Julius hatte beschlossen, den Valentinstag schlicht weg nicht stattfinden zu lassen. Für ihn sollte es ein ganz gewöhnlicher Schultag sein. An und für sich sah er keine Probleme darin, das durchzuhalten, weil er nach Belisamas Frage vorgewarnt war und ihr ja auch die richtige Antwort gegeben hatte, höflich aber bestimmt. Das Problem war jedoch, daß sein Schulfreund Hercules Moulin wenige Tage vor dem vierzehnten Februar immer ungehaltener wurde. Vor allem wenn Robert und Gérard darüber sprachen, was sie mit ihren Freundinnen Céline und Sandrine unternehmen wollten, wenn der Schultag vorbei war und die für Valentinsausflüge angemeldeten Paare in den Parks und der schuleigenen Menagerie flanieren durften. Julius hörte da meistens nicht hin. Er dachte an das kommende Spiel zwischen den Roten und den Violetten am kommenden Wochenende. Wie würde sich die Truppe um die Montferre-Mädchen, Brunhilde Heidenreich, Millie Latierre und Laertis Brochet schlagen? Würde Brochet diesmal einen Schnatzfang hinbekommen. Immerhin war es schon imposant, daß die Gelben die Weißen bei dem Spiel, wo er die verhängte Strafarbeit abgeleistet hatte, mit 360 zu 200 gewonnen hatten, weil Dujardin nach einem ausgeglichenen Spiel durch Schnatzfang die Sache klargemacht hatte. Wenn sie, die Grünen, gegen die Gelben spielen würden, mußten sie vor allem den Sucher im Auge behalten, wußte Julius. Doch das waren noch ungelegte Eier. Deshalb konnte es sich Hercules Moulin auch gönnen, mit Gérard und Robert darüber zu streiten, was so toll an Valentin sei, daß dieser Tag wie ein hoher Feiertag behandelt wurde. Da Robert und Gérard den Kameraden damit auffzogen, daß er im letzten Jahr ja genauso scharf auf den Valentinsausflug gewesen war kam es häufig genug zu wilden Wortgefechten. >
"Da deine Süße von letztem Jahr ja endlich ihre wahre Liebe gefunden hat", setzte Gérard Laplace an, "ärgerst du dich doch nur, weil du jetzt wie ein abgelegtes Kleid zusammengeknüllt und in die Ecke geworfen wurdest, Culie."
"Pass auf, daß ich dich nicht gleich zusammenknülle!" Schnaubte Hercules kurz nach halb elf abends, wo sie alle in den Betten zu sein hatten. Julius verwünschte es innerlich, daß der Bettvorhang nicht in beide Richtungen Geräusche schluckte. Er griff demonstrativ nach einem Buch auf seinem Nachttisch und schlug es auf. Da fragte ihn Hercules:
"Eh, Julius, findest du das in Ordnung, wenn dieser Knilch mich jetzt so blöd anmacht?"
"Hercules und ihr anderen tut mir bitte den Gefallen und zankt euch ohne mich um die Valentinskiste! Mit der habe ich dieses Jahr nichts zu tun und muß das deshalb auch nicht wissen, was wer von euch wem an die Birne wirft", knurrte er, zog seinen Bettvorhang zu und las noch etwas im Licht des Zauberstabes. Hercules meinte zwar, Julius wäre ja wohl kein echter Freund, wenn er ihm nicht beistehen würde. Doch Robert meinte dazu:
"Hercules, nur weil du im Moment keine Freundin hast, mit der du einen Valentinsausflug machen könntest mußt du Julius jetzt nicht blöd anmachen, wenn der sich auch nicht dafür interessiert. Außerdem hast du es wohl nicht nötig, dich hinter ihm zu verstecken oder zu denken, daß der für dich andere Leute vermöbelt, wenn die was zu dir sagen, was dir nicht passt. Klar?"
"Ach, so kommt das bei dir an?" Fragte Hercules Moulin.
"Genauso", bestätigte Robert entschlossen. Julius hörte nicht weiter hin. Er las etwas über einen Materialbeeinflussungszauber durch, der Gesteinsarten wie Granit in eine knetbare Substanz verwandelte, was in der magischen Bildhauerkunst einen erheblichen Vorteil einbrachte, zumal der Umkehrzauber, der das Ausgangsmaterial wieder härtete die Form nicht beeinflußte, so daß jemand mit bloßen Händen oder entsprechenden Fernbewegungszaubern innerhalb weniger Minuten große Steinkunstwerke erschaffen und sie dann hart und beständig der Umwelt vorstellen konnte. Er dachte daran, daß diese Zauberkunst Claire sicherlich sehr behagt hätte und drohte für einen Moment, in einen Abgrund aus Traurigkeit zu stürzen. Dann dachte er daran, daß sie diesen Zauber gewiß nun spielend leicht beherrschte, wenn sie in der Verschmelzung mit ihrer Großmutter alles von ihr gelernt hatte und alle bisherigen Zauber ohne Zauberstab hinbekam. Claire war nicht mehr bei ihm. Aber sie war in ihm, lebte weiter, wohnte in seinen Gedanken, bewegte seine Gefühle und blieb immer bei ihm, wo er auch immer hinging. Er sah sich mit ihr bei ihrem einzigen Valentinsausflug, wie sie vor dem Knieselgehege gestanden hatten, wie sie am Fluß im Park saßen, wie sie sich gegenseitig in die Arme geschlossen hatten und fühlte ihre Wärme, die in ihn eindrang. Er fühlte sich nun wieder wohl. Andererseits schlichen sich Belisamas Worte in sein Bewußtsein ein, daß sie ihn sehr gerne auf den kommenden Valentinsausflug dabei gehabt hätte. Er wunderte sich, daß Millie, die ihn im letzten Schuljahr sehr direkt danach gefragt hatte, ob er nicht mit ihr zusammen gehen würde, noch nichts in dieser Richtung gesagt oder getan hatte. Sie hielt sich erstaunlich gut zurück, erkannte er. Tat sie das, weil sie keine Konkurrenz mehr hatte? Das sie sich noch für ihn interessierte wußte er von den Weihnachtstagen. Also was ging in diesem so frei heraus lebenden Mädchen vor? - Wieso dachte er jetzt an Mildrid Latierre? Was sollte das denn jetzt? Er verscheuchte die Gedanken an Millie und vertiefte sich erneut in sein Buch. Er hatte in der Schule eh den Ruf, Bernadette Lavalette nachzuschlagen und nur noch für's Lernen zu leben. Als er keine Zankerei von den Jungen im Schlafsaal mehr hörte wartete er einige Minuten, bevor er sein Buch in die Centinimus-Bibliotehk zurücksteckte, aus der er es am Morgen geholt hatte, um sich für die nächsten Schulstunden Zauberkunst vorzubereiten. Er lauschte in die Stille hinein, die den Saal ausfüllte. Noch war Goldschweif mit ihren Jungen beschäftigt, um wieder zu ihm zu kommen. Doch er wußte, daß sie nicht mehr all zu lange darauf verzichten würde, ihn zu besuchen. Er grinste verhalten, weil sie ihn immer noch mit einem anderen "Weibchen" zusammenbringen wollte und sie ihm mehrmals zu verstehen gegeben hatte, daß sie ihm eine der Montferres oder Latierres gerne zuführen würde. Sollte er da nicht vielleicht doch auf Belisama eingehen? Oder sollte er sich einer anderen zuwenden?
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Als das Zauberwesenseminar bei Madame Maxime anstand dachte er daran, daß sie an diesem Abend über Sabberhexen sprechen würden. Diese Geschöpfe waren und blieben ihm unheimlich und leicht abstoßend, obwohl er im letzten Sommer eine von ihnen kennengelernt hatte, die sich etwas zivilisierter benehmen konnte. Waltraud Eschenwurz, die aus ihrer Heimat einige der grünen Waldfrauen kannte, unterhielt sich mit Edgar Camus über den Unterschied zwischen den Bergwaldfrauen und denen aus den Flachlandwäldern. Die Montferre-Schwestern schienen über irgendwas sehr verstimmt zu sein. Sie blickten alle mit einer Mischung aus Ärger und Angriffslust an. Julius sah Sandra einmal für eine Sekunde zu lang in die Augen. Sie fauchte ihn an:
"Glotz mich nicht so komisch an, Julius!"
"'tschuldigung, konnte nicht wissen, daß du heute niemanden angucken willst", knurrte Julius zurück. Sabine hörte das und sah Julius sehr durchdringend an, als müsse sie überlegen, ob sie ihn nun wie eine Löwin anspringen oder ihm irgendwas wichtiges erklären sollte. Er wandte sich von ihr ab. Was die großen Mädels hatten mußte ihn nicht kümmern. Vielleicht hatten sie auch nur irgendwelche körperlichen Beschwerden, für die sich ein Junge nicht zu interessieren hatte. Dafür klinkte sich Millie in die kurze aber heftige Auseinandersetzung ein und sagte laut:
"Bine und San, nur weil die Rossies morgen nicht mit euch Händchen halten wollen müßt ihr nicht jeden blöd anfauchen, der damit nix zu tun hat."
"Sei du mal ganz ganz still, Millie", schnarrte Sandra Montferre sehr bedrohlich und straffte ihren ohnehin schon hochgewachsenen Körper. Doch Millie steckte diese Zurechtweisung locker weg, warf sich in eine überlegene Pose und erwiderte keck:
"Wenn du schon Julius anpampst, dann sollte der auch wissen, wieso, San."
"Ey, Mädchen, dich mache ich gleich so klein", knurrte Sandra, wobei sie ihre linke Hand ausstreckte und Millie mit sehr eng beieinanderliegenden Daumen und Zeigefinger drohte. Doch da klangen bereits die großen Absätze Madame Maximes aus der Ferne heran, und die Mädchen nahmen eine friedvollere Haltung an. Julius wollte gerade noch zu Millie hinüber und ihr sagen, daß er es nicht nötig hatte, daß sie ihn verteidigte, als die Schulleiterin in einem blattgrünen Kleid in der Tür des Panoramasaales auftauchte. Er setzte sich wieder hin. Als die überlebensgroß wirkende Erscheinung der Schulleiterin vollständig den Seminarraum betreten hatte, änderte sich die Bildillusion, die in diesem Raum den Eindruck vermittelt hatte, durch sämtliche Wände und Decken des Palastes hindurchzusehen in den Eindruck, in einer weitläufigen Waldlandschaft zu stehen, über der gerade die Mittagssonne erstrahlte. Der Wald wirkte sommerlich, nicht wie die gerade erst wieder Blätter austreibenden Bäume in den Schulparks.
"Guten Abend zusammen", grüßte die Direktrice der Beauxbatons-Akademie ihre Seminarteilnehmer. Alle grüßten im Chor zurück. "Heute Abend werden wir über die weithin oft als den dunklen Kreaturen zugerechneten Waldhexen sprechen, die im allgemeinen Sprachgebrauch auch als Sabberhexen bekannt sind. Hierzu wird uns Fiayauba aus dem grünen Forst bei Colmar einiges über ihren Alltag berichten, nachdem wir uns über das unterhalten haben, was die Schulliteratur uns über diese Wesen zu berichten weiß."
Die Mädchen und Jungen sahen sich leicht irritiert um. Wo war denn diese Fiayauba? Außerdem hatten sie noch keine Schutzmaßnahmen ergriffen, um sich bei möglichen Übergriffen dieser Kreatur wehren zu können. Edgar Camus stellte die Frage, wo die Besucherin denn abgeblieben sei. Madame Maxime deutete auf die Tür und sagte:
"Oh, da habe ich mich wohl mißverständlich ausgedrückt. Sie wird erst nächste Woche zu uns stoßen, da sie gewisse Verpflichtungen hat, die sie heute daran hinderten, uns zu beehren. Sonst hätte ich Sie alle auch im Vorfeld angewiesen, sich entsprechend einzurichten."
Fast alle atmeten auf und entspannten sich wieder. Dann begann die allgemeine Diskussion, die im Vergleich zur ersten Seminarstunde des Schuljahres besonders detailliert auf die Lebensgewohnheiten von Sabberhexen einging. Jeder und jede wurde befragt, ob er oder sie schon direkten Kontakt mit jenen grünhäutigen Wesen gehabt hatte, die ohne Flügel fliegen konnten und meistens mehrere Zentimeter über dem boden schwebten.
"Wozu brauchen die dann noch füße?" Fragte Edgar Camus dazu.
"Weil die eben noch von ihren Vorfahren stammen", meinte Felicité Deckers dazu.
"Außerdem können sie damit in Bäumen herumklettern und sich zum Schlafen an einen Ast hängen, damit sie nicht auf dem Boden herumliegen", sagte Waltraud Eschenwurz, nachdem sie ums Wort gebeten hatte. Mildrid hob die Hand und wandte leicht verschmitzt grinsend ein:
"Außerdem haben sie dann noch zwei Greif- und Halteorgane mehr, um ihre Beute oder Wunschpartner wegzutragen."
"Auch wenn es sich mir nicht erschließt, was Sie daran amüsiert, Mademoiselle Latierre ist diese Feststellung zutreffend", bestätigte Madame Maxime etwas ungehalten klingend. Julius dachte schon, sie würde Millie für das Grinsen Strafpunkte anhängen. Doch sie tat es nicht, zumal Millie nun sehr ernst dreinschaute.
"Damit sind wir beim eigentlichen Thema, nicht wahr", knurrte Edgar Camus. "Diese Biester fangen kleine Kinder oder vergewaltigen halbwüchsige Jungen, um sich von denen neue Kinder machen zu lassen."
"Öhm, wie heißt das bitte, Monsieur Camus?" Fragte Madame Maxime sehr gefährlich dreinschauend.
"Tut mir Leid, Madame Maxime, daß Ihnen meine Wortwahl nicht gefällt. Aber so primitiv, wie ich das jetzt gesagt habe verhält es sich auch und muß daher nicht umständlicher beschrieben werden als es ist", entgegnete Edgar. Doch die großen, schwarz glänzenden Augen der Halbriesin sahen ihn sehr vorwurfsvoll an.
"Da Sie sich genauso wie alle anderen Hier später damit rühmen wollen, in einer erstklassigen Lehranstalt ausgebildet worden zu sein muß ich Ihnen für diese sehr respektlose und unsachliche Ausdrucksweise zwanzig Strafpunkte zuteilen. Fünf wären zwar angemessen genug, aber da Sie die Würde des Sprechers der Jungen Ihres Saales tragen muß ich bei Ihnen auf vorbildliches Betragen bestehen und Sie daher in dieser Hinsicht eindeutiger Korrigieren als andere. - Nun, wenn wir dieses zugegebenermaßen anrüchige Thema schon einmal behandeln müssen, Mesdemoiselles et Messieurs, so frage ich Sie alle, ob Ihnen persönlich Zwischenfälle bekannt sind, bei denen die Waldfrauen sich halbwüchsige Jungen ausgesucht haben, um sich mit ihnen fortzupflanzen."
Gloria hob die Hand und bekam das Wort.
"Ich hörte von meiner Großmutter, daß sie vor fünfzehn Jahren einmal in Hogsmeade zwei Jungen aus der Gewalt von mehreren Sabberhexen befreien mußte, die mit ihnen die sogenannte Waldhochzeit durchgeführt haben, was im wesentlichen bedeutet, daß sämtliche empfängnisbereite Exemplare die Kopulation mit ihnen erzwungen haben, indem sie sie durch ihren Speichel oder ihre Tränenflüssigkeit in eine willfährige Stimmung versetzten. Es dauerte mehrere Wochen, um die beiden von den Auswirkungen dieses Zusammentreffens zu heilen."
"Ich entsinne mich, daß ich von diesem Vorfall gelesen habe", sagte Madame Maxime. "Mein geschätzter Kollege Dumblydor geriet auf Grund dieses Zwischenfalls in arge Bedrängnis."Julius erinnerte sich daran, daß Aurora Dawn ihm von diesem Zwischenfall erzählt hatte, bei dem sie selbst mitgeholfen hatte, daß die beiden Schulkameraden rechtzeitig gefunden und behandelt werden konnten. Das war in ihrem ZAG-Jahr passiert, und die Anführerin der bei Hogsmeade lebenden Sabberhexen, eine gewisse Morpuora, sei danach wohl auch wirklich schwanger gewesen.
"Weißt du auch, was aus den Jungen geworden ist, Gloria?" Fragte Waltraud Eschenwurz die Austauschschulkameradin.
"Das waren beides Muggelstämmige, Waltraud", erwiderte Gloria. "Offenbar wirken die auf empfängnisbereite Sabberhexen besonders anziehend. Beide konnten erfolgreich aus der Abhängigkeit zu diesen Wesen gelöst werden. Einer von denen hat wohl später noch eine normale Hexe geheiratet, der andere fing im Zaubereiministerium an. Mehr weiß ich nicht."
"Was auch vollkommen ausreicht", warf Madame Maxime ein. So begann nun eine Diskussion, wie man sich vor paarungswilligen Sabberhexen schützen oder Kinder vor deren Nachstellungen bewahren konnte. Julius meinte, daß man denen die Beute sprichwörtlich versalzen konnte, wenn die gefährdeten Kinder oder Jungen kleine Vorräte von Steinsalz dabei hatten, weil Steinsalz den natürlichen Schwebezauber unterbrach und die Sabberhexen dadurch auf den Boden herunterziehen konnte, wo sie nicht ganz so beweglich waren wie sonst. Am ende der Seminarstunde beschlossen sie dann, sich fürs nächste Mal mit kleinen Vorräten von Steinsalz auszustatten, besonders aber die halbwüchsigen Jungen. Julius, der das auf sich münzte meinte, daß er nach dem Rendezvous mit Hallitti keine Lust habe, sich auf andere weibliche Zauberwesen mit niederen Absichten einzulassen, was die meisten im Saal zu einem amüsierten Grinsen veranlaßte. Nur die Montferres, die den ganzen Abend sehr verstimmt gewesen waren und sich nach Möglichkeit aus der Diskussion rausgehalten hatten, sowie Millie Latierre grinsten nicht. Madame Maxime sah ihn an und meinte, daß Fiayauba wohl derzeit nicht in empfängnisbereiter Stimmung sei, so daß er von ihrer Seite her keine Belästigung zu befürchten habe. Edgar meinte dazu nur:
"Belästigung ist ja wohl stark untertrieben, Madame Maxime."
"Das dürfen Sie bitte mir überlassen, wie ich etwas bezeichne, Monsieur Camus", schnaubte die Schulleiterin sehr bedrohlich. Doch mehr sagte sie dazu nicht.
Draußen vor dem Saal winkte Sabine Julius zu sich. Millie, die sich ebenfalls angesprochen fühlte, versuchte, in Julius' Nähe zu bleiben. Doch Sandra Montferre holte ihren Zauberstab hervor und deutete drohend auf die jüngere Saalkameradin.
"Ich weiß, das hat dich jetzt irritiert, wie San dich angeraunzt hat", wisperte Sabine Julius zu. "Aber es muß echt nicht jeder wissen, was die beiden Mistkerle uns angetan haben. Nimm's also nicht persönlich!"
"Tu ich nicht, Sabine", sagte Julius. "Jeder kann mal einen blöden Tag erwischen und sich drüber ärgern. Ich nehm's nicht persönlich."
"Danke, Julius. Noch einen schönen Abend und gute Nacht", erwiderte Sabine beruhigt und ging mit ihrer Schwester davon.
"Tja, ich denke, die müssen sich wen anderen für Walpurgis ranziehen", feixte Mildrid, als die beiden rothaarigen Mädchen außer Hörweite waren zu Julius.
"Das muß doch keinen interessieren, ob die Rossignols kalte Füße gekriegt haben und jetzt vor Valentin die Notbremse gezogen haben", erwiderte Julius leicht tadelnd. Millie schüttelte den Kopf und erwiderte:
"Das sollte dich aber interessieren, warum eine von uns roten dich blöd anmacht. Oder ist dir das echt egal, warum San so drauf war?"
"Ich möchte dich nicht erleben, wie du drauf bist, wenn dir wer einen Korb gibt und ..." Sagte Julius und würgte sich selbst ab, weil ihm gerade klar wurde, daß er Millie ja auch schon ein paarmal zurückgewiesen hatte.
"Wenn das einer mit mir macht, der keine glaubhafte Begründung dafür abliefert, dann kläre ich das mit dem betreffenden ohne daß die anderen das mitkriegen müssen, Julius. Jedenfalls würde ich meine Wut nicht an Unbeteiligten Leuten auslassen."
"Soll sein, Millie", erwiderte Julius. Er wollte sich grade mit Waltraud in Richtung grünen Saal absetzen als Millie ihn am Arm ergriff und sacht zu sich heranzog.
"Sieh zu, daß du mich nie so wütend machst, daß du das selbst erlebst, wie ich dann drauf bin, Julius! Schlaf schön!"
"Du auch", erwiderte Julius eher automatisch als bedacht, bevor Millie ihn losließ und zum roten Saal davonging.
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Julius nennt sie kleine Prinzessin. Aber für mich ist sie gerade ziemlich wild. Sie fängt an, ihre Brüder zu schlagen und sie immer wieder von mir wegzuschieben, wenn sie bei mir trinken wollen. Deshalb muß ich sie manchmal mit der Pfote umwerfen, damit die drei anderen bei mir an die Trinkknubbel kommen. Die will ich nicht verhungern lassen. Sie zu kriegen war zu anstrengend.
Ich weiß aber, daß ich sie bald mit zerbeißbaren Sachen füttern kann. Dann muß ich auch nicht immer soviel trinken. Wenn die dann selber fressen können zeige ich denen das Jagen, dann werde ich wohl frei sein, um Julius zu helfen, sein Weibchen zu finden.
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Im Grünen Saal kam Julius gerade an, als Hercules sich mit Gérard prügelte. Giscard Moureau versuchte, dem Treiben ohne Zauberkraft Einhalt zu gebieten. Doch zwei blaue Augen und eine blutende Nase bezeugten, daß er dabei keinen Erfolg hatte. Andere Jungen versuchten, die beiden Streithähne auseinanderzureißen. Andere bildeten zwei Lager und feuerten die sich raufenden Viertklässler an, deren Umhänge bereits gut verdreckt und an einigen Stellen angerissen waren. Robert hing in Célines Armen, wohl eher unfreiwillig, wie Julius an der Miene des Freundes sehen konnte. Die Mädchen riefen, daß die beiden sich doch jetzt endlich in Ruhe lassen sollten. Als Hercules Gérard mit einem energischen Schubser über einen der bequemen Sessel geworfen hatte, packte ihn Giscard sehr zornig an den Armen und zerrte ihn mit sich fort.
"Hey, was ging denn hier ab?" Fragte Julius leicht irritiert.
"Der Kessel ist übergekocht, Julius", sagte Robert, der immer noch in Célines Armen hing. Er versuchte, sich so sanft es ging daraus zu lösen. Doch seine Freundin hielt ihn mit eisenhartem Griff umklammert.
"Ging's wieder um diesen Blödsinn, den ihr euch in den letzten Tagen immer wieder angetan habt?" Fragte Julius Robert. Gérard, der gerade wieder auf die Beine kam setzte gerade Giscard und Hercules nach. Sein Gesicht war eine feuerrote Maske der Wut.
"Gérard hat Hercules "Culie" genannt, wie Bernadette es früher getan hat und gemeint, daß er wohl gerne ein dickes Zauberbuch wäre und Bernie beide Hände voll hätte, so daß sie ihn zwischen die Beine klemmen müsse. Das würde die bestimmt mehr anmachen als wenn er als Junge da drankäme", sagte Robert. Céline ließ nun von ihm ab und sah leicht verlegen zu Julius hin.
"Och, und deshalb kloppten die sich?" Wollte Julius wissen.
"Nöh, das war eher deshalb, weil Hercules Gérard gesagt hat, daß Sandrine nur deshalb noch kein Baby im Bauch hat weil Gérard es ja eh nicht bringe, wo die ja sonst jeden ranließe, der ihr was vom weißen Flügelpferd erzähle", grinste Robert. Céline kniff ihm wütend in die rechte Wange und zischte:
"Daß ihr euch nicht schämt, so über Sandrine zu reden."
"Ui, das war dann echt ein Wort zu viel. Gérard hat dann ja gleich zwei Gründe zum Ausrasten gehabt", erkannte Julius. Dann fragte er Céline, warum sie Robert so krampfhaft umklammert habe.
"Hercules meinte zu ihm, daß er morgen beim Ausflug aufpassen solle, daß er mich nicht auch dick macht wie meine Schwester", sagte Céline.
"Das ist nicht wahr, oder?" Stöhnte Julius. "Da wollte der sich mit euch beiden gleichzeitig anlegen? Wieso hat der dann nicht gleich ein Zaubererduell angefangen?"
"Mal jetzt keinen pyrenäischen Purpurpanzer an die Wand, Julius", zischte Céline. Robert meinte:
"Offenbar kann der das nicht ab, daß Gérard und ich morgen nachmittag mit unseren Süßen ausgehen und er nicht weiß, ob er auf sich oder auf uns wütend sein will."
Offenbar bin ich für dieses Getue schon zu alt", dachte Julius und sagte laut: "Ich denke, Madame Maxime oder Professeur Faucon werden dem morgen genug zum Abreagieren geben."
"Genau, einen Valentinsausflug mit Madame Maxime zum Beispiel", feixte Robert. Céline kniff ihm nun in die andere Wange und fauchte wie eine wütende Katze:
"Sei du lieber froh, daß ich dich festgehalten habe. Sonst würden sie dir auch noch was aufbrummen und uns damit den Ausflug verderben."
"Oh, dann könnte Gérard aber morgen auch irgendwo sonst rumlaufen ohne Sandrine", erwiderte Julius. Céline nickte sehr wild. "Ohui, das gibt dann bestimmt noch Krach mit Sandrine, wenn die hört, was passiert ist."
"Könnte Hercules passieren, daß Sandrine ihre gelbe Zurückhaltung vergißt und ihn so richtig heftig verflucht, wenn die hört, daß er die als leichtes Mädchen bezeichnet hat", knurrte Céline. Bébé Hellersdorf kam herüber und fragte Céline, ob das mit den Jungen echt so nötig war.
"Das mußt du die fragen, Bébé", schnarrte Céline, während Robert meinte, daß er Hercules auch am liebsten eine gezimmert hätte. Aber das könne er ja noch nachholen. Da meinte Céline, sie könne ja mal eben den Intercorpores-Fluch auf ihn und Bébé anwenden, damit er sich nicht an Hercules vergriff und sie rauskriegen könne, warum die Jungs sich derartig leicht in die Wolle kriegen konnten. das löschte Roberts Rachedurst und verjagte Bébés Neugier. Nur Julius meinte, daß Céline dann so oder so keinen Ausflug mit Robert hätte machen können, weil sie dann von den anderen so hingestellt würde, daß sie eigentlich auf Mädchen stehe oder gleich von der Akademie flöge, wie es Jasper van Minglern im letzten Jahr passiert sei.
"Du kannst im Moment froh sein, daß dieser gefrustete Bursche dich nicht auch noch in seine hirnlosen Sachen reingezogen hat", meinte Céline. Robert nickte betreten. Dann sah er Bébé an und meinte:
"Denk nicht, daß ihr Mädels euch besser benehmen könnt, wenn euch einer dumm anmacht. Céline hat mich nur festgehalten, um nicht selbst auf Culie einzudreschen oder ihren Zauberstab zu ziehen, um den irgendwie zu verfluchen", sagte Robert.
"Ich sollte vielleicht was machen, damit Madame Rossignol mich diese Nacht im Krankenflügel schlafen läßt, wenn die beiden Streithähne nicht Rueh geben", seufzte Julius.
"Das würde sie aber sofort blicken", sagte Céline Dornier. "Willst du dir wegen denen noch 'ne heftige Strafe einhandeln?"
"wieso? Ich sage einfach, ich könne nicht gescheit schlafen, weil es in meinem Schlafsaal andauernd zu laut und zu heiß sei", erwiderte Julius unbekümmert. Bébé lachte.
"Das würde sie dir bestimmt sofort abnehmen."
Einige Minuten später kam Giscard Moureau alleine und von allen Verletzungen geheilt zurück. Er stellte sich in die Mitte des Saales und wartete, bis alle ihn gebannt ansahen und keinen Ton mehr von sich gaben.
"So, Leute, die beiden Streithammel schwimmen gerade in zwei Goldfischgläsern und werden da die nächsten zwei Nächte verbringen, hat unsere Saalvorsteherin verfügt. Dort hätten sie Zeit, sich ordentlich abzukühlen. Da sie nicht am Unterricht teilnehmen dürften, um einen störungsfreien Verlauf zu gewährleisten, haben sie zu dem noch je dreihundert Strafpunkte erhalten, was bedeutet, daß sie wohl in der nächsten Woche zum Putzdienst eingeteilt werden", sagte Giscard sehr zornig. "Es hätte nicht viel gefehlt, und diese hirnlosen Chaoten hätten mich die goldene Brosche gekostet. Mit den einhundert Unterlassungsstrafpunkten muß ich wohl leben. Sollte noch wer von euch Jungs meinen, es sei männlich, sich gegenseitig zu beleidigen und dann wie wilde Tiere anzufallen darf ich von Professeur Faucon ausrichten, daß ich die betreffenden gerne bei ihr vorbeibringen darf. Sie hat noch genug freie Gläser."
"Ey, Giscard, die ist wohl doch etwas zu heftig drauf, oder?" Fragte einer aus der ZAG-Klasse.
"Sie will das nicht haben, daß wir uns wie die Höhlenmenschen herumprügeln. Dafür seien wir nicht hier", sagt sie."
"Och, und dann kommt die nicht selbst her um uns das zu sagen?" Fragte einer von Giscards Klassenkameraden leicht verächtlich.
"Sei ja froh, daß die das nicht macht, weil wir dann echt Feuer unterm Kessel hätten. Mehr ist dazu nicht zu sagen", erwiderte Giscard und wies noch darauf hin, daß die restlichen Viertklässler sich langsam bettfertig machen sollten.
"Da kann Sandrine ihrem Süßen morgen Wasserflöhe zum Valentinstag reichen", feixte Robert, als die vier nicht bestraften Jungen in ihrem Schlafsaal waren. Gaston und André grinsten schadenfroh, während Julius sich wünschte, einen Zauber zu kennen, der ihn um einen Tag in die Zukunft versetzen konnte.
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Es fiel schon auf, daß zwei Schüler weniger bei Zauberkunst, Zaubereigeschichte und Verwandlung waren, als die vierte Klasse am vierzehnten Februar im Unterricht saß. Professeur Faucon ließ einmal eine Bemerkung fallen, daß es nicht gerade anständig sei, wenn zwei junge Männer sich derartig ungehemmt im Ton und dann auch noch aneinander vergriffen.
Am Nachmittag traf Julius vor dem Raum für alte Runen auf Sandrine Dumas, die sichtlich wütend aussah. Sie fragte ihn, was er am Nachmittag machen würde.
"Ich bin in der Alchemie-AG, Sandrine. Da ich mich nicht abgemeldet habe, weil ich im Moment ja niemanden für einen Ausflug habe, werde ich ein paar Zaubertränke brauen", sagte er ruhig. Sandrine sah ihn leicht enttäuscht an, nickte dann aber. Dann meinte sie:
"Sage ihm, wenn er wieder auf seinen zwei Beinen stehen und Luft atmen kann, daß er froh sein soll, wenn ihn die Faucon eher verhext als ich. Machst du das?"
"Muß ich das?" Fragte Julius. Dann nickte er. "Ich denke, er hat's kapiert, Sandrine."
"Ach ja, dem Hercules sagst du bitte bei der Gelegenheit, daß er mich gerne einmal eine Woche lang auf dem Rücken herumtragen darf, wenn er noch einmal behauptet, ich ließe jeden an mich ran, wie ein leichtes Mädchen!"
"Mit Gewicht hat das nichts zu tun", setzte Julius an. Doch Sandrines Augen funkelten sehr wütend. "Ist schon fies, jemanden zu beleidigen, der oder die nicht dabeisteht und sich wehren kann", fügte er noch hinzu. "Hercules hat wohl arge Probleme, weil um ihn herum Pärchen sind, die miteinander Händchen halten und sich lieb haben."
"Und du hast damit kein Problem?" Fragte Sandrine sichtlich verärgert. Dann fiel ihr erst auf, was sie da angestellt hatte und machte ein ziemlich betretenes Gesicht. Reflexartig nahm sie Julius in die Arme, um ihn zu besänftigen. Er ließ es sich gefallen, weil er im Moment weder die passenden Worte fand und zu perplex war, um sich einfach abzuwenden. Erst als sie ihn einige Sekunden so hielt und meinte:
"'tschuldigung, Julius. Das wollte ich echt nicht sagen. Ist mir nur blöd rausgerutscht, weil Hercules und Gérard mich so geärgert haben."
"Das weiß ich doch", sagte Julius leicht betreten. "Ich weiß doch, daß du sie auch vermißt." Sandrine nickte und gab ihn aus ihrer Umarmung frei. Charlotte Colbert fragte sie darauf hin, ob sie sich jetzt mit Julius einlassen wollte, weil Gérard sie ja versetzt habe. Sie meinte dazu nur:
"Pass du erst einmal auf den auf, den du dir angelacht hast, Mademoiselle Colbert!"
"Ich weiß, es klingt jetzt zu indiskret, aber was machst du dann heute nachmittag?" Fragte Julius Sandrine.
"Och, ich geh dann eben zu meinem Ballettkurs", sagte Sandrine ruhig. Dann kam Professeur Milet, und der Unterricht lief ab wie üblich.
Das Waltraud in der Alchemie-Gruppe fehlte wunderte Julius. Millie meinte verschmitzt grinsend:
"Ich hätte mit Caro wetten sollen, daß eure deutsche Musterschülerin doch wen um den Finger wickeln kann. Die schwärmt eben doch nicht nur für Bücher."
"Ich habe das nicht mitgekriegt, daß die mit wem geht", biss Julius an. Millie grinste noch breiter und sagte:
"Na klar, wenn du dich mit Gewalt von allem fernzuhalten versuchst, was das echte Leben so hergibt. Da hättest du jetzt mit Bernie zusammen in der Bib kuscheln können und über die Bedeutung des Graustein'schen Flüssigkeitsanteilsgesetzes fachsimpeln können."
"Was gibt's da zu uzen, Latierre?" Fauchte Bernadette Lavalette gereizt. Millie sah sie nur an und meinte:
"Ich stellte nur fest, daß du heute einen schönen Nachmittag mit Julius alleine hättest zubringen können, wo ihr euch über die Grundprinzipien bei flüssigen Bestandteilen von Tränken richtig schön aneinander hättet hochziehen können, damit du in der nächsten Stunde bei Madame Denk-nicht-Dran besser dagestanden hättest als Waltraud."
"Das ich dich nicht gleich mal in den nächsten großen Kessel reindrücke, blöde Kuh", schnaubte Bernadette. "Dich ärgert doch nur, daß du Julius nicht für dich gesichert hast, damit eure Kaninchenfamilie sich mit ihm noch besser ausbreitet. Immerhin hat er eingesehen, daß er seine Zeit sinnvoller verbringen kann als sich mit euch schoßlastigen Frauenzimmern einzulassen."
"Äh, Mädels, es reicht schon, daß ich das gestern abend mit den Jungs mitgekriegt habe", knurrte Julius und wollte sich absetzen. Doch Mildrid hielt ihn fest, wandte sich Bernadette zu und sagte ruhig und kühl:
"Dafür, daß du in allen von dir besuchten Stunden die Spitzenkönnerin sein willst solltest du überlegen, was ich deiner Meinung nach bin, eine Kuh oder ein Kaninchen. Abgesehen davon wäre ich dir als Latierre-Kuh haushoch überlegen, weil ich fliegen, viel auf dem Rücken tragen, eine supergute Milch geben und warme Wolle abgeben könnte, im gegensatz zu dir. Außerdem, Mademoiselle Lavalette, ist es für ein Mädchen von der Körperhaltung her günstiger, wenn sie ihr Gewicht im Schoß konzentriert als im Kopf. Wundert mich eh, daß du noch nicht so rumläufst." Sie ließ ihr Kinn auf die Brust sinken und nahm eine krumme Körperhaltung an. Julius entwand sich ihr für einen Moment. Doch dann hatte sie ihn am Umhang und hielt ihn sicher fest. Bernadette meinte:
"Ach, warum meinst du, den festhalten zu müssen. Brauchst du für deine unsinnigen Schaueinlagen Publikum?"
"Nein, ich will nur, daß er mitkriegt, was dich von mir unterscheidet und daß er nicht so wird wie du", sagte Millie sehr entschlossen. Julius wollte was entgegnen. Doch Millie legte ihm für einen Moment die Hand auf den Mund und fuhr fort: "Da er und ich in der Pflegehelfertruppe sind werde ich das nicht einfach hinnehmen, daß Leute wie du ihn vom leben abhaltet. Oder reicht dir das nicht, daß der, den du erst angeheizt und dann eiskalt abserviert hast so wütend wurde, daß er sich mit seinem Kameraden gezofft hat und jetzt von Königin Blanche im Büro gehalten wird, bis er klar hat, daß die ganze Kiste es nicht wert war?"
"Das ist ja wohl echt nicht deine Kiste, Luder Latierre", schnaubte Bernadette. "Und was den Jungen angeht, der hat so eine wie dich eh nicht verdient, beziehungsweise, du hast den nicht verdient."
"Ui, jetzt hast du's mir aber gegeben", flötete Millie und setzte nach: "Weil du meinst, wenn er das Interesse an richtigen Mädchen verloren hat würdest du ihn als Vorzeigepartner kultivieren können oder?"
"Klar, du legst es immer so aus, als wenn ich mir unbedingt wen zulegen müßte, Latierre. Aber du schließt dabei von dir auf andere. Also hör auf mit dem kindischen Schwachsinn. Man könnte ja glauben, du wärest gerade erst aus den Windeln rausgewachsen."
"Es ist noch nicht lange her, Bernie, da hast du zumindest gewußt, wozu Jungs noch gut sind außer zum Bücherschleppen. Pech nur für dich, daß die auch lernen, daß Mädchen auch zu was anderem da sind als zum Blumenpflücken."
"Millie, jetzt ist genug", zischte Julius und machte sich frei. Sie sah ihn an und sagte noch:
"Wie gesagt, da wir beide in der Pflegehelfertruppe sind bin ich auch für dich mitverantwortlich, sowie Sandrine, Belisama und die anderen auch. Abgesehen davon würdest du alles wegschmeißen, was Claire mit und an dir hinbekommen hat." Julius verzog das Gesicht zu einer wütenden Grimasse. Doch sie sprach unbekümmert weiter: "Ja, ich weiß, ist jetzt echt fies von mir, das zu sagen, Julius. Aber wenn du dir das ruhig überlegst kommst du schnell dahinter, daß ich recht habe."
"Das du dich da mal nicht irrst, Luder", knurrrte Bernadette, obwohl sie nicht gemeint war. Julius verzichtete darauf was zu sagen. Das mochte Millie jetzt als Zustimmung auslegen oder nicht. Er wollte jedoch nicht länger mit ihr darüber diskutieren und die beiden Streithennen endlich sich selbst überlassen.
Professeur Fixus kam heran, sah die drei beisammenstehenden Viertklässler und meinte sehr harsch:
"Ich denke nicht, daß Sie dazu berechtigt sind, Ihren Klassenkameraden mit Ihren jeweiligen Engstirnigkeiten zu behelligen, meine Damen. So, und jetzt hinein mit Ihnen und an die Tische! Und ich bitte mir ja die notwendige Disziplin aus, um Ihr heutiges Projekt erfolgreich durchzuführen!" Ihre wie Windgeheul durch Türritzen klingende Stimme alleine reichte schon aus, die beiden Junghexen und Julius in den Übungssaal zu treiben. Da sie alle in derselben Arbeitsgruppe waren, mußten sie sich besonders anstrengen, um den Zorn der kleinen Hexe mit den rotbraunen Locken und der goldenen Brille nicht wirklich herauszufordern. Nach der Stunde nahm Millie Julius noch einmal bei Seite, als Bernadette bereits mit langen Schritten abrückte.
"Ich will dir echt nichts böses, Julius, und das weißt du auch. Sonst hättest du mich nämlich schon längst gehauen, auch wenn du keine Mädchen schlagen willst. Doch ich weiß auch, daß es bei dir nicht besser wird, wenn du andauernd alles verdrängst, was dich mal richtig fröhlich gemacht hat. Ich bleibe dabei, daß das Claire nicht passen würde, wenn du das alles wegwirfst, was du mit und von ihr hattest."
"Es reicht schon, daß deine Tante und andere Heiler meinen, ich müsse so oder so leben, nachdem Claire nicht mehr da ist", antwortete Julius schroff. "Du bist keine ausgebildete Heilerin."
"Das stimmt zwar, aber ich habe doch ein wenig mehr Ahnung vom Leben als Bernadette Lavalette. Die hätte mit eurem Treiber wunderbar weiterleben können, wenn sie mal eingesehen hätte, daß der unter seinem Kopf noch einen Körper hängen hat. Außerdem stimmt das mit der Mitverantwortung. Wir müssen aufeinander aufpassen. Ich würde es echt nicht wollen, daß du dich hier selbst kaputt machst."
"Würdest du das auch Sixtus sagen, wenn der nicht das täte, was du für das echte Leben hältst?" Fragte Julius.
"Der hat gleich zwei von uns in seinem Saal wohnen, die ihm schon zur rechten Zeit das richtige sagen werden", sagte Millie.
"Ja und, bei uns wohnt auch eine Pflegehelferin."
"Ja, aber die ist zu zurückhaltend, um mit dir darüber zu reden, was ansteht. Vielleicht hast du gedacht, nachdem Claire nicht mehr da ist hätte ich kein Interesse mehr daran, was du so machst und wie du klarkommst. Aber das stimmt nicht, Julius. Ich bin immer noch da. Ich wollte dir nur die Zeit lassen, in dein Leben zurückzufinden. Nur das Getue von Bernadette eben hat mich darauf gebracht, dir und ihr zu sagen, daß ich die reine Lernerei für verkehrt halte. Das was nötig ist soll gelernt werden. Aber das Lernen alleine ist nicht alles. Abgesehen davon muß es ja doch was geben, wofür sich die ganze Plackerei gelohnt hat. Die Noten, die du in der vierten kriegst jucken später keinen mehr, wenn die Zaubereigrade und die Abschlußprüfungen durch sind. Also probiere mal was aus, wofür du keine Noten kriegst, sondern einfach mal was erlebst!"
"Mit dir?" Fragte Julius.
"Hmm, wenn du findest, daß würde dir dabei helfen, warum nicht", spielte Millie den Ball zu Julius zurück. Dieser verzog zwar das Gesicht, weil sie so prompt geantwortet hatte, ärgerte sich aber wohl eher über sich selbst, weil er diese Antwort ja wirklich hätte voraussehen können. Er meinte dann noch:
"Ich weiß nicht, ob ich irgendwann wieder so weit bin, mich mit einer von euch auf etwas ähnliches einzulassen, was ich mit Claire hatte, Mildrid. Du hast selbst einmal gesagt, die Schlange der Leute, die meinten, an mir rumerziehen zu müssen sei dir zu lang. Dann stell dich auch nicht hinten an!"
"Das tu ich auch nicht, Julius. Ich stehe die ganze Zeit hinter dir und sehe mir an, was du machst, bis du dich umdrehst und von dir aus mit mir redest. Wie gesagt hätte ich dich auch schön in Ruhe gelassen, wenn Bernadette nicht gemeint hätte, dich mit ihrer überheftigen Lernerei anzustacheln. Du siehst es ja an Waltraud, daß die auch nicht nur für's Lernen lebt, oder?"
"Neh, sehe ich nicht", sagte Julius knapp. Mildrid grinste darüber und meinte dazu:
"Das kommt davon, wenn man alles mit Gewalt von sich fernhalten will. Schönen Abend noch! - Öhm, apropos, Tante Babs kommt morgen mit Demie zum Tierwesenkurs. Madame Maxime hat sie wohl nicht lange bitten müssen. Köntte sein, daß Oma Line und Tante Trice auch mitkommen. Nur damit du morgen nicht ganz so überrascht aussiehst."
"Danke für die Warnung", erwiderte Julius nicht sonderlich ernst gemeint. Millie lachte. Dann sagte sie:
"Stell dich ja gut mit mir, wenn du nicht willst, daß Tante Trice dich morgen mitnimmt und erst wieder hierher zurückkommen läßt, wenn du das nachgeholt hast, was du seit dem Abschied von Claire absichtlich versäumt hast!"
"Ich fürchte, das zu beurteilen steht dir nicht zu", erwiderte Julius etwas angenervt. Doch innerlich fragte er sich schon, ob Millie ihrer Tante eine entsprechende Nachricht schicken und diese dann beschließen könnte, er solle in einer etwas lockereren Umgebung weiterleben, weil Beauxbatons ihn seelisch zu Grunde richten würde. Immerhin hatte sie ihm bei der Willkommensfeier für Esperance und Felicité Latierre zu verstehen gegeben, daß sie wegen des Rituals für ihn genauso verantwortlich sei wie für ihre übrigen Verwandten und die Patienten, die freiwillig zu ihr hinkamen. Allerdings würde Professeur Faucon das nicht zulassen, daß ausgerechnet die Latierres ihm beibrachten, was der wahre Sinn des Lebens sei. So sagte er noch: "Ich denke, Professeur Faucon würde deiner Tante Trice sehr böse sein, wenn die meint, ich gehöre nicht hier her."
"Das wäre abzuwarten", konterte Millie, die keineswegs von dem erschüttert wurde, was Julius sagte. Das imponierte ihm merkwürdigerweise. Auf alles, was er vorbrachte fand sie eine Antwort, die nicht einmal dumm oder albern war, sondern ein passendes Gegenargument oder eine intelligente Erwiderung war. Dumm war dieses Mädchen wirklich nicht, und er fragte sich, ob sich die wahre Intelligenz eines Menschen mit und ohne Zauberkräfte nicht eher in durchschnittlichen Schulnoten als in Supernoten äußerte, weil diese Menschen es von sich aus herausbekamen, was ihre Aufmerksamkeit wirrklich verdiente und was nur notwendiges Übel war. Millie sah ihn während dieser paar Sekunden, die er darüber nachdachte genau an und nickte sehr sachte, so daß er es eher unbewußt mitbekam. Dann wünschte sie ihm noch einmal einen schönen Abend und wandschlüpfte davon, wohl zurück in den roten Saal.
Es war still im Schlafsaal, weil die harte Strafe für Hercules und Gérard die vier unbescholtenen Bewohner immer noch arg beeindruckte. Zwei Betten standen leer, und wie die beiden Streithähne am nächsten Morgen zurückkamen war keinem so recht klar.
"Ihr habt heute Abend wohl ein ziemlich schwieriges Lied geübt", meinte Robert zu Julius. Dieser nickte. Er war immer noch in der Holzbläsergruppe des grünen Saales, auch wenn Jeanne und Claire nicht mehr da waren. Doch gerade den beiden war er es schuldig, an ihrer Stelle weiterzumusizieren.
"Hoffentlich sind die beiden morgen nicht total unten, wenn Königin Blanche sie wieder zurückbringt", sagte Gaston Perignon. Julius meinte, daß die beiden das doch hätten wissen müssen.
"Hercules treibt das um, weil er keine zum Anknabbern mehr hat, und Gérard wollte seine Süße verteidigen", meinte Robert verächtlich. "Beide dürften das jetzt wissen, daß das keiner Frau imponiert, weder Sandrine noch Königin Blanche."
"Reden wir nicht mehr drüber!" Warf André Deckers ein. Julius nickte ihm zustimmend zu. Sie zogen ihre Bettvorhänge zu und sperrten damit alle von ihnen ausgehenden Geräusche ein. Julius lag noch einige Minuten wach. Er dachte an diesen Tag, der außer der üblichen Unterrichtstretmühle einige Fragen gebracht hatte: War Millie wirklich noch hinter ihm her? Warum hatte sie wirklich so lange gewartet? Hatte sie vielleicht mitbekommen, daß Belisama ihn wegen Valentin gefragt hatte? Mochte es sein, daß sie mit Sandrine und anderen Pflegehelferinnen hinter seinem Rücken beriet, ob und wie man ihm helfen könne? Warum hatte er Millie nicht einfach gesagt, sie solle sich zum Teufel scheren oder sowas? Er dachte daran, was sie ihm gesagt hatte, das die Noten in der Vierten Klasse später keinen mehr jucken würden und das sie meinte, er hätte schon einiges versäumt. Dann fragte er sich, ob Béatrice Latierre ihn wirklich einfach so von Beauxbatons runterholen würde. Eigentlich durfte sie das nicht, weil sie nicht wirklich für ihn zuständig war. Aber er hatte gelernt, daß die Mitglieder der Latierre-Familie sich selten darum scherten, was sie eigentlich durften und was sie eigentlich nicht durften. Béatrice könnte mit Catherine plaudern und ihr einen erzählen, daß er, Julius, in der Akademie innerhalb der nächsten Monate vor die Hunde gehen würde, wenn er nicht von jemandem an die Hand genommen und in eine Welt außerhalb von Büchern und Hausaufgaben geführt würde. Er hörte sie förmlich sagen:
"Sie wissen, Catherine, daß meine Mutter ihn zu einem Mitglied unserer Familie gemacht hat. Wenn Sie nicht wollen, daß er durch den Lerntrott verkümmert und nur noch zum Archivar taugt, überlassen Sie ihn mir, damit ich ihm beibringe, wieder zu leben, zu fühlen und sich auch einmal Sachen einfach so hinzugeben. Ihre Mutter wird nichts davon haben, wenn der Junge vor lauter Lernen nichts mehr taugt."
"Und woran soll ich das erkennen, daß er wieder gesund in Ihrem Sinne ist?" hörte er Catherine sagen. "Daran daß Sie oder eine Ihrer unverheirateten Verwandten von ihm ein Kind erwarten?"
"Hmm, wäre ein sicherer Indikator", stellte er sich Béatrices Antwort darauf vor. Was Catherine darauf sagen würde hörte er merkwürdigerweise nicht, weil er übergangslos eingeschlafen war.
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Fröhliches Trompeten, Gefiedel und Gitarrenzupfen drangen durch die dicke Hülle aus Schlaf in sein Bewußtsein ein und kitzelten es wach. Julius schrak fast auf, als ein lauter Jauczer über seinem Bett erklang, wo mehrere Bilder hingen, unter anderem das von Aurora Dawn, das Kalenderbild und das Gemälde mit den Musikzwergen. Einer von denen blies seine Trompete und versuchte, gegen die beschwingte Musik anzutröten, schaffte es aber nicht. Julius sah eine Gruppe aus wohl zwölf Männern mit gebräunter Hautfarbe, die spitz zulaufende Stiefel, enge Hosen mit seitlichen Schnallen und kurze bunte Westen trugen und auf den Köpfen die breitkrempigen runden Hüte, die als Inbegriff der mexikanischen Nationaltracht angesehen wurden. Sie jubelten und bearbeiteten mit flinken Fingern und kräftigen Lungen ihre Instrumente. Wer von ihnen keine Trompete zu blasen hatte stimmte gerade in ein Lied ein:
"Adelita se llama la joven
a quien yo quiero y no puedo olvidar,
en el mundo yo tengo una rosa
y con el tiempo la voy a cortar. ..."
"Mann, wer hat so'ne bescheuerte Mexiko-Kapelle hier reingelassen?" Grummelte Gaston Perignon ungehalten, weil ihn die viel zu muntere Musik genauso aus dem Schlaf gerissen hatte wie Julius.
"¡Viva México!" Rief einer der Gitarrenspieler, der den Zug anführte, der im Rhythmus seiner Musik aus dem Bild der Musikzwerge durch das Gemälde von Aurora Dawn weiter zu einem Bild von Gaston weiterzog, einmal durch den Schlafsaal.
"Es lebe Frankreich, Klampfer!< Rief Gaston. Julius mußte darüber grinsen, weil die Musiker völlig unbeeindruckt durch die Bilder marschierten und dann, als sie die letzte Strophe ihres Liedes durch hatten nach unten weg aus einem Bild über Hercules' Bild einer Gruppe Quidditch spilender Zauberer den Schlafsaal verließen. >
"Öfter mal was neues", sagte Julius amüsiert. "Immerhin haben sie das Lied von Adelita gespielt und nicht "La Cucaracha", was viele Mexiko-Urlauber nach einer Woche schon nicht mehr hören können."
"Ey, du kennst so Musik?" Fragte Gaston. "Was soll uns das über dich verraten?"
"Das ich sowas kenne", erwiderte Julius leicht grinsend.
"Eine bodenlose Gemeinheit, uns derartig zu blamieren", knurrte einer von Julius' gemalten Musikzwergen, der mit der Harfe. Jetzt viel Julius auf, daß der in Rot gekleidete Zwerg mit der Trompete nicht mehr im Bild war. Er kannte es, daß gemalte Musiker sich gegenseitig besuchten und voneinander neue Lieder lernten. War der Trompeter jetzt hinter der Zugkapelle hergelaufen?
"Wer zum Drachenpopel hat sich eine für alle Bilder offene Maharadscha-Truppe aus Mexiko an die Wand gehängt?" Schnaubte Gaston.
"Hercules hätte das wohl gefallen", meinte Robert dazu. "Da hätte der echt tolle Vorbilder gehabt."
"Außerdem heißen die Mariachis", warf André ein.
"Echt?" Knurrte Gaston. "Woher willst'n das wissen, ey?"
"Weil meine Eltern mal da waren, wo solche Musiker auftreten." Sie lauschten alle. Irgendwo trieben die durch die Bilder ziehenden Musiker wohl weiter ihr Unwesen und weckten die Leute auf. Julius sah auf seine Uhr. Es war halb sechs.
"Ui, hätte ich doch fast meinen Frühsport verpennt", sagte er. "Will noch einer von euch mit runter?"
"Lass mich noch pennen, Mann. Diese blöden Straßenmusiker hätten ruhig 'ne halbe Stunde später kommen können", grummelte Robert. Julius nickte und machte sich alleine zum Frühsport fertig.
Im Grünen Saal saßen mehrere Dutzend Mitschüler, von denen die meisten bisher nie beim Frühsport am Quidditchstadion dabei waren. Sie unterhielten sich über die wandernden Musiker und daß sie gleich alle zu Professeur Faucon marschieren wollten, um zu fragen, wem sie die zu verdanken hatten. Auch Laurentine Hellersdorf war dabei.
"Ey, waren die auch bei euch in den Bildern?" Fragte sie Julius. Er nickte. Dann fragte er zurück, ob bei denen ein Zwerg in roter Kleidung mit einer Trompete gesichtet worden war. Laurentine meinte, daß der und ein paar dickbäuchige Blechbläser aus anderen Gemälden wohl mitmarschierten, um zu lernen, was diese neue Truppe drauf hatte.
"Ihr wollt Professeur Faucon fragen, wer die auf uns losgelassen hat?" Fragte Julius.
"zumindest will ich wissen, ob die jetzt jeden Morgen bei uns durchkommen. Céline hat erst einmal alle für andere gemalte Wesen offenen Bilder abgehängt, bis ich das rausbekommen habe", sagte Bébé. Dann kam noch Waltraud Eschenwurz herunter und grüßte Julius.
"Hätte ich gewußt, daß hier auch ganze Musikkapellen an den Wänden hängen dürfen hätte ich mir von meinen Eltern doch die feensandische Festtagstruppe schicken lassen. war diese Mariachi-Truppe auch bei euch, Julius?"
"Ja, die Señores aus Mexiko haben uns um halb wachgetrötet", sagte Julius. "Hoffentlich kommen die Jungs gut aus dem Bett. Die wollten noch etwas schlafen."
"Was spielen eure Musiker denn so für Lieder, Waltraud?" Fragte Bébé.
"Friesische Volkslieder und sogar ein paar Seemannslieder aus der Muggelwelt.
"Fehlt noch, unsere Bilder von ausländischen Musikern besetzen zu lassen", knurrte ein Klassenkamerad Giscards. "Nachher hängt Julius noch schottische Sackdudler auf."
"Ich könnte in Hogwarts anfragen, ob jemand sowas hat", nahm Julius die verbale Herausforderung an. "Ich hörte, daß einer aus der Dritten da aus dem schottischen Hochland kommt. Der hat bestimmt wen an der Hand, der gemalte Dudelsacktruppen besorgen kann, wenn du eine willst."
"Öhm, bloß nicht. Das gequietsche ist mir echt zu laut", erwiderte der Sechstklässler. Da schlug die Standuhr im grünen Saal sechs Uhr, und die versammelten Schüler verließen den Aufenthaltsraum hin zu den allgemeinen Bereichen des Palastes. Waltraud und Julius gingen hinunter zum Frühsport. Ihnen war es egal, woher die mexikanischen Musiker kamen und ob man sie demnächst öfter zu hören bekommen würde oder nicht.
"Hallo, Julius!" Rief Millie Munter. Ihre Cousinen liefen gerade vor den Montferres her und hielten sie gut hinter sich.
"Hallo, Millie. Auch mit mexikanischer Straßenmusik geweckt worden?" Fragte Julius. Sie nickte bestätigend.
"Callie und Pennie haben das Bild gestern von unserer Großtante Amélie zugeschickt bekommen, die gerade im südlichen Mexiko unterwegs ist. Die wußten nicht, daß die Musiker durch andere Bilder wandern und wohl noch nicht auf unsere Uhrzeit eingestellt sind", sagte Millie amüsiert. "Um fünf Uhr waren die bei uns im Schlafsaal und haben das Lied von irgendeiner Kakerlake gesungen, wenn ich mich richtig erinnere, was Cucaracha bedeutet."
"Dann haben die das bei euch schon abgelassen. Schön! Wir hatten das Lied von Adelita, der Angebeteten irgendeines Soldaten oder Revolutionskämpfers oder so", antwortete Julius ebenso amüsiert. "Könnte nur sein, daß die Truppe aus dem Palast verbannt wird, wenn die jetzt jeden Morgen die Runde machen wollen."
"Würde den Saalsprechern das Wecken ersparen, wenn die so ab halb sechs einmal rumziehen und alle aufwecken", grinste Millie. Da sausten ihre beiden Cousinen vorbei, gefolgt von den bereits sichtlich angestrengten Montferres.
"Haben die das verabredet oder ist das eine echte Verfolgungsjagd?" Fragte Julius Millie. Diese deutete auf Sabine und Sandra und meinte, daß er sie ja fragen könne und spurtete los. Julius startete daraufhin seinen Morgenlauf und hatte Mühe, die Montferre-Zwillinge einzuholen, die wohl darauf aus waren, die durch Latierre-Kuhmilch besonders stark gewordenen Töchter Barbara Latierres einzukriegen. Doch durch sein Schwermachertraining hatte er sich eine passable Kondition verschafft und konnte nahe genug an Sandra heran, um sie zu fragen, was los sei.
"Die beiden meinten, es würde doch lustig sein, um halb fünf aufgeweckt zu werden und wir könnten dadurch doch noch besser wach werden", keuchte Sandra, ergriff Julius' Hand und hielt ihn in ihrer Nähe, während er sich ranhielt, das Tempo zu halten. Millie fiel bereits merklich zurück.
"Halb fünf?!" Stieß Julius aus. "Bei uns waren die um halb sechs im Schlafsaal."
"Wenn wir die beiden da vorne einkriegen, haben die gesagt, hängen sie die Truppe ab, wenn die wieder im Bild sind. Die Wette gilt", sagte Sandra.
"Dann solltet ihr mich besser loslassen, um die auch einzukriegen", meinte Julius schon gut angestrengt.
"Du hast uns eingeholt, also hältst du mit", sagte Sandra. "Bine meint ja, daß du nun locker neben uns herlaufen kannst. Das will ich jetzt wissen", sagte Sandra leicht keuchend. Dann verfiel sie in einen Atemrhythmus, der für ihre Laufgeschwindigkeit besser geeignet war. Julius folgte ihrem Beispiel und teilte sich die Luft so ein, daß er nicht zu schnell erschöpft war. Zwar rückten sie den beiden Erstklässlerinnen gut auf die Pelle. Doch dann, wenn sie sie fast eingeholt hatten, legten die beiden jungen Hexen noch einen Schritt zu und holten sich eine Länge Vorsprung zurück. So rannten sie immer wieder um das Stadion, bis die Montferres und Julius mehr und mehr zurückfielen. Julius wollte noch einmal das Tempo anziehen. Doch er merkte, daß seine Beine schon zu schwer waren, um den Vorsprung der beiden Gejagten anzuknabbern. Als die dann zehn Längen voraus waren nahm Sandra das Tempo zurück. Mit vor Anstrengung gut gerötetem Gesicht blickte sie Julius an.
"Diese verdammte Milch macht die unermüdlich. Mist, daß wir die nicht so gut vertragen", schnaufte sie. Sabine, die noch versucht hatte, die beiden jüngeren Zwillinge einzuholen, ließ es nun auch etwas langsamer angehen.
"Fixie wird denen schon beibiegen, diese Krawalltruppe nach Hause zu schicken", keuchte Sabine, bevor sie sah, daß Sandra Julius' Hand hielt. Julius, der zwar auch ziemlich gut ausgelaugt war, grinste jedoch.
"Hat sie dich an die Hand genommen, Julius?" Fragte Sabine. Er nickte. "Dann weißt du jetzt, daß du locker mit uns mitlaufen kannst."
Julius wirkte immer noch ziemlich erschöpft, als er nach einer Dusche und dem Ankleiden mit den übrigen Schülern in den Speisesaal hinunterging. Dort sprach erst keiner über die wandernden Musiker. Erst als Madame Maxime aufstand und um Stille ersuchte, erfuhren die Schüler, daß sie ebenfalls von ihnen heimgesucht worden war.
"Ich habe keineswegs was gegen beschwingte Musik zur Morgenstunde, die Mesdemoiselles Latierre aus der ersten Klasse. Allerdings möchte ich immer noch bestimmen dürfen, wann ich geweckt zu werden wünsche. Versuchen Sie daher bitte, den Ihnen zugegangenen Musikern beizubringen, daß sie mich vor halb sechs nicht behelligen dürfen, weil Sie beide sonst eine Woche lang meine Räumlichkeiten ohne Zauberkraft sauberhalten dürfen, inklusive meiner Kleidung."
"Die sollen diese Brasselbande besser gleich abhängen und zusammenknüllen", tönte Laertis Brochet, der bisher so erfolglose Sucher der Roten.
"Monsieur Brochet, in der Schulordnung steht, daß Zaubergemälde an die Wände der Schlafsäle gehängt werden dürfen, sofern die darauf präsentierten Motive nicht eindeutig auf Schabernack und Wirrsal ausgerichtet sind. Eine Gruppe Musiker verfolgt wohl nicht diesen Zweck", erwiderte Madame Maxime. "Es dürfte schon reichen, sie zu einem maßvollen Auftritt zu bewegen."
"Die können aber nur Spanisch", warf Callie Latierre leicht verlegen ein.
"Das habe ich bemerkt", warf Madame Maxime ein. Alle Schüler grinsten. Einige lachten sogar belustigt, vor allem die am blauen Tisch. Einer von denen meinte ungefragt:
"Dann hängt die nur raus, wenn das Wecken vorbei ist."
"Die haben schon morgens um vier angefangen", meinte Penthesilea Latierre.
"Dann bringen Sie denen irgendwie bei, sich an unsere Ortszeit zu halten!" Erwiderte die Schulleiterin. Dann sagte sie noch: "Ich hoffe nur, daß ich nachher keine Klagen von den Lehrern höre, weil Sie meinen, sich auf das frühe Wecken durch gemalte Musiker berufen zu dürfen, wenn Sie im Unterricht nicht bei der Sache sind. Damit ist die Diskussion beendet."
Mit der Morgenpost kam ein Brief für Julius Andrews. Er las die mit einem blauen Malstift auf Papier geschriebene Adresse, die in einer kleinen runden Schrift hingeschrieben worden war. Er hatte einmal Babette Brickston beim Schreiben zugesehen und erkannte diese Schrift als ihre Handschrift. Babette hatte ihm bisher noch nie geschrieben, fiel es ihm ein. Zwar wußte sie ja, wohin sie einen Brief schicken konnte. Aber ihm hatte sie noch nie einen geschrieben. Er nahm den Papierbogen aus dem Umschlag und sah ein kleines Bild, das ein Baby im rosaroten Strampelanzug darstellte. Darunter stand:
Hallo, Julius!
Maman hat mich gefragt, ob ich dir nicht mahl einen Brif schreiben sol. Die sagte mir zwar, wenn ich keine Lust habe müste ich das auch nicht. Aber sie sagte auch, das willst du wissen, das wir nun wissen, wie meine neue Schwester heiszen sol, damit die einen Namen hat, wenn die aus Mamans Bauch rauskommt. Also wir haben jetzt gesagt, das sie Claudine heiiszen wird, doch ein schöner Name für ne Hexe, oder? maman sagte, so hat ihre Uroma geheiszen, also die Oma von Oma Blanche. Ist doch echt lustig, oder was? Aber dann müste ich ja mein erstes Baby Blanche nennen, wenn das ein Mätchen wird. Ob ich das will weisz ich echt nicht.
Machs gut!
Babette Brickston
Julius schmunzelte und faltete den Brief wieder zusammen. Robert fragte ihn, wer ihm da einen Liebesbrief geschrieben habe. Julius entfaltete den Brief noch einmal und zeigte dem Freund das gemalte Bild eines Babys im rosaroten Strampelanzug. Er grinste.
"Ach, hat deine Fürsprecherin jetzt raus, wie ihr Kind heißt? Wieso hat denn das so lange gedauert?"
"Weil Madame Brickston das nicht alleine aussuchen wollte. Wenn die Kleine mit einem mißmutigen Muggel und einer quirligen großen Schwester aufwachsen muß sollte sie schon einen Namen haben, den alle zusammen ausgesucht haben", fand Julius. Dann dachte er daran, das Claudine die weibliche Form von Claude war und dieser Name nicht gerade nette Gefühle in ihm auslöste. Dann fiel ihm ein, daß Claudine ja die verkleinerung oder Verniedlichung von Claudia war, und mit dem Namen hatte er keine Probleme, zumal Pinas Tante ja so hieß.
"Wenn die auch so'n quirliges Bündel wie Babette wird wird's für die Brickstons echt lustig", sagte Julius.
"Du mußt ja nicht mit denen zusammenwohnen", meinte Robert leicht grinsend. Natürlich wußte er, daß Julius' Mutter und die Brickstons sehr viel zusammen unternahmen. Julius hatte es ja häufig erzählt.
"Sind die anderen auch schon benamst, die da demnächst aus den ganzen Hexen müttern rauskrabbeln?"
"Soweit ich weiß ja", meinte Julius. "Aber wie die alle heißen weiß ich nicht genau. Millies neue Schwester wird wohl Miriam heißen. Wie die anderen Kinder heißen weiß ich nicht."
"Wird bestimmt lustig, wenn Elternsprechtag ist und Leute wie die Latierres und die Montferre mit runden Bauchläden anrücken", feixte Robert. Julius nickte und grinste belustigt. Doch der Elternsprechtag lag noch in weiter Ferne.
Zu Unterrichtsbeginn trafen auch Hercules und Gérard wieder ein. Sie sagten zunächst kein Wort. Doch dann meinte Robert zu Hercules:
"Ich hoffe, die Sache hat dich jetzt nicht ganz aus der Bahn geworfen."
"Kein Kommentar", knurrte Hercules nur. Gérard fragte Julius, ob Sandrine noch was gesagt habe. Dieser meinte:
"Sie meinte nur, du hättest dir einen bescheuerten Zeitpunkt ausgesucht, um dir eine Verwandlungsstrafe einzuhandeln und daß du froh sein möchtest, wenn beim nächsten Mal nicht sie bestimmt, was aus dir wird."
"Echt? Ohne Scheiß? Oha, da muß ich bestimmt 'ne Menge schönes Wetter machen", knurrte Gérard. Hercules grinste ihn herausfordernd an, wandte jedoch sofort den Blick ab, als Gérard ihn ansah. Julius befand, Hercules das schadenfrohe Grinsen aus dem Gesicht vertreiben zu müssen und sagte:
"Sandrine meint, du hättest sie eine Woche auf dem Rücken zu tragen, wenn du sie wieder als leichtes Mädchen beschimpfst."
"Na ja, so dick ist sie ja nicht. Aber 'ne ganze Woche lade ich mir die bestimmt nicht auf den Buckel", meinte Hercules, jetzt jedoch nicht mehr grinsend. Dann fing auch schon der Unterricht an.
Am Nachmittag traf sich die Gruppe Zaubertierwesen vor dem Vorbesprechungsraum, wo über dem Bild mit dem goldenen Flügelpferd, dem Drachen und dem Kniesel das Schild verkündete, daß hier Madame Olympe Maxime persönlich den Unterricht erteilte. Bisher hatte niemand mitbekommen, ob die Schulleiterin den Unterricht nun dauerhaft erteilen oder einen neuen Lehrer einstellen würde. Millie fragte Hercules, ob er nun weit genug abgekühlt sei. Dieser sagte darauf nur:
"Pass mal auf, daß die Faucon dich nicht bei sowas in das verwandelt, was du bist, eine Filzlaus."
"Glaube ich nicht, daß die das mir gönnen würde, bei ihr oder sonstwem zu wohnen", erwiderte Millie und deutete flüchtig auf Hercules Unterleib. Julius faszinierte es merkwürdigerweise, wie Millie eine tödliche Beleidigung in einen Bumerang verwandeln konnte.
"Könnte dir so passen", knurrte Hercules und brachte rasch einige Schritte mehr Abstand zwischen sich und Millie. Diese wandte sich Julius zu und meinte:
"Mich eine Filzlaus zu nennen ist schon dreist."
"Von der blöden Kuh zur Filzlaus ist ja auch ein ziemlich heftiger Abstieg", meinte Julius dazu, wohl wissend, sich gleich auch eine passende Retourkutsche einzuhandeln. Aber jetzt wollte er es wissen, wie schlagfertig Mildrid Ursuline Latierre wirklich war.
"Kommt drauf an, wo ich dann wohne, Julius. Schon ein interessanter Gedanke, jemandem näher zu sein als andere es dürfen. Aber so gesehen würde ich in dieser Form nicht viel davon haben."
"Ich weiß ja nicht, ob du eine innere Tiergestalt hast und was für'n Tier das dann ist", sagte Julius darauf. Millie meinte, daß wolle sie wohl demnächst in den Ferien mal austesten lassen, weil da ihre Großtante Cynthia zu Besuch käme, die sich gut mit Verwandlungszaubern dieser Art auskenne.
"Tja, und wenn's dann doch ein Kaninchen oder eine Bettwanze ist?" Fragte Julius.
"Weiß ich, daß ich mir die Mühe mit den Animagus-Zaubern nicht geben muß", konterte Millie schnell und unbeeindruckt. "Aber wer sagt mir, daß du keine Bettwanze als innere Tiergestalt hast?"
"Öhm, Maya Unittamo und ich sagen das", sagte Julius rasch. Einmal hatten sie es ausprobiert, wo die berühmte Großmeisterin der Verwandlungszauber in Millemerveilles gewesen war. Dabei hatte sich herausgestellt, daß Julius zu einem weißen Elefanten tendierte. Ob das wirklich seinem inneren Wesen entsprach wußte er nicht so sicher. Zumindest aber war er bei dem Versuch kein Kaninchen geworden wie Jeanne oder Virginie. Mildrid belauerte ihn förmlich, weil sie wissen wollte, welches Tier er am leichtesten werden konnte. Er sagte deshalb: "Wenn du weißt, was das bei dir ist, verrate ich dir, welches Tier ich wohl werden könnte, wenn ich ein Animagus werden wollte."
"Mußt du nicht unbedingt. Aber es wäre schon ziemlich interessant", sagte Millie.
"Was habt ihr beiden zu tuscheln?" Fragte Belisama Lagrange etwas verstimmt. Julius sah sie leicht irritiert an, während Millie meinte:
"Er wollte mit mir wetten, ob ich eher eine Kuh, ein Kaninchen, eine Bettwanze oder eine Filzlaus sein könnte."
"Filzlaus? Was ist das?" Fragte Belisama. Millie mußte lachen, Julius verzog leicht verlegen das Gesicht. Dann sagte er, daß das eine Laus sei, die besonders im Intimbereich von Tieren oder Menschen als Parasit leben würde. Belisama grummelte Millie zugewandt:
"Sähe dir ähnlich. Aber ich denke nicht, daß du dich für so was kleines eignest. Würde nicht deiner Natur entsprechen."
"Vielen Dank, Süße", sagte Millie dazu nur.
"Ich habe dir Luder schon oft gesagt, du sollst nicht "Süße" zu mir sagen!" Schnaubte Belisama. Dann zog sie Julius bei Seite und meinte:
"Lass dich doch nicht andauernd auf ihre blöden Spielchen ein, Julius. Wenn du schon meinst, mehr als nur wissenswertes Zeug zu besprechen, dann such dir dafür wen, der die Zeit auch wert ist!"
"Hey hey, Belisama, du läufst da gerade auf sehr dünnem Eis lang", knurrte Millie und sagte dann wieder ganz unbeeindruckt: "Rauszukriegen, mit wem man gut reden kann ist niemals Zeitverschwendung. Oder willst du behaupten, er solle dann bitte schön nur über Blumen und schöne Bilder oder sowas reden, und das dann mit einer, die meint, damit um direkte Fragen rumkommen zu können?"
"Da ich mit dir irgendwie klarkommen muß sage ich dazu nichts", zischte Belisama und ging hinüber zu Gloria, die sich mit Hercules und Apollo Arbrenoir über die letzte AG-Stunde unterhielt, wo sie es von Feuerraben hatten. Seit zwei Wochen wohnten vier eurasische Feuerraben in der Menagerie von Beauxbatons. Keiner achtete richtig darauf, ob Madame Maxime pünktlich kam oder nicht. Erst als sie im Korridor auftauchte stellte Julius fest, daß sie eine Minute nach der üblichen Zeit war. Daher wunderte es ihn nicht, als sie mit langen Schritten heraneilte und alle durch ausladende Gesten anhielt, ihr zu folgen, ohne groß abzuklären, ob auch alle da waren.
Im Laufschritt erreichten sie eine große Wiese, die auf der Westseite des Palastes angelegt war. Von weitem schon konnten alle die gigantische weiße Kuh mit den adlergleichen Flügeln erkennen, die einen kutschenförmigen Kasten auf dem Rücken trug.
"Wahrscheinlich mußte unsere Kursleiterin das Monster zur Landung einweisen und anbinden", feixte Belisama Lagrange, die links neben Julius lief.
"Das Wort solltest du besser nicht einmal denken", raunte Julius ihr zu. "Aber sonst hast du wohl recht.
Mit der riesigen Kuh waren auch drei Hexen gekommen, wie Millie es Julius vorhergesagt hatte. Da stand die große, füllige madame Ursuline Latierre, die sich neben Madame Maxime wie ein kleines, pummeliges Kind ausmachte, das sich als erwachsene Frau verkleidet hatte. Dann waren da noch Barbara Latierre, die eigentliche Besitzerin dieses Tierwesens, deren von der Zwillingsschwangerschaft gewölbter Unterleib immer praller aussah. Ja, und neben Barbara Latierre stand noch ihre Schwester Béatrice, die wohl aufpassen mußte, daß ihren ungeborenen Neffen nichts geschah. Keine der drei sagte ein Wort, um die zu begrüßen, die sie kannten. Offenbar hatte Madame Maxime ihnen eingeschärft, nicht zu familiär aufzutreten.
"Ui, aus der Nähe sind die aber wirklich groß", meinte Hercules beeindruckt. "Langer, da kannst du dich glatt drunterstellen, ohne die am Bauch zu kitzeln", meinte er noch in die Richtung des hoch aufgeschossenen Apollo Arbrenoir aus dem roten Saal. Der dunkelhäutige Junge grinste und meinte zu Hercules:
"Wenn die was fallen läßt brauchst du 'ne große Wanne, um den Mist abzuräumen."
"Schon ziemlich groß, dieses Tier", meinte Gloria zu Julius. "Jetzt glaube ich das auch, daß die mehrere Dutzend Leute tragen kann. Wie viel Milch kann die geben?"
"Die Frage dürfen Sie gleich laut stellen", meinte Madame Maxime unerwartet. "Da einige von Ihnen das heute zu betrachtende Tierwesen bereits identifiziert haben brauche ich Ihnen nur noch die drei Hexen vorzustellen, die es freundlicherweise für uns hergeführt haben."
Mit einem lauten, sehr tief klingenden Mmmmmmuuuuuuhhh zeigte die Kuh, daß sie durchaus kräftig und ausdauernd war. Alle schraken zurück, als das alle Bauchdecken zum vibrieren bringende Gebrüll erklang. Nur Millie, Waltraud, Hercules und Julius blieben dabei gelassen.
"Madame Barbara Latierre, die Hexe, welche derzeitig in freudiger Erwartung ist, ist die Halterin dieses Tierwesens. Da sie wie zu sehen ist gerade durch ihre anderen Umstände leicht eingeschränkt ist, die Lenkung dieses Exemplares zu bewerkstelligen wird sie von ihrer Mutter, Madame Ursuline Latierre und ihrer Schwester, Mademoiselle Béatrice Latierre begleitet, letztere als ausgebildete Heilerin zuständig für das Wohl der werdenden Mutter und ihres Nachwuchses." Die drei Hexen begrüßten die Anwesenden und winkten ihnen zu. Dann traten die ersten an die große Kuh heran. Barbara Latierre berichtete, daß sie es hier mit Demeter, einem zwanzigjährigen Weibchen zu tun hatten, das bereits sechsmal gekalbt habe, daß die Trächtigkeit bei Latierre-Kühen vierundzwanzig Monate dauere und die erwachsenen Tiere bis zu sieben Meter Schulterhöhe bei den Kühen und acht Metern bei den Stieren erreichen könnten. Das bisherige Höchstalter einer Latierre-Kuh habe Titania, eine der ersten Züchtungen mit dreiundsiebzig Jahren erreicht. Gloria fragte noch einmal nach der Menge der Milch, die Demeter jeden Tag geben konnte. Sie staunte.
"Davon wird ja eine ganze Familie satt, wenn das alles verarbeitet wird", sagte sie. Barbara Latierre nickte zustimmend. Apollo Arbrenoir meinte dazu ungefragt:
"Bei der großen Familie wohl auch nötig."
"Monsieur Arbrenoir, ich verbitte mir derartige Zwischenrufe", schnarrte Madame Maxime. Allerdings sprach sie nicht in ihrer gewohnten, weit hallenden Lautstärke. Entweder wollte sie Demie nicht erschrecken oder war von Béatrice oder ihrer Mutter gebeten worden, auf die ungeborenen Kinder Rücksicht zu nehmen. Madame Ursuline Latierre scherte sich jedoch nicht um Madame Maximes Einwand und entgegnete ruhig:
"Wenn du ein Mädchen findest, daß viele Kinder von dir haben möchte wirst du rauskriegen, wie spannend das ist, eine große Familie zu haben."
"Arme Leonnie", feixte Mildrid, die hinter Julius stand. Julius nickte. Er konnte es sich im Moment auch nicht vorstellen, daß Apollos Freundin Leonnie Poissonier sich zwölf Schwangerschaften und Geburten antun würde. Um sich wieder auf das wichtige Thema zu besinnen fragte Madame Maxime, ob die ihrer Arbeitsgruppe zugehörigen Schülerinnen und Schüler nun näher an die Latierre-Kuh herantreten könnten, oder ob es bestimmte Verhaltensrichtlinien gebe. Ursuline und Barbara Latierre wiesen nur darauf hin, daß man nicht zu laut und nicht zu hektisch auf Demeter zugehen und sie nicht erschrecken dürfe. Sie boten an, zwei getrennte Gruppen mit der Latierre-Kuh vertraut zu machen. Gloria hielt sich sofort an Julius und Millie, während Belisama etwas schüchtern zurückblieb. Hercules und Waltraud gesellten sich noch dazu, während Belisama sich bei den Montferres, Duisenbergs und Béatrice aus dem gelben Saal wiederfand. Als die Aufteilung dann von Madame Maxime noch einmal korrigiert wurde, kam sie noch zu Julius' Gruppe herüber. Gloria Porter sah etwas befremdet zum schneeweißen Leib der geflügelten Kuh hinauf.
"Schon irgendwie gruselig, wie groß die ist", meinte Gloria und deutete auf Madame Maxime. "Selbst sie wirkt dagegen klein." Julius nickte. Er hatte das bisher nie vergleichen können und mußte nun erkennen, daß Madame Maxime der Latierre-Kuh gerade zu den baumstammgleichen Oberschenkeln reichte. Dann erreichten sie Barbara Latierre, die die Gruppe nun betreuen würde, während Ursuline Latierre die andere Gruppe übernahm und sie munter und humorvoll mit den Eigenschaften der Latierre-Kühe vertraut machte.
"Hoffentlich klatscht die nicht gleich was hin", meinte Hercules, dem es nun auch etwas unheimlich zu Mute wurde.
"Neh, junger Mann, die hat vor dem Abflug noch einmal was abgeworfen", sagte Barbara. Eines ihrer ungeborenen Kinder wollte wohl mal wieder den möglichen Platz austesten. Barbara atmete kurz ein und wieder aus.
"Sie tragen wohl gerade viel mit sich herum, wie?" Fragte Hercules.
"Du würdest das wohl nicht lange durchhalten", erwiderte Barbara lässig. Dann führte sie die ihr zugeordnete Gruppe vorsichtig an Demie heran. Gloria wollte schon zurückweichen, weil das linke Hinterbein leicht nach außen ruckte.
"Die tritt nicht so schnell aus, Gloria", sagte Barbara ruhig. "Sie mußte sich halt nur anders hinstellen. Das passiert, wenn der Boden nicht hart genug ist, um das Gewicht richtig abzufangen."
"Der Geruch ist ja ziemlich stark", naserümpfte Belisama. "Fallen Sie da nicht dumm auf, wenn Sie in eine Stadt gehen oder wen besuchen, der mit diesen Tieren nichts anfangen kann?"
"Dagegen haben wir ein Elixier, daß wir auf Körper und Kleidung sprühen können, um den Geruch zu vertilgen", sagte Barbara und keuchte kurz, weil wohl wieder jemand, der erst noch zur Welt kommen mußte was in ihrem Unterleib angestellt hatte. Béatrice Latierre trat näher heran und meinte:
"Barbara, wenn dir das zu anstrengend wird übernehme ich von hier an."
"Die beiden mußten sich nur richtig hinlegen, damit ich mich freier bewegen kann", sagte Barbara ruhig. Doch Julius sah wohl, wie ihre Augen bedrohlich funkelten, weil Béatrice sie vor versammelter Mannschaft behandelte.
Gloria wandte sich Barbara Latierre zu und fragte, wie man denn die Milch aus einem so großen und hoch gelegenen Euter herausmelken konnte. Barbara erklärte ihr, daß sie dafür eine eigene Vorrichtung gebaut hätten, die sehr leicht anzuschließen sei und Demie und ihren weiblichen Verwandten keine Unannehmlichkeiten bereitete. Dann gingen sie einfach unter Demeters Bauch hindurch, in dem es laut gluckste und grummelte.
"Wenn die gleich einen ziehen läßt bläst die uns alle um", sagte Hercules. Julius warf leise ein:
"Wenn du da Feuer dranhältst gäbe das eine heftige Explosion, wenn das ganze Methan entzündet wird."
"Das könnte euch so passen, meine Demie in die Luft zu sprengen", warf Barbara ein und trat näher an Julius heran. "Wo sie dich immer sehr brav getragen und dir schon viel von ihrer Milch überlassen hat."
Halblautes Lachen drang von Demis Vorderhand her an die Gruppe um Julius. Offenbar hatte Ursuline Latierre was lustiges erzählt. Madame Maxime trat behutsam zu ihr hin und fragte leicht verbittert aber sehr leise sprechend was da so amüsantes besprochen worden sei. Dann sagte Barbara:
"Mutter ist wieder sehr guter Laune. Wir warten, bis sie sich lange genug Demies Maul und den restlichen Kopf angesehen haben, dann gehen wir mal hin."
Laut peitschte der lange Schweif der Latierre-Kuh durch die Luft. Zwar gab es um diese Jahreszeit noch keine lästigen Fliegen. Doch irgendwas mußte den Reflex ausgelöst haben.
Barbara baute die erwähnte Melkmaschine und ein Fass für die Milch auf und setzte sie mit einem Zauberstabstupser in Gang. Demie schnaufte ein wenig. Julius wußte nicht, ob es ein erleichtertes oder angenervtes Schnaufen war. Béatrice Latierre hielt ihre schwangere Schwester ständig unter Beobachtung.
"Denken Sie, Ihre Schwester kriegt gleich hier ihre Kinder?" Fragte Hercules taktlos in Béatrices Richtung.
"Nicht so neugierig sein. Sind ja nicht deine", erwiderte Béatrice eher amüsiert als tadelnd. "Außerdem geht's hier nicht um meine Schwester, sondern um Demie."
Die Melkmaschine arbeitete mit Schlürfen und Plätschern, während die AG-Mitglieder einmal alle um die Kuh herumwanderten. Danach rührte Barbara Latierre eine für alle verträgliche Milchmischung an und wartete, wie sie den Kursteilnehmern schmeckte. Einige fanden es merkwürdig. Andere gewöhnungsbedürftig. Apollo verzichtete nach dem ersten Schluck darauf, seinen kleinen Becher leerzutrinken. Dann kam der eigentliche Höhepunkt. Die Treppen wurden heruntergelassen und alle kletterten in die Kabine hinauf, Barbara Latierre, Madame Maxime und Béatrice Latierre zuerst. Dann folgten die Schüler. Ursuline ließ die Treppe an der Kabine hochschnarren und bestieg den Bock. Madame Maxime, die auf einem breiten Sofa saß dirigierte ihre Schüler so, daß sie nicht auf einem Haufen zusammenhockten.
"Na hoffentlich kriegt die dicke Dame keine Probleme mit uns allen auf ihrem Rücken", warf Hannibal Platini ein und erntete ein belustigtes Lachen von den Jungen und ein verhaltenes Kichern von den Mädchen. Madame Maxime räusperte sich und wollte gerade in die Hände klatschen, als Béatrice Latierre auf sie zusprang.
"Ich weiß, das hilft Ihnen immer um Ruhe herzustellen, Madame. Aber hier drin solltenSie das besser lassen, wenn Sie nicht möchten, daß Demie mit uns allen durchgeht und unkontrolliert irgendwo hinfliegt." Die Beauxbatons-Schüler grinsten lautlos. Madame Maxime grummelte nur was von fünf Strafpunkten für jeden Grinser. Doch das verpuffte im Eifer der Aufregung, als Demie lostrabte und dann mit einem geschmeidigen Sprung vom Boden abhob. Sie flogen einige Kilometer von der Akademie fort, beschrieben Kurven und Wenden und kehrten eine Viertelstunde später wieder auf die Wiese zurück. Als alle aus der Kabine geklettert waren bedankte sich Madame Maxime im Namen aller für die Vorführung und fragte, ob es noch irgendwelche Fragen gab. Hercules zeigte auf:
"Ja, bitte, Monsieur Moulin?" Erteilte Madame Maxime ihm das Wort.
"Was würde so eine Kuh kosten, wenn ich sie auf dem freien Markt kaufen könnte?"
"Nun, wir verkaufen einige davon an Zaubererfamilien hier im Land", sagte Barbara. "Wenn Sie viertausend Galleonen und mindestens zehn Hektar bepflanzbares Land zur Verfügung haben, können wir drüber sprechen, Pro Tier natürlich."
"Zehn Hektar Land? Wie viel ist das ungefähr?" Fragte Hercules.
"Das entspricht einem Zwanzigstel der Ländereien von Beauxbatons", sagte Madame Maxime. Julius rechnete mal eben durch, wie viel Land alleine zehn Kühe von Demies Kaliber brauchten und kam darauf, daß ein Quadratkilometer Fläche mit Grünzeug nötig war, um die Tiere im freien zu weiden, wenn sie nicht weniger als ein paar Tage an einem Ort bleiben sollten.
"Ich glaube, mein Vater hat das Land nicht", sagte Hercules leicht enttäuscht und brachte alle zum Lachen.
"Meine Mutter, die ja diese Tiere gezüchtet hat hat mit Leuten aus den Städten auch Pflegeverträge abgeschlossen. Wenn du also mal solch ein Tier nutzen möchtest, können wir gerne darüber sprechen, was du bei der Pflege dabei tun möchtest und für welches Tier du Nutzungsrechte haben möchtest", sagte Madame Ursuline Latierre. Hercules nickte. Dann verabschiedeten sich drei Damen Latierre von den Schülern der Zaubertier-AG und machten Demie wieder startbereit. Dann traten Madame Maxime und ihre Schüler einige Schritte zurück und beobachteten, wie die geflügelte Riesenkuh anlief und sich mit einem für die wuchtigen Beine elastischen Bewegung abstieß und mit weit ausgespannten Flügeln Höhe gewann.
"Bor ey, die geht echt stark ab", bemerkte Apollo Arbrenoir.
"So, Mesdemoiselles et Messieurs. Ich hoffe, Sie haben alle genug Informationen und Erfahrungen im Bezug auf eine Latierre-Kuh sammeln können. Bis zur nächsten Kursstunde erwarte ich von Ihnen, daß Sie alle erhaltenen Angaben und Eindrücke niederschreiben. Bei der Fülle dürfte ein Meter Pergament genug sein." Die Schüler stöhnten leise, wagten es aber nicht, laut zu widersprechen. Daß sie im regulären Unterricht schon umfangreiche Aufgaben hatten kümmerte Madame Maxime wenig, hatten alle, die bei Ihr Zaubertierwesen lernten erfahren müssen. Warum nicht auch im Freizeitkurs?
"Also ich werde mir jetzt ein Vollbad genehmigen", sagte Belisama. Gloria schloß sich der Idee an. "Die hätten uns echt was von diesem Geruchsvertreibe-Elixier hierlassen können", sagte Belisama noch.
"Ist nicht nötig. Ich habe Mums neues Wasch- und Badepulver da, Belisama. Da kannst du mit einem Fingerhutvoll ein ganzes Rudel Iltisse drin waschen, und die duften dann nach Flieder oder Oleander."
"Die blöden Weiber haben Badewannen, und wir nur Duschen", knurrte Hercules Julius zugewandt. "Da brauche ich eine Stunde, um den Mief loszuwerden und einen neuen Satz Klamotten."
"Stell dich nicht so an, Hercules", meinte Sabine Montferre. "Du wolltest doch in der Tierwesenbehörde anfangen, weil dein Vater da schon arbeitet. Da mußtt du was abkönnen."
"Grüß mir deinen Sergie!" Konterte Hercules. Julius wußte nicht, ob Hercules wußte, daß Sabine und Sandra gestern keinen Ausflug mit ihren festen Freunden machen konnten, weil diese sie irgendwie abserviert hatten. Es klang aber so, als wisse er es und benutze es nun, um Sabines Maßregelung zu vergelten.
"Öhm, überlege dir demnächst besser, was du sagst, Bursche. Sonst wische ich mit dir den Boden auf!" Knurrte Sabine und zog ab.
"Das war jetzt nicht so doll", meinte Julius vorsichtig.
"Die kann mich mal", knurrte Hercules trotzig. "Schlimmer als die Faucon kann die mich nicht bestrafen, ohne selbst zu fliegen."
"Ja, aber vorher verwandelt die dich in ein Stück Klopapier, wischt sich damit den Allerwertesten ab und spült dich in den Gully", raunte Julius. Hercules stutzte. "Die ist supergut in Verwandlung, weil die im Fortgeschrittenenkurs ist. Die serviert dich ab, ohne daß jemand drauf kommt, daß sie das war."
"Kein Wunder, daß Serge nix mehr von der will", erwiderte Hercules.
"Oh, der will echt nix mehr von ihr wissen?" Fragte Julius teils verblüfft, teils neugierig.
"Ach, hast du das nicht mitbekommen, daß die Rossies beschlossen haben, unverheiratet weiterzuleben und die Monties deshalb richtig madig machen wollen? Tja, hinter den Mond fliegt ja noch keine Posteule."
"Ich habe zumindest mehr Ruhe vor solchem mich nicht betreffenden Krempel", erwiderte Julius. Doch wie auf ein Stichwort trat Millie noch einmal zu ihm heran und sagte:
"Hat Tante Béatrice noch was zu dir gesagt?"
"Nöh, die war nur an dem Babybauch deiner anderen Tante interessiert, das deine Cousins nicht gerade dann kommen wollten, wo sie uns Demie vorgeführt hat", sagte Julius. "Außerdem wüßte ich nicht, was die mir noch sagen sollte."
"Dann wird sie dir wohl schreiben, wenn sie meint, was wichtiges zu sagen. Schönen Abend noch, und viel Spaß beim Duschen!"
"Bei dir würde das nix bringen, weil du von innen stinkst", knurrte Hercules. Millie bewegte darauf hin ihren Mund wie ein Fisch, der nach im Wasser schwimmendem Futter schnappt. Dann zog sie ab.
"Die Roten kannst du doch alle in eine große Tonne klopfen", knurrte Hercules verbittert. Julius mußte innerlich grinsen. Millie hatte es ihm wieder gegeben. Er fragte:
"Möchtest du echt Krach mit der ganzen Familie kriegen, Hercules. Die Montferres hängen über zwei Ecken auch mit denen zusammen."
"Ich will meine verdammte Ruhe vor diesen roten Weibern haben, verdammt noch einmal!!" Entgleiste Hercules nun endgültig.
"Dann lass die besser in Ruhe!" Schnaubte Julius. Ihm war klar, daß Hercules die zwei Tage im Goldfischglas nicht eingeschüchtert, sondern eher noch mehr auf die Palme gebracht hatten.
"Ey, machst du mir jetzt etwa Vorschriften, Julius? Pass bloß auf!" Drohte Hercules und fischte nach seinem Zauberstab. Doch Julius hatte seinen schon in der Hand.
"Ich bin auch gut in Verwandlung und noch besser in Flüchen. Also leg dich nicht auch noch mit mir an!" Schnaubte er nun sichtlich verärgert. Er wurde nicht so leicht wütend. Aber wenn, dann mußte er sich arg anstrengen, seine Ruhe wiederzufinden. hercules ließ seinen Zauberstab wo er war und nickte. Julius fühlte, daß er noch was sagen mußte, um den Frieden wieder herzustellen: "Ich habe es auch nicht leicht, Verdammt noch mal! Die Lehrer vor allem, die meinen, weil ich starke Zauberkräfte habe müßten die mir alles mögliche in der vierten Klasse ins Hirn bimsen. Jetzt fangen die Mädels auch wieder an hinter mir herzukommentieren, warum ich nur noch in der Bibliothek hänge oder was ich von und mit Claire hatte und daß ich das doch bitte nicht vergessen sollte und so. Da möchte ich mich nicht auch noch mit dir oder Robert oder Gérard rumstreiten."
"Ach wegen Millie und Belisama", knurrte Hercules. "Offenbar haben die was ausgehandelt, wer von denen dich dazu kriegt, mit ihr auszugehen. Wie gesagt: Die Hexen aus dem roten Saal sind doch alle Müll."
"Ey, den Spruch nicht so laut", zischte Julius und deutete auf eine sehr breite, aber auch hochgewachsene Hexe, deren weizenblonder Haarschopf bis zum Rücken hinabreichte und deren blaßrosa Porzellangesicht nicht zu dem kleiderschrankartigen Körperbau passen mochte. Hercules folgte Julius' Blick und nickte.
"Hast recht, von der da will ich bestimmt nicht zusammengedroschen werden, auch wenn die sich den Schuh anziehen kann", zischte Hercules und ging mit Julius weiter. Doch die Schülerin, die eine gelungene Verschmelzung zwischen einem Bauernschrank und einer chinesischen Porzellanpuppe abgab folgte den beiden. Julius hielt an und winkte sie heran.
"Hi, Callisto, können wir was für dich tun?"
"Ja, könnt ihr beiden", sagte das Mädchen mit einer glockenhellen Stimme und sog Demies Geruch in die Nasenflügel. "Öhm, also doch Latierre-Kühe. - Öhm, sagt eurer deutschen Mitbewohnerin einen schönen Gruß von mir, sie möge Edgar doch bitte in Ruhe lassen, falls sie das Schuljahresende noch in einem Stück erreichen möchte! Tut ihr das für mich?"
"Welchen Edgar meinst du?" Fragte Julius.
"Welchen, es gibt nur zwei hier. Den aus der dritten, den meine ich nicht. Also Edgar Camus", sagte Callisto nun etwas weniger freundlich.
"Och, hat die böse Waltraud sich an Eddie Camus rangemacht und der sich das gefallen lassen", spottete Hercules.
"Ein bißchen weniger frech und du kriegst keinen Streit mit mir", knurrte Callisto und drohte mit der rechten Faust. Julius fragte, ob Edgar nicht mit ihr zusammen wäre und Waltraud das hätte wissen müssen.
"Sie muß nur wissen, daß ich die älteren Rechte an dem habe, auch wenn der meint, das sei nicht so und er könne sich jedem Küken zuwenden, das in seiner Sprache Piepst. Ihr sagt ihr das, daß da eine Hexe im roten Saal wohnt, die bestimmt sehr böse wird, wenn sie nicht ihre Finger von Edgar Camus läßt!"
"Und wenn wir das nicht machen, weil Edgar als Saalsprecher groß genug ist um sich auszusuchen, ob der lieber mit einem klobigen Kleiderschrank oder einer gut gebauten Junghexe ...?" Fragte Hercules und verlor unvermittelt den Boden unter den Füßen. Callisto hatte ihren Zauberstab nur ansatzweise hervorlugen lassen. Das genügte aber schon.
"Ich falte dich gleich zusammen und pack dich in meinen Kleiderschrank, Culie. Also, Julius, da du ja der klügere von euch beiden bist wirst du das deiner derzeitigen Mitbewohnerin bitte bestellen, ja?"
"Mädels, macht das bitte unter euch aus", knurrte Julius. "Ich bin für sowas nicht zuständig. Abgesehen davon hat Hercules recht, daß Edgar zur Zeit keine feste Freundin hat und du nicht einfach über den verfügen kannst, als hättest du den in irgendeinem Katalog gesehen und bestellt." Julius hielt seinen zauberstab fest in der Hand und lauerte auf jede Bewegung in seine Richtung. Callisto ließ Hercules wieder auf die Füße kommen. Da kam Professeur Fixus um die Ecke. Sofort tauchte Callisto im Strom der anderen Schüler unter.
"Was war hier los?" Fragte die Zaubertrank-Lehrerin und Vorsteherin des roten Saales.
"Callisto Montpélier hat uns gebeten, jemandem in unserem Saal was auszurichten, Professeur Fixus", sagte Julius. "Mehr war nicht."
"Nun, dann kehren Sie in den Ihnen zugewiesenen Saal zurück und bereiten sich auf das Abendessen vor ... auch geruchlich!" Dann zog sie ab.
Julius trieb Hercules, der innerlich noch über den ihn überrumpelnden Schwebezauber Callistos grollte zur Eile an. Als sie im grünen Saal waren warfen sie ihre Wäsche in den Korb für Schmutzwäsche, duschten und zogen sich für das Abendessen um. Dabei meinte Julius:
"Wenn die Fixus aus deinen Gedanken rausgehört hat, daß du alle Hexen aus dem roten Saal für Müll hältst könnte die dich irgendwann ganz fies reinrasseln lassen, ohne daß ihr jemand draufkommt, daß es eher Rache als gerechtfertigte Bestrafung ist."
"Weil die da auch war", knurrte Hercules. "Aber ich lasse mich von diesem Kleiderschrank Montpélier nicht zum Laufburschen runterstufen. Also stimmt das schon, daß alle Hexen aus dem roten Saal Müll sind."
"Ich habe mal gelernt "alle" oder "keiner" zu sagen blockiert das eigene Auffassungsvermögen", meinte Julius. Hercules Moulin grummelte nur, daß er das jetzt auch nicht nötig habe, sich belehren zu lassen. Julius nickte.
Vor dem Abendessen richtete Julius Waltraud aus, sie könnte Ärger mit Callisto Montpélier kriegen, weil die wohl meine, sie, Waltraud würde mit Edgar Camus was anfangen wollen.
"Das sieht solchen Hexen ähnlich. Nicht wissen, wie man anständig mit intelligenten Jungen redet und dann die Muskeln oder den Zauberstab spielen lassen, wenn eine auftaucht, die das kann. Ich schicke ihr mal 'ne Eule und frage sie, was die genau meint. Mehr müßt ihr in der Hinsicht nicht wissen", sagte Waltraud.
Abends im Schlafsaal dachte Julius an den Nachmittag, an die Latierres, an Millies Bemerkungen, Hercules Erwiderungen, Callistos eher machohaftes Gebahren wegen Edgar Camus, den er persönlich für nicht so doll hielt, daß zwei Mädchen sich um ihn prügeln mußten und Hercules nun festzementierte Ansicht, daß alle Hexen aus dem roten Saal Müll seien. Das es nicht stimmte wußte er, weil er mit den Montferres gut klarkam und auch mit Mädchen wie Millie, Caro und Leonnie gut zurechtkam, von Martine ganz zu schweigen, die ja auch eine Rote gewesen war. Außerdem imponierte es ihn, wie spielerisch Millie mit Derbheiten jonglieren konnte, die ihr an den Kopf geworfen wurden oder die sie ohne Wimpernzucken anderen an den Kopf werfen konnte. Sie und Belisama hatten ihm heute sehr deutlich klargemacht, daß die Schonzeit für ihn nun abgelaufen war. Wenn er nicht wollte, daß ein ganzer Hühnerstall von Hexenmädchen anfing, sich um ihn zu zanken, mußte er wirklich langsam wieder auftauen und sehen, was beziehungsmäßig günstig beziehungsweise interessant und schön genug war. Claires Geist hatte ihm in jener Art Traumwelt mit der Blumenwiese einen wertvollen Ansatzpunkt geliefert. Das kapierte er nun. Sollte er eine Blume pflücken oder warten, bis er gepflückt wurde? Einen Moment lang kitzelte ihn der Gedanke, mit Béatrice Latierre etwas auszuhandeln, daß sie mit ihm eine Beziehung anfinge. Doch wollte er wirklich Béatrice Latierre mit Gewalt dazu bringen, sich um ihn zu kümmern wie um ihre schwangere Schwester? Gut, Babys konnte er keine kriegen. Aber was konnte er tun, wenn Béatrice ihm alles aus der Hand nahm, von der Ausbildung bis zur Unterbringung im Leben? Das konnte er doch nicht ernsthaft wollen! Vielleicht sollte er Millie eins auswischen und sehen, ob er mit Martine in Kontakt trat um zu sehen, ob er rausfand, wie er mit unverheirateten Hexen gut klarkam und wo er noch was dazulernen konnte. Er hörte sie noch deutlich sagen, daß sie ihn an einen Baum binden würde, wenn er sich mit Millie auf eine Beziehung einließ und dann kurz vor der endgültigen Entscheidung Fracksausen bekam und sich dünne machen wolle. Dann sollten ihn irgendwelche läufigen Sabberhexen kriegen. Andererseits hatte Martine ihm gegenüber auch mehr Interesse gezeigt als für ein einige Jahre älteres, nun im Erwachsenenleben stehendes Mädchen üblich war. Vielleicht lag es an seinem durch den Temporipactum-Zauber um zwei Jahre gealterten Körper, daß Martine ihn als interessant genug empfand. Doch sogesehen konnte ihn dann auch Callisto Montpélier umschwirren, und die peilte sich gerade auf Edgar Camus ein, bei dem sie angeblich ältere Rechte hatte als Waltraud. Wieso kam er eigentlich darauf, sich nur für eine der Roten zu interessieren? Die einfache Antwort war, daß die wußten, was sie wollten und das auch problemlos zeigten und er nicht. Er wußte, was er tun mußte, damit andere mit ihm zufrieden waren. Das konnten die meisten Jungen und Mädchen aus dem roten Saal nicht von sich behaupten. Andererseits konnte man die eigenen Grenzen doch nur erkennen, wenn man sie ab und an übertrat und nicht von anderen vorgegeben bekam, wo sie zu verlaufen hatten. Der Gedanke wiederum machte ihn stutzig. Wie kam er, der nur noch das bringen wollte, was von ihm verlangt wurde, auf diesen rebellischen Gedanken? Bisher hatte er das, was er als "Hormonmaschine" bezeichnete gut austricksen können und sich eher auf lernbares, rein geistiges zeug festgelegt. Doch Aurora Dawn hatte es ihm vor anderthalb Jahren an seinem dreizehnten Geburtstag gesagt und in den vergangenen Weihnachtsferien wieder bestätigt. Der Körper gab einem Schonzeit, um das zu machen, was dem Hirn wichtig war oder man einfach aus Neugier machen und lernen wollte und dabei doch auch eine gewisse Vernunft behielt. Doch irgendwann, so Aurora, würde er sein Recht einfordern und dem Gehirn signalisieren, es möge das Denken zurückstellen und mal das machen, was unvernünftig war, wenn das dem Körper so gefiel. Dann hing da noch die von Aurora Dawn erwähnte Frist im Raum, die nach dem gewaltsamen Ende des Corpores-Dedicata-Zaubers begonnen hatte. Wenn er nicht lernte, mit seinen Gefühlen zu leben, sie als nötigen Teil von sich zu betrachten, würden sie seinen Verstand mal eben so KO schlagenund ihn zu wirklich dummen Sachen treiben. Komischerweise dachte er übergangslos an Babettes Brief, in dem stand, daß ihre ungeborene Schwester Claudine heißen würde. Wie kam er denn jetzt darauf? Das konnte daran liegen, daß ihm alles durch den Kopf ging, was ihm heute passiert war oder einfach, daß Claudines Entstehung wie die von Miriam Latierre und den heute indirekt zu besichtigenden Zwillingen Barbara Latierres aus eben einer Reihe unvernünftiger Taten passiert war, denen er durch eine angeblich vernünftige, entschlossene Tat entgegengewirkt hatte. Doch gerade das mochte seine Hormonmaschine so richtig in Schwung gebracht haben. Tja, Claire hatte es wohl gerochen und ihn deshalb mit dem Corpores-Zauber sprichwörtlich an sich gebunden und war deshalb jetzt nicht mehr da, weil er ihrer Meinung nach in Gefahr war, seinem Körper mehr Freiraum zu geben und sie dabei abzulegen, obwohl er das doch nicht wollte. Jetzt war sie weg, mit ihrer Großmutter zu Ammayamiria verschmolzen, und er stand wieder da, wo er am Ende des Sommers schon gestanden hatte, auf einer wackeligen Brücke aus klarem Denken, über einem Fluß aus einfachen, dahintreibenden Gefühlen und Bedürfnissen. Wohin führte denn diese Brücke eigentlich? Wußte er das? Irgendwer wußte es wohl und wollte, daß er darauf entlangbalancierte, während dieser breite Fluß aus einfachen Gefühlen und Bedürfnissen unter ihm dahinplätscherte, ihn einlud, die wackelige Brücke zu verlassen und sich mittreiben zu lassen, um zu sehen, wo er dann ankam. In beiden Fällen würde er irgendwo ankommen, ohne zu wissen, ob er da auch hinwollte. Abends konnte er schon merkwürdige Gedanken haben. Dann wurde ihm mit einem Mal klar, was Millie und die anderen ihm die ganze Zeit sagen wollten:
"Es lohnt sich nicht, sich vor den einfach passierenden Sachen zu verstecken. Sie finden einen überall. Das einzige was zählt ist der Mut und die Gewißheit, mit allem was passiert fertig zu werden, ohne vorher zu wissen, was es ist. Auch wenn es die eine oder andere Prophezeiung geben mag bleibt die Zukunft an sich immer veränderlich."
Er erkannte, daß es das war, was wichtig war, für ihn und für alle anderen. Wer sich nur auf etwas vorbereitete konnte arge Probleme kriegen, wenn das, worauf man sich vorbereitet hatte nicht mehr möglich oder bereits überholt war. Man konnte nur eine gute Grundausrüstung zusammenstellen, um mit allem klarzukommen was kam. Dafür war die Schule gut. Aber sie war nicht das Leben an sich. Das deckte sich mit vielen Sachen, die man ihm schon als Grundschüler an Lebensweisheiten aufgetischt hatte. Er nickte sich selbst zu. Jetzt war er sich sicher, daß er bald wieder losgehen und mehr als nur lernen konnte, auch wenn die Lehrer ihm alles aufladen wollten, was in der Schulbibliothek rumstand.
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Sie kamen wieder, jene gemalten Mariachis mit ihren Geigen, Trompeten und Gitarren, singend und johlend. Allerdings war es bereits Viertel vor sechs, als sie ihren mittelamerikanischen Morgengruß durch alle Bilder im Viertklässlerschlafsaal der Jungen schmetterten. Der von Claire gemalte Trompeter auf dem Bild mit den Musikzwergen versuchte erneut, dagegen anzuspielen. Doch die zwölf lustigen Musikanten mit Sombreros auf ihren schwarzen Schöpfen ließen sich nicht aus dem Takt oder der Melodie bringen. Eine Minute lang durchwanderten die gemalten Spielmänner aus dem fernen Mexiko die Bilder im Schlafsaal, wobei einer der Gitarrenspieler Aurora Dawns gemaltem Ich ein ziemlich lautes "¡Hola Guapa!" zurief. Sie lachte jedoch darüber und ließ die Musikanten an sich vorbei ziehen. >
"Ja hallo, geniale Aktion!" Freute sich Hercules Moulin. Gérard meinte dazu grummelnd:
"Kommen die jetzt immer?"
"Offenbar hat man das Bild mit denen nicht abgehängt oder denen was beibiegen können, nicht durch alle Bilder zu ziehen", meinte Julius, der wie die anderen Jungen bei offenen Bettvorhängen dem fröhlichen Spiel der gemalten Musikanten gelauscht hatte, bis sie durch das Quidditchbild von Hercules verschwunden waren.
"Wie können die durch leere Luft laufen, wo die Spieler im Flug gezeigt werden?" Fragte Hercules erstaunt. Julius dachte, daß das durchaus eine berechtigte Frage war.
"Ich gebe die Frage gleich an die weiter, die das Bild hingehängt haben", sagte Julius zu Hercules. Dieser wollte wissen, wo diese Musik herkam und ob man die nachspielen könne. Gaston meinte dazu:
"Die kommen angeblich aus Mexiko, das liegt irgendwo in Südamerika. Außerdem denke ich, brauchen wir die Musik nicht nachzuspielen."
"Ich mach mich dann für den Frühsport klar", sagte Julius. Hercules überlegte zwar, ob er sich das ausnahmsweise mal antun wollte. Aber er verzichtete doch darauf. Er meinte nur:
"Dusch dich danach aber, wenn der ganze rote Unrat da draußen die Luft verpestet."
"Ey, Culie, hat dir 'ne Rote 'nen Antrag gemacht?" Feixte Gérard. Robert warf sofort ein, daß er keine Lust hätte, denen wieder bei einer Klopperei zuzusehen. Julius machte sich für den Frühsport klar.
Draußen vor dem Stadion traf er Millies Cousinen, die Rücken an Rücken standen und sich gegenseitig hochstemmten. Butterwiegen nannte man sowas, erinnerte sich Julius.
"Manchmal ist das wohl praktisch, 'ne gleichalte Schwester zum Spielen zu haben", grüßte er. Callie, die gerade auf Pennies Rücken getragen wurde, meinte:
"Nur mit dem Unterschied, daß man die nicht weglegen kann wie eine Puppe, die langweilig ist. Waren unsere Mexies auch wieder bei euch?"
"Si, Señorita", erwiderte Julius belustigt. Pennie hielt ihre Schwester immer noch auf ihrem Rücken. Julius meinte leicht besorgt, daß sie ja keinen Hexenschuß kriegen solle. Pennie meinte ganz gelassen, als trüge sie nicht gerade an die fünfzig Kilo Blutsverwandttschaft auf dem Buckel:
"Dann schieße ich zurück. Ich habe von den Bohnen in Tomatensoße noch genug im Bauch."
"Okay, Pennie. Jetzt wieder ich", sagte Callie und ließ sich absetzen. Atmete kurz durch und wuchtete dann ihre Schwester vom Boden auf ihren Rücken.
"Hat's keinen Krach mit Professeur Fixus oder anderen gegeben?" Fragte Julius.
"Nöh, solange die nicht durch die Lehrerschlafzimmer oder bei Madame Maxime durchmarschieren geht's. irgendeine gemalte Hexe hat denen erklären können, wann sie ihre Musik machen und wo sie dabei langlaufen dürfen. Es gibt ja im Palast einige, die früher, wo sie in echt rumgelaufen sind auch Spanisch gesprochen haben", sagte Pennie, während Callie sich ausbalancierte.
"Die sind bei uns durch ein Bild mit fliegenden Quidditchspielern gelaufen. Wie geht sowas?" Fragte Julius.
"Die können durch alles durchlaufen, hat Tante Amélie gemeint. Denen macht nichts was aus, kein Feuer, kein Wasser und keine leere Luft. Soll ein Malereitrick sein, der gemalte Personen gegen alle gemalten Elementarformen schützt, wenn sie in ein anderes Gemälde wechseln", sagte Pennie. Dann wechselten sie sich wieder ab. Julius nickte. Das hatte er noch nicht raus, wie man so malte. Er beschloß, daß irgendwann zu lernen. Dann verabschiedete er sich von den beiden und trabte zum laufen an. Doch als er die Schritte zweier anderer Leute hörte, wußte er, daß sie ihr Übungsprogramm beendet und ihm mal eben nachgelaufen waren. Dann kamen noch Waltraud, Millie und die Montferres, sowie die Jungen aus dem roten Saal, die trainierten. Als Sabine Montferre neben ihm war und ihr Tempo anglich fragte er sie, ob sie morgen beim Spiel gegen die Violetten auf mehr Punkte oder doch auf Schnatzfang spielten. Sabine meinte dazu nur:
"Wir werden die Punkte machen, die die Jäger machen können und hoffen, daß Laertis endlich einmal zugreift. Ansonsten werden wir euch im Endspiel alle Ringe zuballern."
"Ich denke, Agnes holt gegen Dujardin den Schnatz und wir Jäger holen uns viele Punkte, um eure Ballerei gelassen abzuwarten", sagte Julius.
"Das sag mal Sandrine", erwiderte Sabine, bevor die Latierre-Zwillinge frech an ihrem hautengen Sportkostüm zupften und dann davonpreschten.
"Noch mal wie gestern?" Fragte Sabine und zog bereits das Tempo an.
"Nöh, ich wollte heute mal wieder was für Bauch, Rücken und Arme machen!" Rief Julius. Er zog sich von der Laufbahn zurück und machte unter Einwirkung des Schwermacherkristalls seine Übungen. Als er wieder in den Palast zurückkehren wollte fragte ihn Millie, ob er ihr für morgen die Daumen drückte. Er meinte dazu verschmitzt grinsend:
"Kann ich nicht. Sonst würde der Pokal ja doch noch rot."
"Ein grüner Pokal sieht doch nach nichts aus", meinte Millie keck. "Aber im letzten Spiel wirst du es erleben, daß er doch rot wird. Bis gleich!"
Julius schaute ihr nach, wie sie aufrecht und anmutig, leicht mit dem strammen Hinterteil auspendelnd dahinschritt. Ihr rotblondes Haar umspielte sanft ihren Nacken und Oberkörper. Dieses Mädchen wußte genau, wie es gehen mußte, um Jungen ihr hinterherblicken zu machen, dachte Julius und erkannte jetzt erst, daß er ihr einige Schritte nachgelaufen war und fast mit ihr irgendwo hin gewandschlüpft wäre. Das wäre wohl peinlich geworden, dachte er.
Im zweiten Halbjahr war Freitags in der ersten Doppelstunde praktische Magizoologie angesagt. Madame Maxime, die gegen alle Hoffnungen der Schüler immer mehr Gefallen an der zusätzlichen Arbeit empfand, führte ihnen an diesem Morgen die russischen Goldeihühner vor. Diese Tiere hatte Julius in Millemerveilles schon besichtigen können.
"Das ist eine Leihgabe aus einer magischen Menagerie bei St. Petersburg, die wir bis zum April im Unterricht betrachten können. Diejenigen, die in meiner AG zur Pflege und Beobachtung magischer Tierwesen sind werden in den nächsten Wochen häufiger mit diesen Vögeln arbeiten und die goldenen Eier einsammeln", sagte Madame Maxime. "Um die so wertvollen Eier zu erzeugen werden die Hennen jeden zweiten Tag mit in Weizenkörnern verteiltem Goldstaub im Wert einer halben Galleone pro Henne gefüttert. Das ist zwar etwas kostspielig, aber die Eierschalen erfreuen sich einer großen Beliebtheit bei Goldschmieden, weil sie aus gut verarbeitbarem Gold bestehen. Das Eigelb der Hühner besitzt einen zweimal so großen Fettgehalt wie die Eier ordinärer Haushühner und kann als Futterzusatz für Fleisch fressende Tierwesen benutzt oder wegen der darin eingelagerten Magie auch in Zaubertränken verwendet werden", sprach die Schulleiterin weiter. Bernadette Lavalette notierte sich umständlich alle Äußerungen und fragte dann, ob es keine Probleme mit den Kobolden in Gringotts gebe, wenn jemand diese Goldeier produziere. Madame Maxime erwiderte darauf:
"Nun, das ist einer dieser Fälle, wo sich die russische Tierwesenbehörde fast mit den Leuten des russischen Koboldverbindungsbüros überworfen hätte, weil diese Tiere eine lebende Golderzveredelungsanlage sind, da sie mit dem Getreide alles aufnehmen, egal, wie viel reines Gold darin ist. Da Gold, wie Sie aus Professeur Fixus' Alchemie-Unterricht wissen dürften in der Natur im gediegenen, also nicht oxydiertem Zustand vorkommt genügt es, genug Goldhaltigen Staub zusammenzutragen. Eine halbe Galleone alle zwei Tage pro Henne ließe sich bei einer zweimal täglichen Futtergabe mit einem Goldgehalt einer Achtelgalleone sicherlich bewerkstelligen. Die Kobolde erschienen nicht sonderlich glücklich darüber. Der russische Zaubereiminister hat sich dann mit dem Chef der moskauer Gringotts-Filiale beraten, weil die dortigen Kobolde keinen Kontoinhaber mehr einlassen wollten. Sie kamen darüber ein, daß für jede zehnte Goldeihenne, die bekannt sei Diamanten im Gesamtgewicht von 200 Karat an die Gringotts-Kobolde bezahlt würde, und von den Besitzern der Hühner pro verkauftes Goldei eine Sickel an das Ministerium abgeführt wurde. Damit wurde ein Stillhalteabkommen mit den Kobolden erworben. Das dürfen Sie sich ruhig auch für eine eventuelle Befragung in der Jahresendprüfung notieren, Mesdemoiselles et Messieurs", sagte die gerade unterrichtende Schulleiterin noch. Julius suchte einen Hahn unter den sieben Hennen.
"Der Hahn ist im Stall, der zu einem permanenten Klankerker gemacht wurde, weil sein Krähen so durchdringend laut ist, daß es die Ruhe der Akademie stören würde", sagte Madame Maxime auf seine Frage nach einem Hahn. Sie erfuhren noch was über die Brutpflege, daß eine Henne einen ganzen Monat auf dem Gelege saß und die Küken mit sehr harten Spitzen an den Schnäbeln, die noch härter als Diamanten waren, die Schale aufsägen mußten, was sich für Uneingeweihte wie eine geschäftige Schmiede im Winzlingsformat anhörte. Wenn die Küken dann geschlüpft waren und das erste Mal Futter aufnahmen, fiel diese Schnabelspitze ab und bohrte sich in den Boden. Wenn man sie ausgrub und mit anderen Schnabelspitzen gegeneinander verrieb, konnte man ein sehr wertvolles Pulver gewinnen, das die Wirkungsweise mancher Zaubertränke vervielfachte.
Nach dem Tierwesenunterricht kam die Abwehr dunkler Kräfte dran, wobei es heute um niederstufige Fernflüche ging, die leichtes Unwohlsein bis Heimsuchung durch Alpträume bewirken konnten. Julius kannte aus dem Ferienkurs vor anderthalb Jahren noch alle dazu besprochenen Sachen, hielt sich jedoch so weit zurück, wenn Professeur Faucon ihn nicht gezielt aufforderte.
Danach kam Zauberkunst an die Reihe, wo Julius zwanzig Bonuspunkte für die Erzeugung dauerhafter Bildillusionen bekam.
Nachmittags fand noch eine Doppelstunde Kräuterkunde statt, wo sie mit südamerikanischen Saugblattgewächsen zu tun bekamen, Pflanzen, deren dicke, kakteenartige Blätter jede Feuchtigkeit aus der Umgebung aufsogen und sogar wasserhaltiges Gewebe austrocknen konnten. Professeur Trifolio warnte davor, diese Pflanzen ohne Handschuhe anzufassen und demonstrirte an einem nassen Lappen, wie schnell ein solcher bis fast zum Zerfallen entwässert wurde, sobald er ihn auf eines der Blätter legte.
"Mit den abgetrennten Blättern kann man noch drei Stunden lang überflutete oder durchnäßte Flächen restlos austrocknen. In manchen Haushalten Südamerikas, aber auch der Suptropen anderer Kontinente, werden diese Pflanzen in Drahtkörben unter der Zimmerdecke gehalten, um Häuser von überschüssiger Luftfeuchtigkeit freizuhalten. Wer mit bloßen Händen an die Pflanze rührt wird bereits in der ersten Sekunde ein Gefühl starker Verbrennung empfinden, weil die Pflanze sofort alle in Haut, Fleisch und Blut gespeicherte Nässe an sich zu reißen versucht. Zu unserem Glück sind diese Pflanzen sessil und bewegen sich nie von sich aus. Jedoch werden sie auf der Skala gefährlicher Zauberpflanzen mit Alraunen und kleineren Carnivoren gleichgesetzt, um die hohen Sicherheitsauflagen zu rechtfertigen, die den Umgang mit ihnen betreffen."
"Wie findet der Flüssigkeitsentzug statt?" Fragte Gloria Porter.
"Wer kann das Ihrer Kameradin beantworten?" Gab Trifolio die Frage weiter. Waltraud und Julius zeigten auf. Waltraud sollte antworten.
"Es ist eine Art vegetativer Osmosezauber. Im Klartext: Eine schwache, nur bei direktem Kontakt wirksame Kraft verstärkt den Fluß vonWasser in die Pflanzenzellen auf ein hundertfaches des in Pflanzenzellen üblichen Wasseraufnahmevermögens."
"Soweit richtig, Mademoiselle Eschenwurz. Fünf Bonuspunkte für Sie", sagte Professeur Trifolio. "Wie kann dieser Zauber vorübergehend unterbrochen werden?" Julius hob die Hand. Als er antworten durfte sagte er:
"Diese Pflanze reagiert sofort auf jede Form der Überhitzung durch Ausstoß von gespeichertem Wasser. Damit kann sie sich vor Feuer schützen. Wenn man jedoch heißes Wasser auf die Blätter gibt, mindestens sechzig Grad heiß aber kochendes Wasser ist da noch wirkungsvoller, wird das Wasser zwar eingesaugt, blockiert aber dann für zwei Minuten die magische Osmose, weil die Überhitzung den Ausstoß bewirken müßte, aber kein Feuer vorliegt und damit die Pflanze solange weder einsaugt noch ausstößt, bis das ihr verabreichte heiße Wasser auf natürliche Weise unter sechzig Grad Celsius abkühlte. Man kann die Blätter, die damit benetzt wurden für diesen Zeitraum anfassen. Die fühlen sich dann aber ziemlich heiß an."
"Stimmt vollkommen, Monsieur Andrews. Ebenfalls fünf Bonuspunkte dafür. Dann wissen Sie sicherlich auch die Einschränkungen für diese Behandlung", erwiderte Trifolio. Julius nickte. "Dann teilen Sie uns diese bitte auch noch mit!" Forderte der Kräuterkundelehrer.
"Wenn man diese Pflanzen mehr als dreimal innerhalb von einer Woche so behandelt, entwickeln sie dagegen eine Abwehr. Das heißt, wenn sie mit heißem Wasser in Berührung kommen, saugen sie es kurz ein und schleudern es eine Sekunde später nach draußen, was ziemlich gefährlich sein kann, weil man sich dabei selbst verbrühen kann. Deshalb wird das nur bei Pflanzen gemacht, die man ausgraben und umtopfen will. Sonst werden Drachenhauthandschuhe empfohlen, deren Verarbeitung die magische Osmose von der umschlossenen Hand abhält."
"Noch einmal fünf Bonuspunkte für die korrekte Antwort und Begründung."
Nach dem Unterricht war die Zauberkunst-AG, in der Julius Marie van Bergen, der muggelstämmigen Zweitklässlerin aus seinem Saal den Locomotor-Zauber beibrachte und selbst mehrere Riesenwassertropfen zauberte, die Kopfgroß und dabei mehrere Kilo schwer wurden.
Abends beim Duell-Training trat er drei Runden lang gegen Gloria Porter an. Danach hieß es für die, die im letzten Jahr bereits von Professeur Faucon und ihrer Vorgängerin Tourrecandide dem Imperius-Fluch unterworfen worden waren, eine weitere Übungseinheit im Widerstand gegen diesen heimtückischen Zauber durchzustehen. Julius lernte dabei, daß er mit Occlumentie nicht dagegen ankämpfen konnte, sondern nur mit erbitterter Konzentration, die ihm in den Geist strömenden Befehle zu ignorieren, ihrem Zwang zu widerstehen. Dennoch schaffte er es alle drei Male, den Befehlen Professeur Faucons zu widerstehen, ja sie sogar ins Gegenteil umzukehren. Als sie ihm befahl, er möge Gloria Porter einen Schockzauber versetzen, hätte er fast Professeur Faucon geschockt, wenn diese nicht durch einen aufgerufenen Schildzauber den Schockzauber abgeprällt und in die Fluchfangbarriere abgefälscht hätte.
"Sieh an, Sie wagen es tatsächlich, Ihrem Angreifer seine eigene Medizin verabreichen zu wollen, Monsieur Andrews. Allerdings haben Sie gerade sehen dürfen, daß das leicht nach hinten losgehen kann. Immerhin sechzig Bonuspunkte von sechzig möglichen, weil Sie wenn auch sehr knapp jede Attacke mit dem Imperius-Fluch abgewehrt haben", sagte Professeur Faucon. Gloria fragte sie, warum Julius, der noch nicht volljährig war, mit diesem Fluch belegt werden durfte.
"Minister Grandchapeau ordnete nach der erwisenen Rückkehr jenes böswilligen Zauberers, der sich selbst Lord Voldemort nennt an, daß von mir und meiner Fachkollegin Professeur Tourrecandide für brauchbar befundene Schüler gegen die Wirkung des Imperius-Fluches abgehärtet werden mögen. Da meine Kollegin und ich Monsieur Andrews zum Kreis der Beschulbaren zählen dürfen gilt diese Anordnung auch für ihn. Seine Fürsorgerin und seine Mutter haben diesem Vorgehen schriftlich zugestimmt. Genügt Ihnen das, Mademoiselle Porter?"
"Nun, da es mit lebenslänglicher Haftstrafe bedroht wird, diesen Fluch gegen Mitmenschen zu benutzen wunderte es mich schon sehr, daß Sie ihn überhaupt benutzen, Professeur Faucon, schon gar gegen einen Schüler unter siebzehn Jahren", sagte Gloria etwas verlegen.
"Uns liegt es fern, illegale Praktiken im Unterricht oder den Freizeitkursen zu betreiben, Mademoiselle Porter. Es hat sich leider nur herausgestellt, daß es oft nötig ist, an Grenzen des Erlaubten gehen zu müssen, um sich bestmöglich auf sehr schlimme Situationen vorzubereiten."
"Immerhin scheint Julius ja durch diese fragwürdige Praxis gegen den Fluch immun zu sein", wandte Gloria ein.
"Nun, eine absolute Sicherheit dabei kann und wird es nicht geben", sagte Professeur Faucon. "Es ist eine Frage der Zauberkraft, der Tagesform und der unbändigen Willenskraft dessen, der den Fluch benutzt und dessen, der ihm unterworfen werden soll. Ihr Kamerad ist dadurch nicht zu einhundert Prozent immunisierbar. Aber wenn wir es hier erreichen, ihn zumindest widerstandsfähiger gegen den Fluch zu machen, ist das bereits ein großer Schritt, um ihm für das Leben zu helfen, sollten die derzeitigen Ereignisse an Grausamkeit gewinnen."
"Warum fragen Sie dann nicht jeden hier, ob er oder sie dem Fluch nicht widerstehen lernen mag?" Wollte Gloria nun wissen. Waltraud nickte ihr zustimmend zu.
"Wie gesagt, daß müssen wir befinden, wen wir dafür für geeignet halten", sagte Professeur Faucon sehr forsch. "Monsieur Andrews' Zauberkraftpotential entspricht dem eines Sechst- oder Siebtklässlers, hat sich durch unsere intensiven Fördermaßnahmen wahrscheinlich schon darüber hinausentwickelt. Deshalb gehört er als einziger minderjähriger Schüler zum Kreis der zu prüfenden. Ich verstehe, daß Sie wohl gerne erfahren möchten, ob Sie dem Fluch widerstreben können, Mademoiselle Porter, zumal ich ja weiß, was Ihre Frau Großmutter mit Ihnen und Ihren Cousinen in den Sommerferien geübt hat. Sie hat Ihnen die drei Unverzeihlichen gezeigt, teilte sie mir auf meine Anfrage mit. Allerdings hielt sie sich strickt an die gesetzlichen Beschränkungen im Umgang damit." Gloria nickte bestätigend und schwieg weiterhin.
So, morgen sind die Violetten fällig", sagte Sabine Montferre zu Julius, als sie aus der Übungshalle hinausgingen. Julius feixte:
"Nur, falls Professeur Faucon euch beiden nicht per Imperius befohlen hat, die Violetten gewinnen zu lassen, damit wir am Ende den Pokal haben."
"Ui, das solltest du nicht einmal denken", erschrak Sabine und blickte sich um. "Die könnte sonst sehr schnell die Freude an dir verlieren und dich eigenhändig von der Schule schmeißen. Könnte dir dann sogar passieren, daß sie dich ihrer Tochter hinlegt, damit die dich mit ihrer noch zu kriegenden Tochter zusammen großzieht."
Julius nickte. Natürlich durfte er das nicht einmal denken, daß Professeur Faucon jemandem einen nachhaltigen Imperius-Fluch auferlegte. Denn das würde sie nicht nur von der Akademie, sondern gleich ins Gefängnis befördern.
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Nachdem die mexikanischen Musiker die Viertklässler wieder um Viertel vor sechs geweckt hatten und Julius sein übliches Frühsportpensum abgeleistet hatte, frühstückte er mit seinen Kameraden im Speisesaal von Beauxbatons, wo die Violetten ein Spruchband über ihrem Tisch flattern ließen, auf dem stand:
"Violett gewinnt das Spiel und erreicht vor Rot das Ziel."
"Na toll", meinte Hercules, als er sah, wie am roten Tisch großes Gemurmel einsetzte. Ein Spruchband oder dergleichen blieb jedoch aus. Das Getuschel wurde zu einem wütenden Aufruhr, der erst abebbte, als Professeur Paralax den Schülern seines Hauses das Einholen des provozierenden Spruchbandes befahl und Professeur Fixus ihre Schüler zusammenstauchte, sich ja zu benehmen.
"Der Kleine hat wohl einen Schluck Größenwahn gesoffen", meinte Robert. "Gibt es sowas als Trank, Julius?"
"Ja, Robert. Wenn du Zwergenblut mit Riesenblut zusammenrührst und das pulverisierte Horn eines bretonischen Blauen in zehn Intervallen von einer Stunde einfüllst und das Ganze dann noch einen halben Tag auf mittlerem Feuer kochen läßt kriegst du das Invincibilus-Elixier, das jede angst und jeden Respekt vor anderen vertreibt. Allerdings hat dieser Trank einen üblen Nachteil. Wenn er nachläßt bist du eine Woche total schreckhaft und unterwürfig", sagte Julius mit einem Grinsen, daß zeigte, daß er es nicht ganz so ernst meinte. Tatsächlich hatte er diesen Trank gerade mal soeben erfunden. Ob er wirklich wirkte mußte und wollte er nicht ausprobieren. Als Robert meinte, er würde sie doch wohl verarschen lachte er befreit und meinte, daß für Größenwahn wohl kein Zaubertrank nötig sei, wo es unter den Menschen mehr als genug davon gab.
"Nun, egal. Die Roten machen die gleich sowas von alle, daß wir im letzten Spiel gegen die nichts mehr machen können, um den Pott bei uns zu halten", sagte Hercules.
Auf dem Weg zum Stadion traf Julius Gloria und Belisama. Gloria wirkte ungewöhnlich beunruhigt, als sei etwas bedrohliches im Anmarsch. Julius fragte, was los sei. Sie entschuldigte sich bei Belisama und bat sie, schon einmal vorzugehen und einen Platz freizuhalten. Diese sah Julius an, schien erst zu überlegen, ob sie noch was sagen sollte, lächelte dann aufmunternd und ging weiter, während Gloria Julius mit sich aus dem direkten Weg zwischen die äußeren Bäume des westlichen Parks zog.
"Irgendwas ist mit Oma Jane", sagte sie. "Ich habe sie gestern abend um elf Uhr unserer Zeit und dann in der Nacht um drei Uhr unserer Zeit mit dem Spiegel zu erreichen versucht. Sie war jedoch nicht zu erreichen."
"Hmm, ich habe sie vor einer Woche das letzte Mal gesprochen. Sie meinte, sie hätte Sabberhexen jagen müssen und den Spiegel nicht dabei gehabt. Kann sein, daß sie wieder hinter denen her ist", sagte Julius.
"Nein, das ist es nicht, Julius. Sie sagte, sie könne im Moment nicht weiter hinter denen herjagen, weil die jedesmal, wenn die irgendwo zugeschlagen hätten von wem anderem abgeholt und weggebracht würden. Und solange die Strafverfolgungsabteilung nicht raushabe, wer das sei, wollte Davidson seine Leute, also auch Oma Jane für dringlichere Sachen bereithalten. Denke dran, daß drei Uhr bei uns neun Uhr abends in New Orleans ist. Dann hätte sie Opa Livius doch was sagen können, wenn ich versuche, sie zu erreichen."
"Die hat die Spiegel doch bei sich im Schrank irgendwo. Abgesehen davon kannst du mit dem Spiegel doch nur den erreichen, den du auch rufst und der das Gegenstück hat", meinte Julius. Gloria nickte zwar, schien davon nicht sonderlich beruhigt zu sein.
"Ich hoffe, ich kann sie heute Abend erreichen. Irgendwie fühle ich mich so, als sei da was nicht in Ordnung", sagte Gloria. "Vielleicht verstehst du das besser, wenn ich dir erzähle, daß eine Kollegin von ihr, eine gerade erst fertig ausgebildete Hexe, getötet wurde." Julius erschrak. Dann fragte er, von wem getötet. "Erst sah es aus, als sei er jetzt auch in Amerika unterwegs. Zumindest war das Haus von der total niedergebrannt und darüber hing das dunkle Mal am Himmel. Aber Oma Jane sagte, das sei wohl ein Ablenkungsmanöver, um die wahren Täter zu maskieren. Sie sprach dabei ziemlich geknickt."
"Warum hat sie mir das nicht erzählt?" Fragte Julius betroffen. "Sie weiß doch, daß ich mich auf dem laufenden halten möchte."
"Wahrscheinlich hat sie Professeur Faucon was erzählt und die hat ihr nahegelegt, dir nichts zu erzählen. Sie meinte auch, daß ich das nicht jedem weitersagen sollte. Aber jetzt, wo ich sie nicht erreichen kann ..."
"Ich verstehe, was du meinst, Gloria. Ich hoffe nur, du irrst dich."
"Danke, Julius. Ich hoffe auch, daß ich nur Gespenster sehe", erwiderte Gloria. Ihre trübe Stimmung bereitete Julius Unbehagen. Er hatte Gloria immer als besonnen und ruhig erlebt. Auch als sie damals bei der dritten Runde des trimagischen Turniers in Hogwarts erkannten, daß Harry Potter und Cedric Diggory in tödlicher Gefahr schweben mußten, ja auch als ihnen sonnenklar war, daß Lord Voldemort zurückgekehrt sein mußte, war sie verhältnismäßig ruhig geblieben. Mit dieser Ruhe hatte sie ihn bestärkt, sich nicht aufzugeben. Wie sie jetzt war gefiel ihm absolut nicht. Er dachte daran, daß seine Mutter auch häufig unterwegs war und nicht überall zu erreichen war. Doch ähnlich wie Gloria hatte er sich sehr unwohl gefühlt, als er seinen Vater nicht mehr anrufen konnte. Wie diese Sache ausgegangen war war nicht gerade aufbauend.
"Hey, Julius, die anderen möchten rauf zur Mannschaftsloge", sagte Virginie Delamontagne, die gerade aus dem Strom der zum Stadion laufenden Schüler heraus in den Park eilte.
"Woher wußtest du, wo ich bin?" Wunderte sich Julius.
"Die anderen suchen dich auch. Das sähe doch blöd aus, wenn wir jetzt das zweite Spiel hintereinander unvollständig wären", sagte Virginie unbekümmert. Gloria sah sie an und nickte schweigend. Julius schluckte eine böse Bemerkung Virginie gegenüber hinunter und nickte gleichfalls. Dann sagte er laut:
"Okay, Gloria, die anderen möchten mit mir zusammen hoch zur Mannschaftsloge. Ich wünsche dir viel Spaß bei dem Spiel. Ich denke, deine Oma läßt bald wieder von sich hören."
"Ja, danke, Julius", sagte Gloria und ging zum Hauptweg zurück.
"Das Spiel beginnt, und schon ist Latierre am Quaffel. Ist wohl ganz schön Torhungrig, das Mädel. Aber heute wirdDiät gehalten", sprach Ferdinand Brassu mit magisch verstärkter Stimme. "Ui, will echt an unseren Treibern vorbei und ... kann gerade noch einem Klatscher ausweichen. Eine der Montferres haut die böse, schwarze Kugel weg, aber nicht weit genug! Latierre vor den Ringen!! Gehalten! Super!!" Rief der Stadionsprecher noch.
"Die hätte es fast vom Besen geknallt", grinste Hercules schadenfroh, als Millie gerade so dem wieder auf sie zuschwirrenden Klatscher ausgewichen war. "Sabinchen hat wohl nicht gut genug gefrühstückt."
"Abschlag ins Feld und Heidenreich schon an Odin vorbei, der kuckt, wie er der wilden Brunhilde den roten Ball wieder wegfischen kann. Ja, tanzt vor ihrem Besen, daß sie nicht zum Tor werfen kann. Gib schon rüber das Ding, Brunhilde! Argon wartet, bleibt an der dran. Na hoffentlich gibt das nachher keinen Ärger. Oh, Heidenreich wirft zu Latierre. Wer hat die denn so frei vor die Ringe gelassen, Mann?! Latierre am Quaffel, zieht durch! Abgewehrt! Nein, zu kurz! Tor." Das letzte Wort hatte Brassu eher geseufzt als gerufen.
"Ui, die hat aber schnell umgeschaltet", stellte Waltraud fest. "Als wäre die auf einen Abpraller ausgegangen."
"Wallie, sei ruhig!" Fauchte Hercules.
"Wie heiße ich, Monsieur Moulin!" Knirschte Waltraud zurück, während die Violetten gerade den Gegenangriff einleiteten, aber an den nun präzise aufeinander abgestimmten Montferres scheiterten. Zwar versuchte Argon Odin, eine der beiden Treiberinnen zu fegen, ihr also flach auf seinem Besen liegend genau zwischen den Beinen durchzufliegen, doch sie kannte das Spielchen wohl zu gut und bog das rechte Bein nach innen, so daß Argon mit dem Kopf dagegenkrachte und eine anderthalbfache Seitwärtsrolle schlug.
"Wenn der der Montferre jetzt die Gräte gebrochen hat kann Madame Rossignol gleich aufs Feld", flötete Hercules. Doch Sabine oder Sandra Montferre schien sich bei dem Zusammenstoß nichts getan zu haben. Dennoch riefen beide Kapitäne nach einer Auszeit. Madame Rossignol eilte auf das Feld, untersuchte erst Argon und dann Sabine. Dann hantierte sie mit ihrem Zauberstab an Sabines beziehungsweise Sandras rechtem Bein, nickte und zauberte eine Trage herbei, auf die sie Argon bettete und mit ihm in den Palast eilte. Bis sie wieder zurückkehrte blieb das Spiel unterbrochen.
"Ups, hat der nette Junge sich an der holzbeinigen Dame die Birne eingebeult?" Fragte Hercules schadenfroh. Julius versuchte, das zu überhören. Diese Gehässigkeit, mit der sein Kamerad das Spiel verfolgte schmeckte ihm nicht. Außerdem lag Glorias Unbehagen wie ein Stein in seinem Magen, und was er jetzt nicht wollte waren bissige Kommentare zu ziemlich ernsten Verletzungen. Immerhin könnte ihm das beim nächsten Spiel auch passieren, auch wenn es gegen die Gelben ging. Doch die waren in dieser Saison keineswegs schwach, wußte Julius.
"Madame Rossignol ist wieder im Stadion. Wir hoffen,daß Argon Odin sich nichts ernsthaftes zugezogen hat. Gemäß den internationalen Regeln geht das Spiel wohl ohne ihn weiter. Ja, da pfeift Professeur Dedalus das Spiel auch schon wieder an", sagte Brassu, bevor er sich in seine gewohnte, mitgerissene und mitreißende Sprechweise hineinsteigerte.
Die Violetten hielten gut mit, schinen aber durch die Unterzahl an wirklich überragenden Aktionen gehindert zu werden. Die Roten erzielten sieben weitere Tore in Folge, bevor die Violetten durch Virginies Freund Aron das erste Tor schafften. Virginie freute sich lautstark über das Tor. Ihr Ruf ging aber im Jubel von Brassu und dem höhnischen Kommentar von Hercules unter.
Tatsächlich hatten die Violetten mit diesem Tor eine bessere Kampfmoral bekommen. So flog der Quaffel innerhalb der nächsten drei Minuten noch dreimal durch einen Ring der Roten. Diese stürmten zwar schnell und gut abgestimmt dagegen und bauten den Vorsprung wieder auf sieben Tore aus. Dann kullerte der Quaffel wie unbeabsichtigt durch den linken Ring des Hüters der Roten. Doch das wurde mit einer schnell und grausam anmutenden Fünferserie der Jäger Millie Latierre, Brunhilde Heidenreich und Apollo Arbrenoir beantwortet. Nach dem sechsten Tor der Violetten, das nach einem mehrere Minuten dauernden Schlagabtausch ohne Punktgewinn endlich fiel, wandten die Roten eine Taktik an, erst alle Jäger im eigenen Torraum zu lassen, die beiden verbliebenen Jäger der Violetten aufrücken zu lassen und an diesen dann ganz schnell vorbeizuziehen, während die Montferres durch eine Art Klatschertennis den Weg zum violetten Torraum verlegten, so daß Millie den Quaffel unangefochten durch den mittleren Ring werfen konnte. Die Hüterin der Violetten fauchte ihre Leute an, sich nicht festnageln zu lassen. Doch die Montferres blockierten trotz der gegnerischen Treiber das Vorrücken der Jäger.
"Das ist hinterhältig! So spielen nur Schwächlinge!" Brüllte Hercules.
"Das ist doch nicht wahr", knurrte Waltraud. Virginie meinte nur:
"Die machen das, was die machen können, ohne zu betrügen, Hercules. Das ist intelligent, nicht schwach."
"Lass ihn, Virginie, die Mädels aus dem kirschroten Saal sind für Hercules durch die Bank verdorben", stöhnte Julius. Giscard meinte dazu:
"Kuck dir lieber an, wie die Montferres das hinbiegen, Hercules! Wenn die beim Spiel gegen uns so auftreten müssen wir denen die eigene Medizin geben."
"Wohl bekommt's!" Knurrte Hercules, weil Millie gerade ein weiteres Tor schoss.
"Wenn Brochet heute mal den Schnatz fängt wird das für die Roten ein schöner Spaziergang", sagte Virginie.
"Der bringt das fertig und greift sich den goldenen Flitzeball heute auch", schnaubte Hercules Moulin. Agnes Collier warf ein:
"Im Moment spielen Collis und Brochet eher Fangen als daß sie suchen. Kuckt euch das an, wie leichtsinnig die beiden sich gegenseitig umschwirren."
"Gute Jäger, auf dem Platz,
habt ihr Roten.
Doch ihr kriegt nicht einen Schnatz,
ihr Idioten!"
So sangen die Zuschauer aus den Reihen der Blauen, und die Anhänger der Violetten stimmten mit ein.
"Die Latierre ist gut. Was kriegt die zu essen?" Fragte Edgar Camus, der links von Waltraud Eschenwurz die Reihe der Mannschaft aus dem Weißen Saal begann.
"Felix Felicis vielleicht", meinte Waltraud schalkhaft grinsend.
"Das ist ein Trank", kam es von Julius wie auf Knopfdruck. Darüber ärgerte er sich und biss sofort die Lippen zusammen. Hercules fragte jedoch:
"Was für'n Zaubertrank. Schnellmacher oder sowas?"
"Der erhöht die Intuition, Reflexe und Auffassungsgabe", sagte Julius. "Mit anderen Worten, er macht dich in allem, was du anfaßt erfolgreich. Deshalb heißt der auch flüssiges Glück."
"Ey, wenn die sowas schluckt ist das glatte Schiebung!" Protestierte Hercules. Waltraud tätschelte Julius den Kopf wie einem Hund, der was gut gemacht hatte. Dann beugte sie sich an ihm vorbei und meinte:
"Genau deshalb darf man den bei Wettkämpfen, Prüfungen und Profispielen auch nicht trinken, Hercules
Julius überlegte in dessen, warum er diesen Wundertrank nicht bei seinem Ausflug in die Bilderwelt von Hogwarts getrunken hatte. Doch die Antwort fiel ihm sofort ein. Er hatte erstens den Drachenhautpanzer angehabt, der ihn vor Verletzungen beschützt hatte, zweitens Darxandrias Kettenhaube, die seinen Geist unangreifbar gemacht hatte und drittens einen großen Schluck Wachhaltetrank im Bauch gehabt, der nach seinen neuesten Kenntnissen mit dem Glückstrank verheerend wechselwirkte, weil er eine unbändige Euphorie auslöste, die den Sinn für echte Gefahren völlig blockierte. Professeur Faucon hatte also abgewogen, ob er erfolgreicher oder munterer zu sein hatte und ihm lieber mehr Ausdauer als Glück zugestanden. Immerhin hatte er als Intuitionsverstärker und Gefahrenspürer Goldschweif mitnehmen können, was jeden Felix Felicis überflüssig gemacht hatte.
"Also wenn das Latierre-Luder diesen Trank im Wanzt hat müssen die alle von der geschossenen und vorgelegten Tore aberkennen", frohlockte Hercules, der von rechtschaffend erzürnt auf höchst begeistert umgesprungen war.
"Dann müßte die erst einmal an diesen Trank drankommen, ohne daß ihre telepathische Saalvorsteherin das mitkriegt", versuchte Waltraud, Hercules' unangebracht gute Laune zu vergellen. Doch er grinste nur und meinte:
"Wenn die ihr den nicht gegeben hat. Schon mal dran gedacht, Waltraud?"
"Oha! Vergiss das bloß ganz schnell, damit Professeur Fixus das nicht von dir aufschnappt!" Erwiderte Julius beklommen. Doch dieser hörte es nicht.
"Wenn die weiter so zuschlägt könnte aber was dran sein", meinte Edgar Camus. Julius beschloss, dazu nichts zu sagen. Wenn der Hüter und Kapitän der Weißen und sein Klassenkamerad Hercules Moulin sich darauf eingeschossen hatten, Millie oder sonst wer könnten unerlaubte Hilfsmittel benutzt haben, würden die beiden Ärger kriegen, den er, Julius, nicht brauchte.
"Was soll diese irre Herumschwirrerei?" Fragte Agnes Collier, die die beiden Sucher beobachtete.
"Die bleiben in der Nähe voneinander, damit keiner einen Vorsprung zum Schnatz kriegt", vermutete Julius, als er kurz die Sucher betrachtet hatte, die wie zwei miteinander kämpfende Düsenjäger umeinander herumschwirrten.
"Da ist er!" Rief Agnes und deutete auf einen der zwanzig Meter hohen Torfeiler der Violetten. Julius sah ein goldenes Glitzern, das schnell wie ein Leuchtgeschoss um die drei Stangen herumsauste. Dann suchte er die Sucher, die offenbar mehr mit sich als mit dem Schnatz beschäftigt waren. So flitzte der geflügelte Ball, dessen Fang einhundertfünfzig Punkte und das Ende der laufenden Partie bedeutete unbehelligt über dem Feld herum, bis er fast unter Sabines oder Sandras Umhang geriet und dann schneller als ein Auge ihm folgen konnte davonschwirrte.
"Toll, der Kleine hätte das Bällchen kriegen müssen", fluchte Hercules, als er sah, daß die Sucher den Schnatz nicht beachtet hatten, obwohl aus den Reihen der Violetten und der Roten Rufe nach den Suchern laut geworden waren. Brassu meinte nur:
"Soeben wurde das Spiel um einige weitere Minuten verlängert, da Golbasto Collis und Laertis Brochet durch das Getümmel nicht zum Schnatz gelangen konnten."
Die Zuschauer aus dem blauen Saal lachten lauthals über diese armselige Begründung.
Immerhin schossen die Violetten noch einige Tore, so daß sie neunzig Punkte hatten. Die Roten jedoch hatten bereits sechsundzwanzig Tore geschossen, und Hercules malte sich aus, daß diese Tore denen allen aberkannt würden, wenn herauskam, daß die geschummelt hatten. Da endlich interessierte sich einer der Sucher, Laertis Brochet, für den Schnatz.
"Die hundertfünfzig kannst du kriegen", meinte Hercules. "Obwohl, dann hätten die ja hundertfünfzig Punkte mehr auf dem Konto. Nöh, der Kleine soll den Flitzer kassieren!"
Dieser Meinung war wohl auch Brassu, der jubelnd kommentierte, wie Golbasto Collis den Vorsprung Brochets wettmachte, den gegnerischen Sucher einfach ausbremste, zur Seite wegtauchte, eine halbe Rolle machte und in Rückenlage mit dem rechten Arm nach unten herumschwang, wobei ihm der Schnatz fanggerecht in die Hand schwirrte. Dann drehte er sich wieder in Normallage und reckte die Faust mit dem gefangenen Ball.
"Die zehn Tore für die Roten mehr hätten echt nicht sein müssen", knurrte Edgar Camus verdrossen. Die Blauen sangen noch einmal ihr Spottlied auf die Roten, die zwar gute Jäger hatten aber keinen Schnatz fangen konnten. Doch die Roten sangen dagegen an, daß der Pokal rot sei und das im letzten Spiel allen klar werde.
"Das könnt ihr voll vergessen!" Rief Hercules. "Der Pokal bleibt bei uns, und wenn ich beide Monties mit den Klatschern vom Besen knalle und die Latierre und die Heidenreich hinterher."
"Kühl ja wieder runter", zischte Virginie. "Sonst stelle ich dich beim Spiel gegen die gar nicht erst auf! Hast du kapiert?!"
"Dann frage ich mal, wozu Treiber sonst gut sind", konterte Hercules. Julius wartete einige Sekunden. Dann erhob sich Waltraud und meinte, man müsse den Siegern doch gratulieren. Hercules meinte:
"Bestellt denen schöne Grüße. In ein paar Minuten haben die keinen Punkt mehr für die Partie."
"Wie bitte?!" Fragte Virginie. Doch Hercules war bereits unterwegs. Sie wollte ihm nachlaufen. Doch da war er bereits auf dem Weg zur obersten Loge, wo die Lehrer und der Stadionsprecher mit Madame Maxime zusammensaßen.
"Der will doch nicht sagen, daß die Roten den Felix-Felices-Trank geschluckt haben", unkte Julius. Waltraud sah ihn merkwürdig an.
"War vielleicht nicht gerade klug, ihm davon zu erzählen", knurrte sie verärgert. Dann sah sie Edgar Camus, der ebenfalls zur Lehrerloge hinaufstieg, wobei er einfach über seinen Stuhl hinwegkletterte, um den langen Weg durch die Reihen abzukürzen.
"Du gehst mit Virginie und den anderen runter, um denen zu gratulieren!" Sagte Waltraud in einem an und für sich nicht passenden Kommandoton zu Julius, der darüber so perplex war, daß er wie ein Roboter gehorchte und Virginie zum Spielfeld folgte, während Giscard hinter Hercules Moulin hereilte, um ihn von irgendwelchen Dummheiten abzuhalten.
"Herzlichen Glückwunsch!" Sagte er aufrichtig zu Sabine und Sandra. Die Rossignols, die sie früher gerne beglückwünscht hatten waren nirgendwo zu sehen. Sabine nahm ihn in die Arme und knuddelte ihn.
"Hat Argon dich erwischt?" Fragte Julius und betrachtete das rechte Bein der Treiberin.
"Neh, Sans Bein hat er angeknackst", sagte Sabine. Die Erwähnte kam heran und ließ sich von Julius beglückwünschen. Er erkundigte sich, ob sie wieder gut laufen könne.
"Wenn unserer entfernten Schwiegertante Cassiopeias Sohn sich nicht schon den Dickschädel daran verbeult hätte könnte ich ihr die Omafreuden damit vergellen, zumindest was ihren Erstgeborenen angeht", schnaubte Sandra.
"Ey, der wollte doch nur fegen", meinte Julius.
"Ja, aber nicht mich", knurrte Sandra. Sabine lachte darüber nur.
"Da vorne steht Millie. Der mußt du auch gratulieren", sagte Sabine schalkhaft schmunzelnd. Julius nickte und ging zu den drei Jägern hinüber. Brunhilde war kurz Angebunden, als die übrigen Kapitäne sie beglückwünschten. Collis, der zuerst gratuliert hatte, war bereits bei seinen Leuten, die ihn abschirmten, weil Brochet versuchte, an den gegnerischen Sucher heranzukommen. Julius hüpfte kurz hoch, um Apollo lässig auf die Schultern klopfen zu können.
"Das letzte Spiel wird die Hölle auf Erden", prophezeite der hochgewachsene, dunkelhäutige Viertklässler. "Da machen wir den Sack zu und wirbeln euch darin durch die Gegend."
"Hölle sagst du! Wir heizen gegen die Gelben den großen Kessel vor, in dem ihr dann alle durchgekocht werdet", erwiderte Julius siegessicher. "Die Gelben werden unser Sprungbrett, und dann grünt der Pokal mit den Blumen und Bäumen im Frühling."
"Dann mußt du dich aber damit abfinden, das du an mir vorbeimußt, Julius Andrews", erwiderte Millie von hinten. Julius wandte sich ihr zu und meinte:
"Das Spiel habt ihr gewonnen. Herzlichen Glückwunsch!"
"Mehr nicht?" Fragte Mildrid und stellte sich vor ihn hin, als erwarte sie noch was von ihm. Er streckte seine Hand aus um ihre Hand zu schütteln, doch sie ergriff seine Hand mit der linken, zog sie mit samt dem Arm hinter ihren Rücken, so daß Julius sie unfreiwillig in eine halbe Umarmung schloß und ihr entgegensank. Dabei schlug sein linker Arm nach vorne, um ihn aufzufangen und wurde von Millies rechtem Ellenbogen an ihren Körper gedrückt. Dann hatte sie ihn unvermittelt in den Armen, und er schloss seine Arme reflexartig um sie.
"Du umarmst Bine und San immer. Da wirst du das bei mir nicht mit einem oberflächlichen Händeschütteln belassen, oder?" Säuselte sie und drückte sich an ihn. Aus einer ihm in diesem Moment unverständlichen Regung heraus erwiderte er die feste Umarmung und legte sein Kinn auf ihre Schulter. Dann sagte er ruhig:
"Hast schön gespielt, Millie. Aber im Endspiel bringt dir das nicht viel." Sie lachte erheitert und sagte:
"Ich fürchte, das mußt du noch lernen, was man einem Mädchen sagt, wenn man es umarmt, Julius. Aber wenn du meinst, nur wegen deines Besens keine Probleme mit mir zu haben solltest du dich lieber nicht zu früh freuen. Aber bis zum Endspiel ist es ja noch etwas Zeit."
"Stimmt schon. Erst kommen bei uns noch die Gelben dran."
"Die hatten wir schon", sagte Mildrid überlegen.
"Nur mit dem Unterschied, daß wir den Schnatz kriegen, wenn wir gegen die spielen", erwiderte Julius, der im Moment nicht überlegte, daß sie beide sich gerade eng umschlangen, als seien sie ein Liebespaar.
"Ey, der auch noch?" Schnarrte Laertis Brochet, der gerade seinen letzten Versuch abgebrochen hatte, sich an Collis zu rächen. Millie gab Julius frei und lächelte ihren Mannschaftskameraden an.
"Er wollte nur sagen, daß das Spiel zwischen ihm und seinen Leuten und uns das spannenste der Saison wird. Das darf er doch, oder?"
"Der hat getönt, daß die den Schnatz gegen die gelben Gurken kriegen, und wir nicht."
"Na und? Stimmt doch auch", sagte Julius sichtlich siegessicher. Laertis Brochet holte mit der rechten Faust aus ... und schlug der Länge nach hin. Julius hatte mal eben das linke Bein ausgestreckt, sich zur Seite abgeduckt und dem Angreifer dabei einen leichten aber ausreichenden Stoß versetzt, so daß der nur noch hinfiel. Sofort sprang Millie dazwischen und drängte Julius zurück.
"Auch wenn Brunhilde den doch irgendwann mal ranläßt wird der seine Wut nicht so schnell vergessen", sagte sie. "Der violette Giftzwerg hat ihn übelst beschimpft. Könnte passieren, daß dem der Schnatzfang aberkannt wird."
"Den hätte der viel früher kriegen müssen", grummelte Julius. Millie lachte darüber nur, was Brochet wohl als neue Provokation verstand und nun auf die Mannschaftskameradin losging, die aber mal eben eine blitzschnelle Abfolge von Griffen ansetzte und Laertis mit einem kraftvollen Schwung herumzog und auf Höhe ihrer Hüften von sich schleuderte. Das reichte dem glücklosen Sucher. Er sprang auf und lief weg, gefolgt von Brunhilde Heidenreich, die gerade eben noch bereitstand, sich von Professeur Fixus zum Sieg gratulieren zu lassen.
"Wo lernt ihr bitte Judo? Deine Schwester hat das auch mal gemacht, als einer von den Blauen uns blöd angemacht hat", sagte Julius erstaunt, wie geschmeidig Millie Laertis auf den Rücken geworfen hatte.
"Du hast Karate gelernt. Die Abwehrstellung und der schnelle Stoß waren auch nicht übel. Unsere Mutter kann Judo. Sie hat's von einer japanischen Kollegin gelernt, die bei denen in Tokyo das was die ganz bescheiden ihre Quidditch-Liga nennen betreut."
"In eurer Familie braucht man das wohl", meinte Julius dazu und mußte sofort von Lässig auf Abwehrbereit umschalten, weil Millie sich zu ihm umwandte und ihn mit gesenktem Kopf am Oberkörper zu packen versuchte. Er hebelte ihre Arme schnell weg, und sichelte von außen ihr linkes Bein weg, was ihr das Gleichgewicht nahm. Sie fiel zwar hin, verwandelte den Fall in eine gekonnte Rolle und stand keine halbe Sekunde später wieder vor ihm.
"Schade, daß du nicht im roten Saal bist. Dann hätten wir beide gut trainieren können", sagte sie und strahlte ihn an. Da kam Professeur Fixus heran.
"Falls Sie diese Form der Kommunikation vertiefen möchten, sollten Sie vorher fragen, ob ich Ihnen derlei Handgreiflichkeiten, auch wenn sie nach sportlichen Regeln ablaufen gestatten kann, Mademoiselle Latierre. Ansonsten bedanke ich mich sehr herzlich für die gelungene Vorstellung, die Sie eben geboten haben, auch wenn jemand aus einer anderen Mannschaft die Unverschämtheit besaß, vor Madame Maxime zu behaupten, Sie oder andere Mitglieder ihrer Mannschaft hätten verbotene Substanzen eingenommen und auch noch die Frechheit besaß, mich als Urheberin und Quelle eines solchen Betrugsmanövers zu bezichtigen."
"Au haua!" Meinte Julius dazu nur. Die Lehrerin wandte sich ihm zu. Sofort wandte er seine Occlumentiekünste an.
"Meine Kollegin Blanche hat sie gut ausgebildet, Monsieur. Dennoch ist mir klar, daß Ihr Klassen-, Saal- und Mannschaftskamerad die Kenntnis von der Existenz eines für Sport- und Prüfungsbetrug idealen Trankes nur von Ihnen und Mademoiselle Eschenwurz haben konnte. Für seine Schlußfolgerungen konnten Sie nichts. Allerdings kann und werde ich dergleichen nicht auf mir sitzen lassen. Ich empfehle mich."
"Was meinte sie?" Fragte Mildrid.
"Öhm, Edgar meinte, daß du nicht von ganz alleine so gut spielen konntest und was du gegessen oder getrunken haben könntest. Da meinte Waltraud, daß du was eingenommen haben könntest, was alles gelingen läßt, was du anfaßt. Den Trank gibt's echt. Aber weil der so gut wirkt ist der bei Prüfungen, Wettkämpfen und anderen Wettbewerben verboten."
"Das war mir schon klar, Julius. Ich meinte auch eher das, worin Fixies Kollegin dich ausgebildet haben will." Julius sah sich sofort um, ob die Erwähnte in Hörweite war. Doch sie stand oben in der Lehrerloge und diskutierte mit Edgar Camus, Giscard Moureau, Waltraud Eschenwurz, Ferdinand Brassu und Hercules Moulin. Madame Maxime saß noch auf ihren großen Stühlen und hörte wohl nur zu. Dann tauchte Professeur Fixus wieder in der Lhererloge auf.
"Deine Saalkönigin ist da oben, Julius", sagte Millie. "Also was bringt die dir bei, was unsere Saalkönigin so beeindruckt. Gedanken zurückhalten, daß die sie nicht lesen kann?"
"Darf ich nicht sagen, Mildrid Ursuline Latierre."
"Auch wenn du mit meiner Oma gut klarkommst nennen mich nur die bei dem Namen, den ich von ihr habe, die mich zurechtweisen oder dumm anmachen wollen. Das erste darfst du nicht und das zweite würde dir nicht bekommen, Julius. Aber ich weiß, daß Königin Blanche genauso fies sein kann wie Fixie, wenn jemand nicht pariert. Deshalb lasse ich das mal so stehen, was du gesagt hast. Frage ich eben Tante Trice oder Martine, ob sowas geht."
"Mach das", erwiderte Julius sehr beherrscht klingend. Dann ging er weiter.
"Der hat doch echt gemeint, Professeur Fixus hätte ihren Leuten von der Mannschaft Felix Felicis gegeben", knurrte Virginie. "Den sehen wir vor heute Abend nicht mehr wieder."
"Als wenn das mit dem Goldfischglas nicht gereicht hätte", seufzte Julius.
Tatsächlich kam heraus, daß Hercules Moulin zusammen mit Edgar Camus wegen Verleumdung von Schülern und vor allem Professeur Fixus den ganzen Samstag und den Sonntag in Professeur Fixus' Zaubertrankkerker nachsitzen und ihr beim Ausnehmen diverser Amphibien und Schnecken helfen sollte. Doch Julius kümmerte sich nicht weiter darum. Nach dem Mittagessen saß er mit seinen anderen Klassenkameraden im grünen Saal und diskutierte die Hausaufgaben und das abgelaufene Spiel am Morgen. Céline meinte dazu:
"Die Latierre ist gut. Da mußt du ganz schön aufpassen, Julius."
"Ich muß vor allem aufpassen, wie die Montferres die Klatscher hauen, Céline. Nach dem, wie Hercules heute morgen drauf war fürchte ich, daß Virginie den bei dem Spiel gegen die Roten nicht bringt und wir dann angreifbarer sind", sagte Julius.
"Was ist denn eigentlich mit dem los. War die Bestrafung in der Woche vielleicht doch zu heftig?" Fragte Robert Deloire. Gérard nickte dazu nur.
"Irgendwie hat der alle Mädels aus dem roten Saal gefressen, und jetzt kommen die ihm immer wieder hoch", erwiderte Julius. Darüber mußten die Jungen und Mädchen seiner Klasse erst einmal lachen. Dann meinte Gérard:
"Bernie hat ihn erst scharf gemacht und ihm dann eiskalt die Tür vor der Nase zugeknallt. Das ist doch echt keine wert, sich wegen der ... Aber lassen wir's, ich war ja selbst so blöd, mich deshalb in die Klopperei einzulassen."
"Wie ist das mit Sandrine gelaufen?" Fragte Céline Gérard.
"Unser Ding", versetzte Gérard. "Aber bevor die dir ihre Version unterjubelt: Ich soll mir bis Walpurgis nicht noch so'n Klops leisten, sonst ist Ende des Besenschweifs. Hat ja auch rote Anteile im Gemüt, wie wir wissen."
"Wohl wahr", meinte Robert Deloire. Julius wollte gerade was dazu sagen, als sein Pflegehelferarmband vibrierte.
"Ups, Madame Rossignol will mich sprechen", sagte er und legte den linken Zeigefinger an den weißen Stein des silbernen Armbands.
"Hallo, Julius! Komm bitte in das Büro von Professeur Faucon!" Befahl Madame Rossignol, deren räumliches Abbild frei im Raum schwebte. Julius erkannte im Gesicht der Heilerin eine große Bekümmertheit.
"Öhm, warum schickt sie nicht auf die übliche Weise nach mir? Sind Sie gerade bei ihr?"
"So ist es, Junge. Komm bitte sofort zu uns!" Erwiderte die Schulheilerin leicht ungehalten klingend. Es war aber nicht die Ungehaltenheit einer wütenden, sondern eher einer ungeduldigen Frau, die keine Zeit mit überflüssigem Geplauder vertun wollte, vermutete Julius. Er nickte und beendete die magische Bild-Sprech-Verbindung. Ohne ein Wort zu den anderen zu sagen durchquerte er den grünen Saal und wandschlüpfte in die unmittelbare Nähe des Büros von Professeur Faucon. Er dachte daran, daß er seitdem er Pflegehelfer geworden war nicht mehr genau wußte, an welchem Wochentag man wie gehen mußte, um dieses Büro zu erreichen. Als er sich der Tür näherte, fühlte er eine undeutliche Schwere in seinem Körper, als drücke etwas erst sachte und immer schwerer werdend auf seine Schultern, beschwere seinen Kopf und mache seine Beine Steif. Warum fühlte er sich so? Er war doch schon öfter zu Professeur Faucon gegangen, auch dann, wenn ihm etwas sehr unangenehmes bevorstand. Aber wenn Madame Rossignol dort wartete, dann blühte ihm vielleicht was besonders heftiges.
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Sie haben wieder dieses Spiel gespielt, bei dem sie auf fliegenden Ästen herumfliegen und vier Kugeln jagen, von denen eine klein ist und Vogelflügel hat. Julius hat nicht mitgespielt. Ich lausche, was im Steinbau passiert. Julius ist mit den anderen Menschenjungen zusammen in einer großen Höhle, in der sie miteinander reden und die Sachen lernen, die sie lernen sollen, wenn sie nicht von den Großen angeleitet werden sollen. Ich spiele mit meinen Jungen, die immer besser laufen können. Ihre Krallen können sie noch nicht zurückziehen. Das tut manchmal weh, wenn mich eine von denen im Spiel kratzt. Aber ich kenne das und mache nichts böses mit ihnen. Bald werden sie nicht mehr bei mir trinken müssen. Dann werde ich ihnen richtiges Jagen zeigen, damit sie genug essen können, um richtig groß und stark zu werden.
Die Sonne wandert langsam von der höchsten Stelle weiter, um ihr Versteck zu suchen, in dem sie sich verkriecht und irgendwie unter dem Boden entlangläuft, bis sie auf der anderen Seite wieder herauskommt, wenn es Morgen ist. Meine Jungen schlafen ein wenig, und ich möchte mich gerade in die Wärme der Sonne legen, hier auf meiner kleinen Wohnhöhle. Oh, irgendwas hat Julius gerade sehr traurig gemacht, traurig und wütend. Ich laufe zur Grenze, in der die Kraft singt. Warum hat das ganz große Weibchen das nicht gemacht, daß wir auch bei Sonnenlicht herauslaufen können? Julius ist traurig. Irgendwas macht ihn traurig und wütend. So war er als Claire gestorben ist, weiß ich.
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Julius prallte fast zurück, als er die Tür zu Professeur Faucons Büro öffnete und zuerst Gloria Porter sah, die hemmungslos weinend auf einem der Stühle hockte, in einer halben Umarmung von Professeur Faucon. Madame Rossignol sprach gerade auf sie ein. Unvermittelt meinte er, gegen eine eiskalte Wand geprallt zu sein.
"Komm bitte rein!" Sagte Professeur Faucon mit leiser aber trotzdem sehr eindringlicher Stimme. Julius gehorchte und schloß die Tür von innen.
"Machen Sie bitte den Klangkerker, Florence!" Bat die Saalvorsteherin der Grünen. Ihr Gesicht wirkte betrübt, als habe sie gerade jemanden sehr wichtigen ....
"Julius, Oma Jane", schniefte Gloria. Doch Professeur Faucon legte ihr sanft die Hand auf die rechte Wange und machte "Schschsch". Madame Rossignol sah Gloria mit einem Ausdruck aus Mitgefühl und Ungeduld an. Dann wartete sie, bis Gloria ruhig genug war, um einen Klangkerker zu errichten. Als dieser geschlossen war stieß Gloria in einer Flut aus Tränen aus:
"Oma Jane ist toooot! Sie ist toooot!"
Eigentlich hatte Julius gedacht, nachdem er miterleben mußte, wie Claire ihren Körper verloren hatte könnte ihn nichts mehr derartig tief treffen. Doch jetzt zu hören, daß Glorias Oma Jane gestorben sein sollte stieß ihm wie mit einer eiskalten Speerspitze ins Herz und ließ sein Blut gefrieren. Sein Magen sackte unvermittelt bis zu seinen Knien. Er taumelte. Madame Rossignol sprang zu ihm, fing ihn auf und drückte ihn sanft aber bestimmt auf einen anderen freien Stuhl und schob ihm mit viel geübtem Geschick ein Kissen in den Nacken. Er glaubte in einen bodenlosen Schacht zu stürzen. Die Welt um ihn herum schien von einem immer dichter werdenden Nebel erfüllt zu werden. Doch dann erholten sich seine Sinne wieder. Glorias Weinen und schniefen drang wie eine uralte Klagemusik in seine Ohren ein. Sekunden vergingen, in denen niemand was sagte. Dann ergriff Professeur Faucon das Wort.
"Ich habe vor einer Stunde über jenen Zweiwegespiegel, der mich mit Madame Jane Porter zu verbinden pflegte erfahren müssen, daß ... Madame Porter und eine Kollegin in den Abendstunden östliche Standardzeit der USA in einem Geheimversteck des Laveau-Institutes ums Leben kamen. Offenbar kam es in diesem Versteck zu einer sehr intensiven Entladung elementarer Zauberkraft. Beide müssen sofort den Tod gefunden haben. Überreste konnten keine mehr geborgen werden."
"Mann, wie können Sie so ruhig davon reden?!" Rief Gloria. Professeur Faucon räusperte sich leise und für ihre Verhältnisse sehr zurückhaltend. doch Julius war sich sicher, daß sie Gloria all zu gerne getadelt hätte.
"Tut mir leid, Gloria. Ich hätte das von heute Morgen wohl nicht so sagen sollen", seufzte Julius.
"Das konntest du echt nicht wissen", jammerte Gloria. Ihr Gesicht verschwamm hinter einer neuen Tränenflut.
"An und für sich wollte Madame Porters Vorgesetzter euch beide per Post darüber informieren", sagte Professeur Faucon betrübt. "Da der Ehemann meiner Fachkollegin seine Kinder auf dem direkten Weg informiert hat hielt ich es für geboten, ..." Gloria schniefte gerade in ein großes, weißes Taschentuch. "Ich hielt es für geboten, euch beide hier und jetzt zu informieren, bevor dies durch die Post am Morgen vor allen Kollegen und Schülern geschehen kann. Jane, ich meine Madame Porter, hat schriftlich verfügt, daß du, Julius zu jenem Kreis von so schnell wie möglich zu informierenden Personen gehören magst", sagte sie noch und sah Julius mit einer Mischung aus tiefer Betroffenheit und Verständnis an. Er nickte nur. Worte wolten ihm im Moment nicht einfallen. vor seinem inneren Auge flogen gerade Dutzende von Bildern vorbei, wie er Jane Porter zum allerersten Mal getroffen hatte, auf dem Bahnsteig 9 3/4 des Bahnhofs Kings Cross. Damals hatte sie ihn in ihrem amerikanischen Akzent gefragt, ob seine Eltern nur apparieren würden. Fast wie bei einem fortlaufenden Kinofilm sprang ihm das nächste Erlebnis ins Bewußtsein, wie er ihr regelrecht in die Arme gefallen war, als er mit Gloria und ihren Eltern in deren Haus reiste, nachdem er den Großteil seiner Sommerferien in Millemerveilles verbracht hatte. Er durchlebte im Schnelldurchlauf die Tage im Haus der Porters, hörte sich mit seinem Vater darüber streiten, daß er sie für eine rückständige Hexe gehalten hatte, sah sich mit ihr bei seiner dreizehnten Geburtstagsfeier, danach beim Ferienkurs und dann in der Wohnung in Paris. Innerhalb weniger Sekunden durchraste er erneut die Zeit in New Orleans, wie er sich mit der sonst so freundlichen Hexe über die Enthüllung über das Schicksal seines Vaters gestritten hatte, die Audienz um Mitternacht, die Suche nach seinem Vater, die gemeinsame Flucht vor den amerikanischen Strafverfolgungszauberern, den gemeinsamen Kampf gegen diese im Haus in Ohio und wie sie im Gerichtssaal saß und er ihr geholfen hatte, ihre Ehre wieder herzustellen. Er sah die Luftballons im Weißrosenweg, die als Willkommensgruß für sie aufgelassen worden waren und erinnerte sich an die beiden Quodpot-Spiele, zu denen sie ihn mitgenommen hatte. Er sah ihr Bild im Zweiwegespiegel, immer und immer wieder und hörte sie seinen Namen sagen und den Vornamen von Professeur Faucon: "Bläänch" Dabei vermeinte er zu verstehen, was nun in der Lehrerin vorging. Im Sommer hatten sie beide sich wegen ihm fast unrettbar zerstritten, nannten sich von da an nur noch beim Nachnamen. er hörte sie noch zu ihm sagen, daß sie hoffte, daß er wieder glücklich werden mochte und sie sich freuen würde, wenn sie das noch miterlebte. Und jetzt sollte sie tot sein? Sie war noch nicht alt für eine Hexe. Ihr Beruf war gefährlich, dachte er. Aber jetzt eine Gewißheit zu haben, daß sie dabei wirklich gestorben war traf ihn dennoch hart.
"Deine Eltern wissen das schon?" Fragte Julius Gloria vorsichtig.
"Ich weiß das noch nicht", wimmerte sie. Professeur Faucon, die sie immer noch in einer halben Umarmung sicher und geborgen hielt nickte Julius zu und sagte:
"Livius Porter ist noch in der Nacht seiner Zeit nach England gereist, zusammen mit Madame Geraldine Redlief. Ich vermute, sie befinden sich nun wieder in New Orleans. Sie wollen die bei solchen betrüblichen Anlässen obligatorischen Angelegenheiten regeln."
"Ist Mrs. Porter, ich meine Mrs. Dione Porter noch in England oder auch in New Orleans?" Fragte Julius.
Professeur Faucon antwortete betrübt: "Sie habe noch etwas geschäftliches zu beenden, bevor sie zu ihrem Mann hinüberreist. Ich habe eine Blitzeule zu ihr geschickt, um ihr mein tief empfundenes Beileid zu bekunden. Womöglich werde ich heute noch eine Antwort erhalten."
"Ich habe gehofft, dieses Jahr finge doch besser an als das letzte aufgehört hat", seufzte Julius. Gloria nickte nur. Dann gab sie sich einen Ruck und versuchte, sich aus der halben Umarmung der Lehrerin zu lösen. Diese ließ sie gewähren.
"Ich habe immer gewußt, daß Oma Jane einmal bei ihrem Job sterben kann, Julius", sagte sie mit belegter Stimme, einen weiteren Weinkrampf niederkämpfend. "Aber wissen und erleben sind doch zwei ganz unterschiedliche Sachen."
"Sie sagten was von einer Kollegin, die mit Mrs. Porter zusammen in diesem Elementarzauber gestorben ist, Professeur Faucon. Kenne ich die vielleicht?"
"Sicher kennst du sie", sagte Professeur Faucon leicht verstimmt. "Es war Ardentia Truelane. Mir ist schleierhaft, was die beiden angestellt haben, daß derartig drastisch außer Kontrolle geraten konnte."
"Das ist die, die Mrs. Porter und mich aus dem Institut geschmuggelt hat, damit wir meinen Vater suchen konnten und die mich in Houston verstecken wollte", seufzte Julius Gloria zugewandt. Dann meinte er, ein dicker Kloß würde in seinem Hals aufgehen und weitere Worte abwürgen, bevor sie auch nur den Hauch einer Chance hatten, seine Stimmbänder anzuregen. Ihm kam genau in diesem Moment ein ziemlich übler Gedanke, der gleichzeitig klar und doch so abwegig war. Was wäre, wenn Ardentia Truelane ihnen geholfen hatte, damit das passierte, was in Hallittis Höhle passierte, ihn, Julius wie einen Köder an der Angel ins trübe Wasser ausgeworfen hatte und dann diesen anderen Hexen gesteckt hatte, wo er war, ihn selbst irgendwie überwacht hatte, damit sie ihn ja finden konnten, während Hallitti wie ein gefräßiger, aber schillernder Fisch an ihm hing? Madame Rossignol besah sich Gloria und ihn ruhig und ohne ein einziges Wort zu sprechen.
"Wie hast du es erfahren, Gloria, fragte Julius die Schulkameradin nach einigen Minuten Schweigen.
"Debbie hat mich gebeten, hierher zu kommen. Da habe ich mit Opa Livius gesprochen, per Zweiwegespiegel", sagte Gloria, die nun versuchte, sich zu beherrschen. Ihre Arme und Beine zitterten, als müßten sie gegen die immer stärker an ihnen ziehende Schwerkraft ankämpfen.
"Ich habe Madame Rossignol informiert, die dann Mademoiselle Flaubert bat, deine Klassenkameradin herzuschicken, weil ich mit ihr etwas wichtiges zu besprechen hätte, ohne auf Details einzugehen", sagte Professeur Faucon. Julius nickte. Die Pflegehelfertruppe war schon genial, um jemandem egal in welchem Saal schnell herbeizuzitieren. Jetzt war ja auch noch jemand im blauen Saal Mitglied.
"Das ist echt sehr traurig, Gloria", seufzte er. "Ich kannte deine Oma nicht so gut wie du, aber irgendwie hat sie mir doch viel gegeben und vor allem geholfen, meinem Vater zu helfen, dem sonst keiner helfen durfte oder wollte. Ich bin froh, daß sie zumindest als ehrenwerte Hexe ... Na ja, ich will nicht zu viel reden. Kommt vielleicht nicht gut in der Situation."
"Woher willst du das wissen", sagte Madame Rossignol. "Als Claire uns verlassen hat hat es dir sehr gut getan, mit denen zu reden, die zuhören und antworten wollten."
"Sicher haben wir uns wegen jener Angelegenheit mit deinem Vater und der Kreatur, die ihn in ihren Bann gezogen hat sehr stark zerstritten, weil sie mein Vertrauen in sie zerstört hat", sagte Professeur Faucon. "Ich möchte jetzt keineswegs anklingen lassen, nicht zu recht ungehalten gewesen zu sein. Andererseits verstehe ich zumindest, welche Beweggründe sie dazu brachten, gegen den unverständlichen Erlaß des ehemaligen Zaubereiministers deinen Vater zu suchen, auch wenn es mir bis heute noch unverständlich ist, wie sie es wagen konnte, dich einer derartigen Gefahr auszusetzen, Julius. Nun, ich hoffe darauf, daß sie nun ihren Frieden gefunden hat und in der Gewißheit von uns ging, daß sie diese Welt vor großem Ungemach bewahren konnte."
"Das hätte sie ruhig noch ein paar Jahre länger machen können", warf Gloria verbittert ein. Professeur Faucon nickte und sagte, daß sie ihr vollkommen beipflichte.
"Die anderen werden fragen stellen, wenn Gloria und ich wieder in unsere Säle gehen. Was dürfen wir denen erzählen?" Fragte Julius.
"Das, was ich euch beiden erzählt habe", sagte Professeur Faucon. "Immerhin berichten die nordamerikanischen Zeitungen darüber."
"Ich möchte mit meinen Eltern sprechen", sagte Gloria. "Können Sie sie irgendwie herholen?"
"Diesen Wunsch habe ich vorhergesehen und in meinem Schreiben an deine Eltern schon erwähnt", sagte Professeur Faucon. "Da Monsieur Davidson sich deinem Großvater gegenüber auf einen Brief deiner Großmutter berief, in dem sie im unerwünschten Fall ihres Todes darum bittet, dich, Julius zu informieren, werde ich dich informieren, wenn Glorias Mutter herkommen möchte."
"Ich denke, sie möchte dann erst einmal mit Gloria alleine sprechen", sagte Julius betrübt. Alle nickten. Dann meinte Gloria:
"Oma Jane hat uns gegenüber ja immer erwähnt, wie sehr sie dich mochte, Julius. Wenn Mum was ganz persönliches mit mir zu bereden hat und dann mit dir sprechen will wird sie das wohl tun."
Das wird wohl der Fall sein", sagte Professeur Faucon. Julius wartete danach, ob er noch irgendwas sagen sollte oder einfach nur hier sitzen bleiben und Glorias Trauer teilen mochte. So schwiegen sie einige Minuten. Da traf eine Eule in einem Käfig im Kamin der Lehrerin ein. Professeur Faucon holte den Vogel mit einem Umschlag aus dem Kamin und öffnete den Umschlag. Sie nahm einen Pergamentbogen heraus, las ihn und reichte ihn Gloria weiter. Diese las ebenfalls und gab ihn dann Julius weiter.
"Hallo, Professeur Faucon", las er halblaut. "Danke für Ihre Beileidsbekundung, die ich sehr schätze, da ich weiß, daß Sie und meine Schwiegermutter über viele Jahre sehr gut befreundet waren, auch wenn es die eine oder andere Sache gab, die diese sehr gute Beziehung erschütterte. Bitte teilen Sie meiner Tochter mit, daß ich morgen früh nach Beauxbatons kommen und mit Ihnen, Glorias Saalvorsteher, Professeur Trifolio und Madame Maxime besprechen werde, ob es möglich ist, um eine Woche Urlaub für sie zu bitten, sofern Gloria dies wünscht. Da ich von meinem Mann und meinem Schwiegervater erfuhr, daß meine Schwiegermutter darum bat, Julius Andrews frühzeitig zu informieren, falls sie unerwartet von uns gehen sollte ..." er verharrte einige Sekunden in einer Stimmung, in der er um jeden Gedanken, jedes Wort ringen mußte, nur um nicht in diese tiefe Traurigkeit abzugleiten, die ihn nach Claires körperlichem Tod befallen hatte. Dann las er weiter: "so werde ich mit seiner Mutter und der für magische Angelegenheiten zuständigen Fürsprecherin von ihm, Madame Catherine Brickston, besprechen, ob sie ebenfalls um eine Woche Urlaub für ihn bitten möchten, sofern er dies möchte. Ich weiß zwar, daß der Lernstoff Ihrer Akademie keine Unterbrechung gestattet, möchte jedoch darauf hinweisen, daß ein Fall von derartiger persönlicher Betroffenheit gewisse Ausnahmen ermöglichen mag. Alles weitere morgen. Hochachtungsvoll ..."
"Die Schulordnung sieht eigentlich vor, daß nur im Todesfall eines Elternteils oder Geschwisters mehrere Tage Urlaub gewährt werden dürfen", sagte Professeur Faucon langsam, als müsse sie aufpassen, nichts falsches zu sagen. "Aber wie sich dies hier liest möchte Madame Porter es euch beiden überlassen, ob ihr mit dieser schweren Bürde vorübergehend vom Unterricht befreit werden möchtet oder nicht."
"In den Bulletins de Beauxbatons habe ich gelesen, daß nach dem Massaker im Sternenhaus vor siebzehn Jahren der Schulbetrieb für zwei Wochen unterbrochen wurde, die Weihnachtsferien um zwei Wochen verlängert wurden", sagte Julius genauso vorsichtig, als wäre jedes Wort zu viel tödlich. Immerhin sprach er da was an, was Professeur Faucon ganz persönlich betraf. Sie nickte jedoch nur und sagte:
"Damals befand Madame Maxime, daß die Freunde und Verwandten der bei jenem Verbrechen umgekommenen Hexen und Zauberer die Zeit haben solten, sich auf die Freunde und Verwandten zu besinnen."
"Ich muß keine Woche Urlaub haben", sagte Gloria. "Ich möchte nur mit meinen Eltern sprechen, wie Oma Jane gestorben ist und wie wir sie beerdigen wollen, beziehungsweise wie wir ihrer gedenken möchten."
"Ich kann nicht garantieren, daß ich die Woche volle Leistung bringen kann, aber möchte sagen, daß ich hierbleiben möchte, wenn Gloria hierbleiben möchte", sagte Julius. "Zwar haben Mrs. Porter und ich viel erlebt und sie hat mir echt viel gegeben und geholfen. Aber ich denke, es wäre zu viel verlangt, wenn ich, der ich kein Verwandter von ihr war um Urlaub bitten darf. Die Akademie hat mir ja schon mehr Freiraum gegeben, als Claire gestorben ist."
"Ganz einfach, weil ihr durch den Corpores-Dedicata-Zauber eure Beziehung zu einer verwandtschaftlichen Beziehung aufgewertet habt", sagte Professeur Faucon.
"Ihr möchtet also beide in der Akademie bleiben?" Fragte Madame Rossignol. Gloria und Julius nickten. Im Moment konnte sich Julius nichts besseres vorstellen als einen geregelten Arbeitsalltag und Kameraden, mit denen er über seine Gefühle und über irgendwelche Belanglosigkeiten sprechen konnte. Außerdem wußte er gar nicht, was er mit einer ganzen Woche Urlaub machen sollte, in der er andauernd über Jane Porters plötzlichen Tod nachgrübeln mußte. Alleine der Gedanke von eben, die nette und hübsche Hexe Ardentia Truelane könnte ihn bewußt als Köder für Hallitti ausgelegt haben war ein Zeichen, wie abgedreht doch Gedanken werden konnten. Doch so abgedreht war dieser Gedanke wirklich nicht.
"Ich werde Belisama und Deborah bitten, bei dir zu sein, wenn was ist", sagte Madame Rossignol zu Gloria. "Wir lassen hier keinen in Trauer alleine."
"Das weiß ich", sagte Gloria. "Das habe ich doch mitbekommen, als Claire ... Und jetzt meine Oma. Julius hat recht: Das Jahr hätte ruhig besser anfangen können als das letzte aufgehört hat."
"Julius, ich weiß nicht, wie die Kameraden aus deinem Saal das aufnehmen werden. Deshalb sage ihnen bitte erst einmal nur, daß Glorias Großmutter plötzlich und viel zu früh verstorben ist und du sie gut kennengelernt hast! Mehr ist im Moment wohl nicht nötig", sagte Professeur Faucon. Julius nickte. Dann hob die Lehrerin den Klangkerker auf. Madame Rossignol sagte den beiden Jugendlichen, sie mögen zu ihr kommen, wenn sie sich absolut unwohl fühlten. Die beiden bedankten sich dafür und verabschiedeten sich. Zusammen gingen sie durch den Palast. Julius überlegte, ob er mit Gloria alleine über alles sprechen sollte, was sie gerade umtrieb. Doch Gloria meinte:
"Ich denke, wir werden noch Gelegenheiten haben, miteinander darüber zu reden. Im Moment möchte ich lieber nur irgendwo sitzen und für mich sein, Julius. Bitte geh in deinen Saal oder irgendwo hin, wo du jetzt gerade hin möchtest! Ich komme schon klar."
"Ich wollte dir nur noch einmal sagen, daß mir das von heute morgen leid tut. Manchmal fühlen Leute was schlimmes vorher."
"Wie gesagt, Julius, das konntest du doch nicht ahnen, daß es gleich so schlimm ist", erwiderte Gloria, wobei sie wohl mit neuen Tränen kämpfen mußte. Dann ging sie ohne ein weiteres Wort davon. Julius, der das als die Vergebung für seine Unbekümmertheit vom Morgen hinnahm, wandschlüpfte in den grünen Saal. Dort trat er ruhig und gefaßt zu seinen Klassenkameraden hin und erzählte ihnen mit ruhigen Worten, was passiert war und daß man ihm das deshalb mitgeteilt habe, weil Mrs. Porter ihren Mann, besser ihren Witwer, darum gebeten habe. Céline verfiel sofort in eine mitfühlende Stimmung. Sie kannte es ja noch viel zu gut von Claires endgültigem Abschied. Waltraud erkundigte sich behutsam, ob er mit Glorias Familie so gut bekannt sei wie mit der Claires. Er sagte dazu nur, daß sie ihm und seinen Eltern geholfen hätten, in die Zaubererwelt hineinzufinden und daß er das schon als sehr tiefgehende Beziehung sehe.
"Dann werden die dich wohl mit ihr nach New Orleans schicken, wenn Glorias Oma beerdigt wird", meinte Robert.
"Zum beerdigen ist da nix, Robert", seufzte Julius. "Wenn ich das richtig mitgekriegt habe ist eine Elementarzauberei losgegangen, ich vermute mal Feuer. Dabei sind beide wohl restlos verschwunden. Aber ich denke, eine Trauerfeier wird's geben, vielleicht einen Sarg mit persönlichen Dingen aus ihrem Leben, der stellvertretend für ihren Körper beerdigt wird."
"Beerdigung im New-Orleans-Stil", raunte Laurentine. Julius nickte. Traurige Musik auf dem Weg zum grab, beschwingte Musik auf dem Weg zurück ins weitere Leben der Angehörigen, Freunde und Kollegen.
"Ob die Maxime uns alle hinfahren läßt?" Fragte Gérard vorsichtig.
"Wohl eher nur Gloria und Julius", warf Céline ein. "Bei Claire war das was anderes, weil wir alle sie ja gekannt haben."
"Hast recht, Céline", sagte Gérard mit schuldvoller Miene.
"Können wir irgendwas für dich tun? Ich meine, für Gloria und dich?" Fragte Céline.
"Einfach da sein, wie bei Claire", sagte Julius und fühlte, wie eine Tränenflut aus seinen Augen brach. Mehr wollte und konnte er an diesem Nachmittag nicht mehr sagen. Er saß einfach bei seinen Freunden und Kameraden und hörte zu, wie sie versuchten, über die alltäglichen Sachen und weiter über das Quidditchspiel am Morgen zu reden.
Weil Hercules Moulin beim Abendessen nur wütend über die Strafarbeit bei Professeur Fixus herzog verzichteten die anderen darauf, ihn einzuweihen. Julius sah nur, daß Gloria und Belisama bei Tisch fehlten. Madame Maxime sah einmal auf den Tisch der Weißen, verlor jedoch kein Wort darüber.
Erst abends im Schlafsaal berichteten Robert und Gérard, was passiert war. Hercules Moulin fragte Julius, ob er Glorias Oma gut gekannt hatte. Jedenfalls erkannte er, daß seine Wut auf Professeur Fixus total nebensächlich war. Julius erzählte, um sich und die anderen nicht in bleischweres Schweigen einzuhüllen von seinen Erlebnissen mit Jane Porter. Dabei brachte er sogar ein fröhliches Gesicht zu Stande, wenn er ihren Akzent immitierte und Professeur Faucons Vornamen in ihrer Art verfremdete. Alle mußten lachen. Erst als Julius im Bett lag und der Vorhang zugezogen war erkannte er, daß Mrs. Porter wohl genauso in Erinnerung behalten werden wollte. Immerhin hatte sie einen schnellen Tod gefunden, wohl nicht groß leiden müssen. Leute, die durch Alter oder Krankheiten qualvoll dahinsiechten würden sie um einen solchen Tod beneiden.
"Sie hat mich immer "Honey" genannt, Honig(süßer)", dachte Julius. "Womit ich mir wohl diese Ehre verdient habe hat sie mir nie erzählt."
Das Pflegehelferarmband zitterte. Julius legte den Finger an den Schmuckstein. Belisama Lagranges Abbild erschien über seinem Bett. Sie trug einen himmelblauen Morgenrock mit weißen Wolkenmustern.
"Wir sind bei Madame Rossignol. Gloria hat es ziemlich heftig runtergezogen. Sie hat wohl versucht, dagegen anzukämpfen und es nicht geschafft. Ich bleibe mit ihr im Krankenflügel. Madame Rossignol sagt, vielleicht solltest du auch herüberkommen, um dir den Träumgut-Tee abzuholen."
"Ich steh das durch, Belisama. Ich liege im Bett. Was mich immer diese Nacht heimsucht soll nur kommen."
"Du mußt nicht den mutigen Helden rauskehren, Julius", sagte Belisama. "Wenn was ist, ist es besser, wenn du die Hilfe annimmst, die dir geboten wird. Gloria hat mir erzählt, daß du ihre Oma gut genug gekannt hast und sie dich wohl auch sehr gernhatte."
"Ich will hier keinen Macho raushängen lassen, Belisama. Ich will einfach nur hinnehmen, was kommt. Ich habe das mit Claire überstanden, und ich werde wohl auch irgendwann mit dem Tod meiner Mutter zu tun kriegen", sagte Julius und dachte für sich: "Wenn Voldemort oder andere Monster mich nicht vorher umbringen." Dann sagte er noch: "Aber sage Schwester Florence, ich danke für das Angebot."
"Wie du meinst. Wenn Sie dich nicht direkt zu sich befiehlt ddenkt sie wohl, daß du das schaffst. Schlaf gut!"
"Ihr auch", wünschte Julius zurück. Dann verschwand Belisamas Abbild.
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Dione Porter kam am nächsten Tag zusammen mit Catherine Brickston herüber. Offenbar hatten die beiden Hexen miteinander telefoniert und sich in Paris getroffen, von wo aus sie mit der Reisesphäre herüberkamen. Catherine fragte Julius, wie es ihm ginge und erwähnte, daß sie bereits gehört habe, daß er lieber in der Schule bleiben wolle. Dione Porter sprach mit Gloria, daß ihr Vater in New Orleans sei, um mit Geraldine und Livius Porter alles zu regeln.
"Wie gefällt es Claudine, daß sie so heißen soll?" Fragte Julius Catherine, als er ihren vorgewölbten Unterleib kurz betrachtet hatte.
"Leider ist die vorgeburtliche Gedankenkommunikation noch nicht erfunden worden", sagte Catherine. "Sonst hätte ich sie gerne gefragt. Aber so wie sie sich benimmt läßt sie an mir keine Wut aus, daß wir sie so nennen wollen. Deine Mutter hat übrigens gegrinst, als ich ihr das sagte. Sie meinte, sie hätte mal ein Buch für Mädchen gelesen, wo eine französische Schülerin mit dem Namen in einem Internat vorgekommen sei."
"Ups!" Erwiderte Julius. "Wußte doch, daß der Name mir von wo anders her bekannt ist. Das war die Nichte von Mademoiselle Fürschterlisch", grinste er. "'ne Grundschulkameradin hat mir davon erzählt und was vorgelesen. Fand ich aber sonst irgendwie Langweilig, weil da außer Schule und Eitelsonnenschein nicht viel passiert ist. Von der Enid Blyton habe ich da lieber die Fünf-Freunde-Geschichten gelesn, wenn überhaupt was richtig buchmäßiges."
"Ja, aber erzähl das Babette nicht. Ich hörte in dem Zusammenhang, daß jene Claudine wohl sehr frech gewesen sein soll", erwiderte Catherine. "Deshalb ist es gut, daß Mamans Oma auch so geheißen hat."
"Ja, damit Babette ihre Tochter Bläänch, öhm Blanche nennen muß", feixte Julius.
"Ich glaube, Maman bereut es, sich mit Madame Porter fast überworfen zu haben. Andererseits habe ich ja auch dazu beigetragen, daß sie keine Gelegenheit hatte, Abbitte zu leisten, weil ich wollte, daß du schnell wieder nach Paris zurückkehrst. Heute weiß ich leider, daß das wohl nicht verkehrt war."
"Dann meinst du auch, da im Institut hätte jemand dran gedreht, daß ich in diesen Schlamassel reingeraten bin?" Fragte Julius. Catherine verzog zwar das Gesicht, mußte aber nicken.
"Es ist zumindest schön, daß du eine gute Auffassungsgabe besitzt. Da muß man nicht groß und umständlich erklären."
"Ist aber auch manchmal wie ein Fluch .. öhm, was schweres zum tragen, wenn man schnell dahintersteigt, wie grausam die Welt ist."
"Man muß sich ja nicht damit abfinden", meinte Catherine und hielt sich den Bauch. Julius sah sie sorgenvoll an. sie meinte. "Nix passiert. Claudine hat mir nur in den Magen getreten. Kann schon ganz schön weh tun, wen neues herumzutragen."
"Madame Latierre meinte dazu, daß es nichts schöneres gebe, als wen neues zu fühlen."
"Ja, und die hat zehn Kinder mehr als ich. Also muß das ja doch irgendwie stimmen", sagte Catherine lächelnd. Dann meinte sie noch: "Wir, Claudine und ich werden mit dir zusammen nach New Orleans reisen, wenn raus ist, wann die Gedenkfeier für Jane Porter sein soll. Ich denke, maman wird wohl in eigener Sache hingehen."
"Worauf du dich verlassen kannst", sagte Professeur Faucon etwas unwirsch, mußte dann aber lächeln. "Einer muß ja die Reisesphäre aufrufen."
"Sehe ich ein, Maman", erwiderte Catherine.
Als die beiden erwachsenen Hexen sich wieder verabschiedet hatten sagte Professeur Faucon:
"Da ihr beiden ja bei uns bleiben möchtet, um den gewissen Halt zu finden, den die Akademie bietet, möchte ich euch lediglich mitteilen, daß ihr für unbeabsichtigte und geringfügige Leistungseinbußen keine Strafpunkte zu befürchten braucht. Das heißt aber nicht, daß anstehende Hausaufgaben überhaupt nicht gemacht zu werden brauchen. Sonst dürft ihr die Zeit bis zur Reise nach New Orleans im Krankenflügel zubringen, im Zauberschlaf." Gloria nickte nur. Julius erlaubte sich ein leichtes Lächeln als er sagte:
"Nichts anderes habe ich erwartet."
"Dann ist es ja gut", erwiderte Professeur Faucon und entließ Gloria und Julius.
"Kommt deine Mutter auch, wenn Mum und Dad dich eingeladen haben?" Fragte Gloria auf dem Weg zur sternförmigen Halle, von der aus es in die sechs unterschiedlichen Wohnsäle abging.
"Hmm, ich gehe davon aus, daß sie sich mit deinen Eltern schon unterhalten und ihnen ihr Beileid ausgesprochen hat. Wenn sie bei der Gelegenheit eingeladen wurde, wird sie wohl die Zeit finden, mitzukommen. Catherine meinte das eben wohl so, daß Joe und Babette nicht mitkommen."
"Ja, und ihre ungeborene Tochter kann ja schlecht zu Hause bleiben", erwiderte Gloria etwas verlegen, bevor ihr auffiel, daß sie gerade gewollt oder ungewollt einen netten Scherz gemacht hatte. Julius grinste amüsiert, und selbst Gloria mußte lächeln.
"Ich hoffe, wir stehen das bis zum Jahresende so gut es geht durch, Gloria. Ich bin auf jeden Fall immer zu erreichen, wenn du wen sprechen möchtest, der deine Oma gekannt hat", bot Julius an, obwohl er nicht wußte, ob das nun so gut war oder nicht. Gloria nickte erst und sagte dann:
"Das ist nett, Julius. Ich bin froh, daß ich gerade hier in Beaux bin. Außer Pina hat ja sonst keiner Oma Jane kennengelernt, ich meine mehr als zwei Stunden lang."
"Hast du ihr schon geschrieben?" Fragte Julius nun ehrlich interessiert. Gloria nickte.
"Heute morgen habe ich die Ruhe gehabt, ihr zu schreiben. Ich hoffe, der Brief kommt in den nächsten Tagen schon an."
"Das habe ich noch nie so richtig rausbekommen, wie lange eine Eule von hier nach Hogwarts braucht", sagte Julius. "Kann ja immer sein, daß jemand länger zum schreiben braucht."
"Ich habe zumindest zwei Stunden gebraucht", sagte Gloria nun wieder betrübt klingend. Julius nickte. Wie konnte man auch jemandem mal eben mitteilen, daß ein für einen sehr wichtiger Mensch gestorben war, einfach so? Julius hatte in der Hinsicht ja schon gewisse Erfahrungen sammeln müssen und konnte es nachempfinden, wie Gloria sich nun fühlen mußte. Zum Teil fühlte er sich ja genauso.
"Was machst du jetzt noch?" Fragte sie ihn.
"Im Moment habe ich nichts, was ich dringend erledigen müßte. Die Hausaufgaben sind soweit alle erledigt", antwortete Julius. Gloria sagte noch:
"Ich muß noch was für Muggelstudien zusammenschreiben. Irgendwie lächerlich, was die wissen wollen, ohne wirklich was wissen zu wollen", sagte Gloria.
"So, was will Professeur Paximus denn von euch wissen?" Fragte Julius, froh etwas gefunden zu haben, um sich und Gloria von der Trauer etwas ablenken zu können.
"Och, warum ein Auto "Auto" heißt, wie es fahren kann und wo", erwiederte Gloria. "Professeur Paximus will damit in eine Unterrichtseinheit über moderne Städte der Muggel einsteigen."
"Moment, war das mit den Autos nicht schon Stoff der dritten Klasse bei euch?" Fragte Julius.
"Da waren es die grundlegenden Unterschiede in der magischen und nichtmagischen Welt. Jetzt werden einzelne Aspekte besprochen, also jede größere Errungenschaft der Muggelwelt drangenommen", antwortete Gloria. Julius erkundigte sich dann, was sie genau wissen mußte und erfuhr, daß es nur darum ginge, warum Städte der Muggel so aussähen wie sie aussahen. Wie ein Automotor funktionierte, Verkehrsregeln oder Probleme mit Staus und dergleichen waren für den reinen Unterricht völlig unwichtig. Julius ging mit Gloria für eine Stunde in die Bibliothek und beschrieb ihr die wichtigsten Sachen, die sie sich aufschreiben konnte. Dabei erzählte er ihr auch, daß er einmal für jemanden einen kurzen Vortrag über Computer zusammengestellt hatte. Daß er persönlich diesen Vortrag vor den an Muggelstudien interessierten Leuten aus der siebten Klasse abgehalten hatte erwähnte er nicht. Gloria grinste nur einmal kurz. Offenbar hatte man es ihr doch irgendwie zugesteckt, was Julius mit diesem Vortrag zu tun hatte. Auf jeden Fall bedankte sie sich für die Erläuterungen und ging mit ihren Unterlagen in den Weißen Saal zurück, während Julius noch etwas im östlichen Park schlenderte, um seine Gedanken wieder in eine verträgliche Lage zu bringen. Dabei kam er auch an dem Pavillon vorbei, in dem Claire und er sich ausgesprochen und den Corpores-Dedicata-Zauber durchgeführt hatten. Er hielt an und blickte sich um. Im Moment war niemand hier. Es war zwar etwas kühler als noch im September letzten Jahres, aber richtig kalt war es nicht. Wenn hier schnee fiel, dann nur nachts, wenn es mal richtig kalt wurde. Aber sonst konnte man auch im Winter ohne groß zu frieren im Freien herumlaufen. Im Moment schien sogar die Sonne und badete den Park in hellem, goldenem licht. Er lauschte. Tatsächlich konnte er schon die ersten Singvögel hören. Bald würden überall in den Parks um Beauxbatons wieder vielstimmige Gesänge zu hören sein. Die Natur erwachte langsam aus ihrem Winterschlaf.
Im Pavillon selbst war niemand. Julius betrat den runden Bau und ließ seinen Blick über den runden Tisch schweifen. Hier hatten Claire und er gesessen und sich zunächst sehr heftig darüber gehabt, was er ihr erzählen oder nicht erzählen sollte. Er versank in Erinnerungen an diesen Tag und fühlte eine Trübsal, daß aus diesem schönen Tag nicht etwas längeres hatte werden dürfen und daß Jane Porter wohl auch wegen ihm ihr Leben gelassen haben könnte. Denn wenn es stimmte, daß sie zusammen mit Ardentia Truelane gestorben war, dann konnte das durchaus deshalb sein, weil sie rausgekriegt hatte, daß Ardentia Truelane absichtlich darauf hingearbeitet hatte, ihn in Hallittis Hände fallen zu lassen, damit jene Hexen in Weiß mit ihrer Anführerin ihm hinterherlaufen konnten. Er fragte sich immer, wie sie ihn hatten überwachen können. Da sah er seinen greisenhaft gealterten Vater, wie er einer kleinen Fliege nachjagte. Ein Animagus? Wenn Hallittis Gaben ihn zum Erkennen solcher Hexen und Zauberer befähigt hatten, war das eine Möglichkeit. Doch wie kam dann dieser Animagus oder diese Animaga in den Flieger? Einzige Antwort: Man hatte dem oder der genau gesagt, wo er gerade war. Das alles war ihm damals nicht so recht eingefallen. Jetzt, wo Ardentia Truelane und Jane Porter durch irgendwas sehr gewaltiges getötet worden waren fiel es ihm wie Schuppen von den Augen, daß Ardentia der Schlüssel zur Lösung war. Schließlich hatte Jane Porter ihm erzählt, daß sie zu einer nicht näher genannten Schwesternschaft gehörte. Wie vernagelt mußte er gewesen sein, nicht daran zu denken, daß sie womöglich eine Doppelagentin gewesen war oder zumindest zum Zeitpunkt, wo er nach New Orleans kam eine gewesen war. Komischerweise dachte er genau in diesem Moment an den hakennasigen, fetthaarigen Professor Snape. Mochte es sein, daß Dumbledore ihn auch von einer geheimen Bande abgeworben hatte oder dies zumindest annahm? Aber das war wohl zu paranoid, fand er. Sicher, er mochte Snape nicht und war da ganz und gar nicht alleine. Aber gleich zu denken, jemand müsse immer ein Gangster bleiben? Er dachte wieder an Claire und ihn, wie sie einander gegenüberstanden, völlig unbekleidet. Würde er jemals wieder mit einem Mädchen oder einer Frau so zusammenstehen? Gut, er hatte mit Belle Grandchapeau vier Tage lang zusammengelebt und dabei restlos alles von ihr zu sehen bekommen. Er hatte Hallitti gesehen, was ihm immer noch einen Schauer aus Wut und erregung einjagte, weil sie ihn fast gehabt hätte. Dann war da Béatrice Latierre gewesen, die er auch eine Stunde lang angesehen, ja vollkommen gespürt hatte. Aber das zwischen ihm und Claire war das schönste Erlebnis dieser Art gewesen. Wann und mit wem würde er sowas wieder erleben? Sicher war für ihn nur, daß er wohl irgendwann wieder einem Mädchen oder einer Frau nahe sein würde, weil sie beide das wollten. Würde er dann noch in Beauxbatons sein? Falls ja, so dachte er daran, ob sie sich hier treffen konnten oder ob die Erinnerung an Claire hier zu stark war, um es hier wieder schön zu finden. So saß er einige Minuten lang im Pavillon und gab sich den Gedanken hin, die ihm hier durch den Kopf gehen wollten. Erst als er ferne Stimmen hörte und eine hitzige Unterhaltung zwischen Edgar Camus und Callisto Montpélier heraushören konnte fand er, daß er hier nun lange genug mit sich und seinen ihn bedrückenden Gedankn alleine gewesen war. Er verließ den Pavillon durch den Hinterausgang, weil die beiden Siebtklässler auf dem Zuweg herankamen.
"Und das hat dir scheißegal zu sein, ob ich mit Waltraud ausgehe oder nicht, Callisto. Das mit uns ist fünf Jahre her und ist bestimmt nicht an mir kaputtgegangen", hörte er Edgar Camus gerade aufgebracht sagen. Dann eilte er so leise es ging davon. Sich jetzt in anderer Leute Beziehungsstress reinziehen zu lassen, und sei es nur, weil er zufällig mithörte, was gesprochen wurde, hatte er keine Lust zu.
Abends spielte er mit Laurentine Hellersdorf zwei Partien Schach. Das lenkte ihn wirklich gut von allem ab, was gestern und heute um ihn herum und in ihm vorgegangen war. Bébé meinte dann noch:
"Ich merke schon, daß du kein Roboter bist, auch wenn mancher Rote das indirekt behauptet. Du hast heute zehn Züge mehr gebraucht um mich zu schlagen. Ist schon heftig, in einem Jahr gleich zwei sehr gute Bekannte zu verlieren."
"Ich fürchte, so richtig klar wird einem sowas nur, wenn es einen selbst trifft", sagte Julius. "Andere, die nichts für Claire oder Glorias Großmutter empfunden haben fragen sich bestimmt, was an denen so wichtig und einmalig war. Das kann man dann auch nicht immer erklären."
"Stimmt wohl. Céline meinte mal, sie könne das wohl auch nicht begreifen, wie die Beziehung zwischen ihrer Schwester und Cythera sei. Warum soll's mit dem anderen Ende des Lebens nicht auch schwierig sein?"
"Schön gesagt", meinte Julius dazu. "Das Leben hat zwei Enden, wie ein Frankfurter Würstchen."
Laurentine lächelte, mußte dann grinsen und dann laut loslachen.
"Ich glaube, du solltest Philosoph werden, wenn du aus der Schule hier raus bist", sagte sie.
"Wer von den Roten behauptet, ich sei ein Roboter?" Fragte Julius. "Ich meine, ich habe ja in den letzten Monaten genug getan, um das irgendwie so rüberkommen zu lassen. Aber interessieren tut mich das schon, wer konkret sowas sagt."
"Hmm, war vielleicht nicht gerade geschickt von mir, das zu sagen", grummelte Laurentine. "Es war nur so, daß ich auf dem Weg durch den Palast welche von der fünften Klasse gehört habe, die sich mit Bernadette und Caro darüber hatten, daß sie nicht so pauken würden wie du und das ja nicht mehr normal sei und so und wenn du schon schlimmes erlebt hättest solltest du das rauslassen und nicht durch reines Ackern unterdrücken, wenn du überhaupt was fühlen würdest."
"Nett, was so erzählt wird", grummelte Julius. Dann nickte er Laurentine zu, und sagte: "Kannst du ja nix für. Was haben die Mädels gesagt?"
"Das die Burschen keinen Dunst hätten, was du schon alles erlebt hättest und daher wohl genau überlegen würdest, wer was von dir mitkriegen soll oder nicht. Bernadette meinte dazu genervt, daß Jungs, die nur mit ihrem Piephan denken ja eh keine Ahnung hätten, wie man normal lebt. Hui, da hätte es wohl fast geknallt", erwiderte Laurentine. Dann sagte sie noch, daß sie schnell das Weite gesucht habe, um nicht in diese typisch rote Zankerei reinzurasseln. Julius grinste überlegen.
"Sollen die doch denken was die wollen. ich habe meine Entscheidung getroffen, was ich mache und nicht, und damit muß ich klarkommen und nicht so'n Trupp Burschen, die meinen, das Leben sei ein Rummelplatz, und überall gäb's was zu gewinnen oder tolle Attraktionen. Vielleicht wäre ich ja genauso drauf, wenn ich in den letzten Jahren eben nicht so blöde Sachen erlebt hätte."
"Wenn das hilft, dir Leute wie Millie oder Caro vom Leib zu halten", meinte Laurentine. Julius mußte wieder grinsen. Sich Millie vom Leib zu halten hatte bisher nicht geklappt.
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Die Woche floss langsam dahin wie ein zähflüssiger Brei. Julius hielt sich krampfhaft auf dem hohen Niveau, daß er den Lehrern bisher geboten hatte und dachte nicht so häufig an Glorias Oma Jane. Traurig war er zwar. Aber das hier alles zeigte ihm, daß mit ihr nicht die ganze welt aufgehört hatte. Gloria war immer in Begleitung von Belisama, Deborah Flaubert und sogar Constance Dornier anzutreffen. Céline sagte ihm am Mittwoch abend nach der Holzbläser-AG, daß Gloria irgendwie Gefallen daran gefunden habe, Constance bei Cythera zu helfen, obwohl es nun anstrengend wurde, da diese die ersten Zähne bekam und deshalb häufig schrie.
"Offenbar hat Gloria was gefunden, um ihrem Leben einen Sinn außerhalb vom Unterricht zu geben", meinte Julius. Céline nickte und meinte, daß das wohl so sein mochte, weil sie, Cytheras Tante, doch einen gewissen Widerwillen gehabt habe, die Kleine zu windeln, obwohl sie partout darauf bestand, ihrer Schwester helfen zu müssen, damit diese wegen Cythera nicht im Unterricht zurückblieb.
Am Donnerstagmorgen trafen drei Eulen mit schwarzen Schleifen um die Hälse ein. Alle kuckten teils neugierig, teils betroffen, teils verdutzt zu den Vögeln, die sich aus dem üblichen Schwarm der Morgenposteulen heraushoben und ausschwärmten. Eine Eule flog zum Lehrertisch, eine zum weißen und die dritte zum grünen Tisch hinüber. Julius brauchte nicht genau hinzusehen um zu verstehen, für wen die drei Waldohreulen was abzuliefern hatten. Als eine von ihnen vor seinem Teller landete und ihm einen neutralen Umschlag hinhielt meinte Hercules:
"Wenn die von Glorias Familie sind haben die aber lange gebraucht, um die loszuschicken."
"Also manchmal, Culie", versetzte Robert. Julius schüttelte den Kopf und sagte rasch:
"Die wollten nur sichergehen, daß alles so abläuft, daß Glorias Oma auch anständig verabschiedet wird. Du hast es ja bei Claire auch mitbekommen, wie gründlich das vorbereitet werden mußte, um so abzulaufen. Glorias Oma war ziemlich bekannt und beliebt in der amerikanischen Zaubererwelt. Das war bestimmt nicht einfach, sich zu entscheiden, wie sie verabschiedet werden kann." Er nahm den Briefumschlag, öffnete ihn und übersetzte den englischen Text halblaut, um die Neugier seiner Klassenkameraden kontrolliert zu befriedigen:
"Hallo, Julius, wir haben zusammen beschlossen, daß wir meine Mutter am Sonntag, den 25. Februar 1997 auf dem kleinen Gemeindefriedhof des Weißrosenweges in New Orleans feierlich verabschieden möchten. Da es selbstverständlich ist, daß du bei dieser Feier anwesend sein möchtest, da meine Mutter ja doch sehr große Stücke auf dich gehalten hat und mit dir doch sehr gut auskam, erhältst du diesen Brief zusammen mit Gloria. Dione hat mit deiner Fürsorgerin telefoniert, weil Eulen doch etwas zu langsam für ein klärendes Gespräch waren. Sie und deine Mutter werden mit dir, unserer Tochter und Professeur Faucon zusammen um zwei Uhr nachmittags mitteleuropäischer Zeit von Paris aus direkt nach New Orleans reisen. Ich bin ja schon seit einigen Tagen hier, um mit meiner Schwester und meinem Vater die schwierigen, aber leider nicht abwendbaren Angelegenheiten zu regeln. Ich hoffe, dir geht es soweit gut. Ich habe mir zwei Wochen Urlaub erbetteln müssen, um erst einmal Luft und Ruhe für alles zu haben. Kobolde können manchmal ziemlich herzlos sein." Julius errötete leicht an den Ohren, weil er das fast unbedacht übersetzt hatte, wo es wohl nur für ihn gedacht gewesen war. Doch dann besann er sich, daß er ja alles mit den anfallenden Folgen durchziehen wollte, was er angefangen hatte und las zu Ende: "Wir sehen uns also am Sonntag im Weißrosenweg. Bis dahin noch alles gute und interessante!"
"Der ist bei Gringotts?" Fragte Hercules. Robert grinste nur überlegen und meinte, daß das doch schon durch die Schule rumgegangen sei, wo Glorias Vater arbeitete. Hercules grummelte zwar, nickte dann aber.
"Da steht nur was von dir, Madame Brickston, deiner Mutter und Königin Blanche? Ich dachte, die hätten eine von Glorias Freundinnen in Hogwarts oder auch Belisama eingeladen", wunderte sich Gaston. Julius las den betreffenden Absatz und meinte dann, daß Pina wohl mit Mrs. Porter rüberfliegen würde, sofern Dumbledore ihr überhaupt freigab, wovon er jedoch stark ausging.
"Dann bist du für den Sonntag ja voll verplant", sagte Robert, ehe ihm klar wurde, daß er wohl etwas pietätlos dahergeredet hatte. Doch Julius nickte nur und sagte, daß er fragen wollte, ob er einen dunklen Umhang tragen oder sich von seiner Mutter einen schwarzen Anzug mitbringen lassen sollte. Dann drehte er den Brief um und las die Daten, wo und wann die Trauerfeier stattfinden sollte und die Anmerkung, daß dazu farbige Festbekleidung erwünscht sei, da die zu verabschiedende in ihrem Leben genug schwarzes zu sehen bekommen habe. Darüber mußte er grinsen, weshalb er das seinen Klassenkameraden auch vorlas. Robert hielt sich den Mund zu, weil er loslachen mußte, und Hercules Moulin kicherte wie ein kleines Kind. Gaston meinte dazu:
"Das war doch nicht witzig, Leute!"
"Für mich schon", erwiderte Hercules, nachdem er einmal tief Luft geholt hatte. Julius sagte dazu nur:
"Ich denke, das hat die selbst so irgendwo hingeschrieben, daß sie bei ihrer Beerdigung keine Schwarzen Klamotten haben will. Also kannst du ruhig lachen, Robert. Das würde sie freuen." Robert und Hercules kannten ja Jane Porter von Julius' vierzehntem Geburtstag her und hatten ja miterlebt, daß sie an sich sehr freundlich und ruhig, und auch unbekümmert war.
Der Rest der Woche kroch noch dahin, bis dann der Samstagabend anbrach, und Professeur Faucon Gloria und Julius zu sich in ihr Büro bestellte.
"Morgen nach dem Mittagessen reisen wir nach Paris, wo wir auf meine Tochter und Martha Andrews treffen werden. Ich hoffe, eure Festumhänge sind tadellos in Ordnung."
"Ich kann meinen gar nicht schmutzig machen", sagte Julius. Gloria sagte, daß auch ihr Festumhang unbeschmutzbar sei.
"Nun, er sollte auch knitterfrei sitzen", sagte Professeur Faucon. "Ich werde euch beide morgen vor der Abreise begutachten, damit alles seine Ordnung hat. Also nach dem Mittagessen, etwa so um halb zwei, bitte ich um Erscheinen beim ausgangskreis."
Sie bestätigten es beide folgsam und verließen das Büro wieder.
"Die hat es wesentlich mehr mitgenommen als sie uns zeigt", sagte Julius auf dem Weg zurück zu den Sälen.
"Das vermute ich auch. Weißt du, was die beiden in den letzten Tagen davor über die Spiegelverbindung miteinander beredet haben?"
"Stimmt, die hat ja noch meinen Spiegel", erwiderte Julius. "Dann könnte es sein, daß sie vorher schon drüber gesprochen haben, was passieren könnte."
"Auf jeden Fall vermißt sie Oma Jane genauso wie du und ich", sagte Gloria noch. Das ließ Julius so stehen.
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Julius freute sich jetzt schon, wenn die mexikanischen Musiker der Latierre-Zwillinge ihren Marsch durch die Bilder machten. Immerhin, so hatte auch Giscard Moureau festgestellt, kamen die Leute dadurch besser aus den Betten, und er mußte nur die Tür aufmachen und nachsehen, daß alle auf waren.
Den Vormittag verbrachte Julius erst mit den Pflegehelfern in der Konferenz, in der es auch um Gloria Porter ging, weil Belisama und Debbie Flaubert gefragt hatten, wie viel Hilfe und Beistand gut oder schädlich sein konnte. Schwester Florence sagte dazu, daß es kein Patentrezept gebe, um das einzuschätzen. Es sei wohl auch eine Frage des Feingefühls, wann jemand Hilfe wünschte und wann sie besser nicht oder vorerst nicht angeboten werden sollte.
"Ich übe den Heilerinnenberuf schon seit fünfzig Jahren aus und muß jedesmal, wenn etwas ansteht, was die Seele eines Patienten betrifft oder den Umgang mit Angehörigen neu überlegen, was nun richtig und was zu vernachlässigen ist", sagte Madame Rossignol. Millie fragte dazu:
"Kann es dann auch mal passieren, daß jemand, von dem man meint, er bräuche Hilfe, deshalb böse auf einen ist, wenn er auch ohne Hilfe zurechtkommt und ihm jeder was aus der Hand nehmen will?"
"Genau", bestätigte Madame Rossignol. Deborah führte das Beispiel Constance Dornier an. Da sei es ja auch schwierig gewesen, das richtige zu tun. Millie sagte dazu:
"Na gut, wenn eine Frau ein Kind kriegt kann sie die unterschiedlichsten Ansichten haben, weiß ich ja jetzt auch von meiner Mutter oder Tante Barbara. Da frage ich mich auch manchmal, ob meine Oma Lutetia oder Tante Béatrice immer das richtige machen oder sagen."
"Da empfiehlt sich eine strickte Beibehaltung eines eingeschlagenen Weges", sagte Madame Rossignol. "Bei Trauernden kann man eigentlich nur Hilfe anbieten und darauf warten, ob sie erbeten wird oder nicht." Sie sah Julius gutmütig lächelnd an. Er erwiderte darauf:
"Manchmal will man in Ruhe gelassen werden. Dann ist es wieder nötig, mit wem zu reden, einfach nur zu sagen, was einem so durch den Kopf geht. Aber es stimmt schon, daß nicht zu viel Hilfe aufgedrängt werden sollte."
"Verstehe ich", sagte Belisama. Millie nickte nur, sagte aber kein Wort.
Nach dem Mittagessen zog Julius seinen Festumhang an. Robert und Hercules begleiteten ihn zum Ausgangskreis, wo Professeur Faucon, gehüllt in ein himmelblaues Seidenkleid, bereits auf ihn wartete. Dann traf noch Gloria zusammen mit Belisama und Deborah Flaubert ein. Gloria hatte einen apfelgrünen Festumhang angezogen, an dessen Kragen weiße Rüschen angebracht waren.
"Soweit alles passabel", sagte die Lehrerin, nachdem sie die beiden Schüler gründlich betrachtet hatte. Robert und Hercules mußten einmal grinsen, weil Julius auf Professeur Faucons Anweisung hin eine Langsame Drehung vollführen mußte. Dafür wurden sie zwar streng angesehen, Strafpunkte oder ähnliches setzte es jedoch nicht. Gloria nahm von Belisama und Debbie noch einen bunten Blumenstrauß entgegen, den sie von Professeur Trifolio erbeten hatten. Dann betraten sie, Professeur Faucon und Julius die rote, kreisförmige Fläche. Professeur Faucon beschwor die rote Reisesphäre, in der sie mit dumpfem Knall verschwanden.
Robert und Hercules blickten noch eine Weile auf die nun wieder freie Fläche, während Belisama und Deborah bereits zum Palast zurückgingen.
"Hoffentlich hat die Kiste Julius nicht noch stärker aus dem Tritt gebracht", meinte Hercules zu Robert. Dieser grinste ihn an und meinte:
"Der steckt das besser weg als du das mit Bernie, und die lebt noch."
"Haha", konnte Hercules darauf nur antworten. Trotzig wandte er sich um und eilte mit langen Schritten zum Palast von Beauxbatons zurück.
Die rote Sphäre wechselte innerhalb weniger Sekunden von Beauxbatons nach Paris über. Als die drei Trauergäste wieder festen Boden unter den Füßen hatten standen Catherine Brickston und Martha Andrews bereits am Außenrand der grünen Kreisfläche. Martha hatte sich das Kleid angezogen, mit dem sie auch schon bei der Beerdigung von Claires Körper dabei war. Catherine trug einen sehr weiten, chartreusefarbenen Umhang, der jedoch nicht ganz verbarg, daß sie neues Leben in sich trug.
"Hallo, Maman, Gloria und Julius!" Begrüßte Catherine die drei Ankömmlinge. Martha Andrews sah erst ihren Sohn an, der äußerlich gefaßt und ruhig dastand. Dann begrüßte sie auch Professeur Faucon, Gloria und Julius.
"Wir werden, wenn ich den Ablauf korrekt in mein Gedächtnis aufgenommen habe, um zehn Uhr Abends mitteleuropäischer Zeit zurückkehren. Gibt es irgendwas, das du befolgen mußt, Catherine?"
"Nur gut essen und mich nicht überanstrengen, Maman", sagte Catherine. Professeur Faucon nickte und winkte die beiden in den Kreis hinein. Gloria kämpfte gerade mit den Tränen. Ihr war wohl gerade wieder klar geworden, daß sie ihre Oma Jane nie wieder sehen würde. Professeur Faucon sah es und reichte Gloria ein weißes Taschentuch. Gloria nahm es dankbar an und vergrub ihr Gesicht darin.
"Sonst kommt keiner von eurer Schule mit?" Fragte Martha Andrews ihren Sohn. Dieser schüttelte den Kopf. Auch er fühlte eine immer schwerere Last auf die Seele drücken. Doch weil er bereits innerhalb eines laufenden Jahres den dritten für ihn wichtigen Menschen betrauerte, trieb es ihn nicht zum weinen. Das mochte noch kommen. Aber im Moment wirkte er nach außen hin nur sehr ruhig und bedächtig.
"Ich rufe jetzt die transatlantische Sphäre auf", verkündete Professeur Faucon und hob den Zauberstab an.
Die Reisesphäre erglühte erneut und hüllte sie ein. Innerhalb der roten Kugelschale herrschte Schwerelosigkeit. Doch da war noch etwas anderes. Statt des üblichen, ganz leisen Grummelns erklang eine Art Chor angeblasener Bassflöten. Auch hatte Julius das Gefühl, in seinem Kopf drehe sich etwas langsam herum. Catherine, die in seiner Nähe schwebte, schien von der Sphärenreise sichtlich heftiger betroffen zu sein. Sie verzog immer wieder das Gesicht, atmete stoßweise und hielt sich mit beiden Händen den prallen Bauch.
"Was ist, Catherine?" Fragte Julius besorgt. Seine Stimme hallte wie in einem weiten Kellerraum wider.
"Hau, weiß auch nicht, was sie so plötzlich aufgebracht ha-at", stöhnte Catherine. Professeur Faucon sah ihre Tochter sehr besorgt an und sagte:
"Atme tief ein und aus, Catherine! Wir sind in zwanzig Sekunden da."
"Wenn Claudine nicht vorher ... Mmmmpf!" Erwiderte Catherine und presste ihre Hände gegen den Leib. Julius konnte einmal sehen, wie er von innen her ziemlich stark ausgebeult wurde. Offenbar war das Baby nicht sonderlich begeistert von der Reisesphäre. Julius fürchtete schon, das ungeborene Mädchen könnte es so weit treiben, daß es weit vor der Zeit aus dem Mutterschoß herausfiel. Er beobachtete Catherine sehr genau und hoffte, ihr und dem Kind würde nichts passieren. Dann kehrte auch schon die Schwerkraft zurück, und sie landeten in einer dunkelgrünen Kreisfläche, die von einer zwei Meter hohen Backsteinmauer umschlossen wurde. Ein Gittertor bot den einzigen Zu- und Ausgang. Leises Gemurmel drang zu ihnen. Catherine zuckte noch einmal zusammen, dann schien sich der Aufruhr in ihrem Unterleib zu legen.
"Das war nicht angenehm", sagte Catherine, der kleine Tränen in den Augen standen. "Ich fürchte, Claudine hat auf irgendwas allergisch reagiert."
"Vielleicht die Schwerelosigkeit", meinte Martha mitfühlend. Doch dann fiel ihr ein, daß Ungeborene ja fast schwerelos geborgen waren. Das konnte es also nicht sein. Catherine sagte auch, daß ihr der Sphärenflug nach Millemerveilles nichts dergleichen ausmachte.
"Das muß mit diesem Gefühl im Kopf zu tun haben", vermutete Julius. "Kann sein, daß sie Angst gekriegt hat, weil sich alles um sie zu drehen angefangen hat."
"Ich hörte von derartigen Fällen", sagte Professeur Faucon. "Ungeborene verlieren die Orientierung und suchen reflexartig nach Halt. Das ist schon sehr schmerzhaft für die Mutter. Du hättest Hera bitten sollen, uns zu begleiten."
"Die hat mit Jeanne zu tun und wollte mich morgen erst wieder besuchen", antwortete Catherine.
"Dann werde ich nachher sehen, daß ich sie für die Dauer der Rückreise in einem Schlafzustand halte", sagte Professeur Faucon dazu. "Ich möchte nicht riskieren, daß du sie verlierst, Kind."
"Ich bin mir sicher, daß ich deine Enkeltochter nicht unterwegs verlieren werde, Maman. Es ist ja nichts weiteres passiert."
"Das klären wir später noch", sagte Professeur Faucon sehr unerbittlich. Dann trieb sie sich und die anderen Mitreisenden zur Eile an. Denn draußen vor der Mauer standen bereits viele Leute.
Der Einreisezauberer Peter Bruckner, der die Andrews' schon einmal in New Orleans empfangen hatte nickte ihnen zu. Dann standen da noch ein Mann mit flachem Kopf, auf dem blondes Haar igelmäßig abstand. Es war Zachary Marchand, der beim FBI arbeitende Zauberer, mit dem Julius' Mutter von dem Verbrecher Laroche gefangengehalten worden war. So verstand er auch, wie sie sich gegenseitig betroffen aber auch erfreut ansahen. Marchand trug einen himmelblauen Festumhang. Dann standen da noch Glorias Eltern in ihren Festumhängen, sowie Mrs. Geraldine Redlief mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern Melanie und Myrna. Hinter ihr stand, ziemlich trübselig ausschauend, Mr. Livius Porter, der Witwer. Er trug einen kirschroten Festumhang und einen dunkelbraunen Zylinder. Er sah erst seine europäische Enkeltochter an, dann Julius, und dann erst die erwachsenen Frauen, von denen eine deutlichmachte, daß das Leben immer wieder neu anfing.
"Ich bedanke mich bei euch und Ihnen, daß Sie uns in dieser dunklen Stunde beistehen möchten", begrüßte Livius Porter die Gäste aus Frankreich. Professeur Faucon sprach sehr leise mit Mr. Porter, offenbar sprach sie ihm ihr Beileid aus, der ernsten Miene nach zu urteilen. Ebenso kondolierten Catherine, Martha und Julius. Gloria hatte sich nach einem kurzen Blickaustausch mit Professeur Faucon zu ihren Eltern gesellt und sprach leise mit ihnen. Mr. Livius Porter bat die Gäste, ihm zu folgen.
"Es sind doch einige Leute mehr geworden als wir angenommen haben", sagte Mrs. Geraldine Redlief, die sich zu Catherine und die Andrews' gesellt hatte. "Meine Mutter war sehr beliebt und geachtet. Plinius wollte an und für sich eine Beerdigung im engsten Familien- und Freundeskreis haben. Aber Dad war dagegen und meinte, daß dürften wir den Leuten nicht antun, die Mom gekannt und mit ihr zusammengearbeitet haben." Sie wandte sich an Catherine. "Ich hoffe, die Sphärenreise hat Sie nicht zu sehr belastet. Professor Verdant ist vor einm Jahr nach Paris gereist und hat erzählt, wie ihr auf dem Weg befindlicher Sohn sie dafür arg gebeutelt hat."
"War schon unangenehm", sagte Catherine. "Aber mein Kind hat sich wohl jetzt ausgetobt. Immerhin habe ich es noch bei mir."
"Das ist gut, Mrs. Brickston", sagte Geraldine Redlief beruhigt.
"Sie zogen durch den Weißrosenweg, an dessen Fenstern Spruchbänder in verschiedenen Farben flatterten, auf denen stand, daß Jane Porter in Frieden ruhen möge und sich viele für die schönen Jahre mit ihr bedankten. Julius fragte sich bei der Gelegenheit, ob Glorias Urgroßeltern noch lebten. Bei Zauberern und Hexen waren hundert Jahre und mehr keine Seltenheit. Wo hatten sie gelebt, beziehungsweise, wo würden sie herkommen? Die eigenen Kinder beerdigen zu müssen, soviel wußte Julius nun von Claires Abschied, war das grausamste, was einem Paar passieren konnte. Daß es den Dusoleils nicht so arg zugesetzt hatte verdankten sie Ammayamiria. Dann fiel ihm ein, daß der Weißrosenweg nicht so abgeschirmt war wie Millemerveilles. Was würde sein, wenn Jane Porters Feinde die Gunst der Stunde nutzten, um ihre Art von Anteilnahme zu zeigen. Als wenn Geraldine Redlief seine Gedanken erfaßt hätte sagte sie leise:
"Ich hoffe nur, daß nur die kommen, die immer gut mit Mom auskamen. Die vom Institut haben zwar einige Vorkehrungen getroffen, aber so gut wie in Millemerveilles ist es wohl nicht."
"Ich denke, wenn so viele gut ausgebildete Spezialisten gegen die dunklen Künste versammelt sind passiert schon nichts", sprach Julius sich und Mrs. Porter Mut zu. Er dachte an den Dementorenüberfall beim letzten Sommerball. Den hatten sie mit vereinter Kraft vereitelt. Hier würde es von Abwehrspezialisten Wimmeln, die bestimmt einen guten Patronus und alle wichtigen Abwehrflüche beherrschten. Außerdem hoffte er stark, daß die erwiesenen Feinde Jane Porters und der Leute vom Laveau-Institut im Moment anderswo zu tun hatten. Dann dachte er noch an Professeur Faucon. Sie hatte bisher nur Französisch gesprochen, obwohl sie englisch konnte. Das tat sie wohl wegen seiner Mutter, auch wenn er sich vorstellen konnte, daß die wohl schon dahintergestiegen sein könnte, daß die gestrenge Lehrerin alle wichtigen Sprachen des europäischen Kontinents konnte.
Die schlichte und einfache Lösung für dieses Problem, das erkannte Julius rasch, als sie vor einem niedrigen Eisentor in einer Art Hinterhaus des Weißrosenwegs ankamen trat in Gestalt von Maya Unittamo heran, die eine kleine Phiole in der Hand hielt. Professeur Faucon nickte ihr zu und nahm die Phiole entgegen. Vorsichtig trank sie eine erdbeerfarbene Flüssigkeit daraus, schüttelte sich leicht und lauschte Mrs. Unittamo. Dann wandte sie sich Mr. Livius Porter zu und sagte laut und in amerikanisch angehauchtem Englisch:
"Ich hoffe, Mr. Porter, daß wir alle Ihrer Gattin einen schönen Abschied bereiten."
"Huch, wie ging das denn?" Fragte Martha Andrews Catherine.
"Wechselzungentrank", sagte Catherine. "Der Trank ermöglicht, eine fremde Sprache zu verstehen und zu sprechen." Julius nickte bestätigend. Zwar hatte der Trank nicht ganz so ausgesehen wie der, den ihm Professeur Faucon damals verabreicht hatte. Aber so ließ sich das einfach klären. Catherine erwähnte noch, daß der Trank eine Stunde vorhielte und wenn man danach nur die eine Sprache hörte, konnte man nur sie sprechen und verstehen, bis man eine Gegendosis bekam, um das alte Sprachvermögen wiederzufinden. Martha Andrews nickte. Julius hatte ihr das ja schon häufig erzählt, wie er so schnell akzentfreies Französisch gelernt hatte.
Sie betraten einen kleinen aber schön gepflegten Friedhof, der wie im Stil der Totenstädte in New Orleans nicht aus Gräbern, sondern Grabhäusern zusammengestellt war. Einige dieser kleinen, weißen Gebäude, auf denen Statuen von Hexen, Zauberern oder Tierwesen wie Zentauren und Einhörnern standen wirkten so, als seien es keine Totenhäuser, sondern verschwiegene Gartenhäuschen, in denen Leute zu ungestörten Treffen zusammenkommen mochten. Es war etwas anders als der Friedhof von Millemerveilles, erkannte Julius. Er zählte lediglich dreißig dieser weißen Häuser und fragte sich, wer hier alles schon zur Ruhe gebettet wurde oder ob die Häuser reine Urnengräber waren, in denen Dutzende eingeäscherte Leichname ihre Ruhe gefunden hatten. Als er leises Tuscheln junger Mädchen hörte wandte er sich um. Da kamen die Cottons, die er im Schloß der Eauvives kennengelernt hatte, zusammen mit den Foresters. Brittany Forester und Sharon Cotton gingen leise schwatzend voran. Dann erkannte Julius das Haus mit dem kleinen Turm. Dort sollte wohl die Trauerfeier stattfinden. Er überlegte, wie viele Gäste darin Platz haben mochten, bis er mit den Porters, Professeur Faucon, Catherine und seiner Mutter vor dem Eingang anhielt. Maya Unittamo war noch einmal umgekehrt um ihre Verwandten zu holen. Die Cottons, Foresters und weitere, langsam dazukommende Gäste betraten das Haus. Die Porters und Redliefs, von denen nun mittlerweile noch mehrere eingetroffen waren, ebenso wie Glorias Onkel Victor und dessen Frau Greta, die Julius bei seiner allerersten Fahrt mit dem Hogwarts-Express auf dem Bahnsteig getroffen hatte, Dione Porters Vater und weitere verschwägerte Verwandte trudelten genauso ein, wie ältere Hexen und Zauberer, die wohl Kollegen oder Freunde der Toten waren. Dann erschien auch Mr. Davidson, der Leiter des Institutes, begleitet von einem Zauberer in Lindgrün und einer Hexe in Veilchenblau, die Julius beide kannte. Es waren der amtierende Zaubereiminister Barney Davenport und Donata Archstone, die Hexe, die den Sicherheitstrupp geführt hatte, der Julius in der Ministeriumstoilette vor Poles rachsüchtigem Ich aus der Zukunft gerettet hatten. Wie er von Jane Porter erfahren hatte, war Madam Archstone seit einigen Monaten die neue Leiterin der Strafverfolgungsabteilung. In der Eigenschaft war sie wohl nun hier.
"Wir gehen vor den Angehörigen hinein", mentiloquierte ihm Catherine. Hier ging das ja, anders als in Beauxbatons. Er trat zu ihr hin, winkte Gloria aufmunternd zu, die sich bei ihren Verwandten aufgestellt hatte. und schritt zwischen seiner Fürsorgerin und seiner Mutter in die Friedhofskapelle, oder wie dieses Haus auch immer genannt wurde. Professeur Faucon sortierte sich bei den verschiedenen Größen der amerikanischen Zaubererwelt ein, zusammen mit Maya Unittamo, deren Kinder, Enkel und Urenkel sich im Pulk der übrigen Gäste verteilten.
Die Kapelle mußte wohl rauminhaltsvergrößert sein. Denn anders konnte es nicht angehen, daß mehr als eintausend Trauergäste die langen Sitzbänke bevölkerten. Julius fand zwischen seiner Mutter und Catherine einen Platz in der fünften Reihe von vorne. Professeur Faucon, Maya Unittamo und die anderen honorigen Hexen und Zauberer saßen in der dritten Reihe. Dann, als alle Gäste versammelt waren, schritten die direkten und weiteren Angehörigen in die Kapelle. Julius sah eine Hexe in rotem Rüschenkleid, die an einem Eichenholzstock ging und einen kleinen, glatzköpfigen Zauberer im ttulpenroten Samtumhang mit Stehkragen. Das mußten Glorias Urgroßeltern väterlicherseits sein. Sie und die restlichen Angehörigen setzten sich auf die ersten zwei Bänke. Ihm fiel auf, daß auf der dritten Bank, wo die wichtigen Gäste saßen, noch einige freie Plätze waren. Wurde noch jemand erwartet? Julius fragte sich, wer da noch kommen sollte, wo der Zaubereiminister bereits erschienen war. Vielleicht kam noch jemand aus Übersee, den Jane Porter gut gekannt hatte. Als dann die Tür erneut aufschwang und drei Zauberer und eine Junghexe eintraten, war Julius nicht der einzige, der sich überrascht die Augen rieb. Denn einen der Zauberer und die Hexe kannte er.< Leises Gemurmel erklang, als die anderen Gäste die Spätankömmlinge bemerkten.
"Oh, ich habe befürchtet, daß wir schon zu spät seien", sagte einer der Spätankömmlinge in feinstem britischen Englisch. Es war ein hochgewachsener Zauberer im purpurroten Umhang mit silbern beschlagenen Stiefeln, dessen silberweißes, bis zum Gürtel reichendes Haar und der ebenso lange Bart sorgsam gestriegelt zu sein schienen. Die stahlblauen Augen über der Adlernase blickten leicht verlegen durch die halbmondförmigen Brillengläser als er sich umsah, ob schon alle da waren. Der zweite Zauberer trug einen lindgrünen Umhang, besaß aschgraues Haar und einen gleichfarbigen Kinnbart und trug eine silberne Brille und einen grünen Jagdhut mit einer Feder daran. Der dritte Zauberer wirkte wie ein Landstreicher in seinem grün-roten Umhang. Er besaß braungetönte Haut und trug einen goldenen Ring im linken Ohr und einen dunkelgrünen Zaubererhut. Die Hexe trug ein wasserblaues Kleid, das perfekt zu ihrer Augenfarbe passte. Ihr strohblondes Haar war zu einem ordentlichen Zopf geflochten. Als Julius sie ansah zwinkerte sie ihm verstohlen zu. Die Drei Zauberer gingen nicht all zu hastig bis zur dritten Bank und begrüßten die dort schon sitzenden. Die junge Hexe setzte sich zu Brittany Forester, nachdem sie gesehen hatte, daß auf der Bank wo Julius saß kein Platz mehr war. Dann schloß sich die Tür. Julius fragte sich, ob ein Priester oder sonstiger Vertreter einer Religion die Trauerfeier abhalten würde. Wie bei Claires Beerdigung hüllte ein breiter hoher Vorhang den vorderen Teil des Hauses ein. Ein dickbäuchiger Mann im dunkelvioletten Umhang schlüpfte hinter dem dunkelblauen Vorhang hervor und stellte sich in Positur. Julius sah sich noch einmal um und erblickte unter den übrigen Gästen auch Kollegen von Livius Porter, wie Laureata Beaumont, aber auch Konkurrentin Linda Knowles, genannt Lino, die Reporterhexe mit den magischen Ohren. Hoffentlich kamen die nicht auf die Idee, zu fotografieren.
Der Redner im violetten Umhang hob kurz den Zauberstab und ließ leise, getragene Töne aus dem Nichts oder von einem versteckten Instrument her erklingen, das Ähnlichkeiten mit einer Orgel haben mochte. Dann begrüßte er die Trauergäste, allen voran die Angehörigen, die bereits hinter großen Taschentüchern verborgen waren, während die übrigen Gäste noch ganz ruhig und Gefaßt dasaßen. Julius fühlte, wie die Trauer, die von den Angehörigen empfunden wurde, immer weiter um sich griff. Selbst die honorigen Hexen und Zauberer auf der dritten Bank, unter ihnen Professeur Faucon, Stellvertretende Schulleiterin der Beauxbatons-Akademie und Professor Dumbledore, der amtierende Schulleiter von Hogwarts, wirkten sichtlich betroffen, während der rundliche Zauberer im violetten Umhang weitersprach, den viel zu frühen Fortgang von Jane Porter beklagte aber zuversichtlich sagte, daß sie alle, deren Lebensbahnen sie gekreuzt habe, welche nicht von Dunkelheit beseelt waren, sie weiterhin lebendig hielten. Ähnliches also, was Monsieur Laroche, der Zeremoninmagier, bei Claires Beerdigungsfeier gesagt hatte, erkannte Julius. Auch hier wurde mit keinem Wort Gott oder ein anderes übernatürliches Wesen erwähnt. Er sprach allen Trauernden Mut zu, ihr Leben weiterzuführen, weil Jane Porter dies so gewollt habe. Er sagte nichts von Heldentod oder Dienst zum Wohl der Zaubererwelt, wie Julius erwartet hatte. Statt dessen erwähnte er ihren Eifer, ihre Liebe zu den Mitmenschen und die ruhige Art, auch schlimme Dinge zu verkraften, anderen Wärme und Kraft zu spenden und ihnen ohne großes Murren zu helfen. Er erwähnte ihre vielen internationalen Bekannten und hob Professeur Faucon, Friedebold Eschenwurz und Albus Dumbledore hervor, mit denen sie immer sehr gut zusammengearbeitet habe. Dann öffnete sich der Vorhang ganz, und eine große, goldbeschlagene Truhe, kein Sarg, wurde sichtbar.
"Da unsere verehrte Mithexe Jane Porter durch eine große Zerstörungskraft von uns genommen wurde, die es uns nicht einmal erlaubte, ihre sterbliche Hülle zur Ruhe zu betten, werden wir dieses Gefäß voller Erinnerungsstücke an den Ort bringen, an dem wir ihrer in Frieden und guten Erinnerungen gedenken wollen. Doch möchten uns vier Wegbegleiter der Dahingegangenen noch ein paar Worte sagen, um zu bekunden, welche großartige Hexe in diesen Tagen unsere Gedanken bewegt und unsere tiefsten Gefühle angerührt hat. Als ersten möchte ich Janes langjährigen Arbeitgeber, Mr. Elysius Davidson bitten, zu uns zu sprechen."
Davidson erhob sich von seinem Platz auf der dritten Bank von vorne und trat zu dem Zeremonienzauberer hin, der schritt wortlos bei Seite und ließ Jane Porters Vorgesetzten sprechen.
"Hoch verehrte Anwesende, Familienangehörige, Verwandte, Freunde, Kollegen und ehrenwerte Gäste Jane Porters, Sie sehen mich hier stehen und um Fassung ringen. Vor einer Woche noch habe ich mit der viel zu früh von uns gegangenen wichtige Gespräche geführt und mich von ihren Ideen inspirieren lassen, und einige Tage später mußte ich erfahren, daß sie in der Ausübung ihres Berufes, der unser aller Frieden und Sicherheit zum Ziel hat, zusammen mit einer gleichfalls verehrten Kollegin den Tod fand. Nun spreche ich als Jane Porters langjähriger Weg- und Kampfgefährte zu Ihnen allen, um Ihnen etwas über die Hexe zu erzählen, die ich kennenlernen durfte."
"Na, jetzt geht die große Lügerei los", grummelte Julius ganz leise, während Davidson in schönen Phrasen über Jane Porter sprach, wie er sie kennenlernte und wie sie für ihn eine sehr wichtige Person und Gedankenaustauschpartnerin geworden war. Er nahm sich sogar die Freiheit, darüber zu sprechen, wie sie ihn überzeugte, auch gegen den Befehl eines Zaubereiministers zu handeln, um eine gefährliche Kreatur der dunklen Mächte zu jagen und deren Vernichtung herbeizuführen. Julius wollte schon "Heuchler!" und "Lügner!" rufen. Doch Catherine schien das zu spüren, wie er immer angespannter dasaß und legte ihm vorsichtig den linken Arm um die Schulter, was ihn merkwürdigerweise davon abhielt, seinen Unmut in die ehrwürdige Halle der Andacht zu rufen. Als Davidson schließlich zu Ende gesprochen hatte und der dicke Zeremonienzauberer wieder das Wort ergriff, dachte Julius seine Selbstbeherrschungsformel, um nicht doch noch wütend zu werden. Der Magier rief nun Maya Unittamo zu sich. Diese erzählte locker und frei von der sehr guten Schülerin, die sie damals im Unterricht hatte und wie sie in Jane Porter etwas wie eine nicht blutsverwandte Tochter oder Nichte zu sehen begonnen hatte, daß sie sehr gute Nachbarinnen gewesen seien und Jane immer Zeit für eine Plauderei gefunden und mit ihr häufig im betrunkenen Drachen Schach gespielt und die Probleme der Zaubererwelt besprochen hatte. Zum Schluß sagte sie noch:
"Ich wußte immer, daß das was Jane macht gefährlich ist und daß sie dabei sterben kann. Aber wie viele andere auch habe ich nie daran gedacht, daß es jeden Tag passieren könnte. Wo immer du jetzt bist, Jane, ich wünsche dir das zehnfache an Frieden und Ruhe, von dem du uns hier gegeben hast." Dabei glitzerten Tränen hinter den Goldrandbrillengläsern. Julius fühlte auch in seine Augen Tränen aufsteigen. Catherine versuchte, ihn wieder zu umfassen. Seine Mutter saß nur da und schien über irgendwas nachzudenken. Neben ihr saß Zachary Marchand, der äußerlich ganz ruhig und gelassen wirkte.
"Ich möchte nun Professeur Bläänch Faucon von der Boubatongs-Akademie bitten, zu uns zu sprechen", sagte der Zeremonienzauberer. Die Gemeinte erhob sich. Julius fühlte den Drang zu grinsen, obwohl er doch an und für sich sehr betrübt war. Die Lehrerin trat vor, wandte sich den übrigen Trauernden zu und sprach sehr gefaßt und raumfüllend:
"Meine sehr geehrten Damen und Herren, die sie hier alle versammelt sind, um Abschied von einer großen Streiterin gegen den Machthunger und Zerstörungstrieb dunkler Zauberkräfte zu nehmen, ich fühle mich geehrt, die Dahingegangene persönlich gekannt zu haben, mit ihr viele aufmunternde, aber auch aufregende Zeiten durchlebt zu haben und mit ihr die anstehenden Probleme und Gefahren dieser Welt zu bekämpfen, auf getrennten Wegen marschierend aber vereint im Wunsch, die uns so wertvolle Welt nicht in Dunkelheit versinken zu lassen.
Ich entsinne mich, als wäre es erst gestern geschehen, wie ich, als ich die ehrenvolle Stellung einer Lehrerin der altehrwürdigen Beauxbatons-Akademie schon einige Zeit inne hatte, wie ich eine junge Austauschschülerin in dem von mir erteilten Unterricht wider die dunklen Zauberkräfte begrüßen durfte, mit der ich manche liebe Not hatte, weil sie gern und häufig damit prahlte, wie viel sie bereits von ihrer Mutter, die eine Expertin für die Abwehr bösartiger Zaubereien sei gelernt habe und sie bestimmt schon mehr wisse als der Lehrplan für die von ihr besuchte Klassenstufe erfordere. Ich sah mich gehalten, mit jener Mutter in Kontakt zu treten, die seinerzeit auf den britischen Inseln wohnte, um mit ihr zu erörtern, wie ich die bereits erworbenen Fähigkeiten ihrer Tochter fördern könne, zumal ich damals der Auffassung anhing, unsere Akademie verfolge einen sehr anspruchsvollen Lehrplan, und die junge Dame möge nicht so prahlerisch auftreten, da ich ihr all zu gerne die Grenzen ihres Könnens aufzeigen und diese dann mit der gebotenen Willensstärke erweitern würde. Ich wollte nicht bis zum alljährlichen Elternsprechtag warten, umm diese Dinge zu regeln." Geraldine Redlief errötete und verhüllte ihr Gesicht mit dem weißen, bereits tränennassen Taschentuch. "So reiste ich an manchen Wochenenden nach England, wo ich die Mutter dieser Schülerin traf, Jane Porter. Es zeigte sich, daß sie sehr ruhig und stets gut gelaunt auftrat und meine Argumentation nicht sonderlich aufregend empfand. Sie entwaffnete mich mit einer Lässigkeit, dergleichen ich vorher und nachher nie wieder angetroffen habe. In einer Plauderstunde nach der anderen schafften wir es, meine gebotene Unerbittlichkeit mit ihrer mütterlichen Wärme zu verbinden, um der jungen Hexe die nötige Einhaltung ihrer Grenzen ohne Verlust der eigenen Willenskraft zu vermitteln. Ich habe danach manches Elternpaar kennenlernen müssen, das meine Kompetenzen mit ihren Zielen unvereinbar fand und dem zu beschulenden Kind dadurch einen inneren Konflikt aufgebürdet hat. Mit Jane Porter konnte ich dies ihrer mir für ein Jahr anvertrauten Tochter ersparen und ihr am Ende des Jahres eine ehrlich erworbene gute Note in den beiden Fächern zuerkennen, die ich unterrichte. Doch weil die während dieses Jahres entstandene Beziehung zu Jane Porter eine solch wertvolle Atmosphäre der Kongenialität erschaffen hat, blieben wir auch nach jenem Austauschjahr in Verbindung. Ich bekam mit, wie ihr Sohn in der Hogwarts-Schule für Zauberei und Hexerei zu einem sehr brauchbaren, wachen und lebensbejahenden Zauberer heranreifte, wenngleich ich mich über eine Sache, die sie ihm zu tun zumutete etwas mit ihr streiten mußte. Im Nachhinein mußte ich jedoch erkennen, daß dieser von ihr vorgegebene Weg uns allen viel Elend erspart hat, und ich bin jetzt froh, daß ich mich sehr früh für meine Fehleinschätzung entschuldigt habe. Auch wenn sie, was ihr größter Wunsch und Lebensinhalt war, im Marie-Laveau-Institut weit fort von Europa arbeitete, ergaben sich für uns beide immer wieder Möglichkeiten, direkt miteinander zu sprechen. Sie half mir in einer meiner schwersten Stunden, wo ich meinen Mann verlor und für einen Moment an meinen Fähigkeiten zweifelte, indem sie mir sagte, daß wir nicht schwach sind, nur weil andere einmal stärker sind. Denn diese angebliche Überlegenheit ist ein Trugschluß, dem die, die sich darin sicher fühlen, all zu bald erliegen. Sie sagte das natürlich mit anderen, wesentlich schlichteren Worten. Aber der Wert dieser Aussage wurde dadurch keineswegs geschmälert. Das half mir, mich nicht dem Gefühl der Unterlegenheit hinzugeben, sondern trotz des unersetzlichen Verlustes neue Kraft für das Leben zu schöpfen, meine Tochter zu einer verantwortungsvollen Hexe zu erziehen, als Mutter wie als Lehrerin. Das sie heute eine Familie hat kann ich mit gutem Gewissen auf die Hilfe Jane Porters zurückführen, die mir den Halt gab, dden ich an meine Tochter Catherine weiterreichen konnte." Dabei sah sie Catherine an, die mechanisch wie eine Puppe nickte. Julius überlegte sich schon, ob Catherine das wirklich so toll gefunden hatte, welchen Halt ihre Mutter ihr gegeben hatte. Diese sprach weiter:
"Ich sehe auch viele Hexen und Zauberer hier, die Jane Porter ihr Leben zu verdanken haben, sei es, daß ihr physisches Leben durch sie geschützt wurde oder dadurch, daß sie ihrem Leben einen Sinn geben konnte. Ich sehe Sowohl Kollegen aus anderen Schulen hier, die ihr wie ich die gebührende Ehre erweisen, sowie Mitstreiter gegen die dunklen Kräfte, die durch Sie genau wie ich mit ihren Ängsten und Verlusten zu leben lernen konnten. Diese Wärme und Kraft, die Jane Porter freimütig weitergab, machte sie Zeit ihres Lebens zu einer unschätzbaren Gefährtin, auf die man sich verlassen konnte. Es freut mich, daß sie durch ihre Kinder und Kindeskinder weiterlebt. Es beruhigt mich, daß sie vielen Hexen und Zauberern von ihrer unerschütterlichen Lebensfreude abgeben konnte und es ehrt mich, sie trotz diverser Meinungsverschiedenheiten, die jedoch dazu gehören, als gute Freundin bezeichnen zu dürfen, wenngleich es mir leider nicht vergönnt war, die letzten Unstimmigkeiten restlos zu klären. Doch sie tat was sie für richtig hielt und verlieh anderen damit den Antrieb, sich nicht vor wichtigen Entscheidungen zu drücken, auch wenn eine persönliche Beeinträchtigung zu befürchten stand. Sie ging von uns und hinterläßt uns eine Welt, die durch sie ein lebenswerter Ort ist, an dem die Hoffnung immer über der Furcht rangieren möge. Zu wissen, daß ich sie nicht mehr sprechen, nicht mehr mit ihr plaudern, beraten, bereden, ja auch streiten kann betrübt mich. Doch ich weiß, sie lebte das Leben, das sie wollte, in dem ihre Liebe zu den Ihren und deren Einsatzbereitschaft größer als alles vergängliche war. Ich bedanke mich, Jane, dich kennen zu dürfen. Requiescas in Pace!"
Stille trat für einige Sekunden ein, in denen Professeur Faucon sich vor der Erinnerungstruhe verbeugte und dann, aufrecht und gelassen, ohne laute Schritte zu ihrem Platz zwischen Maya Unittamo und Professor Wright von der Thorntails-Akademie zurückkehrte. Der Zeremonienzauberer wartete eine Minute. Dann sagte er:
"Nun möchte ich den ehrenwerten Professor Albus Dumbledore bitten, noch ein paar Worte zu sprechen."
Der Schulleiter von Hogwarts erhob sich und ging gemessenen Schrittes zu dem rundlichen Zeremonienmagier hinüber, verneigte sich vor der Truhe wie vor einem richtigen Sarg, wandte sich dann der Trauergemeinde zu und sprach mit ruhiger, raumfüllender Stimme, die Julius über ein halbes Jahr lang nicht mehr gehört hatte:
"Liebe Freunde. Ich bin in meiner Schule nicht als Meister umständlicher Reden bekannt. Aber einiges möchte ich doch kurz über die von uns heute zu verabschiedende Mithexe sagen. Wie meine hoch geschätzte Vorrednerin habe ich Jane Porter auch erst als Mutter meiner Schule anvertrauter Kinder kennengelernt und wie Professeur Faucon die Freundlichkeit und innere Ruhe zu schätzen gelernt. Denn Jane Porter wurde in den vereinigten Staaten geboren und durchlief dort natürlich die Thorntails-Akademie, deren Leiterin ich hier und heute unter Ihnen erblicken darf, die wie ich herkam, um eine großartige, willensstarke aber auch sehr humorvolle Hexe zu ehren. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie Jane Porter und ich uns häufiger trafen und selbst dann noch über Sachen lachen konnten, die anderen das Blut in den Adern hätten gefrieren lassen. Wer nicht über Dinge lachen kann, so wußten wir beide, obwohl sie natürlich wesentlich jünger als ich war, der kann sie auch nicht beweinen. Sie hat sich sehr gefreut, daß ich ihre beiden Kinder Geraldine und Plinius zu selbständig denkenden Mitgliedern unserer Gemeinschaft aus Hexen und Zauberern ausbilden konnte. Jener Vorfall, den meine Kollegin und Vorrednerin erwähnte hat mich auch erst etwas stutzig gemacht. Aber ich wußte sehr schnell, daß sie das einzig richtige getan hat, um uns alle vor argen Schwierigkeiten zu bewahren. Auch hat sie spontan und souverän eingegriffen, als zwei mir anvertraute Schüler in eine sehr unangenehme Lage gerieten, die selbst mir einen gehörigen Schrecken eingejagt hat und mich fast um alles gebracht hätte, für das ich mein Leben lebe. Dafür, daß sie den betreffenden Schülern half und mir eine Menge Verdruß von der Seele nahm, bin ich ihr bis über ihren viel zu frühen Tod hinaus dankbar. Ich weiß nicht, wie genau sie ihren Tod fand. Ich weiß nur, daß sie ihn mit der Entschlossenheit und Zielstrebigkeit erblickte, die ihr ganzes Leben angetrieben haben und ihre Welt und alle, die sie darin zu leben einlud in Schwung hielt. Deshalb brauchte sie keine Angst vor dem Tod zu haben. Deshalb bin ich auch nicht traurig, daß sie gestorben ist. Für den gut vorbereiteten Geist ist der Tod nur eine höhere Stufe der Entwicklung, der Eintritt in eine neue Welt, in der sich dieser Geist entfalten und seinem Wesen gerechtwerden kann. Viele fürchten den Tod, weil er fremd und unfaßbar ist. Doch Furcht lähmt den Verstand und fesselt die Seele. Ich freue mich für Jane, daß sie nun in der Welt ohne Furcht leben kann und viel von ihrer Zuversicht und Stärke auf uns übertragen hat. Jane, mach's gut!"
Nach Dumbledore ergriff der Zeremonienmagier wieder das Wort und bat darum, zu Janes Angedenken ein Lied zu singen, das sie im Leben sehr gemocht hatte. Julius kannte es nicht. Aber er empfand die tiefe Verbundenheit, die der Gesang bewirkte und lauschte allen sieben Strophen des getragenen Liedes. Es ging um die Freude an jedem neuen Tag und die Zuversicht, nach jedem Sonnenuntergang und einer ruhigen Nacht einen neuen Tag zu sehen. Dann verkündete der Zeremonienzauberer, daß man nun die Truhe öffnen würde, damit jene, die noch keine Gelegenheit hatten, etwas von sich, was an Jane Porter erinnerte, hineinzulegen. Die Truhe klappte von selbst auf.
Julius sah sich erneut um, weil viele Gäste aufstanden und langsam zu dem Zeremonienmagier hinübergingen. Er fragte sich, was er in diese Truhe legen konnte. Er überlegte, was ihn alles mit Jane Porter verband, die Erinnerungen an die Ferien bei Glorias Eltern, die Geburtstagsfeiern in Millemerveilles. Er hörte sie noch sagen: "Mach dir keine Sorgen, Honey! Falls Bläänch hier eintrifft, beschütze ich deine Mom vor ihr." Sie hatte diese Lockerheit, mit heftigen Sachen umzugehen. Er dachte an das, was sie zu Kevin und den anderen bei seiner letzten Geburtstagsfeier gesagt hatte. Er erinnerte sich an die Reise nach New Orleans, den Betrunkenen Drachen, die kurze aber heftige Auseinandersetzung wegen seiner Recherche im Internet, wie sie mit ihm seinen Vater gesucht hatte und wie er ihr vor dem geheimen Gericht geholfen hatte, ihre Freiheit und Ehre zu bewahren. Er fühlte ihre innige Umarmung, als sie eingeschrumpft in einem Tragebeutel um Ardentia Truelanes Hals steckten. Ardentia Truelane, die mit ihr zusammen gestorben war, beziehungsweise, von der er jetzt ziemlich sicher war, daß Jane Porter wegen ihr gestorben war. Dann dachte er an den Zweiwegespiegel, den er von ihr bekommen hatte, den er Professeur Faucon hatte abgeben müssen und einen neuen bekommen hatte. Er erinnerte sich an die letzten Unterhaltungen, die er mit ihr darüber geführt hatte. Da wußte er, was er in die Erinnerungstruhe legen würde.
Martha Andrews hakte sich bei ihrem Sohn unter und ging mit ihm zusammen im Strom der Gäste zur Truhe. Dort sah er, was so alles schon darin lag, Bilder, Broschen, Kleidungsstücke und Sachen, die er für Plunder gehalten hätte, wenn diese Dinge nicht irgendwas mit der Toten zu tun hätten. Er holte seinen Zweiwegspiegel heraus, der ihn in den letzten Wochen mit Mrs. Jane Porter verbunden hatte und wollte ihn gerade in die Truhe legen, als eine Gedankenbotschaft Catherines ihn davon abhielt.
"Den behältst du besser. Maman hat sich das Gegenstück davon geben lassen."
"Was soll ich dann sonst hineinlegen?" Mentiloquierte Julius leicht aufgebracht.
Catherine schien zu überlegen, was sie und Julius hineinlegen sollten. Dann holte sie ein Stück Papier und einen Bleistift hervor, schrieb etwas auf, faltete den Zettel zusammen und warf ihn in die Truhe. Dann reichte sie Julius einen weiteren Zettel und den Bleistift. Er verstand und schrieb auf den Zettel: "Vielen Dank für alles, was ich mit Ihnen erleben durfte, Mrs. Porter. Mögen Sie in Frieden ruhen!" Martha Andrews nickte nur dem Truheninneren zu. Dann gingen die drei weiter.
"Geht es dir soweit gut, Catherine?" Fragte Martah Andrews, weil Catherine etwas verhalten daherging.
"Wie es einer Frau geht, die meint, zwölf Zentner zu wiegen", erwiderte Catherine dazu nur. Julius blickte sich wieder um, um mehr von den anderen Trauergästen zu sehen. Die meisten von ihnen kannte er nicht. Aber bei einigen sah er, daß sie wohl weite Reisen gemacht hatten, um hier her zu kommen.
Als jeder und jede, die was in die Truhe zu legen hatten daran vorbeigegangen waren sagte der Zeremonienzauberer: "Liebe Trauergemeinde. Nun, da wir uns alle mit Eindrücken und Dingen aus dem mit Jane Porter geteilten Leben von ihr verabschiedet haben, möchte ich Sie bitten, die Truhe der Erinnerung an den Ort zu begleiten, wo wir in Zukunft der Dahingeschiedenen gedenken dürfen."
Vier Zauberer in blau-weiß-roten Umhängen hoben die Truhe an jeder Seite und trugen sie hinaus, vorbei an der wartenden Gemeinde. Dann folgten die Angehörigen, allen voran das betagte Parr, wobei die Hexe mit der einen Hand am Stock und mit der Anderen das Taschentuch vor die tränenden Augenschritt und der glatzköpfige Zauberer nicht wußte, ob er nun wütend einherschreiten oder mit gesenktem Kopf dahinschleichen sollte. Plinius Porter und Geraldine Redlief folgten den beiden, neben sich die Ehepartner, dahinter die Kinder. Dann folgten die direkten Anverwandten, dann die verschwägerten Verwandten. Irgendwo in der immer länger werdenden Dreierreihe der ausmarschierenden Trauergemeinde Sah Julius Professeur Faucon links von Professor Dumbledore, der rechts von Professor Wright flankiert wurde. Sie gingen aus dem Haus hinaus. Dort wartete eine Musikkapelle. Der Trauerzug à la New Orleans begann.
Mit langen, traurigen Tönen begleitete der Musikzug den langsamen Marsch über den Friedhof. Julius sah zum Himmel hoch und entdeckte eine große Krähe, die ihre Kreise zog, als suche sie nach essbarem. Er verfolgte den Vogel mit seinen Blicken, bis dieser auf ein nahebei stehendes Grabhaus hinabglitt und sich dort hinsetzte. Fast hätte er Catherine auf die Füße getreten. Sie stupste ihn an und meinte:
"War da oben wer oder was?"
"'ne große Krähe, Catherine. Nicht mehr. Wunderte mich nur, wo die hinwollte."
"Ach so", sagte Catherine.
Vor einem anderen Grabhaus hielten sie an. Die Kapelle hörte zu spielen auf. Der Zeremonienzauberer stupste die Bronzetür mit seinem Zauberstab an, und sie glitt bei Seite. Sie gingen hinein, während die Musiker von draußen die traurige Begleitmelodie spielten. Die Truhe wurde in eine Nische gesetzt. Julius erkannte nun, daß dieses Haus rauminhaltsvergrößert sein mußte. Denn es ähnelte innen eher einer Kathedrale als einem Totenhaus. Der Zeremonienzauberer sprach noch einige Worte und verabschiedete sich von Jane Porter. Dann wurde die Truhe abgesetzt. Alle gingen noch einmal daran vorbei, um sie herum und dann hinaus. Dort stimmten die Musiker eine flotte, Fröhliche Melodie an, zu der die Angehörigen und Trauergäste etwas beschwingter einherschritten.
"Jetzt bin ich mal gespannt, wo es hingeht", dachte Julius. Die Kapelle begleitete sie bis zum Friedhofstor. Dort verabschiedete der Zeremonienmagier die Trauergäste und gab jedem an ihm vorbeigehenden einen Zettel in die Hand, auf dem ein Drache mit leichter Schlagseite abgebildet war und der Text stand: "Willst du mit uns der Lieben Jane gedenken,
so lasse dich von uns beschenken,
Zu Speis und Trank in Mittagspracht,
wo dieser hier die Tür bewacht."
Julius grinste. Catherine fragte ihn mit körperlicher Stimme, was er zu grinsen hatte. Er deutete auf den Drachen mit den verdrehten Augen und antwortete:
"Hätte ich mir denken können, daß wir dort noch einmal zusammenkommen."
"Behalt den Zettel! Der ist wohl eine Einladungskarte", riet ihm Catherine.
So zogen fast alle Trauergäste zum betrunkenen Drachen, wo unter dem Schild, auf dem das Wappentier dieses Pubs prangte "Heute geschlossene Gesellschaft" zu lesen stand. Da jedoch viele Leute aus der Nachbarschaft der Verstorbenen zu den Gästen gehörten spielte das wohl im Moment keine Rolle. Die Tische und Stühle standen so, daß mehrere Gruppen von Leuten an jeden Tisch passten. Bachus Vineyard, der Wirt des betrunkenen Drachens, so wie seine untersetzte Frau Philomena begrüßten die Gäste mit Andacht. Dann teilte er mit sachten Handbewegungen Gruppen ein. Angehörige und verschwägerte Verwandte fanden an zwei großen Tischen Platz, die übrigen erwachsenen Gäste verteilten sich auf andere Tische, während die Kinder und Jugendlichen einen Tisch für sich hatten. Julius mochte eine solche Einteilung zwar nicht, weil ja dadurch keine richtige Möglichkeit war, andere Gäste näher kennenzulernen. Aber er verstand zumindest, daß die Gäste sich nicht gegenseitig langweilen oder auf die Nerven gehen sollten. So setzte er sich mit Pina Watermelon zu Brittany, Sharon und anderen jungen Leuten hin. Gloria sprach wohl kurz mit ihren Eltern und Urgroßeltern. Dann kam auch sie herüber.
"Ich freue mich, daß ihr alle gekommen seid", sagte sie und nahm neben Julius Platz. Dieser sah, wie seine Mutter mit Catherine zu den Foresters und Cottons hinüberging. Die Professoren und Ex-Professoren der Schulen Hogwarts, Beauxbatons und Thorntails bildeten eine Gruppe für sich. Die anderen beiden Zauberer, die mit Dumbledore und Pina eingetroffen waren setzten sich zu Grizwald Paddington, dem bärengleich gewachsenen Zauberer aus Kanada.
"Wie seid ihr denn hergekommen?" Fragte Julius Pina, als das allgemeine raunen laut genug war um nicht dumm aufzufallen.
"Wir haben den Kamin benutzt", sagte Pina. "Als wir hier in diesem Pub ankamen trafen wir die beiden Zauberer, mit denen wir in das Andachtshaus gegangen sind. Die kommen wohl aus Deutschland, dem Klang nach. Der in Grün heißt Herr Eschenwurz und der mit dem Ohrring hat einen ganz komischen Namen: Carbonius Pumphut."
"Der traut sich unter andere Zauberer und Hexen?" Fragte Julius verblüfft. "Waltraud, die Austauschschülerin, die wir gerade haben, hat uns erzählt, daß die aus seiner Familie keine Lust auf Zaubererschulen haben und gerne durchs Land wandern und die Kräfte der Erde kontrollieren, weil sie eine Koboldin in der Ahnenlinie haben."
"Das weiß ich nicht", sagte Pina. Dann fragte sie, ob Gloria und er auch durch den Kamin angereist waren. Gloria berichtete, daß sie eine der Reisesphären benutzt hätten. Pina nickte.
Sharon und Brittany wollten nach einem längeren Gespräch über Jane Porter und wer sie wie gut gekant hatte von Julius wissen, wie seine Quidditchmannschaft gerade in der Schulwertung aussah.
"Wenn der Sucher unserer größten Konkurrenten mal einen Schnatz fangen würde sähe es blöd für uns aus. Aber so können nur wir den Pokal noch vergeigen, ohne daß jemand anderes uns den wegschnappt", sagte Julius und taute dabei sichtlich auf, weil er mit den beiden Mädchen über einfache Sachen sprechen konnte. Als Philomena große Tabletts mit belegten Brötchen auf den Tisch stellte, rümpfte Brittany nur die Nase und schüttelte vorsichtig den Kopf.
"Oh, du ißt ja auch keinen Käse", sagte Philomena. "Dann mache ich dir eine gemischte Gemüseplatte. Ja?"
"Das ist nett, Philomena", erwiderte Brittany. Pina sah sie an und sagte nur:
"Da war die jetzt nicht drauf gefaßt."
"Doch, schon", sagte Brittany. Sharon meinte dazu leicht biestig:
"Aber wir können ruhig von der leckeren Schinkenwurst essen, ohne daß du uns den Tisch vollkübelst, Britt."
"Dauernde Belastung stumpft ab", konterte Brittany.
außer den Brötchen und der Gemüseplatte wurde noch frische Suppe mit Nudeln und Fleischstückchen gereicht, während die Jugendlichen über ihren Schulalltag sprachen. Irgendwann beugte sich Pina zu Julius und fragte vorsichtig:
"Ich hoffe, dir tut das nicht all zu weh, Julius, aber wie kommst du damit klar, daß Claire nicht mehr da ist?"
"Erst habe ich mich ziemlich gründlich in der Schulbibliothek verbuddelt und nur noch an die nächsten Stunden gedacht. Aber jetzt, wo ich merke, daß das mir nicht mehr viel einbringt außer ein paaar guten Noten vielleicht, und jetzt, wo Goldschweif vier Junge hat, habe ich was anderes gefunden, um nicht total traurig zu sein."
"Diese Mädchen, die mit dem Honighaar, die bei deinem Geburtstag war und die aus dem roten Saal, von denen Gloria was geschrieben hat, haben die sich jetzt zurückgezogen?"
"Interessante Frage, Pina", erwiderte Julius. "Die haben den Winter abgewartet, ob ich einfriere oder nur Winterpause mache. Jetzt scheint es so, als wollten sie sehen, ob ich auch wieder fröhlich sein kann."
"Öhm, so nennen die das?" Fragte Gloria nun etwas belustigter als sie vor einigen Minuten noch war. "Die käbbeln sich schon drum, wer dich zur Walpurgisnacht mitnehmen kann."
"Ach, du auch?" Fragte Julius unvermittelt frech.
"Wirst du erleben, ob oder ob nicht", erwiderte Gloria geheimnisvoll lächelnd. Sharon fühlte sich offenbar berufen, die drei zu fragen, wo von sie es hatten. Gloria meinte dazu nur:
"Wie's weitergeht, Sharon."
Julius genoss die Speisen, die die Wirtsleute vom betrunkenen Drachen auftrugen. Sie redeten von allem möglichen, was die noch etwas trübe Allgemeinstimmung aufheitern konnte. Denn allen war klar, daß Jane Porter keine trübseligen Freunde und Verwandten hinterlassen wollte. Das sie nicht die einzigen waren, die etwas beschwingter sprachen bekam er mit, als Maya Unittamo und Professor Dumbledore sich gegenseitig etwas erzählten, worüber beide lachen mußten. Professeur Faucon schien davon zwar nicht begeistert zu sein, wagte jedoch keinen Einwand.
So ungefähr zwei Stunden, nachdem sie den betrunkenen Drachen betreten hatten, erhoben sich die Eltern der Toten und baten um Ruhe. Glorias Urgroßvater sagte so laut seine Stimme es ihm erlaubte:
"Liebe Freunde und Verwandten meiner viel zu jung von uns gegangenen Tochter. Es war meiner Frau Sheryl und mir eine große Erleichterung, daß wir in unserer Trauer nicht alleine sein mußten. Dafür möchten wir uns recht herzlich bei euch und Ihnen bedanken. Es hat uns sehr gefreut, wie vielen Menschen Jane das Leben erhellt hat und sind zuversichtlich, daß sie durch euch und Sie weiterleben kann. Ein Vater, der sein eigenes Kind zu Grabe trägt ist der traurigste Mann der Welt. Eine Mutter, die zusehen muß, wie das Kind, welchem sie das Leben gegeben hat zur letzten Ruhe gebettet wird, trägt eine tonnenschwere Last auf der Seele. Doch wenn ich mir ansehe, wer und was alles von Janes Liebe und Mut profitiert hat, dann weiß ich, sie hat das Leben gelebt, das sie sich gewünscht hat, mit Freunden und Verwandten, die gerne zu ihr kamen und immer etwas von ihr mitnehmen konnten. Es tut mir etwas leid, daß Sheryl und ich euch nicht noch weiter Gesellschaft leisten können. Aber der große Verlust und unser Alter haben uns arg geschafft. Wir bitten euch, feiert das Leben unserer Tochter weiter. Sicher werden wir uns alle irgendwann wiedersehen können und darüber plaudern, was sie euch und Ihnen bedeutet hat. Vielen Dank für euer hiersein!"
"Ich möchte Uropa Hyperion noch auf Wiedersehen sagen. Dabei möchte ich euch gerne kurz mit ihm und Uroma Sheryl bekannt machen", sagte Gloria und winkte Pina und Julius, ihr zu folgen.
"Ah, der patente Bursche, der mit Glo in Hogwarts angefangen hat", sagte Glorias Uropa Hyperion. "Hat Janes streitbare Freundin Bläänch dich erfolgreich zu sich nach Beaux geholt. Na gut, was Geri gut tat kann dir wohl auch gut tun. Halt dich wacker, mein Junge", sagte Hyperion. Seine Frau umarmte Julius kurz und meinte:
"Gloria hat es Jane wohl erzählt, daß du deinen Vater und deine geliebte Freundin so früh verloren hast. Ich hoffe, du findest noch Spaß und Glück im Leben."
"Das hoffe ich auch, Madam", sagte Julius leise. Dann verließen Jane Porters Eltern den Pub.
Als die Gedenkfeier sich dem Ende näherte, bot Professeur Faucon allen aus Europa angereisten Zauberern und Hexen an, sie mit der Reisesphäre nach Paris mitzunehmen und ihnen den Kamin im Geschichtsmuseum zu zeigen. Es sei billiger, in Europa zu floh-pulvern, meinte sie. Dumbledore und die anderen Gäste aus Europa stimmten sofort zu. So ging der kleine Trupp zur dunkelgrünen Kreisfläche, von wo aus sie per Reisesphäre nach Paris hinüberwechseln konnten. Pina sah Catherine an und meinte:
"Das soll ziemlich unangenehm für werdende Mütter sein, hat eine Tante von mir erzählt, die das auch schon mal gemacht hat."
"Sagen wir es so, ich weiß es jetzt und hoffe, daß mein Kind mich nicht noch einmal so heftig drangsaliert", sagte Catherine dazu nur. Dumbledore sah Catherine an und meinte, er könne das Ungeborene für eine Minute in einen sanften Zauberschlaf versetzen. Professeur Faucon räusperte sich und meinte, daß sie das ihrer Tochter schon angeboten habe und darauf bestehe, dies zu tun. Der Schulleiter von Hogwarts nickte und trat einen schritt zurück. Professeur Faucon hielt ihren Zauberstab an Catherines gerundeten Unterleib und sang leise Formeln. Dann meinte sie:
"Meine Enkeltochter schläft nun tief und fest und wird durch die Begleiterscheinungen der Sphärenreise nicht geweckt werden können. Erst wenn sie Babettes Stimme wieder hören kann wird sie erwachen."
"Danke, Maman", sagte Catherine immer noch Englisch sprechend.
Professeur Faucon beschwor die Reisesphäre. Tatsächlich verspürte Catherine keine Tritte und Schläge aus dem Inneren mehr. Als sie in Paris ankamen führte die Beauxbatons-Lehrerin sie zum Geschichtsmuseum. Da es hier bereits Nacht war waren die Straßenlaternen angezündet. Vor dem Museum verabschiedeten sie sich voneinander. Als Dumbledore Julius die Hand reichte und sagte:
"Pass weiterhin gut auf dich auf, Julius. Finde etwas und Jemanden, das dich wieder frei lachen macht!"
"Passen Sie gut auf sich auf, Professor Dumbledore! Nachdem was in Hogwarts so los war fürchte ich, daß Ihnen wer an den Kragen will."
"Julius, seit dem Voldemort wieder in die Welt zurückgekehrt ist lebe ich mit dieser ständigen Bedrohung. Ich habe eher Angst um das Leben der mir anvertrauten Schüler. Ich selbst fürchte mich nicht davor, dem unausweichlichen entgegenzutreten, wann und wo es mich auch finden wird." Er reichte Julius die rechte, mit einem Purpurhandschuh verhüllte Hand. Julius wagte nicht, danach zu fragen, warum er die Hand nicht offen trug. Auroras Bild-Ich hatte es ihm ja schon längst erzählt, daß er sich dort etwas nachhaltiges eingefangen hatte. Dann winkte der altehrwürdige Zauberer Pina zu, sie möge ihn begleiten. Friedebold Eschenwurz hieb Julius noch einmal auf die Schulter und sagte auf Englisch mit Akzent:
"Bestell meiner kleinen Waltraud schöne Grüße von ihrem Opapa Friedebold!"
"Joh, mach ich, Herr Eschenwurz", sagte Julius.
Friedebold Eschenwurz sagte was zu Carbonius Pumphut, der was erwiderte und dann mit ihm abrückte.
"So, wir können jetzt zurück nach Beauxbatons", sagte Professeur Faucon, wobei sie noch immer Englisch sprach. Martha fragte sie, ob sie erst die zweite Dosis des Wechselzungentranks einnehmen wolle. Darauf sagte Professeur Faucon, daß sie dies erst in der Schule tun wolle.
"Bis morgen früh habe ich wohl ruhe", sagte Catherine zwinkernd. "Es sei denn, Babette hat ihren Vater bezirzen können, solange aufzubleiben, bis ich wiederkomme."
"Wovon wohl auszugehen ist", grummelte Professeur Faucon. "Schlaft gut, ihr beiden." Sie deutete auf Catherine und ihren Bauch und verabschiedete sich auch von Martha.
Als die beiden in Paris wohnenden Frauen in das Museum hineingetreten waren und Gloria mit Julius hinter Professeur Faucon her zurück zum Ausgangskreis lief, fragte Gloria, warum Professeur Faucon seiner Mutter nicht gestehen wollte, daß sie immer schon Englisch sprechen konnte. Professeur Faucon hörte das wohl. Denn als sie am Ausgangskreis standen wandte sie sich zu ihr um und sagte ruhig:
"Es ist sehr entgegenkommend von dir gewesen, Martha Andrews nicht zu erzählen, daß ich eurer Muttersprache mächtig bin, Gloria. Es geht mir auch nicht um sie, sondern um meinen Schwiegersohn. Er bildet sich leider ein, daß seine Muttersprache die Weltsprache Nummer eins ist. Kommt ja, wie ich nun zu Genüge weiß, nicht von ungefähr. Damit er mit Catherine weiterhin unsere kultivierte Sprache pflegt muß ich ihm gegenüber den Anschein wahren, ich sei seiner Muttersprache immer noch nicht mächtig. Selbes gilt für Babette."
"Spätestens wenn Babette in Beauxbatons ist fliegt das doch auf", meinte Gloria unbefangen.
"Nur, wenn sie meint, sich erkundigen zu müssen, was ihre gestrenge Grandmaman alles kann", sagte professeur Faucon. Julius dachte sich, daß Lügen nie lange gut gehen konnten. Aber er sagte nichts. Diesmal war es nicht sein Problem, wer wem was vorschwindelte. Er hatte ja schließlich auch seine Geheimnisse, von denen er keinem was erzählen durfte. So kehrten sie nach Beauxbatons zurück, wo Julius im grünen Saal Waltraud den Gruß von ihrem Großvater überbrachte und den Kameraden erzählte, was alles so los war.
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Die nächste Woche verstrich fast wie bisher. Es kam halt nur häufiger vor, daß Julius zusammen mit Belisama und Gloria besprach, was ihr und ihm zu Jane Porter durch den Kopf ging. Manchmal kamen auch Mildrid und Sandrine dazu. Julius hatte es irgendwie als gute Trauerbewältigungstherapie verstanden, daß Gloria sich häufig um Constances Baby kümmerte. Auch führte er Gloria häufig zu Goldschweif, deren Kinder langsam immer gewandter wurden. Gloria lebte dabei regelrecht auf, wenn sie eines der Kleinen auf den Arm nehmen konnte. Sie hatte nur Angst, das die noch nicht einziehbaren Krallen der Knieselkätzchen ihre Bluse oder ihre Arme anritzten.
"Sie ist traurig, weil die Mutter ihres Vaters nicht mehr lebt", schnurrte Goldschweif Julius zu, als er sie auf seiner Schulter hatte. "Sie sucht jemanden, für den sie da sein kann."
"Sie passt auf Constances Kind auf", flüsterte Julius, während Gloria mit Drahtbürste und Leonardo spielte, während die kleine Prinzessin mit ihrem Bruder Leckermaul balgte, wobei sie versuchten, sich gegenseitig in den Schwanz zu beißen.
"Ich denke, sie würde gerne mit einem deiner Jungen zusammensein", sagte Julius leise.
"Oder eigene Junge haben", maunzte Goldschweif. Dazu schwieg Julius. Erst als sie die Knieselkinderstube hinter sich gelassen hatten erzählte er seiner Kameradin, was Goldschweif meinte.
"Das sieht ihr ähnlich", lachte Gloria. "Am besten sollen wir beide uns einen ruhigen Platz suchen, wenn ich merke, es könnte klappen und dann sehen, wie weit wir kommen, bevor irgendwer von der Schule uns erwischt und uns runterwirft, wie?"
"Bei Goldschweif ist das kein Problem. Fühlt Weibchen sich einsam, sucht es sich Männchen aus, läßt sich schwängern und hat dann wen zum drauf aufpassen."
"Klingt jetzt nicht gerade ernst, Julius. Aber ich verstehe, was du meinst. Ich fürchte nur, es gibt viele junge Mädchen in den Muggelschulen, die so gestrickt sind und sich auf alles einlassen, um nicht alleine rumziehen zu müssen, bis sie dann allein zu zweit sind und die Jungs sich schön weit fernhalten, allen voran der, der ihr das eingebrockt hat."
"Einbrocken klingt jetzt irgendwie zweideutig, Gloria", feixte Julius. Sie lachte. Ja, sie konnte wider lachen. Dann meinte sie:
"Ich weiß, warum Oma Jane dich gerne um sich hatte und warum Professeur Faucon froh ist, dich hier zu haben, Julius. Du findest zu allem einen schönen Spruch, ob er passt oder nicht."
"Dann sollten wir machen, daß wir wieder in den Palast kommen, bevor sie dir oder mir was einbrockt, was später nicht Mum oder Maman oder Mom zu dir sagt", legte Julius noch einmal nach.
"Das wär's auch noch, ein Kind von Professeur Faucon. Danke verbindlichst", erwiderte Gloria.
"Och, deiner Oma Jane hätte das bestimmt gefallen, was von dir und Bläänch auf dem Schoß zu haben", wagte Julius eine nicht ganz so taktvolle Anspielung. Doch Gloria fiel dadurch nicht von ihrer gelösten Stimmung ab. Sie meinte:
"Klar, dann könnte sie sich mit ihr gut käbbeln. Aber selbst in der Zaubererwelt geht sowas nicht. Die einzige Art, daß eine Frau ein Kind ohne Mann bekommen hat ... Die kennst du ja zu gut."
"Das stimmt", erwiderte Julius.
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Sie will kein Junges von Julius? Das wäre doch schön, wenn sie mit ihm eins hätte. Aber wenn sie ihn nicht für den richtigen hält wird sie wohl wissen, ob es richtig ist. Andere haben da keine Schwierigkeiten. Die wollen eins mit ihm, aber trauen sich nicht richtig, weil die Olympe, die jetzt auf uns hier aufpasst und das stärkste Weibchen hier ist die davon abhält. Vielleicht will sie nicht, das kleinere und jüngere Weibchen Junge kriegen, während sie keines hat. Ich weiß das von Ratten und Mäusen, daß da auch nicht jedes Weibchen einfach so Junge haben darf, bevor die stärkeren Weibchen welche gekriegt haben. Vielleicht sollte ich Julius mit ihr zusammenbringen, damit Gloria auch ein Junges haben darf. >
"Ja, Leckermaul, ich weiß!" Rufe ich, weil Leckermaul wieder Hunger hat.
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Die letzten Tage des Februars flossen dahin wie schlammiges Wasser. Glorias Stimmung besserte sich ein wenig auf. Das lag wohl im wesentlichen daran, daß sie sich noch mehr mit ihren Klassenkameraden aus dem weißen Saal angefreundet hatte und mit den älteren Mädchen Deborah und Constance viel Zeit verbrachte, wie Julius von Sixtus Darodi, dem Pflegehelferkameraden wußte. Dann kam der März und mit ihm das nächste Quidditchspiel.
Julius machte sich nicht sonderlich viel aus dem Spiel der Weißen gegen die Blauen. Er saß zusammen mit seinen Mannschaftskameraden und schaute dem Spiel zu, das ein offener Schlagabtausch war. Links neben ihm saß Millie Latiere von den Roten und grinste fortwährend über Brassus Kommentare, die mal witzig und mal hart an der Grenze zur Beleidigung waren, besonders wenn er Corinne Duisenberg als "Kugelblitz" bezeichnete, wenn sie mal eben im Hui am Sucher der Weißen vorbeizischte. Zwar schossen die Weißen zwanzig Tore, während die Blauen nur zehn hinbekamen. Dafür holte Corinne aber in der neunzigsten Spielminute den Schnatz und damit 150 Punkte dazu, so daß die Blauen mit 250 Punkten gewannen. Das trug den Spielern der Weißen natürlich den überragenden Spott der Zuschauer aus dem blauen Saal ein.
"Die Weißen bringen's fertig und spielen um die rote Laterne", meinte Julius, nachdem er eben die bisherigen Punktestände durchgerechnet hatte. Millie meinte dazu:
"Sieht Camus ähnlich, sich durchhängen zu lassen, wenn vorne nix mehr geht. Der geht jetzt nur noch auf UTZs aus und einer gewissen Mademoiselle Montpélier schön weit aus dem Weg."
"Das ist doch wohl seine Sache, Mildrid", knurrte Waltraud, die rechts von Julius saß.
"Offenbar nicht, Mademoiselle Waltraud", nahm Millie den Ball auf. "Sonst hättest du jetzt nix dazu gesagt." Julius mußte anerkennen, das Millie nicht ganz unrecht hatte. Dann sah er, wie die Gratulanten das Feld stürmten. Patrice gratulierte ihrer Nichte, und auch die Rossignol-Zwillinge ließen sich wieder auf dem Platz sehen, um der siegreichen Mannschaft zu gratulieren.
"Na, Julius, möchtest du Corinne nicht noch einmal huckepack tragen?" Fragte Millie herausfordernd.
"Das machen die Rossignols schon mit der", sagte Julius und deutete auf Corinne, die wieder von den Zwillingsbrüdern wie ein großer Handball herumgeworfen wurde. "Eins muß man denen lassen. Tolle Muckis haben die schon", gestand er ein. "Die kullern die rum wie einen Luftballon."
"Du bist stärker als die", sagte Millie leise. "Du hast sie fast fünf Minuten auf dem Buckel getragen."
"Was soll der Schmus?" Knurrte Waltraud Millie zugewandt.
"Nur weil du Bernie im Zaubertrank, Tierwesenkunde und anderem über bist brauchst du nicht zu denken, an mir rumkritisieren zu dürfen, Waltraud", erwiderte Millie kampflustig. "Du hast es doch auch gesehen, daß Julius die kleine, dicke Duisenberg richtig gekonnt auf den Schultern getragen hat. Aber, kommt, wir wollen auch schön gratulieren."
Julius wollte zwar alleine zu den Blauen vordringen, um zu gratulieren. Aber Virginie kam ihm bei Corinne zuvor, und Millie blieb in seiner Nähe, warum auch immer. Belisama und Constance trösteten derweil die Weißen. Auch Callisto Montpélier war heruntergekommen, um Edgar zu gratulieren. Doch dieser flüchtete sich zu Professeur Trifolio, der gerade herunterkam.
"Ich weiß nicht was die will", sagte Julius. "Er zeigt doch deutlich, daß er nichts von ihr will."
"Na und? Die meint halt, er gehört schon ihr."
"Ich weiß, in Frankreich haben die Hexen etwas mehr zu melden als anderswo. Aber der Typ steht nicht auf die", sagte Julius.
"Sagt wer?"
"Siehst du doch, wie der vor der in Deckung geht."
"Stimmt, hast recht", sagte Millie. "Womöglich hat sie ihn schon für ihren Besen vorbuchen wollen, und Eddie will erst einmal frei in der Welt rumlaufen."
"Soll sein", tat Julius diese Bemerkung ab.
In der kommenden Woche herrschte zwischen den Weißen und Blauen eine eiskalte Stimmung. Julius bekam davon viel mit, wenn er durch den Palast ging und hier und da Leute aus dem einen und dem anderen Saal traf, die sich gegenseitig böse angifteten. Patrice Duisenberg hatte in ihrer Eigenschaft als Pflegehelferin dafür gesorgt, daß ihre ein Jahr ältere Nichte immer einen Geleitschutz hatte. Jacques Lumiére hatte diese Aufgabe sehr gerne übernommen, galt es doch, mögliche Radaubrüder aus dem weißen Saal zu vermöbeln. Belisama Lagrange erzählte es Julius vor der nächsten Kräuterkundestunde, daß sich Corinnes Leibwächter mit Sechstklässlern aus dem weißen Saal ein kurzes Gerangel geliefert hatten. Gloria meinte dazu, daß die Slytherins und Gryffindors in Hogwarts auch häufig so miteinander umgingen, bevor sie gegeneinander Quidditch spielten.
"Stimmt, das war im ersten Jahr, wo ich das ja mitbekommen habe. Im zweiten Jahr gab's ja kein Quidditchturnier in Hogwarts."
"Ja, aber das kann doch nicht so weitergehen", meinte Belisama.
"Die Weißen sind nur sauer, weil sie jeder bisherige Gegner geputzt hat, am besten wir."
"Bitte was?" Fragte Belisama. Gloria mußte grinsen.
"Er meint, daß eure Mannschaft gegen alle bisherigen Gegner verloren hat", sagte sie. Julius nickte. Belisama nickte ebenfalls,
Am Freitag der Woche nach dem Spiel prangten große Plakate in den allgemeinen Räumen von Beauxbatons, wie dem Speisesaal, dem großen Lesesaal der Bibliothek und den sechs Wohnsälen.
"Millemerveilles, das zauberhafte Zaubererdorf in Mitten der üppigen Gärten der Provence gibt sich die Ehre, alle die reinen Herzens und frohen Mutes sind in den wochen vom zehnten März bis zum einundzwanzigsten März zur großen 750-Jahr-Feier einzuladen. Wir, die Bürger Millemerveilles, haben für alle, die Zeit und Lust haben ein buntes Programm mit Musik, Tanz, Tier- und Gartenschau vorbereitet. Es gibt viel zu bestaunen und zu erfahren, was seit der Begründung am vierzehnten Tage des März 1247 so alles geschah, aus dem Nichts ans Licht, durch dunkle Zeiten zurück an die Sonne und zur beschaulichsten Siedlung der französischen Zaubererwelt. Atmet, schmeckt, fühlt, riecht, horcht und erblickt die Geschichte und Geschichten unserer friedlichen Heimat! Wir freuen uns auf euren Besuch!"
"Die maxime läßt uns doch nicht etwa mal eben nach Millemerveilles rüber", meinte Hercules. Robert sagte dazu:
"Dann hätten die das hier nicht aufhängen dürfen. Bertillon oder Königin Blanche kann das nur in unserem Saal aufgehängt haben. Mir schwant da sowas, daß die Lehrer diesen Aushang benutzen, um ein eigenes großes Ding durchzuziehen. Was meinst du, Julius?"
"Warum fragst du mich das?" Fragte Julius zurück.
"Du wohnst doch da quasi, oder ... Okay, wenn das jetzt fies war", sagte Robert mit errötendem Gesicht.
"Wenn es nach einigen Damen und Herren da ginge würde ich echt nur noch da wohnen", sagte Julius unbeeindruckt. Immerhin wußten es alle, daß er trotz Claires Tod immer noch mit denen in Millemerveilles gut auskam. Außer Claire, die eben nicht mehr da war, wohnte ja im Moment keiner mehr im grünen Saal, der oder die aus dem beschaulichen Zaubererdorf stammte. "Aber ich stimme dir zu, daß die Lehrer hier ihr eigenes Ding aufziehen wollen. Nach dem Aushang hier wäre ja für jeden was dabei. Außerdem könnten die uns vor die Wahl stellen, schön fleißig in der Schule zu sein, um da hinzufahren oder zuzusehen, wie die anderen hinfahren."
"Wußte ich doch, daß die das nicht umsonst hier hingehängt haben", knurrte Hercules. Robert meinte, daß das wohl so ähnlich wie beim trimagischen Turnier ablaufen würde. Die Besten durften für ein Wochenende dahin und dann war Ruhe. Julius überlegte und nickte dann. einerseits freute er sich, wenn er an den Jubiläumsfeiern teilnehmen konnte. Andererseits war ihm nicht so wohl bei dem Gedanken, daß er nach Millemerveilles feiern ging, ohne Claire, die ihm sicher noch einige schöne Plätze hätte zeigen können. Doch die Leute dort hatten ihn nicht verstoßen, nachdem Claire aus ihrer Mitte verschwunden war. Doch er fand, daß seine Klassenkameraden wohl recht hatten, und die Lehrer diesen Aushang nur deshalb frei einsehbar hingehängt hatten, weil sie damit was bezweckten. Hier in Beauxbatons lief nichts nur zum reinen Vergnügen der Schüler ab.
"Wir können Königin Blanche ja fragen, wenn wir wieder bei ihr haben. Morgen ist ja schon der erste Tag dieser anderthalb Wochen, wenn ich das hier richtig lese", sagte Gérard. die anderen Jungen stimmten zu.
Im Speisesaal gebot Madame Maxime Ruhe. Dann sagte sie:
"Werte Kolleginnen und Kollegen, liebe Schülerinnen und Schüler. Sie haben sicherlich alle die Bekanntmachung gelesen, die der Dorfrat von Millemerveilles in Zusammenarbeit mit dem Festkomitee sowohl bei uns als auch anderen wichtigen Orten der französischen Zaubererwelt verteilt hat. Sie haben sich sicherlich gefragt, inwieweit es uns hier in Beauxbatons betrifft. Nun, ich möchte Ihnen allen mitteilen, warum ich die Verbreitung dieser Bekanntmachung erlaubt habe." Alle Schülerinnen und Schüler sahen sie sehr erwartungsvoll an, während die Lehrer ruhig auf ihren Plätzen saßen. "Es ist Ihnen allen bekannt, daß die Geschichte der französischen Zaubererwelt maßgeblich von den Bürgerinnen und Bürgern Millemerveilles mitgestaltet wurde." Am Tisch der Roten grinsten die Latierres leicht spöttisch. Doch Madame Maxime fuhr unbeeindruckt fort: "Somit wurde auch die Geschichte unserer ruhmreichen Akademie von vielen Hexen und Zauberern aus Millemerveilles entscheidend mitgestaltet. Viele wichtige Persönlichkeiten der Zaubereigeschichte Frankreichs waren vorher Schüler dieser Lehranstalt, und so mancher von ihnen kehrte als Mitglied des Lehrkörpers in den Schoß der guten alten Maman Beauxbatons zurück, um weitere Generationen von Hexen und Zauberern auszubilden. Andere leisteten großes in der Welt, wenngleich man natürlich nicht vergessen darf, daß es neben den ganzen Lichtgestalten der Geschichte auch Dunkelheit und Furcht verbreitende Personen gab." Julius fiel sofort der Name Sardonia ein. Er dachte daran, daß sie vielleicht diejenige war, die die Hexentruppe angeführt hatte, die Hallittis Höhle gestürmt hatten. Oder war es vielleicht doch ihre Nichte Anthelia?
"Jedenfalls ist die Geschichte Millemerveilles untrennbar mit der Geschichte der Beauxbatons-Akademie verknüpft und wird es, sofern Millemerveilles und die Akademie auch weiterhin bestehen, in den nächsten Jahrhunderten auch noch sein. Deshalb, Mesdames, Mesdemoiselles et Messieurs, sehe ich es als große Ehre an, wenn die Akademie von Beauxbatons an den Feierlichkeiten zum siebenhundertfünfzigsten Jahrestag des Bestehens von Millemerveilles teilnimmt. Allerdings gebieten uns Ausbildungsgesetz und Organisation, das wir eben nicht die ganzen zwei Wochen dort zubringen können, sondern wenn dann nur zwei Tage dort verweilen können. Da ja bedauerlicherweise im letzten Jahr Mademoiselle Claire Dusoleil gewaltsam aus unserer Mitte gerissen wurde, welche eine junge Bürgerin Millemerveilles war, wissen wir alle, die wir ihrer feierlichen Bestattung beiwohnten, daß es nur eine Frage von zehn Minuten ist, alle hiesigen Lehrer und Schüler nach Millemerveilles zu bringen. Das Kollegium von Beauxbatons hat in Übereinstimmung mit mir beschlossen, daß wir den eigentlichen Jahrestag und den Tag darauf, also den vierzehnten und fünfzehnten März dort mitfeiern wollen. Allerdings haben wir in einer diesbezüglichen Konferenz beschlossen, daß nicht einfach so alle Schüler dort hingehen können, sondern daß nur die dort hingebracht werden mögen, die es hinbekommen, einen Tag vor dem vierzehnten März einen Disziplinarquotienten über zehn zu halten."
"Boing!" Flüsterte Julius. "Das also war der Kracher, den sie sich ausgedacht haben." Viele Schülerinnen und Schüler, vor allem die aus dem blauen und roten Saal raunten ungehalten. Für einige war das wohl unmöglich, den sogenannten DQ, der sich aus der in einer Woche erhaltenen Summe Bonuspunkte durch die Summe der in derselben Woche erhaltenen Strafpunkte ergab, über 10 zu halten. Dabei war das eigentlich ziemlich einfach, fand Julius. Man mußte halt aufpassen, daß man für zehn Bonuspunkte nur einen Strafpunkt abbekam, nach Möglichkeit keinen Strafpunkt riskierte. Aber gerade das erschien den meisten hier unmöglich. Ja, und auch er wußte es, daß Strafpunkte leichter zu kriegen waren als Bonuspunkte. Zwar stand sein DQ gerade bei 20. Aber wenn er von irgendwem für irgendwas 50 Strafpunkte kassierte, konnte er locker unter 10 rutschen.
"Die Bewährungswoche beginnt mit dem morgigen Tag und hält vor bis zum sechzehnten März", verkündete Madame Maxime unerbittlich. "Es steht jedoch jedem frei, auf den Besuch in Millemerveilles zu verzichten. Es ist keine schulische Verpflichtung, sondern ein Angebot." Professeur Trifolio, der Vorsteher des weißen Saales, sah Madame Maxime überrascht an, als habe er mit dieser Äußerung nicht gerechnet. Madame Maxime sagte dann noch: "Ich möchte nur darauf hinweisen, daß einige Mitglieder des Lehrerkollegiums den Anlaß nutzen möchten, um dort vor Ort einige interessante Vorführungen für Interessierte zu gestalten oder zu begleiten. Mehr über die Organisation werde ich einen Tag vor dem vierzehnten März verkünden. Alle Interessenten mögen sich bei ihren Saalsprechern anmelden, die den jeweiligen Vorsteherinnen und Vorstehern die Listen übergeben. Wer dann teilnimmt ergibt sich aus dem von mir erwähnten Disziplinarquotienten. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. Guten Appetit!"
"Würg!" Stieß Hercules aus. "Deshalb machen die den Krempel mit. Wußte doch, daß die das nicht zum Spaß an der Freude ausgehangen haben."
"Tja, dann kuck mal, daß du deinen DQ schön über zehn hältst, Culie, wenn du den berühmten Zaubertiergarten von Millemerveilles besuchen möchtest", feixte Gérard.
"Wenn du da hinwillst, Gérard, um mit deiner Süßen zwischen den Gehegen zu flanieren nennst du mich besser bei meinem vollen namen, Gérard. Sonst nehme ich dich mit unter DQ 10", drohte Hercules an. Gérard verstummte.
"Trifolio sah so aus wie ein Säugling, dem man den Schnuller aus dem Mund gepflückt hat", feixte Robert. Julius mußte grinsen. Dann setzte er dem einen drauf:
"Wahrscheinlich will er den "Interessierten" die grüne Gasse präsentieren. Da könnte ihm nur Madame Dusoleil in die Quere kommen, die sich da immer noch besser auskennt als er."
"Uäää", immitierte Hercules den Schrei eines Babys. "Dann wird der achso kompetente Professeur Trifolio wohl Probleme haben, wenn er nicht hinten mitmarschiert sondern voranlaufen will."
"Anstatt uns jetzt über irgendwen oder irgendwas auszulassen macht euch erst mal klar, ob ihr zu dieser Jubiläumsfeier hinwollt oder nicht. In drei Wochen sind Osterferien. Da können wir so oder so nach Millemerveilles", meinte Robert. Julius nickte nur zustimmend.
"Gehst du hin, Julius?" Fragte Hercules.
"Wenn ich den DQ nicht versemmel werde ich wohl hingehen. Immerhin waren die Leute da immer sehr freundlich zu mir. Abgesehen davon meinte Madame Maxime irgendwas von wegen Geschichte der französischen Zaubererwelt. Ich bin gespannt, wie die da ihre Geschichte vorstellen."
"Tja, es darf dann nur keiner einen tragbaren Sumpf über diesem Musikpark runterfallen lassen", gab Robert gehässig zur Antwort.
"Den ließen die dann nicht mehr weg, ehe der den Dreck weggemacht hätte", knurrte Julius. Ob das jetzt wirklich sein mußte, ihn an den Ausrutscher Kevin Malones zu erinnern?
"Also wenn mein DQ über zehn bleibt will ich auch dahin", verkündete Hercules. "Dieser Tierpark soll der in Frankreich größte seiner Art sein. Nur, daß die da keine Latierre-Kühe und Drachen halten."
"Das stimmt", bestätigte Julius. Zu gut erinnerte er sich noch daran, daß er für Professeur Faucon, die in Millemerveilles selbst "Madame Faucon" genannt wurde, einen Aufsatz über die dort gehaltenen Tiere schreiben mußte, nur weil er einmal zehn Minuten später als von ihr verlangt in ihr Haus zurückgekehrt war.
"Wer sich dafür anmeldet muß brav und artig sein", meinte Gérard. "Die Lehrer werden jetzt noch lockerer mit Strafpunkten jonglieren, und unsere Saalsprecher könnten ihre Macht ausreizen, für die kleinsten Sachen welche draufzuhauen. Ist euch das eigentlich klar?"
"Mit anderen Worten, wer sich nicht für den Ausflug anmeldet bekommt eine Lizenz zum unartig sein", sagte Julius dazu. Alle Jungen seiner Klasse außer Gérard lachten darüber. Robert meinte dazu noch:
"Die Saalsprecher wissen genau, daß die bei uns verschissen haben, wenn die für jeden Kleinkram gleich die Strafpunktekeule schwingen. Giscard will ja noch ein Jahr mit uns aushalten, und Virginie will ihrer Mutter bestimmt nicht als total verstörtes Gör nach Hause kommen." Julius nickte. Wenn die Saalsprecher jetzt meinten, Strafpunkte am Fließband vergeben zu müssen würden sie innerhalb einer Woche sehr unbeliebt sein. Da nützte ihnen dann auch ihre Autorität nichts mehr, wenn alle sie zu Unpersonen abstempelten, die man entweder links liegen lassen oder tyrannisieren durfte. Selbst wenn dafür noch mehr Strafpunkte abfielen war das für einen ziemlich bitter, vor allem, wenn er oder sie noch ein Jahr hierbleiben mußte.
Die Jungen der vierten Klasse, außer Gérard beschlossen, sich gleich nach dem Abendessen an Giscard zu wenden, damit der sie in die Interessentenliste eintrug. Julius scherzte, daß das dann die Brav-und-ungezogen-Liste wie beim Weihnachtsmann sei. Robert grinste dazu nur.
Tatsächlich waren die Viertklässler nicht die einzigen, die sich gleich nach dem Essen von Giscard und seinem Stellvertreter in die Liste eintragen ließen. Schon an diesem Abend war die Liste so lang, daß Giscard drei Rollen Pergament an Professeur Faucon weiterreichte. Er sagte dann noch:
"Wer jetzt auf der Liste steht muß nun gut aufpassen, seinen DQ nicht unter zehn abrutschen zu lassen. Damit das auch hier nicht so aussieht, als wenndas eine Erlaubnis für uns Saalsprecher ist, wie wild Strafpunkte an die auszuteilen, die draufstehen: Virginie und ich stehen auch auf der Liste. Wenn wir willkürlich werden, kriegen wir auch Strafpunkte, und damit könnte unser DQ unter den entsprechenden Wert rutschen."
"Madame Maxime hat nix gesagt, was denen blüht, die auf der Liste stehen und ihren DQ nicht auf dem Wert halten, bevor der Ausflug steigt", sagte einer der Fünftklässler.
"Hmm, das gehört wohl zu der Rubrik "Näheres verkünde ich einen Tag vor dem vierzehnten März!", Leute", sagte Virginie Delamontagne. Ein leises Murren war die Antwort.
Abends nach der Bettkontrolle lag Julius einige Minuten so da. Er dachte an alles, was ihn mit Millemerveilles verband, von seiner allerersten Reise dorthin, die Begegnung mit den Dusoleils, wie Claire und er die goldenen Tanzschuhe gewonnen hatten, die Schachturniere, seine Geburtstaggsfeiern dort, die Hochzeiten von Jeanne und Barbara, der Dementorenangriff, den er mit abgewehrt hatte und der indirekt dazu führte, daß er auch von den Latierres als gern gesehener Gast, ja erklärtes Familienmitglied betrachtet wurde, ja daß er durch das Ritual Ursuline Latierres jeden Morgen frisch und munter war und ihm wohl so schnell keine ansteckende Krankheit was anhaben konnte, all das verdankte er Millemerveilles und seinen Bewohnern. Er dachte daran, wie viele schöne Monate er mit Claire verbracht hatte, die ihm zeigten, daß er Liebe fühlen und erwidern konnte. Schließlich dachte er an die Beisetzung von Claires sterblicher Hülle. All diese schönen aber auch traurigen Dinge verbanden ihn mit Millemerveilles und Millemerveilles mit ihm. Er gehörte wirklich schon zu der Gemeinde dieses friedlichen Dorfes.
"Julius, schläfst du schon?" Wisperte Aurora Dawns gemaltes Ich. Julius setzte sich hin und sah zu ihr hoch. Der Schnarchfängervorhang hing ordentlich zugezogen um das Bett herum. Keiner konnte ihn nun belauschen.
"Ja, bitte, Aurora?" Fragte er.
"Viviane wollte gleich vorbeikommen, nachdem sie irgendwas erledigt hat. Sie meinte, ich sollte sehen, ob du schliefest. Morgen sei ja samstag, und da müßtet ihr nicht so wach wie möglich sein."
"Was möchte Viviane denn von mir, weißt du das?" Fragte Julius.
"Eigentlich wollte sie dir nur eine Frage stellen, die sie mir aber nicht weitergegeben hat. Sie meint, von der Antwort hinge ab, ob sie was bestimmtes regeln müsse oder nicht."
"Wenn sie meint, ich möchte wieder zu euch in die Bilderwelt hinüberkommen, Madame Maxime hat mein Intrakulum. Vielleicht hat sie es schon zerstört oder dem Minister zurückgegeben. Ich wollte es ja nicht mehr haben", sagte Julius.
"Eben das weiß ich ja nicht. Ich sollte nur sehen, ob du schliefest, ihr das sagen und nichts weiter", erwiderte Aurora Dawn. Dann nickte sie und verschwand nach rechts aus ihrem Bild.
"Was Viviane jetzt will. Vielleicht will sie mir was zu den Latierres erzählen, wenn ich ihr eine bestimmte Frage beantworte", dachte Julius. Eine Minute später betrat Viviane Eauvive in ihrem wasserblauen Seidenkleid das große Bild Aurora Dawns. Julius sah sie erwartungsvoll an.
"Hallo, junger Mann. Du fragst dich jetzt bestimmt, was ich von dir möchte, oder?" begrüßte sie ihn. Er nickte nur. "Nun, es ist eine simple Frage, die du mir beantworten möchtest. Ich glaube, das hat Aurora Dawn dir schon erzählt." Wieder nickte Julius. Er fühlte eine innere Anspannung, daß er gleich etwas hören oder sagen würde, was sein Leben wieder radikal ändern mochte, wie damals der Ausflug in die Bildergalerie von Hogwarts, die Recherche im Internet, bis hin zu Gregorians Bild und dem, was dem folgte. "Also, Julius, was verbindest du mit dem Wort Reichenbach?"
Julius zuckte mit den Wimpern. Das war die Frage? Andererseits, was fing er mit dem Wort an? Das war in der Tat eine Frage. Doch irgendwie hörte er bei dem Wort etwas in seinem Gedächtnis anklingen, das er jedoch nicht erkennen konnte. Es war so, als röche er Salzwasser, ohne das Meer sehen oder hören zu können. So sagte er: "Irgendwas ist mit dem Wort. Ich muß aber genauer drüber nachdenken. Unbekannt ist es mir nicht."
"Hmm, das hätte ich natürlich bedenken müssen, daß du mit dem Wort nicht sofort was anfangen kannst", murmelte Viviane. Für sie war das natürlich jetzt ein Problem, weil sie keine direkte Antwort bekommen hatte, dachte Julius. Dann meinte sie: "Ich gebe dir bis morgen abend Zeit, darüber nachzudenken. Allerdings möchte ich, daß du diese Frage an niemanden weitergibst, weder gemalt noch natürlich."
"Ist die Antwort darauf so wichtig?" Fragte Julius.
"Elementar", erwiderte Viviane. Da schien es, als träfe Julius ein Stromschlag. Das Wort "Elementar" hatte bei ihm das ungreifbare greifbar gemacht. Er erinnerte sich, daß er sich mit seiner Mutter häufig über alte Krimis unterhalten hatte, und sie eine glühende Anhängerin des Meisterdetektivs Sherrlock Holmes war, dessen Methoden sie sehr bewunderte, wenngleich sie trotz ihrer logischen Denkweise nicht immer damit arbeiten konnte: Beobachtung und Schlußfolgerung, alles unmögliche auszuschließen, so daß was übrig blieb, auch wenn es noch so unwahrscheinlich erschien, die einzig wahre Lösung darstellte. Wahrscheinlich war er deshalb in Hogwarts und jetzt in Beauxbatons gelandet, weil sie schneller als sein Vater begriffen hatte, daß Professor McGonagall damals richtig gezaubert hatte. Er erinnerte sich auch, daß alle Welt traurig zur Kenntnis nehmen mußte, daß der große Meisterdetektiv gestorben war, als er gegen seinen Erzrivalen, Professor James Moriarty, Mann gegen Mann gekämpft hatte ... und dabei mit diesem in die Tiefen der Reichenbachfälle in der Schweiz gestürzt sei. Seine Mutter hatte ihm erzählt, daß der Erfinder von Sherlock Holmes ihn wohl damals loswerden wollte. Das Problem war nur, die Fans wollten ihn wiederhaben. So hatte der arme Autor seinen berühmten Helden nach Jahren unverhofft wieder auftauchen lassen und eine Erklärung abgeliefert, wieso es so aussah, als sei er gestorben, in Wirklichkeit aber durch einen Ringkampftrikc aus dem Kampf als Sieger hervorgegangen, an der Wand hochgeklettert und dann, als man aufhörte, nach ihm zu suchen, untergetaucht, weil von Moriartys Leuten noch einige gefährliche Typen herumliefen, denen er erst beikommen mußte. So sagte er zu Viviane, daß er eine Geschichte kenne, in der ein Held mit seinem Widersacher über einem Wasserfall gekämpft habe und sein Freund weder von ihm noch dem Bösewicht eine Spur gefunden habe und daher angenommen wurde ...
"Das er tot sei", sagte Viviane. "Wie hießen denn diese beiden Personen?"
"Der Gute hieß Sherlock Holmes, ein Detektiv, also Verbrechensbekämpfer. Der Gegner hieß Professor James Moriarty, offiziell unterrichtete der Mathematik, und im Geheimen führte er eine weit verzweigte Verbrecherorganisation. Aber irgendwie ist Holmes wiedergekommen, weil der, der die Geschichten über ihn erfunden hat von den Lesern bedrängt wurde, doch bitte wieder von ihm zu erzählen."
"Ja, aber die Leute, die die Geschichten damals gelesen haben dachten, diese Heldenfigur sei wahrhaftig gestorben", wandte Viviane ein. Julius nickte. "Das nehme ich jetzt mal als Antwort auf meine Frage zur Kenntnis. Wie gesagt, sage bitte niemandem was davon, daß ich dir die Frage gestellt habe! Du hörst wieder von mir." Mit diesen Worten verschwand sie aus Auroras Bild. Julius starrte auf die im Moment leere Hintergrundansicht des Gemäldes, die nicht viel zu bieten hatte. Er sah sich vorsichtig die anderen Bilder an. Die Musikzwerge lagen starr auf dem gemalten Boden. Claire hatte sie so gemalt, daß sie nur bei Tageslicht lebendig wirkten. Ebenso war das Baumhaus im Kalenderbild verschlossen, weil die gemalten Ebenbilder von ihm und Claire schliefen. Sonst hatte er keine Bilder, die mit denkfähigen Wesen besetzt waren. Er fixierte seinen Blick auf Auroras Bild, um einen festen Punkt zu haben, auf den er sich konzentrieren konnte. Denn in seinem Kopf begannen Gedanken zu kreisen, die abwegig waren und doch eine Erklärung dafür boten, warum Viviane ihm die Frage nach dem Wort Reichenbach gestellt hatte. Mochte es sein? Aber wenn ja, wie dann? Er fühlte sich schwindelig und sank auf seine Kissen zurück. Als Aurora Dawn ihr Bild erneut betrat meinte sie nur:
"Gute Nacht, Julius. Ich weiß, sie will nicht, daß du mir irgendwas erzählst. Also schlaf jetzt bitte!"
Julius wünschte ihr auch eine gute Nacht und drehte sich in seine bevorzugte Schlafstellung. Doch die Gedanken an das, was Viviane von ihm wissen wollte trieben ihn weiter um. Wollte sie ihm damit etwas sagen oder lediglich etwas überprüfen, was im Zusammenhang mit der Frage aufgekommen war? Er überlegte wieder, was an der Sache mit den Reichenbachfällen so außergewöhnlich war. Zum einen hatte Holmes' Freund, Doktor Watson, keine Leiche von ihm gefunden. Zum anderen war der totgeglaubte Detektiv nach Jahren zurückgekehrt und hatte berichtet, daß er gar nicht erst abgestürzt war. Mochte es sein, daß da jemand ihm, Julius Andrews, mit diesemStichwort zu verstehen geben wollte, daß er ... oder sie ... noch am leben war, obwohl alle Welt glaubte ...? Irgendwie erschien ihm das als die einzig wahre Lösung.
"Schließen Sie das unmögliche aus! Was dann noch übrig bleibt, sei es auch noch so unwahrscheinlich, muß die Wahrheit sein", hörte er die Worte des Meisterdetektivs in seinem Kopf. Also wollte er jetzt alles unmögliche ausschließen, eliminieren, wie es in der Wissenschaft so schön hieß. Claire konnte nicht mehr wiedergekommen sein. Denn sie hatten ihren toten Körper gefunden und er persönlich hatte mehrmals mit ihrer neuen Daseinsform Ammayamiria gesprochen. Es sei denn, Ammayamiria habe sich entschlossen, doch wieder einen irdischen Körper zu bekommen und ihre Wiedergeburt hinbekommen. Doch Claire kannte Sherlock Holmes nicht. Julius hatte ihr nie von ihm erzählt, weil er von ihr mehr über die Zaubererwelt lernen wollte als er ihr über die Geschichten der Muggelwelt aufladen wollte. Kannte Jane Porter Sherlock Holmes? Falls er die Frage mit "Ja" beantworten konnte war die Sache sonnenklar. Denn dann hieß das, so heftig ihn das auch treffen mußte, daß sie überlebt hatte, daß sie nicht wirklich gestorben war. Doch dann kam die Frage auf, ob Ardentia Truelane auch überlebt hatte und wenn nicht, mit wem sie zusammen von jener elementaren Zauberkraft vernichtet worden war? In Gedanken stellte er sich Jane Porter nun schlank, hochgewachsen mit kariertem Anzug und Jagdmütze vor, wie sie eine Pfeife anzündete und ihn anstrahlte um dann gegen eine in Kleider des 19. Jahrhunderts gehüllte Ardentia Truelane zu kämpfen, nein, nicht gegen Ardentia Truelane, sondern gegen die Hexe in Rosa, die ihm für einen Moment ihr Gesicht gezeigt hatte. Er sah, wie sie beide sich gegenseitig mit Flüchen beharkten, bis der Todesfluch auf Jane Porter losgelassen wurde. Irgendwie schaffte sie es jedoch, zur Seite zu springen und den Fluch gegen etwas prallen zu lassen, das sofort in hellen Flammen aufging. Beide Hexen disapparierten im selben Augenblick, als ein Feuerball den Ort ausfüllte. So konnte es gehen. Aber warum war dann Ardentia Truelane verschwunden? Entweder hatte sie sich für eine Seite entschieden, nämlich für die Jane Porters, dieser gesteckt, wie die Hexen organisiert waren und ihr den Tipp gegeben, wo sie die Oberhexe fand. Natürlich war das dann zur Geheimsache erklärt worden. Komisch, so erschüttert wie er eben noch war, daß er und viele andere einer Scheinbeerdigung beigewohnt hatten, so merkwürdig erleichtert fühlte er sich, wenn er sich vorstellte, daß Jane Porter nicht gestorben war. Dann dachte er an Gloria, die sichtlich erschüttert war, als sie die Nachricht vom Tod ihrer Oma erhalten hatte, an alle Verwandten, allen voran Jane Porters Eltern, ihrem Mann und ihren Kindern, die nicht geschauspielert hatten. Sie glaubten daran, daß Jane Porter tot war. Wenn sie jetzt doch wider Erwarten noch lebte, hatte sie allen, die sie liebten sehr weh getan, ob sie mußte oder nicht, war dabei egal. Doch vielleicht irrte er sich auch, und die Frage nach dem Reichenbachfall hatte völlig andere Gründe. Vielleicht hatte Viviane auch irgendwas gehört, das mit diesem Wort verbunden war und wollte von ihm, einem Muggelstämmigen, wissen, was dem dazu einfiel. So konnte sich die Frage als völlig bedeutungslos für ihn persönlich herausstellen, und Viviane würde ihm sagen, daß es nur um eine Familienangelegenheit gegangen sei, von der sonst keiner was mitbekommen durfte. Das erschien ihm auch am wahrscheinlichsten. Doch weil er wußte, daß es sehr wenig in der Zauberei gab, das tatsächlich unmöglich war, wollte ihm dieser Gedanke, Jane Porter könnte ihm mitteilen wollen, daß sie noch lebte, nicht so recht aus dem Kopf gehen. Doch war das jetzt ein Strohhalm der Hoffnung, oder fand er keine andere Erklärung mehr? Irgendwie hatte die Aufregung über die Gedanken, die ihm nun durch den Kopf gingen jede Müdigkeit aus den Gliedern getrieben. Wahrscheinlich wirkte die magische Lebenskraft Madame Latierres auch auf ihn ein. So fühlte er sich munter wie nach einem erholsamen Schlaf. Aber er konnte jetzt nicht einfach aufstehen und in den Wohnsaal hinunter. Es war erst elf Uhr abends. Dort waren die Leute aus den Oberklassen noch mit sich und ihren Hausaufgaben beschäftigt. Da er nach Millemerveilles wollte, wollte er sich keine unnötigen Strafpunkte einhandeln. Obwohl, diese Sonderregelung trat erst morgen in Kraft, hatte Madame Maxime verkündet. Aber was sollte er sagen, weshalb er nach der angeordneten Schlafenszeit noch einmal in den Gemeinschaftsraum hinunterstieg? Immerhin könnte er die Toilette besuchen. Das war nicht verboten oder geregelt, wann jemand müssen durfte oder nicht. Doch nur auf dem Klo rumzusitzen und zu hoffen, daß er bald wieder schläfrig genug würde war auch keine tolle Idee. So blieben ihm nur zwei Sachen, sich herumwälzen und hoffen, daß er doch irgendwann einschlief oder lesen. Da Viviane ihn mit ihrer Frage wieder munter gemacht hatte nahm er die Familienchronik der Eauvives aus seiner Centinimus-Bibliothek. Er schlug das Kapitel des Jahres auf, in dem Millemerveilles gegründet worden war. Im Licht seines Zauberstabes las er unter der Bettdecke. Wenn Viviane durch Auroras Bild marschierte, um zu sehen, ob er schlief, wollte er kein Licht leuchten lassen. Außerdem half ihm das sich unter der Decke stauende Kohlendioxyd sicher, müde genug zu werden. Doch wie war das mit dem Ritual? Gifte würden es schwerer haben, ihm was anzutun. Deshalb lag er unter der sich immer mehr erwärmenden Decke, ohne den Drang nach frischer Luft zu verspüren, bis er von sich aus meinte, er habe genug gelesen und den Kopf wieder unter der Decke hervorstreckte. Das Buch hatte ihn gut abgelenkt. Er drehte sich wieder in seine Lieblingseinschlafstellung und hoffte, doch noch einschlafen zu können.
Wann genau er eingeschlafen war, wußte Julius nicht. Er erinnerte sich nicht einmal gut genug an einen Traum, nur daß er Bilder und Geräusche um sich herum hatte, bis die Musik der Mariachis aus dem Bild der Latierre-Zwillinge ihn weckte. Er zog den Vorhang auf, weil er es nicht einsah, daß die anderen nicht mithören durften. Als die mexikanischen Musiker gerade durch Auroras Bild marschieren wollten, nachdem sie erst im Kalenderbild und dann bei den Musikzwergen ihr Unwesen getrieben hatten, stand da jedoch Viviane Eauvive und scheuchte sie zurück.
A fuera y salgan!" Rief sie sichtlich erbost. Tatsächlich hörten die Mariachis zu spielen auf und liefen wie die Hasen durch die Bilder, durch die sie gekommen waren und verschwanden aus dem Viertklässlerschlafsaal.
"Ey, Vivi, das kannst du jetzt jeden Morgen machen", meinte Gérard, als die Musikanten das Weite gesucht hatten.
"Auch wenn Sie von mir nur eine gemalte Erscheinung meiner Selbst erblicken bitte ich mir aus, mich mit meinem korrekten Namen anzusprechen, Monsieur Laplace. Außerdem bin ich nicht wegen diesen Vagabunden hier, sondern um Monsieur Andrews mitzuteilen, er möge sich nach dem Frühstück bei Professeur Faucon einfinden, nur er."
"Ach, schickt Königin-nn ... Professeur Faucon neuerdings ehrenwerte Leute aus der Bildergalerie aus, um wen zu rufen?" Fragte Robert spöttisch.
"Kein Kommentar", erwiderte Viviane Eauvive unwirsch und verließ das Bild.
"Schade, die hätte uns jetzt jeden Tag diese Radaubrüder vom Hals halten können", meinte Gérard. Hercules sagte:
"Komm Gérard, die sind doch lustig. Abgesehen davon will ich wissen, wie die Trompeter so schnelle Töne blasen können, ohne daß denen die Ventile verklemmen oder denen die Luft ausgeht. Das muß ich echt noch lernen."
"Egoist", knurrte Gaston. "Weil der Herr Tätärätätäter wissen will, warum gemalte Musiker besser spielen können als er sollen die uns weiter jeden Morgen vor der sowieso zu frühen Zeit wachtröten."
"Ich habe mich langsam an die Truppe gewöhnt. Haben die Laties mal erwähnt, wo deren Tante die herhat?" Fragte Robert, Julius anblickend. Dieser schüttelte den Kopf. Dann sagte er nur:
"Aus Mexiko ist ja klar. Aber wo da genau weg."
"Was war denn das für'n Spruch, den Vivi gebracht hat?" Fragte Gaston. "Vielleicht kriegen wir die damit immer weggescheucht."
"Schätze ich nicht, weil du nicht mit denen durch die Bilder laufen kannst", sagte Gérard gehässig. Julius nickte.
Nach dem Frühstück wandschlüpfte er vor den Augen seiner Freunde und Klassenkameraden davon. Die waren ihm zu neugierig und wollten wissen, was die Saalvorsteherin von ihm wollte, daß sie die gemalte Saalgründerin durch die Bilder zu ihm geschickt hatte. Julius selbst hatte Vivianes "Kein Kommentar" als Richtlinie genommen, jede gestellte Frage abzublocken. Durch das Wandschlüpfsystem der Pflegehelfer konnten sie ihm nicht folgen, und ob sie es wagten zu Fuß zum Büro Professeur Faucons zu kommen war fraglich, wenn ab heute die Sonderregelung vor dem Besuch in Millemerveilles galt. Immerhin würden die, die hingehen durften ja Schulfrei haben, und das wollte wohl keiner, der dachte, seinen DQ über 10 halten zu können sausen lassen.
"Ah, da sind sie ja", sagte Professeur Faucon, als Julius vor ihrer Tür auftauchte.
"Meine Kameraden sind neugierig. Die wollen unbedingt wissen, warum Sie Magistra Eauvive zu mir geschickt haben", sagte Julius.
"Damit mußte ich rechnen, weil ich sicher sein wollte, daß Sie die Nacht auch in Ihrem Bett blieben. Kommen Sie herein!"
Julius sah, wie Professeur Faucon die Tür magisch verriegelte. Er verhielt sich still, für den Fall, daß die Lehrerin einen Klangkerker aufbauen würde. Tatsächlich beschwor sie jenes ockergelbe Leuchten herauf, das sich auf alle Wände, den Boden und die Decke legte. Dann gebot sie Julius, sich hinzusetzen.
"Es wird gleich was eintreten, was du besser im Sitzen erwarten solltest", sagte sie, nun wieder die vertrauliche Anrede benutzend, die sie immer dann verwendete, wenn es etwas war, was eher sie beide betraf und nicht in der ganzen Schule herumgehen mußte.
"Sie möchten mir jetzt doch nicht etwa erzählen, daß Mrs. Jane Porter ihren eigenen Tod vorgetäuscht hat", preschte er fast schon tollkühn vorwärts. Professeur Faucon verzog zwar das Gesicht, erwiderte aber nichts dazu. Statt dessen deutete sie auf das Gemälde mit dem Weizenfeld, durch das Julius einmal in die Bilderwelt eingetreten war, um danach fünf Stunden zwischen Faszination und Horror durch die Bilder von Hogwarts und vor allem die Galerie des Grauens von Salazar Slytherin zu laufen und zu fliegen. Der ockergelbe Schimmer lag durchsichtig wie von der Sonne beschienenes Glas. Viviane Eauvive stand auf dem Feld und nickte ihnen zu. Dann verschwand sie aus dem Bild. Julius starrte auf das Feld, das wie viele Freilandansichten den wirklichen Jahreszeiten angepasst war. Im Moment bedeckte ein wenig Schnee das Feld. Dann, etwa eine Minute später, erschien Viviane Eauvive wieder im Bild. Doch sie war nicht mehr allein. Sie umklammerte mit ihren Armen eine kleine, untersetzte Frau im geblümten Kleid, die einen Strohhut auf den graublonden Locken trug. Sie zwinkerte Julius und Professeur Faucon aufmunternd zu, wartete, bis Viviane sie losließ und drückte dann einen kreisrunden, schimmernden Gegenstand nach vorne, daß es aussah, als lege sie ihn von hinten an die Leinwand.
"Per Intraculum Excedo!" Hörte Julius eine ihm all zu vertraute Zauberformel. Dann sah er, wie aus dem Gegenstand der Hexe mit dem Strohhut eine immer heller glühende Spirale wurde, die sie einhüllte, bis ihre Konturen sich auflösten. Kaum geschah dies, schossen helle Spiralarme aus Licht direkt aus dem Bild heraus, bildeten einen gleißenden Wirbel, der bis zum Boden reichte und aus dem sich innerhalb weniger Sekunden erst als leuchtender Schemen und dann greifbar Jane Porter in aller räumlichen Erscheinungsform materialisierte. Fasziniert davon, wie es für Außenstehende aussah, wenn jemand ein Intrakulum benutzte, um die gemalte Welt zu verlassen, konnte Julius erst einmal nichts sagen. Das Jane Porter doch überlebt hatte, damit hatte er sich innerlich ja schon angefreundet, als daß es ihm einen Schock versetzte. Aber das sie in der Bilderwelt war erschütterte ihn schon.
"Guten Morgen zusammen", grüßte Jane Porter, als wäre sie ganz normal bei ihnen zu Besuch gekommen.
"Das meinte Magistra Eauvive mit Reichenbach", raunte Julius. Professeur Faucon, die ja auf diesen Eintritt Jane Porters gefaßt gewesen sein mußte, sah die für tot gehaltene Brieffreundin mit einer Mischung aus Vorwurf und Erleichterung an.
"Ich hoffte, daß du mit dem einfachen Stichwort was anfangen konntest. Falls dem nicht so gewesen wäre und meine gute Bekannte Blanche Faucon mich nicht vor Wochen schon darüber informiert hätte, daß sie mittlerweile mehr als zwanzig Minuten braucht, um dich soweit zu erschöpfen, daß sie in deine Erinnerungen eindringen kann, hätte ich mich bestimmt nicht aus meiner Deckung gewagt."
"Sie können froh sein, daß ich keine Frauen schlage und viel zu glücklich bin, daß Sie doch nicht tot sind, Mrs. Porter", fauchte Julius. "Sonst hätte ich Ihnen wohl eine runtergehauen. Sie wissen bestimmt, wie weh Sie allen getan haben, denen Sie irgendwas bedeuten, Gloria, ihrem Vater, Ihren Eltern."
"Das ist mir all zu bekannt, Julius", erwiderte Jane Porter sehr ernst. "Glaube mir bitte, daß ich ihnen nicht wehtun wollte. Aber wenn ich dir erzähle, was genau passiert ist und wieso ich überlebt habe, wirst du wohl einsehen, daß der Schmerz den ich allen, die mich lieben und die ich genauso liebe zufügte verkraftbar ist, wenn sie dafür nicht in Lebensgefahr schweben müssen."
"Setz dich wieder hin!" Befahl Professeur Faucon unvermittelt laut. Da erst merkte Julius, daß er sich wohl wieder hingestellt hatte, als er die von den Toten auferstandene Hexe angesprochen hatte. Er nahm wieder Platz und fühlte, wie sein Blut ihm durch alle Fasern seines Gesichts pulste. Er mußte wohl ziemlich aufgeregt sein. Ein Blick in das leicht spiegelnde Glas seiner Armbanduhr zeigte einen rotgesichtigen Jüngling mit blondem Har.
"Jane, du setzt dich bitte auch hin.
Als Jane Porter saß und Julius' Erregung etwas nachließ sagte Professeur Faucon:
"Meine auch von mir für tot gehaltene gute Bekannte hat mich durch Magistra Eauvive fragen lassen, ob mir alte Muggelgeschichten bekannt seien und ob ich aus diesen etwas von den Reichenbachfällen gehört habe. Da ich diese daselbst vor zwanzig Jahren einmal besucht habe und dort die Gedenktafel einer an sich nur fiktiven Tragödie noch gut in Erinnerung hatte war mir sofort klar, was diese Frage bedeuten mußte, Julius. Wie du war ich auch erst sehr wütend und gleichermaßen erleichtert. Doch dann kam die Frage auf, warum die Großmutter deiner Schulkameradin Gloria Ihren Tod vortäuschen mußte. Als ich von Magistra Eauvive erfuhr, daß auch dir die Geschichte geläufig sei wurde ich gebeten, mich auf den Eintritt einer guten alten Bekannten gefaßt zu machen. So wie gerade eben trat Jane Porter auch aus diesem Bild in die Wirklichkeit ein. Ich war auch versucht, sie harsch zusammenzustauchen, ja muß zugeben, daß ich auch mit dem Gedanken spielte, ihr weh zu tun, Ohne Angst vor Bestrafung haben zu müssen, da man einer Toten ja kein Leid mehr zufügen kann. Doch ich erkannte, daß sie durchaus plausible Gründe haben mußte, uns alle derartig tief zu erschüttern und unterhielt mich mit ihr. Jane, erzählen Sie ihm jetzt bitte, was genau passiert ist!"
"Bevor ich mir das anhöre, so vernünftig das jetzt auch klingen kann", versetzte Julius, als Jane Porter den Mund auftat, "Wie soll ich jetzt mit Gloria umgehen? Wenn die mir erzählt, wie traurig sie ist, daß ihre geliebte Oma Jane tot ist und sie ihr dieses oder jenes nicht mehr sagen oder zeigen kann, wie soll ich da bitte schön reagieren?"
"Die Frage ist berechtigt", bestätigte Professeur Faucon. "Du hast dich mir offenbart und darauf bestanden, dich auch dem Jungen zu offenbaren, gegen meinen entschiedenen Einwand. Also bitte!"
"Also, wenn ich endlich einmal was sagen darf", setzte Jane Porter etwas verstimmt an, "dann erst einmal die Antwort auf deine Fragen, Julius. Für sie muß ich weiterhin tot sein, wie für alle anderen auch, denen ich was bedeutet habe und die mir immer noch sehr viel bedeuten. Deshalb möchtest du bitte nie von dir auf mich zu sprechen kommen. Wenn Gloria dich in ein Gespräch verwickelt, das mit mir zu tun hat, dann sage ihr einfach, wie sehr du sie verstehen kannst, auch wenn du mich nicht so gut kanntest wie sie mich. Denke daran, das unter Umständen ihr Leben davon abhängen kann, daß sie weiterhin glaubt, ich sei nicht mehr da! Dann wirst du das hinbekommen."
"'tschuldigung, Mrs. Porter", setzte Julius erneut an, "warum dann bitte werde ich informiert. Es stimmt schon, daß man mir vieles aufgeladen hat. Doch das heißt nicht, daß ich echt alles mit mir rumtragen kann."
"Das sehe ich ein. Deshalb möchte ich endlich erklären, was mich dazu bringt, daß ich jetzt hier vor dir stehe und warum ich dich damit belasten muß, daß alle Welt denken muß, ich sei wirklich gestorben und du keinem was davon sagen darfst. Außer der gemalten Viviane Eauvive, meiner zu recht verstimmten Kolegin Blanche Faucon und dir darf es keiner erfahren, daß ich noch unter den Lebenden weile. Warum du als einziger außer deiner Hauslehrerin? Weil du der einzige in meinem Bekanntenkreis bist, der sowohl ein hohes Zaubertalent besitzt, in der Okklumentik gut genug ausgebildet bist, um auch sehr mächtigen Legilimentoren ausreichend lange zu widerstehen und als einziger in meiner Reichweite ein auf sich abgestimmtes Intrakulum besitzt."
"Sowas kann sich jeder in zehn Wochen zusammenbauen", widersprach Julius.
"Ja, aber das Risiko dabei ist nur dann vertretbar, wenn es gefährlicher ist, nichts zu tun als ein Intrakulum zu erschaffen", sagte Jane Porter, die sichtlich verbittert war, weil sie ihre Geschichte nicht erzählen konnte wie sie wollte.
"An und für sich dürfen Sie das mit dem Intrakulum doch gar nicht wissen", sagte Julius. "Außerdem habe ich das nicht mehr. Madame Maxime hat es."
"Das stimmt nicht, Julius", wandte Professeur Faucon ein. "Ich habe bereits nach deiner letzten Aktion damit mit ihr darüber diskutiert, daß der, von dem du es hattest es mir zur Verwahrung für dich anvertraut hat. Nach einigem hin und her, bei dem ich durchaus meine wackelige Position noch mehr gefährdete, konnte ich sie davon überzeugen, daß ich es wieder in Verwahrung nehme, da es für mich unauffälliger ist, dich damit auszustatten, falls eine neuerliche Situation seinen Einsatz erzwingt. So, und jetzt höre bitte Janes Geschichte an, falls ich dir keinen Sprechbann auferlegen soll!"
"Blanche, derartig drastische Maßnahmen sind wohl unnötig", widersprach Jane Porter. "Ich verstehe den Jungen vollkommen. Die Tatsache, daß ich nicht tot bin und er das verschweigen soll, auch und vor allem Gloria gegenüber, macht ihn verständlicherweise wütend. Aber, Julius, ich halte dich für intelligent und einfühlsam genug, um zu begreifen, warum ich dir das jetzt auch noch aufladen muß. Also bitte, höre mir jetzt zu, bis ich dir alles erzählt habe. Wenn du dann noch Fragen hast, darfst du mich dumm und dämlich fragen. Versprochen. Nun, anfangen möchte ich bei etwas, daß mir vor einem Jahr und fünf Monaten über den Weg lief. Zwei Dementoren waren in New York, um sich mit einem Schwarzmagier zu treffen, der Kontakt mit jenem, der sich Lord Voldemort nennt aufnehmen wollte. Eine Hexe mit einem hohen Präkognitionsfaktor, also eine echte Seherin, sollte von diesen Monstern gefangengenommen werden, weil sie wohl etwas vorhergesehen hat, daß diesen Magier empfindlich stören konnte. Sie lief in einen Schönheitssalon der Muggel, wo sie in Trance ihre Weissagung wiederholte. Doch die Dementoren fanden sie und haben ihr vorübergehend die Seele entrissen. Die Tatzeugen sollten auch von ihnen Geküßt werden. Doch eine Muggelfrau konnte sie sehen, keine Squib, sondern eine Magosensorikerin, also jemand, die magische Wesen und Vorkommnisse wahrnehmen kann, die Muggel nicht wahrnehmen können. Sie hatte was bei sich, mit dem sie einen darin gespeicherten Patronus aufrufen konnte und so den Dementoren entging. Später kam diese Frau zu mir, weil sie einen guten Bekannten hatte, Zachary Marchand. Sie war eine Kollegin von ihm. Sie erzählte mir von der Prophezeiung, dernach ein Heer der Spinne und ein Heer der Schlange sich erheben würden, um die Welt zu verdunkeln." Julius zuckte zusammen. Das kam ihm zu bekannt vor. Er dachte zuerst, Jane Porter wolle ihm da einen Bären aufbinden. Doch ihre nächsten Worte brachten ihn von diesem Gedanken ab. "Ich habe den Gegenstand der Frau untersucht und erkannt, daß es ein uraltes, sehr potentes Artefakt ist, daß sie ihrer Aussage nach von ihrer Großmutter väterlicherseits geerbt hat. Es bewahrt seinen erblich bestimmten Träger vor diversen Bösartigkeiten und dunklen Kreaturen. Sie erzählte mir auch was von einem Muggel, der in ihrem Zuständigkeitsbereich wohnte und ein Wiedererweckungsritual von Hexen belauscht hat. Da war mir klar, daß mit dem Heer der Spinne eine den Todessern entgegenwirkende, aber keineswegs unserer Auffassung von Recht und Ordnung zugetane Organisation gemeint sein muß, eine Schwesternschaft dunkler Hexen. Wo dieses Ritual stattgefunden hat erfuhr ich auch. Allerdings existiert dieser Ort nicht mehr. Er wurde in einem grausamen Bandenkrieg schwer bewaffneter Verbrecher vernichtet. Den Jungen, der in der Nähe dieses Ortes gewohnt hat zu befragen war mein nächstes Ziel. Aber ich fand ihn nicht. Die Polizeiorganisationen der Muggel suchten ihn Wochen lang. Aber er war und blieb verschwunden. Ich muß davon ausgehen, daß er von der dunklen Schwesternschaft beobachtet und getötet oder anderweitig aus der Welt geschafft wurde. Dann, und jetzt komme ich zu einem für dich immer noch unangenehmen Thema, kam dein Vater nach Amerika und geriet in den Bann Hallittis. Die FBI-Agentin kam mit ihm und der Abgrundstochter in Berührung. Sie berichtete von Hexen in weißer Kleidung, die gegen sie angetreten sind. Minister Pole befahl Marchand, ihr Gedächtnis zu verändern, so daß sie sich nicht mehr daran erinnern könne. Bei der Gelegenheit erfuhr ich auch, daß diese Frau wohl die letzte Erbin einer uralten Familie aus dem Orient war, die ihren Nachkommen Artefakte wie das dieser Frau überließen, um sie gegen die dunklen Mächte zu schützen." Julius zuckte wieder zusammen. Auch das kam ihm zu bekannt vor. Professeur Faucon sprang ein:
"Der Junge kennt die Kinder Ashtarias, Jane. Er hatte vor einer nicht zu erwähnenden Zeitspanne mit ihnen zu tun, beziehungsweise mit einer Hexe aus dieser Ahnenlinie. Ich finde es etwas merkwürdig, daß man die Liga nicht über eine Muggelfrau informiert hat, die ein nachweislich sehr starkes Artefakt der höheren Magie besaß. Wo lebt diese Frau?"
"Sie lebt leider nicht mehr. Sie kam im letzten Sommer bei einem Autounfall in Spanien ums Leben", sagte Jane Porter verbittert. Dann sah sie Julius an und sagte: "Du hast es mit mir zusammen sogar gehört, als wir in Zachs Haus waren und vor Swifts Leuten flüchten mußten. Die Nachricht auf der Beantwortungsmaschine."
"Irgendwas mit Monte", sagte Julius, der sich nun erinnerte.
"Genau die. Allerdings wurde das besagte Artefakt nicht gefunden. Da es wie alle Artefakte seiner Art den Elementen widersteht, also nicht verbrannt, eingeschmolzen, zerschlagen oder in ätzender Säure zersetzt werden kann, hätte es den Unfall unbeschädigt überstehen müssen. Es wurde aber nicht gefunden, wie Marchand nach langen Erkundigungen in meinem Auftrag herausbringen konnte. Deshalb muß ich annehmen, daß es ihr vorher entwendet wurde, also von jemandem, der wußte, welchen Wert es besaß oder daß nicht nur ich irrtümlich für tot gehalten werde. Ich hoffe, sie lebt auch noch und hat sich unter den Schutz wohlgesonnener Zauberer gestellt."
"Komm bitte zum wesentlichen, Jane", schnarrte Professeur Faucon.
"Stimmt, du hast recht", pflichtete die für tot gehaltene Hexe ihr bei und fuhr fort: "Wie du leider zu gut weißt wütete dein Vater im Bann Hallittis immer weiter, ohne daß unsere Strafverfolgungszauberer oder die Liga gegen die dunklen Künste informiert und auf ihn angesetzt wurde. Marie Laveaus Geist bat mich, dich zu ihr zu führen, damit du von ihr hörst, was geschehen ist. Nur kamst du ihr ja ein klein wenig zu vor, wie wir wissen, nicht wahr?" Julius nickte rasch, bevor Jane Porter näheres erwähnen mochte. "Immerhin gelang es uns, deinen Vater aufzuspüren. Daß Hallitti den Zauber zurückverfolgte und dich zu sich hinziehen wollte hätte ich vorhersehen müssen." Professeur Faucon nickte sehr entschieden. "Ich wollte dich nach Millemerveilles zurückbringen, dem einzigen Ort, wo du frei herumlaufen konntest, ohne von ihr behelligt zu werden. Leider nahmen mich Swifts Leute fest, als ich in den Weißrosenweg wollte. So sollte Ardentia Truelane dich außer Landes bringen. Das klappte ja auch nicht, weil Pole alle Verkehrswege blockiert hat. Anstatt dich zu einem wirklich sicheren Versteck unseres Institutes zu bringen, brachte sie dich in ein stümperhaft bis überhaupt nicht gesichertes Haus in Houston, wo Hallitti dich dann finden und in ihre Gewalt bringen konnte. Heute weiß ich, was ich damals nur erahnen und nicht begründen konnte: Ardentia hat unterwegs mit dir einen Zauber gemacht, der ihr ermöglichte, ständig zu wissen, wo du bist und was dir gerade widerfährt. Jetzt wirst du wohl sagen, daß du das ja hättest mitkriegen müssen und man dein Gedächtnis nicht verändert hat, wie Professor Wright herausfinden konnte. Es gibt da einen Zauber, den nur sexuell unberührte Hexen und Zauberer miteinander wirken können."
"Pontivirginum", knurrte Professeur Faucon. "Das hätte mir auch längst einfallen müssen."
"Tröste dich Blanche, ich hatte ein ähnlich dickes Brett vor dem Kopf, wahrscheinlich auch deshalb, weil ich mir nicht gestehen wollte, daß wir im Institut eine Undichte stelle hatten, von mir bestätigbar Ardentia Truelane. Sie erfüllte dieses Kriterium, sich zuerst mit dem Zauber zu belegen, in dem sie etwas Wasser bezauberte, das du dann nur noch trinken mußtest, um mit ihr in einer einseitigen Verbindung zu stehen, daß sie von dir alles wußte, aber nicht umgekehrt. So und mit der Hilfe einiger Hexen ihrer eigentlichen Auftraggeberin konnte sie dich mühelos aus der Ferne überwachen, bis hin zu jenem Höhlenversteck. Da sie ja von mir ja die ungefähre Lage bekommen hat, war es kein Problem, ihre Bundesschwestern hinzuschicken, ohne selbst dort sein zu müssen. Den Rest kennst du ja soweit. Leider kann Professor Wright nur soweit legilimentieren, daß sie zwar Bilder, Gefühle und Worte erfassen kann, jedoch keine stimmlichen Ausprägungen. Vielleicht hätten wir dann heute einige dieser Hexen am Wickel. Obwohl, und jetzt komme ich zum tragischen Ende der Geschichte, es vielleicht erst einmal besser ist, wenn wir sie nicht in die Enge treiben, wie ich es mit Ardentia tun mußte. Glo hat mir erzählt, daß sie es dir erzählt hat, daß eine junge Kollegin von mir getötet wurde und das dunkle Mal der Todesser über dem Haus erschien. Das war ein reines Ablenkungsmanöver."
"Weil die betreffende Hexenführerin im Körper eines früheren Todessers haust", sagte Professeur Faucon. "Du hast ihr Gesicht gesehen. Eigentlich hätte sie es dir gar nicht zeigen dürfen, wenn sie nicht wollte, daß wir es erfahren. Also wollte sie es."
"Das heißt, sie kennt die Tricks der Todesser", vermutete Julius. Jane Porter und Professeur Faucon nickten zustimmend.
"Selbst ein von einem Dementor entseelter Körper behält die Erinnerungen im Gehirn. Sie sind halt nur nicht mehr benutzbar, solange niemand es anstellt, eine neue Seele in diesen Körper einzubringen. Geschieht dies, ist für den neuen Geist alles bisher gesammelte Wissen verfügbar, wenn es auch nicht mit seinen gefühlsmäßigen Erinnerungen verbunden werden kann. Zauber, Bilder, Personen und Gerüche sind jedoch dann frei verfügbar", sagte Jane Porter. Professeur Faucon nickte beipflichtend. Dann meinte sie, Jane möge weiterberichten. "Was die Mörderin meiner Kollegin nicht wissen konnte, weil sie es durch einen Bergestein versteckt hat, ist die Tatsache, daß sie ein Tagebuch führte, das sich durch ihre Gedanken fortsetzen konnte. Ich suchte und fand dieses Tagebuch an dem von ihr bezeichneten Versteck und las, daß sie herausgefunden hatte, daß jene Hexenführerin sich wohl dunkle Artefakte aus der Zeit des Druiden Dairon besorgt hatte, unter denen auch eines sei, das die Seelen fremder Wesen einsperren und dem Besitzer deren Wissen zugänglich machen kann. Offenbar hat sie es verändern können, daß es die eigene Seele nach dem Tode aufnehmen und bei einem Bestimmten Ritual in einen anderen Körper eintreiben kann. Dieses Wissen hat meine Kollegin Beryl Corner Ardentia weitererzählt, die dann ihre wahre Führerin informierte. Fast bis zur letzten Sekunde ihres Lebens hat Beryl ihr Gedankentagebuch fortgesetzt, so daß ich nachlesen konnte, daß jene Hexenführerin meine gerade erst fertig ausgebildete Kollegin aufsuchte und sie zwingen wollte, ihr zu folgen. Offenbar erzielte sie damit keinen Erfolg. Beryl wollte mich wohl noch anmentiloquieren, da muß sie der tödliche Fluch getroffen haben. So wußte ich nun, daß Ardentia eine Verräterin war, ein Maulwurf, wie es bei den Muggel-Geheimdiensten genannt wird."
"Man sollte niemals Doppelagenten in Dienst stellen", knurrte Professeur Faucon. Julius pflichtete dem durch Nicken bei. Doppelagenten konnten immer leicht umgedreht werden, so daß sie in Wirklichkeit für die arbeiteten, die sie ausspionieren sollten, die irgendwie wußten, das ihr angeblicher Spion eher für die andere Seite gearbeitet hatte.
"Damals erschien es uns wichtig, jemanden in den geheimen Schwesternschaften zu haben, zumal Ardentia nie für die sogenannten Nachtfraktionärinnen gearbeitet hat, Blanche", versetzte Jane Porter, die wohl meinte, sich verteidigen zu müssen. Dann räusperte sie sich, wohl um noch mehr gerade nicht so wichtige Worte abzuwürgen und sprach ruhiger weiter. "Ich hatte für den Fall, daß ich eine höchst gefährliche Einzelaktion machen muß ein Simulacrum von mir erzeugt, ohne Minister Pole oder Davidson davon zu unterrichten. Das habe ich nicht getan, weil ich feige bin, sondern in Situationen, wo meine Überlebenswahrscheinlichkeit ganz genau null ist sicherzustellen, daß ich das dabei gesammelte Wissen weitergeben konnte. Bisher habe ich von diesem Trick keinen gebrauch machen müssen."
"Simulacrum? Sie meinen, Sie haben sich geklont oder sowas?" Fragte Julius. Professeur Faucon sah ihn warnend an und forderte Jane Porter auf, erst einmal zu Ende zu berichten, wie sie es ja selbst gewünscht hatte.
"Zu diesem Simulacrum meiner Selbst habe ich mir seit deinem vom französischen Zaubereiminister zum Staatsgeheimnis erklärten Grund dafür, daß du eins hast ein eigenes Intrakulum angefertigt, da ich davon ausging, daß Aktionen wie die Galerie des Grauens - Ja, Blanche, du mußt mich nicht böse ansehen, nur weil ich auch davon wußte - in der Lage sein wollte, selbst einzugreifen, wenn dergleichen wieder vorkam. Ich könnte dir und eurem Minister heute noch den Hintern versohlen, Blanche, daß ihr den Jungen in diesen Wahnsinn geschickt habt, nur weil es passte."
"Dann müßtest du auch Madame Maxime und Professor Dumbledore züchtigen. Und das würdest du selbst dann nicht wagen, wenn du nicht von aller Welt für tot gehalten würdest", konterte Professeur Faucon. Damit plauderte sie zwar ein wenig aus, was eigentlich ein strenges Geheimnis war, schien sich dabei jedoch nicht schuldig zu fühlen. Jane Porter nickte nur und sagte:
"Nun, ich instruierte mein Simulacrum, Ardentia Truelane in das Haus zu locken, in das sie dich eigentlich hätte bringen müssen, Julius. Denn dort gibt es viele Fluchabwehrzauber und einen von einem sehr stark verdichteten Sanctuafugium-Zauber durchdrungenen Raum, den wir "Raum des Friedens" nennen, weil in ihm wahrlich nichts verfluchtes oder schwarzmagisches bestehen kann. Falls Ardentia diesen Raum betreten konnte, so war der Verdacht des Verrats ausgeräumt. Falls nicht, sollte meine Doppelgängerin sie entfluchen und dann unter dem Einfluß von Veritaserum ausfragen und das Ergebnis weitergeben. Es war zu befürchten, daß das Simulacrum an meiner Stelle gejagt und getötet würde, wenn Ardentia wahrlich nicht in diesen Raum des Friedens gehen konnte. Ich zog mich mit dem Intrakulum in ein Bild Viviane Eauvives zurück, das ich von dir bekommen habe, Blanche, als der Verbrecher Voldemort deinen Mann umgebracht hat." Professeur Faucon räusperte sich ungehalten, nickte aber dabei. "Mein Simulacrum erfüllte seinen Auftrag soweit, daß es Ardentia Truelane in das Haus lockte. Dort selbst gibt es Bannzauber, die gedankliche Verbindungen nach innen und außen unterbrechen. Deshalb weiß ich leider nicht, was genau dort geschah. Nur soviel: Offenbar hat meine Doppelgängerin es nicht geschafft, Ardentia zu entfluchen oder ist bei dem Versuch, dies zu tun gescheitert und hat einen Vernichtungszauber ausgelöst, der sie und Ardentia getötet hat. Somit war ich gezwungen, für tot gehalten zu werden und bat Viviane Eauvive, mich zu ihrem Gegenstück nach Beauxbatons zu bringen, wo ich in ihrem Stammbild blieb. So zu leben ist zwar sehr praktisch, weil ich keinen Hunger oder dergleichen hatte. Allerdings möchte ich nicht ewig in der Bilderwelt verbannt sein. Mir fiel das Buch über Kriminalgeschichten der Muggel ein, wo ein gewisser Sherlock Holmes als genialer Detektiv auftrat. Dieser fand angeblich den Tod bei einem Kampf mit seinem ärgsten Gegner, überlebte jedoch und tauchte unter, damit er die letzten Gehilfen seines Widersachers überwachen konnte, bis er handfestes Material gegen sie in Händen hielt und wieder zu den Lebenden zurückkehren durfte. Das fiel mir ein, als mir klar wurde, daß alle meine Vorkehrungen und wie sie mein originäres Ich vor dem Tod bewahrt hatten dieser Situation entsprechen. Ich wußte, daß ich für geraume Zeit nicht zurückkehren darf, denn im Gegensatz zum Meisterdetektiv Holmes konnte ich meinen ärggsten Widersacher nicht aus der Welt schaffen. Diese Führerin der neuen Schwesternschaft, die von jener seherisch begabten Hexe "Das Heer der Spinne" genannt wurde, hat eine treue Mitverschwörerin verloren. Ich weiß nicht, ob Ardentia die einzige war, die im Institut spioniert hat. Falls nicht, so darf außer denen, die ich bisher informiert habe, niemand von meinem Überleben wissen. Denn ich denke, diese Hexe, die wir jetzt wohl als Wiederkehrerin benennen dürfen, sei es Sardonia oder ihre Nichte Anthelia, hat ein Netz gebaut. Deshalb wurde ihre Schwesternschaft in den Visionen jener Seherin sowie Marie Laveaus Geist als Spinne symbolisiert."
"Das entspricht Dingen, die in den letzten Jahren passiert sind", grummelte Blanche Faucon. Jane Porter nickte.
"Wir müssen davon ausgehen, daß diese Hexen bereits wichtige Stellen der globalen Zauberergemeinschaft unterwandert haben oder dies noch tun. Eine wörtliche Hexenjagd zu betreiben, um die Spioninnen zu finden würde die Verdächtigen in den Untergrund treiben und den Unschuldigen unrecht tun. Deshalb kann ich beim besten Willen nicht einfach aus der Deckung kommen und "April April!" Rufen. Das würde den von dir erwähnten Leuten wesentlich mehr weh tun als die Trauer um mich. Außerdem hätten diese Hexen dann genug Möglichkeiten, mich zu bedrohen und zu erpressen, indem sie meine Liebsten überfallen, verschleppen oder bis zum Tod foltern. Ich will zuerst wissen, wo die schwarze Spinne sitzt, ihre Fäden erschüttern, ohne mich einfangen zu lassen oder das Netz zu zerreißen, was nichts bringen würde, wenn die dicke Spinne sofort anderswo neue Fäden auswirft. Deshalb muß ich wie im Fall des fiktiven Detektivs Sherlock Holmes verschwunden bleiben, eigene Nachforschungen ohne in der natürlichen Welt aufzutreten anstellen. Viviane hat mir bereits angeboten, ihre Verbindungen zu nutzen, um mir zuzuarbeiten, wenn ich euch beide ausführlich informiert habe."
"Das heißt, ich muß mich Gloria gegenüber immer verstellen, damit sie nicht ahnt, daß Sie noch leben, Mrs. Porter! ich verstehe jetzt zumindest warum Sie das von mir verlangen. Denn ich könnte mit Viviane Eauvive durch die Bilderwelt gehen, Sie dort treffen, aber nur, wenn Professeur Faucon es mir auch erlaubt." Er sah seine Lehrerin an, die nickte.
"So leid es mir tut, diesen Dienst muß ich von euch erbitten", sagte Jane Porter bedauernd. Dann lächelte sie zum ersten Mal seitdem sie aus dem Bild gestiegen war. "Ich werde weder Blanche noch dich in unnötige Gefahren treiben. Das verspreche ich dir, alleine schon, weil ich möchte, daß du weiterhin Glorias Freund bleiben kannst. Zu mehr wird es wohl nicht reichen, vermute ich."
"Was seine Angelegenheit ist, solange er nicht mit deiner Enkelin ernsthafte Bande knüpfen will, Jane", fuhr Professeur Faucon dazwischen. Jane Porter nickte.
"Tja, in den Bildern können Sie Jahrhunderte alt werden, verhungern nicht und werden auch nicht zu dick, Mrs. Porter. Das weiß ich von Viviane und Aurora Dawns Bild-Ich. Aber wie lange meinen Sie, müssen Sie diese Operation Reichenbach wohl durchführen, bis die schwarze Spinne aus ihrem Netz herausspringt und man sie fangen oder totschlagen kann."
"Könnte sein, daß ich deine Kinder oder Blanches Urenkel noch miterleben kann, bis das passiert, Julius. Interessanter Deckname übrigens: Operation Reichenbach. Ich dachte eher an "La Araña Blanca", die weiße Spinne. Aber als die kann ich mich ja Viviane gegenüber ausweisen, wenn sie dir was von mir bestellen oder an mich weiterzumelden hat oder auch an andere."
"Warum ausgerechnet ein spanischer Name, Jane?" Fragte Professeur Faucon.
"Weil dadurch jede Verbindung nach Frankreich, England und den USA vertuscht wird. Sollte die schwarze Spinne wirklich Wind davon bekommen, daß man ihr doch näher kommt als sie will, so mag sie erst an anderen Orten suchen. Ihr beide könnt wunderbar Okklumentik, weiß ich. Höchst wahrscheinlich wird die Führerin des Hexenordens es nicht so schnell herausbekommen, daß ich ihr entkommen bin. Ich werde selbst in der Bilderwelt ausharren, damit ich im Falle, daß doch was durchsickern könnte, was ich im Moment nicht erwarte aber vorhersehen muß, beweglich bleibe und nicht von dir oder deinem Schüler verraten werden kann, Blanche."
"Und wenn sie uns mit dem Imperius-Fluch kommen?" Fragte Julius.
"Dann müßte sie wirklich schon wissen, daß jemand ihr entwischt ist. Imperius funktioniert in der Hinsicht nur, wenn jemand einen eindeutigen Befehl erteilt bekommt."
"Wir werden in den Stunden, in denen wir Occlumentie üben auch deine Resistenz gegen den Imperius-Fluch besonders in dieser Hinsicht verstärken", kündigte Professeur Faucon an. "Was die Abschirmung angeht bist du meiner Meinung nach so gut wie ausgebildet. Aber du darfst Catherine nichts davon sagen, so widerwärtig es ist, sie derartig zu übergehen."
"Es sei denn, du möchtest haben, daß ihr noch ungeborenes Kind ohne Mutter aufwachsen oder mit ihr zusammen sterben muß", meinte Jane. Professeur Faucon räusperte sich nun sehr ungehalten.
"Jane Porter, meine Tochter lebt seit ihrer Ausbildung mit der Gefahr, von böswilligen Zeitgenossen ermordet zu werden. Drohen Sie dem Jungen nichts an, was sie selbst niemals eintreten lassen möchten!"
"Entschuldigung, Professeur Faucon, dies hielt ich für nötig, um ihm zu verdeutlichen, wie ernst es ist. Natürlich wollte ich dem Jungen nicht drohen, sondern ihn nur warnen."
"Meine Tochter ist fähig genug, ihr Leben und das ihrer Familie zu schützen. Den Jungen damit zu behelligen, er möge sich vorsehen, damit ihr nichts widerfahre ist ein sehr unfeiner Zug, Jane. Immerhin mag er sie genauso wie sie ihn", sagte die Lehrerin immer noch verärgert. Julius erhob sich für einen Moment und sagte:
"Mir was anzudrohen ist schäbig, wenn längst klar ist, daß ich kapiert habe, warum ich keinem außerhalb dieses Raumes was erzählen darf, Mrs. Porter. Selbst wenn es mir noch so weh tut, Gloria nicht trösten zu dürfen, wenn sie um Sie trauert weiß ich, was wichtig und richtig ist. Das habe ich hier gelernt. Ich bin nun einmal wie Steve Austin, der 6-Millionen-Dollar-Mann, der nicht mal seinen Eltern erzählen durfte, wie er einen schweren Flugzeugabsturz scheinbar unverletzt überstehen konnte." Den letzten Satz sprach Julius mit großer Wehmut. Immerhin war seine Mutter auch bei Jane Porters Gedenkfeier dabei gewesen, die ebenso betroffen war wie die meisten anderen Gäste auch, wie Professeur Faucon, Maya Unittamo und Professor Dumbledore. Jane Porter sah ihn fragend an, doch Professeur Faucon blickte ihn verstehend an. Noch ein Geheimnis mehr, das er keinem verraten durfte. War es nicht Gloria, die ihm im Sommer geraten hatte, solche Sachen mit denen zu teilen, denen er vertraute? Welche Ironie. Gloria war es auch, die gesagt hatte, sie könne es nicht nachempfinden, wie groß die Trauer um Claire war, aber mitfühlen, wie die, die sie gekannt und geliebt hatten empfanden. Jetzt trauerte sie selbst, und Julius wußte, daß sie eigentlich keinen Grund dazu hatte. Doch er durfte es ihr nicht erzählen.
"Eine Frage habe ich noch", wandte sich Julius an Jane Porter. Sie nickte ihm zu. "Was für ein Wesen ist so ein Simulacrum. Ist es ein Fühlendes Wesen wie Sie oder eher eine Art programmierbarer Zombie?"
"Im Grunde fühlt es wie sein Original, sofern es alle dessen Erinnerungen übertragen bekommen hat. Ansonsten ist es ohne Gedächtnis hilflos und ohne Eigeninitiative, also muß angeleitet werden. Etwas wie die Seele kann bisher nicht verdoppelt werden, nur gespalten."
"Das genügt dem Jungen voll und ganz", knurrte Professeur Faucon und legte nach: "Simulacrum-Zauber sind an und für sich verboten. Jane könnte sich also dadurch auch vor einem Gericht zu verantworten haben, wenn sie beschließt, in die Welt der Lebenden zurückzukehren. Aber ein Simulacrum zu töten wird nicht als Mord angesehen, eben weil es außer willkürlich erhaltenen Gedächtnisinhalten kein inneres Selbst besitzt. Nur damit du beruhigt bist, Julius, daß solch ein Doppelgänger nicht ermordet sondern nur vernichtet werden kann."
"Sonst noch Fragen, die ich beantworten darf?" Fragte Jane Porter.
"Nur die eine, was ist mit dem Zweiwegespiegel, den Sie hatten?"
"Den hat deine Lehrerin ja bekommen und wird ihn auch behalten. Wir verständigen uns von nun an nur noch über Viviane, sofern es nicht nötig ist, daß du zu einer direkten Unterredung mit mir in die Bilderwelt eintrittst. Ich wünsche dir trotz aller dunklen Geheimnisse, die ich und andere dir aufgeladen haben trotzdem noch eine schöne Zeit, wo immer du sie verbringst und hoffe, daß du wieder wen findest, mit dem du in Liebe verbunden sein kannst. Dir, Bläänch wünsche ich, daß du nicht zu solch drastischen Maßnahmen gezwungen wirst, wie ich sie ergreifen mußte. Allerdings frage ich mich, warum mein Wissen über Entfluchungen nicht ausreichte."
"Gut, dann möchte ich es dir sagen, Jane", öffnete Professeur Faucon den Sack, um die Katze herauszulassen. "Du wolltest Ardentia unter Veritaserum verhören, nachdem sie entflucht war. Nach alledem, was ich über die Umstände deines und ihres Verschwindens erfuhr und dem, was du uns jetzt erzählt hast war Ardentia mit dem Treuefluch belegt. Es ist eine verstärkte Form des unbrechbaren Eides, allerdings mit zwei Zusätzen: zum einen tötet er bei Zuwiderhandlung gegen den Fluchaussprecher nicht nur den damit belegten, sondern alle anwesenden Zeugen in einem gewaltigen Feuerausbruch. Nur gegen alle Flüche abgehärtete Gegenstände bleiben dabei unversehrt. Zum zweiten, und das solltest du doch eigentlich geahnt haben, als dir klar wurde, daß wir es mit einer der beiden dunklen Matriarchinnen des siebzehnten Jahrhunderts zu tun haben, wird dieser Fluch so gewirkt, das eine damit belegte Speise oder ein Getränk, besonders unter Zuhilfenahme eines potenten dunklen Gegenstandes, beabsichtigt oder unbeabsichtigt dem Opfer eingeflößt nicht genommen werden kann. Ein Entfluchungszauber schwächt ihn nur so weit ab, daß er nicht sofort, sondern hundertmal langsamer wirkt, jedoch wieder volle Stärke erlangt, wenn ein Zaubertrank eingenommen wird. Der Trank, welcher es auch immer sei, verliert seine eigene magische Wirkung. Der Fluch jedoch bleibt erhalten und tritt in Kraft, wenn gegen die Bedingungen gehandelt wird, die mit ihm verknüpft wurden. In dem Moment, wo dein Simulacrum Ardentia das Veritaserum aplizierte, wurde jeder Entfluchungszauber wertlos, und sie mußte sterben, zusammen mit den Augen- und Ohrenzeugen. Da sie davon ausging, es mit dir persönlich zu tun zu haben, tat der Fluch sein Vernichtungswerk. Ich hoffe, dein Exil in der Bilderwelt wird dich lehren, deine Künste und Kenntnisse mit der Sorgfalt zu wichten, die sie verdient haben."
"Das mußte wohl jetzt sein, Bläänch, damit der Junge deine Autorität nicht in Frage zu stellen wagt. Lebt wohl und bleibt gesund an Leib und Seele!" Erwiderte Jane Porter unbeeindruckt. Dann trat sie zum Bild mit dem Weizenfeld und legte ihr Intrakulum darauf. "Per Intraculum transcedo!" Hörte Julius sie die Formel rufen, die er bis dahin nur von sich selbst gehört hatte. Eine rote Lichtspirale trat aus dem magischen Gegenstand, breitete sich aus, wechselte dabei die Farben von Rot, über Grün, Gelb bis Blau, bis sie Jane Porter völlig umschlungen hatte und mit ihr im Bild verschwand, wo sie sich noch einige Sekunden lang drehte, bis Glorias Großmutter wie gemalt im Vordergrund des Bildes erschien. Sie winkte ihnen noch einmal zu, dann ging sie mit Viviane Eauvive davon, hinaus aus dem Bild mit dem Weizenfeld.
"Sofern es nicht gerade tiefste Nacht ist kannst du von nun an mit dem Spiegel jederzeit mit mir in Verbindung treten, Julius. Ich habe es Gloria auch schon gesagt, daß ich nun da bin, wenn sie jemanden braucht, um über ihre Großmutter zu sprechen. Es tut mir wirklich leid, daß du schon wieder mit etwas behelligt wurdest, das du keinem weitersagen darfst", sagte Professeur Faucon mit ehrlichem Bedauern in Stimme und Gesicht. Dann umarmte Sie Julius noch einmal wie seine eigene Großmutter und wünschte ihm trotz allem noch einen schönen Tag.
Als Julius durch die Sprechzimmertür hinausgetreten war sprangen Hercules und Robert wie Wegelagerer auf einer Landstraße von beiden Seiten heran.
"Hey, was wolte die von dir, was so lange gedauert hat?" Zischte Robert.
"Darf ich euch nicht sagen, Jungs. Das betrifft die Eauvives, Professeur Faucon und mich alleine. Aber keine Sorge, es ist kein anderer mehr gestorben", sagte Julius laut. Professeur Faucon trat aus ihrem Sprechzimmer und räusperte sich sehr vernehmlich. Sie fing die Blicke der beiden Jungen mit ihren saphirblauen Augen ein. Wie umgeschaltet verfärbten sich die Gesichter der beiden von rosig nach dunkelrot.
"Wie ich von Monsieur Moureau erfuhr haben Sie beide sich für einen der Ausflüge nach Millemerveilles angemeldet. Sie kennen die ab heute gültige Sonderregel dafür. Riskieren Sie bitte nicht, die ersten Schüler zu sein, die wegen unnötiger Strafpunkte den erforderlichen Disziplinarquotienten verfehlen! Sie sind nur gewarnt. Behelligen Sie Ihren Kameraden nicht weiter, wenn er Ihnen deutlich erkklärt, daß er zu Unterredungen mit mir oder anderen Kollegen nichts sagen darf!"
"Natürlich, Professeur Faucon", sagte Hercules unterwürfig. Auch Robert machte eine abbittende Geste. Dann gingen sie davon. Julius folgte ihnen erst in großem Abstand, dann gesellte er sich zu ihnen.
"Wann will Königin Blanche dich heiraten?" Fragte Robert nach einigen Dutzend Metern Abstand vom Büro.
"Wenn alle sehen, daß sie von mir schwanger ist", versetzte Julius schlagfertig. Hercules und Robert stutzten, blickten ihn und dann sich verdattert an und mußten dann lachen. Sich vorzustellen, daß Julius und Professeur Faucon ein Kind haben würden war zu abwegig und damit zu komisch. Julius erreichte jedoch was er wollte, sie stellten ihm weder dumme noch ernste Fragen zu seiner langen Unterredung, über die er keinem was sagen durfte, nicht einmal derjenigen, die es doch so viel anging: Gloria Porter.
Die Jungen liefen durch die Gänge des Palastes, richtung Ausgang. Das Wetter lud zum Spazierengehen an der Frischen Luft ein. Als sie den Eingang zum westlichen Park erreichten hörten sie ein fernes Fauchen und Sirren, als wenn kleine Raketen durch die Gegend flögen. Julius hörte sofort, daß es sich um Flüche und Querschläger handelte.
"Da duelliert sich wer", sagte er leicht besorgt. Hercules bekam große Augen und suchte die Gegend ab. Noch einmal hörten sie etwas brausen und pfeifend davonschwirren. Da lief Robert schon los. Er hatte wohl erkannt, wo es herkam.
"Ey, Robert, pass auf, daß die dich nicht mit einem Fluch erwischen!" Rief Hercules dem Freund nach. Julius verfiel ebenfalls in Trab, holte Robert ein und zog an ihm vorbei. Er prüfte, ob seine Goldblütenhonigphiole sicher in einer Innentasche seines Umhangs lag. Sie konnte schwache flüche völlig und mittlere Flüche zum Größten Teil aufheben und die Wirkung der Abwehrzauber ihres Trägers verstärken. Doch es war nichts mehr zu hören. Offenbar war das Duell zu ende. Er suchte mit seinem Blick nach der Quelle des Spektakels und sah einen weizenblonden Haarschopf, der sich anscheinend aus dem Gras erhob. Die dichte Löwenmähne erkannte er. Es war Waltraud Eschenwurz. Er legte noch anderthalb Schritte zu und jagte auf die Klassenkameradin zu. Erst fünf Meter vor ihr bremste er seinen Lauf ab. Er sah, wie jemand im Gras lag, der sich immer weiter ausbeulenden Kleidung nach eine Beauxbatons-Schülerin. Als er die immer unförmige Erscheinung genauer ansah erkannte er einen Moment lang noch, daß es sich um Callisto Montpélier handeln mußte.
"Neh, ihr habt euch doch nicht echt duelliert", stieß Julius leicht gehetzt aus. Robert hatte wohl seine persönliche Höchstgeschwindigkeit gefunden, war aber immer noch weit hinter Julius. Hercules rannte nicht. Offenbar legte er es nicht darauf an, in einen fehlgehenden Fluch reinzurasseln.
"Die hat mich mit Edgar gesehen, wie er sich mit mir über Schulsachen unterhalten hat. Da sprang die mich an. Ich mußte mich wehren, habe versucht, ihr die Ganzkörperklammer anzuhängen. Doch sie ist ausgewichen und wollte mich attackieren", sagte Waltraud. "Da habe ich den großen Schild beschworen und darauf gehofft, daß der Gürtel meiner Großtante mich auch wirklich schützt. Dann hielt sie einfach drauf, addierte und gekoppelte Flüche. Die meisten davon prallten ins leere ab. Doch zwei haben sie selbst erwischt."
"Ich sehe es. Könnte ein Adipositus-Fluch dabei sein."
"Stimmt, hat sie gerufen, gekoppelt mit einem anderen Fluch, den ich noch nicht kannte. Dann hat sie noch einen gewirkt, wohl auch gekoppelt. Sie sagte "Aggregato", konnte ich hören."
"Zwei gekoppelte Flüche? Das wird schwierig. Ich hoffe, die kaufen dir das ab", sagte Julius. "Ich muß auf jeden Fall Schwester Florence rufen."
"Deshalb bin ich ja noch hiergeblieben", schnaubte Waltraud. "Wäre ja echt unfair, die hier rumliegen zu lassen", sagte sie. Julius betrachtete Callisto Montpélier, die nun eher einer Mischung aus einer Riesenamöbe und einer Nacktschnecke glich, ein großes, rundes, mal kugelförmiges, mal plattes Etwas, aus dem immer wieder gallertartige Auswüchse herausfuhren und sich wieder zurückzogen.
"Uä", machte Robert, als er die Bescherung sah. "Wer ist denn das? Sag nicht die Montpélier!"
"Gut, dann sagen wir es dir nicht", sagte Julius. Waltraud sah ihn mit ihren graubraunen Augen leicht belustigt an.
"Du hast die fertiggemacht?" Fragte Robert die Austauschklassenkameradin mit einer Mischung aus Unglauben und Erstaunen.
"Die sich selbst", knurrte Waltraud verbittert.
"Wo ist denn Edgar abgeblieben?" Fragte Julius.
"Als mich die, die meint, ältere Rechte an dem zu haben einfach so anspringen wollte hat der sich davongemacht."
"Dann wird der seinen Hauslehrer holen", vermutete Robert. Julius hantierte derweil an seinem Pflegehelferarmband. Als Schwester Florences räumliches Abbild erschien gab er die Meldung weiter. Die Heilerin meinte, er solle die Betroffene auf eine Trage zaubern und in ihr Behandlungszimmer bringen. Waltraud solle in fünf Minuten bei ihr antreten. Sie solle ihm ihren Zauberstab aushändigen.
"Den gebe ich nur ab, wenn die mir das persönlich befiehlt", sagte Waltraud.
"Das habe ich gerade gemacht, Mademoiselle Eschenwurz", erwiderte Schwester Florence. "Also gib Julius sofort deinen Zauberstab. Wenn stimmt, was du ihm erzählt hast, kriegst du ihn ja nachher wieder."
Waltraud wußte, daß die Heilerin wie eine Lehrerin Anweisungen erteilen und Bonus- und Strafpunkte vergeben konnte. Da sie im Moment wohl damit rechnete, sowieso schon genug Strafpunkte zu kassieren gehorchte sie. Julius nahm ihren Zauberstab. Er konnte sich denken, was damit angestellt werden sollte. Dann beschwor er aus dem Nichts eine Trage herauf, wuchtete das runde Etwas, das das Beauxbatons-Schulmädchenkostüm bereits halb zerrissen hatte auf die Trage, sprach den Locomotor-Zauber darauf und dirigierte sie zum Palast zurück. Unterwegs kamen ihm Professeur Trifolio und Edgar Camus entgegen. Dann sah er noch Mildrid und ihre jüngeren Verwandten, die Zwillinge und Patricia Latierre, die neugierig herankamen.
"Ist das Waltraud?" Fragte Edgar. Doch dann konnte er die Viertklässlerin sehen, die unversehrt hinter Julius herschritt. "Öhm, Neh, das kann doch wohl nicht sein", seufzte er. Professeur Trifolio hielt Waltraud auf und wollte sie zur Rede stellen. Julius sagte, daß er in den Krankenflügel wollte und Waltraud dort in vier Minuten anzutreten habe. Dann bugsierte er die Trage zum nächsten Verbindungsstück des Wandschlüpfsystems, löste dessen Durchgangsmagie aus und zog die Trage hinter sich her durch die Wand. Schwester Florence stand schon bereit, zusammen mit den Lehrerinnen Faucon und Fixus.
"Geben Sie mir Mademoiselle Eschenwurzes Zauberstab!" Befahl die Heilerin. Professeur Faucon nickte Julius bestätigend zu. Er befolgte die Anweisung ohne zu zögern.
Schwester Florence hielt ihren Zauberstab an den von Waltraud und sagte "Prior incantato!" Aus Waltrauds Zauberstab flog ein nebelhaftes Gebilde heraus, das sich zu einem durchsichtigen, silbrigen Etwas wie ein mannshoher Schild verdichtete. "Der große Schild? Den beherrscht sie schon?" Wunderte sich die Heilerin. Professeur Faucon nickte. "Deletrius!" Rief sie dann noch. Der silberne Schild löste sich auf.
"Zumindest kent sie dessen Aufruf. Ihn zu erschaffen verdankt sie wohl einem Geschenk ihrer Großtante, das sie außerhalb meines Unterrichts am Körper trägt", berichtete Professeur Faucon.
"goldblütenhonig?" Fragte Julius. Er hatte bisher nicht gewußt, daß Waltraud ebenfalls was zaubermächtiges bei sich trug, um heftige Flüche zu parieren.
"Ist auch mit im Spiel", sagte seine Klassenlehrerin. "Aber da sie es offenbar nicht allen erzählen wollte möchtest du das bitte für dich behalten, wenn sie nicht will, daß andere das wissen."
"Klar", sagte Julius. So ein Geheimnis für sich zu behalten war einfacher als alles, was er sonst zu verschweigen hatte.
"Ich muß Callisto in die Delourdess-Klinik schicken. Die Flüche zu bestimmen ist mir zwar möglich, wenn es aber Querschläger sind, die von einem großen Schild abprallten, noch dazu vermischte Flüche, dann müssen da mehrere ausgebildete Heiler gleichzeitig einwirken, um das Mädchen davon zu befreien."
"Ich will wissen, was Waltraud Eschenwurz dazu zu sagen hat", bestand Professeur Fixus auf ihrem Recht. Professeur Faucon nickte. Als Schwester Florence die Trage mit der heftig durcheinandergehexten Hexe per Flohpulver nach "Delourdes Notaufnahme" geschickt hatte sagte sie zu Julius, er könne wieder gehen. Er wandschlüpfte zurück in die Nähe des Westparks. Doch seine Klassenkameraden aus dem grünen Saal waren nicht mehr da. Es waren nur noch die Latierres und Marc Armand, der muggelstämmige Erstklässler aus dem roten Saal da.
"Trifolio hat sich wieder davongemacht, weil seine Kolleginnen ja für die beiden Mädels zuständig sind", begrüßte ihn Millie.
"Ja, eure und unsere Saalkönigin waren schon bei Schwester Florence als ich da ankam."
"Wie kommen die denn so schnell dahin?" Fragte Armand ungläubig. "Also, ihr könnt ja mit dem Beam-Armband diese Transmitternummer bringen, die euch mal eben wo anders hinbringt. Aber die Lehrer kommen doch nicht so schnell wohin. Das Apparieren oder wie das heißt, sich selbst wohin zu teleportieren."
"Durch die Kamine, Marc", meinte Patricia. "probieren wir in den Ferien aus."
"Öhm, da müssen meine Alten erst noch was zu sagen, ob ich mal eben zu euch darf oder nich'", meinte Marc mit leicht geröteten Ohren. Patricia lächelte dazu nur.
"Wie hat Bernies Alptraum die große Callisto denn so fertig gemacht?" Fragte Millie.
"Och, die konnte einen besseren Schildzauber, den sie einfach vor sich aufgebaut hat und damit alles zur Absenderin zurückgefälscht hat. Die hätte der besser nicht so viele Flüche hintereinander auf den Pelz brennen sollen und überlegen sollen, warum die ersten Flüche nicht durchkamen."
"Hat Schwester Florence die noch bei sich?" Fragte Millie.
"Nein, die hat sie in die Delourdes-Klinik geschickt, weil die mehrere Heiler braucht, die die ganzen verknäuelten Flüche auseinanderdröseln und sie davon befreien müssen."
"Gegen den Adipositus-Fluch hilft nur der Abspecktrank Nummer zwei, weil der Anorexius-Fluch nicht aufhört zu wirken, wenn das normale Gewicht erreicht wird", sagte Millie.
"Dann wird die zum Skelett?" Fragte Calypso Latierre.
"Wenn man den nicht aufhebt bestimmt", meinte Millie gehässig. "Dann können sie die gleich von diesem Feigling und Fachidioten Camus kurieren."
"Kann man sowas?" Fragte Julius. Millie schüttelte sacht den Kopf.
"Meine Kameraden haben sich wohl an Waltraud drangehängt, um zu sehen, was genau passiert ist", sagte Julius.
"Stimmt, die liefen ihr nach, als habe sie ihnen was tolles versprochen", sagte Patricia Latierre. Dann meinte sie zu Marc: "Wollen wir jetzt unsere Laufübungen machen?"
"Ich weiß nicht, ob ich nicht besser erst den Kram für Bellart zurechtschreiben soll", sagte Marc Armand.
"Das kannst du auch morgen noch", sagte Patricia. Ihre Nichten Calypso und Penthesilea nickten aufmunternd. Marc seufzte kurz, tätschelte kurz seinen nicht mehr ganz so runden Bauch und nickte bejahend.
"Die Jungs sagten, eure Saalkönigin hätte dich zu irgendwas einbestellt. Darfst du das echt nicht erzählen?" Wollte Millie wissen. Julius Andrews schüttelte den Kopf. "Wie sie meint", grummelte Millie. "Hast du noch irgendwas wichtiges zu erledigen?"
"Ich könnte in der Bibliothek was über die eurasischen Feuerraben nachlesen, wo unsere Direktrice die uns jetzt im Unterricht vorgestellt hat."
"Das hast du doch schon drauf, was die wissen will", meinte Millie. "Ich weiß nicht, ob die das haben will, wenn einer mehr als sie selbst weiß. Dann könnte sie ja nicht mehr unterrichten."
"Das weiß ich nicht genau, Millie. Ich werde sie auch nicht danach fragen." Er mußte grinsen. Millie hatte ihm ohne ihn zu kritisieren gesagt, daß sie reines Lernen ohne direkten Auftrag für Zeitverschwendung hielt. Gut, das wußte er schon längst, aber in diesem Moment, wo sie es nicht sagte, verstand er es auf einmal. Dann wies er auf den Park und meinte:
"An und für sich wollte ich mit Robert und Hercules ein wenig im Park rumlaufen, ein wenig Dauerlauf und so. Aber so gesehen könnte ich auch irgendwo hingehen und die Sonne genießen, bevor heute nachmittag der Kräuterkunde-Freizeitkurs ist."
"Einfach so, ohne dich auf irgendwas festzulegen?" Fragte Millie merkwürdig lächelnd. Julius nickte. "Willst du da alleine hin?" Fragte sie leise. Er überlegte. Er konnte ja mit ihr oder sonst wem plaudern, allein schon um sich von dem Gespräch bei Professeur Faucon abzulenken. Er hatte tatsächlich eine Frage, die er an und für sich nicht so direkt stellen wollte. So sagte er ihr, wenn sie Lust habe, könne sie mit ihm gehen. Sie nickte und ging neben ihm her durch den westlichen Park, bis sie an den Fluß kamen, der die Ländereien von Beauxbatons durchquerte. Hier setzten sie sich auf eine Bank. Millie blieb etwa zwanzig Zentimeter von Julius entfernt sitzen. Er wandte sich ihr zu und fragte:
"Habe ich das eben richtig gehört, daß Patricia Marc Armand zu sich einladen wollte?"
"Interessiert dich das?" Fragte Millie lächelnd. Dann sagte sie schmunzelnd: "Offenbar hat sich Patricia in den kleinen runden Marc verguckt und meint, ihn Oma Line vorstellen zu müssen. Ob er das will, und ob seine Muggel-Eltern ihr das so durchgehen lassen ist ja nicht ganz klar. Aber sie redet häufig davon, daß er sie doch mal besuchen möchte."
"Wenn der so Eltern hat wie ich wird es lustig", sagte Julius. Dann sprachen sie über die Sache mit Waltraud und Callisto, plauderten über das Jahrtagsfest in Millemerveilles. Er erfuhr, daß sie sich auch auf die Teilnehmerliste hatte setzen lassen, wie ihre Cousinen und die Tante. Sie fragte ihn, ob er glaube, daß Waltraud nicht mitdurfte. Er sagte dazu, daß er das ja erst mitkriegen würde, wenn er es von ihr oder Professeur Faucon oder Madame Rossignol hörte. Sie fragte ihn, ob er auch diesen großen Schild könne. Er meinte, daß er ihn wohl aufrufen könne, aber ob er hielt wisse er nicht.
So verflogen zwei Stunden, weil sie immer neue Sachen fanden, über die sie reden konnten, mal einer Meinung waren und mal fast in Streit gerieten, besonders was die Auffassung der Schulregeln anging oder wie gut oder schlecht die von Madame Maxime verkündete Sonderregelung war. Sie lachten miteinander oder redeten von Gloria, wobei Julius ihr sagte, daß er nicht über sie sprechen wollte, wo sie nicht dabei war und er nicht wüßte, was sie anderen von sich erzählen wollte und was nicht. Millie fragte dann einmal ganz direkt heraus:
"Seid ihr echt nur gute Freunde oder hätte da auch was laufen können, wenn du nicht zu uns gewechselt wärest?"
"Ich hatte sie immer nur als gute Freundin ohne jetzt irgendwas beziehungsmäßiges verstanden. Ich habe zumindest nicht von ihr irgendwelche heißen Träume gehabt, wenn du sowas meinst."
"Ich weiß, du hast eher von meiner großen Schwester geträumt", knurrte millie etwas. Dann mußte sie grinsen. "Jetzt sage mir doch ganz frei und ohne Angst vor irgendwas oder irgendwem zu haben was dir so an Martine gefällt!"
"Ich könnte jetzt mit "kein Kommentar" antworten, Millie. Aber wenn du es wissen möchtest: Irgendwie hat mein Körper angefangen, andere Körper zu mögen und mein Verstand mag ihren Verstand, aber auch daß sie weiß, was sie will. Das will ich ja auch können."
"gut, daß du mit Tante Trice eine merkwürdige Therapie gemacht hast, um Orions Geilheitsfluch auszulöschen weiß ich ja nun doch. Jetzt kuck mich nicht so an, als würde gleich die Welt explodieren! - Ich habe es doch auch mitgekriegt, daß ihr euch über eure Träume voneinander unterhalten habt. Also hat sie dir ja irgendwas gezeigt oder gesagt, daß du ihr auch nicht egal bist."
"Hmm, sagen wir es so, und bitte nimm das jetzt nicht zu ernst. Ich konnte mir echt vorstellen, mit Martine mal eine Nacht zu verbringen und dachte, sie könnte sich das auch vorstellen. Aber ob das so ist weiß ich nicht."
"Mit verbringen meinst du aber jetzt nicht Schach spielen oder die Probleme höherer Zauberkunst zu diskutieren, oder?" Fragte Millie. Julius schüttelte den Kopf. Warum sollte er ihr nicht das sagen, was sie eh schon immer geglaubt hatte.
"Aber sie und ich leben jetzt in zwei unterschiedlichen Welten. Sie geht arbeiten, und ich gehe noch zur Schule."
"Ich denke, wenn meine große Schwester es echt meint, dich mal für sich haben zu wollen, dann wird sie dir das schon irgendwie beibringen. Also deshalb magst du ältere Mädchen lieber als jüngere, weil die schon wissen, was genau sie wollen?"
Julius hatte es gewußt, daß sie jetzt dieses Thema anschneiden würde. Doch er hatte es darauf ankommen lassen, und nach seiner neuen Entscheidung wollte er nichts mehr ausweichen, worauf er sich eingelassen hatte.
"Dann müßte ich sagen, ich bevorzuge Frauen, wie Aurora Dawn oder deine Tante Béatrice."
"Das müßte mich jetzt eigentlich ärgern, was du gesagt hast, weil ja die meisten noch "Mädchen" zu mir sagen. Aber zumindest finde ich es gut, daß du eine direkte Frage auch ehrlich beantwortest. Wenn es das ist was du willst, dann helfe ich dir gerne, mit Tante Trice zusammenzukommen, daß du sie zumindest mal als Freizeithexe kennenlernst um zu sehen, ob sie es wirklich ist, die du haben willst."
"Ich denke mal, die will mich nicht haben. Die sieht in mir doch eher einen Jungen, der so tut, als wenn er schon groß wäre."
"Dann denkst du, du wärest noch nicht groß genug für meine Tante Trice?" Fragte Millie.
"Denkst du das denn von dir?" Fragte Julius.
"Die ist mir etwas zu verbissen in ihrer Arbeit. So will ich bestimmt nicht werden und hoffe, es nicht zu sein. Wenn du mit so einer besser auskommst ... Immerhin legst du es ja drauf an."
"Habe ich nicht gesagt. Ich sagte nur, daß ich auf deine Frage, ob ich ältere Mädchen lieber mag als gleichalterige antworten müßte, daß ich dann ausgewachsene Frauen bevorzugen müßte, wenn es stimmen würde und ..." Julius stutzte. Sie hatte ihn in die Enge gedrängt und zu einer Äußerung verleitet, die er nicht machen wollte. Doch jetzt war es heraus, daß er nicht unbedingt nur von älteren Mädchen oder jungen Frauen begeistert war. Mildrid nickte nur und meinte:
"Ich werde nicht versuchen, dich auf irgendwen anzusetzen, Julius. Meine Tante Trice soll sich selbst den aussuchen, der meine Cousins und Cousinen in sie reinstößt. Nur für den Fall, daß sie dich dazu kriegen sollte, ist dir ja wohl klar, daß wenn die einmal rausgekriegt hat, wie schön sowas sein kann, einfach mal Vergnügungen auszukosten, du selbst immer in Reichweite sein müßtest und Oma Line dich nirgendwo anders wohnen läßt als im Château Tournesol. Das hat Callie Marc auch schon erzählt, wenn auch anders. Sie meinte, wenn unsere Oma ihn gernhaben würde, dann könne er sich schon einmal ein Zimmer aussuchen. Sie hat ja noch genug davon übrig."
"Ich denke, Marc wird sich das dreimal überlegen, ob das mit deiner Tante was gibt oder nur ein erster Versuch war", sagte Julius, froh von sich selbst ablenken zu können. Doch Millie meinte dazu nur:
"Der hängt schon an ihrer Angel, Julius. Er weiß es nur noch nicht."
"Dann frage ich jetzt mal ganz böse, was Patricia an dem so schön oder interessant findet?"
"Tja, die Frage kann nur die dir beantworten. Dann müßtest du dich aber damit abfinden, mit Mädchen klarzukommen, die noch jünger sind als wir beide."
"Hmm, ich ziehe die Frage zurück", sagte Julius dazu nur. Millie lachte. Er sah auf seine Uhr und erkannte, daß es bald Mittagszeit war. Millie sah ihm dabei zu und sagte:
"Jetzt hast du mal mehr als zweieinhalb Stunden damit zugebracht, dich über alles mögliche außer den Schulunterricht zu unterhalten. War das jetzt Zeitverschwendung oder was dir Spaß gemacht hat?"
"Das war keine Zeitverschwendung", sagte Julius. Millie nickte. Gemeinsam, aber im Anstandsabstand von einer Schrittlänge kehrten Milie und Julius in den Palast zurück. Dort erfuhr er, daß Waltraud vom Tribunal der Heilerin und Saalvorsteherinnen wegen Notwehr keine Strafpunkte bekommen hatte. Callisto mußte wohl eine Woche in der Delourdes-Klinik bleiben.
"Indirekte Selbstverfluchung", hat Madame Rossignol das genannt. "Sie meint, daß die blöde Gans damit dreimal so heftig verhext ist wie durch den gleichstarken Fluch eines Fremden. Die hat dann von Professeur Fixus zweihundert Strafpunkte bekommen. Den Ausflug in euer Dorf kann sie damit so und so vergessen."
"Unser Dorf?" Fragte Julius belustigt. Waltraud nickte.
"Sei doch ehrlich zu dir selbst. Auch wenn Claire nicht mehr da ist wohnst du da doch schon mehr als bei deiner Mutter."
""Das sage meiner Mutter, wenn sie zum Elternsprechtag kommt", grummelte Julius. Waltraud wollte schon Abbitte leisten, als er sagte: "Von den Tatsachen her stimmt es ja auch."