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Julius Andrews - Auf seinem Weg in die Zaubererwelt von Thorsten Oberbossel

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Es war wie ein Jahr zuvor. Eine beschwingte Melodie weckte Julius aus einem tiefen und erholsamen Schlaf auf. Er kannte das Geburtstagslied. Es war dasselbe, welches ihn vor einem Jahr geweckt hatte, als Madame Faucon ein überraschendes Ständchen für ihn hatte spielen lassen. Der Hogwarts-Schüler sah auf seine Uhr mit den Vier Zeigern. Der schwarze Heimat-Stundenzeiger lag hinter der Vier, der rote Standort-Stundenzeiger ruhte hinter der Fünf. Der goldene Minuten- und der etwas kürzere silberne Sekundenzeiger standen genau auf der Eins. Es war nun fünf nach fünf am Morgen des 20. Julis in Millemerveilles. Julius streckte sich bis zum Anschlag aus, gähnte noch mal herzhaft und schnellte dann aus dem Bett. Er griff sich den tulpenroten Alltagsumhang, den er am Abend zuvor über einen Stuhl bei seinem Bett gehängt hatte, verließ im Eiltempo, keineswegs mehr schlaftrunken, das Waldlandschafts-Gästezimmer der Dusoleils und ging der Musik nach, die auf Flöten und einem Akordeon gespielt wurde.

"Herzlichen Glückwunsch zum dreizehnten Geburtstag!" Riefen alle Dusoleils, sowie Barbara Lumière, Virginie Delamontagne und Seraphine Lagrange. Dann nahmen ihn die Hexen des Glückwunschtrupps eine nach der anderen in die Arme und küßten ihm die Wangen. Claire und ihre Mutter waren dabei sehr leidenschaftlich.

"Schön, daß du wieder mit uns zusammen feiern kannst", hauchte seine Gastmutter ihm ins Ohr, während sie ihn warm und weich in ihrer Umarmung geborgen hielt.

"Ich bin froh, daß ich bei Ihnen wohnen darf, Madame", erwiderte Julius verlegen. Dann wurde er freigegeben.

"Heute laufen wir nicht um den Dorfteich, Bursche. Wir spielen heute Quidditch", sagte Barbara Lumière zu Julius und hieb ihm kräftig auf die Schulter.

"Das wird bestimmt lustig", erwiderte der Hogwarts-Schüler. Barbara lachte nur.

"Du darfst bei den Jungs mitspielen. César hat sich noch nicht ganz von der Sauferei vom Sonntag erholt. Die Delamontagnes schenken ja auch einen sehr guten Wein aus."

"Er mußte ja nicht drauf los saufen, Barbara", lachte Virginie und drückte Julius kurz an sich.

"Maman und ich kommen auf jeden Fall heute nachmittag her."

"Schön, Virginie", erwiderte der Gast aus England.

Nachdem Julius sich ordentlich gewaschen und gekämmt hatte, schwatzte er mit Claire im Wohnzimmer, während Madame Dusoleil und Jeanne das Frühstück zubereiteten. Claire gab ihm bei dieser Gelegenheit eine Einladungskarte mit tanzenden Feen, die über bunten Blumen zu sehen waren. Er las, daß er für den Freitag, den 23. Juli herzlich zur Geburtstagsfeier von Mademoiselle Claire Dusoleil eingeladen sei. Er sagte sofort zu und grinste. Etwas klapperte in der Küche und zog seine Aufmerksamkeit an. Julius wollte mal nachsehen, was es so gab, wurde jedoch von der Hausherrin aus der Küche gescheucht.

"Nein, Julius! Du hast hier für heute nichts zu suchen. Heute ist dein Geburtstag. Du mußt nicht wieder aufdecken, wie letztes Jahr bei Blanche. Also bleib bloß von der Küche weg!"

"Maman zeigt Jeanne nützliche Haushaltszauber, da sie ja nun volljährig ist und zaubern darf.

"Hmm, gilt das auch für Jungs?"

"Wenn Jeanne ein Junge wäre, würde Maman ihr auch Haushaltszauber zeigen. Aber es ist schon so, daß Frauen und Mädchen mehr Feingefühl für Essen und Schmuck haben", sagte Claire.

"Dafür haben wir Jungs es besser mit Technik", erwiderte Julius überzeugt.

"Ach ja? Das werden wir noch sehen."

"Wir werden sehen", erwiderte Julius.

"Was heißt, wir werden sehen? Du wirst es erleben", erwiderte Claire mit gespieltem Tadel. Julius lachte.

"Mädel, leg dich nicht mit mir an! Ich bin ein Jahr älter als du."

"Noch, Julius. In drei Tagen habe ich dich wieder eingeholt. Außerdem ist das nicht so gewiß, daß Jungen die älter als Mädchen sind, auch weiter entwickelt sind."

"Hmm, wer sagt das?"

"Im Moment erst einmal ich", gab Claire überzeugt zurück. Julius grinste nur, sagte jedoch nichts dazu.

"Geht mal da weg, damit ich den Tisch decken kann!" Rief Jeanne, die mit genauen Zauberstabbewegungen ein Tablett mit Tellern, Tassen, Untertassen und Besteck fernsteuerte. Claire und Julius wichen aus und sahen zu, wie Jeanne das Geschirr und Besteck per Zauberkraft auf dem Tisch im Esszimmer verteilte. Julius sah den Tisch, der mit einer geblümten weißen Leinendecke bezogen war. Zwei Blumenvasen standen auf dem Tisch. Sie enthielten bunte Blumen mit großen Blütenkelchen. Als Jeanne alles auf dem Tisch angeordnet hatte, kam Madame Dusoleil mit frischen Brötchen, Marmelade, Butter, Croissants, Käse, Kaffee und Kakao, alles auf ferngelenkten Tabletts.

"Heute wirst du satt, Julius", bemerkte Madame Dusoleil mit mütterlichem Lächeln.

"Hmm, dann kann ich aber kein Quidditch mehr spielen, Madame. Das ist wie mit dem Schwimmen: Zu viel im Magen ist nicht gut beim Sport", erwiderte Julius. Doch die Hausherrin schüttelte bedächtig den Kopf.

"Ihr seid erst um zehn verabredet. Bis dahin hat sich das alles gesetzt."

"Wie Sie meinen, Madame", sagte Julius.

Das Frühstück verlief dieses Mal etwas ausgiebiger. Monsieur Dusoleil hatte es irgendwie angestellt, eine Muggelzeitung zu besorgen, die er Julius überreichte, nachdem Madame Dusoleil die stumme Erlaubnis erteilt hatte, daß ihr Feriengast mit dem essen aufhören konnte. So konnte der Hogwarts-Schüler lesen, was an diesem Tag in Paris und der restlichen Welt passierte. Er lächelte, als er die für ihn interessantesten Artikel überflogen hatte und bedankte sich bei Monsieur Dusoleil.

"Ich habe doch den spannenderen Ort für meine Ferien ausgesucht", sagte der Gast aus England grinsend. Die Dusoleils lachten. Dann fragte Claire ihren Vater:

"Wo habt ihr Julius' Geburtstagsgeschenke hingelegt, Papa? Da sind doch bestimmt schon welche angekommen."

"Nicht so neugierig, Tochter", erwiderte Monsieur Dusoleil amüsiert. "Wir haben sie sicher untergebracht. Julius wird die heute nachmittag nach dem Kaffee auspacken, wenn die, die kommen, ihm ihre Geschenke mitgebracht haben, falls sie sich nicht selbst als Geschenk mitbringen."

"Ich dachte schon, Sie hätten diese Wundertruhe behext, daß die meine Geschenke schluckt, bis ich sie mir holen kann, falls mir überhaupt wer was geschenkt hat", wandte Julius ein. Madame Dusoleil strahlte ihn an und erwiderte:

"Man hat dir bereits was geschickt, Julius. Aber wenn du jetzt schon weißt, wer was geschickt hat, ist ja die Überraschung futsch, weil du ja dann ausrechnen kannst, wer alles persönlich vorbeikommt."

"Das ist logisch", erwiderte Julius.

"Hoffentlich fällst du nicht vom Besen, nachdem Maman dich so vollgestopft hat", sagte Claire ganz leise. Doch ihre Mutter hatte das wohl gehört und erwiderte:

"Claire, der Junge mußte was essen. Heute ist nicht irgendein Tag und die Mädchen passen schon auf, daß er sich nicht übernimmt, nicht wahr, Jeanne?"

"Wenn er bei den Jungs mitspielt ist das ein Problem, Maman", widersprach Jeanne.

"Du verstehst, wie ich das meine, ma Chere", erwiderte die Hausherrin.

Julius bedankte sich nach dem Frühstück für das schöne Geburtstagsständchen und ging in sein Zimmer, um den Rennbesen zu überprüfen. Claire flog derweil mit Caro, Elisa und Dorian zum Ferienunterricht bei Madame Faucon. Sie sagte noch, daß sie gerne gesehen hätte, wie Julius spielte, doch sah es ein, daß sie den Unterrichtsplan durchhalten mußte, den die Beauxbatons-Lehrerin aufgestellt hatte. Um halb zehn landeten Barbara und Seraphine vor dem Dusoleil-Haus und winkten Julius.

"Nun, alles klar?" Fragte die Hüterin der Mädchenmannschaft von Millemerveilles. Julius bejahte das und saß auf seinem Besen auf. So ging es zum Quidditchfeld.

 

__________

 

Martha Andrews dachte zum hundertsten Mal daran, ob es wirklich so klug war, sich darauf einzulassen. Doch nun war sie so weit gegangen und wollte, ja konnte nicht mehr zurück.

In der Nacht vom Sonntag auf den Montag hatte etwas bei ihr ans Fenster des Gästezimmers geklopft, in dem sie nun alleine eine Woche zubringen sollte, da ihr Mann ja in Toulouse an einem Kongreß teilnehmen mußte. Sie wußte natürlich, was das Klopfen bedeutete und öffnete das Fenster rasch und leise, um dem Klopfer Einlaß zu gewähren. Es handelte sich um einen Sperlingskauz, klein aber gewandt, der mit für Menschenohren unhörbarem Flügelschlag ins Zimmer flog und sich selbstsicher auf den Nachttisch setzte. Martha Andrews schloß das Fenster leise und besah sich, was der kleine Eulenvogel mitgebracht hatte. Es handelte sich um einen blaßblauen Umschlag mit einer Aufschrift in tiefseeblauer Tinte und einem weißen Siegel, das einen Berg mit kegelförmigem Gipfel zeigte. Sie nahm den Umschlag mit geübten Griffen vom Bein des Sperlingskauzes und las:

 

Martha Andrews
großes Gästezimmer im Haus von Catherine und Joe Brickston
Rue de Liberation 13
Paris

 

"Wer schreibt mir denn da?" Fragte Martha im Flüsterton den Sperlingskauz. Dieser antwortete natürlich nicht. Er saß nur da, geduldig, als wisse er, daß er noch gebraucht würde, aber nicht sofort.

Mrs. Andrews brach das Wachssiegel auf und öffnete den Umschlag. Sie entnahm Ihm einen Pergamentbogen, auf dem eine schön geschwungene, wenn auch energisch geführte Handschrift zu lesen war. Sie stutzte, weil es weder die Handschrift ihres Sohnes Julius noch die runden Buchstaben Madame Dusoleils waren. Dann erkannte sie auch, daß der Brief in englischer Sprache gehalten war. Sie las:

Sehr geehrte Madame Andrews,

mein Name ist Eleonore Delamontagne. Ich bekleide in Millemerveilles, wo sich zurzeit Ihr Sohn in guter Obhut meiner geschätzten Nachbarin Camille Dusoleil aufhält, das Amt der Dorfrätin, mit der Aufgabe, gesellschaftliche Belange zu überwachen und zu allgemeinem Nutzen zu gestalten. Jedoch schreibe ich Ihnen nicht nur aus amtlichen Beweggründen, sondern auch aus dem persönlichen Bedürfnis, den zwischen Ihnen und Ihrem Sohn Julius eingeschränkt bestehenden Kontakt wieder zu verbessern, da mir sowohl von Julius als auch von Mitgliedern des Lehrkörpers zu Hogwarts mitgeteilt wurde, daß Ihnen daran gelegen ist, an der gesellschaftlichen und geistigen Entwicklung Ihres Sohnes weiterhin Anteil zu nehmen, was mir, die ich selbst eine Mutter bin, Grund genug ist, mich an Sie zu wenden.

Ihr Sohn Julius möchte am Dienstag den 20. Juli seinen 13. Geburtstag unter dem Dach der Familie Dusoleil feiern und äußerte mir gegenüber den Wunsch, daß Sie und auch Ihr Gatte dieser Feier beiwohnen mögen. Da ich jedoch erfahren mußte, daß Ihr Gatte Richard sich mit außerordentlicher Feindseligkeit gegen uns im allgemeinen und das zauberische Umfeld Ihres Sohnes im besonderen wendet, erscheint es mir zwecklos, auch ihm einen Brief zukommen zu lassen.

Mir ist ebenfalls bewußt, daß Sie sehr gerne erfahren möchten, was im letzten Jahr geschah, genauer, wie und zu wem Julius Andrews nach Millemerveilles gelangte. Über die Gründe sind Sie ja hinlänglich orientiert. Zu meinem Bedauern muß ich bekräftigen, daß ich bis heute nicht verstehen kann, wieso Ihr Gatte sich derartig gegen unsere Gesetze verging und damit wissentlich sein weiteres Mitspracherecht an Julius' Erziehung aufs Spiel setzte. Jedoch darf dies nicht dazu führen, daß das gute Verhältnis Ihres Sohnes zu Ihnen und seiner Vergangenheit darunter leidet. Daher biete ich Ihnen in Übereinkunft mit der Abteilung für magische Ausbildung und Studien zu Frankreich und Großbritannien an, Ihnen die Möglichkeit zu gewähren, an der Geburtstagsfeier Ihres Sohnes teilzunehmen.

Falls Sie nun der Meinung sind, daß Sie auf derartiges Entgegenkommen unsererseits verzichten können, ignorieren Sie dieses Angebot und entlassen die Eule, welche Ihnen dieses Schreiben zustellte, ohne Antwort. Wenn Sie jedoch dieses Angebot annehmen möchten, schreiben Sie bitte auf die Rückseite dieses Pergamentbogens, ob Sie einverstanden sind. Im Falle, daß Sie einverstanden sind wird Sie Montag Nachmittag um vier Uhr ein Mitarbeiter unseres Magieministeriums mit einem Automobil vom Nordbahnhof Paris abholen. Ihnen wurde gewährt, für die Dauer von drei Tagen, beginnend mit dem 19. Juli, in Millemerveilles zu verweilen, obwohl Sie kein Mitglied der magischen Welt im natürlichen, aber zumindest im familienrechtlichen sind.

Bedenken Sie ruhig, ob und wenn ja wie Sie auf dieses Angebot eingehen möchten! Der Sperlingskauz wird solange warten, bis Sie eine Entscheidung getroffen haben.

Mit freundlichen Grüßen
      Eleonore Delamontagne

Martha Andrews überlegte einige Minuten, während sie den Brief wie automatisch in den Händen hin- und herdrehte. Einerseits kannte sie die Schreiberin nur von einer flüchtigen Erwähnung ihres Sohnes her und wußte, daß diese Hexe wohl auch gerne Schach spielte. Andererseits war sie tatsächlich interessiert, ja neugierig, was im letzten Jahr passiert war, selbst wenn ihr der Gedanke daran, dies zu erfahren, einen kalten Schauer über den Rücken jagte, verhieß dies doch, daß sie erfuhr, ob Catherine und damit auch ihre Mutter Julius an die Zauberer von Millemerveilles ausgeliefert hatten. Ausgeliefert? Nein! Sie wollte nicht in dieses Denken verfallen, daß ihr Mann Richard pflegte. Sie hatte sich vernünftig und unter Ausschluß aller störenden Empfindungen mit den Gesetzen der Zauberei befaßt, selbst wenn sie die dazugehörigen Texte nicht lesen konnte. Sicher mußte sich diese Lebensgemeinschaft Gesetze geben, um nicht im Chaos zu versinken. Sicher war auch, daß Prof. McGonagall und die übrigen Lehrer in Hogwarts recht hatten. Julius konnte zaubern. Würde er dies nicht lernen, und zwar so, daß er damit auch verantwortungsvoll umging, hätte das früher oder später in eine Katastrophe geführt. Sie kannte einige Zukunftsromane und Comics, die ihr Sohn gelesen hatte und entsann sich, daß dort auch von übersinnlichen Wesen erzählt wurde, die ihre Superkräfte unkontrolliert ausnutzten. Sie wollte keine Angst vor Julius haben, hatte sie sich nach dem zweiten Besuch in Hogwarts geschworen. Wenn der Junge diese Zaubergaben richtig zu nutzen lernte, würde er diese beherrschen und nicht diese ihn. Aber das ging nur in Hogwarts.

Doch was würde mit ihr geschehen, wenn sie die Einladung annahm? Würde sie sich nicht diesen Leuten ausliefern, die Kaninchen in Hutschachteln verwandeln und Gegenstände beliebig einschrumpfen konnten? Sicher würde sie sich ausliefern! Aber lieferte sich nicht jeder aus, der sich anderen Menschen anvertraute? Dann fiel ihr noch etwas ein:

Diese Hexen und Zauberer mußten ja nicht mit ihr in Kontakt bleiben. Sie mußten sie ja nicht zu Julius' Geburtstag in dieses Millemerveilles holen. Also lag ihnen entweder wirklich etwas an ihrem Verhältnis zu Julius oder sie hatten einen triftigen Grund dafür, Kontakt mit ihr aufzunehmen. Wenn es einen Grund gab, sie anzusprechen, um ihr alles zu erläutern, dann könnte das wichtig sein, nicht nur um Julius' Willen. Falls sie mit ihrer unbegründeten Ahnung richtig lag, daß Catherine und ihre Mutter Hexen waren, so ergab das auch einen Sinn, wenn es einen Grund gab, die Geheimhaltung aufzugeben und die Heimlichkeiten zu beenden.

Das wirklich ausschlaggebende Element war jedoch dies, daß Martha Andrews unbedingt dieses Zaubererdorf Millemerveilles besuchen und die Leute kennenlernen wollte, mit denen ihr Sohn über die Ferien zusammenlebte. Wahrscheinlich würde sie nur diese eine Chance bekommen, Madame Dusoleil von Angesicht zu Angesicht zu sehen und mit ihr ohne Umwege zu sprechen. Diese Chance mußte sie nutzen, befand sie und schrieb auf die Rückseite des Pergaments eine Antwort, mit der sie die Eule wieder fortschickte.

Ja, und nun stand sie also hier am Pariser Nordbahnhof und schaute auf ihre Armbanduhr. Der kleine Zeiger stand fast auf der Vier, der große überstrich gerade die Elf. Sie hatte also noch fünf Minuten Zeit. Schnell richtete sie ihren Blick wieder auf die Straße, die zum Taxistand vor dem Bahnhofsgebäude führte. Ihre Reisetasche hatte sie mit Kleidung für drei Tage, darunter ihr neues Ausgehkleid und Schuhe für Festtagsausflüge, zwischen den Beinen stehen, um sie mit dem Körper zu schützen. Sicher würde ein skrupelloser Verbrecher keine Zeit vergeuden, sie höflich zu bitten, ihm die Tasche zu überlassen. Aber so hatte sie doch ein Gefühl größerer Sicherheit.

Ein letztes Mal dachte sie darüber nach, ob es nicht besser gewesen wäre, ihren Mann anzurufen und ihm mitzuteilen, daß sie von den Hexen und Zauberern eingeladen worden war und nach Millemerveilles fuhr. Doch diese Madame Delamontagne hatte recht. Richard war stur in seiner Feindseligkeit. Er hätte ihr die Chance verdorben, ihrem Sohn persönlich zum Geburtstag zu gratulieren, sofern diese Einladung keine Falle war, um sie aus dem Weg zu räumen. Ach was! Die brauchten keine Gewaltmaßnahmen mehr anzuwenden, um Julius für alle Zeiten von seinen Eltern zu trennen. Wozu sollten sie ihr etwas tun? Das war unlogisch, Energie zu vergeuden und dabei ein unnötiges Risiko einzugehen, wenn sie jemanden verschwinden ließen, der bestimmt bald vermißt würde, ohne dafür eine Handhabe zu besitzen.

Mit einem letzten Tack rückte der große Zeiger genau auf die Zwölf, und der kleine Zeiger stand genau auf der Vier. Würden diese Leute wirklich ...?

"Madame Andrews!" Hörte die Computerprogrammiererin aus London ihren Namen von der linken Seite her rufen. Sie wandte den Kopf und entdeckte einen grasgrünen Peugeot, dessen rechtes Vorderfenster heruntergedreht war. Ein junger Mann mit kastanienbrauner Kurzhaarfrisur und stahlblauen Augen blickte aus dem Wagen und suchte ihren Blick. Dann nickte er erkennend und zog seinen Kopf ins Wageninnere zurück. Leise brummend glitt das Auto einige Meter weiter nach vorne und kam punktgenau vor Martha Andrews zum Stehen. Der junge Mann entstieg dem Auto, dessen Fensterscheiben alles wiederspiegelten und so gut wie keinen Einblick ins Fahrzeuginnere erlaubten. Im Moment war Martha Andrews nicht so ganz geheuer zu Mute. Reflektierende Fenster verhinderten, daß von außen jemand sehen konnte, wenn sie im Wagen saß. Das könnte unangenehm werden, falls wirklich eine Entführung ablaufen sollte. Sie verjagte den Gedanken wieder mit der Schlußfolgerung, daß man sie schon längst hätte beseitigen können, ohne Zeugen zu befürchten.

Der Fahrer des Peugeots trug eine nußbraune Chauffeursuniform ohne Mütze und machte einen sportlichen Eindruck, wie ein Leichtathlet, der für Olympia trainiert, dachte Julius Andrews' Mutter. Er sprach sie auf Englisch mit einem Hauch französischem Akzent an:

"Darf ich Ihre Tasche in den Kofferraum legen, oder möchten Sie sie gerne bei sich behalten, Madame Andrews?"

"Sie dürfen die Tasche in den Kofferraum legen, Monsieur", erwiderte die Engländerin ruhig. Denn Geld, Ausweis und ihr Handy trug sie wohlverstaut am Körper. So nahm der Fahrer mit einem Kopfnicken die nicht so schwere Tasche auf, ging damit zum Heck des viertürigen Wagens und klappte mit einer leichten Handbewegung den Kofferraumdeckel hoch. Ohne Mühe ließ er die Reisetasche im Hinterteil des Autos verschwinden, schloß den Kofferraum fast ohne ein Geräusch und wandte sich ihr wieder zu.

"Wünschen Sie vorne oder hinten zu sitzen, Madame?" Fragte der Fahrer mit ruhigem Tonfall. Martha Andrews deutete auf die Vordertür. Sie klappte von selbst auf und gewährte einen Blick auf einen haselnußbraunen Ledersitz. Martha Andrews schlüpfte ohne weiteres Wort und Zögern auf den breiten Sitz und zog die Beifahrertür zu, die beinahe lautlos einschnappte. Keine Sekunde später klappte die Fahrertür an der linken Seite auf und ließ den Fahrer hinein.

"Dann wollen wir mal", sagte der junge Mann und startete den Motor. Mit spielerischen Hand- und Fußbewegungen bugsierte er den Wagen einige Meter zurück, wendete und überquerte die Straße so, daß er sich auf der Fahrspur vom Bahnhof fort einsortieren konnte. Erst jetzt fiel Martha Andrews auf, wie stark der Nachmittagsverkehr geworden war. Hupend und drängelnd kämpften Autofahrer um jeden Meter freie Fahrspur, stießen sich dabei auch mal an oder teilten wüste Beschimpfungen aus, wenn ihr Vordermann nicht schnell genug reagierte. Den jungen Fahrer des Peugeots interessierte das nicht. Wie beiläufig fädelte er sich zwischen den Autos ein und ließ den Wagen fast von allein seinen Weg durch das Blechgewimmel finden. Die Mutter von Julius dachte daran, daß dies nicht so abwegig war, daß ein Zauberauto auch alleine fahren konnte, wenn ihm gesagt wurde, wo es hinfahren sollte. Tatsächlich blieb der Peugeot unbehelligt und unbeeindruckt vom Verkehrsgewühl, für das Paris berühmt-berüchtigt war. Gerade jetzt, wo die ersten Wellen des Feierabendverkehrs die Stadt verstopften, war es um so imposanter, wie locker und behände Fahrzeug und Fahrer sich ohne die winzigste Beeinträchtigung auf der Fahrbahn voranbewegten, dabei immer schneller wurden.

"Sie wissen, wo es hingeht?" Fragte Mrs. Andrews. Der Fahrer nickte und antwortete:

"Ich habe den Auftrag von Madame Grandchapeau und Madame Delamontagne, Sie vor die Außenbegrenzung von Millemerveilles zu befördern, Madame Andrews. Madame Delamontagne wird sie dort mit einem unserer Standardfuhrwerke erwarten, da nichtzauberische Fahrzeuge innerhalb der Ortsgrenzen von Millemerveilles nicht erwünscht sind. Wir werden in ungefähr zwei Stunden dort sein, wenn die Autobahnen nicht überfüllt sind. Sollte dies so sein, dauert es fünf Stunden. Ich habe diverse Fahrgäste aus Paris nach Millemerveilles gefahren, daher weiß ich, wie lange es dauern mag."

"Ich gehe davon aus, daß Madame Delamontagne für meine Unterbringung gesorgt hat", führte Martha Andrews die Unterhaltung fort.

"Sie werden wohl bei ihr zu Gast sein, Madame Andrews", erwiderte der junge Mann, der bis jetzt nichts getan hatte, was ihn als Zauberer auswies. Martha Andrews nickte. Offenbar lag dieser Madame Delamontagne etwas daran, sie in Millemerveilles zu beherbergen. Daß sie nicht im Haus der Dusoleils übernachten würde, war ihr klar, denn offenbar ging es darum, Julius zu überraschen.

"Werden wir die Strecke ohne Raumsprünge zurücklegen?" Fragte Martha Andrews. Der Fahrer grinste und sagte:

"Dann müßten wir unterwegs übernachten, Madame. Außerdem muß uns nicht jeder Muggel beobachten oder gar verfolgen. Wenn die Autobahnen frei genug sind, können wir Teilstrecken überspringen. Direkt nach Millemerveilles dürfen wir so nicht springen, weil um den Ort gewisse Abwehrzauber wirken."

Er hatte das "Zauberwort" benutzt, dachte Martha Andrews und lächelte. Also war nun alles klar.

Tatsächlich ging es erst einmal eine Stunde lang auf einer vielspurigen Schnellstraße aus Paris heraus, durch die ringförmigen Ansiedlungen um den Stadtkern herum, hinaus aus der Millionenstadt und weiter nach Süden. Als irgendwann, so um fünf Uhr herum kein Auto vor oder hinter dem Peugeot zu sehen war, gab es einen lauten Knall und etwas warf den Wagen nach vorne, als hätte eine Rakete in seinem Heck ihn hoch und vorwärts geschleudert. Als das Auto wieder auf festem Boden fuhr flitzte gerade ein Schild mit der Aufschrift "Avignon 10 km" vorbei. Hier gab es nach wenigen Sekunden wieder ein Gewühl von Autos, das dichter und drängelnder wurde. Doch wie schon in Paris sortierte sich der Fahrer des wohl behexten Peugeots locker in die Blechlawine und schlängelte sich teilweise dreist durch Wagenreihen hindurch, ohne jedoch gewürdigt zu werden.

"Sind wir für die unsichtbar?" Fragte Martha Andrews, gerade als der Peugeot direkt unter einem großen Lastwagen hindurchschlüpfte, als habe man den übergroßen Wagen einige Meter angehoben, um dem viertürigen Peugeot Platz zu machen.

"Sie sehen uns schon, aber beachten uns nicht. Wenn der Wagen fährt beachten Nichtzauberer ihn nur einen Sekundenbruchteil lang. Im Lack und den Radkappen sind diverse Zauber verankert, die die Aufmerksamkeit schwächen. Aber um zu springen müssen wir in fünfzig Metern Umkreis kein anderes Fahrzeug haben, so eine Sicherheitsvorschrift", erwiderte der Fahrer des Zauberautos und ließ den Wagen gerade zwischen einem Porsche und einem Mercedes Coupé hindurchschlüpfen. Das brachte Mrs. Andrews auf eine Frage:

"Braucht dieser Wagen eigentlich Benzin?"

"Nicht so viel, als wäre an ihm nichts behandelt, Madame. Aber wie genau das geht, darf ich Ihnen nicht erläutern. Nur so viel: Der Transitionsturbo, den Sie bereits von den Fahrten nach Hogwarts her kennen, sowie die Aufmerksamkeitsdämpfer sind die einzig wirklich zugelassenen Zauber, mit denen unsere Autos fahren können."

"Woher wissen Sie, daß ich in Hogwarts war?" Fragte die Mutter von Julius und fügte in Gedanken hinzu: "Was wissen Sie überhaupt über mich?"

"Ich wurde von meiner Chefin, Madame Grandchapeau darüber informiert, daß Sie und Ihr Mann, der bedauerlicherweise nicht mitkommen konnte, bereits Ihren Sohn in Hogwarts besuchten, wo dieser zur Schule geht. Mehr wurde mir nicht mitgeteilt. Mehr muß ich auch nicht wissen. Ich arbeite nur für die Abteilung als Fahrer."

"Welche Abteilung?" Fragte Martha Andrews.

"Die Abteilung für Kontakte zwischen Angehörigen der magischen und der nichtmagischen Gesellschaft, Madame Andrews."

"Ich wußte nicht, daß es eine solche Behörde bei Ihnen gibt", wunderte sich Mrs. Andrews.

"Diese Abteilung ist auch noch relativ neu, Madame. Soviel ich weiß gibt es außer in Frankreich nur noch in den vereinigten Staaten und Deutschland eine solche Abteilung. Anderswo wird ihre Einrichtung noch geprüft, anderswo wird sie für unnötig gehalten."

So verging eine weitere halbe Stunde, in der Martha erfuhr, daß das französische Zaubereiministerium durchaus darauf bedacht war, sich über Neuerungen in der Welt der sogenannten Muggel zu informieren und mit den Nichtmagiern in Kontakt zu bleiben, auch dann, wenn Kinder solcher Leute, die in der französischen Schule Beauxbatons nicht gerade respektvoll auffielen. Dann war die Autobahn für einige Sekunden wieder so leer, daß der Fahrer mit einem weiteren magischen Sprung einen Großteil der wirklichen Strecke überwinden konnte. Der Fahrer meinte:

"Oh, wir haben ein größeres Stück abgekürzt, als ich vorhin gedacht habe. Offenbar haben wir eine sich bietende Lücke näher am Zielort finden können. So können wir in einer halben Stunde an der Ortsgrenze sein."

"Woran merken Sie, wo Sie uns ungefährdet landen können?" Fragte Mrs. Andrews.

"Tut mir Leid, aber auch das gehört zu unseren Betriebsgeheimnissen", wehrte der Fahrer die geweckte Neugier seines Fahrgastes ab.

Irgendwo, Martha wußte nicht genau, wo sie sich befanden, sprang der Wagen noch einmal über eine Strecke hinweg. Sie war sich jedoch sicher, daß der Fahrer das Steuer etwas nach links gedreht hatte, sodaß das Auto mit leichtem Linksdrall seinen magischen Turbo für Raumsprünge benutzte. So landeten sie schließlich auf einem nur mit planierter Erde ausgewalztem Feldweg und fuhren zwischen hohen Hecken und ausladenden Bäumen hindurch, und nicht ein Fahrzeug war zu sehen.

"Wir sind gleich am Treffpunkt", verkündete der Fahrer zuversichtlich und gab etwas mehr Gas, um das Auto noch schneller voran zu bringen. So wirbelten die Räder des Peugeot den trockenen Staub von der Straße. Der Wagen glitt gerade soeben an Schlaglöchern vorbei, wie auf einer Fernstraße im afrikanischen oder australischen Buschland. Dann verzögerte der junge Chauffeur den Wagen und ließ ihn bald ohne Motorkraft ausrollen. Sanft ruckelte das Fahrzeug über einen Maulwurfshügel hinweg, bevor es stillstand.

"Dies ist der ausgemachte Treffpunkt, Madame Andrews. Ich schicke eine Eule, daß wir hier warten", verkündete der Fahrer und stieg aus. Aus dem Kofferraum holte er einen kleinen Käfig, aus dem er einen Sperlingskauz mit einem Zettel am rechten Bein entließ. Der Vogel schwirrte eifrig davon, strich um einen Baum herum und verschwand zwischen den hohen Pflanzen.

"Wie lange wird es dauern, bis wir Antwort bekommen?" Fragte Mrs. Andrews.

"Wenn die Eule schnell ist, wird Madame Delamontagne uns in einer Viertelstunde erreichen. So weit ist es ja nicht mehr bis Millemerveilles", gab der Fahrer Auskunft und deutete wie beiläufig nach südwesten. Martha Andrews folgte der bedeuteten Richtung und sah nichts. Kein Zeichen dafür, daß in wenig Entfernung ein bewohnter Ort lag. Sie wagte jedoch nicht, nach der genauen Entfernung zu fragen, weil sie sich dachte, daß dies zu den wichtigsten Geheimnissen der Millemerveilles-Bewohner gehörte, daß kein Nichtmagier wußte, wo genau das Dorf lag. Schmunzelnd dachte sie an ihre Jugendtage, wo sie die Comics mit den Schlümpfen gelesen hatte. Jene kleinen blauen Kobolde wohnten ja auch in einem versteckten Dorf, zu dem nur sie hinfinden konnten.

Es dauerte keine Viertelstunde bis die nur von Vogelstimmen und sich im Blattwerk der Bäume fangenden Wind durchdrungene Stille von einem weiteren Geräusch gestört wurde. Mrs. Andrews vermeinte, das rhythmische Schlagen großer Flügel und Rauschen an etwas großem vorbeistreichender Luft zu hören. Sie sah nach rechts oben und entdeckte ein Ungetüm, wie sie es in Hogwarts einmal mit Unbehagen und Erstaunen besichtigen durfte. Aus dem mit weißen Federwolken getupften Blau des Sommernachmittaghimmels glitt ein gigantisches Pferd mit mächtigen Schwingen herab, das einen bronzefarbenen Wagen von der Größe eines Kleinbusses zog. Das Tier war jedoch nicht eines der goldenen Flügelpferde, wie sie die Beauxbatons-Abordnung im Dutzend für ihre riesenhafte Reisekutsche benutzt hatten, sondern ein blütenweißes Tier mit ebenso gefiederten Schwingen. Beim Näherkommen erkannte Martha Andrews, daß es eine einzelne Stute war, die den bronzefarbenen Wagen zielsicher zu Boden zog, eine sanfte Kurve beschrieb und dann keine fünfzig Schritte vor der Motorhaube des Peugeots entfernt mit lautem Donnern alle vier Hufe gleichzeitig auf den Feldweg aufsetzte. Keine Sekunde später federte der Wagen auf seinen Rädern durch. Mit laut klappernden Hufschlägen trottete das weiße Flügelpferd einige Schritte näher heran, bevor es stehen blieb und laut schnaubte und raschelnd die großen Flügel über seinem Rücken zusammenfaltete.

"Wer hat denn das Tier gelenkt?" Fragte Mrs. Andrews, nachdem die Mischung aus Unbehagen und Ehrfurcht verflogen war. Der Chauffeur deutete auf eine Luke in der Vorderfront des Wagens, aus der ein stämmiger Mann mit schwarzem Haar und Bart herausblickte, mit einer Hand eine mächtige Silberkette haltend, mit der anderen Hand an einem Bremshebel. Doch der Zauberer, der das mächtige Flügelpferd geführt und damit die fliegende Kutsche gesteuert hatte, verlor die Aufmerksamkeit der Muggelfrau aus England, als eine Tür aufschwang, eine kleine Ausklappleiter herausschwang und auf dieser eine imposante Frau in einem veilchenblauen Seidenkleid herabstieg. Mrs. Andrews sah mit Erstaunen, wie die sehr beleibte Frau mit einer Gewandtheit und Eleganz die Leiter herunterturnte, die einer federleichten Ballerina alle Ehre machte. Dann stand die Insassin des Zauberfuhrwerks auf dem Boden und wandte ihren Kopf mit dem strohblonden Haar der geladenen Gästin aus England zu. Lächelnd, wie eine Königin, die einen wichtigen Staatsgast begrüßt, blickte sie Martha Andrews an, dann schritt sie würdevoll heran, während der Zauberer hinter der Luke im Vorderbereich beruhigend auf das weiße Riesenflugpferd einsprach.

"Ihre Majestät ist gelandet", dachte Martha Andrews, die zwar durchschaute, daß diese imponierende Ankunft nur dem Zweck diente, sie in eine ehrfürchtige Stimmung zu versetzen, aber nicht so leicht die Bewunderung verdrängen konnte, welche ihren Verstand zu durchdringen trachtete.

"Madame Andrews, darf ich vorstellen: Madame Eleonore Delamontagne, amtierende Rätin für gesellschaftliche Angelegenheiten im Dorfrat von Millemerveilles", erfüllte der Chauffeur des Peugeots wohl seine letzte hier zu erledigende Aufgabe, bevor er nicht mehr gebraucht wurde. Martha Andrews erkannte die Hexe im veilchenblauen Kleid erst jetzt wieder. Sie hatte sie bereits einmal gesehen, auf einem Foto, daß Julius aus Millemerveilles mitgebracht hatte. Auf diesem Foto trug sie ein sonnengelbes Kostüm und jede Menge Goldschmuck. Entweder war diese Dame neureich, weil sie mit ihrem Wohlstand so heftig prahlte, dachte Martha Andrews, oder sie unterstrich lediglich ihre Wichtigkeit in Millemerveilles, wie ein Priester oder ein Dorfpolizist, welcher in seiner Berufskleidung einherging.

"Seien Sie mir herzlich gegrüßt, Madame Andrews", begrüßte Eleonore Delamontagne Julius' Mutter in astreinem Englisch. Diese wußte jedoch nicht, was sie erwiedern sollte und wartete erst einmal, was die Hexe tat. Diese redete auf den Chauffeur des Peugeots ein, schnell und für Martha Andrews unverständlich. Der Fahrer nickte dienstbeflissen, ging zum Kofferraum und holte die Reisetasche Martha Andrews' heraus. Ohne sich bei seiner Passagierin zu erkundigen, was er mit ihrer Tasche tun sollte, ging er zu der ausgeklappten Schwenkleiter hinüber, wuchtete die Tasche hinauf ins Innere des Wagens und kehrte zu seinem Auto zurück. Erst jetzt fand Martha Andrews ihre Sprache wieder.

"Sie sind die Dame, die mir schrieb? Ich habe Sie schon auf einem Foto gesehen, welches Julius mir im letzten Sommer zeigte. Ich danke Ihnen noch mal dafür, daß Sie es einrichteten, daß ich herkommen darf", sagte Mrs. Andrews.

"Wie ich Ihnen schrieb ist es nicht nur amtliche Notwendigkeit, mit Ihnen in Kontakt zu treten, sondern vor allem ein persönliches Bedürfnis, den Kontakt zwischen Ihnen und Ihrem Sohn zu erhalten. Wie bereits geschrieben bedauere ich es sehr, daß Ihr Mann Richard noch nicht bereit ist, seine Feindseligkeiten gegen uns zu begraben. Aber wir, also meine Nachbarn, die Abteilungsleiterin für den Kontakt zwischen magischen und nichtmagischen Menschen und ich, möchten dazu beitragen, daß Ihr Sohn sein Leben in unserer Welt führen kann, ohne mit seiner Herkunft brechen zu müssen. Da Sie bereits in Hogwarts ausgiebig darüber gesprochen haben, erübrigt sich jede Begründung, welches Leben für Ihren Sohn das einzig richtige ist. Aber dies nur zur Begrüßung. Wir werden gleich nach Millemerveilles reisen, wo Sie mir die Ehre erweisen können, unter meinem Dach zu wohnen, morgen an der Geburtstagsfeier Ihres Sohnes teilnehmen und mit den für ihn verantwortlichen Hexen und Zauberern sprechen dürfen. doch vorher müssen wir eine unverzichtbare Prozedur durchführen."

Die füllige Hexe sah den Fahrer des Peugeots an, der nickte und winkte Martha Andrews zu. "Ich werde sie übermorgen wieder hier abholen, Madame. Au revoir!"

Mit diesen Worten bestieg er das Auto, ließ es ohne Motorkraft einige Meter zurückrollen, bevor er den Antrieb startete und schnell davonfuhr. Mrs. Andrews war nun der Hexe und dem bezauberten und von einem geflügelten Riesenpferd gezogenen fuhrwerk ausgeliefert.

"was für eine Prozedur soll denn das sein?" Fragte Martha Andrews, die in höchster Alarmbereitschaft war.

"Wie Ihnen Ihr Sohn vielleicht einmal geschrieben hat ist Millemerveilles für Nichtmagier nicht zu erreichen und daher sehr gut geschützt. Um jemanden aus Ihrer Welt für einen begrenzten Zeitraum bei uns willkommen heißen zu können, muß der Gast einen Trank zu sich nehmen, der den Zauberbann überwindet. Wir haben nicht vor, Sie unter Drogen zu setzen, falls Sie meinen, wir wollten Sie uns gefügig machen. Es handelt sich lediglich um eine geheime Mixtur, die Ihnen die Willenskraft gibt, dem Abwehrbann zu widerstehen, den unsere Vorfahren geschaffen haben."

"Wie wirkt dieser Zauberbann denn, falls ich mich weigere, irgendwas zu trinken?" Fragte Martha Andrews, die sich klar war, daß jeder Widerstand ohnehin sinnlos war, da das Auto schon fort war und sie ja ohnehin in Millemerveilles essen und trinken mußte. Falls diese Hexen und Zauberer ihr etwas unangenehmes einflößen wollten, so konnten sie das auch ohne Ansage tun.

"Sie würden von einem Anfall heimgesucht, den Ort zu verlassen, einer Panik gleich, die sie dazu drängt, fortzulaufen, je näher Sie Millemerveilles kommen."

"Eine Art Psychostrahlenfeld?" Fragte Mrs. Andrews. Madame Delamontagne überlegte wohl kurz und erwiderte:

"So heißt es wohl in den Zukunftsentwürfen der einfachen Muggelliteratur, wenn ich das, was Julius in verschiedenen Gesprächen geäußert hat richtig deute. Aber wie gesagt hebt der von mir empfohlene Zaubertrank die Wirkung auf."

"Ich mache Ihnen einen Gegenvorschlag, Madame. Ich werde von diesem Trank erst etwas trinken, wenn ich die von Ihnen geschilderte Abwehrkraft verspüre. Vorher gestatten Sie mir ein gesundes Mißtrauen zu bewahren."

"Das respektiere ich, Madame", erwiderte die Dorfrätin mit ruhigem Ton sprechend. Martha Andrews war nicht auf diese Gelassenheit gefaßt. Hatte man mit ihrer Ablehnung gerechnet? Natürlich hatte man das! diese Leute mußten, wenn sie auch logisch denken konnten, davon ausgehen, daß sie, Martha Andrews, nicht bedenkenlos alles hinnahm, was für diese Leute alltäglich oder notwendig war. So folgte sie Madame Delamontagne in den fliegenden Wagen und staunte, daß dieser die Einrichtung eines geräumigen Wohnzimmers mit Esstisch, sechs Stühlen, einer Sitzgruppe mit Sesseln und einem Sofa, sowie großen Kerzenleuchtern enthielt. Die Tür klappte zu, nachdem die Schwenkleiter eingezogen worden war. Keine Sekunde später hörte Martha Andrews, wie das Flügelpferd seine Schwingen ausspannte und durchschwang. Sie spürte jedoch nichts vom Aufstieg der Kutsche. Sie blickte durch eines der erhabenen Fenster und sah, wie der Boden unter den Rädern zurückfiel.

"Das kann doch nicht sein", dachte sie nur für sich, als sie sah, wie der fliegende Wagen über die Baumwipfel stieg und mit zunehmender Geschwindigkeit voranflog. Doch da fielen vor die Fenster Jalousien herunter und verdunkelten den Raum. Doch sofort flammten die weißen Kerzen in den Leuchtern auf.

"Zu unserer Geheimhaltung gehört, daß kein Nichtmagier sehen kann, wie Millemerveilles zu erreichen ist", sagte Madame Delamontagne. Martha Andrews sah dies ein und schwieg.

Wenige Augenblicke später jedoch empfand sie den Drang, die Kutsche verlassen zu müssen. Er wurde von Herzschlag zu Herzschlag stärker. Sie überlegte, ob es Angst war, weil ihr so viele unbekannte Dinge widerfuhren, vielleicht sogar eine Suggestion, weil Madame Delamontagne ihr von soetwas erzählt hatte. Doch das Gefühl war wirklich. Es war keine Einbildung, sondern wurde wirklich stärker, bis sie fast an der Tür war. Erst da schritt ihr Verstand ein und gebot ihr, dagegen zu kämpfen. Doch als sie nach einer Viertelminute den inneren Kampf zu verlieren drohte, wandte sie sich schnell an die Dorfrätin.

"Sie haben recht. Um Ihr Dorf liegt wohl eine Aura aus Verdrängungsmagie. Falls dieser Zaubertrank dagegen schützt, geben Sie ihn mir schnell, bevor ich aus der Kutsche springe", sagte Martha Andrews, die sich sehr konzentrieren mußte, nicht den Verstand zu verlieren und die Tür zu öffnen, um aus einer vielleicht in großer Höhe fliegenden Zauberkutsche zu springen. Madame Delamontagne gab ihr einen bereitstehenden Kelch mit einer goldroten Flüssigkeit, die nach einer Mischung aus Kräutern und Fleischbrühe roch. Sich die Nase zuhaltend stürzte Martha Andrews das leicht prickelnde und widerlich schmeckende Gebräu hinunter. Kaum war der erste Schluck des Zaubertranks in ihrem Magen angekommen, verflog das bis dahin immer stärker gewordene Bedürfnis, aus der Kutsche zu springen. Sie fand ihre Ruhe wieder und atmete tief ein und aus, jedoch darauf lauschend, was in ihrem Körper geschah. Doch weder ihr Körper, noch ihre Sinne veränderten sich. Offenbar wirkte das Gebräu so, wie es Madame Delamontagne sagte.

"Und, wie fühlen Sie sich nun?" Wollte die Dorfrätin wissen.

"Gut. Wie lange hält dieses Zeug vor?"

"Einen vollen Tag. Da Sie ja bis übermorgen bei uns bleiben möchten, kann ich Ihnen nicht ersparen, davon noch zweimal zu trinken."

"Sehr mitfühlend", grinste Martha Andrews. Dann setzte sie sich hin und wartete auf die Dinge, die da passieren sollten.

Wenige Minuten später krachten die Pferdehufe des Flügelrosses auf den Boden, und wie aus einem gedämpften Nebenraum hörte die Mutter von Julius Andrews das Knarren der Achsenfederung. Doch sie spürte nichts von der Landung. Die Jalousien schnellten schnarrend nach oben und gaben den Blick frei auf einen großen Garten, der von einer meterhohen Hecke umfaßt wurde. Dann sah Martha Andrews ein riesenhaftes Quadrat, das in weiße und schwarze Quadrate unterteilt war.

Die Besucherin aus England erschauerte, als sie die sechzehn weißen und sechzehn schwarzen Figuren sah, die regungslos am Rand des großen Quadrates standen. Genau das hatte sie befürchtet, einmal zu sehen, nachdem sie beobachtet hatte, wie Julius mit seinen Hauskameraden Schach gespielt hatte. Hier standen lebensgroße Schachfiguren, die bestimmt genauso lebendig sein konnten, wie die kleinen Zauberschachfiguren, die Julius wie selbstverständlich benutzte. Madame Delamontagne entging nicht, wie ihre Besucherin das große Schachbrett im Garten betrachtete und wohl nicht gerade freudig darauf ansprach.

"Ein Hobby von mir, Madame Andrews. Ich bin eine leidenschaftliche Schachspielerin, wie Ihnen Ihr Sohn gewiß berichtet hat. Diese Figuren mögen auf Sie erschreckend wirken, sind jedoch ganz gewöhnliche Zauberschachfiguren, die unverwüstlich und schmerzunempfindlich sind. Das waren schon Schachfiguren, als sie entstanden. Nicht, daß Sie fürchten, ich hätte mir diese Ansammlung von Schachfiguren aus lebenden Wesen zusammengezaubert."

"Nein, das denke ich natürlich nicht, Madame", log Mrs. Andrews, die tatsächlich kurz daran geglaubt hatte, hier mit armen Opfern Madame Delamontagnes zu tun zu haben. Sie fügte schnell hinzu: "Ich weiß ja, daß Sie Gesetze haben, die verbieten, Menschen nach Belieben zu verzaubern. Aber ich kenne keine lebendigen Schachfiguren und empfinde deshalb etwas beklommen, wenn ich sie sehe."

"Das verstehe ich wohl. Als ich von Julius erfuhr, was Überschallflugzeuge sind und wozu sie gebaut wurden, empfand ich auch eine sehr starke Beklommenheit."

"Überschallflugzeuge? Haben Sie schon welche hier gehört?"

"Nur wenige Male", erwiderte Madame Delamontagne, die nicht herausrücken wollte, daß vor wenigen Tagen erst mehrere dieser Flugmaschinen über Millemerveilles hinweggeflogen waren und daß Julius ihr berichtet hatte, wozu sie eigentlich gebaut waren.

"Maman, es-tu dans le Jardin?" Klang die Stimme eines Mädchens aus dem herrschaftlichen Haus, das im Zentrum der Gartenanlage stand. Madame Delamontagne rief zurück:

"Oui, ma fille. Je suis hici avec la Mère de Julius."

"Magnefique", kam die Antwort aus dem Haus. Das zur Stimme gehörende Mädchen trat in den Garten hinaus. Es trug einen wasserblauen Gebrauchsumhang und hatte ihr strohblondes Haar ebenfalls zu einem Zopf gebunden. Gesicht und Bewegungen verrieten der Besucherin aus England, daß es die Tochter der Hausherrin war, von der sie wußte, daß sie Virginie hieß. Sie hatte auch sie bereits auf dem Foto vom Sommerball gesehen. Darauf trug sie ein silberweißes Kostüm.

"Bienvenu dans Millemerveilles, Madame Andrews", begrüßte die halbwüchsige Hexe den Neuankömmling und strahlte sie an.

"Mercie, Mademoiselle Virginie", erwiderte Martha Andrews verlegen. Madame Delamontagne nickte und bemerkte:

"Nun, offenbar hat Julius Sie ausreichend über uns informiert. Das freut mich, weil es dann weniger Komplikationen geben wird. Meine Tochter spricht übrigens Ihre Sprache, sowie auch unsere Hausdienerin."

"Ihre was?" Erwiderte Martha Andrews mit einer Frage, als neben ihr ein kleines Wesen mit großen fledermausartigen Ohren und goldenen Augen, groß und rund wie Tennisbälle erschien, regelrecht materialisierte.

"Gigie begrüßt die werte Besucherin ihrer Meister, Martha Andrews."

"Was ist das denn für ein Wesen?" Fragte Mrs. Andrews schmunzelnd.

"Das ist unsere Hauselfe. Sie besorgt den Haushalt und erledigt Botengänge", stellte Madame Delamontagne Gigie vor.

"Ach so sieht ein Hauself aus", dachte Martha Andrews. Sie hatte von Julius nur einmal erzählt bekommen, daß die Porters ein solches Wesen als Dienstboten hatten. Zu welchen Bedingungen dieses Wesen arbeitete, wollte sie besser nicht hinterfragen.

"Ich erfuhr heute morgen, daß Sie für zwei Nächte hier wohnen werden, Madame Andrews. Julius wird sich freuen, daß Maman es einrichten konnte, Sie hierher zu holen."

"Nun, junge Dame, ich hoffe sehr, daß Julius sich freut. Nicht, daß er in eine Zwangslage gerät, weil ich hier bin", erwiderte die Besucherin aus England.

Nach einigen Begrüßungsworten gingen die zwei Frauen und das Mädchen ins Haus. Gigie trug die Reisetasche aus dem kleinen Flugwagen und brachte sie in das Gästezimmer, in dem nichts merkwürdiges zu sehen war, außer einem breiten Bett, einem mit heller Decke überzogenem Tisch und einem Kleiderschrank. Virginie erklärte, daß hier im letzten Sommer ihre Brieffreundin Prudence Whitesand aus Hogwarts gewohnt habe. Auf die Bemerkung Martha Andrews', daß sie die besagte Schülerin kennengelernt habe erwiderte Virginie:

"Ich weiß. Prudence hat es mir geschrieben, daß Sie Ihren Sohn besucht haben. Während des trimagischen Turniers standen wir fast jeden zweiten Tag in Briefkontakt."

"Die armen Eulen. Ich denke mal, daß Beauxbatons nicht gerade nur eine Flugstunde fortliegt."

"Wir haben verschiedene Eulen geschickt, Madame. Maman hat auch ihre Privateule zur Verfügung gestellt, da sie ja auch über das Turnier informiert werden wollte."

Virginie ließ den Gast ihrer Mutter alleine, sodaß Martha Andrews ihre Tasche auspacken konnte. Für den Geburtstag wollte sie das dunkelblaue Satinkleid anziehen, mit dem sie in Paris ein Theater besucht hatte.

Um sieben Uhr gab es Abendessen. Martha lernte Monsieur Delamontagne kennen, der nur Bruchstückweise Englisch sprach. Über sieben Gänge erstreckte sich das Abendessen. Offenbar hatte man Rücksicht auf die Herkunft des Gastes genommen, da keine Weichtiere oder Froschschenkel gereicht wurden, dachte Martha Andrews. Aus höflichkeit aß sie von jeder Speise soviel, daß sie nicht zu früh satt wurde und genoß den halbtrockenen Rotwein, der zu dem raffiniert gewürzten Braten mit Krocketten gereicht wurde. Sie unterhielt sich über London, über Paris und über ihre Besuche in Hogwarts und räumte ein, daß sie es begrüßte, daß Julius einen eigenen Flugbesen bekommen hatte.

"Immerhin steht er dann nicht anderen Jungen und Mädchen seines Alters nach. Richard ist nur nicht davon begeistert, wie endgültig Julius nun auf diese, Ihre Welt geprägt ist."

"Das was er in Hogwarts und hier erlebt hat, hat ihn davon überzeugt, das er sehr gut leben kann, wenn er seine neue Situation hinnimmt und das für ihn angenehmste und beste herausholt", bemerkte Madame Delamontagne. Virginie räumte ein:

"Nun, anfangs ging das ja nicht so leicht. Offenbar ist er sehr scheu, was neue Umgebungen angeht."

"Nun, das haben dann wohl wir zu verantworten", erwiderte Martha Andrews leicht grinsend. "Immerhin wollten wir haben, daß er alles lernt und beherzigt, was er von uns bis zur Einschulung von Hogwarts gelernt hat. Ich kann mir auch nicht vorstellen, in dieser Situation, etwas völlig neues zu erleben, ja mich selbst völlig neu kennenzulernen, gelassen und wagemutig an die Dinge herangehen würde."

"Wieso wurde Julius eigentlich bei einer Lehrerin aus Beauxbatons untergebracht?" Setzte die Besucherin aus England an, jetzt schon mehr zu erfahren, als sie bisher erfuhr. Virginie und ihre Mutter tauschten kurz einen Blick aus und nickten. Dann sagte Madame Delamontagne:

"Es ergab sich deshalb, weil diese eben besondere Beziehungen zu sogenannten Muggelstämmigen hat und mit Ihrem Sohn so umzugehen verstand, daß er keinen Schaden davontrug."

"Nun, in Ihrer Einladung stand ja auch, daß ich diese Dame kennenlernen darf. Oder hat sich das mittlerweile wieder geändert?" Wollte Mrs. Andrews wissen.

"Nein, diese Ankündigung gilt. Sie werden Sie morgen kennenlernen. Allerdings spricht Sie Ihre Sprache nicht."

"Das war zu befürchten", sagte Martha Andrews und fügte in Gedanken hinzu, daß sie mit einer derartigen Auskunft gerechnet hatte.

Irgendwann im Verlauf des Abendessens kam Madame Delamontagne darauf, daß sie von Julius wußte, daß seine Mutter eine leidenschaftliche Schachspielerin sei. Mrs. Andrews bestätigte dies. Das brachte die beiden Frauen dazu, den restlichen Abend mit Schach zu beschließen, wobei Madame Delamontagne unbezauberte Schachfiguren benutzte, die von Hand versetzt werden mußten und sich nicht bewegten. Mrs. Andrews schätzte dieses Entgegenkommen sehr, vernachlässigte dabei aber nicht ihre Fertigkeiten. So kam es, daß die Partie erst nach dreieinhalb Stunden um kurz nach Mitternacht beendet wurde. Virginie und ihr Vater hatten sich schon um zehn Uhr schlafen gelegt. Mrs. Andrews hatte es geschafft, gegen die beleibte Hexe zu gewinnen, obwohl diese ihr einen sehr guten Kampf geliefert hatte.

"Ich verstehe, daß Ihr Sohn sehr gut gelernt hat, bei einer solch versierten Lehrerin", bedachte Madame Delamontagne ihren Gast mit einem Kompliment und wünschte der Besucherin eine gute Nachtruhe.

Mrs. Andrews zog sich in das Gästezimmer zurück und prüfte im Licht ihres elektronischen Reiseweckers, der anders als in Hogwarts üblich noch funktionierte, ob Anrufe auf ihrem Handy eingegangen waren. Dann schaltete sie das Mobiltelefon komplett ab, weil sie wußte, daß sie hier in Millemerveilles keine Möglichkeit haben würde, seinen Akku wieder aufzuladen.

Am nächsten Morgen sah Martha Andrews zu, wie Virginie auf ihrem Rennbesen zum Quidditchstadion flog, um dort mit der Dorfjugend zu trainieren. Da auch Julius wohl bei diesem Training dabei sein würde, nahm Mrs. Andrews das Angebot an, unter einem tarnumhang verhüllt mit Madame Delamontagne zum Quidditchstadion zu gehen, um sich das Spiel anzusehen. Martha Andrews war es zwar unheimlich, als das Zaubergewand aus einem sehr feinen, silbrigen Stoff über sie ausgebreitet wurde und sie sich unvermittelt nicht mehr sehen konnte, doch sie faszinierte die Vorstellung, Julius jetzt schon sehen zu können. Madame Delamontagne ging voran und wies ihrer Besucherin den Weg. Da es ja den Transportgesetzen nach nur in Notfällen gestattet war, Nichtzauberer auf einem Flugbesen mitzunehmen, mußten die beiden Frauen zu Fuß das Stadion aufsuchen. So kam es, daß das Spiel bereits in vollem Gange war, als die beiden eintrafen und sich auf den obersten Rang der Zuschauertribüne setzten.

Martha Andrews sah ihren Sohn sofort, der in seinem blauen Spielerumhang aus den Reihen in Waldmeistergrün und violett herausstach. Sie sah, daß sein Haar noch heller geworden und seine Haut von viel Sonne und frischer Luft gebräunt worden war. Doch auf das Aussehen konnte sie nicht groß achten, denn Julius stürzte sich leidenschaftlich und sehr flink ins Getümmel des mörderischen Spiels mit den vier Bällen. Ab und an zuckte sie unter dem luftig fließenden Tarnumhang zusammen, wenn Julius gerade soeben einem schwarzen Ball ausweichen konnte, der gezielt gegen ihn geschlagen worden war.

"Dieses Spiel ist ja gemeingefährlich", wandte sie ein, als ein Junge, der mit Julius zusammen spielte, von einem dieser schwarzen Bälle am Arm getroffen wurde und landen mußte.

"Das ist nicht zu bestreiten, Madame. Aber wie Sie sehen hat Ihr Sohn ein phänomenales Gespür dafür entwickelt, wenn ihn ein Klatscher anfliegt. Diese Form von Intuition ist bemerkenswert. Sehen Sie, jetzt hat er sich gerade so nach vorne geworfen, um einen von hinten anfliegenden Klatscher ins Leere schießen zu lassen und sich damit einen Vorteil erspielt."

"Ja, aber der junge Mann da unten hat sich doch den Arm gebrochen", bemerkte die unsichtbare Besucherin mit besorgter Stimme.

"Madame Matine behandelt ihn soeben", erwiderte Eleonore Delamontagne ruhig, als sei es nur nötig, ein Pflaster auf eine Schramme zu kleben. Mrs. Andrews sah, wie eine Frau in einer blaßrosa Tracht dem Jungen den Arm untersuchte und ihn dann mit ihrem Zauberstab irgendwie behexte. Eine halbe Minute später konnte der Junge den Arm wieder bewegen und locker damit hantieren. Eine Minute später flog er auch schon wieder auf, um im Spiel weiter mitzumischen.

 

__________

 

Julius war in Fahrt wie nie zuvor. Als wenn ihm sein Geburtstag mehr Kraft und Gewandtheit verlieh, wirbelte er auf seinem Sauberwisch 10 durch die Reihen der Mädchen, die gegen ihn und die älteren Jungzauberer von Millemerveilles spielten. Zweimal gelang ihm ein Tor gegen die immer besser auf ihn eingestimmte Barbara Lumière, die nur grinste, wenn sie den Quaffel hinter sich aus dem Torraum fischen mußte.

"Achtung, Yves!" Rief Bruno, der Mannschaftskapitän, als ein Klatscher um Haaresbreite an Julius vorbeigezischt war und nun den zweiten Jäger der Mannschaft aufs Korn nahm. Doch Yves konnte sich nicht rechtzeitig aus der Bahn werfen. Der Klatscher krachte unangenehm heftig gegen seinen linken Unterarm, der daraufhin schlaff wurde. Mit schmerzverzerrtem Gesicht landete Yves, während das Spiel eine Weile weiterlief. Julius schaffte mit Bruno eine Zweierformation, die zwar kein Tor erzielen konnte, aber dafür Jeanne, Seraphine und Virginie an der Nutzung ihrer Überzahl hindern konnte.

"César, der Quaffel!" Rief Bruno, als ihm der rote Spielball nach der Rückkehr von Yves aus der Reichweite geriet, weil er selbst einem doppelten Klatscherangriff ausweichen mußte. Der Quaffel wurde von Jeanne direkt auf das Tor zugetrieben, wo der rundliche César sich schnell hin- und herfliegend bereithielt. Gerade soeben noch erwischte er genau die Flugbahn des Quaffels und fing ihn ab, bevor er durch den rechten Ring schwirren konnte.

"Nix da, Jeannette Schnuckelchen", bedachte er den mißlungenen Torschuß spöttisch. Jeanne sah den Hüter wutverzerrt an, achtete dabei fast nicht auf einen Klatscher, der genau auf ihren Kopf zuflog.

"Verdammt, Jeanne!" Rief Seraphine, die todesmutig in die Flugbahn des schwarzen Balles raste und ihn gerade noch abzuschütteln schaffte, sodaß Jeanne die Gefahr erkannte und ebenfalls aus der Flugbahn des Balles flüchten konnte.

Eine Minute später bekam Julius den roten Spielball unter Kontrolle und tanzte mit Barbara vor den Torringen einen wilden Besentanz, bis es ihm gelang, den Ball durch den mittleren Ring zu passen.

"Eine Hundertstelsekunde nicht genau reagiert", erwiderte Barbara darauf und warf den Quaffel zurück ins Feld, direkt auf Virginie.

"Julius machte, daß er zum eigenen Torraum kam, um den Angriff der Junghexen zu stoppen. Er vermied gerade noch soeben einen Zusammenprall mit Seraphine, die sich von Virginie anspielen lassen wollte und stürzte sich mit überhöhter Geschwindigkeit auf den Quaffel. Dabei achtete er nicht auf das winzige goldene Ding, das genau in diesem Moment in seine Flugbahn flitzte. Er öffnete den Mund, um tief Luft zu holen, um dann den Quaffel zu packen und fing das kleine goldene Objekt unabsichtlich ein. Er beachtete nicht, wie es direkt durch seinen Rachen in die Speiseröhre geriet. Sein Körper war überflutet von Aufregung und Sinneseindrücken. So spürte er erst, daß etwas nicht stimmte, als er den roten Ball hatte und losflog, um Barbara erneut auszutricksen.

Ein Würgen überkam ihn, und er röchelte etwas, doch dann gelang es ihm, was immer es war, hinunterzuschlucken. Er hatte nicht darauf geachtet, was er sich da eingehandelt hatte. Er war nur froh, nicht zu ersticken. Er wollte den roten Ball gerade auf das Tor abwerfen, als Janine Dupont von hinten angerast kam, dicht gefolgt vom Sucher der grünen Sieben. Unvermittelt umschlang sie Julius Leib mit ihren Armen und zog den völlig perplexen Jungen von seinem Besen, bevor der Sucher der Jungenmannschaft herangekommen war.

"Mercredi!" Fluchte der Junge. Das Wort war zwar das französische Wort für Mittwoch, galt aber in dieser Sprache als gerade noch gültige Vermeidung eines Schimpfwortes.

"Was soll'n das, Janine?!" Zeterte Julius, der sich nicht recht wohlfühlte. Die etwas ältere Beauxbatons-Schülerin hatte ihn einfach zu sich auf den Besen geholt und durch eine geschmeidige Unterleibbewegung erreicht, daß Julius korrekt auf ihrem Ganymed zu sitzen kam, vor Janine. Sie landete den Besen, wie in einem Fahrstuhl waagerecht absinkend. Erst unten angelangt merkte Julius daß er wohl etwas in seinem Bauch hatte, das quicklebendig herumwirbelte, dabei gegen seine Magenwände prallte, und nicht den Eindruck machte, irgendwann Ruhe zu geben. Erst da erkannte Julius, was ihm da passiert war. Er sah Monsieur Castello, den zopfbärtigen Zauberer, der in Millemerveilles immer als Quidditch-Schiedsrichter auftrat, wie er lachend landete.

"Ach du meine Güte, ich habe ...", brachte Julius heraus, als ihn ein wildes Unwohlsein erfaßte.

"Das war das dreisteste, was du mit mir angestellt hast, Freundchen", bemerkte Janine Dupont, während Madame Matine in ihrer rosa Schwesterntracht heraneilte, einen Bronzekrug mit Deckel in den Händen.

Julius versuchte, das wilde Ding wieder auszuwürgen. Doch es ließ sich nicht so einfach wieder hervorbringen.

"Die Blumentöchter gewinnen 180 zu 90!" Verkündete Monsieur Castello lachend aber deutlich zu verstehen. "Gemäß der Ausnahmebestimmung von 1872 gilt bei einer versehentlichen Aufnahme des Schnatzes in den Körper eines Spielers, der nicht als Sucher spielt, der Schnatz als gefangen, wenn ein Sucher diesen Spieler unübersehbar zu fassen bekommt. In diesem Fall war das Mademoiselle Dupont." Weiter konnte Monsieur Castello nicht sprechen, weil ein ununterdrückbarer Lachkrampf ihn schüttelte.

"Du kannst den nicht so einfach auswürgen, Julius. Der Schnatz bewegt sich immer hin und her. Du spuckst nur dein Frühstück wieder aus, wenn du versuchst, ihn so freizukriegen. Außerdem besteht die Gefahr, daß der sich in deiner Speiseröhre verkeilt und du erstickst", sagte Madame Matine. "Du mußt erst was schlucken, was deine Speiseröhre geschmeidig macht. Dann muß ich ran, um das wilde Ding aus dir rauszuholen." Mit diesen Worten reichte sie Julius ein winziges Glas mit einer bläulichen Flüssigkeit. Julius sah auf das Glas und bekam unvermittelt einen Würganfall. Diesen unterdrückte er, nahm das Glas und stürzte dessen Inhalt mit Todesverachtung hinunter. Dann wartete er, was passieren würde. Doch außer einem Wärmegefühl, das sich vom Rachen bis zu seinem Magen erstreckte, geschah nichts, vom in seinem Magen herumflatternden Schnatz abgesehen.

"Maneto!" Sagte Madame Matine, als Julius seinen Mund weit geöffnet hatte, wie sie es ihm befahl. Vom Zauberstab der Heilhexe aus traf Julius eine Kraft, die ihn so hielt, wie er gerade stand, unfähig, irgendeine weitere Bewegung zu tun, allerdings nicht erstarrt oder steif, sondern einfach nur unfähig, irgendwas zu tun. Madame matine steckte ihren Zauberstab fort und holte zwei Gegenstände aus ihrer Instrumententasche: Einen runden Spiegel, so groß wie eine CD nur ohne Mittelloch und eine Kette, an der eine flache, wie eine Hummerschere beschaffene Zange aus Silber tänzelte.

"Gleich haben wir den kleinen Rabauken", sprach Madame Matine auf den bewegungsbannbetroffenen Julius ein. Janine hielt ihn immer noch umarmt, auch wenn sie der Bewegungsblocker nicht betraf. Sie sah zu, wie Madame Matine die silberne Zange zielgenau in Julius Hals einführte. Er konnte nichts dagegen tun, nicht einmal die Zunge bewegen. Er schmeckte zwar das warme Metall - warm? - aber konnte es nicht abwehren. Er fühlte, wie es in seinen Rachen glitt. ER spürte, wie Madame Matine den runden Spiegel an seinen Hals presste. Weil er aber den Kopf nicht um einen Millimeter bewegen konnte, sah er nicht, was das ganze sollte. ER spürte nur, wie die Kette, an der die silberne Zange hing, geschmeidig in seiner Speiseröhre versenkt wurde. Madame Matine schien mit dem runden Spiegelding das Herabsänken der silbernen Zange zu überwachen. Dann schob sie das runde Instrument langsam an Julius Brustkorb vorbei bis dahin, wo der Schnatz tobte. Sie nickte kurz, blickte dann konzentriert auf das runde Instrument und drehte ein wenig die Hand, die das Ende der langen Kette hielt. Irgendwie glaubte Julius, in seinem Bauch einen Klicklaut zu hören. Das Flattern und Poltern war vorbei. Doch nun fühlte er, wie etwas großes von unten durch seine Speiseröhre wieder hinaufglitt, merkwürdigerweise ohne einen Erstickungsanfall auszulösen. Eine Viertelminute später ploppte es in Julius Rachen, und wie einen Fisch am Angelhaken zog Madame Matine den goldenen Schnatz, von bläulichen öligem Schleim überzogen, eingeklemmt in der silbernen Zange, aus Julius Andrews' Mund.

"Monsieur Andrews, ich gratuliere Ihnen. Es ist ein prachtvoller Schnatz", sagte Madame Matine, als spräche sie zu einer Frau, die soeben Mutter geworden war. Julius konnte zwar nicht lachen oder grinsen, doch dieser Humor gefiel ihm. Oder war es die Routine der Geburtshelferin? Die Heilerin klappte den Kessel auf, den sie mitgebracht hatte. Eine Wolke weißen Dampfes, die beim umherwabern einen Geruch nach konzentriertem Spülmittel verbreitete, wich aus dem Kessel. Shnell ließ Madame Matine die Zange mit dem Schnatz in die brodelnde Brühe eintauchen, löste die wohl durch Fingerverlagerungen steuerbare Zange vom Schnatz, ließ sie gekonnt wie einen Jojo aus dem Kessel schnellen und klappte den Deckel zu. Innen im Kessel plätscherte etwas. Der Schnatz war nun sicher in der brodelnden, wohl reinigenden Lösung gefangen. Madame Matine reinigte die Zange mit etwas Alkohol und einer ähnlichen Lösung, wie sie wohl im Kessel enthalten war und packte sie wieder fort. Dann zog sie ihren Zauberstab hervor und hob den Bewegungsblocker auf.

Janine entließ den Hogwarts-Schüler aus der Umarmung, in der sie ihn von ihrem Anflug auf ihn bis nach der Landung gehalten hatte.

"Das passiert mir nicht noch mal", erwiderte Julius, der den bitteren Geschmack in seinem Mund durch viel Spucke zu überdecken versuchte.

"Das ist bislang nur vier Leuten passiert, daß sie den Schnatz verschluckt haben", wußte Jeanne zu berichten. Dann kam der Sucher der Jungenmannschaft und schimpfte:

"Mann, hättest du nicht sofort zu mir fliegen können?! Wußtest du das denn nicht, daß jemand, der den Schnatz aus Versehen in seinen Körper bekommt wie der Schnatz selbst eingefangen werden darf?! Mann, mußte das denn passieren? Wir waren doch so gut vorn!"

"Der Junge muß nicht die abgedrehtesten Regeln kennen", sprang Bruno dem Gast aus England bei. "Janine war einfach ein bißchen schneller als du, Miro."

Madame Matine kam mit einem großen Glas mit einer Mischung aus Fruchtsaft und Kräutern wieder und gab es Julius.

"Trink das in Ruhe aus, um deinen Verdauungsapparat zu beruhigen! Der Schnatz hat dir keine inneren Verletzungen beigebracht. Dieser Trank wird die Unruhe wieder beheben, die deine Aktion verursacht hat."

Julius trank folgsam den Becher leer und war dankbar, daß das Gebräu den bitteren Geschmack aus seinem Mund vertrieb.

"Kann er heute Mittag normal essen?" Fragte Jeanne. Madame Matine nickte zustimmend.

"Er kann essen, was reinpaßt, Mademoiselle. Das wäre ja auch zu schade, wenn er ausgerechnet heute nichts mehr essen oder trinken dürfte, oder?"

"Häh?!" Machte Julius. Madame Matine lächelte nur vielsagend und verabschiedete sich von dem Hogwarts-Schüler mit den Worten:

"Ich hole dich heute nachmittag wieder ab. Immerhin haben wir ja eine weitere Unterrichtsstunde abzuhalten."

Julius bekam seinen Besen wieder, den Jeanne nach Janines "Schnatzfang" mit einem Aufrufezauber zu Boden geholt hatte, bevor der davonfliegen konnte. So flog Julius hinter Jeanne her, die ihn zum Anwesen der Dusoleils zurückgeleitete.

"Oho, das hätte aber auch danebengehen können", stellte Julius fest. Wird mir Madame Matine noch eine Rechnung schicken, oder der Gerätewart der Mercurios?"

"Weder noch, Julius. Du bist unser Gast und als Mitbewohner unserer Familie und zugelassener Einzelflieger berechtigt, an den offiziellen Trainingseinheiten beim Quidditch mitzumachen, wenn wir dies erlauben. In dem Moment, wo du über dem Feld auf einem Besen fliegst, besser, wenn du das Signal bekommst, auf den Besen zu steigen, bist du genauso gegen Unfälle und Sachbeschädigung versichert, wie wir anderen auch. Sicher, die Heiler laufen da herum, damit sie nicht erst gerufen werden müssen, wenn was passiert. Aber sie bekommen natürlich auch Geld vom Schatzmeister der Mercurios, Monsieur Dupont. Und der wird sich köstlich amüsieren, wenn seine Tochter ihm erzählt, was passiert ist. Ein Schnatz an sich kostet seine zehn bis fünfzehn Galleonen, wenn er Profi-Standard haben soll, was bei uns natürlich garantiert ist. Aber, du mußt den nicht bezahlen. Das reinigungselixier, in das Madame Matine den Schnatz eingetaucht hat, spült alle Schmutzteilchen aus organischen Quellen ab. Das ist so ähnlich, wie Natronlauge, nur heftiger."

"Wieso kam Janine drauf, mich sofort anzufliegen?" Wollte Julius wissen.

"Weil sie die Quidditchregeln kennt, Julius. Als ich sie auf dich zufliegen sah, dachte ich nicht an den Schnatz. Ich glaubte zuerst, Janine hätte mit dir die Hexenwerbung gespielt. Aber als der kleine Miro von den Jungs so herumgezetert hat, war mir klar, was passiert ist. Ich habe dann deinen Besen zurückgeholt. Wäre ja schade, den ausgerechnet ein Jahr nachdem du ihn bekommen hast wieder zu verlieren."

"Ich hätte auch mein Leben verlieren können", erwiderte Julius ernst klingend. Dann fragte er:

"Die Hexenwerbung? Was ist denn das, Jeanne?"

"Das übliche Spiel, wenn eine Hexe es leid ist, darauf zu warten, daß der Zauberer, den sie sich ausgesucht hat, auf sie zukommt. Sie fliegt ihm einmal hinterher, ruft ihn beim namen und holt ihn sich im Flug auf ihren Besen. Am besten tut sie dies vor mehreren Zeugen, damit allen klar ist, daß sie das getan hat, um den Mann fürs Leben zu werben. Deshalb habe ich mich erst gefragt, was Janine von dir will, als sie von hinten auf dich zuflog."

"Moment, Jeanne! Eine Hexe kann einfach einen Zauberer im Flug auf ihren Besen holen, um ihn sich als Verlobten zu sichern?"

"Einfach nicht. Die Hexe sollte schon gut mit dem besagten Zauberer bekannt sein und der nichts dagegen haben, so umworben zu werden. Zauberer, die eine Hexe umwerben, bleiben bodenständig und umwerben sie mit Schmeicheleien und Gefälligkeiten, wie es wohl auch bei den Muggeln Sitte ist."

"Ach, und Hexen dürfen etwas direkter vorgehen?"

"Hexen waren zur Zeit der Druiden gleichberechtigt und konnten viel tun. Sie waren aber auch sehr beschäftigt und haben sich nicht damit begnügt, den Mann ihrer Wahl über Jahre zu umwerben. Wenn sie sich sicher waren, daß der und sonst keiner mit ihr das Leben teilen sollte, konnten sie durch die Hexenwerbung klarstellen, daß er zu ihnen gehörte. Sicher, damals gab es noch keine Flugbesen, aber sie haben es dann eben am Boden ausgeführt, indem sie dem Erwählten hinterhergingen und ihn dann eindeutig umarmten. Männer, so Maman und Tante Uranie, können häufig sehr unentschlossen sein, was die Bindung zu einer Frau angeht, weil sie sich gerne freihalten wollen."

"Hmm, aber was macht ein Zauberer, der nicht möchte, daß diese Hexe ihn umwirbt? Stell dir mal vor, irgendein Mädchen findet es total lustig, mich von hinten zu umschlingen und auf ihren Besen zu ziehen. Ich glaube nicht, daß mir das gefallen würde."

"Wie gesagt, Julius: Hexe und Zauberer müssen vor einer solchen Tat gut miteinander zurechtgekommen sein. Caro, Claire, Virginie oder gar Barbara würden nicht auf die Idee kommen, dich so unvermittelt auf ihren Besen zu holen. Da müßtest du schon vorher irgendwas angedeutet haben, daß sie dazu berechtigt. Professeur Pallas hat uns das in einer Geschichtsstunde mal sehr klar und deutlich beschrieben, wie ein Zauberer, der so umworben wurde, vor dem damaligen Zauberergericht geklagt hat. Es kam heraus, daß diese Hexe ihn nur umworben hat, um an das Vermögen seines Vaters zu gelangen. Deshalb wurde verbindlich beschlossen, daß die Hexenwerbung nur dann gültig ist, wenn Hexe und Zauberer vorher aufeinander zugegangen sind und der Zauberer nach der Hexenwerbung keinen triftigen Grund vorweisen kann, die Bindung zu verweigern. Dafür hat er einen vollen Mondzyklus Zeit. Kann oder will er nichts dagegen tun, findet zwei Monate nach der Hexenwerbung die Hochzeit statt. Das ist zwar irgendwie altmodisch, aber immer noch im Gebrauch", erklärte Jeanne.

"Hmm, ich weiß nicht, wie ich das jetzt fragen kann, ob ich das überhaupt fragen darf", druckste Julius herum, dem etwas einfiel, über das selbst bei den noch so freizügigen Muggeln niemand so offen sprechen wollte.

"Was?" Fragte Jeanne, die den Besenflug verlangsamte, um auf gleicher Höhe mit Julius zu bleiben.

"Nun, in der Muggelwelt gibt es Menschen, die nicht auf Menschen des anderen Geschlechts stehen, ja nur mit gleichgeschlechtlichen Mitmenschen innige Partnerschaften haben wollen."

"Achso, Julius. Ja das gibt es auch in der Zaubererwelt. Allerdings pflegen solche Hexen und Zauberer, das diskret zu handhaben. Wenn da ein solcher Zauberer von einer Hexe umworben wird, kann er das unter Ausschluß der Öffentlichkeit gestehen, was als ein triftiger Grund gilt, die Werbung zurückzuweisen. Jedem seine Lebensweise, solange er oder sie die Lebensweisen der Mitmenschen respektiert", erklärte Jeanne ganz ruhig, als wäre weder lustiges noch anstößiges daran, sowas zu diskutieren. Julius dachte daran, daß er sowas nicht mit Claire oder den erwachsenen Hexen und Zauberern bereden könnte.

"Aber ich gehe davon aus, daß du nicht diesen Grund anführen wirst. Davon hatten wir es ja schon bei Virginies Fest", stellte Jeanne noch mal heraus, daß sie bemerkt hatte, wie sich Julius langsam vom Kind zum Mann entwickelte.

"Wir sind da", sagte Jeanne nach einer Minute des Schweigens, als sie über dem Anwesen der Dusoleils waren.

Beim Mittagessen vermied es Julius, über das Quidditchspiel zu reden. Claire erzählte, daß sie am Morgen bei Professeur Faucon gelernt hatte, wie verfluchte Objekte unschädlich gemacht werden konnten, die ein gewisses Eigenleben besaßen. Julius aß reichlich. Nach dem Essen erzählte er Monsieur Dusoleil kurz, was passiert war, da Jeanne in der Küche auch ihrer Mutter erzählte, was sich ereignet hatte. Monsieur Dusoleil lachte schallend und meinte:

"Da hat dich Janine Dupont doch vom Besen gepflückt. Gut daß sie das getan hat und nicht Miro. Der kann zwar gut fliegen, aber den Soziusflug beherrscht er nicht."

"Der hat aber rumgepoltert, daß ich mich lieber von ihm hätte einfangen lassen sollen", erwiderte Julius. Monsieur Dusoleil lachte wieder.

"Sicher, ihr hättet ja gewonnen, wenn er dich und damit den Schnatz erwischt hätte. Wurde auch mal Zeit, daß die Mädchen wieder gewinnen, nachdem du bei den Jungs so gut mitspielst. Die rosten nachher noch ein."

"Die wollten, daß ich mitspiele", wandte Julius ein.

"Sicher wollten die das. Barbara und Jeanne freut es doch auch, daß du ihnen ein so gutes Training bietest. Deshalb lassen sie dich ja auch bei den Jungs mitspielen."

Madame Matine läutete um zwei Uhr an der Tür des Wohnhauses der Dusoleils und forderte Julius auf, mit ihr mitzukommen.

Die jeden Dienstag stattfindende Stunde des Grundkurses für magische Ersthilfe verlief für Julius anstrengend. Er mußte Griffe und Zauber erlernen, einen bewußtlosen Zauberer zu transportieren.

"Wichtig ist, daß du sicherstellst, daß der Kopf nicht frei herumwackeln kann, Julius. Ein Verletzter könnte sich das Genick gebrochen haben und nur noch leben, weil er in der stabilen Haltung für Kopf und Wirbelsäule liegenblieb. Also mußt du Hals und Nacken fixieren, also unbeweglich machen. Ich zeige dir das mal", sagte Madame Matine und deutete mit ihrem Zauberstab auf den Hals des Hogwarts-Schülers und sagte: "Spinastato." Unvermittelt meinte Julius, ein fester Ring aus Stahl würde sich komplett um seinen Hals und Nacken schließen, gerade so fest, daß er noch atmen konnte. Er versuchte, den Kopf zu wenden, schaffte es jedoch nicht, ihn nur einen Millimeter zu drehen oder zu kippen.

"Liberacorpus", murmelte Madame Matine, nachdem Julius sich über die Hals- und Nackenpartie getastet hatte und keine Spur eines Stahlrings finden konnte. Sofort verflog das Gefühl in einem unnachgiebigen Ring eingezwengt zu sein.Julius konnte seinen Kopf frei drehen und in alle Richtungen kippen.

"So und jetzt machst du das bei mir!" Befahl die Heilhexe. Julius tat es und schaffte es im ersten Ansatz, die Genicksperre korrekt anzubringen. Madame Matine lobte ihn, als er auch die Aufhebung des Fixierzaubers erfolgreich geschafft hatte.

"Der Liberacorpus ist ein genereller Körperbefreiungszauber. Allerdings gilt er nur für Schien- und Fixierzauber, die Heilkundler angebracht haben und muß exakt an der Körperpartie vorgenommen werden, die unbeweglich gemacht werden mußte."

Dann mußte Julius Madame Matine transportieren und anschließend auf einen großen Tisch wuchten. Sie ließ es sich so gefallen, als sei sie ohne Bewußtsein. Dann setzte sie sich auf, stieg vom Tisch herunter und sagte:

"Diese Übung mußt du höchst selten machen, hoffe ich. Normalerweise ist es die Aufgabe eines Heilmagiers, bewußtlose Hexen und Zauberer zu transportieren. Es könnte jedoch einmal nötig sein, jemanden von einer Unfallstelle fortzubringen, weil Gefahr besteht oder weil es unsinnig wäre, den magischen Notruf auszusenden, da ein Heilkundler in der Nähe zu finden ist. Deshalb wiederholen wir das noch dreimal."

Nachdem Julius das volle Programm mit Nackenfixierung und Transport dreimal hintereinander hinbekommen hatte, unterhielten sich die Lehrerin und der Schüler darüber, welche Instrumente es gab, um Patienten zu untersuchen oder zu heilen. So erfuhr Julius, daß die magischen Mithörmuscheln, welche er bei Prazap gesehen hatte, sehr gut dazu dienten, den Herzschlag eines Menschen ob geboren oder ungeboren zu überwachen. Julius erfuhr auch, daß es neben den Untersuchungszaubern auch magische Geräte gab, um wie mit einer Röntgenanlage in einen Menschen hineinzusehen.

"für mich als Geburtshelferin ist das sehr wichtig, die Lage eines Ungeborenen zu sehen und ohne diese Schnippelei, welche die Muggelchirurgen verwenden müssen, einzugreifen, falls für Mutter und Kind eine Gefahr besteht. In der nächsten Stunde zeige ich dir das."

Julius durfte dann noch mit einem Paar der Mithörmuscheln seinen eigenen Herzschlag prüfen, wozu ihm der silberne Sekundenzeiger seiner Armbanduhr nützlich war. Danach ließ sich Madame Matine ihren Herzschlag abhören, wobei sie die schwarze der beiden Muscheln unter ihren Umhang schob und Julius sich die weiße ans Ohr hielt und dann eine Viertelminute lang die deutlich hörbaren Herzschläge zählte. Dann sagte er:

"Im Moment haben Sie einen Puls von 64, Madame. Ich weiß nicht genau, wieviele Herzschläge eine Hexe Ihres Alters als Gesund bezeichnet. Aber im Moment denke ich, ist das im normalen Rahmen, so wie bei mir auch."

"Sehr gut. Diese Armbanduhr ist sehr hilfreich, wenn du die genauen Atemzüge pro Minute zählen willst."

Julius gab die weiße Mithörmuschel zurück und ließ sich nach beendigung der Stunde zum Haus der Dusoleils zurückfliegen.

"Hallo, Hera!" Rief Madame Dusoleil nach oben, als der Arbeits- und Transportbesen mit der Heilhexe und Julius zur Landung ansetzte.

"Hallo, Camille. komme ich noch rechtzeitig?"

"Wir haben noch eine Viertelstunde. Julius kann sich ruhig umziehen", erwiderte Madame Dusoleil.

Madame Matine wartete, bis Julius vom Besen abgestiegen war, dann wandte sie sich ihm zu, holte aus einer bezauberten Tragetasche ein kleines Paket heraus und wünschte:

"Alles gute zu ihrem dreizehnten Geburtstag, Monsieur Andrews. Dies ist mein bescheidener Beitrag zu ihrem Ehrentag. Bis zum nächsten Dienstag." Dann flog sie davon und ließ Julius perplex zurück.

"Mon Cher, hast du denn gedacht, Hera wüßte nicht, daß du heute Geburtstag hast", grinste Madame Dusoleil. Dann nahm sie Julius vorsichtig das Paket aus der Hand und bestimmte: "Das packst du erst mit den anderen Geschenken zusammen aus."

Julius hatte noch fünf Minuten Zeit, bis er sich für den Empfang seiner Gäste bereithalten sollte. Diese Zeit nutzte er, um sich den tulpenroten Umhang anzuziehen, den er mitgebracht hatte. Er kämmte sich noch mal das Haar, wobei er die Frisurfixiertropfen von Mrs. Porter benutzte und stieg dann voll erwartungsvoller Spannung und Vorfreude hinunter zum Erdgeschoß, wo Madame Dusoleil ihn noch mal begutachtete.

"Du hättest doch den grünen Umhang anziehen können, den du mithast. Aber so kannst du ruhig mitfeiern. Setz dich auf den Stuhl in der Eingangsdiele und bleib ganz entspannt sitzen! Florymont hat ihn und die Tür so bezaubert, daß die, die dich besuchen möchten, Zutritt erlangen, so wie du das bei Claire mitbekommen hast. Aurora kommt übrigens als letzte her, hat sie geschrieben. Du wartest solange, bis sie da ist. Immer wieder aufzustehen, und Leute einzulassen, ist auf die Dauer anstrengend."

Julius nickte zustimmend, wenngleich die Mutter Jeannes, Claires und Denises mit einer für ihn unangenehmen ernsten Betonung sprach, als gelte es, ihn möglichst gut vorbereitet vor Publikum auftreten zu lassen. Julius erinnerte sich merkwürdigerweise an eine Fernsehsendung, in der Kinder berühmte Popstars nachahmten und dachte sich, daß deren Eltern die sehr ernst angespornt hatten.

Julius nahm auf dem hochlehnigen Stuhl platz. Er fühlte sich warm und weich an, als sei er nicht aus Holz, sondern aus frischen Daunenfedern gemacht. Wahrscheinlich war das der Zauber, überlegte der Hogwarts-Schüler.

"Tritt ein, oh Gast! Genieß die Rast!" Sprach eine magische Stimme von der Tür her, als diese aufschwang, ohne das jemand sie berührt hätte. Seraphine stand lächelnd in einem stahlblauen Umhang im Türrahmen, sah Julius und grinste über das ganze Gesicht.

"Hat die Madame dich auf den Empfangsthron gesetzt, Julius?" Fragte die Jahresbeste von Beauxbatons. Das Geburtstagskind nickte und erwiderte:

"Wenn ich aufstehe, bevor der letzte Gast hier ist, wird der Stuhl unter Strom gesetzt und zerbrutzelt mich."

"Ach du frecher Bursche", lachte Seraphine und schlang ihre Arme flüchtig um Julius. Dann holte sie aus ihrer Umhängetasche ein Paket und überreichte es dem nun dreizehnjährigen Jungzauberer. Madame Dusoleil steckte ihren Kopf aus der Küchentür und bedeutete Seraphine, das Paket ins Esszimmer zu bringen, dort sei der Stapel der bereits überbrachten Geschenke aufbewahrt. Seraphine fragte Julius noch:

"Und geht es dir nach dem Schnatzfang wieder gut?"

"Oh ja, Seraphine. Ich hatte nur Angst, Janine wolle sich mit mir verloben oder sowas. Jeanne hat mir das von der Hexenwerbung erzählt."

"Janine hat Octavian sicher. Der braucht noch nicht einmal von ihr auf den Besen gezogen zu werden", lachte Seraphine und schlüpfte kurz ins Esszimmer, um das Geschenk für Julius dort abzulegen. Dann kam sie wieder heraus und begab sich auf die Terrasse, wo wohl die Kaffeetafel vorbereitet worden war.

"Unter den magischen Begrüßungsworten schwang die Haustür erneut auf und gab Elisa und Dorian den Weg frei. Elisa hatte sich rosig geschminkt und ihre Haare geschmeidig und glitzernd frisiert. Sie trug einen himbeerfarbenen Umhang, der einem Festkleid ähnelte. Dorian trug ebenfalls einen himbeerfarbenen Umhang, allerdings mit einem steifen und spitzen Kragen und seinen blaßblauen Zaubererhut, der zur Beauxbatons-Schuluniform gehörte.

"Hallo, du? Gut, daß du heute morgen Quidditch gespielt hast. Die Alte hat uns heftig runtergeputzt, weil wir diesen allgemeinen Fluchbrecher für kleinere Verwünschungen vermasselt haben. Die ist heute nicht gut drauf", sagte Dorian. Seine Freundin Elisa nickte sehr heftig, um seine Worte zu bestätigen.

"Sie ist eine Perfektionistin, Dorian. Die will, daß ihr das könnt, was sie euch eintrichtern will.

"Und du hättest fast unseren Schnatz gefressen?" Fragte Elisa belustigt.

"Das war nicht mit Absicht. Madame Matine mußte ihn wieder rausholen", erwiderte Julius.

"Tja, das ist sie ja so gewöhnt, was kleines quirliges aus anderen Leuten rauszuholen", bedachte Dorian Julius' Worte gehässig. Madame Dusoleil, die wohl aufpasste, daß keiner sich vertat oder verirrte, zeigte sich wieder und räusperte sich.

"Ich denke, deine Maman war froh, als du quirliger Bursche endlich an die frische Luft kamst", sagte sie grinsend. Dann wies sie die beiden Gäste an, wo sie die Geschenke und dann sich selbst unterbringen sollten.

Die nächsten Gäste waren Caro und Bruno. Caro hatte sich noch auffälliger auf junge Dame geschminkt und ein heidekrautfarbenes Seidenkleid mit Rüschen angezogen. Sie umarmte Julius etwas mehr als für eine Begrüßung zwischen Dame und Herr gestattet war, ließ aber sofort wieder von ihm ab, als Madame Dusoleil aus der Küche lugte und die Neuankömmlinge betrachtete. Bruno hatte sich einen himmelblauen Umhang mit sonnengelbem Kragen angezogen und stellte sich kerzengerade vor Julius hin. Als dieser aufstand, landete je ein deftiger Klaps auf seiner linken und rechten Schulter.

"Willkommen im Club der tatendurstigen Jungs, die aufbrechen, zu Männern zu werden!" Fügte der Kapitän der grünen Sieben, der Jungen-Quidditchmannschaft dem bereits ausgesprochenen Glückwunsch noch hinzu.

"Ja, Monsieur, und dafür ist es Zeit genug", bedachte Madame Dusoleil den fast erwachsenen Zauberer mit einer ernsthaften Bemerkung.

Nachdem auch diese beiden Gäste ihre Geschenke verstaut hatten begaben sie sich in den Garten, wo sie von Mademoiselle Dusoleil an einen Tisch kommandiert wurden.

Die nächsten Gäste waren die Dusoleils, außer Madame Dusoleil, die in der Küche blieb. Monsieur Dusoleil beglückwünschte Julius noch mal, dann kam Mademoiselle Dusoleil, die ein fliederfarbenes Kleid trug, dann Jeanne in ihrem Walpurgisnacht-Festumhang, dann Denise, die einen mit Sternen gemusterten mitternachtsblauen Rock und eine weiße Bluse trug. Abschließend trat Claire in ihrem rotgoldenen Tanzkleid auf Julius zu und umarmte ihn innig. Sie gratulierte dem Gastbruder noch mal. Dann schnupperte sie und sagte:

"Caro hat ihr Parfüm an dir gelassen."

"Entschuldigung, junge Dame, aber ich fürchte, wir können dem jungen Monsieur nicht gratulieren, wenn sie ihn so umschlungen halten", lachte Madame Delamontagne. Claire ließ sofort von Julius ab und lief so rot an, daß ihr Gesicht fast die Farbe ihres Umhangs annahm. Madame Dusoleil lachte belustigt über die heftige Verlegenheit ihrer mittleren Tochter, die sich wortlos auf die Terrasse davonstahl.

Madame Delamontagne trug etwas, das wie gewebtes Himmelblau aussah. Es war ein Umhang aus einem solch dünnen und fließenden Stoff, daß das Geburtstagskind meinte, sie sei in Luft gehüllt. In ihrem strohblondem Haar steckte eine weiße Perlenschnur, die sich mehrmals den strammen Zopf entlangschlängelte. Sonst trug die Dorfrätin keinen Schmuck. Virginie, die mit ihrer Mutter gekommen war, hatte sich ein wolkenweißes Kleid angezogen, daß wie ein Ballettkleid aussah und trug dazu passende weiße Schuhe. Sie hatte sich ihr ebenfalls strohblondes Haar mit Goldfäden durchflochten. Sie gratulierte Julius noch mal zum Geburtstag und deutete dann hinter sich, wo eine weitere Frau mit mittelblondem Haar in einem dunkelblauen Festtagskleid stand. Julius fühlte sich unmittelbar so, als habe ihn jemand in einen Brunnenschacht geworfen, der in heißem und dann kalten Wasser endete, so schwindelig und durcheinander fühlte er sich.

"M-mum?!" Brachte er beinahe atemlos heraus, als ihn die Begleiterin der Delamontagnes sehr erfreut anstrahlte und sogleich auf ihn zulief, ihn vom Stuhl pflückte und in eine so feste Umarmung schloß, als wolle sie ihn nie wieder loslassen.

"Mum! Das gibt es doch nicht!" Rief Julius, nachdem er ganze zehn Sekunden gebraucht hatte, um diese Überraschung zu verdauen. Er hätte niemals damit gerechnet, daß seine Mutter hier in Millemerveilles auftauchen würde. Ja, er wußte, daß Nichtzauberer gar nicht erst in dieses Dorf gelangen konnten, weil ein Verscheuchungszauber sie zurückjagte, bevor sie das Dorf zu sehen bekamen. Er freute sich so unbändig, das er unvermittelt mit beiden Beinen gleichzeitig vom Boden abhob und seine Mutter dabei fast umwarf. Doch dann traf ihn eine andere Gefühlswoge ziemlich heftig, und er mußte sich sofort dagegen stemmen, um nicht den Eindruck zu vermitteln, der Besuch seiner Mutter sei ihm alles andere als angenehm. Denn er dachte urplötzlich an Madame Faucon, die er ja auch eingeladen hatte. Was wäre, wenn sie und seine Mutter sich hier begegneten? Wie würde seine Mutter das verkraften, daß Madame Faucon, die gestrenge Großmutter von Babette, eine echte Hexe war?

"Freust du dich nicht mehr, Julius? Oder ist es dir peinlich, daß ich dich so heftig begrüßt habe?" Wollte Martha Andrews mit besorgter Miene wissen. Julius räusperte sich und sagte:

"Ich dachte nur daran, daß du wohl ziemliche Probleme hattest, herzukommen und auch daran, was Paps sagen würde, daß du hier bist."

"Dein Paps zog es vor, diese Woche mit seinem alten Laborfreund Alain Lavoissier in Toulouse an einem Kongress teilzunehmen als sich darum zu scheren, wie du deinen Geburtstag verbringst. Ich habe Catherine gesagt, ich wolle mir für drei Tage die Schlösser der Loire ansehen, denn ich bin schon seit gestern hier."

"Das haben die gut hingekriegt", lachte Julius nun wieder von überschwenglicher Freude erfüllt. Er dachte nicht an Catherine oder Madame Faucon. Wahrscheinlich waren sie beide eingeweiht, und Madame Faucon würde nicht herkommen.

"Wie bist du denn hergekommen?" Fragte Julius seine Mutter.

"Das erzähle ich dir später. Die Dame dort in der Tür möchte mir wohl was sagen", erwiderte Mrs. Andrews und lächelte Madame Dusoleil an, die ebenfalls sehr freundlich lächelte und sagte:

"Bien venu à notre maison, Madame Andrews."

"Mercie beaucoup, Madame Dusoleil", erwiderte Mrs. Andrews sehr glücklich. Madame Delamontagne stellte die beiden Frauen noch mal korrekt einander vor und übersetzte dann ins Englische, daß Mrs. Andrews mit ihr und Virginie in den Garten gehen und sich von ihrer Schwägerin den ehrenplatz anweisen lassen möge. Mrs. Andrews nickte zustimmend und folgte der fülligen Dorfrätin. Virginie sagte noch:

"Deine Mutter ist nett und klug, Julius. Sie hat mit uns sehr viel gesprochen, ohne sich unbehaglich oder angewidert zu fühlen."

"War sie heute morgen auch im Stadion? Ich sah deine Mutter allein oben sitzen, als ich mal etwas Luft holen konnte", wandte sich Julius an seine Ferienklassenkameradin. Diese grinste und nickte.

"Maman hat sie unter einem Tarnumhang verschwinden lassen. Wir mußten ihr nach dem Spiel erklären, daß Madame Matine dich schnell von diesem Schnatz befreit hat. Sie wunderte sich auch über Janine. Aber wir konnten ihr erklären, was Janine von dir wollte: Den Schnatz allein."

Auf den Ruf ihrer Mutter eilte Virginie mit wedelndem Zopf zur Gartentür hinaus.

"Wußten Sie das?" Fragte Julius Madame Dusoleil, die gerade wieder in der Küche verschwinden wollte. Sie drehte sich um und strahlte ihn mütterlich an.

"Natürlich wußte ich das. Eleonore und Blanche haben es mir gestern geschrieben. Ich freue mich sehr, daß sie herkommen wollte."

"Hmm, dann wird Madame Faucon wohl nicht ...", setzte Julius auf französisch an, als die Stimme einer älteren Frau in quäkigem amerikanischem Englisch rief:

"Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Honey! Das war sehr nett von dir, uns einzuladen. Ich freue mich sehr, daß ich die Mädchen begleiten darf."

Der Hogwarts-Schüler wirbelte herum und sah in vier strahlende Gesichter. Das ihm am nächsten gehörte Mrs. Jane Porter, Glorias Großmutter, die seit Jahrzehnten schon in New Orleans lebte. Sie trug ein geblümtes Kleid und ihren berühmten Strohhut über dem graublonden Schopf. Hinter ihr standen auf gleicher Höhe Mrs. Dione Porter in einem seegrünen Seidenkleid mit weißer Spitze an Saum und Ärmeln, sowie Gloria Porter, die ein apfelgrünes Kleid und eine silberne Halskette trug. Dahinter stand leicht verschüchtert ein zierliches Mädchen in einem wasserblauen Kleid, das farblich genau auf ihre Augen abgestimmt war und strich sich verlegen über ihren hellblonden Zopf. Es war Pina Watermelon, Julius' und Glorias Haus- und Klassenkameradin und neben Gloria, Kevin und den Hollingsworth-Zwillingen Julius' beste Freundin in Hogwarts.

Erst umarmte ihn die untersetzte ältere Hexe aus den Staaten und küßte ihm flüchtig die Wangen. Dann beglückwünschte Mrs. Dione Porter den Dreizehnjährigen und umarmte ihn ebenfalls. Danach kam Gloria an die Reihe, die Julius ebenfalls an sich drückte und ihm zuhauchte:

"Jetzt hast du mich altersmäßig wieder eingeholt. Verträgst du dich noch gut mit den Mädchen hier?"

"Nur mit den Jungs, Gloria", erlaubte sich Julius eine Frechheit. Dann kam Pina und schloß ihn für eine Zehntelsekunde in die Arme.

"Das ist sehr nett, daß du uns eingeladen hast. Glorias Oma hat uns ziemlich gut auf Trab gehalten. Wir kamen heute mit so einer fliegenden Lichtkugel an, die direkt aus New Orleans nach Paris flog und um uns herum im Boden verschwand. Dann floh-pulverten wir aus einer Straße, die wohl Rue de Camouflage heißt in den Gasthof da bei dem Teich mit den Bronzefiguren", sprudelte es aus Pina heraus, die mit hochroten Wangen den Freund und Hauskameraden anstrahlte.

"Schön, daß du da bist, Pina", flüsterte Julius ehrlich gerührt, daß Leute von so weit her Kosten und Mühen auf sich nahmen, zu ihm zu kommen.

"Ist die gute Bläänch schon hier. Ich möchte dem alten Mädchen doch gerne guten Tag sagen", wandte sich Glorias Oma an Julius. Dieser lief rot an, weil ihm wieder einfiel, daß es wohl nicht gerade gut sei, wenn Madame Faucon noch hier aufkreuzte und das dann seine Schuld war. Er sagte:

"Madame Faucon, falls Sie diese meinten, ist noch nicht hier. Ich glaube auch nicht, daß sie herkommt. Denn meine Mutter ..., meine Mutter ist da, Mrs. Porter."

"Oha, die nette Dame, die Plinius und Dione nach Hogwarts begleitet hat. Hat dein Vater zu viel Angst vor bösen Hexen?" Erwiderte die ältere Porter-Hexe mit einer künstlich bösartig klingenden Stimme und krönte diese Frage mit einem gehässigen Kichern. Dann meinte sie:

"Mach dir keine Sorgen, Honey! Falls Bläänch hier eintrifft, beschütze ich deine Mom vor ihr."

"Wünsche einen schönen guten Tag, Mesdames und Mesdemoiselles", begrüßte Madame Dusoleil die vier Gäste, die wohl direkt über den großen Teich gekommen waren, nur um bei Julius' zu sein. Mrs. Jane Porter, Gloria und ihre Mutter erwiderten den Gruß in französischer Sprache. Pina lief rot an. Sie konnte diese Sprache nicht, und das war ihr unangenehm.

"Darf ich Sie und euch erst einladen, den Ortszeitanpassungstrank zu nehmen? Sie haben ja im Moment einen anderen Tag-Nacht-Rhythmus", sagte Madame Dusoleil und zeigte ein Fläschchen mit einem Etikett, worauf eine Uhr mit Ziffernblatt zu erkennen war. Die Porters und Pina nickten, als Gloria es kurz übersetzt hatte. Sie tranken aus kleinen Bechergläsern und fühlten sich danach ungleich frischer als ohnehin schon. Die Zeitumstellung war nun durch den Zaubertrank in einem Schluck passiert, wußte Julius. Dann schickte die Hausherrin die Gäste auf die Terrasse.

Als nächste Gäste trafen die Hollingsworths, Mutter und Schwestern ein. Alle trugen sie rosarote Kleider und silberne Spangen im Haar. Julius freute sich, auch die beiden Freundinnen aus Hufflepuff wiederzusehen. Mrs. Hollingsworth erklärte Julius, daß ihr Mann gerade was wichtiges zu tun hatte und nicht mitkommen konnte. Aber sie bedankte sich für die Einladung und erwies der Hausherrin danach auf Französisch ihre Wertschätzung. Sie bedankte sich auch noch mal für die Erlaubnis, beim internationalen Kräuterkundetreffen dabei sein zu dürfen. Immerhin hatte sie einen sehr erfolgreichen Artikel für den Tagespropheten daraus gemacht. Dann sagte Julius zu den Zwillingen:

"Meine Mutter ist hier, Mädels. Die haben sie irgendwie herbekommen. Das ist der absolute Überhammer."

"Oh, das ist schade. Dann treffen wir Madame Faucon ja nicht", flüsterte Betty geheimnisvoll. Julius nickte etwas unsicher und erbleichte sogleich. Denn unvermittelt trat erhaben und willensstark dreinschauend, gehüllt in das königsblaue, bis zu den Waden herabfallende Kleid, mit dem ihrer Figur ein schlankeres Aussehen verleihenden silbergrauen Schmuckgürtel um die Taille, das schwarze Haar seidigweich und glänzend zum Zopf frisiert, Madame Blanche Faucon durch die sich auftuende Haustür und steuerte auf Julius zu. Sie lächelte. Doch es war das Lächeln einer Frau, die ein gutes Gesicht zu einem ungewissen Spiel machte. Julius fühlte sich wieder so, als würde er in einen tiefen Schacht hinabstürzen und vermochte nicht, vom bezauberten Empfangsstuhl aufzustehen, um die würdige Lehrerin zu begrüßen. Erst als sie aufrecht und erwartungsvoll vor ihm stand, hievte er seinen Körper, der irgendwie um Tonnen schwerer geworden zu sein schien, vom Sitz hoch und begrüßte Madame Faucon. Schnell stieß er flüsternd aus:

"Meine Mutter ist hier, Madame. Ich weiß nicht, ob das ..."

"... so geplant war? Gewiß Monsieur. Es wird Zeit, dem Spiel ein Ende zu machen. Catherine kommt auch gleich. Du hast uns schließlich eingeladen, oder sind wir dir nicht mehr willkommen?" Brach Madame Faucon Julius' Redeschwall ab. Julius wechselte in einem winzigen Augenblick von Bleich zu Tomatenrot. Sein Gesicht begann zu brennen, als läge es auf einer heißer werdenden Herdplatte.

"J-ja, n-natürlich gilt meine Einladung noch, M-madame. A-aber ich weiß nicht, wie meine Mutter ...", stammelte der Hogwarts-Schüler, dessen Gehirn von der Woge so unterschiedlicher Gefühle überflutet war, daß er weder klare Gedanken noch Worte fand.

"Nicht stammeln, junger Mann!" Maßregelte Madame Faucon den Jungzauberer halblaut. "Deine Mutter ist wohl vernünftig genug und wird es verkraften. Sie ist schließlich erwachsen."

"Blanche, wir sind auf der Terrasse. Uranie hat denen aus England, die Französisch können schon erzählt, daß sie nur Französisch mit dir sprechen mögen, wie du es gewollt hast."

"Sehr zuvorkommend, Camille", erwiderte Madame Faucon. Dann nahm sie Julius kurz in die Arme, wie ein Enkelkind, das sie vor einer schweren Aufgabe noch mal ermutigen wollte und flüsterte:

"Mach dir keine Sorgen. Wir bekommen das hin. Außerdem ahnt deine Mutter es sowieso schon, und dein Vater hat extra nach mir gesucht, um zu klären, ob ich nicht eine von denen bin, die dich ihm weggenommen haben. Mach dir keine Sorgen, mon Cher!"

Julius sah der Beauxbatons-Lehrerin nach, wie sie ihr Geschenkpaket, daß wohl aus mehreren Büchern bestand, im Wohnzimmer unterbrachte und dann selbstbewußt durch die Gartentür hinausschritt. Julius sprang von einem unmittelbaren Impuls getrieben auf und wollte Madame Faucon nachlaufen. Doch Madame Dusoleil, die noch in der offenen Küchentür stand, schüttelte sehr energisch den Kopf und deutete bestimmend auf den Stuhl.

"Ich sagte, daß du solange im Flur bleibst, bis alle da sind! Aurora kommt als letzte. Erst wenn sie im Garten ist, bringe ich dich zu deiner Mutter", gab sie mit dem Gesichtsausdruck einer unerbittlichen Mutter zu verstehen. Julius wußte, daß er sich nur unnötigen Ärger einhandelte, wenn er nicht gehorchte und ließ sich seufzend auf den Stuhl sinken. Kaum berührte sein Hinterteil die Sitzfläche, flog die Tür auf, die magische Begrüßung sprudelte übereilt in den Raum, und Barbara Lumière trat mit einem flachen Päckchen unter dem linken Arm ein.

"Ich dachte schon, Monsieur Dusoleil hätte was am Willkommenszauber vergessen. Herzlichen Glückwunsch, Julius! Wie siehst du denn aus? Hat Madame Matine dir nicht so gut helfen können, wie wir alle dachten?"

"Hallo, Barbara. Schön, daß du kommen konntest. Wie geht es deiner Mutter und den beiden Kleinen?"

"Sie, Jacques und Papa lassen schön grüßen. Jacques hat mich noch aufgezogen, daß du mich ja nur eingeladen hättest, weil ich dich dazu überredet hätte. Aber wieso kommst du auf meine Familie?" Wunderte sich das athletische Mädchen, das seinen Körper in ein wohlgefälliges zimtrotes Kleid gehüllt hatte.

"meine Mutter ist hier. Madame Faucon, die meine Mutter nicht als Hexe kennengelernt hat ist auch da. Das schmeckt nach Ärger."

"Nicht für dich, Julius. Maman hat sowas angedeutet, daß Madame Delamontagne und Madame Faucon etwas besonderes für dich angesetzt haben. Aber du kriegst heute bestimmt keinen Ärger", sagte Barbara und umarmte Julius wie eine große Schwester ihren kleinen Bruder, den sie trösten muß. Dann schnupperte sie und meinte:

"Oh, die Mademoiselle Renard ist auch zugegen. Daß die nette Claire dich mit ihrem Parfüm benetzt, wenn sie dich begrüßt, ist mir ja klar, aber Caro mußte es wohl wieder mal ausprobieren, wie?"

"Womit ich das auch immer verschuldet habe", erwiderte Julius schüchtern. Barbara lachte mädchenhaft und ließ sich von Madame Dusoleil zeigen, wo sie das Geschenkpaket hinlegen möge. In diesem Moment betrat Catherine Brickston lächelnd dann strahlend das Haus und schlang Julius ohne Vorwarnung in eine innige Umarmung.

"Alles gute zum Geburtstag, Julius. Maman ist schon hier? Eleonore hat uns empfohlen im Abstand von fünf Minuten zu erscheinen."

"Deine Maman ist hier, sowie meine Maman, Catherine. Aber das hast du offenbar angezettelt."

"Ganz genau, Julius. Als ich noch gehört habe, daß du Babette in der Rue de Camouflage getroffen und ihr auf Befehl von Eleonore was vorgezaubert hast, war ich froh, mich ihr heute offenbaren zu können. Deinem Vater ist noch nicht zu helfen, so leid mir das tut, Julius. Aber wegen ihm sollst du nicht den Kontakt zu deinen Eltern verlieren. Wenn Camille mir gezeigt hat, wo ich meine Gabe für dich ablegen darf, gehe ich hinaus und begrüße deine Mutter. Sie wird schon damit zu Rande kommen, zumal ich ihr erzählen werde, wie erstaunt ich war, als Maman mir schrieb, daß du einer von uns bist. Am besten bleiben wir dabei, daß du erst hier erfuhrst, wer Maman ist. Dann passiert deiner Mutter nichts."

"Passieren? Was würde ihr denn ... Ach Catherine!" Erwiderte Julius, der zunächst geglaubt hatte, Catherine spreche eine Drohung aus. Doch dann fand er seine gute Laune wieder und lachte.

Als Catherine durch die Hintertür auf die Terrasse verschwand, lauschte Julius auf jedes Geräusch. Aber er hörte weder einen empörten Aufschrei, noch irgendwas, das verriet, wie seine Mutter reagiert hatte.

Das fröhliche Kichern zweier Mädchen oder junger Frauen näherte sich der Haustür, die willig den Weg freigab und die beiden Gäste begrüßte, die noch zu Julius' Feier kamen.

"Danke noch mal für die Einladung, Julius und alles gute zum Dreizehnten!" Wünschte eine Frohsinn und Leichtigkeit versprühende Aurora Dawn, die ein rubinrotes Kleid trug und ihr langes schwarzes Haar geschmeidig und fließend frisiert hatte. Sie sah den Hogwarts-Schüler aus ihren graugrünen Augen an, als wolle sie ihn mit ihrer überschwenglichen Heiterkeit förmlich aufladen, wie eine Batterie, die fast am Ende war.

Dann beglückwünschte ihn noch eine junge Frau im hellroten Kleid mit Spitzenbesatz, die rotbraunes Haar besaß. Es war Arcadia Priestley, die jüngste Tochter von Julius' derzeitigen Fürsorgern.

"Mutter hat beschlossen, daß wenigstens ich herkomme, da sie leider zu viel im Ministerium zu tun hat, Julius. Ich konnte dich ja nicht mit meiner lebenslustigen Cousine alleine feiern lassen", fügte Arcadia ihrem Geburtstagsglückwunsch hinzu. Madame Dusoleil begrüßte die beiden Hexen auf Französisch. Arcadia bedankte sich mit starkem Akzent für die Einladung, nach der Feier unter ihrem Dach übernachten zu dürfen. Aurora nickte und fügte hinzu:

"Wir haben von den Porters und den Hollingsworths gehört, daß die im Chapeau jetzt zwei Sickel mehr die Nacht nehmen. Ist das schon der Vorlauf für die nächste Quidditch-Weltmeisterschaft, Camille?"

"Nein, Aurora, das ist dem alten Renard nur so eingefallen, weil Madame Maxime ihm letztes Jahr nur zwei Galleonen für zwanzig ihrer Schüler gezahlt hat. Der hätte gerne mehr an denen verdient, die mit ihr von hier aus losgezogen sind", erwiderte Madame Dusoleil. Die drei Hexen lachten, wenngleich Arcadia wohl noch eine Bedenksekunde brauchte, um zu verstehen, was die Hausherrin gesagt hatte. Aurora Dawn wandte sich noch mal an Julius:

"Und kommst du mit Madame Matine gut aus?"

"Sie ist umgänglicher, als du sie beschrieben hast. Nächste woche sind wir schon beim Kinderkriegen", erlaubte sich Julius eine Zweideutigkeit. Aurora lachte schallend los, und Madame Dusoleil konnte nur "So ein Strolch", hervorbringen, bevor auch sie einem Lachanfall nachgeben mußte.

Aurora Dawn und Arcadia Priestley verstauten die Mitbringsel für das Geburtstagskind und gingen immer noch leise kichernd in den Garten hinaus.

"Bleib noch eine halbe Minute sitzen! Ich geleite dich persönlich hinaus", gab Madame Dusoleil eine Anweisung in ruhigem Ton. Dann verschwand sie kurz in der Küche. Tatsächlich dauerte es nur noch eine halbe Minute, bis die Hausherrin wieder erschien und Julius sanft vom Stuhl hochzog, sich rechts bei ihm unterhakte und leichten, aber ruhigen Schritts durch den Flur zur Terrassentür hinausging. Dort sah Julius vier runde Tische, wobei ihm auffiel, daß die Kinder und Jugendlichen zwei Tische für sich hatten und die Erwachsenen zwei Tische für sich. Nur an einem der Kindertische saß Julius' Mutter, die einen sehr beherrschten Gesichtsausdruck bot, der Julius gleichermaßen beruhigte, aber auch anspannte. Madame Dusoleil führte den Ehrengast an den Tisch und bugsierte ihn an den Stuhl neben seiner Mutter. Dabei verkündete sie:

"Mesdames, Mesdemoiselles und Messieurs: Monsieur Julius Andrews!"

Beifallklatschen erscholl, und die Jungen und Mädchen pfiffen vergnügt.

__________

Martha Andrews setzte sich an den Tisch, wo bereits die älteren der Dusoleil-Töchter saßen. Sie stellte sich etwas schüchtern Claire vor und fragte auf Englisch, ob sie das Mädchen sei, daß mit Julius im letzten Sommer getanzt habe. Claire strahlte überglücklich und sagte auf Englisch mit sehr leichtem Akzent:

"Ja, Madame. Ich durfte mit Julius tanzen und habe mit ihm die goldenen Tanzschuhe gewonnen. Danke, daß Sie ihm das Tanzen haben beibringen lassen!"

"Sie kenne ich ja noch von Hogwarts, Mademoiselle", wandte sich Martha an Jeanne. Diese nickte.

"Maman und Papa erzählten uns, als Julius 'eute nachmittag nicht hier war, daß Sie uns auch besuchen würden. Ich hoffe, es war für Sie keine zu große Mü'e, 'erzukommen."

"Ich habe nur Probleme mit Ihrer Muttersprache, Mademoiselle", gestand Martha Andrews.

"Dafür müssen Sie sich nicht schämen, Madame. Maman 'at die Tischordnung so eingerichtet, daß Sie nur mit Englisch sprechenden Gästen zusammensitzen. Immer'in kommen ja noch andere Gäste aus 'ogwarts."

Mrs. Andrews lauschte, was im Haus zu hören war. Sie verstand nur, daß wohl eine ältere Hexe aus Amerika gekommen sein mußte, die Julius gut zu kennen meinte. Dann fiel es ihr ein, daß das wohl Glorias Großmutter aus den Staaten sein mochte, die sie schon einige Male am Bahnsteig vor der merkwürdigen Barriere getroffen hatte, hinter der die Schüler von Hogwarts irgendwie zu verschwinden trachteten, wenn sie zur Schule fuhren. Sie erinnerte sich noch gut an den kurzen Streit mit Richard, ihrem Mann, weil dieser der offenbar sehr kontaktfreudigen Dame eine gewisse Verrücktheit unterstellt hatte. Julius hatte ihn darauf erschrocken angefahren, ob er noch bei Sinnen sei, weil diese Hexe offenbar mit dunkler Magie Bescheid wußte. Martha war so in Erinnerungen versunken, daß sie die amerikanische Verunstaltung "Bläänch", die laut genug aus dem Haus klang, schlicht weg überhörte und nicht im Traum daran dachte, daß mit diesem Namen Blanche Faucon gemeint sein würde.

Tatsächlich traten die Porters und das zierliche Mädchen, Pina Watermelon, aus der großen Hintertür und gingen auf die Tische zu. Eine Dame, die ähnlich aussah, wie Monsieur Dusoleil, mit dem Jeanne sie bekannt gemacht hatte, wies die Erwachsenen an, sich an einen unbesetzten Tisch zu setzen. Mrs. Andrews konnte Mrs. Jane und Dione Porter begrüßen. Die ältere Hexe mit dem Strohhut lächelte wohlwollend und meinte:

"Ich freue mich, daß Sie den Mut und die Zeit fanden, sich darauf einzulassen, in ein Dorf voller Hexen und Zauberer zu kommen, Ma'am. Ich hoffe sehr, daß Sie es nicht schon bereuen."

"Gewiß nicht, Mrs. Porter. Ich nutze diese Gelegenheit gleich, um mich in Stellvertretung meines Mannes für den etwas ungehaltenen Ton zu entschuldigen, mit dem er Sie damals bedacht hat."

"Mrs. Andrews, ich habe vollstes Verständnis dafür, daß Ihr Mann mit Ihrer neuen Lebenssituation noch nicht zurechtkommt. Es gibt Dinge, die benötigen ihre Zeit. Aber in unserer Welt heißt es, daß Ruhe und Sicherheit mehr bewirken, als überstürztes Handeln. Aber immerhin haben Sie eingewilligt, Ihren Sohn zu besuchen. Das rechne ich Ihnen sehr hoch an, Ma'am."

"Ihr beiden setzt euch da an den Tisch", wies Jeanne Pina und Gloria ein. Gloria setzte sich neben Pina. Zwischen ihr und Martha Andrews blieb der Platz leer. Pina sah die Dusoleils mit großen Augen an und ließ ihren Blick über sie schweifen. Claire begutachtete im gleichen Maß Pina, da sie Gloria bereits kannte. Offenbar, so Martha, verglichen sich die beiden Mädchen, wahrscheinlich um zu prüfen, wer von ihnen die Schönste des Tages sei.

Als die beiden braunhaarigen Zwillinge Jenna und Betty Hollingsworth herankamen und freudig Mrs. Andrews begrüßten, fühlte Martha mit einer inneren Anspannung, die sowohl unheimlich aber auch faszinierend war, daß hier und gleich etwas wichtiges passieren würde. Sie dachte noch mal daran, daß sie sich durchaus überlegt hatte, Madame Faucon sei wie Catherine eine Hexe und fragte sich, was nun passieren würde wenn ...?

Als habe ihr Gedanke die Wirklichkeit geformt, kam nach den Hollingsworths eine kleine Frau im königsblauen Kleid heraus, die ihr schwarzes Haar zu einem seidigen Zopf geflochten hatte, wo sie Martha Andrews immer nur mit einem strengen Haarknoten unter die Augen gekommen war. Sie sah entschlossen aber nicht verbissen in die Runde der bereits anwesenden Gäste und steuerte dann entschlossen auf Martha Andrews zu, deren Verstand gerade noch ein "Also doch" hervorbringen konnte, bevor ihn eine Woge sonst so sorgsam gebändigter Gefühle überschwemmte und für einige Momente verdrängte.

In Martha Andrews tobte eine Schlacht aus Enttäuschung, Wut, Zufriedenheit, doch was richtig eingeschätzt zu haben, sowie eine immer größere Furcht, hier und gleich etwas sehr unangenehmes hören zu müssen. Sie merkte, wie die Enttäuschung darüber, daß sie solange an der Nase herumgeführt worden war, mit der Wut Oberhand zu erringen drohte, bevor das Gefühl der Erleichterung mit einem befreienden Vorstoß ihren Verstand, ihren logischen, methodisch vorgehenden Verstand, zurück in ihr Bewußtsein brachte. Ja, sie war enttäuscht und ungehalten, weil Catherine ihr nicht gleich reinen Wein einschenken wollte. Ja sie war wütend, weil man sie wie ein dummes kleines Mädchen außen vor gelassen hatte, als sei sie nicht groß genug, um mit etwas unangenehmem fertig zu werden. Es stimmte auch, daß sie eine starke Lust verspürte, aufzuspringen und laut keifend die Festgesellschaft zu verlassen, weil sie sich hier der Lächerlichkeit preisgegeben fühlte. Doch dann war eben diese unendliche Erleichterung aufgetaucht und hatte alle Verärgerung und Enttäuschung niedergerungen. Denn zu wissen, wo Julius tatsächlich untergekommen war, ja daß diese Frau, diese Hexe, sich um ihn gekümmert hatte, die ihn kannte, die er vielleicht besser kannte, als er seiner Mutter verraten durfte, war eine Erleichterung. Die große Unbekannte, deren Namen die Lehrer und Ministeriumsleute der Zaubererwelt nicht nennen wollten, hatte nun einen Namen und ein Gesicht bekommen. Dann meldete sich auch ihr Verstand wieder zu Wort:

"Die hätten mich nicht aufklären müssen, wenn sie nicht denken, daß ich das nicht verstehen oder darauf wütend reagieren würde", dachte Martha. Dann schossen ihr weitere Erkenntnisse durch den Kopf, und sie war froh, die negativen Gefühle langsam aus dem Bewußtsein zu verlieren.

"Sie und Richard waren genau auf diesen Augenblick vorbereitet worden. Madame Faucon - oder hieß sie vielleicht Professeur Faucon? - hatte sie beide getestet, um zu ermitteln, wem von beiden sie sich endlich offenbaren durfte. Richard hatte die Prüfung verfehlt, sie hatte bestanden. Deshalb und nur deshalb saß sie nun hier und durfte mit Julius seinen Geburtstag feiern. Doch ein gewisser Zweifel blieb hartnäckig haften, wie ein loses Haar im Gesicht, das sich nicht wegwischen lassen will.

Würde sie hier nun die volle Wahrheit erfahren? Oder würde sich Madame Faucon und gewiß auch Catherine, die bestimmt auch noch auftauchen würde, mit wenigen Sachen begnügen, die sie ihr erläutern wollten. Sie erkannte, daß sie nun im Begriff stand, eine sehr große Last zu schultern. Denn was sie nun erlebte, brachte sie in einen Zwispalt. Einerseits fühlte sie sich loyal zu ihrem Mann und fand, daß er das unbedingt erfahren mußte, daß Catherines Mutter, also auch Catherine, eine Hexe war. Andererseits hatte sie schon längst erkannt, daß Richard bis auf weiteres stur und beharrlich gegen die Zaubererwelt eingestellt war und jede Enthüllung als Bestätigung für seine Verschwörungsvorstellungen ansehen würde. Ja, er könnte auf die Idee kommen, Catherine Gewalt anzutun, vielleicht sogar ihr, Martha, wenn er erfuhr, daß man ihn derartig getäuscht hatte. Unwillkürlich lächelnd mußte sie an einen Lehrsatz ihres Mathematikprofessors denken:

"In der Welt der Formeln ist es wie im Umgang mit Menschen, Ladies und Gentlemen! Enttäuscht zu werden heißt, daß die Täuschung zu Ende ist. Seien Sie also nicht gleich am Boden zerstört, wenn Sie möglicherweise jahrelang einer falschen Theorie nachhängen!"

Ja, das war es. Das Ende der Täuschung. Denn was auch immer Madame Faucon nun erzählen würde, das wichtigste war nun klar.

"Excusez moi, Madame Andrews ...", begann Madame Faucon ruhig und ohne jeden Anflug von Erregung zu sprechen. Jeanne stand sogleich neben Martha Andrews und übersetzte ihr fast zeitgleich, was die ältere Hexe mit den saphirblauen Augen sagte.

"Madame Faucon entschuldigt sich aufrichtig dafür, Sie, Madame Andrews solange im Ungewissen ge'alten zu 'aben und erkennt an, daß Sie als Mutter von Julius das Recht 'aben, über seinen Verbleib und seinen Umgang informiert zu sein. Dies darf ich Ihnen vorerst übersetzen. Wahrscheinlich werden Sie sich denken können, daß Madame Brickston noch eintreffen wird. Sie wird Ihnen Rede und Antwort stehen, soweit unsere Gesetze ihr das erlauben."

"Bitte übersetzen Sie ihr, daß es mich schon hart trifft, die ganze Zeit wie ein bauer auf einem Schachbrett geführt worden zu sein. Aber ich bin zu der Erkenntnis gekommen, daß Madame Faucon es nicht nötig gehabt hätte, sich mir zu offenbaren, wenn ich nicht ein Verhalten gezeigt hätte, das mich dazu berechtigt, die Wahrheit zu erfahren. Sagen Sie ihr bitte auch, daß ich Catherine gegenüber nicht bösartig auftreten werde und sie keine Angst vor einer gefühlsgetriebenen Vergältung meinerseits fürchten muß, sofern ich all die Dinge erfahre, die Julius mir nicht sagen durfte."

Jeanne übersetzte das, während die Hollingsworths merkwürdig dreinschauten. Schließlich hatte sich der Schreck sehr tief in ihr Gedächtnis eingebrannt, den sie erlitten hatten, als sie mit Julius an seinem letzten Geburtstag gescherzt hatten, er könne ja mit den Zauberfarben Madame Faucons gemeine Ungeheuer malen, die die Hogwarts-Bilder durcheinanderbringen konnten. Sie hatten erst geglaubt, daß die willensstarke Dame kein Wort Englisch könne, bis sie sie hart zurechtgewiesen hatte, daß derlei Scherze nicht erlaubt waren. Gloria dachte wohl kurz nach, dann sah sie die Hollingsworths beruhigt an. Sie hatte verstanden.

Jeanne übersetzte die Antwort der Beauxbatons-Lehrerin:

"Madame Faucon bekräftigt ihr Bedauern über diese Maßnahmen und versichert, daß Sie nicht als dummer Bauer beim Schach benutzt wurden, sondern lediglich eine Reihe von wichtigen Tests bestehen mußten, was Ihnen gelang, Madame. Sie respektiert jedoch, daß Sie sich hintergangen fühlen müssen und 'offt, dennoch mit Ihnen zu einem vernünftigen, beiden Seiten genehmem Miteinander zu finden.

Jeanne wußte sehr wohl, daß Madame Faucon die englische Sprache beherrschte, besser als sie selbst. Aber ihre Mutter hatte ihr eingeschärft, dies Martha Andrews gegenüber nicht preiszugeben. Da sie an diesem Tisch die Französin mit den besten Englischkenntnissen war, biss sie in den sauren Apfel und übersetzte so wortgetreu wie möglich, weil sie wußte, daß Professeur Faucon es nachvollziehen würde.

Madame Faucon setzte sich zu Mrs. Jane Porter, die mit ihr ein Gespräch in französischer Sprache begann, wobei sich das alte Vorurteil zerstreute, daß Bürger der vereinigten Staaten immer mit ihrem Akzent eine Fremdsprache sprechen müssen. Das einzige, was Julius' Mutter heraushörte und an Haltung und Mimik der beiden älteren Hexen erkennen konnte war, daß sie sich wohl gut kannten und daß Mrs. Jane Porter Madame Faucon mit "Bläänch" anredete, was Martha Andrews ein Lächeln aufs Gesicht zauberte, weil sie an das Theaterstück "Endstation Sehnsucht" dachte, wo eine ältere Dame dieses Vornamens mitspielte, wohl aber bestimmt nicht mit dieser würdigen Frau hier verglichen werden durfte.

Nach Madame Faucon traf ein halbwüchsiges Mädchen ein, welches Mrs. Andrews auch schon gesehen hatte, die braunhaarige, körperlich sehr gut durchtrainierte Barbara Lumière. Sie begrüßte zunächst Mademoiselle Dusoleil, dann Madame Faucon, dann Jane Porter, bevor sie Mrs. Andrews begrüßte und über ihr Gesicht strahlte.

"Herzlich willkommen in Millemerveilles, Madame Andrews! Meine Mutter 'at mir erzählt, daß Sie 'eute 'ier zu finden seien. Ich 'offe, Sie 'atten eine unbeschwerte Anreise."

"Ich kann nicht klagen, Mademoiselle... Verzeihen Sie, daß ich Ihren Nachnamen vergessen habe!" Erwiderte Mrs. Andrews.

"Lumière, Madame. Barbara Lumière. Sie begegneten mir ja auch in 'ogwarts", erinnerte Barbara Julius' Mutter daran, daß sie ihr schon begegnet war. Dann setzte sie sich an einen Tisch, an dem bereits von links nach rechts herum Seraphine, Dorian, Elisa, Virginie, Caro und Bruno saßen. Sie setzte sich auf den einzigen freien Stuhl zwischen Bruno und Seraphine. Caro schien unbehagt darüber zu sein, daß die Saalsprecherin der Grünen mit ihr am Tisch sitzen würde.

Schließlich traf Catherine Brickston persönlich ein. Mrs. Andrews war nun wieder völlig gefaßt. Sie sah ihrer Pariser Gastgeberin ruhig und ohne jede Unmutsmiene entgegen, ja schaffte es sogar, sie anzulächeln. Catherine warf kurz ihrer Mutter einen Blick zu. Diese nickte, dann kam sie sofort zu Mrs. Andrews und sagte:

"Du mußt dich wohl sehr hart verschaukelt fühlen, Martha, und ich gebe zu, schön ist das nicht. Aber nachdem ich auf dem Weg zur Quidditch-Weltmeisterschaft im letzten Jahr erfuhr, daß Joe mit Julius ans Mittelmeer fuhr und wohl vor Nachstellungen einer obskuren Sekte fliehen wollte, die Julius für sich vereinnahmen wollte, es sich dann aber herausstellte, daß Julius zu uns gehört, war ich höchst überrascht und verwirrt, bis Maman mir schrieb, daß er von ihr in Obhut genommen wurde, bis geklärt sei, wie er nach Hogwarts zurückkehren würde. Joe mußte schwören, diese Tatsache nicht zu verraten. Mir war natürlich klar, daß ich auf Dauer nicht verhehlen durfte, daß ich eine Hexe bin. Aber Maman argumentierte, daß erst einmal geklärt werden müsse, wie wir euch das erklären konnten und ob überhaupt. Wenn unsere obersten Instanzen nicht eingewilligt hätten, hätte ich dir heute nichts offenbaren dürfen, Martha."

"Nun, du bist selber Mutter und kannst wohl nachempfinden, wie heftig ich mich vor den Kopf gestoßen fühlen muß, Catherine. Andererseits sehe ich es langsam ein, daß es nicht um mich oder Richard geht, sondern um Julius. Es wäre schön gewesen, wenn er es mir hätte erzählen können. Aber ich denke, deine Mutter ist sehr überzeugend, was die Befolgung von Anweisungen angeht. Immerhin soll sie ja, wenn ich die in Hogwarts richtig verstanden habe, Lehrerin sein. Ich habe mir angesehen, was Julius im zweiten Schuljahr gelernt hat und mich natürlich geängstigt, daß ein Junge von nur zwölf, besser dreizehn Jahren derartig mächtige Zauberstücke vollbringen kann. Wie mächtig wird da jemand sein, die schon seit mehreren Jahrzehnten zaubern kann. Daher möchte ich nicht wissen, was deine Mutter in diesem Bohbartong, oder wie die Schule heißt, unterrichtet."

"Du bist mir also nicht böse, daß ich Richard und dir nicht sofort geschrieben habe?" Hakte Catherine nach.

"Was nützt das noch, Catherine? Verschüttete Milch kann man nicht mehr in den Krug zurückfüllen. Außerdem weiß ich sehr genau, daß ihr mir niemals hättet sagen müssen, was mit euch los ist. Richard und ich hätten euch nicht dazu zwingen können. Ich muß also eine gewisse Hochachtung für dich und eine gewisse Dankbarkeit für deine Mutter empfinden. Die Frage bleibt jedoch, wieso deine Mutter? Wieso hat sie Julius zu sich genommen?"

"Weil ihr ihn zu mir geschickt habt und sie von dieser Angelegenheit erfuhr, Martha. Da Lehrer in der französischen Zaubererwelt Beamte sind, hat sie gemäß eines Amtshilfeabkommens den Jungen im Namen des britischen und französischen Zaubereiministeriums zu sich nach Millemerveilles geholt. Es hätte auch jemand anderes für den Jungen sorgen können. Doch wie du sicher gesehen hast ist er hier sehr gut zurechtgekommen. Ich bin froh, daß Maman ihn beherbergt hat."

"er sah zumindest sehr gut genährt und wohl auch zufrieden aus, als er kurz vor dem Ende der letzten Sommerferien bei mir vorbeikam, Catherine. Deshalb empfinde ich diese gewisse Dankbarkeit für deine Mutter, Catherine."

Alle waren still. Jeder hörte, ob er oder sie Englisch konnte oder nicht, genau hin und beobachtete, was Catherine Brickston und Martha Andrews besprachen. Jeder an den vier Tischen hier wußte, daß Julius muggelstämmig war. Alle hatten mitbekommen, daß seine Eltern wohl nicht freiwillig darauf gebracht wurden, Julius hier in Millemerveilles die Ferien verbringen zu lassen. Ohne es zu wollen war Martha Andrews zur Hauptattraktion des Tages geworden.

"Ich setze mich zu Maman, direkt hinter dir und Julius an den Tisch, Martha. Ich denke, es wird genug Zeit sein, alles zu besprechen, um jedes verbliebene Ungemach auszuräumen", sagte Catherine und setzte sich zwischen ihre Mutter und Madame Delamontagne.

Bevor Julius auf die Terrasse kam, traf noch eine junge Frau, die von Haar, Augen und Gesicht her eine Tochter Mrs. Priestleys sein mußte zusammen mit Aurora Dawn ein. Aurora Dawn ging sofort auf Mrs. Andrews zu und begrüßte sie. Mrs. Andrews erwiderte höflich den Gruß und fragte:

"Sagen Sie mir bitte ehrlich: Haben Sie davon gewußt, daß Madame Faucon Julius hier beherbergt hat?"

"Natürlich, Mrs. Andrews. Ich war ja schon bei seinem letzten Geburtstag hier, obwohl ich ja an und für sich mit ihm zur Quidditch-Weltmeisterschaft gehen wollte", antwortete die in Australien lebende Kräuter- und Heilhexe. Das verstärkte zwar dieses Gefühl von gezielter Täuschung in Martha Andrews, aber wie sie selbst gesagt hatte, für Verbitterung, gar Wut, war es nun zu spät. Vielleicht, so dachte die Computerprogrammiererin, war das hier auch eine Lehre fürs Leben, sich ausschließlich vernünftig mit ungewohnten, ja bis dahin unvorstellbaren jedoch greifbaren Tatsachen zu arrangieren, wenn sie schon vollendet waren. Sicher, ihr Mann hatte diesen Brief geschrieben, der über alle Ereignisse des letzten Jahres bis zu diesem Tag der Grund für ihr Hiersein darstellte. Sie hätte keine Probleme damit bekommen, Julius weiterhin in Hogwarts lernen zu lassen. Sie bedauerte nur, daß Richard diese lehrreiche Erfahrung nicht machen konnte.

Aurora Dawn setzte sich links von Uranie Dusoleil an den vierten runden tisch, links von dem, an dem Julius' Mutter saß. Dann kam noch Madame Dusoleil und führte Julius auf die Terrasse. Alle klatschten Beifall, als er genau auf seine Mutter zugeführt wurde.

 

__________

 

Julius setzte sich zwischen seine Mutter und Gloria, nachdem er gesehen hatte, daß seine Mutter wieder die Ruhe in Person war, als die er sie immer bewunderte. Gloria sagte zu ihm:

"Da bist du ja endlich. Du freust dich sicher, daß deine Mutter auch kommen konnte, wie?"

"Oh ja, Gloria. Allerdings war das schon heftig, mir vorzustellen, wie das zwischen Catherine und ihr ausgehen könnte."

"Du hast dir Sorgen gemacht, Julius?" Fragte seine Mutter. Er nickte und erwiderte:

"Sicher habe ich mir Gedanken gemacht, als du reinkamst. Ich hoffe, du trägst mir das nicht nach, daß ich dir das nicht sagen konnte."

"Nachdem ich gesehen habe, wie du in Hogwarts ein lebendiges Kaninchen in eine tote Hutschachtel verhext hast, war mir klar, daß die Leute, die für dich die Entscheidungen treffen, noch mächtigere Verwandlungskünstler sein müssen. Ich habe dir beigebracht, daß der vernünftige Weg von einer Ausnahme abgesehen immer der bessere aller Wege ist. Ich freue mich nach dem Unbehagen, das ich natürlich empfunden habe, daß die Versteckspielerei zumindest was mich angeht vorbei ist", sagte Martha Andrews.

"Welche Ausnahme?" Fragte Jenna Hollingsworth, die zu neugierig war, um einfach zu schweigen.

"Hmm, ich weiß nicht, ob deine Mum das will, daß ich dir das verrate", erwiderte Mrs. Andrews verlegen. Julius nahm es ihr ab.

"Jenna und auch alle anderen, die das wissen wollen: Es geht darum, daß der Mensch alles mit Vernunft lösen kann, bis auf das Kinderkriegen. Weil das sehr anstrengend ist, wäre die vernünftige Lösung, es zu lassen. Damit der Mensch nicht ausstirbt, hat Mutter Natur in ihn was eingefügt, daß er eben da mal unvernünftig ist, in allem, was darauf hinauslaufen könnte. Ich denke, Mum, die junge Dame ist alt genug, das zu begreifen."

"Das stimmt, Julius", bestätigte Mrs. Hollingsworth lächelnd. Sie saß links von der imposanten Madame Delamontagne und hatte genau wie alle anderen Gäste gespannt und neugierig verfolgt, was zwischen Catherine Brickston und Julius' Mutter passierte.

"Na, Julius, du weißt ja, daß nicht alle Eltern so früh ihre Kinder in alles einweihen", flüsterte Mrs. Andrews ihrem Sohn zu.

"Du hast aber auch gesagt, daß sie eines Tages vor vollendete Tatsachen gestellt werden könnten, wenn sie nicht früh genug alle Fragen beantworten", flüsterte Julius zurück und erinnerte seine Mutter auch daran, daß sein Vater es noch derber ausgeführt hatte.

Nachdem alle ein Geburtstagslied gesungen hatten, erst ein französisches, dann ein englisches, wurde von Zauberhand alles auf die Tische geholt, was zu einer großen Kaffeetafel gehörte. Eine Geburtstagstorte mit dreizehn schlanken weißen Kerzen wurde vor Julius auf den Tisch gestellt. Jeanne entzündete die Kerzen mit einer schnellen Zauberstabbewegung. Allen wurde Kaffee, Tee oder Schokolade in die Tassen gegossen. Die Gäste aus England bekamen Tee, auch Julius. Jane Porter trank Kaffee, Claire, Caro, Elisa und Denise bekamen Schokolade. Der Rest trank Kaffee mit Milch. Als alle volle Tassen vor sich hatten, war es an Julius, die dreizehn Kerzen auszublasen. er holte tief Luft und dachte für sich:

"Wenn das mit meinem Vater nicht geklappt hat, wünsche ich mir halt, daß Mum weiterhin mit Catherine guten Kontakt hält."

Pfffffffft! Ohne neue Luft holen zu müssen schaffte das Geburtstagskind, alle dreizehn Kerzen auszupusten. Wieder klatschten alle Beifall. Dann durfte Julius die Torte anschneiden. Er tat erst seiner Mutter ein Stück auf, dann Gloria, dann um den ganzen Tisch herum, bevor er sich selbst ein Stück nahm, um dann die Torte an Catherine weiterzureichen, die sich zuletzt ein Stück nahm. Obwohl die Torte sehr groß war, reichte sie nicht komplett für alle Gäste, sodaß ein anderer Kuchen angeschnitten werdn mußte, um jedem Gast ein erstes Stück zu verschaffen. Dann wünschte Julius auf Französisch und Englisch einen guten Appetit und stieß die Gabel in sein Stück Torte.

Eine halbe Stunde lang erzählten sich die Gäste untereinander Begebenheiten, wobei sie leise genug sprachen, um die Festtagsgäste am anderen Tisch nicht zu stören. Man aß und trank, genoß die warme Sommerluft und die nur von wenigen Wolken unterbrochene Sommersonne. Martha Andrews sprach mit Catherine und ihrer Mutter, wobei Catherine als Übersetzerin arbeitete. Gloria erzählte Julius noch mal, wie sie, Pina, ihre Mutter und Großmutter nach Millemerveilles gelangt waren.

"Die Kolonisten aus Frankreich haben in New Orleans einen grünen vollen Kreis in einer versteckten Gasse gemalt, der direkt nach Paris oder Beauxbatons führt. Oma Jane erzählte, daß nach Gründung der Thorntails-Akademie diese Direktverbindung nicht mehr benutzt wurde, nur in Ausnahmefällen. Sie kennt ein paar wichtige Leute in den Staaten, die haben ihr eine Hin- und Rückreiseerlaubnis verschafft. So haben wir uns die überteuerte Flohpulverei erspart. Vor allem war das angenehm. Diese magische Sphäre, so eine rote Kugel, die von oben her um einen entsteht, trägt dich in Sekunden an den Zielort, ohne daß du was merkst. Eine beeindruckende Magie."

"Ich weiß, Gloria. Man ist nur schwerelos, solange diese Flugsphäre einen umgibt", ergänzte Julius. Gloria sah ihren Freund und Klassenkameraden für einen Augenblick verwundert an, nickte jedoch dann verstehend.

"Na klar, die müssen in Beauxbatons ja auch sowas haben. Ist auf jeden Fall diskreter als der Zug und vor allem schneller", flüsterte sie, weil sie nicht wußte, ob das so gut war, wenn Julius und sie Beauxbatons-Geheimnisse austauschten.

Martha Andrews fragte Jeanne einmal, wie denn dieses trimagische Turnier ausgegangen sei. Jeanne schluckte hörbar. Dann sagte sie:

"'arry Potter hat es gewonnen. Unser Champion schied leider zu früh aus."

"Kennst du diesen Harry Potter?" Fragte Mrs. Andrews ihren Sohn. Dieser nickte und sagte:

"Na klar, Hogwarts ist ein Dorf, Mum. Der ist jetzt mit der vierten Klasse fertig."

Julius wollte nicht erzählen, daß Harry Potter ein sehr berühmter Junge war, weil er einmal den Todesfluch des dunklen Lord Voldemort überlebt hatte und mit nichts außer einer Narbe davongekommen war. Dann hätte er ja auch erzählen müssen, daß das gesamte Turnier geschoben gewesen war und Potter deshalb gewinnen konnte, weil eben dieser Voldemort ihn in seine Hand bekommen wollte, nur ihn, was zum sinnlosen Tod von Cedric Diggory geführt hatte.

"Auf jeden fall muß was passiert sein, daß man dich nicht erst hat nach Hause fahren lassen", flüsterte Mrs. Andrews ihrem Sohn zu. Er schluckte ebenfalls hörbar und erbleichte für einige Sekunden, soweit seine Sonnenbräune das erlaubte. Seine Mutter nickte, weil sie eine erwartete Reaktion gesehen hatte. Gloria stieß Julius linken Fuß sanft mit ihrem rechten Fuß an und wandte sich ihm zu.

"Die ist gut", flüsterte sie leise genug, um im Gemurmel der Unterhaltungen an den anderen Tischen unterzugehen. Um schnell wieder zur alten Fröhlichkeit zu finden ließ sich Julius von den Hollingsworth-Schwestern berichten, wie sie hergekommen waren und wandte sich dann an Mrs. Jane Porter:

"Ich danke Ihnen, daß Sie Gloria und Pina freigelassen haben, Mrs. Porter."

"Honey, freigelassen ist doch wohl etwas heftig. Aber ich nehme deinen Dank wohlwollend an", erwiderte die amerikanische Hexe schmunzelnd.

Nachdem niemand mehr essen oder trinken wollte, wanderte Julius um die übrigen Tische, um sich kurz mit den anderen Gästen zu unterhalten, während seine Mutter sich mit Gloria, Jeanne und den Hollingsworths unterhielt. Er ging an den anderen Jugendlichentisch und schwatzte etwas mit Barbara, Seraphine und Bruno. Dieser fragte ihn mal:

"Und deine Mutter stammt wirklich von Muggeln? Wenn ich da daran denke, wie sich Sabinchens erster Freund mit seinen Eltern verkracht hat, als er sie mal nach Hause mitbrachte, ist deine Mutter ja richtig genießbar."

"Das macht der Beruf, Bruno. Sie programmiert Computer, also schnell rechnende Maschinen, die nur logisch funktionieren. Offenbar fährt sie damit sehr gut, und ich kann das auch mit meinen erst dreizehn Jahren nachvollziehen."

"Was war das denn mit der einen unvernünftigen Sache, die man machen muß?" Fragte Bruno. Julius wunderte sich, daß der Junge, der nur Französisch konnte, das mitbekommen hatte. Dann erklärte er es noch mal kurz. Bruno lachte.

"Stimmt. Ohne das wäre das Leben an sich langweilig."

"Gib doch nicht so an!" Gab Dorian verächtlich zurück. Bruno schüttelte drohend die Faust und sagte:

"Jungchen wachs noch ein wenig, bevor du dich mit mir anlegst!"

Mit Mrs. Hollingsworth und Aurora Dawn unterhielt sich Julius über den Hintergrund der internationalen Zusammenkunft von Kräuterkundlern. Dann meinte er zu Aurora:

"Ich habe diese Ilona Andropova gesehen. Aber die steht nicht auf Leute wie mich."

"Die Färbung der Umwelt, Julius. Wer nur mit selbstherrlichen Reinblütern zusammenhängt, redet denen schnell nach der Schnauze."

"Haben die eigentlich schon wen, der neuer Schuldirektor wird?" Fragte Julius neugierig.

"Da habe ich nichts von gehört. Meine Bekannte erwähnt Durmstrang so gut wie gar nicht. Muß wohl nicht gerade toll dort gelaufen sein. Aber zu einem anderen Thema: Arcadia hat mir erzählt, sie würde mit dir noch was abklären, was ihre Mutter ihr aufgetragen hätte."

"Hmm, dann gehe ich mal zu ihr hin, falls Monsieur Dusoleil mich mit ihr reden läßt."

Tatsächlich waren Arcadia Priestley und Florymont Dusoleil in eine lebhafte Fachdiskussion verwickelt, da sie beide zu den führenden Zauberkünstlern Europas gehörten. Doch Arcadia unterbrach kurz die Fachsimpelei und wandte sich an Julius:

"Ich werde dir und deiner Mutter morgen ein paar Unterlagen vorlegen, die Mutter mir mitgegeben hat. Es geht da wohl um etwas, das du in Hogwarts zusammengebaut hast. Wenn das wirklich so funktioniert, wie sieht das dann mit Verwertungsrechten aus?"

"Dieser Frage darf ich mich auch anschließen", flüsterte Monsieur Dusoleil. Dann meinte er noch:

"Allerdings werde ich abwarten, wie es funktioniert."

Als Julius wieder an seinen Tisch zurückkehrte, hörte er, wie sich Pina und Claire abfragten, wie die jeweils andere ihr Haar so schön hinbekam. Gloria unterhielt sich mit seiner Mutter über die neuen Schulfächer, die in der dritten Klasse angeboten wurden.

"... Muggelkunde? Was genau läuft da ab?" Fragte Mrs. Andrews etwas verdutzt, als sowohl Betty und Jenna, als auch Gloria erklärten, daß sie dieses Schulfach belegen wollten.

"Sie erzählen einem, wie man einen Lichtschalter bedient und daß man nicht in einen Telefonhörer brüllen muß, um verstanden zu werden, Mum", antwortete Julius gehässig grinsend. Gloria warf dem Haus- und Klassenkameraden einen verächtlichen Blick zu und sagte:

"Wie Ihr Sohn und die vielen anderen Mitschüler aus nichtmagischen Familien zeigen ist es nötig, sich mit Ihrer Lebensweise soweit vertraut zu machen, um mit ihnen problemlos klarzukommen. Auch hat es etwas faszinierendes, welche Geräte und Transportmittel es bei Ihnen gibt, und da mein Vater in unserer Bank arbeitet interessiert mich persönlich auch alles, was bei Ihnen mit Geld und Zahlungsweisen zu tun hat. Was die Schwestern Hollingsworth betrifft, weiß ich nicht, weshalb sie auch dieses Fach belegen wollen. Ich weiß nur, daß Professor Janus sehr kompetent erklären soll. Du hast es sicherlich nicht nötig, Julius, dieses Fach zu nehmen. Das ist richtig."

"Dann nennt man es "Muggelkunde"? Hätte es dann nicht korrekter weise "Studium der nichtmagischen Welt" heißen sollen?"

"Zu kompliziert", lachte Betty Hollingsworth.

"Martha, es sind leider zu viele Differenzen aufgetreten, weil wir unsere Welt geheimhalten müssen", fügte Catherine Brickston dem hinzu.

Eine Überraschung für Martha Andrews folgte noch, als Julius mit Gloria den Platz getauscht hatte und sich mit Pina über New Orleans unterhielt. Martha Andrews fragte Catherines Mutter, wie es möglich war, daß Julius so schnell die französische Sprache erlernt hatte. Madame Faucon ließ übersetzen, daß Julius einen für nichtmagier verbotenen Zaubertrank getrunken hatte, aber davor schon mit einem Zauberbuch zum Erlernen der Sprache gearbeitet hatte. Mrs. Andrews sagte dazu:

"Ich habe im Studium überlegt, ob ich noch eine Sprache dazulernen sollte. Da ich von meiner Elite-Mädchenschule her Latein, also die altrömische Verkehrssprache gelernt habe, wollte ich entweder Französisch oder Spanisch als eine der Weltsprachen lernen. Mit dem Französischen hatte ich immer Probleme, weswegen ich es nach einem Vierteljahr aufgab und Spanisch lernte, das dann aber gründlich."

"Usted habla Español señora?" Fragte Madame Faucon unvermittelt, wobei sie doch einen gewissen französischen Akzent beibehielt. Mrs. Andrews wunderte sich zwar ein wenig, doch dann erwiderte sie:

"Si señora Faucon"

Unvermittelt war Catherine als Übersetzerin nicht mehr nötig, denn die beiden Frauen unterhielten sich für den Rest der Gäste unverständlich, wobei Mrs. Andrews zwar etwas langsamer sprach, aber wohl weniger Probleme mit der Fremdsprache hatte, als ihr nach Jahren, in denen sie sie nicht gebraucht hatte zu erwarten war.

"Das war doch Absicht", flüsterte Julius Pina zu. Diese nickte. Dann fragte sie ihn:

"Machst du dieses Jahr wieder beim Tanzabend mit?"

"Wenn ich jetzt nein sagen würde, würden mich alle Damen an diesen Tischen hier am Spieß braten, Pina."

"Glorias Eltern wollen ja in diesem Sommer auch einen Ball geben. Ich wurde schon eingeladen."

"Sie hat mir das erzählt, Pina. Falls meine Fürsorgerin das erlaubt, könnte ich auch vorbeikommen, wenn die Porters mich dort überhaupt haben wollen."

"Nur weil du heute Geburtstag hast mußt du keinen Streit suchen, Julius", knurrte Gloria. "Du weißt genau, daß meine Eltern mir nicht gesagt hätten, daß ich dich einladen soll, wenn sie es nicht so meinten. Oma Jane kommt auch, und sie hat schon angefragt, ob du auch dabei bist. Mit den Leuten aus Mums Branche kommt sie nicht sonderlich gut klar."

"Hmm, dann hätte ich zumindest schon einmal eine gute Tanzpartnerin", grinste Julius Pina an. Diese verzog das Gesicht und sagte:

"Du meinst, du sähest gut aus, wenn du einen Abend lang nur mit Glorias Mutter tanzt? Dann viel Vergnügen."

"Auf jeden Fall braucht er sich keine Gedanken zu machen, mit wem er hier tanzen kann", mischte sich Claire ungefragt ein. Pina sah die mittlere Dusoleil-Tochter erzürnt an. Julius schwante nichts gutes.

"Ja, das hat er erzählt", knurrte Pina. "Offenbar werden die idealen Tanzpaare hier schon miteinander verlobt."

"Häh?" Gab Claire zurück. Jeanne, die gerade bei Seraphine am Tisch saß, bekam von diesem Gespräch nichts mit, und die Dusoleils hatten mit ihren jeweiligen und fachkundigen Sitznachbarn genug zu bereden, um nicht mitzubekommen, was los war.

"Deine Schwester hat ihn das ganze Schuljahr über umsorgt, Mademoiselle. Sie hat mit ihm den Weihnachtsball besucht und immer auf ihn aufgepaßt. Das hat sie bestimmt nicht gemacht, weil sie das so wollte."

"Hallo, Pina, Frieden!" Versuchte Julius, diesen Unsinn zu beenden, bevor er richtig aufblühen konnte.

"So, du meinst, daß meine Schwester nur mit Julius getanzt hat, weil Maman ihr das befohlen hat, Mädchen? Du denkst, sie hätte es in Hogwarts nötig gehabt, sich von Maman Anweisungen geben zu lassen, damit er uns nicht auskommt? Wovon träumst du nachts?"

"Das soll dir doch egal sein", schnaubte Pina. Julius sah Claire an, dann Pina.

"Worum geht's hier?" Fragte er in einem neuen Versuch, diese unnötige Debatte zu beenden.

"Deine Hauskameradin behauptet, daß Maman Jeanne angewiesen habe, dich nur deswegen zum trimagischen Weihnachtsball mitzunehmen, weil Maman daran liegt, daß du dich nicht nach anderen Mädchen umsiehst, weil sie denkt, daß du bereits mit mir verlobt seist. So ist es doch, Mademoiselle Watermelon?"

"Ich habe lediglich vermutet, daß dieser Sommerball diesen Zweck erfüllt, Leute zusammenzubringen, die später ..."

"Punkt eins, Claire und Pina. Daß ich mit Claire diesen Sommerball getanzt habe, hat keine bindende Bedeutung. Mir hat es nur sehr gut gefallen, dieses Fest zu besuchen und ich freue mich schon auf den nächsten Ball.

Punkt zwei. Ich behaupte nicht und werde dies auch in Zukunft nicht tun, daß Jeanne es nötig gehabt hätte, einen Auftrag ihrer Eltern zu erfüllen, als sie mich einlud. Sie wollte mir einen Gefallen tun und hat mir damit einen sehr schönen Abend, ja sehr schöne Weihnachtsferien verschafft, weil ich sonst nicht zu diesem Ball hätte gehen können, wie du, Pina, ganz genau weißt.

Punkt drei. Ich persönlich fühle mich derzeit nicht an irgendwelche Verpflichtungen oder partnerschaftlich gebunden. Ich habe also keine Probleme damit, mit einem Mädchen zu tanzen, egal mit wem, ohne mir Gedanken darum machen zu müssen, ob ich damit einer anderen untreu werde. Ende der Durchsage!"

"Es ging nicht nur um dich, Julius, wenngleich ich schon denke, daß du weißt, was du an meinen Eltern, Tante Uranie, Jeanne und mir hast. Es ging darum, daß deine Schulkameradin ohne Grund meint, unsere Gemeindefeste lächerlich reden zu müssen."

"Was heißt hier lächerlich? So wie du gerade drauf bist muß da ja was dran sein, was ich gesagt habe."

"Julius, vergiss es erst einmal", flüsterte Gloria. "Offenbar meint Claire, einen Revierkampf ausfechten zu müssen, und du bist zufällig der passende Auslöser."

"Das ist doch schwachsinnig", flüsterte Julius und zuckte mit den Achseln. Gloria Porter sah ihn beruhigend an und schlug leise vor, den Platz zu tauschen. Julius ging unverzüglich darauf ein und setzte sich zu seiner Mutter zurück, während Claire und Pina sich weiter in sinnlosen Zankereien ergingen. Mrs. Andrews sprach immer noch mit Madame Faucon Spanisch, zumindest war sich Julius sicher, daß es diese Sprache war. Irgendwann wandte sich seine Mutter an ihn und fragte:

"Madame Faucon erzählte mir, daß du bei ihr so einen Ferienkurs machst, der sich mit Verteidigung gegen dunkle Zauber befaßt. Wozu machst du das?"

"Das ist derselbe Grund, weshalb ihr Mr. Tanaka engagiert habt, um mir Karate beizubringen. Es gibt böse Zauberer, vor allem solche, die keine Muggelstämmigen mögen. Weil Madame Faucon mich im letzten Jahr hier beherbergt hat, hat sie mir angeboten, mir einiges beizubringen, um mich gegen solche Mistkerle zu wehren."

"Moment, die hat dich zu diesem Kurs geholt, ohne von Paps und mir, beziehungsweise Mrs. Priestley die schriftliche Erlaubnis zu erhalten? Das geht doch nicht", entrüstete sich Martha Andrews.

"Nein, nicht du auch noch", entgegnete Julius frustriert. "Erst die Mädchen, weil sie was brauchen, um sich zu zanken. Jetzt regst du dich auch noch auf. Ich weiß nicht, ob man überhaupt eine schriftliche Erlaubnis dafür braucht. Aber ich frage Madame Faucon, ob Mrs. priestley ihr sowas gegeben hat."

"Das wäre mir in dem Moment gleichgültig. Sie hat dich in diesem Kurs, und wenn ich jetzt sagte, daß ich nicht will, daß du da weiter mitmachst, würde sie das nicht berühren."

"Gut, dann frage ich, warum du etwas dagegen haben könntest, daß ich da mitmache?"

"Weil es genau wie beim Karate und beim Schach heißt, daß die beste Verteidigung der Angriff ist. Logisch argumentiert: Wer sich optimal verteidigen muß, muß die Angriffe kennen und können. Soll ich mich also damit abfinden, daß du in einer Situation, wo du keinen anderen Ausweg findest, auf schwarze Magie zurückgreifst?"

"Gut, du wurdest übergangen, wie Paps auch. Das sehe ich ein. Aber einerseits haben wir dieses Fach auch in Hogwarts, und du wußtest das schon lange, und andererseits mache ich diesen Kurs gerade deswegen mit, um zu lernen, wie ich möglichst ohne dunkle Hexereien fertig werden kann. Das ist genau wie beim Karate. Da habe ich auch gelernt, mich besser zu beherrschen, um nicht bei jeder dummen Anmache dreinzuschlagen."

"Ja, nur daß Tanaka uns jede Woche einen schriftlichen Bericht geschickt hat, was er mit dir durchgenommen hat und Paps und ich wußten, welche Schlägertypen an deiner Schule herumlungerten. Was ich möchte, Julius, ist nur mehr Kontrolle darüber, was wer mit dir anstellt, solange es nicht deine ganz private Sache ist, zumindest solange es einem Minderjährigen zusteht, privates zu tun."

"Ich will weder dir noch mir die Stimmung vermasseln, Mutter. Deshalb bitte ich Madame Faucon darum, dir über Catherine schreiben zu lassen, was genau sie mir beibringt und wieso. Und was die Kontrolle über mich angeht, bedanke dich bei Vater, daß er die Möglichkeit verpulvert hat, alles über mich zu erfahren!"

"Wie ich schon gesagt habe, Julius: Ich kann an dem, was nun passiert nichts mehr verändern. Deshalb werde ich es auch weiterlaufen lassen. Ich werde mich mit Madame Faucon weiterunterhalten und selber klären, weshalb, was und wie sie dich unterrichtet. Da wir nun eine Sprache gefunden haben, die wir beide können, könnte sie mir ja ab und an schreiben, was du machst und warum." So sagte es Mrs. Andrews und wandte sich wieder Madame Faucon zu, die sich leise mit Catherine unterhalten hatte. Einige für Julius unverständliche Sätze später beruhigte sich Martha Andrews wieder. Sie nickte, dann wandte sie sich an Julius und sagte:

"Sie bedauert, daß sie mich nicht vorher hat fragen können. Dann hat sie mir erklärt, daß es ihr nicht darum ginge, Leute zu bösen Hexern und Hexen auszubilden, sondern gerade dafür zu sorgen, ihnen vernünftigen Umgang mit Zauberei beizubringen. Immerhin gibt sie das Fach ja auch in Beauxbatons. Sie hat mir erklärt, daß du eben ein sehr starkes Zaubertalent hast und eher Unsinn damit anstellst, wenn du nicht früh genug lernst, damit richtig umzugehen. Ich habe ihr nun persönlich gestattet, diesen Kurs mit dir fortzusetzen. Man sollte nicht versuchen, einen Laster mit bloßen Händen abzubremsen."

Julius zog es danach vor, zu Madame Dusoleil und Aurora Dawn zu gehen, weil ihm die getrübte Stimmung nicht paßte. Madame Dusoleil ließ Julius zwischen sich und der australischen Heilkundlerin sitzen. Julius sprach nicht vom Mädchengezänk Claires und Pinas, erwähnte jedoch, daß seine Mutter nicht besonders begeistert war, daß er diesen Kurs machte.

"Hmm, dann hättest du ja auch eine schriftliche Erlaubnis von deiner Fürsorgerin haben müssen, um bei Madame Matine den Heilkundekurs für magische Ersthilfe zu belegen", fiel es Camille Dusoleil ein. Aurora Dawn sagte:

"Ich habe Tante June geschrieben, daß Hera dich gefragt hat. Da der Kurs weder kostenpflichtig noch gefährlich ist, so Tante June, bräuchtest du keine Erlaubnis zu erhalten, wenn du diesen Kurs ordentlich zu Ende bringst. Genau das wirst du auch machen, selbst wenn er dir vielleicht mal nicht mehr gefällt oder du meinst, es sei mal möglich, Stunden ausfallen zu lassen. Hera ist, wie ich dir schrieb, sehr auf Ordnung und Folgsamkeit bedacht."

"Ja, aber das mit dem Verteidigungskurs", wandte Julius ein. Alle drei benutzten die französische Sprache.

"Ich habe Eulenpost mit deiner Fürsorgerin ausgetauscht, nachdem Blanche es erwähnt hat. Sie schrieb mir darauf, daß du ihre Zustimmung hast, Förderstunden zu nehmen, falls du dies wünscht. Falls deine Mutter sich benachteiligt fühlt, was ich indirekt verstehen kann, kann ich ihr den Brief zeigen. Er ist in zwei Sprachen verfaßt."

"Die Vertrauensbasis ist nicht da, Camille. Ob logisch oder nicht, Mrs. Andrews hat das noch nicht weggesteckt, daß ihr Mann sie und sich darum gebracht hat, mitzureden und daß Catherine keine normale Hausfrau und Mutter ist, wie sie gewirkt hat."

"Vielleicht war das doch nicht so eine gute Idee, Mum herzuholen", seufzte Julius. Madame Dusoleil legte ihm den Arm um die Schulter und zog ihn zu sich heran. Dann flüsterte sie:

"Deine Mutter freut sich, daß sie hier bei dir sein kann und nun auch weiß, was mit Catherine los ist. Schade, daß sie morgen abend schon wieder fortreist. Nathalie hätte ihr ruhig den Rest der Woche genehmigen sollen. Eleonore hat ja schon gesagt, daß zwei halbe Tage und ein voller nicht ausreichen, um alles ins rechte Lot zu bringen. Aber Nathalie meinte, daß diese Sonderregelung nur für direkte Verwandte von Einheimischen gilt, da ein Dorfrat vor hundert Jahren nach einem fast ähnlichen Streit beschlossen hat, Muggelverwandte nur drei Tage in Millemerveilles zu dulden und du nur Gast bist. Wenn du morgen bei Blanche bist, werde ich mich mit Eleonore und Catherine mit ihr unterhalten, nur wir."

"Ob das psychologisch so geschickt ist?" Fragte Julius, dem diese halbe Umarmung seiner Gastmutter nicht so recht behagte.

"Soll ich dir mal was sagen, Julius? Mir ist es gleich, was sogenannte Seelenkundler der Muggel zu unserer Situation behaupten. Deine Mutter ist hier, sie freut sich, daß sie dich sehen und mit dir reden kann, und ich habe keine Lust, das dadurch zu verderben, daß sie von hier in hilfloser stiller Wut abreist, ohne die Möglichkeit zu bekommen, ihre Meinung zu sagen, unsere Meinung zu hören und dann mit uns eine Lösung zu finden, die allen Seiten gefällt."

"Gut jetzt Claire!" Hörte Julius Jeannes Stimme auf Französisch befehlen. Madame Dusoleil ließ von Julius ab, stand wortlos auf und ging schnell an den Tisch hinüber, wo der Hogwarts-Schüler gesessen hatte. Aurora fragte leise auf Englisch:

"Was haben Pina und Claire für ein Problem?"

"Warum auch immer, Aurora, sie zanken sich, weil die eine meint, die andere könnte was von mir wollen, wenn ich das mitgekriegt habe. Vielleicht spielen sie aber auch nur Schneewittchen und ihre böse Stiefmutter."

"Spieglein Spieglein an der Wand ...? Das wolltest du Camille nicht auf die Nase binden", gab die australische Heilhexe spitzbübisch lächelnd zurück. Dann meinte sie:

"Und du hast nichts getan, was Claire oder Pina Mut macht, um dich kämpfen zu müssen?"

"Ich habe mit Claire den Sommerball getanzt und verstehe mich gut mit ihr. Das gilt aber auch für Gloria und Pina, wenngleich das bei den beiden ein Winterball war. Ich selbst such noch nicht nach einer festen Bindung. Aber wieso erzähle ich dir das?"

"Vielleicht, weil ich zuhöre?" Entgegnete Aurora Dawn. Julius nickte.

"In Hogwarts war es auch einmal so, daß meine Clique von Mädchen sich fast zerstritten hätte, weil ein Junge aus Hufflepuff einmal in unsere Richtung gewunken hat. Wenn ich richtig liege, rangeln sich Jungen und Männer auch dann, wenn nur eine Frau in ihre Nähe kommt. Da mußt du durch, Julius. Irgendwann verlangt dein Körper den Tribut, den er für sein langes Stillhalten einforderte."

"Langes Stillhalten?" Wunderte sich Julius.

"Die zwölf oder dreizehn ersten Lebensjahre, Julius. Aber irgendwann fängt es immer an. Das ist nichts böses, wenn auch zeitweilig unangenehmes oder lächerliches. Aber es wird auch mal schön sein."

"Soll ich also hingehen und Claire und Pina sagen, daß ich weder die eine noch die andere liebe?" Fragte Julius. Aurora Dawn schüttelte sehr energisch den Kopf.

"Das wäre grundverkehrt, Julius. Einmal würdest du dich lächerlich machen, weil das Gezank nichts damit zu tun hat. Zum anderen weißt du es nicht mit Sicherheit, ob das auch stimmt, daß du weder die eine noch die andere liebst. Das kann Jahre dauern, bis du es mit Sicherheit weißt."

"Stimmt, du hast recht. Das wäre jetzt viel zu früh, sich festzulegen", sah Julius es ein, wie unsinnig seine Frage war. Er war froh, diesen lächerlichen Gedanken aus seinem Gehirn verscheuchen zu können.

"Was du tun mußt, Julius: Du mußt dich mit Claire vertragen, indem du mit ihr alles besprichst, was ihr mißfällt. Dasselbe kannst du bei Pina tun. Claire ist aber insofern wichtiger, weil du noch einige Wochen hier wohnen wirst. Betrachte Claire als eine Art Schwester, mit der du dich nicht verkrachen solltest, wenn du dir dein Leben nicht zur Hölle machen möchtest. Was Pina angeht, so weiß ich nicht, was sie antreibt. Vielleicht hat sie auch nur erkannt, daß sie was dummes gesagt hat und will sich nicht zurückziehen. Das ist nur menschlich."

"Ich habe für Claire was gebastelt", flüsterte Julius. "Hoffentlich legt sie das nicht so aus, als wolle ich mich festlegen."

"Ich weiß davon", flüsterte Aurora Dawn.

Camille Dusoleil kam wieder und grinste.

"Pack schlägt sich, Pack verträgt sich, Monsieur Andrews. Du kannst wieder an den Tisch zurückgehen. Ich habe über Jeanne mitteilen lassen, daß wir keinen Sommerball nötig hätten, um den Partner fürs Leben zu suchen und du es nicht nötig hättest, auf einer Tanzveranstaltung verkuppelt zu werden. Mademoiselle Watermelon errötete, dann entschuldigte sie sich bei mir dafür, daß sie in Jeannes Hörweite behauptet habe, ich hätte sie angewiesen, dich für uns unter der Fuchtel zu halten. Dann haben sich die beiden nebeneinander gesetzt und unterhalten sich. Gloria sitzt bei ihrer Mutter und unterhält sich mit ihr. Sie hat sie ja erst heute im Gasthof wiedergesehen."

"Gut, daß wir heute keinen Tanzabend machen können, weil nur drei Herren zur Verfügung stehen", sagte Julius. Aurora Dawn lachte.

Als das Geburtstagskind an den Tisch zurückkehrte, an dem seine Mutter saß, hörte er von weitem, wie Claire und Pina miteinander lachten und scherzten. Mrs. Jane Porter winkte ihm zu und sprach leise zu ihm:

"Ich habe Bläänch gefragt, ob ich euch morgen zuschauen und vielleicht was nützliches beitragen kann. Hast du was dagegen?"

"Wobei?" Fragte Julius.

"Na, ihr habt doch morgen wieder Unterricht. Nachdem deine Mom nun geklärt hat, daß du weiter bei Bläänch lernen darfst, habe ich Jeanne, Virginie und die Miss Seraphine schon gefragt, ob sie was dagegen hätten, daß ich morgen zusehe. Da meine hochverehrte Kollegin befunden hat, daß du nur noch mit fortgeschrittenen Schülern unterrichtet werden kannst, mußte ich dich auch noch fragen."

"Ich habe nichts dagegen, Mrs. Porter. Könnte interessant werden. Aber bremst das nicht den Stundenplan, den Madame Faucon ausgearbeitet hat?"

"Bestimmt nicht, Honey. Bläänch hat deiner Mom ja erzählt, was gerade dran ist und beschrieben, wie du dich dabei anstellst. Insofern kann ich euch nicht stören, wenn ich was dazu beitrage."

"Ich weiß, die Frage ist dumm, aber können Sie auch Spanisch?"

"Si, Cariño. In den guten alten Südstaaten ist das neben Englisch die wichtigste Sprache, vom merkwürdigen Lautverständigungsverfahren abgesehen, daß deine Gastgeber verwenden und dir auf eine sehr interessante Weise zugänglich gemacht haben."

 

"Wie gesagt, habe ich kein Problem damit, daß Sie morgen vorbeischauen. Aber was machen Gloria, Pina und die anderen solange?"

"Die jungen Mädchen wollen in die grüne Gasse. Miss Aurora hat sich die Erlaubnis geholt, sie dort durchzuführen. Glo war ja im letzten Jahr im Tierpark. Mrs. Hollingsworth und Dione werden sich die Läden im Dorf ansehen. Deine Mom wird wohl mit Madame Delamontagne und deiner Gastmutter zusammen frühstücken. Da bleibe ich übrig, einsam und verlassen."

"Ja, und da müssen wir natürlich was gegen tun", erwiderte Julius auf die schalkhafte Schlußbemerkung der Hexe aus New Orleans. Sie umarmte ihn kurz und schmatzte ihm einen Kuß auf die linke Wange.

"Du bist ein wirklich süßer Bengel, Honey."

"Ja, das findet meine Mutter wohl auch", sagte Julius und kehrte nun an seinen Stammplatz zurück.

"Es ist alles wieder klar, Julius. Pina hat mir gerade erzählt, daß sie sich freut, daß du mit uns hier so gut auskommst, daß wir dich ein zweites Mal hergeholt haben", begrüßte ihn Claire auf Englisch, damit Pina es auch verstehen konnte. Julius grinste.

"Das ist ja nur so, weil Madame Delamontagne eine zweite Turnierpartie gegen mich spielen möchte, Claire. Das mit dem Sommerball ist ja nur zweitrangig."

"Du kannst mich jetzt nicht mehr ärgern, Julius. Dafür kenne ich dich nun zu gut."

Bevor das Abendessen serviert wurde, wurde Julius gebeten, seine Geschenke auszupacken. Somit verlegte sich die Festgemeinde ins Haus ins Esszimmer, wo sich alle an den großen gedeckten Tisch setzten. Julius setzte sich zunächst links von seiner Mutter, rechts von Madame Dusoleil hin. Dann stand er auf und ging zum großen Stapel der Geschenke hinüber, der in der sich von der Esszimmertür aus rechten Ecke türmte. Erwartungsvolles Schweigen begleitete ihn, als er sich bückte und das erste Geschenk aufhob, das Papierpäckchen seiner Mutter. Er öffnete es und enthüllte ein Buch über die Entwicklung der Navigation von der reinen Sternbildnavigation bis zur Satellitenüberwachung. Er bedankte sich bei seiner Mutter die erwiderte:

"Ich mußte noch eine Bücherei finden, wo ich englische Bücher bekommen und ein Buch aussuchen konnte, das dir noch was bringt. Mathematik oder gewöhnliche Biologie ist ja im Moment nicht mehr so gefragt."

"Was Biologie angeht bin ich mir da nicht so sicher. Aber trotzdem freue ich mich, daß du was interessantes für mich gefunden hast, Mum."

Außerdem bekam er von seiner Mutter noch ein Buch über Astronomie, Planetenforschung und Sternenentwicklung. Gloria meinte dazu, daß er damit die nächste Eins Plus in Astronomie und mindestens zweihundert Punkte für Ravenclaw sicher hatte.

Einem lindgrünen Seidenpapierpaket von Madame Dusoleil entnahm er ein in himmelblaue Deckel gebundenes Buch das "Hexenlieder und Zauberweisen" hieß und von einer Calliope Bellechante stammte, die laut buntem Klappentext die bekannteste Sammlerin von Zauberfolklore und Meisterin auf dem Konzertflügel, dem Cello und der Querflöte war, aber auch Gitarre und Akordeon spielen konnte. Ein grasgrünes Buch mit Madame Dusoleils Bild auf dem Deckel hieß "Gartenbau von Zauberhand". Dann lag in einem Samtfutteral geborgen noch eine Altblockflöte bei. Martha Andrews fragte, wie es gelungen sei, Julius wieder mit klassischer Musik zu versöhnen. Madame Dusoleil und Madame Faucon ließen übersetzen, daß dies kein Problem gewesen sei, nachdem sie ihm Lieder der Zaubererwelt vorgestellt hatten. Claire sagte auch noch, daß der Einfluß der anderen Muggelkinder ihn blockiert habe, etwas zu machen, nur weil die es für blöd hielten.

Monsieur Dusoleil hatte für Julius einen Melodigraphen besorgt, ein Zaubergerät, das einmal für richtig gespielt gehaltene Melodien als Noten auf Pergament schrieb, sodaß andere Musiker sie irgendwann nachspielen konnten. Julius hatte dieses Wunderding einmal Claire geschenkt. Dann bekam er Augen groß wie Autoscheinwerfer, als er das in ein gefüttertes Drachenhautfutteral eingehüllte Fernglas freilegte, auf dem stand: SUPEROMNIGLAS! DAS MAGISCHE AUGE FÜR SPIELE UND NATURBEOBACHTUNGEN!

"Dieses Omniglas kann mehr als die Geräte, die bei der Quidditch-Weltmeisterschaft zu Wucherpreisen gehandelt wurden, Julius. Es hat neben der bereits bekannten Ausstattung auch Nachtsichtzauber, Nebeldurchdringung, Sonnenlichtfilter und Planetennahbeobachtung. Außerdem kann es dir zu den Spielkommentaren beim Quidditch in einem Wald auch Tier- und Pflanzennamen anzeigen. Das ist meine und Camilles neuste Gemeinschaftsarbeit, die erst seit drei Monaten auf dem französischen Markt ist. Es hat sogar einen Lernzauber eingearbeitet, der bis zu seiner Festlegung nicht bekannte Tiere und Pflanzen hinzunehmen kann."

"Hmm, dann kann ich das Nachtglas wieder zurückgeben, oder fehlt diesem Omniglas etwas, was das noch kann?" Fragte Julius.

"Hmm, das Nachtsichtglas kannst du ruhig behalten, wenngleich das neue Omniglas eben auch das kann, was das Nachtglas kann, eben weil es auch zur Naturbeobachtung benutzt werden kann."

"Danke, Monsieur Dusoleil", sagte Julius ehrfürchtig. Dann erklärte er seiner Mutter, was er da bekommen hatte. Arcadia gratulierte Monsieur Dusoleil zu solch einem Knüller. Martha Andrews wandte sich an Madame Faucon:

"Cuanto cuestalo?" Madame Faucon schüttelte den Kopf an Stelle einer Antwort.

Julius fragte seine Mutter, was sie wissen wollte. Sie meinte nur:

"Ist schon um die nächste Ecke, mein Sohn."

Von Jeanne Dusoleil bekam er ein dickes Buch über europäische Spitzenmannschaften im Quidditch. Bruno hatte ihm ergänzend dazu die Chronik der französischen Quidditchmannschaften geschenkt. Ein beindickes, fast zwanzig mal zwanzig Zoll messendes Paket Seraphines enthielt ein Golden glänzendes Buch, mit dem in fingerlangen rubinroten Buchstaben gedruckten Titel:

BULLETINS DE BEAUXBATONS

"Ach du meine Güte, was für ein Monstrum von Buch", flüsterte Julius englisch. Seraphine, die ihm zusah, wie er es auspackte, grinste und meinte:

"Mir ist bekannt, daß du die Geschichte eurer Schule hast. Höchstwahrscheinlich hat es dich neugierig gemacht, auch unsere Schule näher kennenzulernen. Da sind zwar einige Zauber wie unsere Reisesphäre und diverse Einrichtungen drin beschrieben, aber nicht, wie sie aufgerufen werden oder wo Beauxbatons liegt. Insofern darf jemand fremdes dieses Buch ruhig lesen, wenn er der französischen Sprache mächtig ist."

Madame Faucon nickte und fügte hinzu:

"Im wesentlichen ist es eine Aufstellung aller Schulregeln, wann von wem und warum sie in Kraft gesetzt wurden, sowie einer umfassenden Biographie der Schulleiter und besten Schüler seit Gründung. Es steht auch was über die trimagischen Turniere drin, die ausgerichtet wurden."

Julius hielt das Buch hoch und erzählte denen, die nur Englisch konnten, was er da bekommen hatte. Seine Mutter fragte neugierig:

"Kann jemand aus der Zaubererwelt von einer englischen auf eine andere Zauberschule wechseln? Sonst hätte so ein Geschichtsbuch doch keinen echten Wert."

"Im Moment glaube ich zwar nicht, daß Julius von Hogwarts weg möchte, Martha, aber die Antwort auf deine Frage lautet:

Wenn der Umzug eines Schulpflichtigen mit seinen Erziehungsberechtigten vollzogen wird oder die Erziehungsberechtigten oder vom örtlichen Zaubereiministerium bestellten Fürsorgepersonen eine eindeutige Entscheidung schriftlich hinterlegen, ist ein permanenter Wechsel des Schulpflichtigen auf eine Zaubereibildungseinrichtung eines anderen Landes möglich, sofern der Schulpflichtige in einer kurzen Prüfung seiner schriftlichen und mündlichen Sprachkenntnisse beweisen kann, dem dort stattfindenden Unterricht ohne Nachhilfe folgen zu können", beantwortete Catherine diese Frage. Dann fügte sie noch hinzu:

"Es ist auch möglich, daß ein Schüler ein Austauschschuljahr an einer solchen Schule zubringt, wenn er die dritte Klasse vollendet hat. Auch dazu muß er vorweisen, daß er dem Unterricht ohne Sprachprobleme folgen kann."

"Wie Catherine sagt, liegt es nicht an mir, unbedingt die Schule zu wechseln, Mum", mußte Julius schnell noch bekräftigen, um mögliche Mißverständnisse abzuwehren.

Außerdem bekam er von Seraphine noch das Buch "Liederreise" von Hecate Leviata, in dem ihre internationalen Erfolgsschlager standen. Madame Faucon rümpfte zwar die Nase, als sie den lustig über den Buchrücken tanzenden Titel in ständig die Farbe wechselnden Buchstaben lesen konnte, doch sie sagte nichts dazu. Julius wußte ja auch so, daß ihr die berühmte Musikhexe nicht so recht lag.

"Sieht aus, wie ein Bildschirmschoner auf einem Computer", sagte Mrs. Andrews, als sie sich das Liederbuch näher ansehen konnte, während ihr Sohn das nächste Paket öffnete.

Aus dem liebevoll verpackten Päckchen mit der Aufschrift "Marita und Keneth Hollingsworth" holte Julius zum einen ein in rotes Drachenleder gebundenes Notizbuch mit hauchdünnen Seiten und zum anderen ein grünes Etui, in dem er etwas weiches klappern hörte. Er öffnete es und befreite eine giftgrüne Schreibfeder daraus, die leicht vibrierte, als er sie in die Hand nahm.

"Jenna und Betty haben mir erzählt, daß du noch mit diesen Kugelschreibern hantierst, nur weil du es zu langwierig findest, Tinte und Federkiel zu nehmen, um schnell was aufzuschreiben. Deshalb haben Ken und ich dir eine nagelneue flotte-Schreibe-Feder besorgt, allerdings eine, die nicht auf schmutzige Skandale abgerichtet ist, wie die meiner etwas merkwürdig eingestellten Kollegin Rita Kimmkorn", erläuterte Mrs. Hollingsworth. Martha Andrews, die absolut nicht wußte, was damit gemeint war, ließ sich von Julius vorführen, wie eine flotte-Schreibe-Feder funktionierte. Er klappte das Notizbuch auf, nuckelte wie ein Säugling kurz am Federkiel, setzte die Feder auf die erste Seite ganz oben auf, wo sie schnell und schwach zitternd stehenblieb. Dann sagte er auf Englisch:

"Julius Andrews: zwanzigster Juli neunzehnhundertfünfundneunzig. Heute ist mein Geburtstag, und ich freue mich sehr, weil fast alle zu Besuch kommen konnten, die ich einlud."

Die Feder sauste geschwind über die Seite, Zeile für Zeile. Als Julius dann noch was auf Französisch diktierte, schrieb die Feder weiter und hielt erst inne, als er aufhörte und die Feder sanft ergriff und vom Notizbuch fortnahm. Dann gab er seiner Mutter das Buch zu lesen. Sie staunte und sagte:

"Wortgetreu und ohne Rechtschreibfehler. Dann steht da noch, daß du die unteren Absätze auf Französisch diktiert hast, darunter aber ein Text auf Englisch. Das ist ja phantastisch!"

"Huch! Wieso steht da der Text tatsächlich auf Englisch?" Fragte Julius Mrs. Hollingsworth. Diese grinste zufrieden und antwortete:

"Die Feder kann die Sprachen dessen verstehen, der sie angefeuchtet hat, Julius. Allerdings schreibt sie einen Text nur in der Sprache, in der sie ihn begonnen hat. Das ist für Interviews sehr konfortabel, wenn der Reporter oder die Reporterin mit einem ausländischen Gesprächspartner zusammentrifft. Es ist schon eine bedeutende Erfindung für reisende oder auch rasende Reporter, wenn solch ein fehlgeleitetes Geschöpf wie Rita Kimmkorn es nicht mißbraucht und es und uns damit in Verruf bringt."

"Moment, dann könnte man dieses Ding doch heimlich in einem Raum unterbringen und es alles niederschreiben lassen, was im Raum anwesende Leute miteinander besprechen", vermutete Martha Andrews voller Mißtrauen.

"Sie braucht Licht zum Schreiben. Dann müßten Sie sie schon außen auf ein Fensterbrett stellen, wenn Tag ist. Aber sobald die Sprecher mehr als drei Meter entfernt sind oder im Flüsterton miteinander sprechen, bleibt die Feder stehen wo sie steht. Das wird seit zehn Jahren werksmäßig eingearbeitet, um gerade diese Form der Spionage zu verhindern, Mrs. Andrews", beruhigte Marita Hollingsworth Julius' Mutter.

Wo er schon einmal bei den Hollingsworths war, entpackte er das Paket von Jenna und Betty, dem er zwei Bücher entnahm: eines in silbrigblauem Umschlag mit einer in ein violettes Kleid gehüllten Frau, die so ähnlich aussah, wie Arcadia Priestley, nur nicht so ganz vom Gesicht her paßte. "Wege zur Arithmantik" hieß es und war von einer Regina Dawn geschrieben. Julius verlas den Namen von Buch und Verfasserin und erntete das zu erwartende Lächeln Aurora Dawns. Denn Regina Dawn war ihre Mutter.

"Falls du das möchtest, nehme ich es mit nach England und lasse es von Mummy signieren, Julius. Sie hat mich sowieso schon gefragt, warum Tante June und ich dich ihr noch nicht vorgestellt haben."

"Hmm, warum nicht", erwiderte Julius und gab seiner australischen Bekannten das Buch. Dann verlas er noch den Titel des Zweiten Buches im Paket der Zwillingsschwestern:

"Im Wald lebende Zauberwesen, von Livia Ramus."

"Welche Auflage ist es, die jungen Misses Hollingsworth?" Erkundigte sich Mrs. Jane Porter.

"1994, Madame", erwiderte Jenna. Jane Porter nickte zufrieden.

"Dann sind die kalifornischen Baumwichtel schon drin. Die wurden erst vor zwei Jahren gefunden. Die können sich nämlich im Holz gesunder Bäume verstecken, wenn sie nicht auf bestimmte Weise angelockt werden", erläuterte Mrs. Jane Porter.

Von den nicht anwesenden Hauskameradinnen Prudence Whitesand und Gilda Fletcher bekam er die Bücher:

"Alchemie für Wissensdurstige" und "Die schweigsamen Schwestern: Eine Hexengilde zwischen Ruhm und Macht."

Catherine bat darum, sich das Buch über die schweigsamen Schwestern mal anzuschauen. Julius, der flüchtig von dieser Gilde gehört hatte, nickte und gab ihr den zimtfarbenen Band, auf dessen Vorderseite vier Hexen um einen runden Tisch zu sehen waren, die geheimnisvoll dreinschauten und ab und an auf den Betrachter blickten, als sei seine Neugier nicht erwünscht.

"Das ist doch kein schwarzmagisches Buch?" Fragte Mrs. Andrews. Catherine schüttelte bedächtig den Kopf.

"Nicht im eigentlichen Sinne, Martha. Es beschreibt die sehr wenigen, eigentlich nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Dinge über eine uralte Hexengilde, die es heute noch gibt und von der nur die Mitglieder wissen, wer ihr angehört. Allerdings gab es, wie in den Religionen der ganzen Welt, auch bösartige Zweige, die in der Tat dunkle Künste verwenden, die sogenannte Nachtfraktion. Aber über die wird wohl nur drinstehen, daß es als gesichert gilt, daß es sie gibt."

"Also gibt es doch böse Hexen", grinste Martha Andrews übermutig. Offenbar fühlte sie sich nun, wo sie einige Zeit hier war, sicher genug, um sich auch kleine Frechheiten zu erlauben. Jane Porter wandte sich ihr zu und sprach leise mit ihr. Mrs. Andrews erblaßte. Dann sagte sie:

"Das war eine der sehr wenigen dummen Bemerkungen, die ich in meinem Leben gemacht habe."

Julius wagte nicht, Glorias Großmutter zu fragen, was sie seiner Mutter verraten hatte und packte das nächste Paket aus, das fast nur so groß war, wie eine Streichholzschachtel. Auf einem himmelblauen Deckel war ein silberner Blitz abgemalt, dessen Spitze auf eine kleine Schrift wies, die verkündete, daß der Inhalt ein Schnellsichtglas sei und von "Priestleys prima Zaubersachen" stammte. Arcadia erklärte, daß man mit dem nach innen gewölbten Sichtglas alle Bewegungen verzögert sehen konnte. So sei es möglich, eben einen Blitz so zu sehen, als dauere sein Einschlag eine Minute und nicht einen winzigen Sekundenbruchteil.

"Das ist ja dann eine echte Zeitlupe", erwiderte Julius' Mutter begeistert. Arcadia bemerkte:

"In der Tat, zumal hier die zeitverlangsamten Bewegungen fließend und nicht so abgehackt zu sehen sind, wie in dem, was in der Muggelwelt so genannt wird."

"Damit müßte ich doch jeden normalschnellen Menschen so sehen, als stehe er wie eine Statue still", dachte Julius, dem eine Folge einer alten Weltraumserie einfiel, wo der Raumschiffkommandant von überschnell lebenden Außerirdischen auf ihr Lebensgeschwindigkeitsniveau beschleunigt worden war und seine Kameraden wie stocksteife Standbilder gesehen hatte.

"Ich würde sagen, alles was mehr als eine halbe Sekunde braucht, um sich zu bewegen ist für dieses Spielzeug zu schade", sagte Arcadia noch.

Caro Renard hatte Julius zwei große Tüten mit französischen Zauberleckereien geschenkt, einmal die hierzuland berühmten Fruchtschaumschnecken im Schokohäuschen und Federleichtzuckerwatte, von der Julius gleich eine Runde herumgehen ließ. Das hätte er besser nicht tun sollen, denn alle, die davon aßen hoben unvermittelt vom Boden ab und stiegen zur Decke empor. Die Kinder lachten alle. Die Erwachsenen, die sich gehütet hatten, dieses Naschwerk zu essen, sahen nur bedauernd nach oben. Martha Andrews, die sich nicht getraut hatte, etwas von ihr fremden Süßigkeiten zu essen, sah leicht verunsichert zu Julius hinüber. Madame Faucon holte ihren Zauberstab hervor und winkte den Schwebenden:

"Terra Firma!" Rief sie. Unvermittelt sanken die abgehobenen Gäste sacht zu Boden und standen dann wieder auf festem Boden. Doch dann bekamen sie ein ungezügeltes Aufstoßen, das eine Minute anhielt. Die Jungen lachten darüber, während die Mädchen, von Barbara abgesehen, verlegen die Gesichter in den Händen vergruben.

"Wie oft muß ich euch noch sagen, daß dieses Zeug ein grober Unfug ist?" Herrschte Madame Faucon vor allem die Beauxbatons-Schüler an. Dann nickte sie Catherine zu, die Mrs. Andrews erläuterte, daß es sich um einen magischen Scherzartikel handele. Wer davon aß, hob ab, blieb an der Zimmerdecke hängen oder stieg soweit auf, bis er auf Höhe der Wolken trieb und vom Wind getragen wurde, wie ein Ballon. Allerdings sanken die Nascher nach einer Stunde wieder sicher zu Boden, nur nicht unbedingt da, wo sie hinwollten, wenn sie unter freiem Himmel die Zuckerwatte gegessen hatten. Caro bekam einen sehr tadelnden Blick der Beauxbatons-Lehrerin zugedacht.

Das Geschenk von Elisa und Dorian war dagegen harmloser, wenngleich ein magischer alles- und Sofortkleber bei unsachgemäßer Anwendung schon unangenehm werden konnte. Das Zeug konnte, als unscheinbarer grüner Brei mit dem dazugehörigen Pinsel aufgetragen, alles miteinander verbinden, was danach mit dem Zauberstab berührt wurde und hielt so fest, wie verschmolzen oder verschweißt. Julius las die Aufschrift der Tube und gerade die Warnhinweise, was er nicht damit anstellen durfte. Er bedankte sich bei dem jungen Pärchen und wickelte das Geschenk der Eheleute Porter aus. Von diesen bekam er einen magischen Atlas "Die Erde in Bildern", der Abbildungen enthielt, die wie Luftaufnahmen räumlich und farbig wirkten und durch Zauberstabberührungen an markierten Stellen Landschaftsmerkmale auf Seitenfüllung vergrößern oder verschiedene Darstellungsweisen wie Gradnetz, Zeitzone, Staats- und Landesverläufe oder natürliche Gegebenheiten einstimmen konnte, fast so wie den faszinierenden Globus, den er bei Gloria einmal besichtigen durfte, welcher exakt die Erde darstellte, wie sie jemand aus dem Weltraum zur selben Zeit betrachtete, mit Wetterverlauf oder Tag- und Nachtseite.

"Dagegen ist mein Geschenk ein Kaugummi in einem Restaurant voller erlesener Speisen", seufzte Mrs. Andrews, die sich den Atlas ansehen durfte. Mrs. Porter beruhigte sie und sagte:

"Sie schenken Ihrem Sohn mehr, als für Geld zu kaufen und mit Magie zu schaffen ist, Martha."

Pina schenkte ihm ein Buch über die 100 wichtigsten Runen von einem Claudius Rebus und Evilyn Nigma, da er wie sie alte Runen gewählt hatte. Glorias Geschenk war ein Buch mit dem Namen: "Hexen und Zauberer - Die Entwicklung und Gesetze der magischen Gesellschaft" von Morighan O'Daye. Von Madame Delamontagne bekam er "Die größten Zauberschachmeister der letzten vier Jahrhunderte", von ihrer Tochter das Werk "Die hellen und dunklen Seiten des Mondes" von Selene Maris, das sich neben der Mondgeographie, der Berechnung seiner Phasen und Naturereignisse auch mit den magischen Eigenschaften des Erdbegleiters befaßte. Catherines Geschenk - noch ein Buch - war "Zauberkunst in Alltag und Handwerk" von Habilius Dexter. Den Namen kannte Julius bereits. Er stand auf der Bestätigung, daß seine Zauberlaterne nun patentiert war. Darin stand alles vom Abfallsammelzauber bis zum Zwiebelschälzauber, konnte das Geburtstagskind bei kurzem Lesen der Inhaltsangabe erfahren. Außerdem wurde es für Schüler ab der dritten Klasse empfohlen.

"Das hat lange gedauert, bis ich das richtige Buch gefunden habe, Julius", bemerkte Catherine dazu.

Madame Faucon, deren Paket er als nächstes öffnete bescherte ihm zwei weitere Bücher für die jetzt schon ansehnliche Bibliothek. Es waren ein Buch über Zaubertöpferei und eines über die Erkennung und Abwehr magischer Spionage. Als Julius dieses Buch hochhielt, bestand Mrs. Jane Porter darauf, daß er ihr Paket öffnete, aus dem er ein Buch mit Namen "Der Voodoo-Schild - Abwehr dunkler Ritualmagie" von Liberius Fireproof und Anima Moonbeam entnahm.

"Nicht daß ich Bläänches Kompetenz in Frage stelle, Honey, aber es gibt bekanntlich mehrere Wege der Magie, und dieses Werk hat sich bereits im Einsatz bewährt wo Schamanen oder Voodoo-Priester, die nie was von einem Zauberstab oder magischen Symbolen gehört haben meinen könnten, dich zu verhexen. Allerdings mußt du es nicht sofort und vollständig lesen", sagte Glorias Großmutter.

Aus Auroras Paket holte er noch ein buch, das "Heilkunst für Ersthelfer" hieß und von einer Euphysia Valid geschrieben worden war, sowie ein Kästchen mit sortierten Fläschchen und Döschen, in denen ordentlich markierte Tropfen, Tränke und Salben enthalten waren, die unter anderem gegen Aknepickel, Brandwunden zweiten Grades, übermäßiger Kälte, übermäßiger Hitze, Schnupfen und andere Erkältungsformen sowie blaue Flecken und Beulen wirkten. Dazu gab es noch eine große Flasche Sonnenkrauttinktur, die gerade hier besonders nötig gebraucht wurde.

"Ich fürchte, ich komm nicht mehr zum lernen, wenn ich damit ausgerüstet nach Hogwarts zurückfahre. Madame Pomfrey wird mich als Assistent für kleine Leiden buchen", seufzte Julius. Aurora lachte und sagte:

"Das könnte dir sowieso passieren, wenn Hera ihr ihren Abschlußbericht schreibt. Besser, du bist vorbereitet. Das Kästchen kannst du in jede verkleinernde Practicus-Tasche packen. Die Zaubermittel wirken trotzdem, wenn sie gebraucht werden. Aber das habe ich dir ja schon einmal verraten."

Kevin Malone schrieb auf sein Paket, daß er sich ärgerte, nicht selbst kommen zu können, aber seine Eltern hätten mit ihm auf der Farm seiner Großeltern zu tun und das sei eben Familienpflicht. Außerdem sollte Julius es vorsichtig auspacken. Tatsächlich wickelte der nun dreizehn Jahre junge Zauberschüler das Paket sehr behutsam aus. Wenn Kevin schrieb, daß es mit Vorsicht zu genießen war, dann meinte er das so. Tatsächlich erstarrte er, als das halb ausgepackte Paket in seinen Händen zu zittern begann und er einen sehr bekannten Buchrücken sah, über den miteinander verknotete Bänder gespannt waren. Er befreite das Buch ganz und hielt es hoch. Jeanne seufzte, Madame Faucon rümpfte die Nase, und Pina und Gloria sahen sich verstehend an.

"Dieser irische Dudelsack hat mir doch glatt dieses vermaledeite Monsterbuch geschenkt. Am besten lasse ich das so verschnürt, wie es ist, bevor es hier noch herumtobt."

"Das die das nicht vom Markt genommen haben", schimpfte Madame Faucon auf Französisch und wechselte zu Spanisch über, um Mrs. Andrews zu erläutern, was es mit dem Buch auf sich hatte. Diese sagte sogleich:

"Julius, am besten packst du es wieder ein und schickst es deinem netten Freund mit Dank zurück, wenn ihr es nicht benötigt."

"Mit Karate komme ich locker gegen das Buch an, Mum. Das mußte ich bereits lernen, als mir so ein Mehrling dieses Buches dumm kam."

"Andererseits enthält es wirklich alle Details zu den gefährlichsten Untieren, die die Zaubererwelt kennt", wußte Jeanne und fügte hinzu: "Bei dem, was 'agrit für interessant 'ält ist es sicher brauchbar, Madame Andrews."

"Mach meiner Mutter keine Angst, Jeanne!" Gab Julius zurück.

Barbara Lumières Geschenk stellte sich als eine kleine flache Dose und ein wohl dazu gehörendes Buch heraus. Julius las auf dem Buch, das einen Zauberer mit sehr großen Gewichten jonglieren sah:

"Der Schwermacher! Für alle die, die ihren Körper für Sport und Alltag ausdauern, stärken oder geschmeidig bekommen wollen, bietet dieses magische Kleinod in Verbindung mit dieser Anleitung das ideale Hilfsmittel. Der mit Zaubern für Stärke, Ausdauer und Gewandtheit bezauberte Bergkristallkörper kann an einer Halskette am Körper getragen werden und bewirkt, das alle Bewegungen, Hebungen und Ausdauerleistungen im Laufe weniger Minuten immer schwerer zu bewältigen sind. Der Körper verhält sich dabei wie in immer dichtere Substanzen bei langsam steigender Eigenschwere steckend. Anfängern wird sehr dringend nahegelegt, ihn bei Beginn nur für fünfzehn Minuten täglich zu benutzen, bei Fortgeschrittenen kann eine halbe Stunde verantwortet werden. Langjährige Benutzer können ihn bis zu einer vollen Stunde benutzen, ohne unter Erschöpfung und eigener Schwere zusammenzubrechen. Wie genau was damit geübt werden kann verrät diese Anleitung mit praktischen, in Text und sich bewegenden Abbildungen beschriebenen Übungen und Ernährungsvorschlägen."

"Ach du meine Güte, was hat dich darauf gebracht, mir ein tragbares Fitnessstudio zu schenken, Barbara?" Fragte Julius verlegen, als er den bläulich schimmernden Kristall, der wie ein zwanzigseitiger Würfel geformt war, den er von seiner Kerker-und-Drachen-Spielzeit her kannte, an seiner silbernen Öse hochhob.

"Der Umstand, daß fast jeder Junge, den ich bisher kennengelernt habe, entweder mit seinen Muskeln angibt oder bedauert, nicht so stark, gewandt oder ausdauernd zu sein. Du kannst damit Krafttraining machen aber auch Beweglichkeitsübungen machen, um deine Körperkoordination und schnelle Bewegungsabläufe zu verbessern. Natürlich habe ich auch sowas."

"Meinst du, er müßte so muskelbepackt sein, wie du, Barbara?" Fragte Pina Watermelon verunsichert.

"Ich denke nicht, daß ich mich zum Kleiderschrank verunstalten muß, Pina. Aber wenn das stimmt, was da steht und Barbara sagt, kann ich damit meine Kondition und meine Flugbewegungen, meinen Tanzstil und meine Karatetechniken auf hohem Niveau halten. Ich werde wohl auch einiges an Zusatzkraft brauchen, allein um die ganzen Geschenke nach Hause tragen zu können", erwiderte Julius.

"Steht da auch drin, daß Kinder im Wachstum vorsichtig damit trainieren müssen?" Wollte Aurora Dawn wissen. Barbara bejahte diese Frage, was die Heilhexe beruhigte.

"Hoffentlich siehst du dann nicht so unförmig aus, wie dieser Bodybuilder, Norman Irons", sagte Mrs. Andrews zu Julius, dem sofort ein Schauer Abscheu über den Rücken lief.

"Neh, Mum, so'n Muskelberg ohne Gehirn will ich bestimmt nicht sein."

Das Paket von Madame Matine lag neben einem länglichen Paket, auf dem in rubinroter Tinte stand: "Alles liebe zum Geburtstag!" Julius wickelte dieses Paket aus und entrollte eine Leinwand, auf der eine wunderschön herausgearbeitete Waldlandschaft unter einem klaren Abendhimmel zu erkennen war. Im Hintergrund erkannte er ein Einhorn, das herüberlugte und sofort im Dickicht verschwand. Im Vordergrund traten bei Bloßlegung des Bildes vier Zwerge an, einer in Grün mit einem Jagdhorn, einer in Rot mit einer Trompete, ein Zwerg in Gold mit einer Harfe und ein buntgekleideter Zwerg mit einer Flöte. Sie nickten Julius und allen, die sie sehen konnten zu und spielten das in aller Welt, ja auch der Zaubererwelt bekannte "Zum Geburtstag viel Glück". Julius schossen Tränen der Freude und überwältigender Verlegenheit in die Augen. Er sah Claire an, die ihr schönstes Lächeln darbot. Pina, die ebenfalls das Zauberbild betrachtete, verzog zwar etwas die Nase, mußte jedoch anerkennend nicken, als sie sah und hörte, was Zaubermalerei in begabten Händen erbrachte.

"Wie lange?" Fragte Julius Claire, nachdem er sich per Händedruck noch mal bedankt hatte.

"Zwischen Ostern und deiner Ankunft in Beauxbatons, Julius. An und für sich wollte ich es Jeanne schenken, weil du ja meintest, es mir nicht wert zu sein, mir damit Arbeit zu machen, aber andererseits war mir klar, daß du das niemals so gemeint hast, wie du es gesagt hast."

"Ist das Bild auch an die Tageszeiten und das Wetter gebunden?" Fragte Florymont Dusoleil, der voller Stolz das Bild betrachtete. Claire nickte nur. Dann erzählte sie, daß die Musikzwerge alle Lieder spielen konnten, die Claire kannte. Allein dafür hatte sie mehrere Wochen gebraucht, in denen sie die Lieder vor sich hingesummt hatte. Das die Zwerge das Geburtstagslied spielten, war der letzte Zauber gewesen, den sie hatte anbringen müssen.

Madame Matines Geschenk bestand in einem Buch, das "Zauberisches Wohlbefinden" hieß und sowohl von ihr, die sie auf dem Einband in beweglicher Abbildung zu sehen war, als auch von einer älteren Dame in weißer Schwesterntracht namens Florence Rossignol geschrieben worden war. Daneben war noch ein silbernes Cremedöschen enthalten, auf dem in Rundschrift zu lesen stand, das es eine Hautschutzsalbe enthielt, die entstandene Hautverletzungen ohne weiteres und narbenlos verheilen ließ oder unversehrte Hautpartien für drei volle Stunden so widerstandsfähig und unverletzlich machte, wie reine Drachenhaut. Daneben lag noch ein Brief in einer kräftigen französischen Schönschrift, in dem Madame Matine Julius alles Gute zum dreizehnten Geburtstag wünschte und hoffte, daß er sein Wissen und seine Gaben immer zum gegenseitigen Vorteil für sich und seine Mitzauberer und Hexen nutzen würde, wozu sie ihm das Buch und die Hautcreme mitgeben wollte. Aurora Dawn betrachtete die Cremedose und pfiff bewundernd durch die Zähne.

"Und da wunderst du dich, daß zwei junge Mädchen sich deinetwegen käbbeln, wenn diese ehrwürdige Hexe meint, dir sowas gutes antun zu müssen? Da sind nämlich Sachen drin, die nicht so leicht zu beschaffen sind. Das Döschen ist übrigens mit dem Conservatempus-Zauber belegt, was du hier an den Runen für Zeit und Dauer erkennen kannst, die fast im Silber verschwinden. Das heißt, daß ihr Inhalt nicht vergammeln kann, zumindest nicht vor den nächsten hundert Jahren. Ich denke, mich mit meiner respektablen Kollegin morgen noch mal zu treffen, nachdem ich in der grünen Gasse war", flüsterte die australische Heilkundlerin. Dann ging sie noch mal hinaus aus dem Esszimmer und kehrte mit einem langen Futteral zurück, das mit einem Reißverschluß versehen war. Julius sah sogleich, daß es gerade groß genug war, um einen Rennbesen aufzunehmen.

"Wenn du verreist, ist der Sauberwisch darin besser untergebracht, als wenn die Reisigbündel verbogen oder das Holz verkratzt werden kann, Julius. Weiterhin auch viel Spaß mit dem Besen!"

Als nun kein ungeöffnetes Geschenkpaket mehr übrig war, lud Madame Dusoleil zu Tisch. Sie zündete Kerzen an und ließ aus der Küche große Tabletts mit Suppenterinen und Warmhalteplatten einschweben. Bald schon waren alle dabei, das über sieben Gänge verteilte Festtagsessen zu genießen, von kleinen Teigröllchen mit raffiniert gewürzter Hackfleischfüllung als Appetithäppchen, eine Gemüsecreme-Suppe, Salat, gedünstetem Fisch mit Kartoffelgratins, einem Rinderbraten in Rotweinsoße mit Kroketten, einer Platte mit verschiedenen Käsesorten bis hin zu einer Eisbombe aus leckeren Früchten und Schokostreuseln.

"Wau!" Bemerkte Pina schon beim Einstiegsgang. Jeanne nahm dieses einsilbige aber allessagende Kompliment mit dankbarem Nicken entgegen. Dazu ergab sich beim Salatgang noch mal die Gelegenheit. Zu trinken gab es verschiedene französische Weine, wobei Julius einen kleinen Schluck zum Anstoßen mit den Gästen bekam, Mineralwasser oder Fruchtsäfte.

Nach dem Essen unterhielten sich die Gäste miteinander, wobei Martha Andrews gerne berichtete, was sie in der nichtmagischen Welt an alltäglichen Dingen kannte. Seraphine, Madame Delamontagne und Jeanne erwisen sich genauso kundig, wie Aurora Dawn. Catherine übersetzte das, was Martha erzählte und ergänzte es durch eigene Erfahrungen in der Muggelwelt. So verging der Abend, der damit endete, daß die Dusoleils Musik aufspielten, zu der das Geburtstagskind mit erwählten Damen tanzte. Er führte seine Mutter als erste auf die kleine Tanzfläche, dann Mrs. Jane Porter, ihre Schwiegertochter Dione, Gloria, Catherine, Aurora, Jenna und Betty Hollingsworth, deren Mutter Marita, Pina Watermelon, Caro Renard, Elisa und Seraphine Lagrange, Jeanne, Virginie und Claire, mit der er irgendwann den Abschlußtanz bestritt.

"Der Tag war lang, der Tag geht um", deklamierte Catherine eine ins englische übersetzte Strophe aus einem Zaubererlied. Dann verabschiedeten sie sich alle voneinander. Julius bedankte sich bei allen, daß sie ihm so einen schönen und überraschenden Geburtstag beschert hatten. Zum Schluß umarmte er seine Mutter und sagte:

"Was immer du hier erlebt hast, ich hoffe, dir hat es gefallen, hier zu sein."

"Ich habe erwartet, daß Catherine mit deiner neuen Umwelt verbandelt sein muß. Außerdem haben mich ihre Mutter und sie ja konditioniert. Es hätte mir ja auch wirklich richtig dämmern müssen, daß Madame Faucon, beziehungsweise Professeur Faucon nur so gut gegen mich Schach spielen konnte, weil sie von dir die raffinierten Taktiken abgeschaut hat, die ich dir beigebracht habe. Also verfalle bloß nicht in Trübsal wegen deines Vaters! Der wollte es ja nicht anders. Madame Dusoleil hat mir mit Hilfe von Glorias Oma erzählt, was zu Ostern gelaufen ist. Hat er verdient, was er bekommen hat, dieser sture Bock."

Als alle Gäste, die nicht im Haus der Dusoleils übernachten wollten gegangen waren, räumten die Frauen der Dusoleil-Familie alles auf und ließen das Geschirr sich selbst abwaschen. Julius trug mit Aurora, Arcadia und Monsieur Dusoleil die Bücherstapel und Zauberapparate hoch in das Zimmer, das er bewohnte und hängte Claires Bild neben jenes, das sie ihm zu Weihnachten geschenkt hatte. Aus Neugier drehte er dieses Kalenderbild mit der sogenannten Feiertagsseite nach vorne, sah jedoch außer einem Dorf im Hintergrund nichts besonderes.

"Ich habe das mit Claire und dem hübschen Mädchen mit dem blonden Zopf gehört, Julius", nutzte Monsieur Dusoleil den Augenblick, wo er mit Julius allein die Bücher und anderen Dinge in Schrank und Schreibtisch einsortierte, um etwas zu sagen, was nicht für alle anderen bestimmt war, ohne unhöflich flüstern zu müssen. "Ich will nicht behaupten, daß Claire in dich verliebt sei, Julius, aber ich denke schon, daß meine mittlere Tochter dich schon sehr viel mehr mag, als einen guten Freund allein. Du wirst vielleicht einwenden, daß sie in Beauxbatons bestimmt irgendwann den richtigen Partner findet und du ja in Hogwarts bist, also weit weg. Doch wenn Claire nach ihrer Mutter schlägt und auch ihrer großen Schwester nacheifert, könnte es dir passieren, daß sie bis zum Schulabschluß wartet, um zu erkunden, ob du mit ihr zusammensein möchtest, wenn es sich nicht vorher schon offenbart. Deshalb sage ich dir von Mann zu Mann auf gleicher Augenhöhe:

Halte sie nicht für lächerlich oder gar für ein unreifes Gör, das nicht weiß, was sie will und tut! Sollte sie wirklich was richtiges mit dir anfangen wollen, und du ihr ernsthaft signalisiert haben, daß du dem nicht abgeneigt bist, tu ihr bloß nicht weh! Dies nur als väterliche Mahnung, falls sich etwas zwischen dir und ihr entwickelt, was über das hinausgeht, was ich heute miterleben und hier an der Wand hängen sehen durfte."

Julius verscheuchte alle frechen Kommentare, die ihm zuerst in den Sinn kamen. Sein Gastvater sah ihm zu ernst aus, um mit einem platten Jungenspruch abgefertigt zu werden. So dachte er eine Minute lang nach, bevor er antwortete:

"Ich weiß, daß Sie als Vater aufpassen, daß Ihre Töchter nicht einem dahergelaufenen und umtriebigen Kerl auf den Leim gehen, und ich denke, mein Vater hätte es sehr hoch geschätzt, daß Sie sich meinetwegen Arbeit machen, ohne ihn oder mich bisher um Geld gebeten zu haben. Deshalb kann ich nur sagen, daß ich nichts tun werde, was Claire mißverstehen kann und mich darum bemühe, Mißverständnisse zu beheben, bevor sie wehtun können. Ich habe bisher nichts darum gegeben, mir eine feste Freundin zu suchen, weil ich mich dafür für zu jung und das Leben für lang genug ansah, um das rechtzeitig auszuprobieren. Ich weiß nicht, was Sie von dem dummen Gezänk zwischen Pina und Claire mitbekommen haben. Aber wenn Pina denkt, ich könnte mich ihr zuwenden und Claire hofft, ich hätte mich bereits ihr zugewendet, dann tut es mir leid, die Mädchen so früh auf derartige Ideen gebracht zu haben. Ich komme mit beiden gut klar, auch mit Gloria Porter. Wie Sie sagten liegt Hogwarts weit weg von Beauxbatons, und im Moment habe ich keinen Grund, die Schule zu wechseln. Deshalb kann ich nur sagen, daß ich nicht vorherbestimmen möchte, was passiert, sondern erst dann was dazu äußere, wenn ich die Situation einschätzen kann, die sich entwickelt. Ich werde weiterhin mit Claire gut zurechtkommen, hoffe ich. Was sonst passiert, lege ich noch nicht fest."

"Interessant. Du hast dir also schon vorher überlegt, ob du mit mir solch ein Gespräch haben wirst? Hätte mich auch gewundert, wenn nicht. Nachdem, was Madame Matine uns mitgeteilt hat und dem, wie ich deine Mutter heute kennenlernen durfte, gehörst du tatsächlich in dieses Haus Ravenclaw in Hogwarts aber bestimmt auch in den grünen Saal von Beauxbatons", sagte Monsieur Dusoleil und klopfte Julius auf die Schultern. Dann verließ er das Gästezimmer.

Julius durfte zuerst ins Gästebad, um sich nachtfertig zu machen, dann waren Arcadia und ihre Cousine dran. Eine Viertelstunde später lag Julius im Bett, konnte aber nicht so schnell einschlafen, weil die jungen Hexen im Gästezimmer gegenüber immer wieder kicherten und scherzten. Irgendwann - seine Armbanduhr zeigte bereits zehn Minuten nach Mitternacht - stand Julius ungehalten auf, zog seinen Bademantel über, öffnete die Tür, trat auf den Gang und klopfte an die zweite Gästezimmertür.

"Herein!" Rief Aurora Dawn. Julius guckte verdutzt die Tür an. Dann öffnete er sie leise und trat ein. Die beiden Frauen saßen in ihren Nachthemden auf einem Bett. Auf einem Feldbett daneben lag eine noch unberührte leichte Decke. Julius stand unvermittelt still da und sah mit einer ihm bis dahin unbekannten Faszination auf Aurora Dawn, die auf dem Bett saß und ihre nackten Beine übereinandergeschlagen hatte. Ihm versagten für einige Sekunden Atem und Stimme weil ihr Nachthemd ihren Körper nicht umspielte sondern in seinen Formen klar abzeichnete.

"Öhm ... Entschuldigung, Mädels, aber es ist schon zwölf Uhr durch und ich kann bestimmt nicht bei Madame Faucon antanzen und sagen, daß Madame Dusoleils Gäste mich am Schlafen gehindert haben. Ich meine ..., öhm, ..."

"Oh, wir sind zu laut, Arcadia. Stimmt. Wir benehmen uns wie Viertklässlerinnen. Nichts für ungut, Julius. Gute Nacht!" Sagte Aurora Dawn mit sanfter Stimme, die Julius noch mehr verwirrte. Dann gab er sich einen Ruck und wandte seinen Blick von der in Australien lebenden Heilhexe ab und sah schnell auf die alle Zimmerwände ausfüllende magische Tapete mit einer üppigen Blumenwiese, die nun, da es auch draußen Nacht war, unter dem gerade sichtbaren Mond silbrig-grau bis schwarz erschien.

"Euch auch, Aurora", wünschte Julius und zog sich schnell aus dem Zimmer zurück. Auf dem Gang trat ihm Madame Dusoleil im dunkelgrünen Morgenrock in den Weg. Sie sah Julius verlegenes Gesicht und meinte:

"Hast du ihnen gesagt, daß sie leiser sein mögen?" Fragte sie lächelnd. Julius nickte. Dann meinte sie:

"Hast du sie etwa in dünner Nachtkleidung gesehen. Das passiert, wenn man in ein Mädchenzimmer hineinlugt. Schlaf gut!"

Julius zog sich in das ihm zugewiesene Zimmer zurück und hörte noch, daß Madame Dusoleil ebenfalls bei Arcadia und Aurora anklopfte. Offenbar unterhielt sie sich kurz mit den beiden im Flüsterton, bevor sie wieder aus dem Zimmer ging und in ihr Schlafzimmer hochstieg.

 

__________

 

Julius hatte keine Erinnerung an irgendeinen Traum, als er erwachte. Er machte kurz Licht, um auf seine magische Armbanduhr zu sehen. Sie zeigte Viertel nach fünf. Unvermittelt schmetterte ein aufrüttelnder Trompetenstoß von der Wand herüber, wo er vor dem Schlafengehen noch Claires neuestes Zauberbild hingehangen hatte. Erschrocken schnellte er hoch und sah, daß einer der vier zu sehenden Zwerge, der ein rotes Kostüm von den Stiefeln bis zur Zipfelmütze trug, in seine bronzefarbene Trompete blies.

"Mann, mußte das sein?" Fragte Julius verstört. Der Zwerg nahm sein Instrument vom Mund fort und sagte:

"Das ist meine Aufgabe, zu wecken, Monsieur."

"Dann sollte ich das Bild in Hogwarts besser nicht aufhängen, sonst lebe ich oder es nicht mehr lange", dachte der nun dreizehnjährige Jungzauberer. Dann entstieg er seinem bequemen Himmelbett, griff sich den Jogginganzug und seinen Bademantel und verließ das Gästezimmer mit der lebendig wirkenden Waldlandschaftstapete.

Beinahe prallte er mit Arcadia Priestley zusammen, die in einem rosa Morgenrock mit Rüschen aus dem anderen Gästezimmer gekommen war.

"War das einer dieser Musikzwerge, die die mittlere Dusoleil gemalt hat?" Gähnte sie eine Frage hervor. Julius nickte und sagte:

"Das hätte sie mir sagen können, daß der Trompeter loslegt, wenn jemand Licht macht. Wahrscheinlich reagiert der auch auf Dämmerungslicht. Ich bin jetzt zu wach, um mich noch mal umzudrehen. Ich zieh meinen Trainingsanzug an und lauf um den Dorfteich. Das habe ich schon seit einigen Tagen nicht mehr gemacht."

"Oh, das könnte ich auch mal wieder tun. Im Wald hinter dem Krötensteig kann man ja auch schön dauerlaufen", sagte Arcadia schon wesentlich munterer. Julius nickte und schlüpfte kurz ins Badezimmer. Nach fünf Minuten verließ er es wieder und eilte die Treppe hinunter, um das Haus zu verlassen. Madame Dusoleil, die ihren grünen Morgenrock trug, winkte ihm zu und öffnete die Tür. Julius trat hinaus in die laue Mittsommermorgenluft. Nach weiteren fünf Minuten kam Arcadia Priestley in einem kurzen Umhang aus königsblauer Baumwolle heraus. Zusammen liefen sie zum Dorfteich, wo Barbara Lumière gerade eintraf und die beiden Frühaufsteher begrüßte.

"Hast du den Schwermacher mit, Julius?" Fragte sie. Dieser verneinte.

"Gut, denn das wäre nicht klug, ihn so heftig zu testen. Abgeht's!"

Nach zwanzig Minuten Dauerlauf rund um den großen Teich in der Dorfmitte kehrten Arcadia und Julius zum Anwesen der Dusoleils zurück. Die jüngste Tochter June Priestleys sagte:

"Du bist gut in Form. Du hast mich fast abgehängt."

"Hier kann ich auch gut trainieren, Arcadia", erwiderte der Hogwarts-Schüler.

Beim Frühstück fragte Julius Claire:

"Hättest du mir das nicht erzählen können, daß dieser Trompetenzwerg loströtet, wenn er Licht sieht?"

"Wieso, du hast es doch auch so mitbekommen", gab Claire frech zur Antwort. Ihre Mutter und ihre jüngste Schwester lachten. Dann sagte sie noch:

"Du kannst aber auch sagen, wann und von wem du geweckt werden möchtest. irgendwie habe ich den Trompeter aber so munter hinbekommen. Der Animapictus-Zauber, der das festlegt, wie wer sich verhält, ist mir da wohl ausgerutscht, nachdem ich mich über jemanden aufgeregt habe, dessen Name nichts zur Sache tut."

"Ich kann mich nicht daran erinnern, in Hogwarts Zaubermalerei als Fach angeboten bekommen zu haben. Ist das in Beauxbatons ein Pflichtfach?" Erkundigte sich Arcadia Priestley.

"Nein, kein Pflichtfach. Allerdings sieht man es dort gerne, wenn man zu den Pflicht- und Zusatzfächern ab der dritten Klasse mindestens einen Kreativkurs nimmt, also Malerei, praktische Zauberkunstübungen, Theaterspiel, Singen, Musik oder Tanz. Tanz als solches ist neben dem Flugunterricht das zweite Bewegungserziehungsfach. Ich habe mir Musik und Malerei und Tanz ausgesucht, während Jeanne auch in der Musikgruppe, der Schachgruppe und der Quidditchmannschaft ist. Dann kannst du natürlich Zusatzübungen zum Pflichtunterricht besuchen, die in der Benotung mitbewertet werden", sagte Claire.

"In Hogwarts gibt es solche Angebote nicht", fügte Jeanne etwas mitleidsvoll hinzu. "Die fördern nur die Quidditchspieler."

"Manche Malzauber sind einfach, aber dafür genau richtig anzubringen, um was tolles hinzubekommen", wußte Julius, der selbst schon etwas Erfahrung mit magischen Gemälden und Zauberbildern hatte. Arcadia fragte Claire noch:

"Hast du das Bild für lebendige Figuren anderer Gemälde geöffnet?"

"Ja, habe ich gemacht. Es ist interessant, was für Leute einen besuchen, wenn ein offenes Gemälde aushängt."

"Das hast du mit dem Kalenderbild auch gemacht", erinnerte sich Julius.

"Das ist auf jeden fall sehr gut gelungen, sowohl von der Technik aber vor allem von der Bildgebung her, Claire", lobte Arcadia das neue Kunstwerk.

Julius erzählte Aurora Dawn noch, daß ihn immer wieder die gemalte Ausgabe ihres Ichs von 1982 aus Madame Hoochs Büro besuchte. Sie nickte und sagte:

"Ja, die habe ich quasi mitgestaltet. Madame Hooch hat uns alle portraitieren lassen. Dann haben wir vor der Festlegung der Animapictus-Zauber die Hand auf unser Abbild gelegt, was dazu führte, daß es unsere Wesenszüge übernahm. Danach kam sie auch öfter zu mir. War zeitweilig spaßig."

Claire hat meine Kreativität im Blut", verkündete Monsieur Dusoleil stolz. Jeanne meinte dazu nur:

"Dafür habe ich Mamans Gründlichkeit und Flugbegabung geerbt."

"Öi, Jeanne!" Versetzte Claire ihrer großen Schwester. Diese lachte nur gehässig.

 

Nach dem Frühstück machten sich Jeanne und Julius bereit für die Ferienstunden bei Madame Faucon, zu denen heute noch Mrs. Jane Porter kommen wollte.

Um kurz vor halb neun trafen Mrs. Hollingsworth mit ihren Töchtern ein, ebenso Gloria und Pina. Aurora Dawn verabschiedete sich von den Dusoleils und Julius und nahm aus dem Geräteschuppen, der zum Anwesen gehörte, den mitgebrachten Wolkenreiter-Besen, auf dem sie die Gäste aus England anführte. Julius sah, daß Pina hinter Gloria auf einem Leihbesen saß und wohl nicht so sonderlich begeistert schien, im Tandem zu fliegen, während die Zwillinge kein Problem damit hatten, auf einem Besen zu fliegen. Mrs. Hollingsworth flog einen etwas älteren Himmelsstürmer, wohl auch von Zuhause mitgebracht. Dann waren sie auch schon fort.

"Juhu!" Rief Virginie Delamontagne, die hinter Seraphine auf deren Ganymed 8 saß. Julius sah die beiden Junghexen an und fragte sich, ob er ...

"Die wollen heute Soziusflug trainieren, Julius. Dann machen wir das auch", stellte Jeanne klar und nahm Julius den Sauberwisch 10 aus den Händen und reichte ihn ihrer Mutter. Sie saß auf ihrem Ganymed 8 auf und ließ Julius hinter sich aufsteigen. Auf ihr "Hopp" ging es in den lauen Sommermorgenhimmel hinauf.

Unterwegs schwirrte ein schnittiger Besen an ihnen vorbei, auf dem Jane Porter in einem tiefseeblauen Kapuzenumhang saß und es wohl genoß, wie ein junges Hexenmädchen durch die Gegend zu fliegen. Jeanne lachte, Julius staunte.

"Das ist ja ein Bronco centennial, der beste Langstreckenrennbesen der Staaten", stellte sie erkennend fest, als der schlanke Besenstiel mit ebenholzschwarzer Spiegelglanzlackierung das Licht der Morgensonne zurückwarf.

"Neue Besen kehren eben nicht nur gut, sie machen jung", bemerkte Julius beeindruckt.

Im Haus Madame Faucons trafen sie Jane Porter wieder. Sie hatte den Kapuzenumhang an einen Garderobenhaken gehängt und den Besen daneben an die Wand gelehnt. Sie trug ein blütenweißes Kleid mit knielangem Saum und hatte ihr graublondes Haar zu kleinen Locken gedreht.

"Guten Morgen, Mesdemoiselles und Monsieur Andrews!" Begrüßte Madame Faucon in einem mauvefarbenen Umhang die Ferienschüler. "Madame Porter brauche ich Ihnen ja nicht noch einmal vorzustellen, da Sie sie ja alle gestern bereits kennenlernen durften. Sie hat ja gestern unser Einverständnis erbeten, uns heute beim Unterricht Gesellschaft leisten zu dürfen. Das heißt jedoch nicht, daß wir den von mir festgelegten Ablaufplan ändern. Ich gab Ihnen auf, sich oberflächlich mit den Objektflüchen zu befassen, die eine Unterwanderung des freien Willens bewirken und jemanden in Abwesenheit ihres Schöpfers dazu antreiben können, dessen Vorhaben umzusetzen. Wer möchte mir erzählen, welche Arten dieser Flüche es gibt?"

Alle meldeten sich, auch Jane Porter, die jedoch schalkhaft grinste, weil sie natürlich nicht mehr zeigen mußte, daß sie darüber etwas wußte. Madame Faucon sah Julius an, den jüngsten hier anwesenden Ferienschüler.

"Die Seelenfangflüche, wie sie allgemein genannt werden, werden unterteilt in Gedächtnisvergiftungsflüche, die böswillige Erinnerungsfragmente auf einen übertragen, um das Wesen des Opfers langsam zu verändern, so wie schleichende Eindringungsflüche, die nicht bewußt wahrgenommen werden und über einen längeren Zeit Raum ihre volle Wirkung entfalten. Dann gibt es noch die Gedankenfesseln, die bestimmte Absichten an Stelle anderer Absichten zwingen, das Bewußtsein für gut und böse schwächen, ja sogar umkehren, aber mindestens bestimmte Gedanken blockieren. Sie werden auch Gewissenskerker genannt und sind schon seit den Druiden berüchtigte Zwingzauber ohne Anwesenheit dessen, der sie aufruft. In den Naturvölkern soll es noch den Seelentauschfluch geben, der es bewirkt, daß jemand je nach Heftigkeit schnell oder langsam vollkommen vom Bewußtsein eines anderen überwältigt und gesteuert wird. Muggel sprechen da gerne von Besessenheit. Diese Flüche können an persönliche Gegenstände ihres Schöpfers gebunden oder in Form von Beifügungen in Gefäßen oder Kleidungsstücken verankert werden. Das gemeine an diesen Flüchen ist bei allen Arten, daß sie anfänglich Zuversicht, Geborgenheit, Stärke und Mut erzeugen, um dem Opfer vorzugaukeln, sie seien nützlich und es so immer stärker von ihnen abhängig machen. Ich behaupte mal, das ist so ähnlich, wie Rauschgift. Diese Flüche können dann auch sehr schwer wieder von einem Opfer genommen werden, wenn es nicht in ihrer Natur liegt, von ihnen betroffene zu Grunde zu richten, um dann wie ein Schmarotzertier ein neues Opfer zu suchen."

"Was heißt für Sie zu Grunde richten, Monsieur Andrews?" Fragte Madame Faucon. Julius sagte:

"Zerstörung des eigenen Geistes, Erinnerungsverlust, körperliche Schwächung, sogar den Tod, Madame."

"Gut, Monsieur Andrews. Das ist sehr viel auf einmal. Trotz Ihrer gesellschaftlichen Verpflichtungen haben Sie offenbar gut vorarbeiten können. Oder ist Ihnen diese Thematik anderswo schon begegnet?"

"Hmm, nicht direkt. Zum Glück. Ich hörte nur davon, daß ein Jahr vor meiner Einschulung in Hogwarts ein dunkles Erbe des Mitgründers Slytherin wiederbelebt wurde und hörte um mehrere Ecken, daß da wohl ein stark verfluchter Gegenstand auf den Willen einer Schülerin eingewirkt hat. Deshalb hat mich das interessiert, mehr darüber zu lesen."

"Geheimhaltung in einer Schule ist wohl eine Illusion", seufzte Madame Faucon, während Jane Porter verärgert dreinschaute. Julius wußte nicht, ob die Hexe aus Amerika verärgert war, weil er etwas erwähnt hatte, von dem er nichts wissen durfte und sah sie fragend an.

"Ich ärgere mich nicht deinetwegen, Honey", sagte Jane Porter in astreinem Französisch ohne ihren Staatenakzent. "Ich ärgere mich über diese Leute, die diesen Gegenstand gemacht und in Umlauf gebracht haben. Ich hörte nämlich auch davon. Das soll ein verhextes Tagebuch des dunklen Lords gewesen sein, als der noch in Hogwarts Schüler war, in dem drinstand, wie dieses dunkle Erbe zu finden und auf unschuldige Leute losgelassen werden kann. Immerhin ist es ja vernichtet worden und kann diesen Schaden nicht mehr anrichten."

"Womit wir bei einem entscheidenden Punkt sind, Madame", griff die Beauxbatons-Lehrerin geschickt das eigentliche Thema wieder auf. "Wie kann man solche Flüche aufheben, Mademoiselle Delamontagne?"

"Öhm, wohl durch Gegenflüche, wenn man weiß, wie der Fluch wirkt", sagte Virginie leicht verlegen. Madame Faucon nickte nur flüchtig, fügte aber sogleich hinzu:

"Nicht gerade aussagekräftig. Wissen Sie es, Mademoiselle Dusoleil?"

"Grundsätzlich endet ein solcher Fluch mit der Vernichtung des mit ihm belegten Objektes. Dabei muß jedoch das Risiko abgewogen werden, ob die betroffenen Personen nicht leiden, wenn der Fluch derartig abrupt erlischt, wenn sie zum Beispiel in einer Art Trance gehalten werden oder tatsächlich einen schleichenden Wesensumwandlungsprozess durchlebt haben. Die von Julius Besessenheit genannte Beeinflussung ist auf jeden Fall damit zu korrigieren."

"Korrekt, Mademoiselle. Was die Erinnerungsfragmente angeht, kann es auch zu einer Energieumschichtung kommen, also durch Schwächung des Opfers das durch eingespeicherte Gedächtnisfragmente geschaffene Eigenwesen erstarken, ja sogar bis zur Materialisation verdichtet werden. Der letzte Schritt ist die körperliche und seelische Vernichtung des Opfers. Wenn dieser absolute Katastrophenfall bereits geschehen ist, kann dieses Produkt aus Fluch und Lebensenergie des Opfers immer noch durch die Vernichtung des auslösenden Objektes wieder zerstört werden. Für das Opfer kommt dann aber jede Hilfe zu spät. Weil derartig verfluchte Gegenstände diese fatale Wirkung haben, werden sie auch als materieller Focus bezeichnet."

"Dieser Fluch, den Sie uns vorgeführt haben, als wir hier noch zu acht saßen, gehört der auch zu diesen Eindringungsflüchen?" Wollte Julius wissen. Madame Faucon nickte bestätigend.

Die nächsten Stunden wurden gezielte Abwehrzauber zur Bekämpfung solcher Flüche durchgesprochen und auch Maßnahmen, wie betroffene Menschen oder Tiere aus der Abhängigkeit zu diesen Flüchen befreit werden konnten. Madame Faucon holte irgendwann ein buntes Buch hervor, was alle Anwesenden kurz aufstöhnen ließ. Es war ein Exemplar von "Winnies wilder Welt". Dieses anscheinend harmlose Kinderbuch barg eingearbeitete Flüche, die über die dargestellten Figuren wirkten, wenngleich sie auch nicht von Dauer waren. Madame Faucon sagte:

"Vor einem Monat gelang es, einen entscheidenden Zauber zu kreieren, der dieses Buch ein für allemal neutralisiert. Er ist vierstufig und kann nur dort wirken, wo er durch Runen und Bannlinien in einem Raum gehalten wird. Dafür können mehrere Bücher gleichzeitig entflucht werden. Dieses Buch ist noch aktiv."

Sie klappte das Buch auf, und eine fröhliche Kinderstimme rief: "Hallo, wollt ihr mit mir spielen?!"

Ein leichter Sog ging von dem Buch aus, während Madame Faucon weit genug wegstand, um zu beobachten. Julius zog seinen Zauberstab und wartete, was passieren würde. Das Buch hob vom Tisch ab und trudelte durch den Raum, irgendwie unschlüssig. Dann suchte es sich Virginie als Ziel aus. Diese nahm ihren Zauberstab hoch und rief:

"Versimotus!" An und für sich sollte nun jede magische Bewegungsform in ihr Gegenteil umgekehrt werden. Doch knisternd sprühten Funken von dem Buch, und es schwebte weiter auf Virginie zu. Sie versuchte es mit Fluchabwehrsprüchen, schaffte es damit aber nur, das Buch zurück zu treiben, sodaß es sich Seraphine aussuchte. Diese schwang ihren Zauberstab und bellte:

"Resomnius Winnie!" Unvermittelt flatterten die Buchseiten, die Deckel erzitterten. Dann klappte sich das Buch zu und fiel auf den Tisch. Mit einem schnellen Griff hatte es Madame Faucon so gepackt, daß es sich nicht mehr aufklappen konnte und steckte es in eine Kiste, auf der Julius magische Symbole erkennen konnte.

"Erfahrung macht klug", sagte Seraphine. Madame Faucon nickte und sagte:

"Gegenflüche wirken nur begrenzt, weil die Verfasserin jedem illustrierten Wesen einen eigenen Charakter gab und damit einen eigenen Seelenfangfluch. Der Schlafzwang-Fluch, verbunden mit dem Namen der Hauptperson, kann es für zwei Stunden blockieren. Dazu ist es noch mit Unverwüstlichkeitszaubern gegen Feuer, Nässe und Zerreißen geschützt. Eine gewisse Nirvana Purplecloud, die in Thorntails Zaubertränke und Verteidigung gegen die dunklen Künste lehrt, hat mit einem Voodoo-Spezialisten aus New Orleans dieses Buch endgültig besiegt. Die Schutzzauber wurden dabei in ihr Gegenteil verkehrt, nach und nach. Die verfluchten Seiten wurden in einem magischen Raum ihrer Kraft beraubt. Es ist also vorbei mit diesem Spuk."

"Dann können ja alle, die das Ding noch in ihrem Besitz haben, es endlich vernichten lassen", stellte Julius fest, der sich daran erinnerte, wie er fast selbst in eines dieser Bücher gezogen worden wäre, das bei Aurora Dawn stand.

"Ja, das können sie", erwiderte Madame Faucon.

"Wieso funktioniert eigentlich der Bewegungsumkehrer nicht?" Fragte Julius.

"Weil die Bewegung nicht von außen, sondern von Innen erfolgt. Telekinetische Zauber werden immer von einer entfernten Quelle aufgerufen. Hierbei handelte es sich jedoch um einen eigenen Levitationszauber, der sich in der Quelle selbst bildet. Andere Fernlenkzauber funktionieren jedoch, so wie ja auch jemand der läuft von hinten gepackt und fortgezogen werden kann", erläuterte Madame Faucon. Virginie errötete, weil ihr nicht eingefallen war, eigene Fernlenkzauber gegen das Buch einzusetzen.

Nach der kurzen Halbzeitpause diskutierten die Ferienschüler mit ihrer Lehrerin und dem Gast aus Amerika die Seelenfangflüche verschiedener Kulturen. Dabei erfuhren sie von Jane Porter, daß es Zauberbanne gab, die die Seelen von Menschen in einem Gefäß einfangen konnten, wenn sie durch einen Todeszauber umkamen oder durch bestimmte Gifte starben. Diese gefangenen Seelen konnten dann in der Sklaverei für den dunklen Schamanen oder Voodoo-Hexenmeister gehalten werden, bis ein Gegenritual unter Verwendung ihrer wahren Namen die gefangenen Seelen befreite, was unmittelbar zum Tod des Dunkelmagiers führte, da dieser mit seiner Energie mit diesen Sklavenseelen verbunden war. Madame Faucon fügte dem hinzu, daß es auch unter den keltischen Druiden solche gegeben hatte, die dereinst solche Seelenversklavungsflüche beherrscht hatten und Dairon vom Düsterwald einer von ihnen gewesen sei. Anschließend führten Madame Faucon und Jane Porter den Ferienschülern diverse Zaubergesänge vor, die mit oder ohne Zauberstab gewirkt werden konnten. Es war schon unheimlich, wie Gefühle durch fremdartige Worte verändert werden konnten, wie Schläfrigkeit oder Körperstarre durch einen Gesang verstärkt werden konnte, fand Julius, der es ja schon kannte, daß soetwas funktionierte.

"Manchmal ist es nützlich, derartige Zauber zu wirken, wenn man von einem Haufen mörderischer Leute angegriffen wird", meinte Mrs. Porter. Madame Faucon fügte jedoch schnell hinzu:

"Allerdings nur im Notfall. Diese Zauber sind schwarze Magie. Schwarze Magie an sich fördert niemals das friedliche Miteinander und führt, das sagte ich Ihnen ja zu Beginn der Unterrichtsstunden, zur Selbstzerstörung. Solche, die sich darauf einlassen, haben in der Regel nichts für ihre Mitmenschen übrig, ja verachten sich auch selbst."

"Will sagen, Bläänch, daß ein gesundes Selbstbewußtsein und Verantwortungsgefühl vor den Verlockungen der dunklen Seite schützen", entgegnete Jane Porter. Madame Faucon rümpfte zwar die Nase, weil sie derartig interpretiert wurde, aber sie ließ es durchgehen. Julius wußte, daß es einem Schüler oder Hausgast niemals erlaubt war, sowaas zu tun.

"Verantwortungsgefühl ist nicht nur in der Ablehnung schwarzer Magie wichtig, sondern gilt in allen Bereichen der Zauberei."

Unvermittelt richtete sie den Zauberstab auf einen freien Stuhl und machte schnelle Bewegungen, daß die Stabspitze durch die Luft pfiff. Ein lauter Knall hallte durch den Raum, und da, wo der Stuhl gestanden hatte, kauerte ein weißer Wolf, der angriffslustig die Ohren anlegte und die Zähne fletschte. Eine weitere Zauberei Madame Faucons ließ das gezauberte Tier auf Mausgröße zusammenschrumpfen. Danach verwandelte sie das Tier wieder in den Stuhl zurück.

"Wer das beherrscht, was ich hier gerade vorgeführt habe, trägt eine sehr große Verantwortung und sollte sich selbst am besten von allen beherrschen können", kommentierte sie, was sie gerade getan hatte. Dabei sah sie alle Ferienschüler genau an und wandte sich dann an Jane Porter:

"Ich hörte von diesem Zwischenfall mit dem von Thorntails verwiesenen Fünftklässler, der in New York als dunkler Lord aufgetreten ist und Muggel zu Frondiensten gezwungen hat. Sind bei euch die Regeln für Schulverweise nicht so gut wie bei uns?"

"Das war ein Muggelstämmiger, Bläänch. Der hat nur Zaubern gelernt, weil er sich was davon versprach, nämlich Macht und Reichtum. Das kam erst in seiner fünften Klasse raus. Die haben ihm den Zauberstab zwar weggenommen, aber irgendwie muß er bei seinem Abgang den eines Mitschülers mitgehen lassen haben. Die Sache ist bereinigt. Der fragliche Schüler wurde nach Askaban verfrachtet."

"Oha, wenn der sich als dunkler Lord ausgegeben hat wird er da bestimmt sehr nett behandelt", erwiderte Julius dazu. Jane Porter nickte. Sie verstand, was Julius meinte. Auch Madame Faucon verstand und nickte nachsichtig.

Am Ende der Stunden nahm Madame Faucon Julius noch mal bei Seite und sagte zu ihm:

"Ich werde heute Nachmittag bei Eleonore sein und mich mit deiner Mutter unterhalten. Jetzt, wo wir eine gemeinsame Sprache gefunden haben, kann ich ohne Umwege mit ihr diskutieren. Eleonore hat mich gebeten, Camille, Mademoiselle Dawn und Mademoiselle Priestley zusammen mit dir um fünf uhr dorthin zu bestellen. Bis heute Nachmittag!"

Julius flog mit Jeanne wieder zurück zum Anwesen der Dusoleils, wo er gerade noch seine Schulkameradinnen, Betty, Gloria, Jenna und Pina antraf, die sich erschöpft aber offenbar voller toller Erlebnisse von Aurora Dawn verabschiedeten. Madame Dusoleil strahlte Julius an, als er vom Besen stieg und seine Geburtstagsgäste begrüßte.

"Und, wie war's?" Fragte er auf Englisch. Betty erzählte kurz, was sie alles an Pflanzen gesehen hatten und was Aurora Dawn ihnen erklärt hatte. Dann fragte Gloria:

"Und, haben sich Oma und Professeur Faucon vertragen?"

"Ja, haben sie", gab Julius grinsend zur Antwort.

Claire kam aus dem Haus und umarmte Julius. Pina sah das wohl und verzog kurz das Gesicht, während Gloria grinste und die Zwillinge kicherten.

"Maman nimmt dich nachher mit zu Madame Delamontagne. Deine Maman fährt ja heute abend wieder mit Madame Brickston nach Paris."

"Ja, das stimmt", sagte Julius, der es nicht wagte, sich gewaltsam aus der Umarmung zu lösen, weil er sich damit wohl lächerlich machen würde. So sah er nur zu Pina und den anderen Mädchen hinüber und sagte frech:

"Das machen die Hexen hier alle, wenn ein Junge ihr Gast ist."

Den Nachmittag verbrachte Julius mit Jeanne und Claire im Garten. Madame Dusoleil war unterwegs, um Gartenarbeiten zu erledigen, Aurora Dawn besuchte die Läden in der Dorfmitte, und Arcadia Priestley ließ sich von Monsieur Dusoleil seine Werkstatt zeigen. Julius wußte, daß er ihr bestimmt nicht die interessantesten Zaubergeräte vorführen würde, die er ihm auch nur dann vorgeführt hatte, als er auf einen magischen Eidesstein geschworen hatte, nichts zu verraten.

 

Um zehn vor fünf kehrte Madame Dusoleil zurück und zog sich im Haupthaus um. In einem meergrünen Umhang und mit gekämmtem Haar kam sie wieder heraus und winkte Julius.

"Auf, Monsieur Andrews. Aurora ist schon bei Eleonore." Dann wandte sie sich noch an ihre Töchter und sagte:

"Wir sind dort zum Abendessen eingeladen. Uranie macht nachher für euch was."

"In Ordnung, Maman", erwiderten Jeanne und Claire gleichzeitig.

Arcadia Priestley holte noch ihre Handtasche aus dem Wohnhaus und folgte Madame Dusoleil, die Julius hinter sich auf ihrem Familienbesen sitzen hatte, auf einem Nimbus 2000.

"Wie ist das mit dir, Arcadia? Bleibt ihr auch nur bis heute Abend?" Wollte Julius wissen. Die Gefragte lachte und antwortete:

"Aurora und ich reisen erst morgen wieder fort. Wolltest du uns schon loswerden, Julius?"

"Öhm, nein", antwortete Julius verlegen. Madame Dusoleil gemahnte ihn, sich nicht so sehr zu drehen, um den Besen nicht aus der Flugbahn zu drängen.

Martha Andrews erwartete Julius schon auf der Landewiese der Delamontagnes. Sie begrüßte Madame Dusoleil, bevor sie ihren Sohn in die Arme schloß.

"Das war ein langer Tag. Aber ich bin froh, daß wir nun alles geklärt haben", sagte sie zu Julius. Dieser strahlte sie an.

"Und, wie habt ihr euch jetzt geeinigt? Erzählst du Paps, was es mit Catherine und ihrer Mutter auf sich hat?"

"Bloß nicht. Wenn ich dem überhaupt erzähle, daß ich mich darauf eingelassen habe, hierher zu kommen, läßt der mich noch für verrückt erklären. Er wollte nichts mehr von dir wissen, dann wird er auch nichts mehr von mir über dich erfahren, bis er es einsieht, wie albern er sich verhält", gab Mrs. Andrews entschlossen zur Antwort.

Während einer gemütlichen Kaffeetafel, wo Julius wieder zur Linken seiner Mutter saß, die von Catherine flankiert wurde, Madame Faucon gegenüber von sich, unterhielten sie sich über die Erlebnisse der letzten beiden Jahre. Aurora Dawn, die links von Julius saß, erzählte vom Ostersonntagsball bei den Delamontagnes und erwähnte auch, daß Julius dabei die australische Zaubereiministerin getroffen hatte. Martha Andrews verzog zwar das Gesicht ein wenig, als glaube sie das nicht so recht, doch als sie die Fotos aus dem Miroir Magique vom Ostermontag sah, glaubte sie es. Sie sah nur verdutzt auf die abgebildete Madame Lumière und meinte:

"Das ist ja kurios, daß diese Zauberfotos sogar ungeborene Kinder darstellen können. Ist das Alchemie oder hängt da noch mehr mit zusammen?"

"Sowohl als auch, Mum", erwiderte Julius. "Es gibt Lösungen, die die Filme so entwickeln, daß etwas von den Wesensmerkmalen der fotografierten Wesen im Augenblick des Bildes hängenbleibt, aber auch Kameras, die das unterstützen."

"Auf jeden Fall hast du gut umgesetzt, was dein Herr Vater dir damals eingeredet hat. Du hast dich der Zeitung zu entziehen versucht", sagte Mrs. Andrews lächelnd. Dann fragte sie Madame Faucon irgendwas, was nur sie und die Beauxbatons-Lehrerin verstehen konnten und wandte sich an Julius:

"Madame Faucon sagt, daß du dieses Beauxbatons kurz besucht hast, als du hierherkamst. Wieso bist du nicht mit dem Zug erst nach London zurückgefahren?"

"Weil die Leute von Beauxbatons am selben Tag von Hogwarts fortreisten. Da ich sowieso nach Millemerveilles eingeladen worden war, durfte ich mit der Erlaubnis von Madame Maxime mitreisen", antwortete Julius.

"Madame Dusoleil ließ sich übersetzen, was gesagt worden war und sagte in ihrer Muttersprache:

"Es bot sich an, da Blanche und ich für die Zusatzkosten eintraten, die eine Kleinigkeit waren. Aber irgendwie gefiel Julius Beauxbatons nicht so recht."

Der Hogwarts-Schüler übersetzte es mit etwas Verlegenheit in der Stimme wörtlich, weil er sich sicher war, daß madame Faucon es hören würde, wenn er etwas verfälschte. Dann rechtfertigte er seine gewisse Abneigung mit den Worten:

"Die waren mir da alle zu strickt, Mum. Das kam mir eher wie eine Kaserne als wie eine Schule vor. Aber ich denke mal, daß da auch interessantes und lustiges möglich ist."

Madame Faucon ließ sich geduldig übersetzen, was Julius sagte und sprach dann Martha Andrews auf Spanisch an. Diese lachte danach und wandte sich an ihren Sohn.

"Madame Faucon sagt, daß es dort nicht verboten sei, zu lachen, wenn jemandem danach zu Mute ist, solange es nicht in den Unterrichtsstunden passiert, wenn ich sie richtig verstanden habe."

Julius fragte kurz nach und erhielt die Bestätigung, daß seine Mutter richtig verstanden hatte.

Irgendwann im Laufe des Nachmittags sprach man vom Schachturnier und vom Sommerball. Martha Andrews fragte ihren Sohn:

"Was ist mit dem Mädchen los, das mit dir getanzt hat. Verspricht sie sich mehr von dir als nur einen guten Tanzpartner?"

"Wie kommst du denn darauf, Mum?" Fragte Julius, der irgendwie auf diese Frage gefaßt war.

"Dieses belanglose Gezänk gestern nachmittag sah für mich so aus, als meine sie, mit anderen Mädchen konkurrieren zu müssen. Ich hatte den nicht ganz von der Hand zu weisenden Eindruck, daß es was mit dir zu tun hat."

"Ach, das war nur, weil Pina meinte, daß der Ball hier dazu da sei, Leute miteinander zu verkuppeln, wie dieser abgehobene Opernball in Wien, von dem deine Mutter uns mal erzählt hat."

Madame Delamontagne räusperte sich und sagte:

"Einerseits dient unser Mittsommerball dazu, gesellschaftliche Kontakte zu pflegen und auch den Jugendlichen die Möglichkeit zu geben, sich in unsere Gemeinschaft einzufügen. Andererseits ist es schon möglich, öffentlich zu demonstrieren, daß man einen Partner gefunden hat. Ich persönlich denke jedoch, daß es nicht jetzt geklärt werden kann, inwieweit Julius sich bereits gebunden hat oder wer ihn für sich beansprucht, Madame Andrews. Ich erkenne natürlich an, daß Sie am sozialen und auch partnerschaftlichen Werdegang Ihres Sohnes ein gerechtfertigtes Interesse hegen." Dann übersetzte sie schnell ins Französische, was gesagt worden war. Madame Dusoleil sagte etwas, das Julius schlucken ließ. Er traute sich nicht, es zu übersetzen und war froh, daß Catherine dies übernahm.

"Camille meint, daß sie nichts dagegen hat, daß Julius im Rahmen sittlicher Gebote mit allen ihren Töchtern gut bis sehr gut auskommt und kann sich vorstellen, daß sie ihn als offizielles Familienmitglied willkommen heißen kann, da sie ihn ja schon tatsächlich in ihre Familie aufgenommen hat."

"Moment, Catherine. Du meinst, daß sie sagt, Julius sei bereits Mitglied ihrer Familie geworden? Was hat sie dazu bewogen? Ich meine, was hat Julius getan, um diese Würdigung zu erhalten?"

"Ich habe ihn als sehr sympathisch, aufmerksam und verantwortungsvoll kennenlernen dürfen, Madame", sagte Madame Dusoleil, was diesmal von Madame Delamontagne übersetzt wurde. "Außerdem teilt er einige unserer Interessen, also solchen von mir und meinen Verwandten. Ohne Sie jetzt beleidigen zu wollen empfinde ich es als bedauerlichen Fehler, ihn nur deswegen nicht mehr zu würdigen, weil er magische Kräfte besitzt."

"Mit anderen Worten: Falls Richard und ich sagen würden, wir wollten nichts mehr von Julius wissen und alle Rechte und Verpflichtungen ihm gegenüber abgeben, würden Sie ihn anstandslos aufnehmen?" Wollte Mrs. Andrews wissen.

"Oui, Madame", waren die einzigen beiden Worte, die Madame Dusoleil erwiderte, nachdem ihr die Frage übersetzt worden war. Das brauchte nicht übersetzt zu werden, dachten alle. Eine halbe Minute lang schwiegen alle. Dann meinte Aurora Dawn zu Julius:

"Julius, im Moment wird Camille dich nicht für sich behalten, da deine Mutter uns allen verdeutlicht hat, daß du ihr nicht egal bist und sie wissen und bereden will, was du bei uns erlebst und tust. Tante June hat ja auch gesagt, daß es nicht geplant ist, dich von deinen Eltern fernzuhalten. Dann wäre deine Mutter nämlich nicht hier."

"Nun, da ich gestern ja erfahren durfte, daß Mrs. Priestley mit Ihnen verwandt ist, frage ich mich zwar immer wieder, ob Sie diese Fürsorgemaßnahme nicht angeregt haben, Ms. Dawn. Aber ich habe mit Ihrer Tante während der Fahrt von Hogwarts lange genug sprechen können, um ihren Worten zu vertrauen."

"Ich bin auch nicht so mächtig, daß ich aus reiner Willkür beschließen und durchsetzen könnte, Sie zu bevormunden oder nach meinem Willen zu lenken", gab Aurora Dawn mit einem Lächeln zurück. Julius verstand es so, daß sie klarstellte, daß sie wußte, daß seine Mutter nicht mehr daran dachte, falls dies jemals so war, daß Aurora Dawn ihn durch irgendwelche Verbindungen zu hohen Stellen der Zaubererwelt von seinen Eltern wegbekommen wollte, nur weil diese ihr nicht erlaubt hatten, ihn zur Quidditch-Weltmeisterschaft mitzunehmen.

"Wie dem auch ist, ich habe mich mit der neuen Situation arrangiert, Ms. Dawn. Ich werde die zwei Wochen, die Richard und ich noch in Frankreich zubringen wollen, nichts verlauten lassen, was ich nun über Catherines Verwandtschaft und sie selbst weiß. Nachher gerät Richard wirklich noch in einen überzogenen Verfolgungswahn, weil er überall Handlanger der ihm suspekten Zaubererwelt sieht", bekräftigte Martha Andrews wiederholt.

"Mum sagte was von einem weißen Flügelpferd, Madame Delamontagne. Ich habe letzten Sommer im Tierpark zwar die goldenen Tiere gesehen, wie sie auch vor die Kutsche der Beauxbatons-Abordnung gespannt waren, aber weiße Flügelpferde habe ich dort nicht gesehen", wandte sich Julius an die Dorfrätin für Gesellschaftsfragen. Diese nickte und erwiderte:

"Die werden gesondert betreut, eben für besondere Anlässe, wie hohen Besuch, Feierlichkeiten und Paraden. Wenn hier Walpurgisnacht ist, fährt die dorfälteste Hexe mit diesem Pferd über das Dorf herum, während sich die übrigen hinter ihr auf ihren Besen tummeln. Ein paar übermütige Zauberer wollten einmal auf dem Pferd reiten, unterließen es aber schnell. Diese Tiere sind viermal so stark wie ein indischer Arbeitselefant, falls du und Sie verstehen."

"Vollkommen", erwiderte Martha Andrews. Sie erzählte, daß ihr Großvater väterlicherseits noch zu Zeiten britischer Vorherrschaft in Indien auf einem solchen Arbeitselefanten geritten sei. Julius kannte auch das uralte Schwarz-Weiß-Foto, wo der halbwüchsige Jüngling, der sein Urgroßvater da noch war, stolz vom Rücken eines Elefanten herunterwinkte.

Madame Lumière kam mit ihren beiden Töchterchen auf einem behäbigen Besen angeflogen. Die Babys trug sie in einem bequemen Tragekorb, der mit Decken und Kissen ausgepolstert war vor sich, als wenn es ein auf den Stiel montierter Kinderwagen ohne Räder sei. Sie fragte, ob sie kurz landen dürfe und bekam von Madame Delamontagne die Erlaubnis. Als sie Julius' Mutter sah, sah sie sie sehr genau an, lächelte dann aber wohlwollend. Dann sprach sie auf Französisch und wartete bis Catherine übersetzte:

"Das ist die Mutter von Barbara. Sie ist hier für Kulturveranstaltungen zuständig und möchte gerne allen Interessenten die Einladungen für den Sommerball vorbeibringen, die auf ihrem Heimweg wohnen."

Martha Andrews sah die beiden gerademal einen Monat alten Babys an und fragte über Catherine nach, wie alt sie seien. Madame Lumière gab bereitwillig Auskunft. Dann holte sie aus ihrem Reiseumhang Pergamentumschläge mit dem Wappen von Millemerveilles, einer bogenförmig geschriebenen goldenen Tausend heraus und gab sie an die richtigen Empfänger. Als sie bei Julius anlangte, strahlte sie über das ganze Gesicht.

"Wir freuen uns schon, daß du wieder mittanzt, Julius. Barbara hat mir erzählt, daß du noch sehr gut in Form bist."

"Es werden dieses Jahr mehr Leute sein, richtig?" Fragte Julius.

"Alle die, die letztes Jahr bei der Quidditch-Weltmeisterschaft waren und noch einige Gäste von Auswärts. Höchstens noch hundert Leute mehr. Wir müssen ja ausloten, wieviel Damen und Herren teilnehmen, ohne jemanden benachteiligen zu müssen."

"Ach, wenn es einen Herrenüberhang gegeben hätte wäre ich auch im Haus der Dusoleils geblieben", gab Julius frech zurück. Madame Dusoleil, Madame Delamontagne und Madame Lumière räusperten sich sehr vernehmlich.

"Ich sagte bereits als du mit Barbara und Jacques ankamst, daß du auf jeden Fall wieder teilnehmen mußt, wenn du hier bist. Dann hätte ich Jacques zu Hause gelassen. Der ist immer noch nicht begeistert vom Tanzen."

"Nein, bloß nicht. Nachher behauptet der noch, er hätte meinetwegen fortbleiben müssen", erwiderte Julius. Das brachte alle hier anwesenden Leute aus Millemerveilles zum lachen. Madame Dusoleil sagte noch:

"Ich empfand es als schön, spannend und anregend, endlich eine würdige Konkurrenz zu Florymont und mir zu erleben, Julius. Zwar kann Jeanne auch sehr gut tanzen, aber die partnerschaftliche Harmonie ist wichtig. Also bleibt es dabei, daß du mitmachst."

"Eigentlich müßte ich das Richard sagen, daß sich zumindest die Ausgaben für den Tanzkurs gelohnt haben", bemerkte Mrs. Andrews, als man ihr in Kurzform übersetzt hatte, was gesagt worden war. Sie durfte eines der beiden Mädchen aus dem Tragekorb heben und einige Sekunden lang wiegen. Julius sah genau hin, wie seine Mutter den großen Kopf des Babys stützte, bevor sie es in den Tragekorb zurücklegte.

"Wir sehen uns dann am 28. Juli!" Rief Madame Lumière und flog weiter.

Vor dem Abendessen bekam Julius die Erlaubnis, kurz mit seiner Mutter allein zu sprechen und ging mit ihr in den Arbeitsraum der Dorfrätin. Dort erzählte er ihr, daß die Geldanlage für ihn wesentlich mehr abgeworfen habe, als seine Mutter sich ausgerechnet hatte und erklärte ihr auch, wie Mr. Porter dies angestellt hatte.

"Ach du meine Güte, dann schwimmst du ja im Geld!" Stieß Martha Andrews gerade noch in vertretbarer Lautstärke aus. Julius nickte.

"Na gut, dann ist das mit deiner Schulausbildung ja kein Problem mehr. Ich werde deinem Vater erzählen, daß ich dir etwas Geld gegeben habe, bevor er das mit diesem Brief angestellt hat. Wenn er der Meinung ist, es dir wieder fortnehmen zu müssen, muß er sich schon an dich wenden. Das sage ich ihm aber auch nur, wenn er unbedingt was darüber wissen will."

"Danke, Mum", sagte Julius.

"Ich habe mit Catherine vereinbart, sie zwischenzeitlich anzurufen, wenn ich allein zu Haus bin oder irgendwo eine Telefonzelle für Auslandsgespräche finde. Auf diese Weise bekomme ich nach unserer Rückkehr Neuigkeiten mit, solange du hier in Millemerveilles bist. Paps und ich reisen in zwei Wochen wieder ab. Catherine hat ja dann ihre Aufgabe erledigt, mich einzuweihen. Es war auf jeden Fall interessant hier und schön, dich gesund und wohlbehalten zu sehen", sagte Martha Andrews, als müsse sie sich bereits verabschieden.

Julius sagte nichts dazu, sondern ging schweigend aus dem Besprechungszimmer.

Martha Andrews erzählte noch, daß sie gestern und am Morgen dieses Tages diesen merkwürdigen Zaubertrank hatte trinken müssen, der sie vor der Muggelabwehrmagie schützte. Julius wollte nicht zugeben, daß er davon wußte und meinte:

"Hmm, dann ist da doch was aufgerufen worden. Die sagten mir nur, daß kein Nichtmagier ohne ihre Erlaubnis hier nach Millemerveilles kommen könne."

"Auf jeden Fall bin ich froh, wenn das alles über die Bühne gegangen ist, ohne daß dein Vater was davon gemerkt hat", sagte Mrs. Andrews.

Vor dem Abendessen zeigte Arcadia Priestley mehrere Dokumente vor, die Julius' neues Patent bekundeten. Madame Dusoleil staunte nur, als sie hörte, was Julius gebaut hatte. Er unterschrieb die Spalte "Minderjähriger Patentinhaber", seine Mutter unterschrieb dort, wo "Elternteil" stand mit ihrem Namen. Mrs. Priestley hatte bereits unterzeichnet.

"Was kannst du nun damit tun?" Fragte Aurora Dawn, als sie verstanden hatte, worum es ging.

"Ich kann das Patent an den meistbietenden verkaufen, was aber schwachsinn wäre, weil ich nicht weiß, wie teuer es sein darf. Entweder bleibt das Gerät, daß ich gebaut habe einzigartig, keiner darf es dann nachbauen. Oder ich erlaube es Leuten, die das können, es in Serie zu bauen und mir pro verkauftem Stück was vom Gewinn abzugeben. Ich warte ab, wie es ankommt", sagte Julius.

"Das werden wir dann wohl übermorgen erleben", stellte Madame Dusoleil fest. Dann fiel ihr etwas ein:

"Claire hat ja morgen Unterricht bei Madame Faucon. Kannst du Florymont und mir das dann nicht vorführen?"

"Hmm, warum nicht. Ich muß es morgen ja eh irgendwie einpacken", stimmte Julius zu. Seine Mutter wartete, bis ihr alles übersetzt worden war und fragte dann, wielange Julius genau dafür gebraucht hatte. Ihr Sohn berichtete ihr schnell, was er alles gemacht hatte und wielange er dafür gebraucht hatte. Madame Faucon sagte darauf irgendwas auf Spanisch, als Madame Delamontagne ihr das unnötigerweise übersetzt hatte. Mrs. Andrews nickte. Sie erwiderte auf Englisch:

"Madame Faucon hat nichts von deinen Lehrern gehört, daß du in deinen Leistungen nachgelassen hättest. Das deckt sich ja auch mit dem, was mir Professor Flitwick erzählt hat. Klingt auf jeden Fall sehr interessant."

Nach einem reichhaltigen Abendessen war die Zeit zum Abschied gekommen. Julius merkte, wie ihm Tränen in die Augen stiegen und blinzelte sie schnell fort, um seiner Mutter und den übrigen Erwachsenen hier nicht klein und schwach zu erscheinen.

"Ich hoffe, Mum, daß du das nicht bereut hast, hier gewesen zu sein. Jetzt, wo du weißt, daß Catherine und ihre Mutter Hexen sind, siehst du sie vielleicht anders als vorher. Aber ich denke, es war besser so, daß sie dir erst gestern alles erzählt haben."

"Na, ob sie mir wirklich alles erzählt haben weiß ich nicht, Julius. Wie gesagt denke ich, daß die mir nichts hätten erzählen müssen. Da muß es also einen Grund geben, weshalb sie mich eingeweiht haben. Daß du mir den nicht verraten darfst, akzeptiere ich. Daß die beiden Damen ihn mir nicht verraten wollen, muß ich im Moment hinnehmen. Also mach dir keine Sorgen darum, daß ich nun völlig aus der Bahn gerate, nur weil ich weiß, daß Joes Frau eine echte Hexe ist. Er muß ja schließlich mehr damit zurechtkommen als ich." Bei diesen letzten Worten legte sich ein gehässiges Grinsen auf das Gesicht der Computerprogrammiererin. Julius lachte. Dann wünschte er ihr einen guten Heimweg. Er verabschiedete sich noch von Catherine, die mit seiner Mutter zusammen abreisen würde.

"Ich hoffe, ihr kommt weiterhin gut miteinander aus, auch wenn mein Vater wieder bei euch ist", sagte der Hogwarts-Schüler. Catherine nickte beruhigend.

"Es ist besser so, Julius. Deine Mutter kann also auch mit mir sprechen, wenn etwas anliegt, worüber du etwas wissen möchtest. Das hält den Kontakt zu dir noch besser aufrecht."

Catherine umarmte Julius zum Abschied und küßte ihn flüchtig auf die linke und die rechte Wange. Dann gingen sie und Mrs. Andrews zur großen Wiese, wo gerade ein Wagen von der Größe eines Kleinbusses von einer weißen Flügelstute von gigantischen Ausmaßen herangezogen wurde. Catherine öffnete den Wagenschlag, ließ eine kleine Leiter ausklappen und stieg ein. Martha Andrews folgte ihr. Julius sah kleine Tränen in den Augen seiner Mutter und verlor die Hemmung, selbst zu weinen. Als das Zauberfuhrwerk in den langsam rot werdenden Abendhimmel hinaufgeschossen war, fand er wieder zur gewohnten Ruhe zurück und wandte sich an Madame Delamontagne.

"Ich danke Ihnen, daß Sie das möglich gemacht haben, Madame. Ich weiß auch, daß Sie gerne meinen Vater auch hierher geholt hätten. Aber wer nicht will der hat schon. Ich denke, Mum wird Ihnen gegenüber genauso dankbar empfinden."

"Du hast sie auf jeden Fall richtig beschrieben, Julius. Es war meine Pflicht als Mutter, auszuloten, wie wichtig du ihr warst und hat mich sehr froh gemacht, daß sie wirklich noch etwas mit dir zu tun haben möchte", erwiderte die Dorfrätin für gesellschaftliche Angelegenheiten. Dann gab sie Julius die offizielle Anmeldung für das Schachturnier mit, die er lediglich noch auszufüllen und im Rathaus abzugeben hatte.

Madame Dusoleil brachte Julius wieder in ihr Haus zurück, wo Monsieur Dusoleil, Jeanne und Claire noch auf der Terrasse saßen und ein magisches Brettspiel spielten, bei dem lebendige Figuren durch ein farbiges Labyrinth liefen, je nachdem, wie der große Würfel fiel. Aurora Dawn sagte noch:

"Morgen früh muß ich auch wieder fort, und Arcadia möchte um die Mittagszeit wieder in Cambridge sein. Mir hat es auf jeden Fall gefallen, deine Mutter zu sprechen und mich mit ihr zu unterhalten. Ich denke nicht, daß sie auf die Idee kommt, es sich anders zu überlegen."

Um elf Uhr gingen alle Dusoleils und ihre Gäste zu Bett. Diesmal waren Aurora und Arcadia nicht mehr so laut wie am Vorabend, sodaß Julius gut einschlafen konnte.

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