Er sah den Hexer in blutrotem Umhang vor sich, dessen Affenfratze zu einer bösartig lächelnden Maske wurde, während er die verbotenen Worte "Avada Kedavra" rief. Doch es war nicht die Stimme des bösen Zauberers, die Julius hörte, sondern die von Professeur Faucon. Er sah sie nun, wie sie ihren Zauberstab auf ein in wilder Panik herumspringendes Meerschweinchen richtete. Ein gleißender Blitz aus grünem Licht sauste laut sirrend aus dem Zauberstab und traf das schwarz-weiß geschekcte Nagetier am Hinterleib. Ohne weiteres Geräusch fiel das possierliche Tier einfach um, rollte zur Seite und lag mit den Beinchen nach oben da, unbeweglich, tot.
"Mann, das Meerschweinchen!" Empörte sich Jasmine Jolis über diese erschreckende Darbietung. "Sie haben das Meerschweinchen umgebracht."
"So ist es, Mademoiselle Jolis", schnarrte Professeur Faucon ungehalten. "Es ist nötig, Ihnen die Grausamkeit des unverzeihlichsten Fluches so nachhaltig wie möglich vor Augen und Ohren zu führen, damit Sie und Ihre Mitschüler nicht auf den subversiven Gedanken verfallen, er sei eine akzeptable Lösung von Problemen. Wen und was dieser Fluch trifft, ist tot, egal, wo der Fluch ein Wesen berührt. Avada Kedavra ist mit keinem Gegenfluch zu kontern oder umzukehren. Ich kenne nur einen Fall, wo jemand einen vollendeten Angriff damit überlebt hat. Sie auch?"
Alle zeigten auf. Natürlich wußten sie alle von Harry Potters wundersamem Überleben des Angriffs von Voldemort, den die meisten in diesem Klassenraum nicht beim Namen zu nennen wagten. Die Lehrerin nickte und blickte Laurentine an. Diese sagte nur:
"Harry Potter war das, Professeur. Dieser dunkle Lord, dessen Namen hier niemand gerne laut ausspricht, hat versucht, ihn zu töten, nachdem er seine Eltern getötet hat, erst den Vater und dann die Mutter. Doch der Fluch, wohl dieser Avada-Kedavra-Fluch, ist von Harry, der damals gerade ein Jahr alt war, auf den dunklen Hexer zurückgeprallt und hat diesen so entkräftet, daß er für über dreizehn Jahre untätig in der Welt verborgen bleiben mußte."
"Wunderbar, Mademoiselle Hellersdorf. Zehn Bonuspunkte für Sie", quittierte die Lehrerin die Antwort ihrer bisherigen Problemschülerin. Dann sah sie Julius an, der merklich erbleicht war. Sicher, er hatte sie diesen tödlichen Fluch schon einmal an einer Maus ausführen gesehen. Doch wie grausam er war, war ihm erst in Slytherins endzeithaftem Eigengemälde aufgegangen, als er selbst kurz davor stand, ein Opfer dieses Fluches zu werden. Nur ein schneller Gegenstoß mit dem Sprechbann, bevor der Fluch laut ausgesprochen wurde, hatte ihn gerettet.
"Ich habe Ihnen und der Mademoiselle Dusoleil im letzten Sommer diesen Fluch im von mir erteilten Auffrischungskurs vorgeführt. Sie haben ihn also schon gesehen. Wieso sind gerade Sie dann so erschüttert?"
Julius wußte, daß er über den Ausflug in die gemalte Welt nichts erzählen durfte, weil dies zur Supergeheimsache erklärt worden war. Doch ihm fiel eine Antwort ein, die hier passen mochte:
"Ich hatte als kleiner Junge einen Freund, der zehn Meerschweinchen hatte. Irgendwie fand ich diese Tiere knuddelig und wollte selbst eins haben. Mein Vater wollte das aber nicht. Als ich dann einmal heimlich ein Meerschweinchen nach Hause mitgebracht hatte, nahm er es mir weg und hat es in einem Eimer Wasser ersäuft. Daran mußte ich denken, als Sie dieses Tier hier totgehext haben. Es war auch schwarz-weiß gescheckt."
"Hmm, dann ist die Lektion zumindest bei Ihnen angekommen", bemerkte die Lehrerin kalt. Doch auch die anderen sagten rasch, daß sie begriffen hatten, was Avada Kedavra anrichtete. Danach führte die Lehrerin ihnen an Mäusen noch die beiden anderen unverzeihlichen Flüche Imperius und Cruciatus vor. Nicht wenige hielten sich beide Ohren zu, als die unter dem Folterfluch Todesqualen leidende Maus in höchsten Tönen quiekte und schrie.
"Keiner dieser drei Flüche ist eine legitime Waffe, Mesdemoiselles und Messieurs", schloß die Lehrerin die Vorführung. "Wer solche Flüche benutzt ist brutal bis in die tiefsten Schichten der Seele, absolut menschenfeindlich. Nun mag es hier Leute geben, die meinen, Imperius könne auch zu guten Zwecken benutzt werden, beispielsweise um einen Angreifer zum Rückzug zu zwingen oder einen Feind davon abzuhalten, jemandem nach dem Leben zu trachten. Doch ist die gewaltsame Unterwerfung eines freien Willens bei Menschen ein gewaltsamer Akt, da unser Geist und unsere Seele die wertvollsten Güter sind, die wir haben, sozusagen die heiligsten Besitztümer. Wer aus welchem Anlaß heraus Imperius, Cruciatus oder Avada Kedavra benutzt, wird auf kurz oder lang darin enden, diese Flüche dauernd zu benutzen, um angeblich unlösbare Probleme zu lösen und wird zwangsläufig böse. Gewalt, ob gegen den Körper oder den Geist, ist die unklügste Lösung, sofern es nicht darum geht, sich vor eigenem Schaden zu schützen. Doch gerade hier sollte stets bedacht werden, mit den unschädlichsten Gegenmaßnahmen zu hantieren. Sie lernen hier alles, um sich in einem Gefecht mit feindlichen Hexen und Zauberern zu schützen oder zu wehren, ohne auf die drei unverzeihlichen Flüche zurückgreifen zu müssen. Denn wer diese Flüche gegen Mitmenschen anwendet, ob Muggel oder Zauberer, setzt sich der Gefahr einer lebenslänglichen Inhaftierung in einem Zauberergefängnis aus. Sie würden sich keinen Gefallen tun, wenn Sie Ihr Leben auf die Benutzung der schlimmsten Zauberflüche ausrichten. Lebenslanger Freiheitsentzug oder ein immer steilerer Absturz in einen moralisch-sozialen Abgrund, an dessen unterstem Punkt die Selbstzerstörung wartet, sind keine Perspektiven für Menschen, deren Zukunft und deren Mitmenschen gleichermaßen wichtig sind."
Die restlichen Stunden schrieben sich die Schüler die Eindrücke von den vorgeführten Flüchen auf. Professeur Faucon erzählte dann noch, was ihrer Familie widerfahren war und führte vor, was mit toten Dingen passierte, wenn die drei Unverzeihlichen darauf geschleudert wurden. Ein leerer Stuhl explodierte in einer Wolke aus Wasserdampf und Kohlenstaub, als der grüne Todesblitz ihn traf. Sie erzählte noch, was sie Claire und Julius in der Ferienklasse über die drei Flüche erzählt hatte und gab auf, sich über die betreffenden Gesetze zu den unverzeihlichen Flüchen Notizen zu machen. Als dann alle Schüler mit eingeschüchterten Mienen den Klassenraum verließen, holte Claire Julius zu sich.
"Du hast diese Flüche schon im Sommer gesehen. Warum hat es dich heute so erschreckt? Das mit dem ersäuften Meerschweinchen nehme ich dir nicht ab."
"Stimmt aber", knurrte Julius, den es ärgerte, daß Claire so neugierig war und er ihr all zu gerne erzählen wollte, was er erlebt hatte, aber auch wußte, daß er damit gegen bestehende Gesetze verstieß. Das mit der Bilderwelt zu wissen konnte Claire nicht wert sein, Julius in Tourresulatant, dem französischen Zauberergefängnis zu wissen. Denn wenn er es ihr erzählte, würde das auf absehbare Zeit eine große Runde durch die Schule machen. Einige würden ihn für einen Aufschneider halten, andere würden ihn bedauern. Wieder andere würden ihn für verrückt halten. All das wollte er nicht.
"Nun, wenn das wirklich so ist", zischte Claire und ging zu Laurentine hinüber, die sich mit Céline Dornier unterhielt.
In Kräuterkunde konnte Julius seine übliche Ruhe wiederfinden und sich durch engagierten Einsatz zwanzig Punkte für sein Bonuskonto abholen. Der restliche Tag verlief dann in den hier üblichen Bahnen, wobei er in Zauberkunst ein neues Problem erkannte: Er wollte ja für Claire noch was machen, bevor die Schule vorbei war und er sechs Wochen lang nicht zaubern durfte. Er hatte sich oft überlegt, was er nach dem Bild und der Laterna Magica anfertigen konnte, was Claire zum einen Spaß machte und zum Anderen was brachte. Er hatte schon an einen Vieltragerucksack gedacht, der durch Rauminhaltsvergrößerungszauber ganze Kofferladungen schlucken und aufbewahren konnte. Auch hatte er an ein Musikinstrument gedacht, das mehr konnte als üblich. Doch diese Dinge waren ihm als zu technisch, zu einfallslos vorgekommen. Jetzt, wo er Claire wesentlich näher kannte, wollte er ihr was bieten, was dem, was sie schön und nützlich fand, entgegenkam. Sie tanzte gerne, interessierte sich für Musik, Englisch und Tanz. Sie liebte rote Farbtöne und mochte Zauberkunst. Gut, in dem Sinne hatte er ihr ja letztes Jahr was gutes geschenkt. Malen konnte er ja nun auch soweit, daß er lebendige Bilder zu Stande brachte. Doch das würde dauern, wenn es nicht wie hingeklatscht wirken sollte. Außerdem hatte er durch seinen Ausflug in die Bilderwelt einen gehörigen Respekt. Ob er jemals eigene lebende Personen malen würde, wußte er nicht. Claire war ihm da schon um Lichtjahre voraus. Also mußte er wieder was bauen oder was finden, was ihr großes Wissen vermittelte, wie die Centinimus-Bibliothek, die er ständig bei sich hatte und damit alle Bücher, die er bisher besaß. Ihm schwebte was vor, wie eine magische Version eines Laptop-Computers, etwas, das Informationen, Bilder oder Musik speichern und bei Anruf bestimmter Formeln wieder ausgeben konnte. Er kannte zwar Vertonungszauber, einfache Abbildungszauber und auch einen Zauber, der Sachen zu bestimmten Zeiten in Gang setzte wie eine elektrische Zeitschaltuhr bei den Muggeln. Er dachte auch an Sachen, die den Transport erleichterten oder Alltagshandlungen vereinfachten. Dann dachte er an besonderen Schmuck. Womöglich kam es jetzt besser bei Claire an, wenn er ihr mal was schönes schenkte. Schönheit und Schmuck waren Glorias Bereich.
Am Abend nahm er mit dem Zweiwegspiegel Kontakt zu Gloria auf und fragte sie, was er Claire schenken konnte. Gloria lächelte erfreut. Dann erzählte sie ihm von drei Schmuckstücken, die eine Wechselwirkung zwischen eigener Zauberkraft und Naturelementarkräften bewirkten. Da gab es den Korallenohrring, der einen Schild gegen Wasser bildete, zum Beispiel wie ein Ganzkörperregenschutz wirkte oder auch vor dem Versinken im Morast schützen sollte. Ein anderes Schmuckstück war das Armband der Erde, das wie eine Wünschelrute unterirdische Höhlen oder Metallvorkommen zeigen konnte und in Höhlen die Wände in warmem Licht erstrahlen ließ. Doch wovon Gloria am meisten begeistert war war die Feuerperlenkette, eine Kette aus in Lavaseen geschmolzenem Drachenhorn, aufgezogen auf eine Schnur aus Drachenherzfaser, die scharlachrot leuchteten und bei Tage aus dem Sonnenfeuer Kraft sogen und ansonsten einen Feuerschild um den Körper bildeten, der keine Flamme Schaden an Kleidung und Körper anrichten ließ. Ein schöner Nebeneffekt, so Gloria, war die Eigenleuchtkraft im Dunkeln. Besonders dann, wenn Träger oder Trägerin in besonders guter Stimmung war, erstrahlte diese Kette.
"Damit muß man jedoch auch aufpassen, Julius. Diese Dinger brauchen die Nähe der jeweiligen Elementarform. Der Korallenohrring kann einem heftigen Durst bereiten, wenn er damit längere Zeit in trockenen Gebieten herumläuft, weil er dem Körper Wasser entzieht. Das Erdkraftarmband wird immer schwerer, wenn es nicht für längere Zeit direkt mit der Erde verbunden, also auf Naturboden oder -stein hingelegt wird. Die Feuerperlenkette braucht offenes Feuer. Kerzen reichen nicht aus. Die erlöschen, wenn die Kette neue Kraft braucht. Ist kein Feuer in der Nähe, zieht sie Körperwärme und Seelenwärme ab, macht also fröstelnd und schwermütig, sobald die vorher aufgenommene Kraft durch das Leuchten verbraucht ist. Oma Jane meinte sogar, es könne auch Dementorenkette heißen, weil ja genau das, Kälte und Schwermut und Selbstaufgabe die Wirkung der Dementoren sind. Dennoch ist sowas gerade für Claire bestimmt am schönsten. Allerdings, sagt Oma Jane auch, müssen so viele Perlen aufgezogen werden, wie Träger oder Trägerin Jahre im Quadrat alt sind. Wenn die Kette dann einmal getragen wurde, muß keine weitere Perle nachgelegt werden. Wieviel sind vierzehn mal vierzehn?"
"Einhundertsechsundneunzig", kam es von Julius wie aus der Pistole geschossen.
"So viele Perlen müßtest du aufziehen lassen. Hmm, eine Perle kostet fünfzehn Sickel, die Drachenherzfaserschnur zwei Sickel pro Zoll. Bist du sicher, daß Claire dir so viel wert ist?"
"Muß ich noch ausrechnen", sagte Julius, dem aber schon schwindelig wurde. Nachher würde Claire oder ihre Mutter ihm Wahnsinn vorwerfen, soviel Geld für einen Zauberklunker rausgehauen zu haben. Er rechnete im Kopf die Sickel zusammen, kam auf 2980, wenn er eine Schnur von 20 Zoll voraussetzte, teilte das Ergebnis durch 17, zog die dabei rausgekommenen 175 Galleonen ab und nahm das Ergebnis noch mal mit 17 mal. So kam er auf:
"Ui, heftig! Einhundertfünfundsiebzig Galleonen und fünf Sickel. Hmm, ohne angeben zu wollen, könnte ich das locker hinlegen. Allerdings könnten mir Claire oder ihre Eltern unterstellen, Geld zum Schornstein rauszujagen. Gloria antwortete nur mit "Das mußt du wissen, Julius" und beendete den Kontakt.
So verstrichen die nächsten Tage mit den üblichen Schularbeiten und Freizeitkursen. Am Mittwoch abend wurde es jedoch richtig unheimlich. Julius lag im Bett und grübelte darüber nach, was er in den Ferien anstellen würde, wenn die leidigen Verpflichtungen wie das Schachturnier in Millemerveilles vorüber waren. Er dachte an Gloria, Pina und Kevin. An und für sich könnte er sie in England besuchen. Doch wenn Voldemort dort herumstromerte, wäre das sicher gefährlich. Doch er war kein Feigling. Sicher, er ging vermeidbaren Gefahren aus dem Weg. Doch Voldemort war nicht überall gleichzeitig. Nach Mitternacht fischte er aus seinem Brustbeutel die beiden Zweiwegspiegel und nahm den, der ihn mit Gloria Porter verband, fest in die Hand. Als ob er damit was ausgelöst hatte, vibrierte der Spiegel. Er hielt ihn vors Gesicht und sah Glorias Gesicht zurückblicken. Seine frühere Schulkameradin wirkte ziemlich aufgeregt.
"Gut, daß ich dich sofort erreicht habe, Julius", flüsterte sie. "Ich stehe hier am Fenster des Mädchenklos. Draußen geht was merkwürdiges vor. Ich wollte nur sehen, ob ich dich erreichen kann, weil die Umbridge gerade aus dem Schloß marschiert ist. Die hat Leute aus dem Ministerium dabei, konnte ich noch erkennen. Dawlish von den Auroren. - Jetzt laufen sie wohl zu Hagrids Hütte rüber. Oh, ich denke, die wollen den jetzt rauswerfen, wie sie's mit der Trelawney gemacht hat."
"Ach, jetzt schon, Gloria?" Flüsterte Julius ironisch zurück. Immerhin hatte er aus der Sub-Rosa-Gruppe erfahren, daß Hagrid wegen seiner Halbriesigkeit ein Dorn im Auge von Professor Dolores Jane Umbridge war. Sie hatte wohl nach einem Anhaltspunkt gesucht, ihn loszuwerden. Offenbar war es heute soweit.
"Die sind jetzt bei der Hütte und ...", setzte Gloria an, als eine Frauenstimme über Julius' Bett erklang. Es war Aurora Dawn.
"Julius, die wollen Hagrid rauswerfen. Dilys Dervent hat's mir gerade erzählt", sagte die gemalte Aurora Dawn.
"Ja, weiß ich. Das kriege ich gerade live mit", flüsterte Julius und beruhigte Gloria, die wohl gerade noch genug Selbstbeherrschung besaß, die Verbindung zu ihm nicht in Panik zu trennen.
"Sie haben ihn rausgeklopft. Moment, ist etwas dunkel da draußen. Ich kann das nicht genau ... Ui, die greifen ihn mit den Schockzaubern an!" Zischte Gloria ganz aufgeregt. "Er kommt raus und pfeffert einen von denen durch die Gegend."
"Betäubt ihn doch!" Kreischte eine ganz weit klingende Kleinmädchenstimme. Das war Umbridge, wußte Julius schon bevor Gloria es ihm sagte. Sie drehte den Spiegel zum Fenster. Julius vermeinte schwache rote Blitze wie weit entfernt vorbeirasende Autorücklichter zu sehen. Er hörte ganz schwach das Gebell eines großen Hundes. Gloria flüsterte weiter. Offenbar konnte der Spiegel einen Kontakt dann immer noch aufrechterhalten, wenn sich die Kontaktpartner nicht ins Gesicht sahen.
"Sie können ihn nicht schocken. Offenbar schluckt das Riesenblut in ihm die Flüche oder läßt sie abprallen. Mit Vier Mann gleichzeitig! Die können den nicht packen."
"Ja, weiter!" Zischte Julius, der nun wieder völlig munter war. Daß über dem Bett noch jemand mithörte, vergaß er. War ja auch nicht so wild, wenn Aurora Dawn alles mitbekam.
"McGonagall rennt aus dem Schloß", wisperte Gloria aufgeregt.
"Wie können Sie es wagen!" Rief die Hauslehrerin der Gryffindors unüberhörbar in die Nacht. Dann sah Julius es rot aufblitzen.
"Ouuu, die haben McGonagall mit vier Schockern auf einmal ...", kam Glorias bestürzter Kommentar, bevor ein unüberhörbares "Feiglinge!!" Durch die Nacht und somit auch durch die Spiegelverbindung dröhnte.
"Das ist wohl bei dir angekommen", setzte Gloria dem nur hinzu. Julius bejahte das.
"Recht hat er ja", knurrte er zornig. Vier Schocker gegen eine an die siebzig zählende Hexe war wirklich voll feige.
"Hagrid haut ab. Er hat sich wohl seinen Hund über die Schulter gehängt. McGonagall liegt im Gras. Sie rührt sich nicht", berichtete Gloria nun verängstigt klingend.
"Sag Madame Pomfrey Bescheid, Gloria!" Forderte Julius.
"Nicht nötig, die ZAG-ler haben Astronomieprüfung. Das da unten haben die unmöglich nicht mitkriegen können."
"Sauerei, Hagrid bei Nacht und Nebel rauswerfen zu wollen. Wer zum Henker war denn das jetzt alles?"
"Also die Umbridge, dann wohl Dawlish und einige von seinen guten Freunden. Fudge ist nun völlig durchgeknallt."
"Zumindest eure nette Schuldirektorin", schränkte Julius Glorias Verurteilung ein. Sie drehte den Spiegel wieder so, daß sie ihm wieder ins Gesicht blickte und sagte: "Madame Pomfrey ist jetzt draußen. Sie untersucht McGonagall. Die werden sie wohl ins St.-Mungo bringen müssen. Vier Schocker voll in den Brustkorb. Das kann alle inneren Organe blockieren."
"Mal den Teufel nicht an die Wand."
"Madame Pomfrey zaubert irgendwas, das blaue Blitze macht gegen Professor McGonagall."
"Oh, dann wirkt sie den Persisthorax-Zauber, um Herzflattern oder Lungenverkrampfungen zu lösen. Ist nicht so einfach, weil der auch nach hinten losgehen und das Herz-Lungen-System endgültig zusammenbrechen lassen kann", sprudelte es aus Julius heraus.
"Sie hat sie auf eine Trage gezaubert. Diese Schweinehunde kommen jetzt angejachert. Ach neh, wie schuldbewußt glotzt der schnelle Dawlish", sagte Gloria bissig. Dann erzählte sie rasch, daß die Verwandlungslehrerin nun wohl auf dem schnellsten Weg abtransportiert wurde.
"Zumindest hat eure nette Chefin den Koloss aus Hogwarts rausgescheucht. Mission erfüllt!" Gab Julius einen sehr bissigen Kommentar ab.
"Oh, jemand kommt! Muß schlußmachen", zischte Gloria und verschwand aus dem Spiegel.
"Soll ich Professeur Faucon sagen, was passiert ist?" Fragte Auroras Portrait. Julius nickte schwerfällig, bat jedoch darum, es ihr erst in zehn Minuten zu sagen, weil dann nicht rauskommen mußte, daß Julius mit Gloria über Zweiwegspiegel sprechen konnte. Aurora lächelte. Immerhin konnte sie verstehen, daß Julius auch andere Leute in Hogwarts kontaktieren wollte. So blieb sie zehn Minuten lang in ihrem Bild, bevor sie in Richtung von Professeur Faucons Arbeitsraum aus dem Rahmen trat und wohl im nächsten Bild landete, das auf dem Weg lag. Julius kannte die Art, sich durch die Bilder zu bewegen und konnte sich ausrechnen, daß sie wohl zwei Minuten bis zum Sprechzimmer Professeur Faucons unterwegs war. Julius steckte beide Spiegel wieder in seinen Brustbeutel und versuchte zu schlafen. Doch die Ereignisse in Hogwarts ließen ihn nicht in Ruhe. Wie aussichtslos mußte die Umbridge ihre Lage sehen, daß sie einen Lehrer mit Gewalt vom Schulgelände jagte und eine andere Lehrerin einfach mit mehreren Schockern auf einmal niederstrecken ließ? War ihr Hagrid zu gefährlich geworden, weil er ein treuer Gefährte von Dumbledore war? Hoffentlich war Gloria nicht erwischt worden, als sie den Spiegel benutzt hatte. Doch falls ja, würde er das wohl bald wissen. Erst spät fiel er in einen unruhigen Schlaf mit nichtgreifbaren Träumen.
Was mit Hagrid passiert war, war wohl zur für Beauxbatons unwichtigen Sache erklärt worden. Dennoch meinte Julius in Madame Maximes Gesicht etwas wie unterdrückte Verbitterung zu sehen, als sie am Donnerstagmorgen frühstückten. Julius erinnerte sich an die wilden Gerüchte, die während des trimagischen Turniers durch Hogwarts geschwirrt waren wie ein wilder Hornissenschwarm. Hagrid und die Maxime hätten was miteinander, waren die hartnäckigsten Behauptungen. Stimmte das? Nun, es ging ihn überhaupt nichts an, ob ja oder nein. Doch wenn es stimmte, war Madame Maximes Unmut verständlich. Er nahm sich vor, heute noch besser auf der Hut vor Strafen zu sein.
In der Stunde Protektion gegen die destruktiven Formen der Magie sprachen sie weiter über die drei Unverzeihlichen, wann sie erstmals aufgekommen waren und warum Avada Kedavra so unabwendbar war. Julius fragte wie beiläufig klingend, ob man den Ausruf der Formel durch Silencius oder Tacetus verhindern konnte. Professeur Faucon lächelte überlegen.
"Nun, wenn Sie wissen, wann jemand Sie mit diesem Fluch angreift, könnte das funktionieren. Aber wenn der Zauberer Zeit findet, den einen oder den anderen Schweigezauber zu entkräften, wären Sie immer noch in tödlicher Gefahr. Sicher ist es immer, entweder aus der Sicht des betreffenden Magiers zu bleiben oder ihn mit Körper oder Bewußtsein beeinflussenden Flüchen anzugreifen."
"Ich habe im Buch "Dunkle Verkehrungen" gelesen, daß viele Flüche aus eigentlichen Schutz- und Heilzaubern entstanden sind. Ginge das dann auch nicht umgekehrt?" Fragte Hercules Moulin, nachdem er Sprecherlaubnis erhalten hatte.
"Man kann gute Zauber in böse Zauber pervertieren. Dunkle Zauber in Schutz- und Heilzauber zu verkehren ist bislang nur mächtigen Magiern gelungen, was jedoch nicht für die drei Unverzeihlichen gilt", sagte Professeur Faucon. Dann beschrieb sie, daß Cruciatus den ganzen Körper betreffen aber auch wie ein enger Lichtkegel bestimmte Körperabschnitte gesondert schmerzen lassen konnte. Sie schrieben sich alles auf, weil ausprobieren durften sie es ja nicht.
Am Nachmittag im Verwandlungskurs für Fortgeschrittene schaffte es Julius, einen ganzen Eichenholztisch verschwinden zu lassen. Sicher würde das Möbelstück irgendwo wieder ins Raum-Zeit-Gefüge zurückkehren, doch aus dem Kursraum war es spurlos verschwunden. Barbara Lumière bewunderte diesen Fortschritt und meinte: "Im nächsten Jahr wirst du wohl schon die volle ZAG-Prüfung machen, was, Julius?" Dieser schwieg jedoch darüber.
Nach dem Kurs nahm Professeur Faucon ihn bei Seite, angeblich um mit ihm noch über dieses Verschwindekunststück zu reden. Die anderen verließen den Saal und gingen in ihre Säle oder gleich zum Speisesaal.
"Ich habe über diesen höchst skandalösen Vorfall gestern abend erfahren, Monsieur Andrews. Empörend, wie sehr sich die Lage in Hogwarts zugespitzt hat, daß nicht einmal die ministeriellen Sicherheitszauberer mehr Freund und Feind auseinanderzuhalten trachten. Ich gehe davon aus, Aurora Dawns hiesiges Portrait hat Sie über den Vorfall ebenso gründlich informiert, als sie aufwachten?"
"Öhm, Sie meinen das mit Hagrid und Professor McGonagall?" Fragte Julius, der verstand, was die Lehrerin von ihm hören wollte. Diese nickte. "Nun, als ich heute morgen wach wurde habe ich von ihr erzählt bekommen, daß die Schulleiterin von Hogwarts Hagrid mit Hilfe der Auroren vom Schulgelände jagen oder ihn gar verhaften lassen wollte. Professor McGonagall ist wohl dazwischengeraten und wurde von mehreren Schockzaubern gleichzeitig getroffen. Was ist mit ihr?"
"Sie ist im St.-Mungo-Hospital für magische Krankheiten und Verletzungen. Offenbar stand sie kurz vor einem Totalzusammenbruch der inneren Organe. Diese Überdosis an Schockzaubern kann man nicht mit dem Enervate-Zauber allein kurieren. Sie muß mit regenerativen Tränken in kleinen Dosen aufgepäppelt werden, um sich körperlich und geistig zu erholen. Unverantwortliches Betragen dieser Leute. Sie sollen die Sicherheit unbescholtener Zauberer schützen und benehmen sich selbst wie dunkle Hexenmeister. Unverantwortlich", sagte Professeur Faucon und sah sehr ernst auf Julius, als habe er den Angriff befohlen. Weil sein Gesicht wohl verriet, daß er sich unschuldig verdächtigt fühlte, rang sie sich jedoch ein Lächeln ab und fügte hinzu: "Ich werfe Ihnen nichts vor. Sie brauchen sich nicht angesprochen zu fühlen. Ich wollte Sie lediglich darüber informieren, was ich von dieser Sache halte, da ich Ihnen ja die schnelle Verbindung nach Hogwarts verdanke. Ich denke nicht, daß Minister Fudge diesen Skandal an die große Glocke hängt. Ich fand auch, daß Sie nach der Entwicklung der letzten Monate einen gewissen Anspruch darauf haben, über solche Ereignisse etwas zu wissen. Mehr ist von meiner Seite nicht zu erwähnen."
"Nun, es ist schon heftig, was da passiert ist, Professeur Faucon", sagte Julius nur noch. Dann verabschiedete er sich und wandschlüpfte zum Jungenwaschraum in der nähe des Speisesaals, wusch sich Hände und Gesicht und ging zum Abendessen.
Abends um Zwölf Uhr mitteleuropäischer Zeit probierte er aus, ob Gloria Porter wieder mit ihm sprechen wollte. Tatsächlich meldete sie sich sofort.
"Julius, irgendwas läuft jetzt. Heute Nachmittag gab es einen Tumult in Umbridges Büro. Ihre saubere Hilfstruppe hat sich dort mit Potter, Weasley und der Granger angelegt. Luna Lovegood war wohl auch dabei. Ich denke, die von Potter trainierte Kampfzaubertruppe hat was rausbekommen, was der Umbridge nicht paßte. Irgendwie verschwanden die Umbridge und alle die, die mit ihr gekämpft haben. Malfoy und Parkinson wurden im Krankenflügel eingeliefert. Irgendwer hat diesem Schnösel eine Ladung Flederwichte ins Gesicht gehext. Genialer Fluch. Pina hat's von Olivia, die da war, weil einer von den anderen I-Leuten sie angespitzt hat, Luna zu suchen. Aber die ist weg. Irgendwie haben die sich mit der Umbridge in Luft aufgelöst und ..."
"Julius, er ist im Ministerium gesehen worden. Du-weißt-schon-wer war im Ministerium!" Rief Aurora Dawns Portrait plötzlich. Julius schrak zusammen und ließ fast den Spiegel fallen. Gloria erbleichte, nickte dann jedoch.
"Dann stimmt es doch, daß Potter irgendwie spürt, wie der gerade drauf ist und wollte wohl gegen ihn kämpfen. Oma sagte sowas. Dann liegen jetzt wohl alle Karten auf dem Tisch."
"Moment, Harry Potter spürt, wie Voldemort drauf ist? Woher hast du das denn?"
"Sage ich doch. Oma meinte sowas, daß durch den verpatzten Avada Kedavra eine magische Verbindung zwischen ihm und Voldemort entstanden ist, die irgendwann ans Licht kommt. Deshalb kann Harry auch Parsel, weil Voldemort das kann", flüsterte Gloria. Julius verstand. Ja, er verstand besser als mancher andere. Immerhin hatte er selbst es ja erlebt, daß ein verunglückter Fluch die beiden davon betroffenen Leute verbinden konnte. Sonst wäre er ja nach der vermurksten Körpertausch-Aktion dieses Jasper van Minglern nicht gezwungen gewesen, in Belles Nähe zu bleiben. Sonst wäre der von ihm beschworene Patronus nicht so heftig ausgefallen und noch dazu in einer anderen Gestalt aufgetreten. Das mußte also auch bei Voldemort und Harry Potter passiert sein.
"Wo war der Schweinehund denn, Aurora?" Fragte Julius und hielt den Zweiwegspiegel so, daß Gloria gut mithören konnte.
"In der Mysteriumsabteilung. Eine ehemalige Schulleiterin von Hogwarts, die im Ministerium ein Gegenstück hat, hat das Dilys erzählt und die kam zu mir, weil sie weiß, daß ich gute Beziehungen anderswo hin habe. Offenbar suchte er nach einer Information, die für ihn wichtig war. Was genau das war, konnte oder wollte mir keiner sagen. Es ist nur so, daß einige Helfer Potter und Mitschüler von ihm dort erwartet haben und sich mit ihnen eine Schlacht geliefert haben. Dabei ist einiges zu Bruch gegangen, habe ich rausgehört, unter anderem der Brunnen der magischen Geschwister im Atrium des Ministeriums. Dumbledore ist wohl auch dort aufgetaucht."
"Weißt du, welche Todesser das waren, Aurora?" Fragte Julius.
"Hmm, Bellatrix Lestrange war wohl dabei, weil Du-weißt-schon-wer mit einer Hexe zusammen verschwunden ist. Dann haben sie wohl noch ein paar Askaban-Ausbrecher gefunden und einen gewissen Lucius Malfoy."
"Quod erat expectandum", knurrte Julius. Gloria fragte, was das heißen sollte.
"Das das zu erwarten war, Gloria. Wir hatten's doch immer davon, daß Draco Drecksacks Vater mit dem Obergangster gekungelt hat. Tja, und jetzt hat der sich auch noch erwischen lassen. Dumm gelaufen. Allerdings dürfte seine Hochnäsigkeit wohl nicht besonders genießbar sein, wenn das rumgegangen ist."
"Vor allem ist jetzt die Katze endgültig aus dem Sack, Julius. Weißt du was das heißt?"
"Oh, Mist! Jetzt wird Voldemort mit voller Härte losschlagen. Er muß sich ja nicht mehr verstecken. Das müssen sofort alle wissen, die es angeht. Sagst du's deiner Oma?"
"Joh, mache ich, Julius. ich rufe sie gleich. Das war's also, was da heute nachmittag abgelaufen ist. Harry Potter hat mitbekommen, daß der dunkle Lord was plante und hat seine Leute zusammengetrommelt. Die Umbridge hat sie dabei erwischt. Aber das kann ja wohl nicht sein, daß die die Umbridge umgebracht oder festgesetzt haben", erwiderte Gloria.
"Ich weiß auch nicht, was da gelaufen ist. Kriegen wir vielleicht schon morgen früh mit", sagte Julius nur. Dann sagte er noch: "Bis hoffentlich bald, Gloria. Ich denke, morgen früh wird Dumbledore irgendwie wieder in Hogwarts auftauchen."
"Falls er nicht von ihm getötet wurde", unkte Gloria Porter. Julius wußte dazu nichts zu erwidern. Er trennte die Verbindung und steckte den Spiegel wieder fort. Dann bat er Aurora, in Australien die Nachricht rumgehen zu lassen. Er selbst stand auf, zog sich an und schlich in die Eulerei. Doch dort erwartete ihn schon Professeur Faucon, die auf einem Stuhl saß.
"Hallo, wo wollten wir denn hin, Monsieur Andrews?" Fragte sie leise. Julius errötete und wich ängstlich dreinschauend zurück. Dann sagte er nur:
"Der dunkle Lord war im Ministerium in England. Aurora hat's mir gerade erzählt."
"Ach, das ist aber sehr unverantwortlich von einer aprobierten Heilerin, den Schlaf eines im Wachstum befindlichen Jugendlichen zu stören. Aber die Wichtigkeit der Information rechtfertigt das", antwortete Professeur Faucon kühl. "Ich erfuhr dies vor einer halben Stunde durch meine persönlichen Bild-Agenten, die Gegenstücke in wichtigen Einrichtungen haben. Er hat sich also aus der Deckung begeben. Das heißt folglich, daß wir nun wieder mit großflächigen Terrorakten rechnen müssen. Die Frage ist nur, hat er bekommen, wonach er gesucht hat?"
"Wonach hat er denn gesucht?" Wagte Julius eine Gegenfrage.
"Nach etwas, was er eigentlich vor fünfzehn Jahren schon in Händen halten wollte, Monsieur Andrews. Mehr müssen Sie nicht wissen. Ich gehe davon aus, Sie wollten mir eine Eule zusenden, da Sie selbst den Saal nicht verlassen dürfen." Julius nickte. "Ich gehe auch davon aus, daß Sie noch Schlaf nachholen müssen." Er nickte erneut. "Dann kehren Sie gefälligst in Ihren Schlafsaal zurück und begeben sich zur benötigten Ruhe!" Befahl Professeur Faucon. Julius nickte ein drittes Mal und drehte sich um. "Moment!" Hielt die Lehrerin ihn auf. Er wandte sich wieder zu ihr hin. "Tuen Sie mir bitte den Gefallen und händigen Sie mir vorher jenen Zweiwegspiegel aus, den meine sich für sehr schlau haltende Kollegin Jane Porter Ihnen wohl zu Weihnachten überlassen hat! Ich möchte mich sehr gerne mit ihr auf schnellstem Wege austauschen."
Julius wurde erst kreidebleich vor Schreck und dann knallrot vor Verlegenheit. Er fragte sich, woher Professeur Faucon das jetzt wußte, wo Jane Porter ihm selbst einen Zauberstein an den Kopf gehalten hatte, dessen Wirkung jede Erinnerung an den Zweiwegspiegel für legilimentoren unauffindbar machte.
"Öhm, wie kommen Sie darauf, daß ich ..."
"Hallo, keine nutzlosen Verzögerungsversuche, Monsieur! Seien Sie froh, daß ich Ihnen keine Schuld zuweise, geheime Absprachen eingegangen zu sein und wenn nicht gegen mich, jedoch an mir vorbei mit Mrs. Jane Porter konspiriert zu haben. Da ich weiß, daß dahinter keine böse Absicht steht, habe ich Ihnen diesen unerlaubten Kontakt gelassen, solange ich weiß, mit wem Sie in Verbindung stehen. Also händigen Sie nun den Spiegel aus, wenn ich bitten darf!" Bei den letzten Worten sah sie Julius sehr unerbittlich an. Er nickte und fingerte in seinem Brustbeutel, bis er den Spiegel mit dem Mondsymbol ertastete. Er zog ihn schwerfällig hervor und gab ihn seiner Lehrerin. Woher wußte sie das nur?
"So, und nun Marsch zurück ins Bett, junger Mann!" Entließ ihn die Vorsteherin des grünen Saales endlich zur Nachtruhe.
Julius atmete erst auf, als er in seinem Bett lag und den Schnarchfängervorhang ordentlich zugezogen hatte. Sofort holte er den Spiegel heraus, mit dem er Gloria erreichen konnte. Tatsächlich erschien nach dem Ausruf ihres Namens ihr Gesicht im Glas.
"Ich weiß nicht wie, aber Professeur Faucon hat das mit den Spiegeln rausgekriegt. Ich habe keinen Ton davon verraten", preschte Julius vor.
"Das sie blöd wäre wäre ja neu für mich", entgegnete Gloria kaltschnäuzig. "Die hat den Reine-des-Sorcières-Orden nicht für's Bauklötzchenstapeln gekriegt. Wahrscheinlich hat Oma Jane nicht gut genug aufgepaßt, was sie mit deinen Inforrmationen anfing. Oder ihre gute Freundin hat sich gedacht, daß Oma dich nicht einfach nach Beauxbatons zurückläßt, ohne dir auch was mitzugeben, womit du sie gut erreichen kannst. Daß du den anderen Spiegel ja noch hast, zeigt ja, daß sie nur von meiner Oma ausging."
"Falsch, Gloria. Ich denke eher, daß sie sich denkt, daß deine Oma mir zwei Spiegel mitgeliefert hat, wovon einer zu dir führt. Sie wollte aber ausschließlich nur den Spiegel haben, über den ich mit deiner Oma reden kann."
"Was hat sie denn dazu noch gesagt?" Wollte die blondgelockte Junghexe im Spiegel wissen.
"Hmm, daß sie mir keine Schuld daran gibt, daß ich das Ding für mich behalten habe, ohne ihr was zu sagen oder sie um Erlaubnis zu bitten. Sie meinte sowas, deine Oma und ich hätten nicht gegen sie aber an ihr vorbei konspiriert. Konspirieren heißt wohl sich verschwören oder zu irgendwas verbotenem verabreden."
"Der Begriff ist mir vertraut, Julius", entgegnete Gloria gelangweilt klingend. Dann sagte sie noch: "Ja, dann stimmt das wohl, daß sie denkt, du hättest noch einen Spiegel. Werde ich wohl morgen wissen, wenn Oma mich wieder sprechen will. Versuch jetzt zu schlafen!"
"Aye, Mylady", erwiderte Julius und steckte den Spiegel fort. Sein Blick fiel auf das Gemälde von Aurora Dawn. Es war leer. Da fiel ihm glühendheiß ein, daß er ja beim Sprechen mit Gloria oder Mrs. Porter, Jane nie so recht darauf geachtet hatte, ob das Bild immer leer war. Ja, Aurora Dawn hatte ihm ja an diesem Abend die Meldung über Voldemorts offizielles Auftauchen gebracht, ohne daß er gesehen hatte, wo sie herkam. Das war es also, erkannte er und faßte sich grimmig ins Haar. Er mußte ja im Bett sein, weil dort keiner von außen mithörte, was er so sagte, ohne daß er das mitbekam. Da hing seit kurz vor Halloween Auroras Vollgemälde. In Hogwarts hatte er öfter Besuch von Aurora Dawns dortigem Bild-Ich bekommen, weil er erst Rowena Ravenclaws Miniportrait und dann Claires Kalenderbild dort hängen hatte. Wie bescheuert konnte er sein, daß er dieses Bild da nie im Blick behalten hatte? Natürlich hatte irgendwer aus der gemalten Welt das mal mitkriegen können, ohne das er es mitgekriegt hatte, wenn er mit Gloria sprach. Aurora Dawn würde es wohl nicht weitererzählt haben. Aber ...
"Hat dir Professeur Faucon nicht befohlen, zu schlafen, Julius?" Klang eine Stimme aus dem Bild, und er sah Viviane Eauvives Kopf durch den linken Rand des Rahmens ins Bild gleiten.
"Ich kann nicht schlafen, wenn ich was zum denken habe", erwiderte Julius schroff. Sie konnte diejenige sein, die Professeur Faucon drauf gebracht hatte, ging ihm ein Licht wie eine Supernova auf.
"Na, nicht so, Knabe! Wir machen uns alle nur sorgen darum, daß es dir gut ergeht. Nach der Meldung von Antoinette, die Professeur Faucon und damit auch mich informiert hat, was passiert ist, ging ich davon aus, daß du sofort Kontakt mit deinen Zweiwegspiegelpartnern aufnehmen würdest. Da habe ich mich wohl nicht geirrt."
"Wielange wußten Sie das?" Fragte Julius nun eiskalt klingend, jetzt, wo auch diese Sache klar war.
"Im Grunde seit ich wußte, daß die gerade lebende Goldschweif dich als Vertrauten ausgesucht hat und ich in der Annahme, du würdest schlafen, öfter in dieses Bild hier eingetreten bin um zu sehen, wie es dir geht. Ich wollte nichts sagen, als ich mitbekam, daß du mit anderen Leuten sprachst. Eigentlich haben wir gemalten Leute ja auch nichts mit euch aus der natürlichen Welt zu tun. Deshalb habe ich das auch nicht weitergegeben. Erst als du leibhaftig bei mir warst und wir geklärt haben, warum Goldschweif dich und Claire auseinanderzutreiben versuchte, habe ich beschlossen, daß es mich sehr wohl angeht, was du hier so anstellst. Eine gute Mutter kümmert sich immer um ihr Kind, auch wenn es erst dutzende von Generationen später zur Welt kam, Söhnchen. Ich habe Professeur Faucon angedeutet, daß du mit einer gewissen Jane Porter Kontakt hältst, weil ich das mitbekommen habe, nachdem du aus meiner Welt in deine zurückgekehrt bist. Sie hat da natürlich sofort gewußt, wie das ging, weil ein Bild konnte es ja nicht sein."
"Sie haben gepetzt", fauchte Julius sichtlich ungehalten. "Sie sagten, Sie haben nichts mit den echten Leuten zu schaffen."
"Ich sagte, eigentlich haben wir aus der gemalten Welt nichts mit den natürlichen Leuten zu schaffen, Julius. Aber durch deinen irrsinnigen Ausflug in meine Welt und die Enthüllung, die kurz danach unsere Verbindung offenbarte, habe ich, wozu ich alles Recht der Welt habe, beschlossen, daß dein Schicksal mich sehr wohl etwas angeht. Das ist also nicht verpetzen, wie es kleine Kinder mit ihresgleichen machen, wenn die wollen, das die anderen bestraft werden, sondern eine vollkommen verantwortungsbewußte Handlung, wenn ich den für dich zuständigen Personen hier mitteile, was dich umtreibt. Auch wenn ich dich immer noch für überdurchschnittlich vernünftig halte amüsiert es mich zu erkennen, daß du doch noch ein Junge geblieben bist, der meint, auch ohne Erwachsene klarzukommen oder sachen anstellt, von denen er weiß, daß er das eigentlich nicht darf. Du wußtest genau, daß du dir für solche Sachen wie den Spiegel eine Erlaubnis holen mußt, wie auch für Auroras Bild. Du hast dir diese Erlaubnis nicht geholt und trotzdem munter mit deiner früheren Schulkameradin Gloria und ihrer offenbar sehr eigensinnigen Großmutter gesprochen. Eben das hat mich beruhigt, daß du nicht ein zu früh der Kindheit entrissener alter Mann im Körper eines Knaben bist. Deshalb, und nur deshalb, habe ich deiner Lehrerin auch nicht von dem anderen Spiegel erzählt, den du hast. Mag sein, daß sie von sich aus darauf verfällt oder nicht daran denkt. Sicher ist nur eines: Ich will haben, daß du nicht in Schwierigkeiten kommst, deren Ausgang du nicht abschätzen kannst. Das ist auch der Anspruch jeder Mutter. In diesem Sinne wirst du dich jetzt richtig hinlegen und schlafen. Wenn du morgen früh nicht munter genug bist, wirst du im Unterricht Probleme bekommen. Ausgerechnet kurz vor Schuljahresende wäre das sehr peinlich."
"Ist ja gut", sagte Julius trotzig. Viviane Eauvive rümpfte zwar die Nase, konnte aber ein gewisses Lächeln nicht ganz unterdrücken. Sie huschte nur aus dem Bild und verschwand.
__________
Ich fühle, daß Julius sehr aufgeregt ist. Er ist wach. Ich höre ihn nicht atmen oder was mitteilen. Aber ich spüre ansteigende Aufregung und Angst. Will ihn jemand angreifen? Ich sitze hier vor dem verschlossenen Eingangsloch zu seiner Schlafhöhle und kann nicht hinein. Aber da drinnen ist auch niemand anderes. Er ist mit den anderen Jungen zusammen, die jedes für sich hinter diesem mit der leise singenden Kraft gefüllten Felle im Nest liegt. Ich spüre, wie er sich wieder entspannt. Ja, die Angst ist noch da, aber nicht mehr so wild. Was immer es war ist jetzt weg. Ich werde hier warten und aufpassen.
__________
Julius' innerer Wecker sprang trotz der fehlenden Stunden Schlaf um halb sechs an und holte ihn aus einem dumpfen Traum von einer in Feuer und Blut versinkenden Welt. Durch den schweren Traum voll Adrenalin konnte Julius schnell und einigermaßen Munter aus dem Bett und machte sich fertig für den Frühsport. Barbara wartete schon unten im grünen Saal. Sie sah ihn an und meinte:
"So ganz gut hast du aber wohl nicht geschlafen, Julius. Bist du dir sicher, daß du ausgeruht genug bist?"
"Ich bekam gestern von der gemalten Aurora die Meldung rein, daß man diesen Du-weißt-schon-wen im englischen Zaubereiministerium gesehen hat", knallte Julius der Saalsprecherin der Grünen unvorbereitet hin. Diese schrak zusammen und wurde blaß. Dann fauchte sie:
"Wehe du verulkst mich jetzt, Julius Andrews!"
"Schön wäre es. Aber das war doch klar, daß der irgendwann mal aus dem Loch kriecht, in dem er sich versteckt hat", legte Julius unbeeindruckt nach.
"Was hat der im Ministerium zu schaffen gehabt? Das war doch idiotisch, wo ihn dort doch alle für verschwunden und unwiederbringlich hielten."
"Der hat da was gesucht, wo wohl keiner seiner Handlanger alleine drankam. Harry Potter war auch da. Ich weiß nicht, ob der dahin ist, weil Voldemort da war, oder weil Voldemort wollte, daß er da hinkam."
"Hast du es immer noch nicht kapiert, daß man seinen Namen nicht zu laut ausspricht, wenn überhaupt?" Knurrte Barbara zornig. Dann nickte sie jedoch. "Vielleicht konnte er Sachen nicht anstellen, solange keiner glaubte, er wäre nicht zurückgekehrt. Mag sein, daß Leute, die er erpresst hat, was wichtiges haben, was er unbedingt braucht. Solange die denken, er sei nicht zurückgekehrt, kriegt er das wohl nicht von ihnen."
"Ach so, wie bei Mafia-Erpressungen, wenn der sogenannte Pate abgemurkst wurde und die von ihm eingeschüchterten denken, alles sei nun vorbei", vermutete Julius. Barbara überlegte und sagte dann:
"So ähnlich wird das wohl sein. Wir hatten's in Muggelstudien mal von nützlichen und schädlichen Organisationen in der Muggelwelt. Da haben wir uns auch mit diesem sizilianischen Geheimbund befaßt, der sich zu einer mächtigen Gegengewalt zum italienischen Staat entwickelt hat. Der unnennbare wird vielleicht ähnliche Strukturen geschaffen haben, um Macht und Wissen zu bekommen. Aber eher denke ich, er suchte was im Ministerium, das erklärt, warum er damals an Harry Potter gescheitert ist. Ich war mit Gustav mal im brüsseler Zaubereiarchiv im Ministerialkeller. Gegen das ist unsere Bibliothek ein Schuhkarton mit zwanzig Zeitungen. In Paris ist das wohl nicht anders, mal abgesehen davon, daß niemand weiß, was in der Abteilung für magische Mysterien so alles aufbewahrt wird. Aber jetzt komm! Wir laufen ein wenig. Fällst du auch nur einmal über deine Füße, trage ich dich zu Schwester Florence, damit sie dir auf die Beine hilft."
Julius hielt den Frühsport durch. Dafür langte er beim Frühstück jedoch doppelt und dreifach zu, stürzte insgesamt vier Tassen Milchkaffee hinunter, jedoch gefolgt von gleichvielen Gläsern Orangensaft. Hercules und Robert fragten ihn, ob Barbara ihn so heftig rangenommen habe, daß er mehrere Pfunde auf einen Rutsch verloren habe. Julius erwiderte nur, daß er wirklich ziemlich gut ins Schwitzen gekommen sei, was den Jungen seiner Klasse ein gehässiges Grinsen ins Gesicht zauberte.
Als die, welche die tägliche Ausgabe des Miroir Magique aboniert hatten ihre Exemplare bekamen, hob ein immer wilderes Raunen und Tuscheln an, das immer ängstlicher herüberklang. Julius vermeinte, jenes Gefühl zu verspüren, das die Franzosen "Déja Vu" nannten, den Eindruck, etwas schon einmal gesehen oder erlebt zu haben. Aber er wußte ja auch, woher das kam. Robert bekam seine Ausgabe eher als andere aus dem grünen Saal. Er nahm sie, sah die Erste Seite und zuckte wie vom Blitz getroffen zusammen. Die Zeitung entfiel seiner wild zitternden Hand, und Julius fischte sie aus der Luft. Er sah die erste Seite und erkannte auf dem seitenfüllenden Schwarz-weiß-Foto einen hageren großen Zauberer mit einem abstoßend grauenerregenden Gesicht, das einem kahlen bleichen Schlangenschädel ähnelte. Die Augen, die eher wie schmale Schlitze wirkten, mochten grün oder rot sein. Noch hatte Julius die Grautöne nicht soweit zu deuten gelernt, daß er die echten Farben daraus erkennen konnte. Doch schlagartig gewann das Bild auf der Seite eins Farben. Er hatte es schon einmal gesehen. Ja, als Professor McGonagall und Professor Flitwick mit ihm ausloteten, was ihm die meiste Angst machte, war dieses Geschöpf da auf der Zeitungsseite vor Professor McGonagall erschienen, als der Irrwicht, den sie zu diesem Zweck rausgelassen hatten, vor ihr Gestalt annahm. Unter der höhnisch grinsenden Fratze standen die fingerlangen Lettern: "Er, dessen Name nicht genannt werden darf, ist wirklich zurück!"
"Ich bitte um absolute Aufmerksamkeit!" Rief Madame Maxime über das immer panischer werdende Getuschel hinweg. Sie klatschte dreimal in die Hände, als würde sie drei Schüsse aus einem Gewehr abfeuern. Endlich war Ruhe. "Ja, es ist leider wahr, daß der dunkle Magier, der von den meisten Zauberern und Hexen nicht beim Namen genannt wird, gestern abend tatsächlich gesichtet wurde. Wie beim Ausbruch der Gefangenen von Askaban vor einigen Monaten geschen möchte ich Ihnen allen die betreffende Meldung laut vorlesen", sagte die Schulleiterin und entfaltete ihr Exemplar des Miroirs. Sie räusperte sich kurz, um ihre Kehle von störenden Krümeln zu reinigen und las:
"Schlagzeile: Er, dessen Name nicht genannt werden darf, ist wirklich zurück!
Wie unserer Redaktion per Blitzeule von unserer Korrespondentin Iris Poirot in den späten Abendstunden mitgeteilt wurde, wurde jener dunkle Hexenmeister, dessen Name niemand laut oder überhaupt auszusprechen wagt, in den Abendstunden des Donnerstags im Ministerium für Magie zu London, Großbritannien, dabei beobachtet, wie er in Begleitung von Getreuen, den sogenannten Todessern, in die Abteilung für magische Mysterien einzudringen versuchte, wo seine Handlanger sich nach Zeugenaussagen des Ministers für Magie und seiner Mitarbeiter einen Kampf mit halbwüchsigen Zauberern lieferten, höchstwahrscheinlich geführt von Harry Potter. Er, dessen Name nicht genannt werden darf, war von Großbritanniens Zaubereiminister Cornelius Fudge persönlich dabei beobachtet worden, wie er zusammen mit einer dunkelhaarigen Hexe disapparierte. Der ebenfalls in das Zaubereiministerium eingedrungene Zauberer Albus Dumbledore, von dem wir vor Wochen kündeten, er sei des Verrats und der umstürzlerischen Gründung einer eigenen Truppe aus minderjährigen Zauberern angeklagt und seines Amtes enthoben worden, sagte aus, daß der Unnennbare sich in den Besitz einer für sein Tun wichtigen Sache zu bringen versuchte. Dies sei jedoch mißlungen. Zu der Frage, was die Halbwüchsigen, drei Mädchen und drei Jungen, zur gleichen Zeit an diesem Ort zu suchen hatten verweigerten sowohl der britische Zaubereiminister, wie auch der nun wieder in alle aberkannten Ämter eingesetzte Professor Albus Dumbledore jede Aussage. Mehrere der sogenannten Todesser konnten an Ort und Stelle festgenommen werden und befinden sich bereits in Askaban. Hierzu muß jedoch mit großer Bestürzung bekanntgemacht werden, daß es in derselben Nacht zu einer Massenrevolte der dort wachenden Dementoren kam. Etliche dieser früher zu den Heerscharen des Unnennbaren zählenden Geschöpfe sind abgerückt, womöglich unterwegs, sich mit dem Unnennbaren neu zu vereinen. Es ist also fraglich, ob die kurzfristig ergriffenen Verwahrungsmittel in Askaban ausreichen, die nun dort einsitzenden Todesser dauerhaft zu halten. Eine Stellungnahme unseres Zaubereiministers, Monsieur Armand Grandchapeau, sowie des französischen Sprechers der Liga zur Abwehr der dunklen Künste, wie auch eine detaillierte Schilderung der entsetzlichen Ereignisse des gestrigen Abends, lesen Sie bitte auf den Seiten zwei bis sieben!"
Wieder klang ein ängstliches Gemurmel auf. Wieder mußte Madame Maxime in die Hände klatschen, um es abzustellen. Sie sagte noch:
"Die meisten von Ihnen, die derzeit unsere altehrwürdige Akademie besuchen, werden naturgemäß nicht wissen, wie es war, als dieser gemeingefährliche Dunkelmagier seine erste Ära erlebte. Ich weiß auch, daß Sie das nicht sonderlich beruhigen wird, wenn ich Ihnen mitteile, daß Übergriffe dieses Massenmörders und seiner Terrorbande auf französischen Boden sehr spärlich gesät waren, weil er hauptsächlich in England sein Unwesen trieb. Allerdings gab es auch in Frankreich höchst brutale Anschläge auf unbescholtene Zaubererfamilien und öffentliche Stätten der Zaubererwelt, und er hat auch in unserer großen Nation willige oder eingeschüchterte Gefolgsleute werben und einsetzen können. Hier jedoch, auf die Ländereien von Beauxbatons, konnte er oder einer seiner Handlanger genauso wenig vorstoßen, wie in Hogwarts. Die Gründungseltern unserer Akademie, sowie kundige Magier nach ihnen, haben die Schule und die ihr angeschlossenen Ländereien mit wirksamen Bann- und Wehrzaubern ausgestattet. Die Sicherheit hier ist, wenngleich es niemals die absolute Sicherheit als solche gibt, am höchsten nach Millemerveilles. Was die aktuellen Ereignisse in Großbritannien angeht, so darf ich Ihnen noch die Stellungnahme von Minister Grandchapeau vorlesen." Sie blätterte in der Zeitung und fand den betreffenden Abschnitt. Julius, der Roberts Zeitung noch in der Hand hielt, blätterte ebenfalls um und las leise mit.
"Ich wende mich an alle rechtschaffenen Hexen und Zauberer unserer großen Nation. Gestern abend trat ein, womit wir im Ministerium für Zauberei schon lange haben rechnen müssen. Der Zauberer, dessen Name niemand laut zu nennen wagt, wurde leibhaftig beobachtet. Es ist nun gesichert, daß er tatsächlich wiedergekehrt ist und sehr wahrscheinlich danach trachtet, die vor Jahren errungene Macht und alles darüber hinaus zu erkämpfen, was, dies muß ich sehr bedauerlicherweise einräumen, in neuerlichen Bluttaten ausarten wird. Ihnen teile ich nun mit, daß wir hier in Frankreich, sowie in anderen Staaten, wo an der Rückkehr des Unnennbaren nicht gezweifelt wurde, vorzeitig Maßnahmen ergriffen haben, um Übergriffe auf unbescholtene Mitglieder unserer Gesellschaft zu unterbinden oder zumindest sehr rasch darauf zu reagieren, um die Verursacher dingfest zu machen. Jeder Zaubererfamilie wird in den nächsten Tagen eine kostenlose Broschüre zugestellt, in der alle empfohlenen Vorsichtsmaßnahmen verzeichnet sind. Ich rate Ihnen allen, auch wenn es schwer fällt: Geraten Sie bitte nicht in Panik oder Verfolgungsängste. Angst ist die mächtigste Waffe dieses Hexers. Sie darf ihm von unserer Seite aus nicht zur Verfügung gestellt werden. Versuchen Sie, Ihren bisherigen Alltag beizubehalten! Wir dürfen uns nicht zum Gefangenen dieses brutalen Massenmörders erniedrigen, indem er uns zur Abkehr von unseren Lebensqualitäten nötigt. Er mag stark, kundig und skrupellos sein. Doch er und seine Getreuen, wieviele es auch immer sein mögen, stellen die Minderheit in unserer Welt dar. Ich als der von Ihnen allen mit der Verantwortung für Sie alle betraute Minister für Zauberei in Frankreich, verwahre mich dagegen, daß wir uns von einer gewaltsüchtigen und intriganten Minderheit erniedrigen lassen. Die von meinem Ministerium und den ihm untergeordneten Abteilungen helfen uns allen, das freie Leben, das wir hier führen, weiterhin zu bewahren. Werfen Sie es nicht grundlos fort! Wir hier in Frankreich wissen aus der Geschichte, daß es bereits schlimmere Zeiten für magische und nichtmagische Menschen gab. Diese Zeiten haben wir überstanden. Ebenso werden wir das neuerliche Wirken dieses absolut fehlgeleiteten Magiers überstehen. Werte wie Menschlichkeit, Liebe, Sorgfalt und Achtung des Lebens erscheinen ihm als Schwäche. Doch in Wahrheit fürchtet er genau diese Werte, weil sie die wirklich Schwachen vereinigen und zu einer Gemeinschaft zusammenfügen, die stärker ist als sein grenzenloser Machthunger verzehren kann. Entschlossene Gänse können den Angriff eines Habichts zurückschlagen, obwohl dieser unvorhergesehen zuschlägt, weil sie viele gegen einen sind. Mag er, dessen Name nicht genannt werden darf, wie der lauernde Habicht über uns kreisen oder sein Netz von Intrigen und Verbündeten spinnen wie die Spinne in der Höhle. Wir sind immer mehr als er, und unsere Werte geben uns den nötigen Halt."
"Toll, Herr Minister", grummelte Julius hinter der Zeitung. Er mußte ein Grinsen unterdrücken. Da gab jemand eine Reihe von Durchhalteparolen aus, wagte es aber nicht, den Feind beim Namen zu nennen. Irgendwie widersinnig, fand Julius Andrews. Wie leicht mochte ein sonst so harmloser Mensch zum gefährlichen Ungeheuer werden, weil er Angst vor einem noch gefährlicheren Ungeheuer hatte? Terrorbanden hatten die Muggelwelt schon immer erschüttern können. In Spanien gab es diese ETA, die IRA bombte und mordete in Nordirland und England, vor Jahrzehnten waren es die Nazis aus Deutschland, die mit Haß und Einschüchterung einen wahnsinnigen Eroberungskrieg geführt hatten, ja und ansonsten gab es in der ganzen Welt Verbrecherbanden, wie die verschiedenen Mafia-Organisationen in Italien, Rußland oder Südamerika. Leute die dagegen kämpften, waren oft genug umgebracht worden. Das schreckte ab, wußte Julius. Die meisten Nachrichtensendungen waren voll davon, ja bestanden aus diesen Terrorakten in der Welt. Er hatte für Jeanne ja einen Aufsatz über Muggelmedien geschrieben. Da hatte er es auch reingebracht, daß die meisten gesendeten Nachrichten von Krieg, Elend oder Verbrechen berichteten. Das hatte er in Hogwarts schon versucht, den Leuten klar zu machen. Doch als bei der letzten Runde des trimagischen Turniers klar wurde, daß dieser Voldemort wiedergekommen war, hatte er auch diese Angst, diese dumpfe, lauernde Angst gespürt. Er war nicht darüber erhaben, sodaß er die anderen hier belächeln oder bemitleiden durfte. Das wußte er.
"Möchtest du deine Zeitung wiederhaben, Robert?" Fragte Julius nach einer schier ewig langen Zeit. Robert nahm die Zeitung zurück und sagte:
"Das ist schon fies, wie der aussieht. Weißt du, woher der diese Fresse hat?"
"Hmm, ich habe den auch nur einmal als Bild gesehen, Robert. Könnte sein, daß er sich durch irgendwelche Selbstverwandlungen so vermurkst hat, warum auch immer. Vielleicht wollte er schöner aussehen und hat bei den Zutaten was vergeigt oder etwas getan, um körperlich stärker zu werden, muß dann aber mit diesem Horrorgesicht rumlaufen. Immerhin hat er ja seinen eigenen Todesfluch überlebt, als er Harry Potter damit angegriffen hat. Könnte also sein, daß er sich mit einer Form von Lebensenergie angereichert hat."
"Ja, aber mancher Vampir sieht gegen den doch echt nobel aus", wandte Hercules ein, der sichtlich darum rang, die dumpfe Angst zu überspielen, die fast jeden hier ergriffen hatte.
"Ich weiß nicht, wie der so aussehen kann", sagte Julius.
Langsam beruhigte sich das Murmeln und ängstliche Getuschel. Doch nun, wo es amtlich war, fragten sich doch viele hier, was nun passieren mochte. Wie Julius würden sich viele darüber klar sein, daß nun wieder Terror und Zerstörung einsetzen würden. Doch viele wiegten sich in der Hoffnung, daß dieser böse Zauberer sich auf seiner Heimatinsel aufhalten würde.
In den Pausen zwischen den Unterrichtsstunden erzählten sich die Schüler, was ihre Verwandten über Voldemorts ersttes Treiben berichteten. In der großen Pause fragte Laurentine ihren ebenfalls muggelstämmigen Klassenkameraden:
"Was meinst du, Julius. Soll ich das meinen Eltern erzählen? Ich habe es bisher nicht erzählt, damit die nicht denken, die hier wollten mich mit Drohungen kleinhalten."
"Hmm, das fragst du besser Professeur Faucon im Verwandlungsunterricht. Ich sollte es im letzten Sommer nicht erzählen. Meine Mutter weiß es nur, weil es zwischen ihr und Paps geknallt hat und Catherine Brickston sie danach zu sich holen wollte", antwortete Julius.
"Gut, dann warte ich, was die Faucon mir rät", entschied Bébé und ging hinüber zu Belisama Lagrange, um mit ihr noch irgendwas zu bereden.
Am Nachmittag begann Professeur Faucon die Verwandlungsstunde wie sonst auch. Erst als die zwei Schulstunden fast vorbei waren, sagte sie:
"Mesdemoiselles, Messieurs! Ich gehe davon aus, daß Sie hier alle eine gewisse Angst empfinden, was nun wird, wo amtlich ist, daß dieser heimtückische Magier wieder in Erscheinung getreten ist. Nun, Angst gemahnt zur Vorsicht und ist von der Natur her ein sehr sinnvolles Mittel, Gefahren zu vermeiden. Andererseits darf Angst nicht dazu dienen, uns selbst klein zu halten. Jeder von uns muß im Leben Ängste ertragen und überwinden, je weiter er oder sie sich entwickelt. Ich habe selbst schreckliche Erfahrungen mit diesem fehlgeleiteten Magier machen müssen. Daher weiß ich, daß es nichts nützt, vor ihm Angst zu haben. Es ist vielmehr wichtig, ihm zu zeigen, daß er es ist, der schwach ist, nicht durch Gewalt, sondern durch Beharrlichkeit und gegenseitigem Vertrauen. Was Sie in meinem Unterricht lernen können, um sich erfolgreich zu schützen oder zu wehren, hilft Ihnen, sich der eigenen Stärke bewußt zu sein und weniger Angst vor Leuten wie Voldemort zu haben. Dies nur, weil dieser Tag mich als Ihre Saalvorsteherin und Fachlehrerin wider die dunklen Künste verpflichtet, Sie zu ermutigen, nicht in ein enges Versteck zu kriechen, so sicher es auch erscheinen mag. Wir hier werden uns nicht zu Handlangern wider Willen machen lassen. Denn im Gegensatz zu Voldemort haben wir ein Gewissen, Ehre und auch ein Pflichtgefühl uns selbst und anderen gegenüber. Das macht jeden von Ihnen stärker als diese Kreatur, die meint, alles ihrem Willen unterwerfen zu können."
"Entschuldigung, Professeur Faucon", wandte sich Robert an die Lehrerin und legte seine Ausgabe des Miroirs auf den Tisch. Voldemorts grauenhafte Fratze glotzte ihn feindselig an. "Wieso sieht er so aus?"
"Hat jemand Vorschläge?" reichte die Lehrerin die Frage an alle anderen Schüler weiter. Julius hob die Hand und bekam Sprecherlaubnis.
"Partielle Selbstverwandlungen können fehlschlagen. Vielleicht wollte er anders aussehen als er geboren wurde. In der Muggelwelt gibt es einen Musiker, der hat sich in den letzten Jahren ständig im Gesicht operieren, also mit Skalpell und Nähzeug umgestalten lassen. Einige vermuten, er wollte nicht mehr dunkelhäutig sein oder nicht so aussehen wie sein Vater."
"Das wäre eine Variante", nahm Professeur Faucon diese Erklärung zur Kenntnis. Dann fragte sie, ob es noch andere Gründe geben könne. Diesmal zeigte niemand mehr auf. So sagte sie: "Also ich kann Ihnen nicht genau sagen, was er an sich alles ausprobiert hat und warum. Feststeht nur, daß er wohl mit seiner ursprünglichen Daseinsform unzufrieden war, sie vielleicht gefürchtet, zumindest verachtet hat. Hinzu kommt ja noch, daß er den ersten Angriff auf den Jungen Harry Potter überstanden hat, obwohl sein Todesfluch zu ihm selbst zurückschlug. Mit Avada Kedavra hat es in der ersten Zeit Versuche gegeben, ob dieser Fluch umlenkbar sei. Allerdings ist man schnell wieder davon abgekommen, weil dabei auf jeden Fall eine Person hätte sterben müssen. Also einen solchen Fluch zu überstehen setzt einen andersartigen Körper voraus. Womöglich hat Voldemort dieses Erscheinungsbild gerade deshalb gewählt, um gegen schwere Angriffe immun zu sein. Mehr kann ich Ihnen nicht dazu sagen, da dies entweder zu spekulativ ist oder Geheimnisse berührt, die zu hüten ich geschworen habe. Aber was die partielle Selbstverwandlung angeht, sollte es Ihnen eine ernste Mahnung sein, sich immer gut zu üben, bevor Sie an sich selbst herumtransfigurieren."
"Kennt man in Frankreich echte Todesser?" Fragte Céline Dornier.
"Die Frage kann ich Ihnen erschöpfend beantworten, Mademoiselle Dornier. Die bekannten Sympathisanten und Gefolgsleute wurden unter Überwachung gestellt oder schon in Verwahrung genommen, in der Zitadelle Tourresulatant. Falls also weitere Kumpane oder Mitläufer auftauchen, waren sie bisher nicht auffällig."
Julius hob die Hand und sah Professeur Faucon fragend an. Sie nickte ihm zu. "Sie erzählten mir mal, daß Sie von einigen englischen Zauberern mehr wüßten, was deren Beziehung zu Voldemort angeht." Alle anderen zuckten bei der Nennung des Namens zusammen, außer Professeur Faucon.
"Ja, das ist korrekt, Monsieur Andrews. Manchmal mißfällt es mir selbst, recht zu haben. Jedoch besteht ja immer die geringe Chance der Erkenntnis und Besserung. Doch man muß sie auch nutzen."
"Was haben wir sogenannten Muggelstämmigen jetzt zu fürchten?" Fragte Bébé sehr ernst klingend.
"Im Grunde das, was auch die Abkömmlinge aus lange zurückreichenden Zaubererfamilien zu fürchten haben. Es trifft zwar zu, daß dieser psychopathische Zauberer einem unbändigen Wahn verfallen ist, die Zaubererwelt von den Einkreuzungen aus der Muggelwelt zu säubern, gleichfalls greift er aber auch diejenigen an, die seinen Vorstellungen von wahrer Größe im Weg stehen. Nach allem bisherigen geht es ihm darum, seine persönliche Idealwelt zu erschaffen. Nach dem Prinzip des Kleinkindes, das einen mit Bauklötzen errichteten Turm zusammenfallen läßt, um danach ein Haus zu bauen, will er die bestehenden Gesellschaftsstrukturen zerschlagen und sich selbst als großartigen Herren über alle magischen Menschen sehen."
"Der übliche Weltherrschaftsgedanke abgedrehter Diktatoren", grummelte Julius leise, aber nicht leise genug für Professeur Faucon. Sie räusperte sich und forderte ihn auf, das noch mal laut zu wiederholen. Julius lief rot an, brachte es aber dann sicher heraus, was er gegrummelt hatte.
"Die Geschichte der Welt Ihrer Eltern, Mademoiselle Hellersdorf und Monsieur Andrews ist ja wie auch unsere voll mit Beispielen, wo diese Vermutung zutraf und den Schluß nahelegt, daß es auch in Zukunft so sein mag. Eine Variante könnte aber auch Selbsthaß sein, eine unbändige Wut auf die Welt, die einen so geformt hat, wie man ist. Auch das kann ein mächtiger Beweggrund für die Taten von Gewaltverbrechern sein. In jedem Fall ist Vorsicht immer geboten, aber auch Zuversicht, einen solchen Charakter zu überstehen. Hinzu kommt noch etwas, daß Sie hier noch nicht verstehen müssen aber schon einmal gehört haben sollten: Es gibt Dinge, die sind es Wert, das eigene Leben zu opfern, wenn die Alternative bedeuten würde, in ständiger Unterdrückung und Ausbeutung weiterleben zu müssen. Jetzt wagen Sie bloß nicht, nach irgendwelchen Todessern zu suchen, um sich mit diesen zu duellieren, sofern Sie nicht lebensmüde sind! Dazu besteht von Ihrer Warte aus kein Grund."
Ein betretenes Schweigen folgte dieser Ansprache. Das Läuten der Schulglocke klang wie eine Erlösung. Professeur Faucon verabschiedete diszipliniert wie immer ihre Klasse und sah zu, wie alle den Raum verließen.
Nach Zauberkunst und Duellierkurs fiel Julius geschafft ins Bett. Irgendwie hatte er den Tag komplett durchgehalten. Doch nun holte ihn der Schlaf in sein Reich.
__________
Julius hatte sich dazu durchgerungen, eine Centinimus-Bibliothek und eine Feuerperlenschnur mit 196 Perlen zu ordern. Die Bibliothek bestellte er direkt bei Alexandria Agemo, der Erfinderin. Diese schickte ihm ein Päckchen mit zwei Bibliotheken und einen Brief, in dem sie ihm zwei Centinimus-Bücherschränke zum Preis von einem überließ, da sie von ihrer ehemaligen Schulkameradin Jane Porter schon von ihm gehört habe. Die Perlenkette kostete eine Galleone und fünf Sickel weniger als er ausgerechnet hatte. Tatsächlich waren die Perlen an sich sehr fein. Die Drachenherzfaser war sehr sorgfältig herausgeschnitten und abgerundet worden. Mit einem Stahlverschluß konnte die Perlenschnur hinter dem Nacken zusammengefügt werden. Julius wagte jedoch nicht, dieses Wunderding auszuprobieren, weil er noch keine vierzehn Jahre alt war und das mitgelieferte Benutzungspergament eindeutig die Quadratwurzel der aufgezogenen Perlen in Lebensjahren verlangte.
An den Sonntagen holte ihn Claire jedoch immer wieder an den Strand, wo sie den Vormittag mit Schwimmen und Sonnenbaden zubrachten. Millie Latierre kam zwar oft herüber und versuchte, Julius zu necken. Doch meistens kam dann auch Martine herüber und holte ihre Schwester rasch fort.
"Sie hat noch nicht aufgegeben", grinste Claire Julius zugewandt. "Sie meint immer noch, du würdest mehr von ihr halten als von mir."
"Ich weiß nicht, woran's liegt, Claire. Hier laufen einige besser aussehende Typen rum oder sind auch welche mit viel Grips unterwegs."
"Vielleicht hat sie's mitgekriegt, daß du Eauvive-Blut in den Adern hast. Ihre Familie könnte ja eine erfrischende Einkreuzung gut vertragen."
Julius lachte. Daß Claire nun so locker darüber hinwegging, daß Millie ihn immer noch mehr oder weniger heftig umschwärmte, zeigte ihm, daß sie sich ihrer Sache sicher war. Das kam auch daher, daß Goldschweif sich gerne von Claire auf den Arm nehmen ließ oder sie nicht zurücktrieb, wenn Julius sie umarmte, sondern um beide herumlief.
Julius holte am Abend des dreißigsten Juni den Zweiwegspiegel für Gloria Porter hervor und nahm Kontakt zu ihr auf.
"Dumbledore hat uns heute abend noch einmal allen erzählt, was in diesem Jahr an Mißverständnissen zwischen ihm und Fudge passirt ist. Harry Potter war nicht beim Festessen dabei, genau wie Luna Lovegood. Es war voll genial. Slytherin hat wegen Anmaßungen von Malfoy und Genossen ganze zweihundert Punkte verloren, besonders noch durch tätliche Angriffe auf Leute, die zu Potters Truppe gehört haben sollen. Das Inquisitionskommando ist aufgelöst worden. Olivia hat sich bei Pina richtig ausgeheult, weil sie Angst hatte, man würde sie jetzt immer wie eine Verräterin ansehen. Ravenclaw hat mit zehn Punkten Vorsprung vor Gryffindor den Pokal geholt, weil wir im Vergleich zu Gryffindor weniger Punkte verjubelt haben. Die Umbridge ist wohl irgendwie durcheinander. Offenbar hat die Granger sie in den verbotenen Wald gelockt, wo sie eine Herde Zentauren so heftig beleidigt hat, daß die sie gefangen genommen haben. Daher war sie nicht aufzufinden. Cho hat sich wohl jetzt mit Michael Corner zusammengefunden. Dessen Großcousine Beryl wohnt ja drüben in New Orleans und arbeitet mit Oma Jane zusammen. Prudence wollte wissen, ob ich wüßte, wie sie dich geprüft hätten. Sie meinte, sie würde dir noch 'ne Eule schicken. Ihr müßt ja noch zwei Wochen, wenn ich das richtig mitgekriegt habe."
"Ja, wir müssen noch zwei Wochen", bestätigte Julius. Dann fragte er:
"Hat deine Oma noch was gesagt, wegen dem zweiten Spiegel?"
"Sie meinte nur, daß du besser auf deine Bilder hättest aufpassen sollen, während du mit mir oder ihr geredet hast. "Bläänch" wäre zwar nicht sauer gewesen, aber doch merkwürdig ernst. Oma geht aber davon aus, weiterhin Geburtstags- und Weihnachtskarten von ihr zu kriegen. Vielleicht behält sie ja auch den Spiegel. Billiger kommt die ja an sowas nicht dran." Gloria lächelte.
"Den hat sie mir auch nicht mehr wiedergegeben. Ich warte ja förmlich drauf, daß die den zweiten auch noch einzieht."
"Besser nicht, sonst bist du nachher noch enttäuscht", erwiderte Gloria schnippisch.
"Wie sind denn eigentlich die drauf, deren Väter auf der Todesserliste stehen?" Wollte Julius noch wissen.
"Malfoy ist stinkwütend auf Harry Potter, sein Doppelschatten sowieso, weil deren Väter ja auch mit drinhängen. Glenda hat da mal was gesagt, daß Malfoy Harry bedroht hat."
"Na klar, von dem Papasöhnchen läßt sich der auch noch einschüchtern", spottete Julius. "Der hat Voldemort mal wieder überlebt. Wer hat denn da noch Angst vor Malfoy?"
"Das würde ich so nicht sagen, Julius", dämpfte Gloria den Spott ihres Freundes. "Rache ist ein verdammt mächtiges Motiv, groß, stark und unbesiegbar zu werden. Falls Voldemort aus irgendeinem Grund abtritt, was ich doch hoffe, wäre ein gedemütigter Draco Malfoy ein ziemlich aussichtsreicher Nachfolger in zwanzig oder dreißig Jahren. Allerdings, da fällt mir was ein: Malfoy wirkt seit dem Mai so komisch betreten. Sicher, er pöbelt immer noch herum und gibt mit seiner Herkunft an. Aber irgendwie kommt mir das jetzt mehr wie ein Pfeifen im Walde vor als wie bloße Angeberei."
"Gloria, wir hatten es doch schon davon, daß der seine eigene Kleinheit überspielen muß. - Seit Mai sagst du? Ist da was bestimmtes passiert, von dem du wüßtest?"
"Nicht daß ich wüßte, Monsieur Andrews. Aber Lea Drake scheint da was zu wissen. Die ist nämlich seit dem gleichen Zeitraum wesentlich selbstsicherer, abgesehen davon, wie sie schon immer drauf war."
Julius mußte sich arg beherrschen. Einerseits freute er sich, weil er genau wußte, wer dem guten Draco Malfoy die Ernte verhagelt hatte. Andererseits war das mit Lea für ihn eine klare, wenn auch unausgesprochene Warnung. Immerhin hatte er ja Ende Mai die haarsträubende Reise durch die Bilderwelt und den Alptraum in Slytherins Galerie des Grauens erlebt, etwas, das Malfoy angezettelt hatte, natürlich auf Anweisung des dunklen Lords. Mochte es angehen, daß Lea irgendwie mit Lady Medea gut konnte und es von ihr erfahren hatte, wer die Auferstehung Slytherins vereitelt hatte. Er sagte schnell noch:
"Kann sein, daß Lea was gedreht hat, was Malfoy in eine dumme Lage versetzen könnte."
"Ich gehe davon aus, daß du schon weißt, was da gelaufen ist. Immerhin habt ihr ja bei euch drüben diesen Club, der die Sachen in Hogwarts überwacht hat. Natürlich darfst du das nicht bestätigen, ist klar. Aber wissen sollst du schon, daß ich das weiß. Schlaf gut!"
"Du auch", wünschte Julius zurück und verstaute den Spiegel schnell wieder.
__________
Am Dienstag in der vorletzten Schulwoche berief Madame Maxime noch einmal die Sub-Rosa-Gruppe ein. Zwar war ihr Daseinszweck mit der Wiedereinsetzung von Professor Dumbledore, sowie der leider sehr späten Erkenntnis des Zaubereiministers von England hinfällig geworden, zumal alle Mitglieder außer Virginie und Julius mit Beauxbatons fertig waren. Doch Madame Maxime hatte in ihrer schriftlichen Mitteilung, die nur in kürzester Entfernung vor den Augen gelesen werden konnte angekündigt, noch etwas besprechen zu müssen, was die Angelegenheit ordentlich beendete. Fleur Delacour würde auch dabei sein, wie auch das Ministerehepaar. So traf sich Julius mit Jeanne und Barbara am Nachmittag im achten Stock vor dem Bild des ständig streitenden Königspaares, dem Transpictoralportal zu Madame Maximes Räumlichkeiten.
"Ui, das war nicht so einfach, deine kleine Schwester abzuhängen", bemerkte Julius zu Jeanne. Diese lächelte vergnügt.
"Das wäre bestimmt nicht meine leibliche Schwester, wenn sie nicht neugierig und hartnäckig genug wäre, sich dafür zu interessieren, was ihr fester Freund so treibt. Aber nichts desto trotz, heute ist die letzte Sitzung. Wenn sie es bis heute nicht rausgekriegt hat, muß es sie danach nicht mehr kümmern. Barbara, machst du das mit dem Passwort?"
"Wer sonst", sagte Barbara und trat an das Gemälde. Julius fragte sich, ob er nicht mal bei einem Besuch in der Bilderwelt kucken sollte, diese beiden Zanklustigen da zu besuchen.
"... und es stimmt doch, daß Ihr euch in dieses bürgerliche Frauenzimmer verguckt habt, daß seit Ende Oktober in unserer altehrwürdigen Galerie wohnhaft ist", zeterte die in weiß gekleidete Königin.
"Meine holde Angetraute, Ihr wisset doch genau, daß uns erlaubet ist, unser Aug' wohlgefällig über die Wesen dieser Bilderwelt schweifen zu lassen. Hebt also nicht wieder diesen unsäglichen Streit an!" Entrüstete sich der in Purpur gewandete König. Barbara klopfte mit dem Zauberstab an das Bild und sagte:
"Hier wollen gleich drei Leute passieren. Hört mir also bitte zu!"
"Jungfer, spreche sie und vergeude nicht unsere kostbare Zeit!" Forderte der König. Jeanne und Julius traten etwas zurück, um nicht zu hören, was Barbara flüsterte. Als sie sich wieder umdrehte und nickte, traten sie vor. Julius streckte seine Hand nach der des Königs aus. Jeanne reichte ihre Hand der Königin. Unvermittelt wurden sie beide in das Bild hineingezogen, wirkten für Barbara, die noch wartete, als wären sie nun selbst nur gemalte Abbilder, die dann wie auf unsichtbaren Besen davonrasten, im Hintergrund des gemalten Thronsaales einschrumpften und verschwanden, innerhalb einer einzigen Sekunde. Dann reichte Barbara ihre Hand der Königin und fühlte diese plötzlich greifbar, wie sie sie in das Bild hinüberzog, das um sie herum als richtiger Raum entstand, um dann in einer Flut von Farben und fernen Geräuschen zu verschwinden. Dann raste sie über eine von der Sonne beschienenen Wiese hinweg und plumpste aus etwa einem Meter Höhe auf einen weichen Teppichboden. Jeanne und Julius standen schon in diesem sechseckigen Raum, dem Ankunftsraum, der vier Meter hoch war und auf mittlerer Höhe ein umlaufendes Marmorsims besaß, auf dem an jeder Wand ein Gründungsmitglied von Beauxbatons stand. Über dem Wiesengemälde, dem Ausgang aus der Transpictoralpassage, stand Viviane Eauvive mit einem Topf mit einer Mimbulus-Mimbletonia-Pflanze und auf der rechten Schulter ein Ebenbild ihres Kniesels, Goldschweif I.. Durch eine Bronzetür unter dem Standbild Donatus' vom weißen Turm ging es durch einen hufeisenförmigen Korridor in Madame Maximes Sprechzimmer. Hier warteten schon Belle Grandchapeau und César Rocher.
"Ah, schön das Sie so früh gekommen sind. Ich hoffe, die übrigen Mitglieder der Gruppe finden sich noch vor dem angesetzten Termin ein", begrüßte Madame Maxime die Ankömmlinge.
Virginie traf eine Minute später ein. Als stellvertretende Saalsprecherin der Grünen kannte sie natürlich das Passwort. Sie sah Jeanne und Julius an und meinte:
"Ist nicht immer einfach, an dieser Königin vorbeizukommen. Von wem hat die es jetzt eigentlich?"
"Wenn ich das richtig mitbekommen habe, von einer neuen gemalten Person, die seit Oktober in Beauxbatons ist", warf Julius ein, der natürlich wußte, wer gemeint war.
Nach und nach kamen die übrigen Mitglieder der Sub-Rosa-Gruppe an. Schließlich rauschten noch Fleur Delacour und die Grandchapeaus durch den Kamin im Ankunftsraum. Julius fühlte, wie Fleurs Veela-Zauber ihn warm und wohlig durchflutete. Doch er konzentrierte sich auf die Einrichtung des Raumes und vertrieb diese Bezauberung. Die vollständige Gemeinschaft war nun anwesend. Alle klatschten, als der französische Zaubereiminister nach seiner Ehefrau den Besprechungsraum betrat. Immerhin hatten sie ihn seit der Gründungsversammlung nicht mehr in dieser Zusammensetzung gesehen. An dem Kronleuchter baumelte eine langstielige weiße Rose, das Zeichen der Geheimhaltung, unter dem sie hier alle beraten hatten, wie sie auf die Entwicklung in Hogwarts und dem restlichen Großbritannien reagieren sollten. Minister Grandchapeau schloss die Tür und aktivierte damit den permanenten Klangkerker des Zimmers. Julius wußte zwar, daß man mit einem Langziehohr der Weasley-Zwillinge diese Abhörsicherung unterlaufen konnte, wußte aber auch, daß er im Moment der einzige hier war, der dieses magische Lauschmittel hatte.
"nun, es fehlen noch genau drei Sekunden bis zu dem angesetzten Termin", sagte Madame Maxime und deutete auf einen leeren Stuhl. Julius warf einen Blick auf seine Weltzeituhr und zählte drei Sekunden ab. Dann explodierte ein Feuerball im Zimmer, aus dem ein großer Zauberer im marineblauen Umhang erschien. Er trug einen hohen schwarzen Hut. Er besaß langes silberweißes Haar und einen Bart, welcher bis zu seinem Gürtel hinabreichte. Auf der Schulter des Zauberers hockte ein schwanengroßer Vogel mit schönem, rot-goldenem Federkleid und langen Schwanzfedern. Durch halbmondförmige Brillengläser zwinkerte er den Anwesenden mit stahlblauen Augen zu. Julius erstarrte für einen Moment in Ehrfurcht. Dann beobachtete er, wie der mit dem Feuerball in diesen Raum hineingekommene Madame Maxime die Opalring geschmückte Rechte Küßte, um dann dem amtierenden Zaubereiminister Frankreichs die Hand zu schütteln. Danach wandte er sich an Professeur Faucon, die ihn großmütterlich anstrahlte. Auch ihr küßte er die rechte Hand, wie auch Madame Grandchapeau. Dann wandte er sich den versammelten Mädchen und Jungen zu.
"Schön, daß ihr alle da seid", sagte er in bestem Französisch ohne den Hauch englischen Akzents. Julius hatte ihn schon französisch sprechen hören können. Doch das war geheim.
"Ich freue mich, daß Sie meine Einladung annehmen konnten, Professeur Dumblydor", begrüßte Madame Maxime den zuletzt und auf ungewöhnliche Weise angereisten Gast. Dieser verbeugte sich und nahm auf dem freien Stuhl Platz, der rechts von der Schulleiterin stand.
"Ich begrüße Sie alle recht herzlich zur letzten Zusammenkunft unserer Gruppe", sagte Madame Maxime. "Einerseits bin ich froh, daß wir heute diese Gruppe auflösen können, da ihr Existenzgrund hinfällig geworden ist. Andererseits geht dies ja leider einher mit der letztlich zu erwartenden Offenbarung der Wiederkehr unseres gemeinsamen Widersachers, jenem Zauberer, dessen Namen niemand gerne hört oder ausspricht."
"Sie meinen Lord Voldemort, teuerste", fügte Dumbledore ganz ruhig sprechend hinzu. Madame Maxime nickte schwerfällig. Dann fuhr sie fort:
"Der Grund unserer Zusammenkunft am ersten November des vergangenen Jahres war ja, daß die in Großbritannien einhergehende Entwicklung zur Besorgnis Anlaß gab, daß unsere Partnerschule Hogwarts durch übereifriges und irregeleitetes Betreiben seinen bisherigen hohen Stellenwert verlieren würde. Sicher, wir sind in der akademischen Zauberei Konkurrenten im europäischen Vergleich. Aber das bewog uns, uns näher für die dortigen Vorkommnisse zu interessieren, ohne direkt einzugreifen. Insofern bin ich froh, daß wir nun heute feststellen dürfen, daß sich die Lage für Hogwarts wieder zum Besseren gewendet hat. Da ja durch die aufkündigung des Amtes des Großinquisitors und der damit verbundenen Erlasse jeder von Ihnen wohl wieder Briefe aus Hogwarts bekommen hat, wollte ich diese Sitzung auch zum Anlaß nehmen, daß wir uns darüber austauschen, wer von wem was erfahren hat, sofern private Details nicht berührt werden. Abschließend besteht die Möglichkeit, mit meinem respektablen Amtskollegen Professeur Dumblydor über die Entwicklung in England zu diskutieren."
"Sofern das in einer Stunde möglich ist", warf Dumbledore ein. Madame Maxime nickte und zog ein Stundenglas aus ihrem Umhang, das sie mit der leeren Hälfte nach unten auf den Tisch stellte.
Virginie las einen Brief von Prudence Whitesand vor, den sie vor einer Woche bekommen hatte, als die Ferien in Hogwarts begonnen hatten. Julius konnte sowohl einen Brief von Gloria Porter wie von Olivia Watermelon verlesen. Olivia erklärte ihm darin, wie sie zu der Inquisitionstruppe gekommen sei und was sie dort alles hatte tun müssen, ohne selbst wie die Slytherins übermäßig unfair zu sein, aber auch nicht unter Verdacht zu geraten. Belle und Barbara hatten Briefe von Mädchen bekommen, die nun auch mit der Schule fertig waren.
Danach sprachen sie mit Dumbledore über die Sache im Ministerium. Julius fragte einmal:
"Wie konnte es passieren, daß Voldemort, Malfoy und die anderen unbehelligt ins Ministerium reinkonnten?"
"Nun, sie hatten die Bediensteten durch ein Ablenkungsmanöver von der Mysteriumsabteilung abgehalten. Ein Handlanger von ihnen hatte einen Topf voll Schlängelbuschsamen zur Abteilung für magische Kräuter und Pilze mitbringen sollen, diesen aber auf der Höhe der Strafverfolgungsabteilung umgekippt. Die Samenkörner kullerten heraus und trieben bei Bodenberührung sofort aus. Es bedurfte einer Menge Zauberer, um die insgesamt fünfzig Schlängelbuschgewächse zu beseitigen. In der Zeit haben die Todesser in der Mysteriumsabteilung ihre Lauerstellung eingenommen. Sie brauchten nur auf Harry Potter zu warten."
"Moment, heißt das also, daß Voldemort Harry Potter absichtlich dort hingelockt hat?" hakte Julius sofort nach.
"Sagte ich das?" Fragte Dumbledore und zwinkerte ihm verschmitzt zu. "Natürlich ging es Voldemort darum, Harry Potter für seine Zwecke auszunutzen. Er hätte ihm etwas besorgen sollen, auf das ich hier nicht näher eingehen möchte, selbst wenn die für diese Gruppe vereinbarte Verschwiegenheit es wohl gut schützt. Nur so viel: Ohne Harry Potter hätte der sogenannte dunkle Lord schon wesentlich früher aus seiner Deckung kommen müssen."
"Was geschieht jetzt mit Dolores Umbridge?" Fragte Jeanne Dusoleil.
"Ich weiß nicht, ob sie für ihren früheren Beruf noch geeignet ist, zumal ich mit Madame Bones eine Anhörung gefordert habe, um alle ihre Handlungen während der Zeit in Hogwarts auf Rechtmäßigkeit zu prüfen", antwortete Dumbledore.
"Ist sie denn wieder gesund? Ich las ja, daß sie wohl unter Schock stand", bohrte Jeanne nach.
"Nun, sie hat sich zunächst in Madame Pomfreys Obhut von diesem Schock erholt und ist nach ihrem Weggang aus Hogwarts für eine kurze Zeit ins St.-Mungo-Hospital gegangen. Mittlerweile ist sie soweit wieder in Ordnung, um der anberaumten Anhörung beiwohnen zu können. Wir müssen aber auch klären, ob diese Anhörung öffentlich stattfinden soll oder vorerst nichtöffentlich verlaufen soll", erläuterte Dumbledore.
"Was ist mit Minister Fudge?" Fragte Belle und sah kurz zu ihrem Vater, der ihr zunickte.
"Diese Anhörung wird auch zeigen, inwieweit Minister Fudge Fehlverhalten vorzuwerfen ist", sagte Dumbledore so kühl, als sei es ihm völlig egal, was mit Fudge passiere.
"Ja, der hat doch den Unnennbaren in Ruhe groß werden lassen", protestierte Gustav van Heldern. "Wenn er auf Sie gehört hätte, Professor Dumbledore, wäre die Rückkehr von Sie-wissen-schon-wem vielleicht verhindert worden."
"Das ist eben die Frage", wandte Dumbledore ein. "Sicher waren Minister Fudge und ich uns in dieser Sache sehr uneins, was ich natürlich sehr stark bedauere. Andererseits habe ich in meiner Karriere als Lehrer und Schulleiter gelernt, daß viele Leute aus ihren Fehlern lernen und danach alles was sie tun besser bewältigen als vorher. Insofern wäre es wohl kurzsichtig, den Rücktritt von Minister Fudge erzwingen zu wollen, der ja nun, wo er erkannt hat, welche Fehler er gemacht hat, mit dem größtmöglichen Einsatz den Widerstand gegen eine neue Terrorwelle Voldemorts organisieren kann, falls ich deine Frage damit korrekt beantwortet habe, Gustav."
"Was ist mit den Leuten, die als Todesser erkannt wurden. Immerhin hat Minister Fudge mit einigen von denen gute Beziehungen gepflegt", wandte Professeur Faucon ein, die bis dahin ruhig zugehört hatte. Dumbledore wirkte bei dieser Frage leicht verdrossen. Er blickte kurz in die Runde und runzelte die Stirn. Dann sagte er:
"Nun, diesen Punkt sollten wir in die Befragung zu den Vorfällen in Hogwarts einbringen. Immerhin hörte ich ja schon früh davon, daß Leute wie Lucius Malfoy Minister Fudge zu manchen Schritten geraten haben, die dann in einige dieser Ausbildungserlasse eingeflossen sind. Als Schulleiter darf ich das nicht unbeantwortet hinnehmen, daß ein nun nachweislicher Verbrecher den Betrieb an meiner Lehranstalt indirekt zu seinen Gunsten manipuliert hat und dadurch auch etlichen sozialen Schaden angerichtet hat, wenn wir an das Verhältnis innerhalb der Schülergemeinschaft denken. Du, Julius, hast uns vorher von Olivia Watermelon vorgelesen, daß sie wegen von ihr geäußerten Anzeichen von sogenannter Zaubererunwürde genötigt werden konnte."
Julius wartete, ob Dumbledore noch mehr sagen wollte. Dann hob er die Hand und wartete, bis Madame Maxime, die die Diskussion moderierte, ihm durch Nicken das Wort erteilte.
"Bringen wir es auf den Punkt. Wenn hier gesagte Sachen unter uns bleiben kann ich damit ruhig herausrücken. Ich weiß, daß Pina und Olivia eine muggelstämmige Mutter haben, weil ich ihren Onkel kenne, der in derselben Branche wie mein Vater arbeitet und ich bei einer Feier bei besagtem Bekannten meines Vaters eine Hexe kennenlernte, die die Patin des Mannes ist, weil sie schon die Patin seiner älteren Schwester war, eben jene welche Pinas und Olivias Mutter ist. Aber da Pina oder Olivia mir das nie von sich aus erzählt haben, muß das auch sonst keiner wissen, solange sie es nicht erzählen wollen", beendete Julius seinen von starken Gefühlen getragenen Einwurf und blickte zu Jeanne hinüber, die zustimmend nickte.
"Eben das ist der Grund, weshalb sie wohl für diese sogenannte Hilfstruppe gearbeitet hat", mußte Dumbledore zugestehen. Barbara fragte den wieder in allen Ämtern und Ehren stehenden Zauberer aus England:
"Falls Minister Fudge doch zum Rücktritt veranlasst wird, würden Sie sich um seine Nachfolge bewerben?"
"Oh, diese Frage haben mir schon etliche Reporter gestellt", schmunzelte Dumbledore. "Ich hatte also genug Gelegenheiten, mir darüber Gedanken zu machen: Das Amt des Ministers erlaubt einem zwar, Gesetze zu formulieren, zu ändern oder gar aufzuheben, jedoch bindet es jemanden auch zu sehr an ein gewisses Umfeld. Ich kann Minister Fudge bei allen Differenzen mit ihm verstehen, wenn er mit den Einschränkungen, die sein Amt ihm auferlegte, sehr großzügig umsprang und sich vielleicht zu unverantwortlichen Taten hinreißen ließ. Ich persönlich halte mich nicht für allmächtig oder über allen Dingen thronend, daß ich mich selbst als Kandidaten für das Amt des Zaubereiministers bezeichnen würde. Außerdem - das haben ja alle hier anwesenden Schülerinnen und Schüler miterleben dürfen - empfinde ich derzeit eine sehr große Erfüllung darin, Hogwarts als Schulleiter voranzubringen und freue mich jedes Jahr, wenn ich erfolgreiche Abschlußschüler verabschieden darf und bin immer wieder gespannt, welche neuen Schüler im nächsten Schuljahr zu uns kommen. Hogwarts ist ein hervorragender Ort, um angehende Größen der Zaubererwelt aufwachsen und sich entfalten zu sehen, egal, ob sie sich konstruktiv oder destruktiv betätigen. Hier in diesem Raum sitzt ihr nun und wisst vielleicht schon oder vielleicht noch nicht, daß ihr in zehn Jahren einen wichtigen Beitrag in der magischen Gesellschaft leistet. Erfüllt es nicht mit Stolz, zu sagen, den oder die habe ich schon als Schüler oder Schülerin gekannt? Für mich als Schulleiter ist es im Moment erhaben, zukünftige Generationen von Hexen und Zauberern auf ihren Weg zu führen. Deshalb sehe ich im Moment keinen Anlass, Hogwarts zu verlassen." Madame Maxime nickte und lächelte Dumbledore an. Offenbar hatte er ihr aus tiefster Seele gesprochen.
"Besteht zwischen Lord Voldemort und Harry Potter eine telepathische Verbindung?" Schoss Julius eine Frage ohne Vorwarnung ab. Alle sahen ihn verdutzt an. Professeur Faucon funkelte ihn zwar für einen Sekundenbruchteil erzürnt an, entspannte sich jedoch sofort wieder und brachte sogar ein Lächeln hervor.
"Was verstehst du darunter?" Konterte Dumbledore mit einer Gegenfrage und sah Julius sehr erwartungsvoll an.
"Hmm, ich habe im verstrichenen Schuljahr erlebt, daß ein verunglückter Fluch zwei davon betroffene aneinander binden kann, je nach Art des Fluches. Könnte also der verunglückte Todesfluch, den ja irgendwie beide überlebt haben, beide irgendwie miteinander verbunden haben, sodaß Harry Potter vielleicht weiß, was Voldemort denkt und fühlt, natürlich auch umgekehrt?"
"Sehr interessante Idee", erwiderte Dumbledore amüsiert. Dann zwang er sich zu einer ernsteren Miene und sagte: "Falls das so ist, wäre es so fundamental wichtig, daß jemand das für geheim erklären möchte. Ich möchte diese Absicht nicht ad Absurdum führen, solange ich selbst nicht weiß, was ich mit einer solchen Erkenntnis anfangen könnte."
"Also doch", dachte Julius. "Potter hängt per Telepathie mit Voldemort zusammen, wenn vielleicht auch nur selten."
"Was für ein Fluch war das, von dem du gesprochen hast, Julius?" Wollte Dumbledore wissen. Doch Julius las in seinen vergnügt funkelnden Augen, daß der altehrwürdige Zauberer das schon wußte.
"Ein verunglückter Körpervertauschungsfluch, der an einer exogenen Störung der passivtransfigurationsakzeptanz scheiterte", sagte Professeur Faucon schnell und enthob Julius damit dem Dilemma, eigentlich nichts sagen zu sollen, aber es Dumbledore doch sagen zu müssen.
"Ich hoffe, ihr anderen wißt, was eure Lehrerin damit meint, weil ja sonst bestimmt wichtige Prüfungsziele nicht erreicht worden wären", grinste Dumbledore alle Schüler an. Alle schmunzelten unwillkürlich über diesen stillen Humor eines sonst so geachteten Zauberers. "Wäre ja auch schade um die aufgewendete Zeit gewesen", legte der Hogwarts-Schulleiter noch einen drauf und löste damit eine zwei Sekunden dauernde Lachsalve aus. Madame Maxime räusperte sich und stellte das Lachen damit schlagartig wieder ab.
"Was passiert nun mit Harry Potter. Ist er in einem mit Sanctuafugium-Zauber geschützten Haus?" Fragte Belle Grandchapeau.
"Nicht im eigentlichen Sinne. Ich habe seinerzeit was effektiveres, für ihn sichereres finden können, das nicht zu brechen ist", sagte Dumbledore. "Jedenfalls kann er dort von den Nachstellungen des dunklen Lords unbehelligt leben."
"Letzte Frage!" Legte Madame Maxime fest. Fleur Delacour hob die Hand. Das war das erste Mal, daß sie sich aktiv einbrachte.
"Professeur Dumböldor, Sie sagten am Ende des trimagischen Turniers, daß wir alle zusammenstehen sollen, um der neuen Bedrohung besser begegnen zu können. Wie stellen Sie sich das nun, wo Ihre Ankündigungen leider wahr wurden, im Alltag vor?"
"Nun, zunächst, Mademoiselle Delacour, habe ich das Wissen um die Rückkehr Voldemorts von Harry Potter, der sein Leben riskiert hat und nur durch einen sehr glücklichen Umstand überlebt hat. Was ich Ihnen damals sagte, sieht für mich so aus, daß wir alle unsere sonstigen belanglosen Meinungsverschiedenheiten zurückstellen oder gar begraben sollten, um uns mit vereinten Kräften gegen Voldemorts Großmachtsucht zu stemmen, was vor allem heißt, daß wir lernen müssen, einander zu vertrauen und zu helfen, damit er und seine Gefolgsleute nicht intrigieren können. Sicher ist das sehr schwierig. Aber gerade deshalb gab es ja das trimagische Turnier vor einem Jahr. Es ist bezeichnend, daß Voldemort dieses Ereignis wählte, um seine Rückkehr zu betreiben. Für mich heißt das, daß er nicht will, daß die Zauberer der Welt sich miteinander verstehen, voneinander lernen. Meiner Meinung nach hat er damit eine Achillesverse offenbart, die seinen neuerlichen Aufstieg gefährdet, wenn wir sie uns zu Nutze machen."
"Bitte was?" Fragte Fleur. Julius grübelte. Madame Maxime sagte:
"Sie meinen damit, Voldemort hätte auch schon früher zurückkehren können, sich aber das trimagische Turnier ausgesucht, weil er damit ein Zeichen gesetzt hat."
"Nicht ganz, meine liebe Madame Maxime. Er brauchte Helfer, die vorher nicht verfügbar waren und Wissen, auf dem er seinen Plan fußen lassen konnte. Jetzt wird natürlich jemand einwenden, daß er so schnell wie möglich wiederkommen wollte. Aber ich denke schon, daß er gerade den Ablauf des Turniers als glänzenden Ablauf seines Plans ansah", korrigierte Dumbledore seine Kollegin Maxime.
"Sie meinen, er sei zu packen, wenn die ganze Zaubererwelt sich zusammentäte?" Fragte Julius schließlich. Dumbledore nickte nur. Damit ging die Diskussionsrunde zu Ende. Dumbledore bedankte sich noch mal bei jeder und jedem einzeln für die Hilfe, die sie ihm und den Schülern in Hogwarts geleistet hatten. Als er bei Julius ankam, zwinkerte er verstohlen.
"Dir danke ich vor allem, daß du dich hier trotz der Schwierigkeiten durch die Umstellung und dein Familienleben so gut behauptet und Hogwarts damit alle Ehre gemacht hast." Julius wußte auch, daß Dumbledore sich für den waghalsigen Einsatz bedankte, den er mitgemacht hatte. Doch laut durfte Dumbledore das nicht sagen. Da fiel ihm noch eine Frage ein, die er stellen mußte, wenn er den Schuldirektor schon einmal auf Flüsterweite vor sich hatte:
"Wer wird nächstes Schuljahr bei Ihnen Verteidigung gegen die dunklen Künste geben? Snape?"
"Professor Snape ist im Moment in dem Fach, das er gibt, sehr ausgelastet. Außerdem muß ich noch überlegen, wen ich mit diesem nun elementar wichtigen Schulfach betraue. Wie du weißt sind ja in den letzten Jahren mehrere Unglücksfälle aufgetreten, die einen Lehrer nicht lange bei uns gehalten haben. Bis irgendwann mal, Julius!"
Kurz vor dem Niederfallen des letzten Sandkorns im Stundenglas ergriff Dumbledore die Schwanzfedern seines Phönixes, der einen langgezogenen glockenhellen Ton von sich gab und dann mit dem Hogwarts-Schulleiter in einer auflodernden Feuerwolke verschwand.
"Damit, sehr geehrter Monsieur leministre, Madame Grandchapeau, meine geschätzte Kollegin, Mesdemoiselles et Messieurs, erkläre ich die Sub-Rosa-Gemeinschaft für aufgelöst. Jedoch möchte ich darum bitten, daß die hier erörterten und beschlossenen Dinge nicht an Außenstehende weitergetragen werden dürfen. Vielen Dank für Ihre Mitarbeit!" Beendete Madame Maxime die letzte Sitzung der Sub-Rosa-Gruppe. Alle standen auf und verbeugten sich vor der Schulleiterin und dem Minister. Grandchapeau und seine Frau verließen als erste den Raum. Dann folgte Fleur Delacour. Erst danach verließen die Schüler den Besprechungsraum. Professeur Faucon hielt Julius zurück, der fürchtete, noch ein Donnerwetter mit auf den Weg zu kriegen, was ihm eingefallen sei, nach Harry Potters und Voldemorts Beziehung zu fragen. Doch sie lächelte:
"Ich habe mit meiner eigensinnigen Fachkollegin Jane Porter vereinbart, daß Sie von ihr zu Ihrem nächsten Geburtstag einen neuen Zweiwegspiegel erhalten werden, da sie einsieht, daß eine rasche Verständigungsmöglichkeit zwischen uns beiden auch ihre Vorteile hat. Auch gut, daß Sie konstruktive Fragen gestellt haben. Ich spürte, daß Dumbledore nicht verraten wollte, wie er mit der Situation um Harry Potter umgehen soll. Wenn selbst ein bald vierzehnjähriger Zauberschüler schon auf eine direkte Verbindung zwischen Voldemort und Potter kommt, muß er davon ausgehen, daß dies auch andere ergründen und je nach Gesinnung ausnutzen. Geheimnisse sind manchmal eine untragbare Last, die auf mehreren Schultern besser zu bewegen ist als auf einer einzigen. Bis bald!"
Mit Virginie kehrte er in die allgemein zugänglichen Bereiche des Palastes zurück. Claire hatte noch ihren Freizeitkurs und würde nicht merken, wo er gewesen war. Er wandschlüpfte in die Bibliothek, um möglichst unauffällig in den allgemeinen Strom der Schüler zurückzukehren und traf die Montferres an, die sich gerade mit Hannibal Platini über neue Rennbesen unterhielten. Er war froh, daß sie ihn nicht zur Kenntnis nahmen und suchte den Lesesaal auf, wo Jeanne und Martine gerade an einen Tisch getreten waren. Jeanne winkte Julius, zu ihr zu kommen. Er folgte der Einladung und unterhielt sich bis zum Abendessen mit den beiden über die letzten Wochen, in denen sie beide Pflegehelferinnen sein würden.
"Nun, irgendwie muß Millie auf die Idee gekommen sein, das könnte was für sie sein. Ich habe ihr natürlich erklärt, daß Pflegehelfer kein Spaßberuf oder was zum Angeben ist und man da nicht wieder austreten könne, bis die Schulzeit vorbei sei", sagte Martine. "Sie muß da noch drüber nachdenken."
"Wenn deine Schwester wirklich Pflegehelferin werden will, könnte meine Schwester auch auf die Idee kommen", grinste Jeanne. Julius unterdrückte es gerade soeben noch, "Wahrscheinlich nur wegen mir" zu sagen. Denn erstens mochten die beiden Mädchen schon immer konkurriert haben, und zweitens war die Stellung als Pflegehelfer zu verantwortungsvoll, um sie nur eines Jungen wegen haben zu wollen. Immerhin mußten sie dafür die ganze Schulung durchstehen, die Julius im letzten Sommer mitgemacht hatte und durften danach keine übermäßigen Sachen anstellen. Nun, für Millie wäre das vielleicht die Möglichkeit, was brauchbares zu lernen und für Claire etwas, wo sie ihr Kräuterkundewissen nützlich einbauen konnte. Aber die Prüfungen dazu waren nicht ohne, wußte Julius auch.
"Wo ich euch schon beide hier habe", sagte Jeanne, "würde ich die Gunst der Stunde nutzen und euch mitteilen, daß Bruno und ich am siebenundzwanzigsten Juli heiraten werden. Barbara muß mit Gustav noch klären, ob sie einen Tag davor oder danach heiraten will. Immerhin sind Bruno und ich uns einig. Wenn ihr beide könnt und wollt, seid ihr mit euren direkten Anverwandten eingeladen. Allerdings muß ich das noch mit Maman klären, die die Organisation übernommen hat. Falls es geht, kriegt ihr dann rechtzeitig Eulenpost. Aber du, Julius, mußt ja eh nach Millemerveilles. Ich glaube nämlich nicht, daß du es dir leisten kannst, zwei Hexen auf einen Schlag wütend zu machen", grinste Jeanne. Julius errötete. Martine lachte erheitert.
"Ja, das hast du hier gelernt. Wenn du was kannst und das auch zeigst, wird man es immer wieder von dir verlangen."
__________
In der letzten Woche vor dem Schuljahresende bereiteten sich alle darauf vor, das Abschlußfest zu feiern. Am Samstag vor der Heimreise würde es einen Ball geben, zudem alle Schüler noch einmal in Festumhängen erscheinen durften und sich die abgehenden Schüler von den verbleibenden mit einem Unterhaltungsprogramm verabschieden würden. Am Sonntag dann kam das Abendessen, an dem Julius im letzten Jahr schon teilgenommen hatte. Er prüfte, ob der Festumhang noch paßte und die Tanzschuhe nicht doch langsam drückten. Er erkannte, daß er zumindest neue Schuhe brauchte, wenn er in diesem Sommer in Millemerveilles tanzen wollte. Aber er hatte ja genug Zeit, wenn die Ferien begannen.
Die Nachricht von der Wiederkehr des dunklen Lords hatte in England eine Welle panischer Artikel nach sich gezogen. In Frankreich hingegen blieb es ruhig. Außer einer gestürmten Party von Reinblütigkeitsfanatikern, die in Voldemort sowas wie ihren Erlöser sahen, wurde nichts im Miroir Magique gebracht. Über die Sicherheitsmaßnahmen und Verhaltensempfehlungen bekamen ja alle Zaubererfamilien die Broschüren. Catherine würde wohl auch schon eine haben. Julius fragte sich immer wieder, was mit den desertierten Dementoren war. Wo trieben die sich gerade herum? Wenn er für einige Minuten Freiraum hatte, übte er den Patronus-Zauber auf dem Klo. Langsam gewann er eine gewisse Routine, dann, wenn er sich ein sehr glückliches Erlebnis vorstellte, im Moment des höchsten Glücksgefühls die Beschwörungsformel zu rufen und seinen Patronus, den Sternenritter Sir Megerythros, für zwei volle Sekunden in seiner silbrigweißen Erhabenheit auftreten zu lassen. Einmal kam ein Zweitklässler der Roten in den Toilettenraum und prallte fast auf das vorgestreckte Lichtschwert des Patronus. Er schrak zurück. Dann staunte er nur, während Megerythros wieder verschwand.
"Wau, was is'n das?" Fragte der Junge beeindruckt. Julius sagte ihm:
"Das nennt man einen Patronus. Diese Magie schützt gegen Dementoren."
"Wer sind die denn? Sind das mächtige Vampire. Ich hab's ja nur mitgekriegt, daß die Engländer die in Askaban rumlaufen ließen, bis Du-weißt-schon-wer sie dort weggerufen hat", sagte der ein Jahr jüngere Bursche, der Norbert hieß und wohl aus einem kleinen Dorf im Älsass kam, dem Dialekt nach.
"Ich denke, Professeur Faucon wird euch darüber nächstes Schuljahr 'ne Menge zu erzählen. Aber über die steht was in "Geschöpfe der Düsternis". Die sind echt heftig, und ich probiere den Gegenzauber, damit ich die nicht zu nahe an mich rankommen lassen muß. Ich habe mal welche getroffen, als der Massenmörder Sirius Black von denen gesucht wurde."
"Meine Ma sagt, der wäre auch bei dem Kampf im englischen Ministerium dabei gewesen. Aber der ist dabei gestorben. Das stand in der Hexenwelt drin", sagte der Zweitklässler aufgeregt. Julius sah ihn interessiert an. Dann ließ er sich erzählen was da gelaufen sei. Davon hatte Dumbledore nichts erzählt. Er war ja auch nicht gefragt worden.
"Joh, ich muß gleich weiter", sagte Julius und verabschiedete sich von Norbert.
Am Freitag Nachmittag, der letzten Stunde des Schuljahres bot Professeur Faucon eine Galavorstellung in fortgeschrittener Verwandlung. Sie ließ aus zehn Teetassen gleichzeitig quirlige Ratten werden, beschwor aus dem Nichts einen ganzen Kleiderschrank herauf oder präsentierte schnelle Tier-zu-Tier-Verwandlungen. Anschließend klappte sie ihre elegante Aktenmappe auf und sagte:
"Da Sie in diesem Jahr alle mehr oder weniger die Leistungen erbracht haben, die der Lehrplan der dritten Klasse vorsieht, ist es nun Zeit, Ihnen die Schuljahresabschlußzeugnisse zu überreichen. Ich biete jenen, die Ihre Noten nicht laut vorgelesen bekommen möchten, die Zeugnisse direkt an sie auszuhändigen. Wer möchte nicht, daß ihre oder seine Noten laut verlesen werden?"
Keiner zeigte auf. Offenbar wollte niemand sich nachsagen lassen, er oder sie habe zu schlechte Noten bekommen, daß er oder sie sich nicht traue, sie laut vorlesen zu lassen. So holte Professeur Faucon das oberste Blatt aus der Mappe und sah Julius kurz an. Dieser spannte sich an, als müsse er gleich einen Angriff abwehren oder einem Angriff zuvorkommen.
"Monsieur Andrews, Julius, vor einem Jahr von Großbritannien zu uns herübergewechselt, Jahresabschlußzeugnis Klasse 3 der Beauxbatons-Akademie", begann sie. Alle Schüler sahen aufmerksam zu Julius herüber, vor allem Claire Dusoleil, die wie ihr Freund selbst sehr gespannt da saß.
"Alte Runen: 13 von 15
Arithmantik: 12 von 15.
Astronomie: 15 von 15 plus 200 Bonuspunkte.
Geschichte der Zauberei: 14 von 15.
Herbologie: 15 von 15.
Magische Alchemie: 15 von 15 plus 100 Bonuspunkte.
Magizoologie: 14 von 15.
Praktische Zauberkunst: 15 von 15 plus 100 Bonuspunkte.
Protektion gegen die destruktiven Formen der Magie: 15 von 15 plus 200 Bonuspunkte (siehe Kommentar).
Transfiguration: 14 von 15 plus 100 Bonuspunkte (siehe Kommentar).
Die Noten errechnen sich aus der über das Jahr erbrachten Leistung in Praxis und Theorie zu einem Drittel und aus der am Jahresende absolvierten Prüfung zu zwei Dritteln." Jasmine hob die Hand. Professeur Faucon schüttelte den Kopf und las dann weiter. "Zusatzleistungen:
Schach: Mit erfolg teilgenommen
Malkurs: Mit Erfolg teilgenommen
Quidditch: Mit besonderer Auszeichnung teilgenommen
Alchemie-AG: Mit besonderem Erfolg teilgenommen
Musikgruppe (Holzbläser): Mit besonderem Erfolg teilgenommen
Transfiguration für Fortgeschrittene: Mit besonderem Erfolg teilgenommen
Theoretische Magie: Mit Erfolg teilgenommen
Zauberkunst: Mit Auszeichnung teilgenommen
Duellierclub: Mit Auszeichnung teilgenommen
Herbologie-AG: Mit Erfolg teilgenommen
Tanzen: mit besonderem Erfolg teilgenommen
Pflegehelferdienst: Mit besonderer Auszeichnung teilgenommen
Bemerkungen
In der Arithmantik zeigt der Schüler Julius Andrews ein bemerkenswert flexibles aber auch logisches Denkvermögen, um die in ihn gesetzten Anforderungen zu erfüllen. Die Höchste Punktzahl konnte jedoch wegen einiger Ungenauigkeiten in der Jahresendprüfung nicht vergeben werden, ist aber möglich, sofern der Schüler dieses Fach weiterhin belegt. In Astronomie brilliert er durch ein schier überdurchschnittliches Fachwissen, was wohl auch seiner Herkunft anzurechnen ist, fällt aber nicht als übereifrig oder überehrgeizig auf. In magischer Alchemie bedauert die Fachlehrerin, den Schüler nicht wirklich an seine Leistungsgrenzen herangeführt zu haben, was nicht an ihm lag, sondern an den Prüfungsvorgaben. Wegen einer erwiesenen überdurchschnittlich starken magischen Grundkraft wurde gemäß der magischen Prüfungsverordnung, Abschnitt 4 b in den Fächern praktische Zauberkunst, Protektion gegen destruktive Formen der Magie und Transfiguration eine Jahresendprüfung auf höherem Niveau abverlangt. Der Schüler hat die Prüfungen im praktischen Teil immer mit Höchstleistung absolviert und konnte deshalb auch Bonuspunkte erringen. Da er in den beiden letztgenannten Fächern gesondert geprüft wurde, hier noch die Bemerkungen der Prüferinnen, Professeur Champverd, Oleande und Tourrecandide, Austère:
"Da die praktische Prüfung in der Kunst der Transfiguration gezeigt hat, daß der Schüler Julius Andrews schon weiter fortgeschritten ist als der Durchschnitt seiner Klasse, ja sogar das Niveau der nächsthöheren Klasse übertrifft, empfehle ich, ihn im nächsten Jahr zu den praktischen ZAG-Prüfungen hinzuzuziehen.
Professeur Oleande Champverd""
In der Klasse setzte leises Gemurmel ein. Professeur Faucon räusperte sich sehr energisch und setzte dann die Verlesung fort.
""Ich muß gestehen, daß ich außerordentlich positiv überrascht wurde, als ich die gemäß Prüfungsabschnitt 4 b angeordnete Sonderprüfung von Monsieur Julius Andrews abnahm. Er ist für sein jugendliches Alter sehr diszipliniert und verfügt bereits mit dreizehn Jahren über Wissen und Können, das einem Schüler auf der Höhe des ZAG-Standards entspricht. Daher befürworte ich, ja rege ich an, den Schüler im nächsten Jahr bereits auf ZAG-Niveau zu prüfen, zumindest in Protektion wider die destruktiven Formen der Magie.
Professeur Austère Tourrecandide"
Monsieur Andrews hat sich trotz der umstellungsbedingten Probleme sehr rasch in das allgemeine Umfeld von Beauxbatons integriert, ist sozial umgänglich, wirkt gelegentlich für sein Alter übermäßig weit entwickelt. Er erwies sich immer als hilfsbereit und diszipliniert, wenngleich darauf geachtet werden muß, ihn nicht unter seinem Wert arbeiten zu lassen. Er hat das Klassenziel mehr als erreicht und darf versetzt werden, wenngleich noch zu erörtern ist, in welchem Umfang er die nächste Klasse absolviert und wo eventuelle Qualitäten über dem Standard gezielt erkannt und gefördert werden sollen.
Unterschrift: Professeur Blanche Faucon, Vorsteherin des Saales Grün"
Jasmine hob wieder die Hand. Diesmal nickte Professeur Faucon.
"Wieso bekam Julius in Verwandlung 14 Punkte, aber 100 Bonuspunkte?"
"Im Theorieteil der Prüfung hat Monsieur Andrews eine Kleinigkeit übersehen, die in der Praxis nicht ins Gewicht gefallen wäre, jedoch dem Lehrplan nach zum Wissensschatz der Dritten Klasse gehören muß. Die Bonuspunkte kommen eben durch die überragende Leistung in der praktischen Prüfung. Da ZAG- und UTZ-Prüfer im Zeitraum der Prüfungen Bonuspunkte und Strafpunkte zuteilen können, bekam Monsieur Andrews von Professeur Champverd die erwähnten Bonuspunkte."
Jasmine nickte.
Professeur Faucon gratulierte Julius noch einmal und überreichte ihm sein Zeugnis. "Bitte bringen Sie es nach Ferienende von Ihrer Mutter unterschrieben wieder mit!" Sagte sie ihm noch.
Julius verfolgte die weiteren Verlesungen, bis Claires Zeugnis vorgelesen wurde.
"Astronomie: 11 von 15
Geschichte der Zauberei: 11 von 15
Magische Herbologie: 15 von 15
Magische Alchemie: 11 von 15
Magizoologie: 14 von 15
Praktische Zauberkunst: 15 von 15 plus 100 Bonuspunkte
Protektion gegen die destruktiven Formen der Magie: 13 von 15
Studium der nichtmagischen Welt: 15 von 15 plus 100 Bonuspunkte
Transfiguration: 15 von 15 plus 200 Bonuspunkte
Zusatzleistungen:
Malkurs: Mit Auszeichnung Teilgenommen
Magische Handarbeit: Mit Auszeichnung teilgenommen
Englisch für Mittelstufler: Mit besonderer Auszeichnung teilgenommen
Herbologie-AG: Mit Erfolg teilgenommen
Tanzen: Mit Besonderem Erfolg teilgenommen
Musikgruppe (Holzbläser): Mit Auszeichnung teilgenommen
Zauberkunst-AG: Mit Auszeichnung teilgenommen
Bemerkungen: Mademoiselle Dusoleil, Claire konnte sehr gut an die Leistungen des letzten Schuljahres anknüpfen und sich in den Pflichtfächern, wie auch den von ihr besuchten Freizeitkursen und Clubs sehr gut entfalten. Sie hat das Ziel der dritten Klasse hervorragend erreicht und darf daher versetzt werden. Professeur Trifolio räumte lediglich ein, auf Grund ihrer familiären Herkunft mehr von ihr erwartet zu haben, wenngleich sie in seinem Fach die Höchstnote erreichte. Ihre künstlerischen Begabungen wuchsen auch in diesem Jahr merklich und verleihen ihr neben den praktischen und wissensbedingten Fertigkeiten ein umfangreiches Betätigungsvermögen, das wohl noch lange nicht vollständig ausgeschöpft ist."
Julius grinste. Claire strahlte. Céline nickte zustimmend. Die Klassenkameraden, die ihre Zeugnisse schon hatten, schienen sich nicht sonderlich für die anderen Noten zu interessieren. Die, welche ihre Zeugnisse noch kriegen sollten, waren gespannt, was bei ihnen herumkam. Irene Pontier, wirkte eher bangend, Laurentine eher angespannt, und Gaston Perignon schien mit sich oder dem Schuljahr abgeschlossen zu haben. Als Laurentines Name verlesen wurde, legte sich gespannte Erwartung auf alle Gesichter.
"Mademoiselle Hellersdorf, Laurentine", begann Professeur Faucon, "hat folgende Jahresendnoten erreicht:
Arithmantik: 8 von 15
Astronomie: 15 von 15
Geschichte der Zauberei: 11 von 15
Magische Herbologie: 11 von 15
Magische Alchemie: 7 VON 15 abzüglich 50 Strafpunkte (Siehe Bemerkungen)
Praktische Zauberkunst: 12 von 15 plus 50 Bonuspunkte (Siehe Bemerkungen)
Protektion gegen die Destruktiven Formen der Magie: 13 von 15
Studium der nichtmagischen Welt: 15 von 15 plus 50 Bonuspunkte (Siehe Bemerkungen)
Transfiguration: 13 von 15 plus 50 Bonuspunkte (siehe Bemerkungen)
Zusatzleistungen
Deutsch für Fortgeschrittene: Mit Auszeichnung teilgenommen
Schach: Mit Erfolg Teilgenommen
Arbeitsgruppe Drama und Schauspiel: Teilgenommen
Musikgruppe (Streicher): Mit besonderem Erfolg teilgenommen
Bemerkungen
Mademoiselle Laurentine Hellersdorf erwies sich über das ganze Schuljahr als nur dann zu hohen Leistungen bereit, wenn sie durch erzieherische Maßnahmen abgerungen wurden und hielt sich insbesondere in den Fächern mit direktem Einsatz angeborener Zauberkräfte zu sehr zurück, sodaß die in den Prüfungen erbrachten Leistungen als die Erwartungen übertreffend honoriert werden durften. Jedoch wird zukünftig von einer derartigen Entlohnung abgesehen, da nun bekannt ist, welche Fähigkeiten die Schülerin besitzt und welche Anforderungen sie sicher erfüllen kann. Im Fach Magische Alchemie unterschritt die Schülerin den von ihrer Klassenstufe erwarteten Wissens- und Arbeitsstandard, sodaß trotz einer gerade so im tolerierbaren Maß bestandenen Prüfung Strafpunkte angerechnet werden mußten. Die Fachlehrerin teilt mit, daß im nächsten Jahr keinerlei Rücksicht auf die nichtmagische Abstammung der Schülerin mehr genommen wird und jede Nachlässigkeit oder bewußte Leistungsverweigerung entschieden geahndet wird. Im Fach Studium der nichtmagischen Welt brillierte sie auf grund ihrer Herkunft als Jahrgangsbeste, erwarb jedoch nur 50 Bonuspunkte, eben weil vieles der im Unterricht vermittelten Inhalte als bekannt angesehen werden mußten. Laut Beschluß der Versetzungskonferenz vom 8. Juli 1996 hat die Schülerin das Klassenziel nur deshalb erreicht, weil sie sich in zwei Fächern ohne magische Beteiligung mit Höchstleistungen hervortat und damit ihren Notendurchschnitt auf tolerierbares Maß anhob. Ihre Versetzung ist daher genehmigt. Die Konferenz beschloss jedoch, in dieses Zeugnis einzutragen, daß zu prüfen sei, ob die Sommerferien der Schülerin nicht zum Teil im Umfeld zauberischer Familien stattfinden sollten. Dies wird zum Zeitpunkt der Niederschrift noch mit dem Elternrat und der Abteilung für magische Ausbildung und Studien erörtert."
Laurentines Gesicht wurde lang und länger, während Professeur Faucons Miene regelrecht versteinerte, als sie das las. Außer Claire, Céline und Julius glotzten alle leicht schadenfroh zu der gerade amtlich gemaßregelten Schülerin hinüber. Professeur Faucon sah das und warf jeder und jedem einen sehr warnenden Blick zu.
"Es besteht für Sie alle, die Sie jetzt so gehässig dreinschauen kein Anlaß dazu. Einige von Ihnen, die nicht eine muggelstämmige Herkunft als Ausrede anführen können, sollten sich besser nicht zu sehr an der Maßregelung von Mitschülern ergötzen. Sie könnten sich noch sehr heftig betroffen fühlen", sagte die Lehrerin und verlas weitere Zeugnisse. Dabei stellte sich wirklich heraus, daß Laurentine mit ihren Noten nicht das Schlußlicht war. Gaston hatte mit 6 Punkten in vier von neun Fächern und der besten Note in Wahrsagen mit zwölf Punkten einen Wert von 7,2 und war damit knapp über die Versetzungshürde gekommen, hatte sie laut Professeur Faucon sogar heftig geschrammt.
"Damit steht fest, daß Monsieur Andrews und Mademoiselle Dusoleil in dieser Klasse die besten Durchschnittsnoten errungen haben, die natürlich im nächsten Jahr noch ausbaufähig sind", beendete Professeur Faucon die Zeugnisvergabe. Laurentine wartete darauf, daß die Glocke läutete. Sie sprang förmlich auf und war drauf und dran, nach der ordentlichen Verabschiedung hinauszueilen. Doch Professeur Faucon hielt sie zurück. Sie erbleichte. Claire und Céline wollten zwar auch bleiben, doch die Lehrerin wies ihnen unmißverständlich die Tür.
"Ich denke, die werden Bébé nicht zu ihren Eltern lassen", vermutete Claire auf dem Weg zum grünen Saal.
"Meinst du?" Entgegnete Julius. "Könnte schon sein, wenn der Elternbeirat den Hellersdorfs klargemacht hat, daß ihre Tochter zu spuren hat, könnten die irgendwas gesagt oder getan haben, was Bébé nachher zu spüren kriegt. Ein Schuß vor den Bug hat meinem Vater ja nicht gereicht."
"Ein was?" Fragte Céline amüsiert. Claire grinste überlegen.
"Das ist ein Ausdruck aus der Seefahrt, Céline. Die Kriegsschiffe haben früher mit ihren Kanonen, also langen Metallrohren mit einem Sprengpulver und schweren Bleikugeln auf ihre Gegner geschossen. Wenn sie sie warnen wollten, haben sie ihnen damit erst eine Kugel vor die vordere Spitze geschossen. Nachzulesen in "Gängige Ausdrücke im Sprachgebrauch der Nichtmagischen und deren Ursprung von Clarissa Babel", erklärte Julius' Freundin. Der Sohn einer Computerprogrammiererin nickte bestätigend.
"Ach und ihr meint, Bébés Eltern hätten mit diesem einen Schuß vor den Bug nicht genug gehabt?"
"Habe ich nicht gesagt, Céline", widersprach Julius. "Ich sagte nur, daß mein Vater damit nicht zu beeindrucken war."
"Nachdem, wie Bébés Mutter drauf war, als ihr bei mir wart könnte ich das aber auch bei der so finden, Julius", erwiderte Céline.
Unterwegs zum eigenen Saal trafen sie Millie und Caro. Offenbar hatten die auch Zeugnisse bekommen, obwohl sie keine Reguläre Stunde bei Fixus gehabt haben konnten.
"Hallo, ihr! Ehrenrunde oder Aufstieg?" Rief Caro Renard. Claire lächelte überlegen.
"Wir haben es alle gepackt, Caro. Hat's bei euch wen erwischt?"
"Die Ruiter-Brüder haben mit genau sechs Punkten Durchschnitt die Versetzungshürde "Gerade so überstiegen", sagte uns Fixie. Bernie war natürlich über den Wolken und unerreicht wie immer."
"Wie bisher", erwiderte Millie. "Immerhin ist Apollo ihr mit seinen vierzehn und Leonnie mit dreizehn ein Halb ziemlich gut auf den Fersen geblieben."
"Ach, und wie bist du aus diesem Jahr herausgekommen?" Fragte Claire Millie mit verhaltener Neugier.
"Dreizehn und ein Zehntel", grinste Millie. Offenbar war das für sie mehr als erwartet.
"Zwei Zehntel weniger als bei mir", flötete Claire. Julius lief rot an. Millie fragte, was er denn so verdorbenes gedacht habe. Er antwortete:
"Ich dachte, dieses Geplänkel mit den Durchschnittsnoten sei Muggelkram, weil die ja sonst nichts können. In Hogwarts habe ich das zumindest nicht so direkt erlebt."
"Ach, haben wir was böses gemacht?" Fragte Millie amüsiert grinsend. Claire meinte nur:
"Das wird in Hogwarts auch gelaufen sein. Nur hast du's vielleicht nicht immer mitgekriegt, weil ihr eure Zeugnisse am Frühstückstisch hingelegt kriegt und nicht jeder mitkriegen muß, was der andere hat."
"Die zwanzig Jahrgangsbesten werden aber immer an den Schwarzen Brettern in den Gemeinschaftsräumen angeschlagen", berichtigte er Claires Einwand. Mildrid und Caro lachten darüber.
"Na klar, also kein Geplänkel mit den Noten. Was hast du denn gekriegt?"
"Zu viel. Jetzt läßt mich Professeur Faucon nicht mehr vom Haken", warf Julius ein. Claire grinste wieder und meinte:
"Das wirst du mitkriegen, wenn heute abend die Liste mit den je zehn Besten eines Jahrgangs ausgehängt wird. Vielleicht ist er ja dabei."
"Ich freu mich ddrauf", flötete Millie, blies einen Kuß in Julius Richtung und ging mit Caro davon.
"Du brauchst dich für die Noten nicht zu schämen, nur weil die Champverd und die Tourrecandide dich besonders geprüft haben, Juju", flüsterte Claire. "Könnte es immer noch sein, daß du nicht zu gut aussehen willst? Die Chance hast du hier versiebt."
"Du hast ja gehört, was unsere Lehrerin gesagt hat. Sie wollen, daß ich das nur noch mache. Als wenn es nichts anderes gäbe als Schule", sagte Julius. Claire erwiderte darauf nur:
"Für die ja. Aber das heißt ja nicht, daß du nur lernen und ackern sollst."
Sie gingen in den grünen Saal und legten ihre Schultaschen fort.
"Wie kriegen eigentlich die Roten ihre Zeugnisse?" Fragte Julius.
"Grundsätzlich gilt, in der letzten offiziellen Stunde beim Saalvorsteher. Da die Roten jedoch meistens mit anderen zusammen haben gilt, Die Sechstklässler zuerst, also Montags nach dem Mittagessen. Die Viertklässler, dann am Dienstag, die Drittklässler am Mittwoch, die Zweitklässler am Donnerstag und die Erstklässler am Freitag. Sie nimmt sich dann immer zwanzig Minuten vom jeweiligen Unterricht eines Kollegen, der möglicherweise eine der Gemeinschaftsklassen hat, wie Trifolio oder Paximus. Die meisten anderen haben ja saaleigene Unterrichtsstunden."
"Was ist mit den Siebt- und Fünftklässlern?" Wollte Julius wissen.
"Die kriegen ihre Noten doch vom Prüfungsausschuß zugeeult", wußte Céline. Wenn welche aus der siebten Klasse es nicht geschafft haben, kriegen die mit den Prüfungsergebnissen die Möglichkeit, das Jahr zu wiederholen oder die Schule für beendet zu sehen. Einige lassen den UTZ sausen und fangen irgendwo an, wo es nicht auf Abschlußnoten ankommt, als Zauberhandwerker oder Künstler oder auch Quidditchspieler."
"Na klar, keiner über siebzehn muß weitermachen", erkannte Julius. Nur war es wie in der Muggelwelt. In vielen Berufen galt ein tolles Abschlußzeugnis mehr als Talent oder Erfahrung. Er würde es erleben, wie es im fünften bis siebten Jahr für ihn lief.
Im Zauberkunst-Freizeitkurs tobten sich die Schüler mit ihren Bewegungszaubern aus. Die Leute aus den höheren Klassen machten Fachsen mit Elementarzaubern, wie Tanzenden grünen, blauen oder goldenen Flammen, wippenden Wassersäulen oder Minitornados, die wie unsichtbare Staubsauger über den Boden fauchten und blanke Schneisen zogen. Julius spielte noch eine Partie Riesenwassertropfenwerfen mit den Montferres und den Rossignols, die offenbar nicht ihm die Schuld gaben, daß sie nächstes Jahr im Quidditch nicht mitmachen durften. Jeanne führte Julius einen genialen Aufräumzauber vor, mit dem bei guter Übung ein ganzes Haus ordentlich hergerichtet werden konnte. Er mußte jedoch vier Versuche ansetzen, bis es ihm gelang, wild über einen Schreibtisch verstreute Pergamente ohne Anfassen zu einem ordentlichen Stapel zusammenzukriegen. Er brachte ein Weinglas dazu, "Sur le Pont D'avignon" zu singen, was alle amüsierte.
"Da kann man sehen, daß Sie auch Musiker sind, Monsieur Andrews", lobte Professeur Bellart, die Kursleiterin und gab für die Darbietung 50 Bonuspunkte.
"Den darfst du mir aber noch mal zeigen, Julius", sagte Claire, die bis dahin mit Genehmigung von Professeur Bellart hinter einem hufeisenförmigen Wandschirm was in Eigenregie angestellt hatte. Jeanne und Sabine lieferten sich einen Wettbewerb, wer den besten Elementarzauber hinbekam. Jeanne gewann mit einem Wasserglas, das nicht leer wurde. Julius stellte eine durch Rauminhaltsvergrößerungszauber auf das hundertfache Fassungsvermögen gebrachte Gießkanne hin und goss aus dem Glas Wasser hinein. Zwischen Glas und Gießkanne knisterte es, und Jeanne nahm es ihm fort und schüttete aus etwas mehr Entfernung ein.
"An und für sich ist das geschummelt, Mademoiselle Dusoleil, Jeanne", meinte die Kursleiterin. "Sie haben ein Rauminhaltsvergrößertes Glas mit einem inanimatus-Beschwörungszauber gekoppelt und festgelegt, daß es nie leer wird. Das gehört an und für sich auch zur Verwandlung."
"Dann wollen wir doch mal sehen, was passiert, wenn wir das Glas voller machen als es ursprünglich war", beschloss Julius und nahm die Gießkanne. Er ging auf Abstand und füllte das Wasser darauf in das Glas, das überlief, dann wieder leerer wurde, dann wieder überlief, bis das Wasser mit lautem Knall verschwand und das Glas zusammenschrumpfte, bis es kleiner als ein Stecknadelkopf war.
"Das passiert", grinste Jeanne. "Wenn du eine festgelegte Menge Materie willkürlich überfüllst, kehrt sich der ganze Zauber so drastisch um, daß die bestimmte Materie völlig verschwindet und eine Raumbeeinflussung sich verkehrt, also eine Rauminhaltsvergrößerung zu einer Verkleinerung der äußeren Abmessungen umgewandelt wird."
"Sie stören den Fluß der Elementarmagie, wenn sie dagegen arbeiten. Da Ihre Gießkanne selbst bezaubert war, kam es zu dieser Verkehrung der übrigen Zauber", sagte die Kursleiterin. "Sie haben ja sicher bemerkt, daß zwischen dem Glas und der Kanne eine gewisse Spannung bestand. Hätte Mademoiselle Jeanne Dusoleil Ihnen das Glas nicht fortgenommen, hätten Sie sich an der explosiven Entladung der angespannten Magie Verletzungen zuziehen können, wenn nicht noch etwas heftigeres passiert wäre, wie eine Störung im Raum-Zeit-Gefüge."
"Oh, das war aber dann wohl gerade noch rechtzeitig", sagte Julius, der den Gedanken an ein höllisches Inferno hatte, welches einen ganzen Raum zerstörte, oder an ein schwarzes Loch, in das alle Materie eingesaugt wurde. Immerhin hatte er beides schon mitbekommen.
In der letzten Viertelstunde des Freizeitkurses erzeugten sie in ihrem Kursraum eine vollständige Schwerelosigkeit. Julius hatte mal erwähnt, daß die Raumfahrer der Muggelwelt im schwerelosen Zustand neue Sachen herstellen konnten. Anfangs war es schwierig, sich ohne festen Boden zu bewegen. Sabine schlug sogar ungewollte Salti, weil sie sich einmal zu heftig über einen Tisch hinwegziehen mußte. Professeur Bellart, die ihren Sessel so bezaubert hatte, daß er sich von selbst bewegte, half den Leuten, die mit diesem Zustand nicht sonderlich gut klar kamen. Julius half Jeanne und Claire, deren lange Haarschöpfe wie ein breiter und hoher Wald von ihren Köpfen abstanden, sich an Wänden und Tischen entlangzutasten. Immerhin kannte er das aus den Berichten von Astronauten, die ihren All-Tag im Fernsehen vorgeführt hatten.
"Achtung, die Schwebestunde ist vorbei. Ich hebe den Nullogravitus-Zauber wieder auf. Ich werde sehen, es langsam zu machen. Aber es kann auch ein abruptes Wiedereinsätzen der Erdanziehung geben", warnte Professeur Bellart. Julius hielt sich an einem Tisch fest und sah sich um. Von Sekunde zu Sekunde wuchs die Eigenschwere wieder, bis sie mit einem Ruck gewohnt heftig wirkte.
"So, Mesdemoiselles, Messieurs. Dies war für dieses Schuljahr die letzte Stunde des Freizeitkurses Zauberkunst. Ich bedanke mich bei jeder und jedem hier, daß Sie alle in diesem Kurs über das Jahr hinweg sehr eifrig, kreativ und weitgehend Diszipliniert mitgearbeitet haben. Für diejenigen, die damit den letzten Freizeitkurs ihrer gesamten Schulzeit beendet haben: Ich bedanke mich bei Ihnen, daß Sie durch Ihre Mitarbeit und Lernbereitschaft stets wertvolle Beiträge für meinen Kurs wie auch Anregungen für meine Unterrichtsgestaltung gegeben haben und wünsche Ihnen allen eine erfolgreiche und grlückliche Fortsetzung Ihres Lebensweges. Mehr zu sagen steht mir nicht zu. Noch einmal vielen Dank Ihnen allen hier!"
Jeanne sah leicht betrübt aus, als sie mit Claire und Julius den Kursraum verließ. Was hatte sie bloß?
"Was ist mit deiner Schwester los?" Fragte Julius Claire, als er mit ihr für eine Minute alleine war.
"Sie weiß, daß jetzt die Schule für sie zu Ende ist, Juju. Viele Freunde von ihr werden über das ganze Land verstreut sein, wie Martine oder Eloise oder Barbara. Die einzigen, die noch irgendwie bei ihr sind, werden Seraphine und Janine sein. Aber bei Seraphine weiß ich nicht, ob die nicht auch wen findet, der nicht in Millemerveilles bleiben will. Nicht mehr oder weniger ist das. Aber daß ausgerechnet du das fragst wundert mich jetzt stark. Du hast doch in den ersten Tagen hier auch Trübsal geblasen, weil du ganz allein zu sein meintest, ohne deine Freunde aus Hogwarts, und jetzt hast du dich "im Umfeld von Beauxbatons integriert". Allerdings weiß ich nicht, wieso Jeanne so trübselig ist. Immerhin muß sie nicht in die weite Welt hinaus wie Barbara."
"Wer sagt, daß ich das muß?" Fragte Barbara. Weder Julius noch Claire hatten sie herankommen sehen können, weil sie sich gegenüberstanden und so konzentriert ansahen, daß sie für ihre Umgebung keinen Blick hatten. Claire errötete schneller als eine Verkehrsampel.
"Wir wollten dir nichts, Barbara", sagte Julius. "Es ging nur um Jeanne, weil die vorher so wehmütig ausgesehen hat."
"Das ist irgendwie dieses merkwürdige Gefühl, daß du sieben Jahre geackert und gelernt hast und dann von einem Tag auf den anderen alleine klarkommen sollst. Das sind die Nachwehen der Prüfungen. Du hast dich abgestrampelt, deinen Kopf zerbrochen und dich gestreckt und gewunden, um alle Prüfungen zu schaffen und stehst jetzt vor dem Tor, auf dem "Aus und raus" steht. Aber ich muß nicht in die weite Welt, sondern nur nach Brüssel, und muß das nicht, sondern habe es mir ausgesucht. Abgesehen davon kann ich innerhalb von einer Minute wieder in Millemerveilles sein. Ich muß nur den Reisesphärenzauber aufrufen lernen, der mich nach Paris bringt und von da nach Millemerveilles. - Das geht natürlich auch andersrum."
"Ich habe ja Julius auch nur sagen wollen, daß es einen komisch stimmt, wenn jetzt alles vorbei ist. Dabei kennt er das selbst. Wo er herkam, wußte er doch nicht, was hier los ist und ob er hier klarkommt."
"Mädchen, ich war dabei, ich habe ja selbst mitgeholfen, daß dein Freund nicht in ein solches Loch fällt, obwohl das an und für sich Edmonds Sache gewesen wäre. Na ja, jeder hat so seine Momente, in denen ihn die merkwürdigsten Gefühle heimsuchen. Das macht den Menschen zum Menschen. Aber ich glaube, wir können zum Essen", sagte Barbara und rief nach Jeanne und Eloise.
Julius fühlte, daß heute eine andere Atmosphäre im Speisesaal vorherrschte als sonst. Es lag nicht an den Einrichtungen oder der Beleuchtung, die jetzt, wo Sommer war, ohnehin nur Zierde war, sondern wie die Leute hier miteinander sprachen, sich bewegten, Gesichter machten oder Blicke und Gesten austauschten. Der einzige sichtbare Unterschied war die riesige Leinwand, die gut in einen Kinosaal gepaßt hätte. Sie war strahlendweiß und schwebte frei in der Luft dort wo die Tür zum zylinderförmigen Warteraum für neue Schüler lag. in handgroßen, signalgrünen Buchstaben war die Liste der jeweils zehn Jahrgangsbesten aufgeführt. Julius sah nun, daß alle diese Liste ansahen, lasen und wohl mit ihren Mitschülern darüber diskutierten.
"Das sind nur die, die wegen ihrer Noten da hingeschrieben wurden. Die Besten Schüler an sich werden am allerletzten Tag bekanntgegeben", sagte Robert, der sah, wo Julius hinblickte. Dieser suchte die Jahrgangsstufe drei und las die Namen der zehn Jahrgangsbesten:
JAHRGANGSSTUFE III
- Lavalette, Bernadette: Durchschnittsnote 15 von 15
- Messier, Edith: Durchschnittsnote 14,7 von 15
- Holzmann, Xavier: Durchschnittsnote 14,6 von 15
- Lagrange, Belisama: Durchschnittsnote 14,5 von 15
- Dumas, Sandrine: Durchschnittsnote 14,3 von 15
- Andrews, Julius: Durchschnittsnote 14,2 von 15
- Arbrenoir, Apollo: Durchschnittsnote 14,0 von 15
- Colbert, Charlotte: Durchschnittsnote 13,7 von 15
- Duisenberg, Patrice: Durchschnittsnote 13,6 von 15
- Poissonier, Leonnie: Durchschnittsnote 13,5 von 15
"Immerhin haben wir einen von uns auf dieser Liste", lachte Robert Deloire, der beim Hinsetzen die Leinwand betrachtete.
"Wieso, die Grünen sind doch gut dabei", sagte Julius und deutete mit dem Zeigefinger auf die Einträge für die Klassen vier, sechs und sieben, wenngleich bei letzterer in der Titelzeile "Ohne UTZ-Ergebnis" stand, was bedeutete, daß dieser Wert noch verändert werden mochte. Immerhin waren Jeanne, Barbara, Edmond und Yves im oberen Bereich der zehn Besten, Virginie führte bei den Sechstklässlern die obersten Zehn an und war damit Jahrgangsstufenbeste überhaupt mit 14,9 von 15 erreichbaren Punkten.
"Ich meinte natürlich unsere Klasse", legte sich Robert fest.
"Ich bin zumindest nicht so weit oben wie Bernadette oder Edith", sagte Julius. "Unteres Feld ist auch nicht verkehrt."
"Platz sechs von ungefähr achtzig Leuten ist doch nicht unteres Feld!" Wunderte sich Hercules, der ebenfalls die Liste las.
"Er ist eben erst ein Jahr hier, Hercules. Der lernt das noch, nicht immer nach unten zu kucken, wenn er ziemlich weit oben ist", grinste Robert.
Madame Maxime trat gefolgt von den Lehrern ein und begrüßte die Schüler, die im Gleichklang "Guten Abend, Madame Maxime" antworteten. Dann setzten sich alle hin und warteten, bis das Essen vor ihnen auf dem Tisch stand. Dann wünschte die Direktrice einen guten Appetit und sprach wie alle anderen dem mehrgängigen Menü zu.
"Ist bei euch noch Duelltraining?" Fragte Robert Julius. Dieser nickte. Das würde der letzte Freizeitkurs dieses Schuljahres sein. Professeur Faucon hatte nach der Meldung über Voldemorts offizielle Rückkehr gnadenlos ihre Duellierclubteilnehmer drangsaliert, besonders Virginie und Julius, die so dumm waren, so gut aufzufallen. Gut, bei Julius war das ja auch ein Problem, daß Professeur Faucon wußte, was er konnte. Einmal hatten die Montferres beim Duellieren einen merkwürdigen Effekt ausgelöst. Sie waren beide unter einem grellen, blauen Lichtbogen zu einer einzigen Person von doppelter Größe zusammengefügt worden.
"Oh, da wollten wohl zwei zur selben Zeit denselben Fluch wirken und kontern", hatte Professeur Faucon kühl gesagt, während sich die aus zwei zu einer verschmolzene Montferre verdutzt und dann irgendwie geistesabwesend umsah. Professeur Faucon Hatte dann nach der Heilerin gerufen, die das zum Riesenmädchen zusammengefluchte Zwillingspaar mitnahm. Zwei Stunden hatte es wohl gedauert, bis die beiden wieder als getrennte und normalgroße Geschwister gesichtet wurden.
"Hoffentlich passiert heute abend nicht wieder so'n Ding wie am letzten Duelliertag", sagte Julius, als er sich an dieses Ereignis erinnerte.
"Ach, die Kiste mit den Montis. So'n Zwillingsverknäuelzauber kommt eben nur bei Zwillingen vor, die wirklich zur Selben Zeit dieselben Angriffe und Abwehrzauber bringen", sagte Hercules Moulin. Julius erzählte noch einmal das Ding mit der Mikroschrumpfung, die er mit Virginie erlebt hatte. Damals im Ferienkurs hatten er und sie sich zwei Flüche entgegengeschleudert, die sie aus dem ursprünglichen Raum herausgeschrumpft und in eine blaue Energiekuppel eingeschlossen hatten, unter der sie von der mitgeschrumpften Atemluft leben konnten, während die Luft um sie herum für sie dicker als Sirup geworden war.
"Deine Freundin hat ja jetzt wohl voll abgehoben, ne, Hercules?" Fragte Robert, der immer wieder zum roten Tisch hinübersah. Julius sah noch mal die Liste an und stellte fest, daß die Montferre-Schwestern auf den Plätzen drei und Vier mit einem Zehntelpunkt Unterschied aufgeführt waren.
"Nur der Neid, weil Céline "nur" elf Punkte geschafft hat, Robert? Bernie hat eben noch was vor im Leben."
"Klären wir noch, woran man das merkt, wer was vom Leben hat und wer nicht", sagte Robert. Julius war froh darüber, daß er in diesen Zank nicht hineingezogen wurde.
Das Duelltraining war diesmal was anderes. Es ging nicht mehr darum, wer gegen wen bestand. Professeur Faucon sammelte alle Schüler in einer Ecke. Sie sah jeden genau an, holte dann eine lange Liste heraus und prüfte wohl etwas nach. Dann nickte sie und verkündete:
"Heute abend werden wir aus gegebenem Anlaß kein übliches Duellieren gegeneinander veranstalten, sondern jeder von Ihnen wird in Einzelübungen gegen mich und meine Kollegin Tourrecandide antreten. Jeder und jede zieht eine Karte. Ein Zufallsrad wird entscheiden, wer gegen mich oder meine Kollegin antreten darf.
Schwester Florence trat in den Duellierraum ein. Ihr folgte ein schwebender Tisch mit Tränken und Elixieren. Julius spürte sofort, daß es heute besonders hart werden würde.
Julius hatte die Siebzehn gezogen und kam aber erst als zwanzigster an die Reihe. Professeur Tourrecandide, die einen blütenweißen Umhang mit zurückgeschlagener Kapuze trug, war seine Gegnerin. Er hatte gesehen, wie sie vorher in weniger als einer halben Minute ihre Gegner niedergeworfen hatte. Sabine war förmlich zu einem Hefeteig mit feuerroter Haube verunstaltet worden, bis Madame Rossignol sie durch das begießen mit einem Trank in ihre Ausgangsform zurückverwandelte. Virginies Geist war durch den Decorporis-Fluch aus dem Körper getrieben worden. Ein Gegenfluch konnte das aber wieder reparieren. Belle Grandchapeau war zu einem Monstrum mit langen Insektenfühlern geworden, und Barbara hatte sich in ein fischartiges Ungetüm verwandelt, das mit jedem Atemzug schwächlicher wurde. Madame Rossignol konnte mit einem Alraunentrank dagegenhalten und Barbara zurückverwandeln.
"Die teratogenen Flüche sind die tückischsten Körperveränderungsflüche. Wer ihnen widersteht, hat die besten Überlebenschancen", sagte Professeur Tourrecandide, die für ihr hohes Alter sehr gelenkig und reaktionsschnell war, aber auch heftige Schildzauber konnte. Tja, und jetzt war Julius dran. Er trat vor und verbeugte sich. Dann riss er den Zauberstab hoch und wirkte den unsichtbaren Schild. Tourrecandide rief "Plumacresco!" Julius dachte "Custodicorpus. Krachend zerbarst der unsichtbare Schild. Goldene Funken rasten um Julius herum und zerstoben an der magischen Abgrenzung, die die fehlgeleiteten Flüche auffing. Julius griff mit "Malleus Lunae" an, der einen großflächigen Schlag mit silbernem Zauberlicht bewirkte. Doch Professeur Tourrecandide hielt mit Novalunux dagegen und ließ den Lichthammer in einem schwarzen Kugelfeld vergehen. Julius dachte "Taceto" in Richtung der Lehrerin. Diese schoss ohne Worte einen regenbogenfarbigen Leuchtstreifen auf ihn ab, der ihn einhüllte und in eine Flut verwirrender Farben und Geräusche stürzte. Er mußte seine Selbstbeherrschungsformel denken, um dieser Flut zu widerstehen, bis er "Inconturbatus" denken konnte. Übergangslos kehrten die gewohnten Sinneseindrücke zurück. Doch Julius fühlte, das irgendwas mit ihm nicht in Ordnung war. Offenbar hatte die Hexe da vor ihm in der Zeit, wo ihn der Confundiridius-Fluch an den Rand der totalen Unfähigkeit getrieben hatte, einen Körperveränderungszauber gewirkt, der ihn innerhalb von wenigen Sekunden in einen milchglasartigen erst gummiartigen, dann wie dicken Stoff wirkenden Mantel, eher einen Kokon oder eine Schale einhüllte. Als sein Kopf unter diesem Zeug, das irgendwie durch Fluch und eigene Körpermaterie gebildet wurde, verschwunden war, härtete die Umhüllung zu einer stahlharten Ummantelung aus. Julius fühlte, wie er umfiel und unfähig einer Bewegung herumkullerte. Luft bekam er irgendwie noch. Aber er sah seine Umgebung wie durch den dicksten Londoner Nebel in verschwommene Licht- und Schattenformen aufgelöst und hörte alle Geräusche von außen wie durch eine dicke Wand. Er öffnete den Mund und rief "Heh, das war aber heftig!" Seine Stimme klang hohl in seinen Ohren wider.
"Das war die gerechte Bestrafung für diese Unverfrorenheit, mich mit mentalinitierten Zaubern anzugreifen, Monsieur Andrews. Ich sagte Ihnen schon bei der Prüfung, daß Sie das nicht immer rettet. Es wurde Zeit, daß Sie das begreifen."
"Reducto!" Rief Julius, der die Zauberstabhand gerade so noch zu seiner Umhüllung ausrichten konnte. Ein lauter Schlag wie von einem Schmiedehammer auf einen Amboss hallte schmerzhaft in seinen Ohren, und er fühlte, wie er einen Satz nach oben tat und polternd und kullernd wieder aufkam. Er konnte seine Beine und Arme nicht ausstrecken.
"Das geht so nicht!" Rief Professeur Tourrecandide wie aus weiter Ferne klingend. Julius konnte den ihm entfallenen Zauberstab nicht greifen, weil dieser genau zwischen seine Füße gefallen war und er in dieser Schale oder Panzerung keine Bewegung machen konnte, um ihn zu greifen.
"Accio zauberstab", dachte er sehr intensiv und hielt die rechte Hand auf. Er fühlte etwas längliches zwischen den Füßen herumzappeln. Dann rief er den Zauber laut: "Accio Zauberstab!" Mit einem leisen Klackern an der Umhüllung sprang der Zauberstab den kurzen Weg in seine Hand zurück.
"Renihilis!" Rief er. Krachend klaffte die harte Umhüllung auf, zerfiel in zwei Hälften. Doch Ehe Julius herauskletterte, krachte die abgesprengte Hälfte wieder auf die untere Hälfte und schloss knirschend mit ihr ab.
"Idee nicht schlecht, Ausführung jedoch noch mangelhaft!" Rief die Lehrerin, die ihn in diese missliche Lage getrieben hatte. Julius überlegte, ob er diesen Zauber aus der Blitzschulung bei Professeur Faucon kannte. Tatsächlich fiel ihm etwas ein. "Mist, der incapsovulus-Fluch", dachte er. Dieser Fluch schloss den Gegner unter Einbeziehung dessen eigener Zauberkraft in eine eiförmige Schale aus diamantharter Substanz ein. Diese Substanz schluckte neun Zehntel der nach außen gewirkten Zauberkraft. Spreng- oder Auflösungsflüche verpufften also beinahe wirkungslos. Das einzige was half, war ein gegen sich selbst gerichteter Renihilis-Zauber, gekoppelt mit einem Entkräftungsfluch. Er überlegte kurz, wie die Kopplung genau gesprochen wurde und rief dann mit gerade so auf sein rechtes Bein gerichtetem Zauberstab: "Aggregato Renihilinvalidus!"
Ein heftiger Schmerz wie eine durch seinen Leib rasende und aus ihm herausexplodierende Granate ließ ihn aufschreien. Doch im selben Moment zerbarst die eiförmige Kapsel um ihn herum in einem Farbenspiel aus einem roten, blauen und grünen Blitz innerhalb einer Zehntelsekunde zu weißem Staub, der über die ganze Arena verteilt wurde. Sofort eilte Schwester Florence herbei und untersuchte ihn. Er hatte sich heftig entkräftet, sodaß er von der Heilerin auf eine Trage gezaubert und an den Rand der umfassten Duellierarena gebracht werden mußte. Dort nahm sich Jeanne seiner an.
"Hoh, gegen dich selbst bist du aber recht grob, Julius. Hier, trink das!"
Julius fühlte sich wie unter zehn Zentnern Blei begraben. Schwerfällig hob er den Kopf und trank vorsichtig einen Trank, der in seinen Gliedern brannte und brodelte. Doch Schluck für Schluck kehrte seine alte Kraft zurück. Als er sich wieder fit genug fühlte, wollte er aufstehen.
"Also habe ich mich nicht getäuscht, Blanche, und Sie haben dem Jungen sehr heftige Unterrichtsstunden erteilt. Ich habe ihm gesagt, daß mächtige Zauber, auch wenn er theoretisch damit hantieren kann, den Körper und den Geist auszehren. Ich hoffe, Sie hatten Ihre Gründe, den Jungen derartig voranzutreiben", hörte Julius Professeur Tourrecandide sprechen. Professeur Faucon antwortete:
"Ich hatte meine Gründe, Austère. Aber dazu nicht hier!"
"Die ehemalige Schülerin begehrt auf", flüsterte Jeanne. Julius grinste, nun, wo er sich wieder erholt hatte.
"Das Küken trampelt auf den Eierschalen herum."
"Haha, wie treffend, Monsieur Andrews. Woher wußtest du, was du machen mußtest?"
"Hast du doch gehört, unsere Saalvorsteherin hat mir das beigebracht."
"Wann, wo, wie und warum?" Wollte Jeanne wissen, doch Schwester Florence kam herbei und begutachtete Julius. Sie sagte zu Jeanne:
"Diese Fragen darf nur ich beantworten lassen, Jeanne. Er ist wohl wieder stark genug, um aufzustehen? Dann runter von der Trage, junger Mann!"
Julius stand auf und eilte zu den anderen hinüber. Als Professeur Tourrecandide ihn putzmunter und mit unbeschädigtem Zauberstab sah, lächelte sie.
"Danke, daß Sie mir die Gelegenheit gegeben haben, diesen Fluch wirkungsvoll vorzustellen, Monsieur Andrews. Sie wissen, was ich mit Ihnen angestellt habe?"
"Erst der Confundiridius-Zauber, der die Sinne verwirrende Regenbogenstrahl. Der muß nicht unmittelbar laut aufgerufen werden. Dann haben Sie, weil ich wohl für drei Sekunden oder mehr weggetreten war, den Incapsovulus-Fluch auf mich geschleudert. Er schließt jedes mit Magie begabte Lebewesen unter Ausnutzung dessen Zauberkraft in eine unzerbrechliche Schale ein, wie in ein großes Ei. Nach außen gehende Spreng-oder Zerstreuungszauber werden zu neun Zehnteln absorbiert, also geschluckt. Es blieb also nur ein gekoppelter Fluch, der einerseits magisch erzeugte Materie zerstreut und die eigene Kraft schlagartig abschwächt, sofern er nicht gegen die Schale selbst gerichtet wird. Wenn ich gewußt hätte, wie heftig das war, hätte ich's besser gelassen."
"Dafür sind Sie hier, um zu lernen. Lernen kann manchmal sehr weh tun", sagte Professeur Tourrecandide einer Schulmeisterin würdig.
"Wo und warum hast du das mit diesem Fluch gelernt?" Wollte Sabine Montferre wissen. Julius schwieg. Professeur Faucon antwortete:
"Ich hielt es für sinnvoll, ihm vor Augen zu führen, daß er nicht übermächtig ist, um ihn vor unumkehrbaren Dummheiten zu schützen. Deshalb habe ich ihm in individuellen Vorbereitungsstunden diese Flüche erklärt."
"Könnten Sie diesen Fluch auch wirken?" Fragte Professeur Tourrecandide Julius. Dieser antwortete:
"Abgesehen davon, daß ich selbst wohl doch noch zu schwach dafür bin ist das ein ausgesprochener Hexenzauber, weil wohl die körperlichen Eigenheiten einer Frau mit in diesen Zauber hineinspielen."
"Korrekt. Ich darf, Blanche?" Wandte sich die ältere Lehrerin an die örtliche Fachlehrerin für Verteidigung gegen die dunklen Künste. Diese nickte.
"Gut, Sie erhalten für Erkennen und bewältigung der beiden Flüche, mit denen ich Sie außer Gefecht zu setzen trachtete einhundert Bonuspunkte, welche jedoch von fünfzig Strafpunkten reduziert werden, welche Sie dafür erhalten, daß Sie überaus arrogant darauf ausgingen, mich mit mentalinitiertem Sprechbann blamieren zu können. Zu Ihrem Trost: Sie sind nicht das erste Mitglied einer Beauxbatons-Klasse, das diese Dreistigkeit gewagt hat." Es sollte wohl beiläufig wirken, wie Professeur Faucon ihre Hände vor das Gesicht legte, um sich wohl Schweiß abzuwischen. Doch Julius vermeinte unter ihrem Kinn und unter dem Ansatz ihres schwarzen Haarschopfs eine schlagartige Rötung zu sehen.
"Der Prinz sagte: "Welcher der Schuh paßt, ziehe ihn an!" Dachte Julius und mußte seinerseits aufpassen, daß Professeur Tourrecandide sein Gesicht nicht sah.
Die weiteren Übungen verliefen ähnlich aussichtslos für die Schülerinnen und Schüler. Offenbar wurde hier nicht trainiert, vermutete Julius, sondern jeder Höhenflug vereitelt. Als dann wirklich alle durch waren, und Schwester Florence oder die Lehrerin, die gerade nicht duellierte den verkorksten Körper eines Schülers geheilt hatte, holte professeur Faucon ihre Duellierschüler in die Mitte der Halle und sprach zu ihnen:
"Sie haben alle gemerkt, daß egal, was sie taten, meine Kollegin und ich noch gegenhalten konnten. Sicher mögen Sie nun alle denken, daß es also sinnlos sei, Gegenflüche zu üben oder die Grundlagen magischer Selbstverteidigung zu lernen. Dies ist ein Irrtum. Gerade das, was wir gerade mit Ihnen angestellt haben zeigt, wie wichtig es ist, schnell und stark die Gegenflüche zu beherrschen, die Sie in echten Gefahrensituationen schützen können. Das und die Vermeidung jeder Illusion, Sie seien in einer Situation klar überlegen, wollten wir Ihnen in dieser ersten Runde beibringen. Ich darf Ihnen nun ein Schreiben des Zaubereiministers vorlesen, datiert von vor einer Woche.
"Sehr geehrte Professeur Faucon, in Anbetracht der neuen, bedrohlichen Entwicklung in Großbritannien, deren Auswirkungen auf unser Land noch nicht abzusehen sind, erteile ich Ihnen hiermit die Erlaubnis, auf dem Boden der Beauxbatons-Akademie im Zeitraum eines laufenden Schuljahres an von Ihnen ausgesuchten Schülern auch unterhalb der siebten Klasse die Auswirkungen des an sich unverzeihlichen Imperius-Fluches zu demonstrieren. Diese Erlaubnis gilt bis auf Wiederruf bei Vorlage einer Liste der Schülerinnen und Schüler, die Sie dafür auserwählen wollen. Diese Liste muß, soweit minderjährige Zauberer betroffen sind, von Erziehungsberechtigten dieser Schüler zusammen mit einer Kenntnisnahme der von Ihnen beabsichtigten Demonstration unterzeichnet werden. Nach unseren Gesetzen Erwachsene Zauberer unterhalb der siebten Klasse dürfen nur teilnehmen, wenn sie vorher die Begründung Ihrer Demonstration durch Unterschrift zur Kenntnis nehmen. Sollte diese Unterschrift nicht freiwillig geleistet werden, gilt jeder Versuch an solchen Schülern als übliche Straftat im Sinne des Gesetzes gegen die Anwendung des Imperius-Fluches.
Gezeichnet: Armand Grandchapeau, Zaubereiminister zu Paris, Frankreich."
Belle trat vor und prüfte Handschrift und Namenszug auf dem Dokument. Sie nickte. Das hatte wirklich ihr Vater eigenhändig verfaßt. Sicher war es eine Kopie, weil professeur Faucon wohl mehrere Exemplare für die Akten brauchte. Aber es war Minister Grandchapeaus Handschrift.
Julius zog sich zurück. Er konnte sich nicht denken, daß Catherine oder seine Mutter unterschreiben würden, ihm den Imperius-Fluch auszusetzen, es sei denn, sie wären ihm selbst unterworfen worden. Doch Professeur Faucon winkte ihm zu und fragte, wo er hingehen wolle.
"Nun, ich gehe stark davon aus, daß meine Mutter oder Madame Brickston nicht erlaubt haben, das Experiment mit mir zu machen."
"O doch, das tun sie wohl. Wenn Sie möchten, können Sie dies nachprüfen", entgegnete Professeur Faucon und hielt die Liste hoch, die sie vorhin gelesen hatte. Julius trat hinüber und suchte sie ab. Tatsächlich stand da sein Name, daneben zwei andere Namenszüge unter einem Schriftzug "Von Erziehungsberechtigten genehmigt". Er erkannte die Handschrift Catherines und seiner Mutter und erbleichte.
"Ich hoffe, Sie haben die beiden nicht im Unklaren gelassen, was das ist."
"Madame Brickston ist mit den Dimensionen des Imperius-Fluches vertraut, und Ihre Mutter hat nach reiflicher Überlegung eingewilligt, dieses Experiment zu versuchen, solange gewährleistet ist, daß es nur von mir im Rahmen des Unterrichts oder angemeldeter Sonderübungen stattfindet. Es steht Ihnen jedoch frei, das Experiment zu verweigern. Niemand wird Ihnen Feigheit unterstellen, weil Sie ja schon gesehen haben, wie verheerend dieser Fluch wirkt und es doch ein großes Maß Vertrauen benötigt, sich solchen Auswirkungen zu unterwerfen. Also, wie entscheiden Sie sich?"
"Diese Hexe", dachte Julius. "Keiner wird mir Feigheit unterstellen. Keiner außer mir. Ein fieser Trick ist das. Aber ich probier's aus. Solange ich keinen umbringe oder mich selbst töte ... Ich mach's!" Die letzten zwei Worte hatte er laut gerufen. Professeur Faucon lächelte aufmunternd. "
Julius durfte erst fünf anderen Schülern zusehen, wie sie versuchten, gegen den Imperius-Fluch zu kämpfen. Barbara, die meinte, dem gewachsen zu sein, fand sich irgendwann Schuplattlernd und jodelnd im Saal herumtanzen. Belle Grandchapeau, die ebenfalls selbstsicher auftrat, hielt zwar eine halbe Minute stand, als Professeur Faucon das Zauberwort gerufen hatte, doch dann gab sie babyhafte Schreie von sich, ohne sich davor zu genieren.
Als Julius sich vorwagte dachte er an die Begegnung mit Slytherin in der gemalten Welt. Auch er hatte diesen Fluch gegen ihn versucht. Doch weil Julius die magische Kettenhaube einer längst vergangenen Kultur getragen hatte, war der Fluch nicht zu ihm durchgedrungen. Jetzt war das anders. Doch vor ihm stand ja auch nicht Slytherin oder Voldemort.
"Imperio!" Rief Professeur Faucon. Julius war zwar darauf hingewiesen worden, was mit ihm passieren würde, doch als ihn eine heftige Woge alle störenden Gedanken wegfegender Glückseligkeit traf, war ihm nicht eingefallen, sich dagegenzustemmen. Völlig leer war sein Kopf nun. Er fühlte und dachte nichts. Seine Umgebung schien eingefroren zu sein. Dann erklang, sich immer weiter in seinm Bewußtsein ausbreitend, Professeur Faucons Stimme:
"Sing das Loblied der Sardonia mit einer Mädchenstimme!"
"Wie preisen wir,
die deine Töchter sind
o Mutter dich,
Sardonia.
Zeigst uns den Weg
durch Feuer, Eis und Wind.
führst uns zum Sieg,
Mater Magna.
O Hexenblut,
durch unsere Körper fließt.
Bring uns die Macht,
Sardonia!
Denn wahre Macht
gebeut der Weiblichkeit.
Dies wissen wir,
Mater Magna
So wie Natur
uns eine Mutter ist, woll'n wir der Menschen
Mütter sein.
Drum beuge dich,
was nicht gebären kann!
lass uns die Macht,
uns ganz allein!" ...
Julius hörte wie er sang. Er hörte es und konnte nichts dagegen tun. Er hörte sich mit Belles Stimme singen, frei von den Anzeichen des Stimmbruchs. Es tat ihm im Hals weh, seine Stimme derartig zu verränken. Doch er sang, sang und sang alle zwanzig Strophen des Kampfliedes der Sardonianischen Heerscharen, wie sie auf ihren damals modernsten Besen, auf Abraxarietenstuten und in riesigen schwebenden Sänften gesungen hatten, wenn sie gegen Zaubererarmeen zogen oder Muggeldörfer heimsuchten, von denen sie Tribut verlangten und Männer für die eigene Zuchtlinie. Einmal zuckte ein "Nein, nicht" durch seinen Kopf. Doch das floss sofort in eine passende Textzeile ein. Er sang ohne Unterbrechung, bis alle Strophen aus ihm herausgesprudelt waren. Er schaffte es nicht, dagegen zu kämpfen. Auch seine sonst so wirkungsvolle Selbstbeherrschungsformel wurde von dem Gedankenstrom verschluckt, der ihm alle Strophen ins Bewußtsein spülte.
"Was mich stört", versuchte er wohl irgendwie, dagegen zu kämpfen, "Was uns stört, ist grobe Mannsgewalt", sog ein weiteres Erinnern die sonst so gute Gedankenformel auf und riss sie mit sich fort, wie ein wilder Strom nach der Schneeschmelze.
"In Ordnung, ist gut jetzt", sagte Professeur Faucon und bewegte den Zauberstab. Schlagartig klärten sich Julius Gedanken wieder. Er hatte versagt. Er hatte einfach so ein Kampflied gesungen, unter dessen Klängen tausende von Männern versklavt, Frauen verjagt und Kinder verschleppt worden waren. Er erinnerte sich an Geschichten seines Großvaters, der ihm vom Krieg erzählt hatte, wo Massen von Menschen unter den Klängen hetzerischer Kampflieder getötet wurden. Ja, es mußte auch eine Demütigung sein, wenn jemand gezwungen wurde, ein solches Lied zu singen, während der Feind seine Familie ermordete.
"Nun, jetzt sind Sie bitte nicht zu sehr enttäuscht von sich, Monsieur Andrews", sagte Professeur Faucon. "Imperius wäre nicht so geächtet, wenn er harmlos und einfach zurückzudrängen wäre. Mächtigere Zauberer und Hexen verfallen ihm, obwohl sie ihn oft genug gesehen haben."
Julius wankte zurück. Die aus der Umklammerung befreiten Gedanken machten ihn taumeln. Hunderte von Erinnerungen schossen durch sein Gehirn, Sachen, die er fürchtete, die ihn anekelten, die er für zu lächerlich hielt. Ausschnitte aus Büchern oder Fernsehfilmen, in denen Leute durch Strahlen, eingepflanzte Maschinen, bösartige Lebewesen oder Drogen versklavt wurden.
"Ich bin Locutus ..." hörte er die technisch verfremdete Stimme des Weltraumhelden Picard klingen. Ja, so war das also. Man bekam es wirklich voll mit, wie dieser Fluch wirkte und was einer unter ihm anstellte.
"Montferre, Sabine vortreten!" Rief Professeur Faucon und machte eine wegscheuchende Armbewegung in Julius' Richtung. Er stolperte und wankte zurück. Jeanne holte ihn mit sicherem Griff aus der Duellierzone und legte einen Arm um ihn.
"Grausam, nicht wahr? Dabei hast du nur ein Lied singen müssen", sagte sie.
"Ihr werdet alle assimiliert", grummelte Julius monoton.
"Ach, diese Maschinenzombies, von denen es Bébé und du oft hattet. Deshalb macht die das jetzt mit uns, damit wir wissen, wie es sich anfühlt. Damit wir denen verzeihen lernen, die unter ihm Untaten begangen haben. Deshalb machen wir das. Deshalb haben Madame Brickston und deine Mutter das erlaubt, daß du es fühlst. Wahrscheinlich wird sie mit uns noch weitere Versuche anstellen, um zu sehen, ob wir nicht doch dagegen kämpfen können. Belle hat lange ausgehalten. Barbara nicht so lange. Mich hat sie vor drei Wochen damit drangsaliert. Glaube mir, ich habe Angst, weil ich nicht weiß, ob ich das zurückdrängen kann, egal, was sie mir gleich auftragen will."
"Ich hab's kapiert. Flüche sind nichts spaßiges. Aber ich wußte das doch, wie der mich erwischt. Cho Chang hat es mir doch erzählt", quängelte Julius beinahe wie ein Kleinkind, während Sabine Montferre irgendwie gegen sich selbst kämpfte, um sich nicht die Haare wild zu verknoten.
"Ist bei dir alles in Ordnung?" Fragte Schwester Florence.
"Huh, das selbst zu erleben ist heftig. Lesen und Erleben sind doch zwei Welten für sich", sagte Julius.
"Sie hat drei Runden angesetzt. Möchtest du dich davon entbinden lassen?" Fragte Schwester Florence.
"Nein, ich will das jetzt genauso durchziehen wie die anderen hier auch", bäumte sich Julius auf. Was half es, jetzt zu sagen, daß er genug hatte. Hier konnte er es zwar. Aber draußen, wo die ganz bösen Zauberer herumliefen, konnte er es nicht. Er erinnerte sich, was seine Mutter ihm einmal gesagt hatte.
"Du konntest nicht ewig in meinem Bauch liegen. Du konntest nicht immer herumgetragen werden. Krabbeln half dir auch nicht weiter, und eines Tages mußt du auch ganz ohne uns leben. Deshalb schicken wir dich demnächst nach Eton."
Eton? Pustekuchen! Jetzt war er über Zwischenstation in Hogwarts in Beauxbatons gelandet und machte die wahnsinnigsten Sachen mit. Aber sonst hatte bisher alles gestimmt. Sicher wußte er auch, daß seine Mutter das nicht gerne gesagt hatte. Offenbar hatte sie vorher doch geweint. Zumindest hatte er schwache Tränenspuren an ihren Wangen sehen können, als sein Vater ihm und ihr verkündet hatte: "Der Junge kommt nach Eton."
Jeanne hielt dem Imperius zwar einige Sekunden lang Stand, doch dann Schlug sie ein Rad nach dem anderen, schneller und schneller. Irgendwann kam sie aus dem Rhythmus und fiel hin. Sie rappelte sich auf, setzte an, ein weiteres Rad zu schlagen, doch stand dann kerzengerade vor Professeur Faucon. Diese hielt ihr immer noch den Zauberstab entgegen. Doch Jeanne stand stocksteif vor ihr, den Blick fest auf sie gerichtet.
"Widerstand ist nicht zwecklos!" Rief Professeur Faucon lächelnd. "Übung macht stark!"
Als die zweite Runde kam, trat Julius selbstbewußt vor und nahm den Angriff auf seinen Geist hin. Wieder spülte eine glückselige Leere alle Gedanken fort. Als dann die Anweisung kam, er solle die Hymne des 1. FC Liverpool singen, stutzte er. Wie konnte man ...
"Sing die Hymne des ersten FC Liverpool!" Kam die Wiederholung des Befehls und fegte seine aufbegehrenden Gedanken fort. Er sang die ersten Zeilen. Dann kam wieder ein Gedanke, wie man zu dieser Fußballmannschaft halten konnte? Doch diese Gedanken verflogen. Er hörte sich singen, als stehe er gerade neben sich selbst oder träume ziemlich heftig. Er versuchte, sich dagegen zu wehren, einfach den Mund zuzuhalten oder seine Selbstbeherrschungsformel zu denken. Doch irgendwie flutschten die Gedanken sofort ins Leere. Nur der Drang, jetzt unbedingt die Hymne einer Fußballmannschaft zu singen, zu der er nie halten würde, auch wenn sie ihm auf die Clubmitgliedschaft tausend Pfund drauflegen würden, trieb ihn voran.
"Das war schon etwas besser, Monsieur Andrews.Ich konnte sehen, daß Sie diese Aufgabe nicht mochten, sich doch irgendwie dagegen sträubten. Sie werden es selbst nicht bemerkt haben, weil Ihr Bewußtsein unter dem Fluch fest verkeilt war. Doch innerlich haben Sie gekämpft."
"Davon habe ich wirklich nichts mitbekommen", sagte Julius nun. Sein Selbstbewußtsein war wieder angeschlagen. Doch als Belle ihn außerhalb der Duellzone zu sich winkte, lächelte sie.
"Sie hat was versucht, was dir sonst absolut nicht eingefallen wäre. Das Lied von Sardonia war ja noch etwas, was abstrakt für dich ist, was in irgendwelchen Büchern steht. Ich fand das zwar unheimlich, wie gut du unter dem Fluch meine Stimme nachgeahmt hast. Aber ich denke, du kannst dagegen kämpfen lernen. Ich hörte, daß Harry Potter in deinem Alter auch dagegen ankämpfen lernte. Sicher bin ich nicht das passable Vorbild. Aber bei diesem Fluch kommt es nicht nur darauf an, wie groß der Unterschied zwischen Angreifer und Opfer ist."
In der dritten Runde des Experiments kam Julius ganz zum Schluß dran. Jeanne schaffte es jetzt, dem Fluch nach kurzer Überrumpelung zu widerstehen und Belle tat sich schwer, die für die anderen Unhörbaren Befehle auszuführen. Als Julius dann wieder vor Professeur Faucon stand, war er innerlich darauf gefaßt, wieder was dummes anzustellen, ohne es zu unterdrücken. Diesmal sollte er Jeanne Dusoleil angreifen, ihr den Schockzauber aufhalsen. Sicher, Jeanne stand außerhalb des Kampfbereiches, und der Fluch würde sie nicht treffen. Doch Julius konnte nie wissen, ob die nichtstoffliche Barriere um das Duellierfeld nicht aufgelöst war.
"Schocke Jeanne Dusoleil!" Kam der Befehl. Julius spürte einen Widerwillen gegen diesen Befehl. Ja, er fühlte, daß er ihn nicht ...
"Schocke Jeanne Dusoleil!!" Drang die innere Stimme immer zwingender durch seinen Verstand. Er hob langsam und roboterhaft den Zauberstab, drehte sich hölzern zu Jeanne. Dann rief er: "Stupor!" Laut Krachend zerbarst der rote Schockblitz keinen Meter vor Jeanne an der Barriere, die wie eine dumpfe Glocke nachklang.
"Schocke Jeanne Dusoleil!" Kam der Befehl wieder. Julius rief erneut den Schocker auf. Doch Jeanne fiel nicht um. Als er einen dritten Schocker abfeuerte, der wirkungslos an der magischen Absperrung zerplatzte, hörte Professeur Faucon auf. Julius erkannte, was er da gemacht hatte. Er hätte Jeanne beinahe betäubt. Hätte er sie auch getötet?
"Wie gesagt, Monsieur: Wirklich mächtige Hexen und Zauberer sind dem Imperius zum Opfer gefallen. Daß Sie ihn heute noch nicht abschütteln können, ist leider normal. Sie können und werden jedoch lernen, dagegen zu kämpfen. Sie haben es schon getan. Sie haben den dritten Befehl nicht so bereitwillig befolgt wie den ersten. Ich mußte dreimal insistieren, um Sie überhaupt zu bewegen, sich auszurichten. Sie sind nicht unfähig, gegen Imperius zu kämpfen. Sie haben eine Kampfsportart erlernt, bei der Sie zu Beginn sicherlich mehr Niederlagen einstecken mußten als Siege zu erringen. Genauso ist es mit dem Imperius-Fluch. Obgleich er wegen seiner körperlichen unschädlichkeit oft als der harmloseste Fluch angesehen wird, ist er eher der gefährlichste. Das haben Sie selbst zu Beginn des Schuljahres in einer Aufgabe erörtert, die ich Ihnen zum Schulbeginn gab, um Ihre Grundlagen zu erkunden. Es ist keine Schande, hinzufallen, wenn man laufen lernen muß", sagte Professeur Faucon. Professeur Tourrecandide nickte und lächelte Julius an.
"Ich gehe sehr stark davon aus, daß Sie wie jeder starke und intelligente Zauberer an schweren Aufgaben wachsen und ich Sie im nächsten Schuljahr gestärkt in einer Prüfung begrüßen werde."
"Ja, aber dann hoffentlich nicht der Imperius."
"Nein, ich denke, Minister Grandchapeaus Erlaubnis schließt das nicht ein. Ich wünsche Ihnen angenehme Ferien!" Sagte die Lehrmeisterin Professeur Faucons und rief den Gruß laut für alle anderen in den Saal. Alle bedankten sich im Chor und wünschten ebenfalls angenehme Ferien.
Jeanne wandschlüpfte mit Julius zunächst in Madame Rossignols Sprechzimmer, wo gerade eine Eule einen Brief hinlegte und dann durch das Oberlicht wieder davonflog.
"Ach, die Antwort, auf die ich gewartet habe", sagte die Heilerin und nahm den Umschlag entgegen. Dann sah sie Julius an und sagte:
"Sicher hat dich Professeur Faucon heute heftig erschüttert. Du versuchst immer, die Kontrolle zu behalten. Das tut bestimmt weh, wenn jemand dich derartig aushebelt, oder?"
"Ich denke, da bin ich nicht der einzige", sagte Julius. Jeanne nickte.
"Ich habe es nur geschafft, diesen Fluch zu kontern, weil ich drauf gefaßt war und mir eine nervtötende Melodie ins Hirn geholt habe. Immerhin kam diese Gedankenentleerung nicht sofort so heftig durch. Aber sie hat recht. Ich habe es gesehen, wie du mich schocken solltest. In dir ist was drin, was dich dagegen ankämpfen läßt. Ich fürchte, die gute Professeur Faucon wird das jetzt wachkitzeln wollen."
"Das werde ich ihr nicht gestatten", sagte Schwester Florence. "Sie hat dem Jungen schon zu viel Wahnwitzigkeiten angehängt. Irgendwo muß Schluß sein. Es ist richtig, daß der Unnennbare und seine Handlanger diesen Fluch können, wie auch die beiden anderen Flüche. Es bringt aber nichts, jemanden andauernd damit zu malträtieren. Das ist genauso wie mit der Occlumentie. Wer sie lernt, schwächt seinen Geist zunächst, wegen der überheftigen Konzentration. Ich will keinen Pflegehelfer haben, der immer mit sich hadert, weil er einen verachtenswürdigen Fluch nicht wie beiläufig parieren kann. Also mach dir da keinen Kopf drum, ob sie dich in den Ferien damit dranhält. Ich habe Grandchapeaus Erlaubnis gelesen. Sie beschränkt sich nur auf den Standort Beauxbatons und die Zeit eines laufenden Schuljahres", beruhigte ihn die Heilerin. Dann wünschte sie den beiden Pflegehelfern eine gute Nacht.
Claire hatte wohl so sehnsüchtig auf Julius gewartet, daß sie ihre Schwester, die vor ihm durch die Wand kam, innig umarmte. Sie lachte und küßte Claire auf die Wange, bevor diese merkte, wen sie da so stürmisch begrüßte. Edmond Danton, der nun die vorletzte Nacht in Beauxbatons verbrachte, sah Jeanne an und wußte offenbar nicht, was er machen sollte. Jeanne rief ihm zu:
"Du möchtest mir wohl keine Strafpunkte anhängen, nur weil ich meine Schwester auf die Wange geküßt habe?"
"Öhm, nein, natürlich nicht", stammelte Edmond. Barbara, die gerade durch den üblichen Eingang den grünen Saal betrat, ging zu Julius und erreichte ihn vor Claire, die sich verstimmt zurückzog.
"Da kommst du mit klar, Julius. Glaube mir, Geistestraining tut mehr weh als Körpertraining. Hast dich auf jeden Fall gut gehalten."
Was habt ihr im Duellclub gemacht?" Fragte Claire Julius, als Barbara wohl endlich was anderes gefunden hatte, was sie machen wollte.
"Die haben uns alle durch den Wolf gedreht, Claire. Erst hammerharte Körperflüche, dann auf ministeriellen Beschluß noch den Imperius."
"Bitte was?! Ist der nicht ..."
"Ist er. Aber in der Muggelwelt lernen Polizisten auch das Totschießen von Menschen, obwohl sie es nicht dürfen, damit sie selbst nicht totgeschossen werden oder jemanden aus Versehen töten, Claire", sprang Jeanne in die Bresche. "Grandchapeau hat unserer Saalvorsteherin erlaubt, ihn an denen zu testen, die sie für fähig genug hält, sich dagegen zu wehren. Vielleicht solltest du nächstes Jahr an meiner Stelle in den Duellierclub eintreten."
"Um vielleicht die derben Lieder zu singen, die Millie vorhin gesungen hat, um ihre Schwester zu ärgern? Danke nein."
"Ich kann es dir nicht verübeln, Claire", stimmte Julius ihr zu.
Julius mußte Claire erzählen, was so passiert war. Erst als Edmond die Drittklässler ermahnte, daß in fünf Minuten ihre Bettzeit beginne, verabschiedete sie sich von ihm, jedoch nicht so innig wie üblich. Sie wollten Mogeleddie nicht noch einen Spaß gönnen, ihnen hundert Strafpunkte draufzuhauen.
Als die Bettkontrolle Edmonds vorbei war und der Vorhang um seinem himmelbett fest zugezogen war, holte Julius aus seiner Centinimus-Bibliothek das Buch über Sardonia, die dunkle Matriarchin. Er suchte das Lied ihrer Anhängerinnen und wunderte sich, daß er es unter dem Imperius-Fluch so gut gesungen hatte. Um Viertel nach elf praktizierte er das Buch wieder in den verkleinerten Bücherschrank und steckte diesen fort. Er wollte das Licht seines Zauberstabes löschen, als er noch einmal zu seinem Vollportrait von Aurora Dawn hochsah. Aurora selbst stand zusammen mit Viviane Eauvive und Serena Delourdes im Rahmen und sah auf ihn herunter.
"Im nächsten Schuljahr solltest du dir angewöhnen, die zugestandenen Schlafzeiten auszunutzen", sagte die Gründerin des gelben Saales. Viviane fügte hinzu:
"Offenbar mußte er sich ablenken. Das mit diesem Fluch heute ist an und für sich nicht korrekt. Ein Minister kann nicht einfach hergehen und bestehende Gesetze ausklammern, nur weil dieser Größenwahnsinnige wieder herumläuft. Julius, vor dem Abschlußball würde ich gerne noch einmal mit dir sprechen. Ich werde es Professeur Faucon sagen, daß sie dich noch einmal zu mir in unsere Welt läßt. Kommst du?"
"Wann?" Fragte Julius nur.
"Zwischen fünf und sechs. Die Mädchen eures Saales werden sich dann um die Plätze vor den Spiegeln zanken, um sich wohlgefällig zu frisieren und zu bemalen. meiner langen Erfahrung nach dauert das seine drei Stunden. Da fällt es deiner Auserwählten nicht auf, wenn du nicht im grünen Saal bist."
"Ja, aber Schwester Florence", wandte Julius ein.
"Wird von mir unterrichtet", sagte Serena Delourdes. Dann verschwand sie nach rechts. Viviane Eauvive sah Julius noch einmal an und tauchte dann nach unten aus Auroras Gemälde. Julius wußte, daß dort unter ihm im Schlafsaal der Viertklässler auch ein Bild hing, das eine gerade Linie zu seinem Vollportrait von Aurora Dawn bildete. Er drehte sich um und wartete eine Dreiviertelstunde. Als es zwölf Uhr nachts war, holte er ganz leise den Zweiwegspiegel heraus, um mit Gloria zu sprechen, die ja jetzt bestimmt bei sich zu Hause sein würde. Vorher sah er aber noch einmal auf das Bild. Es war leer.
"Gloria", flüsterte er. Es geschah nichts. Nach dreißig Sekunden probierte er es noch einmal. "Gloria Porter", zischte er. Dann erschien Glorias Gesicht.
"Ich habe mir gedacht, daß du mich jetzt noch sprechen willst, Julius. Hast du Omas Eule schon gekriegt?"
"Öhm, nein, Gloria", sagte Julius.
"Dann findet die dich wohl zu Hause in Paris. Meine Eltern haben beschlossen, mit mir und zwei Freundinnen aufs Festland zu fahren. Offenbar hat Daddy ernste Sorgen, daß der dunkle Lord uns hier heimsuchen könnte. Wenn du möchtest, komme ich dich mal besuchen."
"Welche Freundinnen nimmst du denn mit?" Fragte Julius.
"Die Watermelons. Olivia ist langsam wieder klar. Meine Mum hat ihr angeboten, mit Pina zusammen mit uns zu verreisen. Ich habe selbst mit ihrer Mum gesprochen. Sie ist froh, wenn Pina und Olivia weit genug von ihm wegkommen."
"Hoffentlich hält er sich dran", unkte Julius. Gloria rümpfte die Nase. Doch dann nickte sie.
"Der wird zunächst versuchen, Angst und Terror zu schüren, indem er wichtigere Hexen und Zauberer bedroht, Julius. Mag sein, daß die Winkelgasse für Leute wie Lea oder Henry Hardbrick gefährlicher wird. Aber das Leben muß ja irgendwie weitergehen."
"Ist wwohl wahr, Gloria. Hier heißt es, daß man die früheren Anhänger alle aus dem Verkehr gezogen hat. Aber im Grunde kann auch morgen ein unentdeckter Asteroid aus dem All runterkrachen und uns alle in Feuer und Staub zerbröseln. Es ist heftig, daß wir in der Muggelwelt langsam vernünftiger wurden und vom möglichen Atomkrieg weggekommen sind. Und jetzt dreht so'n Psycho in der Zaubererwelt am Rad und macht uns alle bange."
"Oma wollte dich und deine Mum zu sich einladen. Sie meint zwar, "Bläänch" würde dich sicher erst nach dem achtundzwanzigsten ziehen lassen, wegen Schach und Tanzen. Aber danach wärest du jederzeit gerne bei ihr willkommen. Myrna und Mel sind auch da."
"Oh, ich fürchte, das sollte ich Claire nicht erzählen, daß ich mich mit deinen Cousinen treffen soll", grinste Julius. Gloria lachte. Dann meinte sie:
"Viel Spaß morgen beim Abschlußball. Tante Geri hat erzählt, daß sei das beste an Beauxbatons gewesen."
"Ja, das wollen wir doch mal hoffen. Nacht, Gloria", wünschte Julius und nahm den Spiegel runter. Er sah wieder zum Bild hoch. Dort war keiner zu sehen. Wie paranoid konnte man doch werden, wenn man einmal erwischt wurde, dachte Julius und schlief ein.
__________
Den Morgen verbrachten fast alle am Strand, von denen abgesehen, die den Disziplinarquotient nicht erreicht hatten, der die Summe der in einer Woche gesammelten Bonuspunkte durch die Strafpunktesumme geteilt größer als fünf ergeben mußte, damit jemand am Strand sein durfte. Die dortigen Aufsichtsleute, Saalsprecher oder -sprecherinnen, mußten aufpassen, daß niemand mit einem DQ unter fünf amStrand war.
"Also das Schwermachertraining hat sich für dich gelohnt", stellte Barbara fest, als Julius es schaffte, den Rossignols, Bruno Chevallier und César Rocher davonzuschwimmen. Claire spielte mit Jeanne, Seraphine, Belisama und Virginie Wasserball. Zwischendurch lagen sie auf den flauschigen Badetüchern in der Sonne und lauschten dem ewigen Spiel der Wellen. einmal kam Bernadette im blauen Badeanzug herüber und sah Julius zusammen mit Claire reden. Sie wirkte irgendwie mißmutig. Claire sah sie an und fragte höflich, was sie habe. Sie sah kurz zurück, ging dann aber wortlos weiter.
"Hat Hercules was verkehrtes gemacht?" Fragte Julius.
"Denke eher, die hat selbst was verkehrtes gemacht", grummelte Claire.
"Hehoh! Noch die Bräune für den Ball auffrischen?" Fragte Robert, der mit Céline des Weges kam.
"Bei dem Vorsprung den Claire hat wär das wohl zu viel verlangt", lachte Julius. Claire zwickte ihm in den nackten Bauch. Er fühlte ihre Fingernägel wie scharfe Pincetten ins Fleisch kneifen.
"Autsch, du Hexe", sagte Julius.
"Ach, davon laufen hier nur welche rum", lachte Claire und deutete auf Céline und Barbara.
Nachmittags traf er sich erst mit Professeur Armadillus wegen Goldschweif. Er wußte, daß sie ihn vermissen würde. Nach dem Höllenritt durch die Bilder von Hogwarts verstand er sie nun auch sehr gut. Armadillus sagte ihm:
"Der Minister macht in letzter Zeit die merkwürdigsten Sonderregeln. Vielleicht wäre ein lebender Missetäterfrühwarner für Sie nicht schlecht. Aber noch überwiegt die Geheimhaltung allem anderen, und man kann Goldschweif ja nicht verbieten, draußen herumzulaufen. Das wäre ja brutal."
"Sie sind sicher, daß die magischen Kraftsteine sie wirklich von mir abhalten?" Fragte Julius.
"Zumindest wird sie ohne den eigenen Verstand zu gefährden nicht wissen, wo Sie sich gerade aufhalten", sagte der Lehrer für Magizoologie. Julius nickte schwerfällig. Irgendwie hatte er sich an dieses Tier, das anhänglich sein konnte und dabei immer noch ein wildes Raubtier blieb gewöhnt. Sicher, er hatte seine Schleiereule Francis, der gerade in der Eulerei der Grünen schlief. Aber Goldschweif XXVI. war schon was besonderes. Sie kam und ging wann sie wollte und hatte keinen Käfig, in den sie springen sollte, wenn er verreiste, ganz so wie Claire.
"Gut, dann haben wir ja alles geklärt", sagte Armadillus und entließ Julius aus seinem Büro. Er wandschlüpfte zurück zum grünen Saal, wo er eine völlig aufgelöste Laurentine vorfand. Sie hing in der Ecke neben der großen Standuhr und hielt sich ein großes Taschentuch vors Gesicht. Marie van Bergen kam auf Julius zugerannt und zog ihn kurzerhand hinüber zu der Klassenkameradin.
"Heh, Laurentine, was ist passiert?" Fragte er irritiert, weil er nicht wußte, was er machen sollte. Er hörte nur das verhaltene Schluchzen seiner nun nicht mehr neuen Klassenkameradin.
"Papa macht mir alles kaputt. Er hat geschrieben, daß er keine Bedingungen eingeht, die irgendso'ne Hexe oder 'n Zauberer ihm vorbetet. Maman ist gerade mit Opa unterwegs in New York. Ich sollte morgen zu ihm alleine hin. Aber er hat gesagt, daß ich bloß dieses Zeugnis hierlassen soll. Er hat jetzt die Fachsen dick, hat er gesagt", heulte Laurentine. Julius verstand. Das war doch dasselbe, was ihm passiert ist.
"Hat Professeur Faucon schon was drauf geantwortet?" Fragte Julius vorsichtig.
"Nur, daß sie das erwartet hat und wohl schon Vorkehrungen getroffen hat. Ich kann nicht mehr nach Hause", kam ein langgezogenes Schluchzen von Laurentine.
"Der selbe Drachenmist, der mit mir gelaufen ist. Meint deine Mutter denn, du solltest nicht mehr nach Hause kommen?"
"Die kommt erst in einer Woche zurück, Julius", rang sich Bébé eine einigermaßen klare Antwort ab. "Aber ihr habt das doch mitgekriegt, wie wir bei Céline waren."
"Das war ja auch wegen der langen Fahrt von euch und weil sie nicht wußte, wie wir das mit dem Flohpulver machen."
"Ja, aber da geht's schon los", jammerte Bébé. "Weder das Fliegen, noch das mit diesem Flohzeug ist für die verständlich. Wie haben deine Eltern das denn mit dem Besen verdaut?"
"Mein Vater hat mal versucht, auf einem Besen zu fliegen und hat sich dabei voll auf die Nase gelegt. Ich habe dir ja erzählt, daß ich das Fliegen bei Aurora Dawn kennengelernt habe. Meine Mutter hat das mit dem Flohpulvern gesehen, wie ich mich mit ihr über Beauxbatons unterhalten habe."
"Ja, aber wo schicken die mich hin, wenn die mich nicht nach Hause lassen?" Schluchzte Laurentine.
"Das weiß ich nicht", gab Julius verlegen zu.
Virginie kam herüber, als sie durch den sich auflösenden und wieder zusammensetzenden Mauerabschnitt getreten war. Sie sah Julius bei Laurentine und eilte herüber.
"Julius, ich möchte mit deiner Klassenkameradin alleine sprechen", sagte sie ungewohnt ernst klingend. Julius sah sie verdutzt und dann aufsässig an und fragte:
"Was wird das denn jetzt, Virginie. Sollst du deine Autorität ausprobieren?"
"Julius, wir hatten übers ganze Jahr hier keinen Krach. Fang jetzt nicht am vorletzten Tag hier einen an."
"Laurentine ist nicht gut drauf", sagte Julius und sah Bébé an. "Wenn sie nicht mit dir reden will?"
"Wird schon. Also, lass mich mit ihr allein!" Antwortete Virginie sehr gefährlich klingend und dreinschauend. Julius nickte Bébé zu und zog sich an einen weit entfernten Tisch zurück. Was sollte das jetzt mit Virginie? Hatte sie was mit Bébés Problem zu tun? Oder wollte sie nur warmlaufen, um nächstes Schuljahr als Barbaras Nachfolgerin festen Boden unter den Füßen zu haben?
"Was ist mit Laurentine?" Fragte Marie und setzte sich unaufgefordert zu Julius. Dieser rümpfte zwar die Nase, weil sie ohne zu fragen zu ihm gekommen war. Doch er verstand, was sie umtrieb. Wer, wenn nicht er, konnte das von allen anderen hier besser verstehen?
"Sie weiß nicht, ob sie morgen nach Hause kann. Ihre Eltern machen da irgendwie Theater, weil sie ihr das hier nicht erlauben wollen. Deshalb ist sie Weihnachten ja schon hier gelassen worden", sagte Julius.
"Komisch, meine Eltern haben zwar merkwürdig gekuckt, als sie den Brief von Beauxbatons gelesen haben, dann aber gemeint, daß man das überprüfen solle. Als dann diese Hexe bei uns war, Madame Ruiter hieß die, haben sie es vorgeführt bekommen, was ich kann. Irgendwie hatte ich früher Farben verändern können, ohne daß ich das wollte. Diese Ruiter hat mir ein dickes Buch vor den Kopf werfen wollen. Das ist aber irgendwie von mir zurückgeprallt. Dann hat sie mich im Haus auf einen Besen steigen lassen, den sie mithatte und mich ein paar Meter herumfliegen lassen. Meine Eltern haben das auch ausprobiert. Sie sind beide auf die Nase gefallen", erzählte Marie und grinste amüsiert. "Dann haben sie gesagt, daß ich besser lernen soll, das richtig zu können, damit ich das nicht aus Versehen mache. Die haben keine Probleme mit der Schule hier."
"Was machen deine Eltern noch mal?" Fragte Julius. Er hatte es wohl irgendwann mal gehört, aber wieder verdrängt, weil es ihn eigentlich nicht betraf.
"Mein Vater ist gelernter Bierbrauer, und meine Ma arbeitet in einem Reisebüro in Ostende."
"Also keine Wissenschaftler oder Ingenieure. Könnte was damit zu tun haben", murmelte Julius. Marie grinste ihn an.
"Mag sein, daß Laurentines Eltern wegen ihrer Wissenschaftsbeziehung Terz machen. Bei deinen ist das ja auch so gelaufen."
"Nur mit dem Unterschied, daß meine Eltern sich irgendwann darüber verkracht haben", seufzte Julius. "Immerhin weiß ich jetzt, wo ich hinfahren kann."
"Ich auch", sagte Marie beruhigt.
Claire kam herein. Sie sah Laurentine verweint in der Ecke hocken, Virginie dabei. Sie lief schnell hinüber zu ihr, doch Virginie scheuchte sie sehr energisch zurück. Grummelig dreinschauend kam Claire dann zu Julius und Marie, die sofort vom Stuhl aufsprang und das Feld räumte, ehe Claire was sagen konnte.
"Ui, hat die aber einen Heidenrespekt vor dir", flachste Julius, als Claire sich auf den angewärmten Stuhl ihm gegenüber fallen ließ.
"Schlechtes Gewissen vielleicht?" Erwiderte Claire feist grinsend. Julius legte eine rätselhafte Mmiene auf.
"Was hat Bébé?" Fragte Claire. Julius erklärte es ihr und endete damit, daß Virginie ihn weggejagt hatte, um mit ihr alleine zu sprechen.
"Oh, dann stimmt ja das Gerücht doch, was Belisama herumerzählt hat. Die sagte, daß wohl die Ausbildungsabteilung genug von den Hellersdorfs hat und Bébé wirklich anderswo in die Ferien schicken will. Dreimal darfst du raten, zu wem."
"Heh, das ist mir ja nicht im Traum ... Aber Marie hat mich ja auch am Denken gehindert", sagte Julius, dem ein Kronleuchter vom Format der im Speisesaal hängenden aufgegangen war. "Virginies Maman hat als aktives Mitglied des Elternrates von Beauxbatons durchgepaukt, daß Laurentine in eine rein zauberische Umgebung gehört, um da auf Vordermann gebracht zu werden. Offenbar meint sie, was einmal funktioniert hat könnte nicht verkehrt gewesen sein."
"Genau", stimmte Claire zu.
"Mit ihren tollen Verbindungen wird sie's dann auch durchgedrückt haben, daß sie Bébé zu sich nehmen darf."
"Was bedeutet, daß Virginie sie jetzt wohl einstimmt, was ab morgen für sie ansteht."
"Ja, aber was bei mir lief, muß bei Bébé noch lange nicht gut laufen. Außerdem wäre ich vor zwei Jahren nicht nach Millemerveilles gekommen, wenn meine Eltern mich anderswo untergebracht hätten."
"Mag alles sein, Juju. Aber ich gehe im Moment davon aus, daß Bébé morgen mit Jeanne, Barbara, Virginie und mir im Ausgangskreis für die Sphärenreise nach Millemerveilles steht."
"Mit Kevin Malone habe ich bei sowas immer gewettet", erinnerte sich Julius.
"Würde ich dir nur raten, wenn ich wirklich hundert Galleonen von dir haben wollte", versetzte Claire siegessicher lächelnd und deutete auf Virginie, die sich nun sehr gestenreich mit Laurentine unterhielt.
"Wenn um sieben das Abendessen vor dem Ball ist, wann sollen wir uns hier treffen?" Fragte Julius.
"Sagen wir um viertel vor sieben", sagte Claire. "Aber wieso fragst du das? Wolltest du noch irgendwo hin?"
"Ich Wollte mir noch einmal in der Bibliothek zu den Flüchen was durchlesen, die wir gestern im Duelliertraining hatten. Ich denke nicht, daß Professeur Faucon und Tourrecandide uns die für nichts und wieder nichts aufgebrannt haben."
"Ach, dieser Eierschalenfluch, von dem Jeanne mir erzählt hat? Du warst für fünf Sekunden wohl weggetreten, bevor dieser Fluch dich erwischt hat. Aber den kennst du doch, hat Jeanne gesagt."
"Ich wollte wissen, ob es auch andere Möglichkeiten gibt, den abzuwehren, sich vielleicht sogar davor zu schützen."
"Du versuchst sofort wieder aufzuspringen, wenn du hingefallen bist, nicht wahr, Juju?"
"Fußballspieler und Boxer machen das immer so. Karatekämpfer auch", tönte Julius. Claire sah ihn dafür etwas verstimmt an, sagte aber nur:
"Dann lies dich mal schlau! Ich werde schon mal vorpacken. Jetzt, wo Bellart uns den Kofferpackzauber gezeigt hat, wollte ich den mal ausprobieren. Dann habe ich morgen nicht so viel damit zu tun."
Julius ging zunächst zur Bibliothek. Tatsächlich las er in "Manual der Flüche und anderen Böswilligkeiten" über den Incapsovulus-Fluch nach. Madame D'Argent hatte zwar etwas merkwürdig geguckt, als er diesen Wälzer haben wollte, aber sie hatte wohl eine Erlaubnis von Professeur Faucon, daß sie ihm die Bücher der höheren Klassenstufen ausleihen durfte. So um Viertel nach fünf verließ er die Bibliothek wieder, wandschlüpfte zu Professeur Faucon, die schon auf ihn wartete. Sie holte aus ihrem Wandelraumschrank die kleine Metallscheibe mit Julius' eingearbeitetem Bild auf der einen und einer Runenbeschriftung auf der anderen Seite. Er nahm sie, ging an das Gemälde mit dem Weizenfeld und drückte die Seite mit seinem Bild an die Leinwand.
"Per Intraculum transcedo!" Rief er. Eine farbige Lichtspirale trat aus der ihm zugewandten Seite des Zaubergegenstandes und fing ihn ein, sog ihn aus der natürlichen Welt und trug ihn innerhalb von vier Sekunden hinüber in eine andre Welt, die Welt der Zauberbilder. Hier wartete er eine Minute auf dem nun räumlich um und unter ihm ausgebreiteten Weizenfeld, über dem ein lauer Sommerwind dahinstrich. Hinter sich sah er von Horizont zu Horizont das Weltenfenster, den Ausblick in seine angestammte Wirklichkeit. Viviane Eauvive kam im wasserblauen Umhang. Ihre Goldschweif saß auf ihrer rechten Schulter und maunzte vergnügt, als Julius die Gründungsmutter des grünen Saales ansah. Diese strahlte ihn an und umarmte ihn wie einen heimgekehrten Sohn.
"Wir gehen zu mir. Serena und die anderen warten schon", sagte Viviane Eauvive und führte Julius durch Bilder, die nicht in den allgemeinen Gängen des Palastes hingen zu sich in ihre geräumige, ländliche Wohnung, die, wie Julius noch einmal nachgelesen hatte, ihrem Stammsitz an der Loire entsprach. Orion der Wilde saß an einem Kaffeetisch und beäugte argwöhnisch den drahtigen Petronellus, der mit einer kleinen, goldenen Dose herumspielte. Serena Delourdes trat gerade aus einem flirrenden Ring heraus, kam also gerade aus einem anderen Bild.
"Die anderen lassen sich entschuldigen, Viviane. Sie sind in einem unaufschiebbaren Disput über die Konsequenzen aus der Wiederkehr dieses Lord Voldemort", sagte Serena Delourdes ruhig. Viviane nickte. Dann ließ sie Julius rechts von sich platznehmen und brachte mit Zauberkraft leichtes Gebäck und Kaffee auf den Tisch.
"Ich habe dich noch einmal zu mir gebeten, Julius, weil ich mit dir über deine zukünftigen Pläne sprechen wollte. Immerhin habe ich ein gewisses Anrecht darauf, über deinen Werdegang orientiert zu sein."
Julius wußte nicht, was er jetzt schon dazu sagen sollte. Er wollte erst im ZAG-Jahr darüber nachdenken, was er nach Beauxbatons machen würde. Außerdem war die Lage durch Voldemort jetzt sehr ungewiß, um eine über mehrere Jahre reichende Planung anzustellen. Das sagte er Viviane. Diese nickte ihm zu. Dann fragte sie ihn schlicht aber eindeutig, was ihm denn in der Zauberei bisher am meisten zusagte. Er überlegte und antwortete:
"Eigentlich alles. Aber besonders sind es Zauberkunst, Kräuterkunde und Zaubertränke."
"Das sagst du nicht, weil ich mich auch dafür begeistere", sagte Viviane. "Ich konnte es ja übers Jahr mitverfolgen. Jetzt hast du natürlich gesehen, welche Berufsangebote die Prüflinge der fünften und siebten Klasse bekommen haben. Hat dich da schon was angesprochen?"
"Das mit dem Heilerberuf ist so umfangreich, daß ich mir das sehr schwer überlege, ob das wirklich was für mich ist. Was Jeanne macht ist nicht schlecht. Aber ich weiß ja auch nicht, ob ich mit Claire zusammenbleibe oder doch noch wen anderen finde. Da muß ich ja dann auch dran denken."
"Ja, ist ja auch früh, Vivi", sagte Orion. "Wußte ich mit dreizehn, daß ich mit diesem Chaoten da", wobei er auf Petronellus zeigte, "Serena und dir 'ne Schule bauen und leiten würde? Da habe ich noch für meine Eltern Holz gehackt und gerade mal so viel zaubern können, daß ich die Bewegungssachen drauf hatte."
"Tempora mutantur, Orion", erwiderte Viviane. "Was für dich damals nicht möglich war, haben die Schüler heute schon in der zweiten Klasse zur Verfügung. Aber ich gebe dir natürlich recht, daß ich nicht heute verlangen kann, daß Julius sich festlegt. Dieses Alter ist so interessant und aufregend, daß feste Vorgaben da nicht viel bringen. Es ging mir auch eher darum, seine bisherigen Interessen auszuloten."
So sprachen die Gründungseltern und Julius über die früheren Zaubereiberufe, zu denen in den Jahrhunderten nach dem Verblühen der Druidenkultur Königliche Berater und Selbstfindungshelferin gehörte. Letztere war, wie Julius es früher schon einmal gehört hatte, eine Verbindung aus Ärztin, Psychologin, Anwältin und Gouvernante, die Jungen und Mädchen von ländlichen Familien vom Mutterleib bis zur Elternschaft ins Leben geleiteten, ihnen sogar Liebeskunst und respektvollen Umgang mit dem anderen Geschlecht beibrachten. Eine Arbeit, die im Mittelalter durch die Vorstellungen der katholischen Kirche verteufelt wurde und im Zuge der Hexenverfolgung aus der Arbeitswelt der nichtmagischen Menschen verschwand und nur noch in den Zaubererfamilien gepflegt wurde. Julius zeigte sich mittlerweile gut beschlagen mit Sachen aus der Zaubereigeschichte und fragte nach Sachen, die für England und Frankreich gleichermaßen wichtig waren. Viviane erzählte ihm, wie ihre Nachkommen in der Zeit Sardonias einen heftigen Familienzwist ausgefochten hatten, weil zwei Nachfahrinnen unbedingt mit Sardonia zusammengehen wollten, sich in ihrer Organisation auch sehr hervorgetan hatten. Orion flocht ein, daß auch eine seiner Ururururenkelinnen mit Sardonia zusammengearbeitet hatte.
"Die Dame hieß Bellatrix Lestrange, Julius."
"Bitte wie?!" Rief Julius. Viviane und die anderen nickten jedoch.
"Du hast richtig gehört. Diese Hexe hieß genauso, wie diese fanatische Anhängerin dieses Voldemorts. Allerdings war sie eine geborene Lestrange, deren Familie mal mit meiner zusammengekommen ist, vier oder fünf Generationen nach mir. Die waren schon damals Reinblütigkeitsfanatiker, und meine Familie hatte sich bis zu dieser Zusammenfügung auch reinblütig gehalten. Was draus geworden ist haben wir gesehen. Diese Dame damals hat hunderte von Muggelstämmigen Zauberern getötet, um sie aus den Blutlinien anderer Familien rauszuhalten. Selbst Sardonia hat sie damals verachtet, obwohl diese Bellatrix ihr gegenüber loyal war. Es endete aber doch damit, daß Anthelia, Sardonias Nichte, die vor ihrem Weggang nach England noch einige Schmutzarbeit für ihre Tante erledigt hat, diese Lestrange getötet hat. Tja, und jetzt läuft wieder soeine mit dem Namen rum, die genau den gleichen Dreck denkt."
"Die aber keine geborene Lestrange ist", warf Petronellus keck ein. "Die ist eine geborene Black, genau wie diese Narcissa, die diesen Malfoy geheiratet hat."
"Hoi, das ist ja interessant. Die sind also tatsächlich mit Sirius Black verwandt. Weiß einer von euch, wie er gestorben ist? Es hieß doch, er würde sofort zu Voldemort zurücklaufen", wollte Julius wissen.
"Oh, Aurora hat's dir nicht erzählt?" Wunderte sich Viviane. "Sirius Black war keiner von Voldemorts Leuten, er hat unschuldig in Askaban gesessen. Er war ein Animagus und konnte in Tiergestalt entkommen. Er war Harrys Patenonkel und hat ihm beim Kampf im Ministerium geholfen. Dabei ist er durch die Porta Mortuorum gefallen und somit tot."
"Was? Nöh, das hat Aurora mir wirklich nicht erzählt. Was ist denn eine Porta Mortuorum? Heißt das nicht Tor der Toten?"
"Exakt, Julius. Es ist ein ziemlich heftiges Artefakt, daß nur skrupellose Magier erzeugen, die in einem wahnsinnigen Schaffensdrang und Wissensdurst die Geheimnisse des Todes erforschen. Eines dieser Tore steht in der Mysteriumsabteilung. Man erforscht dort, was mit den Seelen nach dem körperlichen Tod passiert. Kann sein, daß sie dieses Ding mittlerweile anders nennen. Ich habe nur gehört, daß Black durch dieses Tor gefallen und damit aus unserer Welt verschwunden ist. Dieses Tor läßt nur lebende hindurch aber keinen von der anderen Seite zurück. Zumindest ist mir nicht anderes bekannt", erläuterte Viviane. Julius schien darüber etwas bestürzt zu sein. Viviane merkte das und sagte:
"Ich hatte nicht vor, dich in trübselige Stimmung zu stürzen, Julius. Aber ich weiß, daß du selbst nachgeforscht hättest, wenn ich dir gesagt hätte, daß dich das nicht betrifft. Sicher ist nur, daß wir hier in Frankreich auf der Hut bleiben müssen, daß der Terror Voldemorts hier nicht wieder wüten kann."
Um die Stimmung wieder aufzuhellen sprach man die nächsten zehn Minuten von den Abschlußbällen in Beauxbatons. Als dann Julius merkte, daß er nur noch zwanzig Minuten zeit bis zu der Verabredung mit Claire hatte, brachte Viviane ihn zu Professeur Faucons Zimmer zurück, wo sie sich von ihm verabschiedete.
"Egal wo du in der Welt herumreist, Julius. Es gibt überall Gemälde, die mit mir kontakt aufnehmen können. Falls also was ist, kannst du mich jederzeit um Rat fragen. Ich freue mich, daß ich endlich wieder mehr tun darf als nur zu beobachten, wer in meiner Schule lernt und arbeitet. Schöne Ferien, mein Sohn!" Sie umarmte ihn innig und küßte ihm auf jede Wange. Dann durfte er mit dem Intrakulum zurück in die natürliche Welt.
In Rekordzeit schaffte es Julius, sich umzuziehen, sein Haar in Ordnung zu bringen und in den grünen Saal hinunterzulaufen, wo Virginie gerade Laurentine hereinführte, die ein langes, apfelgrünes Kleid trug. Claire eilte zu ihm hin. Sie trug ihren roten Umhang mit den eingewirkten Goldfäden und hatte sich das weizengelbe Haarband durch ihren schwarzen, leicht gewellten Schopf gewunden. Sie begutachtete Julius in seinem weinroten Festumhang, der immer noch gut saß, wenngleich er selbst doch um mehr als zehn Zentimeter gewachsen war, seit Catherine ihm diesen Umhang geschenkt hatte. Aber auch Claire konnte diesen fließenden Umhang noch gut tragen, stellte er fest. Sicher, der Saum war nun etwas höher über den Schuhen, doch zwängte er nichts von Claires Körper ein.
"Das ist amtlich, Julius. Bébé kommt morgen zu uns nach Millemerveilles. Wie wär's, kannst du deine Maman nicht fragen, ob du nicht auch gleich mit uns nach Hause kommst?"
"Deine Mutter wollte mich in den Osterferien nicht bei euch wohnen lassen. Wenn Bébé jetzt wirklich zu Virginie mitkommen muß ist das Gästezimmer auch belegt. Wo soll ich denn da wohnen? - Ach ja, bei Caro!"
"Soweit kommt's noch", fauchte Claire. "Ich denke schon, daß Maman dich doch wieder bei uns wohnen lassen wird. Aber vielleicht kannst du ja auch bei Seraphines Eltern wohnen."
"Ich denke, ich fliege erst einmal zu meiner Mutter zurück. Nachdem der Größenwahnsinnige wieder offen rumläuft will ich lieber zuerst zu ihr. Das verstehst du bestimmt."
"Wenn du am dreiundzwanzigsten wieder zu mir kommst und am achtundzwanzigsten am Sommerball teilnimmst, ist mir das recht. Ich dachte nur, es wäre einfacher."
"Habe ich auch so verstanden", erwiderte Julius ruhig.
Barbara und Edmond warteten an dem magischen Steinwall auf die Schülerinnen und Schüler. Sie trugen große Kartons mit sich. Aus jedem Karton reichten sie den hinausgehenden kleine grasgrüne Fähnchen. Julius fragte, wofür die gut seien. Edmond erzählte ihm, daß sie die für das Unterhaltungsprogramm bräuchten. Julius grinste und steckte sein Fähnchen in eine Außentasche seines Umhangs. Claire tat dasselbe mit ihrem grünen Fähnchen. Dann gingen sie hinunter in den Speisesaal, wo diesmal alle großen Tische fortgeräumt waren, wie am Elternsprechtag. Die Paare, die sich gebildet hatten, fanden sich an den Tischen weit vom Lehrertisch ein. Lediglich die durch Besenwerbung bestätigten Paare wurden von Madame Maxime, die schon im Saal stand, nach Vorne gewunken und so dirigiert, daß sie für alle sichtbar zusammensaßen.
Claire und Julius setzten sich zu Céline und Robert, sowie Sandrine und Gérard. Hercules Moulin hatte sich mit Bernadette an einen Tisch gesetzt, wo sich die zweieiigen Zwillingsgeschwister Edita und Theseus mit ihren derzeitigen Freunden Leonnie und Apollo niedergelassen hatten. Bernadette hatte sich in eine lange veilchenblaue Ballrobe gehüllt und ihr Haar mit Seidenglanzlösung behandelt.
"Sieh an, die junge Mademoiselle Lavalette hat ein neues Ballkleid bekommen", feixte Gérard, der wie Julius zu seinem Schulkameraden hinüberstarrte.
"Die wird ja schon vorher gewußt haben, daß sie die Jahrgangsbeste wird", bemerkte Robert dazu. Céline nasrümpfte:
"Worauf sie sich mehr einbildet als eine Violette."
Julius sah sich weiter um und entdeckte Patrice Duisenberg bei ihrer Nichte Corinne. Sie trug ein chartreusefarbenes Ballkleid und hatte sich mit Halsketten aus dünnen Silbergliedern geschmückt. Corinne stubste sie an, und sie wandte sich Julius zu.
"Ui, Claire, pass auf den auf. Ich glaube, Tante Patrice hat deinen Schatz ins Visier genommen", tönte Gérard. Claire sah ebenfalls zu Patrice und meinte:
"In dem Kleid will sie doch, das man sie ansieht. Die darf ja dann wohl zurückblicken."
Die bereits verlobten Paare, wie Belle und Adrian, Barbara und Gustav, Jeanne und Bruno und Amèlie und Henri, saßen direkt vor dem Lehrertisch. Jeanne trug wieder jenes Tanzkleid aus rosiggoldener Seide, in dem sie Julius zum trimagischen Weihnachtsball begleitet hatte. Oder war es eher umgekehrt?
Madame Maxime wartete, bis alle sich von selbst beruhigten. Dann hielt sie eine kurze Tischrede: "Meine hochgeschätzten Kolleginnen und Kollegen, liebe Schülerinnen und Schüler der Beauxbatons-Akademie,
es ist mir eine Ehre und große Freude, nach zwei Jahren wieder selbst zum Schuljahresabschlußball zu laden. Ich freue mich für Sie alle, daß wir wieder ein anstrengendes, abwechslungsreiches, ja auch turbulentes Jahr hinter uns gebracht haben. Wir haben uns an neue Gesichter, Namen und Charaktere gewöhnt, wie jedes Jahr, aber auch dabei Eindrücke aus anderen Lebenswelten bekommen. Wir mußten uns von zwei Schülern trennen, die die Fürsorge und Hingabe unserer Akademie mit grobem Undank lohnten." Constance Dornier rümpfte die Nase. Doch weil sie direkt neben Seraphine saß, verkniff sie sich einen zwischenruf. "Sie und auch wir Lehrer, haben lernen dürfen, daß wir stets auf ungewöhnliche Situationen vorbereitet sein müssen, die auf den ersten Blick komisch oder unangenehm erscheinen mögen, aber im Nachhinein auch zeigen, was wahre Stärken und Veranlagungen ausmachen.
Gemäß dem üblichen Ablauf haben wir heute die Gelegenheit, uns von denen, die uns über Jahre lieb geworden sind oder die uns als Saalsprecher oder ältere Verwandte durch den Alltag begleitet haben, zu verabschieden, ohne die Hektik des Aufbruchs in die Ferien. Deshalb gilt mein letztes Wort dieser kurzen Rede denen, die von morgen an ihre eigenen Wege gehen.
Ich freue mich, eine weitere Generation junger Hexen und Zauberer im Schoße dieser Lehranstalt aufwachsen und reifen gesehen zu haben. Einige davon haben mich im letzten Jahr zum trimagischen Turnier nach Hogwarts begleitet und auch dort bewiesen, wie verantwortungsvoll und kultiviert sie waren, welche Leistungen sie erbringen konnten und daß sie sich auch neue Kontakte in der Zaubererwelt erschließen konnten. Der Schatten, der sich damals bereits auf unsere Welt legte, ist nun noch deutlicher und dunkler geworden. Doch gebe ich Ihnen mit auf den Weg, daß in der tiefsten Finsternis das kleinste Licht seinen eigenen Raum erobert. Lassen Sie sich nicht von Ihrem Weg abbringen, von Angst verzehren oder von einfach scheinenden Auswegen in einen Abgrund verleiten. Sie haben hier gelernt, richtig und falsch zu unterscheiden und festgestellt, daß der richtige Weg meistens der unbequemste ist, an dessen Ende jedoch die Belohnung der Anerkennung und Bewunderung, Liebe und Verbundenheit wartet. Das Licht, das Sie hier in Beauxbatons aus eigenem Geist und Herzen entfacht haben, wird sie ab morgen auf ihrem Lebensweg begleiten, ihnen den richtigen Pfad erleuchten und ihnen die lichtscheuen Gestalten am Wegesrand zeigen und diese vor ihnen zurückweichen lassen, wenn Sie nicht selbst das Licht fortwerfen, das Ihnen hier in die Hände gegeben wurde. Ich sehe unter Ihnen Damen und Herren, die sich in den sieben Jahren menschlich angenähert haben, die erkannten, daß sie zueinandergehören." Dabei deutete sie auf die Paare der Verlobten. "Ihnen wünsche ich auf dem gemeinsamen Lebensweg alle Stärke, die Sie einander geben können, all die Liebe, um sich gegenseitig zu wärmen und zu halten und alle richtigen Entscheidungen, um in dem ewigen Strom des Lebens nicht unterzugehen.
Lassen Sie uns nun mit dem Festmahl zur Einleitung des Schuljahresabschlußballes beginnen!"
Alle klatschten Beifall und bedankten sich bei ihrer Schulleiterin. Dann kam das Essen. Es war ein leichtes Menü, erkannte Julius. Offenbar sollten sie satt aber nicht schwer werden. Eine Stunde dauerte es, bis der Nachtisch, ein erfrischender Fruchtschaum, verzehrt war und die Schulleiterin sich erneut an die Kollegen und Schüler wandte.
"So lasst uns nun zur Aula gehen, um dort mit Musik, Tanz und anregender Unterhaltung das Jahr vollenden!"
Sie stand auf und führte ihre Schüler aus dem Speisesaal hinüber zu der Aula, die durch einen Illusionszauber den Eindruck vermittelte, in freier Natur unter dem sternenklaren Sommerhimmel zu sein. Julius fühlte das Gras unter den Schusohlen. Natürlich war hier kein echtes Gras. Aber der fühlbare Eindruck war doch deutlich. Wie beim Millemerveilles-Sommerball wurde eine große, rechteckige Tanzfläche von kleinen beleuchteten Tischen umfaßt. Julius wußte, wo von der Aula aus die Toiletten für Jungen und Mädchen zu erreichen waren. hinter dem Parkett war eine Rampe aufgebaut, auf der dreißig Reihen Stühle hintereinander und zu je dreißig Plätzen, unterbrochen von vier Zwischengängen, aufgestellt waren. Sie deuteten alle auf die große Bühne, die von frei schwebenden Kerzenleuchtern warm angestrahlt wurde. Die Saalsprecher und Lehrer wiesen den Schülern ihre Plätze zu, wobei nach Schulklassen sortiert wurde. Julius setzte sich mit Claire, Céline, Sandrine, Robert und Gérard in die dritte Reihe von unten, die zweite Reihe von rechts.
Madame Maxime trat auf die Bühne und verkündete, daß nun das Abschlußfestkommitee der UTZ-Abschlußklasse ein einstündiges Unterhaltungsprogramm mit Spiel und Musik aufführen würde. Sie übergab das Wort an die Kommiteevorsitzende, Jeanne Dusoleil. Julius wunderte sich, wo er hier in den Zuschauerrängen saß, wie klar und deutlich alle Wörter bei ihm ankamen, als würden sie aus einem Netz unsichtbarer Lautsprecher übertragen. Vielleicht war es eine Erweiterung des Sonorus-Zaubers, eben nicht auf eine Schallquelle beschränkt, sondern einen bestimmten Bereich umfassend.
"Sehr geehrte Madame LaDirectrice, verehrte Mitglieder des Lehrerkollegiums unserer Akademie, hallo, ihr, die es bis zu sechs Jahre mit uns ausgehalten habt!" Rief Jeanne. Alle lachten und klatschten. "Wir werden Ihnen und euch nun in einer beschwingten Stunde unsere sieben Jahre erzählen. Einiges davon war grundsätzlich zum lachen. Das was einigen von Ihnen oder euch keinen Anlaß zum lachen gab, haben wir dramaturgisch so umgestaltet, daß nun alle darüber lachen können. Denn, so lautet eine Weisheit, worüber man nicht auch lachen kann, sollte man auch keine Träne vergießen. Zum auftakt unserer Darbietung möchte ich nun alle Schülerinnen und Schüler bitten, die von den Saalsprecherinnen und Saalsprechern, sowie ihren Stellvertretern überreichten Fähnchen hervorzuholen, um nun unsere Akteure bei ihrem Einmarsch zu unterstützen. Los geht's!"
Ein Orchester aus animierten mechanischen Musikern spielte erst einen langen Tusch, während dem alle die ausgegebenen Fähnchen herausholten. Sandrines zitronengelbes Fähnchen fiel bei allen grünen Fähnchen dieser Sechserreihe heftig auf, wie eine Dotterblume auf weiter Flur. Jeanne hob ihren Zauberstab, schwang ihn einmal kurz auf und ab. Unvermittelt wuchsen die vorher Hosentaschengroßen Fähnchen zu richtig langen Flaggen mit einer Stange von anderthalb Metern länge und Tüchern groß wie vier zusammengenähte Platzdeckchen. Julius mußte rasch zupacken, um die auch schwerer gewordene Flagge zu halten, damit sie nicht dem gerade einen Meter vor ihm sitzenden Zweitklässler auf den Kopf krachte. ER selbst duckte sich, um nicht selbst von seinem Hintermann gehauen zu werden. Er wandte sich um und sah Corinne Duisenberg, die ihre Fahnenstange mit himmelblauem Tuch daran stolz nach oben reckte.
"Mann, das hätte Jeanne mir aber mal sagen können", knurrte Claire, die fast ihre Fahne aus den Händen verloren hätte.
"Interessanter Zauber. Den muß ich noch lernen", sagte Julius.
"Dann komm zu uns! Dann bringt Papa ihn dir bei", lachte Claire. "Das ist der selbe Zauber wie bei der Centinimus-Bibliothek."
"Autsch, natürlich", fiel es Julius ein. Offenbar hatten sie die Tragekartons so behext, das alles was hineingelegt wurde verkleinert wurde und solange verkleinert blieb, bis man es wieder herausnahm und die Kartons schloß. Einfacher ging's nicht. Jeanne hatte einfach alle leeren Kartons zuspringen lassen, die irgendwo in der Aula versteckt waren. Julius ärgerte sich, daß er wieder analysierte. So war ihm der Gag mit den Fahnen verlorengegangen. Er verstand jetzt, weshalb die angeblichen Zauberer in der Muggelwelt ihre Tricks nie verraten durften. Wenn man's wußte, war's ja nicht mehr spannend oder lustig.
Die einsetzende Marschmusik brachte ihn wieder auf das Geschehen auf der Bühne. Dort sagte Jeanne, als Nicole, Suzanne, Francine, Bruno und Seraphine auftraten:
"Wir werden jetzt ein Lied anstimmen, in dem unsere Farben besungen werden. Wessen Farbe besungen wird, schwenkt im Takt der Musik die Fahne! - Und Los!"
Auf die Bühne marschierten nun alle dreißig Mitglieder des Kommitees mit den Fahnen ihrer Saalfarben. Die Musik spielte noch vier Takte alleine, dann begannen die ersten zu singen und schwenkten ihre entsprechenden Fahnen:
"Uns Blaue nennt man "Die Chaoten"
oder auch "Die Idioten".
Doch was stimmt, das weiß keiner genau.
Wir denken, wir sind eh gescheiter,
stecken unsere Grenzen weiter.
Denn unsere Farbe ist ja schließlich Blau.
Blau und hell
wie das Himmelszelt,
blau und weit
wie die Meere dieser welt,
Blau ist die Farbe
der Freiheit pur.
Hell und Weit
so sind eben wir nur.
Violette seien eigen,
woll'n stets nur ihr bestes zeigen,
hätten Macht und Ruhm gar nur im Sinn.
Wahr ist, daß wir ständig werken
an den Grenzen unserer Stärken.
Denn dann ist das Leben ein Gewinn.
Violett
wie das Sonnenlicht,
daß sich im
Regenbogen bricht,
woll'n wir leuchten
in großen Höhen.
Violett,
o ist die Farbe schön!
Wir Weißen sind hier oft verschrien,
uns auf ein Fach zu beziehen.
Derartige Rede läßt uns kalt.
Denn vereint sind unsere Ziele
wie des Lebens reiche Spiele.
Geben dieser Welt erst die Gestalt.
Weiß und klar
wie der frische Schnee,
weiß wie Schaum
auf bewegter See.
Wie Federwolken
am Firmament
so sind auch wir,
so wie uns jeder kennt.
Wir grünen hört man's oft von vielen
wollen forschen und auch spielen,
Ja, dies mag so stimmen, sagen wir.
Denn im schöpferischen Handeln
und in Traumeswelten wandeln
liegt des wahren Lebens Elixier.
Grün wie der Wald
oder Wiesenrain,
grün und schön
wie der Jadestein
Lebensquell
oder Schönheit pur,
sind so grün
die Kinder der Natur.
Wir gelben, sagen viele nüchtern,
seien nachgiebig und schüchtern.
weil wir nicht gern streiten oder schrei'n.
Doch ihr werdet es begreifen:
Ruhe lässt das Gute reifen.
Stärke zeigt wohl der wer kann verzeih'n.
Gelb und warm
wie der Sonnenschein
wollen wir auch
alle Tage sein.
Gelb wie das Gold
in der Tiefe ruht,
glänzen wir
und zügeln jede Wut.
Uns Roten hält man oft entgegen,
daß wir uns sehr gern erregen,
unserem Herzen alles unterstell'n.
Freude, Trauer oder Lachen,
all des Herzens eig'ne Sachen,
sind die Lichter, die die Welt erhell'n.
Rot und heiß
wie des Feuers Glut,
rot und pulsierend
wie unser Blut,
In uns herrscht beides
im hohen Maß.
Wir streiten, lieben
und haben viel Spaß."
Zum Schluß sangen sie noch mal die Zeilen, die auf die jeweiligen Natursachen anspielten und schwenkten alle ihre Fahnen. Die Blauen gönnten sich, neben dem Takt zu singen, während die Gelben auf der Bühne dezent sangen, die Roten gröhlten, die Violetten deutlich artikulierten und die Grünen trällerten. Die Weißen sangen ihre Textzeilen mehrstimmig. Jeder eine eigene Stimme, doch zusammen ein schöner Chor, wie sie es in ihrer Strophe gesungen hatten.
"Ich frage besser nicht, wann die das geübt haben", dachte Julius, der seinem analytischen Verstand einstweilen Sendepause verordnete, um nicht noch einmal die Freude am Gag oder der Vorführung zu verpassen.
"Also bevor Nickie abgeht darf die mir den Text dalassen", lachte Corinne, als nach der dritten Wiederholung des Farbenreims die Musik ausklang. Julius fragte sich, ob das Lied nicht schon alt war. War das etwa brandneu?
Während der folgenden Stunde spielten die Festkommiteemitglieder Szenen aus dem Schulalltag. Jeanne trat dabei mal als Professeur Faucon auf, die eine Verwandlungsstunde abhielt. Julius bewunderte, wie rasch sie ihr Haar zum üblichen Knoten gewunden hatte und daß sie die saphirblauen Augen der Lehrerin besaß. Die Stunde lief jedoch nicht in der gewohnt disziplinierten Art ab, weil die Schüler Fachsen machten, nicht nur die Blauen. So wurde aus einem Käfig voller Mäuse eine Volière mit krächzenden Papageien, die lautstark jedes Wort der Lehrerin übertönten und zwischendurch auch Wörter wie "Blödsinn", "Trantüte" oder "Quatschkopf" losließen. Alle im Publikum lachten. Julius suchte die Loge der Lehrer ganz oben. Professeur Faucon lachte auch.
Dann ging es noch um den schweren Alltag des Saalsprechers. Bruno spielte sich selbst und hatte seine liebe Not, seine Schützlinge aus einer Rauferei herauszuholen. Er schaffte es erst, als er zwei Reihen bildete, die sich in einem herbeigezauberten Boxring trafen und für einige Sekunden prügelten, bis die Reihen abgearbeitet waren. Dann folgte noch einmal Unterricht, diesmal Muggelkunde. Julius lag fast am Boden, als Paximus, dargestellt von einem Siebtklässler der Gelben, der sich einen schwarzen Vollbart ins Gesicht verfrachtet hatte die Segnungen des Mobilfunktelefonierens erklärte. Er kam gar nicht dazu, ein mitgebrachtes Handy zu beschreiben, weil es immer dann nervtötend laut losträllerte, wenn er sagen wollte, was das sei. Er nahm es, hielt es verkehrt herum und drückte einen Knopf. Er rief etwas hinein und bekam keine Antwort. Deshalb legte er es wieder auf den Tisch und wollte weiterreden. Doch wieder klingelte das Handy, er nahm es wieder verkehrt herum und drückte einen anderen Knopf. Wieder bekam er keine Antwort, zumal er das Sprechende ans Ohr hielt. Julius merkte, daß er wohl nicht der einzige war, der darüber lachen und kichern mußte. Offenbar sprach das die ganzen Muggelstämmigen an, die im Zuschauerraum saßen. Als er fünf Minuten lang nichts gegen das ständig klingelnde Handy machen konnte, fand er endlich die richtige Haltung und den richtigen Knopf.
"Hallo, bist du das, Jacques? Deine Batterie geht woll alle!" Quäkte es unnatürlich laut aus dem Handy. Der gespielte Paximus erschrak so heftig, daß er das Handy reflexartig wegwarf. Ein Schüler fing es auf und drückte die Gespräch-beenden-Taste. Dann schaltete er das Handy ganz aus. Doch kaum hatte Paximus es wieder auf dem Tisch, klingelte es wieder. Er rief dann laut:
"Ich bevorzuge doch eine Eule." Dann nahm er seinen Zauberstab und sagte:
"Wenn ich Ihnen nicht erklären kann, wie dieses Instrument zu gebrauchen ist, führe ich Ihnen mal vor, was darin steckt." Er rief: "Engorgio!" Schlagartig wuchs das Handy auf Kleiderschrankgröße an. Mit einer Zauberstabbewegung ließ der Lehrer die faustdicken Verschraubungen aufspringen und klappte das Gehäuse auf. Putzmunter sprang Nicole Leauvite aus dem Gehäuse und reckte ihre Glieder. Alle lachten.
"Ich hätte mir doch 'n Radio zum verstecken aussuchen sollen", sagte sie noch. Nicht nur die Muggelstämmigen johlten vor lachen.
"Der Trick ist genial", sagte Julius zu Claire. Diese nickte und schüttelte sich vor lachen.
"Das ist ja schwierig, so zu zaubern", sagte Gérard beeindruckt. "Mit den Dingern können die echt über große Strecken sprechen?" Fragte Robert, der Muggelkunde hatte.
"Wer den Sketch geschrieben hat hat sich wirklich in der Muggelwelt umgehört", sagte Julius anerkennend. "Die Dinger nerven wirklich in den unmöglichsten Situationen. - Ja, man kann mit diesen Dingern mit Leuten sprechen, die weit weg sind, Robert."
"Dabei hat uns Paximus doch ein ganz anderes Telofon gezeigt, richtig groß mit diesem bananenartigen Teil mit Hubbeln dran und diesen Klötzchen zum eindrücken", sagte Robert.
"Man kann mit den kleinen Dingern genau dasselbe machen wie mit dem klobigen Teil, daß Paximus euch wohl gezeigt hat, Robert", sagte Julius.
Die weiteren Szenen stellten andere Schulstunden dar, wie Zauberkunst oder Zaubertränke. Immer lief es darauf hinaus, daß die Lehrerin oder der Lehrer den Unterricht nur schwer abhalten konnte. So kam bei der gespielten Zaubertrankstunde aus Professeur Fixus Vorführkessel rosa Schaum heraus, der sich im ganzen Klassenzimmer ausbreitete oder Seifenblasen, in denen Buchstaben herumschwammen, die nach dem Platzen der Seifenblase in der Luft zu albernen Wörtern zusammenkamen und laut singend umhertanzten.
In einer nachgestellten Stunde Verteidigung gegen die dunklen Künste traten Suzanne und Nicole Leauvite auf, wobei Nicole und Suzanne das gleiche dunkelblonde Haar trugen, Nicole jedoch einen langen Zopf gebunden hatte. Julius versank fast auf seinem Stuhl. Doch dann freute er sich auf den Witz, der damit gleich gemacht wurde.
"Also, Monsieur Andrews, da Sie ja schon den Patronus können, zeigen Sie uns den doch mal", sagte Jeanne als Professeur Faucon. Nicole, die Julius als Belles Vier-Tage-Zwillingsschwester darstellte, sah schüchtern umher. Dann hob sie den Zauberstab und rief: "Expecto Pantalonum!" Aus dem Zauberstab schoss ein rosarotes Wölkchen, das in der Luft schwebend ein Baby in rosa Strampler bildete. Es spuckte seinen rosa Schnuller aus und öffnete den Mund. Aus dem Mund ploppte eine Sprechblase in der Stand: "Seitdem meine Maman die Reisewindeln von Pirot & Pirot benutzt, brauche ich eine Woche lang nicht mehr gewickelt werden. Toll, ne?""
"Das ist ja wohl nicht wahr", lachte Julius
"Nun, da Sie offenbar schon an Nachwuchs gedacht haben, ist das kein Wunder, wenn Ihr Patronus so wird", sagte die gespielte Professeur Faucon mit übertrieben ernster Stimme. Alle lachten und sahen sich um. Belle, die bei Adrian saß, schien nicht sonderlich darüber lachen zu können. Ihr Zukünftiger schien für sie mitzulachen, weil er sich kugelte.
Der Krönende Abschluß der insgesamt acht Szenen war ein Besenkunstfliegen der im Kommitee befindlichen Quidditchspieler. Bälle, den Quidditchbällen ähnlich wurden gespielt. Jedoch machten die Bälle andauernd unsinn. Der Quaffel schrumpfte ein und flutschte Jeanne durch die Finger, die Klatscher winselten um Gnade, wenn ein Treiber sie weghauen wollte und wurden weich wie leere Fußbälle, und der Schnatz verwandelte sich in irgendwas, das keiner mehr fand, wie eine Fliege, ein Rauchwölkchen oder eine Pusteblume. Als der ganze Unsinn endlich vorbei war, versammelten sich alle Kommiteemitglieder zum Finale auf der Bühne. Sie hoben die Farbenfahnen und ihre Zauberstäbe. Jeanne winkte dem magicomechanischen Orchester und ließ ihren Zauberstab sanft herunterschwingen. Die Musiker stimmten ein Lied an, das irgendwie traurig, aber auch mutmachend klang. Julius wußte nicht, wieso er diesen Eindruck von der Musik hatte. Doch beide Gefühle kamen bei ihr in ihm auf.
"Mesdames, Mesdemoiselles et Messieurs, im Namen des Jahresabschlußfestkommitees der UTZ-Abschlußklasse bedanke ich mich bei Ihnen allen, daß Sie uns durch Ihren Applaus und Ihr lachen all die Energie zurückgegeben haben, die wir in diese Aufführung gesteckt haben. Jemand hat Applaus als Brot des Künstlers bezeichnet. Ich denke, wir haben gerade zwei Pfund zugenommen." Alle lachten. "Nun möchten wir, wie es hier seit 1602 Tradition ist, das Lied der Abschlußklässlerin Berenice Rossignol singen. Ich bitte alle meine Jahrgangsstufenkameraden, frei und unbeschwert mitzusingen. Alle anderen dürfen die ausgehändigten Fahnen im Takt schwenken und auch Zauberstablichter aufleuchten lassen."
Julius fischte nach seinem Zauberstab und murmelte "Viridilumos!" Claire hatte ihren Zauberstab auch gezückt und "Ruberilumos" gemurmelt. Sie erhoben sich von den Sitzen und standen gerade vor ihren Stühlen, während Jeanne ihre Flöte aus dem Umhang zog. Die Musik brach ab. Sie blies die Melodie wie eine irische Volksweise in die Aula. Andere Musiker des Kommitees stimmten mit ein. Dann begann Suzanne ein Lied auf dieser Melodie anzustimmen, und alle Siebtklässler sangen mit.
"Maman Beauxbatons, auf Wiedersehen!
Nun möchten wir auf eig'nen Füßen stehen.
Bist so weise und so alt.
Gabst uns allen rechten Halt.
Tatest auf für uns zur weiten Welt die Tür.
Maman Beauxbatons, dafür danken wir.
Für sieben Jahre gabst du uns
ein sicheres Zuhaus.
Du lehrtest uns, du nährtest uns
und schimpftest uns auch aus.
Doch jedes dieser Jahre
hat uns Stark und klug gemacht.
Nun sind sie schnell verflogen all.
Wer hätte dies gedacht?
Maman Beauxbatons, auf Wiedersehen!
Nun möchten wir auf eig'nen Wegen Gehen.
Bist so weise und so alt.
Gabst uns allen rechten Halt.
Tatest auf für uns zur weiten Welt die Tür.
Maman Beauxbatons, dafür danken wir.
Von unseren Ahnen sahst du viele
kommen und auch gehen.
Mancher davon kam zurück
und half dir beim Bestehen.
Einst werden unsere Kindeskinder
bei dir zur Lehre gehen.
Maman Beauxbatons, auf Wiedersehen!
Maman Beauxbatons, auf Wiedersehen!
Nun möchten wir die Welt im Ganzen sehen..
Bist so weise und so alt.
Gabst uns allen rechten Halt.
Tatest auf für uns zur weiten Welt die Tür.
Maman Beauxbatons, dafür danken wir."
Der Kehrreim wurde nun auch von dem Orchester übernommen und dreimal wiederholt. Dann klang die Musik aus.
Julius fühlte die heraufbeschworene Erhabenheit und Abschiedsstimmung beinahe körperlich. Er sah sich nicht um. Blickte nur Jeanne an, die beim Singen die Augen zukniff, als wäre ihr etwas hineingeraten. Oder war es eher so, daß sie aufsteigende Tränen verdrücken mußte?
"Omnoctes!" Rief Madame Maxime nach einer Halben Minute, während der die Siebtklässler ohne Begleitmusik weitersangen "Maman Beauxbatons, auf Wiedersehen!" Ein leichtes Flirren kam im Zuschauerraum auf, und sämtliche Zauberstablichter erloschen. Dann flammten die Kerzen an den Tischen wieder auf, Die Lehrer erhoben sich und stiegen aus der Loge nach unten zur Bühne. Sie beglückwünschten die Darsteller zu ihrer Aufführung und tauschten fröhliche Bemerkungen aus. Julius bemerkte, wie die große Fahne, die er fest umklammert hielt, leichtr und kleiner wurde, bis sie wieder das kleine Fähnchen mit dem streichholzdünnen Stängchen war, das locker in seine Umhangtasche passte. Barbara kam durch den rechten Zwischengang und trat in die Reihe ein, wo er saß.
"Gebt mir bitte eure Fähnchen, zumindest die Kinder der Natur unter euch!" Claire, Julius, wie auch die anderen Grünen gaben die nun wiederverkleinerten Fähnchen ab. Sandrine sah Francine, die von links die Reihen hinabstieg und winkte ihr mit ihrem gelben Fähnchen. Francine kam herbei und ließ es sich geben.
"Hätten wir die nicht behalten können?" Fragte Claire. Julius nickte zustimmend. Immerhin hätten sie die ja wirklich im nächsten Jahr gebrauchen können. Dann sah er Nicole Leauvite, die die Fähnchen der Blauen einsammelte. Sie sah Julius und strahlte ihn an. Dann kam sie hoch und sagte:
"Ich habe dich lachen sehen können, als ich diese Patronus-Stunde gespielt habe. Ich hätte gedacht, dich hätte das damals so heftig mitgenommen, daß du darüber nicht lachen könntest."
"Ich bin der Sohn einer englischen Mutter. Ich habe den Humor mit der Muttermilch aus der linken Brust gesogen", lachte Julius.
"Ach, und aus der rechten?" Grinste Nicole.
"Die Gründlichkeit, Nicole. So heftig habe ich in der echten Szene nicht mit dem Allerwertesten gewackelt. Mademoiselle Grandchapeau mochte das nicht sehen."
"Aja, Julius! Schönen Abend noch", grinste Nicole und holte sich von Patrice und ihrer Nichte die kleinen blauen Fähnchen zurück.
Nachdem sämtliche Zuschauer an die Tische um die Tanzfläche getreten waren schrumpfte die Zuschauertribüne ein, hob ab und segelte in die Aula davon, wo sie irgendwo verschwand.
"Also meine Tante Alison wäre jetzt vor Neid erblaßt, was man alles so einschrumpfen und zusammenpacken kann. Die mußte immer vier Koffer packen, um irgendwo hinzufahren", erzählte Julius, als er mit Claire und den vier bisher bei ihnen gebliebenen Klassenkameraden saß.
Der Tanzabend wurde von den Abschlußklässlern eröffnet, wobei die einander versprochenen Paare zuerst auf die Tanzfläche traten und sich dem Wiener Walzer hingaben. Nach und nach traten auch die übrigen Tanzwilligen aufs Parkett und drehten sich im Takt der Musik. Madame Maxime tanzte mit Professeur Paximus, während Professeur Faucon mit Professeur Armadillus tanzte. Claire zeigte durch Körperhaltung und Bewegungen, daß sie sich freute, mit Julius so gut tanzen zu können.
Beim nächsten Tanz tauschten sie die Partner. Julius durfte mit Céline Tanzen, Claire mit Gérard und Robert mit Sandrine. So ging das einige Stücke weiter, bis Jeanne heranschwebte und Julius abklatschte. Claire zog sich zurück und nahm die Aufforderung von Gustav van Heldern an, dessen Partnerin Barbara gerade mit Yves tanzte. Julius war sich klar, daß Jeanne nicht nur tanzen wollte, weil Claire zu rasch das Feld geräumt hatte.
"Hi, Jeanne. Das war echt genial, die ganze Schau. Wielang habt ihr dafür geprobt?" Fragte Julius.
"Die letzten vier Monate, wenn keine anderen Freizeitkurse waren. Allein die Ulkzauber haben Zeit gekostet. Suzanne meinte, du könntest ihr das übelnehmen, daß wir die Stunde bei Professeur Faucon verulken, wo du und Belle Zwillinge wart. Da hat sie sich wohl getäuscht."
"Das war doch oberwitzig, was ihr daraus gemacht habt. Aber das mit dem Handy war der Brüller. Wer von euch kennt sich denn so gut aus?"
"Amelie hat einen Cousin, der die Verständigungsmittel der Muggel erforscht. Der hat ihr das aufgeschrieben, wie es mit diesen Dingern geht", sagte Jeanne. Dann meinte sie: "Irgendwie ist das jetzt komisch. Da habe ich sieben Jahre in dieser Schule gesessen, mich sehr oft über die Lehrer geärgert oder über mich selbst, mal nicht gewußt, ob ich nicht doch von hier runterfliege, und jetzt ist das vorbei. Sieben Jahre sind morgen einfach um."
"Wenn ich das mit Hogwarts vorher gewußt hätte, also daß ich da nicht mehr hinfahre, hätte ich wohl auch sowas gefühlt. Ähnlich ging es mir ja, als ich herkam. Ich habe Leute zurückgelassen, mit denen ich super ausgekommen bin und mich auf was irgendwie verrücktes eingelassen."
"Interessant, nicht wahr. Bei dir war es genau andersherum. Aber klar, irgendwie bist du ja aus einer Gemeinschaft rausgezogen worden, bevor du das richtig begriffen hast. Aber dafür haben wir dir ja gut geholfen. Oder ist es nicht so?"
"Ich weiß nicht wie ich das sagen soll, Jeanne", setzte Julius an und blickte sich verschüchtert um. "Aber ich wüßte jetzt auch nicht mehr, warum ich damals meinte, hier wäre alles so kalt. Sicher, die Regeln, das Arbeiten und der ständige Kampf mit irgendwelchen Strafpunkten ist ja da. Aber zumindest hatte ich dieses Jahr das Gefühl, ich würde hier ein Zuhause haben. Klar, wo meine Mutter jetzt wohnt ist ja noch kein richtiges Zuhause geworden. Aber hier lief es besser als ich erst gedacht habe."
"Wenn du das jetzt mitbekommen hast, wie wir hier feiern und auch mitbekommen hast, daß die meisten Siebtklässler dieses Lied wirklich ernst mitgesungen haben, dann bist du hier zu Hause. Sicher, deine Freunde in Hogwarts hast du nicht vergessen. Aber hier hast du ja neue gefunden", sagte Jeanne.
"Sagen wir lieber erst einmal gute Schulkameraden. Wundere mich eh, daß ich hier so gut reingekommen bin als Neuer."
"Woran wird das wohl gelegen haben?" Fragte Jeanne lächelnd.
"Weil ich welche von euch schon kannte", schlußfolgerte Julius. Jeanne nickte.
"Sicher hast du dich einsortieren müssen. Aber du hast auch immer wen gefunden, der oder die dir sagt oder zeigt, wie es ging. Sicher kann es noch Tage geben, wo du mit Leuten hier Probleme kriegst. Aber alles in allem bist du jetzt hier. Ich bin auch froh, daß Claire und du euch immer noch vertragt. Maman hat schon gemeint, das könnte sich zerschlagen, wenn ihr jeden Tag zusammenhängt. Andererseits hat sie auch gemeint, daß ihr beide euch nicht einfach aufgebt. Wenn ich also morgen hier ganz rausgehe weiß ich, daß meine Schwester nicht alleine ist, wenn sie wieder herkommt."
"Ich hoffe nur, die Welt geht vorher nicht zum Teufel", unkte er in Gedanken an Voldemort.
"Als ich zur Welt kam gab es ihn schon, und er hatte Anhänger in Frankreich. Trotzdem bin ich heute mit der Schule fertig geworden, meine Eltern haben Claire und Denise gekriegt. Barbara hat zwei Schwesterchen, die genau an dem Tag geboren wurden, wo Cedric Diggory von ihm umgebracht wurde. Er ist brutal und skrupellos. Aber die ganze Welt kann er nicht zerschlagen. Dafür ist er immer zu schwach", gab Jeanne ihm tröstende Worte mit. Julius nickte. Zu glauben, daß Voldemort die Welt zerstören würde, machte diesen stärker als vorher.
"Wie gesagt, ich bin froh, daß du mit meiner Schwester so gut zusammengekommen bist. Wenn sich das hält, wirst du wohl in fünf Jahren endgültig nach Millemerveilles umziehen", wagte Jeanne eine Voraussage. Julius grinste nur.
"Ich hoffe nur, das meine Mutter das dann so hinnimmt. Es ist eine Sache, mit jemandem befreundet zu sein. Aber wenn ich wirklich mit einer Hexe zusammenbleiben möchte, wird Mum vielleicht doch anders darüber denken."
"Ich gehe davon aus, daß ihr beiden zumindest zu Claires Geburtstag nach Millemerveilles kommt. Falls sie nicht anderswo mit dir hinwill, kann sie sich mit Maman und Papa unterhalten. Sie hat ja ein außerordentlich tolles Sprachengedächtnis."
"Das macht dieser Gedächtnisverstärker in dem Sprachlernbuch. Aber sonst stimmt das auch. Mum hat ja von Berufswegen ein tolles Gedächtnis."
"Ich wünsche dir auf jeden Fall viel Erfolg und Vergnügen für die nächsten vier Jahre hier!"
"Und ich wünsche dir für den Beruf, den du dir ausgesucht hast und für dich und Bruno alles gute!" Erwiderte Julius den Gruß.
Nach diesem Tanz forderte er Laurentine auf, die bei Virginie saß und versuchte, sich unsichtbar zu halten. Diese sah ihn perplex an, nickte dann aber und tanzte mit ihm. Sie erzählte ihm während des Foxtrotts, daß sie wahrhaftig zu Madame Delamontagne in die Ferien sollte, zumindest die Zeit bis zum ersten August.
"Wie ist denn diese Madame Delamontagne so drauf?" Fragte sie.
"Ähnlich wie Professeur Faucon, Bébé. Ich will dir nichts böses über sie erzählen, aber ich denke, sie wird dich heftig drangsalieren, wenn du nicht machst, was sie dir sagt. Sie ist die wichtigste Hexe in Millemerveilles. Alle respektieren sie, auch Professeur Faucon. Versuch also am besten, das zu lernen, was sie dir beibringen will! Ich sage nicht, daß du dich mit ihr gutstellen mußt. Ich denke, sie würde es merken, wenn du heuchelst oder nur das kleine, brave Mädchen spielst. Aber ich denke, Virginie hat dich wohl schon eingetunet."
"Sie sagte mir, daß ich bei ihrer Mutter lernen würde, was eine Hexe können muß. Sie sagte auch, daß sie erlauben dürfe, daß Minderjährige zaubern. Stimmt das?"
"Ja klar, Bébé. Ich hab's selbst ja oft genug erlebt."
"Zumindest kann ich dann mal zu Claire, wenn sie Geburtstag hat. Vorausgesetzt, diese Madame Delamontagne läßt mich da hin."
"Ich denke, das ist eine der Sachen, die sie dir auf jeden Fall beibringen will. Wie gesagt: Sie erwartet von allen Respekt und kann sehr willensstark sein. Ich habe es im letzten Sommer gemerkt, wie sie mir gesagt hat, daß ich wohl nicht nach Hogwarts gehen dürfe, wenn sie meint, ich könnte da unter die Räder kommen. Tja, und jetzt hänge ich hier herum."
"Sechs Wochen gehen schnell um und blöd ist mein Vater ja doch noch nicht. Vielleicht hat's ihn auch nur gewurmt, daß seine Rakete explodiert ist."
"Ach, stimmt", erinnerte sich Julius an etwas, das seine Mutter ihm nach den Prüfungen geschrieben hatte. "Die Fünfer ist ja kurz nach dem Start in die Binsen gegangen. Das waren bestimmt jede Menge Arbeitsstunden, die da über dem Atlantik zerbröselt sind."
"Stunden ist gut, Julius", lachte Laurentine. - Sie konnte ja doch noch lachen! "Es waren Jahre."
"meine Mutter hat mir noch gar nicht geschrieben, wer Fußball-Europameister geworden ist. Das ist ja auch in der Zeit gelaufen, wo die Prüfungen und dieser Artikel im Miroir passiert sind."
"Du interessierst dich noch für Fußball? Du hast dieses Jahr diesen Quidditchpokal geholt, eigenhändig und unter Einsatz deines Lebens", wunderte sich Laurentine.
"Ja, aber mitreden will ich dann doch noch", sagte Julius. "Ich war mal mit meinem Paps auf einer Feier eines anderen Wissenschaftlers. Dessen Neffen und Nichten haben mit mir über den ganzen Muggelkram geredet. Wenn ich da nicht auf der Höhe gewesen wäre, uiuiui."
"Das ist ja gerade mein Problem. Meine Eltern wollen nicht, daß ich hier alles verpasse, was zu Hause total wichtig ist. Die haben 'ne Satschüssel auf dem Dach, mit der sie alle europäischen und ein paar amerikanische Sender reinkriegen, surfen im Internet rum und machen Videokonferenzen. Hier gibt's ja nicht mal ein Telefon das funktioniert."
"Ohne jetzt was fieses zu fragen: Hast du noch Kontakt mit deinen Freunden von früher?"
"Was man so Freunde nennt, Julius. Ich war ja schon immer in exklusiven Schulen, wo Kinder von wichtigen Leuten hingingen. Aus den Augen aus dem Sinn, denke ich mal"
"Dann sieh das mal so. Mit Claire, Caro und Sandrine kannst du jetzt die ganzen Ferien verbringen, was vorher nicht ging. Ändern kannst du das jetzt eh nicht mehr. Über diesen Frust bin ich auch irgendwann weg, daß Erwachsene einfach bestimmen, wo und mit wem ich rumhängen sollte. Die sind älter, haben mehr Erfahrung und meinen daher, alles über dich richtig entscheiden zu müssen. Millemerveilles ist auf jeden Fall besser als irgendwo bei irgendwelchen alten Jungfern vom Ministerium oder mürrischen Schreibtischzauberern aus der Ausbildungsabteilung."
"Ja, stimmt. Dir hat es ja wohl nicht geschadet", grinste Laurentine. Julius nickte zwar, fügte aber an, daß die Leute dort ihr gegenüber anders drauf sein könnten, weil sie zum einen in den ersten beiden Jahren nichts machen wollte und zum zweiten ein Mädchen sei.
"Ich weiß, die Hexen haben hier in Frankreich mehr zu tun und zu sagen. Könnte sein, daß mich diese Madame Delamontagne deshalb heftiger drangsaliert."
Der Tanz war vorbei. Laurentine zog sich zu Virginie zurück, die mit Donata Rocher, Césars Cousine aus der Gegend von Grenobel, von der Julius wußte, daß sie die Nachfolgerin von Martine Latierre als Saalsprecherin werden würde.
Martine selbst sah, daß Julius keine Tanzpartnerin hatte und winkte ihm. Er schlängelte sich so schnell wie möglich durch die sich formierenden Paare und stand zehn Sekunden später vor ihr.
"Ich habe in diesem Jahr noch nie mit dir tanzen können", sagte Martine. Julius nickte. Er nahm ihre Aufforderung an, da gerade Damenwahl war und er noch nicht zu müde war.
Während des Tanzes unterhielten sie sich über das abgelaufene Jahr, die Sache mit dem verhungerten Körpertauschfluch und die Pflegehelfertruppe, sprachen aber auch über Millie.
"Ich will nicht über meine Schwester herziehen oder über sie sprechen, wo sie nicht dabei ist, Julius. Ich möchte dir nur sagen, daß sie dich noch nicht aufgegeben hat. Falls du also irgendwann doch ohne Freundin dastehst, sei drauf gefaßt!"
"Im Moment wüßte ich nicht, was zwischen Claire und mir passieren sollte, daß wir wieder auseinandergehen, Martine. Außerdem denke ich, daß deine Schwester es doch irgendwie begriffen hat."
"Du hast ja gehört, was über die roten gesungen wurde. Verstand ist im Leben nicht so wichtig wie das Herz."
"Dann frage ich mich doch heftig, was Millie an mir findet?"
"Das solltest du sie selbst fragen. Die hat gerade von Hannibal abgelassen. Ich denke, die will zu uns."
Tatsächlich kam Mildrid Latierre herüber, sah ihre Schwester an, dann Julius und klatschte ihn ab. Martine ließ ihr das durchgehen. Julius warf sich ungestüm in den laufenden Tanz und sah seine Tanzpartnerin dabei genau an. Diese fragte irgendwann:
"Hat meine Schwester dich vor mir gewarnt, Julius? Du siehst mich an, als würdest du auf einen Angriff warten."
"Sie meinte nur, daß ich mich gut mit dir vertragen soll, wenn sie nicht mehr dazwischengehen kann", sagte Julius. Warum sollte er Millie auch vorgaukeln, sie hätten nicht über sie geredet?
"Ich denke von meiner Seite besteht da kein Problem", lächelte Millie tiefgründig. Julius dachte daran, sie direkt zu fragen, warum sie hinter ihm her war. Aber dann fiel ihm ein, daß hier vielleicht nicht der beste Augenblick war. Nachher bildete sie sich wirklich was drauf ein. So hielt er den Rest des Tanzes mit ihr ein hohes Tempo durch. Sie bedankte sich bei ihm und schob zufrieden grinsend ab. Claire kam wieder zu Julius, und er tanzte mit ihr den langsamen Walzer.
Im Laufe des Abends konnte sich Julius von allen denen verabschieden, die er ab morgen nicht mehr so schnell sehen würde, wie Francine oder Barbara. Diese sagte ihm noch:
"Du bist jetzt bei uns in Beauxbatons angekommen. Wenn nichts weiteres wegen deiner Eltern passiert, kannst du hier noch vier schöne Jahre verbringen. Ich freue mich richtig, daß ich dir helfen konnte, den Umstieg zu schaffen. Vertrag dich gut mit deinen Klassenkameraden und auch mit den Saalsprechern, die nach Edmond und mir dran sind. Vielleicht lese ich ja irgendwann, daß du selbst die goldene Brosche trägst."
"Das hoffe ich doch mal nicht. Edmond ist ja in diesem Job regelrecht ungenießbar geworden."
"Ich auch?" Fragte Barbara.
"für mich nicht. Aber als ich Belles Zwillingsschwester war war ich ja nicht im grünen Saal."
"Achso, du meinst, ich sollte Claire oder Laurentine fragen, wie sie mit mir auskamen. Vernünftige Antwort", lächelte Barbara. Dann meinte sie: "Ich weiß nicht, warum Edmond sich in den letzten beiden Jahren so gewandelt hat. Der hat genauso angefangen wie du, wissensdurstig, hilfsbereit aber auch zurückhaltend, wenn er nicht gebraucht wurde. Ich gebe dir recht, daß die Brosche zentnerschwer wiegen kann, wenn du entscheiden mußt, ob du jetzt Klassenkameradin oder Saalsprecherin sein mußt. Aber ich hab zumindest von meinen Klassenkameradinnen gute Zeugnisse bekommen und von Madame Maxime und Professeur Faucon. Mit dem Ergebnis kann ich morgen in Ruhe hier abgehen."
"Für dich wird's ja dann heftiger mit der Umstellung als für Jeanne, denke ich."
"Wie gesagt liegt zwischen Brüssel und Millemerveilles eine Minute mit einmal umsteigen in Paris. Insofern mache ich mir da keine Sorgen, die alten Freunde zu verlieren. Aber ich bin ja bis zum neunundzwanzigsten in Millemerveilles. Zwischendurch kommst du ja auch noch einmal rüber."
"Wenn meine Mutter nicht bereits Flugkarten für eine lange Reise gekauft hat", warf Julius ein.
"Oh, das darfst du nicht einmal denken. Zumindest nicht, wenn meine Mutter in der Nähe ist oder Madame Delamontagne", zischte Barbara. "Heuler kommen überall an."
"Ich kriege schon raus, wie man die stummschaltet. Wird ein neues Projekt werden", sagte Julius siegessicher.
"Apropos, hast du diese Zauberlaterne nun auf dem Markt?"
"Ich habe Monsieur Dusoleil und Mr. Lighthouse in Australien Lizenzangebote gemacht. Dann habe ich noch Prazap und den Laden von Arcadia Priestley angeschrieben. Alles nachdem die Prüfungen durch waren. Mal sehen, was davon zurückkommt."
"Oh, ich dachte schon, du hättest das Interesse daran verloren."
"Claire hat gesagt, daß ich die Laterne ruhig vermarkten darf, solange ihre Bilder dafür nicht kopiert werden", antwortete Julius. Barbara nickte.
"Jedenfalls wünsche ich dir noch einen schönen Abend und einen guten Einstieg in die Ferien!"
Nachdem Julius noch mit Belle Grandchapeau getanzt hatte, die sich noch mal bei ihm bedankte, daß er sie nicht lächerlich gemacht hatte, als sie beide zusammengeflucht waren und wünschte ihm noch einmal so erfolgreiche vier Jahre, wie das nun abgelaufene Schuljahr eins war.
Als der Ball um zwölf Uhr zu Ende war, spürte Julius seine Beine. Er hatte fast keinen Tanz ausgelassen, zwischen dem einen und dem anderen Partnerwechsel an einem der Tische was getrunken und sich gut und lange unterhalten. Claire hatte mit keinem Wort protestiert. Sie wußte, daß Julius gerade bei den Pflegehelferinnen und Belle Grandchapeau einige Punkte gemacht hatte und die sich gerne von ihm verabschieden wollten. Als dann alle wieder in den Betten lagen, dachte Julius noch einmal an alles, was in dem Schuljahr gelaufen war. Der Teppich der Farben, über den er gegangen war, der erste Schultag, an dem er auf einen sehr strengen Befehl Professeur Faucons Laurentine eingeschrumpft hatte, sowie die Aufnahme in den Pflegehelfertrupp. Er dachte an die vier Tage in Belles Körper, die ihm nicht nur den Alltag der siebten Klasse geboten hatten, sondern ihm auch die Lebenswelt einer jungen Frau zumindest begreifbar gemacht hatten. Die Sub-Rosa-Gruppe, die auf die Entwicklungen in Hogwarts einging, gab es nun nicht mehr. Doch irgendwie fühlte er sich stolz, ihr angehört zu haben, ja einen wesentlichen Beitrag zu ihrer Arbeit geleistet zu haben. Er dachte an Quidditch, den Ganymed 10 und die strahlenden Gesichter, als er mit Jeanne, Barbara, Virginie und den anderen den großen Pokal entgegengenommen hatte. Wie hatte er sich Bange gemacht, Constance während ihrer Schwangerschaft zu betreuen und bei der Geburt ihrer Tochter mitzuhelfen. Doch jetzt war er froh und stolz, dieses Wunder des Lebens mit eigenen Sinnen erfahren zu haben, und daß die Kleine neben ihrem Rufnamen Cythera noch die Namen der Mütter trug, deren Kinder ihr auf die Welt geholfen hatten, Camille, Hippolyte und Martha. Immer noch unheimlich wog die Erinnerung an den Ausflug in die Gemalte welt von Hogwarts, die Insektenmonster, die ekelhaften grünen Würmer und das bösartige Selbstportrait Slytherins, das ihn umzubringen versucht hatte und selbst und alle seine Bilder mit ihm in einer Hölle wütender Elemente vernichtet wurde. Er dachte an Lady Medea, die gemalte Version einer früheren Hexenmatriarchin, die ihm verheißen hatte, daß ihre Wünsche und die Wünsche derer, die mit ihr seien, ihn begleiten würden. Das klang als Abschiedsgruß angenehm. Doch Julius ahnte, daß damit Ungemach für ihn verbunden sein mochte, denn Medea hatte die Nachtfraktion der schweigsamen Schwestern geführt, eine von einer ehrenwerten geheimen Hexengemeinschaft abgespaltene Gruppe, die skrupellos die dunklen Künste nutzte, um die eigenen Ziele zu verfolgen. Hatte er also Feinde in der Zaubererwelt gewonnen? So gesehen hatte er sich's mit Voldemort verscherzt, weil er dessen Plan zunichte gemacht hatte, über Slytherins Galerie des Grauens die Herrschaft über die Zaubergemälde und damit indirekt auch über die natürliche Welt zu bekommen. Ja, sogesehen hatte er nun Feinde. Das wog die düsteren Stunden in der Gemäldegalerie von Hogwarts noch schwerer. Doch andererseits hatte er sich und der Welt das Spionagenetz Voldemorts erspart. Dieser würde nun nicht so leicht wie ursprünglich geplant alle Fäden in die Hand bekommen. Zum Schluß dachte er an Goldschweif, die Knieselin. Dieses Katzenwesen war kein dummes Tier, wie er ursprünglich gedacht hatte. Sie hatte sich ihn als menschlichen Vertrauten ausgesucht und ihm sogar in der Galerie Slytherins das Leben gerettet. Doch bis Viviane Eauvive ihm und ihr gezeigt hatte, daß Claire und er keine leiblichen Geschwister waren, hatte sie versucht, die gerade richtig tiefgehende Beziehung zu stören. Er dachte an Claire, Millie, Belisama und Sandrine, die irgendwie um ihn herumliefen und hofften, er würde sich mit einer von ihnen zusammentun. Claire hatte dieses heimliche Ringen gewonnen und war nun die erste feste Freundin, die er in seinem Leben hatte. Sicher, er war auch ihr erster fester Freund, und sowas mußte nicht gleich für die Ewigkeit halten. Doch im Moment wußte er nicht, mit welcher anderen er besser kuscheln, tanzen, singen, musizieren, lachen, zanken und reden konnte. Über diese aus den Tiefen eines vergangenen Jahres heraufgeholten Erinnerungen schlief er ein.
__________
Ich sitze auf dem weichen Schlafstein vor Julius' Schlafhöhle. Er hat sich gerade erst hingelegt. Ich spüre, daß er leicht aufgeregt ist. Offenbar besteht was bevor. Oh, es wird wohl wieder diese Zeit sein, wo die Jungen aus diesem Steinbau alle weg sind und erst wiederkommen, wenn der Mond einmal gewechselt hat. Wird er mich mitnehmen, oder wird er mich wieder hierlassen. Er hat Angst vor jemanden. Ich will nicht, daß er angegriffen wird. Er kann kämpfen. Das weiß ich. Aber beim Kämpfen kann man sterben. Wird er da, wo er hingeht, beschützt? Ich klettere wieder herunter und laufe durch die Dunkelheit, um mir mein Fressen zu fangen.
__________
Der Sonntag der Abreise begrüßte die Beauxbatons-Schüler mit strahlendblauem Himmel und gleißendem Sonnenschein. Julius trainierte mit Barbara und den Montferres, Mildrid Latierre und den Rossignol-Brüdern beim Quidditchstadion. Julius hatte es endlich geschafft, die steigende Belastung seines Körpers durch den Schwermacher eine halbe Stunde lang auszuhalten. Doch wenn er den zwanzigseitigen Kristall an der Kette wieder abnahm, fühlte er sich wie auf dem Mond oder einem noch kleineren Himmelskörper. Bis seine beschwerten Glieder sich wieder an die normale Eigenschwere gewöhnten, mußte er immer aufpassen, daß er nicht zu weit mit den Armen ausschwang oder wie ein Känguru herumhüpfte.
"Das war also das letzte Mal hier in Beauxbatons, daß du nach meinen Anleitungen geübt hast, Julius. Im nächsten Jahr kannst du das alleine", verkündete Barbara und lächelte ihn an.
"Im Zweifelsfall sind wir ja noch da, Barbara", sagte Sabine Montferre. Barbara nickte schwerfällig. Dann nahm sie Julius noch einmal in ihre Arme und sagte:
"Wir sehen uns zwar heute noch einmal, und in Millemerveilles bist du garantiert auch bald wieder zu sehen. Aber ich wollte nicht zwischen Portal und Reisesphäre sagen, wie schön es war, dir hier bei allem zu helfen. Viel Glück und Spaß bei allem, was du hier noch so schaffen kannst!"
"Joh, danke, Barbara! Ich wünsche dir auch Spaß und Erfolg in deinem Leben", antwortete Julius nur. Dann ging er mit ihr zurück in den Palast, um sich tagesfertig anzuziehen.
Nach dem Frühstück war die letzte gemeinschaftliche Pflegehelferkonferenz. Es gab nur zwei Tagesordnungspunkte: Die Arbeit im verstrichenen Jahr und die Verabschiedung von Jeanne, Francine und Martine aus der Truppe.
"Ich möchte euch zehn allen sagen, daß ich sehr stolz und froh bin, dieses Jahr eine so gut harmonierende Gruppe Pflegehelfer an meiner Seite gewußt zu haben. Vor allem möchte ich mich bei den Damen Jeanne Dusoleil und Martine Latierre, sowie unserem Neuzugang, Monsieur Julius Andrews bedanken, daß sie mir in der an und für sich nicht erwünschten Ausnahmesituation beistanden, als Constance mit ihrer Tochter schwanger wurde und ihr bis zur erfolgreichen Niederkunft beigestanden haben. Gut, die übrigen von euch hätten mir wohl auch gerne dabei geholfen, weiß ich. Doch ich mußte in dieser Sondersituation auf Schüler zurückgreifen, die bereits in dieser Hinsicht vorgebildet waren. Ich gebe euch gleich allen noch meine Beurteilung als Anlage zu den Zeugnissen mit. Wenn ihr möchtet, könnt ihr die von euren Eltern noch unterschreiben lassen, ist für mich aber nicht so wichtig. Tut sie euch gut weg, weil ihr ja heute noch nicht wissen könnt, wofür ihr in fünf oder zehn Jahren eine solche Bescheinigung braucht!" Jeanne nickte heftig. Für sie, die sie in Millemerveilles' Apotheke anfangen wollte, waren diese Beurteilungen sehr wichtig.
Madame Rossignol verteilte die Beurteilungen und wartete, bis jede und jeder sie verstaut hatte. Dann sagte sie:
"Kommen wir zum traurig-schönen Abschluß unserer heutigen Konferenz. Heute verabschieden wir Francine Delourdes, Jeanne Dusoleil und Martine Latierre. Was euch, Francine und Martine angeht, so bedanke ich mich noch einmal dafür, daß ihr trotz der auferlegten Verpflichtungen als Sprecherinnen der Mädchen eurer Säle immer noch sehr engagiert mitgearbeitet habt. Ich hoffe, daß vor allem du Jeanne, wo du demnächst in der Herstellung magischer Arzneien arbeiten wirst, sehr viele brauchbare Eindrücke aus unserer Truppe mitnehmen konntest. Immerhin warst du ja vier Jahre mit dabei, inklusive dem Jahr des trimagischen Turniers. Die übrigen, die mit mir noch mindestens zwei Jahre durchhalten werden, dürfen sehr stolz auf sich sein, daß sie sich des silbernen Armbandes würdig erwiesen haben, das sie den anderen gegenüber doch hervorhebt. Insbesondere Sandrine und Julius, ihr habt euch trotz gewisser Zurückhaltung der einen und Umstellungsproblemen des Anderen sehr gut in diese Gruppe integriert und könnt wohl im nächsten Jahr schon als gute Vorbilder für die anderen Pflegehelfer vorangehen."
"Wenn es welche Gibt", warf Gerlinde van Drakens ein.
"Einen neuen habe ich bis jetzt immer gekriegt, Gerlinde", lachte die Heilerin. "Gerade aus den Sälen gelb und grün kamen regelmäßig Interessenten, die sich zum Dienst bis Schulabschluß bereitgefunden haben."
"Ich wurde eingezogen", grummelte Julius. Schwester Florence räusperte sich und erwiderte:
"Du hast in den letzten Sommerferien einen Kurs in magischer Erstversorgung Kranker und Verletzter gemacht, freiwillig, soweit ich weiß. Sicher bist du davon ausgegangen, daß du ja eh nach Hogwarts zurückkehrst und das da nicht so wichtig war und du halt nur etwas interessantes ausprobiert hast. Aber wer in diesem Land weit vor Erreichen der Volljährigkeit die amtliche Prüfung besteht, daß er oder sie Verletzten, Kranken oder Verfluchten helfen kann, bewirbt sich unmittelbar für die Eingliederung in meine Pflegehelfertruppe. Jetzt sage bloß nicht, deine Ausbilderin hätte dir das nicht gesagt!" Julius schwieg. "Hätte ich dir auch nicht geglaubt", bedachte Schwester Florence sein Schweigen. Dann stand sie auf und ging zu Francine. Die Saalsprecherin der Gelben streckte den rechten Arm aus, zog den Ärmel ihres Seidenumhangs hoch und entblößte das silberne Armband. Mit einigen Stubsern ihres Zauberstabes löste die Heilerin das magische Schmuckstück, den Schlüssel zum Wandschlüpfsystem, das magische Bild-Sprechgerät und was es vielleicht noch alles war. Sie nahm den Pflegehelferschlüssel und legte ihn in einen Schrank, in dem weitere Pflegehelferschlüssel aufbewahrt wurden.
"Hiermit verabschiede ich dich aus den Diensten meiner Pflegehelfertruppe", sagte Schwester Florence. Dasselbe stellte sie dann auch bei Martine und Jeanne an. Julius beobachtete die drei, die nun keine Pflegehelfer mehr waren. Wirkten sie erleichtert oder traurig? Waren sie froh, diese Riesenverantwortung nun endlich loszusein? Oder fühlten sie sich nun endgültig von allem ausgeschlossen, was in Beauxbatons vor sich ging. Julius sah, wie Jeannes Pflegehelferschlüssel von ihrem Bein gelöst wurde, wo er nicht für jeden sofort sichtbar war, auch nicht im Badeanzug, da die Badekleidung für Hexen sehr altmodisch langbeinig und hochgeschlossen war.
"Ich wünsche denen, die heute aus unserer Gruppe ausscheiden, daß sie mit der Umsicht, Disziplin und Einfühlungsgabe, die sie hier erlernt haben, ein langes, ruhiges und anerkanntes Leben führen mögen", wünschte sie den drei Abschlußklässlerinnen.
Alle verbleibenden Pflegehelfer bedankten sich bei den Abgängerinnen, die sich wohl sehr anstrengten, nicht loszuweinen. Sie verabschiedeten sich von ihnen und wünschten ihnen viel Erfolg und Freude im Leben. Keiner wagte es, irgendwie von Voldemort oder seinen Handlangern zu reden. Niemand wollte diese feierliche Atmosphäre vergiften.
Nun, wo Jeanne nicht mehr durch die Wand schlüpfen konnte, begleitete Julius sie durch die üblichen Korridore zum grünen Saal.
"Was steht denn bei dir im Zeugnis, fragte Jeanne neugierig. Julius holte seine Jahresendbeurteilung hervor und las Jeanne leise vor, was er alles gutes gemacht hatte. Er knurrte etwas, weil er lesen mußte: "Der Pflegehelfer Julius Andrews neigt dazu, unter seinen Begabungen zu arbeiten und mußte zunächst von mir ordentlich gefordert werden, bis er von sich aus vollen Einsatz brachte, aber dies dann kontinuierlich."
"Haben dir das nicht alle um die Ohren gehauen, daß du hier nicht mit weniger als voller Leistung rumwerkeln kannst?" Lachte Jeanne. Claire, die zusammen mit Céline und Laurentine sah, wie ihre Schwester und Julius hereingekommen waren, eilte hinzu und hörte neugierig zu. Dann las Julius, was Schwester Florence ihm über seine Mithilfe bei der Geburt von Cythera in die Beurteilung geschrieben hatte.
"Julius Andrews zeigte sich der außerordentlichen Lage mit der erwarteten Schüchternheit und Besorgnis gegenüber, äußerte jedoch in der Vorbereitung der Entbindung sehr große Disziplin, fundiertes praktisch umgesetztes Fachwissen und gegenüber der Gebärenden ein für sein Alter unerwartet hohes Maß an Ruhe und Einfühlungsvermögen. Ihm verdanke ich auch, daß wir die letzten Stunden der Schwangerschaft bis zu den ersten Stunden nach erfolgreicher Entbindung der betreffenden Schülerin von ihrer Tochter punktgenau dokumentieren konnten und somit alle Handgriffe und Zeitabläufe ordentlich festhalten konnten. Diese Qualitäten führe ich auf seine gründliche Ausbildung in magischer erster Hilfe zurück, da mir seine Ausbilderin vertraut ist und sich gesondert mit den Abläufen bevorstehender Mutterschaft beschäftigt."
"Wenn du in Millemerveilles bist, was entweder schon heute oder spätestens an meinem Geburtstag der Fall ist, Julius, wird dir die gute Madame Matine wohl noch mal gratulieren", verhieß Claire.
"Die hat mir doch kurz vor den Prüfungen die Eule geschickt, daß sie davon gehört habe und ich wohl meine Sache sehr gut gemacht haben soll. Mehr hat sie nicht geschrieben."
"Dann wird sie dir das persönlich sagen. Sie weiß ja, daß du wieder zu uns kommst", grinste Claire. Jeanne nickte. Julius nickte auch. Er dachte wirklich nicht daran, daß seine Mutter ihn sechs volle Wochen lang in der Weltgeschichte herumschleppen würde, nur um ihn mal länger von der Zaubererwelt wegzuhalten. Sie wußte ja, daß dieser Kampf schon vorbei war. Außerdem kannte sie ja auch die Leute in Millemerveilles und hatte sich wohl, soweit er das mitbekommen hatte, mit ihnen arrangiert.
"Was steht denn in deinem Zeugnis?" Fragte Julius Jeanne. Claire sah ihre Schwester gleichfalls sehr neugierig an. Jeanne las leise, was in ihrer Beurteilung drinstand und schloß mit dem Satz:
"So muß ich leidvoll feststellen, daß mir eine sehr gute, sehr umsichtige Pflegehelferin fehlen wird, wenn Jeanne Dusoleil unsere Akademie verläßt."
Claire warf sich ungestüm nach vorne, um den laut vorgelesenen Satz mit eigenen Augen zu lesen. Dann grinste sie.
"Wenn du durch die UTZs rasselst kannst du ja noch ein Jahr dranhängen, Jeanne."
"Ich geb dir ggleich durch die UTZs rasseln, Mademoiselle Claire. Ich habe mich heftig abstrampeln müssen, um meine Prüfungen zu packen und die nötigen UTZs zu erreichen. Madame und Monsieur Graminis wollten für Herbologie, Zaubertränke und Magizoologie ein "Ohne Gleichen" im UTZ. Madame Graminis hat mir sogar nahegelegt, in Zauberkunst und Verwandlung nicht unter "Erwartungen übertroffen" abzuschneiden. Das ist schon heftig hoch. Da hätte ich auch gleich in die Delourdes-Klinik gehen können, die wollen bei Magizoologie nur "Erwartungen übertroffen"
"Ich glaube, ich lass das besser gleich mit diesen magischen Heilberufen und stell mich auf ein reines Zauberkunstfach ein", stöhnte Julius, der sich vorstellte, wie heftig jemand ackern mußte, wenn er derartig hohe Grade in den Prüfungen haben wollte. Zumindest verstand er jetzt die Bewunderung, die Seraphine und Belle ihm im Zaubertrankunterricht entgegengebracht hatten, als er die ersten vier Novembertage in die siebte Klasse gehen mußte.
"Maman hätte dich mit einem "Erwartungen übertroffen" in Kräuterkunde schon eingestellt", sagte Claire.
"Na klar, damit ich mir immer wieder anhören muß, daß ich mit der Note nur bei meiner Mutter habe landen können", knurrte Jeanne, mußte dann aber grinsen.
"Dann weißt du ja, Claire, was du nach der fünften Klasse machen kannst." Claire verzog das Gesicht. Offenbar war ihr nicht danach, bei ihrer Mutter in der grünen Gasse herumzulaufen.
"Ich geh schon mal Kofferpacken", sagte Julius und verließ den Gemeinschaftsraum, um zu den Schlafsälen hochzusteigen. Unterwegs kam ihm Robert entgegen.
"Hallo, Julius. Habt ihr euch noch einmal gegenseitig verabschiedet!"
"Joh, haben wir. Irgendwie ist das merkwürdig. Ich kann mir das im Moment nicht vorstellen, nächstes Jahr nur mit Debbie Flaubert und Felicité Deckers eine Gruppe zu bilden."
"Achso, ihr habt euch ja aufgeteilt. - Neh, einer von den Gelben oder vielleicht eine von uns aus den höheren Klassen tritt eurem besonderen Club bei. Dafür waren die Gelben doch schon immer gut", tönte Robert. Julius grinste nur, sagte aber keinen Ton. Er ging in den Schlafsaal für Drittklässler und öffnete seinen Nachtschrank. Dann zog er den Zauberstab, klappte den geräumigen Lederkoffer auf und rief: "Packe!" Wobei er den Zauberstab mehrmals auf- und abpendeln ließ. Er konzentrierte sich darauf, alles säuberlich gefaltet im Koffer liegen zu sehen. Er hörte, wie Wäschestücke in den Koffer plumpsten, sich bewegten und dann liegen blieben. Er sah es nicht, weil er seine Augen fest geschlossen hielt, um sich auf das Ziel des Zaubers zu konzentrieren. Als kein Geräusch mehr erklang sah er wieder hin. Tatsächlich waren seine Sachen alle so im Koffer gelandet, wie er es gewollt hatte. Das ganze hatte nur vier Sekunden gedauert. Er klappte den Koffer wieder zu und schloss die drei silbernen Schlösser mit dem dazugehörenden Clavunicus-Schlüssel ab. Durch die Schlaufen des Koffers zog er die Schlaufen des Futterals, in dem sein Ganymed 10 steckte stramm am Koffer fest. Dann inspizierte er seine Reisetasche, die er vor der Abreise von ihrem Wegtrageschutz befreien wollte, stellte fest, daß alles eingepackt war, was ihm gehörte und verließ den Schlafsaal wieder.
Bis zum Mittagessen vertrieben sich die Schüler ihre Zeit in den Parks oder am Strand. Das Mittagessen selbst war leicht und wohlschmeckend. Nachmittags sonnte Sich Julius auf der Dachterrasse des Palastes zusammen mit Barbara, Claire, Céline, Gustav und Robert. Er dachte daran, daß es nun ein Schuljahr her war, daß er auf dieser Dachterrasse gestanden hatte, Barbara neben sich und über die Länderein von Beauxbatons hinweggeblickt hatte. Damals hatten es Professeur Faucon, Madame Delamontagne und Madame Dusoleil angeregt, ihn gleich mit der trimagischen Abordnung über Beauxbatons nach Millemerveilles bringen zu lassen. Tja, damals wollte er möglichst schnell hier weg, weil ihm diese übermäßige Ordnung und Professeur Fixus kalte Ausstrahlung nicht gefallen hatten. Jetzt saß er hier, blickte wieder auf die Grünanlagen hinunter und genoss die Sommersonne. Diesmal hatte er sich gut mit Sonnenkrauttinktur eingerieben, ja den Jungen und Mädchen in seiner Nähe auch was davon abgegeben.
"Jetzt sind es noch vier Stunden bis zum Abschlußessen", sagte Gustav mit Blick auf seine Armbanduhr. "Das ist schon irritierend. Als ich herkam, wußte ich in den ersten vier Stunden nicht, was ich hier sollte. Jetzt frage ich mich, was ich mache, wenn die Sommerferien vorbei sind."
"Babys heißen die Dinger, glaube ich", warf Robert ein. Barbara zwickte ihm dafür in die Nase
"Lümmel. Sei froh, daß ich heute keinem mehr Strafpunkte reinwürgen will!" Knurrte Barbara, mußte dann aber doch lachen. Jungs blieben eben Jungs!
Julius hing wieder Erinnerungen nach, die er in diesem Schuljahr gesammelt hatte. Claire saß neben ihm und lehnte sich vorsichtig an. Er fühlte ihren Körper neben sich pulsieren und fühlte, wie ihn das in eine herrliche anregende Stimmung versetzte. ER verdrängte dieses Gefühl rasch wieder und sah hinüber zum Flußlauf, der die Parks durchzog. Wie schön war das doch hier!
"Was machst du zu erst, wenn du wieder bei deiner Maman bist?" Fragte Claire ihren Freund leise.
"Kommt darauf an, was meine Mutter sich ausgedacht hat. Wahrscheinlich werde ich erst einmal die wichtigsten Nachrichten der letzten zwei Monate nachlesen müssen, um in der Muggelwelt mitreden zu können."
"Das kann Bébé ja leider nicht", grummelte Claire. Doch dann meinte sie: "Aber wen interessiert bei uns in Millemerveilles schon, ob eine übergroße Rakete irgendwo in Französisch-Guyana nach dem abfliegen zerplatzt ist?"
"Bébé, mich, vielleicht noch deinen Vater", zählte Julius auf. Claire nickte und legte ihren Arm um seine Schulter.
"Wenn Maman das mitkriegt, daß Bébé in Millemerveilles ist, wird sie vielleicht mit Madame Delamontagne reden, daß sie sie öfter zu mir läßt."
"Mag sein, Claire. Aber ich bin mir nicht sicher, ob das bei Bébé so läuft wie bei mir damals", sagte Julius.
"Warum sollte es nicht?" Fragte Claire schnippisch.
"Du hast immer erzählt, daß Bébé alles verweigert hätte. Denkst du, daß hat Madame Delamontagne nicht per Expresseule zugeschickt bekommen? Warum kommt sie nach Millemerveilles und nicht nach Lyon, Paris oder Calais?"
"Weil wir die einzige Zauberersiedlung in Frankreich sind. Wir haben keinen Strom, kein Telefon und keinen Computer. Da wird sie wohl Eulen und Flohpulver benutzen müssen."
"Und auf einem Besen fliegen, vielleicht noch Nachhilfestunden nehmen und alles nachholen, was sie in zwei Jahren nicht geschafft hat."
"Ich hoffe, nicht so heftig", sagte Claire. Julius grinste nur gehässig.
Nach dieser Unterhaltung schwiegen sie und lauschten den Geräuschen der Umgebung. Julius hörte einmal ein lautes Maunzen, vielleicht von einem Kniesel. Doch kein silbriggraues Tier mit goldenem Schwanz kam angelaufen. Er dachte daran, daß Armadillus Goldschweif wieder einnebeln oder sonstwie betäuben würde, um sie nicht hinter ihm herlaufen zu lassen. Irgendwie fand er das fies Goldschweif gegenüber. Aber was sollte er machen? Er hatte sie sich nicht ausgesucht.
Beim Abendessen herrschte Feierstimmung. Julius saß zwischen Hercules und Robert und sah, wie sich Barbara und Edmond miteinander unterhielten. Edmond sah zwischendurch verstohlen zum roten Tisch hinüber, wo Martine sich mit ihrer Nachfolgerin unterhielt.
Nach einem siebengängigen Festessen erhob sich Madame Maxime zu ihrer letzten Amtshandlung: Die Auszeichnung der zehn besten Schülerinnen und Schüler, gemessen am wöchentlichen Durchschnitt der Bonuspunkte, sowie die vier besten Säle, gerechnet nach der Zahl aller Bonuspunkte von Schülern dort durch die zehnfache Anzahl der Schüler.
"Mesdemoiselles et Messieurs. Ich verkünde Ihnen nun, wie es seit 155 der Brauch ist, die zehn erfolgreichsten und fünf am meisten unangenehm aufgefallenen Schüler", begann Madame Maxime. Sie las erst die Rangliste der fünf schlechtesten Schüler vor, ausnahmslos blaue. Jacques Lumière war diesmal jedoch nicht dabei. Offenbar hatte er sich in diesem Jahr angestrengt, nicht wieder Putzdienst leisten zu müssen. Dann erfolgte die Liste der zehn besten Schüler:
"Mit einhundert Punkten konnte Argon Odin aus dem violetten Saal in die Rangliste der zehn Besten eintreten", verkündete sie. Die Schüler am violetten Tisch klatschten Beifall. "Mit zehn durchschnittlichen Punkten mehr in der Woche konnte sich dieses Jahr Sabine Montferre in diese Ehrenliste einreihen." Am Roten Tisch klatschten sie beifall. "Einhundertdreißig Punkte errang Janine Dupont aus dem roten Saal." Wieder klatschten die Leute am roten Tisch. Die Plätze sieben, sechs und fünf gingen alle an Violette, die Julius aus der Zeit an Belles Seite kannte. Dann verlas die Schulleiterin den vierten Platz:
"Platz Vier dieser ehrenvollen Aufstellung errang Mademoiselle Patrice Duisenberg aus dem Blauen Saal mit genau zweihundert Punkten." Die Blauen sahen die Ausgerufene an und schienen nicht zu wissen, was sie davon halten sollten.
"Hilfe, ein Musterschüler unter uns", feixte Hercules, als er die Blauen ansah.
"Platz drei belegt Mademoiselle Seraphine Lagrange aus dem weißen Saal", las Madame Maxime laut vor. Seraphine strahlte. Zwar war sie um zwei Plätze gefallen, hatte aber immerhin durchschnittlich zweihundertfünfzig Punkte die Woche geholt, mehr als im Jahr vorher. Außerdem war es der letzte Auftritt hier, wenn sie die UTZ-Prüfungen nicht doch verpatzt hatte.
"Mit honorigen zweihundertsiebenundsechzig Punkten im Wochendurchschnitt belegt den zweithöchsten Rang: Monsieur Julius Andrews aus dem grünen Saal."
"Was?!" Rief Julius total perplex. Doch sein Ruf ging im Beifall an seinem Tisch unter. Hercules und Robert klopften ihm auf die Schultern. Er sah hinüber zu Claire, die ihn anstrahlte wie ein großer Weihnachtsbaum. Bernadette am roten Tisch schüttelte zwar kurz den Kopf, mußte dann wohl aber einsehen, daß ihre Punktzahl wirklich nicht für die obersten Plätze getaugt hatte.
"Die diesjährige Auszeichnung vorbildliche Schülerin beziehungsweise vorbildlicher Schüler in Gold erhält in diesem Jahr: Mademoiselle Belle Grandchapeau aus dem violetten Saal mit runden dreihundert Punkten!" Rief Madame Maxime.
Am violetten Tisch brandete langer Beifall auf. Belle sah Julius an und nickte ihm zu.
"Mademoiselle Grandchapeau zeigte in diesem entscheidenden Jahr besonders viel Einsatz im Unterricht, half jüngeren Schülern und erwarb sich große Verdienste als Sprecherin des Violetten Saales. Monsieur Andrews hat sich in diesem Jahr obgleich einer nicht zu unterschätzenden Umstellungsbürde sehr rasch und konstruktiv in den Unterricht, wie auch in den von ihm besuchten Freizeitkursen eingebracht. Insbesondere die unentschuldbare Verhexung von ihm und Mademoiselle Grandchapeau, deren Dauer er mit für sein Alter unerwarteter Umsicht überstand, sowie der Einsatz in der Quidditchmannschaft des grünen Saales und der schuleigenen Pflegehelfertruppe rechtfertigen es, ihn in diesem Jahr auf dem zweithöchsten Rang der vorbildlichen Schüler anzusiedeln", erläuterte Madame Maxime. Dann ließ sie eine kurze Zeit verstreichen, bevor sie wie im letzten Jahr die fünf schlechtesten Schüler abmahnte und sie zu Strafarbeiten im nächsten Jahr verurteilte. Anschließend verlas sie die Liste der Saalwertungen.
"Langsam frage ich mich ernsthaft, wo manche von Ihnen einmal enden werden, Mesdemoiselles et Messieurs. Bis auf wenige Ausnahmen legen Sie keinen Wert auf große Anerkennung, wie? Der himmelblaue Saal bekommt in diesem Jahr mit gerade einhundert Punkten wieder einmal nur den untersten von sechs Plätzen." Die Blauen kicherten hinter vorgehaltener Hand. Lediglich die Duisenbergs, Jacques und Adrian Colbert schienen betroffen über dieses Ergebnis.
"Den fünften Rang erarbeitete sich dieses Jahr die Schülerschaft des roten Saales. Zwar stachen einige von Ihnen durch überdurchschnittliche Leistungen hervor, haben jedoch den Gesamteindruck lediglich auf das dreifache des Wertes des blauen Saales anheben können. Auch wenn sie in Ihrem Farbenlied singen, daß Ihre Herzenssachen die Lichter der Welt seien, Mesdemoiselles et Messieurs, sollten sie diese Lichter nicht zu hell brennen lassen", sagte Madame Maxime.
"Wer kriegt jetzt die Kupfermünze?" Fragte sich Julius und erfuhr, daß es diesmal der weiße Saal war. Die Weißen sahen sich zwar verstört an, weil sie doch mit mehr gerechnet hatten. Die Gelben bekamen wegen ihrer hervorragenden Leistungen in Schule und Freizeitkursen eine Durchschnittspunktzahl, die zwanzig über der lag, die die Weißen verbucht hatten.
"Wie letztes Jahr?" Fragte sich Julius. Denn nun waren nur noch der violette und der grüne Tisch unbewertet.
"Fünfhundert Punkte konnte dieses Jahr die Schülerschaft des dunkelvioletten Saales verzeichnen", las Madame Maxime weiter vor. Damit war die Katze aus dem Sack. Doch die Grünen hielten sich mit aller Macht zurück, bis Madame Maxime verkündete:
"Der grasgrüne Saal konnte in diesem Jahr durch eine Vielzahl von Glanzleistungen die höchste Stellung der sechs Säle verteidigen. Sie gewannen das Quidditchturnier, Mitbewohner des Saales Grün errangen mehrere Punkte in den Freizeitkursen, sowie im Dienst der Pflegehelfertruppe, weswegen vor allem Mademoiselle Dusoleil, Jeanne und Monsieur Andrews, Julius zur hohen Stellung ihres Saales beitrugen. Überhaupt haben sich viele Schüler durch mehr Engagement um diesen Saal verdient gemacht. Herzlichen Glückwunsch!"
Nun brach der Beifall los. Nicht nur Grüne klatschten, jubelten und johlten, sondern auch die Roten, weißen und Gelben. Offenbar hatten die Grünen eine Unmöglichkeit geschafft, dachte Julius. Sonst war wohl immer der violette Saal auf der obersten Rangstufe gewesen. Die Saalsprecher und -sprecherinnen der vier besten Säle traten an den Lehrertisch und bekamen die Medaillen. Barbara strahlte, als sie die große Goldmedaille mit den darin eingravierten gekreuzten Zauberstäben um den Hals hängen hatte. Belle, die die Silbermedaille, die etwas kleiner war, von ihrem Saalvorsteher Paralax umgehängt bekam, sah zwar leicht enttäuscht drein. Doch die Regeln für die Auswertung waren so sachlich wie möglich gehalten und konnten beim besten Willen nicht als Sympathiebewertung ausgelegt werden.
Nach der Würdigung der Säle wurden die zehn vorbildlichsten Schüler vor den Lehrertisch zitiert, weil einige von ihnen ja das Abschlußjahr geschafft hatten. So formierte sich Julius rechts von Belle, die direkt am Lehrertisch stand, daneben Seraphine.
"Dir ist ja klar, daß du das jetzt jedes Jahr schaffen mußt", sprach Seraphine einen Gedanken aus, den Julius in dem Moment gedacht hatte, als sein Name für alle laut verlesen worden war. Er sagte dazu nichts. Er sah Patrice Duisenberg an, die mit ihm zusammen die jüngsten Schüler in der Reihe darstellte. Es blitzte, ein rotes Rauchwölkchen wehte durch den Speisesaal. Julius sah schnell, wo der hinterlistige Fotograf stand, der ihn da mit Belle und Seraphine abgeschossen hatte. Er sah Professeur Bellart, die mit einer klobigen Kamera hantierte und wieder den Auslöser drückte.
"Schön lächeln", flüsterte Seraphine und zeigte ein strahlendes Lächeln.
"Die ist für die Bilder der nächsten Ausgabe der Schulchronik", erklärte Madame Maxime. Julius wäre am liebsten davongerannt. Die hatten ihn hier und jetzt geknipst, und in hundert Jahren würden andre Schüler in einer da schon überholten Ausgabe der Bulletins de Beauxbatons sein Bild finden und sich fragen, womit er das verdient hatte.
"Ich bedanke mich bei allen Schülerinnen und Schülern, wie auch bei meinen geschätzten Kollegen, das Sie alle dieses Schuljahr so hervorragend gestaltet haben", sagte Madame Maxime noch. Dann schlug sie einen etwas ernsteren Ton ann als sie es ohnehin schon tat. "Sie haben leider alle erfahren müssen, daß jener dunkle Magier, dessen Name in vielen Zaubererfamilien nicht genannt zu werden pflegt, sich aus seiner Deckung gewagt hat und damit nun wieder offenen Terror ausüben wird. Lassen Sie sich davon nicht die wohlverdienten Ferien oder den Beginn Ihres eigenen Lebens nach Beauxbatons verderben. Gefahr, die man kennt, ist immer nur halb so gefährlich. Außerdem hat mir der Zaubereiminister, Monsieur Grandchapeau, verbindlich bescheinigt, das wir hier in Frankreich verstärkte Sicherheitstruppen aufbieten, um böswillige Hexen und Zauberer frühzeitig zu erkennen. Leben Sie alle Ihr Leben! Lassen Sie Ihre berechtigte Angst nicht zu Ihrem persönlichen Gefängnis werden! Sie hier haben sich nichts zu Schulden kommen lassen, was Sie zu Gefangenen Ihrer eigenen Angst machen darf. Wie ich bereits sagte, jeder und jede von Ihnen hat in dieser Schule sein eigenes Licht entfacht, das ihm oder ihr durch die Dunkelheit helfen wird. Wo viele Lichter sich treffen, im freien, gemeinschaftlichen Leben, bleibt die Finsternis stets ausgesperrt. Drum wollen wir nun abreisen, zu unseren Familien, unseren Heimstätten, um das, was wir uns in diesem Jahr verdient haben, mit Fug und Recht zu genießen. Auf dann!"
Der halbriesischen Schulleiterin in ihrem dunkelblauen, fließenden Satinkleid folgten alle Schüler. Das Gepäck war bereits auf dem großen Hof, wo der Ausgangskreis der Reisesphären lag. Seraphine und Belle, die neben Julius gingen, nutzten diese kurze Zeit, sich noch einmal von ihm zu verabschieden.
"Wir sehen uns in Millemerveilles, Julius", sagte Seraphine. Belle meinte:
"Deine Mutter hat ihr Wort gehalten. Ich werde neben meiner Tätigkeit im Ministerium, die ich nun wohl aufnehmen kann, gezielte Computerkurse bei ihr nehmen. Wir werden uns also wohl noch oft genug begegnen. Weiterhin viel Erfolg und Freude an dem, was du hier tust!"
Julius bedankte sich kurz. Dann spülte ihn der Strom der ausmarschierenden Schüler hinaus aus dem Palast. Er hatte alles eingepackt? Ja, auch Claires Kalenderbild und die vier Musiker. Als Hausmeister Bertillon und Professeur Faucon, die den Auszug der Schüler durch das Portal beaufsichtigt hatten, keinen Nachzügler mehr entdecken konnten und tatsächlich alle Schüler aus dem weißen Palast von Beauxbatons getreten waren, schlossen sich die beiden mächtigen Torflügel, auf denen je das Wappen von Beauxbatons prangte und wurden magisch verriegelt. Ruhig und ohne lautes Wort ging es hinüber zum Warteplatz am Rande des Ausgangskreises. Hauselfen in groben Tüchern, auf denen auch die gekreuzten Zauberstäbe gestickt waren, aus denen je drei Funken sprühten, bugsierten Berge von Koffern und Taschen so zurecht, daß sie schnell in den roten Vollkreis gebracht werden konnten. Madame Maxime schritt die sich sammelnde Schar blaßblau gekleideter Mädchen und Jungen ab wie ein General seine Schlachtreihen, bevor er den Angriffsbefehl gab, so kam es Julius vor. Dann sagte sie:
"Die Schülerinnen und Schüler aus dem Einzugsbereich Paris bitte in den Ausgangskreis treten!" Kommandierte sie unüberhörbar. Julius warf Claire noch einen Blick zum Abschied zu. Sie winkte ihm und sah, wie er zusammen mit den Latierres, den Dorniers, Belle und Hercules in den großen Kreis trat. Cythera schlief gerade in einem rosa Tragetuch um Constances Bauch. Als alle Schülerinnen und Schüler aus der Gegend in und um Paris eingetreten waren, hob der in der Mitte stehende Professeur Paximus den Zauberstab und beschwor die Magie, die so mächtig war, daß sie alles in eine sonnenuntergangsrote Sphäre hüllte und davontrug, hinüber zu dem Ort, den der Sphärenbeschwörer ihr wies. Als die gewaltige Kugel aus magischem Licht sich um alle Schüler gelegt hatte, sie in ihrem unausgefülltem Zentrum schweben ließ, wußte Julius, das er hier wieder herkommen wollte. Ja, er hatte sich an Beauxbatons gewöhnt, die Zucht und ordnung, aber auch an die vielen Sachen, die man dort lernen und üben konnte.
"Achtung, vier Sekunden bis zur Ankunft!" Warnte Professeur Paximus seine Mitreisenden. Alle bereiteten sich darauf vor, ihr eigenes Gewicht wiederzubekommen. Schlagartig standen sie nach der angekündigten Zeit auf dem Boden und sahen, wie die rote Lichtsphäre als oben immer weiter aufklaffende Kuppel um sie herum versank. Dann standen sie frei im grünen Zielkreis von Paris, der von einer hufeisenförmigen, vier Meter hohen Mauer umfaßt wurde. Von dem Platz her, zu dem die große Öffnung in der Mauer führte, kamen Erwachsene, Hexen und Zauberer.
"So, jetzt noch einmal schöne Ferien, Julius! Vielleicht sieht man sich ja mal zwischendurch in der Rue de Camouflage", sagte Martine und umarmte Julius kurz, bevor sie ihre viele überragende Mutter sah und ihr zuwinkte.
Minister Grandchapeau kam in Begleitung von vier Sicherheitszauberern an. Seine Frau wurde von vier Hexen in den Umhängen der ministeriellen Schutztruppe begleitet. Belle winkte ihrem Vater. Dieser nickte und holte seine Tochter in die Arme. Dann, etwas mehr als zehn Sekunden später, sah er Julius an und winkte ihm. Einer der Sicherheitszauberer hob seinen Zauberstab und richtete ihn auf Julius. Dieser widerstand dem Reflex, seinen eigenen Zauberstab zu zücken und lächelte den Minister an.
"Ich habe hier was für dich", flüsterte er dem aus England stammenden Schüler zu und drückte ihm einen offenbar verkleinerten Umschlag in die Hand, sodaß es nicht jeder sehen konnte. Julius, der an Spionagegeschichten mit heimlichen Übergaben von brisanten Papieren denken mußte, ließ den Umschlag in seinen Umhang gleiten.
"Nur alleine lesen", zischte der Minister ihm zu und begrüßte ihn dann klar und deutlich sprechend. Nach einem kurzen, eigentlich belanglosen Wortwechsel, wie er sich nun in Beauxbatons eingelebt hatte, holte ihn die hünenhafte Hippolyte Latierre einfach in ihre starken Arme. Diese Hexe, wußte Julius, wurde nur von Madame Maxime überragt.
"Hallo, Julius! Schön, daß du gesund und munter wieder da bist. Ich freue mich, daß du dich mit meinen beiden Prinzessinnen immer noch gut verstehst. Catherine unterhält sich gerade mit Margot Dornier. Die kommen gleich herüber. Deine Sachen sind hier noch?" Begrüßte sie ihn mit raschen Worten. Julius nickte. Madame Latierre ließ mit dem Aufrufezauber die Koffer und Taschen ihrer Töchter herbeifliegen, hielt Julius aber mit einem Arm sicher umfaßt.
"Du bist wirklich richtig stramm gewachsen, Julius. Meine Millie hat da also nicht übertrieben", sagte sie. Dann ließ sie von Julius ab und wandte sich wieder ihren Töchtern zu.
Margot Dornier kam schnell zu Julius, während ihr Mann, der hagere schwarzhaarige Agilius Dornier, die Sachen seiner Töchter einsammelte.
"Schön, daß du auch wieder hier bist, Julius. Céline erzählte mir das mit Laurentine. Was sagst du dazu?"
"Da sage ich besser nichts zu, weil ich da bestimmt kein Recht zu habe", erwiderte Julius vorsichtig.
"Aber sicher hast du ein Recht darauf, deine Meinung dazu zu äußern. Soviel Céline mir erzählt hat, bist du ja in einer ähnlichen Lage gewesen. Also findest du, daß das gut für das Mädchen ist?"
"Wenn sie schnell wieder nach Hause kann ja", sagte Julius rasch. Margot Dornier reichte diese Antwort aus. Sie wünschte Julius noch schöne Ferien und ging zu ihren Töchtern und der Enkeltochter, die jetzt, wo so viel Trubel um sie herum war, aufwachte und mit lautem Schrei ihre Ankunft in Paris verkündete.
"So, dann wollen wir mal, Julius. Accio Julius' Gepäck!" Rief Catherine, ohne Julius vorher richtig zu begrüßen. Als sein Koffer und die Tasche zu ihr hingeflogen waren, umarmte sie ihn erst richtig.
"Willkommen zu Hause, Julius!" Hauchte sie. Dann ließ sie die beiden Gepäckstücke per Zauberkraft ansteigen und bugsierte sie über den Platz zum Geschichtsmuseum. Hercules Moulin winkte ihm unterwegs noch einmal zum Abschied. Dann bog Catherine zum Eingang ab, stubste mit dem Zauberstab die Tür an und winkte Julius hindurch.
Vom Museum aus ging es mit Flohpulver in die Rue de Liberation, direkt in Catherines Partykeller. Joe Brickston war wohl im Wohnzimmer und sah fern. Julius hörte das typische Quäken amerikanischer Sprecher herüberschallen.
"Joe, wir sind jetzt da. Julius geht gleich rauf!" Rief Catherine. Joe Brickston kam aus dem Wohnzimmer. Er wirkte so wie ein Junge, der einer ungeliebten Tante einen Kuß geben soll. Er sagte:
"Hallo, Julius. Bleibst du jetzt die Ferien hier in Paris oder mußt du zwischendurch wieder da runter zu Blanche und ihren Nachbarn?"
"Ich weiß das noch nicht, Joe", sagte Julius ruhig. "Wahrscheinlich werde ich am dreiundzwanzigsten da runter reisen, weil meine Freundin da Geburtstag hat. Wie es dann weitergeht, weiß ich noch nicht."
"Hast du in diesem Beauxbatons denn überhaupt Zeitung lesen können? Ich meine, hast du das mitgekriegt wie die EURO 96 gelaufen ist?"
"Die was?" Fragte Julius und ärgerte sich sofort über seine Unwissenheit. Natürlich meinte Joe die Fußballeuropameisterschaft 1996 in England, die vom 9. bis zum 30. Juni stattgefunden hatte.
"Kannst du mal sehen, Catherine. Der Junge kriegt in dieser Hexenpenne nix mit", spie Joe seiner Frau entgegen. Diese schüttelte den Kopf.
"Der Junge hat da unten Quidditch gespielt, was wesentlich spannender ist als dieses Balltreten und hat zusammen mit anderen Schulkameraden einer Mitschülerin geholfen, ein Baby zur Welt zu bringen. Für derartige Nebensächlichkeiten wie Fußball ..."
"Hat er natürlich keine Zeit, kein Interesse und so weiter", knurrte Joe. Dann fragte er:
"Bist du denn immer noch mit dieser Schwarzhaarigen zusammen, die mit dir vor Ostern hier war?"
"Oh, welche? Ich war mit Céline, Jeanne und ihrer Schwester Claire hier. Die haben alle drei schwarze Haare", gönnte sich Julius einen Jux.
"Claire heißt die doch. Claire Dusoleil. Wie kann ein anständiger Mensch so'n abgedrehten Namen haben?"
"Joe, was soll denn das?" Zischte Catherine.
"Ich finde, der Name paßt zu ihr", verteidigte Julius seine Freundin, die jetzt wohl gerade zwischen den Schirmblattbüschen in Millemerveilles ankam. Dann meinte er:
"Mum hat Zeitungsausschnitte gesammelt. Ich mach morgen früh den Papier-Input und dann vielleicht noch was im Netz suchen."
"Dann viel Spaß!" Lachte Joe boshaft und ging wieder ins Wohnzimmer.
"Wo ist denn Babette?" Fragte Julius.
"Tante Madeleine bringt sie gleich vorbei. Ich will sie nicht immer mitnehmen. Nachher floh-pulvert die sich aus Jux irgendwo hin, wo ich die erst einmal suchen darf. Das mache ich dann lieber, wenn ich mit ihr allein unterwegs bin."
"Hast recht, Catherine. Dann gehe ich jetzt mal rauf zu Mum", verkündete Julius, nahm den Koffer mit dem angeschnürten Besen an die Rechte und die Tasche an die linke Hand. Catherine öffnete ihm die Wohnungstür, sah ihm nach, wie er die Treppe hinaufstieg und die Wohnungstürklingel läutete. Seine Mutter öffnete ihm erst nach zehn Sekunden und bugsierte die Gepäckstücke rasch hinein. Dann sah Catherine, wie sie die Tür von innen zudrückte und hörte die Sicherheitsverriegelung einrasten.
Julius war kaum in der Wohnung, da deutete seine Mutter auf ihr Arbeitszimmer.
"Paps am Telefon?" Fragte Julius hastig. Er war plötzlich sehr aufgeregt. Würde sein Vater ihn doch noch einmal sprechen wollen? Seine Mutter wirkte für einen winzigen Moment verunsichert, ja irgendwie alarmiert. Doch weil sie merkte, daß Julius ihr zusah, fing sie sich sofort wieder. Sie schüttelte den Kopf und antwortete:
"Nein, eine Madame Hellersdorf aus Vorbach. Die hat mich vor fünf Minuten angerufen und sich beschwert, daß man ihre Tochter nicht heimgeschickt habe. Sie wollte wissen, ob du schon wieder zu Hause seist. Sprich kurz mit ihr, bitte!"
Julius nahm den Hörer des Telefons im Schlaf- und Arbeitszimmer seiner Mutter und meldete sich.
"Hellersdorf hier. Du erinnerst dich noch an mich?" Kam eine Julius bekannte Frauenstimme zurück.
"Ja, natürlich, Madame. Ich dachte, sie wären in den Staaten. Laurentine hat mir sowas ..."
"Ich komme heute morgen nach Hause, freue mich darauf, meine Laurentine heute von dieser Unsinnsakademie abholen zu können, da finde ich eine Nachricht von meinem Mann, daß er bei unserem Anwalt ist, weil sie Laurentine nicht mehr zurückschicken wollen. Ich lese Briefe, die er verwahrt hat und erfahre, daß meine Tochter zu dieser überfetteten Landpomeranze Delamontagne in dieses mysteriöse Millemerveilles rübergeschickt werden soll, wie ein schwererziehbares Mädchen in ein Heim. Ich rufe meinen Mann an, der bestätigt das und kommt mit dem Anwalt zurück. Ich will von dieser sogenannten Muggelkontaktstelle wissen, was das soll und kriege gesagt, daß diese Matrone sich bei mir meldet, wenn sie es für richtig hält. Ich finde das unverschämt und noch dazu verbrecherisch. Die können nicht einfach unsere Tochter entführen und irgendwo einsperren."
Julius schluckte hörbar. Die Mutter von Laurentine war zwar nicht so umfangreich wie Madame Delamontagne, hatte es aber bestimmt nicht nötig, sie "eine überfettete Landpomeranze" zu nennen. Er sagte ganz kühl:
"Die machen das, weil sie's dürfen und auch schon mal gebracht haben, Madame. Ich dachte, Béb..., öhm, Laurentine hat Ihnen das erzählt, wie das mit mir gelaufen ist. Es gibt da bei den Zauberern Gesetze, die solche Sachen vorschreiben, wenn die vorgeschriebene Ausbildung nicht beachtet wird. Wenn hier ein Kind von den Eltern nicht mehr zur Schule gelassen wird, nimmt der Staat es ihnen auch weg. So läuft das auch bei den Zauberern."
"Jüngelchen, ich habe ..."
"Eh, so nicht", fuhr Julius unvermittelt ungehalten dazwischen. Seine Mutter, die ihn genau beobachtete, meinte, eine jüngere Ausgabe ihres Exmannes Richard zu sehen, wie er einen mißliebigen Besucher runterputzte. Ja, so ähnlich hatte Richard auch geguckt, als er Professor McGonagall aus dem Haus jagen wollte.
"In Ordnung, Monsieur Andrews. Du glaubst also, daß das richtig ist. Haben die mit dir eine Gehirnwäsche gemacht oder was?"
"Nein, haben die nicht. Reine Vernunft. Zwei plus zwei, wenn Sie wissen was ich meine. So'n Muggelkram wie Gehirnwäsche haben die nicht nötig."
"Wie kommt man in dieses Millemerveilles rein?" Wollte Madame Hellersdorf wissen.
"Sie kommen da gar nicht rein, wenn die Ihnen nicht vorher einen Trank geben, der verhindert, daß sie von den Nichtzaubererverscheuchekraftfeldern zur Flucht getrieben werden. Nur Leute mit Magie im Körper oder eben solche, die den Zaubertrank geschluckt haben, können da rumlaufen. Ich kenne Madame Delamontagne gut. Ich weiß, sie ist sehr streng. Aber sie ist auch sehr gut darin, zu erkennen, wie sie mit jemandem umspringen darf oder nicht. Wenn sie es richtig findet, sich bei Ihnen zu melden, dann tut sie das auch."
"Mit dir zu reden bringt es doch nicht", geiferte Madame Hellersdorf. "Du bist doch nur ein Roboter, der tut und sagt, was die wollen."
"Ich bin kein Roboter. Ich bin ein Borg. Widerstand ist zwecklos", erwiderte Julius in einer unheimlich seelenlos klingenden Tonlage. Dann gab er den Telefonhörer seiner Mutter und zog sich in sein kleines Zimmer zurück. Er verriegelte die Tür, während seine Mutter mit Madame Hellersdorf sprach. Er war so wütend auf diese Muggelfrau. Was bildete die sich ein, wie sie mit anderen Leuten reden konnte? Da würde sie mit Madame Delamontagne noch richtig gut Spaß kriegen, dachte er und zeigte dabei ein bösartiges, schadenfrohes Grinsen. Dann fiel ihm der Umschlag ein, den der Minister ihm noch zugesteckt hatte. Er zog ihn aus dem Umhang, sah, daß er offenbar eingeschrumpft worden war. Tja, zaubern durfte er unter siebzehn nicht ohne ausdrückliche Aufforderung. Der Minister sollte das wissen. So warf Julius den Umschlag hoch, der sich drehte und dabei zu einem normalen Briefumschlag anwuchs. Julius öffnete ihn und zog zwei Pergamentzettel heraus. Den einen legte er neben sich, den anderen drehte er so, daß er lesen konnte:
Hallo, Julius,
wegen der Angelegenheit mit der Galerie in Hogwarts habe ich beschlossen, daß es unfair sei, dir unter dem Vorwand der Geheimhaltung die angemessene Belohnung vorzuenthalten. ich habe überlegt, ob ich dir eine große Menge Geld überlassen soll. Sicher hätte ich dir einige tausend Galleonen über gewisse Vollmachten zukommen lassen können. Aber Geld macht nicht immer glücklich oder weise. somit bin ich zu dem Schluß gekommen, dir Wissen zu verleihen, das jedoch nur für dich verfügbar wird, wenn du in einer ausweglosen Situation bist. Somit wird es dir dienen, ohne daß andere es vorher erahnen oder durch die Macht der Legilimentie aus dir herausschöpfen können. Nimm den zweiten Pergamentzettel und halte ihn in tiefer dunkelheit vor deine Augen. Nur dann wird sich offenbaren, was ich dir zukommen ließ.
Im besten Wissen und Gewissen, dir damit einen größeren Dienst erwiesen zu haben als mit einem Verlies voller Gold- und Platinquader verbleibe ich
Armand G.
"Was meint er denn damit, mir Wissen zu überlassen, daß ich nur nutzen kann, wenn ich in einer ausweglosen Situation bin?" Fragte sich Julius. Das seine Mutter offenbar sehr aufgeregt mit Madame Hellersdorf sprach, bekam er nicht so recht mit. Er nahm das zweite Blatt, betastete es. Er nahm seinen Zauberstab und wollte den Zauberfinder darauf anwenden. Doch dann dachte er noch einmal nach. Wie konnte in der Zaubererwelt Wissen übermittelt werden? Es konnte gelesen, erzählt, vorgeführt und - durch Erinnerungsübertragung direkt ins Gedächtnis verpflanzt werden. Das war aber nicht ungefährlich. Professeur Faucon hatte ihm sehr sorgsam ganz bestimmte Erinnerungen von sich zukommen lassen. Was mochte es nur sein? Er nahm das Pergament, schaltete das Licht aus und hielt es vor seine Augen. Hoffentlich hatte der Minister nicht vor, ihn zu ermorden, weil er etwas wußte ...
Aus dem Dunkeln heraus glühte das Pergament. Gleichzeitig erstarrte Julius in einem Krampf, wie unter Starkstrom. Er konnte weder die Hände vom Pergament lösen noch schreien. Er hörte Laute, wispernde, zischende, singende Laute, gerade so stark, daß seine Ohren sie gerade wahrnahmen. Er fühlte sich wie in einem Alptraum gefangen. Angst stieg in ihm auf. Er hatte eine Falle ausgelöst. Er war wie der letzte Idiotin eine Falle getappt.
Lichter tanzten vor seinen Augen. Aus dem Pergament schien eine brennende Flüssigkeit zu tropfen, die vor seinen Augen zerrann und verschwand. Farben des Regenbogens schillerten. Das Gewisper und Gezischel um ihn herum wurde zu einem leisen Gesang, der schön und fremdartig klang. Das Lied beruhigte ihn merkwürdig. Er fühlte jeden Ton in sein Herz sacken und von dort aus warm und wohlig in seinen Blutkreislauf strömen. Er trieb in diesem Spiel von Licht und Farben dahin, roch sogar feine Düfte, wie besonders raffinierte Parfüms oder irgendwelche exotischen Pflanzen. Dann wachte er auf. Es war Sonntag Morgen. Er verbrachte den letzten Tag des Schuljahres in Beauxbatons. Er ging zu der letzten Pflegehelferkonferenz, wo sie alle von Schwester Florence Beurteilungen bekamen. Er unterhielt sich mit Claire und Barbara, verbrachte den Nachmittag auf der Dachterrasse und aß reichlich zu Abend, bevor Madame Maxime verkündete, daß er der zweitbeste unter den zehn vorbildlichsten Schülern sei. Er jubelte, weil der grüne Saal erneut die Saalwertung gewonnen hatte und reiste zurück nach Paris, wo er den Minister traf, der ihm freundlich die Hand schüttelte und ihm schöne Ferien wünschte, dann von Madame Latierre hörte, daß er wirklich stramm gewachsen sei und dann mit Catherine zusammen in die Rue de Liberation zurückreiste. Dann war das Gespräch, das er mit Laurentines Mutter geführt hatte. Sie hatte ihn einen Roboter genannt, der nur tue und sage, was man ihm abverlange. Aus von sich selbst selten verspürter Wut heraus hatte er gesagt:
"Kein Roboter. Ich bin ein Borg. Widerstand ist zwecklos!" Dann gab er seiner Mutter den Telefonhörer und ging auf sein Zimmer. Er warf sich aufs Bett und ärgerte sich über diese Muggelfrau. Er knipste das Licht aus, um besser lauschen zu können, was seine Mutter noch sagte. Doch sie hatte die Tür geschlossen und wohl auch verriegelt, wie er seine Tür verriegelt hatte. Er sah auf sein Bett, und erkannte, daß es wohl heute frisch bezogen worden war. Irgendwie schien es "Komm und leg dich schlafen!" zu rufen. Doch Julius konnte jetzt nicht schlafen. Diese Wut ärgerte ihn mehr als das, weshalb er wütend geworden war.
"Was mich stört verschwinde!" Dachte er schließlich die ersten Zeilen seiner Gedankenformel, mit der er lästige Gefühle wie Angst oder auch Wut oder auch starke Schmerzen zurückdrängen konnte. Sicher, gegen den Imperius-Fluch hatte er so nicht kämpfen können. Bis jetzt nicht.
Seine Mutter klopfte an die Tür. Er schaltete das Licht wieder ein und schob den Riegel zurück.
"Ich verstehe warum du wütend geworden bist. Da will man dieser Frau helfen, ihr erklären, was und warum es passiert ist und daß man ihr dabei helfen kann, das zu regeln, und die beleidigt erst dich und dann noch mich", schnaubte Martha Andrews, die sonst immer kühl und bedacht war.
"Ich habe dieses Mädchen nicht einschrumpfen wollen, Mum. Das habe ich dir erzählt. Das habe ich ihr auch erzählt. Laurentine weiß das auch und hat mir nie wieder einen Vorwurf daraus gemacht."
"Und mir hat sie unterstellt, ich hätte meinen Mann wohl in den Wahnsinn getrieben, um dich ganz für mich alleine zu haben. Was macht die denn, daß die sowenig Sozialkompetenz hat?"
"Bitte was?" Fragte Julius zurück.
"Achso, ja. Das heißt Umgangserfahrung, wie man bei Gesprächen und Handlungen mit anderen Menschen am besten auftritt", erläuterte Martha Andrews.
"Die ist wohl Assistentin eines Musikproduzenten, der ihr Vater ist. Ihr Mann ist bei der ESA und arbeitet im Ariane-Programm", gab Julius die gewünschte Auskunft.
"Einerseits klar, wenn sie gewohnt ist, daß andere vor ihr kuschen. Andererseits geschäftsschädigend, wenn sie jeden zweiten so abfertigt wie uns beide eben. Ich habe mir auch Vorwürfe gemacht, mich geärgert, daß sie dich einfach weggeholt haben. Aber ich habe mich immer wieder gefragt, warum das passiert ist. Aber sei's drum! Wenn dieses Mädchen bei Eleonore ist, wird sie eben ein paar abwechslungsreiche Tage da haben."
"Gehen Handies in Millemerveilles?" Fragte Julius seine Mutter.
"Habe ich keine Ahnung. Aber ich denke, Eleonore würde weder dich noch sie mit einem Handy herumhantieren lassen. Sie ist wirklich sehr umgänglich. Aber sie ist wie eine Königin, die ihre Macht kennt. Hast du noch Hunger auf irgendwas?"
"Wir haben zwar gut gegessen, Mum, aber irgendwas will ich jetzt doch noch essen und vor allem was trinken", antwortete Julius. Er ging mit seiner Mutter hinüber in den magisch vergrößerten Wohnraum. Von dem Gespräch mit Laurentines Mutter abgesehen war dieser Tag doch ein recht schöner Auftakt zu den Ferien, fanden Martha und Julius Andrews. Julius erzählte ihr auch, was er von Viviane erfahren hatte, natürlich ohne zu verraten, daß er die Gründungsmutter direkt in ihrem Zuhause besucht und ihren gemeinsamen Stammbaum angesehen hatte.
"Dieses Knieselweibchen ist jetzt also nicht mehr gegen Claire?" Fragte Martha.
"Neh, die hat sich irgendwie beruhigt", antwortete ihr sohn.
Es wurde schon Mitternacht, als Julius endlich müde genug war, um lange und tief zu schlafen. Die Ferien lagen vor ihm. Sechs wochen, von denen fünf wohl noch nicht verplant waren. Er dachte nicht an Lord Voldemort oder die Todesser. Hier war er zu Hause. Hier konnte er erst einmal ausspannen, mußte nicht an die Schule denken. Die Hausaufgaben für Fixus, Faucon und Pallas würde er wohl erst nach einer Woche angehen. Wenn er rasch arbeitete, hatte er das in einer Woche abgearbeitet und dann immer noch vier Wochen zur freien Verfügung. Von diesem beruhigenden Gedanken getragen schlief er ein.