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Julius Andrews - Auf seinem Weg in die Zaubererwelt von Thorsten Oberbossel

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"Sandrine sieht immer bedröppelter aus", sagte Gérard am Morgen nach dem Endspiel. "Die macht sich jetzt wohl immer noch Vorwürfe, weil sie den Schnatz beim Spiel gegen die Roten nicht früh genug erwischt hat."

"Tja, nicht nur wegen der vielen Punkte, die Apollos und Millies Mannschaft bei den Gelben abgesahnt haben", meinte Julius dazu, während sie darauf warteten, daß die Mitschüler sich zum Frühstück aufreihten.

"Ich weiß nicht, ob das wirklich 'ne so gute Idee mit der Wette war", grummelte Gérard leise. "Andererseits hat die es jetzt kapiert, daß ich nicht so einfach zu kriegen bin."

"Will sagen, du läufst nicht hin, wenn sie auf einem Besen über dem Gelände herumfliegt?" Fragte Julius seinen Klassenkameraden. Dieser warf seine Stirn in Falten und machte dann ein trotziges Gesicht.

"Die wollte das doch so, Julius. Ich habe der gesagt, nächstes Jahr wäre auch voll in Ordnung. Dann soll die zusehen, wie die das nächste Jahr übersteht."

"Glaubst du, sie hat dann noch Interesse dran?" Fragte Julius, dem es ein wenig mulmig war, Gérard derartig hinzuhalten.

"Die kommt da schon wieder von runter. Die kapiert es, daß wir hier besser klarkommen, wenn wir uns noch das Jahr Zeit lassen, Julius. Aber wie ich das mitkriege kriegen Millie und du vielleicht ein Ehepaarzimmer. Millie ist ja schon ganz wild drauf, von dir 'nen Quaffel unter'n Rock zu kriegen."

"Du meinst, sowas dürfte Sandrine dann davon abhalten, dich vor diesen Jahresendprüfungen schon auf den Besen zu rufen, Gérard?" Forschte Julius nach. Gérard nickte verhalten. Dann sah er, wie vier ältere Jungen Pierre Marceau anrempelten, der gerade im gepflegten Sonntagsumhang Aufstellung zum Ausrücken nahm. Julius nickte Gérard zu und lief zu Pierre und den anderen hinüber.

"Was gibt das, wenn es fertig wird?" Fragte er leise aber unüberhörbar ernst.

"Der soll nicht so trödeln, nur weil das Delacour-Küken ihn so angestrahlt hat", grummelte Oscar Bleuville verärgert. Julius sah den Mannschaftskameraden an und sagte ganz ruhig:

"Oscar, ich bin auch nicht froh, daß wir gestern den Pokal vergeben haben. Aber dafür jüngere Mitschüler anzurempeln und anzuschnauzen holt uns den Becher nicht zurück. Wenn hier wer für geordnetes Auftreten zuständig ist sind Gérard und ich das. Merke dir das bitte, auch wenn mir das selbst nicht paßt, dich und die anderen dran zu erinnern."

"Die Veela-Puppe hält den ganzen Betrieb auf", protestierte Oscar. Julius schüttelte den Kopf und deutete auf die immer länger werdenden Reihen der Mädchen, die ganz diszipliniert Aufstellung nahmen. Dann sagte er:

"Ich kapiere es auch, daß dich das aus dem Tritt bringt, weil Gabrielle Delacour so eine Wirkung auf Jungs wie dich und mich hat, Oscar. Aber das ist kein Grund, andere Jungen anzurempeln. Also entschuldige dich bitte bei Pierre oder nimm ein paar Strafpunkte hin!"

"Bist voll in diesem Trott drin, Julius", knurrte Oscar. "Königin Blanche hat echt gut an dir rumgeknetet", maulte Oscar und bekam ein zustimmendes Nicken der drei anderen. Julius fragte die vier, ob sie noch keine Lust auf den Strand hätten. Natürlich wollten die Jungen an den Strand. Sie verstanden die Drohung und entschuldigten sich bei Pierre. So beließ es Julius bei fünf Strafpunkten für Oscar wegen indirekter Respektlosigkeit gegen die Schulleiterin. Das würde seinen DQ noch nicht unter die Mindesthöhe für Strandausflüge treiben.

Julius ging zu Céline nach vorne und prüfte noch einmal, ob alle Jungen seines Saales angetreten waren. Dann sagte er: "In ordnung, Leute! Gehen wir frühstücken!" Das hatte er sich regelrecht als Ritual in diesem mit gesellschaftlichen Ritualen durchsetzten Alltag angewöhnt. Die Jungen folgten ihm. Die Mädchen folgten Céline. Gérard machte den Abschluß bei den Jungen. Laurentine machte den Abschluß bei den Mädchen. Die ganze Belegschaft aus dem grünen Saal verließ ohne Gleichschritt den Aufenthaltsraum.

Daß die Roten den letzten Abend tüchtig gefeiert hatten konnte jeder sehen. Vor allem die Jungen über fünfzehn wirkten sichtlich angeschlagen und schlaff. Cyril hatte wohl auch einiges getrunken. Er sah so aus, als sei ihm vorhin noch speiübel gewesen. Julius wunderte sich, daß Apollo oder Millie nicht drauf geachtet hatten, daß der Austauschschüler nicht zu viel Met erwischte oder gar einige große Schlucke Feuerwhisky in sich hineinlaufen ließ.

Die Eulen brachten Post von den Eltern und Anverwandten. Einige bekamen Päckchen mit Süßigkeiten. So landete auch eines bei Cyril Southerland. Vor allem die Roten bekamen Glückwunschpost zum Pokalerfolg. Julius war sich da sicher, weil er Millies Glücksstimmung und Überlegenheit in sich einströmen fühlte. Er mußte sich arg beherrschen, nicht selbst in eine unangebrachte Euphorie zu verfallen. Jetzt hatte er eine gewisse Ahnung, wie es sich für seine Frau angefühlt haben mochte, mit seinen übersteigerten Gefühlen und Begierden fertigwerden zu müssen. Er selbst bekam Post von Pina Watermellon.

Hallo Julius!

Recht vielen Dank für deine und deiner Freunde Geburtstagsgeschenke und -grüße. Ich habe nur mit Olivia, Gloria, Betty, Jenna, Lea und Kevin zusammengefeiert. Holly hatte an dem Tag was anderes vor. Die ist gerade schwer verliebt und weiß nicht, wie sie an ihren Auserwählten rankommen soll, ohne sich dumm darzustellen. War auf jeden Fall ein schönes Fest. Professor Craft, die außerhalb von Hogwarts Glorias Oma Grace ist, hat uns beim Schmücken geholfen. Ich fürchte, ich brauche einen zweiten Koffer, wenn ich die ganzen Geschenke in die Sommerferien mitnehme.

Wenn du den Brief bekommst bin ich vielleicht schon mit der Apparierprüfung durch. Ist nicht so einfach wie es aussieht. Aber ich will das können, damit ich schnell verschwinden kann, wenn wieder wer meint, Mum, Olivia und mich angreifen zu müssen. Gloria hat's von eurer Aurora-Verbindung, daß deine Schulfreunde in Beauxbatons alle die Prüfung geschafft haben. Das mit dem Zauberstab von Laurentine ist ja stark. Wußte nicht, daß sowas geht. Aber Tante Genevra hat mir gesagt, daß sie selbst wen kannte, die mit so einem Zauberstab genial gezaubert hat. Schade, daß ich so'n Stab nicht erwischt habe. Na ja, geht halt nicht immer.

Grüße bitte alle, die mich kennen und bedanke dich in meinem Namen für die Geschenke!

Alles liebe

 

Pina

 

"Ich soll euch alle schön von Pina grüßen", sagte Julius nach dem Frühstück zu denen, die ihm beim Geschenkeaussuchen geholfen hatten. Millie winkte ihn näher heran.

"Hast du die Jungs bei uns gesehen? Könnte sein, daß Pattie und ich deshalb was zu hören kriegen."

"Wenn die sich heftig vollgeschüttet haben ist das eher ein Problem für Apollo", erwiderte Julius. Doch er verstand, was Millie meinte. "Der wirkte heute morgen nicht besonders fröhlich. Hast du gesehen, wie geschafft der aussah? Apollo wird dem sicher noch was erzählen, nicht mit den großen Jungs so um die Wette zu trinken. Kann auch sein, daß er Angst um seinen DQ hat. Weiß ja nicht, was die Lehrer ihm in der Woche schon alles an Strafpunkten angehängt haben. Soll mir jetzt auch egal sein", bekräftigte die Saalsprecherin der Roten. Dann winkte sie ihrem Mann noch einmal und verabschiedete sich bis zur Pflegehelferkonferenz.

Madame Rossignol sprach gerade mit Serena Delourdes' Abbild und dem Aurora Dawns, als die Pflegehelfer zur allsonntäglichen Konferenz eintrafen. Julius hörte sie noch sagen: "... freue ich mich schon drauf, sie kennenzulernen. gib das bitte weiter, Aurora!"" Dann begrüßte sie ihre Helfer und wies ihnen die Sitzplätze zu.

Um elf Uhr standen alle vor dem gerade geschlossenen und daher nicht sichtbaren Teleportal, das direkt zum schuleigenen Strand führte. Madame Faucon würde heute den Zugang wieder freigeben. Das wurde allgemein mit einem Tandembesenrennen verknüpft. Julius hatte da bisher nur einmal mitgemacht, als Barbara Lumière, die heute van Heldern mit Nachnamen hieß, noch einmal mitfliegen wollte. letztes Jahr hatte dieses Ereignis nicht stattgefunden, weil da gerade der Drang nach Schwimmen und freier Fläche größer war als der nach schnellen Besen.

Madame Faucon schritt ruhig durch die von allen Schülern gebildete Gasse zu den Verbindungspunkten des magischen Tores und wandte sich an alle.

"Es ist schön, daß die Sonne wieder scheint. Gönnen wir uns also wieder die Freude, an den Gestaden des uns zugeteilten Meeresabschnittes Entspannung und Erholung zu finden. Hiermit erkläre ich den schuleigenen Strand von Beauxbatons wieder für eröffnet!" Dann ließ sie unter tosendem Applaus das magische Tor entstehen, das wie aus hell leuchtendem Glas wirkte. Als sich die beiden Säulen zu einem großen Bogen verbunden hatten konnten alle wie durch zarten Nebel den Schulstrand erkennen. Madame Faucon durchschritt als erste das Tor, wobei ihre Erscheinung für einen winzigen Moment flimmerte. Dann folgten alle anderen. Millie hielt Julius zurück und erinnerte ihn an ihre Verabredung von gestern. Widerspruchslos ging er in die Hocke und nahm seine Frau auf den Rücken. Er stemmte sich wieder auf die Füße und prüfte sein Gleichgewicht. Als er sicher war, daß er und Millie nicht hinfallen würden ging er langsam los, bis er das Gefühl für die geschulterte Last hatte und näherte sich dem Tor. Alle Jungen feixten und johlten. Einige der roten und Grünen klatschten anfeuernd. Julius jedoch konzentrierte sich.

"Na, geht's besser als mit Corinne?" Fragte Millie von weiter oben.

"Sagen wir so, sie ist kleiner und daher besser auszubalancieren", erwiderte Julius.

"Sag jetzt ja nicht, ich sei schwerer als die", knurrte Millie und zog Julius am linken Ohr.

"Neh, sage ich nicht", brachte Julius hervor und bugsierte sich und Millie durch das magische Tor. Sofort roch es nach Salzwasser. Sand gab unter seinen Füßen nach. Rauschend rollten die Wellen heran. Vor ihnen lag das Meer, die Wiege des irdischen Lebens.

"Was führen Sie denn jetzt auf?!" Rief Madame Faucon Julius und Millie zu. Julius streckte sich so gut er konnte und erwiderte laut:

"Meine Frau wollte allen Gerüchten entgegenwirken, ich könne nur Mademoiselle Corinne Duisenberg auf meinen Schultern tragen, Madame Faucon!"

"Gut, dieses Vorhaben ist Ihnen beiden sicherlich geglückt. Bitte lassen Sie Madame Latierre wieder auf die eigenen Füße kommen!Walpurgis ist vorbei!" Rief die Schulleiterin zurück. Sie wirkte jedoch nicht verärgert oder verbittert. Denn sie mußte lächeln. Julius ging in die Hocke und fühlte seine Beine zittern. Millie ließ sich von seinen Schultern herabgleiten. Sie hieb ihm kräftig auf die Schultern und sagte, daß er stark genug für sie sei. Dann ging es in die Umkleidekabinen.

Nach einer ausgiebigen Zeit im noch ziemlich kalten Wasser versammelten sich alle, die nur so am Strand sitzen wollten auf Handtüchern oder Sitzbänken. Corinne kam zu Millie und Julius herüber.

"Hat dich nicht schlafen lassen, wie?" Fragte die Saalsprecherin der Blauen die der Roten.

"Ich muß schon wissen, ob mein Mann mich zur Not noch irgendwo hintragen kann", entgegnete Millie erheitert.

"Euer Cyril ist in den letzten Tagen so angespannt. Kriegt Professeur Fixus das nicht mit?" Fragte Corinne Millie. Diese erwiderte, daß der Junge aus den Staaten wohl merke, daß er hier nicht im Spaziergang die Jahresendprüfung schaffen mochte. Corinne meinte, daß es was anderes sei. Aber zum einen sei sie dafür nicht zuständig und zum anderen nicht sicher, was es war. Millie fragte sie dann, warum sie ihr das dann sage und nicht Apollo.

"Weil Apollo sofort auf Abwehr macht, wenn jemand was wegen eurer Jungs sagt. Der will das selbst klären, was mit denen ist oder nicht. Da soll dem keiner reinquatschen", erwiderte Corinne. "Aber wenn der irgendwas hat, und der macht was außerhalb vom roten Saal, kann ich das auch weitergeben. Das darfst du Apollo bestellen", entgegnete Corinne. Dann meinte sie noch, daß sie vom roten Tisch her auch irgendwie sowas wie Verunsicherung fühle, die nichts mit dem üblichen Prüfungsstreß zu tun habe. Millie vermutete, daß es sicher die waren, die nicht wußten, ob ihre Freundinnen sie auf den Besen rufen könnten, beziehungsweise ihre Freunde kämen, wenn sie auf den Besen herumflögen und nach ihnen riefen. Corinne nickte sehr verhalten. Dann sagte sie nur noch:

"Na ja, ich gehe mal wieder zu Patrice und den anderen. Die wollen gleich gegen die Gelben eine Staffel schwimmen. Ich glaube, Sandrine und ihre Kameraden brauchen eine Bestätigung, daß sie im Sport doch noch was können."

"Céline hat Aufsicht?" Fragte Julius.

"Ja, also schön brav sein", erwiderte Corinneverschmitzt grinsend und zog ab.

"Deren Art kommt mir irgendwie bekannt vor", raunte Millie. Julius konnte nur mit einem "Ach neh, wirklich?" darauf antworten. Dann mußten beide lachen.

Am Nachmittag hatte dann Millie Strandaufsicht. Zwar probierten ihre beiden Cousinen aus, ob sie unter ihren Augen Unfug treiben konnten, indem sie Mitschüler, die weder Brosche noch Armband trugen durchs Wasser zogen, länger als eine Minute tauchten oder bis an die Grenze des einsehbaren Meeresabschnittes hinausschwammen. Millie holte beide einmal mit einem beachtlichen Einholzauber zurück an den Strand und fragte sie, ob sie das jetzt begriffen hatten und gab ihnen für ihre Fachsen zwanzig Strafpunkte mit.

Abends liefen Millie und Julius mehrmals um das Stadion herum. Als sie nach zwanzig Runden gut erwärmt ausliefen und auf Höhe des Stadioneingangs anhielten sagte Millie:

"Schon komisch. Wenn ich das Stadion sehe denke ich, ich käme im nächsten Jahr nicht mehr hierher. Dabei ist es noch ein ganzes Jahr bis dahin."

"Wir sind beide schon drauf, was nach Beauxbatons los ist, Millie. Ich kann mir im Moment auch nicht so recht vorstellen, wie das ist, wenn das hier für mich vorbei ist. Dabei wollte ich damals nur schnell wieder weg von hier."

"Das war damals die Sache mit dem Turnier und Cedric Diggory und weil sich alle um dich gesorgt haben und die hier in Beauxbatons dich so komisch angeguckt haben wegen deinem schwarzen Umhang", erwiderte Millie leise.

"Das und weil ich mich hier nicht wirklich wohlfühlen konnte. Ich verstand Barbara und Jeanne nicht, daß die so gerne wieder hier her wollten. Na gut, jetzt verstehe ich das irgendwie."

"Du kannst doch wiederkommen. Sieh dir Professeur Beaufort an!"

"Ich fürchte, das ist dann aber nicht dasselbe, Millie", erwiderte Julius. "Sicher, Professeur Delamontagne hat sich hier genial eingearbeitet. Wer nach Ostern erst hergekommen wäre hätte das nie gedacht, daß er erst dieses Schuljahr eingestiegen ist. Aber wie gesagt ist das für mich irgendwie nicht das selbe", sagte Julius.

"Aber bei Gloria kann ich mir das vorstellen, daß die in fünf oder zehn Jahren wieder in Hogwarts ist. Na ja, auch bei Bernie kann ich mir vorstellen, daß die wieder hier landet, wenngleich ich dann lieber keine Kinder haben möchte, die bei der lernen müssen", erwiderte Millie.

"Dann will ich hier auch nicht unterrichten, wenn Bernadette meine Kollegin sein soll", grummelte Julius. Er hatte es Bernadette bis heute nicht verzeihen wollen, was sie bei Claires Beerdigung zu ihm gesagt hatte. Zwar hatte er ihr das bei einer Saalsprecherkonferenz noch einmal um die Ohren gehauen. Doch richtig vergessen wollte er das nicht. Auch daß sie keine Probleme damit gehabt hatte, Millie Strafpunkte am laufenden Band zu verpassen, um sein Strafpunktekonto mit aufzufüllen wollte er nicht so locker abschütteln. Innerlich gönnte er es ihr, daß Millie und er im letzten Jahr die Spitzenposition der Schülerwertung erreicht hatten und daß sie gerade zwei Punkte über der Durchfallschwelle aus der Apparierprüfung gekommen war.

Gérard lief im leichten Trab auf das Stadion zu. Als er Millie und Julius sah legte er noch einen Schritt zu und bremste erst auf Julius' Höhe.

"Schön, euch habe ich gefunden. Kann einer von euch bitte nachfragen, wo Sandrine ist? Die geht mir heute andauernd aus dem Weg. Ich habe der nichts getan, was ihr 'nen Grund dazu gibt."

"Dann dürfen wir die auch nicht fragen, Gérard", antwortete Julius mit abbittendem Gesichtsausdruck. "Wir dürfen unsere Armbänder nur benutzen, um uns miteinander zu verabreden oder kurze Botschaften auszutauschen, aber nicht, um jemanden zu einem von uns hinzuführen. Den Ärger möchte ich nicht mit Madame Rossignol kriegen."

"Dachte mir schon sowas. Wäre auch zu schön gewesen", grummelte Gérard.

"Die kriegt sich schon wieder ein, wenn sie dich auf den Besen holen will", sagte Millie dazu nur.

"na toll, nächstes Jahr erst", grummelte Gérard und winkte den beiden zu. Dann ging er davon. Julius rieb sich die Ohren. Hatte Gérard gerade "nächstes Jahr erst" gesagt? Er fragte Millie. Diese bestätigte, daß sie das auch so gehört hatte. Dann erkannte Julius, was Sandrine vorhatte. Das war wohl die letzte Phase ihres psychologischen Feldzuges, um Gérard zu erobern. Die meisten Hexen flogen zwei Wochen vor den Abschlußprüfungen los, um die Zauberer ihrer Wahl auf ihre Besen zu rufen. Das war aber erst in einer bis anderthalb Wochen. So beschloß Julius, sich bis dahin rauszuhalten. Falls Gérard nicht auf Sandrines Anruf hören wollte, wenn sie ihn dieses Jahr schon auf den Besen holen wollte, dann hatte sie eben zu hoch gepokert. Ob Gérard und sie dann im nächsten Jahr noch was miteinander zu tun haben wollten wußte Julius nicht. Das mochte für ihn als Saalsprecher wie als Pflegehelfer eine ungemütliche Sache werden. Aber im Moment ging er davon aus, daß Sandrine ihr Spiel gewinnen würde und den größten Schnatz ihres Lebens fangen mochte. Ob sie dann glücklicher würde als ohne Gérard? Die Frage könnte er sich dann aber auch stellen, ob er ohne Millie glücklicher geworden wäre. Die einzige Antwort war, daß dies nur dann so geworden wäre, wenn er Claire nicht wegen dieser Morgensternbruderschaft aus ihrem Körper getrieben hätte. Dann wäre überhaupt vieles ganz anders gelaufen, dachte er. Doch hier und jetzt war er glücklich, jemanden wie Mildrid an der Seite zu haben. Auch wenn sie alle freier atmen konnten und die Angst vor dunklen Machenschaften stark zurückgegangen war konnte er nie wissen, wann es wieder nötig sein würde, eine so entschlossene wie verlässliche Partnerin zu haben.

"War echt mutig, dem zu sagen, daß du nicht für ihn den Laufburschen machen willst, Julius", meinte Millie nach einer Minute bedächtiger Ruhe. Julius fragte, weshalb das mutig sein sollte. "Du mußt mit Gérard und Sandrine noch ein ganzes Jahr klarkommen. Sandrine wohnt in Millemerveilles. Sicher hättest du für sie sprechen können und Gérard bestellen können, er solle ihr sagen, daß sie ihn jederzeit auf den Besen holen könnte. Daß du das nicht getan hast könnte dir von ihr und ihm Frust einbrocken. Aber ich denke, die zwei sind zu lange zusammen. Gérard mag es halt nur nicht, wenn ein Mädchen ihm zeigt, daß es weiß, wohin es ihn haben will."

"Das glaube ich dir jetzt ganz unbestritten", erwiderte Julius darauf mit einer hörbaren Spur Verdrossenheit.

"Der ganze Knatsch mit meinen Cousinen oder was immer Sandrine jetzt da laufen hat passiert doch nur, weil Gérard Angst hat, sich vor euch anderen Jungs zu klein und herumgeschupst zu fühlen."

"Hängen die mir ja auch andauernd an. Du hast das ja auch mal erwähnt. Stimmt ja auch, daß es genug Leute gibt, die mich rumschupsen wollen, weil sie meinen, mich in eine ihnen richtig erscheinende Richtung zu kriegen."

"Was irgendwie dann auch hilft, dich zu entscheiden. Denn egal was du machst. Der eine wird dich dafür loben und der andere dafür anmaulen", erwiderte Millie darauf. Dann blickte sie zum Himmel. Die Sonne ließ den Himmel in immer stärkeren Rottönen erglühen. Ihr oberer Rand lugte gerade noch über den Horizont. Julius fand es immer wieder faszinierend, dieses tägliche Naturschauspiel zu betrachten. Die sonne tauchte am Morgen im Osten auf, zog ihre Bahn und tauchte abends im Westen unter. Das hatte sie schon zur Zeit der Dinosaurier getan, wie zur Zeit von Altaxarroi, den Pharaonen, den Römern und Sir Francis Drake. Auch wenn die Sonne selbst nicht wirklich verschwand, sondern die um sie kreisende Erde sich nur mal mit der einen und dann mit der anderen Hälfte zu ihr hindrehte war es doch eine bleibende Größe. Sonne und Mond würden auch in den nächsten Jahrmillionen auf die Erdoberfläche scheinen. Da mochte der Mensch schon längst vergangen und vergessen sein. Doch für ihn, den jungen Zauberer Julius Latierre, ging nur ein weiterer Tag seines Lebens zu Ende. Morgen war wieder Schule.

 

__________

 

Die Woche nach dem Endspiel verstrich mit den letzten neuen Unterrichtsthemen vor den Prüfungen. Sandrine hatte sich darauf festgelegt, Gérard gegenüber wie ein Eisberg aufzutreten. Julius sah es immer wieder, wie Gérard versuchte, sich mit seiner Freundin zu unterhalten und die ihm immer die kalte Schulter zeigte, ja sogar eine harmlose Berührung mit einer unverkennbaren Abwehrbewegung abschüttelte. Sollte Julius dem Kameraden sagen, was Sandrine vorhatte? Doch dann fiel ihm ein, daß es nur dann seine Sache war, wenn Gérard vor lauter Frustration nicht mehr wußte, wie er durch die Unterrichtsstunden kam. Als Julius nach dem anspruchsvollen Duelltraining froh, noch unversehrt zu sein ins Bett fiel vernahm er Millies Gedankenstimme, die irgendwie belustigt wie erstaunt klang. "Monju, bist du alleine?" Julius drückte seine Hälfte des gemeinsamen Schmuckstückes auf die Stirn und dachte zurück:

"Ja, ich liege im Bett und habe den Vorhang zugezogen. Ist was passiert?"

"Bernie hat Val eine runtergehauen, weil sie Cyril oben und unten hat anfassen lassen. Valentine hätte Bernie dafür fast einen Kinnhaken verpaßt, wenn ich nicht dazwischengegangen wäre. Ich habe Cyril und Val dann fünfzig Strafpunkte gegeben, weil sie vor anderen Leuten so private Abtastspielchen betrieben haben. Val hat mich deshalb blöd angeglubscht und gemeint, daß ich gerade die richtige wäre, sie für sowas abzustrafen. Da habe ich ihr gesagt, daß Tine mich damals wegen eines Kusses heftiger mit Strafpunkten vollgekleistert hat und ich wegen dem eben auch locker zweihundert Strafpunkte draufhauen könnte. Bernadette hat Valentine dann ganz offen gefragt, wie viele Galleonen sie von Cyril dafür bekommen hätte, daß er ihr an ihre ganz eigenen Sachen drangegangen ist. Darauf meinte Valentine, daß sie für sowas schönes kein Geld nehme und Bernadette das nur nicht vertragen könne, weil sie ihre ganz eigenen Sachen ja offenbar mit einem dauerhaften Unterkühlungszauber vereist habe, um bloß nicht dran erinnert zu werden, daß sie nicht nur ein übertourtes Strebergehirn habe. Da wollte Bernie der glatt wieder eine reinhauen. Ich bin dann richtig dazwischengegangen und habe die beiden Kampfkatzen auseinandergetrieben. So blöd waren die nicht, mir aus Versehen eine zu scheuern, um jede noch sechshundert Strafpunkte zu kassieren. Bernie ist dann ziemlich verstört abgezogen. Ich hatte irgendwie den Eindruck, daß die meint, Cyril gehöre jetzt zu ihr, weil der mit ihr die Walpurgisnacht auf dem Besen gesessen hat. Wundere mich auch, daß Cyril jetzt wieder anfängt, andere Mädchen anzugrabschen. Ich habe den dann gefragt, ob ihm das die Strafpunkte wert war. Der meinte dann zu mir, daß ich das gerade sagen müsse, wo ich mit dir doch sicher schon wesentlich weitergekommen sei. Da habe ich dem gesagt, daß es einen himmelweiten Unterschied mache, ob sich ein verheiratetes Paar an ganz private Sachen faßt oder mehr damit anstellt und ich zum zweiten eben wegen Tines überzogener Strafe damals aufpasse, von keinem Mitschüler bei sowas gesehen zu werden und daß das eben ganz private Sachen seien. Dann wollte ich von ihm wissen, ob er mit Bernadette was abgemacht habe, weil sie so überheftig drauf angesprungen ist, wo die anderen Mädchen Val nur verächtlich angeguckt haben und die Jungen blöd gegrinst haben. Er meinte dann, ihm sei es egal, wie viele Strafpunkte er kriege, weil er in einem Monat eh wieder nach Amerika zurückreise. Da habe ich Apollo hergewunken und den fragen lassen, was Cyril sich dabei denke, wo er gerade sei. Der hat Cyril wegen der ziemlich privaten Anrührerei von Valentine noch einmal fünfzig Strafpunkte gegeben und ihm bis zu den Prüfungen Putzdienst verpaßt. Könnte also morgen bei der SSK auf den Tisch kommen."

"Klar, Cyril ist mit den Gedanken schon wieder in Thorntails, wo er sich sowas garantiert nicht rausnehmen darf", schickte Julius zurück. Er empfand bei Millies Bericht eine gewisse Begierde. Doch die mußte er bis zu den Ferien niederhalten.

"Apollo hat dem klargemacht, daß er wegen sowas auch vor den Prüfungen schon nach Hause geschickt werden könnte und er jetzt gewarnt sei. Das hat Cyril wohl kapiert. Valentine trainiert wirklich schon auf Goldröschen. Aber daß die so offen zuläßt, daß Cyril die anfaßt, wo alle zusehen können ist schon krass."

"Womöglich hat sie es nötiger als wir zwei zusammen", erwiderte Julius darauf.

"Hmm, dann sollten wir besser aufpassen, daß Cyril und die sich nicht irgendwo heimlich treffen und das durchziehen, was die uns zweien hier verboten haben, solange wir nicht im Ehegattenzimmer schlafen dürfen."

"Schick sie doch zu Madame Rossignol. Die soll nachsehen, ob Valentine noch V. I. positiv ist!" Schlug Julius vor.

"Hat Brunhilde wohl schon gemacht, als Valentine so anfing. Offenbar hat sie auch schon das erste Mal hinter sich gebracht, aber dann wohl in den Ferien. Wäre also nichts neues mehr für Madame Rossignol."

"Vielleicht will Cyril den Jungs hier wieder imponieren", gedankengrummelte Julius. "Vielleicht sollte ich es Gérard vorschlagen, um Sandrine wieder für ihn empfänglich zu machen, zum Schein auf eine einzugehen."

"Suchst du Streit mit Sandrine?" Kam Millies verwunderte Frage zu ihm zurück. Julius verneinte es kategorisch.

"Wenn Sandrine meint, Gérard so hinhalten zu müssen soll die selbst gucken, was sie davon hat. Falls Gérard meint, sich deshalb wen anderen zu suchen kommt der da von alleine drauf." Julius bestätigte das. Millie erwähnte dann nur noch einmal, daß der Vorfall morgen bei der SSK erwähnt werden könnte, falls Apollo es darauf anlege.

"Wenn Professeur Fixus seine Gedanken auffängt und ihn fragt, ob er was besonderes zu melden habe rückt der wohl damit raus, allein schon, um nicht als einer durchzugehen, der sowas zuläßt. Der könnte dir bei der Gelegenheit auch noch einen reinwürgen, daß du mit deinen Strafpunkten großzügig warst."

"Ermessensspielraum, Monju. Könnte ihm dann vorwerfen, daß er nur noch mehr Strafpunkte draufgehauen hat, weil es ihn frustet, daß er sich mit Leonie sowas nicht rausnehmen darf und es deshalb nicht bei anderen haben will. Könnte mir zwar giftige Blicke von Leonie einbringen, aber darauf lasse ich's ankommen."

"Dann bis morgen", schickte Julius zurück. Millie wünschte ihm auch eine gute Nacht.

 

__________

 

Apollo erwähnte den Zwischenfall mit Valentine Devereaux, Cyril und Bernadette und erwähnte, daß er noch einmal fünfzig Strafpunkte an Cyril hatte ausgeben müssen, weil der offenbar denke, so kurz vor dem Ende des Austauschjahres all die Sachen anstellen zu dürfen, die ihm weder in Thorntails noch in Beauxbatons erlaubt waren. Millie wurde gefragt, warum sie nur fünfzig Strafpunkte vergeben hatte. Sie sagte daraufhin:

"Wenn ich mitbekommen hätte, daß Valentine Cyril dazu überredet hätte, sie anzurühren, hätte ich ihr sicher hundert Strafpunkte gegeben. So mußte ich davon ausgehen, daß sie beide das wollten. Es ist ein Unterschied, ob ich etwas gezielt anstelle oder etwas nur zulasse." Madame Faucon funkelte Millie dafür zwar an. Doch Professeur Fixus nickte. Dann sagte die Schulleiterin:

"Auch wenn ich Ihre gewisse Toleranz zur Kenntnis nehmen muß, Madame Latierre, so bitte ich mir ab heute aus, daß Sie nicht nur mit gutem Beispiel vorangehen, was intime Annäherungen angeht, sondern jede unstatthafte Berührung mit unerbittlicher Härte bestrafen, ob sie einvernehmlich oder unerbeten stattfindet. Die gewissen Aktivitäten Mademoiselle Devereaux' waren ja früher schon Thema in den Saalsprecherkonferenzen. Ich erteile Ihnen hiermit die unmißverständliche Anweisung, Mademoiselle Devereaux nichts mehr durchgehen zu lassen, was den Eindruck erweckt, sie sei für alles zu haben!" Millie nickte nur. Zumindest bekam sie dafür keine Strafpunkte. Denn die hätte dann auch Julius abbekommen. Noch galt die Vereinbarung, daß sie beide die Zahl der Bonus- und Strafpunkte bekamen, die einer von ihnen erhielt. Sandrine warf dann noch ein, daß Bernadette offenbar selbst noch denke, sie sei Saalsprecherin. Corinne bat ums Wort und sagte:

"Ich denke, Bernadette ist eher eifersüchtig auf Valentine, weil die was anstellt, was sie selbst sich verbittet."

"Ich denke, Eifersucht trifft es", sagte Leonie. "Ich habe die Sache gestern nicht ganz mitbekommen. Aber Bernadette sah so aus, als habe sie Angst, Valentine wolle ihr Cyril wegnehmen oder sei wütend, weil Cyril sich nicht mehr so zurückhält wie zwischen Weihnachten und Ostern."

"Schon eine seltsame Sache, wo Cyril vor Weihnachten jeder Junghexe älter als vierzehn nachgelaufen ist", erwähnte Apollo. "Zwischen Weihnachten und Ostern hat der sich wirklich sehr zurückgehalten. Na ja, kann an der Jahreszeit liegen. Soll ja so sein, daß der Frühling besonders anregend ist."

"Hört hört!" Stieß Belisama Lagrange darauf hin aus, wofür sie sich von Leonie einen sehr verdrossenen Blick einfing.

"Wie dem auch sei, die Herrschaften. Stellen Sie alle in Zukunft unmißverständlich klar, daß die körperliche Privatsphäre zwischen Schülerinnen und Schülern zu achten ist und jede wie immer motivierte, rein körperliche Annäherung in diesen Mauern nicht erlaubt ist. Ich setze für derartige Übergriffe eine Minndestzahl von einhundert Strafpunkten fest, plus fünfzig für den, der die Handlung erbeten hat. Damit ist dieses leidige Thema hoffentlich zur Genüge erörtert", erwiderte Madame Faucon unerbittlich streng. Die Saalsprecher nickten. "Ach ja, und weil Monsieur Southerland offenbar der höchst merkwürdigen Ansicht nachhängt, ihm könne nicht mehr viel passieren, wo er in anderthalb Monaten das Austauschjahr beendet bitte ich Sie, Monsieur Arbrenoir, ihm von mir eine wohlgemeinte Ermahnung zukommen zu lassen. Das Austauschjahr ist erst vorbei, wenn er die hier anfallenden Prüfungen absolviert hat und mit Ihnen allen im Ausgangskreis in die Sommerferien eintritt. Bis zu dieser letzten Sekunde unterliegt er wie Sie alle den in Beauxbatons gültigen Regeln. Hält er sich nicht an diese oder hegt die für ihn schädliche Ansicht, sie seien für ihn nicht bindend, so werde ich in dem von Prinzipalin Wright von der Thorntails-Akademie erwarteten Abschlußbericht über sein Austauschjahr hineinschreiben, daß ihm eine Wiederholung der gerade besuchten Klassenstufe empfohlen wird, da er das Jahr bei uns offenbar als verlängerten Auslandsurlaub ansah, sofern ich nicht vorher gezwungen bin, ihn wie jeden anderen extrem regelbrüchigen Schüler der Akademie zu verweisen, was für ihn dann heißt, daß er auch nicht mehr nach Thorntails zurückkehren darf. Die Übereinkunft zwischen den magischen Lehranstalten sagt eindeutig, daß ein Austauschschüler, der wegen wiederholter oder unverzeihlicher Regelverstöße der Gastlehranstalt verwiesen wird, damit auch vom Unterricht seiner ursprünglichen Lehranstalt ausgeschlossen wird. Ich schreibe Ihnen das am besten auf, damit er erkennt, daß Sie ihm da nicht eine leere Drohung entgegenhalten."

"Ich kann die beiden auch noch einmal einbestellen, Madame Faucon", schlug Professeur Fixus vor, die nicht nur stellvertretende Schulleiterin sondern vor allem Saalvorsteherin der Roten war. Madame Faucon schüttelte den Kopf und verwies darauf, daß die Saalsprecher ihre Anweisung schon durchführen würden.

"Also, wenn Val und der Yankee Apollos und unsere Bonuspunktekonten vermurksen kriegen die beiden aber noch mal richtig ärger", knurrte Millie, als sie mit Julius noch ein paar Minuten frische Luft genoß, bevor sie zum magischen Hauswirtschaftskurs gingen.

"Ich werde aus Bernies verhalten nicht schlau, Millie. Warum hat sie so heftig reagiert?" Fragte Julius. "Man könnte ja echt denken, Cyril hätte ihr gesagt, sie sei die einzige, die er je haben wolle."

"Du meinst, die war eifersüchtig auf Valentine und entsprechend sauer auf Cyril, weil der jetzt ein anderes Mädel als sie angepackt hat? Der Gedanke will mir auch nicht richtig aus dem Kopf. Aber kannst du dir echt vorstellen, daß Bernadette sich mit einem zwei Jahre jüngeren Schüler einläßt, der eh nur für ein Jahr hierbleiben wollte? Abgesehen davon hat sie sich nach Hercules doch fest vorgenommen, ohne festen Freund bis zu den UTZs durchzuackern und uns zwei so abfällig angeglotzt."

"Hmm, womöglich hat sich in ihr was aufgestaut", seufzte Julius, dem irgendwie unwohl wurde. Ihm war so, als erlebe er etwas, daß er schon einmal miterlebt hatte. Im Moment weigerte sich sein Bewußtsein zwar noch, einen Vergleich mit früheren Erlebnissen zu ziehen. Doch er fühlte, daß etwas im Gang war, das er bereits einmal miterlebt hatte.

"Geht's dir nicht gut, Julius?" Fragte Millie. Natürlich hatte sie sein Unbehagen über die Herzanhängerverbindung mitbekommen.

"Ich mußte gerade daran denken, was deine Tante Béatrice, Antoinette Eauvive und Aurora Dawn gesagt haben, als Claire nicht mehr da war, Millie. Sie haben mir erzählt, daß wer sich auf eine enge Bindung eingelassen habe und diese gewaltsam getrennt wurde, irgendwann von seinen Gefühlen überrollt werden kann, wenn er oder sie nicht zusieht, Ersatz zu finden."

"Soso, hat unsere Tante Béatrice das gesagt", schnarrte Millie. Dann mußte sie grinsen. "Du hast es ja hinbekommen, nicht bis zu den UTZs warten zu müssen. Denkst du, Bernadette hat so'n Problem gehabt, weil sie gemeint hat, ihre ganzen Bedürfnisse unterdrücken zu müssen?"

"Sowas in der Richtung", erwiderte Julius. Er hoffte, daß Millie nicht merkte, daß er ihr verschwieg, woran er wirklich dachte. Ehrgeiz, verleugnete und dann um so heftiger durchgebrochene Begierden. Konnte es das echt gewesen sein?

"Da Bernadette in deinem Zuständigkeitsbereich wohnt möchte ich dir nur vorschlagen, daß du drauf achtest, daß sie nicht total aus der Spur fliegt, falls Cyril ihr echt Hoffnungen gemacht hat, wenngleich ich genausowenig verstehe wie du, wie das überhaupt möglich war."

"Du meinst, ich soll noch mal mit ihr reden und das rausfinden?" Fragte Millie ihren Mann.

"Das kann ich dir nicht vorschreiben, wie du das machst, Millie", erwiderte Julius darauf. Seine Frau nickte jedoch zustimmend.

Im Kochkurs fragte Céline Sandrine, ob das mit Gérard jetzt aus und vorbei sei, weil Robert ihr andauernd erzähle, wie frustriert Gérard sei.

"Das muß er entscheiden, Céline", antwortete Sandrine schnippisch. "Nächste Woche samstag wissen wir es sicher", fügte sie noch hinzu. Céline wollte noch was fragen. Doch Sandrine schüttelte den Kopf und ging an ihren Platz an einem der Herde zurück, während Céline mit ihrer großen Schwester Constance an einer Bouillabaisse werkelte. Julius indes hatte mit seiner Frau endlich die Vollendung des Eintopfrezeptes seiner Urgroßmutter Hillary hinbekommen. Er war gespannt, wie das Gericht bei den Mitschülern ankam. Madame Faucon lächelte wenigstens sehr zufrieden.

"Sie haben es wahrlich hinbekommen, wie Ihre Mutter es meiner Schwester, meiner Tochter und mir einmal angerichtet hat", sagte die Schulleiterin, die alle zwei Wochen die Aufsicht in der Koch-AG führte.

Der Nachmittag gehörte wieder dem Strand. Laurentine führte die Aufsicht und behielt vor allem sich bildende Jungengruppen im Auge, die in Gabrielle Delacours Nähe herumschwammen. Julius nahm mit Robert, Gérard und Louis an einer 4-mal-100-Meter-Staffel teil, wobei er zuletzt antrat. Sie schwammen gegen die Jungen des roten Saales, zu denen Apollo, Horus, Theseus D'arragon und Boris Ruiter gehörten. Am Ende lief es auf ein Duell Apollo gegen Julius hinaus. Die Roten lagen mindestens dreißig Sekunden vorne. Doch Julius spielte die durch Schwermachertraining und Halbriesenblut gesteigerten Körperkräfte aus und zog soweit vor Apollo davon, daß er beim letzten Anschlag kzehn Sekunden Vorsprung für seine Mannschaft herausgeschwommen hatte.

"Läuft das schon unter Doping, was du kannst?" Fragte Louis anerkennend, als Julius aus dem Meer stieg und sich von seiner Frau ein Badetuch reichen ließ.

"Bei Olympia dürfte ich wohl nicht antreten", sagte Julius. "Ist so wie bei Obelix. Der durfte ja auch nicht bei Olympia antreten, nachdem das mit dem Zaubertrank rumgegangen ist."

"Ja, und Mirakulix und Asterix die Römer verladen haben, weil die meinten, den Zaubertrank schlucken und haushoch gewinnen zu können", erinnerte sich Louis. Millie grinste. Sie hatte sich von Julius verschiedene Geschichten aus der Muggelwelt erzählen lassen, in denen Zauberei und Zaubertränke vorkamen.

"Ich hab' auch einen Schwermacher. Und trotzdem hängst du mich so heftig ab wie Millies freche Basen", knurrte Apollo. "Aber gratulieren müssen wir euch doch", setzte er hinzu und beglückwünschte Julius und seine Staffel.

Cyril schlenderte mit breitem Grinsen über den Strand, als habe er heute was besonders schönes erlebt. Apollo nutzte die Gelegenheit, ihn am Strand zu sehen, um mit ihm abzuklären, was am Morgen in der SSK besprochen worden war. Millie und Julius standen nur zwanzig Meter entfernt und konnten Cyrils Antwort hören:

"Ist klar, daß Madame Faucon jetzt meint, ich dürfte hier keine mehr anfassen. Ich hab's kapiert, daß ich mich bei sowas nicht mehr erwischen lassen soll, Apollo."

"Abgesehen davon, daß du den Mädchen hier keinen Gefallen tust, wenn du sie zu sowas verleitest könnte deine Schulleiterin einen Brief kriegen, daß du vielleicht noch nicht reif genug bist, um das ZAG-Jahr zu machen", schwang Apollo die nächste Keule, die Madame Faucon ihm an die Hand gegeben hatte.

"Weil diese heiße Hexe Val mich angegrinst hat und gemeint hat, ich würde mich nicht trauen, ihr an ganz wichtige Sachen zu gehen? Die ist doch rattendoll auf Jungs. Wundert mich echt, daß die noch keinen Braten im Ofen hatte."

"Unabhängig davon, was Mädchen wie Valentine dazu verleitet, so kleine Jungs wie dich zu solchen Sachen zu verführen, mußt du auf sowas nicht eingehen, wenn du schon für erwachsen gelten willst", erwiderte Apollo Arbrenoir. Cyril grinste nur, sah Julius und Millie und meinte:

"Wo du die zwei da gerade in der Nähe hast: Kriegen die auch Strafpunkte, wenn die sich einen Gutenachtkuß geben?"

"So ist es vereinbart, und die zwei halten sich dran", erwiderte Apollo darauf. Cyril lachte nur darüber. Millie meinte dann:

"Val trainiert auf Wonnefee. Die läßt wohl jeden mal an ihren Dutteln fummeln oder an ihrer Vordertür anklopfen, ob man eintreten darf. Bilde dir also nichts drauf ein, daß die dich gestern an ihr rumspielen ließ."

"Nur kein Neid, weil sie dir und deinem großen Anhang sowas verboten haben!" Schnarrte Cyril. Millie blieb jedoch gelassen und sagte: "Wir können uns eben in den Ferien austoben. Deshalb sind wir ja schon verheiratet. Aber du bist noch nicht verheiratet, Cyril. Ich kenne eure Schulleiterin nicht gut genug, um das zu wissen, wie sie auf das mit Valentine eingeht. Wenn Madame Faucon dich aber wegen sowas rauswirft lassen die dich auch nicht mehr nach Thorntails rein." Apollo nickte bestätigend.

"Tja, die Ferien sind noch einige Wochen hin, Mildrid. Der arme Bursche da neben dir muß ja schmachten."

"Mach dir besser nicht meinen Kopf, der ist dir zu groß, Cyril", erwiderte Julius. Cyril lachte darüber.

"Ihr habt ja keinen Dunst, was ich alles hingekriegt habe", sagte er. Julius hätte fast gefragt, ob Cyril mit Bernadette geschlafen hatte. Doch gerade noch rechtzeitig fiel ihm ein, daß dies ein sehr übler Scherz auf Bernadettes Kosten war und fragte statt dessen:

"Wie, daß dein kleiner Bruder nur acht Monate nach deiner Geburt aus deiner Mutter gekrabbelt kam, Cyril?" Cyril sah ihn verächtlich an, während Apollo überlegte, was die Frage sollte und Millie grinste.

"Lustige Idee, Julius. Aber meine Schwester ist drei Jahre vor mir geboren worden und nach mir keiner mehr. Hätte gedacht, daß der Dorfklatsch das schon längst rumgereicht hat, was meine Familie so treibt."

"Treiben ist ein gutes Stichwort", erwiderte Julius. Apollo griff es ebenfalls auf und sagte:

"Genau, Cyril. Treib es nicht zu heftig, nur weil du meinst, wir könnten dir nichts mehr. Das heißt vor allem, respektiere deine Mitschüler und Mitschülerinnen!"

"Wie erwähnt habt ihr alle keinen Dunst, was ich schon hingekriegt habe. Ihr haltet mich alle für ein Großmaul. Aber ein paar von euch wissen es mittlerweile besser, und der Rest kann mir gestohlen bleiben." Mit diesen Worten lief Cyril zu den Umkleideräumen. Apollo wollte ihm schon nach, als er drei seiner Saalmitbewohner laut schreien und prusten hörte. Er warf sich herum. Auch die Latierres drehten sich in die Richtung, aus der der Lärm kam. Da sahen sie, wie Laurentine mit einem daumendicken, unter hohem Druck stehenden Wasserstrahl aus ihrem Zauberstab drei Siebtklässler der Roten voll im Schrittbereich erwischte. Julius erkannte Pierre Marceau in der Nähe der Jungen. Apollo lachte laut, als er zu den dreien hinüberlief.

"Jetzt wissen die überhitzten Typen, wie gut eure Laurentine den Aguamenti-Zauber kann", grinste Millie. Julius grinste auch.

"Die hat den mit Maximaldruck angeworfen und sicher Eiswasser beschworen. Wenn die an das kälteste dachte, was sie kennt - und ich gehe von flüssigem Stickstoff aus - dann haben die drei jetzt tiefgekühlte Familienjuwelen. Vielleicht sollten wir für diese Typen den Devoluptus-Zauber benutzen."

"Den dürfen nur Heiler oder Sicherheitszauberer", sagte Millie. Denn der Zauber war nicht ohne. Er unterdrückte zwar übermächtige Triebe, blockierte dadurch jedoch auch die nötigen Bedürfnisse wie Hunger, Durst und Harndrang. Deshalb durfte er nur eingesetzt werden, wenn jemand aus unbeherrschbarer Triebhaftigkeit versuchte, jemanden mit Gewalt zu nehmen.

"So macht man das mit rammeligen Rüden", schnarrte Laurentine. "Also laßt den Kleinen endlich in Ruhe!" Die drei von ihr wortwörtlich kalt abgeduschten Jungen trollten sich. Für sie war der Strandaufenthalt wohl erledigt.

"Die pullern jetzt Eiswürfel", feixte Apollo, als Laurentine ihm und den Latierres verraten hatte, daß sie wirklich knapp null grad kaltes Wasser auf die drei unbelehrbaren Jungen losgelassen hatte. Pierre erwähnte dann noch, daß die drei versucht hatten, ihn unter Wasser zu drücken, er sich aber mit gezielten Faustschlägen gewehrt habe.

Als die Abendessenszeit näherrückte leerte sich der Strand. Laurentine und die Latierres waren die letzten, die durch das Teleportal gingen. Die ehemalige Unterrichtsverweigerin schloß den magischen Durchgang zwischen Beauxbatons und dem Strand.

Am Abend stand Julius als Hausaufgabenbetreuung zur Verfügung, was Gérard sichtlich behagte. Denn seitdem Sandrine sich ihm gegenüber unnahbar gab tat er nur noch das, was unbedingt von ihm verlangt wurde. Julius erklärte den Erstklässlern die Unterschiede zwischen einfachem Schwebezauber und Fernlenkzaubern und führte ihnen die verschiedenen Lichtzauber vor. Jacqueline Richelieu ließ sich noch einmal die für die erste Klasse wichtigen Pinkenbachgesetze zur Bezauberung toter Materie erklären, während Babette sich noch einmal die genaue Abblockbewegung vormachen ließ, um niederstufige Flüche im Ansatz zu kontern.

Gegen zwölf Uhr lag er wieder im Bett und tauschte noch ein paar Gedanken mit seiner Frau aus.

"Apollo hat den drei Typen, die eure Laurentine abgekühlt hat hundert Strafpunkte wegen versuchter Körperverletzung aufgebrummt und mit Professeur Fixus ein Strandverbot bis Schuljahresende durchgedrückt. Damit treffen wir die nicht mehr da", teilte Millie mit.

"Ist wohl auch besser so. Die sollen es kapieren, daß Gabrielle Delacours Veela-Ausstrahlung keinen Angriff auf Mitschüler rechtfertigt."

"Cyril hat sich heute schön von Valentine ferngehalten. Der hat das also nicht so locker weggesteckt, was Apollo ihm gepredigt hat", gab Millie noch weiter.

"Der zählt sicher schon die Tage bis zum Schuljahresende runter", bemerkte Julius nur für seine Frau vernehmbar.

"Jetzt ganz sicher", schickte Millie zurück.

 

___________

 

Die neue woche lief an. Julius bekam mit, wie viele Mädchen miteinander tuschelten, aber immer dann schwiegen, wenn er in Hörweite kam. Er erinnerte sich, daß in der dritt- bis zweitletzten Woche vor den Prüfungen die volljährigen Hexen ihre ebenfalls volljährigen oder in den nächsten zwei Monaten volljährig werdenden Freunde auf die Besen riefen. Nicht alle taten dies. Doch wer es tat und Erfolg hatte würde in den großen Ferien vor einem Zeremonienmagier antreten. Millie verriet Julius, daß Cyril nur zwei Tage nach Apollos Ermahnung mit einer von den Blauen geturtelt habe, bis Corinne ihm erzählt habe, daß auch "ihre Mädchen" kein Spielzeug für draufgängerische Jungzauberer seien. Irgendwie war das wohl auch bei Bernadette angekommen, die in den Tagen sichtlich erschöpft wirkte, als überanstrenge sie sich. Sicher, wenn sie die ZAGs mit Maximalpunktzahl wiederholen wollte strengte sie sich sicher mehr an als die anderen.

Am Mittwoch Nachmittag hörte Julius die Rufe vom Gelände her. Er lief mit Millie einige Runden um das Stadion, um vor der Alchemie-AG noch etwas Bewegung zu haben. Sie lauschten auf ihnen vertraute Namen, während über ihnen ein Dutzend Hexen auf ihren Besen herumschwirrte.

"Ich hätte meinen Besen rausholen und mit dir auch noch ein paar Runden fliegen sollen", sagte Millie, als sie Kameradinnen aus dem roten Saal sah, die wie die aus dem weißen, gelben, violetten, blauen und grünen Saal nach ihren festen Freunden riefen. Aus dem grünen Saal war nur Monique Lachaise unterwegs, die nach Reginald Boisrouge rief, einem Jungen aus dem violetten Saal. Millie wollte gerade den Mund aufmachen, um etwas zu sagen, als sie Sandrine: "Gérard Laplace, komm zu mir!" rufen hörten.

"Hups, ich dachte, die hätte Gérard abserviert", erwiderte Millie. "Sollte das in den letzten Wochen eine Aushungertaktik gewesen sein?"

"Hört sich wohl so an", erwiderte Julius, der es ganz genau wußte. Dann sahen sie Sandrine, die über ihnen hinwegflog und dabei suchend nach unten blickte.

"Sie will es jetzt wissen", sagte Millie anerkennend. "Wenn er jetzt zu ihr geht und sich auf den Besen heben läßt gibt's in Millemerveilles wieder eine Hochzeit."

"Jau, wo da auch die Weltmeisterschaft ist", erwiderte Julius. Dann hörten sie beide ein lautes, fast schon fflehend klingendes: "Hier, Sandrine! Ich bin hier!" Sofort sahen sich die beiden um und sahen Gérard, der mit langen Schritten über den Vorhof des Palastes rannte und genau auf eine Wiese zuhielt, auf die Sandrine gerade hinuntersank. Er winkte mit beiden Armen und lief auf den sich nähernden Besen zu. Dann warf er sich herum und verharrte auf der Stelle. Sandrine glitt in gerade einem Meter Höhe auf ihn zu, bog ihre Beine nach hinten, schob ihren Unterkörper weiter zum Schweif hin und drückte den Besen mit der Spitze nach unten, wobei sie durch eine kurze Rüttelbewegung sicherstellte, daß der Stiel genau zwischen Gérards leicht gespreitzten Beinen hindurchglitt. Dann warf sie sich nach hinten, fing Gérard mit dem linken Arm ein und zog ihn an sich, während der Besen im 80-Grad-Winkel nach oben schoß. Erst über fünfzig Meter über dem Gelände pendelte sie den Besen wieder in die Waagerechte aus und begann, große Kreise zu fliegen, die das gesamte Gelände überstrichen.

"Hat der nicht gesagt, er wolle noch ein Jahr warten?" Fragte Millie mit gewisser Belustigung.

"Du hast es doch mitgekriegt, daß er lieber schon gestern auf Sandrines Besen gerutscht wäre", erwiderte Julius, dem ein Stein vom Herzen fiel, daß dieses Hinhaltespiel endlich zu Ende war. Sicher hatte Sandrine viel riskiert. Mochte sie mit dem, was sie nun gewonnen hatte glücklich werden!

Nicht jede Hexe, die ihren Auserwählten rief konnte ihn auch aufgabeln. Zu ihnen gehörte auch Monique Lachaise, die lange suchte und rief. Doch Reginald Boisrouge ließ sich weder blicken noch auf ihren Besen heben.

"Tja, nicht jeder will gleich nach Beaux verheiratet sein", sagte Julius dazu nur.

"Tja, aber wir gehen hier mit einem süßen kleinen Bündel Leben ab, was die anderen noch vor sich haben", antwortete Millie.

"Da würde ich bloß nicht drauf wetten, daß Sandrine, wo sie Gérard jetzt sichtbar gesichert hat nicht im nächsten Frühling auch schon wen neues in der Welt begrüßt", erwiderte Julius darauf.

"Nur wenn Gérard ihr das erlaubt", gab Millie zurück. Julius nickte. Anders als sie und er hatte Gérard keine Verpflichtung übernommen, im nächsten Jahr ein Kind zu zeugen. Jedenfalls freute er sich für Sandrine und Gérard. Der konnte nun das Haus seines Großvaters beziehen, sofern Sandrine nicht darauf bestand, mit ihm in Millemerveilles zu bleiben. Aber das würde er ganz sicher mitbekommen, wenn der Zeremonienmagier erst die goldenen Vermählungsfunken über die beiden versprüht hatte. Als Sandrine mit ihrem Auserwählten über das Stadion hinwegsegelte sah sie wohl Millies in der Sonne feurig widerscheinenden Haarschopf und ging in den Sinkflug. Sie winkte den Latierres, die zurückwinkten. Gérard strahlte über das ganze Gesicht und winkte mit einer Hand. Sandrine flog vier Ovale aus und nahm Kurs auf den Platz vor dem Portal, wo bereits andere Hexen mit ihren erfolgreich umworbenen gelandet waren. Madame Faucon stand an der rechten Vordersäule des weit offenen Eingangsportals und begutachtete die Gespanne, die gebildeten Paare. Millie umarmte Julius kurz und sagte:

"Dann bleiben wir nicht das einzige Ehepaar in Beauxbatons, Monju!"

"Und das stört dich nicht?" Fragte Julius zurück.

"Sollte es das? Nur, wenn du mich so fies alleingelassen hättest wie euer Mogel-Eddie Tine müßte ich mich ärgern. Aber das ist ja nicht passiert." Sie umarmte Julius, als sie sicher war, daß niemand sie beide beobachtete. Dann ging sie in einem Meter Abstand neben ihm zum Palast zurück.

Julius gratulierte Gérard beim Abendessen. Robert feixte, daß Gérard schon mal bei Madame Rossignol einen Säuglingspflegekurs beantragen sollte. Gérard meinte, daß Sandrine und er noch ein Jahr mit dem Nachwuchs warten würden. Aber sie habe ihn jetzt schon auf den Besen gerufen, weil sie wollte, daß sie gleich im Sommer ein neues Zuhause beziehen konnten.

"Dann müßt ihr aber getrennte Schlafzimmer haben, weil der Regenbogenvogel sonst meint, ihr würdet den rufen, wenn einer von euch beiden zu laut schnarcht."

"Du bist nur eifersüchtig, daß Céline dich nicht auch gleich aufgegabelt hat, Robert", grummelte Gérard. Julius konnte das nicht ganz abstreiten, während Robert sagte:

"Ich eifersüchtig?! Wenn Céline mich auf den Besen holt und dieser Laroche oder ein anderer Zeremonienzauberer die Funken über uns versprüht will Céline bestimmt sofort Cytheras Cousinchen bestellen. Da kann ich echt noch ein oder zwei Jahre warten."

"Nur eins, Robert. Wenn Céline dich nächstes Jahr aufgabelt darfst du den Schnullerkurs machen, Monsieur Dornier."

"Ich komm drauf zurück, wenn der erste Braten aus Sandrines Ofen gerutscht ist, Monsieur Dumas", knurrte Robert. Doch Gérard grinste darüber nur.

 

__________

 

Das Klima zwischen denen, die sich öffentlich zueinander bekannt hatten und denen, bei denen die Jungen den Ruf auf den Besen überhört hatten oder schlicht nicht befolgen wollten machte den Saalsprecherinnen und Saalsprechern weitere Arbeit. Céline und Laurentine mußten immer wieder auf Monique Lachaise einreden, die ihren Auserwählten auf dem Pausenhof mit wütenden Blicken und Gesten bedachte. Sandrine wurde von ihren Klassenkameradinnen teils bejubelt teils beneidet. Denn auch im gelben Saal gab es Mädchen, die ihre Auserwählten nicht auf ihre Besen hatten locken können. Julius mußte weiterhin auf die größeren Jungen achten, die wegen Gabrielles immer stärker durchschlagender Veela-Ausstrahlung umschlichen und Pierre als unliebsamen, scheinbar leicht zu verdrängenden Konkurrenten behandelten, der immer noch mit dieser immer attraktiver werdenden Junghexe ging. Julius fragte sich ernsthaft, ob Gabrielle nicht doch irgendwann darauf verfallen mochte, größere Jungen anzuhimmeln und Pierre dann in ein heftiges Gefühlsloch stürzen würde. Mindestens sollte er sich auf diesen Fall vorbereiten.

Cyril wirkte angespannt, ja abgekämpft, wenn er morgens beim Frühstück saß. Offenbar merkte der jetzt doch, wo er hier war und daß er hier keinen verlängerten Urlaub verbrachte. Dazu mochte noch der von Apollo aufgebrummte Putzdienst kommen, der ohne Zauberei abzuleisten war. Auch die anderen, die vor wichtigen Prüfungen standen wirkten angespannt und teilweise übernächtigt. Vor allem die Violetten, schulweit als ehrgeizig und perfektionistisch bekannt, zeigten deutliche Anzeichen von Überanstrengung und Prüfungsängsten. Julius stellte jedoch fest, daß Bernadette sichtlich gelöst an die weiteren Aufgaben heranging. Denn bei den Mahlzeiten wirkte sie ruhig, entspannt und selbstsicher. Ähnlich entspannt wirkten Josephine Marat und Sixtus Darodi. Offenbar gingen die beiden Pflegehelferkameraden davon aus, durch die Sonderübungen in der Truppe gut genug auf die ZAGs oder UTZs eingestimmt worden zu sein. Julius fühlte Millies gewisse Anspannung. Sie wollte wohl die anstehenden Jahresendprüfungen bestehen, auch wenn sie dabei Sonderaufgaben wegen der Übereinkunft mit Madame Faucon und den Saalvorstehern zu erwarten hatte. Robert überspielte seine Nervosität mit Sticheleien gegen Gérard, daß dieser besser schon wirkungsvolle Reinigungszauber und die magische Trage einüben sollte, wenn Sandrine ihn erst in einem gemeinsamen Schlafzimmer habe. Irgendwann platzte dem stellvertretenden Saalsprecher der Kragen, und er stopfte Roberts großen Mund mit genau einhundert Strafpunkten und teilte ihn für eine Woche zum Putzdienst ein. "Dann kriegst du raus, wie gut wir's haben, zaubern zu können", sagte Gérard dann noch.

André Deckers sah sich wegen des Walpurgisnachtfluges immer wieder der Hähme der Blauen ausgesetzt, bis Julius einem der Spötter sehr deutlich klarmachte, daß er auch Jungen aus anderen Sälen Strafpunkte geben konnte. André meinte dann zu ihm:

"Die glauben alle, ich hätte jetzt Gefallen an der kleinen, runden Duisenberg gefunden. In einem Monat ist die Kiste erledigt. Corinne weiß, daß ich nur der Feier wegen mit ihr auf dem Besen gesessen habe."

"Sie weiß das. Aber du kennst doch die Blauen. Die hängen einem immer gleich irgendwen als Partner an. Vielleicht hätten die behauptet, du stündest auf Jungs, wenn du Corinnes Einladung nicht angenommen hättest."

"Stimmt, hätten die glatt behaupten können", grummelte André.

Beim Mittagessen am Freitag konnten alle sehen, daß Professeur Fixus überaus verärgert dreinschaute. Immer wieder blickte sie zum Tisch der Roten hinüber und sah vor allem Cyril und Gaston an, die sichtlich angespannt dasaßen. Dann sprach sie immer wieder mit ihren Kollegen Dirkson, Bellart, und Delamontagne, die ihr verhalten zunickten. Offenbar war das, was die Zaubertranklehrerin wütend machte ansteckend. Denn Madame Faucon bekam während des Mittagessens auch einen immer zornigeren Gesichtsausdruck. Julius konzentrierte sich während des Essens auf Cyrils und Gastons Klassenkameraden. Diese wirkten im selben Maße belustigt, wie Cyril und Gaston angespannt wirkten. Er wußte, daß die Viertklässler der Roten mit denen der Grünen in der letzten Stunde vor dem Mittagessen Zaubertränke hatten. Also war da was passiert, was die Lehrerin ziemlich verärgert hatte. Aus gewisser Neugier fragte er nach dem Essen Archibald Lambert aus der vierten Klasse, was bei Zaubertränke passiert sei.

"Der Ami hat wohl gemeint, Fixie austricksen zu können. Offenbar hat der eine von Gastons alten Hausaufgaben aus der vierten abgeschrieben, mit Korrekturen von Fixie. Die hat das aber geblickt und Cyril dafür null Notenpunkte und vierzig Strafpunkte verpaßt. Gaston hat sie mit genausovielen Strafpunkten abgeschrubbt. Aber hallo! War die sauer!"

"Cyril hat eine alte Hausaufgabe von Gaston abgekupfert?" Fragte Julius ungläubig. "Ich dachte, der hätte sowas nicht nötig."

"Offenbar will der sich als supertoll darstellen, wenn er die höchsten Notenpunkte für die Hausaufgaben einfährt. Pech nur, daß Fixie wohl alle Hausaufgaben sammelt, die jemand gemacht hat, der noch in der Schule is'", grinste Archibald.

"Hmm, und Cyril war so dumm, Gastons Aufgabe wörtlich abzuschreiben?" Fragte Julius.

"Tja, offenbar, oder Professeur Fixus hat es ihm aus dem Kopf gehört, daß er gemogelt hat. Sollte Cyril doch langsam wissen, daß die sowas kann."

"Darf sie aber nicht gegen einen gebrauchen. Wenn die behauptet, er habe die Aufgabe abgekupfert muß sie das klar beweisen", erwiderte Julius. Archibald nickte.

"Hat sie ja auch erwähnt, daß sie Cyrils Hausaufgabe mit einer von Gaston verglichen und keinen Unterschied festgestellt hat. "Sie haben nur darauf geachtet, die damals von mir angemerkten Berichtigungen an die richtigen Stellen einzufügen, wobei Sie die Frechheit besaßen, mich wörtlich zu zitieren und dies als Ihre eigenen Gedankengänge hinzustellen", hat sie Cyril an den Kürbis geknallt. Dann hat sie noch gedroht, daß sie sich bei den Kollegen erkundigt, ob Cyril bei denen auch schon mit abgekupferten Aufgaben dumm aufgefallen ist."

"Das könnten die nur beweisen, wenn alle die Aufgaben von damals sammeln", erwiderte Julius darauf. Er fragte sich, wie viel Platz ein Lehrer brauchte, um hunderte von Hausaufgaben aufzubewahren. Professeur Fixus mochte durch ihre telepathische Begabung darauf gekommen sein, Cyrils Aufgabe mit einer von Gaston zu vergleichen. Aber die anderen Lehrer hatten bestimmt kein photographisches Gedächtnis, um eine derartig plumpe Mogelei sofort zu erkennen. Bei der ehemaligen Schulleiterin hätte Cyril entsprechend dumm auffallen können, wußte Julius. Denn die nun wieder Mademoiselle Maxime genannte Halbriesin besaß so ein perfektes Gedächtnis, daß sie Zeitungen in wenigen Sekunden auswendig lernen konnte.

"Dann wird Apollo sicher nachher noch von Professeur Fixus einbestellt", vermutete Julius. Archibald grinste darüber nur.

Millie hatte es auch erfahren, was in der Zaubertrankstunde der Viertklässler passiert war. "Offenbar hat Gaston irgendeine Schuld abbezahlen müssen. Zumindest klang das für mich so. Daß Cyril dann wortwörtlich abschreibt und damit auffällt hatten beide wohl nicht überlegt. Ich vermute, daß Cyril einen Scriptocopia-Zauber verwendet hat, um sich die Abschreiberei von Hand auch noch zu ersparen. Könnte dem jetzt passieren, daß verschiedene suprergute Aufgaben der letzten Woche nachträglich für ungenügend erklärt werden. Dürfte sich dann für die Jahresendnote düster auswirken, falls sie Cyril nicht gleich von den Jahresendprüfungen ausschließen, weil er die nötigen Vorarbeiten nicht selbst gemacht hat."

"Scriptocopia muß durch eigene Handschrift eingestimmt werden, weil ja sonst die Handschrift des Originalschreibers kopiert wird", wußte Julius. An und für sich war dieser Zauber als Schnellkopierzauber unnötig, weil es ja den Geminius und den Multiplicus-Zauber gab. Aber weil eben manche Leute versuchten, sich mit fremden Federn zu schmücken war Scriptocopia erfunden worden, wohl von einem Schüler, der bei den Arbeiten oder Hausaufgaben abschrieb. Allerdings konnte ein Lehrer dahinterkommen, wenn er oder sie argwöhnte, daß jemand mal eben Zeit gespart hatte und mit dem Scriptorvisus-Zauber nachprüfen, ob hier wirklich jemand mit der Hand geschrieben oder nur kopiert hatte. Erschien das räumliche Abbild des Verfassers klar umrissen und ohne Flackern, war der Text von ihm in vollständiger Handschrift aufgeschrieben worden. Flackerte das Abbild und verschwamm wie bei einem miserablen Fernsehempfang, deutete das auf einen Schriftkopierzauber hin, wenngleich der eigentliche Verfasser dadurch noch nicht ermittelt werden konnte. Daher schrieben die meisten, die sich bei den Hausaufgaben helfen ließen, die angebotenen Hilfstexte sicherheitshalber richtig ab, um nicht durch so einen Entlarvungszauber aufzufliegen. Bei Prüfungen petzte das verwendete Pergament schon, wenn an ihm herumgezaubert worden war.

"Könnte mir vorstellen, daß Cyril sich eingebildet hat, daß die hier nicht drauf kommen, wenn wer zwei Jahre alte Schularbeiten kopiert. Aber warum ausgerechnet die von Gaston, wo die zwei sich lange nicht mal mit dem Hinterteil angeguckt haben?"

"Weiß ich auch nicht, Julius", erwiderte Millie. "Ich kann da nur vermuten, daß Cyril Gaston dazu veranlaßt hat, ihm die Aufgabe zu machen. Vielleicht hatten die zwei eine Wette laufen, und Gaston mußte für Cyril Hausaufgaben mitmachen." Julius fuhr zusammen. Natürlich. Das und nichts anderes konnte es sein!

"Oha, das paßt, Millie. Wenn die beiden was gewettet haben und Gaston verloren hat, könnte das der Handel gewesen sein. Oh, dann dürfen sich die beiden aber ganz warm anziehen, sollte dieser Handel schon länger laufen. Außerdem ist die Frage zu klären, was genau gewettet wurde."

"Soll ich die Frage an Apollo weiterreichen, bevor der bei Professeur Fixus antreten muß?" Wollte Millie wissen.

"Neh, laß Professeur Fixus und Apollo da selbst drauf kommen, Millie. Ich bin ja für euch nicht zuständig."

"Ja, aber ich hänge da vielleicht mit drin, wenn das den ganzen roten Saal betrifft", knurrte Millie. "Nachher hat Cyril noch mit anderen so Dinger laufen, und unsere Saalwertung rutscht deshalb unter die von den Blauen ab." Das konnte Julius nicht abstreiten. So fragte er:

"Wie blöd muß Gaston sein, wenn er sich auf einen derartigen Handel einläßt? Wenn er deshalb andauernd Strafpunkte kassiert geht bei Madame Faucon irgendwann das rote Licht an, und die schickt ihn vor Schuljahresende nach Hause, allerdings ohne Zauberstab. Der ist auf Bewährung. Für so bescheuert habe ich Gaston bisher nicht gehalten, und habe immerhin bald drei Jahre mit dem im selben Schlafsaal gewohnt."

"Ja, wo der sich immer wieder mit Bernies Ex angelegt hat und dann noch groß drauf ausgegangen ist, Madame Maxime und Professeur Faucon dazu zu kriegen, Beauxbatons zu verlassen, weil Didier das so wollte. Also denke ich doch, daß der selten so gründlich nachdenkt, was er sich leisten kann, wie du das tust, Julius", erwiderte Millie. "Oder meinst du, der wäre dann bei uns reingekommen, wo der vorher bei euch Grünen gewohnt hat?" Julius mußte einräumen, daß seine Frau recht hatte. Doch sie schob schnell nach, daß dies aber nicht bedeute, daß nur unüberlegt handelnde Raufbolde in den roten Saal kämen, weil Bernadette und Martine dann ja garantiert nicht dort gelandet wären.

"Noch mal zurück auf die Vermutung, die abgekupferte Hausaufgabe sei eine von mehreren, die Spitze des Eisbergs, wie die Muggel sagen. Dann könnte Cyril Gaston richtig übel anmachen, weil Gaston ihn nicht gewarnt hat oder der ihn bewußt in eine Falle hat laufen lassen. In England sind Wettschulden ... Ehrenschulden", erwiderte Julius und erkannte, daß das nicht nur in England der Fall war. Denn während er das sagte trat ihm deutlich das Bild der jungen Blanche Rocher vor das Geistige Auge, wie sie in einem Mädchenbadezimmer von der jungen Ursuline Latierre und mehreren UTZ-Schülerinnen aus dem roten und Grünen Saal bedrängt wurde. Millie konnte es ihrem Mann ansehen, anhören und über die Herzanhängerverbindung direkt mitempfinden, wie ihm sichtlich unbehaglich wurde. Julius erkannte das und sagte rasch: "Da fällt mir ein, daß Oma Line und andere mich gewarnt haben, daß man sich nicht auf heftige Wetten einlassen soll. Vor allem mit Latierres sollte das besser nicht ablaufen. Also gilt das in Frankreich mit den Ehrenschulden auch hier.

"Noch könnte es nur eine Aufgabe sein, die Gaston für Cyril gefingert hat um zu sehen, ob das auffällt", warf Millie ein. Doch Julius spürte ihr gewisses Mißtrauen, weil er ihr wohl nicht alles sagte, was ihn umtrieb.

"Julius, warten wir die SSK ab", grummelte Millie, weil sie wußte, daß ihr Mann ihr nur die Sachen erzählte, die er für geeignet oder für wichtig genug hielt, daß sie davon erfuhr. Sicher dachte der an ein bestimmtes Erlebnis. Aber er würde es ihr nicht erzählen, wenn er fand, daß sie das nicht wissen mußte oder nicht wissen durfte. Das ärgerte sie ein wenig. Doch sie wußte auch, daß sie einen besonderen Jungzauberer ausgewählt hatte, der durch seine überragende Zauberkraft in haarsträubende Sachen hineingeschickt oder hineingezogen worden war. Sie gehörte zu den wenigen, die die meisten Erlebnisse von ihm kannte. Das hatte sie damals nicht abgeschreckt, ihn zu begehren und für sich zu begeistern und schreckte sie jetzt auch nicht ab.

"Ob Professeur Bellart dir heute auch Simultansachen aufgibt, um zu sehen, ob das bei dir auch schon geht?" Wechselte Julius das Thema.

"Ich kapier's, Julius, daß da irgendwas in dir umgeht, wovon du mir nichts sagen willst", schnaubte Millie. "Ich denke, Professeur Bellart wird mir da heute noch nichts entsprechendes abverlangen. Wohl erst wenn die Prüfungen rum sind. Dann bleiben nur Laurentine und du außer den Siebtklässlern, die mit Simultanzaubern herumprobieren dürfen oder müssen." Julius nickte. Das Thema von eben war damit erledigt, zumindest für's erste.

In der Zauberkunst-AG leitete Professeur Bellart Laurentine und Julius an, einen Schwebe- und einen Umrührzauber zeitgleich aufzurufen, während Millie sich an Teleportationszaubern übte, bei denen kleine Tiere wie Mäuse und Hamster ohne Bewegung durch den Raum von einem Punkt des Kursraumes an einen anderen versetzt wurden. Siebtklässler überboten sich mit Simultanzaubern, wirkten aber auch höhere Elementarzauber wie den Magnacohesius, der die Tropfenbildung bei Wasser um ein hundertfaches verstärken konnte, daß mehrere Zentimeter große Kugeln aus reinem Wasser gegen Schwerkraft und Luftdruck bestanden und wie Eisenkugeln gerollt oder geworfen werden konnten. Die Oberflächenspannung wirkte nun wie eine reißfeste Gummihülle, die das zusammengeballte Wasser einschloß. Julius hatte den Zauber bereits vor drei Jahren intensiv gelernt.

Am Abend beim Duelliertraining stand er Apollo Arbrenoir gegenüber, dessen Angriffe er scheinbar spielerisch abfing und ihn nie länger als zehn Sekunden auf den Beinen stehen ließ. So kam es, daß Professeur Delamontagne sich zum Ende der Duellierübungen hin mit Julius einen Schaukampf lieferte, bei dem die magische Begrenzungsmauer immer wieder laut dröhnend abgewehrte Flüche auffing und am Ziel vorbeigezischte Zauber zerstreute. Madame Rossignol stand außerhalb der Begrenzung und blickte bange auf ihren Pflegehelfer, der sich mit dem Fachlehrer gegen dunkle Zauber ein größtenteils ungesagtes, schnelles Duell lieferte. Als der Lehrer nach fünf Minuten befand, daß es nun reichte, war julius sichtlich abgekämpft. Zumindest hatte er sich keine Fluchschäden eingehandelt.

Cyril, der an diesem Abend gegen einen Kameraden aus dem roten Saal hatte antreten müssen wirkte irgendwie geistesabwesend. Dennoch schaffte er es, direkt auf den Körper zufliegende Flüche mit einem unsichtbaren Schild abzuprellen. Allerdings empfand Julius diesen Körperschild als sehr eng, fast schon wie eine unsichtbare Panzerhaut. Das mochte in den Staaten tatsächlich entwickelt worden sein, um niederstufige Flüche abzuschmettern.

"Wie geht das vor sich, daß Sie so unkonzentriert in jedes Duell gingen und es dennoch immer unbeschadet überstanden haben?" Fragte Professeur Delamontagne den Austauschschüler.

"Ich kann einen guten Schildzauber, der eine Menge wegsteckt, Professeur."

"Wundert mich nur, daß Sie den in den letzten Monaten nie im Unterricht vorgeführt haben, wo wir es von der individuellen Breitbandverrteidigung hatten", erwiderte Delamontagne. Julius hörte daraus, daß der Lehrer diesen hauteng anliegenden Schildzauber offenbar bestaunte, ja, ihn womöglich heute zum ersten mal mitbekommen hatte. Cyril erwiderte:

"Den konnte ich auch erst lernen, als ich von meinen Eltern ein weiterführendes Buch geschenkt bekommen habe, in dem verbesserte Schildzauber aufgeführt sind", sagte Cyril darauf. Julius konnte ihm anhören, daß er nicht gerne darüber reden wollte. Das fand er seltsam, wo Cyril doch sonst mit seinen Leistungen angab. Mochte es sein, daß ihm die Sache mit der aufgeflogenen Mogelei so heftig in die Knochen gefahren war?

"Welches Buch meinen Sie genau?" Fragte Professeur Delamontagne.

"Meine Eltern haben mir geschrieben, damit nicht in der Schule anzugeben. Es ist von einem meiner Vorfahren", erwiderte Cyril hörbar unwillig. "Ich mußte den Schild deshalb verwenden, weil Ferdinand mich sonst zu heftig beharkt hätte."

"Ach, und ich dachte schon, Sie hätten Nachhilfeunterricht von einem Siebtklässler erhalten, um sich beim Duellierkurs besser darstellen zu können oder trügen ein Schildartefakt." Cyril verzog keine Miene. Offenbar wollte Delamontagne dem Viertklässler eine Falle stellen und sehen, ob dieser sich ertappt zeigte. Doch dem war nicht so. Julius dachte eher, daß Cyril irgendwie selbst nicht mit der überragenden Abwehrleistung klarkam. Das mußte Delamontagne sicher auch auffallen. Vielleicht dachte Cyril aber auch daran, daß die Lehrer jetzt alle seine Hausaufgaben nachprüften, ob irgendwer die für ihn gemacht hatte, um ihn überragend dastehen zu lassen, vermutete Julius. Vielleicht dachte auch Professeur Delamontagne an derartige Sachen. Julius fiel ein, daß die Weasleys Kleidungsstücke mit Schildzaubern im Angebot hatten. Wenn Cyril auch solche Sachen anziehen konnte konnte der locker in jedes Viertklässlerduell hineingehen, weil ihm da außer einem heftigen Schockzauber nichts bedrohliches entgegengeschleudert werden mochte. Seltsamerweise beließ der Duellierkursleiter es bei Cyrils Behauptung bewenden und sprach nur zu den anderen, daß so ein wirklich hochklassiges wie auch gefährliches Duell ablaufen mußte, wie Julius und er es gerade hinter sich gebracht hatten. Dann war der Kurs auch schon wieder um. Madame Rossignol, die bei den Duellierübungen sicherheitshalber anwesend war wandte sich noch einmal an Cyril:

"Ruh dich nicht drauf aus, einen wirksamen Abwehrschild gegen niederstufige Flüche zu verwenden, Cyril. Konzentrier dich besser demnächst auf die Abwehr, wenn du nicht bei mir im Krankenflügel landen möchtest!" Cyril nickte nur verlegen. Danach verließ er wie alle anderen den Kursraum. Als Julius hinausgehen wollte, winkte ihm der Kursleiter zu und bedeutete ihm mit einer auf sich hinweisenden Handbewegung, auf Flüsterreichweite heranzukommen.

"Sie kennen alle Schildzauber, Monsieur Latierre, sonst hätte ich Sie kaum ohne Fluchtreffer aus der Arena gehen sehen dürfen. Was halten Sie von Monsieur Southerlands Erwähnung?"

"Ich weiß nicht, was in den Staaten für Zauber erfunden wurden, die hier noch nicht in den Büchern stehen, Professeur Delamontagne", antwortete Julius verlegen. "Ich dachte erst an mit Antifluchzaubern durchwirkte Kleidungsstücke. Die Weasleys in London haben in ihrem Scherzartikelladen Hüte, Handschuhe und Umhänge mit Schildzaubern. Ob die mehr als einen Treffer schlucken habe ich bisher nicht ausprobiert. Deshalb dachte ich erst an sowas."

"Habe ich ja versucht, ihn darauf anzusprechen. Aber er reagierte nicht wie ein beim Schwindeln ertappter. Gut, jetzt weiß ich leider, daß er offenbar nicht der Unschuldself ist, für den er sich nach Weihnachten wohl gerne ausgegeben hat. Wenn er vorbezauberte Kleidung trägt, um bei Duellübungen unbeschadet zu bleiben, wäre das unfair den zugeteilten Übungsgegnern gegenüber, die derlei Kleidung nicht besitzen und auf ihre eigenen Reflexe und Kenntnisse angewiesen sind. Aber jeder Schildzauber deflektiert ihn treffende Flüche immer mindestens eine halbe bis ganze Zauberstablänge um den Anwender herum, ob der Schild als fester Zauber in ein Kleidungsstück eingewirkt wurde oder direkt aus einem Duell heraus aufgerufen wurde. Für mich sah es aber so aus, als umhülle Cyril eine kompakte, unsichtbare Aura, die wie eine unsichtbare Panzerung wirkt. Ein derartiger Zauber ist mir nicht geläufig, und ich pflege gute Kontakte in die Staaten, um dortige Neuheiten der Fluchabwehr früh genug zu erfahren."

"Warum haben Sie Cyril dann nicht weiter befragt, ob er einen Schutz bei sich trägt, der stärker ist als der Curattentius im Pflegehelferarmband?" Wollte Julius wissen.

"Weil ich ohne legilimentischen Zugriff auf seinen Geist keine befriedigende Antwort erfahren hätte", erwiderte Delamontagne verdrossen. "Ich werde den Jungen einer Probe unterziehen, wenn die nächste Unterrichtsstunde ansteht. Ich hoffe, ein anderes Ergebnis zu erhalten als das, mit dem ich im Moment rechnen muß."

"Womit rechnen Sie?" Fragte Julius.

"Sie wissen sicherlich, daß es wie bei den Pinkenbachgesetzen zur Bezauberung toter Materie auch Gesetzmäßigkeiten gibt, wann Flüche einen lebenden Menschen betreffen, der bereits verflucht ist. Ab einer bestimmten Stärke arbeitet ein bereits wirksamer Fluch allen niederstufigen Direktflüchen entgegen und schützt den Betroffenen vor großflächig wirksamen Flüchen wie ein unsichtbarer Panzer, allerdings einer aus schwarzer Magie. Es gibt darüber hunderte nicht für Schüler zugängliche Abhandlungen, welche Flüche gegeneinander aufhebend wirken und wwelche einander verfremden oder durchmischen können. Wir von der Liga haben Zugang zu diesen Erläuterungen und Abhandlungen. Die Heiler dürften diese Erwähnungen auch in ihren Bibliotheken haben. Aber wie erwähnt hoffe ich, daß es etwas anderes ist als ein auf Monsieur Southerland gelegter Fluch. Daher bitte ich Sie inständig, es niemandem gegenüber zu erwähnen, welchen unangenehmen Verdacht ich habe. Sollte der Verdacht sich nicht bestätigen, wäre das eine Blamage für mich, wenngleich die Erleichterung ziemlich groß wäre, mich in diesem Fall geirrt zu haben. Sollte er sich vielmehr bestätigen könnte es den oder diejenige zu früh warnen, daß sein oder ihr dunkles Treiben ans Licht kommen könnte."

"Wenn wer verflucht ist kann der Curattentius-Zauber das klar anzeigen", erwähnte Julius. Der Lehrer nickte verhalten. Dann sagte er schnell:

"Ja, und wie Sie selbst ergründet haben wirkt sich eine direkte Berührung eines durch dunkle Kräfte erschaffenen oder davon durchdrungenen Lebewesens öfter schädlich auf dieses Wesen aus. Nur um zu wissen, daß Cyril hoffentlich nur vielleicht einem Fluch unterworfen ist seine Gesundheit zu riskieren, weil sie die Kraft des Curattentius-Zaubers gegen diese Verwünschung aufbieten könnte dem- oder derjenigen in die Hände spielen, falls es ein Fluch ist."

"Wie wollen Sie das ohne Curattentius-Zauber herausfinden?" Wollte Julius wissen.

"Indem ich ihn in der nächsten regulären Stunde hinter einem Wandschirm alle Kleidung ausziehe und ihm den Zauberstab wegnehme. Prellt er danach immer noch alles mögliche ab, trägt er die Abwehrkraft im Körper selbst."

"Moment, Cyril hat gerade erwähnt, er habe diesen Zauber erst vor kurzem gelernt. Wenn er von irgendwem mit einem Schutzzauber oder Fluch belegt worden wäre hätte er das doch erwähnt, gerade ... Ich ziehe meinen Einwand zurück", erwiderte Julius. Denn ihm fiel gerade noch ein, daß es Flüche gab, die dadurch erst recht Unheil anrichteten, wenn sie jemand erwähnte. Der Tabu-Zauber, der die Nennung von Riddles Kampfnamen verriet gehörte ja zu diesen Zaubern. Dann hätte Cyril allen Grund, schön zu schweigen, falls der überhaupt wußte, daß ihm jemand übel mitgespielt hatte. Das erwähnte er schnell, bevor Delamontagne es ihm um die Ohren hauen mochte.

"Es gibt solche Flüche, die den davon betroffenen zwingen, keinem zu verraten, daß sie verflucht wurden oder die betreffende Person sogar an alles andere denken lassen, nur nicht, einem gefährlichen Zauber unterworfen zu sein. Es gibt Artefakte, die einem ein Gefühl unendlicher Überlegenheit einsuggerieren, obwohl sie dem Besitzer und seinen Gefährten nichts als Unglück bringen. So gab es vor fünfhundert Jahren einen Tarnumhang, der seinen Träger für dessen Freunde unsichtbar werden ließ, von seinen Feinden jedoch mühelos durchschaut werden konnte. Und die Taschenuhr, die einem suggerierte, sich schneller als seine Feinde zu bewegen, obwohl jemand sogar nur halb so schnell agierte ging auch in die Annalen der dunklen Artefakte ein. Von Addiktivflüchen haben Sie ja schon reichlich zu hören bekommen, weiß ich von Madame Faucon." Julius nickte heftig. Dann fragte er abermals, wie dann mit Cyril zu verfahren sei:

"Vor allem dürfen Sie wie erwähnt vorerst niemandem auf die Nase binden, daß ich einen starken Fluch vermute, bis ich einen wiederholbaren Nachweis erstellen kann, der nicht mit Hilfe des Curattentius-Zaubers erbracht wird. Was mich am meisten beunruhigt ist der Umstand, daß im Falle einer Bestätigung die Frage zu klären ist, wer ihn wann, wo, wie und vor allem warum verflucht haben könnte." Julius nickte. Also galt, das ganze erst einmal unter dem Teppich zu halten. Davon hielt er persönlich nicht viel. Doch er hatte lernen müssen, daß vieles nicht für alle Öffentlichkeit geeignet war. So wußten nur wenige, was mit Hanno Dorfmann und seiner Mutter passiert war, geschweige denn, woher die Wolkenhüter gekommen waren. Julius erschrak, weil ihm noch eine andere Möglichkeit einfiel:

"Ich erfuhr von Wertigern, die gegen Zauberei immun sind, Professeur Delamontagne. Könnte Cyril mit so einem Wesen aneinandergeraten sein?"

"Das können wir kategorisch ausschließen, weil Wertiger keine nach außen wirksamen Zauber mehr ausführen können, ob sie in menschlicher oder tierhafter Gestalt auftreten. Zudem wirkt sich die antimagische Aura der Wertiger nur dann stark aus, wenn diese ihre Tiergestalt annehmen. Das ist es also definitiv nicht", erwiderte Delamontagne mit einer halbherzig beruhigenden Betonung. Julius nickte. Was für Wertiger galt galt auch für die meisten Vampire. Nur Werwölfe vermochten noch zu zaubern, waren aber auch nicht von Natur aus gegen niderstufige Flüche immun. Vampirismus konnte es auch nicht sein, weil er Cyril immer wieder am Meer hatte laufen sehen können. Selbst wenn er jetzt wußte, daß die Übervampirin Nyx etwas gefunden hatte, um die Sonnenstrahlen von ihrem und ihrer Mitstreiter Körper fernzuhalten machte sie das nicht immun gegen fließendes Wasser. Abgesehen davon hatte er Cyril in den letzten Tagen immer wieder lächeln sehen können. Vampirzähne hatte der nicht. So blieb Julius nur, dem ausgewiesenen Experten für dunkle Zauber das weitere Vorgehen zu überlassen und sich an seine unumstößliche Anweisung zu halten, vorerst niemandem darüber zu berichten. Denn sollte sich Delamontagnes Verdacht in Luft auflösen, wäre er total blamiert. Doch beiden war klar, daß die genaue Ergründung nicht zu lange hinausgezögert werden durfte. Wenn es doch etwas schwarzmagisches war mochte es je länger es wirkte desto größere Auswirkungen auf Cyril und/oder seine Umgebung haben. Und dann blieben die Fragen nach dem Urheber und dem Zeitpunkt, wann er oder sie Cyril erwischt hatte.

 

__________

 

Es war Julius schon mulmig, am Samstag bei der SSK zu sitzen und daran zu denken, daß Cyril vielleicht mit einem heftigen Fluch belegt worden sein konnte. Sicherheitshalber verschloß er seinen Geist gegenüber Professeur Fixus und Corinne Duisenberg. Nur Millie mochte mitbekommen, daß ihn etwas beunruhigte. Zunächst sprachen sie über die in der Woche stattgefundenen Hexenwerbungen. Madame Faucon wandte sich an Sandrine und Gérard und beglückwünschte sie zu diesem mutigen Schritt, merkte jedoch auch an, daß es für Ehepaare, die mindestens noch ein Jahr in Beauxbatons lernen würden, bestimmte Verhaltensregeln gebe und bat die beiden, das den anderen gebildeten Paaren weiterzugeben, die im nächsten Jahr noch die UTZs machen mußten. Auf der Tagesordnung stand weiterhin wie zu erwarten war das aufgeflogene Abschreibemanöver zwischen Gaston und Cyril. Apollo Arbrenoir und die anderen für den roten Saal zuständigen wirkten sichtlich in die Enge gedrängt, als Professeur Fixus zu sprechen anfing.

"Ich ging eigentlich davon aus, daß Schüler dieser Akademie ein fundamentales Interesse daran haben, ihre eigenen Möglichkeiten auszuschöpfen und die eigenen Leistungsfähigkeiten zu ergründen. Sicher kommt es ab und an vor, daß Schüler voneinander Passagen bei Hausaufgaben abschreiben, zumal die gegenseitige Hilfe bei Hausaufgaben im Rahmen von Zusammenarbeit und Lernfortschritten erwünscht ist. Aber was sich Monsieur Southerland und vor allem Monsieur Perignon in dieser Woche geleistet haben überschreitet alle Grenzen der Zulässigkeit. Monsieur Southerland hat es doch wahrhaftig gewagt, eine bereits vor zwei Jahren von Monsieur Perignon verfertigte Hausaufgabe zum Thema Giftstoffneutralisation in zu brauenden Zaubertränken nicht nur wortwörtlich zu kopieren, sondern die von mir nach Einsichtnahme anzumerkenden Korrekturen mit meinem Wortlaut einzufügen. Hätte er dies mit wirklich eigener Hand abgeschrieben und womöglich einige eigene Worte eingefügt, so wäre ich ihm wohl nicht drauf gekommen. Er hat jedoch einen auf seine Handschrift abgestimmten Scriptocopia-Zauber benutzt, der innerhalb von einer Sekunde einen handschriftlichen Text auf ein leeres Pergamentblatt überträgt. Den beiden Herren war offenbar nicht eingefallen, daß ich zur Absicherung von Benotungsgrundlagen sämtliche in meinem Unterricht zu erstellenden Hausarbeiten kopiere und bis zu einem Jahr nach Beendigung der Schulzeit des betreffenden Schülers oder der Schülerin aufbewahre. Ich habe gestern nachmittag die beiden Missetäter zur persönlichen Unterredung einbestellt und sie gefragt, ob dies die erste Verfehlung dieser Art war. Sie sagten aus, daß Cyril wegen der Prüfungsvorbereitung angeblich keine Zeit gehabt habe, um die von mir aufgegebene Hausarbeit eigenhändig und mit eigenen Gedankengängen zu verfertigen. Das ist an und für sich schon eine Frechheit. Auf meine Frage, ob die beiden auch in anderen Fächern betrogen hätten erhielt ich von Monsieur Southerland die Antwort, daß er es nicht nötig habe, sich immer alle Hausaufgaben vorfertigen zu lassen und von Monsieur Perignon die Aussage, daß Cyril ihn dazu gedrängt habe, ihm die Aufgabe für mich vorzuschreiben." Die Lehrerin wirkte sichtlich verärgert, als sie das sagte. Julius war sich absolut sicher, daß die Zaubertranklehrerin bei der Gelegenheit die Gedanken der beiden Schüler mitgehört hatte. Wenn die beiden gelogen hatten war sie sicher noch wütender, vor allem, weil sie das nicht ohne für Menschensinne nachvollziehbare Beweise belegen konnte. Doch sie sprach weiter: "Ich hielt den beiden Missetätern vor, daß nicht nur ich, sondern auch Professeur Bellart und unsere Schulleiterin Madame Faucon sämtliche in ihrem Unterricht verfertigten Hausarbeiten kopiere und aufbewahre und ich bereits einen Vergleich der letzten drei Wochen erbeten habe, da Professeur Dirkson und Professeur Delamontagne ja Zugriff auf die von Madame Faucon aufbewahrten Hausarbeiten bekommen hätten. Monsieur Perignon erwies sich auf Grund dieser direkten Vorhaltung als sehr trotzig, was ich aus einschlägiger Erfahrung mit ihm als Überspielverhalten erkennen muß. Das mag aus einem Gefühl großer Ertapptheit erwachsen, womit ich allen Grund habe, zu befürchten, daß die mir aufgefallene Hausarbeit nur die Schwanzspitze eines schlafenden Drachens ist oder wie es in der magielosen Welt auch heißt, die Spitze des Eisberges. Professeur Dirkson und Professeur Delamontagne haben sich bereiterklärt, die eingereichten Hausarbeiten der vierten Klasse noch einmal auf derartige Auffälligkeiten zu untersuchen. Sollte, wie ich wie erwähnt befürchten muß, die Überprüfung ergeben, daß dieses zwischen Monsieur Perignon und Monsieur Southerland ausgehandelte Betrugsmanöver bereits seit Wochen stattfindet, so hoffe ich sehr auf die entsprechenden Konsequenzen seitens der Schulleitung. In meinem Fachunterricht werde ich jedenfalls eindeutig ohne eigene Fleißarbeit erstellte Vorlagen als ungenügend umbewerten müssen und zudem für jede Täuschung Strafpunkte aussprechen, sowohl an Monsieur Perignon wie auch an Monsieur Southerland. Gerade bei Monsieur Perignon erschließt es sich mir nicht, wie dieser Schüler so leichtsinnig ist, das immer noch laufende Bewährungsjahr bei uns derartig aufs Spiel zu setzen. Monsieur Southerland indes riskiert nicht nur eine negative Abschlußbewertung seines Austauschjahres, sondern in der internationalen Übereinkunft der magischen Lehranstalten festgelegt auch den Ausschluß vom Besuch der Thorntails-Akademie, sofern wir von Beauxbatons dazu gezwungen sein könnten, ihn vorzeitig dieser Lehranstalt zu verweisen. Hinzu kommt die immer wieder an mich herangetragene Erwähnung, daß Monsieur Southerland nach einem sehr disziplinierten und vorbildlichen Quartal zwischen Weihnachtsferien und Ostern offenbar wieder seiner vorauseilenden Triebhaftigkeit Raum zu geben und sich zu Annäherungsversuchen bei Mitschülerinnen hinreißen läßt, was in dieser Runde ja schon erwähnt wurde. Offenbar unterstellt uns Monsieur Southerland eine große Toleranz, die anderen Schülern nicht gewährt wird, oder, was noch schlimmer anmuten mag, er hält uns Lehrerinnen und Lehrer für einfältig und sieht die Schulregeln von Beauxbatons nicht mehr als verbindlich an, da er in etwas mehr als einem Monat das Austauschjahr beendet haben mag. Er sollte lieber darauf achten, daß er nicht schon wesentlich früher mit diesem Austauschjahr fertig ist und ohne Aussicht auf eine weiterführende Zaubereiausbildung in sein Heimatland zurückgeschickt werden könnte." Madame Faucon wandte ein, daß dieser Punkt bereits klargestellt worden sei. Apollo und Millie nickten bestätigend. "Gerade darum verstehe ich es nicht, daß die beiden Schüler derartig leichtsinnig mit ihrer Zukunft spielen", sagte Professeur Fixus.

"Ehrgeiz vielleicht?" Fragte Apollo Arbrenoir. "Cyril will wohl in seiner Heimat als überragender Schüler empfangen werden, wenn er für jede Hausaufgabe die volle Punktzahl bekommen hätte. Dann hätte er wohl noch behauptet, daß es in Beauxbatons für Thorntails-Schüler doch ganz leicht sei, ein Austauschjahr zu bestehen oder sich als allen Anforderungen überlegener Schüler feiern lassen."

"Klar, weil Erfolg anziehend macht", warf nun Julius Latierre ein, nachdem er höflich ums Wort gebeten hatte. "Zumindest ist es in der nichtmagischen Welt so, daß erfolgreiche Männer weniger Probleme bei der Partnerwahl haben. Sportler, Musiker und Politiker brauchen in vielen Ländern nur die Hand auszustrecken, um eine Partnerin für eine kurze Beziehung oder eine Ehe zu finden. Ich unterstelle der Zaubererwelt nach dem, wie ich sie bisher kennenlernen durfte, daß dieses Prinzip auch dort funktioniert, daß Erfolg anziehend macht."

"Das liegt wohl in der rein körperlichen Natur des Menschen, der ja ein Rudeltier ist", grummelte Madame Faucon. "Es trifft schon zu, daß die Möglichkeiten, einen guten Partner zu finden nicht nur durch das äußere Erscheinungsbild bestimmt werden, sondern auch auf erbrachte Leistungen beruhen. Daran ist insofern nichts schlechtes, hilft es doch jedem, der sich eine Zukunft mit einer guten Anstellung und einer Familie zum Ziel setzt, die ihm oder ihr aufgetragenen Anforderungen bestmöglich zu erfüllen. Insofern kann dies ein Motiv sein, warum Monsieur Southerland den Anschein erwecken möchte, bei uns überragende Ergebnisse erzielt zu haben, wo die Beauxbatons-Akademie zu Recht den Ruhm und den Ruf genießt, eine sehr strenge, auf bestmögliche Leistungen bestehende Lehranstalt zu sein. Hätte Monsieur Southerland nicht die Grundbedingungen für das Austauschjahr erfüllt, hätten wir ihn nicht zu uns kommen lassen. Was die zum Teil sehr plumpen, ja primitiven Anbandelungsversuche mit älteren Mitschülerinnen angeht, so hat Prinzipalin Wright in ihrer an Madame Maxime gerichteten Bewertung geschrieben, daß Monsieur Southerland die Erbanlagen seiner Familie entfaltet und bereits in jungen Jahren seine Eigenschaften auszuloten begann. Wie sie das meinte dürften wir nun alle wissen. Ich werde mich unabhängig vom Ausgang dieses Schuljahres noch einmal mit meiner werten Kollegin in Thorntails zusammensetzen und sie höflich aber unzweideutig darüber informieren, daß sie uns derartige Auswüchse von Geltungssucht und fleischlicher Begierden demnächst genau bezeichnen möge, wenn wieder ein Mitglied ihrer Schülerschaft um ein Austauschjahr bei uns wirbt. Beauxbatons ist keine Anbahnungsinstitution. Zumindest wollen wir nach außen hin nicht als eine Einrichtung gelten, in der niedere Gelüste Vorrang vor Akademischer Bildung haben. Insofern kann ich für Sie, die Damen Saalsprecherinnen, ein hohes Lob an Ihre Mitschülerinnen aussprechen, daß die allermeisten von ihnen sich ihrer Stellung und Aussichten in Beauxbatons bewußt auf flüchtige Erlebnisse verzichtet haben. Was jene wenigen angeht, die sich durchaus vorstellen mögen, mit einem jüngeren Mitschüler, der mit der Grundhaltung hier ist, nur ein Jahr überstehen zu müssen, etwas rein körperliches anzufangen, so möge diesen das Beispiel Constance Dornier als mahnendes Vorbild dienen. Partnerschaftliche Annäherungen sind durchaus wichtig und im Rahmen rein gesellschaftlicher Spielregeln erlaubt. Doch wer meint, Beauxbatons sei ein Rummelplatz für aufkeimende Begierden, soll sich nicht beklagen, wenn er oder sie eines besseren belehrt werden muß. Dies nur noch einmal für alle, die die in dieser Lehranstalt nötige Disziplin für belanglos oder unnötig erachten könnten. Wie erwähnt gehe ich von sehr wenigen aus, die eine derartige Grundhaltung besitzen." Millie sah Madame Faucon leicht verdrossen an, sagte jedoch nichts. Julius fühlte ihre Verärgerung, daß die Schulleiterin auf diese gezwungene Beschränkung bestand. Julius dachte auch daran, was Madame Maxime zu seiner Mutter gesagt hatte, als es um ihn und Claire ging. Er erinnerte sich auch noch gut daran, wie heftig Constance Dornier bestraft worden war, weil sie in der Schule Sex mit Malthus Lépin gehabt hatte. Gut, wäre sie nicht schwanger geworden hätte es wohl keiner mitbekommen. Insofern hatte es gerade Madame Faucon nötig ... Aber deren Schulmädchenaffäre fand in den Ferien außerhalb von Beauxbatons statt. Er dachte an zwei Sprichwörter: "Das gebrannte Kind scheut das Feuer" und "Die größten Kritiker der Elche waren früher selber welche."

"Der rote Saal gilt bereits als von unbeherrschten Hexen und Zauberern bevölkert, Madame Faucon", schnarrte Professeur Fixus. "Womöglich sah Monsieur Southerland die Zuteilung zu meinem Saal als Aufforderung, diese Einschätzung zu bestätigen."

"Nichts für ungut, Professeur Fixus, aber Sie haben ihm die Schulregeln gegeben. Da steht klar drin, was jemand tun und lassen soll", schaltete sich Apollo Arbrenoir ein. Die Zaubertranklehrerin nickte heftig und erwiderte nur, daß viele die Regeln nur als Rahmenbedingung verstanden und nicht als Wegführung.

"So halten wir fest, und die Sprecher des roten Saales dürfen es gerne so weitergeben, daß bei einer Enthüllung eines länger andauernden und breiter gefächerten Betrugsmanövers seitens Monsieur Perignon und Monsieur Southerland pro nachgewiesener Täuschung nicht nur die Arbeiten beider Schüler rückwirkend als ungenügend benotet werden, sondern mit je einhundert Strafpunkten zu ahnden sind, zuzüglich zwanzig Strafpunkte pro Tag des Zeitraums, in dem dieses Betrugsmanöver stattfand. Für Monsieur Perignon könnte dies das unrühmliche Ende der Bewährungszeit bedeuten. Ob Monsieur Southerland von mir dann guten Gewissens für den nach den Sommerferien anstehenden Besuch der ZAG-Klasse empfohlen wird mache ich davon abhängig, wie umfangreich dieses Betrugsmanöver stattfand. Sollte es nur diese eine Hausarbeit betreffen, so kommen die beiden wohl mit einem blauen Auge davon, werden ab dann aber wohl bis Schuljahresende Strafarbeiten ohne Zauberkraftbenutzung verrichten dürfen. Für Monsieur Southerland ist eine solche bis zu den Prüfungen ja wegen seiner unsittlichen Annäherungsversuche an Mademoiselle Devereaux im Vollzug. Eigentlich sollte ihm das Lehre genug sein", teilte Madame Faucon allen Anwesenden mit, was sie als Schulleiterin in dieser Angelegenheit beschlossen hatte. Julius hätte fast gefragt, ob Cyrils Verhalten nicht auf Grund einer schwarzmagischen Beeinflussung geschehe. Doch wenn Professeur Delamontagne noch nicht mit seiner Vorgesetzten darüber gesprochen hatte oder diese Unterredung nicht vor der Saalsprecherkonferenz ausgebreitet werden durfte, so würde er sich damit ziemlich übel den Mund verbrennen. Das waren ihm Gaston und Cyril echt nicht wert. Andererseits hatte er als Pflegehelfer den Generalauftrag, die Unversehrtheit seiner Mitschüler zu bewahren oder aufkommende Erkrankungen zu melden. Millie jedoch auch. Ihr nicht zu sagen, was möglicherweise mit Cyril passiert war ärgerte ihn regelrecht. Doch nachher stellte sich alles als harmlos heraus und Cyril hatte wirklich etwas bei sich, daß nieder- bis mittelstufige Flüche wie von einer unsichtbaren Panzerung zurückprellte. Vielleicht konnte er selbst einmal sowas machen, wenn er die ihm anhaftende Siegelaura Darxandrias mit weißer Magie aufladen konnte. Denn sie wechselwirkte mit allen gutartigen Zaubern, wußte er durch verschiedene Erlebnisse.

"Wann wird die Untersuchung beendet sein?" Fragte Apollo Arbrenoir hörbar verärgert.

"Wie erwähnt erfolgt die Überprüfung der eingereichten Hausarbeiten der letzten drei Wochen. Sollten diese bereits ohne Eigenleistung verfertigt worden sein, wird die Überprüfung weiter zurückgehen, bis wir wissen, ab wann diese Täuschung betrieben wurde und ob es einen schwerwiegenden oder nur leichtfertigen Vorsatz dafür gibt. Da wir alle ja nebenbei den laufenden Unterrichtsbetrieb aufrechterhalten müssen, kann das ungefähr eine bis zwei Wochen dauern", räumte Madame Faucon ein. "Natürlich steht es den beiden frei, sich bei mir zu melden und ihre Verfehlung aufrichtig zu bereuen und ein umfassendes Geständnis abzulegen. Dies würde nicht nur die Zeit der Prüfungen verkürzen, sondern sich unter gewissen Umständen auch strafmildernd auf die beiden ertappten Missetäter auswirken. Wer bereit ist, aus Fehlern zu lernen, dem sollte eine zweite Chance gewährt werden. Allerdings fürchte ich, daß im Falle Monsieur Perignons bereits die zweite Chance vertan wurde, wenn er sich wahrhaftig auf ein derartiges Manöver eingelassen haben sollte." Apollo nickte. Das hieß für ihn wohl, daß er sich die beiden vornehmen und es ihnen nahelegen sollte, zuzugeben, was sie getan hatten.

Nach diesem leidigen Tagesordnungspunkt ging es um den Umgang der Schüler mit den Prüfungsvorbereitungen und Anfragen der ZAG-und UTZ-Schüler auf Freistellung von nicht mit dem Unterricht zusammenwirkenden Freizeitkursen, um sich bestmöglich auf die Prüfungen vorbereiten zu können. Bei einigen Schülern wurde dieser Wunsch gewährt, weil sie unter starken Prüfungsängsten litten und Zeit für ein geordnetes Lernen brauchten. Die betreffenden Saalsprecher durften es ihren Mitschülern dann schriftlich geben. Julius dachte wieder einmal mit gewissem Hohn daran, daß die angeblichen Freizeitkurse also doch eher Zusatzverpflichtungen waren, die sich vom Unterricht nur darin unterschieden, daß ausgesucht werden konnte, mit was jemand seine unterrichtsfreie Zeit zubrachte. Das hatte Gloria bereits schon bemängelt. Andererseits empfand Julius die Teilnahme an den AGs und Freizeitkursen schon als für ihn wichtige Betätigung, aus der er ja auch viel in den laufenden Unterricht hinübernehmen konnte, abgesehen davon, daß er in den Kursen bereits höher gefordert wurde als im laufenden Unterricht.

Nach knapp einer Stunde mit den Anliegen und darauf folgenden Rückfragen beschloß Madame Faucon die Saalsprecherkonferenz. Apollo eilte sofort los, um die beiden erwähnten Missetäter aufzusuchen. Für Sandrine, Millie und Julius war ja gleich der magische Haushaltskurs.

Als Julius mit seiner Frau im Palast unterwegs war hob Millie ihr Pflegehelferarmband und legte den Finger auf den weißen Schmuckstein. Madame Rossignols Abbild erschien freischwebend vor ihr.

"Schön, ihr seid fertig mit der Konferenz. Dann komm bitte mit Dusty zu mir. Patricia ist mit Cyril schon bei mir. Hmm, Julius ist neben dir. Dann möchte er bitte auch mit Goldschweif zu mir kommen. Ich lockere die Hygienebedingungen für den Aufenthalt von nichtmenschlichen Lebewesen im Krankenflügel, weil ich das jetzt wissen möchte, ob es etwas objektives oder subjektives ist."

"Cyril ist bei Ihnen, Madame Rossignol? Warum hat meine Tante ihn zu Ihnen gebracht?" Fragte Millie verwundert.

"Das möchte ich dir nicht sagen, wo alle zuhören könnten. Kommt beide mit euren Vertrauten zu uns rüber!" Das Abbild der Heilerin verschwand. Das war deutlich genug, daß von ihr nichts weiteres zu erfahren war. Julius nickte seiner Frau zu und nahm Kurs auf die Menagerie. Da Professeur Fourmier die Zutrittserlaubnis zum Knieselgehege nicht widerrufen hatte konnte er auch ohne Aufsicht dort hinein. Da die meisten Muttertiere ihren Nachwuchs so gut wie entwöhnt hatten würde ihn auch keine der jungen Mütter mehr ins Gesicht springen. Allerdings würde Goldschweif nicht so ohne weiteres von ihren Jungen weggehen, wenn die Gefahr bestand, daß die Kater sie doch noch umbringen konnten, um die Muttertiere früher wieder in Paarungsstimmung zu bringen.

Der mit am Tag wirkender Rückhaltemagie aufgeladene Metallzaun schimmerte im Sonnenlicht. Goldschweif war von außen nicht zu sehen. Die anderen Kniesel kuschelten zusammen auf den Dächern ihrer Rundbauten oder lagen darin. Mittags, wenn die katzenartigen Zaubertiere gefüttert wurden, würde es wieder ein Gedränge, Anknurren und Anfauchen geben. Denn erst abends konnten die Tiere ihr Gehege verlassen, um selbst auf Jagd zu gehen. Obwohl das Personal von Beauxbatons schon darauf achtete, daß keine Mäuse und Ratten in den Palast und dessen Kellerräume eindrangen, genossen die Nager an den großen Müll- und Komposthaufen immer noch ein bescheidenes Refugium, allerdings nur, um den Eulen, Katzen und Knieseln als willkommenes Lebendfutter zu dienen. Manchmal wurden damit auch die in den Kellerräumen gehaltenen Überseetierwesen gefüttert. Da Mäuse und Ratten ja relativ schnell nachwuchsen gab es für jeden Jäger genug zu erjagen. Julius dachte jedoch nicht an die Fütterung der Kniesel. Ihm ging es um Goldschweifs besonderen Spürsinn. Denn wenn Millie den Kater Sternenstaub genannt Dusty zu Madame Rossignol mitbringen sollte, ging es sicher um das besondere Gespür dieser Tierwesen.

"Goldie, darf ich zu dir!"

"Spiele mit den kleinen", hörte er eine von unten kommende Frauenstimme klingen. Er ging zu Goldies Rundbau, hinter dem gerade eine wilde Toberei im Gange war. Die drei jüngsten Kinder Goldschweifs wuselten, rollten, hüpften und kullerten umher, versuchten immer wieder, ihrer Mutter in den golden schimmernden Schwanz mit der Quaste zu beißen oder ihre noch nicht einziehbaren Krallen in das Fell zu schlagen. Doch Goldschweif wischte mit ihrem Namensgeber immer wieder rechtzeitig über die anspringenden Knieselkätzchen hinweg oder schlug Haken, um die ihr geltenden Streiche mit den kleinen Pfoten nicht zu ernsthaften Treffern ausarten zu lassen. Julius wußte, daß die Knieselweibchen so ihre Jungen für die Jagd trainierten. Das war jetzt aber schwierig, sie da wegzuholen. Denn Goldschweif sah das Spiel eben auch als Teil ihrer mütterlichen Pflichten und würde die Käbbelei nicht freiwillig beenden. So sah Julius Goldschweif erst einmal nur zu. Doch dann befand er, Madame Rossignol noch einmal zu rufen, um ihr zu sagen, daß Goldschweif gerade ihre Kleinen trainierte. Er ging einige Meter zurück und rief die Heilerin. Diese verzog zwar das Gesicht ein wenig, weil er noch nicht bei ihr war. Doch dann sagte sie: "Ich brauche ihren Spürsinn nur für eine Minute. Am besten birgst du die Kleinen von ihr in deinem Tragekorb und kommst mit allen zusammen her." Julius nickte und apportierte seinen Knieseltragekorb, der auf Zuruf auch hinter ihm herfliegen konnte. Dann ging er zu Goldschweif und sagte ihr, daß er ihre Hilfe bräuche, weil Dusty an Cyril was gehört hatte, was er nicht kenne und sie sich Cyril bitte anhören möge.

"Böse Kraft in diesem Jungen?" Fragte Goldschweif und hatte im nächsten Moment eines ihrer Jungen im Genick. Julius bestätigte es und schlug ihr vor, die Kleinen solange in den Korb zu legen, damit niemand ihnen was tun konnte. Goldschweif trieb die drei in den Korb hinein, der eigentlich nur für ein erwachsenes Tier ausgelegt war. Doch die drei waren das Aneinanderkuscheln gewohnt und nutzten den wenigen Platz bestmöglich aus. Goldschweif flankte fast aus dem Stand heraus auf Julius' linke Schulter und hakte sich mit allen Krallen in den Stoff seines blaßblauen Umhangs ein. So ging Goldschweifs Auserwählter zurück zum Palast und begab sich auf dem allgemein zugänglichen Weg zum Krankenflügel, weil er Goldschweif und ihre Kinder nicht mit der starken Magie des Wandschlüpfsystems überreizen wollte.

Cyril lag auf dem Behandlungstisch und konnte sich nicht bewegen, weil Madame Rossignol ihn mit breiten Riemen festgebunden hatte. Sie deutete auf Millie und Patricia, sowie Madame Faucon und Professeur Fixus, die neben der Tür zum Schlafsaal auf hochlehnigen Stühlen saßen.

"Huch, warum haben Sie ihn festgeschnallt?" War Julius erste Frage nach der höflichen Begrüßung.

"Weil er versucht hat, Patricia und mich niederzuschlagen und zu entwischen. Schockzauber und Lähmflüche blieben unwirksam. Es ging nur der Incarcerus-Zauber", berichtete Madame Rossignol. Cyril wälzte sich auf dem Tisch und stieß laute Wutschreie aus. "Blöde Alte, mach mich wieder los! Du bringst mich sonst um!"

!"Er ist nicht mehr Herr seiner Sinne", fauchte Professeur Fixus. "Er empfindet große Todesangst. Aber er läßt nicht erkennen, wovor genau."

"Todesangst?" Fragte Julius. Madame Rossignol nickte und deutete auf die offene Schlafsaaltür. "Ich habe nur auf dich gewartet, damit ich euch alle hinüberschicken kann. Geh bitte mit Goldschweif und den anderen Knieseln hinüber! Ach ja, und wenn du von Goldschweif bereits eine Rückmeldung hörst schreibe dir auf, was sie dir mitteilt, ohne es Mildrid oder den anderen zu verraten. Ich möchte eine unabhängige Gegenprobe."

"Wenn Sie mich nicht sofort losmachen und gehen lassen haben Sie mich auf dem Gewissen, Sie alte Sabberhexe!" Schrie Cyril lauthals. Julius fühlte, wie Goldschweif auf seiner Schulter zu beben begann und hörte sie leise knurren. Das Knurren wurde von einer anderen Stelle beantwortet. In seinem Tragekorb war der Kniesel Stardust genannt Dusty eingesperrt und machte seinem Unmut Luft. Julius eilte schnell mit Goldschweif hinüber in den Schlafsaal, bevor ihm die Knieselkätzin von der Schulter springen mochte. Madame Faucon nickte Madame Rossignol zu, bevor sie die Nachhut bildete und die Tür des Schlafsaals von innen schloß. Immer noch schrie und flehte Cyril um seine Freilassung. Dann hörten sie ein leises Zischen. Danach trat Stille ein.

"Das wollen die Zauberstabverfechter nicht wahrhaben, daß alchemistische Mixturen oft über die reinen Stabzauber triumphieren", raunte Professeur Fixus mit überlegenem Lächeln. Julius dachte an Schlafdunst. Madame Rossignol hatte sicher das Gegenmittel dagegen eingenommen, um die nebelartigen Schwaden des Narkoseelixiers ohne umzufallen zu überstehen. Julius holte sein Schreibzeug hervor und verzichtete auf okklumentische Geistesverhüllung. Er fragte Goldschweif: "Was hörst du bei dem Jungen?"

"Böse Kraft, wird lauter und leiser und klopft dabei. Aber sie ist böse, weil sie ihm Angst macht und weh tut", hörte er Goldschweif. Millie fragte noch ihren Kniesel nach dessen Empfindung. Julius fragte noch, ob sie das genau beschreiben könne, was sie höre und schrieb es sich auf. "Klingt beim ganz lauten wie schneller Klopfer im Bauch der Mutter. Klingt so wie bei dem Weibchen Constance, als sie ihr Junges in sich drin hatte." Julius stutzte. Wie kam Goldschweif denn auf diesen Vergleich? Doch der Order Madame Rossignols folgend verriet er mit keinem Wort, was Goldschweif ihm gerade beschrieb. Millie stutzte auch. Er fühlte, wie in ihr unvermittelt große Verwunderung und höchste Anspannung aufkamen. Ihr Gesicht wurde zu einer Maske der Alarmiertheit. Professeur Fixus blickte die beiden Pflegehelfer und deren Kniesel an. Sicherlich sog sie die frei hörbaren Gedanken in ihr Bewußtsein auf, sozusagen als Kontrollinstanz. Julius schrieb sämtliche Angaben Goldschweifs auf. Millie machte dies mit den von Dusty mitgeteilten Einzelheiten.

"Geben Sie mir beide Ihre Aufzeichnungen!" Forderte Madame Faucon die jungen Eheleute auf. Millie und Julius nickten und überließen ihr gehorsam die Niederschriften. Die Schulleiterin las erst Millies und dann Julius' Zettel. Julius sah, wie sich das Gesicht der Schulleiterin von einem Moment zum anderen von verdrossen zu heftig erschrocken änderte. Alles Blut verschwand mit einem Schlag aus ihren Wangen. Sie zitterte einen Moment. Dann katapultierte sie sich aus dem Sitzen Heraus vom Rand des weiß bezogenen Krankenbettes nach vorne. Mit einem langen Schritt war sie an der Tür. Energisch stieß sie sie auf und warf sich durch die entstehende Öffnung. Julius saß perplex auf dem Stuhl, auf dem er Goldschweifs Mitteilungen aufgeschrieben hatte. Noch nie hatte er die frühere Lehrerin für Fluchabwehr und Verwandlung so dheftig zusammenfahren und dann noch schneller durch einen Raum eilen gesehen. Dann hörte er durch die beinahe Grabesstille ihre höchst erregte Stimme zischen: "Keine Untersuchung! Höchste Lebensgefahr!" Madame Rossignol antwortete nicht. Statt dessen hörte Julius Madame Faucon mit entschlossener Stimme "Exclusio Sentibilium!" rufen. Er hörte ein leises Fauchen und ein leises Wupp, als würde wer die Aufnahme eines dumpfen Knalls rückwärts abspielen. Dann sagte die Schulleiterin: "Oha, das war wohl fast der Sturz in den Abgrund für Monsieur Southerland. Er wurde mit dem Catena-Sanguinis-Fluch belegt."

"Wie bitte?!" Rief Madame Rossignol. Millie straffte sich. Julius fühlte, wie sie unvermittelt in Wut geriet und sah sie an. Sie nagelte seinen Blick mit ihrem fest und bebte wie ein wildes Tier, das nicht entscheiden kann, ob es angreifen oder flüchten soll. Er versuchte, seine Selbstbeherrschungsformel gegen die von ihr in ihn hineinstürzende Wutflut zu denken. Doch seine Gedanken wurden förmlich von dieser Welle aus unbändigem Zorn hinweggerissen. Er fühlte, wie seine Muskeln anschwollen und sich alle Nerven und Sehnen bis zur Belastungsgrenze anspannten. Fast wäre er laut brüllend losgesprungen. Doch dann bekam er den von Millie in ihm entzündeten Wutvulkan endlich in den Griff und stemmte seine Gedanken dagegen: "Was mich stört verschwinde! Mein Geist herrscht über meine Gedanken! Mein Geist herrscht über meinen Körper! Mein Geist herrscht über meine Gefühle!" Dieses einfache und durch jahrelange Übung so wirksame Selbstbeherrschungsmantra drängte die lodernde Gefühlslava zurück, die Millies auf ihn überfließende Wut in sein Bewußtsein gespien hatte. Er schaffte es, sich wieder zu entspannen und Millie ebenfalls zu beruhigen, die wohl nun mit ihm zusammen jene Formel dachte, um die gerade störenden Gefühle niederzuringen. Während dieser Sekunden fast zur Tobsucht ausgeuferter Unbeherrschtheit hatte Julius nicht mitbekommen, was Madame Faucon zu Madame Rossignol sagte. Diese tauchte nun in der immer noch geöffneten Tür auf und winkte Professeur Fixus und den Pflegehelfern, zu ihr ins Behandlungszimmer zurückzukehren. Die beiden Kniesel folgten ihnen, wobei sie mit leisem Knurren in Richtung Behandlungstisch blickten.

Der Tisch stand nicht mehr fest auf dem Boden. Er schwebte in einer dunkelvioletten, flimmernden Kugel, die ihn und den auf ihm gefesselten und im Schlafdunstschlaf liegenden Cyril vollständig umschloß. Den Zauber kannte Julius noch nicht. Seine Neugier verblies den Rest der in ihm entfachten Wut, zumal es ja nicht seine eigene gewesen war. Er sah Madame Faucon an und fragte sie:

"Haben Sie ihn in eine magische Sphäre eingeschlossen, die alle Sinneseindrücke von außen blockiert?"

"So ist es, Monsieur Latierre. Es war und ist nötig, weil Cyril selbst im Zustand der Betäubung sofort stirbt, wenn er hört, daß wir wissen, was ihm widerfahren ist." Die beiden Kniesel grummelten und quängelten. Offenbar störte sie die magische Energieblase. Madame Rossignol sagte deshalb:

"Am Besten bringt ihr die beiden Tierwesen wieder dorthin, wo sie wohnen und kommt dann zurück. Aber zu keinem Unterwegs ein Wort. Ihr wandschlüpft, um möglichst schnell die beiden Tiere zurückzubringen." Die beiden Pflegehelfer nickten und beruhigten ihre Kniesel. Dann wandschlüpften sie in unterschiedliche Richtungen davon. Julius brachte Goldschweif und ihre Kinder zurück in das Gehege, wo er die Kleinen aus dem Korb ließ, die wild wimmernd herumtapsten, bis Goldschweif sie kurz knuffte und anfauchte, still zu sein. Julius lief schnell zurück zum Palast und wandschlüpfte in den Krankenflügel zurück.

"Hat jemand euch gesehen, wie ihr die Tiere geholt habt?" Fragte Madame Rossignol.

"Außer Pattie weiß keiner, daß ich Dusty geholt habe", sagte Millie. Julius mußte einräumen, daß er auf dem Hinweg nicht sicher war, ob nicht der eine oder andere an einem Fenster zugeschaut haben mochte. Auf den Gängen war wenigstens niemand gewesen.

"Gut, es ist nämlich für euren diesjährigen Mitschüler überlebenswichtig, daß niemand ihn deswegen behelligt, daß ihr ihn mit den Spürsinnen der Kniesel überprüft habt", erläuterte die Heilerin von Beauxbatons.

"Ich könnte dieses Weib glatt in der Luft zerreißen und in alle Himmelsrichtungen verstreuen", schnarrte Mildrid. Julius fühlte, daß ihre Wut noch nicht vollständig erloschen war. Er fühlte sich irgendwie mulmig, weil offenbar alle außer ihm wußten, was los war und er den Eindruck hatte, daß es sehr wichtig war.

"Nur wenn Sie Monsieur Southerland und ein unschuldiges Kind ermorden möchten, Madame Latierre", knurrte Madame Faucon. Julius sah die ranghöchste Hexe in diesem Raum und danach seine Frau an und fragte: "Was genau ist Catenasanguinis? Vom Namen her heißt das doch Kette des Blutes, richtig?"

"Vollkommen richtig", erwiderte die Schulleiterin und warf einen Blick zu Professeur Fixus hinüber, die auf die schwebende Flimmerkugel blickte. Die Zaubertranklehrerin nickte jedoch beruhigend.

"Der Wahrnehmungsausschluß ist vollkommen, Madame Faucon", berichtete die Gedankenhörerin.

"Das ist das gemeinste, was eine werdende Mutter mit ihrem Kind und dessen Vater anstellen kann, Julius. Meine Tante Béatrice hat es als schweres Verbrechen bezeichnet, und Oma Line nannte es die größte Unverschämtheit, die sich eine Hexe herausnehmen könne." Madame Faucon räusperte sich zwar, aber nicht so unerbittlich wie sonst, wenn sie wem ohne weiteres Wort gebieten wollte, den Mund zu halten. Dann sagte die Schulleiterin:

"Ich hoffe, Ihre werte Tante hat Ihnen nicht bei der Gelegenheit beigebracht, wie dieser Fluch gewirkt wird, Madame Latierre." Millie schüttelte so energisch den Kopf, daß ihr rotblonder Schopf wild hin und herflog. "Das dürfte Ihren Mann sehr beruhigen", fügte die Schulleiterin noch hinzu. Millie starrte sie dafür zwar sehr entrüstet an. Doch der Blick der saphirblauen Augen Madame Faucons trieb ihr jeden Trotz aus. Dann sprach Madame Faucon weiter: "Catenasanguinis ist ein höchst tückischer, von Eifersucht, Verlustangst oder unerbittlichem Besitzwunsch genährter Fluch, den eine Hexe gegen den Vater eines in ihrem Leibe ruhenden Kindes ausführen kann. Hierbei mißbraucht sie das ungeborene Kind als materiellen Fokus, der die schädlichen zauberkräfte bündelt und auf den Erzeuger richtet. Dieser erfährt ab Etablierung des Fluches alle unangenehmen Empfindungen der Kindesmutter, ist aber selbst gegen alle nicht mit Feuer oder Metallkörpern ausgeführten Gewalteinwirkungen und die meisten Flüche und Veränderungszauber gefeit. Stirbt das Ungeborene, stirbt er jedoch auch. Wird das Opfer getötet, stirbt auch das ungeborene Kind. Der Fluch gewinnt mit dem Wachstum des Kindes an Stärke und schmiedet eine unzerreißbare Verbindung zwischen der Hexe und dem Kindesvater. Wenn sie das Kind zur Welt bringt, erfährt er drei Viertel ihrer Schmerzen. Danach ist sein Leben von dem der Kindesmutter und seines Kindes abhängig. Der Fluch bereitet ihm Pein, wenn er andere geschlechtsreife Frauen berührt, die ein Viertel so alt bis drei mal so alt wie er selbst sind und ruft in diesen eine übergroße Abneigung gegen seine Nähe und Berührung hervor. Damit entzieht sie ihn den Annäherungen mit anderen Frauen mit und ohne Magie. Dieser Fluch hält entweder solange an, bis Mutter oder Kind sterben, was zum zeitgleichen Tod des Verfluchten führt, oder bis der Verfluchte zwischen einer und vier während des Fluches ausgesprochene Bedingungen erfüllt hat, die so schwer zu erfüllen sind, daß er wohl sein ganzes Leben lang unter diesem Fluch steht. Daher wird er auch als gnadenlose Treue bezeichnet. Ihre Gattin hat recht, daß diese höchst perfide Manipulation mit ungeborenem Leben und dessen Erzeuger den größten Mißbrauch der weiblichen Wesen von der Natur geschenkten Gabe darstellt, neues Leben hervorzubringen. Erfährt der Verfluchte, daß außer jener, die ihm das antat und ihm noch wer über sein Los informiert wurde, so führt dies zum sofortigen Tod des Ungeborenen, was gleichzeitig auch seinen eigenen Tod herbeiführt. Daher mußte ich ihn zunächst in eine Wahrnehmungsausschlußsphäre einschließen. Sie blockiert alle von außen einfallenden Wahrnehmungsmöglichkeiten, bis sie wieder aufgelöst wird oder der in ihr eingehüllte verstirbt oder durch magische Ortsversetzung aus ihr entfernt wird."

"Oha, dann mußte Cyril natürlich die totale Panik kriegen, als ihm klar wurde, daß Dusty und auch Goldschweif mitkriegen konnten, daß etwas an oder in ihm ist", seufzte Julius. "Es sei denn, er würde nicht glauben, daß er stirbt, wenn er verrät, was mit ihm los ist."

"Dusty hat wohl erst heute Morgen so reagiert, Julius. die hat Cyril sicher heute Morgen verhext."

"Da muß ich Sie korrigieren, Madame Latierre. Die Reaktion des Kniesels mag trotz der besonderen Empfänglichkeit für Magie erst stattgefunden haben, als der Fokus des Fluches, also das von Monsieur Southerland gezeugte Kind, eine bestimmte Größe überschritten hat. In Kraft gesetzt worden mag er bereits früher sein." Professeur Fixus schüttelte den Kopf. Sie beteuerte, nicht einen Gedanken an einen solchen Fluch mitgehört zu haben.

"Da erfahren Sie wohl bedauerlicherweise die Grenze Ihrer besonderen Begabung, Boragine", schnarrte Madame Faucon. "Es ist sehr wahrscheinlich, daß Monsieur Southerland und jene, die nun sein Kind trägt bei der Zeugung einen Verhüllungs- oder Verbergezauber verwendet haben, gerade um nicht von Ihnen wegen unzüchtiger Handlungen entlarvt zu werden. Divitiae Mentis wäre eine Möglichkeit."

Professeur Fixus verzog ihr Gesicht und nickte dann. Sie räumte dann ein, daß sie eben gerade, wo Cyril sicher keinen Gedanken an geistiger Verhüllung verschwendet hatte, genausowenig erfahren konnte, wovor er solche Todesangst hatte. Madame Faucon nickte und sagte:

"Es steht zu befürchten, daß dieser junge Mann sich da in seinem eigenen Netz verfangen hat. Womöglich kam er auf die Idee, die zur Zeugung führende Affäre vor äußerem Zugriff sicher zu verhüllen, und das schlug nun auf ihn zurück wie ein australischer Bumerang."

"Sie meinen, daß die Kindesmutter nur deshalb diesen Fluch ausführen konnte, weil keiner erfahren konnte, daß sie mit Monsieur Southerland ein Kind gezeugt hat?" Fragte Professeur Fixus. Millie grummelte, daß ihr das ähnlich sehe, worauf sie Julius verriet, daß Dusty ihr erzählt hatte, daß Bernadette gerade ein Junges, also ein Kind trüge. Julius fragte Millie, warum Dusty ihr das jetzt erst erzähle. Millie erwähnte dann, daß er jetzt erst das Herz des Kindes hätte schlagen hören und die veränderung ihres Körpers riechen können.

"Ja, und das haben Sie mir aufgeschrieben. Im Vergleich mit Goldschweifs Aussage und der von Cyril Southerland geäußerten Todesangst ergab sich für mich daraus, in welcher Gefahr er schwebt. Falls Mademoiselle Lavalette wirklich ein Kind von ihm trägt, hängt sein Leben an ihrem und dem des Kindes. Ich muß davon ausgehen, daß wenn wir sie mit ihrer Untat konfrontieren, sie ohne zu zögern das Leben des Ungeborenen opfern wird, um eines ihrer Ziele zu erreichen."

"Welche Ziele, Blanche", fauchte die Zaubertranklehrerin wie ein um einen Kamin tosender Sturm. Daß man sie und ihren Gedankenspürsinn so gründlich ausgetrickst hatte war für die kleine Hexe mit den rotbraunen Locken sicher ein schmerzhafter Schlag.

"Nun, entweder diesen jungen Zauberer ausschließlich für sich allein zu haben oder sicherzustellen, daß wenn nicht sie ihn für sich behalten könne, ihn auch keine andere beanspruchen könne. Womöglich hat sie sich schon längst mit dem Gedanken angefreundet, daß Sie wegen der irgendwann offenbar werdenden Schwangerschaft keine Zukunft in Beauxbatons haben wird und befunden, dann zumindest sicherzustellen, daß Cyril Southerland ihr Gefährte bleibt, sofern wir ihn vom Fluch abgesehen unbehelligt in seine Heimat zurückschicken können."

"Sie hätte auch den Trank der folgenlosen Freuden einnehmen können, Blanche. Dann wäre ihr bei den von Ihnen eingeräumten Vorkehrungen niemand darauf gekommen, daß sie und Monsieur Southerland beieinander gelagert haben", schnarrte Professeur Fixus. Millie verzog das Gesicht zu einem verächtlichen Grinsen. Ihre Saalvorsteherin herrschte sie daraufhin an, was es da zu grinsen gäbe. Millie wiederholte dann: "Beieinander gelagert haben. Nichts für ungut, Professeur Fixus. Aber so sagt das doch heute keiner mehr."

"Da ich das gerade tat sollten Sie Ihrem aus der Wut erwachsenen Fürwitz sehr schnell wieder vergessen, Madame Latierre, bevor ich mich genötigt sehe, Ihnen Strafpunkte wegen Verächtlichmachung eines Lehrers zuzuerkennen."

"Abgesehen von der Wortwahl, die Damen, kann ich mir vorstellen, daß Mademoiselle Lavalette mit dem Gedanken an eine durch erwähnten Trank induzierte Abtreibung gespielt haben mag, da ich wie Sie auch, Boragine, ihren Ehrgeiz so hoch einschätze, daß sie sich wegen unzureichender Empfängnisverhütung nicht von ihrem akademischen Weg abbringen lassen wollte. Warum sie dann doch das Kind behalten wollte und dann noch damit diesen Fluch ausführte könnte nur sie selbst uns beantworten. Und ich fürchte, solange wir kein probates Mittel kennen, den Fluch unschädlich für das Kind und seinen Vater zu brechen, kann sie sich sicherfühlen, daß wir sie nicht behelligen können, sobald ihre Mutterschaft unübersehbar ist und sie dann wohl verrät, daß sie den Fluch gewirkt hat, womöglich wenn Monsieur Southerland schon längst wieder in den Staaten ist", schnaubte Madame Faucon, der Julius nun deutlich die immer heißer lodernde Wut ansehen konnte. Auch Millie strahlte wieder große Verärgerung aus. Es war im Moment nur Wut, kein Haß. Doch Julius wußte, wie schnell aus reiner Wut abgrundtiefer Haß werden konnte.

"So sehr mich dies zu tiefst verärgert, Florence, Boragine, Madame, Mademoiselle und Monsieur Latierre, wir dürfen Mademoiselle Lavalette nicht damit konfrontieren, daß wir sie entlarvt haben, solange es kein Mittel gibt, diesen Fluch zu brechen."

"Die Frage ist doch wohl auch zu stellen, woher sie ihn kennt und so genau auszuführen gelernt hat, Madame Ladirectrice"", schnaubte Professeur Fixus. Julius hatte da so eine Ahnung und hob verlegen den Arm zur Wortmeldung:

"Madam Pince, die Leiterin der Schulbibliothek von Hogwarts, erwähnte während des Strafgerichtsverfahrens gegen die Todesser Alecto und Amycus Carrow, daß diese darauf bestanden hätten, ein Buch mit dem Titel Potentia Matrium in die Schulbibliothek aufzunehmen. Madam Pince, der ich mal eine gewisse Abgebrühtheit bei so viel schwarzmagischer Literatur unterstellen möchte, war zu tiefst erschüttert und empört, daß dieses Buch für alle Schülerinnen von Amycus Carrow zu lesen sein sollte, auch wenn es die Bibliothek nicht verlassen durfte. Gloria Porter und ihr Vater erwähnten im Zusammenhang mit diesem Buchtitel einige Gemeinheiten, die Hexenmütter mit ihren Geschlechtsorganen oder ihren ungeborenen Kindern anstellen konnten. Deshalb vermute ich mal, daß dieser Blutketten-Fluch da auch drinsteht."

"Da werden Sie wohl leider recht haben, Monsieur Latierre", schnaubte Madame Faucon, deren Gesicht nun eine einzige Maske der Wut war. Ihre Stirnader pulsierte bedrohlich. Ihre saphirblauen Augen waren so eng zusammengerückt, daß über ihrer Nasenwurzel ein richtiger Höcker entstanden war. Ihre Körperhaltung verriet große Angriffslust.

"Das Buch ist eine Sammlung der stärksten Zauber, die Mutter werdende oder stillende Hexenmütter bewirken können", sagte Madame Rossignol. "Es gibt da wohl auch einige gutartige Zauber. Aber wegen der überwiegenden Unterwerfungszauber gilt es als nicht frei zu handelndes Schrifterzeugnis. Es darf nur von magischen Institutionen erworben werden, die sich durch Registrierung verpflichten, es nicht an minderjährige Hexen und Zauberer auszugeben. Die meisten Schulen halten es jedoch für zu gefährlich, um es in ihren Büchereien aufzubewahren. In den Schattenbibliotheken der Heiler dürfte es einige Exemplare geben, sowie in ministeriell anerkannten Instituten, die böses Zauberwerk bekämpfen wie die Liga gegen dunkle Künste oder das nordamerikanische Marie-Laveau-Institut."

"Wodurch die Ihnen vermittelten Kenntnisse begründet werden, Monsieur Latierre", erwiderte Madame Faucon. "Wie erwähnt ist es eine Sammlung. Das heißt, daß die darin niedergeschriebenen Schadenszauber auch als einzelne Aufzeichnungen im Umlauf sein mögen. Doch wie schon öfter als genug erwähnt können wir Mademoiselle Lavalette nicht angehen. Sicher hat sie für einen Fall, daß man ihr auf die Schliche kommt schon Vorkehrungen getroffen, das mit Monsieur Southerland über dessen Fleisch und Blut verbundene Kind zu töten."

"Ja, und Sie sagten eben, daß dieser Fluch absolut unbrechbar wird, sobald das Kind geboren ist", erwiderte Julius. Er spielte mit dem Gedanken an den Fluchumkehrer. Doch Madame Faucon erkannte dies wohl oder hatte in dem Moment auch daran denken müssen:

"Gewisse Erfahrungen mit mächtigen zaubern, die die meisten Flüche brechen können legen nahe, daß diese Zauber auf lebende Wesen anders wirken können als erwünscht und das sie nicht den Zustand vor dem Fluch wiederherstellen, sondern einen zwar nicht tödlichen, aber nicht minder unerwünschten Zustand herbeiführen. Daher müssen wir im Moment davon ausgehen, daß der Fluch nicht ohne den Tod von Vater und Kind gebrochen werden kann." Julius nickte. Eine solche Erfahrung hatte er ja hier in diesem Raum miterleben müssen. Von einer anderen hatte er nur ungenaues gehört. Millie hatte wohl auch verstanden und sagte noch:

"Ja, und womöglich müßte so ein Zauber auch auf das Kind und den Vater zugleich gewirkt werden, um den Fluch aufzuheben. Aber ich verstehe, daß das echt nicht zur Wahl steht." Madame Faucon bestätigte es, ebenso Madame Rossignol. Julius jedoch wollte sich nicht so einfach damit abfinden. Ein plötzlicher Geistesblitz schoß ihm vom Gehirn direkt in den rechten Arm und riß diesen hoch. Dann sagte er schnell, bevor er wegen irgendwelcher Vorwitzigkeiten noch den Sprechbann abbekommen mochte:

"Wenn es so ist, daß der Fluch wirkt, weil Bernadette Cyrils Kind in sich trägt, könnte der vielleicht abgeschwächt oder ganz aufgehoben werden, wenn das Kind vor der Geburt in einer anderen Hexe zu Ende wächst. Die Heiler kennen einen Zauber, der sowas kann."

"Das stimmt", vernahmen sie unvermittelt Serena Delourdes' Stimme. In dem großen Gemälde stand die Gründerin des gelben Saales neben der des grünen und dem gemalten Ich Aurora Dawns. "Tatsächlich hat die Heilerin Viola Süßkirsch im Jahre 1825 eine derartige dunkle Kette ohne Tod des Erzeugers und seines Ungeborenen zerschlagen können, indem sie die Trägerin des verbindenden Kindes durch den Transgestatio-Zauber der Leibesfrucht entledigte und diese mit eigenem Blut und Fürsorge ausreifen ließ. Als sie das mit dem Fluch behaftete Kind gebar, verlosch dieser restlos, und Vater und Kind konnten unabhängig voneinander fortleben. Die Hexe, die den Fluch wirkte, wurde vom befreiten Kindesvater wegen vorsetzlicher Freiheitsberaubung und fortgesetzter Mordandrohung angezeigt und zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Des weiteren wurde sie von Ministeriumszauberern unfruchtbar gemacht, um derartiges nie wieder ausführen zu können."

"War diese Hexe zum Zeitpunkt der Tat bereits volljährig?" Fragte Madame Faucon sehr bedrohlich klingend.

"Sie und der Kindesvater", sagte Serenas Bild-Ich. "Hier könnte die Freiheitsberaubung und Mordandrohung noch schwerer ausfallen, weil Cyril noch minderjährig ist."

"So oder so dürfte dieser Vorfall unangenehme Folgen haben, die sich auf das gedeihliche Miteinander von Beauxbatons und Thorntails im besonderen und dem Verhältnis von Beauxbatons zu anderen Zaubereilehranstalten im allgemeinen auswirken", stieß Madame Faucon aus. "Unabhängig davon, ob eine Mitarbeiterin der Delourdesklinik oder eine freischaffende Heilerin, die das Ungeborene in ihre eigene körperliche Obhut aufnimmt und dessen Mater de Jure wird oder Monsieur Southerland sein Leben lang durch die Blutkette an das körperliche Wohl von Mademoiselle Lavalette geschmiedet bleibt."

"Falls Sie Angst um Ihre Reputation haben, Blanche, so werden wir vor den Schulräten und der Ausbildungsabteilung bestätigen, daß Sie nichts von diesem Vorgang mitbekommen konnten, bis es zu spät war", wandte Madame Rossignol ein. Madame Faucon sah Millie an. Dieser schwante, was die Schulleiterin jetzt wohl gerade dachte und straffte sich unversehens.

"Bei allem Respekt, Madame Faucon, aber Patricia, Leonie und ich haben keine Anzeichen mitbekommen, daß Bernadette gerade schwanger ist. Wenn mein Kniesel das jetzt erst erkennt, dann hätte ich das selbst nicht früher erkennen können."

"Warum eine derartig vorauseilende Abwehr?" Fragte Madame Faucon verdrossen. Da sagte Madame Rossignol:

"Blanche, nach dem Fall mit Constance Dornier sind meine Pflegehelferinnen höchst sensibilisiert auf die typischen Anzeichen. Außerdem konnten Sie und Boragine Bernadette jeden Morgen beim Frühstück beobachten. Falls Sie jetzt finden, im Sog des schwindenden Vertrauens andere mitzureißen, so verwahre ich mich entschieden dagegen. Womöglich nahm Bernadette bis zur Ausführung des Fluches Übelkeitsverdrängende Tränke ein oder empfand noch keine typischen Symptome außer dem Ausbleiben der Regelblutung. Womöglich hätte Millie oder Patricia Bernadette in einer oder zwei Wochen zu mir gebracht, vielleicht aber auch erst nach zwei Monaten. So oder so wissen meine Pflegehelferinnen, daß eine Mitschülerin bei bestimmten körperlich-seelischen Auffälligkeiten unverzüglich und ohne Rücksicht auf Freundschaft oder Kameradschaft zu mir zu bringen ist."

"Wenn ich mitbekommen hätte, daß Bernadette nicht unter Prüfungsangst leidet sondern ein Kind erwartet hätte ich sie schon längst hier angebracht", knurrte Millie. Madame Rossignol nickte.

"Ich könnte gezwungen sein, Sie, Mademoiselle Poissonier und Mademoiselle Latierre vereidigen zu lassen, daß Sie nicht mitbekommen haben, daß mit Mademoiselle Lavalette etwas nicht mehr so ist wie früher", raunte Madame Faucon. Julius fühlte Millies Beklemmung, die zur Wut wurde und wandte sich an die Schulleiterin:

"Bei allem Respekt, Madame Faucon, aber wenn meine Frau von etwas Ahnung hat dann davon, wie sich Hexen fühlen, die Kinder kriegen. In unserer gemeinsamen Verwandtschaft gab es genug Beispiele. Außerdem ist meine Frau nicht so gut mit Bernadette befreundet, wie es Deborah Flaubert mit Constance Dornier war. Mildrid würde sich also nicht von Bernadette beschwatzen lassen, etwas zu verheimlichen, bis es nicht mehr zu verheimlichen geht."

"Ihre Bereitschaft, Ihrer Frau beizuspringen ehrt Sie, Monsieur Latierre. Doch ich muß absolut sicher sein, daß niemand von diesem Vorfall Notiz erhalten hat, um die Ausführung des Fluches zu verhindern", sagte Madame Faucon. Julius sprang förmlich auf, ebenso Millie. Er stellte sich kerzengerade vor die Schulleiterin hin, in deren Augen es sehr gefährlich funkelte:

"Ohne die Kniesel wüßten wir doch gar nicht, was los ist, Madame Faucon. Also kommen Sie jetzt bitte nicht damit, daß meine Frau das lange vorher schon hätte wissen können. Und selbst wenn, hätte Bernadette den Fluch auf Cyril legen können, ohne daß irgendwer das mitbekommen hätte", spie er ihr förmlich entgegen. Die Schulleiterin erhob sich bebend. Zwischen ihr und Julius herrschte eine unerträgliche Spannung. Die Schulleiterin von Beauxbatons versuchte, Julius mit ihrem Blick niederzuringen. Doch in diesem loderte die Wut und eine Entschlossenheit, die aus der Gewißheit erwachsen war, nichts mehr verlieren zu können. Beide starrten sich Sekunden lang an. Millies und Julius' Wut bündelten sich in ihm und machten ihn für das saphirblaue Funkeln undurchdringlich. Madame Faucon keuchte, während Julius die Muskeln anspannte und Millie wie eine zum Sprung bereite Katze auf ihrem Stuhl kauerte. Die Schulleiterin fischte mit zitterndem Arm nach ihrem Zauberstab. Da spannte sich mit lautem Knall ein silberner Schild zwischen ihr und Julius auf.

"Okay, beide hinsetzen!" Bellte Madame Rossignol mit einer in diese hochgespannte Stille einschlagenden Stimme. "Schnell schnell, setzen! Sie auch, Blanche!" Die Schulleiterin hatte ihren Zauberstab gerade freigezogen. Zischend entfuhren ihm giftgrüne Funken. Julius hatte auch den Zauberstab in der Hand. Sirrend sprühten blaue und violette Funken daraus hervor. Die ungerichteten Magieentladungen zerstoben an dem silbernen Schildwall. Julius fühlte seine Beine erbeben. Ihm war heiß. Er hörte seinen Atem laut und keuchend wie einen Blasebalg. Doch dann ruckelte es in seinem Körper, und er ließ sich langsam auf seinen Stuhl sinken. Behutsam ließ er den Zauberstab wieder in seinem Gürtelfutteral versinken. Madame Faucons Blick blitzte von links nach rechts hin und her. Sie stand mit Funken sprühendem Zauberstab da. Doch dann zitterte ihre Hand. Sie senkte ihren Zauberstab und fiel eher als sich zu setzen auf ihren Stuhl zurück.

"Fehlte hier noch, daß ihr zwei euch hier wegen dieses Rosengärtners und seiner Fallenstellerin unrettbar verflucht", schnarrte Madame Rossignol. Millie, die ihre Hand bereits da hatte, wo sie ihren Zauberstab aufbewahrte, sah die Heilerin an, die mit ihrem Zauberstab den silbernen Wall dirigiert hatte. Diese bedeutete Millie, sich nicht zu rühren. Julius erkannte nun, wie haarscharf er an einem tödlichen Duell mit Madame Faucon entlanggeschrammt war. Scham und Bestürzung durchbrachen die in ihm gebündelte Wut, die wohl nicht nur seine eigene gewesen war. Wie hatte er sich wieder soweit gehen lassen können? Er hatte gedacht, in den Monaten mit Madame Maximes Blut im Körper gelernt zu haben, seine Gefühle nicht zu stark ausufern zu lassen. Oder war es Millies Wut gewesen, die ihn so heftig berührt hatte? Er war sich sicher, daß wenn es nicht Madame Faucon, sondern ein Mann wie Professeur Delamontagne gewesen wäre, er längst losgestürmt und dem einen Schlag versetzt hätte. Madame Rossignol sah beide an und sagte mit unüberhörbarer Strenge:

"Ich schlage vor, diese kleine, höchst unerfreuliche Episode schnellstmöglich wieder zu vergessen. Was Julius über die Möglichkeit gesagt hat, diesen Fluch zu verhindern stimmt. Wären die Kniesel nicht gewesen, würden wir überhaupt nicht wissen, daß Cyril unter dem Catenasanguinis-Fluch steht. Denn er selbst hätte es niemandem verraten. Wir hätten die auf ihn übertragenen Schwangerschaftsbeschwerden Bernadettes für Prüfungsangst gehalten, und Bernadette hätte unbeschwert von den üblichen Anzeichen ihre ZAG-Prüfungen gemacht. Womöglich wäre dann in den Ferien ein Brief gekommen, daß sie sich dazu entschlossen hätte, nicht mehr nach Beauxbatons zurückzukehren. Wer volljährig ist kann frei entscheiden, wann er oder sie die Ausbildung beenden will. Das steht in den Schulregeln von Beauxbatons und auch in denen von Thorntails, Greifennest, Hogwarts und anderen Zaubereischulen. Niemand hätte geargwöhnt, daß Bernadette eine schwarzmagische Verbindung zwischen einem in ihr wachsendem Kind und dessen Vater geschmiedet hat. Nur die beiden hätten es gewußt und niemandem verraten. Nur dem Spürsinn der Kniesel und der zwischen Goldschweif und Julius und Dusty und Mildrid bestehenden Interfidelis-Verbindung dürfen und müssen wir es verdanken, daß wir wissen, woran wir sind und dies ohne Cyril Southerlands Leben gefährdet zu haben. Wenn dies in diesem Raum alle so sehen wie ich braucht niemand mit oder ohne Zauberstab auf sein Gegenüber loszugehen."

"Sie haben recht, Madame Rossignol", tat Julius den ersten Schritt. "Ich entschuldige mich dafür, daß ich Ihnen den Eindruck vermittelt habe, ich wolle Sie körperlich angreifen, Madame Faucon."

"Ich muß mich ebenso entschuldigen, da ich diejenige bin, die mehr Selbstbeherrschung aufzubieten hat", erwiderte Madame Faucon sehr verdrossen. "Sie mußten den Eindruck gewinnen, daß ich Ihre Frau bezichtigen wollte, durch Unachtsamkeit oder gezielter Heimlichkeiten meine Laufbahn zu gefährden. Ich muß einräumen, daß ich im ersten Moment den Gedanken hegte, daß ich wegen solcher Nachlässigkeiten oder gezielter Pflichtverrgessenheiten vor dem Scherbenhaufen meines Berufslebens stehen würde. Allerdings stimmen die Argumente, daß es nur und ausschließlich die Schuld Mademoiselle Lavalettes ist, daß diese Situation entstanden ist."

"Würde ich so nicht sagen, Blanche. Denn Monsieur Southerland hat ja wohl seinen Beitrag dazu geleistet, daß sie ihn derartig verfluchen konnte. Oder wollen Sie als mildernden Umstand geltend machen, daß er sich von Mademoiselle Lavalette hat verführen lassen, damit sie von ihm ein Kind empfängt?"< Schaltete sich nun Professeur Fixus ein. Julius fragte sich, wie die Verbaltelepathin die unerträgliche Anspannung zwischen ihm und ihrer Chefin empfunden hatte.

"Eben das kann nur dann restlos aufgeklärt werden, wenn für Monsieur Southerland und dessen ungeborenes Kind keine Lebensgefahr mehr besteht. Solange wäre jede Aktion gleichbedeutend mit Beihilfe zum Doppelmord. Und diesen Vorwurf will ich mir ganz sicher nicht auch noch anlasten lassen, wenn ich schon vor den Schulräten von Beauxbatons, der Ausbildungsabteilung, Prinzipalin Wright und den Eltern dieses jungen Mannes zur Verantwortung gezogen werden muß, weil dieser unglaubliche Vorfall unter dem Dach der von mir geführten Lehranstalt geschehen konnte."

"Wie erwähnt, Blanche, ist es zu klären, ob Mademoiselle Lavalette die alleinige Schuld trägt. Immerhin ist Monsieur Southerland nun fünfzehn Jahre und somit im Besitz der Matura Corporis, wenngleich diese ohne die entsprechende Geistesreife eher hinderlich als hilfreich ist", beharrte Professeur Fixus darauf, daß Madame Faucon nicht die alleinige Schuld für das alles hatte und auch Bernadette Lavalette nicht als Alleinschuldige hingestellt wurde. Julius dachte in diesem Moment an damals, wo Madame Faucon schon einmal fürchten mußte, entlassen zu werden, weil sie ihm das Intrakulum für die Reise zu den Morgensternbrüdern übergeben hatte und er deshalb fast nicht wiedergekommen wäre und Claires Körper danach tot war. Das hier mochte ihr schlimmer zusetzen.

"Magistra Delourdes, bitte holen Sie bei Ihrem Gegenstück in der Delourdesklinik Informationen ein, ob man dort über Catenasanguinis informiert ist und ob die von Ihnen erwähnte Therapierung vorgenommen werden kann!" Befahl Madame Faucon.

"Das werde ich sogleich erfragen, Blanche", erwiderte Serena Delourdes und verschwand aus ihrem Bild.

"Wie wollen Sie verfahren, wenn der Fluch nicht gebrochen werden kann?" Fragte Aurora Dawns Bild-Ich. Madame Faucon nahm es wohl jetzt erst zur Kenntnis und verzog noch einmal das Gesicht. Dabei sagte sie sehr bedrohlich klingend:

"Falls wir den Fluch nicht brechen können, ohne Vater und Kind zu töten, kann ich nur darauf hoffen, daß Mademoiselle Lavalette nach den ZAG-Prüfungen von sich aus auf eine Fortsetzung der Ausbildung verzichtet. Für Monsieur Southerland kann ich dann jedoch nichts tun, da sie dann mit ihm verfahren kann wie sie will, so ungern ich dies einräume. Sie kann seine Eltern erpressen, ihn mit ihr zusammenleben zu lassen, ihm vorschreiben, was er zu tun hat, von den im Fluch festgelegten Bedingungen abgesehen. Eines kann sie jedoch nicht tun, mit ihm vor einen Zeremonienmagier treten, auch wenn der zur Zeugung führende Beischlaf sicher auf französischem Boden stattfand und somit die ungeschriebenen Verbindlichkeiten gelten, denen nach Hexen und Zauberer über fünf Lebensjahre, die nicht miteinander verwandt oder durch nicht von ihnen zu beeinflussende Umstände dazu gezwungen, sondern aus freien Stücken einander unbekleidet ansehen oder gar berühren dazu verpflichtet werden können, mit oder ohne erfolgte Kindeszeugung zu heiraten. Allerdings dürfte jeder Zeremonienmagier die Trauung verweigern, wenn diese unter dem Zwang eines verbindenden Fluches erfolgen soll. Allerdings, sollte der Fluch erfolgreich gebrochen werden, könnte Mademoiselle Lavalette nach dem dann fälligen Abbruch ihrer Ausbildung und unter Umständen zu verbüßenden Haftstrafe darauf bestehen, Monsieur Southerland zu ehelichen. Allerdings gelten die französischen Regeln nicht auf dem Boden der vereinigten Staaten, und Monsieur Southerland würde wohl vom wilden Wichtel gebissen sein, sich freiwillig wieder in unser altehrwürdiges Land zu wagen. Wenn er in seiner Heimat eine Frau findet, die mit ihm das Leben verbringen möchte, kann ihn keine zaubereirechtliche Instanz davon abhalten."

"Und das Kind wächst dann unter dem Namen seiner Gebärerin auf, richtig?" Fragte Julius.

"Wäre nicht das erste mal, daß ein Kind erst weit nach der Geburt erfährt, wer sein Vater ist, Julius", sagte Madame Rossignol. "Sollte die von dir und Serena erörterte Möglichkeit erfolgreich sein, so denke ich sehr stark, daß das Kind später dankbar sein wird, von dieser gnadenlosen Verbindung getrennt worden zu sein."

"Hmm, was wäre, wenn Cyril Selbstmord begeht, bevor das Kind ... ähm ... umzieht?" Fragte Julius.

"Auch ein Effekt des Fluches. Der Betroffene kann sich nicht selbst töten, weil in ihm der Trieb zum Leben verankert ist. Sonst wäre es ja einfach, indem er verrät, daß er verflucht wurde. Die Angst zu sterben hindert ihn auch daran, sich selbst zu töten. Warum das so ist wissen wir nicht, da wir nicht mit diesem Fluch herumexperimentieren können", sagte Madame Faucon, jetzt wesentlich gefaßter. Offenbar hatte sie sich schon damit abgefunden, demnächst ihr Amt in Beauxbatons zur Verfügung zu stellen, wie es so schön formuliert wurde. Vielleicht gährte in ihr bereits ein Vergeltungsplan, wenn sie wirklich wegen dieser beiden Schüler ihren Posten räumen und womöglich noch irgendeine Strafe hinnehmen mußte. Julius hatte befürchtet, daß sie Millie mit in diesen Sog reißen würde. Doch nun dachte er, daß sich ihre Hauptwut auf Bernadette und Cyril bündeln würde. Wehe den beiden, sollte der Fluch gebrochen werden, dachte Julius. Dabei sah er seine Frau an. Auch sie wirkte äußerlich ruhig. Doch er fühlte die in ihr gährende Verachtung, den Wunsch, jemanden zu erwürgen oder mit den schlimmsten Zaubern zu beharken. Wehe Bernadette, wenn der Fluch gebrochen war. die hatte sich mit dieser Aktion zwei Todfeindinnen gezüchtet, mit Cyril wohl noch einen Todfeind, auch wenn der bis dahin wohl mehr Lust als Last mit ihr gehabt hatte.

"Was erzählen wir den anderen wegen Monsieur Southerland? Oder wird der gleich aufgeweckt und wegen einer Untersuchung ohne Befund zurückgeschickt?" Fragte professeur Fixus. Madame Faucon und Madame Rossignol wiegten ihre Köpfe. Sie überlegten wohl, wie sie, ohne Bernadette zu warnen mit dieser Sache umgehen sollten. Julius blickte auf die dunkelviolette Kugel, in der der Behandlungstisch schwebte. Cyril schlief hoffentlich noch. Sich vorzustellen, nichts mehr zu sehen, zu hören, zu riechen, zu fühlen oder zu schmecken war für ihn eine Horrorvorstellung. Nachher wurde Cyril noch wahnsinnig, weil sein Gehirn wegen dieser kompletten Abschottung aus den Fugen geriet.

"Ich denke, wenn er wieder aufwacht wird ein Gedächtniszauber angeraten sein, daß er zu mir kam, um sich etwas gegen die prüfungsbedingte Übelkeit zu holen", sagte Madame Rossignol. Alle Anwesenden nickten.

Alle blickten nun zum Gemälde Serena Delourdes' hinauf, wo im Moment nur Aurora Dawn zu sehen war, die aufmerksam und interessiert verfolgte, wie sich dieser höchst unangenehme Vorfall weiterentwickelte. Da erklang ein dumpfer Knall. Unmittelbar darauf schien die Luft im Sprechzimmer elektrisch aufgeladen zu sein. Julius fühlte es um sich herum knistern und prickeln. Eine Viertelsekunde nach dem Knall rüttelte ein lautes Poltern an den Ohren der Anwesenden. Jetzt sahen alle, daß der Behandlungstisch auf den Boden gefallen und auf die Seite gekippt war. Die magische Energieblase hatte sich völlig aufgelöst. Und nicht nur sie. Alle starrten entgeistert auf die schlaff vom umgekippten Tisch herabhängenden Riemen, mit denen Cyril vorhin noch gefesselt worden war. Der rotblonde Austauschschüler selbst war verschwunden. Neben dem umgestürzten Behandlungstisch lag eine Pergamentrolle in einem weißen Holzring. Madame Faucon stieß ein höchst verärgertes: "Nein, dieses mißratene Geschöpf!!" aus und zückte ihren Zauberstab, der für eine Sekunde wie eine rot sprühende Wunderkerze Funken in den Raum schleuderte. Erst dann hatte die Schulleiterin ihre Gefühle und Zauberkräfte wohl gut genug im Griff, um einen Flucherkenner auf die Pergamentrolle zu richten. Da sie nichts enthüllte holte sie die Rolle mit "Accio!" zu sich hin. Sie zog den Holzring ab und entrollte das Pergament. Sie überflog die obersten und die untersten Zeilen. Wieder erglühte das Wutrot in ihrem Gesicht. Wieder funkelten ihre saphirblauen Augen äußerst bedrohlich. Dann rollte sie das Pergament zusammen und gab es Madame Rossignol. "Lassen Sie es vorlesen!" Zischte die Schulleiterin die Heilerin von Beauxbatons an. Diese entrollte das Pergament noch einmal, betrachtete die obersten und die untersten Zeilen. Dann sprach sie so gefaßt wie möglich klingend: "Scriptorvista!" Über der Rolle flimmerte die Luft, und eine räumliche Abbildung Bernadettes entstand. Die Projektion zeigte sie in ihrem Walpurgisnachtkostüm. Darüber hinaus verriet ein sanft gewölbter Bauch, daß die Verfasserin neues Leben trug. Julius wußte mittlerweile, daß der Schreiberanzeige-Zauber den Verfasser eines Textes immer in der Kleidung darstellte, die zu dem Text paßte. Das konte bei leidenschaftlichen Liebesbriefen schon zu unangenehmen Enthüllungen führen. "Audietur Scriptum!" Rief die Heilerin noch mit über die in ganzer Länge ausgebreitete Rolle schwingendem Zauberstab. Da erklang Bernadettes ruhige, aber eine unverkennbare Verachtung tragende Stimme von dort, wo das Pergament lag:

"Sehr geehrte Madame Rossignol und womöglich auch Madame Faucon, vielleicht sogar Professeur Fixus sowie meine ehemalige Schlafsaal- und Klassenkameradin Mildrid Latierre und wer sonst noch alles dieses Schreiben lesen darf,

wenn Sie diese Nachricht finden, dann wissen Sie, daß ich weiß, daß sie wohl drauf gekommen sind, daß mein Cyril jetzt ganz der meine ist, so wie er es mir geschworen hat, bevor er das Geheimnis seiner Mutter mit mir teilte. ER schwor es auch, als wir beide nach leidenschaftlicher Zweisamkeit erschöpft, aber voneinander ausgiebig gesättigt, aus dem Ostpark von Beauxbatons zurückkehrten, in dem wir unter Aufbietung guter Melde- und Verhüllungszauber unser theoretisches Wissen in die Praxis umsetzten. Er gelobte mir, mich immer zu ehren und zu achten und mit niemanden darüber zu sprechen, daß wir bereits - wie steht es in diesem dicken Glaubensbuch der Juden und Christen? - einander erkannt haben. Um sicher zu sein, daß niemand ihm oder mir des anderen wegen Schwierigkeiten machen kann, vor allem nicht Sie, Professeur Fixus, habe ich mit ihm den Divitiae-Mentis-Zauber durchgeführt, um unsere Beziehung zu verhüllen. woher ich ihn kann ist meine Angelegenheit. Um das von mir sowohl absichtlich wie unabsichtlich erzeugte Bild einer nur auf Leistung und Notenpunkte abzielenden Schülerin nicht ins Wanken zu bringen und damit zu unangenehmen Vermutungen zu reizen, haben wir uns niemals in der Öffentlichkeit gezeigt. Unsere Verständigung verlief über Eulenpost und Proteus-Gegenstände. Da er mir versprochen hat, mich an Walpurgis zu begleiten, um mmir somit zu gestatten, unter den anderen jungen Hexen nicht dumm dazustehen, bestellte er das zu meiner Aufmachung gehörende Kostüm. Wahrscheinlich wußte er da schon, daß er mein ewiger Begleiter sein wird, wie es der Mond für die Erde und die Erde für die Sonne ist.

Wir haben zwar bei unserem leidenschaftlichen Kennenlernen mit kontrazeptiven Essenzen hantiert. Dennoch fühlte ich bald, daß mein Körper sich veränderte. Ich prüfte mich mit den aus einschlägigen Zaubertrankbüchern für Hexenheilkunde bekannten Essenzen und mußte feststellen, daß Cyril mir neues Leben zu tragen anvertraut hatte. Ich wußte natürlich, daß ich dieses Kind wohl nicht zu Ende tragen würde, vor allem, daß ich es frühzeitig in das Nichts zurückschicken würde, aus dem es entstand, um nicht von der achso aufgestiegenen Saalsprecherin Mildrid Ursuline Latierre vor Sie, Madame Rossignol geschleppt zu werden, damit Sie mich dazu verpflichten können, wie dieses dumme Mädchen Constance Dornier zum Gespött der anderen mit immer runder anschwellendem Bauch herumzulaufen und womöglich auch noch in Ihrem Krankenflügel niederzukommen. Nein, dieses Schicksal wollte ich Cyril und mir nicht antun. Denn ihn hätten Sie den Regeln nach aus der Schule hinauswerfen müssen, weil wir ja auf dem Grund und Boden dieser altehrwürdigen Akademie hier verbotene Zweierspiele gespielt haben. Deshalb mußte ich auch die werte Madame Mistral beschwindeln, als sie mich fragte, ob ich mich körperlich wohl genug fühle und gerade nicht schwanger sei. Denn ich wollte nicht wegen eines Kindes, dessen Tage schon gezählt waren, die Apparierprüfung versäumen. Leider hat es nicht so gut geklappt wie ich hoffte. Da hat mein Körper mir einen Streich gespielt. Zumindest bin ich mit allem an und in ihm immer appariert, nur nicht immer dort, wo ich ankommen sollte. Na ja, die Prüfung habe ich geschafft.

Walpurgis war schön. Womöglich wollte mich die Feier für das entschädigen, was danach kommen sollte. Ich war dabei, den Trank der folgenlosen Freuden zu brauen. Um die bereits aufkommende Morgenübelkeit zu überdecken trank ich Doktor Kallogasters Magentrostelixier, das ich mir in einer unverfänglichen Pralinenschachtel zuschicken ließ. So gelang es mir, bis zur Walpurgisnacht keinen Verdacht zu erregen. Ich brauchte noch zwei Wochen, um den Trank der folgenlosen Freuden nachzubrauen. Die Zutaten dafür konnte ich in den Zaubertrankstunden und dem Alchemiekurs abzweigen. Noch einmal vielen Dank an Professeur Fixus für den Zugang zu Ihrer Pharmakothek! Auch wenn Sie es vielleicht für Heuchelei halten, so wird es Sie vielleicht beruhigen, daß ich den Trank am Ende doch nicht fertiggestellt und getrunken habe.

Ich weiß nicht wieso, aber irgendwie wollte ich Cyril nicht vorenthalten, daß in mir sein Kind ruhte. Sicher hätte ich die letzte Entscheidung gehabt. Doch er sollte zumindest wissen, daß ich ihm keine Unannehmlichkeiten bereiten würde. Ich suchte und fand ihn nach dem Endspiel mit Gaston zusammen. Er bemerkte nicht, daß ich zu ihm kam. Die beiden dachten wohl, daß sämtliche Bewohner und Mitarbeiter von Beauxbatons im Stadion seien, um die Pokalübergabe mitzuverfolgen. Daß wir Roten ihn gewonnen haben, obwohl die Grünen nur sieben Tore oder Schnatzfang gebraucht hätten war mir in diesem Moment egal. Denn ich erfuhr etwas, daß mich derartig erschütterte, daß ich dachte, den Trank nicht mehr nötig zu haben. Gaston übergab Cyril einen Stapel Hausaufgaben und erklärte ihm, wann welche Aufgabe drankommen würde. Dann lachten sie über mich, weil Cyril behauptete, ich sei zwar eine Pergamentfresserin, aber ansonsten noch dümmer als die anderen Mädchen, die er schon zu betören versucht habe. Nur ein wenig ruhiges Geplauder, gut vorgebrachte Kenntnisse und langsame aber sichere Annäherung, damit ich das, wovon ich nur las, auch einmal selbst ausprobierte. Das habe geklappt und er damit die mit Gaston abgeschlossene Wette gewonnen. Gaston meinte dann noch, es sei schade, daß er eine gewisse Bumblebee BBoosterboob nicht in seinen Schrank hängen dürfe, aber sehe es ein, daß Wettschulden nun einmal ehrenschulden seien. Diese beiden grünen Jungen haben mich, eine über ihre Bedürfnisse bis dahin so sicher erhabene, ältere Hexe, schamlos ausgenutzt, um ihr pubertäres Spiel mit mir zu treiben. Und ich hatte auch noch ein Kind von diesem hinterhältigen Kerl im Bauch! Die beiden bekamen das nicht mit, daß ich sie belauscht hatte. Solange ich in ihrer Nähe war konnte ich mich beherrschen. Ich ließ meine Wut und Enttäuschung erst im grünen Forst aus. Ich denke, Professeur Fourmier wird die sieben total verwirrten Leprechans mittlerweile wieder beruhigt haben. Dann kam der größte Schlag, als Cyril am Abend offen auf dieses Flittchen Valentine Devereaux zuging und ihr völlig unverkrampft an Brust und Geschlecht langte. Da konnte ich nicht an mich halten und wollte ihn ordentlich verprügeln. Leider haben Mildrid und ihre freche kleine Tante das mitbekommen. Gut, die fünfzig Strafpunkte mußte ich hinnehmen und die Strafarbeit auch. Aber ab dem Moment war mir klar, daß Cyril mich bereits weggeworfen hatte, und ich wollte auch noch ihm zum Gefallen ein ungewolltes Kind abtreiben! Nein! Diesen heimlichen Triumph wollte ich ihm nicht auch noch gönnen. Der dachte wohl, unsere geschlechtliche Vereinigung sei durch die Verhütungselixiere wunschgemäß unfruchtbar verlaufen. Da erinnerte ich mich an eine sehr vertraute Hexe, die mir mal erzählt hat, daß Hexen sich nicht gefallenlassen müssen, von einem Mann, Muggel oder Zauberer, einfach so auf den Abfallhaufen geworfen oder ständig betrogen zu werden. Ich schrieb sie an und erwähnte, daß mein Auserwählter mich mit einem Kind sitzen lassen wollte, ja mir sogar angedroht habe, es mir aus dem Leib zu prügeln. Das hat er zwar nicht wirklich, aber die Möglichkeit bestand, wenn ich ihm nicht den Gefallen tat, den Trank der folgenlosen Freuden einzunehmen und mich den unangenehmen Begleiterscheinungen hinzugeben. Meine Vertraute schickte mir getarnt die Vorgehensweise für einen höchst wirksamen Fluch, der das gemeinsame Fleisch und Blut zum ständigen Verbindungsstück zwischen ihm und mir machen würde. Sie riet mir auch, dann, wenn das Kind sich nicht weiter unter gewöhnlichen Umhängen verbergen ließe, die Schule zu verlassen, vielleicht noch vor den Prüfungen. Denn fiele es auf, so müßte ich damit rechnen, sowieso der achso großartigen, alten und ehrwürdigen Beauxbatons-Akademie verwiesen zu werden.

Unter dem Vorwandt, mich noch einmal mit ihm aussprechen zu wollen und unter der Androhung, seine und meine Heimliche Beziehung schulweit bekannt zu machen gelang es mir, ihn an den Ort zu locken, an dem ich sein Kind empfing. Dort sprach ich einen Bewegungsbann über ihn und führte den Fluch aus, wie ich es erfahren hatte. Dabei habe ich ihm Bedingungen aufgeladen, ohne die er untrennbar mit meinem Leben und dem unseres ersten Kindes verbunden sein soll. Als ich die magische Verbindung vollendete gab ich ihn aus dem Bewegungsbann frei. Er wollte mich angreifen und erfuhr dabei, daß er sich selbst Schmerzen zufügte. Ich konfrontierte ihn damit, daß ich ihn nun jederzeit ohne ihn anfassen oder direkt den Zauberstab auf ihn richten zu müssen töten könne, wenn ich den Trank der folgenlosen Freuden einnehme. Ich brachte mir Nadelstiche bei, die jedoch nicht mich, sondern ihn heftig schmerzten. Er erklärte mich für wahnsinnig. Ich stritt ihm gegenüber nicht ab, daß jemand, der so dermaßen enttäuscht wurde wie ich, durchaus zu wahnhaft anmutenden Taten bereit sei. Doch nun gehöre er mir, und ob wahnsinnig oder nicht bestimme ich durch mein Leben und das Leben des in mir wachsenden Kindes von ihm sein Leben. Da er mitbekam, daß er, sobald er jemandem wie auch immer enthülle, daß er überhaupt verflucht sei, das Kind töten und deshalb selbst sterben müsse, war der kleine Rosengärtner ganz zahm und versprach mir, mich nicht mehr zu hintergehen. Das kann er eh nicht, weil der Fluch sofort zwischen ihn und jede Frau oder jedes Mädchen springt, das er anfassen oder noch näher begutachten will. Nun mußte er die morgentliche Übelkeit aushalten. Ich wußte, daß er damit nicht zu Ihnen, Madame Rossignol, laufen würde. Falls man ihn doch dabei erwischte, wie er seine Übelkeitsanfälle durchlitt, sollte er sich halt das Magentrostgebräu wegen auf den Magen schlagender Prüfungsängste verschreiben lassen.

Tja, so hätte ich die ZAGs wiederholen und vor dem Sichtbarwerden meiner Schwangerschaft Beauxbatons verlassen können. Ob Cyril in die Staaten zurückkehrte oder wegen dem Ding mit den Hausaufgaben aufflog war mir egal. Wenn ich wollte, daß er zu mir kam würde er kommen, wußte ich. Außerdem habe ich ihn vor dem Fluch mit einem Rollenhaltering abgestimmt, den ich als Translokalisationszauber-Gegenstück verwenden wollte, falls ich wollte, daß er sofort bei mir zu erscheinen habe. Das dürfte der Ring sein, den Sie gerade in der Hand gehalten haben.

Tja, und jetzt erzählt mir dieser kleine Flubberwurm Barnabas Camus, daß Dutzendmutter Ursulines viertjüngste Tochter Cyril zu Madame Rossignol gebracht hat, weil dieser reudige amerikanische Straßenkater Dusty angeblich was gegen ihn habe und die nicht wüßten, ob das was magisches sei. Da ging mir mit der Wucht einer Supernova auf, daß Kniesel jede Form von Magie erspüren können und Mildrid ja allen erzählt hat, daß auch sie den Interfidelis-Trank habe trinken dürfen. Ich wandte einen mit den Instruktionen für den Verbindungsfluch mitgeschickten Ortungszauber an, der von keinem außenstehenden Zauber erspürt werden kann. Als ich erkannte, daß Cyril im Krankenflügel war erkannte ich, daß sie darauf stoßen würden, was er habe, ohne es ihm zu sagen. Ich saß auf meinem Besen auf und flog aus dem Schlafsaalfenster hinaus bis über die Grenzen von Beauxbatons. Dort disapparierte ich.

Der Umstand, daß Sie nun diesen Brief lesen kommt daher, daß ich Cyril aus Ihrer Obhut heraustranslokalisiert habe. Ich gehe davon aus, daß sie nach der Schrecksekunde seines Verschwindens eine bis zwei Minuten brauchen, um diesen Brief zu lesen. Diese Zeit reicht mir völlig aus, um in den Schutz eines mit Fidelius-Zauber gesicherten Hauses zu kommen. Dort werden Cyril und ich das erste gemeinsame Jahr verleben, gut betreut von verschwiegenen Hauselfen und bereits erwähnter Bekannten, die obgleich keine aprobierte Heilerin, doch genug Ahnung von Hexenheilkunde und Geburtshilfe hat. Denn ich muß davon ausgehen, daß Sie diesen achso perfiden Transgestatio-Zauber gegen mich benutzen könnten, um meine Verbindung mit dem Kind und damit womöglich die Verbindung zu Cyril zu trennen, ohne beide zu töten. Ich habe es erwähnt, daß Cyril jetzt ganz der meine ist und bleibt, bis er alle nur ihm und mir bekannten Bedingungen erfüllt hat, um keine Angst vor meinem oder seines erstgeborenen Kindes Tod mehr haben zu müssen. Die Erfüllung dieser Bedingungen dürfte ein Leben lang vorhalten. Ich las irgendwann mal, daß Menschen, die über längere Zeit Gefangene waren, Sympathien, ja sogar Liebe für ihre Wärter entwickelten. Falls das nicht nur dummes Geschwätz ist hege ich die große Hoffnung, daß Cyril seine früheren Verfehlungen wirklich bereut und mit mir und unserem gemeinsamen Nachwuchs ein glückliches Leben führen wird. Denn wenn ich das erste Kind sicher auf diese Welt gebracht haben werde, kann ich es wagen, selbst ans Licht der Öffentlichkeit zurückzukehren. Sollten Sie oder das Zaubereiministerium dann danach trachten, mich gerichtlich zu belangen weise ich sie jetzt schon mal darauf hin, daß ich in dem Moment, wo mich jemand magisch oder mit körperlicher Gewalt zu überwältigen versucht, meinen eigenen Tod herbeiführe. Teilen Sie dies bitte Cyrils sicherlich sehr aufgeregten und besorgten Eltern mit, die es ja vorher nicht nötig hatten, sich über die Ausbildung ihres Sohnes zu erkundigen. Bei der Gelegenheit grüßen Sie bitte Prinzipalin Wright von mir! Die ihr anvertrauten jungen Hexen sind nun vor diesem umtriebigen Rammler sicher.

An Sie, Madame Faucon, ergeht mein abschließendes Wort: Ich bin Ihnen zwar sehr dankbar, daß Sie mir als Lehrerin und in diesem Jahr als Schulleiterin eine sehr umfassende Ausbildung boten. Allerdings kann und will ich Ihnen nicht verzeihen, wie Sie meinen gerechtfertigten Protest gegen die unverdiente Vorzugsbehandlung von Mildrid Latierre, die sich dieser hohen Auszeichnungen nie für würdig erwiesen hat und es auch trotz ihres Windschattenlebens mit diesem englischen Mutanten niemals sein wird als grobe Undankbarkeit und Verfehlung verunglimpft haben. Sicher, ich habe es begrüßt, die ZAGs besser hinzubekommen als im letzten Jahr. Doch der Hohn und der Spott und vor allem, daß Sie dieses gefühlslastige Mädchen als hauptamtliche Saalsprecherin eingesetzt und mir die Stellvertreterwürde aberkannt haben, obwohl ich die Mädchen des roten Saales disziplinierter präsentieren konnte als manche Vorgängerin, haben mich immer wieder daran erinnert, wie parteiisch Sie sind. Sie haben diesen zugegeben sehr begabten und tatsächlich auch gut vorgebildeten Jungen aus England herübergeholt, um ihn nach Ihrem Bild zu formen wie ein Töpfer eine Vase oder ein Bildhauer eine Statue. Dabei haben Sie uns andere, die wir für jedes Bißchen Anerkennung schuften müssen, ignoriert. Leider konnte ich keine vor der Ausbildungsabteilung verwendbaren Beweise dafür erbringen, daß Sie die Situation schamlos ausgenutzt haben, daß dieser Junge keine magischen Eltern hatte und somit Ihrem wahrhaftig irrsinnigen Erzfeind lästig fallen würde. Wissen Sie denn wirklich so sicher, daß er diese Ihre besondere Aufmerksamkeit würdigt? Womöglich nutzt er die ihm gebotenen Mittel auch nur aus, um eines Tages mit jener Hexe zu paktieren, die ihn angeblich als rettende Elfe aus der Falle mit dieser Abgrundstochter befreit hat. Wissen Sie denn wirklich, ob er wirklich so ahnungslos in diese Falle tappte oder nicht vielmehr gezielt darauf ausging, dieses Wesen zu treffen, sich ihm anzubieten und womöglich durch es noch mehr Stärke zu erlangen? Vielleicht wollte er aber auch mit jener Hexe eine Dynastie von magischen Mutanten als Herrenrasse über Magier und Muggel züchten. Vielleicht will er das immer noch, weil Sie ihn so hofieren, weil er so stark und grundbegabt und alles ist. Sollte mein abrupter Schulabbruch und die ebenso abrupte wie unablehnbare Einladung von Cyril Southerland Sie schwer enttäuscht haben, so wähnen Sie sich Glücklich, wenn Sie von ihrem Vorführschüler Julius Latierre geborener Andrews nicht noch herber enttäuscht werden. Wie heißt es so schön? Enttäuschung heißt, daß die Täuschung zu Ende ist. So habe ich aus meiner bisher schlimmsten Enttäuschung mit diesem Rosengärtner Cyril Southerland mein neues, ganz eigenes Leben geschmiedet, in dem er unumkehrbar verankert sein wird. Vielleicht sollten Sie sich von Ihren Bekannten aus der achso gutmenschlichen Liga gegen dunkle Künste die Formel für den Verbindenden Fluch beschaffen und Ihren Musterschüler dazu bringen, Ihnen auch noch ein süßes Baby zum tragen zu geben. Dann könnten Sie sicherstellen, daß er Sie nicht mit dieser anderen Hexe betrügt. Aber vorher müßten Sie dann wohl diese überhöhte Latierre-Göre Mildrid Ursuline aus dem Weg schaffen.

Grüßen Sie alle, die mich mochten mit Bedauern und alle die mich nicht leiden konnten mit Zuversicht, daß ich nicht mehr zurückkommen werde. Falls meine Eltern und die Cyrils befinden könnten, sie wegen meines Durchbrennens aus ihrem warmen Schulleiterbüro zu verjagen, so muß ich mir zumindest keine Sorgen machen, daß, sollte Cyrils und mein erstes oder jedes nachgeborene Kind in Beauxbatons anfangen, Sie dann nicht mehr da sein werden, um es gegen ihn und mich aufzuhetzen. Meine Ausbildung in Beauxbatons ist zwar zu Ende. Aber ich lerne natürlich weiter. Bestellen Sie Cyrils und meinem Heiratsvermittler Gaston Perignon noch einen schönen Gruß, daß er seinen Wettpartner gründlich betrogen hat, wenn er ihm Sachen als genial erfolgreich unterjubelt, die schon nach dem ersten Lesen als abgeschrieben entlarvt werden. Na ja, Cyril wird es nicht mehr stören, ob Sie ihm dafür den Freiflug nach Yankeeland spendiert hätten. Denn er gehört jetzt mir. Das alleine zählt.

Mit dem winzigen Rest verbliebener Hochachtung verbleibe ich mit freundlichen Grüßen, Bernadette Lavalette"

"Jetzt haben wir es endlich amtlich: Ich bin ein Mutant. Dann kann ich ja nach Beauxbatons auf die X-Men-Academy wechseln", feixte Julius über die Bemerkungen Bernadettes, während Madame Faucon, Madame Rossignol, Professeur Fixus und Mildrid so aussahen, als hätten sie sich einen mordsmäßigen Sonnenbrand im ganzen Gesicht geholt. Nur die gefährlich weit vortretenden Stirnadern und die bedrohlich zusammengerückten Augen der Hexen sagten unübersehbar, daß sie stinkwütend waren. Julius fühlte auch Millies Wut. Doch seine Aufmerksamkeit für Bernadettes Abschiedsbrief hatte die von außen kommenden Gefühlsschwingungen in den Hintergrund gedrängt. Dann fiel ihm was ein, um die anderen vielleicht wieder aufzuheitern: "Das Geschreibsel kann man auch als Eigentor bezeichnen. Wenn Bernadette wollte, daß Sie ihretwegen alle Ihre Posten räumen müssen, dann hätte sie nur den leeren Haltering translokalisieren dürfen. Mit dem Schrieb kommen Sie aus jeder Anhörung sauber raus."

Madame Faucon funkelte ihn so heftig an, daß er förmlich auf die saphirblauen Blitze wartete, die ihm den Schädel von den Schultern brutzeln mochten. Doch Madame Rossignol mußte plötzlich lächeln. Das Lächeln wurde zum Schmunzeln. das Schmunzeln wurde zum befreiten Auflachen.

"Wo er recht hat, Blanche", brachte sie zwischen zwei Lachsalven heraus. "Di-hi-hieses du-humme Mä-hä-hädchen hat in seiner grenzenlosen Überlegenheit genau den Beweis geliefert, der Sie, Mich und auch Mildrid entlastet."

"Wie im Kino, wo die Bösen den Guten immer groß erzählen, was sie vorhaben oder wie sie es anstellen wollen", mußte Julius noch loswerden. Patricia grinste darüber. Bis dahin hatte sie verlegen dreinschauend in ihrer Ecke gesessen und alles um sich herum einfach nur auf sich wirken lassen. jetzt mußte auch Madame Faucon lächeln. Es war ein kaltes, nicht erheitertes, sondern überlegenes Lächeln. Sie nickte Julius sacht zu und sagte dann:

"Ich fürchte, Monsieur Latierre, wenn Sie mit der Ausbildung bei uns fertig sind, hat diese fiktive Schule für übernatürlich begabte Menschen keinen Reiz mehr für Sie. Abgesehen davon denke ich, daß Sie besser wissen, woher Ihre Kräfte kommen als diese von Wut und Enttäuschung weit aus jeder entschuldbaren Bahn geflogene Hexe, die sich zudem noch irgendeiner wohl nicht gerade vertrauenswürdigen Person oder Personengruppe ausgeliefert hat. Dieses einfältige Geschöpf schreibt es deutlich, daß es mit Kennerinnen dieses Fluches paktiert hat. Sie unterstellt Ihnen, Monsieur Latierre, mit der Wiederkehrerin an der Zucht einer allen Menschen überlegenen Rasse zu arbeiten? Womöglich ist die Zucht einer für die Ziele jener neuen Heimstattgeber geeignete Verschmelzung aus den Southerlands und Lavalettes der Grund, warum Bernadette das ungewollte Kind nicht so heimlich abtreiben konnte, wie sie es empfing. Es heißt, ein Zwerg auf der Schulter eines Riesen sehe mehr als der Rise selbst. Doch wenn der Riese des Zwerges überdrüssig wird sieht der Zwerg am Ende gar nichts mehr", knurrte Madame Faucon und rollte den Brief zusammen, wobei Bernadettes Projektion knisternd in schillernde Funken zerfiel und verschwand. "Ich werde diesen - wie bezeichneten Sie ihn so richtig, Monsieur Latierre? - Abschiedsbrief heute Abend vor allen Lehrern und Schülern widergeben, nachdem ich damit bei Monsieur Descartes und den Schulräten war. Ich danke Ihnen, daß Sie mir halfen, mich nicht in der aus unbändiger Enttäuschung geborenen Wut zu verlieren, Monsieur Latierre. Und ich kann Ihnen versichern, sollte mir danach sein, mit Ihnen noch ein spätes Kind zu zeugen, daß ich es nicht mit diesem Fluch verderben werde, um Sie an mich zu binden. Aber ich denke, außerhalb von Beauxbatons werden Sie und Ihre Angetraute genug mit- und aneinanderfinden, um diesen Gedanken in die Absurdität zu verdrängen, in die er gehört."

"Ups, euer Küchenkurs läuft schon", flötete Patricia, nachdem sie beiläufig auf die Uhr im Sprechzimmer geschaut hatte. Madame Faucon nickte und stellte Millie und Julius eine Entschuldigung für die Verspätung aus. Madame Rossignol schloß sich dem an. Sie baten jedoch beide darum, daß sie noch nicht über Bernadettes vorzeitiges Ausbildungsende und die Entführung Cyrils berichten mögen. Millie und Julius versprachen es.

Professeur Dirkson grinste, als die beiden Eheleute mitten in ein Nebelmeer aus dampfenden Töpfen und Pfannen hineingerieten. Als sie die beiden Entschuldigungen las sagte sie nur:

"Ich habe mir schon gedacht, daß Madame Faucon länger mit euch zu tun hat. Sie wollte ja ursprünglich heute den Kurs leiten. Sandrine, nicht so wild!" Sandrine hatte gerade ihren Zauberstab über einem Topf ausgerichtet, um einen Kochlöffel zum Umrühren anzutreiben. Der Löffel flog aus dem großen Topf und segelte Suppe verspritzend über den Herd und schepperte auf den gefließten Boden. Laurentine hantierte indessen mit einem Würzzauber, wobei sie kein Wort vernehmen ließ. Julius blickte auf seine Uhr und besprach mit seiner Frau und Professeur Dirkson, was sie in der verbleibenden Zeit noch hinbekommen konnten.

Nach dem Mittagessen trafen sich die jungen Eheleute Latierre im Ostpark, wo sie um die Pavillons herumschlichen. In einem von denen mußte das zwischen Bernadette und Cyril passiert sein. Julius hoffte nur, daß es nicht in dem war, in dem Claire und er den Corpores-Dedicata-Zauber vollzogen hatten. Das war auch eine Form von magischer Verbindung. Aber anders als der Catenasanguinis-Fluch beruhte Corpores Dedicata auf gegenseitiger Liebe, ebenso wie die Herzanhängerverbindung.

"Die muß ja blind und taub vor Wut gewesen sein", mentiloquierte Millie über die rubinroten Herzen. "Daß die keinen Moment überlegt hat, wer ihr da diesen Fluch beibringt und wohin die mit Cyril abtaucht."

"Ja, vor allem, daß sie immer erwähnt, daß er jetzt ihr gehöre. Das verrät mir, auch wenn ich von Psycho-Sachen wenig Ahnung habe, daß sie meint, den Spieß umgedreht zu haben. Sie hat sich von ihm wie ein Ding, ein Spielzeug behandelt gefühlt und ihn jetzt zu ihrem Leibsklaven umgepolt. Das arme Kind, was die jetzt zusammen kriegen."

"Ja, und das wirklich beide zusammen", unkte Millie. "Das ist das hinterletzte, diesen Fluch anzuwenden, um eine Familie zu gründen. Vielleicht ist es gut, daß keine Heilerin dazu abgestellt werden muß, das Baby für Bernadette zu Ende zu tragen. Am Ende hätte irgendwer noch verlangt, daß Tante Trice das macht. Oma Line wäre da sicher zur rasenden Furie geworden. Du kennst doch den Spruch: Schlimmer als zehn Drachen ist eine wütende oder eifersüchtige Hexe."

"Den kenne ich. Aber das mit dem Rosengärtner verstehe ich nicht. Ist das einer, der wie ein Schmetterling von Blüte zu Blüte fliegt?"

"Ja, könnte auch so genannt werden", schickte Millie zurück. "Es bezeichnet einen Mann, Muggel oder Zauberer, der keinen Wert auf feste Bindungen legt, sondern nur die Bedürfnisse des kleinen Unterschieds befriedigen will. Der Begriff kommt aus einem Gedicht, das die Hexe Lioba Süßwurz vor vierhundert Jahren ihrem in die Welt hinausgezogenen Liebhaber geschrieben hat. Du kriegst es an deinem siebzehnten Geburtstag zu lesen. Denn da paßt es hin."

"Für Jugendliche nicht geeignet?" Fragte Julius nicht mit Ohren hörbar.

"Sagen wir es so, für Jugendliche schwer und für Kinder gar nicht verständlich und daher eher für diese Zielgruppen langweilig", erwiderte Millie über die ganz private Wortverbindung. Julius grinste. Dann sagte er mit normaler Stimme:

"Ob Cythera mit dem Miniganni schon alle Möbel ihrer Großeltern umgepflügt hat?"

"Wenn Céline du und ich je einen Heuler kriegen wissen wir es alle", erwiderte Millie. Drei Jahre war das schon her, daß Julius mit Millies Schwester und Jeanne bei Cytheras Geburt geholfen hatte. Das Erlebnis war für ihn eines der erhabensten überhaupt gewesen. Ein Jahr später hatte er noch Claudine ankommen sehen dürfen und Millie ihre kleine Schwester Miriam. Trotz Bernadettes skrupellosem Treiben würden Millie und er im nächsten Mai oder Juni vielleicht auch so ein kleines Wunder hervorbringen, zwar hauptsächlich Mildrid. Aber Julius hoffte, daß er die Geburt seines ersten Kindes mitverfolgen durfte, obwohl normalerweise nur Hexen bei einer Geburt dabei sein durften. Sein Vater hatte ihn damals vor nun fast siebzehn Jahren nicht ankommen sehen wollen. Cyril würde nichts anderes übrigbleiben, als seinem Kind bei der Ankunft zuzusehen, falls er die von Bernadette auf ihn übertragenen Wehen verkraften konnte.

"Die Fixus hat behauptet, Bernadette sei mit Cyril durchgebrannt, weil er ekeine Lust mehr auf dieses Wüstenschloß Thorntails habe", hörten die beiden Jacquelines Stimme. Dann antwortete Babette Brickston:

"Meine Mutter sagt, daß Thorntails kein Schloß ist, sondern einen großen Bau und fünf verschieden aussehende Häuser drum rum hat, eins davon sogar wie eine Pyramide."

"Huch, war deine Maman da schon mal?" Fragte Armgard Munster.

"So vor drei Jahren kurz, um Julius abzuholen. Ich war da bei Madame Delamontagne. Die war ziemlich uncool, lag wohl dran, daß die da gerade ein Baby im Bauch hatte."

"Ach, das war die Sache mit diesem Monsterweib und den Hexen, die den Ami-Zaubereiminister umgebracht haben", erinnerte sich Armgard. "Da waren die bei uns in Belgien gerade voll auf diesen Sausack Dutroux aus. Deshalb waren meine Eltern ja so überempfindlich wegen Beaux."

"Moin, Mesdemoiselles!" Rief Julius, weil die Dreierbande aus dem grünen Saal schon so nahe heran war, daß sie fast über Millie und ihn fiel.

"Ups, haben dir jetzt die Ohren geklingelt?" Fragte Babette. Julius grinste und erwiderte, daß die regelrecht gescheppert hätten. Dann erzählte er den Erstklässlerinnen von Thorntails. Am Schluß sagte er: "Weil meine Mutter da gerade wegen echt fieser Verbrecher im Krankenhaus liegen mußte wollte Babettes Maman, daß ich zu ihr nach Paris zurückflog. Was mit Cyril ist will Madame Faucon uns heute abend erzählen."

"Voll behämmert der Yankee. Erst auf dicke Hose machen und dann kurz vor den Prüfungen ausgerechnet mit Bernie Lavalette abhauen, nur weil die mit dem Walpurgis gefeiert hat", meinte Jacqueline.

"Hast du keine Angst vor den Prüfungen?" Fragte Julius.

"Sagen wir's so, wenn ich hier durch alle Fächer durchrassel kriege ich von Papa bestimmt fünfhundert Franc und von Tante Lou babyblaue Haare auf Lebenszeit", erwiderte Jacqueline. "Dabei steht mir Blau nicht."

"Schweinerosa Haare besser?" Fragte Julius. Jacqueline lachte und sagte:

"Solange die mir nicht einen ganzen Schweinskopf auf die Schultern hext wäre das voll abgefahren. Sowas hat sonst keine hier." Millie grinste und zog ihren Zauberstab, um sich damit sacht über die Haare zu fahren. Keine zehn Sekunden später hatte sie ihre rotblonde Mähne in ein Meer aus ferkelrosa Haaren verwandelt.

"Ey, zeigst du mir den noch vor den Prüfungen, damit ich Babettes Oma voll aus dem Tritt bringen kann?" Fragte Jacqueline.

"Da mußt du mehr anstellen um die aus dem Tritt zu bringen", erwiderte Julius. "Aber der Zauber ist nicht so einfach."

"Hallo, Julius, ich denke, Jacqueline hat mich gefragt", protestierte Millie und kehrte mit einem ungesagten Verwandlungsumkehrzauber die Haarfarbe wieder in ihre natürliche zurück. "Aber wenn du mal austesten willst, ob du mit ferkelrosa Haaren bei den anderen Mädels stark oder bescheuert rüberkommen willst kann ich dir die Haare mal eben so umfärben, Jacqueline. Professeur Dirkson freut sich dann bestimmt, an dir den Haarfärbezauber zu demonstrieren oder dir zu den Haren die passende Nase und die Ohren zu machen."

"Au ja, bau der dann gleich ein Schweineschwänzchen", feixte Babette. "Oder könnt ihr auch Leute ganz in Tiere verwandeln?" Das hätte Babette besser mal nicht fragen sollen. Denn vier schnelle Zauberstabbewegungen und einen violetten Blitz später stand an Babettes Stelle eine halb erwachsene Sau. Jacqueline fielen fast die Augen aus dem Kopf und Armgard machte schon anstalten, die Flucht zu ergreifen. Babette versuchte wohl was zu sagen. Doch außer einem lauten Grunzen und einem Uoooiinkk-Laut kam nichts zu Stande. Millie nickte Babette zu und wirkte den Reverso-Mutatus-Zauber. Mit einem weiteren Knall kehrte Babette in ihre angeborene Gestalt mit schwarzem Schopf und saphirblauen Augen zurück.

"Häh, du hast kein Wort gesagt", erkannte Armgard, während Babette Millie mit großen Augen ansah.

"In der sechsten müssen wir alles alte und alles neue so leise zaubern, daß es keiner hören kann, am besten nur dran denken, was du sagen wolltest. Aber das ist schwierig", erwähnte Julius. Millie zupfte ihm am linken Ohr und feixte:

"Sagt einer, der keinen Dunst hat, wie schwer das ist, weil er schon in der ersten ohne was zu sagen was zaubern konnte." Babette nickte. Sie hatte Julius ja auch schon früher beim ungesagten Zaubern mitbekommen.

"Habt ihr das genau mitgekriegt, was mit Cyril los ist?" Fragte Jacqueline. "Die sagen, daß der mit dieser überdrehten Bücherhexe Bernadette abgehauen sein soll. Den findet ja seit heute morgen keiner mehr",

"Wie erwähnt kriegen wir das wohl alle von Madame Faucon heute Abend als Vorspeise oder Nachtisch serviert", erwiderte Julius. Er fragte sich, ob die Schulleiterin Bernadettes Brief wirklich vor diesen jungen Mädchen laut und vollständig vorlesen würde. Sicher war sie schon dabei, die Passagen abzuschreiben, die sie Erst- und zweitklässlern zumuten durfte.

"Also weißt du das jetzt schon", stellte Jacqueline mit einer kindlich einfachen Logik fest. Babette grinste und meinte, daß Julius von ihrer Oma alles mögliche mitbekäme, nur nicht, wie sie im Badeanzug aussehe. Darüber mußten die drei gerade einmal zwölf jahre alten Mädchen, Millie und Julius lachen. Er sagte dann, daß er sie aber schon häufig im Tanzkleid bewundern durfte, wo er in Millemerveilles Ferien gemacht hatte. Tat ihm das gut, nach dem heftigen Ding am Morgen, wo er und Babettes Oma Blanche sich fast gegenseitig atomisiert hätten, so unbekümmert und unverkrampft scherzen zu können. Er dachte einen winzigen Moment daran, wie die drei Hexen in vier Jahren die ZAGs angehen mochten, falls sie nicht so aus der Bahn flogen wie Hanno Dorfmann, Hercules Moulin und jetzt noch dessen Ex-Freundin Bernadette. Sogesehen hatte er Babette sogar als Mutter eines Schwiegersohnes von ihm erlebt, damals in der Säule Viviane Eauvives. Doch nun waren sie und die beiden anderen noch kleine, unschuldige Mädchen mit den üblichen Interessen, Flausen und Albernheiten. Er hatte in dem Alter schon nicht mehr albern sein dürfen.

"Also, du weißt, wo Cyril und Bernadette sind", holte Jacqueline Julius in die Gegenwart zurück.

"Babette hat's ja gesagt, daß ich ihre Oma noch nie im Badeanzug gesehen habe. Vielleicht hat sie sie da drin versteckt", trieb Julius einen sehr haarsträubenden Scherz. Millie verzog erst das Gesicht, mußte dann aber laut lachen.

"Ey, das war 'ne echte Frage und kein Blödsinn", quängelte Jacqueline, weil die beiden anderen nur laut lachten.

"Ich habe ja nicht gesagt, daß sie die beiden da versteckt hat, sondern nur, daß sie sie vielleicht da hat, weil ich Madame Faucons Badeanzug noch nie zu sehen bekommen habe", stellte Julius richtig.

"Kapier's, Jacqueline, der will's dir und uns nicht sagen, weil der Angst vor Babettes Oma hat", schlußfolgerte Armgard. Babette sah sie dafür sehr verstört an und meinte:

"Du tönst auch so rum, weil du noch nie Krach mit der bekommen hast. Dann hättest du ganz sicher die totale Panik, ey."

"Wer heißt hier Ey?" Knurrte Armgard. Millie lachte und sagte schnell:

"Ir süßen, wenn Madame Faucon möchte, daß ihr wißt, wo Bernadette jetzt ist, damit ihr ihr Blumen schicken könnt oder sowas, kriegt ihr das nachher sicher erzählt. Aber wenn Madame Faucon nicht möchte, daß ihr der Blumen schickt sagt die es keinem, auch nicht mir oder Julius. Sonst noch was?"

"Ja, wie spät ist es?" Kicherte Jacqueline.

"Moment, so spät wie gestern um diese zeit", brachte julius einen der ältesten Kalauer der Geschichte der Zeitmessung an. Die drei kannten ihn offenbar und verzogen die Gesichter. Dann trollten sie sich.

"Das hat dir richtig Spaß gemacht, habe ich dir ganz deutlich angemerkt", schnurrte Millie ihrem Mann ins rechte Ohr. "In zwölf Jahren haben wir mindestens zwei von der Sorte oder auch drei."

"In zwölf Jahren drei, das reicht", erwiderte Julius.

"In zwanzig dann sieben oder mehr, süßer. Versprochen ist versprochen." Julius wollte gerade sagen, daß sie ihn sonst wohl mit dem Catenasanguinis-Fluch belegen würde. Doch die Wut, die sie bei dessen Erwähnung empfunden und ihn damit ebenfalls zum wandelnden Vulkan gemacht hatte, ließ ihn sich für eine solche Antwort schon als Confetti über dem Ostpark herunterregnen sehen. So sagte er nur:

"Dann brauchen wir aber ein größeres Haus."

"Das Häuschen ist schon groß genug, Monju", schnurrte Millie wieder und kuschelte sich einen winzigen Moment bei Julius an, bevor ihr klar wurde, daß sie sich so nicht miteinander sehen lassen durften. Sie schnaubte verärgert, weil sie diese schöne Zweisamkeit nicht genießen durfte und sagte laut: "Paß mal auf, daß Madame Faucon morgen bei deiner Strandaufsicht nicht im Badeanzug rauskommt, weil die drei Kleinen das rumgehen lassen."

"Babette hat mit dem Quatsch angefangen", protestierte Julius. "Dann soll die alle Badeanzüge ihrer Oma waschen, aufhängen, Bügeln und kleinfalten."

"Apropos Strand, noch eine Stunde Meer?"

"Leonie hat Aufsicht. Da können wir deine Cousinen wieder herausfordern."

"und deine Cousinen, Julius. Du hast eine ganze Familie mitgeheiratet."

"Du auch, nur daß meine Familie Komplexe bekäme, mich mit Zauberstab auf einem Besen herumsausen zu sehen."

"Deshalb bis du ja eigentlich froh, daß Oma Line so viele Onkels und Tanten für dich mitgeliefert hat, daß sich das wieder ausgleicht, nicht wahr?"

"Muß ich mir erst einen Anwalt nehmen, um die Frage zu beantworten?" Konterte Julius.

"Neh, aber einen Totengräber", knurrte Millie übertrieben bedrohlich.

"Ich laß mich ins All schießen. Da brauch ich keinen Totengräber", erwiderte Julius.

"Aber erst schupst du mir ein paar süße Babys unter den Umhang, Jungchen. Und deren Enkelkinder siehst du dann auch noch ankommen, bevor du solche Sachen echt durchplanst", grummelte Millie, die merkte, daß ihr derber Scherz gerade auf sie selbst zurückgefallen war.

"Du hast mit dem Quatsch angefangen", hielt Julius auch prompt dagegen. Millie nickte und sagte:

"Also, daß Tante Béatrice da ist hat dich schon gefreut, und ohne Tante Babs hätten wir keine Temmie, und ohne Onkel Otto kein schönes großes Bett." Julius gab ein wohliges Brummen von sich. Dann befanden sie, doch besser zum Strand zu gehen, um dort einige Runden im jetzt schönen, warmen Meer zu schwimmen.

Daß Madame Faucon etwas über die beiden fehlenden Schüler erzählen würde hatte sich längst herumgesprochen. Dementsprechend gespannt hörten die Beauxbatons-Schüler auf alles, was sie sagte. Doch erst nach dem dritten von fünf Gängen holte sie mehrere Pergamente hervor. Die Rolle, die Julius am Morgen gesehen hatte, war auch dabei. Madame Faucon begann damit, daß am Morgen ungewöhnliches an Cyril Southerland aufgefallen sei, daß der im roten Saal wohnende Knieselkater Stardust ihn merkwürdig angeknurrt habe. Später hätte sich dann herausgestellt, daß Cyril mit Bernadette eine dunkle, magische Verbindung eingegangen sei. Julius beobachtete die Schüler. Vor allem Gaston interessierte ihn. Der ehemalige Schlafsaalkamerad saß auf seinem Stuhl und verhielt sich so wie einer, der bloß nicht auffallen will. Madame Faucon verlas nun Passagen aus Bernadettes Brief, wobei sie das Abbild der Schülerin mit dem Scriptorvista-Zauber über dem Lehrertisch erscheinen ließ, so daß alle es sehen konnten, daß Bernadette ein Kind erwartete. Die Mädchen tuschelten. Einige Jungen gröhlten verächtlich. Doch Madame Faucon brachte sie alle mit einem lauten "Ruhe!" wieder zum schweigen. Wie Julius vermutet hatte ließ sie die Einzelheiten über den entscheidenden Liebesakt zwischen Bernadette und Cyril aus und ging auch nicht auf Bernadettes Vorhaben mit dem Trank der folgenlosen Freuden ein. Dafür erwähnte sie den Fluch, sofern Bernadette ihn ja nicht in allen Einzelheiten geschildert hatte, daß ihn jede nachmachen konnte. Sie zitierte mit ähnlicher Betonung wie Bernadettes magisch wiedergegebene Stimme sie am Morgen benutztt hatte, wie abfällig Bernadette sich über Valentine und die Mitschüler ausgelassen habe und überwand sich, auch Bernadettes Hoffnung zu verlesen, daß sie dann, wenn ihre eigenen Kinder im Beauxbatons-Alter waren, schon lange keine Schulleiterin mehr sein würde. Die abfälligen Äußerungen über Millie und Julius faßte sie zusammen, daß Bernadette sich wohl ungerecht übergangen gefühlt habe und erwähnte noch einmal, was zur Rückstufung Bernadettes geführt hatte. Dann kam der Hammer für den, der die ganze Zeit gebangt und gelauert hatte. "Über den Zeitpunkt, da sie erkannte, daß Cyril nur ihr Spiel mit ihr trieb schrieb sie ..." Dann las sie den betreffenden Absatz in der Mitte und den abschließenden Kommentar am Ende. Danach blickte sie gezielt in Gastons Richtung. Der mittlerweile volljährige Viertklässler versank fast auf seinem Stuhl, weil ihn ausnahmslos jeder und jede anstarrte. "Das ist ein sehr ernster, schwerwiegender Vorwurf, den Mademoiselle Lavalette da gegen Sie erhoben hat, Monsieur Perignon. Trifft es wahrhaftig zu, daß Sie mit Monsieur Southerland darum gewettet haben, daß dieser es nicht schaffen würde, eine Walpurgisnachteinladung von Bernadette zu erhalten?"

"Ich habe dem Großmaul gesagt, daß der von denen, die keine Probleme mit Jungs haben eh keine abkriegen würde und froh sein könne, wenn Bernadette den einläd. Aber das könnte der voll vergessen", wagte Gaston die Flucht nach Vorne.

"So, und da hatte er wohl erwidert, daß er es doch hinbekommen könne, wie?" Fuhr Madame Faucon ihn an. Julius sah wieder, wie sie wütend wurde. Zumindest ging er davon aus, daß in dieser Hexe gerade etwas wie ein risiger Dampfkessel brodelte, der jeden Moment in die Luft fliegen konnte. Er wußte auch, was das Feuer unter diesem Kessel schürte.

"Ich habe dem gesagt, wenn er es schafft, ausgerechnet den wandelnden Eisberg Bernadette Lavalette soweit zu kriegen, daß sie ihn zu Walpurgis einläd, dann kauf ich dem ab, daß der Ahnung von Frauen hat." Die Mädchen im Saal feuerten verärgerte Blicke auf Gaston ab. Die Jungen kicherten albern, bis ihre Freundinnen, Schwestern oder Cousinen sie sehr bedrohlich anstarrten.

"Wer ein Mädchen dazu bekommen kann, ihn zur Walpurgisnacht einzuladen muß keine Ahnung von Frauen haben", erwiderte Madame Faucon. "Denn vernünftige Frauen überlegen es sich schon genauer, mit wem sie etwas anfangen. Zumindest setzte ich das bei den jungen Damen und den Kolleginnen vom Lehrkörper voraus."

"Der hat gesagt: "Du kriegst es schon mit, wenn ich genug Zeit habe kriege ich die rum", stieß Gaston aus, der wohl merkte, daß er sich hier gerade maximal unbeliebt gemacht hatte. Laurentine sah den ehemaligen Saalkameraden, mit dem sie eine Zeit lang sogar gegangen war, sehr enttäuscht an.

"Ey, ich bin hier nicht der fiese Arsch, der meint, jede kriegen zu können", setzte Gaston zu einer hektischen Verteidigung an. Julius wunderte sich, daß Madame Faucon ihm noch keinen Strafpunkt verpaßt hatte. Und für das Schimpfwort gab es auch keinen. Irgendwie war das eher alarmierend als beruhigend. Begriff Gaston nicht, daß er gerade auf der Abschußrampe stand und Madame Faucon unter ihm ein paar Tonnen Flüssigwasserstoff zündfertig machte?

"Ich verbitte mir in diesem Raum jedweden unflätigen Ausdruck, Monsieur Perignon", schnarrte Madame Faucon. "Aber wenn Sie nicht der Bösewicht in diesem Spiel sind, woher hat Monsieur Southerland die achso abwegige Idee erhalten, sich Mademoiselle Lavalette anzunähern und ihre gunst zu gewinnen, und, wie Sie wie alle anderen von mir zu vernehmen vermochten, sogar mit ihr die nächste Nähe fand, hier auf dem Grund und Boden von Beauxbatons?!" Ihre letzten Worte schleuderte sie wie schwere Granaten durch den Raum. Gaston zitterte leicht. Doch er wankte nicht.

"Ich habe dem gesagt, er müßte sich in ein Buch verwandeln, damit sie ihn überhaupt zur Kenntnis nimmt und selbst dann bekäme der von ihr keine Einladung."

"Soso!" Peitschte Madame Faucons Zwischenruf durch den Speisesaal.

"Ich habe dem gesagt, daß er bei der keinen Punkt macht. Ich habe dem nicht gesagt, er soll sie flachlegen."

"Beschlafen", korrigierte Madame Faucon Gaston. Immer noch bekam er keine Strafpunkte. Zählte die Lehrerin die alle zusammen, um sie ihm als megaschweres Paket auf den Buckel zu laden? Julius dachte jedoch eher, daß Gaston so oder so bald hier abreisen würde. Was brachten dann noch Strafpunkte?

"Bespringen, beschlafen, ..." Gaston wollte wohl noch ein paar Begriffe dafür ausstoßen. Doch Madame Faucon fegte ihm mit einem ungesagten Ratzeputzzauber so kräftig einen rosaroten Schaumstrahl über den Mund, daß er erst einmal prustete. Als er die Lektion verdaut hatte stieß er aus:

"Der Typ hat mich veralbert. Der wollte sich von mir eine zuteilen lassen. Ich hätte ja auch Professeur Fixus oder Corinne oder Millie oder Sie nennen können. Der sagte, ich würde es mitkriegen, wie er von Bernadette angebetet werden würde, wenn er erst mal raushätte, wie er sie anreden müsse."

"Wenn Sie wahrhaftig keine bösen Absichten hegten hätten Sie dort einhaken und Einhalt fordern können, Monsieur Perignon!" Schrillte Madame Faucon wie eine Alarmsirene. Bei Gaston mußte doch schon längst Alarmstufe Rot angemeldet sein.

"Damit der rumreicht, ich hätte da gekniffen, wo er es mir hätte zeigen können, was er drauf hat? Dann wäre ich bei dem Kleingemüse ja ganz unten durch gewesen." Die Schülerinnen und Schüler unterhalb der ZAG-Klasse gaben laute Unmutsäußerungen von sich. Madame Faucon herrschte sie alle an, zu schweigen. Dann wandte sie sich noch einmal an Gaston:

"Und damit Sie nicht diesen falschen Eindruck bei einem zwei Jahre jüngeren Schüler erwecken müssen boten Sie ihm eine Wette an, nicht wahr?!" Gaston erkannte wohl endlich, wie dünn das Eis war und wie viel Feuer ihm Madame Faucon schon unter den Füßen gemacht hatte.

"Er hat damit angefangen. Er meinte, damit es überhaupt einen Sinn macht müßten wir ausmachen, was der rausrückt, der unrecht behält. Er gab immer damit an, diese Supertanten von Mora Vingate kriegen zu können, obwohl die da prüfen, daß jemand schon volljährig ist. Der hat mir von den Schnitten mal welche gezeigt. Wahuuu!" Madame Faucon schüttelte angewidert den Kopf. "Jedenfalls gefiel mir diese abgemalte Wonnefee in 'ner Riesenblume. Bumblebee Boosterboob hieß die wohl. Ich meinte, wenn ich recht hätte könnte der eine Ausgabe von der für mich anschaffen. Er meinte dann, wenn ich unrecht hätte, und das sei schon jetzt klar, dann sollte ich ihm bei den Prüfungsvorbereitungen helfen, egal was drankäme. Da habe ich dann gesagt, daß ich ihn weiterhin für ein Großmaul halte und ich die blonde Biene aus der Blume schon kriegen würde. Tja, und bis Walpurgis habe ich dann nur noch mit dem über Schulsachen geredet. Und dann hat der echt hinter Bernadette auf dem Besen gesessen."

"Wer kam auf die Idee, bereits fertige und durchkorrigierte Hausaufgaben zu kopieren, daß sie wie noch mal geschrieben wirken?" Wollte Madame Faucon nun wissen. Mit ihrem Blick hielt sie alle anderen ruhig.

"Der kam an und sagte mir, daß er bis dann und ddann die und die Sachen bräuchte und ob ich ihn nicht bis zu den Prüfungen alles machen könnte, weil er sonst rumgehen ließe, daß ich ihn mit Bernadette verkuppelt hätte und Madame Rossignol sie dann sicher untersuchen würde, um zu gucken, ob bei der schon wer reingeschaut hat ... Mmpf!" Gastons Gesicht geriet erneut unter einen starken Schaumstrahl aus Madame Faucons Zauberstab. Zwanzig Sekunden hielt sie ihn so unter Beschuß. Dann senkte sie den Zauberstab vorerst wieder.

"Mit anderen Worten, Sie haben Monsieur Southerland Ihre von uns Lehrern berichtigten Aufgaben zur Vorlage für den Scriptocopia-Zauber gegeben, den sie ihm bei der Gelegenheit noch beibrachten, weil dieser erst Stoff der fünften Klasse ist", sagte die Schulleiterin langsam, doch dafür um so drohender. Gaston prustete und hustete rosaroten Schaum. Dann stieß er mit schwacher Stimme aus:

"Ich wußte doch, daß Professeur Fixus die alten Aufgaben gesammelt hat. Anstatt zu sagen, ich soll dem dieses oder jenes erklären wollte der fertige Hausaufgaben haben. Da habe ich ihn voll verarscht und .... mmpf!"

"Ist doch nicht zu fassen, wie viele schmutzige Worte in so einem Knaben versteckt sein können", schnarrte Madame Faucon, während sie Gaston zum dritten mal mit rosarotem Scheuerschaum beharkte. Julius fragte sich, wie Gaston noch eine heile Haut im Gesicht behalten konnte. Fünf Sekunden nach der Schaumstrahlbehandlung sagte die Schulleiterin:

"Halten wir für das gerade mitgeschriebene Protokoll, für die Lehrerschaft, die Schülerschaft und sonstige Zuhörer fest, daß Sie mit Cyril Southerland eine höchst anrüchige Übereinkunft in Form einer Wette trafen, daß er sich beauftragt sah, sich an eine schulweit als unnahbar bekannte Hexe heranzumachen, wobei Sie gerade zu sagen wagten, Sie hätten ihn auch auf mich ansetzen können. Als Wettschuld sollten Sie ihm zur optimalen Bewältigung der Prüfung verhelfen oder er Ihnen ein äußerst fragwürdiges Bildnis einer zur niederen Triebbefridigung posierenden Menschenkreatur weiblichen Geschlechts beschaffen. Beweis für den Sieg des einen oder des anderen war, daß Mademoiselle Lavalette Monsieur Southerland zur Walpurgisnacht einlud. Was Sie ahnungsloser Knabe nicht ermessen konnten war, daß sich Monsieur Southerland dazu berufen fühlte, eine sexuelle Eroberung zu machen. Sie haben jedoch gewußt, daß in jedem Fall die Umwerbung einer Mitschülerin nicht zur Anbahnung einer festen Freundschaft führen sollte. Monsieur Southerland erbrachte die erwettete Leistung und ergaunerte sich eine Einladung, weshalb Sie ihm gemäß Übereinkunft alle Hilfe für die Prüfungsvorbereitung leisten sollten, die er anforderte. Sie wußten nicht, daß er wahrhaftig mit Mademoiselle Lavalette intim wurde, und er wußte nicht, daß die von ihm von Ihnen verlangten Hausaufgaben bei Professeur Fixus Verdacht auf vorsetzliche Täuschung erwecken würden. Jedoch haben Sie ihm mit diesem Betrug am Betrüger wissentlich die Aussichten verdorben, sich für die Prüfungen zu empfehlen. Denn nur wer drei Viertel aller geforderten Hausarbeiten einreicht und davon mehr als zwei Drittel über sechs Punkte erbringen, wird zu den Prüfungen zugelassen. Somit haben sie Monsieur Southerlands Zukunft bereits wissentlich aufs Spiel gesetzt. Und nicht nur seine, nein, durch diese schändliche Übereinkunft mit umstrittenen Einsetzen haben Sie auch dazu beigetragen, daß Mademoiselle Lavalettes Zukunft gefährdet wurde. Oder haben Sie wirklich geglaubt, Monsieur Southerland habe es nur auf diese Einladung angelegt?" Gaston schwieg. Jetzt war es sicher bei ihm angekommen, daß er genausowenig die Prüfungen mitmachen durfte wie Cyril und Bernadette. "In der Muggelwelt, so habe ich mir sagen lassen, gibt es eine einfache Weisheit, die, so darf ich aus eigener Erfahrung bestätigen, auch in der magischen Welt anwendbar ist: Wer schweigt stimmt zu, Monsieur Perignon. Sie haben also tatsächlich aus Angst, als Zauberer nicht für stark und entschlossen genug durchzugehen einen zwei Jahre jüngeren Mitschüler darin bestärkt, zu heucheln, zu lügen, sich die Nähe zu einer Mitschülerin zu erschleichen und diese dann, wenn er seinen Willen bekommen hatte, diese einfach so wieder von sich zu stoßen, auf einen Abfallhaufen des Vergessens zu werfen. Ihr gemeinsames Pech, Monsieur Perignon: Diese Schülerin konnte mithören, wie Sie sich über sie lustig machten. Diese junge Dame, vorher nur von dem ehrgeizigen Ziel besessen, die bestmöglichen Noten zu erringen, war in die Versuchung geführt worden, an mehr als nur Schulnoten zu denken und sich dazu überreden zu lassen, ihren unschuldigen Körper für ein kurzfristiges Vergnügen preiszugeben. Sie glaubte sicher an echte Liebe oder zumindest besondere Kameradschaft. Wissen wir, was Monsieur Southerland ihr aufgetischt hat, um sich ihre Gunst zu erschmeicheln? Jedenfalls mußte sie erkennen, daß sie von vorne herein getäuscht worden war. Nicht nur das, sie wurde als dumm und einfältig verspottet, Eigenschaften, die sie sich auf keinen Fall bieten lassen konnte. Hinzu kam, was Sie, Monsieur Perignon ,nicht wußten und ganz wahrscheinlich nicht beabsichtigt hatten, daß Mademoiselle Lavalette bereits von Monsieur Southerland schwanger war und daran denken mußte, dieses Kind früh genug wieder abzutreiben, um ihr primäres Ziel, bestmögliche Prüfungsergebnisse zu erzielen, erreichen zu können. Doch nach der unfreiwilligen Enthüllung der Täuschung beschloß sie, sich furchtbar zu rächen. Sie unterhielt Kontakt zu mir nicht bekannten, aber trotzdem schon als höchst zweifelhaft anzusehenden Mitbürgern aus der Zaubererwelt und erfuhr von diesen nicht nur die Vorgehensweise, wie sie ihre Rache unfehlbar ausführen konnte, sondern auch, wo sie im Fall, daß ihr Rachefeldzug enthüllt und womöglich doch noch gestoppt werden könnte, sicheren Unterschlupf finden mochte. In diesem Zusammenhang offenbare ich Ihnen allen, daß Madame Lavalette heute Nachmittag mit der Unterstützung der Desumbrateure des französischen Zaubereiministeriums mit Hilfe eines Blutsverwandten-Suchzaubers nach ihrer geflüchteten Tochter gesucht und sie nicht gefunden hat. Fidelius, die Herrschaften, ist ein Zauber, der Dinge, Orte oder Personen so sicher verbirgt, daß sie durch nichts und niemanden aufgespürt werden können, solange jener, der das Geheimnis kennt, nicht aus ganz freiem Willen verrät, wo das Versteck liegt oder wessen Identität geheimzuhalten ist. Mademoiselle Lavalette hat sich und Cyril Southerland wahrhaftig in den Schutz eines derartig bezauberten Ortes begeben. Selbst die von mir und Prinzipalin Wright eilens herbeizitierten Eltern Monsieur Southerlands vermochten nicht, ihren Sohn zu orten. Das heißt nun, daß er aus der Zaubererwelt verschwunden ist und verschwunden bleiben wird, solange Mademoiselle Lavalette ihn zwingen kann, ihren Anweisungen zu folgen oder den sofortigen Tod zu finden. Sie, Monsieur Perignon, hätten in dem Moment, wo Sie hätten erkennen müssen, daß Monsieur Southerland darauf ausgeht, eine kurzfristige Affäre zu erleben, ihren Saalsprecher oder Ihre Saalvorsteherin informieren müssen. Auch kaufe ich Ihnen die Naivität nicht ab, daß Sie nicht wußten, daß Monsieur Southerland eine vollendete Eroberung beabsichtigte, wo er zu Jahresbeginn schulweit bekannt hinter älteren Mitschülerinnen hergejagt ist. Und daß Sie gerade zugaben, zu wissen, daß Professeur Fixus und wir anderen alle Hausaufgaben sammeln spricht eindeutig dafür, daß sie es ernsthaft darauf anlegten, Cyril Southerlands Zukunft zu zerstören, zumindest aber seine magische Ausbildung zu sabotieren. Denn man konnte ihm wegen der gefälschten Hausaufgaben keinen einzigen Notenpunkt mehr geben. Haben Sie gedacht, er würde sich das bieten lassen? Im Grunde können Sie nur von Glück reden, daß Mademoiselle Lavalette ihren Rachefeldzug eingeleitet und Monsieur Southerland bereits durch dunklen Zauber an sich geschmiedet hat." Madame Faucons Statur schien bei ihren Worten größer zu werden. Sie sah Gaston an. Dann förderte sie ein weiteres Pergament aus ihrem Umhang. "Dies hier, werter Monsieur Perignon, ist jene schriftliche Einverständniserklärung, die ich in der leider nun als vergeblich enthülltten Hoffnung von Ihren Eltern abverlangt habe, um Sie trotz des eindeutigen Schulverweises durch meine Vorgängerin wieder aufzunehmen." Gaston sprang von seinem Stuhl hoch. Doch ein Zauberstabschwenk Madame Faucons warf ihn auf den Stuhl zurück. Julius sah dabei silberne, rote und blaue Funken aus dem Stab fegen. Gaston verzog sein Gesicht vor Schmerzen. Offenbar war der Zauber nicht gerade schmerzlos. Madame Faucon winkte der verborgenen Tür zum zylindrischen Warteraum, wo sonst die neuen Schüler auf ihre Zuteilung warteten. Die Tür schwang auf, und drei Ehepaare traten ein. einer der Männer hatte Ähnlichkeit mit Cyril, nur daß dessen Vater einige Zoll größer und breiter gebaut war, obwohl er einen Spitzbauch besaß. Eine der Frauen besaß dasselbe schwarze Haar wie Bernadette Lavalette. Dann konnte Julius noch Gastons Eltern erkennen, die er bei allen von ihm miterlebten Elternsprechtagen hier zu sehen bekommen hatte. Hinter den drei Ehepaaren betraten noch drei Ministerialzauberer den Speisesaal. Sollten sie Gaston festnehmen? Julius hatte es bei Jasper van Minglern miterlebt und bei Malthus Lépin. Gaston erbleichte unvermittelt. Doch zunächst las Madame Faucon die gerade präsentierte Erklärung laut vor. Julius erkannte wie alle anderen, wie viele Bedingungen Gaston zu erfüllen hatte. So mußte er nicht nur die drei Viertel aller erlangten Hausaufgaben einreichen, sondern alle verlangten und diese auch noch neu verfertigen. Hinzu kamen die Strafpunkteobergrenze, die ihm auferlegt worden war, sowie Abschnitte über das Betragen. Einen Absatz las Madame Faucon besonders klar und deutlich:

"neuntens. Sollte sich der zur Bewährung wieder eingeschulte Jungzauberer Gaston Perignon durch Worte, Taten oder Ideen einem Mitglied des Lehrkörpers oder der ganzen Lehrerschaft gegenüber grob undankbar betragen, kann der sofortige Abbruch seiner Ausbildung und der unwiderrufliche Verweis von der Beauxbatons-Akademie zu jeder Zeit ausgesprochen und vollzogen werden. Als Undankbarkeit gelten offene Respektlosigkeit gegen Lehrer, Mißachtung der Anstands- und Verhaltensregeln, die Anstiftung zur Mißachtung der Anstands- und Verhaltensregeln, sowie die Beihilfe zur Mißachtung von Anstands- und Verhaltensregeln von Beauxbatons. Des weiteren kann eine vorsetzlich beleidigend gebrauchte Äußerung gegen die Akademie, deren Schulleitung oder mindestens ein Mitglied des Lehrkörpers als grobe Undankbarkeit erkannt werden." Die Schulleiterin schwieg einige Sekunden und ließ ihre Worte in die Bewußtseine der Zuhörer einsickern. Dann sagte sie: "Gemäß dieser, von Ihren Eltern zum Zeitpunkt Ihrer wiedereinschulung als ihre gesetzlich erziehungsberechtigten unterzeichneten Erklärung haben Sie sich in mehreren Fällen als grob undankbar gezeigt, indem sie einen Mitschüler dazu anstifteten, sich gegen die Anstands- und Verhaltensregeln zu vergehen, haben durch den Versuch der Leistungsvortäuschung aktiv gegen bestehende Schulregeln verstoßen und damit die Fürsprache der Schulleitung, also meine, zur Wertlosigkeit verdammt, was ich in meiner Funktion als Schulleiterin als persönliche Beleidigung auffassen muß. Wunderten Sie sich nicht, daß ich den ganzen Abend von der Zuteilung von Strafpunkten absah? Wenn die Punkte der Einverständniserklärung so eindeutig mißachtet wurden gibt es für mich nur noch eine Handlung. Wie Sie sehen habe ich Ihre Eltern hinzugebeten, eben so wie die Eheleute Southerland und Lavalette, die Ihretwegen um die Zukunft ihrer Kinder gebracht wurden und damit alles verloren, was sie an Zeit, Geld und Aufmerksamkeit in die Erziehung und Ausbildung ihrer Kinder eingebracht haben. Vor diesen werden Sie, da Sie nun volljährrig sind Rechenschaft ablegen müssen. Beweisen Sie Größe und geben Sie den nicht mehr benötigten und Ihnen nicht mehr zustehenden Zauberstab ab, Monsieur Perignon!"

Gaston sah seine Eltern. Das Gesicht seines Vaters wirkte wie aus Stein. Seine Mutter sah ihn sehr vorwurfsvoll an. Die Lavalettes hatten nur Verachtung für ihn übrig. Und die Southerlands fixierten ihn mit ihren Blicken, als wollten sie ihn jeden Moment schlachten und portionieren. Gaston zog seinen Zauberstab. Julius hatte irgendwie damit gerechnet, daß der ehemalige Schlafsallkamerad sich nicht kampflos davon trennen würde. Madame Faucon hatte wohl auch damit gerechnet. Gaston wandte sich Millie zu. Also wollte er sie angreifen. Julius sprang von seinem Stuhl auf, um ihr beizustehen. Da spannte sich ein silberner Schild zwischen sie und Gaston. Julius sah nicht, wer den Schild heraufbeschworen hatte. Er hatte nur Augen für Gaston, der sofort versuchte, eine andere Geisel zu nehmen. Madame Faucon schnaubte wütend. Julius erhaschte einen flüchtigen Blick auf die Schulleiterin, die ihren Zauberstab gerade mit lautem Pfeifen durch die Luft peitschen ließ. Gaston ahnte einen Angriff und tauchte hinter Carolines Stuhl in Deckung. Ein silberner Blitz fauchte knapp an Caroline vorbei und krachte voll in eines der Fenster, das irgendwie flüssig zu werden schien, weil das Glas regelrecht Wellen schlug und zerrann. Julius fragte sich, was der Zauber mit lebenden Wesen anstellte. Doch er kannte viele Flüche, die auf tote Materie sehr zerstörerisch wirken konnten und lebende Wesen nur schwächten oder kampfunfähig machten. Gaston wagte einen Gegenangriff, wobei er nicht auf Madame Faucon, sondern auf Professeur Fixus zielte. Offenbar kannte er es noch, daß er bei einem direkten Angriff einen allgemeinen Sperrzauber wachkitzelte, wie damals bei Madame Maxime. "Petripugnus!" Hörte Julius ihn rufen.

"Lapicalmus!" Stieß Professeur Fixus aus. Eine graue, geisterhaft wirkende Kugel schoß aus Gastons Zauberstab und raste auf Professeur Fixus zu, die genau in dem Moment hinter einem aschgrauen, nebelhaften Schild in Deckung stand, als das große Gebilde sie fast erreichte. Laut krachend wie Felsgestein auf Felsgestein prallte die magische Kugel auf den Schild und zersprühte in weiße Funken, die alle zischend in den Boden fuhren. Die Schülerinnen und Schüler fischten nach ihren Zauberstäben, um sich notfalls zu verteidigen oder zumindest in Schilde zu hüllen. Gaston erkannte, daß sein Angriff gescheitert war, warf sich herum und entging so einem Gegenschlag Madame Faucons, die mit einem blauen Lichtstrahl irgendwas anstellen wollte, was aber nicht gelang, weil der Strahl durch das gegenüberliegende Fenster hinauszischte. Er richtete keinen Schaden an. Julius zielte auf Gaston, um ihn in dem Moment mit einem ungesagten Schocker niederzustrecken, wenn er ihm genug Angriffsfläche bot. Doch Gaston warf sich unter den roten Tisch. Füße traten nach ihm, wollten ihn entweder niederstoßen oder festklemmen. Doch in seiner aus Verzweiflung und Trotz erwachsenen Gewandtheit schlüpfte er zwischen den ihn bestürmenden Beinen hindurch und zielte nun von unten auf ihm wichtig erscheinende Ziele. Er suchte und Fand Babette Brickston am grünen Tisch. Julius erkannte, daß Gaston Madame Faucon einen gehörigen Schlag versetzen würde, wenn er Babette etwas zufügte, selbst wenn er das keine Sekunde überleben sollte. Er riß seinen Zauberstab herum und dachte konzentriert: "Protego totalum!" Mit einem lauten Knacken sprang ein Schildzauber zwischen Babette und den Tisch und warf die Erstklässlerin nach hinten. Dumpf prallte ein Zauber gegen den Schild und pfiff in mehrere zerfaserte Blitze zerstreut nach oben, rechts, links und unten davon. Noch hatte Gaston Deckung unter dem roten Tisch und es saßen zu viele Schüler im Weg, um ihn direkt anzugreifen. Doch Da passierte es. Der kirschrote Tisch mit allem was darauf war verschwand mit lautem Knall im Nichts. Eine unsichtbare Kraft schleuderte die im Weg sitzenden Schüler zur Seite. Dann fegte wieder der silberne Blitz aus Madame Faucons Zauberstab und traf Gaston, der jeder Deckung ledig nach oben und auf Madame Faucon zugerissen wurde. Sowas ähnliches hatte Madame Maxime damals mit Julius versucht, als sie ihn wegen zu schnellen Besenfliegens gemaßregelt hatte. Gaston kam nicht gegen den Sog dieses magischen Zugstrahles an. Er schlingerte, rollte und drehte sich um die Senkrechtachse, während er auf Madame Faucons Platz zuflog. Offenbar ließ die Schulleiterin ihre Wut richtig an ihm aus. Denn Gaston wurde hochgeschleudert, fiel und wurde in eine andere Richtung abgelenkt, bevor er wieder auf den Lehrertisch zuhielt. Dann fiel er auf den Teppichboden. Er versuchte noch ein letztes Mal zu zaubern. Da flog ihm der scharlachrote Entwaffnungsblitz entgegen und hieb ihm den Zauberstab mit Wucht aus der Hand.

"Nun, du hast uns nun allen bewiesen, daß du noch viel zu jung für einen Zauberstab bist, Gaston. Es ist bedauerlich, daß dein Körper zu schnell gewachsen ist", sagte die Schulleiterin mit Bedauern in der Stimme. Julius hörte innere Alarmglocken schrillen. Sie sprach Gaston in der Du-Form an. Das tat sie nur bei Kindern, mit denen sie verwandt war oder in privater Umgebung. "Deshalb kann ich auch nicht verantworten, daß du vor Gericht gestellt wirst, weil du auch für sowas noch viel zu jung bist. Aber ich kann und werde dir helfen, genug Zeit zu haben, um für alles das reif genug zu werden."

"Was soll denn der Drachenscheiß jetzt?" Fragte Gaston. Da hörten sie alle neun schnell gesprochene Worte von Madame Faucon. Julius erkannte wie Gaston, was nun geschehen sollte. Gaston rief noch "Nein, nicht das!" Doch da passierte es schon. Ein goldener Lichtstrahl schoß aus Madame Faucons Zauberstab und hüllte Gaston vollständig in helles, goldenes Licht. Es knallte, und Gastons Kleidung lag zerknüllt und in der Mitte auffällig stark ausgebeult am Boden. Alle sahen starr auf den Kleiderhaufen, in dem sich gerade etwas bewegte. Alle hörten lautes Wimmern, dann quängeln und Gurgeln, als versuche jemand, etwas zu sagen. Doch die Stimme klang so winzig, so hilflos. Alle, die ihn kannten, wußten, daß Gaston dem Infanticorpore-Fluch unterworfen worden war. Da hob sich der blaßblaue Schülerumhang vom Boden, drehte sich in der Luft und wurde zu einem himmelblauen Tragetuch. Einer der Ministeriumszauberer sah auf Madame Faucon, die ihn mit unerschüttertem Ausdruck anblickte und sagte:

"Wir hatten es doch davon, Monsieur Gallimart, daß bei einem fälligen Schulverweis und dagegen geäußerten Widerstand die Vendredi-Toulon-Regel angewendet werden darf." Der Ministeriumszauberer nickte. Die Eltern Gastons blickten auf ihren gerade klein, bleich und nackt daliegenden Sohn, der versuchte, seinen großen runden Babykopf zu heben und sich aufzurichten. Doch die durch die Wiederverjüngung aufgeweichten und daher unstarren Knochen gaben der irdischen Schwerkraft zu schnell nach. Die auf Anfang zurückgefluchten Muskeln waren zu schwach und ungeübt, um sich jetzt gegen die alles anziehende Kraft der Erde zu stemmen. Der mit Monsieur Gallimart angesprochene Ministeriumszauberer nickte. Julius überlegte, ob er die von Madame Faucon erwähnte Regel kannte. Im Moment und wohl auch wegen der Aufregung der letzten Minuten fiel ihm nichts dazu ein. Wenn sie eine verbindliche Regel war würde er sie in den Bulletins de Beauxbatons finden. Da die Ministeriumszauberer keine Anstalten machten, Madame Faucon wegen der Verwendung des Infanticorpore-Fluches zu verhaften schloß er logisch, daß sie diese Regel kannten und für richtig hielten.

Madame Perignon erhielt die Erlaubnis, ihren zum gerade einen oder zwei tage alten Säugling zurückverjüngten Sohn aufzuheben. Aus dem Unterzeug des Ex-Schülers wurde eine weiße Stoffwindel.

"Der Zauberstab wird vom Ministerium eingezogen und solange verwahrt, bis der dieser Maßnahme unterworfene Schüler körperlich wieder alt genug ist, um sich einer Zulassungsprüfung zu stellen, ob er eine andere Zauberschule besuchen darf, wobei hier zu beachten ist, daß sein Name geändert werden muß, wie es ein Abschnitt der Vendredi-Toulon-Regel vorsieht. Näheres dazu erörtern wir mit den Eltern des Jungen", sagte Monsieur Gallimart und holte sich den Zauberstab Gastons, der in den Armen seiner Mutter aus dem Speisesaal getragen wurde. Professeur Fixus begleitete sie dabei. Die Lavalettes und Southerlands sahen ihnen nach. Der Schreck der drastischen Bestrafung hatte sich zu einem Ausdruck der Genugtuung gewandelt.

"Damit Sie alle begreifen und beherzigen, was hier soeben vorging erläutere ich Ihnen gerne die Ausnahmeregel, die im Jahre 1830 von der Damaligen Schulleiterin Melissa Vendredi und dem damaligen Zaubereiminister Claude Toulon vereinbart wurde", begann Madame Faucon. Ihr Gesicht zeigte eine Mischung aus wilder Entschlossenheit und Genugtuung. "Damals gab es einen Schüler, der alles und jeden in Beauxbatons wie sein persönliches Eigentum ansah und behandelte. Er trieb es so weit, daß er mit seinem Zauberstab Menschen wie Puppen an unsichtbaren Fäden führte und sogar vor den Lehrern nicht zurückschreckte. Keine Strafe konnte ihn davon abbringen. So erkannten Vendredi und Toulon, daß dieser Zauberer wohl von frühester Kindheit an ohne Führung und Anleitung gelebt hat und unmöglich einen für einen erwachsenen Zauberer nötigen geistigen Reifegrad erreichen würde. Daher beschlossen sie, ihn dem Infanticorpore-Fluch zu unterwerfen und bei anderen Eltern in Pflege zu geben, die ihn mit als geeignet erachteten Methoden auf ein neues Leben hinerzogen. Allerdings galt damals schon: Wer aus Beauxbatons verwiesen wird darf nicht mehr zurückkehren. Somit wurde wie bei einem anderen Gesetz im Umgang mit magisch verjüngten Menschen festgelegt, daß der betreffende Junge trotz erhaltenem Gedächtnis und Erfahrungsschatzes unter anderem Namen bei anderen Eltern aufzuwachsen und in eine andere Zauberei-Lehranstalt aufgenommen zu werden habe, sofern eine Prüfung auf geistige Veranlagungen ihm die Erlaubnis dazu einräumte. Das Experiment verlief erfolgreich. Der betreffende Schüler wuchs unter anderem Namen auf und wurde zu einem Schüler der Gattiverdi-Schule in Italien. Der Vorgang wurde als Ausnahmeregel im Anhang zu den Verabschiedungskrieterien für Schüler der Beauxbatons-Akademie verankert, jedoch seitdem nicht wieder angewendet. Ich hoffte inständig, Monsieur Perignon als einen doch noch erwachsen handelnden Mann in ein neues Leben verabschieden zu dürfen. Aber sein jede Vernunft verleugnendes Auftreten und die Versuche, Mitschüler als Geiseln gegen mich zu verwenden zeigte mir, daß es mit einem reinen Schulverweis nicht getan sei. Daher griff ich auf die seltene aber bis heute gültige Sonderregel zurück. Wer sich darüber informieren möchte kann dies in den Bulletins de Beauxbatons im Kapitel Verabschiedungsbedingungen nachlesen. Des weiteren ziehe ich aus dem Vorfall um Bernadette Lavalette, Cyril Southerland und Gaston Perignon drei wichtige Konsequenzen: Erstens gilt absofort, daß selbst bei Wechsel eines Schulleiters ein einmal der Akademie verwiesener Schüler keine Rückkehrerlaubnis mehr erhält. Zweitens werde ich in den allgemeinen Schulregeln verankern, daß alle Wetten und Übereinkünfte, die das Miteinanderleben von Schülerinnen und Schülern, sowie die Einhaltung der Schulregeln gefährden oder gar böswillig unterlaufen, verboten sind und bei Enthüllung mit eintausend Strafpunkten für die daran beteiligten Personen und damit einhergehenden Folgen geahndet werden sollen. Unabhängig davon, ob ich weiterhin als Schulleiterin im Amt bleiben darf oder einem Nachfolger oder einer Nachfolgerin Platz machen muß wird diese neue Regel mit Beginn des neuen Schuljahres in Kraft treten. Das habe ich mit den Schulräten bereits vereinbart. Drittens werde ich festschreiben lassen, daß jeder Austauschschüler vor Antritt eines Austauschjahres nicht nur was die schulischen Voraussetzungen angeht, sondern auch dessen sozialen und charakterlichen Eigenschaften angeht geprüft wird. Hierzu werde ich, solange ich als Schulleiterin die Kompetenz dazu habe, eine internationale Vereinbarung mit den Leitern anderer Zaubereiinstitute erörtern, die es ermöglicht, Schüler willkommen zu heißen oder abzulehnen, wenn sie die für die Gastschule nötigen Verhaltensweisen zeigen oder vermissen lassen. Wir haben uns zu lange darauf besonnen, daß Fleißarbeit und Begabung als wichtigste Fürsprecher für einen Austauschschüler zu gelten haben und im Namen der Souveränität der jeweiligen Schulen sowie der Anerkenntnis der Privatsphäre auf die Überprüfung sozialer Fertigkeiten und Charaktereigenschaften verzichtet. Was die geschlechtliche Annäherung zwischen Schülerinnen und Schülern angeht halte ich die bisher gültigen Umgangsregeln für ausreichend. Ich werde es jedoch Madame Rossignol freistellen, Schülerinnen nach jeden Ferien auf eine mögliche Kindesempfängnis zu untersuchen und bei erkannter Empfängnis entsprechende Maßnahmen wie im Falle von Mademoiselle Constance Dornier anzuregen. Verbindlich festschreiben will ich das noch nicht, da ich davon ausgehe, daß der Fall von Mademoiselle Lavalette und Monsieur Southerland ein warnendes Beispiel dafür sind, das geschlechtliche Miteinander nicht als jugendliche Spielerei zu sehen, sondern als lebenswichtige und daher mit dem nötigen Ernst zu behandelnde Angelegenheit zu würdigen. Wahllosigkeit und Wetteifer sind nicht erwünscht und bleiben gemäß den Schulregeln zu ahndende Verstöße, wenn sie über das zur partnerschaftlichen Verständigung nötige hinausgehen. Damit ist dieser unrühmliche Vorfall hoffentlich weit genug abgehandelt. Soweit ich informiert bin sollen noch zwei Gänge aufgetragen werden. Bitte setzen Sie das Abendessen also fort!" Mit zwei schnellen Zauberstabbewegungen ließ Madame Faucon den kirschroten Tisch wieder erscheinen. Saubere Teller, Besteckteile und Trinkgefäße materialisierten sich darauf. Es dauerte zwar einige Minuten, bis die Schüler sich an den vierten Gang trauten. Doch dann erfüllte Besteckgeklapper und leises Raunen wieder den Speisesaal.

"Ich dachte schon, die haut eine Regel raus, die alle Mädchen mit so Silberbändern bestückt, wie Sandrine und du sie anhaben", grummete Gérard.

"Ich denke, sie hat echt mit dem Gedanken gespielt, Gérard. Aber dann ist ihr klar geworden, welcher Riesenaufwand das ist und daß wir uns dann ja gar nichts mehr trauen dürfen, wenn irgendwo so ein Sittenwächterzauber lauert oder jede Schülerin ein Kontrollarmband um hat. Die alle zu überwachen würde eine völlige Neukonstruktion der bisherigen Überwachungsvorrichtungen ergeben. Außerdem wollte sie nicht alle Mädchen gleich als sexversessen abstempeln. Da würde ja dann auch ihre eigene Enkelin zugehören", sagte Julius.

"Beim letzten Mal wo Gaston der Zauberstab ausgerutscht ist blockierte Madame Maxime doch alle von uns. Warum hat Madame Faucon das nicht getan?"

"Ich vermute, weil sie uns vorführen wollte, daß Gaston hier nicht mehr hingehört und wohl auch nicht hingehört hat, wenn der echt sowas angeleiert hat. Ich kann mir das nur schwer vorstellen. Da geht ein Austauschschüler, weil der meint, das Bild eines großen Frauenhelden raushängen lassen zu müssen, auf eine Wette ein, von der er hofft, daß er nicht nur gewinnt, sondern dadurch noch einen Freifahrtschein für tolle Prüfungen kriegt. Ich verstehe Gaston nicht, daß der sowas mitgemacht hat. Solche Dummheit bei einer laufenden Bewährung gehört ja echt bestraft", grummelte Julius.

"Du redest von Dummheit. Was ist mit Bernadette?" Fragte Gérard.

"Hmm, das kann ich leider nicht Dummheit nennen. Unvernunft ja. Aber gerade um uns Menschen nicht aussterben zu lassen hat uns die Schöpfung was eingebaut, daß wir Spaß an der körperlichen Liebe haben, damit wir sie oft genug machen und dadurch Nachkommen in die Welt setzen. Deshalb kann ich Bernadette zum Teil verstehen, daß sie dachte, sich gut genug abzusichern und mit einem, der es echt darauf anlegt ein paar heiße Stunden zu erleben, unverbindlich und ohne Folgen, wirklich und wahrhaftig zusammenkommt. Cyril hat die Erbanlagen seiner Vorfahren in sich, die sagen: Gehe hin und vermehre dich! Insofern hat er nur den Auftrag seines Erbguts erfüllt und sogar erfolgreich beendet."

"Was heißt denn das, kontrazeptiv?" Wollte Robert wissen.

"Konzeption ist der Fachbegriff für eine Kindesempfängnis. Kontrazeption steht dieser entgegen, ist also eine Gegenempfängnis oder Empfängnisvermeidung beziehungsweise Empfängnisverhütung. Ich habe auch mal den Begriff Antikonzeptiv und Antikonzeptionsmittel gelesen", antwortete Julius schon fast im Stil eines Lehrers. "Im Grunde gehört da alles zu, das verhindert, daß eine männliche Keimzelle mit einer weiblichen Eizelle zusammenkommt und zu einem neuen Kind wird. In der Heilmagie gilt ein gerade befruchtetes Ei, daß sich erfolgreich im Mutterleib eingenistet hat als neuer Mensch und daher mit allen Schutzrechten für Menschen versehen. Will sagen, bevor Samenzelle und Eizelle sich treffen, darf alles unternommen werden, um das Treffen zu verhindern. Hat es aber schon stattgefunden, und das befruchtete Ei fällt der neuen Mutter nicht auf natürliche Weise aus dem Schoß, bevor es sich dort richtig sicher eingelagert hat, dann darf diesem neuen Menschen nichts mehr getan werden, zumindest nicht von einem magischen Heiler. Sie begründen das damit, daß wer ein Samenkorn wie einen Apfelkern oder Kirschkern in fruchtbare Erde setzt, ja auch einen ganzen Baum haben will und im Kern ja schon alles drinsteckt, was den Baum zum Baum macht. Der muß dann nur noch wachsen. Insofern deckt sich zumindest bei der Lebenserhaltung von ungeborenen Kindern die Meinung der Heilmagie mit der der römisch-katholischen Kirche. Letztere predigt und hetzt aber auch gegen Verhütungsmittel, weil sie behauptet, daß nur ihr Gott bestimmen darf, ob ein Kind entsteht oder nicht."

"Du bist doch auch christlich getauft, Julius. Das ist doch derselbe Gott oder?" Fragte Robert herausfordernd.

"Genau derselbe Gott wie für die Katholiken, die Juden und die Muslime. Nur wie an den geglaubt und wie dem gehorcht werden muß sind jedesmal andere Paar Schuhe. Aber ich hab's nicht so mit der Religion, weil dadurch leider nicht nur friedliche und menschliche Sachen entstanden sind. Stichwort Inquisition." Mit dem Begriff konnten sie alle was anfangen. Julius fragte sich jedoch, warum gerade jetzt, wo wieder ein ungewolltes Kind in Beauxbatons gezeugt wurde, es keine geregelte Aufklärung der Jungen über Verhütungsmittel gab, wie sie an Muggelschulen mittlerweile zum Pflichtprogramm gehörte, natürlich sehr zum Unwillen besonders religiöser Leute und ihrer Vorbeter wie die aus Rom und seinen Niederlassungen. Die Antwort war wohl dieselbe wie für die Kirchenleute: Wer meinte, alles über Verhütung zu wissen und anwenden zu können, würde von sich aus unüberlegter mit verschiedenen Geschlechtspartnern schlafen und damit gegen die Anstandsregeln verstoßen. Wenn keine Kinder entstanden war das ja unverbindlich.

"Noch mal zu diesem Kontrazeptivzeug, Julius", setzte Gérard an. "Wenn Bernadette und Cyril sowas benutzt haben, warum ist dann doch ein Kind entstanden?"

"Dazu fehlen mir wichtige Informationen, vor allem, welches Mittel sie verwendet haben", erwiderte Julius. "Dann ist es natürlich auch wichtig, sich genau dran zu halten, wann und wie das Zeug verwendet wird und ab wann ein neues Kind doch entstehen kann. Es gibt Mittel, die benutzen Frauen zum Ausspülen ihres Geschlechtes, um die Keimzellen ihrer Partner zu schwächen oder abzutöten, damit sie nicht zu den Eizellen hinschwimmen können. Da kommt es dann darauf an, wie schnell nach dem Geschlechtsverkehr das Mittel benutzt wird, um wirklich alle losgeschickten Samenzellen zu erwischen. Eine Minute später könnten noch vier oder fünf von diesen Kleinen Fruchtbarkeitsboten weit genug sein, um doch noch neues Leben anzustupsen."

"Stehen solche Lösungen in den Zaubertrankbüchern?" Fragte Robert. Julius nickte verhalten und erwähnte dann noch, daß es jedoch sicherer sei, sich sowas von einem Heiler zusammenstellen zu lassen, weil die über die Natur einer Befruchtung noch genauer bescheid wüßten und so mehrfachwirksame Mittel herstellen könnten. Er schloß mit den Worten: "Wahrscheinlich ging Bernadette davon aus, mit einer reinen Klarspüllösung keine Probleme zu haben oder hat echt zu spät damit hantiert. Tja, dann kommt sowas von sowas."

"Haben Millie und du solche Mittel von Madame Rossignol bekommen?" Fragte Gérard nun sehr neugierig.

"Neh, nicht von Madame Rossignol, sondern von ihrer Tante Béatrice", erwiderte Julius, der fand, daß das noch unverfänglich genug war. Denn den Jungen zu erzählen, er und Millie hätten in den Ferien nie was zusammen gemacht würden sie ihm eh nicht abkaufen. Er wollte und durfte nur nicht darüber reden, wie sie sich liebten und wie oft und so weiter.

"Hmm, ähm, dürfen nur Mädchen und Frauen sowas haben, oder können Jungs auch sowas beantragen?" Fragte Gérard. Julius wußte, worauf das hinauslaufen sollte. So sagte er:

"Du könntest dir Präservative zulegen, also elastische Überzüge für den kleinen Gérard. Aber ich weiß nicht, ob Sandrine dich dann richtig liebhaben kann. Aber ich denke, du kannst auch einen Heiler fragen, ob du sowas bekommst. Aber Sandrine könnte sich locker von Madame Rossignol oder Madame Matine solche Elixiere geben lassen, wenn sie sagt, daß sie zwar mit dir alles erleben möchte, was Ehepaare erleben können, aber erst nach Beauxbatons eigene Kinder haben möchte."

"Hera Matine? Die würde sich doch die Arbeit versauen, wenn die ihren Mädels sowas gibt. Die lebt doch vom Kinderkriegen anderer Leute", stieß Gérard aus. Das konnte Julius nicht grundweg bestreiten. "Gut zu wissen, daß ich erst mit Sandrine kläre, wo wir außerhalb von Beaux wohnen und wer da als Heiler zuständig für uns ist. Danke, Julius!"

"Ich hoffe mal, ich kriege keinen Krach mit deiner Verlobten", grummelte Julius. "Die kann sich nämlich egal wo sie wohnt ihre Hebamme aussuchen. Und wenn ihr wo wohnt, wo ein Heilzauberer als niedergelassener Heiler arbeitet, müßt ihr euch eh eine Heilhexe als Geburtshelferin aussuchen, weil das in der Heilmagie so altbacken geregelt ist, daß nur Frauen Frauen beim Kinderkriegen helfen dürfen, wo das in der Muggelwelt zum größten Teil schon anders geregelt ist."

"Ja, gut, hat Louis zu mir auch gesagt, daß bei seiner Geburt ein Arzt, also einer von den Muggelheilern bei war. Aber da soll noch eine Hebamme mit bei gewesen sein", sagte Gérard. Julius nickte. Wieso hatte Louis Gérard was von seiner Geburt erzählt? Diese Frage stellte er Gérard halblaut.

"Das war, weil er sich mit seinem Klassenkameraden drüber unterhalten hat, wo die Hexen, die heiraten ihre Babys kriegen. Weil ich da gerade auf Sandrines Besen gerufen worden bin hat er mich das gefragt. Ich habe ihm das dann erzählt, und er hat mir erzählt, wo und wie er zur Welt gekommen ist", erwiderte Gérard. Julius nickte. Das hätte er sich eigentlich auch denken können.

"Ich frage mich gerade, ob Constance, wenn sie diesen Fluch gekannt hätte, diesen Malthus Lépin auch an sich gebunden hätte", raunte Robert. Julius wandte sich ihm zu und sagte:

"Dann wäre Constance wohl nicht mehr in Beauxbatons. Soweit ich das gerade mitbekommen habe, muß dieser Fluch ziemlich heftig sein."

"Ja, aber was für ein Fluch ist das, dasß die alle Flüche kennende Madame Faucon so abfällig drüber spricht?"

"Nicht nur sie, Gérard. Millie wurde stocksauer, als sie das hörte. Das habe ich gespürt. Für Madame Faucon ist jeder Fluch eine Schande, weil dabei immer wer unbescholtenes leiden kann, in diesem Fall dann sogar ein ungeborenes Kind, daß als tonnenschweres Joch für seinen Vater ausgenutzt wird. Für meine Schwiegerverwandten ist es eine große Ehre, neues Leben in die Welt zu setzen. Es derartig zu manipulieren ist für Millie und ihre Verwandten wohl eine Todsünde."

"Wenn Bernadette jetzt mit Cyril ein ganzes Jahr bei dieser seltsamen Kontaktperson bleibt kommt Cyril nicht mehr von ihr los. Richtig?" Fragte Gérard.

"Grob gesagt hat er es darauf angelegt, wenn Bernadette ihn auch sehr übel abgefertigt hat. Wenn der, wie von verschiedenen Thorntails-Leuten an mich herangetragen worden ist, immer schon allen Mädchen nachgelaufen ist, war es nur eine Frage der Zeit, bis er bei einer mal erfolgreich beim Regenbogenvogel bestellt. Aber jetzt geht das nicht mehr. Ich stelle mir nur vor, daß Valentine mit dem genauso ihr Spiel aufgezogen hätte wie er mit Bernadette."

"Traurig sah sie auch nicht aus, als Cyril nicht beim Mittag- und Abendessen war", feixte Robert Deloire. "Was immer die umtreibt, die weiß wohl, daß es genug Idioten gibt, die sich auf sie einlassen."

"Dann sollten wir froh sein, daß wir schon fest verplant sind, Gérard", erwiderte Julius darauf. Robert funkelte ihn und den darüber grinsenden Gérard an, wagte jedoch keinen Kommentar dazu, um nicht wegen Respektlosigkeit Strafpunkte abzuräumen.

"Ich stelle mir gerade vor, daß wir übernächste Woche in die Prüfungen gehen und bis dahin keinen Gedanken mehr an Bernadette, Cyril oder Gaston verschwenden", sagte Gérard. "Schon komisch! Aber wie wird Madame Faucon aus der Kiste rauskommen?"

"So sauber wie ein Laken nach zehn Stunden Wasch-Trocken-Schrank", sagte Julius. "Madame Faucon wird sich da schon entsprechend abgesichert haben, wo Bernadette ihr den idiotischen Gefallen tat und diesen Brief hinterließ. Hätte die das nicht gemacht und Cyril einfach so weggezaubert und versteckt, müßte Madame Faucon sich wohl hundert Befragungen stellen und ob sie nicht vielleicht daran gedreht habe und so weiter. Wenn Bernadette es echt gewollt hat, daß Madame Faucon ihren Posten verliert, dann hat sie in dem Moment total verkehrt gehandelt. Aber offenbar lag ihr was daran, klarzustellen, warum sie abgehauen ist und warum sie diesen Fluch auf Cyril gelegt hat. Sie wollte sich als Opfer hinstellen, eine, die keine andere Wahl hatte."

"Mein Opa Gerome hat mir gesagt: Junge, jeder Stern da oben ist das Licht, das einem betrogenen oder gebrochenen Herzen den richtigen Weg nach Hause leuchtet", sagte Robert. "Kann sein, daß er recht hat."

Am Abend las Julius noch einmal in seiner Ausgabe der Bulletins de Beauxbatons und fand unter dem Anhang im erwähnten Kapitel wirklich einen kurzen Abschnitt über die Vendredi-Toulon-Regel und daß sie bisher nur einmal angewandt wurde. Nun war wohl eine neue Ausgabe fällig, dachte Julius. Dann dachte er an Gaston. Der mußte nun unter neuem Namen aufwachsen, wie die Hexen und Zauberer, die durch Iterapartio-Zauber neu geboren wurden oder sich selbst den Infanticorpore-Fluch aufgehalst hatten. Womöglich mußte er dazu in ein anderes Land. Denn nach Beauxbatons konnte der nicht mehr zurück. Julius fielen Adrian Moonriver und Larissa Swann ein. Larissa hatte mit ihrer zweiten Kindheit offenbar keine Probleme gehabt. Adrian hingegen empfand sie wohl als lästig. Womöglich würde Gaston oder wie er dann heißen würde sie auch als lästig empfinden. Julius dachte an Laurentine, die ja mal mit Gaston gegangen war. Was mochte in ihr nun vorgehen? Da fiel ihm ein, daß sie schon am Anfang des Schuljahres klargestellt hatte, daß sie mit Gaston fertig war. Tja, und jetzt war die ganze Welt mit Gaston fertig. War es diese Wette um ein magisches Pin-Up wirklich wert gewesen? Er dachte wieder an Millie, die ihn mit ihrer Wut überflutet hatte, als sie dachte, Madame Faucon wolle sie nun wegen Bernadette bestrafen. Das durfte ihm nicht noch einmal passieren, daß er sich davon aus dem Tritt bringen ließ. Er hatte Valentines großem Bruder einen hammerharten Kinnhaken verpaßt, weil der einen platten Spruch abgelassen hatte. Blanche Faucon konnte froh sein, daß sie kein Mann war. Sonst hätte er sie womöglich durch das Sprechzimmer gedroschen. Wenn Millie selbst schwanger wurde mußte er jeden Tag mit übersteigerten Gefühlsausbrüchen rechnen. Wenn er ihr helfen wollte, damit klarzukommen, dann ging das nur, wenn er sich davon nicht selbst mit aus dem Tritt bringen ließ. Insofern hatte ihm dieser eine Tag eine Menge wichtiger Lektionen beschert, für die er keine Noten bekommen würde, aber womöglich sein ganzes weiteres Leben davon ableiten durfte.

"na, war heute ein sehr langer Tag, wie?" Hörte er Millies Gedankenstimme in seinem Kopf. Er legte seine Hälfte des Zuneigungsherzens auf die Stirn und dachte zurück:

"Ja, eine Menge Zeug, daß uns wohl alle noch lange verfolgt. Ich habe den Jungs an meinem Tisch gesagt, daß Madame Faucon wegen des Briefes wohl sauber aus der Angelegenheit herauskommt. Ob das stimmt weiß ich nicht."

"Der Umstand, daß sie noch am Lehrertisch sitzenbleiben durfte, wo die Eltern von Bernadette und Cyril schon wieder gegangen waren zeigt das wohl, daß sie so schnell nicht von der Schule fliegt, Monju." Julius stimmte dem zu. Dann dachte er seiner Frau noch zu:

"Dann werden wohl nach den Sommerferien eine Menge junger Hexen bei Madame Rossignol antreten dürfen, nicht nur du."

"Ob sie das macht weiß ich nicht, Monju. Bei Sandrine ganz sicher, weil die garantiert schon davon träumt, sich von Gérard durchwalken zu lassen."

"Ist schon komisch, wie wenig Ahnung die Jungs von Verhütungsmitteln haben. Ich bring das morgen bei der PK mal auf den Tisch, ob das nicht so laufen kann wie in der Muggelwelt, wo es richtigen Unterricht in sowas gibt."

"Unterricht? Die lernen da doch nicht, miteinander Liebe zu machen", wunderte sich Millie.

"Das nicht, aber zumindest, was Männer und Frauen für körperliche Eigenschaften und eigenheiten haben, wie die beiden Menschenformen zusammenkommen und neue Menschen machen können, aber ohne daß die Schüler das praktisch ausprobieren sollen, was bei Schwangerschaft und Geburt und Stillzeit abläuft und was es so alles gibt, wenn ein Parr keine Kinder haben möchte. Sowas fehlt in Zaubererschulen."

"Klar, weil die Schulen keinen Krach mit den Eltern haben wollen, die meinen, das aussuchen zu müssen, wann ihre Kinder über sowas informiert werden, Monju. Du kennst doch Aysha. Deren Großeltern würden ihr den Besuch hier verbieten, wenn Beauxbatons ein Schild raushängen würde, daß Jungen und Mädchen über das jeweils andere Geschlecht in allen Einzelheiten aufgeklärt würden."

"Ja, aber als Pflegehelferin muß Aysha damit rechnen, auch mal nackte Jungen zu sehen."

"Das ist der Punkt. Wir Pflegehelfer müssen das alles wissen und verstehen, was die anderen nur dann erfahren, wenn ihre Eltern es ihnen erzählen oder vormachen."

"Ja, und dann kriegen wir eine Streberin, die erst nur denkt, Noten und Superzeugnisse sind alles und sich vom ersten Pimpf rumkriegen und flachlegen läßt, der schon raushat, wie ein Junge ein Mädchen anquatschen und anfassen muß", schickte Julius zurück.

"Ich hatte irgendwie den Eindruck, daß das mit dieser Wette der guten Blanche wesentlich heftiger zugesetzt hat als die heimliche Beziehung zwischen Bernadette und Cyril. Ist dir das auch aufgefallen, wie energisch sie Gaston angeherrscht hat, um aus ihm herauszukitzeln, wie das abgelaufen ist?"

"Ja, den Eindruck hatte ich auch."

"Wird wohl einmal selbst was fieses bei sowas erlebt haben. Anders kann ich ihre Wut darüber nicht verstehen", erwiderte Millie. Julius hütete sich, ihr zuzudenken, daß sie genau ins schwarze getroffen hatte. Statt dessen dachte er ihr schnell zu:

"Dann wird die das uns nicht aufs Brot schmieren, weil sie sonst den Respekt verlieren könnte, den sie erwartet."

"Das wird wohl so sein, Monju", kam Millies verhalten amüsierte Antwort zurück. Natürlich mochte Millie an dieses bis vor bald zwei Jahren bestehende Hund-und-Katze-Verhältnis zwischen Madame Faucon und Ursuline Latierre denken. Doch was genau passiert war konnte sie nicht wissen. Julius erwähnte nur noch, daß er hoffe, daß Gaston oder wie er demnächst heißen würde nicht auf Rache an Madame Faucon ausgehen würde, wenn er die ersten zwanzig Windeln vollgemacht habe.

"Na ja, aber der darf womöglich an sehr spendablen Brüsten liegen. Das hätte ihm diese B. B. nicht geboten."

"Brigitte Bardot?" Fragte Julius, der die Abkürzung anderswoher kannte.

"Die ist mir nicht bekannt, wohl eine Muggelfrau. Ich meine diese vollbusige Blumenelfe, von der es Gaston hatte."

"Das kann ich nicht beurteilen, Millie. Ich kenne keine magischen Pin-Up-Girls."

"Du meinst Hinguckhexen, Monju. Onkel Otto hatte mal welche. Aber seitdem er verheiratet ist sind die für ihn langweilig. Aber mit einem Intrakulum könntest du solche Bienchen besuchen. Aber die sind auf so liebesdoll und zeigefreudig eingestellt, daß die dich dann nicht mehr in die normale Welt zurückließen. Also vergiß das besser gleich wieder!"

"Ich verstehe deinen Onkel Otto", schickte Julius zur Antwort zurück. Damit hatte er Millie besser geantwortet als mit einer umständlichen Beteuerung, daß er sie nicht mit soeiner gemalten Amüsierdame betrügen würde.

"Dann hätte ich wohl auch einiges verkehrtgemacht, Monju", hörte er Millies höchst zufriedene Antwort in seinem Kopf. Dann wünschte sie ihm noch eine gute Nacht. Er erwiderte den Gutenachtgruß und steckte den warm und regelmäßig pulsierenden Herzanhänger wieder unter seine Schlafanzugjacke. Er dachte daran, was für ein Glück Sandrine und Gérard gehabt hatten, daß das angekündigte Wettverbot noch nicht in Kraft war, als die beiden gewettet hatten. Immerhin war das für beide glücklich ausgegangen und hatte keinen unbescholtenen darin einbezogen. Mit dieser Erkenntnis schlief Julius dem nächsten Tag entgegen.

 

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Bei der Pflegehelferkonferenz ging es natürlich um Bernadette, Cyril und Gaston. Julius warf ein, daß es vielleicht besser sei, wenn nicht nur die Jungen der Pflegehelfertruppe mehr über Verhütungsmittel wüßten, da seine Klassenkameraden ihn viele Fragen dazu gestellt hatten. Madame Rossignol nickte zwar, sagte aber mit Bedauern in der Stimme:

"Wir Heiler bemängeln das auch, daß der Großteil der Geschlechtserziehung auf den Hexen ruht und die Zauberer entweder gesagt bekommen, daß sie besser keine körperliche Vereinigung mit einer Frau haben dürfen, um nicht zu früh Vater zu werden oder daß sie eben dann damit rechnen müßten, ein Kind zu zeugen. Sicher wäre mir das auch lieb, wenn die Jungen in Beauxbatons umfassend über Vorgänge und Auswirkungen des geschlechtlichen Beisammenseins unterrichtet würden. Aber jeder Versuch, eine umfassende Aufklärung im Lehrplan vorzuschreiben scheiterte an den Schulräten, die beharrlich darauf verwiesen, daß zu viel Wissen auch eine Versuchung sei und eine trügerische Sicherheit auch zur Leichtfertigkeit verführen könne. Da hier in Beauxbatons sehr strenge Verhaltensregeln gelten, wollte man diese nicht dadurch unterminieren, daß die Schüler systematisch über alle Möglichkeiten unterrichtet werden, zumal dafür Extrazeit eingeplant werden und Personal angestellt werden müsse. So bleibt es meistens an mir als residenter Heilerin hängen, Jungen und Mädchen zu erzählen, worauf sie sich einlassen und was sie besser erst einmal lassen sollten. Immerhin gab es in Beauxbatons bisher nur zwanzig Zeugungsakte zwischen Schülern. Gut, zwei innerhalb von drei Jahren hier wirft kein gutes Licht auf die Einhaltung der Sittlichkeitsregeln. Aber in anderen Zaubererschulen sind in der Zeit schon mehr als hundert minderjährige Mütter verzeichnet, wenn auch nicht in den Schulchroniken. Besonders überstrenge Schulräte haben in den letzten zweihundert Jahren immer wieder die Rückkehr zur eingeschlechtlichen Unterbringung gefordert, wie sie in den ersten Jahrhunderten der Schulgeschichte eingehalten wurde, wo in den Sälen Gelb und Grün die jungen Hexen und in den anderen die jungen Zauberer untergebracht waren. Das verwischte sich aber dann irgendwann, weil immer mehr weibliche Nachfahren der Gründungsväter und männliche Nachfahren der Gründungsmütter nach Beauxbatons kamen und schon auf eine Beibehaltung der Grundeigenschaften gedrängt wurde. Das steht aber dann alles in den Bulletins de Beauxbatons."

"Wieder zurück zur Aufklärung", ließ Julius nicht locker. "Es wäre doch schlicht damit erledigt, wenn alle Jungen und Mädchen einen solchen Kurs in der zweiten oder dritten Klasse machen müßten, an dessen Ende sie geprüft werden. Mit Bestehen der Prüfung könnten die Saalvorsteher dann sagen: "Sie wissen nun alles, was Sie tun dürfen und besser lassen sollten. Kommt es dann doch zu ungewollten Schwangerschaften, verteilen wir noch mehr Strafpunkte, weil Sie es ja hätten wissen müssen." Dann könnten sich die Schülerinnen und Schüler genau überlegen, was sie miteinander machen können, ohne gleich ihr komplettes Leben umzuwerfen, so wie es Malthus und Constance und jetzt Cyril und Bernadette getan haben. Denn so wie es jetzt ist bringt der Spruch, daß Unwissenheit nicht vor Strafe schützt überhaupt nichts, weil es ja nicht um eine kaputte Fensterscheibe oder eine falsch beschriftete Zutatendose geht. Es heißt doch immer wieder, ob bei den Muggeln oder den Zauberern, daß Kinder nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen sollen. Ob das immer so klappt weiß ich wohl erst, wenn ich selbst raus habe, was ich von der Zeit in Hogwarts und hier im Leben wirklich unterbringen kann, womit ich das zu lernende meine." Millie hatte Julius verstimmt angesehen, nickte aber, als er klarstellte, wie er es meinte. "Wenn geschlechtliche Entwicklung und körperliche Liebe zum Leben dazugehören, dann sollten Jungen wie Mädchen auch in der Schule darüber was lernen dürfen. Und wenn es Beauxbatons wichtig ist, daß jeder Erst- und Zweitklässler einen Tanzkurs mitmacht, dann weiß ich echt nicht, warum nicht jeder dritt- und viertklässler einen Aufklärungskurs mitmachen sollte. Das gilt dann natürlich nicht nur für Beauxbatons."

"Ein weiteres Hindernis auf diesem Weg ist, daß alles geschlechtliche privat ist und alles private von den Eltern erledigt werden soll, so die klare Übereinkunft zwischen Beauxbatons und den Schulräten", sagte Madame Rossignol mit gewissem Unmut. "Es gibt durchaus Elternpaare, die ihr Anrecht auf Aufklärung der Kinder gefährdet sehen, sobald ihre Kinder in Beauxbatons sind. Die könnten dann hingehen und darauf bestehen, daß ihre Kinder an solchen Kursen nicht teilnehmen, wodurch deine Idee, Julius, schon wieder unterlaufen würde. Denn dann gäbe es die einen, die zertifiziert sind und die anderen, die sich nur darauf verlassen dürfen, daß ihre Eltern ihnen früh genug alles wichtige beibringen. Ohne euch zu nahe zu treten, Millie und Pattie, in eurer Familie gelten körperliche Partnerschaft und Nachwuchs als hohe Güter. Wann habt ihr von wem irgendwas erfahren, wie die Natur zwischen männlichen und weiblichen Menschen aussieht?" Patricia Latierre machte ein mulmiges Gesicht und zupfte an ihren Blusenärmeln, während Millie sich kerzengerade hinsetzte und ganz selbstbewußt antwortete:

"Also wie sich Mann und Frau unterscheiden bekam ich schon als dreijährige gezeigt. Wozu der Mann so aussieht und die Frau anders und daß das bei bestimmten Sachen gut zusammenpaßt bekam ich von meiner Mutter mit sieben Jahren erklärt. Martine wurde von ihr und Papa vor der Einschulung nach Beauxbatons in langen Gesprächen drüber aufgeklärt, worauf sie sich einlassen und was sie besser erst einmal bleiben lassen sollte. Das gleiche habe ich dann ein Vierteljahr vor der Einschulung erlebt, wo das bei mir körperlich gerade angefangen hat, daß ich bald kein kleines Mädchen mehr sein würde."

"Ich hab zugesehen, wie meine Zwillingsschwestern in meine Maman reingekommen sind", sagte Patricia halblaut, weil sie wohl fürchtete, deshalb gleich gemaßregelt zu werden. Louis, Aysha, Carmen und Sandrine starrten sie entgeistert an, während Madame Rossignol ihr aufmunternd zunickte. "Sicher, als Mayette gemacht oder wie das heißt wurde haben meine Eltern mir noch was vom Regenbogenvogel erzählt, weil ich wissen wollte, warum Maman dabei so laut geschrien hat. Aber als ich gerade ein Jahr vor der Einschulung hier war hat meine Mutter mich neben das Schlafzimmer gesetzt und einen Zauber gemacht, daß ich durch die Wand reingucken konnte. Da habe ich das gesehen, wie sie mit Papa Liebe gemacht hat. Der hat sich zwar drüber aufgeregt, als er rausbekam, daß ich das mitbekommen habe. Aber Maman hat gesagt, daß sie das mit allen ihren Söhnen und Töchtern durchgezogen habe, damit wir vor Beauxbatons wüßten, was Mann und Frau zusammen anstellen können und daß dabei die neuen Kinder entstehen und nicht weil man einen Zaubervogel ruft. Beatrice, meine Halbschwester, hat mir dann mal unter einem Vergrößerungsglas gezeigt, wie diese Samentierchen aussehen, die bei Männern rauskommen. Schon ähnlich wie Kaulquappen mit langen Schwänzen. Na ja, und als mir Béatrice die Sachen für den Ersthelferkurs beigebracht hat ging es auch noch mal drum, wie die kleinen Kinder entstehen. Allerdings konnte sie mir da nicht in echt zeigen, wie die Samentierchen mit den Eikugeln zusammenwachsen und damit ein neues Kind entsteht, weil ja diese neuen Kinder dann ja auch im Bauch von einer Hexe hätten wachsen müssen, bis sie groß genug zum Geborenwerden wären. Da haben wir das mit Knetzeug nachgespielt. War lustig, aber eben auch wichtig."

"So hat meine Mutter mir meine eigene Entstehung auch vermittelt", sagte Madame Rossignol nun. "Ich hatte ja das Glück, als erstes von drei Kindern geboren zu werden. So konnte ich das zwei mal sehen, wie der Vorgang abläuft, der neues Leben entstehen läßt. Wenn bei diesen Vorführungen der Respekt vor den Vorführern nicht vernichtet wird ist daran nichts unanständiges, Sandrine, Aysha, Carmen und Louis. Unanständig ist es, wenn es zum reinen Vergnügen des einen stattfindet, wenn er andere dafür bezahlt, solche Spielchen vor seinen Augen zu veranstalten. Unanständig ist es auch, wenn Frauen nur auf ihr ursprüngliches Geschlechtsorgan und ihre Brüste reduziert werden, ob von Männern oder Frauen. Ihr hier alle in der Pflegehelfertruppe wurdet vorher von euren Ersthelferausbildern und danach von mir zum Respekt vor den Körpern der anderen, aber auch zur Achtung der Privatsphäre der anderen ausgebildet, Julius genauso wie Louis, Mildrid und Patricia genauso wie Sandrine, Patrice und Aysha."

"Ja, aber meine Eltern wollen, daß ich erst den Mann nackt sehe, mit dem ich verheiratet bin", sagte Aysha. Julius hätte fast schon gesagt, daß sie dann aber bis dahin auch mit Schleier und Kopftuch rumzulaufen habe. Doch das verkniff er sich rechtzeitig. Da fragte sie Patrice, wie sie dann den Ersthelferkurs hinbekommen habe. Aysha erwähnte, daß es in ihrem Kurs zwar auch um die Unterschiede zwischen Mann und Frau gegangen sei, aber da nur mit Modellen und nie mit echten Menschen gegangen sei. Julius bestätigte, daß er bei Madame Matine auch keine echte nackte Frau von außen gesehen habe, wohl aber einmal mit Einverständnis einer Patientin der Heilerin in die Wahrnehmungswelt ihres ungeborenen Kindes eingetaucht sei und ihr Kind durch den Einblickspiegel hatte ansehen dürfen. Millie nickte und erwähnte, daß sie das bei ihrer Großmutter Line auch so hatte mitbekommen dürfen. Madame Rossignol erinnerte Sandrine, Belisama und Josephine ja daran, wie sie bei Constances Schwangerschaft diese Methoden der Vorgeburtsuntersuchung kennenlernen durften und erinnerte noch einmal daran, daß sie alle damals schon eingegliederten Pflegehelfer immer darauf hingewiesen habe, Constances Privatsphäre zu achten und niemandem außerhalb der Truppe über die bei und an ihr gesehenen Dinge zu erzählen.

"Bernadette hatte da aber keine Lust zu", knurrte Millie. Patricia nickte beipflichtend.

"Weil sie wohl Angst hatte, ebenso schräg angeguckt und verspottet zu werden wie Constance, zumal die doch immer Wert drauf gelegt hat, als superschlaue, alles wissende und alles überblickende rüberzukommen und dabei alle gleichaltrigen von oben herab behandelt hat", schnarrte Belisama. "Das wäre ja wirklich eine supergünstige Gelegenheit für alle die gewesen, die ihr endlich alle Unverschämtheiten aus den letzten Jahren heimzahlen konnten." Patricia und Mildrid nickten bestätigend. Louis fragte dann noch nach Möglichkeiten, ungewollte Kinder wieder loszuwerden. Da sah er die sonst zwar strenge aber gutmütige Heilhexe zum ersten mal sehr zornig und duckte sich vorbeugend.

"Für dich und alle anderen: Diese Methoden lernt ihr hier auf keinen Fall, und wenn ich wen von euch dabei erwische, wie er oder sie sich über solche Methoden erkundigt und sie in Versuchen nachmacht gibt es drachengroßen Ärger. Solange ihr in dieser Truppe seid, und das bleibt ihr, bis ihr Beauxbatons auf die eine oder andere Art wieder verlaßt, habt ihr euch genauso an die Heilerregeln zu halten wie wir ausgebildeten Heilerinnen und Heiler. Das war damals, wo Serena Delourdes die Truppe gegründet hat, eine der Bedingungen und ist es bis heute geblieben. Also hütet euch ja davor, sowas jemals zu lernen, solange ihr die Pflegehelferschlüssel tragt! Noch mal für alle, die es von ihren Ersthelferausbildern nicht erwähnt bekommen haben, weil die meisten davon ausgingen, daß es in Beauxbatons keine Rolle spielen dürfte: Ist eine befruchtete Eizelle einmal erfolgreich in der Gebärmutter eingenistet, daß sie auf natürliche Weise nicht mehr ausgeschwemmt wird, gilt sie als bereits entstandener Mensch und genießt allen Schutz, den ein Mensch beanspruchen darf. Ich weiß, daß es in den meisten Muggelgesetzbüchern drinsteht, daß ein Mensch erst alle Schutzrechte genießt, wenn er geboren und von seiner Mutter entbunden wurde. Religiöse Gemeinschaften sehen wie wir Heiler einen Ungeborenen schon als lebenden Menschen an, wenngleich es da noch Unterschiede gibt, wann die vielen Religionen als unbedingte Grundlage geltende Beseelung stattfindet. Bei den einen erhält ein Mensch erst unter der Geburt die eigene Seele. Bei den anderen erhält ein Ungeborenes Mädchen sie achtzig Tage nach der Zeugung und ein Junge vierzig Tage nach der Zeugung. In der Magie sprechen wir auch von der Seele als inneres selbst, als nichtstofflicher Bestandteil lebender Wesen. Dieser wächst mit dem Ungeborenen mit und entfaltet sich mit dem Körper des neuen Lebewesens. Und wenn der Körper irgendwann zu wachsen aufhört, geht das Wachstum des inneren Selbst, der Seele, immer noch weiter. Was genau beim Tod eines Menschen geschieht wissen wir nicht. Die Existenz von Geistern und anderen Gewesenen weist jedoch darauf hin, daß die Seele den körperlichen Tod überdauern kann und in einer anderen Form oder Daseinswelt weiterbestehen kann. Wie diese aussieht wissen dann nur die, die sich bei ihrem Tod nicht an diese unsere stoffliche Welt klammern und als Geist in ihr verbleiben. Damit haben wir wohl die beiden wichtigsten Endpunkte des Lebens, die Zeugung und den Tod, soweit abgehandelt, wie es in dieser Truppe nötig ist."

"Dann könnten Claire und alle, die in den letzten Jahren gestorben sind noch irgendwo sein?" Fragte Belisama. Julius hatte genau mit dieser Frage gerechnet und blieb innerlich ruhig.

"Irgendwo, Belisama. Wobei die Frage nach einem Ort ja unterstellt, daß es einen Ort im räumlichen Sinne geben könnte. Aber eben das wissen wir nicht, ob es soetwas wie eine räumliche Nachwelt gibt. Womöglich ist es ein ganz besonderer Zustand, der ohne die Begriffe von Raum und Zeit auskommt, weil sie diesen Zustand eh nicht beschreiben können und keine Gültigkeit haben", sagte die Schulheilerin.

"Sowas wie einen Hyperraum, in dem Raum und Zeit zu einem Nichts werden?" Fragte Louis.

"Ich weiß, es gibt in der magielosen Welt erfundene Welten, in denen ein solches Gefüge Reisen zu den Sternen beschleunigt und daher erst möglich und sinnvoll macht. Aber der Wortbestandteil -raum unterstellt eben ja eine beziehung zum Räumlichen, etwa, in dem sich etwas in die eine oder andere Richtung bewegen kann. Das fiktive oder sagen wir mal theoretisch dargestellte Gefüge namens Hyperraum steht zum realen, stofflichen Raum in der Beziehung, daß er Entfernungen zusammenschrumpfen läßt wie jemand, der einen Pergamentbogen mehrfach zusammenfaltet, wodurch der obere Rand näher an den unteren Rand gerückt wird und sogar mit diesem zusammengelegt werden kann. Bei der Apparition, die die Sechstklässler in diesem Schuljahr erlernt haben, findet eine solche Zusammenstauchung statt, die aber trotzdem im selben Raum-Zeit-Gefüge geschieht." Die Sechstklässler unter den Pflegehelfern nickten bestätigend. "Wo also, um zur Frage von dir, Belisama, zurückzukehren, die nichtstofflichen Daseinsformen der Verstorbenen existieren, die nicht als Geister in unserer Welt bleiben wollten oder mußten, können wir nicht sagen. Das werden wir erst dann wissen, wenn wir irgendwann in der Zukunft selbst in diese Nachtoddaseinsform überwechseln."

"Ja, und je nachdem, was wir im Leben angestellt haben mit dem ganzen Zeug ewig weiterexistieren", grummelte Louis. Madame Rossignol bejahte das.

"Das ist überhaupt der Grund, warum wir Menschen unser eigenes Leben wie das Leben der Mitmenschen als höchstes Gut ansehen müssen. Denn wenn es eine Möglichkeit gibt, das bestmögliche für unser inneres Selbst zu erreichen, womit nicht der rein materielle Gewinn oder Macht über andere Menschen gemeint sind, dann können wir das nur in unserem körperlichen Leben erreichen, weil wir danach keine Möglichkeit mehr haben, uns noch besser zu entwickeln. Um zu verdeutlichen, wie hilflos und unwissend wir dem Phänomen der postmortalen, also nach dem Tod möglichen Existenz gegenüberstehen hat die Heilerin Eileithyia Greensporn, die eine leidenschaftliche Hebamme ist, vor siebzig Jahren in ihrem Aufsatz über die Reifung des inneren Selbst geschrieben, daß sich ein ungeborenes Kind gar nicht vorstellen könne, auf den eigenen Beinen zu laufen, Wind zu spüren, zu atmen, Sonnenlicht und Mondschein zu unterscheiden, feste Nahrung mit den Zähnen zu zerkauen und hinunterzuschlucken und sich überhaupt in einem unendlich scheinenden Raum zu bewegen. So wie ein Ungeborenes mit Begriffen wie Wind, Sonnenlicht, laufen und fliegen überhaupt nichts anzufangen weiß wüßten wir Lebenden auch nichts mit Begriffen aus der postmortalen Daseinsform anzufangen, selbst wenn es jemand von dort schaffen würde, uns seine oder ihre Welt zu beschreiben."

"Tja, und das verbindet die Engel und Dämonen aus den Gedichten und Geschichten der frommen Religionsanhänger mit den uns technisch weit überlegenen Außerirdischen aus den Weltraumgeschichten", faßte Julius es zusammen. "Wo wir nicht klar verstehen, wie und warum was so ist wie es ist, benutzen wir unsere Phantasie, um uns das, was um uns herum ist, zumindest zu beschreiben."

"Noch einmal zu Bernadettes Baby", griff Sandrine das Ausgangsthema noch einmal auf. "Wird es durch diesen Fluch von alleine zu einem schlechten Menschen, oder wird es so wie jeder andere?"

"Nun, um das beantworten zu können müßte ich euch diesen Fluch ganz genau beschreiben, und daran liegt mir absolut nichts", schnarrte die Heilerin von Beauxbatons. "Nur so viel, dieses Kind lebt nur solange, wie sein Vater keinem erzählt, daß er mit ihm durch den Fluch verbunden ist. Außerdem besteht die Wahrscheinlichkeit, daß seine körperliche Entwicklung durch die in ihm wirkende Magie beeinträchtigt wird, daß es vielleicht für Krankheiten anfälliger ist und womöglich schneller altert als andere Menschen. Mir als Heilerin ist dieser Fluch bekannt und ich kenne die nur Heilern und ausgewiesenen Bekämpfern dunkler Kräfte zugänglichen Berichte über solche Kinder. Sie konnten kein eigenständiges Leben führen, weil sie ihre schlimmsten Ängste ungewollt auf ihren Vater übertrugen und dadurch nicht lernen konnten, Menschen als empfindsame Mitgeschöpfe zu respektieren. Insofern kann ich deine Frage doch beantworten, Sandrine. Der Fluch verhindert, daß das Kind zum mitfühlenden Menschen wird. Fehlendes Mitgefühl kann eine Quelle für böse Taten sein, muß es aber nicht zwangsläufig." Patricia hob die Hand und erwähnte, daß sie ja gestern mitbekommen mußte, was alles in dem Brief stand und was Madame Faucon und die Heilerin über den Fluch erzählt hatten. Demnach würde ein Teil der dunklen Kraft bei der Geburt auf die Mutter übergehen. Damit wäre sie ja nicht mehr in dem Kind alleine vorhanden. Madame Rossignol nickte schwerfällig und erwiderte mit gewissem Unmut:

"Was Sandrines Frage auch dahingehend umformuliert, daß die Mutter des Kindes selbst durch den Fluch beeinträchtigt und seelisch geschädigt oder gar verdorben werden kann, Patricia. Bernadette hat sich nur scheinbar mit dem Fluch einen Vorteil verschafft. Eure Lehrer für den Schutz vor destruktivernFormen der Magie haben es euch wohl allen immer wieder erklärt, daß bösartige Zauberei sich immer auch auf den schädlich auswirkt, der sie benutzt. Insofern halte ich Bernadette trotz ihrer schulischen Erfolge für ein sehr naives, ja dummes Mädchen, das aus schmerzhafter Enttäuschung durch die Schwangerschaft veränderten Lebenslage heraus nichts besseres anzufangen wußte, als sich den Vater des Kindes gewaltsam untertan zu machen. Dabei wird nicht sein Geist beeinflußt wie unter Imperius, sondern über die Angst vor dem körperlichen Tod sein Gehorsam erzwungen. Insofern könnte dieser Fluch, wäre er nicht auf Hexen alleine beschränkt und so wenigen bekannt, der vierte unverzeihliche Fluch."

"Ich habe auf jeden Fall kein schlechtes Gewissen bekommen, mit dem Mann, den ich liebe ein Kind oder mehr zu haben", sagte Millie dazu. Julius fühlte seine Ohren erwärmen. Sandrine nickte ihr zu. Da war für Julius klar, daß sie es darauf ankommen lassen würde, wenn sie mit Gérard in einem gemeinsamen Schlafzimmer allein war. Ob er ihn vorwarnen sollte? Aber es war Gérards Sache, wie er mit Sandrine privat wurde. Nur wenn gleich zwei Pflegehelferinnen im nächsten Jahr schwanger wären könnte das deren Arbeitsfähigkeiten einschränken. Außerdem hatte Sandrine nicht die für die UTZs wichtigen Selbstverwandlungen erlernt. Das mochte sie noch davon abhalten, mit einem eigenen Kind von Beauxbatons abzugehen.

"Sie sagten eben, daß ein Fluch immer auch den betreffe, der ihn ausführe, Madame Rossignol", griff Louis ein anderes Thema auf. "Wie ist das dann mit diesem Infanticorpore-Fluch, den Madame Faucon auf Gaston gelegt hat? Ich las, daß dabei alle Erinnerungen und Erlebnisse erhalten bleiben."

"Unter üblichen Umständen ist dieser Zauber strafbar", sagte Madame Rossignol. "Da er jedoch umkehrbar ist gehört er nicht zu den ganz schwerwiegenden Flüchen. Wer ihn auf einen erwachsenen Menschen legt kann damit rechnen, daß wenn dieser Mensch wieder völlig neu aufwachsen muß kein Freund dieses Zauberers oder dieser Hexe wird, es sei denn, er hat sich diesen Fluch gewünscht, um noch einmal von vorne anzufangen. So oder so übernimmt jeder, der Infanticorpore auf einen bereits selbständig lebenden Menschen legt eine hohe Verantwortung. Daher wird er als magische Freiheitsberaubung in Tateinheit mit den Körper einschränkender Verwandlung in den Zaubereigesetzen erwähnt. Wer ihn sich selbst auferlegt verliert bei Inkrafttreten des Fluches alle im Leben erlangten Besitztümer, Titel und Vorrechte und muß völlig neu aufwachsen, wobei er dazu angehalten ist, sich dem körperlichen Alter entsprechend zu benehmen, weil sonst ein Gedächtnislöschzauber über ihn gesprochen wird."

"Oha, wenn Gaston oder wie immer der neu heißt also schon mit sechs Monaten ganze Sätze sagen kann oder eine Schreibfeder in die Finger kriegt und Briefe schreibt knallen sie dem noch einen Gehirnleerungszauber über?" Fragte Louis unvermittelt bleich.

"Hat es schon gegeben, weil es immer mal wieder uralte, mit ihrem Leben hadernde Zauberer und Hexen gab, die aber nicht sterben, sondern sich mit diesem Zauber so jung machen wollten, daß sie noch einmal ein ganzes Leben angehen konnten", sagte Madame Rossignol. "Wenn sie dann aber in einem Alter überragende Sachen machten, die natürlich entstandene Kinder da noch nicht können konnten, und das wurde angezeigt, wurde deren Gedächtnis soweit verändert, daß sie sich nur noch an das erinnern konnten, was sie in ihrer zweiten Kindheit schon kennen und können durften. Es könnte also eurem sehr spektakulär von der Schule verwiesenen Ex-Mitschüler passieren, daß er in den nächsten Monaten oder Jahren einem solchen Gedächtniszauber unterzogen wird, wenn er findet, sich beispielsweise mit neun neuen Lebensmonaten schon auf eine große Toilette zu bemühen oder mit einem Jahr schon umfangreiche Briefe zu schreiben. Vielleicht passiert ihm das auch früher, wenn er sich nicht damit abfinden kann, sich wie ein natürliches Baby zu verhalten. Ob er bei seinen Eltern bleiben darf ist höchst fraglich. Sie haben ihn zwar hinausbringen dürfen. Aber ich denke, das Ministerium hat ihnen den Kleinen sehr früh danach wieder weggenommen."

"Ja, und wenn jemand Gedankensprechen kann?" Fragte Millie. "Das fällt doch nur dem oder der auf, mit dem oder der der Infanticorporisierte das macht."

"Was dann davon abhängt, ob der angesprochene das beim Zaubereiministerium anzeigt oder nicht. Nachweisbar ist das natürlich nicht und daher nicht so leicht zu ahnden wie ein von der Hand eines Säuglings geschriebener Brief. Aber wenn das Baby zu viele Leute anmentiloquiert fällt es doch irgendwann auf, und das Zaubereiministerium führt den erwähnten Gedächtnisveränderungszauber durch."

"Der, der sich als Pétain ausgegeben hat war von seinen Leuten nach der Infanticorporisierung mit einem Gedächtniszauber belegt worden, der seine bisherigen Erlebnisse und seinen Auftrag solange unter Verschluß hielt, bis er körperlich wieder siebzehn Jahre voll hatte", flocht Julius sein Wissen um Sebastian Pétain alias Ion Borbogne ein. Madame Rossignol nickte.

"Solche Zauber gibt es auch. Aber die sind ungern gesehen. Im Falle von Gaston denke ich auch, daß er dann wirklich völlig neu aufzuwachsen haben wird, nicht nur körperlich, wenn er sich weigert, sich seinem körperlichen Alter entsprechend zu benehmen."

"Klingt irgendwie komisch, sich weigert, sich seines körperlichen Alters entsprechend zu benehmen", sagte Louis dazu. "Es gibt viele Männer und Frauen, die kein Problem damit haben, sich mal wieder wie ein kleines Kind zu benehmen. Da kann ich mir das nicht vorstellen, daß sich jemand nicht damit abfinden kann. Abgesehen davon, gehört dazu auch, daß der jetzt bei einer Frau an den Nippeln, ähm, Brüsten, saugen muß?"

"Das hängt von der Hexe ab, die seine Pflegemutter wird. Wenn sie die Mutter-Kind-Beziehung zu einhundert Prozent festlegen will könnte sie schon darauf kommen, ihn zu stillen."

"Dann stinkt aber jedes Mittelseitenmädel gegen ab", meinte Louis. Madame Rossignol fragte ihn sehr ungehalten, was er damit meine. Er erwähnte dann sowas wie dieses Bild, daß Gaston haben wollte.

"Wie erwähnt, junger Mann, hast du hier genau wie alle anderen die Natur und die Privatsphäre deiner Mitmenschen zu achten, Louis Vignier. Aber ich muß dir wohl oder übel zustimmen, daß eine gemalte, aufreizende Hinguckerhexe diese Vorzüge nicht bieten kann, die eine Hexe aus Fleisch und Blut zur Verfügung hat. Auch ein Grund, warum ich nicht verstehen kann, daß Gaston sich derartig mit Cyril eingelassen hat. Wahrscheinlich werden sich alle drei in die tiefste Hölle jeder Religion wünschen." Den letzten Satz raunte sie mit unüberhörbarer Mißbilligung. Julius mußte wieder an die junge Blanche Rocher und Ursuline Latierre denken. Ähnliche Gefühle dürfte Blanche damals für Ursuline empfunden haben. Daraus war ein über Jahrzehnte dauernder Zwist geworden. Aber selbst der war zu Ende gegangen, als schlimmere Zeitgenossen die Welt wieder unsicher machten. Somit bestand Hoffnung für Gaston, daß er aus seiner neuen Lage mehr gutes als schlechtes schöpfte.

Am Schluß der Konferenz hielt Madame Rossignol noch mal die wichtigsten Erkenntnisse fest. Den Vorschlag, einen Kurs zur Geschlechtserziehung für Schülerinnen und Schüler ab der dritten Klasse zu veranstalten würde sie zumindest von den Schulräten prüfen lassen. Womöglich konnten alle Eltern schulpflichtiger Kinder sich dazu äußern und in einer Abstimmung darüber entscheiden, ob es ihnen genehm war oder nicht. Ansonsten legte Madame Rossignol fest, daß sie alle Vierteljahre, beginnend nach den Sommerferien, alle Mädchen über zwölf Jahren einer kurzen Untersuchung unterziehen würde. Das mochte Nachahmer von Cyril und Bernadettes Format wirkungsvoller von Unüberlegtheiten abhalten als jede Strafandrohung. Die Saalsprecherinnen würden dann die Listen der zur Untersuchung bestellten bekommen und von ihr Rückmeldung erhalten, ob sie sich der Untersuchung unterzogen hätten. Carmen mußte das Céline übergeben. Millie dachte schon daran, wie das ihren Saalkameradinnen schmecken mochte, jedes Vierteljahr zur Jungfernschau anzutreten, wie sie es mit einem Ist-nicht-so-gemeint-Grinsen genannt hatte. Doch Madame Rossignol hatte den Begriff gleich als amtliche Bezeichnung für diese neue Untersuchung übernommen.

Die Beschlüsse der Pflegehelferkonferenz gingen in Beauxbatons schneller herum als ein Grippevirus. Die Jungen lästerten über die Mädchen, weil Jungen ja machen könnten, was sie wollten, ohne ertappt zu werden. Die Mädchen hingegen konterten, daß die Jungen sich dann noch besser vorzusehen hätten, weil sich die Mädchen dann erst recht nicht mehr auf jeden einlassen würden. Julius wurde von Robert gefragt, was den Mädchen denn passierte, die nicht hingingen.

"Tja, das muß Madame Rossignol noch austüfteln. Sie meinte nur, es könnte dann laufen, daß die Mädchen solange keinen Bonuspunkt mehr bekommen sollten, bis sie sich hätten untersuchen lassen. Robert überlegte und meinte dann:

"Das ist aber den Jungen gegenüber unfair. Die können dann machen was sie wollen."

"deshalb muß das ja noch durchgeplant werden. Könnte sein, daß wir Jungen dann heftiger mit Strafpunkten zugeballert werden können, um das wieder auszugleichen. Schmeckt mir selbst nicht, Robert."

"Uahh, das ist aber ein ziemlich großer Drache, den du da rufst, Julius. Dann macht das in Beaux ja überhaupt keinen Spaß mehr. Gut, daß wir dann nur noch ein Jahr hier sind."

"Ja, genau so habe ich das auch mal gedacht, als ich vor vier Jahren mit der blauen Reisekutsche hier ankam. Da hatte mir Professeur Fixus schon einen erzählt, ich könnte Strafpunkte von ihr kriegen, obwohl ich einen Hogwarts-Umhang umhatte. Neh, ein bißchen Spaß, solange er nicht dauerhaft Leute schädigt, sollte noch möglich sein, finde ich. Mal sehen, wie das geht."

"Soll deine Chefin doch auswürfeln, wen sie untersucht. das schreckt dann auch ab, weil es jede erwischen könnte. Wenn sie nicht hingeht kriegt sie sagen wir mal fünfhundert Strafpunkte und gut ist."

"Neh, sie möchte das schon systematisch und nicht wie ein Glücksspiel machen. Abgesehen davon werden in der Zaubererwelt Würfelwürfe nicht als amtlich verbindliche Auswahlkriterien gewertet", erwiderte Julius und machte mal eben aus einem Pergament einen kleinen Spielwürfel, den er mit einem ungesagten Fernlenkzauber immer wieder die Zahl zeigen ließ, die Robert haben wollte.

"Ich ziehe meinen Vorschlag zurück", grummelte Er. Julius ließ den Würfel wieder zum Pergamentblatt werden. "Irgendwie kriegt Madame Rossignol das schon hin", sagte er dann noch.

 

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Die neue Schulwoche begann und vertrieb schon bald die weiteren Gedanken an Bernadettes, Cyrils und Gastons ungewöhnlichem Abschied von Beauxbatons. Madame Faucon las am Montag einen Zeitungsartikel laut vor, in dem erwähnt wurde, daß sie am Dienstag zu einer ministeriellen Anhörung geladen sei, bei der auch Prinzipalin Ernestine Wright und der US-amerikanische Zaubereiministerialbeamte für Ausbildung anwesend sein würden. Weil Madame Faucon am Dienstag Abend wieder am Lehrertisch auf ihrem goldenen Stuhl saß wußten alle, daß sie weiterhin Schulleiterin bleiben würde. In der Zauberwesen-AG sprachen die Interessenten über Blumenelfen, immer seltener werdende Naturgeschöpfe, die nicht größer als eine Hornisse werden konnten und sich in Schmetterlinge, Bienen oder Hummeln verwandeln konnten. In ihrer wahren Gestalt waren sie zierliche Menschen mit durchsichtigen, dreifach faltbaren Flügeln, die je nach bevorzugter Blumenart rotes, braunes, violettes, weißes oder honiggoldenes Haar hatten. Weil ihre Stimmen so schwach waren, daß man sie nur verstand, wenn sie sich einem neben ein Ohr setzten und zudem im für Menschen unhörbaren Ultraschallbereich miteinander sprachen oder über größere Entfernungen Duftbotschaften versenden konnten, war es Muggeln seltenst vergönnt, eine Blumenelfe zu sehen. Da sie zudem auch keinen Lärm und keinen Rauch in der Luft mochten kamen sie nur noch in naturbelassenen Wiesengebiten und Wäldern vor. Deshalb gab es in der Zaubererwelt geschützte Waldstriche und Täler, wo die verbliebenen Blumenelfpopulationen weiterleben konnten.

"Sie sehen also, die Herrschaften, daß die unverhältnismäßige Verdrängung der freien Natur eine höchst interessante Zauberwesengattung bedroht. Nächste Woche werden wir uns mit dem extremen Gegenteil der Blumenelfen, den Riesen, befassen. Ich weiß, daß meine Vorgängerin in diesem Seminar schon zwei Themenabende zu diesen Zauberwesen veranstaltet hat. Aber durch die Vorkommnisse im letzten Jahr ist es wohl nötig, sich diese Wesen noch einmal genauer zu betrachten. Bis dahin wünsche ich Ihnen eine erfolgreiche Woche und Wohlbefinden!" Schloß Professeur Delamontagne den Abend. Julius sah noch einmal zu dem großen Glaskasten, in dem ein großes Stück Wiese mit mehreren Blumen geborgen lag. Er sah noch einmal eine Blumenelfe mit honiggoldenem Haar im gelben Gewand zwischen zwei Blumen fliegen. So kleine Wesen, so zerbrechlich wirkend, konnten sie jedoch aus der Lebenskraft der Pflanzen starke Zauberkräfte schöpfen, um Heilkräuter zu verstärken oder besonders kräftigenden Nektar für mit Magie angereichertem Honig zu erzeugen. Doch sie waren so selten. Auf hundert Quadratkilometer begrüntes Land kam nur ein einziges Paar Blumenelfen. Da sie gerne in Gruppen lebten bündelte sich ihre Bevölkerung entsprechend an kleinen Orten.

"Ob wir Mademoiselle Maximes Tante zu sehen krigen, Julius?" Fragte Millie ihn nach der Seminarstunde.

"Möglich ist es. Aber ob die uns nahe genug an sich ranläßt, ohne uns gleich an ihr Baby zu verfüttern, weiß ich nicht", erwiderte Julius.

 

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Julius nutzte die Freistunde am Freitag nachmittag noch einmal, um mit seinen Klassenkameraden, die keine Arithmantik oder Zaubereigeschichte hatten, praktische Zauberkunstübungen und Verwandlungen zu trainieren. Am Samstag beaufsichtigte Madame Faucon den Kochkurs und half allen mit großer Einsatzfreude, ihre Lieblingsgerichte hinzubekommen und anzurichten. Ihr war überdeutlich anzumerken, daß sie froh war, noch in Beauxbatons sein zu dürfen. Zwar hatte sich der Miroir Magique daran aufgehängt, daß nun ein Streit zwischen Beauxbatons und Thorntails heraufziehen würde, weil Cyril ja einer der besten Schüler seiner Jahrgangsstufe gewesen sei. Doch Gilbert Latierres Temps de Liberté brachte ein Exklusivinterview mit Ernestine Wright, in dem sie bekundete, daß sie es zwar sehr bedauere, daß Cyril nicht zurückgeholt werden konte, sie jedoch nicht der Beauxbatons-Akademie die Schuld dafür geben könne. Vielmehr vermute sie jene Organisation, die in den Staaten für die Ausrichtung ausschweifender Feste verantwortlich sei, bei denen die Veranstalter es gezielt auf die Zeugung neuer Kinder anlegten. Alle Hinweise, die sie und Madame Faucon erhalten hätten, deuteten auf diese Gruppe hin, deren Mitglieder bisher keiner entlarvt hätte und die vorgaben, die Zahl von Hexen und Zauberern in der Welt erhöhen zu wollen, um das Ungleichgewicht zu den sich offenbar kaninchenartig vermehrenden Muggeln auszugleichen. Julius konnte das nicht komplett abstreiten. Diese Leute, die in VDS die Mora-Vingate-Partys feierten, hatten sicher große Freude daran, einen Southerland mit einer Lavalette zu kreuzen.

Am Sonntagabend betrat Professeur Delamontagne den Aufenthaltsraum des grünen Saales und sah alle Schüler der fünften und siebten Klasse an. Dann hielt er eine aufmunternde Ansprache für die ab morgen anstehenden Prüfungen und wünschte den ZAG- und UTZ-Kandidaten den Erfolg, den sie durch ihre bisherigen Leistungen und Einsatzfreude verdient hätten. Abschließend sagte er noch:

"Zumindest bin ich froh, daß sämtliche Kandidaten, die ich in diesem Jahr kennenlernen durfte, auch in die Prüfungen gehen dürfen. Andere Säle haben da nicht so viel Glück." Alle lachten. Natürlich verstanden sie, was Delamontagne damit meinte. "Nun, dann mal gut erholt in den nächsten Tag, die Herrschaften. Madame Faucon wird sich freuen, Sie morgen alle zu den Prüfungen noch einmal zu begrüßen." Dann verließ er den grünen Saal.

"Habe ich das jetzt kapiert, daß die Verwandlungsprüfung zeitgleich mit der von den ZAG-lern und UTZ-lern zusammenfällt?" Fragte Laurentine Julius, der die Prüfungspläne hatte. Demnach würden sie gleich morgen Verwandlung haben. Auf seinem Prüfungsplan stand dick unterstrichen, daß Mildrid, Laurentine und er die Theorie am Morgen im Klassenverbund abhandeln sollten und nachmittags wie die UTZ-Schüler geprüft werden sollten. Madame Faucon habe es mit Descartes und der Prüfungskommission durchbekommen, daß die fortgeschrittenen Verwandlungen bereits auf UTZ-Standard geprüft und bei Erfolg auch als bereits abgelegte Prüfung gewertet und im nächsten Jahr zu den übrigen Prüfungsergebnissen dazugerechnet würden. In den anderen Prüfungsfächern würden sie wie in den Jahren vor den ZAGs mit ihren Klassenkameraden zusammen in Theorie und Praxis geprüft.

 

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Julius sah Professeur Lionel Gaspard an, der für die im Oktober verschwundene Professeur Tourrecandide nachgerückt war. Er sah aus wie ein etwas jüngerer Neffe der verschollenen, vielleicht toten Lehrerin und sollte ein Experte für Zauberkunst sein und vor sieben Jahren schon einmal von der Prüfungskommission berufen worden sein. Eine flüchtige Umfrage bei den Schülern brachte julius die Erkenntnis, daß er Professeur Bellart während ihrer letzten Babypause ein Jahr lang vertreten hatte. Doch für ihn zählte jetzt nur, daß er das mit den Verwandlungen hinbekam.

Die Theoriearbeit fiel Julius leicht genug, weil er vieles davon ja schon im letzten Jahr vorgearbeitet und durch die Kursstunden immer wieder wachgehalten hatte. Als er mit Millie und Laurentine am Nachmittag vor der Aula, in der die großen Abschlußprüfungen stattfanden anlangte wurde er schon von den UTZ-Schülern beäugt. "Ich dachte echt, die jagen dich schon in dem Jahr durch unsere Prüfungen, Julius", sagte Antoine Lasalle.

"Mit dem Gedanken hat Madame Faucon schon gespielt. Aber dann haben zu viele Leute ihr erzählt, daß ich mich dann ja ein ganzes Jahr langweilen müßte, wo Millie noch hier lernen möchte", konterte Julius. Millie grinste belustigt.

"Tja, gut daß ich mich nicht auf den Besen habe ziehen lassen", erwiderte Antoine. Sein Klassenkamerad bemerkte jedoch dazu, daß Sylvie wohl schon daran dachte, Bernadettes netten Festbindezauber zu machen. Julius räusperte sich und fühlte Millies Wut. Er sagte deshalb sehr schroff:

"Das ist nicht witzig. Und erwachsen klingt es auch nicht. Ich glaube nicht, daß ihr wie Gaston aus Beauxbatons rausgetragen werden wollt." Rums! Das saß. Die Spötter waren still.

Laurentine ging zusammen mit Wilma Jospin aus dem violetten und Portius Justinian aus dem weißen Saal in die Aula. Zehn Minuten später wurden dann Antoine, Julius und Mildrid hereingerufen. "Monsieur Lasalle, sie gehen bitte zu Professeur Champverd, Madame Latierre bitte zu Professeur Moureau, und Monsieur Latierre, sie gehen bitte zu Professeur Énas", teilte Professeur Fixus die Prüflinge ein. Julius kannte den Zauberer schon von zwei Prüfungen. Damals hatte er ihn jedoch vormittags einzeln geprüft.

"Ah, der junge Monsieur Latierre. Habe mich schon gewundert, daß der Name Andrews nicht auf der Liste stand. Aber natürlich, meine Kollegin Champverd hat mich über den Namenswechsel unterrichtet", sagte Professeur Énas. Julius fragte sich, ob der Prüfer mal wieder einen seiner Scherze trieb. Immerhin war Julius schon fast zwei Jahre verheiratet. Doch er lachte den untersetzten Zauberer mit dem silberweißen Haar und Spitzbart an und sagte:

"Immerhin hat Ihre geschätzte Kollegin Professeur Champverd mich im letzten Jahr nicht durch die Prüfung fallen lassen."

"Nach den Ergebnissen, die ich einsehen durfte war es ja auch wesentlich leichter, die Prüfung als bestanden anzuerkennen, als sie als verfehlt abzuschmettern", erwiderte Professeur Énas. Dann zog er einen Zettel aus seinem himbeerfarbenen Umhang und las ihn sich leise durch. "Ihnen ist bewußt, daß Sie heute schon ihre praktische UTZ-Prüfung bei mir haben?" Fragte Énas. Julius nickte.

"Das ist bedauerlich, daß wir uns dann wohl heute das letzte mal in Ihrer Schulzeit zu sehen bekommen, aber eben der Lauf des Lebens. Fühlen Sie sich körperlich und geistig wohl genug?" Julius bejahte es. Dann ging es los. Erst die Partiellen Selbstverwandlungen, natürlich alles ungesagt. Énas hätte ihm wohl wegen eines laut hergesagten Zauberspruches alle erreichten Prüfungspunkte aberkannt. Dann die Nebelgestalt. Julius sah zu Millie hinüber, die noch mit teilweise Selbstverwandlungen beschäftigt war. Dann konzentrierte er sich und wechselte innerhalb von drei Sekunden in die gasförmige Erscheinungsform über. Er mußte einige Bewegungen machen, Fragen des Lehrers beantworten und zehn Sekunden so auf einer Stelle schweben. dann kehrte er in einem Lidschlag in seine Feste Form zurück. Etwas schwieriger war die Verwandlung in eine Ansammlung Wasser. Doch nach einer Minute höchster Anstrengung war Julius froh, auch diesen Teil der Prüfung geschafft zu haben. Dann sollte er alles mögliche werden, von der Fußbank bis zum Wandschrank, vom Hamster bis zum Elefanten, wobei er bei letzterem den Endomorphosezauber benutzte, der seine innere Tiergestalt hervorkehrte, eben nur, daß er sich auf einen grauen Farbton konzentrieren mußte, weil er sonst schneeweiß geworden wäre. Nach knapp zehn Minuten hatte er, wieder seine natürliche Erscheinungsform besitzend, alle aufgetragenen Verwandlungen geschafft.

"Das wäre auch wirklich zu schade gewesen, wenn Sie dieses Fach nach den ZAGs hätten sausen lassen, junger Mann. Sie haben nicht nur eine überragende Grundkraft, sondern auch die für dieses Fach nötige Flexibilität und Konzentration. Ich bedanke mich recht herzlich für die abwechslungsreichen und für Sie wie für mich nutzbringenden Minuten und wünsche Ihnen auf Ihrem weiteren Lebensweg alles gute und amüsante."

"Danke, Professeur Énas. Ihnen auch noch recht abwechslungsreiche Jahre und viel Erfolg!" Wünschte Julius höflich.

"Hui, das wäre durch", keuchte Millie. "Dieser Moureau hat wohl von irgendwoher, daß ich heute die einzige Chance habe, die Selbstverwandlungssachen zu bringen. Der meinte immer: "Nur ran, Madame. Wenn Sie nächstes Jahr wegen was anderem nicht antreten können werden Sie sich ärgern", hat der immer getönt. Na ja, ging auf jeden Fall alles, wenngleich der bei der Selbstverflüssigung doch glatt mit einem Schwamm ankam und ich ganz schnell machen mußte, daß der nicht was von mir da drin eingeschlossen hat."

"Hmm, moment, fehlt dir was?" Fragte Julius und betrachtete seine Frau von oben bis unten. Sie posierte einen Moment mit halb ausgebreiteten Beinen und Armen. Dann meinte sie: "Ich fühle mich noch vollständig, Julius. Wie war's bei Énas?"

"Diesmal hat der nicht so viele Wichtel gefrühstückt wie vor zwei Jahren. Aber gut drauf ist er immer noch", sagte Julius.

"Ungesagt, Mademoiselle Hellersdorf, das ist die Grundbedingung", hat mich Virginies gutgenährte Oma begrüßt", erzählte Laurentine, nachdem sie sich weit genug von der Aula fort über die Prüfungen unterhielten. "Dann hat die mich durch das ganze Programm von den ZAG-Sachen bis zu den Selbstverwandlungen getrieben. Einmal sollte ich ein Sofa geben. Da schmeißt die große, schwere Trulla sich doch glatt auf mich drauf, daß mir die Knochen gebrochen wären und meinte, meine Federung würde aber schon quietschen, als sei ich so alt wie sie selbst. Und bei der Wasserpfützennummer hat die mich mit einem mal eben aus dem Nichts geholten Aufnehmer vom Boden gewischt und voll in einem Eimer ausgewrungen. Ich hätte fast meinen Zusammenhalt eingebüßt. Als ich dann wieder ich war tat mir alles weh. Ich geh gleich zu Madame Rossignol, ob bei mir noch alles da ist wo es sein soll. Was hat dieses Weib gegen mich?"

"Wahrscheinlich immer noch die Kiste mit deinen Eltern, Laurentine. Die wollte dir jetzt klarmachen, wo du hingehörst und daß du alles, was du hier lernst so gut wie möglich machst, bevor sie dich nicht nur aufwischt sondern im Klo runterspült", vermutete Julius.

"Huh, dann bin ich froh, daß ich diese dicke Trulla hinter mir habe", schnaubte Laurentine.

"Die prüft auch in zauberkunst, Kräuterkunde und Protektion gegen destruktive Formen der Magie", wußte Julius.

"Na super, dann kriege ich die Maman von Madame Delamontagne noch im nächsten Jahr. Super!" Knurrte Laurentine. Julius bot der Klassenkameradin an, sie mal eben bei Madame Rossignol abzuliefern, wenn sie sich nicht wohlfühle. Laurentine schüttelte den Kopf und ging den für alle zugänglichen Weg zum Krankenflügel.

"Könnte es echt sein, daß Eleonores Ma parteiisch ist, Julius?" Fragte Millie.

"Bei mir hat die letztes Jahr nicht so heftig reingehauen. Aber da konnte ich noch keine Selbstverflüssigung. Wundere mich, daß Laurentine dabei nicht doch was verloren hat."

"Das wäre ein Brüller, wenn sich bei der Untersuchung rausstellte, daß Laurentine wegen dieses Zaubers vom Mädchen zur Frau geworden wäre. Dann könnte sich die werte Professeur Champverd aber nirgendwo mehr blicken lassen", feixte Millie. Julius grinste. Eigentlich hätte er als Saalsprecher jetzt um mehr Respekt ersuchen müssen. Doch das hatte er schon bei Laurentine nicht raushängen lassen und bei seiner Frau erst recht nicht.

Beim Abendessen sah man es allen an, die schwer unter ihren Prüfern zu leiden gehabt hatten. Laurentine hatte außer dem Gefühl von mehreren Riesenhänden auseinander- und wieder zusammengeknetet worden zu sein keinen bleibenden Schaden davongetragen. Millie fragte sie sogar nach dem V.-I.-Status, und Laurentine erwiderte mit errötenden Wangen, daß das wohl der größte Gag geworden wäre, wenn der sich geändert hätte.

 

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Die Prüfungen in den anderen Fächern hatten Laurentine, Julius und Millie wie alle Sechstklässler im Klassenverbund. Bei Schutz vor schädlichen Zaubern mußte Julius wieder ein längeres Duell mit Professeur Delamontagne überstehen. Millie und Laurentine schafften wie Julius alle Abwehrzauber ungesagt. Jacques hatte hingegen Probleme mit ungesagten Zaubern.

"Da haben Sie aber ein Problem, wenn Sie das bis zum nächsten Jahr nicht verinnerlichen, Monsieur Lumière", wies Professeur Delamontagne Barbara van Helderns Bruder zurecht. "Denn wenn Sie bei der UTZ-Prüfung nur zwei von zwanzig Zaubern ungesagt schaffen verfehlen Sie die Prüfung. Hier kann ich Ihnen gerade noch die Mindestpunktzahl für Bestanden zubilligen, weil Sie zumindest die Zauber kannten und zur richtigen Zeit aufriefen. Soweit ich weiß feiern sie am zwölften Juni ihren siebzehnten Geburtstag. Nutzen Sie also die Ferien für ungesagte Verteidigungszauber!"

"Wen soll ich denn verfluchen, ohne gleich tierischen Streß mit meinen Eltern und den Sicherheitsleuten in Millemerveilles zu kriegen. Mit Millies Typen lege ich mich jedenfalls nicht an, um das reinzukriegen. Schaffe ich den, bringt sie mich um. Schafft er mich, brauche ich mir um die UTZs keinen Kopf mehr zu machen."

"Ich kann Ihnen eine Trainingsempfehlung für Monsieur Pierre mitgeben, den ich im letzten Jahr gut kennenlernen durfte", sagte Professeur Delamontagne. Jacques überlegte. Dann bat er um diese schriftliche Empfehlung.

Am Abend reisten sie im Zauberwesenseminar mit einem zum Portschlüssel verzauberten Eichenholztisch, an dem sich alle festhalten konnten in eine bergige und bewaldete Gegend. Hier trafen sie auf Mademoiselle Olympe Maxime, die ihnen zunächst aus sicherer Entfernung ihre Tante Meglamora und ihren gerade ein Jahr alten Sohn zeigte. Das Baby wirkte wirklich wie ein vier mal so groß wie ein menschenkind aufgeblähtes Baby. Nur die Ohren wirkten ausgefranst wie Kleeblätter. Mademoiselle Maxime erläuterte der Seminargruppe, wie schwierig es war, diese beiden ruhig und friedlich zu halten, die beiden jedoch auch gezeigt hätten, wie verletzlich sie sein konnten. Eine Stunde Lang beschnupperten sich Riesenfrau und Menschenschüler. Unter der Aufsicht der ehemaligen Schulleiterin von Beauxbatons durften einzelne Schüler näher heran und ihr Fragen zum allgemeinen und nicht zu privaten Leben stellen. Dann befand Professeur Delamontagne, daß es genug sei und bedankte sich bei Mademoiselle Maxime und Meglamora, daß sie sie besuchen durften. Denn sie wollten und durften die ausgewachsene Risin nicht wie ein Zootier ansehen, sondern von ihr lernen, ihre Species besser zu verstehen, um sie besser zu achten. Kurz vor Saalschluß erreichten sie den Palast von Beauxbatons wieder und verabschiedeten sich zur Nacht.

Zaubertränke, Zauberkunst und Kräuterkunde waren für Julius wie ein Spaziergang. Nur einmal glubschte ihn Trifolio befremdet an, obwohl Julius dazu keinen Grund erkannte. Den erfuhr er erst nach dem Ende der praktischen Prüfungseinheit.

"Wie erwähnt sollten Sie sich das gut überlegen, ob Sie Ihre Talente in Herbologie nicht besser nutzen und gezielter fördern sollten, Monsieur Latierre. Auch hat mir der leicht unbekümmerte Umgang mit Ihrem Snargaluff nicht so gefallen, auch wenn Sie dessen Kokon sicher und ohne Verletzung enntehmen konnten."

"Nun, daß was ich Ihnen beim Elternsprechtag sagte hat weiterhin Gültigkeit, Professeur Trifolio. Sofern Sie mir nicht mitteilen müssen, die Prüfung verfehlt zu haben, werde ich im nächsten Jahr bei Professeur Champverd oder einem anderen Ihrer Kollegen mit Kräuterkundequalifikation geprüft. Ich denke, bis dahin noch eine Menge bei Ihnen lernen zu können, um auch diese Prüfung bestehen zu können." Trifolio verzog das Gesicht. Offenbar versuchte er, Julius' Erwiderung als Aufsässigkeit zu werten. Doch dann ließ er dies sein und schickte ihn und die anderen aus dem Gewächshaus mit den gefährlicheren Zauberpflanzen.

"Fachidiot", schnarrte Millie, die das Geplänkel mitbekommen hatte. "Der meint, daß nur sein Fach wichtig sei. Ohne Zauberkunst und wirkungsvolle Flüche kämen wir gegen die ganzen Monsterpflanzen doch nicht an. Und ohne Zaubertränke hätten wir auch keinen Grund, uns mit denen anzulegen."

"Der will es nicht kapieren, daß ich mich für alles andere fithalten will. Kann ich nichts für. Ich bin hier nur Schüler und kein Lehrer, der was an wem umändern soll."

"Vielleicht sieht er dich als seinen Nachfolger", feixte Laurentine. Julius grinste und meinte, daß er da aber wohl erst in fünfzig Jahren dran denken würde, wenn er sich das Leben, das Universum und alles angesehen hätte.

"Da brauchst du aber länger für, Julius, schätzungsweise siebeneinhalb Millionen Jahre", erwiderte Laurentine. Millie grinste. Julius setzte dem noch einen drauf und sagte:

"Um am Ende festzustellen, daß die ersten zweiundvierzig Jahre ausgereicht hätten, um alle Fragen zu beantworten, die ich an das Leben hatte."

"Hey, wovon habt ihr es eigentlich?" Fragte Millie nun. Laurentine grinste und sagte:

"Über das Leben, das Universum und alles. Mehr nicht."

"Also, um den Quatsch zu verstehen, den Laurentine und ich gerade gemacht haben müßtest du von Douglas Adams das Buch "Per Anhalter durch die Galaxis" lesen, Millie. Nur danach wirst du dich wohl fragen, wer da verrückter ist, der Verfasser oder du selbst", sagte Julius.

"Vor allem, wenn sie liest, daß die Erde ein von den Mäusen bestellter Supercomputer ist, der den genauen Wortlaut der Frage nach dem Leben, dem Universum und Allem errechnen soll", entgegnete Laurentine darauf.

"Was ist denn das für ein Unfug?" Fragte Millie grinsend. Julius erwiderte darauf nur, daß das wohl nur kapiere, wer sich das ganze Buch angetan habe. Millie nickte und meinte, daß sie hoffe, daß Julius in der echten Welt doch wesentlich interessantere Sachen erlebe als in durchgeknallten Zukunftsgeschichten. Dann ging sie zu Caroline, die mit Leonie eine hitzige Diskussion über den Verlauf der Prüfung führte.

"Oh, das hat ihr aber jetzt nicht gefallen", grummelte Laurentine. "Wann hast du das Ding denn gelesen?"

"Das Hörspiel hatte ich mit acht gehört und das Buch zum zehnten Geburtstag bekommen. Mein Vater und zwei Freunde von mir fuhren da voll drauf ab. Könnte sein, daß das noch in der großen Kiste mit Kinderzeiterinnerungen drin ist, die bei meiner Mutter in der Rue de Liberation steht."

"Die ist noch nicht bei euch im Apfelhaus?" Fragte Laurentine mit einem Anflug von Wehmut in den Augen.

"Die ganzen Spielsachen und so würden in Millemerveilles nur Bedauern bis Ablehnen auslösen. Und wenn ich dann noch ein Buch rumgehen lasse, wo über alles hergezogen wird, was Wissenschaft und Philosophie angeht, dann fragen sie mich wohl, ob ich nicht doch in die geschlossene Abteilung in der Delourdesklinik umziehe."

"Ja, aber lustig ist es doch. Ich habe eine deutsche und eine französische Hörspielfassung davon im Casettenregal bei meinen Eltern. Na ja, das ist jetzt so weit weg wie alpha-Centauri von der Erde."

"Mist, da habe ich jetzt nicht dran gedacht", grummelte Julius. "Haben die noch mal was von sich hören lassen?"

"Nicht auf dem Flur, Julius", grummelte Laurentine. Julius nickte und begleitete sie zum grünen Saal, wo Céline sich schon mit Gérard über die Prüfung in der Wolle hatte. Deshalb nutzte Laurentine die Möglichkeit, sich mit Julius an einen freien Tisch zurückzuziehen und leise über das Problem Laurentines mit ihren Eltern zu reden.

"Kein einziger Brief seit vor dem Elternsprechtag, Julius. Zumindest nicht von meinen Eltern. Einige Onkel und Tanten haben die Faxnummer, wo sie Briefe für mich hinschicken können. Aber die Briefe wurden auch seltener. Ein Onkel aus Köln schrieb mir vorgestern, daß mein Vater ihm erzählt habe, ich wolle mit der Familie nichts mehr zu schaffen haben und wäre darauf aus, nach dem Abschluß zu den Amisch-Leuten in die Staaten umzusiedeln, weil ich keinen Bezug zur technischen Welt mehr hätte. Der, ein grundkatholischer Mensch, hielt mir einen Vortrag über die Abwegigkeit pseudochristlicher Sekten und daß ich mir diesen Schritt doch bitte sehr gründlich überlegen solle, weil diese Abtrünnigen mir nie den Komfort und die Ausbildung bieten könnten, den die technische Zivilisation bereithielte. Absoluter Schwachsinn! Aber ich kann den nicht vergessen."

"Von wegen Sekten hat mein Vater das doch auch versucht. Was kam dabei heraus. Ich bin erst in Millemerveilles und nach dem nächsten Schuljahr hier in Beauxbatons gelandet. Eigentorhattrick würde ich mal sagen."

"Immerhin kann ich in den Ferien wohin, wo ich auch apparieren darf, wenn ich will. Sandrine hat mir schon gesagt, ich könne bei ihr Brautjungfer sein, wenn ich das möchte. Sie hat dann noch ihre kleine Schwester und Gérards Cousine Giselle, die dann nach Beaux kommt, wenn wir gerade, so wir die Prüfungen schaffen, damit fertig sind."

"Jau, mach das, Laurentine. Dann kriegst du womöglich noch einoder zwei interessante Quidditchspiele mit."

"Darauf gehe ich jetzt nicht aus. Abgesehen davon sind die Karten doch schweineteuer. Und ich will das nicht über Beziehungen ausnutzen, an eine dranzukommen."

"Was meinst du, wie die anderen das machen", gab Julius verwundert zurück. Doch dann nickte er.

 

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Als die Prüfungen alle überstanden waren ging es in den letzten regulären Stunden vor den Ferien nur noch um Wiederholungen. Anders als im letzten Jahr bekam Julius' Jahrgangsstufe von den verschiedenen Lehrern wieder Hausaufgaben auf. Jacques hatte ja schon die Aufgabe, ungesagte Fluchabwehr zu trainieren. Darüber hinaus sollten die Verwandlungsschüler von Professeur Dirkson vor allem die ungesagten Materialisationen und Apportationen üben. In Zauberkunst sollten sie eine Arbeit über die Theorie der transphysikalischen Kräftefelder schreiben, die unter anderem großflächige Antigravitation, Unsichtbarkeit von Menschen und Objekten oder die Beharrung von beweglichen Objekten auf einem Punkt über der Erdoberfrläche bewirkten. Dabei ging es auch um die Prinzipien des Perpetuum Mobile, dem höchsten Grad sich selbst ständig weiterbewegender Fahrzeuge oder Maschinen. Wie eines gezaubert wurde hatten sie schon lange heraus. Jetzt ging es um die theoretischen Grundlagen. Julius fragte sich, ob nicht eines Tages ein Physiker der Muggelwelt jene Schlupflöcher mathematisch darstellen konnte, die die Magie mit den Naturgesetzen verbanden. Vielleicht hatte seine zeitweilige magische Fürsorgerin June Priestley ja recht, und die sogenanten Muggel konnten in einigen hundert Jahren all das mit technischen Geräten nachvollziehen, was im Moment nur durch Magie gelang.

Bei der Zeugnisvergabe schnitten Laurentine, Belisama, Sandrine, Millie, Apollo und Julius an besten ab. Julius hatte in allen Fächern die Höchstpunktzahl erreicht und bei der Liste der Freizeitkurse "Mit besonderem Erfolg teilgenommen" stehen. Robert feixte nach der Zeugnisvergabe:

"Schade, daß Bernadette das nicht mehr miterleben wollte." Doch Julius überhörte das einfach. Ihm war es bisher nicht um Noten gegangen. Er sah sie lediglich als Dokument dafür, daß er sich an alles gehalten und alles gelernt hatte, was die Lehrer von ihm abverlangt hatten. Gut, in einem Jahr, nach dann ganz bestandenen UTZs, würden gewisse Stellen sich schon dafür interessieren, wie jemand sich im Fach Zauberkunst oder Zaubertränke empfahl. Aber so hinterherlaufen, um Spitzennoten zu bekommen war nie Julius' Sache gewesen, und das schon vor der Einschulung in Hogwarts.

Sichtlich zufrieden mit dem Jahr und sich saß Julius am letzten Samstag vor den Ferien neben seiner Frau in der Aula, um die komödiantische Abschlußvorstellung der Siebtklässler zu genießen.

Es ging damit los, daß Constance Dornier mit schlohweißem Haar und künstlich auf Umstandsbauch aufgeblähtem Unterleib auf die Bühne trat. Sie trug ein wallendes Kleid aus allen sechs Farben der Schule. In der rechten hielt sie ihren eigenen Zauberstab, in der linken einen goldenen, schlanken Stab, auf dessen Spitze drei gläserne Kügelchen saßen, ähnlich wie bei den drei Funken auf jedem der Zauberstäbe von Beauxbatons. Sie verbeugte sich vor allen, begrüßte mit gebrechlich wirkender Stimme die Anwesenden mit "Ich grüße euch, meine Kinder, die ihr noch in meiner Obhut ruhen müßt. Doch jene, die mir zu groß geworden sind, um noch länger in meinem schützenden Schoß zu verweilen, wollen diesen Tag nutzen, um euch allen zu danken, die ihr es so viele Jahre mit ihnen ausgehalten habt." Da erklang jenes Lied, daß im letzten Sommer den Beginn des Abschiedsfestes eingeleitet hatte. Unter den Klängen dieses Liedes, das erst dumpf und leise von Constance herdrang, ging sie in die Hocke und lupfte ihr Kleid. Die Lehrer erschauerten. Doch statt eines entblößten Unterleibes sahen alle nur eine große, schillernde Kugel, die in den sechs Farben der Schule erglühte. Constance keuchte und verzog das Gesicht als leide sie Schmerzen. Dann flog die weiße Kugel aus der großen heraus. Das Lied wurde ein wenig klarer verständlich. Die Kugel klatschte auf die Bühne, blähte sich auf. Da flog die gelbe Kugel hervor. Constances künstlicher Umstandsbauch schrumpfte dabei. Als die gelbe Kugel rechts von Constance auftippte und anwuchs, klang das Anfangslied noch klarer. Dann entfuhr eine himmelblaue Kugel der immer kleiner werdenden Gesamtkugel. Jetzt leuchtete diese nur noch in Violett, Grün und Rot. Nach einer halben Minute hatte Constance auch die grüne Kugel und dann auch die violette Kugel freigegeben. Die Rote Kugel blieb aber beharrlich. Constance kreuzte unter einem nicht aus echtem Schmerz kommenden Schrei die beiden Stäbe. Da flogen aus ihrem Stab und dem goldenen je drei Funken und trafen die Kugeln. Der ihr nächste traf die rote Kugel und löste sie von Constance, deren Kleid sofort wieder nach unten fiel und ihren Unterkörper verhüllte. Die rote Kugel landete genau vor ihr. Nun blähten sich die sechs Kugeln auf, berührten einander und verbargen Constance. Dann erklang das Begrüßungslied des letzten Abschlußfestes und alle sangen es mit. Dabei zerflossen die Lichtkugeln und gaben die für die Vorstellung zuständigen Schülerinnen und Schüler frei. Constance hatte die Lichterflut der aus ihr als Maman Beauxbatons in die Welt geborenen Lichtkugeln genutzt, um sich in sich selbst zurückzuverwandeln. So stand sie nun ohne geblähten Unterleib zwischen den anderen und sang mit.

"Hut ab, die hat Humor", meinte Gérard, der mit Sandrine hinter Julius und Millie saß.

"Womöglich wollte sie sicherstellen, daß nur sie sich auf die Schippe nehmen kann", sagte Julius zu Gérard. Dann kam die erste Szene, wie üblich ein ins komische und unsinnige verkehrtes Beispiel aus dem Unterricht. Mittlerweile wußte Julius über einige der Zauber bescheid, die zur Darstellung der grotesken Szenen benutzt wurden. Sie jedoch so wunderbar in eine Bühnenschau umzusetzen war jedoch immer noch beachtenswert. Natürlich kamen szenen aus den sieben Jahren vor, die die Abgänger erlebt hatten. Julius lachte am lautesten, als mal wieder erwähnt wurde, daß er vier Tage lang Belles Zwillingsschwester gewesen war.

Constance spielte sich selbst und führte Dialoge mit dem Regenbogenvogel, der von Corinne gespielt wurde und die scheinbar immer wieder nachts zu ihr in den Bauch krabbelte und manchmal in nachgestellten Unterrichtsszenen ihre Kommentare wie aus einem verschlossenen Schrank einwarf. "Ihr macht euch immer Probleme mit der Rechnerei" oder "Quietschgespenst? Und ich dachte schon, ich wäre was abgedrehtes." Dabei war es in der Stunde um die Quintessenz, die von allen Elementarformen getrennte Essenz der Magie gegangen. Dann bekam Constance die kleine Cythera vom Regenbogenvogel ausgeliefert. "Hättest ein bißchen besser essen müssen, dann hätte ich dir noch eins mitgebracht", sagte Corinne, die in ihrem Kostüm als in den Regenbogenfarben leuchtender Vogel eine babygroße Puppe in rosarotem Strampler auf Constances Bauch legte und dann mit schnell wirbelnden Flügeln davonflog. Dabei rief sie noch: "Wenn ihr mich ruft, dann komm ich!" Millie und Sandrine lachten am lautesten, während die meisten anderen verhalten grinsten. Professeur Dirkson lachte auch, ebenso Professeur Bellart und Madame Faucon.

Das Jahr von Didiers Herrschaft wurde nur in Form der Säulenöffnung und der großen Feier von Voldemorts Ende abgehandelt. Dann ging es noch einmal um Quidditch, wo der mehrfache Titelgewinn der Grünen und der diesjährige Triumph der Roten noch einmal nachvollzogen wurde. Abschließend sangen alle das Lied der Farben von Beauxbatons. Dann bedankten sich Constance und Corinne, die wohl die ganze Planung der Veranstaltung innegehabt hatten, für sieben oder acht schöne, wichtige, interessante aber auch anstrengende Jahre und baten die Lehrerinnen und Lehrer um Entschuldigung für alles, was sie ihretwegen hatten erdulden müssen. Danach kam das bereits traditionelle Abschiedslied: "Maman Beauxbatons, auf Wiedersehen." Julius dachte daran, es nächstes Jahr zum letzten Mal zu hören und zu singen. Wollte er dann auf der Bühne stehen oder wieder zuschauer sein? Oder hörte er es heute zum letzten Mal, weil nächstes Jahr das trimagische Turnier stattfand? Er wußte es nicht. Deshalb sang er es mit Millie zusammen am lautesten in der Reihe mit. Céline winkte ihrer Schwester mit ihrer grünen Fahne zu, während diese mit den anderen zusammen zu den Schlußakorden tanzte. Mit stehendem Beifall verabschiedeten sich die noch in Beauxbatons bleibenden von denen, die ab morgen ihr eigenes Leben gestalten würden. Doch der Abend war ja noch nicht vorbei.

Beim traditionellen Abschlußball hatte Julius wieder einmal keine wirkliche Ruhepause. Viele junge Hexen, aber auch Damen aus dem Lehrkörper, baten ihn um einen Tanz, wenn Damenwahl angesagt war. Einmal tanzte er mit Corinne, die im regenbogenfarbenen Festumhang erschienen war.

"War schon schön, die Zeit hier, auch wenn manche Lehrer keinen Spaß verstanden. Aber du bist wirklich was außergewöhnliches. Wenn Millie dich nicht bekommen hätte hätte ich dich wohl dieses Jahr auf den Besen gehoben. Du hättest sicher eine Klasse locker überspringen können."

"Irgendwie hätte das von der Größe her eine spannende Kombination gegeben", sagte Julius, der in die Hocke ging, um seiner Tanzpartnerin einmal in die Augen sehen zu können, ohne daß die sich den Nacken verräenken mußte.

"Richtig, das wäre es wirklich gewesen. Aber ich fürchte, die hätten mich nicht in Millemerveilles mit dir wohnen lassen."

"Warum?" Ging Julius darauf ein.

"Na ja, ich hätte Madame Delamontagne wohl die Schau gestohlen, als quirliges Pummelchen", erwiderte Corinne. Julius grinste darüber und erwiderte:

"Tja, ein Regenbogenvögelchen muß immer viel essen."

"Als Connie damit ankam, wir könnten ein durchgehendes Paar spielen wußte ich nicht, ob die das ernst meint. Aber dann habe ich kapiert, daß sie den ganzen Trubel um Cythera irgendwie verpacken mußte, wenn das nicht wer anderes machen sollte. Aber diese Selbstverkleinerungen mit gleichzeitiger Stimmenverdunkelung waren knifflig. Habe schon gedacht, ich käme nie wieder auf meine stolzen ein Meter vierzig hoch. Du kannst aber ruhig aufrecht tanzen. Nachher behält dich Madame Rossignol noch hier, um deinen Rücken und die Beine wieder geradezubiegen." Den letzten Satz hatte sie mit einem kindlichen Lächeln unterlegt. Julius streckte sich wieder zu seiner stattlichen Größe von über einem Meter neunzig und führte Corinne an den Händen, wie er es mit den kleinen Mädchen auf diversen Familienpartys gemacht hatte.

"Ich wünsche dir und Millie und allen, die euch meine Kollegen Regenbogenvögel bringen eine schöne, lustige, friedliche und erfolgreiche Zukunft, Julius Latierre, geborener Andrews. Ich vergesse dir das nie, daß du der einzige warst, der sich damals Sorgen gemacht hat, als mich die Klatscher deiner Kameraden fast vom Besen gehauen hätten, wo du gerade selbst fast aufgespießt worden wärest. Bis irgendwann im Leben da draußen!"

"Du hast mir auch geholfen, als das mit Claire war und ich wieder auf die Füße kommen mußte. War schon wichtig, jemanden zu haben, der rechtzeitig da war, wenn ich in dieses Gefühlsloch gefallen bin", revanchierte sich Julius.

Der nächste Tanz gehörte wieder seiner Frau und ihm. Sie erwähnte, daß sie froh war, daß sie sich um die Zukunft nicht mehr so heftige Gedanken machen müsse. "Gilbert hat geantwortet, Julius. Wenn ich die UTZs habe kann ich die für die Öffentlichkeit relevanten Nachrichten aus Millemerveilles bringen. Mit den Formulierungen ist es zwar noch etwas kriselig. Aber schreiben kann ich auch mit Drillingen im Bauch."

"Mit eurer Rechtschreibung liege ich auch noch nicht so klar auf Kurs. Was das manchmal dauert, die Wörter nachzuschlagen, die ich einfügen muß, um nicht wegen der Rechtschreibung durch den Rost zu fallen."

"Na ja, da wirst du bei Tante Babs noch heftiger rangenommen, wenn du echt nicht zu den Heilern willst, Julius. Aber nach dem Ding mit Bernadette wirst du Probleme kriegen, dich nicht für den Heilerberuf zu entscheiden, wo Madame Rossignol, Tante Trice, deine große Freundin Aurora und eure Matriarchin Antoinette hinter dir herjagen werden und dich solange hierhin und dahin treiben, bis du bei den Anfängern in der Delourdesklinik festhängst."

"Zumindest ist dann das Ding mit der Enthaltsamkeit kein Thema mehr", grummelte Julius. "Aber auch wenn das ein weites und spannendes Feld ist denke ich doch, daß ich mit dem, was ich aus der Muggelwelt mitgebracht habe mehr machen kann. Vielleicht fange ich auch in einer mit der Muggelwelt arbeitenden Abteilung an, wie dem Katastrophenumkehrkommando."

"Desumbrateur hast du ganz ausgeschlossen?" Fragte Millie.

"Im Moment möchte ich von den ganzen dunklen Gestalten da draußen mal Ruhe haben. Ich fürchte, wenn die was von mir wollen kriegen die das eh hin, daß ich mich mit denen herumschlagen muß."

"Und die Mercurios?" Fragte Millie.

"Neh, nichts für ein ganzes Leben."

"Lehrer hier in Beaux?" Tastete Millie eine weitere Möglichkeit ab.

"Dann müßte ich aber so wie Professeur Delamontagne eine Erlaubnis zum allabendlichen Nach-Hause-Flohpulvern haben", sagte Julius. "Abgesehen davon will ich erst einmal die große Welt dort draußen besuchen."

"Stimmt, viele Zauberer machen erst eine Erkundungs- und Studienreise. Offene Türen gibt's ja da draußen genug. Aber denke bitte daran, was wir zwei noch alles vorhaben!" Julius tat so, als überhöre er das. Doch innerlich fragte er sich schon, ob er sich wirklich zu weit von Millemerveilles entfernen konnte, ohne Heimweh nach dem Apfelhaus zu kriegen.

Bei der nächsten Damenwahl tanzte Madame Faucon mit ihm.

"Dafür, daß Sie gleich nach Ihrer ersten Ankunft hier sofort wieder fort wollten halten Sie es aber schon lange mit uns hier aus, Monsieur Latierre", sagte sie leise und überließ sich ganz der Führung ihres Tanzpartners.

"Das liegt daran, daß es genug Leute hier gibt, denen was an mir liegt, Madame. Außerdem habe ich gelernt, wie viel Glück ich hatte, daß ich in dem Jahr zu Ihnen kam, als in Hogwarts diese verachtens- wie bedauernswerte Kreatur Umbridge ihr Unwesen getrieben hat. Auch wenn Leute wie Kevin Malone mich deshalb dumm anreden, daß ich mich von Ihnen oder anderen verplanen, rumstoßen und was noch alles ließe bin ich doch froh, hier sicheren Halt gefunden zu haben. Noch ein Jahr."

"Noch ein Jahr und dann?" Fragte die Schulleiterin.

"Hoffe ich, daß ich gute UTZs habe, um bei meiner Schwiegertante in der Tierwesenbehörde anzufangen oder auch bei der Zauberwesenbehörde. Das sind schon faszinierende Sachen. Vielleicht fange ich doch bei Madame Dusoleil in Millemerveilles an. Auf jeden Fall irgendwas, wo ich mit lebenden Wesen zu tun habe, die größer als Bakterien sind."

"Womit Sie sagen wollen, daß Sie die Offerten Madame Eauvives für eine Heilerausbildung grundweg ablehnen würden?" Fragte die Schulleiterin.

"Ich hab's dieses Jahr doch erlebt, wie undankbar der Beruf sein kann. Aber interessant ist er auch. Doch dauernd in einem Krankenhaus abzuhängen liegt mir auch nicht. Bin schon so geboren. Denn nach einem Tag war ich mit meiner Mutter schon aus dem Krankenhaus raus."

"Verstehe, residente Heiler sind im Moment auch alle vergeben. Aber wie ich meine neue Kollegin Professeur Dirkson und den ehemaligen Lehrer und jetzigen Fachkollegen Énas verstehe, könnten Sie auch gut als Verwandlungsexperte einspringen. In den Außendienststellen des Ministeriums werden immer wieder welche gesucht. Das haben wir schon mal erörtert. Und irgendwann, wenn Ihnen das Ministerium keine neuen Herausforderungen mehr bietet, kommen Sie dann wieder hierher und unterrichten den Nachwuchs.""

"Ich weiß nicht, ob Professeur Dirkson so früh schon aufhören will. Sie haben es dreißig Jahre und mehr auf diesem Posten durchgehalten."

"professeur Bellart wird wohl noch zwanzig Jahre unterrichten. Professeur Trifolio wohl noch zehn Jahre, weil ihm die Zitat "Ausbildung von Ignoranten, Heuchlern und Rabauken" wohl doch irgendwann überfordert. Dann wäre da auch eine Stelle neu zu vergeben. Und mit Ihren Englischkenntnissen könnten Sie auch nach Hogwarts zurückkehren, als Dankeschön von Beauxbatons, daß wir die Ehre haben, Sie ausbilden zu dürfen."

"Und dann mit den Kindern der ehemaligen Todesser rumzanken? Ich meine, Professeur Dirkson hätte da ja auch anfangen können, wo sie eine Verwandlungslehrerin gesucht haben. Immerhin hätte sie ja als ehemalige Gryffindor-Bewohnerin locker die Hausführung übernehmen können."

"Haben Sie mit meiner Kollegin Dirkson schon getanzt?" Fragte die Schulleiterin. Julius schüttelte den Kopf. Bisher hatte er von den Lehrerinnen nur Professeur Bellart, Professeur Laplace und Professeur Pallas zum Tanz begleiten dürfen.

"Das wird dann wohl noch", sagte Madame Faucon.

"Ich bin auf jeden Fall froh, daß die Stelle der Schulleiterin nicht neu vergeben werden muß", fing Julius ein anderes Thema an.

"Ich unterstelle Ihnen mal, daß Sie das ehrlich meinen, weil ich mir zurechnen darf, Sie doch besser kennengelernt zu haben als die meisten anderen Schüler. Nur meine Tochter kenne ich besser. Ja, ich bin sehr erleichtert, daß die unrühmliche Affäre mir keine schwerwiegenden Entscheidungen aufgezwungen hat. Wer hier einmal schulleiter war, der hat den Gipfel des weltlichen Strebens erreicht. Mademoiselle Maxime, die Sie ja auch ein wenig besser kennenlernen konnten, hat sich sehr schwergetan, Familie und Karriere gegeneinander abzuwägen. Sie wäre wohl gerne noch hier und würde zusehen, wie Sie und andere erfolgreich ins Leben aufbrechen."

"Sie hat angedeutet, daß sie mit Hagrid daran geht, ein Refugium für Riesen in Mitteleuropa einzurichten. Wir sollten aus den schlechten Erfahrungen mit diesen Wesen lernen, daß auch sie benutzt wurden, um jemandem anderem zu helfen, die Welt zu zerstören. Trotz ihrer Ruppigkeit und ihrer dicken Hornhaut seien sie auch verletzliche Wesen, die ein Recht auf Beachtung und Verständnis hätten."

"Hat Sie Ihnen auch erzählt, daß sie im Sommer mit ihrer Tante nach Großbritannien übersetzen will?"

"Neh, hat sie nicht. Aber wir waren wohl auch zu sehr mit Meglamora und ihrem Kind beschäftigt. An diesem Riesenbaby kann man wirklich verstehen, wie sie das mit der Verletzlichkeit meint. Aber warum nach England?"

"Sie hat eine Einladung erhalten, sich jemanden dort anzusehen", sagte Madame Faucon. Das genügte Julius um zu verstehen, wen genau.

"Wir sehen uns dann morgen wieder. Ich gehe davon aus, Ihre Schwiegermutter hat Ihnen schon die Karten für das Eröffnungsspiel geschickt. Da werden der Zaubereiminister und seine Familie, sowie ich wohl auch sein." Julius erwähnte, daß er für alle Frankreichspiele, alle Britannienspiele und die von Australien schon Vorreservierungen sicher hätte. Karten würde er wohl von seiner Schwiegermutter persönlich bekommen. Madame Faucon nickte bestätigend. Dann war der Walzer vorbei, und es wurde zur Herrenwahl aufgerufen.

Nach einem Tanz mit Laurentine, die ihm erzählte, daß sie morgen erst einmal wieder zu Céline reisen würde, forderte ihn Professeur Dirkson auf. Er unterhielt sich mit ihr, wie sie beide dieses Jahr erlebt hatten. "Für meine drei Schätzchen wird es wohl das schwierigste Jahr ihres Lebens gewesen sein. Erst keinen Vater mehr und dann in einer Schule, wo sie jeden Tag ihre Mum sehen aber nicht als ihre Mum ansprechen dürfen. Da werden wir uns in den Ferien wohl hoffentlich gut von erholen. Ich werde mir die England- und Irlandspiele ansehen. Da treffe ich dich sicher hier und da mal."

"Ich hoffe, daß das nicht zu unprofessionell nahe ist, wenn ich Ihnen anbiete, daß Sie gerne mal zum fünf-Uhr-Tee vorbeikommen dürfen. Ich muß das zwar mit meiner Frau besprechen. Aber gegen Horus hat sie absolut nichts, wo der den Roten dieses Jahr den Pokal erspielt hat, und mit Larry und Esther kam sie soweit sie als Sechstklässlerin mit Zweitklässlern zu tun hatte auch gut aus. Aber mehr dann wohl in den nächsten Wochen. Madame Faucon fragte mich, ob ich mir vorstellen könnte, als Lehrer irgendwann nach Beauxbatons oder Hogwarts zu gehen. Da habe ich ihr gesagt, daß ich mir das nicht so recht vorstellen könnte, mit den Kindern der ehemaligen Todesser zu tun zu kriegen. Nachher darf ich noch einen Typen unterrichten, der wie Draco Malfoy aussieht."

"Ach, verstehe. Dich hat das natürlich nicht in Ruhe gelassen, daß ich mich auf die Lehrerstelle hier in Beauxbatons beworben habe, statt Professor McGonagalls Lehrerinnenposten zu erben. Einen Grund kennst du ja schon. Ich wollte vor allem für meine Kinder genug Abstand von denen haben, die mitgeholfen haben, meinen Mann zu jagen und unsere Familie zu bedrohen. Dann war da noch der Gedanke, in den Korridoren da vorbeizulaufen, wo ehemalige Schulkameraden oder deren Kinder von den Todessern umgebracht wurden. Außerdem hatte ich es nie so recht mit den Gespenstern da. Nick war zwar höflich und zuvorkommend, aber auch immer so betrübt. Euer Hausgeist hat selten ein Wort gesagt und wirkte immer so verloren. Der fette Mönch meinte immer, aus allem bösen da was gutes wenden zu können, und der blutige Baron ist schlichtweg gruselig. Tja, und Peeves kennen wir ja beide. Habe erfahren dürfen, daß du und ein paar anderen ihm immer mal wieder gut eingeheizt habt."

"Eingeheizt? Ich habe dem meistens den Extingeo-Zauber übergezogen. Das vertrug er nicht. Aber die Gespenster hier sind auch schön trübselig. Der einarmige Henker, der ewige Gefangene und noch einige mehr. Aber ich verstehe, was Sie davon abgehalten hat, in Hogwarts anzufangen. Vielleicht in zwölf oder dreizehn Jahren, wenn die Kinder der Helden von Hogwarts da anfangen."

"Vielleicht irgendwann. Jetzt soll die werte Grace Craft erst einmal zeigen, was sie so alles kann. Tja und Megan Barley. Ich stelle mir das vor, daß die mal Schulleiterin wird. Kenne sie nur flüchtig. Aber sie weiß, was sie will. Deshalb haben die meisten Zauberer Angst vor ihr. Schon komisch, daß ausgerechnet die Jüngste ihrer Schwestern als erste von ihnen geheiratet hat."

"Den kenne ich", sagte Julius. Eunice Dirkson lächelte.

"Zwar kein schöner Ort und kein freundlicher Anlaß gewesen, wo du ihn getroffen hast. Aber dein und sein Auftritt haben der alten Giftkröte sichtlich zugesezt. Ich habe die für die Öffentlichkeit zugänglichen Protokolle gelesen. War eine rechte Genugtuung, daß ihr doch genug Leute zugesetzt haben."

"Tja, und die durfte jetzt ihr erstes Jahr in Askaban absitzen. Da hat die bestimmt nicht so viel interessantes erlebt wie wir hier", schlug Julius den Bogen zurück nach Beauxbatons.

"Abgesehen von dieser unglaublichen Dummheit von Bernadette. Ich habe es deiner Frau angesehen, daß ihr das auch die Galle hochgetrieben hat, als Madame Faucon erwähnte, was sie angestellt hat. Ich gehe mal davon aus, ihr Pflegehelfer durftet die Vollversion von diesem Brief hören. Aber davon abgesehen schon ein erhabenes Gefühl, Leuten was beizubringen und die, die schon fertig sind in ein eigenes Leben zu verabschieden. Ich habe es mit den dreien abgesprochen, daß ich auf jeden Fall bis zu ihren UTZs hier weiterunterrichten darf, auch wenn ich sie dann in einer Klasse zusammensitzen haben sollte. Die Kollegin Bellart kriegt das hin. Dann kriege ich das auch hin", erwiderte Professeur Dirkson zuversichtlich. Julius wünschte ihr dafür alles Glück und das richtige Durchhaltevermögen.

Kurz vor dem Ende des Balles tanzte Constance Dornier noch mal mit ihm. Er nutzte die Gelegenheit, sich bei ihr für einen wichtigen Einblick in das wahre Leben zu bedanken. Sie bedankte sich im Gegenzug dafür, daß er sie trotz ihrer Einfalt als vollwertigen Menschen geachtet und ihr alle nötige Unterstützung gegeben und sich so ehrlich erfreut um ihre Tochter gekümmert habe. Dann wollte sie noch wissen, wie es Gloria ginge.

"Die wird wohl auch ihre Prüfungen geschafft haben. Ich werde wohl mit ihr sprechen, wenn wir zu Hause sind. Aber wie geht es ab morgen bei dir weiter?"

"Hat Céline das noch nicht rumerzählt? Erstaunt mich. Ich fang in drei tagen bei Quaffel & Co., der französischen Quidditchzeitschrift an. Die haben von mir einen von meinem Vater lizenzierten Bericht über die Erweiterungen am Ganymed 12 und warum der Elfer kein Sportbesen wurde bekommen. Beziehungen sind eben doch was. Außerdem kann ich so zwischendurch selbst mal einen Besen testen und darüber schreiben, wie der sich fliegt. Das hat bei denen hundert Türen aufgestoßen. Die haben zwar einen von den Cyrano-Werken, aber keinen mit einer Verbindung in die Ganymed-Werke. Und für die Chefetage meines Vaters ist es eine schöne, kostengünstige Reklame. Allerdings haben die mich auch gebeten, einen Artikel über den Dawn'schen Doppelachser zu schreiben, weil sie wohl haben läuten hören, daß der bei der Weltmeisterschaft häufiger vorkommen wird." Julius mußte grinsen. Das war doch ein Wink mit einem ganzen Gartenzaun. Er überlegte, ob er ihr nicht den Knüller auf einem goldenen Tablett servieren konnte, wenn er durfte. Dann sagte er:

"Wäre dann wohl sehr praktisch, die Erfinderin selbst interviewen zu können, richtig?" Constance strahlte ihn an. Er hatte den von ihr gespielten Ball angenommen. "Ihr Bild-Ich sagte, daß sie es noch regeln müsse, wer für sie die Gebietsvertretung macht, weil sie gerne mit den Australiern zusammen rüberkommen möchte. Ich werde ihr natürlich anbieten, bei mir zu wohnen, weiß aber auch, daß Camille Dusoleil sie zu gerne während dieser Zeit bei sich wohnen haben möchte. Aber ich bekomme wohl Besuch aus den Staaten von einer, die den Doppelachser bei einem professionellen Quodpotturnier benutzt hat und damit den Meistertitel geholt hat. Ich könnte Aurora Dawn mal fragen, ob sie dir was über ihre Doppelachsentechnik und wann sie sie erfunden hat erzählen möchte oder nicht. Mehr kann ich nicht versprechen."

"Falls das gehen sollte, wie gesagt falls, dann kontaktfeuer mich bitte bei meinen Eltern. Solange Cythera noch nicht in Beaux ist und sich wohl so schnell keiner findet, der eine Frau mit Tochter zusammen heiraten will wohne ich noch bei meinen Eltern. Da sind wir gleich an der Quelle von allem wichtigen. Cythie kann mit den Kindern in der Nachbarschaft spielen und noch einiges."

"Ich feuer dann durch, wenn das mit dem Interview gehen sollte", machte Julius ein Vorangebot. Constance nickte sehr erfreut. Wenn sie das Ding an Land ziehen konnte hätte sie bei der Redaktion sicher einige Galleonen mehr in Aussicht. Für eine alleinerziehende Mutter war Geld zwar nicht alles, aber doch ziemlich wichtig. Vor allem dann, wenn das Kind dann nicht in gebrauchten und verschlissenen Sachen herumlaufen mußte. Das mußte sie zwar auch so nicht, weil ihr Opa genug für Kleidung und Essen spendierte. Aber selbst für das Kind sorgen zu können machte dann wohl richtig erwachsen. Das sagte sie Julius auch.

"Deshalb haben Millie und ich ja schon darüber gesprochen, was wir im nächsten Jahr machen", verriet Julius, ging aber nicht auf Einzelheiten ein.

Der letzte Tanz gehörte wieder Julius und Millie. Danach war der Ruster-Simonowsky-Zauberer sichtlich geschafft.

 

__________

 

Der Sonntag der Abreise war ein schöner sonniger Frühsommertag. Julius genoß die Stille in den Parks, besuchte mit seiner Frau noch einmal den Strand und verbrachte einen Großteil des Nachmittags auf dem Dach des Palastes. Das war für ihn eine persönliche Tradition. Vor vier Jahren hatte er mit Barbara, damals Lumière, hier oben gestanden. Dann war es Claire gewesen, die mit ihm hier gestanden hatte. Und seitdem seine Angetraute, Mildrid Ursuline Latierre. Sie genossen das Treiben unter ihnen. Einige flogen noch auf Besen herum. Andere saßen auf der großen Wiese vor der Schule und genossen nur die Sonne und daß das Schuljahr vorbei war. Es war wieder ein Jahr um. Es hatte mit einem Paukenschlag angefangen, als Hanno Dorfman einen Fluch ausgestoßen hatte, um seine Eltern umzubringen. Er wußte mittlerweile, daß am 26. Juni ein magisch begabter Junge namens Friedrich Dorfmann geboren worden war. Madame Faucon hatte es Madame Rossignol erzählt, die es ihm unter der Auflage, es keinem außer Millie zu sagen, anvertraut hatte.

Das Quidditchturnier hatte viel Spaß gemacht. Auch wenn Saal Grün den Pokal knapp verpaßt hatte war Julius glücklich, ein ganzes Turnier durchgespielt zu haben. Louis Vignier war zum jungen Stern des grünen Saales aufgestiegen. Er hatte viele Verehrerinnen. Würde er noch mitbekommen, ob ihn eine davon für länger an sich binden konnte, ohne einen verwerflichen Fluch nötig zu haben?

Mit der Frage war er auch gleich bei Bernadette, Gaston und Cyril. Wären Dusty und Goldschweif nicht gewesen, wäre Cyril ohne weiteres in die Staaten zurückgekehrt. Sollte er sich nun die Schuld geben, daß Millie und er Goldschweif und Dusty hatten, daß sie es überhaupt waren, die Dusty aus den Staaten herübergeholt hatten? Womöglich hätte Cyril in den Staaten nicht lange durchgehalten. Spätestens bei Bernadettes Niederkunft hätte sich herausgestellt, daß irgendwas ihn quälte, was nicht in ihm selbst zu suchen war. Wahrscheinlich hätte Madam Merryweather dann die Symptome als Scheinwehen bei einem Mann identifiziert und daraus das gleiche geschlossen, was Madame Faucon mit Goldies und Dustys Hilfe erfahren hatte. Dann wäre Cyril gestorben und mit ihm das Kind, das dann wohl als Totgeburt ans Licht der Welt gelangt wäre. So wurde, so grausam es für Cyril klingen mochte, ihm und diesem Kind noch eine Zukunft eröffnet. Wie sie aussehen würde wußte er nicht. Gaston wuchs jetzt irgendwo unter neuem Namen auf. Würde er es schaffen, keinen Gedächtnislöschzauber gegen sich zu provozieren und dann in elf Jahren mit dem Bewußtsein eines bald dreißigjährigen Mannes in einer Zaubererschule anfangen? Daß er entlarvt wurde hatte Bernadette noch angerichtet. Aber womöglich wären die an Cyril weitergereichten Hausaufgaben ihm auch so zum Verhängnis geworden. Dabei wäre vielleicht auch herausgekommen, was Cyril mit Bernadette angefangen hatte. Nein, er hatte nicht die Schuld daran, daß die drei nicht da unten irgendwo herumliefen und sich über das Ende des Schuljahres freuten. Die hatten es sich selbst eingebrockt. Millie merkte, was Julius gerade umtrieb und fragte ihn leise:

"Knetest du gerade in deinem Kopf das Jahr durch und fragst dich, ob wir das mit Bernadette und Cyril mitverbockt haben?"

"Ich kam zumindest nicht daran vorbei, daß unsere Kniesel das aufgedeckt haben, was zwischen Bernie und Cyril gelaufen ist. Aber dann fiel mir ein, daß da ja schon die Sache mit der getürkten Hausaufgabe lief und ob es davon nicht noch mehr gab. Über Gaston hätten sie Cyril trotz DM-Zauber auch am Hintern gehabt. Ob er das überlebt hätte habe ich mich gefragt und ob er das überlebt hätte, wenn er ganz gelassen nach dem Schuljahr in die Staaten zurückgekehrt wäre und dann, wenn Bernie ihr Kind bekommen hätte, wegen Scheinwehen auf einen von außen kommenden Fluch geprüft worden wäre. Wir haben Madam Merryweather doch kennengelernt. Ich kenne sie im Grunde ja schon seit der Sache mit meinem Vater, wo ich auch lange gebraucht habe, mir keine Schuld daran nachzuweisen. Die hätte Cyril untersucht, den Fluch vielleicht als besonders starke Schwingung dunkler Magie geortet und Rums, Cyril dabei aus Versehen getötet. Dann hätte Bernie ein totes Baby in die Arme gelegt bekommen. Das passiert jetzt alles nicht."

"Ich glaube nicht, daß Bernadette mir eine Weihnachtskarte schickt, weil Dusty ihr fieses Spiel erlauscht hat. Ich will von der Sabberhexe auch nichts mehr wissen, Monju", zischte Millie. Julius fühlte wieder ihre Wut auch in sich auflodern. "Wenn wir schon von Dusty reden erinnere dich bitte dran, wo und wann wir ihn abgeholt haben und was wir da sonst noch erlebt haben. Vielleicht darfst du in einem Jahr oder weniger mit mir wieder rüber nach Amerika und einen neuen Mann an der Seite deiner Mutter beglückwünschen. Die beiden würden sich gut ergänzen, genau wie wir."

"Britt und du könntet echt Schwestern sein. Die denkt das immer noch", sagte Julius nun wieder fröhlicher dreinschauend.

"Vielleicht wünscht die sich das sogar, Monju. Dann hätte sie eine, die immer mal wieder ihre Mutter im Schach besiegen könnte, die ihr Tricks im Internet zeigt und gleich dabei noch dich und mich als angeheiratete Cousins", sagte Millie. Sie drückte schnell den Herzanhänger an ihre Stirn und dachte nur für ihren Mann: "Besser als uns als ihre Kinder zu kriegen." Dann sagte sie noch laut: "Wenn ich die schon nicht als Schwester haben kann, hätte ich gegen die als Schwippschwiegercousine auch nichts einzuwenden. Ist das jetzt sicher, daß sie am Dienstag zu uns kommt?"

"Sie und Linus haben es hingekriegt, die amerikannische Quidditchmannschaft, deren Betreuer und deren Familienangehörige mit in das Luftschiff zu kriegen. Das Britt und Linus bei uns wohnen akzeptiert Linus. Aurora kommt mit Arcadia bei Camille unter. Aber ich konnte sie dazu kriegen, daß sie am Mittwoch rüberkommt, weil Constance gerne mehr über die Doppelachse wissen will."

"Daß du Mädchen glücklich machen kannst weiß ich ja selbst am besten. Aber daß du das auf so unterschiedliche Weise kannst ist schon sehr schön."

"Dann kann ich Hera sagen, daß sie unser zweites Kind betreuen darf?"

"Hallo, so nicht, Monju. Abgesehen davon würdest du dir dann Tante Trices Enttäuschung einhandeln. Und die willst du sicher nicht haben." Sie grinste verschlagen. Julius hatte ihr nie wirklich erzählt, wie Béatrice Latierre und er Orions verfluchtes Buch erledigt hatten. Aber Millie ging davon aus, daß er ihre Tante genauso gut kennengelernt haben mochte wie sie. Dann sagte sie: "Aber du hast Madame Faucon glücklich gemacht, daß du bei und von ihr lernen darfst und machst Oma Line wohl auch demnächst glücklich, daß sie nicht mehr lange auf einen Urenkel warten muß."

"Dann wollen wir hoffen, daß der Spruch aus der Muggelwelt nicht gilt: Wenn die Neuen kommen müssen die Alten gehen. Leider war das ja bei mir so. Drei Jahre nach meiner Geburt starb jene Uroma Hillary, deren Eintopf zum Schlager des Kochkurses wurde. meine Großeltern starben, da war ich gerade neun. Gut, die haben sich auch sehr lange Zeit gelassen, um meine Eltern in die Welt zu rufen. Aber schon gruselig, daß das so gehen kann."

"Wir Hexen können ein bißchen älter werden. Auch die gruselige Vorstellung, daß irgendwann mal der Verstand aussetzt und die eigenen Großeltern wie Kleinkinder sind dauert in der magischen Welt wesentlich länger. Du kennst doch uroma Barbara. Die hätte dich auch noch locker auf den Besen heben können, wenn sie sich nicht so zu leben entschieden hätte, wie sie lebt."

"Das glaube ich jetzt aber nicht so ganz, Millie. Höchstens für eine gemütliche Runde zu Walpurgis. Aber mehr nicht. Da liegen doch zu viele Sommer und Winter dazwischen."

"Hat mein zweiter Opa Ferdinand auch behauptet. Und jetzt hat er mit einer Hexe, die zwanzig Jahre älter als er ist vier gesunde Kinder, von denen zwei in Beauxbatons sind. Deshalb denke ich auch, daß wir viele Jahre mit Oma Line und ihren Urenkeln erleben werden. Martine könnte zwar eifersüchtig sein, Aber die hat sich eben den falschen Typen ausgesucht. Nachher hätte die von dem noch Flubberwürmer zur Welt gebracht, schleimig und ohne Rückgrat."

"Hmm, die meisten Kinder sind schleimig, wenn sie geboren werden", warf Julius ein. Millie grummelte darüber und kniff ihm in die Nase.

"Ja, aber sie haben Arme, Beine, einen Kopf und irgendwann auch ein Rückgrat. Zumindest die, die nicht von Mogelleuten und Feiglingen gemacht werden, und du bist weder das eine noch das andere."

"Danke für das Kompliment", erwiderte Julius. Er dachte dabei an den zweiten Ausflug zur Himmelsburg und an das, was er dabei erfahren hatte. Naaneavargia war dank ihm - und hier konnte er sich nicht von der Schuld freisprechen - zu einem Wesen fusioniert. Er ging zwar auch davon aus, daß dieses verschmolzene Wesen ihm doppelt dankte, weil der Anthelia-Teil sonst an Verstrahlung verreckt und der Naaneavargia-Teil wohl noch ein paar tausend Jahre länger im Uluru gefangen geblieben wäre. Doch was mochte diese Kreatur in der Welt anrichten, weil er beiden geholfen hatte? Das mentiloquierte er Millie.

"Wenn die nicht in der Welt rumliefe dann wer anderes, Monju. Abgesehen davon wissen wir nicht, ob es nicht eines Tages ganz gut ist, daß da wer ist, der sich mit wirklich dunklen Zaubern auskennt, um wirklich dunkle Typen besser zu erledigen. Das mit diesem Zombiemeister war doch schon was. Und die Kiste mit diesem Strahlenvampir Volakin hätten Delamontagne oder du nicht so erledigen können."

"Ja klar, und dieses Abgrundsbiest Itoluhila ist auch für was gut wie ihre anderen Schwestern auch", schnarrte Julius. Millie rammte ihm dafür den Ellenbogen in den Bauch und schnaubte:

"Fang bloß nicht an, dir für alles, wo du mal entlanggelaufen bist die Schuld zu geben, Monju. Ich habe gerade gesagt, daß du kein Feigling bist. Aber einen, der nur in Selbstvorwürfen rumtreibt will ich auch nicht als Vater meiner Kinder haben. Also nimm es so hin, daß du in den entsprechenden Situationen nichts anderes machen konntest." Julius atmete durch und entschuldigte sich bei seiner Frau, wenn sie den Eindruck bekommen hatte, daß er sich in Selbstvorwürfen vergrub. Ihre Antwort stimmte. Er hatte in den entsprechenden Situationen keine andere Wahl gehabt, weil er überleben wollte. Überleben zu wollen, überleben zu müssen, war natürlich, kein Verbrechen, keine Sünde. Die einzige Frage war eben nur, wie und wofür. Da er zum Überleben bisher niemanden hatte töten müssen und weil er wußte, daß er für das Andenken seines Vaters, die Liebe seiner Mutter und die Liebe seiner Frau und das Gefühl, etwas in dieser Welt ein klein wenig besser zu machen lebte, mußte er sich wirklich keine Vorhaltungen machen. Abgesehen davon würde es immer genug andere geben, die das schon erledigen würden, egal, was er tat.

So vertrug er sich wieder mit seiner Frau, obwohl sie sich nicht wirklich gestritten hatten. Sie verbrachten noch einen schönen Nachmittag auf dem Dach, ohne gegen bestehende Anstandsregeln verstoßen zu müssen.

Es war das erste Mal, daß Madame Faucon die Verkündung der fünf schlechtesten und zehn besten Schüler vornahm. Viele Blaue riefen nach Gaston und Cyril. Doch die waren aus der Wertung herausgenommen worden. So erwischte es drei Blaue und zwei von den Raufbolden, die Pierre Marceau immer wieder wegen Gabrielle dumm anquatschten. Milies Saal errang den vierten Platz vor dem gelben und dem blauen Saal. Platz eins schaffte mit hundert Punkten Vorsprung der grüne Saal. Das lag wohl auch daran, daß drei der vier besten der zehn besten aus dem grünen Saal kamen. Millie und Julius errangen wegen ihres Punktegleichstandes wieder gemeinsam den obersten Platz. Dahinter stand Laurentine Hellersdorf, gefolgt von Louis Vignier. Louis hatte sich wohl deshalb auch in den Unterrichtsfächern rangehalten, um nicht auf die Rolle des reinen Quidditchspielers festgenagelt zu werden. Millie wisperte Julius zu, daß Louis das wohl schon wichtig war, die ganzen Verehrerinnen nicht zu enttäuschen. Sandrine wurde fünfte. Das störte sie nicht sonderlich. Denn sie hatte eine geniale Quidditchsaison gespielt und ihren Lebensschnatz auf den Besen holen können. Die zehn punktbesten Schüler ließen die obligatorischen Fotos über sich ergehen. Professeur Delamontagne bedankte sich bei Julius, Laurentine und Louis, Professeur Fixus bei Millie. Danach holten alle ihre Sachen und trafen sich vor dem Palast. Goldschweif sollte noch bei ihren Jungen bleiben, bis diese eigenständig genug waren. Aber der Kniesel Sternenstaub lag in seinem Tragekorb, als Millie mit ihrem Koffer vor das Portal trat. Dann nahmen alle Aufstellung vor dem Ausgangskreis der Reisesphären.

"Am ersten August bitte nichts anderes einplanen", sagte Sandrine im Vorbeigehen zu Millie, Julius, Laurentine und Céline. Dabei lächelte sie Laurentine vielsagend an. Diese nickte.

Die Gruppen aus den verschiedenen Regionen reisten ab. Zum Schluß kam die Gruppe aus Millemerveilles an die Reihe. Professeur Fourmier winkte Madame Faucon zu, die noch alles erledigen mußte, um Beauxbatons im geordneten Zustand in den mehrere Wochen dauernden Schlaf der großen Ferien versinken zu lassen. Was genau mit den Hauselfen geschah wußte keiner. Womöglich hielten sie den Palast weiterhin sauber und freuten sich, daß sie eine Aufgabe hatten. Wo Madame Rossignol ihre Ferien verbrachte wußte Julius auch nicht. Da ihr Mann beim Sternenhausmassaker gestorben war hatte sie eigentlich mehr Freiraum. Doch sie hatte Kinder und Enkel, die sie mal wieder besuchen konnte. Vielleicht fand auch irgendwo eine Heilerkonferenz statt. Womöglich machte sie sich aber noch schlauer als eh schon, was den Bereich der Schwangerenbetreuung und Geburtshilfe anging.

Als die Schwerkraft sie wieder ergriffen hatte und sie die Schirmblattbüsche sehen konnten, freuten sich die Kinder aus Millemerveilles. Sie waren wieder zu Hause. Julius sah die Dusoleils, aber auch die Delamontagnes, die zur Begrüßung kamen, obwohl keines der Kinder in Beauxbatons lernte. Chloé ritt auf den Schultern ihres Vaters. Das Kind der neuen Zeit, wie nicht nur Julius die jüngste Tochter Camilles und Florymonts nannte, war im verstrichenen Jahr ordentlich gewachsen. Sie hatte dieselben dunkelbraunen Augen wie ihre Mutter und ihre beiden noch lebenden Schwestern. Jeanne war ebenfalls zur Begrüßung gekommen. Sie trug die Last zweier künftiger Kinder so stolz vor sich her, wie eine Königin ihre Krone auf dem Kopf. Millie lief sofort zu ihr und fragte sie, wie es ihr und den beiden Neuen ginge. Dann lachte sie laut und winkte Julius. Er lief zu Jeanne und begrüßte sie. Millie grinste, als Julius fragte:

"Und, wer hat recht, werden es zwei Mädels oder zwei Jungs?"

"Irgendwer da drin hat beschlossen, daß ich von jedem eins kriegen darf", strahlte Jeanne und tätschelte ihren ordentlich gerundeten Bauch. "Je nachdem, wer mir als erstes entsteigt heißen sie dann Janine und Bertrand oder Belenus und Juno", sagte Jeanne. Dann kam noch Barbara van Heldern mit ihren Eltern und ihren zwei Kindern, von denen der kleine Charles schon an der Hand seiner Mutter lief und ihre kleine Tochter Berenice in einem rosa Tragetuch auf ihrem breiten Rücken ruhte.

"Na ihr zwei, oder seid ihr auch schon zu dritt?" Begrüßte Barbara Millie und Julius.

"Komm hör auf. In Beaux was auf den Weg zu bringen geht ja nicht. Aber in Millemerveilles wird der Vogel gerufen."

"Dann ruf nicht so laut wie Jeanne", feixte Barbara und gab Millie das kleine Bündel Menschenleben, das schon die braunen Haare seiner Mutter, aber die Augen ihres Vaters hatte.

"Vielleicht rufe ich lauter, damit ich euch beide mit einem Wurf einkriege, Barbara", erwiderte Millie herausfordernd.

"Tine hat mir das mit Bernadette erzählt. Ging ja durch die Zeitung. Von der hätte ich das am allerwenigsten gedacht, daß die so bescheuert ist und dann noch so grausam. Die wird schon wissen, warum die sich versteckt. Gibt genug Hexen, die sie in tausend Stücke zerfluchen möchten."

"Dann müßt ihr aber alle wohl erst an uns Latierres vorbei", grummelte Millie. Jeanne räusperte sich und sagte:

"Mädels, das Thema nicht, wo meine drei und deine zwei zuhören können, Barbara."

"Verstehe", schnaubte Barbara.

"Ihr habt in Beauxbatons ja gut gegessen. Aber ihr kommt bestimmt noch für eine Stunde zu uns zum plaudern", schaltete sich Camille Dusoleil ein. Julius und Millie versprachen es. Doch sie wollten nicht im Schulumhang und mit den großen Koffern zu den Dusoleils. So apparierten sie in ihr Apfelhaus, nachdem sie versprochen hatten, in nur einer Minute vor dem Jardin du Soleil zu erscheinen.

So verbrachten die Dusoleils, Latierres und van Helderns noch einen netten Abend. Martha Eauvive kam auch noch herüber. Die größte Überraschung wurde Julius aber geboten, als Punkt Mitternacht die Türglocke ging und Aurora Dawn zusammen mit Pamela Lighthouse und Rhoda Redstone hereinkam. Julius kannte die beiden Quidditchspielerinnen noch, obwohl es schon fünf Jahre her war, daß er sie getroffen hatte. Pamela hatte ihren kleinen Sohn bei ihrem Mann im Känguruhbeutel gelassen. So nannten die Australier ihr außen fünfzig Meter langes Mannschaftszelt.

"Ich dachte, du kämst erst übermorgen oder so herüber, Aurora", freute sich Julius.

"Wir haben es heute noch geschafft", sagte Aurora. Ich konnte unsere Zunftsprecherin dafür erwärmen, mir bis zum Finale freizugeben. eine Kollegin von mir betreut auch meinen Einsatzbereich."

"Und du wohnst bei den Australiern im Zelt?" Fragte Julius.

"Hmm, ist noch nicht sicher, ob Camille oder ihr nicht zu wenig Platz für mich habt. Dann müßte ich in das Zelt ziehen."

"Also das ist doch wohl klar, daß du wieder bei uns wohnst", stellte Camille unumstößlich fest. "Sicher kann ich mir vorstellen, daß du gerne ein paar Tage bei den Latierres im Apfelhaus wohnen möchtest. Aber ich denke, die jungen Leute sind froh, ein paar Tage für sich zu haben."

"Wir kriegen am Dienstag noch Besuch aus den Staaten. Brittany und ihr Angetrauter kommen zur WM rüber. Wollen die amerikanischen Mannschaften sehen."

"Das US-Trüppchen wird wohl kaum die erste Partie überstehen", sagte Aurora. "Aber zumindest wollen sie den Originalbesensport ehren."

So plauderten die Gäste der Dusoleils noch bis zwei Uhr. Florymont schlug vor, für das Radio freie Zaubererwelt auch einen Begleitbericht zu machen, weil Hippolyte Latierre nichts gesagt hatte, daß die Dawn'sche Doppelachse verboten sei.

"Das wird sie wohl umwerfen, wenn wir Ihre Mannschaft aus dem Turnier werfen könnten", sagte Pamela Lighthouse. Ihr Französisch war fast akzentfrei.

"Unsere Leute können die auch", sagte Camille. "Ratet mal woher!"

"Das wissen wir doch schon, daß Aurora dem heftig nach oben geschossenen Bürschchen hier die Doppelachse beigebracht hat", erwiderte Pamela Lighthouse. "Trotzdem werden wir auf den Respekt vor dem Gastgeber verzichten, wenn wir erst auf den Besen sind."

"Das hoffen wir mal, sonst wird's ja langweilig", konterte Camille. Julius indes sah Millie an, die bereits hinter vorgehaltener Hand gähnte. So bat er darum, sich jetzt mit seiner Frau zurückziehen zu dürfen, sie könnten sich ja morgen Nachmittag ja irgendwo treffen und weiterreden.

"Unser Trainer will uns morgen früh schon über dem Stadion unseres ersten Spiels fliegen lassen, damit wir ein Gefühl für das Stadion kriegen. Das Eröffnungsspiel ist ja nächsten Sonntag", sagte Rhoda Redstone. Camille nickte. Die Franzosen trainierten ja schon über dem Hauptstadion, streng abgeschirmt vor neugierigen Beobachtern und Presseleuten.

Millie und Julius wünschten allen eine gute Nacht. Camille grinste verhalten, als sie den Gruß erwiderte. Jeanne sprach aus, was ihre Mutter nur zu denken wagte:

"Der Vogel stochert gerade in mir herum um zu sehen, ob ich noch genug esse. Ruft also nicht zu laut. Sonst kriegt der noch einen Schreck!"

"Bis dann, Jeanne!" Wünschten Millie und Julius. Dann verließen sie das Dusoleil-Haus, um außerhalb der Grundstücksgrenze zu disapparieren. Julius nahm Millie Seit an Seit mit, weil er sich noch wach genug fühlte.

Das erste, was Millie tat, als sie in ihrem gemeinsamen Haus waren, war alle Vorräte des blauen Verhütungselixiers per Sammelzauber zusammenzurufen und den Inhalt aller Fläschchen in einen großen Kessel zu kippen. Danach zirkelte sie mit dem Zauberstab über das blaue Gebräu und rief: "Evanesco!" Mit lautem Schwappen verschwand das blaue Verhütungselixier restlos im Nichts. Julius wollte gerade fragen, ob sie nicht was davon hätten zurückbehalten sollen, als Millie mit entschlossener Stimme und Körperhaltung sagte: "So, Monju, ab heute wird es ernst."

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