gegenstand verschluckt hatte. Er hatte einmal davon gehört, daß es diesen Fluch gab, der einem Magier ohne Zauberstab gestattet, die letzten von ihm geäußerten Worte zur Wirklichkeit werden zu lassen. Dafür mußten jedoch mehrere Leben geopfert werden, am Ende auch das eigene. War das die Erklärung dafür, warum bis zu ihm keiner seiner Vorfahren bis zu Megan Bakersfield Magie entfalten konnte? Nein, jetzt ließ er sich schon wieder auf Vivianes Spiel ein, daß das alles echt geschehene Ereignisse waren. Und weil das nicht echt war, konnte er das jetzt einfach umdrehen. Als die Dunstwolke sich verzogen hatte hob er Megans Zauberstab und deutete auf sich, wobei er die Fluchumkehrformel von eben wiederholte. Ein silberner Lichtstrahl zuckte auf ihn zu, traf ihn und ließ ihn schmerzvoll aufschreien. Gleichzeitig hörte er einen entsetzten Aufschrei aus allen Richtungen, und fühlte, wie etwas in seinem Leib aufgewühlt wurde. Dann explodierte ein blauer Gluthauch aus ihm heraus und flog als selbst leuchtende Wolke durch den raum und berührte Ethan, der erstarrte, ebenso wie Wulfric Dumbledore, der ebenso erstarrte und schließlich Dilys Dervent, die jedoch nicht erstarrte. Ihre Ringellöckchen strafften sich, wurden zu dunkelbraunem Haar. Ihre Augen wurden wasserblau, und das Gesicht nahm Vivianes Züge an. Sie lächelte amüsiert und deutete auf Julius gerundeten Unterleib. "Möchtest du diesen Rüpel als deine Tochter zur Weltbringen?" Fragte sie, nachdem sie erst einmal gelacht hatte. Julius fühlte, wie in seinem Körper etwas zu toben begann. "Verdammt, wo bin ich? Ich will raus hier!" Klang nun Blacks wimmernde Stimme, und Viviane grinste.
"Er wollte doch haben, daß ich nur Muggel ausbrüte. Dann soll sie das so erleben."
"Du bist wahrlich von meinem Blut", grinste Viviane. Da verspürte Julius einen äußerst schmerzhaften Krampf. Offenbar hatte Black, der sich anstatt Viviane in Megans Bauch befand zu frühe Wehen ausgelöst. Julius versuchte, den Schmerzensschrei zu unterdrücken, während Blacks gehässiges Lachen aus ihm herausdrang. Wie konnte man im Traum so heftige Schmerzen fühlen? "Niemals werde ich deine von einem Muggel gemachte Tochter sein. Eher bringe ich uns beide um!" Schnarrte Blacks Stimme. Sie klang jetzt nicht mehr gedämpft, sondern wie durch ein dünnes Rohr gerufen. Julius sah rote Ringe vor seinen Augen Tanzen, als die nächste Kontraktion ihn überkam.
"Du willst nicht als Megans Tochter geboren werden?" Fragte Viviane, die an Stelle der Schulleiterin da saß.
"Eher will ich verrecken, als durch diese dreckige ..." "So sei es!" Rief Viviane entschlossen über Blacks letztes, wohl äußerst rüdes Wort hinweg. Sie richtete den Zauberstab auf Julius Körper, übergangslos verschwand die Heilerinnentracht. Julius sah nun den nackten Leib seiner Urahnin, der sich bereits zu öffnen begann. Dann schlug ein violetter Lichtblitz genau dort ein, wo das Ungeborene nun sehr wütend strampelte und darauf hoffte, ohne Umweg über das Leben gleich zu sterben. Da hörte das strampeln auf. Doch eine weitere heftige Kontraktion ließ Julius zusammenfahren. Er sang laut "Es gibt nur einen Meister! Chelsea London heißt er!" Damit überspielte er tatsächlich den Schmerz. Dann ruckte es, und ein silberner Becher klirrte zwischen seinen Beinen zu boden. Das Gefäß war mit dem Boden zuerst aufgetippt und hatte einen Schwall Wasser verspritzt.
"Das kann doch wohl nicht wahr sein", stöhnte Julius.
"Deine Waghalsigkeit und Frechheiten hast du über sie, die du gerade bist und Ascanius von mir empfangen. An deiner Stelle würde ich das Wasser trinken, bevor du verblutest", sagte Viviane und gab Julius den Becher, in dem gerade noch ein Fünftel Wasser enthalten war. Mit dem Gedanken "Endstufe, was kann jetzt noch kommen", trank er das klare Wasser aus dem Silberbecher, bis zum letzten Tropfen. Da löste sich der Becher auf. Der Schmerz verschwand, sowie das runde Schulleiterzimmer, Viviane und die erstarrten Zauberer. Statt dessen saß Julius neben einer großen, fülligen Frau mit rotblonden Haaren, die mindestens sechzig oder siebzig Jahre alt war. Er dachte, das sei seine Schwiegeroma Line. Er sah sie an und sagte:
"Hallo, Line, weißt du, wo Viviane ist?"
"Ist ja wirklich nett, Monju, daß du mich jetzt mit dem Kurznamen von Oma Line anredest", knurrte die Frau verbittert. "Hast dich wohl lange nicht mehr im Spiegel angesehen, wie?" Julius erschauderte, schaltete dann aber schnell. Das war nicht Line, sondern Millie, seine Frau, offenbar um Jahrzehnte gealtert und nun genauso rund wie ihre Oma. Dann mußte er wohl auch. Er hob den Linken Arm, an dem eine goldene Uhr mit einem spiralförmigen Feld lag. In dem Feld leuchteten acht winzige Punkte um einen hellen, gelben Mittelpunkt. Ein tragbares Sonnensystem als Uhr? Aber nur acht Planeten. Pluto war wohl zu winzig, um in dem Maßstab angezeigt zu werden. Eigentlich wollte er sein Spiegelbild sehen. Doch das sonnengelbe Licht im Zifferblattmittelpunkt vereitelte das. So sagte er und staunte, was für eine klare Stimme er noch hatte: "Wieso, du heißt doch auch Ursuline, Mamille. Wollte nur mal hören, wie das klingt."
"Wenn ich nicht wollte, daß du auch mitkriegst, wie unser neuntes Kind mit Beaux fertig wird würde ich dich jetzt mit bloßen Händen erwürgen", schnarrte Millie. Dann strich sie Julius über den Kopf. Er fühlte ihre Hand auf der Kopfhaut, ohne ein Haar dazwischen. War er doch zu einem kahlköpfigen Ebenbild seines Vaters geworden? Dann tätschelte sie ihren gerundeten Unterbauch, worauf etwas von innen dagegenstieß. Sie wurde tatsächlich Mutter, in diesem, gesegneten Alter, dachte Julius. Und es war sein Kind, daß da kommen sollte. Das neunte? Das konnte doch nicht Vivianes Ernst sein.
"Ich wollte dich nicht verletzen, Mamille", sagte er rasch. "Ich finde es doch schön, daß wir beide es so lange miteinander ausgehalten haben und da jetzt noch wer neues ankommt."
"Das weiß ich doch, sonst hätten wir beide nicht so viel Spaß, obwohl Babette meint, wo sie Oma ist wäre das Thema für sie erledigt. Hat halt Königin Blanches Blut in den Adern."
"Hast du ihr das gesagt?" Fragte Julius. "Denkst du, ich will mich mit Babette anlegen, wo deren Sohn unsere Melisende geheiratet hat. Hat der seligen Königin Blanche nicht sonderlich gefallen, und jetzt, wo die ein rortrait bei den Schulleitern hat sucht sie Jacques Hugo und Mel ja noch häufiger heim. Oma Teti meinte heute noch zu mir, mit dem neunten sollte Schluß sein, weil ich nicht mit reiner Latierre-Kuhmilch großgezogen worden sei. Aber wer mir mit dreißig noch einen Onkel zum wickeln hingelegt hat sollte da ruhig sein."
"Julius, Mildrid, Ihr dürftt jetzt reingehen", klang Vivianes Stimme aus dem Gemälde, daß Julius damals von den Eauvives erhalten hatte. Wie lange mochte das jetzt her sein? Millie erhob sich und hakte sich bei Julius unter.
"Ist 'ne tolle Idee, am sechzigsten Hochzeitstag mit einem Baby im Bauch noch mal die Ehe zu bekräftigen", sagte sie. "Da hatten die Muggel echt mal was lustiges erfunden." So führte Julius seine Frau, mit der er offenbar lange und glücklich älter geworden war, durch die Tür in einen erhaben ausgeleuchteten Festsaal, wo schon alle Gäste saßen, alle acht Kinder, von denen fünf eigene Kinder hatten, von denen sieben bereits kleine, plärrende Bündel Menschenleben mitgebracht hatten. Julius fragte sich, ob Viviane ihm da seine wirklich vorherbestimmte Zukunft zeigte. Aber irgendwie fühlte er sich erhaben, so viel von sich in diese Welt gebracht zu haben. Er sah einen seiner vier Söhne an, der ihm so sehr ähnelte, die blauen Augen und das noch volle, hellblonde Haar. Er sah seine Schwiegertante Béatrice mit zwei jungen Frauen, die ihr ähnlich sahen und eindeutig Zwillinge waren. Dann erkannte er Catherine Brickston. Nein, das war Babette. Er erkannte sie, weil sie im Gesicht eher ihrem Vater Joe glich und gar nichts mehr von einem kleinen Mädchen an sich hatte. Sie hatte wohl drei Kinder zur Welt gebracht, von denen ein junger Mann, der silberblondes Haar und stahlblaue Augen besaß wie die Delacours, neben einer hochgewachsenen Frau mit hellem, leicht rötlichem Blondschopf saß, die ein kleines Mädchen auf dem Schoß hatte, das die saphirblauen Augen Babettes und die rotblonden Haare der Latierres besaß. Dann ertönte Musik. Alle standen auf und sangen, auch Millie und Julius. Da zuckte diese von einem Schmerz getroffen zusammen und rang nach Luft. Julius stemmte sich mit aller Kraft gegen ihren Sturz und hielt sie fest. "Verdammt, Monju, das Baby", keuchte Millie und sah nun nicht mehr glücklich, sondern sehr angstvoll aus. Sofort stürmten die Zwergin Lutetia, die nicht wie alle anderen hier gealtert zu sein schien zusammen mit Béatrice herbei und halfen Millie zurück in den Warteraum. Julius erkannte mit Entsetzen das Blut, daß aus Millies Unterleib strömte. Offenbar hatte sie sich doch zu viel zugemutet. Béatrice zückte den Zauberstab und ließ ihn schnell über den vorgetriebenen Bauch streichen. "Oh, Plazentariß. Sie verblutet, wenn wir das nicht sofort behandeln", sagte sie.
"Sie ist erst im sechsten Monat. Du kannst das Kind nicht rausholen", sagte Lutetia.
"Wenn ich es nicht hole, fällt es gleich mit dem Mutterkuchen zusammen raus, Lutetia. Vielleicht kann ich das Baby noch umbetten."
"Ich nehm's zu mir", sagte Lutetia. Doch Béatrice schüttelte den Kopf. "Wir müssen eine von Millies Töchtern fragen", knurrte Béatrice. "Das ist ein Notfall."
Julius hastete zur Tür. Doch diese war wie zugeschweißt. Er zückte seinen schon leicht ramponiert aussehenden zauberstab und rief: "Alohomora!" Doch die Tür blieb zu. Da tönte Vivianes Stimme aus dem Bild: "Würdest du dein Leben hergeben um das Kind zu retten?"
"Ja, würde ich!" Rief Julius ohne zu zögern. "Ich würde mein Leben für Millie und das Kind hergeben." Béatrice sah ihn erstaunt an, Millie schüttelte den Kopf. Doch eine neue Schmerzwelle ließ sie aufschreien. "So erhalte deinem Kind das Leben, bis es sicher geboren wird", sagte Viviane. Ein Blitz aus blauem Licht schlug aus Vivianes Augen und erfaßte ihn. Für einen Moment meinte er, über seinem leblosen Körper zu schweben, zu sehen, wie Millie sich entspannte, aber dabei weinte, während ihr Körper sich wohl beruhigte. Dann raste die Zeit in bunten Farben dahin, bis Julius sah, wie Kind Nummer neun wohlbehalten den Schoß seiner Mutter verließ. Danach wurde es dunkel um ihn. Eine Ewigkeit schien zu vergehen, bis er sich keuchend und in Schweiß gebadet aufrecht stehend wiederfand. Er stand in einem hohen, runden Raum, und fühlte seine Arme schmerzen. Dann hörte er Vivianes Stimme in seinem Kopf: "Du bist es würdig, mein Fleisch und Blut zu sein und es mit einer Frau zu teilen, die deine Kinder haben möchte. Du hast die Prüfungen in Neugier, Kenntnis, spontaner Ideen und Befähigung, dich auf neue Situationen einstellen zu können gemeistert. Auch Argon, der mit dir diesen Weg beschritten hat, erfüllte meine Erwartungen. So lege deinen Zauberstab an die Wand und bekenne dich zu mir, deiner Urmutter!"
"Viviane Eauvive, ich erkenne dich als meine Urmutter an!" Rief Julius, als er mit dem Zauberstab und der freien Hand an der Wand dastand. Da zerfloß die vor ihm gewölbte Wand, und er fiel heraus und fast auf einen Hauselfen.
"Oh, nicht auf Corie fallen, bitte", piepste das dienstbare Zauberwesen. Julius ließ sich nach hinten überfallen, um nicht auf der Hauselfe zu landen. Diese wendete die elfen eigenen Bewegungszauber an und stellte Julius wieder auf die Füße. "Meisterin Olympe Maxime hat Corie hier hergeschickt, um zu warten, ob hier ein Tor aufgeht", sagte die Elfe und deutete hinter Julius. Er drehte sich um und sah ins innere der Säule, wo Viviane Eauvives Erscheinung über einer goldenen Plattform schwebte, auf der soeben ganze Schweinehälften materialisierten. "Die alte Brücke zu den meiner Familie treuen Höfen steht wieder. Von nun an werdet ihr von meiner Seite Speis und Trank erhalten, bis Beauxbatons vor Feindesmacht sicher ist oder ihr fliehen müßt. Denn wahrlich, wenn die alten Schutzzauber brechen und Feinde euch erstürmen wollen, vermögt ihr hier und im obersten Geschoß, in diese Säulen einzutreten und dem Feind zu entrinnen. Künde das der Schulleiterin, wenn du wieder zu ihr hinfindest!"
"Wo kommt das da her?" Fragte Julius, als Vivianes Erscheinung flackerte. Noch einmal sprach die Gründungsmutter:
"es kommt von redlichen Landwirten, die ihr Leben lang für meine Familie arbeiten und immer etwas von dem zurücklegen, was sie erzeugen. Es gelangt nun durch einen vereinigten Versetzungszauber, der so fein gebündelt ist, daß keine Macht ihn aufspüren oder durchtrennen kann zu euch, wenn die Bauersleute den Raum der Bereitstellung verlassen und verschlossen haben. mehr mußt du nicht wissen. Lebe dein Leben weiter und genieße die Früchte der Saat, die wir, die Gründer von Beauxbatons, für euch gelegt haben!" Mit diesen Worten verschwand Vivianes Projektion. Die Hauselfe hatte inzwischen einen Karren mit Metallwanne zu sich gewunken und lud die erschienenen Schweinehälften auf. Julius erkannte die Elfe nun wieder. Er grinste verlegen und sagte:
"Irgendwie begegnen wir uns offenbar häufig."
"Corie ist eine sehr fleißige und treue Elfe, Meister Julius, Nachfahre der großen Viviane Eauvive. Corie hilft und arbeitet sehr gerne für ihn und die anderen jungen Meisterinnen und Meister." Julius bedankte sich, auch wenn er eine Hauselfe schon ein paar mal damit in Verlegenheit gebracht hatte. Corie nickte ihm anerkennend zu und ließ weitere große Fleischstücke auf dem Karren landen. Dann tauchten mehrere Kohlköpfe auf. Jetzt fühlte er auch wieder den Herzanhänger pulsieren. Millie lebte also noch. Einen Moment lang sah er sie als ältere Hexe mit fülligem Körper vor sich, dachte daran, daß er Zeuge geworden war, wie sie fast das neunte gemeinsame Kind beinahe verloren hatte. Solte er Millie erzählen, daß sie mal wie ihre Oma Line aussehen würde? Wollte er ihr sagen, daß er mal keine Haare mehr auf dem Kopf haben würde. Doch die Illusion war keine wirkliche Zukunft, genausowenig wie seine Ausflüge in die Leben von Ascanius Eauvive und Megan Bakersfield. Denn das Sandra Bakersfield, seine Urahnin, gesund geboren worden war, war ja eindeutig, weil es ihn wohl nicht gegeben hätte. Also hatte er die Zeit nicht bewußt verändert. Alles war nur eine künstliche Aneinanderreihung von Träumen gewesen, aus denen er sich irgendwie herauswinden mußte. Das er jetzt vor einem weit geöffneten Raum mit einer goldenen Plattform stand, auf der immer noch Lebensmittel auftauchten, bewies, daß es ihm gelungen war, die Prüfung der Säulen der Gründer zu bestehen.
"Monju, bist du auch aus so'ner komischen Kammer freigekommen, wo jetzt 'ne goldene Plattform drinsteht?" Hörte er Millies Gedankenstimme. Er dachte schon, daß es nicht so günstig sei, wenn die Hauselfe, die die ständig herbeigebeamten Lebensmittel auflud, ihn nicht mit dem Herzanhänger an der Stirn sehen mußte und fragte, ob er zu Fuß in den allgemeinen Bereich zurückkehren konnte. Corie zeigte ihm eine Tür ohne Klinke und ließ diese mit einem Fingerschnippen aufspringen. Julius betrat ein dunkles Treppenhaus. Er entzündete sein Zauberstablicht und stieg die Wendeltreppe hinauf bis zu einer schweren Steinluke. Hier verharrte er und mentiloquierte mit Millie, daß er auch aus so einer Kammer freigekommen sei, wohl auch Argon, weil sie sonst beide bei Madame Maxime gelandet wären.
"Tante Pattie ist wohl auch durch. Wenn die ähnliches Zeug erlebt hat wie ich. Stell dir vor, ich war mein eigener Vater und mußte die Konkurrenten vertreiben, die um Ma rumgelaufen sind. Hast du was ähnliches erlebt?"
"Viviane hat mich durch merkwürdige Traumszenen geschickt, wo ich ein paar von meinen Vorfahren spielen und über einem Lavasee Quidditch spielen mußte und habe ganz zum Schluß gesehen, daß ich mit dir eine große Familie haben werde. Aber das war wohl nur um zu sehen, ob ich es wert bin, hier weiter gefüttert zu werden."
"Ich habe auch unsere Zukunft gesehen, Julius. hast dich gut gehalten. Aber ich wurde so rund wie Oma Line. Habe wohl da schon einige Babys ausgebrütet. Da mußte ich dich davon abhalten, mit Cythera anzubandeln. Das muß man sich mal vorstellen, mit der Kleinen!"
"In meiner Vision hatte Babette einen Sohn, der eine von unseren Töchtern geheiratet hat", rückte Julius doch mit einem Teil der Erlebnisse heraus. "Aber das heißt nicht, daß das so eintritt. Kann ja auch sein, daß Babette einen von unseren Söhnen heiratet oder wir nur einen Sohn oder eine Tochter haben werden."
"Oder daß du Esperance zur Mutter machst. War schon fies, daß Orion mir vorgegaukelt hat, dich mit meiner jüngsten Tante im Bett zu erwischen."
"Oh, und du warst nicht sauer auf mich?" Fragte Julius.
"Mir war auch klar, daß das nur Traumzauberei war, Monju. Aber daß du Esperance mir vorziehst hat mich schon stutzig gemacht. Der wollte wohl wissen, ob ich dich echt liebe oder nicht wie ein bunter Schmetterling von Blüte zu Blüte fliegen will wie er."
"Ich gehe jetzt in den allgemeinen Bereich des Palastes zurück. Wir treffen uns dann bei Madame Maxime!"
"Bis dann", schickte Millie zurück.
Die Luke ließ sich wie ein Blatt Papier wegstoßen, als Julius mit der freien Hand daran rührte. Doch als er oben war und die Luke zuklappte, konnte er sie nicht anheben. Madame Rossignol meldete sich bei ihm. "Gratuliere, Julius, daß du da wieder rausgefunden hast. Madame Maxime hat mir empfohlen, mir keine Sorgen zu machen. Millie ist auch schon unterwegs zum Schulleitertrakt. Begib dich also direkt dort hin!"
"Haben Sie irgendwelche Lebenszeichen von mir auffangen können?" Fragte Julius.
"Kein einziges. Es war wie bei deinem Ausflug in die Mondburg." Julius nickte und orientierte sich. Tatsächlich war er im östlichen Teil des Palastes herausgekommen. Von hier aus fand er rasch ein Stück des Wandschlüpfsystems und wechselte auf die Etage in die Nähe des Königspaarbildes. Millie kam auch gerade an. Er sah sich um, ob noch jemand da war und riskierte eine kurze Umarmung und einen Kuß. Millie schmiegte sich an ihn und säuselte:
"Schön, daß wir zwei miteinander alt werden können, Monju. Wie viele Kinder kriegen wir denn?"
"Genug", erwiderte Julius darauf nur. Er wußte ja, daß Millie wußte, daß dieser Ausblick in die Zukunft eben nur ein vorgespieltes Erlebnis war. Er erwähnte noch, daß er die letzte magisch begabte Vorfahrin vor ihm selbst gewesen war. Millie grinste.
""Wußte gar nicht, daß eine meiner Vorfahren eine Riesin war. Zumindest war ich mal ein Mädel wie Madame Maxime, allerdings mit roten Haaren und grünen Augen, so wie Bine und San, aber doppelt so groß wie die anderen. Ich habe mich mit bösen Jungs gekloppt und einen von den Gelben angeschmachtet. Orion meinte, nur wenn ich den schüchternen Bengel rumkriegte könnte es mich überhaupt geben."
"Entweder war das ein Gag von eurem Urvater, oder das wäre die Erklärung, warum Tine und du die Körpergröße von Oma Line und nicht von Oma Teti geerbt habt."
"Oha, da würden aber in mir Erbanteile von einer Zwergin und einer Riesin schlummern. Bist du vielleicht mit einer Veela verwandt, so über vier oder fünf Generationen?"
"Nicht daß ich wüßte. Und ich habe den Eauvive-Stammbaum gesehen."
"Ähm, wir sollten das besser anderswo bereden, wo keiner mithören kann", wisperte Millie. Julius nickte. So kehrten sie zum Bild des streitlustigen Königspaares zurück. Julius fragte, ob schon andere durchgekommen seien.
"Wie seid ihr denn wieder hierher gelangt, ohne uns zu passieren?" Staunte der König. Seine Gemahlin lächelte nur wissend.
"Beauxbatons-Geheimnis", sagte Julius. "Dann müssen wir wohl warten, wo die anderen bleiben, falls die nicht bei Madame Maxime direkt ankommen. Aber dann haben sie ihre Aufgaben versemmelt."
"Glaubst du, die Gründer lassen einen bei dem Zeug durchrasseln?" Fragte Millie.
"Wolltest du's darauf ankommen lassen?" Fragte Julius. Seine Frau schüttelte den Kopf. "Ich auch nicht."
"Häh, nur eine Stunde waren wir weg", stellte Julius nach einem Blick auf seine Uhr fest, die immer noch silbern war und Zeiger statt einer Sonnensystemanzeige besaß. Da wetzte Patricia Latierre um die Ecke und winkte den beiden.
"Euer Wandschlüpfsystem ist schon fies schnell. Habt ihr auch so komisches Zeug erlebt? Einmal war ich ein Mann und wurde von 'ner Riesin vernascht, abgedreht."
"Hmm, abgesehen von der Wortwahl sollten wir das besser in einem Raum bequatschen, der abhörsicher ist", wisperte Julius. Millie stimmte ihm durch Nicken zu. Patricia sah sie beide an und nickte. Julius sagte nur: "Sonst müßte ich dir nämlich als stellvertretender Saalsprecher Strafpunkte geben. Und dazu habe ich echt keine Lust."
"Danke, mit der Streberin Bernie bin ich gut genug bedient", knurrte Patricia und zwinkerte Millie verschwörerisch zu. Diese nickte.
"Hi, Mädels, ähm, und Julius! Viviane hat mich abgedrehte Sachen erleben lassen. Dich auch, Julius?"
"Ja, mich auch", bestätigte Julius. "Können wir mal klären, wenn wir einen Raum haben, wo keiner mithören kann."
Germaine Fontchamp kam als nächste an und sah die Latierres an. "Wußte nicht, daß ich mit euren Leuten verwandt bin", sagte sie. "Aber Magister Logophil meinte, daß das eben auch gut sei, daß auch Latierre-Eigenschaften in mir wären. Meine Schwester kommt wohl auch noch, weil ich sonst wohl gleich wieder im Sechseckraum gelandet wäre." Julius und die anderen nickten. Es dauerte jedoch eine Zeit, bis Fabienne auftauchte. Bis dahin waren die Picards im Abstand mehrerer Minuten aufgetaucht und auch Arnica und Maribelle hatten sich hier eingefunden. Fehlten also nur noch die beiden Vettern Jean und Cano. Als sie genug vom warten hatten, wechselten sie in den Empfangsraum hinüber, wo Madame Maxime auf einem hohen Stuhl saß. ""Sie hätten ruhig schon früher zu mir kommen dürfen", grummelte die Schulleiterin. Sie deutete auf die Standbilder. Die von Viviane, Serena, Orion, Donatus und Logophil standen wieder so wie sonst auch. Nur Petronellus' Standbild wirkte wie aus mit Rauch gefülltem Glas. Es tapste hin und her und murmelte: "Wieso können die das nicht. Dann sollen die aufhören."
"Soll uns das wundern, daß die Blauen es nicht hinkriegen?" Fragte Tiberius Picard. Argon grinste auch. "Schweigt still, übereifrige, lernzwanggeschädigte Brut Donatus'!" Schnarrte Petronellus. Donatus reagierte nicht darauf. Der Zauber, der ihm für kurze Zeit Leben eingehaucht hatte, war erloschen, als seine Nachfahren den magischen Illusionsparcours gemeistert hatten. Denn soviel verrieten sie nur, daß sie alle in künstlichen Wirklichkeiten gewesen waren. Madame Maxime bestand jedoch darauf, daß sie nichts davon hören wollte, was sie genau erlebt hatten, sondern nur, ob die Säulen geöffnet worden seien. Dann riß Petronellus die Arme hoch und rief: "Juhu, sie haben es beide geschafft!" Dann verfiel er in jene Pose, die Julius schon immer von ihm gesehen hatte und wurde innerhalb eines Lidschlages wieder zu bemaltem Marmor. Madame Maxime schickte Julius aus, die beiden vor dem Bild abzuholen. Er nickte und wartete vor dem Königspaar, daß im Moment nicht an Zank und Streit dachte. Offenbar war das für die gekrönten Bildmotive etwas außergewöhnliches, daß Schüler aus dem Schulleitertrakt verschwinden konnten ohne von der anderen Seite an ihnen vorbei zu müssen. Als Jean und Cano nacheinander aufgelaufen waren brachte Julius sie in den Empfangsraum, der tatsächlich mehr war als ein reiner Ankunftsraum.
"Es freut mich, Sie alle gesund und wohlbehalten wiederzusehen. Vor allem freut mich, daß Sie sich Ihrer Vorfahren, die Beauxbatons gründeten, würdig erwiesen und ihre Prüfungen bestanden haben, wie auch immer diese aussahen und zu bestehen waren. Als Schulleiterin darf ich nicht wissen, wie dies geschah. Solte Ihnen danach sein, es den jeweils anderen mitzuteilen, schlage ich vor, Sie treffen sich bei der nächsten, freien Gelegenheit im kleinen Leseraum der Bibliothek, sofern ihre schulischen freizeitlichen Aktivitäten dies zulassen. Ich weiß, wo die Plattformen sind, über die frische Lebensmittel zu uns kommen. Zwölf Plattformen, gut über den Palast verteilt. Ich habe zwölf Elfen dort postiert, um die Sendungen entgegenzunehmen. Jetzt werden Sie sich fragen, woher die Lebensmittel kommen und wie wir den Absendern verpflichtet sind. Die Absender sind nichtmagische Landwirte im ehemaligen Frankrenreich, daß außer unserer großen Nation ja auch andere heutige Staaten umfaßt hat, als Beauxbatons gegründet wurde. Insofern kann kein Ddidier und kein anderer Zaubereiminister alle Zuwege versperren, selbst wenn er sie kennen würde. Die Versetzungszauber wirken im Moment nur in eine Richtung. Die Muggel, die uns beliefern, wissen für wen sie das machen, sind aber durch einem ortsgebundenen Stillschweigezauber gehalten, niemandem zu berichten, wen sie beliefern. Als Gegenwert für die Lebensmittel erhalten sie Edelsteine, die in einer versiegelten Schatzkammer liegen und in bestimmten Abständen an die zwölf Ausgangspunkte verschickt werden. Es ist ein von Magister Collinebleu und Magistra Eauvive erfundener Zauber, der Portus alienus heißt. Dies dürfen Sie wissen, damit Ihnen klar wird, wie unsere Lebensmittel bis auf meinen Widerruf geliefert werden. Sie werden nicht auf übliche Weise teleportiert, sondern vielmehr in einen den raum überwindenden Strom von Magie eingefügt. Laut Magistra Eauvive können damit auch lebende Wesen ohne Portschlüssel und Apparierkenntnisse versetzt werden. Hierzu muß aber eine besondere Notlage eintreten, die ich hoffe, nicht mit Ihnen erleben zu müssen. Wenn der sogenannte Zaubereiminister und sein Ratgeber und Kettendrache Pétain erkennen, daß ihre Lügen und Rufmordkampagnen keinen Erfolg haben, und der von ihnen gesäte Wind zum Sturm der Entrüstung gegen sie wird, können wir immer noch weiterbestehen. So, und nachdem Sie mir geholfen haben, unsere Lebensmittelversorgung zu sichern, die Damen und Herren, schreiten wir nun selbst zum Mittagessen. Ich danke Ihnen noch einmal im Namen der Beauxbatons-Akademie und aller Ihrer Mitschülerinnen und Mitschüler. Wir dürfen uns alle glücklich und dankbar schätzen, daß die Gründer unserer Lehranstalt so kreativ, weise und entschlossen waren, das Wohl der hier lebenden und arbeitenden Hexen und Zauberer so gut es geht zu schützen. Folgen Sie mir jetzt bitte!"
Nachdem Madame Maxime sie alle aus ihrem Wohn- und Arbeitsbereich hinausgeführt hatte, verteilten sie sich, um nicht im Gänsemarsch im Speisesaal einzurücken. Sicher würde es sich in der Schule rumsprechen, daß diese zwölf für einen Sonderauftrag Madame Maximes eingespannt worden waren. Als sie dann alle an ihren Tischen saßen und die anderen Mitschüler eintrudelten bat die Schulleiterin noch einmal ums Wort, obwohl einige Schülerinnen und Schüler ansetzten, sie zum Verlassen der Schule aufzufordern. Doch niemand wagte es noch einmal, den Zauberstab zu ergreifen, um sie mit Magie zu zwingen.
"Ich höre es sehr wohl, daß Sie befinden, ich möge mich zusammen mit Professeur Faucon den Schergen Pétains ausliefern und auf deren Gnade hoffen. Ich verstehe auch, daß Sie Angst empfinden, Ihnen könne hier Ungemach entstehen, weil ich mich beharrlich weigere, dieser Aufforderung zu folgen. Und ich darf Ihnen allen sagen, daß Sie keinen Grund zur Angst haben müssen. Die Schutzzauber halten, wie einige sehen konnten, die das fragwürdige Vergnügen hatten, das magische Feuerwerk zu sehen, was die Handlanger Didiers und Pétains über uns veranstalten, um hereinzukommen. Jetzt werden manche zu recht sagen, daß wir von irgendwoher Lebensmittel erhalten müssen. Dieses Problem habe ich mit zwölf von Ihnen, die in direkter Linie mit den sechs Gründern unserer respektablen Akademie verwandt sind, zur vollsten Zufriedenheit und Beruhigung lösen können. Unsere Lebensmittelversorgung ist gesichert. Niemand von Ihnen wird Hunger oder Durst zu leiden haben. Und bevor jemand meint, ich solle trotzdem gehen, bitte ich jeden oder jede, die dies wünscht, den zuständigen Saalvorstehern oder Saalsprechern schriftliche Begründungen zu übergeben. Ich werde diese Begründungen prüfen und persönlich beantworten. Allerdings bitte ich mir aus, daß sogenannte Streiks oder andere Störungen des Unterrichts oder Freizeitkurse zu unterbleiben haben. Wer diese Mittel anwenden möchte sollte sich fragen, wie er oder sie außerhalb von Beauxbatons weiterzuleben gedenkt. Sie haben hier alle eine einzigartige Chance, ein faszinierendes und facettenreiches Studium zu absolvieren und Kenntnisse und Fähigkeiten zu erwerben, die dem Großteil der Menschheit unbekannt und/oder versagt bleiben. Falls Sie finden, es gebe genügend Alternativen zu Professeur Faucon und mir, fügen Sie dies in erwähnte Begründungsschreiben ein, die Sie an mich zu richten wünschen. Und nun, da die Lebensmittelversorgung gesichert ist, stärken Sie sich bitte, um für die heute Nachmittag anstehende Stunde gerüstet zu sein!"
Erst zögerlich begannen die Schüler zu essen. Julius erzählte Robert, Gérard und André nur, daß er sich einer magischen Prüfung von Viviane Eauvive hatte stellen müssen, er aber nicht über Einzelheiten sprechen dürfe.
"Toll, wenn das stimt sitzen wir jetzt hier unter einer Käseglocke mit unendlich viel Käse", knurrte André. "Was machen wir eigentlich, wenn wir keine Post mehr kriegen oder die uns damit was übles zuschicken wollen?"
"Spätestens dann werden unsere Eltern sich fragen, warum Beauxbatons nichts mehr von sich hören läßt", erwiderte Julius kühl. Die anderen sahen ihn verbittert an, bevor Robert meinte:
"Im Zweifelsfall bleiben wir alle mit dem Allerwertesten hier bis zu den UTZs. Dann heirate ich Céline, Gérard seine Süße Sandrine, André hat bis dahin auch wen, die ihn auf den Besen hebt. Und dann brüten wir alle neue kleine Beaux-Babys aus wie Constance. So bleibt die Schule in Gang, auch wenn um uns herum die Welt zerbröselt."
"Ich fürchte, ich wiederhol mich da. Aber entweder geht Didier über den Jordan, weil unsere Eltern den wegfegen oder Lord Unnennbar nutzt diese Bunkerstimmung aus, um seine Leute in unser Land zu schicken. Im ersten Fall kommen wir hier alle wieder raus. Im zweiten Fall wollen wir das dann vielleicht nicht mehr. Und du hast recht, Robert. Wir haben hier Wald, einen Fluß, Parks, 'ne Schule und jede Menge Jungs und Mädchen. Langweilig und eingepfercht müssen wir uns also nicht fühlen."
"Ich weiß nicht, ob es das ist, was Claire und Millie an dir mögen oder hassen, Julius. Aber diese Zuversicht habe ich nicht", erwiderte André. Gérard wandte ein:
"Ja, und was mich angeht. Meine Maman ist zwar hier und wie du altes Lästermaul Robert gerade getönt hast könnte ich hier auch wen heiraten, und Sandrine würde vielleicht auch hier unsere Kinder kriegen. Aber das ist doch nicht das ganze Leben, hier abzuhängen. Die Welt ist doch viel größer. Die singen das doch jeden Schuljahresabschluß "Maman Beauxbatons, auf Wiedersehen. Jetzt wollen wir die Welt im ganzen sehen.""
"Auf eigenen Füßen stehen und eigene Wege gehen", faßte Robert weitere Aussagen des Liedes zusammen. "Und das die weise, alte Maman Beaux uns zur weiten Welt die Tür aufmacht. Aber im Moment ist da draußen ein Scheißwetter. Und meine Maman hat dann immer alle Türen fest zugemacht, wenn's gestürmt, gehagelt oder gedonnert hat. Also trinken wir auf unsere große Maman Beaux!" Julius pflichtete dem bei. Doch gewisse Zweifel kamen ihm, ob er wirklich geholfen hatte, seine Mitschüler zu schützen oder eine Festung geschaffen hatte, die leicht zum Gefängnis werden konnte. Die nächsten Wochen und Monate würden es zeigen. Und er, Julius, würde wohl bald losziehen müssen, um Ailanoras Stimme zum klingen zu bringen.
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Janus Didier ging wie ein eingesperrter Tiger im geräumigen Büro des Zaubereiministers auf und ab. Wieder einmal hatte er versucht, jenen kleinen Geheimraum zu öffnen, der als Tresor der Erinnerungen benutzt wurde. Dort stand ein badewannengroßes Denkarium, in dem Generationen von Zaubereiministerinnen und Zaubereiministern die einschneidendsten Erlebnisse und brisantesten Erinnerungen eingelagert hatten. Auch stand da ein Wandelraumschrank, der von den Vorzimmerleuten als wiederkäuendes schwarzes Loch bezeichnet wurde, weil ein amtierender Zaubereiminister dort die geheimsten Dokumente und Artefakte, die ihm in die Hände gefallen waren aufbewahrte und nur dieser Minister oder sein rechtmäßiger Nachfolger darankam. Doch dieser Raum verweigerte sich Didier beharrlich. Kein Zauberwort, keine Anweisung an einen verborgenen Öffnungsmechanismus zeigte ihm den Zugang. Das konnte nicht sein, daß er, der legitime Zaubereiminister, nicht in diesen Raum hineingelangte. "Ich bin der lebende Zaubereiminister. Gewähre mir Einlaß!" Mit diesen Worten hatte er den letzten Versuch gestartet. Doch eine magische Stimme wie von einer strengen Großmutter hatte geantwortet: "Du, Janus Didier, bist nicht der lebende Zaubereiminister. Der lebende Zaubereiminister heißt Armand Grandchapeau." Diese Aussage hatte dem aus Angst zum Diktator mutierten Minister einen sichtlichen Schock versetzt. Bisher hatte er dem Geschwätz der mit Trauer und Schwangerschaft ringenden Belle Grandchapeau nicht geglaubt, ihre Eltern seien beide noch am Leben. Die Spuren über den Pyrenäen waren eindeutig. Und warum sollte der Feind die Grandchapeaus entführen und nicht töten? Das ergab doch keinen Sinn. Denn es wäre eleganter gewesen, Grandchapeau unter dem Imperius-Fluch zurückzuschicken. Aber diese vermaledeite Zauberstimme behauptete, daß Grandchapeau noch lebe. Sicher, er war mit dem Siegelring des Ministers verschwunden, der mit vielen Zaubern in dieser Behörde wechselwirkte. Aber Didier hatte sich einen neuen Ring machen lassen. Offenbar wollte ihn die Magie dieser Tür nicht anerkennen. Sprengflüche, Öffnungszauber und Gesteinszersetzungszauber waren wirkungslos an allen Wänden zerstoben. Enthüllungszauber waren durch sie aufhebende Geheimhaltungszauber überlagert worden. Nur der lebende, amtierende Minister für Magie konnte den geheimen Raum finden. Didier ärgerte sich, daß diese Magie ihn nicht als solchen anerkannte. Welche Geheimnisse hütete dieser Tresor, die er unbedingt kennen mußte? Janus Didier argwöhnte, daß ihm diese Geheimnisse eines Tages zum Verhängnis werden mochten. Und noch etwas störte ihn. Als er nach den Mühen, seine Leute nach Millemerveilles vorstoßen zu lassen, in eigener Person dort eintreffen wollte, war er von einer unbarmherzigen Gewalt zurückgeworfen worden, und für einen Augenblick hatte er es noch einmal mit ansehen müssen, was er als sein dunkelstes Geheimnis mit Divitiae Mentis in seinem Geist versiegelt hatte. Da wußte er, daß dieses Magierdorf, dieses Bollwerk Sardonias, für ihn unbetretbar bleiben würde. Auch seine vorsorglich mit dem Imperius belegten Handlanger wurden abgewiesen. Der ihnen aufgezwungene Fluch prellte sie zurück wie die finstersten dunklen Magier. Auf dem Tisch lag die Liste der am höchsten verdächtigen Hexen und Zauberer. Er hatte versucht, Madame Maxime und Professeur Faucon aus Beauxbatons herauszulocken. An ihrer Stelle sollte sein Cousin Marcel Garout Schulleiter werden, der im Moment das Werwolfbeseitigungskommando leitete. Doch Madame Maxime war nicht herausgekommen. So blieb ihm nur das Druckmittel, sie und alle Schüler auszuhungern, bis sie freiwillig herauskam oder starb. Er fürchtete nur, daß sie es riskieren würde, daß die Schüler dort vor ihr verhungerten.
Es klopfte an die Tür. Didier ließ die Liste per Versetzungszauber in einer Schublade verschwinden, bevor er "Herein!" rief.
"Onkel Janus, ich hörte gerade von Estelle Vendredi, daß du die Beauxbatons-Akademie belagerst", begrüßte ihn seine Nichte Suzanne. "Sag mal, was wird das?"
"Erstens, Mademoiselle Didier, sprechen Sie nicht so respektlos mit mir. Und zweitens bin ich für Sie genauso der Zaubereiminister wie für die anderen Mitarbeiter auch. Drittens müssen wir Beauxbatons einnehmen, weil Madame Maxime und Professeur Faucon gegen das Ministerium Front machen. Sie maßen sich an, unsere Ordnung zu stören. Wir müssen alle feinde ergreifen, oder wir versinken im Sumpf des Unnennbaren."
"Du bist genauso wahnsinnig geworden wie der, Onkel Janus", knurrte Suzanne. "Du kannst doch nicht einfach alle Leute da aushungern. Da sind auch Verwandte von uns. Und die Sache mit den Friedenslagern ist doch auch totaler Irrsinn."
"Irrsinn? Sie ist absolut notwendig, Mademoiselle Didier. Es sind bereits Agenten des unnennbaren in unserem Land", schnarrte Janus Didier. Er bereute es, seiner Nichte nicht wie vielen anderen den Imperius-Fluch verabreicht zu haben. Doch gewisse Skrupel hatten ihn davon abgehalten, seine eigene Verwandtschaft damit zu beharken.
"Die Liga hat Beschwerde wegen der Verhaftung der Pelikane eingereicht. Sie wollen die Saison unterbrechen. Wir hatten heute morgen mehrere Vereinsvorsitzende bei uns. Die gucken mich alle an, als hätte ich die Pest, Herr Zaubereiminister. Deine ganze Kampagne gerät zum Alptraum. Und jetzt noch das mit Beauxbatons. Stimmt das, daß du die Leute da aushungern willst, weil Madame Maxime und Professeur Faucon angeblich gegen dich opponieren?"
"Sie werden es keine Woche durchhalten, Mademoiselle Didier. - Kommen Sie nicht erst auf die Idee, mir mit dem Zauberstab zu drohen! Dieses Büro schützt mich."
"Die Eltern der Montferre-Zwillinge haben deinen Rücktritt gefordert, bevor sie von Pétains Hetzhunden zur Flucht getrieben wurden. Willst du im Ernst alle Welt gegen dich aufbringen?"
"Wo sind die Montferres?" Fragte Didier.
"Wo wohl, im Château Tournesol. Golbasto hat es selbst gesehen, wie Raphaelle, Michel und ihre Babys mit einer alten Gießkanne im blauen Portschlüssellicht verschwunden sind. Ich dachte, die angeworbenen Siebtklässler aus Beauxbatons sollen nur Dementoren zurückwerfen."
"Wie Sie sehen sind diese nicht die einzige Bedrohung", knurrte der Minister, der wußte, daß seine Nichte die Wahrheit sprach und nur die Zeitung und die strengen Strafen die Zauberergemeinschaft von offener Rebellion abhielten. Das die Montferres entwischt waren war zwar lästig, aber keine Gefahr. Sollten die doch alle in diesem Sonnenblumenschloß zusammenkauern.
"Der Unnennbare hat Verbündete zu uns herübergeschickt, Mademoiselle Didier. Es könnte sein, daß diese Sie bereits mit ihrer Irrlehre angesteckt haben", versuchte der Minister, seine Nichte aus dem Konzept zu bringen. "Vielleicht ist es aber auch diese sogenannte Erbin Sardonias, die Sie mir als Laus in den Pelz setzen wollten."
"Ich sagte es, Onkel Janus, du bist bereits demselben Verfolgungs- und Größenwahn verfallen wie der Unnennbare", schnarrte Suzanne. "Ich werde mir nicht ansehen, wie du meine ehemaligen Schulkameraden verhungern läßt und werde es mir nicht anhören, daß du das auch noch als notwendiges Opfer für die Sicherheit unserer Zauberergemeinschaft rechtfertigst." Suzanne zog ihren Zauberstab. Janus Didier griff seinen eigenen Zauberstab und rief: "Sicherheitsalarm!" Suzanne versuchte noch, einen Fluch anzubringen. Doch dieser prallte zurück. Sie duckte sich, als der Minister "Imperio!" Rief. Die Tür flog auf, und zwei Sicherheitsbeamte stürmten herein. Suzanne warf sich nach vorne, um einem Fesselzauber zu entrinnen, bekam aber einen Schockzauber ab.
"Lager fünf, ohne Aufsehen", knurrte der Minister, als seine Nichte betäubt am Boden lag.
"Ihre N..."
"Eine Verräterin", schnarrte Didier. "Sie hat sich im Schutz ihrer Verwandtschaft an mich herangeschlichen, um mich zu ermorden. Bringt sie ohne magische Hilfsmittel ins Lager fünf."
"Wie Sie befehlen, Herr Minister", sagten die beiden Sicherheitsleute und nahmen Suzanne alles ab, was ihre Seriositätssonden als magisch anzeigten, auch ihren Zauberstab. Der Minister holte per Zauberkraft ein Formular aus dem Nichts und trug mit königsblauer Tinte ein, daß er Suzanne Lucine Didier wegen magischer Gewalt gegen den amtierenden Zaubereiminister gemäß Pax-Patriae-Dekret Nummer 3 zur unverzüglichen verbannung in das Friedenslager Nummer fünf verurteilt habe. Dies durfte er, weil bei Angriffen auf ihmm jede Gerichtsverhandlung unnötige Zeitvergeudung gewesen wäre. Ein wenig wehmütig aber doch entschlossen sah er zu, wie die Sicherheitsleute seiner Nichte besondere Handschellen anlegten, an diese das Urteilsformular anhefteten und dann den Raum verließen. Aus den Handschellen erblühte eine blaue Lichtspirale, die Suzanne einhüllte und mit ihr verschwand.
"Wenn sie diese rothaarigen Rebellinnen so verehrt soll sie bei denen bleiben", dachte Didier, bevor er veranlaßte, daß ab sofort niemand mehr mit Zauberstab zu ihm vorgelassen werden durfte. Das galt auch für Pétain, als dieser am Nachmittag um eine Aussprache bat.
"Janus, meine Leute kommen nicht nach Beauxbatons rein. Abgesehen davon, daß die Schule unortbar und getarnt ist scheint sie auch einen Dom wie Millemerveilles zu besitzen. Keiner von meinen Besenfliegern kann dort eindringen."
"Die Elfenbarriere ist aktiv?" Fragte Didier.
"Natürlich. Da kommt jetzt auch keiner mehr raus. Wir werden also warten müssen, bis diese Halbriesin und die Unruhestifterin Faucon rauskommen. Hast du schon Lagrange wegen dem Ruster-Simonowsky-Zauberer kontaktiert?"
"Ich fürchte, wir müssen ihn aus unserem erlauchten Kreis ausschließen, Sébastian. Er meldete Bedenken an, weil seine Schwiegertochter im Elternrat ist und bereits Beschwerde gegen die Übernahme der Akademie eingeleitet hat."
"Tja, so'n gemeiner Umstand aber auch, daß Lucians Schwiegertochter Vorsitzende des Elternrates war. Aber das mit diesem Überzauberer sollten wir klären, wenn wir diesen Thicknesse endlich in die Schranken weisen wollen. Du weißt, daß dieser Bursche unsere einzige Chance ist, den Gegenstoß gegen die Dementoren zu landen, weil er im Moment der einzige ist, der auf die Inseln kann. Nur wenn wir ihn kontrollieren und ihm den Anihilus-Inimicum-Zauber aufprägen können, können wir die Dementorenpest ein für allemal ausrotten."
"Ich finde Laroche nicht. Aber wenn ich seiner habhaft werde, werde ich den prämaturen Ehestatus dieses Burschen beenden. Ist doch klar, daß die Latierres nur einen potenten Zauberer zum Kultivieren ihrer Sippe haben wollten", erwiderte der Minister verbittert.
"Janus, daß könnte uns den letzten Rückhalt in der Bevölkerung kosten", warnte Pétain. "Eine magisch besiegelte Bindung darf nicht so einfach beendet werden."
"Die Latierres sind bereits zu unerwünschten Personen erklärt worden, weil sie uns Widerstand entgegensetzen", knurrte der Minister. "Wenn ich diesen Frühehestatus aufheben kann, habe ich das Recht, das Sorgerecht für den Bengel zu vergeben.
"Janus, du verrennst dich. Wenn du jetzt befindest, wer verheiratet sein darf und wer nicht, bist du nicht besser als der Unnennbare. Du kannst den Jungen nicht einfach so für unverheiratet erklären", erwiderte Pétain. "Es muß auch ohne diese Maßnahme gehen."
"Wenn du mir verrätst, wie wir die Dementoren ohne den Bengel und einem ihm eingeprägten Anihilus-Zauber vernichten können bitte gerne", knurrte der Minister. "Uns sind die Incantivacuum-Kristalle ausgegangen, und Perignons Tod hat die Moral etwas eingetrübt. Die Gefühlsstreuer wirken zwar noch gut. Aber wenn wir diese Marodeure nicht bald effektiv zurückwerfen oder ausradieren können bleibt nur noch, die von der Elfenbeininsel um Hilfe zu bitten."
"Dir ist klar, daß die Leute von da uns nicht helfen werden, solange wir Muggelstämmige und Familien mit Muggelverwandtschaft zulassen. Die sind in der Hinsicht genauso radikal wie der Unnennbare, und der ist ein Halbblut."
"Wenn wir innerhalb der nächsten Wochen nicht nach Beauxbatons reinkommen und eine überzeugende Begründung präsentieren, diesen Bengel da rauszuholen, dürfen die von der verdammten Insel zusehen, wie die ganze Zauberergemeinschaft zwischen dem Halbblüter und dieser Fanatikerin aufgeteilt wird. Aber das wird die auch nicht kümmern, diese überheblichen Leute."
"Ich würde an deiner Stelle nicht so abschätzig über sie reden, Janus. Wenn du sie wirklich um Hilfe bitten willst, solltest du erst einmal zusehen, dich mit ihnen gutzustellen."
"Das hieße denselben Unsinn anzuleiern, den diese Todesser gerade veranstalten, Sébastian, alle Muggelstämmigen ihre Zaubererrechte absprechen und sie gegebenenfalls zu internieren."
"Die Lager wären da, und wenn du beweisen könntest, daß sie für den Massenmörder arbeiteten oder seine Agenten ihnen bereits nachstellten ..." Setzte Pétain an.
"Nicht mit mir", erwiderte Didier. "Wenn ich dies tue hätten Tourrecandide, Faucon und Eauvive recht, daß ich diesem Verbrecher in die Hände spiele."
"Nichts für ungut, Janus. Aber ich darf dich daran erinnern, daß wir beide diesen Julius Latierre - gönnen wir ihm diesen Namen einstweilen noch - als ultimate Vernichtungswaffe gegen die Dementoren schicken wollen. Seine besondere Zauberkraft wird den Anihilus-Inimicum-Zauber vervielfachen. So oder so wird er dabei jedoch vollständig verschwinden."
"Ein Leben für Millionen andere, Sébastian. Und er wird stolz sein, dieses Opfer für seine Freunde und Bekannten in England und Frankreich bringen zu dürfen."
"Verstehe", grummelte Pétain.
"Die Maxime wird nicht zulassen, daß die Schüler verhungern", sagte Didier. "Die anderen Lehrer werden sie hinausdrängen. Und dann kommt sie vor Gericht."
"Nein, sie wird dem Ausschuß zur Beseitigung gefährlicher Kreaturen vorgeführt und von diesem erlegt", schnarrte Pétain. "Diese Mißgeburt muß endgültig verschwinden. Sie stellt für alle zivilisierten Hexen und Zauberer eine unberechenbare Gefahr dar."
"Bitte was?" Fragte Didier. "Ich meine, ich verstehe, daß du ihrer Abstammung wegen Bedenken hast. Aber sie ist eine anerkannte Hexe. Sie hat das bewiesen. Wir können sie doch nicht wie einen bretonischen Blauen oder einen rasenden Hippogreif aburteilen und erlegen lassen."
"Können wir schon", knurrte Pétain. "Und der Artikel heute morgen hat den Boden dafür bereitet. Keiner wird um ihr Leben betteln außer ihr. Ich habe das meinen Leuten gesagt, daß sie nicht vor das übliche Gericht kommen wird."
"Moment mal. Hast du ihr das etwa angedroht?" Fragte der Minister sichtlich erregt. Pétain schüttelte den Kopf. Doch dann mußte er nachdenken. "Ich habe Marat gebeten, ihr das Ultimatum zu schicken und vor den Konsequenzen zu warnen, wenn sie nicht darauf eingeht. Da hatte ich schon erwähnt, daß wir sie am besten vor den Ausschuß bringen, sollte sie sich nicht dazu bereiterklären, sich in ein gesondertes Reservat verbringen zu lassen und ..."
"Bin ich denn hier von lauter Stümpern und Vollidioten umgeben?!!" Brach es überlaut aus Didier heraus. "Marat hat ihr mit dem Ausschuß gedroht, du Trollhirn. Das heißt, sie rechnet damit, getötet zu werden, sobald sie Beauxbatons verläßt."
"Ey, das Trollhirn nimmst du mal ganz schnell zurück, Janus!" Bellte Pétain wütend. "Ich habe Marat nicht befohlen, ihr den Tod anzudrohen. Ich habe auch nicht befohlen, den Ausschuß zu erwähnen. Abgesehen davon solltest du im Punkte geistiger Glanzleistungen ganz ganz still sein, Janus. Oder willst du echt, daß alle Welt erfährt, daß dein ach so überragender Bruder und ich dir deine ganze Ausbildung lang alles hingebogen haben, damit du überhaupt ein paar UTZs abbekommst? Die Zeitung untersteht mir. Wenn du Möchtegernfeldherr es dir mit mir verdirbst, stürzst du morgen schon tiefer ab als du aufgestiegen bist. Abgesehen davon, daß außer mir noch zwei Leute mehr wissen, wo Rolands Lebensbuch liegt, an das du aus dir und mir guten Gründen nicht drankommst. Also nenne mich nie wieder einen Idioten oder ein Trollhirn, Janus! Oder dein Neuanfang wird zum jähen Ende. Abgesehen von dieser Kleinigkeit, die wir meiner Meinung nach gerne für uns behalten dürfen, wüßte ich nicht, warum das Idiotisch sein soll, dieser Ausgeburt einer reudigen Riesin klar zu machen, daß Ihre Abstammung uns ein Graus ist."
"So, du mieser kleiner Erpresser, dann will ich dir das verraten und hoffe, du verdienst es wirklich, kein Trollhirn genannt zu werden", schnaubte der Minister. "Als diese Männermörderin Sardonia dieses Land tyrannisiert hat lebte ihr ärgster Gegner, Philadelphius Delourdes, als Schulleiter in Beauxbatons. Die Situation stellte sich damals so dar wie in den letzten Jahren zwischen dem Unnennbaren und Albus Dumbledore. Beide fürchteten und haßten einander, beziehungsweise, Delourdes bedauerte Sardonia, weil sie so einseitige Ansichten hegte. Jedenfalls bedrohte sie ihn, belagerte Beauxbatons und hungerte ihn und die Schüler aus. Er rechnete mit seinem Tod, wenn er zum Wohl seiner Schüler die Akademie verlassen mußte. Da enthüllte sich ihm das Vermächtnis der Gründer, eine Art Lebensversicherung der alten Familien, und er konnte die Lebensmittelblockade durchbrechen und Beauxbatons Sardonias machtgierigen Klauen entziehen. Es steht in den Bulletins de Beauxbatons, daß es durchaus möglich ist, daß ein Schulleiter, der um sein Leben und das aller Lehrer und Schüler fürchten muß, diesen Schutz der Gründer wiedererwecken kann. Das würde Beauxbatons zur unangreifbaren Festung machen, die von irgendwoher, ohne daß wir es verhindern können, genug Lebensmittel erhält, um Jahre zu überstehen. Marat hat dieser übergroßen Dame vielleicht geholfen, sich und diesen Ruster-Simonowsky-Bengel vor uns zu verstecken, ohne Angst vor dem Hungertod haben zu müssen. Lass das von Marat klären, ob er ihr den Ausschuß angedroht hat!"
"Nur wenn du das Trollhirn zurücknimmst, Janus", schnaubte Pétain. Doch der Minister schüttelte den Kopf und tastete nach seinem Zauberstab. Pétain hatte seinen ja den Sicherheitsleuten abgeben müssen und bestimmt auch keinen zweiten mit hereinbringen können: "Wer sich so leicht von einer Muggelfrau übertölpeln läßt wie du, ist mit Trollhirn noch gut genug bedient, Sébastian. Sei froh, daß unsere Reporter dich als Helden hingestellt haben. Denn sonst wärst du es, der längst schon ganz tief abgestürzt wäre. Also kläre das!"
"Janus, ich erinnere dich nur daran, daß du als Minister keinen Rückhalt mehr hast, wenn ich befinden sollte, daß die Landfriedensabteilung dir den Gehorsam versagen sollte", knurrte Pétain.
"Oh, will da der Schwanz mit dem Hund wedeln, Sébastian? Ich bin der legitimierte Zaubereiminister. Meine Leute sind nur mir loyal. Dafür habe ich gesorgt. Sei froh, daß du zu wichtig bist, um in einem Friedenslager zu landen. Und sorge besser dafür, daß du wichtig bleibst und nicht zum Störfaktor wirst! Oder hältst du mich für so naiv, mich allein auf deine Loyalität zu verlassen?"
"Ich weiß, daß du mir nicht vorgestellte Beamte per Imperius beauftragt hast, die Unterstützung der Ressortchefs und der wichtigsten Truppen zu sichern, Janus. Aber ich habe auch noch ein paar Leute an der Hand, die das Mißverhältnis umkehren könnten. Im Moment sind wir wie Pilz und Baum, Biene und Blume, Janus. Jeder hat und kennt etwas vom anderen, was diesem wichtig ist. Aber wenn du die überstrahlende Blume oder der überragende Baum bist, heißt das, daß ich beweglicher bin und dir die Partnerschaft versagen kann. Und nur deshalb, weil im Moment kein Anlaß besteht, dir die Loyalität aufzukündigen, kläre ich mit Marat, ob er der Halbriesin den Tod angedroht hat. Und erwähne mir gegenüber nie wieder dieses raffinierte Muggelweib, falls du nicht willst, daß alle erfahren, daß du weniger Wert bist als der Schatten deines seligen Bruders!" Pétain stand auf und ging zur Tür. "Öffne mir bitte die Tür, und denk nicht einmal daran, mir den Imperius-Fluch aufzuhalsen. Den kann ich abblocken."
"So gut wie Veritaserum?" Feixte Didier. Pétain wandte sich noch einmal um und sagte: "Auch wenn Imperius der einzige wirklich gelungene Fluch ist, den du je gelernt hast, Janus, kann ich den von dir ganz bestimmt abwehren. Und jetzt mach bitte die Tür auf!" Der Minister verwarf für einen Moment den Wunsch, diesem bockigen Kerl da den Imperius-Fluch überzubraten. Er öffnete ihm die Tür, weil er wissen wollte, ob dieser Doppelstümper und miese Erpresser, der sich in der Öffentlichkeit immer als sein loyaler Freund und Mitarbeiter präsentierte, Madame Maxime und diesen Ruster-Simonowsky-Bengel aus England für das Ministerium unangreifbar gemacht hatte. Zehn Minuten später wußte er es. Beauxbatons war mit ziemlicher Sicherheit von seinen Gründern beschirmt und versorgt. Was würde es ihm nützen, weitere Tiraden in die Zeitung zu setzen. Das einzige, worauf er hoffen konnte war die Angst der Schüler vor der Isolation.
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"Ach neh, hat die nette Suzanne den Minister angegriffen", feixte ein bulliger Zauberer, als er den Schockzauber aufgehoben hatte, mit dem Suzanne Didier belegt worden war. Sie fühlte die stählernen Ringe um ihre Handgelenke. Dann sah sie den Zauberer in seinem purpurroten Umhang, auf dem der Schriftzug FL5 stand. "Los, aufstehen! Baracke sieben ist frei. Da wohnen die alleinstehenden Frauen. Da findest du Anziehsachen und ein Bett."
"Wie reden Sie mit mir und wo ... Vermaledeit", schnarrte Suzanne und sah sich um. Sie stand auf einem gepflasterten, weitläufigen Hof. Um diesen verlief eine beinahe zehn Meter hohe Mauer mit Wehrgang und Zinnen. Drei große Gebäude, Ecktürme und ein wuchtiger Turm im Mittelpunkt des Hofes sagten deutlich, daß dies hier wohl einmal eine Burg gewesen war. Zu den Steinbauten hatte irgendwer ein Dutzend großer Holzhütten hingesellt. Es gab Gemüsegärten und ein paar Viehställe. Leute in groben, wolkengrauen Leinensachen liefen herum. Sie konnte diese Umgebung nicht fassen. Sie war tatsächlich in einem dieser erwähnten Friedenslager gelandet. Die Handschellen lösten sich. Doch der Wächter hielt seinen Zauberstab gegen die junge Hexe gerichtet. "Sieh zu, daß du in deine Baracke kommst, Suzanne Didier und führ dich gut, wenn du nicht im Keller wohnen möchtest! Willkommen im Friedenslager fünf!""
"Da geht dir wohl einer ab, Garout", knurrte Suzanne und fing sich dafür zwei Sekunden Cruciatus-Fluch. "So'n Pech für dich, daß dein Onkel gesagt hat, daß wir hier auf keinen Rücksicht nehmen dürfen. Und jetzt mach dich da rüber!" Schnarrte der bullige Wachzauberer mit schwarzem Schopf. Suzanne kannte ihn. Das war Léon Garout, einer der drei berüchtigten Garout-Brüder, von denen es hieß, ihre Mutter sei eine Werwölfin und hätte sie mit diesem Fluch infiziert. Wie konnte ihr Onkel diese brutalen Typen beschäftigen? Der war wirklich dem Wahnsinn verfallen und ..."Aarrg!" Noch einmal überkamen sie die Todesqualen des Cruciatus-Fluches. Sie trollte sich. Sie hatte mit der Auffassungsgabe einer ehemaligen Bewohnerin des violetten Saales von Beauxbatons erkannt, daß sie bis auf unbestimmte Zeit den Launen dieses Ungeheuers da ausgeliefert sein würde. Sie besah die Holzhütten, auf deren Seitenwänden groß die Registriernummern aufgemalt waren. Die nicht besonders einladend aussehende Baracke 7 sollte also ihr Schlafraum sein. Vor der Tür saßen zwei hochgewachsene Gestalten in dieser grauen Einheitskluft. Suzanne erschrak, als sie sah, daß ihre feuerroten Haare bis auf einen Zentimeter Länge gestutzt worden waren. Sie hatte die beiden immer mit schulterlangen Schöpfen in Erinnerung gehabt, vor allem, wenn sie ihnen über dem Quidditchfeld begegnet war.
"Ach neh, bist du jetzt als Inspektorin eingeteilt worden, oder hat Mademoiselle Didiers durchgeknallter Onkel befunden, daß seine Verwandten die schlimmsten Agenten des Unnennbaren sind?!" Rief ihr eine der beiden haargleichen Frauen zu und funkelte sie mit grünen Augen an.
"Drachenmist! Mein Onkel ist jetzt voll irre geworden. Der will Beaux aushungern, weil er die Maxime und Faucon rauslocken will!" Rief Suzanne, die nicht wußte, ob es Sabine oder Sandra war, die sie begrüßt hatte. Da tauchte eine vierschrötige Frauensperson in der Purpurtracht von rechts auf. "Didier, Suzanne! Da mußt du rein! Du hast Bett zweiundzwanzig. Zieh die Sachen an, die drauf liegen. Die schnieken Klamotten da gehören dir nicht mehr. Bist du in einer Minute nicht umgezogen ziehe ich dir die Sachen aus."
"Ich muß mich wohl fügen", schnarrte Suzanne. "Denn wenn selbst dumme Mädchen wie du hier was sagen dürfen, Tisiphone, weiß ich, wie schief die Welt gerade hängt", schnarrte Suzanne. Dieses Mädchen da, daß zweimal das ZAG-Jahr wiederholen mußte, war vor sechs Jahren die Geißel des roten Saales gewesen, bis Martine sie mit ihren Kameradinnen gezüchtigt hatte. Weil sie die ZAGs wieder verfehlte, war sie eine der wenigen von Beauxbatons, die unehrenhaft die Ausbildung beenden mußten. Sowas paßte zu einem Sicherheitsfanatiker, sich mit tumben Trollinnen zu umgeben. Tisiphone machte schon anstalten, den Zauberstab zu heben. Da schlüpfte Suzanne in die Baracke. Sie fand das bezeichnete Bett und die graue Einheitskluft. Soviel zu der achso segensreichen Einrichtung zum Schutz der Zaubererschaft, dachte sie nur, bevor sie ihre bisherigen Sachen auszog und sich in Gedanken schwor, sollte sie je wieder hier rauskommen, ihrem Onkel den Hals umzudrehen.
"Ihr zwei glotzt nicht blöd, sonst ziehe ich euch was über", blaffte Tisiphone. Doch die Montferres grinsten nur, während sie zusahen, wie Suzanne sich umzog. Als diese dann im Einheitsgrau dastand, sagte die grobschlächtige Wächterin: "Hausordnung! Mit der Sonne aufstehen! Wer zu essen will muß dafür schaffen, natürlich ohne Zauberei! Um die Mannsbilder hier nicht zu verführen kriegen alle Frauen zwischen siebzehn und siebzig 'ne Kurzhaarfrisur, wie du die an diesen beiden Aufrührerinnen sehen kannst. Wer nicht regelmäßig nachschneiden läßt kriegt nix zu essen, bis die Mähne gestutzt ist. Wer aufmuckt kriegt den Crucio oder zieht in den Keller zu den Asseln, Spinnen und Ratten, bis das Mucken abgetötet ist. Wenn die Sonne untergeht hat jeder und jede in der zugewiesenen Behausung zu sein. Wer meint, nach Sonnenuntergang noch draußen rumlaufen zu müssen kriegt Ärger. Mehr mußt du nicht wissen."
"Jeder Häftling hat eine Registriernummer. Wie ist meine?" Fragte Suzanne aufmüpfig.
"Null, wenn du mir noch mal so'ne blöde Frage stellst", schnarrte Tisiphone. Sie wedelte mit dem Zauberstab. "Akazio Umhang!" Was immer das sollte funktionierte nicht.
"Hol deine abgelegten Klamotten raus und gib sie mir!" Schnaubte Tisiphone. Suzanne nickte verdrossen und brachte ihren Umhang heraus. Dann ließ Tisiphone sie in Ruhe.
"Wolltest du das nicht glauben, daß dein durchgeknallter Onkel die halbe Zaubererwelt zusammenstampft?" Fragte eine der Montferres und stellte sich als Sandra vor.
"Vielleicht träume ich das auch nur", knurrte Suzanne. Sabine kniff ihr so kräftig in den Arm, daß sie aufschrie. "Na glauben wir es jetzt, daß wir auf den Müllhaufen von Didiers neuer Welt geworfen wurden?" Fragte Sabine verächtlich. Suzanne mußte nicken.
"Bine, wir sollten uns nicht mit ihr zanken. Jetzt hängt die mit uns hier ab. Komm, wir zeigen dir, wo der Damenfriseur ist, bevor die Halbtrollin mit ihren stümperhaften Zauberkenntnissen das besorgt."
"Ich habe meinem Onkel gesagt, daß das gequirlter Drachenmist war, euch einzusacken", beteuerte Suzanne.
"Tja, nur Pech, daß der nur auf Leute aus seiner alten Clique hört und mit Nichten auf Nichten", feixte Sabine. Dann fragte sie vorsichtig: "Hast du was von unseren Eltern gehört, ob sie die auch in so'n Lager eingebuddelt haben?"
"Die sind wohl mit den Kleinen noch rechtzeitig abgehauen. Hätte ich dumme Trine auch besser machen sollen als zu denken, mit dem Herrn Minister noch vernünftig reden zu können." Die jungen Frauen, die gerade keine Hexen sein durften nickten. Dann führten sie ihre Mitbewohnerin herum. Suzanne preßte die Lippen aufeinander, als eine andere Wächterin ihr die Haare auf die vorgeschriebene Kürze zurechtstutzte. Dann lernte sie die Mitbewohnerinnen ihrer Baracke kennen, Hexen, die sie als angesehene Mitglieder der Zaubererwelt kennengelernt hatte. Sie ließ sich zum Kochdienst einteilen, um die großen Töpfe und Pfannen zu bedienen.
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"Danke, Line, daß ihr uns aufgenommen habt", sagte Raphaelle Montferre zu Ursuline Latierre. "Fast hätte dieser Drecksack uns auch noch kassiert. Vielleicht kriegen wir unsere Töchter da raus und diese Bande um Didier an deren Stelle da rein."
"Dann müßten wir wissen, wo die beiden sind, Raphaelle", grummelte Hippolyte. "Aber wir werden das irgendwie rauskriegen. Onkel Janus wird sich sehr bald wünschen, er habe sich nicht zum Minister wählen lassen. War mir da schon klar, daß der nur Unheil anrichten wird. Kann mich noch erinnern, daß Papa den immer als Nixkönner bezeichnet hat. Das Problem ist nur, daß Nixkönner mehr auf Gewalt als auf Intelligenz setzen."
"Worum geht dieser Wahnsinn eigentlich?" Fragte Michel Montferre.
"Darum, daß Didier meint, dem Unnennbaren nur durch die Kontrolle über die ganze Zaubererwelt entgegentreten zu können. Millie fürchtet, daß es ihm auch darum geht, ausländische Muggelstämmige auszuliefern. Sie hat mir mitgeteilt, daß sie heute mit Madame Maxime, Pattie, Julius und neun anderen alte Zauber der Gründer aufgerufen hat, damit sie nicht verhungern müssen."
"Ach, euer Schmetterlingsbote ist noch im Gebrauch? Dann bestell deiner Tochter und ihrem jungen Gatten schöne Grüße, daß wir jetzt auch bei euch wohnen dürfen", sagte Raphaelle. "Ist Martha auch hier?"
"Die ist mit Catherine in Millemerveilles. Immerhin konnten durch sie fünfzig anständige Leute mehr vor diesem Hohlkopf in Deckung gehen", knurrte Ursuline Latierre. Michel Montferre und seine Frau nickten.